Divus Pius Constituit: Kaiserliches Erbrecht [1 ed.] 9783428451425, 9783428051427

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Divus Pius Constituit: Kaiserliches Erbrecht [1 ed.]
 9783428451425, 9783428051427

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KLAUS PETER MüLLER·EISELT

Divus Pius constituit

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgl'geben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert·Ludwigs,Ulliversität, Freiburg i. Br.

Neue Folge· Band 5

DIVUS PlUS CONSTITUIT Kaiserliches Erbrecht

Von

Dr. Klaus Peter Müller- Eiselt

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany

© 1982 Duncker

ISBN 3 428 05142 4

VORWORT Diese Arbeit wurde im Februar 1979 abgeschlossen und im Sommersemester 1979 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Sie ist die Frucht meiner mehrjährigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent bei Professor Dr. Joseph Georg Wolf am Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Joseph Georg Wolf. Bereits zu Beginn meines Studiums weckte er in mir das Interesse für das Römische Recht und führte mich in seinen Seminaren behutsam und methodisch in die wissenschaftliche Arbeit ein. Stets ließ er mir jede Hilfe und Förderung zuteil werden. Ausdrücklich danken möchte ich Herrn Professor Dietrich V. Simon für kritische Ermunterung und sein einftihlendes Interesse an meiner Arbeit sowie Herrn Professor Elmar Bund für wertvolle fachliche Hinweise und für die kurzfristige Übernahme des Zweitgutachtens. Mit Freude erinnere ich mich auch der zahlreichen Sachdiskussionen mit meinen Kollegen Bernd Eckardt und Ulrich Manthe. Den Herausgebern der Freiburger Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen und dem Verlag Duncker & Humblot bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe verpflichtet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Druck durch einen großzügigen Zuschuß unterstützt. Schließlich bin ich dankbar für die Liebe und Geduld, die mir meine Eltern und meine Frau in all den Jahren entgegenbrachten. Freiburg, im Mai 1982

Klaus Peter Müller-Eiselt

INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG § I. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13

HAUPTIEIL § 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . .. 26 I.

Testamenti factio activa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 26 1. VlpI2edD28.1.15 ........................ 26

11. Heredis institutio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 30 2. Vip 1 Sab D 28.5.1.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 30 3. Vip 1 Sab D 28.5.1.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 30 III. Heredis substitutio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 35

4a. 4b. 5.

C 6.26.1 .............................. " 35 12.15.2................................. 35 Mod 1. sing de heurematicis D 28.6.4.1 . . . . . . . . . . .. 37

Zusammenfassung. . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41 § 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio. . . . . . . . . . . . . . . . .. 43

6. 7a. 7b. 8.

Marcian 4 inst D 29.2.52pr. ................... 43 Pap 6 resp D 29.2.86pr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50 Ulp 8 Sab D 29.2.30pr. ....................... 50 VIp 6 Sab D 29.2.6.3 ........................ 55

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 61 § 4. Erbfolge gegen das Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 63 I.

Die bonorum possessio contra tabulas der filia praeterita. . . .. 63 9a. Gai 2.126 ................................ 64 9b. C 6.28.4.1 ............................... 64

11. Conservatio portionis hereditatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IOa. VIp 40 ed D 37.5.5.6 ........................ lab. Tryphonin 16 disp D 37.5.7 ................... IOc. Tryphonin 16 diso D 37.8.7 ................... IOd. Marce1l9 dig D 37.8.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IOe. Hermogenian 3 iur epit D 37.5.23. . . . . . . . . . . . . . ..

72 72 78 79 83 86

8

Inhaltsverzeichnis

1II. Die bonorum possessio contra tabulas des parens manumissor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 90 lla. Ulp 45 ed D 37.12.1.4 ........................ 91 Ilb. Paul7 quaest D 29.1.30 ....................... 92 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 § S. Pflichtteilsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 I.

Transmissio accusationis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 12. Paull.sing de septemviralibus iudiciis D 5.2.7 ........ , 95

11. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum . ........ 104 13. Ulp 14 ed D 5.2.8.16 ......................... 104 14. Pap 28 quaest D 12.6.3 ........................ 113 III. Appellatio legatariorum ........................... 15a. Ulp 14 ed D 49.1.14pr.. ....................... 15b. Marcian I de appellationibus D 49.1.5.1 ............ 16. Marcian 1 de appellationibus D 49.1.5.2 ............ 15c. Ulp 5 op D 5.2.29pr. ......................... Exkurs 17. C 7.2.12 .................................

120 121 124 126 129 131

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . ................. 136 § 6. Quarta divi Pii ..................................... 18a. Gai 1.102 ................................. 18b. UE 8.5 .................................. 18c. Paull0 leg lul Pap D 38.5.13 .................... 18d. Ulp 19 ed D 10.2.2.1 ......................... 18e. Ulp 14 ed D 5.2.8.15 ......................... 18f. Ulp 40 ed D 37.6.1.21 ........................ 18g. Ulp 4 Sab D 28.6.10.6 ........................

138 138 139 144 148 152 159 162

Zusammenfassung . . . . . . ............................ 166 § 7. Erbschaftsstreit zwischen testamen tarischen und gesetzlichen Erbprätendenten ................................... 169 I.

Testamentum non iure factum . ...................... 19a. Gai 2.120,121 ............................. 19b. Gai 2.149a ................................ Exkurs: Exemplum testamenti . ...................... 20. Ulp 2 fideic D 32.11.1 ........................ 21. Ulp2fideicD32.11.2 ........................

22.

169 169 172 175 175 178

Fronto, ad M. Caes. 1.6 ........................ 180

Inhaltsverzeichnis

9

11. Testamentum incisum ............................ 184 23a. Gai 1.151 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 23b. Maree1129 dig D 28.4.3pr.. ..................... 188 III. Hereditatis petitio legato accepto ..................... 198 24a. Paull de iure fisci D 34.9.5.1 ................... 198 24b. Paul 2 Plaut D 5.3.43 ......................... 204 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ 214 § 8. Der testamentarisch Begünstigte im Spannungsfeld zwischen Testierfreiheit und Fiskalinteressen (I): Testamenti factio passiva und Erwerbsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I.

Deportatus heres institutus ......................... 218 25a. C 6.24.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 25b. C9.47.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

11. In metallum damnatus heres institutus . ................. 221 26a. Ca116 eognit D 49.14.12 ....................... 221 26b. Marcian 11 inst D 34.8.3pr. ..................... 225 26e. Vip 8 Sab D 29.2.25.3 ........................ 228 III. Vicus legatarius . ................................ 231 27. Gai 3 de leg ad ed praet D 30.73.1 ................ 231 IV. Erwerbsfähigkeit (capacitas) ........................ 235 28. Call 2 de iure fisei D 49.14.2.5 .................. 236 29. Paul 7 leg Iul Pap D 49.14.13.10 ................. 237 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 241 § 9. Der testamentarisch Begünstigte im Spannungsfeld zwischen Testierfreiheit und Fiskalinteressen (11): Erbunwürdigkeit ........ 244

I.

Verfehlungen gegen die Person des Erblassers . . . . . . . . . .... 244 30. Paull.sing de portionibus, quae !iberis damnatorum eoneeduntur D 48.20.7.4 ...................... 244 31. Paull.sing de portionibus ete. D 48.20.7.4 ........... 244 32. Marcian 5 reg D 34.9.3 ........................ 249

11. Verfehlungen gegen den letzten Willen des Erblassers ........ 255 33. Paull de iure fisei D 34.9.5.15 .................. 258 III. Verfehlungen gegen Gesetze: Das sog. [ideicommissum tacitum .263 34a. Paull.sing de tae fideie D 49.14.49 ................ 263 34b. Mod 9 pand D 35.2.59.1 ....................... 265 34e. Paull.sing de usuris D 22.1.17.2 .................. 273 34d. Paul 1 de iure fisei D 34.9.5.19 .................. 274

10

Inhaltsverzeichnis

35. Paul 7 leg lul Pap D 49.14.13.7' .................. 276 36a. Call 3 de iure fisci D 49.14.3.4 ................... 280 36b. Mod l.sing de manumissionibus D 40.5.12.2 .......... 281 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 § 10. Der Kaiser als letztwillig Begünstigter ..................... 287

37. 38. 39. 40. 41. 42.

SHA, vita Pii 8.5 ............................ 288 SHA, vita Pii 8.5 ............................ 289 Marcian l.sing de delatoribus D 49.14.22.2 ........... 292 Marcian 8 inst D 36.1.31.5 ..................... 296 Gai 14 leg lul Pap D 31.56 ..................... 297 lun Maurician 2 leg lul Pap D 31.57 ............... 299

Zusammenfassung .................................. 302 SCHLUSS § 11. Die erbrechtlichen Konstitutionen des Kaisers Antoninus Pius: ein tabellarischer Überblick. . . . . . ...................... 305

I.

Ausftihrlich erörterte Konstitutionen ................... 305

11. Nicht oder nicht ausftihrlich behandelte Konstitutionen ...... 308 § 12. Ergebnisse ....................................... 325

QUELLENREGISTER ................................ ' ... 333

ABKÜRZUNGEN In den Abkürzungen folgen wir grundsätzlich dem Verzeichnis in Max Kasers Handbuch: Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, 2. Aufl. 1971, XIX XXX. Die Spezialliteratur zu den einzelnen Konstitutionen ist jeweils in der die Konstitution einführenden Fußnote gesammelt; die nur mit Verfassernamen zitierten Werke beziehen sich auf diese Leitnoten. Daneben werden durchgängig abgekürzt zitiert: AE

Annee epigraphique

ANRW 11 2,11 15

Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, hrg. von H Temporini, 11: Principat, Bd. 2 (1975); Bd. 15 (1976)

Beseler 1 - 6

Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen, Heft 1 (1910), 2 (1911), 3 (1913), 4 (1920), 5 (1931), 6 (= SZ 66, 1948, 265-393)

Bonfante VI

Bonfante, Corso di diritto Romano, Vol. VI: Le successioni (1930, Ndr. 1976) (zitiert werden die Seiten des Ndr., wenn nicht anders angegeben)

Cujaz I - XIII

Jacobi Cuiacii IC. Tolosatis Opera ad Parisiensem Fabrotianam Editionem diligentissime exacta in Tomos XIII distributa auctiora atque emendatiora (Prati), I, 11 (1836), III, IV (1837), V, VI (1838), VII-IX (1839), X (1840), XI (1841), XII (1842), XIII (1844)

Fadda, DER I, 11

Fadda, Concetti fondamentali deI Diritto ereditatio ro'mano, Vol. I, 11 (1949)

Fitting

Fitting, Alter und Folge der Schriften römischer Juristen von Hadrian bis Alexander, 2. Aufl. 1908

Georges,

Handwörterbuch Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch von Karl Ernst Georges, 8. Aufl. I (A-H) (1913),11 (I-Z) (1918)

Glück, Pand.

Glück, Ausftihrliche Erläuterung der Pandekten,

Gualandi I, 11

Guakmdi, Legislazione imperiale e giurisprudenza 1(1963),11(1963)

66 Bde. (seit 1790)

12

Abkürzungen

Heumann-Seckel

Heumanns Handlexikon zu den Quellen des röm. Rechts, 9. Aufl 1926, neu bearbeitet von Emil Seckel, unverändert. Ndr.: 11. Aufl 1971

Hüftl 1,11

Hüttl, Antoninus Pius, I (1936), 11 (1933)

JRS

Journal of Roman Studies

Kaser 1,11

Kaser, Das Römische Privatrecht. Erster Ab-

schnitt: Das alt römische, das vorklassische und klassische Recht, 2. neubearb. Aufl. 1971. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen, 2. neubearb. Aufl. 1975 (mit Nachträgen zum Ersten Abschnitt) .

Kaser, ZPR

Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht (1966)

Krüger

P. Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur

Lacour-Gayet

Lacour-Gayet, Antonin Le Pieux et son Temps

La Pira, Succ.

La Pira, La successione ereditaria intestata e contro il testamento in diritto romano (1930)

Mayr, Vocabularium

R. v. Mayr, Vocabularium Codicis Iustitiani

Pal. (Lenel, Pal I, 11)

Lenel, Palingenesia Iuris Civilis, I (1889), 11

PIR,

PIR 2

Rives

Schulz, RRW

des Römischen Rechts, 2. Aufl. 1912

(1888)

(1923)

(1889)

Prosopographia Imperü Romani, saec. I, 11, m, 1. Aufl. Bd. m, ed. Dessau (1897/98); 2. Aufl. ed. Groag, Stein, Petersen, I (A-B) (1933), 11 (C) (1936), m (D-F) (1943), IV (G-J) (19521966), VI (L) (1970) Rives, Etude sur les innovations introduites dans la tegislation romaine par Antonin Le Pieux (l885) Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961)

TAPA

Transactions of the American Philological Association

VIR

Vocabularium Iurisprudentiae Romanae (seit 1894) Voci, Diritto ereditario Romano, Vol. 1(2. Aufl. 1967), Vol. 11 (2. Aufl. 1963) Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik

Voci I, 11

ZPE

EINLEITUNG §1 GEGENSTAND, GANG UND METHODISCH-THEORETISCHE GRUNDLEGUNG DER ARBEIT

Die vorliegende Untersuchung verfolgt den Zweck, die Einflußnahme des Kaisers auf die Entwicklung des römischen Rechts in der hochklassischen Zeit der römischen Jurisprudenz nach Umfang, Ziel und Wirkung zu bestimmen. Ein solches Vorhaben verspricht nur dann Erfolg und tieferen Einblick, wenn es in kritischer Exegese Text für Text untersucht, Details sammelt, sie vergleicht und schließlich in der Auswertung ein Gesamtbild zu rekonstruieren versucht. Giovanni Gua/andis 1 verdienstvolle Sammlung der Zitate der Kaiserkonstitutionen in den Schriften der klassischen Juristen weist für Trajan 44, Hadrian 207, Pius 266, die Divi Fratres 124, Mark Aurel 137 und für Markus und Commodus 22 Belege auf. Das sind insgesamt 800 Texte für den Zeitraum von 98 - 180, in dem die römische Jurisprudenz auf ihrem Höhepunkt steht. Die immense Fülle des Stoffes verlangt eine Beschränkung und exemplarische Selektion 2 . Unsere Wahl ist auf die Person des Kaisers Antoninus Pius (138 - 161) und den Gegenstand des Erbrechts gefallen. Als Titus Aurelius Fulvus Boionius Arrius Antoninus am 10. Juli 138 als Adoptivsohn Hadrians 51jährig zur Herrschaft gelangte, war das Reich nach außen und innen gefestigt. Nach dem äußeren Ausbau des Reiches durch Trajan und der durch Verzichte im Osten bewirkten Stabilisierung der Grenzen unter Hadrian begann mit Pius eine 23jährige Friedensherrschaft, wie sie das Weltreich in ähnlichem Ausmaße vorher noch nie erlebt hatte. Das Urteil der Historiker über die Außenpolitik des Friedensfürsten schwankt zwischen Gibbons 3 1 GualJzndi, Legislazione imperiale e giurisprudenza I (1963). 2 Dieses Gebot scheint die Würzburger Habilitationsschrift vori Manfred Just, Die Constitutiones Principum und ihr Einfluß auf die Fortentwicklung des Sachen- und Schuldrechts in der Früh- und Hochklassik (Diss.Druck, Würzburg 1970) nicht gehörig beachtet zu haben. 3 Gibbon, The history of the Dec1ine and Fall of the Roman Empire I (First Octavo Edition, London 1783) 47: "Their united" (sc. Pius und Marcus) ,,reigns are possibly the only period of history in which the happiness of a great people was the sole object of government." ... "Antoninus diffused order and tranquillity over the greatest part of the earth ...

14

Einleitung

höchstem Lob und dem sarkastischen Spott Kornemanns 4 und Webers 5 . Die schärfsten Spitzen der Kritik hat Stroheker 6 durch eine gründliche Analyse der Außenpolitik des Kaisers wieder abgeschliffen und die Übereinstimmung der überaus positiven Charakteristik des Kaisers in der Historia Augusta mit der öffentlichen Meinung seiner Zeit herausgestellt. Auch in der Innenpolitik hatte Hadrian die entscheidenden Weichen für die weitere Konsolidierung des Staates gestellt. Die Institutionalisierung einer ritterlichen Beamtenhierarchie mit geregelten Laufbahnen und die dadurch bewirkte Straffung der Administration waren Faktoren allerersten Ranges sowohl der Festigung der kaiserlichen Herrschaft als auch des politischen und sozialen Ausgleichs. Für die Rechtsgeschichte höchst bedeutsam sind die Hadrianisehen Justizreformen 7 . Die Redigierung und Festschreibung des Edikts durch Julian, der Ausbau des consilium principis zur ständigen Einrichtung, die Neubewertung der responsa prudentium sowie die Reorganisation der kaiserlichen Kanzleien bildeten die tragenden Säulen einer Justizpolitik, die auf die Zentralisierung aller Legislativfunktionen beim Kaiser und auf die Ausschaltung der Magistrate und der Juristen als autonome Organe der Rechtsfortbildung ausgerichtet war. Die Kaiserkonstitution, vor allem das Reskript, wurde allmählich der primäre Träger der Rechtsfortbildung im Einzelfall. Nicola Palazzolo'd hat kürzlich in einer schönen Studie über das Verhältnis von Kaiser und Jurisdiktionsmagistraten von Hadrian bis zu den Severern die einschneidenden Reformen Hadrians eingehend gewürdigt. Einzelne Details dieser Untersuchung mögen umstritten bleiben: die von Palazzolo gezeichnete Grundtendenz ist völlig überzeugend. Die Kenntnis dieser Entwicklungen ist für das Verständnis der Regierung des Antoninus Pius unerläßlich. Sie hat man sich vor Augen zu halten, wenn seine Herrschaft als "die Zeit der großen Windstille und der hohen Blüte des Kaiserreichs,,9 charakterisiert wird. Aufregendes tat sich unter Pius wahrlich nicht. 4 Kornemann, Weltgeschichte des Mittelmeer-Raumes 11 (1949) 147: "Antoninus Pius lebte, außenpolitisch gesehen, in den Welken ." 5 Weber, Rom Herrschertum und Reich im 2. Jahrhundert (1937) 270: "Träg wie er war, trachtete er, den Frieden zu erhalten." 6 Stroheker, Die Außenpolitik des Antoninus Pius nach der Historia Augusta, Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1964/65 (1966) 241-256. 7 Grundlegend: Pringsheim, The Legal Policy and Reforms of Hadrian, JRS 24 (1934) 141 ff. = Ges. Schriften 1 (1961) 91 ff.; Wieacker, Studien zur Hadrianischen Justizpolitik, Romanist. Studien (1935) (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen V) 43 ff.; D 'Orgeva!, L'Empereur Hadrien (1950) 169 ff.; Pa/ozzo!o, Potere imperiale ed organi giurisdizionali nel 1I secolo d. C. (1974) 26 ff. (mwN 4 Fn. 5) ;Hübner, Zur Rechtspolitik Kaiser Hadrians, Fs. Seidl (1975) 61 ff. 8 Pa!azzo!o (oben Fn. 7) 26 ff. (Nachweise: Edikt: 27 Fn. 22, 28 Fn. 23; s. auch Hübner, Fn. 7, 61 Fn. 4; consilium principis: 30 Fn. 27; responsa prudentium: 33 Fn. 34; s. auch Hübner, 68 ff.; kaiserliche Kanzleien: 35 Fn. 41; s. auch Hübner 67). Vgl. nochPa!azzo!o, Ancora su imperatori e giuristi dei II secolo, IURA 26 (1975) 126 - 135 . 9 Stroheker (oben Fn. 6) 241.

§ I. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

15

Der Kaiser hat während seiner langjährigen Regierungszeit den Boden Italiens nicht ein einziges Mal verlassen 10; er residierte in Rom und lenkte die Geschikke des Weltreichs allein kraft seiner auctoritas 11 . Der Mangel an spektakulären Aktionen und die relativ dürftige literarische Überlieferung I 2 mögen die wichtigsten Gründe dafür sein, daß Pius in der historischen Forschung gegenüber den anderen Kaisern des 2. Jh. einen eher bescheidenen Platz einnimmt. Das Standardwerk über Pius von Willy Hütd 3 stammt noch aus den 30er Jahren. Für den Rechtshistoriker indessen bietet seine Regierungszeit die ungewöhnliche Chance, innerhalb einer größeren, aber noch überschaubaren Zeitspanne äußerer und innerer Befriedigung die Einwirkung eines Kaisers auf die Fortentwicklung des Rechts zu studieren, eine Einwirkung also, die ohne die Pression äußerer Gefahren oder innerer Reformzwänge ihren Lauf nehmen konnte. Die Entscheidung des Einzelfalls ist das Instrument, mit dem Pius auf die Fortentwicklung des Rechts wirkte und seine Rechtspolitik zur Geltung brachte. Er hat von dieser Möglichkeit außerordentlichen Gebrauch gemacht. Allein in den Juristenschriften zählen wir 266 Zitate von Konstitutionen unseres Kaisers. Diese Zahl ist zwar niedrirer als die für den vergleichbaren Zeitraum der Herrschaft Mark Aurels (283) 4; doch ist zu bedenken, daß erst Pius das Reskriptwesen voll entfaltet hat und daß er den severischen Juristen, denen wir die meisten Zitate verdanken, zeitlich noch ferner stand. Pius' besonderes Interesse für das Recht ist vielfach bezeugt. "Multa de iure sanxit", lobt der Chronist und fährt fort "ususque est iuris peritis Vindio Vero, Salvio Valente, Volusio Meciano, Ulpio Marcello et Diaboleno ,,15. Das wertvolle Zeugnis - die Emendation ist längst unbestrit10 11 12 13

14 15

SHA, vita Pii 7.11. SHA, vita PÜ 7.12; 9.10; vgl. auch Aelius Aristides, or. 26 § 33 [Oliver, The Ruling Power, A Study of the Roman Empire in the Second Century 'liter Christ throu/1h the Roman Oration of AeliusAristides, TAPA 43 (1953) 871 ff. (Appendix)]. Hierüber informiert ausführlich Hüftl 115-25 (Kap. I). Hüftl, Antoninus Pius, Bd. I: Historisch-politische Darstellung (936); Bd. 11: Römische Reichsbeamte und Offiziere unter Antoninus Pius; Antoninus Pius in den Inschriften seiner Zeit (1933). Hüftl baut in vielen Punkten auf der Darstellung von G. Lacour - Gayet, Antonin Le Pieux et son Temps (1888), auf. Über die neuere historische Literatur informiert am besten die englische Übersetzung des großen italienischen Werks von Garzefti, From Tiberius to the Antonines (1974, Paperback 1976) 700-708, Addenda 767 f. Sehr anschaulich unterrichtet über Pius auch die bedeutende Mark Aurel-Biographie von A. Birley, Mark Aurel (1977 2 ) Kap. 1- V. Der in ANRW II 2 (1975) 477 angekündigte Forschungsbericht von Carrata Thomes, Per la critica dei principato di Antonino Pio, steht noch aus. Die Zahl ergibt sich aus einer Addition der ftir die Divi Fratres, Mark Aurel und Mark Aurel/Commodus überlieferten Konstitutionen in dem Zeitraum von 161-

180.

SHA, vita Pii 12.1.

16

Einleitung

ten 16 - überliefert uns die Namen der juristischen Konsiliare 1 7, deren Rat der Kaiser bei allen Entscheidungen hörte und schätzte 18 . Die Sitzungen des Kaisergerichts zogen sich oft über ganze Tage hin 19. In allen rechtlichen Dingen war Pius äußerst gewissenhaft und bemüht, auch den Einzelheiten auf den Grund zu gehen 20 . Diese Liebe für Details trug ihm gar die spöttische Bezeichnung ,Kümmelspalter' ein 21 . Noch Konstantin gilt er als in höchstem Maße rechtskundig, als consultissimus princeps22. Dieses Lob ist nur wenigen Kaisern nach so langer Zeit von ihren Nachfolgern zuteilgeworden 23 . Bei diesem Befund ist es überraschend, daß das juristische Werk des Kaisers bisher nur geringe Beachtung gefunden hat. Sachlich und methodisch überholt ist die lateinisch geschriebene Leipziger Dissertation von Wenck 24 aus dem Jahre 1804. Sie behandelt lediglich die wichtigsten Konstitutionen zum Sklavenrecht und zur potestas domini. Nur eine unübersichtliche und auch fehlerhafte Zusammenstellung der Quellen mit gelegentlichen, durchweg wertlosen Kommentierungen ist die überarbeitete Toulouser Dissertation von Paul Rives 25 . Immerhin gibt sie einen ersten groben Überblick über das juristische Werk des Kaisers und seine Neuerungen. Ein Kapitel der ersten großen Pius-Biographie des Franzosen Lacour - Gayet 26 ist der Besprechung des Kaiserrechts gewidmet. Von dieser Darstellung vielfach und über die Verweisungen hinaus abhängig ist die gleichwohl bisher beste Darstellung über Pius' Beitrag zur Entwicklung des römischen Rechts, Willy Hüttl/ 7 knapp 60-seitiger

a

16 S. nur Pfkzum, La valeur de la source inspiratrice de la vita Pii la lumiere des personnalites nommement citees, Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1964/65 (1966) 143 ff. (148), unter Aufzeigung eines parallelen Versehens in vita Hadr. 4.2: Sosi Papi. - S. auch unten § 4 Fn. 105. 17 Zu den einzelnen Juristen s. Hüftl I 79 ff.;Pfkzum (oben Fn. 16) 148 f. Diavolenus ist wohl nicht der berühmte Jurist lavolen; Pfkzum 149 hält die Einfügung des Namens für den Irrtum eines unwissenden Abschreibers. Vgl. auch Eckardt, Iavoleni epistulae (1978) 17. 18 SHA, vita Pii 6.11; vgl. dazu Crook, Consilium principis (1955) 66 f. - Mark Aurel, Selbstbetr. 1.16.6. 19 Fronto, ad M. Caes. V 59 = Haines I (Loeb Classical Library, 1919, Ndr. 1962) 52 f. und ad M. Caes. 11 14 = Haines I 152 f. 20 Mark Aurel, Selbstbetr. 1.16.2; 6.30. Jones, JRS 62 (1972) 144. 21 Cass. Dio 70.3.3. 22 CT 8.12.4 (a. 313); dazu Dietrich V. Simon, Konstantinisches Kaiserrecht (1977) 80 ff. 23 C 2.13.1 (a. 293): Diokletian über Claudius; C 7.2.6: Gordian über Mark Aurel; C 7.2.15.1b (a. 531/32): Justinian über Mark Aurel. Unter den Juristen wird nur Papinian dieses Lob zuteil: C 7.32.3 (a. 250, Decius). 24 Wenck, Divus Pius, sive ad leges Imp. Tit. Aelii Antonini Pii A. Commentarius 1-11 Diss. Lipsiae 1804/5) = Opuscula Academica (Lipsiae 1834) 2-217. 25 Rives Etude sur les innovations introduites dans la legislation romaine par Antonin le Pieux (1885, ursprüngl. Diss. Toulouse). Zum Erbrecht: Kap. IV (38-55). 26 Lacour-Gayet, Antonin Le Pieux et son Temps (1888), Kap. XVI (403-431). 27 Hüttl I (oben Fn. 13) Kap. IV (70-129 ; davon Erbrecht: 102-113).

§ I. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

17

Abriß in seinem bereits erwähnten Standardwerk. Das größte Manko aber auch dieses emphatisch und idealisierend geschriebenen Werks ist der Verzicht auf eine Analyse der juristischen Texte. Eine neuere Monographie Labrunas 28 beschränkt sich auf das bekannte, mehrfach überlieferte Reskript des Kaisers, das den PupilI aus sine tutoris auctoritate abgeschlossenen Geschäften der Bereicherungshaftung unterwirft. So hat Vincenzo Giuffre zurecht feststellen können, daß "I'attivitä, in materia" (sc. la storia giuridica), "di Antonino Pio e ... ancora tutta da scoprire e valutare,,29. Bei der großen Fülle des Stoffs ist dem Desiderat bei Beachtung der Forderung gründlicher Quellenexegese aber nur in mehreren, nach Sachgebieten abgegrenzten Teiluntersuchungen gerecht zu werden. Die bisher einzige monographische Untersuchung eines kaiserlichen Opus aus der Zeit der hohen Klassik, die Studie Scarlata Fazios 30 über die privat rechtliche Aktivität der divi fratres, hat diese Bedingung nur unvollkommen berücksichtigt; sie bietet darum kaum mehr als eine Stoffsammlung. Vorbildlich in Stoffauswahl und Methode ist dagegen Günter Schnebelts 31 Abhandlung über Reskripte der Soldatenkaiser des 3. Jahrhunderts, der wir manche Anregung verdanken. Die gebotene Beschränkung des Themas erfolgte in zwei Schritten. Von vornherein konzentrierte sich die Arbeit auf das Erb re eh t . Diese noch in der Kaiserzeit des 2. Jahrhunderts ständig im Umbruch befindliche Materie mit ihrer kunstvollen, bisweilen aber auch problematischen Verzahnung 32 von zivilem und prätorischem Recht versprach am ehesten die Gewinnung fundierter Erkenntnisse über die Wirkungsweise und die Absichten der kaiserlichen Einflußnahme auf die Rechtsentwicklung. Beim Übergang eines Vermögens im Todesfall stießen mannigfache Interessen und Wertungen aufeinander, die zum Ausgleich gebracht werden mußten. Die Offenheit des erbrechtlichen Systems einerseits und das begehrliche Eigeninteresse des Staates an den gewaltigen Vermögen der Oberschicht andererseits zwangen die Herrscher stets zu neuem überdenken der Problematik, zu politischer Stellungnahme und Entscheidung. Die Zahl der Entscheidungen belegt am besten die hervorragende praktische Bedeutung, die dem Erbrecht im Spektrum der verschiedenen Rechtsmaterien zukam: Von den 266 Konstitutionszitaten, die Gualandi für Antoninus Pius in den Schriften der Juristen J J zählt, betreffen 138, also mehr als die Hälfte, 28 29 30

31 32

Labruna, Rescriptum divi Pii. Gli atti dei pupillo sine tutoris auctoritate (1962). Giuffre, Labeo 21 (1975) 265. Scarlata Fazio, Principi vecchi e nuovi nell' attivita giurisdizionale dei divi Fratres (1939). Nicht einsehen konnten wir die Genter Dissertation von P. Noyen über die gesetzgeberische Tätigkeit Mark Aurels. Der Abdruck eines Resumes in flämischer Sprache nebst einer Zusammenstellung der Quellen (P. Noyen, ,Divus Marcus, princeps prudentissimus et iuris religiosissimus', RIDA 1 (1954) 349-371) läßt Rückschlüsse auf die ursprüngliche Konzeption des Werks nicht zu. Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1974). Kaser I § 157 III.

2 Müller-Eiselt

18

Einleitung

das Erbrecht 1.4 Der ursprüngliche Plan, alle diese Texte auf die Tragweite und Bedeutung' des kaiserlichen Eingreifens zu untersuchen, mußte bald aufgegeben werden. Es stellte sich heraus, daß für eine Untersuchung dieses Umfangs die Vorarbeiten nicht ausreichen. In der Literatur werden viele Texte zwar erörtert; doch erfolgt ihre Untersuchung regelmäßig unter einer dogmatischen Fragestellung, was nicht selten die Interpretation ungünstig beeinflußt. Aber auch sorgfältige Analysen vernachlässigen oft den besonderen Aspekt des Kaiserrechts. Darum mußte eine weitere Eingrenzung des Themas erfolgen. Dabei erschien eine systematische Auswahl der Texte nach Sachzusammenhängen geeignet, das gesteckte Ziel zu erreichen, ohne die Forderungen einer gründlichen Textanalyse, eines repräsentativen Querschnitts und einer sektoralen sachlichen Vollständigkeit vernachlässigen zu müssen. Die ausgewählten Sachgruppen lassen sich unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der t e s t a m e n t a r i s c h e n Erb f 0 I g e zusammenfassen. Untersucht werden die kaiserlichen Reskripte zu den Problembereichen Testamentserrichtung und Erbeinsetzung (§ 2), Erbschaftserwerb (§ 3), formelles (§ 4) und materielles Noterbenrecht (§ 5) einschließlich der Quarta divi PU (§ 6), zu den typischen Erbschaftsstreitigkeiten zwischen testamentarischen und gesetzlichen Erbprätendenten (§ 7) und schließlich die politisch brisanten Fälle staatlicher Verwicklung in die erbrechtlichen Erwerbsabläufe, nämlich bei Erwerbsunfähigkeit (§ 8) und Erbunwürdigkeit des Erben (§ 9) und letztwilliger Begünstigung des Kaisers selbst (§ 10). Von der Untersuchung ausgeschlossen werden mußten zwei große Komplexe, der Erwerb durch Legate und Fideikommisse (einschließlich Universalfideikommisse ) sowie die letztwillige direkte oder fideikommissarische Freiheitserteilung einschließlich des Konkurrenzproblems von Erbschaftsstreit und Statusprozeß; außerdem einige weniger bedeutende Probleme im Bereich der hereditatis petitio sowie Einzelfälle in den Sparten gesetzliche Erbfolge, bona vacantia, Soldatentestament und Klagvererbung. Die danach nicht ausführlich oder gar nicht besprochenen Quellen sind, nach Sachgebieten geordnet, in § 11 tabellarisch zusammengestellt. Dort werden die Fundstelle und der wesentliche Inhalt der Konstitution, wichtige Literatur, Querverweise innerhalb dieser Arbeit sowie auffällige Besonderheiten angegeben. Um ihre Handhabung zu erleichtern, sind alle erbrechtlichen Konstitutionen durchnumeriert. Für diese Zusammenstellung des erb rechtlichen Gesamtwerks von Antoninus Pius ist die literarische, epigraphische und papyrologische überlieferung durchgesehen worden. 33 34

Einschließlich der Institutionen Justinians. Vier Zweifelsfälle wurden nicht mitgerechnet: Vat 223 (Tutel); D 22.1.17.3 (Schuldrecht, Verzug); D 40.5.24.6 (Sklavenrecht); D 40.1.8.2 (Sklavenrecht, Freilassung vindicta). - Zur großen Bedeutung des Erbrechts unter Pius vgl. Lardone, St. Riccobono 1 (1936) 661.

§ 1. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

19

Den Begriff K 0 n s ti tut ion (constitutio principis) verwenden wir mit den römischen Juristen 35 als Oberbegriff zu Reskript, Dekret und Edikt. Mit einem Edikt konnte der Kaiser unmittelbar und allgemeinverbindlich, für bestimmte Provinzen oder das ganze Reich, Recht setzen 36 . Pius scheint auf erbrechtlichem Gebiet kein Edikt erlassen zu haben; jedenfalls läßt keine Quelle die Vermutung zu, hinter constitutio oder dem Verb constituit verberge sich ein Edikt. Dagegen sind einige erb rechtliche Dekrete, also Urteile des Kaisergerichts in erster oder zweiter Instanz, überliefert 37 . Die Juristen unterscheiden sie regelmäßig durch den Gebrauch von Verben wie pronuntiavit, dixit, iussit oder decrevit von den übrigen Konstitutionen 38 . Als bindenden Präjudizien kommt den Dekreten Gesetzeskraft und Rechtsquellennatur zu 39 . Die überwiegende Mehrzahl der Konstitutionen sind Reskripte, ,Rückschreiben'. Sie ergehen auf Anfragen und Eingaben an die kaiserliche Kanzlei40 . Je nach dem Adressaten unterscheidet man epistulae und subscriptiones; in der Form der epistula ergingen die an Beamte und als subscriptio die an Private gerichteten Bescheide. Der generalisierende' Sprachgebrauch (rescripsit, constituit) und die häufig fehlende Angabe des Adressaten lassen in den meisten Fällen die Qualität des Reskripts nicht mehr erkennen41 . Charakteristisch für das Reskript allgemein ist die gutachtliche Entscheidung einer Rechtsfrage unter Zugrundelegung der vorgebrachten Tatsachen, deren Nachprüfung dem Magistrat oder Richter in einem anhängigen (so häufig bei der epistula) oder in einem vom Bittsteller erst anhängig zu machenden (so regelmäßig bei der subscriptio) Ver-

35

Gai 1.5: "Constitutio principis est, quod imperator decreto vel edicto vel epistu/o constituit; nec umquam dubitatum est, quin id legis vicem optineot, cum ipse imperator per legem imperium accipiat." Ulp 1 inst D 1.4.1.1: "Quodcumque igitur im-

perator per epistu/om et subscriptionem statuit vel cognoscens decrevit vel de p/ono interlocutus est vel edicto praecepit, legem esse constat. haec sunt quas vulgo constitutiones appe//omus." Vgl. zu den Stellen und ihrer Problematik Pa/ozzolo, Potere imperiale (1974) 26 Fn. 19 mwN; Vo/terra, 11 problema dei testo delle costituzioni imperiali, Atti 11 Congr. int. Soc. It. di storia dei diritto, II (1971) 849 ff., dort 852 Fn. 29 zur Streitfrage, ob auch Mandate unter den Begriff der constitutio fallen:

36 37 38 39 40 41

2'

wir können die Frage offen lassen, da Mandate erbrechtlichen Inhalts von Pius nicht bekannt sind. Zu den Edikten s. Orestano, Bull. 44 (1937) 219 ff. Wir zählen insgesamt acht: Nr. 20, 22, 32, 33, 35, 68, 78,109. Vgl. ausführlich Vo/terra (oben Fn. 35) 982 ff., 1001 Fn. 60 (Dekretsammlung); Pa/ozz%, Potere imperiale (1974) 59 ff. Instruktiv Fronto, ad M. Caes. 16 § 2 = Haines I 156 (s. unten Nr. 22 und § 7 Fn. 76). S. hierzu und zum folgenden ausführlich Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1974) 9-16 (§ 2). Zum Befund und seiner in Anbetracht der geschilderten Unwägbarkeiten zur Vorsicht ermahnenden statistischen Auswertung s. Volterra (oben Fn. 35) 957 ff.;Pa/ozz%, Potere imperiale (1974) 53 ff. Ein Verzeichnis der namentlich genannten Empfänger von Konstitutionen liefert De Dominicis, I destinatari dei rescritti imperiali da Claudio a Numeriano, Annali Ferrara 8 (1950) Anhang nach S. 217.

20

Einleitung

fahren vorbehalten bleibt 42 . Unter diesem Tatsachenvorbehalt entfalten die Reskripte nicht nur Bindungswirkung für den konkreten Fall, zu dessen Lösung sie eingeholt werden, sondern darüber hinaus, und das ist das eigentlich Bedeutende, kraft der kaiserlichen auctoritas43 auch exemplarische Wirkung für zukünftige Fälle. Obgleich strenggenommen keine Gesetze, binden sie Magistrate und Richter wie Gesetze; auch die Juristen zitieren und wenden sie an wie Gesetze; vor ihnen verstummt jede Rechtskritik44 . Es wäre müßig, hier die einzelnen in der Literatur zu diesem Problem vertretenen Nuancen wiederzugeben 45 : über die praktische Normativität der Reskripte bereits in der uns interessierenden Epoche lassen die Quellen keinen Zweifel, und unsere Untersuchung wird dies erneut bestätigen. Während einschlägige epigraphische und papyrologische Quellen nicht auszwnachen waren, konnten zwei literarische außerjuristische Belege (mit insgesamt drei Konstitutionen)46 in unsere Sammlung aufgenommen werden. Hinzu kamen acht Belege aus dem justinianischen Codex47 ; aus Gualandis Rubrik ,Imperatori incerti,4/S konnten sechs, aus seiner Rubrik ,Citazioni generiche.49 vier Belege als Zitate von Pius-Konstitutionen identifiziert werden. Eine weitere Stelle hatte Gualandi irrtümlich Mark Aurel zugewiesenY~-, und ein Text unter den Pius-Konstitutionen war zu streichen51 . Damit reduziert sich Gualandis Anzahl der Belege erb rechtlicher Pius-Konstitutionen auf 137 52 . Rechnet man die 21 neu bestimmten Belege hinzu, ergibt sich eine Gesamtzahl von 158 Textstellen. Sie verteilen sich infolge von Doppel- und Mehrfachüber-

42 43

44

45 46 47 48 49 50 51 52

Zur Zurückweisung der Theorie eines klassischen Reskriptprozesses und des Reskripts als formelle Prozeßeinleitung s. Palazzolo, Potere imperiale (1974) 9 f., 51 f., 75,233 ff. Fn. 62. Volterra (oben Fn. 35) 845 Fn. 24; Palazzolo, Potere imperiale (1974) 47 Fn. 77 und 26 Fn. 20, jeweils mwN. Instruktiv De Robertis, SulIa efficacia normativa delle costituzioni imperiali II (1942) 105 ff. = ABari 4 (1941) 285 ff. Die gelehrte Untersuchung von Dieter Nörr, Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 122-133, hat die auffällige Zurückhaltung der Juristen bei der Beurteilung des Kaiserrechts im wesentlichen bestätigt. - Zur Funktion der Reskripte als Responsenersatz s. Palazzolo, Potere imperiale (1974) 44 ff. mwN. Zum Meinungsstand s. Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1974) 10 f. Fn. 4; Palazzolo, Potere imperiale (1974) 6 Fn. 9, jeweils mwN. Nr. 22, 37, 38. Nr. 4a, 9b, 17, 25a, 25b, 67b, 87b, 92. Nicht aufzunehmen war C 3.31.1 (a. 170), wo das Präskript falsch überliefert ist: aus ihm ist zu streichen Titus Aelius. Nr. 35,40, 53b, 55c, 78, 97 (Gualandi 1232 ff.). Nr. 15c, 55b, 98b, 112b (Gualandi 1243 ff.). Nr. IOd = D 37.8.3 (Gualandi I 141). D 40.5.30.12 (Gualandi I 91). Die dort erwähnte constituti9 ist u.E. aus dem Kontext nicht eindeutig zuzuordnen. Abweichend von uns zählt Gualandi Nr. 19a als zwei Belege, Nr. IOOa und b dagegen nur als einen Beleg. Die Differenzen heben sich gegenseitig auf.

§ 1. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

21

lieferungenS 3 und infolge einiger DoppelzählungenS 4 auf insgesamt 118 Konstitutionen. Hiervon werden 42 (mit insgesamt 66 Belegen) ausführlich vorgestellt. Mit weiteren, verdeckten Pius-Konstitutionen in den juristischen Texten ist zu rechnen. Allein in den Digesten werden ca. 40 Konstitutionen mit erbrechtlichem Einschlag farblos, d.h. ohne Angabe ihres Urhebers, überliefert; sie sind durch keinerlei Anhaltspunkte zu individualisieren. Einige weitere sind trotz Nennung des Kaisernamens wegen Doppeldeutigkeit nicht mit der notwendigen Sicherheit einem bestimmten Kaiser zuzuordnen. Damit ist das gerade für Pius-Konstitutionen gelegentlich schwierige I den t i f i z i e run g s pro b lern berührt. Pius wird in den 158 TextsteIlen mit nicht weniger als zehn verschiedenen Namen bezeichnet. In über 2/3 der Fälle begegnet die Bezeichnung divus Pius (109); sie ist eindeutig. Keine Schwierigkeiten bereiten auch die Abwandlung divus Pius Antoninus (4)55, die im Codex verwendete offizielle Titulatur imperator Titus Aelius Antoninus A. (3)56, ihre Verkürzung imperator Titus Antoninus (5)57, eine Spezialität Papinians, sowie die Bezeichnungen imperator Antoninus (A.) Pius (2)58 und Antoninus Augustus Pius noster (I )5 9. Leicht aus dem Kontext zu erschließen sind idem oder idem princeps (3)66 und divus pater meus (2)61 . Bei imperator Antoninus (2)62, divus Antoninus (0)63, bei dem farblosen vrincevs (2)64 oder imverator noster (1)65 sowie in den Fällen bloßer Nennung der Konstitution (9)66 ist dagegen der Kaiser, wenn keine Doppelüberlieferung zur Verfügung steht, nur anhand der vermutlichen Abfassungszeit einer Juristenschrift und durch den spezifischen Zitierstil des Juristen zu identifizieren. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Bezeichnung Antoninus, da die Juristen neben Pius auch Mark Aurel und Caracalla unter diesem Namen führen 67 . In den meisten Fäl53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

Zweifach: Nr. 4, 7, 9, 11,19,23,24,25,36,53,54,60,67,72,74,77,87,98,100, 108, 112, 116. Dreifach: Nr. 15, 26,55,70,90. Vierfach: Nr. 34. Fünffach: Nr. 10. Siebenfach: Nr. 18. Wenn ein Beleg zwei Konstitutionen enthält: so Nr. 30, 31 (D 48.20.7.4); Nr. 37,38 (SHA, vita Pii 8.5); Nr. 64,65 (D 34.1.3); Nr. 70c, 71 (D 36.1.12); Nr. 98a, 99 (D 40.5.24.21). Nr. 11b, 17,56,83. Nr. 4a, 25a, 25b. Nr. 14,48 (Julian), 71, 74b, 84. Nr. 67a, 67b. Nr. 107. Nr. 16,31,104. Nr. 23b, 82. Nr.9a, IOd, 18a, 19a, 19b, 23a, 24b, 34a,42,57,63,97. NI. 18b,35,36b,40,41,69, 77b,78,95, 114. Nr. 53b, 55c. Nr.27. Nr. 15c, 22, 37, 38, 55b, 64, 70c,98b,112b. Vgl. dazu Gualandi II 6 Fn. 19.

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Einleitung

len hilft der sog. Legalstil weiter: Der zur Zeit der Abfassung einer Schrift gerade regierende Kaiser wird mit imperator, ein verstorbener und konsekrierter Kaiser mit divus bezeichnet 68 . Freilich wird dieser Zitierstil nicht immer eingehalten 69 . Da zudem die Abfassungszeit vieler Schriften nur ungefähr feststeht, ist die Gefahr der Verwechslung der Kaiser nicht auszuschließen. Viele moderne Autoren haben ihr nicht ausweichen können; das übel ist jedoch schon in der Antike angelegt. Die ersten Verwechslungen gehen auf die spätklassischen Juristen zurück 70 . Tribonian verwechselt Pius mit Caracalla, wo er das Caracalla vorbehaltene Attribut Magnus unserem Kaiser beilegt 7 I. Wir hoffen, dieser Gefahr entgangen zu sein, obgleich einige Stellen nicht mit völliger Sicherheit zugeordnet werden konnten. In unseren Konstitutionenkatalog haben wir allerdings nur die Zitate aufgenommen, bei denen wenigstens eine hohe Wahrscheinlichkeit für Pius streitet. Die Abgrenzungsdiskussion ist im übrigen bei der Besprechung der jeweiligen Konstitution geführt. Aus Gualandis ,Reservenkatalog' der ,imperatori incerti' dürfte bei genauer Analyse gewiß noch die eine oder andere Konstitution ihren Urheber finden 72. Ein allgemeines und das wohl auch schwierigste Problem für die Analyse der hochklassischen Konstitutionen ist ihre mangelhafte Übe r I i e fe run g. Die wenigen Pius-Konstitutionen im justinianischen Codex stammen wahrscheinlich aus dem Codex Gregorianus oder vorgregorianischen Reskriptensammlungen 7 3. Als früheste Belege dieser Art sind sie allesamt stark verkürzt; die Formalien sind in der Mehrzahl entfallen 74 , eine Konstitution ist in zwei Teile zerlegt 75 . Hier kann man nur hoffen, daß die wesentlichen Rechtsanordnungen erhalten sind. Die meisten Konstitutionen sind durch die Schriften der römischen Juristen auf uns gekommen. Hier bietet sich ein etwas günstigeGrundlegend Mommsen, Oie Kaiserbezeichnung bei den römischen Juristen, ZRG 9 (1870) 97-116 = Jur. Schriften 2 (1905) 155 ff. S. auch d'Ors,Oivus-lmperator, AHOE 14 (1942/43)33 ff.; Gualandi 116 Fn. 18 mwN (ältere Lit.). 69 Zu den wichtigsten Ausnahmen s. Mommsen (oben Fn. 68). 70 De Dominicis (oben Fn. 41) 208. Zur Verwechslung des Pius mit Hadrian: Marcian 14'i11st 048.6.5.1 unä Ca1l5 cognitO 5.1.37;coll.l1.6.1 und coll.l1.7.1 f. 71 C 6.28.4.1 (Nr. 9b, s. unten § 4 Fn. 10). Umgekehrt wird in Nov. 78.5 die constitu· tio Antoniana fä!schlich Pius zugewiesen. 72 Erbrechtlich relevant sind: 0 12.6.5 (Hadrian: § 5 Fn. 97,103); 029.2.12 (Mark Aure!?); 0 30.49 (Mark Aure!: arg. 0 35.1.48); 0 31.70pr. (Mark Aure!? Pius?); o 34.9.6 (Mark Aure!: § 9 Fn. 187); 0 35.1.72.1 (Mark Aure!?); 0 40.4.47pr (Hadrian?); 0 40.5.21 (Pius? Mark Aure!?); 0 40.5.31.4 (Pius? Mark Aure!? Caracalla?); 040.7.34.1 (Mark Aure!? Pius?); 0 49.14.2.7 (divi fratres: § 8 Fn. 115 ff.). -Bei der in C 6.49.4 (a.293) erwähnten Konstitution (cum diva Antonino parenti nostro placuerit) spricht einiges für Pius (vgl. nämlich Nr. 4a), doch ist Caracalla nicht mit Sicherheit auszuschließen. 73 S. nur Hans Julius Wolff, Vorgregorianische Reskriptensammlüngen ~z 69 (1952) 128ff. ' 74 Oen Kürzungsvorgang und die Grundzüge der Textgeschichte schildert anschaulich Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1974) 18 ff.; zu den Formalien Volterra (oben Fn. 35)925 ff. 75 Nr. 25a, 25b. 68

§ 1. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

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res Bild 76 , obgleich die Juristen bekanntlich die Darstellung des Kaiserrechts nur allzu oft ihrer eigenen Problemdarstellung untergeordnet haben, indem sie die Konstitutionen ihres Beiwerks entkleideten: der konkreten historischen Bedingungen, des Tatbestands, der Begründung und der Regelung von Nebenpunkten, und auf den erst von ihnen, womöglich in subjektiver Interpretation, ge faßten Kern, die ratio decidendi, zurückführten, die sie dann für die Lösung ihres eigenen Falles fruchtbar machten, zum Teil auch auf andere Tatbestände entsprechend anwendeten 7 7. Alles in allem haben wir es überwiegend mit Zusammenfassungen78 der Juristen zu tun, mit von ihnen selbständig, mit eigenen Worten formulierten, aus den Konstitutionen herausgefilterten Direktiven 79, mitunter auch mit mehr oder weniger texttreuen Wiedergaben des normativen Gehalts einer Konstitution. Volte"a 80 hat die Verarbeitung der Reskripte durch die Juristen einleuchtend mit ,massimare' beschrieben. Nur wenige Auszüge (11) sind wohl im Originalwortlaut erhalten 81 . Sie erlauben, vielleicht abgesehen von wenigen typischen Ausdrücken 82 , kaum Rückschlüsse auf die Eigenarten oder gar die personelle Besetzung der kaiserlichen Kanzlei, geschweige denn auf die individuelle Persönlichkeit des Kaisers. Fergus Millars 83 These einer ,universal imperial authorship' in dem Sinne, daß sich der Kaiser persönlich um alle Geschäfte der Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung kümmerte, also auch persönlich Konstitutionen abfaßte, fanden wir nicht bestätigt. Zwar verdienen die literarischen Belege 84 über den persönlichen Einsatz des Kaisers und seine erhebliche Arbeitsbelastung durchaus Vertrauen, doch hätte eine durchgängig persönliche Bearbeitung aller eingehenden Briefe und Gesuche sicher die Kapazität einer einzigen, noch so arbeitsamen Person bei weitem überstiegen. Wynne Williams 85 schränkt Millars These auf die epistulae ein; auf dem Sektor des Privatrechts dagegen, bei den subscriptiones , habe die Kanzlei eine eigenständige Rolle eingenommen. Aber auch in dieser eingeschränkten Formulierung hält die These der Nachprüfung nicht stand. Williams' Belege, in der Hauptsache Briefe an Städte und Concilia86 denen er Charakterzüge des Kaisers, angefangen von hartem Sar76 77 78 79 80 81 82

83

84 85 86

So auch De Dominicis (oben Fn. 41) 205 ff., der zurecht die Texttreue Ulpians in ,de officio proconsulis' am höchsten einschätzt. Grundlegend Volterra (oben Fn. 35) 965 f., 1094 ff. (Zusammenfassung); zum Meinungsstand: 825-829. Typisch sind die Floskeln: (et) ita divus Pius rescripsit (Nr. 4b, 13, 26b, 30, 36a, 40, 43, 55a, ll2a): idque (enim) divus Pius rescripsit (Nr. 12, 26c, 46, 51, 84) u.a. Vgl. z.B. Nr. 1,8, 26a, 29, 34b, 34c, 34d, 66, 72a, 72b, 77a, 79. Volterra (oben Fn. 35) 854. Nr. 24a, 34a, 54a, 58, 65, 67a, 73, 89, 91, 93, 105. Gualandi I hat sie in Sperrdruck kenntlich gemacht; s. auch die Zusammenstellung von Volterra (oben Fn. 35) 939 f. Sehr beliebt ist z.B. der Ausdruck eo pertinet, ut: s. unten § 8 Fn. 108. Miliar, Emperors at Work, JRS 57 (1967) 9-19. S. oben Fn. 19. Williams, Individuality in the Imperial Constitutions: Hadrian and the Antonines, JRS 66 (1976) 67-83 (69). Williams (oben Fn. 85) 74-78.

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Einleitung

kasmus über mildere Ironie bis hin zu humorvoller Kommentierung menschlicher Schwächen entnimmt, erscheinen durchweg überinterpretiert. Bei den Episteln, die öffentlich-rechtliche Angelegenheiten betreffen, mag die persönliche Beteiligung des Kaisers noch am stärksten gewesen sein. Nur schwer vorstellbar ist jedoch, daß Pius alle Briefe von Beamten und Magistraten aus dem ganzen Reich, die rechtliche Konsultationen enthielten, selbst gelesen und persönlich beantwortet oder diktiert haben könnte. Bei dem geschilderten Zustand der Quellen wird es bei jeder Exegese zunächst darauf ankommen, Juristenzutat und Kaiserwerk voneinander zu trennen, und wo dies nicht möglich ist, jedenfalls die Maxime der kaiserlichen Entscheidung als Grundlage der Interpretation zu isolieren. Nach Klärung des sachlichen Gehalts und der Tragweite einer Entscheidung wird versucht, durch vergleichende Heranziehung anderer Quellen und durch Ausschöpfung des zur Verfligung stehenden Fundus erbrechtlichen Wissens den historischen Standort einer Konstitution in der Entwicklungsgeschichte des betreffenden Instituts zu ermitteln. Hierbei ist die Wirkung einer Entscheidung auszuloten, nämlich zu klären, ob sie eine größere Reform bedeutete oder eine kleinere Rechtskorrektur darstellte oder nur eine bloße Bestätigung hergebrachten Rechts oder die Lösung eines alltäglichen Interpretationsproblems war. Hier und dort konnte auch eine Rechtsentwicklung innerhalb der Regierungszeit des Kaisers aufgezeigt werden. Gute Chancen für die D a t i e run g einer Konstitution bestehen freilich nur in den seltenen Fällen, in denen der Name des Adressaten einer Epistel, womöglich auch seine dienstliche Stellung, nicht den üblichen Kürzungen zum Opfer gefallen sind, und wo darüber hinaus die prosopographische Forschung 87 dieser Daten sich angenommen hat 88 . Außerdem gibt es sprachliche Anknüpfungspunkte, die in Verbindung mit der zeitlichen Einordnung der die Konstitution überliefernden Juristenschrift gelegentlich eine annähernde Datierung zulassen89 In der Zusammenschau der erörterten Konstitutionen werden sich tragfähige repräsentative Konturen einer bewußten und zielgerichteten Erb r e c h t s 87

Sehr hilfreich war das soeben erschienene, jetzt sicher als Standardwerk unserer Epoche zu betrachtende Buch von G_ Aljöldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen (1977); eine eng!. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse: id., Consuls and Consulars under the Antonines: Prosopography and History, Ancient Society 7 (1976) 263-299. 88 Um Episteln handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit bei Nr. 7, 10, 18,34,46, 47,52,54,64, 73, 74, 76, 83, 84, 85,96,102,117. Der Anteil der Episteln an dem juristischen Gesamtwerk des Kaisers dürfte in Wirklichkeit aber beträchtlich höher liegen. - Ausdrücklich datiert ist lediglich: Nr. 4a (a.146). Adressat und Amtswürde sind genannt: Nr. lOb. Nur die Amtswürde: Nr. 7b (consules), 18a, 47 (pontifices), 64 (consules sind zu erschließen). Nur der Adressat ist genannt, der mit einiger Sicherheit Beamter ist: Nr. 28, 34a, 46,52, 54a, 73, 74a, 85, 96,102,117. 89 Vg!. Nr. 9a (nuper), 42 (proxime), 55c (nuper), 63 (nuper).

§ 1. Gegenstand, Gang und methodisch-theoretische Grundlegung

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pol. i t i k des Kaisers abzeichnen. Bei den Refonnkonstitutionen ist stets die Art und Weise der Durchsetzung und technischen Realisierung im Auge zu behalten. Wird vornehmlich das Zivilrecht oder das prätorische Recht modifiziert oder korrigiert? Gelingt es dem Kaiserrecht, Wertungswidersprüche zwischen beiden Rechtsschichten aufzuheben und eine integrierende Wirkung zu entfalten? Welche Aufgaben übernimmt der Kaiser oder die Kanzlei, welche Aufgaben bleiben den Jurisdiktionsmagistraten, welche der Jurisprudenz überlassen? Hier wird es am ehesten möglich sein, Aufschluß über das praktizierte Verhältnis von Kaiser und Magistraten bei der Erflillung legislativer und iudikativer Aufgaben zu gewinnen. Wo immer es Anhaltspunkte für Einflüsse der Jurisprudenz im allgemeinen und einzelner Juristen im besonderen auf die kaiserliche Rechtssetzung gibt, sind auch diese darzustellen und auszuwerten. Schließlich und nicht zuletzt soll die nun in Angriff zu nehmende Untersuchung einen Beitrag zum Stand des römischen Erbrechts in der Blüte der hohen Klassik leisten.

HAUPTTEIL § 2. TESTAMENTSERRICHTUNG UND ERBEINSETZUNG

l.Testamenti factio activa Nach einer bekannten Regel des römischen Erbrechts konnte grundsätzlich nur derjenige wirksam ein Testament errichten, der den Status eines civis romanus pubes sui iuris hatte, sich mithin im Besitz von libertas, civitas und fami/ia befand 1. Weniger geläufig ist, was Ulpian augenfällig als Maxime 2 eines PiusReskripts mitteilt: Ulp 12 ed D 28.1.l5

I.

De statu suo dubitantes vel errantes testament um facere non possunt, ut divus Pius rescripsit 3 . Die testamenti factio hat nicht, wer über seine Rechtsstellung im unklaren ist oder sich in einem Irrtum befindet, wer also zwar objektiv dem geforderten Status genügt, subjektiv sich dessen jedoch nicht gewiß ist 4 . Der Kontext des Fragments in Ulpians Ediktskommentar und der ursprüngliche Bezug des Reskripts sind nicht zu erschließenS . Die Maxime hingegen ist 1

2 3 4 5

S. nur Kaser I § 161 11. Die Abstufung in status Iibertatis, civitatis, familiae ist zwar nur bei der capitis deminutio belegt (vg!. etwa Paul 2 Sab D 4.5.11); es bestehen aber keine Bedenken, diese Unterscheidung des Status eines römischen Bürgers auch im Zusammenhang mit der Testierfähigkeit zu verwenden: Kaser I § 64 I 1. Bonfante VI 371 Fn. 2: "massima generale". Pal 415 II. Die Stelle ist unbedenklich; zwar ist errare de im Bereich des VIR nur hier belegt (VIR 2.525.47); die Verbindung kommt aber literarisch vor (z.B. Terentius, Heaut. 263). Vielleicht liegt eine Präpositionsangleichung an dubitare de vor. Voci, Lerrore nel diritto romano (1937) 31; I 398 fordert certa voluntas, Biondi Succ. 512 unter Hinweis auf UE 22.4 certum consilium. Pa!. Ulp 415 stellt ohne ersichtlichen Zusammenhang die drei Kurzfragmente D 50. 16.20, 28.1.15 und 4.5.2.3 zusammen. Die Einordnung in die Ediktsrubrik ,[Je capite minutis', die sich nur auf die adrogatio und die coemptioder Frau sui iuris bezog (Lenel EP § 42), ließe immerhin auf einen Fall der sog. capitis deminutio minima, also des Verlustes des status familiae, schließen. Das in der Kompilation unmittelbar vorangehende Fragment Paul 2 reg D 28.1.14 behandelt dagegen die Ungewißheit über den status libertatis.

I. Testamenti factio activa

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in den Quellen gut belegt 6. Laeour-Gayet schreibt sie Pius zu und vermutet, daß sie die einzige erb rechtliche Entscheidung des Kaisers sei, die restriktiven Charakter aufweise 7 . Diese Zuschrift ist leicht zu widerlegen. Bereits Aristo, der unter Trajan wirkte 8 , hat den sachlichen Gehalt der Maxime gekannt und auf das Kodizill übertragen: Marcell9 dig D 29.7.9 Aristo negavit valere codicillos ab eo factos, qui pater familias nec ne esset, ignorasset. ULPIANUS notat: nisi veteranus fuit: tunc enim et testamenturn valebit 9. Trotz des Wechsels im Verb ist Aristos Aussage im Ansatz mit der Maxime des Pius-Reskripts identisch. Zwar weist die Glosse ad I. 15 auf semantische Abstufungen hin: " ... dubitans applieat animum ad plura, et neseit quid eligat. Ignorans est qui nihil seit: sed seire debet . .. E"at quando eredit unum, et est aliud ... "; doch in den Quellen werden ignorare und e"are zumeist synonym gebraucht lO . Dubitare in der Bedeutung ,über etwas ungewiß sein' und ignorare ,in Unwissenheit sein' liegen nahe beieinanderli. Jedenfalls kommt dubitare im Hinblick auf den juristischen Kern der Aussage ein eigener Stellenwert nicht zu. Es macht nämlich, um ein häufig vorkommendes Beispiel anzuführen, keinen Unterschied, ob der vermeintliche filiusfamilias, der durch den Tod des in Kriegsgefangenschaft geratenen Vaters in Wahrheit bereits paterfamilias ist, von seinem neuen Status nichts weiß, weil er entweder das mögliche Ableben des Vaters nicht in Erwägung zieht oder von vornherein verwirft (Ven 4 interdict D 43.29.4pr.: ignorare statum; Ulp 55 ed D 40.12.12.1: ignarus de statu; African 8 quaest D 12.1.41pr.: ignarus status sui; Ausgangsstelle: e"are de statu) oder er zwar hierüber nachdenkt, aber zu keiner definitiven Entscheidung gelangt (Ulp 10 Sab D 28.3.6.8; 12 Sab D 38.17.1.1 und die Ausgangsstelle: dubitare de statu). Entscheidend ist allein die Nichtkenntnis des neuen Status, wodurch ein festes Bewußtsein der eigenen Testierfähigkeit ausgeschlossen ist. 6

7 8 9 10 11

Paul 2 reg D 28.1.14: ..... qui incertus de statu suo est, certam legem testamento dicere non pofest". - Vip 10 Sab D 28.3.6.8: " ... nec videbuntur quasi de statu suo dubitantes non habere testamenti factionem ... ". - Vip 1 fideic D 32.1pr.: ..... quia nec testari potest, qui, an liceat sibi testari, dubitat". - VE 20.11: "Qui de statu suo incertus est factus, ... testamentum facere non potest". - Vgl. auch Vip 45 ed D 29.1.11.1; Marce1l9 dig D 29.7.9; Vip 39 ed D 37.11.1.8. - Das Wort status wird von allen Juristen umfassend als status hominis, als Rechtsstellung eines Menschen, verstanden; die Qualifikation des status im jeweils konkreten Fall ist nicht von Bedeutung, s. Levy, SZ 78 (1961) 170; VIR 5.675 f. 6 ff. s.v. status. Lacour-Gayet 418, offensichtlich im Anschluß an eine Bemerkung von Rives 39, dessen erklärende Entschuldigung ("il s'agit surtout ici d'individus d'origine servile") jedoch fehlgeht; wie Lacour-Gayet auch Hüttl I 105. Kunkel, Herkunft 141 ff. (Nr. 25) und 318 ff. mwN. Die Note wird, kaum zurecht, wegen nisi - tune enim für itp. erachtet, s. Ind.; Scarlata-Fazio, La successione codicillare (1939) 102. Vgl. die Zusammenstellung der Quellen und die Nachweise bei Vassalli, Studi giuridici III 1 (1960, aber 1914) 427 Fn. 2. Vgl. Georges, Handwörterbuch, s.v. dubito bzw. ignoro.

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

Treffend ist daher der Ausdruck incertus de statu, weil er sowohl die Ungewißheit als Folge der Nichtkenntnis der die Statusänderung begründenden Tatsachen (ignorare: UE 20.11; Paul 2 reg D 28.1.14) wie auch die Ungewißheit als Folge des Zweifels über die eigene Rechtsstellung (dubitare: Ulp 10 Sab D 28. 3.6.8 - ,de se incerti,) umfaßt 12. Angesichts dessen wäre die mögliche Erklärung, Aristo habe über statum ignorare=e"are, Pius über de statu dubitare entschieden, kaum aufrechtzuerhalten. Aristo kam es ersichtlich allein auf die Übertragung der ihm vom Testament geläufigen Lösung auf das Kodizill an. Auch Ulpian muß dies so verstanden haben, wie das Argument a fortiore in seiner Note vermuten läßt: " ... tunc enim et testamentum va/ebit. " Das Pius-Reskript bewegt sich also nicht auf rechtlichem Neuland, sondern wiederholt, vielleicht in neuer Formulierung längst Anerkanntes l3 . Der Ursprung der Maxime scheint im altzivilen Manzipationstestament zu liegen. Bezeichnenderweise findet sich in einem Regelwerk, und zwar in Paulus' regulae, eine Variante unserer Maxime, die ihre Herkunft verrät: Pau12 reg D 28.1.14 ... nam qui incertus de statu suo est, certarn legern testamento dicere non potest. Legem testamento dicere meint die nuncupatio, jene die [amiliae mancipatio ergänzende mündliche Erklärung (mancipio dictae) des Erblassers, die ursprünglich die einzelnen letztwilligen Verfügungen bezeichnete, später, als diese schriftlich niedergelegt wurden, sich auf das bloße Hersagen einer Formel 14 vor Zeugen beschränkte l5 . Wer nicht fest an seine objektiv vorhandene testamenti [actja glaubt, kann den feierlichen Formalakt der Testamentserrichtung nicht wirksam vornehmen. Für die Wirksamkeit des Manzipationstestaments ist das Bewußtsein des Erblassers, einen gültigen Formalakt zu vollziehen, unerläßlich l6 . 12 Die Bedenken Vocis, L'errore nel diritto romano (1937) 29, sind unbegründet. 13 Zutreffend Voci, L'errore etc. 30. 14 Gai 2.104: " ... hoec ita ut in his tabulis cerisque scrip ta sunt, ita do ita lego ita testor itaque vos, Quirites, testimonium mihi perhibetote". Die Formel ist die sog. abstrakte nuncupatio. Vgl. auch UE 20.9. 15 Kaser I § 160 11 2. Der Ausdruck legem testamento dicere begegnet noch bei Marcian 8 inst D 30.114.14; in Pap 17 quaest D 35.1.71.1 (" ... aliud est enim eligendi

matrimonii poenae metu libertatem aufe"i, aliud ad testamentum certa lege invitari".) liest Mommsen aliud ad id testamento certa lege invitari. Es steht jeweils eine konkrete Testamentsverfügung zur Dikussion. S. ausführlich Santoro, APal. 30 (1967) 301 ff. mwN. Zur lex mancipio dicta allgemein bei Libralakten s. Kaser I

16

§ 9 III 2b mwN. Ähnlich Biondi Succ. 83, der jedoch nicht im Problem der Wirkform, sondern der voluntas testantis (Fehlen eines ernsthaften Verfügungswillens) die ratio sieht (vgl. ebendort 512). Es müssen aber beide Gesichtspunkte unterschieden werden. Voci, L:errore etc. 31, bleibt auf halbem Wege stehen: für ihn liegt die ratio darin, daß die Römer für das Testament "una concretezza di volonta" verlangten, die sie für Geschäfte unter Lebenden nicht forderten.

I. Testamenti factio activa

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Nur wer sich bewußt ist, Rechtswirkungen hervorzubringen, wer dies ernstlich will, akzeptiert in der Vornahme des Formalaktes das Recht. Die Einhaltung lediglich der Formalien bedeutet Anmaßung, Mißachtung gegenüber der sich im Ritus verwirklichenden Sinngestaltung; hier versagt sich das Recht. Erst die bewußte Anerkennung des Formalaktes als Mittel der Rechtsverwirklichung schafft sicheres, unumstößliches Recht 17 So verstanden ordnet sich die Maxime in die Reihe der Erbrechtsregeln ein, die nach den Untersuchungen Schmidlins im altzivilen Formalismus des testamentum per aes et libram ihre Grundlage finden l8 . Entsprechend verläuft ihr weiteres Schicksal. Mit dem allmählichen Absterben der Förmlichkeiten 19 löst sich der Zusammenhang von Regel und Formalakt; die Regel verselbständigt sich, wird in ihrer normativen Geltung allgemein anerkannt und von den Juristen an passender Stelle mit mehr oder minder flexiblem dictum zitiert 20 . Sie wird nicht mehr begründet, weil man vielleicht den Grund aus den Augen verloren hat; nun dient sie selbst zur Begründung 21 und wird bedenkenlos auf Kodizill und Fideikommiß übertragen 22 . Vor diesem Hintergrund läßt sich auch jene ungereimt anmutende Tatsache erklären, daß eine alte Rechtsregel zum Gegenstand eines kaiserlichen Reskripts wird. Es ist nämlich gut denkbar, daß ein juristisch beratener Supplikant oder ein Magistrat den historischen Bezug der für die Entscheidung seines Falles erheblichen Regel neu entdeckte und vom Kaiser die Frage geklärt haben wollte, ob die Regel noch zeitgemäß sei. Pius bestätigte die Geltung der Regel. WeIche Gründe hierfür entscheidend gewesen sein mögen, wissen wir nicht. Doch möchte man eher als an einen Versuch der Wiederbelebung des alten Formalismus an eine bewußte Bewahrung hergebrachten Rechts denken. Hierauf reduzierte sich dann Lacour-Gayets Charakterisierung der Entscheidung als restriktiv2 3. Ulpian schließlich, in der für einen Spätklassiker und vor allem gerade für ihn selbst typischen Art, eine eigene Ansicht durch Hervorhebung der kaiserli17

Ein Zusammenhang mit XII T. 6.1 (cum nexum faeiet maneipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto) ist wahrscheinlich, wenn man diesen Satz Plit Dietrich V. Simon, SZ 82 (1965) 147 ff., 150, als Ausdruck der unmittelbaren Vollstreckbarkeit der mit den Libralakten verbundenen Nunkupationen versteht. Vg!. auch Kaser I

18

Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 61 ff. Er geht allerdings auf unsere Maxime nicht ei.n. Es ist bemerkenswert, daß diese Maxime, wie die von Schmidlin

§ 9 III 2b mit Fn. 43. AndersSantoro, APa!. 30 (1967) 303 Fn. 7.

angeführten Regeln, auf das nicht der feierlichen Errichtung bedürftige Soldatentestament keine Anwendung findet: Vip 45 ed D 29.1.11.1. Voeis,L'errore etc. 31, Begründ ung mit dem favor testamenti militis bleibt an der Oberfläche. 19 Sowohl die manc'patio familiae als auch die nuncupatio sind betroffen: ausflihrIich Amelotti, Il testamento romano attraverso la prassi documentale I (1966) 165 ff. 20 Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 46 und 81 f. 21 Paul 2 reg D 28.1.14; daß sie gerade in Pauls regulae in dieser Funktion auftaucht, überrascht nicht. 22 Kodizill: Marce1l9 dig D 29.7.9; Fideikommiß: Vip I fideic D 32.1pr. 23 Vg!. oben Fn. 7.

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

chen Autorität in das rechte Licht zu rücken, erweckt, vielleicht unbewußt, indem er seine uns unbekannte Vorlage jeglichen Beiwerks entkleidet, den Eindruck, als sei der Ursprung der Regel im Reskript des Kaisers zu suchen.

lI. Heredis

institutio

Die Erbeinsetzung zu Beginn des Testaments mußte feierlich in verbis directis latinis imperativis erfolgen. Typisch war die Formel: ,Ludus heres esto ,24 Elliptische Einsetzungsformeln behandeln 2./3.

Ulp I Sab D 28.5.1.5 und 6 (§ 5) Si autem sie scribat: ,Lucius heres', licet non adiecerit ,esto', credimus plus nuncupatum, minus scriptum: et si ita: ,Lucius e~to', tantundem dicimus: ergo et si ita: ,Lucius' solummodo. Marcellus non insuptiliter non putat hodie hoc procedere. divus autem Pius, cum quidam portiones inter heredes distribuisset ita: ,ille ex parte tota, ille ex tota' nec adiecisset ,heres esto', recripsit valere institutionem: quod et Iulianus scripsit. (§ 6) Item divus Pius rescripsit ,illa uxor mea esto' institutionem valere, licet deesset ,heres' 25

Unerläßliche Voraussetzung der Gültigkeit eines Testaments ist die Benennung des Erben: alle dann noch möglichen Ellipsen der Einsetzungsformelläßt Ulpian mit der bei der ersten Ellipse ,Ludus heres' gegebenen Begründung credimus plus nuncupatum minus scriptum zu. Der Gehalt dieser Begründung ist nur vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte des Manzipationstestaments26 zu ermitteln. Diese muß bis in die mittlere Republik zurückreichen, als es üblich wurde, die in der nuncupatio mündlich getroffenen Verfügungen als Gedächtnisstütze auch schriftlich niederzulegen. Nun erst konnten nämlich Diskrepanzen zwischen mündlicher Einsetzung und schriftlicher Niederlegung entstehen. Sie waren ohne Bedeutung, sofern die ordnungsgemäße mündliche Erbeinsetzung feststand. Konnten sich die Zeugen allerdings nicht mehr erinnern und war die schriftliche Einsetzung lük24 25

26

S. nur Kaser I § 162 II l. Pal. 2431. Lit.: David, Studien zur heredis institutio ex re certa im klass. röm. und just. Recht (1930) 7 f. Fn. 7; Maschi, La solenita della ,heredis 'institutio' nel diritto romano, Aeg. 17 (1937) 204 ff. (hierzu Rez. Koschaker, SZ 58,1938,330 ff.); Sanfilippo, Studi sull'hereditas I. APal. 17 (1937) 146 ff.; Dulckeit, Plus nuncupaturn minus scripturn, SZ 70 (1953) 196 ff.; Gualandi II 112; Voci II 125 f.; Gandolfi, Studi sull'interpretazi~ne degli atti negoziali in dirittoromano (1966) 164 ff. ;Maschi, Ancora su!Ia. solenmta delle ,heredis institutio' nel dir. rom., Scr. Giiltln! ( (l 'J67) tiM ff.· '1I11'(l"Ig Testampntsauslegung im rörn. Recht (1972) 126 f. vorzüglIch hierzu Dulckeit 181 ff.

n.

Heredis institutio

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kenhaft, stellte sich die Frage, ob man von der Lückenhaftigkeit der Urkunde auf die Fehlerhaftigkeit der mündlichen Einsetzung zurückschließen und damit der Urkunde testamentsvernichtende Wirkung beimessen sollte. Man ging den umgekehrten Weg. Man hielt an dem absoluten Vorrang der gesprochenen Worte fest, indem man ein Auslassungsversehen bei der Niederschrift annahm und die Vollständigkeit der vorangegangenen mündlichen Erbeinsetzung vermutete: es entstand die testamentserhaltende Präsumtion plus nuncupatum minus scriptum. Spätestens gegen Ende der Republik setzte sich das schriftliche Erbeinsetzungstestament mit abstrakter nuncupatio durch, so wie es Gaius 2.104 beschreibt 27 . Charakteristisch war der Verzicht auf eine mündliche Erbenbenennung. Gleichwohl hielt man an dem plus nuncupatum-Satz fest, denn noch immer war die, wenn auch nun verkümmerte, nuncupatio Geltungsgrund der schriftlichen Verfügungen. Aus der Präsumtion freilich ist eine unwiderlefliche Vermutung geworden. Genau an diesem Punkt setzt die Ulpianstelle ein 8. Die frühe Herausbildung der Fiktion macht es wahrscheinlich, daß Ulpian sie bereits bei Sabinus, den er kommentiert, vorgefunden hat. Die Passage si autem - solummodo wird daher in der Sache sabinianisch sein 29 . Lenel nimmt geradezu ein Sabinus-Lemma an jU , doch dies verbieten sprachliche Gründe Jl . 27 28

29 30

31

Ve:l. oben Fn. 14. Der Versuch, im Anschluß an die von Dulckeit vortrefflich aufgezeigte Entwicklungsgeschichte des Manzipationstestaments zum erstenmal eine zusammenhängende Entwicklungsgeschichte des Satzes plus nuncupatum minus scriptum nachzuzeichnen, mußte sich notwendig auf einige Grundzüge beschränken. In der Literatur finden sich bisher nur Teilaspekte. Maschi, Scr. Giuffre I 665, begründet den Fiktionscharakter der Maxime mit dem hübschen Hinweis auf credimus; kritisch jedoch Dulckeit 208 Fn. 84. San[ilippo 152 räumt den Fiktionscharakter zwar für die spätklassische Jurisprudenz ein, spricht sich aber in unserer Stelle f1ir eine bloße Präsumtion aus, setzt also eine vorherige mündliche Erklärung des ganzen Testaments voraus, 148 ff.; so auch David 7 Fn. 7. Siber, Röm. Privatrecht (1928) 347 Fn. 1, verdächtigt sogar die §§ 5-7, weil die Begründung nur f1ir das rein mündliche Testament passe. Es kann jedoch unmöglich dieser für die Klassik recht seltene Fall zur Diskussion gestanden haben. Für ein schriftliches Manzipationstestament spricht auch scribat im Gegensatz zu dicat in § 3; § 1 zeigt, daß im folgenden beide Testamentsformen behandelt werden: so Dulckeit 199 Fn. 57; vg!. noch So/azzi, SD 18 (1952) 215 und Wieling 127. Auch der voranstehende § 4 ist sachlich sabinianisch, wie sich aus Ulp 5 Sab 28.5.9. 13 ergibt. So ohne Begründung Lenel, Das Sabinussystem (1892) 22 und Pa!. Ulp 2431; ebenso Schulz, Sabinus-Fragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906) 14; Voci 11 124 f.; vorsichtiger Torrent, TR 43 (1975) 76. Jörs, RE 5,1 (1903) 1442 s.v. Domitius Nr. 88, enthält sich einer Zuordnung bei § 5. Der Gebrauch der 1. Person Plural durch Sabinus wäre, vor einer allerdings schmalen Überlieferungsbasis (s. Pa!. Sab), zumindest außergewöhnlich. Credimus, dicimus ist guter klassischer, vor allem spätklass. Stil und keineswegs justinianisch (so aber Be· seler 2, 100), vg!. VIR 1.1061.3 ff. s.v. credo und 2.214.32 ff. s.V. dico.; Tantundem dicere ist 6mal bei Ulpian und 2mal bei Marcian belegt, VIR 2.212.10 ff. s.V.

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

Ganz anders Dulckeit 3l.: Die Begründung credimus plus nuncupatum minus scriptum stamme von Celsus (Ulp 5 Sab D 28.5.9.2), betreffe ursprünglich einen anderen Fall und sei erst von einem nachklassischen Bearbeiter nach dem Vorbild von C 6.23.7 (a. 290) in unsere Stelle eingebaut worden, um Formmängel der schriftlichen Erbeinsetzung, die nach klassischer Auffassung das Testament nichtig machten, zu heilen. In Wirklichkeit verläuft die historische Entwicklung gerade umgekehrt: Celsus wendet die Fiktion in kühner Analogie auf die Erbquote an, wenn der Erblasser z.B. ex semisse diktiert, der Schreiber aber nur ex quadrante geschrieben hat: "posse defendi ait ex semisse heredem fore, qua s i plus nuncupatum sit, minus scriptum". Es wird ganz deutlich, daß Celsus die Fiktion bereits vorgefunden und von ihrem ursprünglichen Anwendungsfeld (Heilung von Formmängeln) auf eine neue Ebene zur inhaltlich quantitativen Korrektur der Niederschrift übertragen hat. Nicht erst das Wort Quasi begründet den Fiktionscharakter , wie Dulckeit im Grunde glaubt 3 3, plus nuncupatum minus scriptum ist selbst schon Fiktion. In der Zeit zwischen Sabinus und Ulpian scheint Marcell die Zulässigkeit der Ellipsen in Frage gestellt zu haben, während Julian und Pius offensichtlich großzügiger dachten. Leider teilt Ulpian nicht mit, welcher Art die feinsinnigen überlegungen Marcells waren. Eine grundsätzliche Kritik der Fiktion kann man ausschließen 34 . Das ergibt mit ziemlicher Sicherheit die wahrscheinliche zeitliche Abfolge der einzelnen Stellungnahmen. Marcells Digesten, auf die sich Ulpian in seinem Sabinuskommentar regelmäßig bezieht 35 , sind erst unter den divi fratres (I61-169) entstanden, zu einer Zeit also, als dem Hofjuristen Marcellus die Pius-Reskripte längst bekannt sein mußten 36 . Ihrer Autorität konnte sich auch Marcell nicht verschließen, denn Kaiserreskripte waren der Rechtskritik der Juristen im wesentlichen

32 33 34 35 36

dico; es besteht kein Grund, die typische Ulpianfloskel mit Pringsheim, Der Kauf mit fremdem Geld (1916) 151 Fn. 3, als itp. zu verdächtigen; im Codex kommt sie nicht vor, vg!. Mayr, Vocabularium 2386 S.v. tandusdem; s. auch Ernout, Dictionnaire etymologique de la langue latine (1959 4 ) 674 s.v. talis: "L'emploi comme adjectif est archaique, mais le neutre adverbial tantundem est classique". - Solum· modo ist zuerst bei Celsus belegt und wird dann überwiegend von Ulpian gebraucht, vg!. VIR 5.611.27 ff. s.v. solummodo; Kalb, Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt (1975 2 ) 47. Dulckeit 197 ff., 200 ff., 213. Dulckeit 208. Anders Wieling 127. Fitting 113. Lenel Pa!. Marcell 139 sieht in Marcells 11. Buch der Digesten die Vorlage Ulpians. Fitting 60; Krüger 213; Lenel Pa!. I 589 Fn. 2. Marcellus saß nicht nur im Konsilium Mark Aurels (29 dig D 28.4.3), sondern gehörte vorher schon dem des Pius an (SHA, vita Pii 12.1); vgl. Crook, Consilium principis (1955) Nr. 354. Als Konsiliar hatte Marcell notwendig genaue Kenntnis des Kaiserrechts. Hier ist seine Stellungnahme jedoch literarisch; Hinweise auf einen Zusammenhang mit seiner Konsiliartätigkeit gibt es nicht.

/1. Heredis institutio

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entzogen 37 . Eine Lösung des Problems, die diese Erwägungen berücksichtigt, bietet sich an, wenn Marcells Kritik nicht auf die Fiktion als solche, sondern lediglich auf ihre Ausdehnung auf die Ellipsen ,Lucius esto' und ,Ludus' abzielt 38 . Non insuptiliter non putat hodie hoc procedere bezöge sich demnach nur auf ,Ludus esto' und auf ,Ludus'. Das ist sprachlich nicht anfechtbar 39 . Die Beschränkung der ablehnenden Meinung Marcells auf diese beiden Fälle ist auch sachlich zu begründen. Wenn Marcell der Meinung war, daß heute, im Gegensatz zu Sabins Zeiten 40 , eine Ausdehnung der Fiktion nicht mehr angängig sei, so deshalb, weil inzwischen eine das caput testamenti betreffende einschneidende Rechtsänderung eingetreten war. Nach einem Reskript Trajans nämlich kann vor die heredis institutio eine nominatim-exheredatio des Sohnes treten 41 . Diese Neuerung läßt bei der Ausgangsellipse ,Ludus heres' die Fiktion unberührt, die Ellipsen ,Ludus esto' und ,Ludus' jedoch könnten fortan statt zur Erbeinsetzung mit gleicher Berechtigung ebensogut zur Enterbung ,Ludus exheres esto' ergänzt werden. Damit war für diese Fälle die Grundlage für die Fiktion der heredis institutio erschüttert. Ein Festhalten an ihr mußte zwangsläufig zur Annahme einer weiteren Fiktionsebene führen: der Unterstellung, daß der Erblasser jedenfalls eine Erbeinsetzung wollte. Diesen Schritt rnitzuvollziehen weigerte sich Marcell, selbst um den Preis der Nichtigkeit des Testaments. Die Pius-Reskripte standen Marcells feinsinnigen 42 überlegungen nicht im Wege. Die Ellipse ,ille ex parte tota, ille ex tota A3 konnte nur als Erbein37 38 39

40 41 42

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Einzelheiten und Gründe bei Dieter Nö", Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 122 ff. Auch Voci 11 125 differenziert: nur die Ellipse ,Lucius' habe Anlaß zu Divergenzen gegeben; die beiden anderen seien seit· Sabinus unbestritten zulässig gewesen. Richtig David 7 Fn. 7, der sich für Echtheit der Passage non insuptiliter - procedere ausspricht; a.A. Beseler 2, 100; SZ 66 (1948) 348; ihm folgen Albertario, Hodie (1911) 13 = Studi VI (1953) 134;L. Mitteis, SZ 33 (1912) 204 und Dulckeit 197 Fn. 49. - Non insuptiliter bzw. non insuptili ratione begegnet als Redensart noch zweimal bei Lob oder kritischem Tadel gegenüber älteren Juristen: Ulp 4 ed D 2.14.7.6 (Pomponius) und Pap 9 quaest D 30.11 (Julian); die doppelte Verneinung non insuptiliter non ist für sich nicht anstößig; procedere in der Bedeutung ,geschehen, stattfinden' ist zwar häufig bei Justinian (s. Eiseie, Beiträge zur röm. Rechtsgeschichte (1896) 234), in der hier einschlägigen Bedeutungsvariante ,fortgelten. seinen Fortgang haben' aber gut klassisch, vgl. die Belege bei Georges, Handwörterbuch, s.v. procedo II A d und e. Auch hodie paßt hier gut und ist echt: Voci II 125 Fn. 9; a.A. Beseler 2, 100; A 1bertario, Hodie (1911) 13 = Studi VI (1953) 134;San[ilippo 146. Ulp 1 Sab D 28.5.1pr. Maschi, Aeg. 17 (1937) 207 betont zu Unrecht den negativen Aspekt von non insupti/irer = spitzfindig ("eccessiva sottigliezza "). Die kritische Kategorie der subtilitas ist zwar durch Gai 4.30 auch als klassisch erwiesen (vgl. Nö", Rechtskritik in der röm. Antike, 1974, 115), doch gehört sie als stark negative Bewertung erst der justinianischen Zeit an, vgl. Hausmaninger, Fs. Schwind (1978) 71 f. Beseler 2, 100 korrigiert tota jeweils in tanta. Die Korrektur ist aber unnötig, vgl. die Glossen ex parte tota und tota ad h.l. - Ille ist natürlich ein Blankett.

3 Müller-Eiselt

34

§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

setzung verstanden werden, da eine Teilenterbung nicht möglich war. Gleiches gilt für die Ellipse ,illll uxor mea esto' in § 6. Eine nominatim-exheredatio von Frauen an der Spitze des Testaments war nämlich nicht zulässig. Die Fiktion plus nuncupatum minus scriptum, welche die Reskripte zur Rettung des Testaments anwendeten 44 , stand in beiden Fällen auf sicherer Grundlage. Es wäre denkbar, daß schon Pius und Julian, der vielleicht das Reskript in § 5 literarisch vorbereitet hat 45 , ähnlich wie später Marcell die Frage einer möglichen Exheredation in ihren überlegungen berücksichtigt hatten. In diesem Fall hätte Ulpian die Bedeutung der Reskripte verallgemeinert und durch ihre vorbehaltslose Inanspruchnahme für die eigene ellipsenfreundliche Meinung eine Kontroverse zwischen Marcell und Pius konstruiert, die in Wirklichkeit gar nicht bestand. Ulpians pauschale Interpretation der Reskripte im Sinne einer umfassenden Geltung der Fiktion hat sich indessen in der Nachklassik offenbar durchgesetzt 46 . Eine abschließende Würdigung der Reskripte muß konstatieren, daß Kaiser Pius auch hier einen alten Rechtssatz in seiner Anwendung auf konkrete Fälle bestätigt hat. In der seit der späten Republik herrschenden Auseinandersetzung zwischen verba und voluntas ist Sabins Fiktion plus nuncupatum minus scriptum sicher ein Fortschritt zugunsten der Beachtung des Erblasserwillens, aber natürlich kein allgemeiner Durchbruch. Die sollemnis institutio wird nämlich nicht etwa aufgegeben, sondern ihre Notwendigkeit durch die Fiktion geradezu betont 47 . Julian und Pius, und das ist das eigentlich Überraschende, sind hundert Jahre nach Sabinus hier noch keinen Schritt weitergekommen 48 . 44

Man darf davon ausgehen, daß der Kaiser auf der Grundlage der Fiktion entschieden . hat, auch wenn es im Reskript nicht zum Ausdruck kommt. Die Reskripte verfälschen durch Einfügen eines non vor valere institutionem: Beseler 2, 100; A Ibertario, Studi V (1937) 264; richtig dagegen San[ilippo 146. 45 So Gualandi 11 111; Lenel Pal. Iul 430 (30. Buch der Digesten). David 8 Fn. 7 eliminiert quod et Iulümus scribit wegen Widerspruchs zu § 7 als Glosse; doch ein Widerspruch besteht in Wirklichkeit nicht. Dort weist J ulian die Ellipse ,illum heredem esse' als unzulässig zurück: folgerichtig, da die institutio sowohl mit dem zulässigen ,iubeo' als auch mit dem unzulässigen ,volo' (Gai 2.117) ergänzt werden könnte; vgl. hIerzu auch Voci 11 126. Ulpian ist auch hier großzügiger. Er ergänzt ohne Umschweife ,iubeo' und stellt damit die Imperativität kraft einer weiteren Fiktion her. 46 C 6.23.7 (a. 290): ,,Errore scribentis testamentum iuris sollemnitas mutilari nequaquam po test, quando minus scriptum, plus nuncupatum videtur". Dies wird im folgenden angenommen, wenn ,heres esto' bei der schriftlichen Einsetzung fehlt.

47

48

S. Koschakers,SZ 58 (1938) 333, wohlabgewogenes Urteil gegenüber den zu weitgehenden Folgerungen Maschis, Aeg. 17 (1937) 207 f.; vgl. jedoch sein modifiziertes Urteil, Scr. Giuffre I (1967) 662 ff. Zu eng andererseits Amelotti, I1 testamento romano attraverso Ia prassi documentale I (1966) 118 f. Den - zuweilen überbetonten - Fortschritt schreiben fälschlich Pius zu: Rives 39; Lacour-Gayet 418; Hüttl I 105; Maschi, Aeg. 17 (1937) 207. Treffend dagegen beurteilen Voci 11 125 und Gandol[i 164 f. und Fn. 409, die Bedeutung der Pius-Reskripte in der Entwicklungsgeschichte der heredis institutio. Endpunkt der Entwicklung war C 6.23.15 (a. 339): "institutione heredis verborum non esse necesSQr;am observantiom". Allein maßgebend war von da an die intentio voluntatis.

III.Heredis substitutio

1II. Her e dis

35

sub s t i tut i 0

Zwei Entscheidungen sind Auslegungsproblemen bei der Einsetzung von Ersatzerben gewidmet. Die erste zur Frage der Substitutionsquote stammt aus dem Jahre 14649 und ist doppelt überliefert: 4a.jb.

C6.26.1

Imp. Titus Aelius Antoninus A. Secundo. Cum heredes ex disparibus partibus instituti et invicem substituti sunt nec in substitutione facta est ullarum partium mentio, verum est non alias partes testatorem substitutioni tacite inseruisse, quam quae manifeste in institutione expressae sunt. D. Claro 11 et Severo conss.

12.15.2

Et si ex disparibus partibus heredes scriptos invicem substituerit et nullam mentionem in substitutione habuerit partium, eas videtur partes in substitutione dedisse, quas in institutione expressit: et ita divus Pius rescripsit.

Wenn der Erblasser mehren~ Personen50 zu ungleichen Quoten als Erben eingesetzt und ohne nähere Aufschlüsselung durch einen allgemeinen Ausdruck gegenseitig substituiert hat 51 , etwa ,Primus ex uncia, Secundus ex quadrante, Tertius ex besse heredes sunto eosque omnes invicem substituo ,5 2, stellt sich die Frage, ob im Substitutionsfalle der freiwerdende Anteil gleichmäßig oder nach dem Verhältnis der Erbeinsetzungsquoten unter die Ersatzerben verteilt werden soll. Schlüge also in unserem Beispiel Tertius aus, fielen dann von den freiwerdenden 8/12 Primus und Secundus jeweils die Hälfte (4/12) oder entsprechend ihren Erbquoten Primus ein Teil (2/12), Secundus drei Teile (6/12) zu? 49

50 51 52 3*

Sextus Erucius Clarus genoß hohes Ansehen beim Kaiser, was in seiner Berufung zum cos 11 ord. und zum praefectus urbi im Jahre 146 zum Ausdruck kam. Der Tod ereilte ihn im Amte. Fronto, ad Ant. Pium 3, bezeichnet ihn als ,senatorii ordinis primarius'. Vgl. PIR2 E 96; Crook, Consilium principis (1955) NI. 140; Champlin, JRS 64 (1974) 149; Hüftl 11 185, 191 mit I 368,370. - Cnaeus Claudius Severus Arabianus, wahrscheinlich in Arabien geboren, als sein Vater von Trajan zum Statthalter der neuen Provinz bestellt war, tat sich als Philosoph hervor und gehörte zum engsten Freundeskreis Mark Aurels, vgl. Marc. Aur., Selbstbetr. 1,14; Einzelheiten bei A. Birley, Mark Aurel, Kaiser und Philosoph (1977 2) 171; PIR2 C 1017. Mindestens drei, WIe schon Cujaz IX 1118 gegen Theophilus klarstellt, denn bel zweien tritt im Substitutionsfall der eine stets in die volle Quote des anderen ein. Gebräuchlich war die Formulierung ,eosque invicem substituo', vgl. z.B. Pap 6 resp D 28.6.23; 41.1. Man spricht von Jer sog. compendiosa oder breviloqua substitutio: Glück, Pand. 40 (1864 2 ) 309. Bsp. bei Cujaz IX 1117.

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

Kaiser Pius reskribiert dem Secundus 5 3, daß das vom Erblasser bei der institutio festgelegte Verteilungsverhältnis auch für die Substitutionsquoten maßgebend sei. Die Entscheidung ist das Ergebnis einer logisch-systematischen Testamentsauslegung: der Erblasser hat bei der institutio durch Festlegung der Quoten den Wertschätzungsquotienten jedes Erben ausdrücklich festgesetzt; die ,farblose' Substitutionsklausel regelt nur, daß andere als die eingesetzten Erben vom Nachlaß ausgeschlossen sein sollen, läßt jedoch die Wertschätzung unberührt. Diese schlägt auf die Substitutionsquoten durch. Das Reskript drückt dies anschaulich durch das Bild des tacite inserere aus.

Tacite inserere oder in esse zur Bezeichnung des durch Auslegung im Wege logischer Schlußfolgerung zu gewinnenden verdeckten Bedeutungsinhalts einer Erklärung, im Gegensatz zum ausdrücklich Erklärten 54 , ist unbedenklich klassisch und wird vor allem von Papinian gebraucht 55 . Der früheste Beleg findet sich bei Julian, der bei einer in Rom abgeschlossenen Stipulation ,Ephesi decem dari' der Ansicht ist, diem tacite huic stipulationi inesse 56. Vielleicht ist Julian der geistige Vater dieser Interpretationsfigur; auch wäre ein direkter Einfluß auf das Reskript denkbar 57 Die in Codex- (tacite inseruisse) und Institutionenüberlieferung (videturdedisse) differierende Begründung des Reskripts überrascht nicht. C 6.26.1 ist gegenüber I 2.15.2 die bessere Quelle. Das Präskript mit der abgekürzten offiziellen Kaisertitulatur58 und das Ausfertigungsjahr weisen auf eine Herkunft aus dem Codex Gregorianus oder vorgregorianischen Reskriptensammlungen hin 59 53 54 55

56 57

58 59

Es bleibt offen, ob der Adressat Secundus, wie im Beispielsfall, einer der Miterben, also Privatmann ist (so Mayr, Vocabularium 193), oder ein mit der Sache befaßter Magistrat. Rescripsit in I 2.15.2 deckt beides ab. Vgl. manifeste (t'estamento) exprimere bei Mod 9 resp D 31.33.1. Mühl, Tacere, tacitus und taciturnitas etc., Diss. Erlangen-Nürnberg (1961) 53 ff. mit Quellen und Lit.; er folgt im wesentlichen einem Gedanken Kasers, Symb. Taubenschlag I (1956) 428 ff., 436. Auch Joseph Georg Wolf, Causa stipulationis (1970) 127 f. Fn. 87, hält den Ausdruck im Gegensatz zur tribonianischen condicio tacita offensichtlich für klassisch. Vg!. auch VIR 5.936.31 ff. lul-Ulp 27 ed D 13.4.2.6 (dazu Mühl, oben Fn. 55, 67). Lenel Pa!. lu!. 164 rückt die Äußerung in das 11. Buch der Digesten. Ist es nur Zufall, daß Honores, Gaius (1962) 51 ff., Datierungsversuche zu einer Abfassung des 11. Buches der Digesten Julians (oben Fn. 56) gerade in das Jahr 146 führen? Hat Julian diese Interpretationsfigur im Konsilium durchgesetzt? Das Jahr 146 war Julians letztes Amtsjahr als praefectus aerarii Saturni, vg!. Corbier, L'aerarium Saturni etc. (1974) 220 ff. Nr. 46. Als solcher war er ständig in Rom anwesend und hatte, jedenfalls bis zu seiner Abreise nach Germanien ca. 151-152 gro· ßen Einfluß im kaiserlichen Konsilium, das bisweilen auch die Entscheidung von Reskripten vorbereitete, vg!. Bund, ANRW 11 15, 427 f. (dort auch zu SHA, vita Pii 12,1),434. Näheres zu dieser Funktion des Konsiliums beiPalazzolo, Potere imperiale 45 ff. - Zur methodischen Vielfalt in Julians Argumentationsweise s. Bund, Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 178 ff. Hüftl 152. Zur Überlieferungsgeschichte der im Codex erhaltenen Kaiserkonstitutionen aus klassischer und frühnachklassischer Zeit s. Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1972) 17 ff.

111. Heredis substitutio

37

I 2.1 5.2 dagegen stammt mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Institutionenlehrbuch Marcians 60 , der den Inhalt des Reskripts entweder bereits sprachlich umgeformt vorgefunden oder selbst in eigene Worte gefaßt hat. Während der Argumentation tacite inserere die Anknüpfung an die verba testamenti unentbehrlich ist, so daß sie diese geradezu als Stütze zu konstruieren scheint, zeugt villetur dedisse von einer abgeklärteren, typisch spätklassischen Betrachtungsweise, der die Beachtung des Erblasserwillens, längst aus den Fesseln der verba emanzipiert, selbstverständlich ist. Immerhin blieb in der InstitutionensteIle der historische Hinweis auf das Pius-Reskript, wohl als Lernhilfe für die Studenten, erhalten. Er fehlt, ebenso wie eine Begründung, bei Ulp 4 disp D 28.6.24 und bei Pap 6 resp D 28.6.41.1, ein Zeichen dafür, daß der Rechtssatz des Reskripts bereits ein fester Bestandteil des täglichen Rechtslebens war. Nicht um die Quote, sondern um die Tragweite der substitutio geht es in 5.

Mod I sing de heurematicis D 28.6.4.1 Quod ius ad tertium quoque genus substitutionis tractum esse videtur: nam si pater duos filios impuberes heredes instituat eosque invicem substituat, in utrumque casum reciprocam substitutionem factam videri divus Pius constituit 61 Ein Vater hat seine zwei unmündigen Söhne als Erben eingesetzt und gegenseitig mit der Formulierung ,eosque invicem substituo' substituiert 62 . Voci 63 geht bereits im Verständnis des Sachverhalts fehl: aus dem Text ergebe sich nicht, und es sei auch gleichgültig, welche Art von substitutio der Erblasser angeordnet habe. Voci übersieht, daß sich die präzise Formulierung der Substitutionsklausel aus dem folgenden § 2 ergibt, der den Sachverhalt des § I nur insofern abwandelt, als dort einer der Söhne bereits das Pubertätsalter erreicht hat: ,,sed si alter pubes, alter impubes hoc communi verba ,eosque invicem substituo' sibi fuerint substituti, in vulgarem tantummodo casum factam villeri substitutionem Severus et Antoninus constituit (Mo: constituerunt): .. " 60

61 62

63

1.2.15pr. und § 1 = Marcian 4 inst D 28.6.36; da § 3 wegen der Erwähnung der regierenden Kaiser Sept. Severus und Caracalla nur von Marcian stammen könne, müsse dies auch von § 2 gelten, der den § 3 sachlich vorbereite: Ferrini, Op. 11 0929, aber 1901) 369; 11 (1929, aber 1890) 304; zurückhaltender Zocco-Rosa, Imp. lustiniani Institut. paling. I (1908) 380. Pol. 75. Lit.: Voci 11 216 ff.; Giuffre, L'utilizzazione degli atti giuridici mediante ,conversione' in dir. rom. (1965) 122 f.; Wieling, Testamentsauslegung im röm. Recht (1972) 162 f. Zu dieser sog. compendiosa oder breviloqua substitutio s. oben Fn. 51.

Voci1I217.

38

§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

Kaiser Pius entscheidet, die wechselseitige 64 Substitution sei als in utrumque casum angeordnet zu betrachten. Der eine Fall ist, wie aus dem pr. und § 2 erhellt, die Vulgarsubstitution, der andere die Pupillarsubstitution 65 . Die Klausel ,eosque invicem substituo' wird also so ausgelegt, als habe der Erblasser bei jedem Sohn ausdrücklich Vulgar- und Pupillarsubstitution angeordnet. Diese Auslegung ist der Klausel jedoch nicht immanent. Sind die eingesetzten Erben erwachsene Hausgenossen oder extranei, wie etwa in dem soeben behandelten Reskript Nr. 4, kann die Klausel nur als Anordnung einer dann allein möglichen Vulgarsubstitution interpretiert werden. Die Lebensverhältnisse der jeweiligen Erben determinieren die Tragweite der Klausel. So kann im vorliegenden Fall die Vorstellung einer Pupillarsubstitution nur deshalb mit der Klausel in Verbindung gebracht werden, weil bei d e Erben Haussöhne und impuberes sind. Ist der eine pubes, der andere impubes, wirkt die Klausel nach einer Konstitution der Kaiser Septimius Severus und Caracalla, die Modestin im Anschluß an die Pius-Entscheidung in § 2 zitiert, lediglich als Anordnung einer Vulgarsubstitution66 . Die unterschiedliche Lösung findet ihren Grund in der dem Wort invicem unterstellten Absicht des Erblassers, die eingesetzten Erben in bezug auf den Eintritt des Substitutionsfalles chancengleich zu stellen67 . eine echte Gegenseitigkeit der Substitution ist nur dann gewährleistet, wenn beide Erben die gleichen persönlichen Merkmale 68 aufweisen. Gegenseitige Substitution bedeutet daher zunächst immer Vulgarsubstitution, da diese jedem Erben unterschiedslos zugänglich ist. Sie kann darüber hinaus Pupillarsubstitution bedeuten, wenn beide Erben die qualifizierten Merkmale Haussohn und impubes aufweisen. 64

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Beseler, SZ 66 (1948) 352, elimimert reciprocam, weil das Wort im Bereich des VIR nur hier vorkomme. Das beweist nichts. Bei Ernout, Dictionnaire etymolo-

gique de la langue latine (1959 4 ) s.v. reciprocus, heißt es: "Atteste de tout temps, mais assez rare". Fehlanzeige auch im Codex, vgl. aber CT 9.1.7 (a. 338) und CT 9.2.3 (a. 380). Vgl. § 2: in vulgarem ... casum _ .. ; im pr. und am Ende von § 2 wird in utrumque casum geradezu mit den üblichen Klauseln von Vulgar- und Pupillarsubstitution umschrieben: "sive heres non erit (exstiterit) sive erit (exstiterit) et intra pubertatis annos (impubes) decesserit".Zu den Arten der Substitution und zu ihrem Verhältnis zueinander s. Kaser I § 162 IV 1 und 2; Weiss, RE IV A 1(1931) 505 ff. s.v. substitutio; ältere Lit. bei GlÜck,Pand.40(1864 2 ) 269 Fn. 32. Mit größter Wahrscheinlichkeit besteht zwischen der Konstitution in § 2 (s. im Text nach Fn. 63) und dem Reskript an Phronirna in C 6.26.2 (a. 204) Identität. Die synonyme Verwendung von constituere und rescribere bei Modestin läßt Reskriptnatur auch der Pius-Entscheidung in § 1 vermuten. - Severus und Caracalla nehmen auf eine uns nicht erhaltene Konstitution von Mark Aurel Bezug: offenbar hat bereits dieser die sachliche Abgrenzung zu unserer Pius-Entscheidung gezogen. Kein Zusammenhang besteht mit der Konstitution der Divi Fratres, die Modestin im pr. zitiert. Wieling 162 f. kritisiert die Entscheidung als gegen den Willen des Erblassers gerichtet. Das ist im Einzelfall zwar möglich, kann aber nicht verallgemeinert werden. Bei der Auslegung geht es jedenfalls nicht nur um die Ästhetik juristischer Symmetrie. C 6.26.2 spricht von heredes (non) eiusdem condicionis. Das ist auch tragender Grund des Paulus-Respon~ums 12 resp D 28.6.45pr.

IIf. Heredis substitutio

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Mit dieser erweiternden, im konkreten Fall die Bivalenz der Substitution begründenden Interpretation der Klausel schöpft Kaiser Pius den Spielraum aus, den ilun die Rechtsordnung mit ihren Substitutionsformen bietet, ohne dabei die Harmonie mit den verba testamenti preiszugeben. Triebfeder freilich ist der sich in jeder Substitution dokumentierende Wille des Erblassers, seine gesetzlichen Erben zugunsten der Substitute für immer oder jedenfalls so weit wie möglich von dem Nachlaß auszuschließen. Die Interpretation der Klausel ,eosque invicem substituo' als bivalente Substitution, wenn die Umstände es erlaubten, war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Den eigentlichen Durchbruch zum Prinzip der Bivalenz der Substitution eines gewaltunterworfenen impubes wagten erst die divi fratres. Modestin stellt ihre Konstitution an die Spitze seiner Erörterung: Mod 1 sing de heurematicis D 28.6.4pr Iam hoc iure utimur ex divi (MO: divorum) Marci et Veri constitutione, ut, cum pater impuberi filio in alterum casum substituisset, in utrumque casum substituisse intellegatur, sive filius heres non exstiterit sive exstiterit et impubes decesserit. Die mögliche Doppeldeutigkeit des Ausdrucks in alterum casum entweder als Äquivalent zu in secundum casum, einer anderen Bezeichnung für die Pupillarsubstitution, oder als Äquivalent zu in alterutrum casum, nämlich zur Bezeichnung beider Substitutionsarten,ist oft hervorgehoben worden. Die zweite Auffassung verdient den Vorzug 69 . Zunächst wäre es sprachlich bedenklich, das bezugslos und unbestimmt gebrauchte alterum auf einen bestimmten Fall zu beziehen 70. Auch hätte die inhaltliche Aussage, daß in der Pupillar- eine Vulgarsubstitution enthalten sei, in der Blüte der Hochklassik sicher keiner kaiserlichen Konstitution mehr bedurft, nachdem bereits im Jahre 93 v.Chr. der Redner Licinius Crassus durch seinen Triumph über Q. Mucius Scaevola in der berühmten causa Curiana dieser Auffassung die Bahn geebnet hatte 71. Selbst wenn diese Entscheidung des Zentumviralgerichts von den Juristen mit Zurückhaltung aufgenommen oder gar bekämpft worden wäre, könnte man sich nur schwer vorstellen, daß die Kontroverse 250 Jahre später immer noch nicht ausgetragen sein sollte 72 . Versteht man aber unter in alterum casum eine belie69 70 71

72

Glück, Pand. 40 (1864 2 ) 275 Fn. 38 mwN (dort 276 Fn. 40 abweichende Ansichten); Voci II 216; Giuffre 122 f. Glück, 275 Fn. 38. Zum Ablauf und zur Bedeutung der Causa Curiana s. eie., de orat. 1.39.180; de invent. 2.42.122; Brutus 52/53.194-198. Lit. bei Kaser I § 162 Fn. 50; ergänzend: Voci II 910 ff.; Watson, The Law of Succession in the Later Roman Republic (1971) 53 ff.; Wieling 9 ff., 60 ff. Watson (oben Fn. 71) 55 Fn. 2, wendet sich daher mit Recht gegen die Auffassung, die aus der Konstitution der Divi Fratres schließt, daß erst jetzt das Prinzip der causa Curiana von der Jurisprudenz akzeptiert worden sei: so aber Wieacker, La ,causa Curiana' e gli orientamenti della giurisprudenza coeva, in: Antologia giuridica

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

bige der beiden Substitutionsarten, enthält das Reskript nicht lediglich eine Bestätigung des Prinzips der causa Curiana, sondern in der Einführung der Bivalenz - und das ist das eigentlich Neue - auch die Feststellung, daß umgekehrt eine in bezug auf einen gewaltunterworfenen impubes angeordnete Vulgarsubstitution als stillschweigende Pupillarsubstitution interpretiert werden kann 7 3 Ein Vergleich des Pius-Reskripts mit der Entscheidung der divi fratres zeigt, daß der richtungsändernde Einschnitt in der römischen Substitutionslehre erst nach Pius vollzogen wurde. Pius bereitete ihn zwar vor, indem er das Bivalenzprinzip in einem Sonderfall durchaus im Einklang mit den verba testamenti zur Geltung brachte, erst seine Nachfolger jedoch führten es generell und praeter verba ein 7 4 . Man hat Modestin kritisiert, er habe sich beim Aufbau des Fragments nicht an den historischen Ablauf gehalten75 . Das ist richtig, aber kein Versehen Modestins. Der Jurist wollte nämlich keinen geschichtlichen Abriß der Lehre von der Substitution geben, sondern, wie man aus dem Titel seiner Schrift, den Fritz Schulz mit Recht in ,De heurematibus' korrigiert 76, schließen kann, über Erfindungen der verschiedensten Art auf dem Gebiet des Rechts schreiben. Dann darf es nicht verwundern, wenn Modestin die grundlegende Konstitution der divi fratres, die immer noch geltendes Recht war, an die Spitze seiner Ausführungen stellte 77. Auch der überleitungssatz zu dem Pius-Reskript, quod ius ad tertium quoque genus substitutionis tractum esse videtur:,der den Anschein erwecken könnte, Modestin irre in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Kaiser, ist in Wahrheit nicht anstößig, wenn man ihn unter Aussparung jeglicher zeitlichen oder entwicklungsgeschichtlichen Komponenten allein

73

74

75 76 77

romanistica ed antiquaria I (1968) 115, 130; id~ The Causa Curiana and Contemporary Roman Jurisprudence, IJ 2 (1967) 162; noch schärfer Schulz, RRW 95; zurückhaltender jetzt Kaser II § 285 Fn. 35. Scarlota Fazio, Principii vecchi e nuovi di diritto privato nell'attivita giurisdizionale dei Divi Fratres (1939) 111. - Diese Feststellung kommt naturgemäß bei den Autoren zu kurz, die erst jetzt das Prinzip der causa Curiaruz für allgemein akzeptiert erachten, z.B. bei Wieacker, La ,Causa Curiana' etc. (oben Fn. 72) 130; To"ent, AHDE 39 (1969) 208 f.; Wieling, 65 mit 147. Der bisher einzige Versuch in der neueren Literatur, die Entwicklungsgeschichte der substitutio nachzuzeichnen, mußte aufgrund der falschen Ausgangsbasis (s.oben Fn. 63) scheitern: Voci II 217 f. ist der Ansicht, Pius habe das Prinzip der Bivalenz bereits vorgefunden und nur auf den Fall der reziproken Substitution erweitert; Modestin habe demnach im pr. den Rechtszustand vor Pius wiedergegeben, und ex divi Marci et Veri constitutione sei Glosse. Zustimmend Giuffre 122 f. und Fn. 50. Wieacker und To"ent (oben Fn. 73) gehen auf das Pius-Reskript nicht ein. Glück, Pand. 40 (1864 2 ) 273 f. Schulz, RRW 308 f.: heurematicus sei weder in griechischen noch lateinischen Wörterbüchern belegt. Guarinos, Storia dei diritto romano (1969 4 ) 528, Verdacht, das Werk sei apogryph, ist durch nichts belegt. Ähnlich Glück, Pand. 40 (1864 2 ) 273 f.

Zusammenfassung

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als statische Feststellung eines Rechtszustands versteht, der sich im einen wie im anderen Fall durch die Geltung identischer Rechtsfolgen auszeichnet. Man könnte den Überleitungssatz etwa übersetzen: "Diese Rechtsfolge (sc. in utrumque casum substituisse intellegatur) scheint auch auf die dritte Art der

Substitution bezogen worden zu sein." Der innere Aufbau des Fragments ist insoweit also chiastisch: Sachverhalt A - Rechtsfolge A - Rechtsfolge B - Sachverhalt B. - Tertium genus substitutionis bedeutet nicht die reziproke Substitution als solche, sondern als Gegenüberstellung zu den beiden im pr. vorausgesetzten ausdrücklichen Anordnungen von Vulgar- und Pupillarsubstitution die kurze Formulierung ",eosque invicem substituo', die sog. substitutio breviloqua oder compendiosa 8. Genus substitutionis findet sich in bezug auf die beiden ersten Substitutionsarten schon bei Gai 2.181; auf das tertium genus geht Gaius nicht ein, was im Rahmen eines Anfängerlehrbuchs auch nicht unbedingt erforderlich war. Ingesamt paßt sich der Überleitungssatz gut in das Fragment ein und macht vernünftigen Sinn. Beseler79 streicht ihn daher zu Unrecht.

Eine Datierung des Pius-Reskripts im Verhältnis zu Reskript Nr. 4 ist nicht möglich, da keines der beiden notwendig auf dem anderen aufbaut. Gemeinsam ist ihnen die Rechtsnatur: Kaiser Pius gibt eine authentische Interpretation der Testamentsklausel ,eosque invicem substituo' in bezug auf Einsetzungsquote und Tragweite der Substitution. Da der Kaiser einfache Auslegungsfragen zu entscheiden hatte, kann man davon ausgehen, daß die Auslegung der Klausel bis dahin noch nicht gefestigt war. Dies wiederum setzt ihre verhältnismäßig späte Aufnahme in die Kautelarpraxis der Juristen voraus80 . Zusamme·nfassung Die erörterten Pius-Konstitutionen lassen sich in zwei Gruppen gliedern. Nr. 1, 2 und 3 b e s t ä t i gen die Geltung hergebrachter Erbrechtsregeln über Testierfähigkeit und Erbeinsetzung. Eine Überprüfung ihres Geltungsanspruchs in einer veränderten Wirklichkeit findet nicht statt. Während Nr. 1 anscheinend allein im Respekt vor Formalismus und hohem Alter der Regel ihre Legitimation findet, führen Nr. 2 und 3, die eine wesentlich jüngere Regelfiktion bestätigen, wenigstens zu einem erwünschten Ergebnis, der Siche78

79

!lO

Richtig Glück, 272 Fn. 35 mwN. Beseler, SZ 47 (1927) 59.

Die ersten Belege für wechselseitige Substitution finden sich nach VIR 3.915.37 ff. s.v. invicem erst bei Iul 24 dig D 28.6.25; 29 dig D 28.5.37.1; 61 dig D 35.2.87.6. Allerdings bezieht sich mit Sicherheit nur die zweite Stelle auf eine Sonderform der sog. substitutio breviloqua. - Unsicher ist auch die Tragweite der substitutio in der frühesten Quelle überhaupt, im Testament des Tiberius, vgl. Suet., Tib. 76: Eo testa-

mento heredes aequis partibus reliquit Gaium ex Germanico et Tiberium ex Druso nepotes substituitque in vicem." Hierzu Amelotti, 11 testamento romano etc. I (1966) 124 Fn. 2.

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§ 2. Testamentserrichtung und Erbeinsetzung

rung der vom Erblasser gewollten Erbfolge. - Nr. 4 und 5 dagegen i n t e r p r e t i e ren autoritativ eine bestimmte Substitutionsklausel. Sie zeigen, daß auch einfache Testamentsauslegung zum Geschäft des Kaisers gehört. Die Interpretation ist behutsam und, wie schon bei Nr. 2, ganz von dem Vorrang der verba geprägt; den gebotenen Spielraum schöpft sie aber voll aus (5). - In allen Konstitutionen dokumentiert sich eine konservative Grundhaltung des Kaisers, die darauf angelegt ist, das hergebrachte Recht dort zu bewahren, wo es unabweislich (1) oder im Ergebnis erwünscht (2, 3) ist, es dort aber für Entwicklungen zu öffnen, wo es im konkreten Fall angemessen und vor allem ohne Selbstverleugnung möglich ist (5). In den folgenden Kapiteln wird sich erweisen, ob Konservatismus die charakteristische Grundeinstellung des Kaisers oder lediglich eine auf besonders traditionsbeladene Bereiche wie Testamentserrichtung und Erbeinsetzung beschränkte Erscheinung ist.

§ 3. ERBSCHAFTSERWERB DURCH HEREDlTATlS ADlTlO

Beim Erbantritt von extranei scheint es hauptsächlich dort zu Problemen gekommen zu sein, wo der Erbschaftserwerb das notwendige Zusammenwirken zweier Personen voraussetzte. Ein filiusfamilias, der von einem Dritten zum Erben eingesetzt worden war, mußte die Erbschaft persönlich antreten; zum wirksamen Erbantritt bedurfte er freilich des vorherigen iussum seines paterfamilias, dem er die Erbschaft, und damit auch die Passiva, erwarb 1 . Mehrere Reskripte befassen sich mit Störungen dieses regulären Ablaufs. 6. Marcian 4 inst D 29.2.52pr. eurn heres institutus erat filius et habebat patrern furiosum, in cuius erat potestate, interponere se suarn benivolentiarn divus Pius rescripsit, ut, si filius familias adierit, perinde habeatur atque si pater familias adisset, perrnisitque ei et servos hereditatis rnanurnittere 2 . Der geisteskranke paterfamilias kann kein wirksames iussum erteilen, da er geschäftsunfähig ist 3 . Gleichwohl läßt Kaiser Pius den Erbschaftserwerb durch bloße aditio des Sohnes zu. Die technische Lösung des·Problems erfolgt über die Fiktion (filius familias) perinde habeatur atque si pater familias adisset. Der Haussohn wird so angesehen, als habe er als par"erfamilias angetreten 4 . Es handelt sich um einen Fall der fiktiven Versetzung einer Person in einen anderen juristischen Status5 . Die Leistung der Fiktion ist klar: es geht ihr darum, das iussum überflüssig zu machen, denn als Gewalthaber tritt man autonom an. Die Störung im Erwerbsablauf wird damit beseitigt. Folgerungen aus der Fiktion dürfen nicht gezogen werden. Es wäre insbesondere falsch, den Erbschaftserwerb im Vermögen des Sohnes zu verbuchen6 und so ein neues Sondervermögen zu schaffen. Die Fiktion will an dem Prinzip der Trennung von Erben- und 1 2 3 4

5 6

Gai 2.87; UE 19.19; Ulp 6 Sab D 29.2.6pr. Pal. 100. Lit.: Solazzi, DER 11 88; Dulckeit, Erblasserwille und Erwerbswille bei Antretung der Erbschaft (1934) 118 Fn. 3. S. z.B. Gai 3.106. Rechtsfähigkeit und ius potestatis des furiosus bestehen fort: Ulp 26 Sab D 1.6.8pr. Das Subjekt filiusfamilias ist dem vorangehenden Konditionalsatz zu entnehmen. Die auch mögliche Übersetzung ,es wird so angesehen, als hätte der paterfamilias angetreten' scheitert daran, daß die Fiktion, die dann im Hinblick auf den Erwerb erfolgsbezogen wäre, an der Furiosität des pater nichts änderte. Wie aber kann ein furiosus eine Erbschaft antreten? S. hierzu Bund, Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 147 ff. mit Beispielen Julians. So aber Hüttl I 106.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

Erwerberstellung nichts ändern. Allein zum Zwecke der Ausschaltung des issum soll der filius wie ein paterfamilias behandelt werden 7 . Erwürbe der Sohn die Erbschaft, wäre unerfindlich, weshalb Pius dann noch ausdrücklich die Erlaubnis, die Erbschaftssklaven freizulassen, zu erteilen brauchte. Da die Fiktion selbst kein wirkliches Argument ist und möglicherweise sogar zur gedanklichen Ersparung von Argumenten eingesetzt wird 8 , sind die sich hinter der Fiktion verbergenden Zielvorstellungen der Entscheidung zu ermitteln. Sicherlich sollte die Ermöglichung des Erbschaftserwerbs in erster Linie dem Testament des Erblassers auf Kosten seiner gesetzlichen Erben Geltung und Wirkung verschaffen. Insofern darf man den Topos favor testamenti in weiterem Sinne bemühen. Die hervorragende Bedeutung, die diesem Topos zukommt, mag den Eingriff in das Zivilrecht gerechtfertigt haben, obgleich eine prinzipielle Regelungslücke vermutlich gar nicht bestand. Einemfuriosus wurde regelmäßig ein curator bestellt, dem die Sorge für die Person und das Vermögen des Pfleglings oblag9 . Die Rechtsstellung des curator furiosi, insbesondere seine Position gegenüber den Gewaltunterworfenen seines Schützlings, ist bei der bescheidenen Quellenlage nicht in allen Einzelheiten geklärt 1 o. So gibt es keine Quelle, die ein iussum des Kurators an einen filiusfamilias oder servus, eine Erbschaft anzutreten, zum Gegenstand hat. Ein solches iussum muß aber möglich gewesen sein 11. Hierfür spricht, daß der Kurator einem servus furiosi ein Kontraktsiussum erteilen konnte (Ulp 29 ed D 15.4.l.9) und daß er Herr über die Verwaltung der Pekulien von Sklaven und Haussöhnen war (VIp 26 Sab D 15.l. 24)12. Weder das Reskript noch Marcian schneiden die Frage nach dem Kurator an. Dies läßt nur den Schluß zu, daß es auf seine Person nicht ankam. Der Ha\lssohn sollte unabhängig davon, ob ein Kurator bestellt war oder nicht, gegebenenfalls auch gegen dessen Willen, zum eigenständigen Erbantritt befugt sein. Matringe, L 'accroissement des droits des ms et mies de famille sur leurs acquets successoraux, St. Grosso 5 (1972) 359. Allgemein zum Erwerb des pater furiosus durch den Sohn s. Ulp 26 Sab D 1.6.8.1. 8 Bund, Untersuchungen etc. 126, 164. 9 S. nur Kaser I § 90 III. 10 Einen knappen Überblick über die Rechtsstellung des curator furiosi gibt Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im röm. Recht (1968) 264 ff. 11 So Glück, Pand. 42 (1841) 446 cit. Frehse, De adquisitione hereditatis dementi St. Grosso 5 delatae, Diss. Göttingen (1772) 39 - non vidi; unklar Matringe, (1972) 362 Fn. 45. Anhaltspunkte dafür, daß das issum ein höchstpersönlicher Akt war und nur dem Gewalthaber zustand, gibt es nicht. 12 Auch die Note Marcells zum tiber singuloris regularum des Pomponius in D 29.2.63 verstehen wir in diesem Sinne: "Furiosus adquirere sibi commodum hereditatis ex testamento non potest, nisi si necessarius patri aut domino heres existat: per atium autem adquiri ei potest, veluti per servum vel eum quem in potestate habet" (sc. curatore iubente).

7

6.Marcian 4 inst D 29.2.52pr.

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Damit öffnet sich neben dem erbrechtlichen ein zweiter, familienrechtlicher Aspekt des Reskripts. Es stärkte die personenrechtliche Stellung des erwachsenen Haussohnes durch Zuweisung eigener privatrechtlicher Verantwortlichkeiten. Er allein hatte zu entscheiden, ob die ihm deferierte Erbschaft für den Vater vorteilhaft war, auf dessen Vermögen sich sein Erbschaftsantritt unmittelbar auswirkte. Auch um die Abwicklung der erworbenen Erbschaft hatte er sich zu kümmern. Pius vertraut ihm ausdrücklich die Freilassung der Erbschaftssklaven an, denen der Erblasserfideikommissarisch die Freiheit vermacht hatte. Die Zuweisung dieser Kompetenz ist außergewöhnlich, da man, jedenfalls bis Pius, nicht einmal den curator furiosi unbestritten für befugt hielt, Freilassungsfideikommisse zu erfüllen 13. Wir dürfen daher vermuten, daß der Haussohn erst recht die pekuniären Legate und Fideikommisse abwickeln konnte. Die Schaffung eines eigenen Rechten- und Pflichtenkreises des Haussohnes in bezug auf Erwerb und Verwaltung einer Erbschaft bei Furiosität des paterfamilias ist kein zufälliges Produkt einer erb rechtlichen Einzelfallentscheidung. Sie entsprach vielmehr den Zeichen der Zeit, erwachsenen Haussöhnen, die im öffentlich-rechtlichen Bereich schon längst Träger von Rechten und Pflichten sein konnten 14, auch im privatrechtlichen Bereich, freilich unter Bewahrung der Grundstrukturen der Familie, stärker in die Verantwortung zu nehmen 15 Pius selbst führt diesen Gedanken weiter, als er in einem mutmaßlich späteren Reskript dem rechtschaffenen Haussohn gegen den Widerstand der Jurisprudenz die Kuratel über seinen eigenen pater furiosus, und damit die Sorge für a I I e die Person und das Vermögen betreffenden Angelegenheiten, anvertraut: Ulp 3 off procons D 26.5.12.1 Nec dubitabit filiurn quoque patri curatorern dare: quarnvis enirn contra sit apud Celsurn et apud alios plerosque relaturn, quasi indecorurn sit patrern a filio regi, attarnen divus P i u s Instio Celeri, itern divi fratres rescripserunt filiurn, si sobrie vivat, patri curatorern dandurn rnagis quarn extraneurn 16 13 14 15

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Pomp 1 ex Plaut D 40.1.13. Kaser I § 14 IV 1. Kaser I § 82 IV 5 (Fn. 38 mit Belegen) führt eine Reihe von Ansätzen zu einer Eigenberechtigung des Haussohnes auf Julian zurück; zum spiegelbildlichen ,declin du röle paternel' s. Matringe, St. Grosso 5 (1972) 355 ff. - Für zum Erben eingesetzte Sklaven eines dominus furiosus galt das Pius-Reskript aus naheliegenden Gründen nicht: African 4 quaest D 29.2.47. Doppelüberlieferung in Ulp 1 Sab D 27.10.1.1. Q. Insteius Celer war konsularer Statthalter einer unbekannten Provinz in den ersten Regierungsjahren des Antoninus Pius, s. G. Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen (1977) 212 Fn. 32 und 242; CIL 14, 2924. Die Vermutung Scarlata Fazios, Principii vecchi e nuovi di diritto privato nell'attivita giurisdizionale dei Divi Fratres (1939) 70 Nr. 24, Pius habe in bezug auf den curator furiosi entschieden, und die divi fratres hätten den Anwendungsbereich des Reskripts auf alle Fälle der eura ausgedehnt, hat viel für sich. Die frühe Datierung des Pius-Reskripts in D 26.5.12.1 rückt das Ausgangsreskript ganz an den Anfang der Regierungszeit des Kaisers.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

Wir kehren zum Ausgangsreskript zurück und halten fest, daß Pius behutsam korrigierend in das Zivilrecht eingreift, ohne dabei wesentliche Aufbauprinzipien zu opfern. Mittel des Eingriffs ist die gerade seiner Zeit eigentümliche 1 7 Denkfigur der Fiktion. Sie zeugt, wie Elmar Bund bei seinen Untersuchungen zur Methode Julians treffend festgestellt hat, von einer Geisteshaltung, die, wenn im Ergebnis Neues reschaffen werden soll, so doch in der Begründung am Vorhandenen festhält 8. Die eigentlichen rechtspolitischen Ziele werden hinter der Fiktion verborgen; sie sollen auch gar nicht offengelegt werden: man lenkt von ihnen geradezu ab mit dem Hinweis auf das kaiserliche Wohlwollen l9 . Benevolentia Augusti - dies genügte allemal, die Entscheidung und die ~echtsänderung überall plausibel zu machen 20 .

7. Pap 6 resp D 29.2.86pr. Pannonius Avitus curn in Cilicia procuraret heres institutus ante vita decesserat, quarn heredern se institutum cognosceret. quia bonorurn possessionern, quarn procurator eius petierat, heredes Aviti ratam habere non potuerant, ex persona defuncti restitutionern in integrurn irnplorabant, quae stricto iure non cornpetit, quia intra diern aditionis Avitus obisset. divurn tarnen Piurn contra constituisse Maecianus !ibro quaestionum refert in eo, qui Jegationis causa Rornae erat et filiurn, qui rnatris delatarn possessionern absens amiserat, sine respectu eius distinctionis restitutionem locurn habere. quod et hic hurnanitatis gratia optinendurn est 21 17

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21

Die Fiktion perinde haberi atque(ac) si ist ein Lieblingsausdruck Julians, vgl. VIR 3. 59.9 ff. s.v. habeo. Da Julian auch eine stärkere Eigenberechtigung des Haussohnes verficht (oben Fn. 15), wäre ein Einwirken des Juristen auf das Reskript gut denkbar. Pius greift im übrigen in einem weiteren Reskript auf die Fiktion zurück: Marcian 1 reg D 40.4.26. Bund, Untersuchungen etc. 127. Interponere se suam benivolentiom ist mit Kalinka, SZ 47 (1927) 338 gegen Beseler, 2.32 für echt zu halten. Zwar kommt benevolentio in den Digesten nur noch bei Mod 2 pand D 28.5.63pr. vor und ist in Konstitutionen nachklassischer Kaiser und Justinians gut belegt (s. Mayr, Vocabularium, s.v. benivolentia bzw. benevolentia), doch gehört das Wort seit Cicero zum klassischen Sprachgebrauch. Fronto benutzt es z.B. in seinen Briefen zur Bezeichnung des ihm selbst vom Thronfolger Mark Aurel entgegengebrachten Wohlwollens (Fronto, ad M. Caes. 1,3 = Haines 184), Mark Aurel in einem Antwortschreiben hinsichtlich der Haltung seines kaiserlichen Vaters Pius gegenüber Fronto (Fronto, ad M. Caes. 11,2 = Haines 1114). Solazzi, DER 11 88 f., tendiert zur Annahme einer Glosse. Lacour-Gayet 418 interpretiert interponere benivolentiom anschaulich als Einschalten des kaiserlichen Wohlwollens zwischen die al1gemeine Regel und den besonderen Fall. Voci I 640 Fn. 77 erwägt ein persönliches Privileg, das später verallgemeinert worden sei. Dulckeit 118 Fn. 3 bewertet das Reskript zu einseitig als ,besonderen Gnadenakt'. Die Bedeutungsebene der Verherrlichung einer Kaiserverordnung nimmt benevolentio erst nach Diokletian ein. Pal. 561. Lit.: Samter, Nichtförmliches Gerichtsverfahren (1911) 19 f.; Solazzi, DER I 282 ff.; Carrelli, SD 4 (1938) 32 f.; Fadda, DER 11 120 ff.; Biondi, DER 183: Voci I 507.

7. Pap 6 resp D 29.2.86pr.

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Recht unklar ist der Sachverhalt einer Pius-Konstitution, die Papinian als Analogon zu dem von ihm zu begutachtenden Fall des Pannonius Avitus heranzieht. Pannonius Avitus starb während der Ausübung seines Amtes als Finanzprokurator der Kaiserprovinz Kilikien 22 , ohne zu wissen, daß ihm - vermutlich in Rom - eine testamentarische Erbschaft angefallen war. Die Weitervererbung dieser Erbschaft an die Erben des Avitus steht zur Diskussion. Die Delation einer Erbschaft ex testamento an den Außenerben erfolgte regelmäßig mit dem Todesfall, spätestens mit der Testamentseröffnung 2 J. Sie begründete für den Erben ein höchstpersönliches Recht, dessen Realisierung allein seiner Entscheidung, anzunehmen oder auszuschlagen, überlassen war. Daher war eine Übertragung der bloß deferierten Erbschaft auf einen Dritten grundsätzlich ausgeschlossen 24 . Erst die Annahme der Erbschaft durch aditio oder die Stellung des Antrags auf Erteilung der bonorum possessio wies die Erbschaft als zum Vermögen des Erben gehörig aus und ermöglichte eine Transmission auf den Erbeserben. Eine Weitervererbung nach gewöhnlichem Muster kam offensichtlich nicht in Betracht. Avitus hatte zu seinen Lebzeiten nämlich weder die zivile hereditas noch die prätorische bonorum possessio erworben. Für den Erwerb der hereditas fehlte es an einer per s ö n I ich zu vollziehenden aditio; die Erteilung der bonorum possessio secundum tabulas konnte zwar von seinem Prokurator in Rom als negotiorum gestor beantragt werden, ihr Erwerb scheiterte jedoch gleichfalls an der per s ö n li c h zu erteilenden ratihabitio 25 . In dieser Lage beriefen sich die Avitus-Erben, um sich doch noch die Erbschaft zu retten, auf die Prokuratel des Verstorbenen und erbaten eine restitutio in integrum ex persona de/uneti. Dabei konnte es sich nur um die restitutio in integrum propter absentiam rei publieae eausa handeln. Sie wurde gewährt, wenn jemand während seiner Abwesenheit aus Staatsgründen einen Rechtsverlust durch Ablauf einer Frist erlitten hatte 26 , und war vererblich, sofern nur ihre Voraussetzungen bereits zu Lebzeiten des Erblassers voriagen 27 . Avitus aber hatte die Erbschaft nicht durch Fristablauf, sondern durch seinen Tod intra diem aditionis verloren. 22

23 24 25 26 27

Epigraphisch ist Pannonius Avitus nicht belegt, PIR P 65. Die Finanzprokuratel Kilikiens war seit Domitian ein Centenarposten. Hadrian fUgte ihr Cyprus hinzu; Pius verselbständigte die Prokuratel wieder - eine seiner wenigen Maßnahmen in der Provinzialverwaltung. Einzelheiten s. bei Pflaum, RE 23,1 (1957) 1246 ff., 1269 f., s.v. procurator. Kaser I § 175 I und Fn. 6. Voci I 505 und Fn. 41; Carrelli 33 Fn. 75. ülp 39 ed D 37 .i.3. 7 ("... neque 'nert:~· meus ratum habere potest, cum ad eum nun transeat ius bonorum possessionis. '1; Paul 1 manualium D 29.2.48; African 5 quaest D 46.8.24pr. Vip 12 ed D 4.6.1.1 ; Kaser, ZPR § 64; Lenel, EP § 44. Vlp13edD4.l.6.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

Die Frage der Befristung des Erbschaftsantritts wurde relevant, wenn der Erblasser für den Erwerb seines Nachlasses eine förmliche Antrittserklärung, die sog. cretio, verlangte und hierfür eine Frist, in der Regel 100 Tage, bestimmte. Eine Frist, ebenfalls regelmäßig 100 Tage, war auch für den Antrag auf Erteilung der bonorum possessio einzuhalten. Man nimmt allgemein an, daß Avitus' Erblasser die cretio angeordnet. Justinian sie aber, wie stets, getilgt und durch aditio ersetzt hat. Fadda 28 zieht mit Recht auch intra diem agnitionis in Betracht, da es den Erben des Avitus in erster Linie auf die ratihabitio angekommen zu sein scheint. Die Frage kann dahingestellt bleiben, weil Avitus jedenfalls vor Ablauf der Frist, möglicherweise noch ehe die Frist überhaupt zu laufen begonnen hatte 29 , gestorben ist.

Stricto iure, genaugenommen also, stand Avitus und damit auch seinen Erben die restitutio in integrum nicht zu 30 . Das Ergebnis befriedigt den Juristen nicht. Da Kaiser Pius in einem ähnlichen Fall anders entschieden habe, sei auch im Avitus-Fall die restitutio in integrum humanitatis gratia 31 zu erteilen. Gewährsmann der Pius-Entscheidung ist Maecian. Er durchlief unter Pius eine glänzende Ritterkarriere 32 und wurde mit der Berufung in die Konsilien Fadda, DER 11 120 Fn. 4; der Vorschlag geht auf Accursius zurück, vgl. die Glosse intra diem ad h.l.: " ... Improprie ergo dicit aditionis: i. petitionis bonorum possessionis. Accursius. Additio. . .. Sed dico eum Ioqui tam de bono. possessione quam aditione civili. Contius." 29 War die Anordnung der cretio mit dem Zusatz ,quibus scies poterisque' versehen (sog. cretio vulgaris), lief die Frist erst, nachdem dem Erben die Delation bekannt und die cretio möglich war; fehlte dagegen dieser Zusatz (sog. cretio continua), begann die Frist mit der Delation, UE 22.31-32; Gai 2.171-173. - Hatte ein negotiorum gestor den Antrag auf Erteilung der bonorum possessio gestellt, begann die Frist zur Erteilung der ratihabitio wahrscheinlich erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Berechtigte hätte benachrichtigt werden können, arg. Marcell 9 dig D 38.15.5pr.; vgl. jedoch auch African 5 quaest D 46.8.24pr. 30 Stricto iure non competit wird seit Faber, Conjecturae 14.1 (498.2) als justinianisch angegriffen; beachtliche Gründe hierfür hauptsächlich bei Pringsheim, SZ 42 (1921) 624 und Carrelli, SD 4 (1938) 33. Hugo Krüger, St. Bonfante 2 (1930) 309 denkt an eine Note Ulpians. Wir lassen den Punkt offen, da er für die Bewertung des Pius-Reskripts ohne Bedeutung ist. Vgl. jedoch die Parallele in C 2.50.1 (a. 197!) und hierzu die Bemerkung Samters 20 Fn. 1. 31 Auch die Kategorie der humanitas wird seit Hugo. Krügers Aufsatz ,Die humanitas und die pietas nach den Quellen des röm. Rechts', SZ 19 (1898) 6 ff. als itp. verdächtigt. Der Frage ist später in anderem Zusammenhang nachzugehen. Vorläufig ist nur festzustellen, daß der Begriff humanitas in juristischen Texten mit Pius einsetzt. Dieter. Nö"s , Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 115 Fn. 85, Bemerkung, die Entgegensetzung von strictum ius und humanitas in D 29.2.86pr. stamme möglicherweise aus dem Reskript, ist nicht zu belegen. 32 L. Volusius Maecianus brachte es in seiner Ritterlaufbahn vom Kanzleichef des zum Thronfolger designierten Pius im Jahre 138 bis zum praefectus Aegypti 160161, s. Mayer-Maly, RE IX A,1 (1961) 904 s.v. Volusius Nr. 7, weitgehend angelehnt an Levy, SZ 52 (1932) 352-355; Kunkel, Herkunft 174 ff. (Nr. 42) und zuletzt ausführlich Corbier, L'Aerarium Saturni etc. (1974) 247 ff. (Nr. 52) sowie Atkinson, IURA 25 (1974) 55 ff. mit Insehr. und Lit. 28

7.Pap 6 resp D 29.2.86pr.

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des Pius und seiner Nachfolger Mark Aurel und Lucius Verus besonders ausgezeichnet 33 . Das Zitat stammt aus seinem Hauptwerk, den unter Pius vermutlich nach 148 abgefaßten quaestiones de fideicommissis 34 . Der verdorbene Text läßt den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt nur erahnen. Vivianus 35 geht von zwei verschiedenen Entscheidungen aus: die eine Konstitution betreffe den Gesandten einer civitas, der in Rom ohne Kenntnis vom Anfall einer Erbschaft gestorben sei; die andere einen Sohn, der infolge Abwesenheit die ihm deferierte bonorum possessio seiner Mutter verloren habe. Dies kann nicht richtig sein. Da der erste Fall mit Ausnahme der vertauschten Örtlichkeiten genau dem Avitus-Fall entspricht, hätte Papinian diesen nicht problematisieren dürfen, sondern ohne Umschweife den Gedanken der Pius-Entscheidung anwenden müssen. Der zweite Fall paßte wegen der Abwesenheit aus sonstigen GrÜnden überhaupt nicht in die Argumentationskette. Cujaz 36 liest et filio statt et filium, sieht also richtig nur einen Fall, geht aber von Personenidentität zwischen dem Legaten und dem filius sui iuris aus. Dieser Lösung begegnet derselbe Einwand wie Vivians erstem Fall. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma hat Mommsen in der Digestenausgabe aufgezeigt. Er nimmt eine mechanische Korruptel an; nach possessionem sei der Schluß des Relativsatzes ausgefallen und mit absente patre admittere non potuerat zu ergänzen. Dadurch wird amiserat statt auf possessionem auf filium bezogen 37 : nun ist der Todesfall der wesentliche Vergleichspunkt zum Avitus-Fall. Während sich der Vater als Legat einer civitas in Rom aufhielt, ist sein Haussohn in der Heimat gestorben, ohne daß er die ihm deferierte Erbschaft der Mutter dem aus Staatsgründen abwesenden Vater hätte erwerben können. Mommsen schöpft seine Konjektur aus Ulp 8 Sab D 29.2.30pr., eine Stelle, die heute allgemein als Doppelüberlieferung der in fr. 86pr. enthaltenen Pius-Konstitution gilt. Wir vergleichen die Texte: 33

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SHA, vita Pii 12.1; Vip 11 leg Iul et Pap D 37.14.17pr.;Crook, Consilium principis (1955) 67 und Nr. 358. Fitting 44; Schulz, RRW 294. Der Titel des Werkes ist in der Stelle von den Kompilatoren verkürzt worden, s. Liebs, St. Volterra 5 (1971) 72 Fn. 89. Lene!, Pal. Maecian 29, ordnet sie in das 4. Buch unter den Titel ,!Je fideicommissariis hereditatibus, [' ein. Glosse, Casus ad h.1. Cujaz IV 2203. Beide Varianten sind möglich. Amittere hominem, einen Menschen durch Tod verlieren, ist unter Oden Juristen üblich; Papinian allerdings gebraucht amittere sonst nur in bezug auf Rechte und Sachen, vgl. VIR 1.416.15 ff. s.v. amittere; zu amittere bonorum possessionem bzw. genauer amittere ius petendae bonorum possessionis s. VIR 1.418.30 ff. s.v. amittere.

4 Müller-Eiselt

50

§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

7a.

7b.

Pap 6 resp D 29.2.86pr.

Ulp 8 Sab D 29.2.30pr.

divum tarnen Pium contra constituisse Maecianus !ibro quaestionum refert in eo, qui legationis causa Romae erat et filium, qui matris delatarn possessionem , ab sens amiserat, sine respectu eius distinctionis restitutionem locum habere ...

Cum quidam legationis causa ab sens filium heredem instituturn non potuisset iubere adire in provincia agentern, divus Pius rescripsit consulibus subvenire ei oportere mortuo filio, eo quod rei pub!icae causa aberat 38

Beide Texte stimmen in den Grundstrukturen überein. Der Vater ist legationis causa in Rom, fern seiner Heimat (7a); auch in 7b ist Blickwinkel der absentia die Provinz, in der der Sohn lebt (filium . .. in provincia agentem)39. Der Sohn ist Testamentserbe (7b); um testamentarische Erbfolge muß es sich auch in 7a handeln, da eine gesetzliche Erbfolge des Sohnes nach der Mutter erst das Sc. Orfitianum im Jahre 178 n.Chr. einführte 40 . Der Erbe ist im Verhältnis zum Erblasser extraneus, weil er die Erbschaft antreten muß (7b); auch in 7a ist der Sohn gegenüber der Mutter extraneus, denn eine Frau kann keine sui haben. Der Sohn ist gewaltunterworfen (7b); wäre er in 7a sui iuris, fehlte das Problem. Schließlich wird eine restitutio in integrum gewährt (7a); subvenire in 7b wird oft als terminus technicus für diesen Rechtsbehelf gebraucht 41 . Störend könnte wirken, daß 7b offensichtlich die zivilrechtliehe aditio, 7a hingegen die prätorische bonorum possessio im' Auge hat. Doch wahrscheinlich waren beide Aspekte im Reskript erwähnt. Der Gesandte wird jede Möglichkeit, die Erbschaft doch noch zu erwerben, erwogen haben. Ulpian spricht zwar nur von der Unmöglichkeit des iubere adire (7b); es sollte aber nicht zweifelhaft sein, daß im Antrittsbefehl gleichzeitig die Genehmigung einer bereits beantragten bonorum possessio liegt 42 . Zudem scheint es in der Praxis üblich gewesen zu sein, daß der Haussohn, dem eine Erbschaft deferiert war, bei Abwesenheit des Vaters möglichst frühzeitig die bonorum possessio beantragte und den 38

Pal. 2493. Weitere Lit.: Lacour-Gayet 419; Hüftl I 106 f.; Solazzi, Fs. Koschaker 1 (1939) 54;Meinhart, Die SCa. Tertullianum und Orfitianum etc. (1967) 105 f. 39 Wäre Rom der Blickwinkel, wären Vater und Sohn von Rom abwesend: eine unnötige Komplikation, die das Problem verdeckte. Unrichtig auch Meinhart 106, die den Sohn für rei publicae causa abwesend hält. 40 Kaser I § 16811 2. Cujaz IV 2203 befindet sich hier in einem historischen Irrtum. 41 Die Quellen zur restitutio in integrum belegen durchgängig eine synonyme Verwendung von subvenire und succurrere. Besonders deutlich ist Pius-Marcell 3 dig D 4.1. 7pr. 42 Der umgekehrte Fall ~ in der Genehmigung der bon. possessio liegt das iussum zur aditio ~ wird in Vip 8 Sab D 29.2.25.7 erörtert.

7a. Pap 6 resp D 29.2.86 pr - 7b. Vip 8 Sab D 29.2.30pr.

51

Vater darauf über Boten um die ratihabitio anging 4 3. Für die zivile aditio mußte er ohnehin das iussum des Vaters abwarten. Genehmigung und iussum fielen dann häufig zusammen. Nach alldem darf man mit einiger Wahrscheinlichkeit von einer Identität der Reskripte ausgehen. Die juristische Problematik des dem Reskript zugrunde liegenden Sachverhalts ist nach der ausfülulichen Erörterung des Avitus-Falles schnell dargestellt. Der Haussohn konnte wirksam weder die Erbschaft antreten noch die bonorum possessio erlangen, da iussum oder Genehmigung des Vaters nicht zu erreichen waren. Der Tod des Sohnes schließt den Erbschaftserwerb des Vaters zunächst aus: eine aditio des Sohnes war nicht mehr möglich, eine postmortale ratihabitio nicht zulässig 44 . Pius gewährt aber dem Vater eine restitutio in integrum ohne Rücksicht darauf, ob der Sohn innerhalb oder erst nach Ablauf der Fristen für die aditio oder den Antrag auf Erteilung der bonorum possessio gestorben, der Rechtsverlust also durch Tod oder durch Fristablauf eingetreten ist 45 Die Wiedereinsetzung versetzt den Vater in die Lage, jedenfalls die vom Sohn beantragte bonorum possessio zu genehmigen 46 : jetzt kann der Vater die Erbschaft doch noch erwerben. Äußerer Grund der Entscheidung des Kaisers ist, ebenso wie später im Avitus-Fall: eo quod rei publicae causa aberat. Pannonius Avitus war als Finanzprokurator Kilikiens zweifellos von Staats wegen abwesend 47 . Schwerer tat man sich mit diesem Urteil bei Gesandten von Gemeinden. Der Grund liegt darin, daß nach der ursprünglichen römischen Vorstellung nur urbs Roma selbst die eine und einzige res publica war. So konnten etwa rei publicae causa absens im Sinne des Edikts ,Ex quibus causis maiores vi-

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Vgl. Marcell 9 dig D 38.15.5pr.-l; daher ist es unnötig, mit Fadda, DER 1I 120 Fn. 1, successionem zu lesen. African 5 quaest D 46.8.24.1: der entgegenstehende Schluß sed illud - [in. ist unecht, s. Ind. ad h.l. Dieses Verständnis des Ausdrucks sine respectu eius distinctionis in fr. 86 pr. ist seit der Glosse (vgl. Glosse distinctio ad h.l.) überwiegend anerkannt. Ältere Lit. bei Fadda, DER 11121 Fn. 2 U11d 3. Die Itp.-Vermutungen vonPringsheim, SZ41 (1920) 260 Fn. 2; SZ 42 (1921) 654; Fs. Lenel (1921) 229 f. und von Beseler, SZ 50 (1929) 44, halten einer Nachprüfung nicht stand: Der Begriff der distinctio stammt aus dem klassischen Rechtsunterricht, s. Gai 1.127; 3.197. Fadda, DER 11 121 f. und Solazzi, DER I 283, sind der Ansicht, Pius habe dem Vater mit einer utilis-Erbschaftsklage auf der Grundlage der [ictio, daß der Sohn die Erbschaft angetreten habe, geholfen, da eine in integrum restitutio in das Recht, das iussum einem ,Toten' zu erteilen, absurd sei. In der Tat wird man bezüglich der aditio ohne Fiktion nicht ausgekommen sein. Die Überlegung sticht aber nicht f1ir die Genehmigung der vom Sohn beantragten bonorum possessio: hier genügt eine restitutio in integrum in das Recht, die Genehmigung zu erteilen. Vgl. Mod 9 reg D 4.6.32; Paul3 leg lul et Pap D 4.6.35.2.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

ginti quinque annis in integrum restituuntur'(EP Tit. X § 44) nur Beamte oder Gesandte Roms sein. Den Gesandten römischer civitates in den Provinzen wurde indessen durch Kaiserkonstitutionen ~eholfen, die man auf eine diese Ediktsrubrik abschließende Generalklausel 8 ,si qua alia mihi iusta causa esse videbitur, in integrum restituam' stützte 49 . Da erst Marcus und Commodus dieses Privileg auf die Gesandten von Munizipien ausdehnten 50 , dürfte es sich im Pius-Reskript vermutlich um den Gesandten einer Bürgerkolonie gehandelt haben. Die Kolonie als die civitas mit der besseren Rechtsstellung 51 wurde sicher auch auf diesem Gebiet früher als das Munizipium von den Kaisern begünstigt. Bei dieser Sachlage werden die Worte eo quod rei publicae causa aberat in 7b kaum aus dem Reskript stammen. Näherliegender als ein GlossemS 2 ist freilich eine Kommentierung des Reskripts durch Ulpian. Dem Juristen kam es hier, anders als in seinem Kommentar zur betreffenden Ediktsrubrik, ersichtlich nicht auf die Einhaltung der ediktalen Terminologie an, sondern vielmehr auf die klare Herausstellung des tragenden Grundes der Entscheidung. Dabei bediente er s~ch des Sprachgebrauchs, der seit den Severern zur Bezeichnung der Gemeinden des ganzen Reichs in der halb- oder nicht offiziellen Sprache, bei den Juristen und auf Inschriften allgemein üblich geworden war: res publica53 Der rei publicae causa Abwesende soll wegen seiner für das Gemeinwesen erbrachten Tätigkeit keine persönlichen Rechtsnachteile, auch keine mittelbaren, erleiden. Die Vorstellung, der Betroffene hätte mit seiner ratihabitio, wäre er zu Hause geblieben, dem Tod des Sohnes zuvorkommen und damit die Erbschaft an sich ziehen können, war für den Kaiser Grund genug, Abhilfe zu schaffen. Unter allen Umständen sollte der Eindruck vermieden werden, die Ausübung eines öffentlichen Amtes bringe noch mehr Nachteile als die ohnehin üblichen finanziellen Belastungen mit sich. Mit der Gewährung der restitutio in integrum nahm der Kaiser allerdings die Privilegierung der Amtsträger gegenüber den anderen Bürgern, die auf Reisen ohne ihr Wissen mit dem zu Hause zum Erben eingesetzten Haussohn auch die Erbschaft verloren, in Kauf. Andererseits aber beugte Pius mit der Reglementierung des provinzia-

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Vip 12 ed D 4.6.1.1. Zur Klausel s. zuletzt Kaser, SZ 94 (1977) 151 f. Vip 12 ed D 4.6.26.9: " ... ut puta legatione quis pro civitate fitnctus est: aequissi-

mum est eum restitui, licet rei publicae causa non absit: et saepissime constitutum est adiuvari eum debere, sive habuit procuratorem sive non .. . " - C 2.53.1 (a. 212): " ... nam eos quoque, qui legationis officio fungantur, in eo privilegio esse, quo sunt quz rel publicae causa absunt, receptum est". S. auch Cervenca Studi vari sulla

,restitutio in integrum' (1965) 75. ' Paul 3 brev D 4.6.8. Dazu Cervenca (oben Fn. 49) 74 Fn. 34. Vittinghoff, Röm. Stadtrechtsformen der Kaiserzeit, SZ 68 (1951) 463 ff.; Simshäuser, Iuridici und Municipalgerichtsbarkeit in Italien (1973) 35 ff. (44 ff.). So Solazzi, Fs. Koschaker 1 (1939) 54; verdächtigt schon von Beseler SZ 50 (1930) 75. Zur Entwicklung des Begriffs res publica s. Mocsy, Vbique res publica, Acta Acad. Sc. Hung. 10 (1962) 367 ff. (374 ff.).

7a. Pap 6 resp D 29.2.86pr. - 7b. Ulp 8 Sab D 29.2.30pr.

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len Gesandtenwesens einem möglichen Überhandnehmen solcher Vergünstigungen vor. Pius beschränkte nämlich Gesandtschaften aus den Provinzen, indem er die vorherige Autorisierung durch den Provinzgouverneur verlangte, auf wirklich bedeutende Anlässe 54 . Das Pius-Reskript ist, anders als der Avitus-Fall, keine echte Ausnahme von dem Prinzip hereditas delata nondum adquisita non transmittitur ad heredes5 5 . Da der Vater seinen filius in potestate nicht beerbt, kann man allenfalls von einer transmissio iure patrio sprechen 56 . Im Grunde versperrt aber der Transmissionsgedanke den Blick auf das eigentliche Ziel des Reskripts. Wie im vorhergehenden Reskript Nr. 6 soll auch hier der Erwerb der Erbschaft ermöglicht werden, weil das durch das Gewaltverhältnis bedingte, für den Erwerb notwendige Zusammenwirken von Vater und Sohn durch Umstände verhindert wurde, die man den Betroffenen nicht zurechnen wollte. Dort verhinderte d}e Furiosität - alleinursächlich - für immer die Mitwirkung des Vaters; hier war er infolge seiner Abwesenheit aus Staatsgründen zeitweilig nicht in der Lage, seinen Beitrag zum Erwerb zu leisten, und als er ihn schließlich leisten konnte, war es zu spät, da der Tod nun die Mitwirkung des Sohnes vereitelt hatte. Die Abwesenheit aus Staatsgründen war somit mitursächlich für das Nichtzustandekommen des regulären Erwerbs. Furiosität und Abwesenheit aus Staatsgründen waren für den Kaiser die maßgeblichen äußeren Umstände, die Abhilfe rechtfertigten und dem Erbschaftserwerb günstige Entscheidungen veranlaßten. In der technischen Verwirklichung seiner rechtspolitischen Ziele ist der Kaiser flexibel. Dort reicht die Schöpfung einer Fiktion zur Korrektur des Zivilrechts aus; hier bedient er sich der prätorischen restitutio in integrum außerhalb ihres eigentlichen Anwendungsbereichs. Die innere Rechtfertigung der Entscheidung liefert auch hier der Topos favor testamenti. Seine übliche Funktion, die Ausschaltung der gesetzlichen Erben zugunsten der Testamentserben, wird dabei durch den interessanten Aspekt der Erhaltung des Vermögens innerhalb der Kleinfamilie überlagert und angereichert. Eher soll dem Ehemann das Vermögen seiner Frau zufließen als 54

W. Willioms, Antoninus Pius and the contral of the provincial embassies, Hist. 16 (1967) 470-483; zurückhaltender ist das Urteil von Miliar, The Emperor in the Roman World (1977) 380 ff. - Auf derselben Linie liegt die Verordnung des Pius, wonach ein Schuldner des Gemeinwesens nicht dessen Legat sein könne: Marcian 12 inst D 50.7 .5 pr. : "Sciendum est debitorem rei publicae legatione fungi non posse: et ita divus Pius Claudio Saturnino et Faustino rescripsit". Einzelheiten zum Gesandtschaftswesen s. von Premerstein, RE 12,1 (1924) 1133 ff. s.v. legatus;Lang· hammer, Die rechtliche und soziale Stellung der Magistratus Munieipales und der Deeuriones ete. (1973) 126 ff.: Miliar, The Emperor in the Roman World (1977) 375 ff.

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Zu diesem Prinzip s. von Lübtow, Fs. Seherillo 1 (1972) 333 mit Lit. in Fn. 50 und 52. Biondi" DER 183; Carrelli 33 Fn. 75;H. Krüger, SZ 64 (1944) 396.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

etwa deren Brüdern nach gesetzlichem Erbrecht. Damit respektiert man auch den mutmaßlichen Willen der Frau und Mutter. Sie mußte nämlich bei der Errichtung des Testaments damit rechnen, daß ihr Nachlaß über den noch gewaltunterworfenen Sohn ihrem Mann anfiel. Eine letzte Bemerkung gilt den in 7b genannten Adressaten des Reskripts. Gab es eine Kompetenz der Konsuln für die Gewänrung der in integrum restitutio ? Mommsen 57 hält den proconsul der Heimatprovinz des Legaten für zuständig und korrigiert den Text entsprechend. Raggi und Pafazzolo 58 meinen, die Kompetenz der Konsuln ergebe sich daraus, daß eine restitutio contra sententiam des Prätors begehrt werde, die nur von einem Magistrat mit maior potestas erteilt werden könne. Es fehlt jedoch jeglicher Anhaltspunkt für einen die restitutio versagenden Spruch des Prätors. Wir möchten daher eher eine außerordentliche Zuständigkeit der Konsuln für Aktivprozesse provinzialer Gesandter während ihres dienstlichen Aufenthalts in Rom annehmen 59 . Vielleicht hatte der Gesandte noch während der legatio in Rom von den Vorgängen in der Heimat erfahren und sofort bei den Konsuln um die Erteilung einer in integrum restitutio nachgesucht 60 . Die Konsuln wiederum legten die Frage ob ihrer rechtlichen Brisanz dem Kaiser zur Entscheidung vor. 57 58

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Vgl. Dig.-Ausgabe, ad h.l., nota 8: consulibus J proconsulem Mo. Raggi, La restitutio in integrum nella cognitio extra ordinem (1965) 149 mit Fn. 49; Palazzolo, Potere imperiale 219 Fn. 37. Jörs, Untersuchungen zur Gerichtsverfassung der röm. Kaiserzeit, Fg. von lhering (Gießen 1892) 13 Fn. I, erwägt auch diesen Gedanken, schließt sich dann aber doch Mommsens Konjektur (oben Fn. 57) an. Andere Lö,ungsversuche, jedoch ohne konkreten Hintergrund, bei Dtto-Schi!· ling-Sintenis, COiPUS Iuris Civilis III (1831) 150 Fn. 103. Die Existenz einer extraordinären restitutio in integrum neben der ordentlichen des Prätors belegt Call 2 "ed mon D 4.6.2pr. Samter 19 f., 20 Fn. 1 (s. auch Kaser, ZPR § 68 II 9 Fn. 72) zählt richtig auch unsere beiden Stellen zu den Belegen. Auf eine Kompetenz der Konsuln im Bereich des Gesandtschaftswesens deutet vielleicht auch Marcian 12 inst D 50.7.5pr. (Text oben Fn. 54) hin. Dort ist das Reskript des Kaisers Pius an Ciaudius Saturninus und Faustinus gerichtet. Bei dem-ersten handelt es sich wahrscheinlich um Ti. Ciaudius Saturninus, der 145 im ersten Amtsjahr Gouverneur von Moesia Inferior war (PIR2 C 1012; G. Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen (1977) 142 und Fn. 21 mwN). Da dieses Amt in der Mitte des 2. Jh. regelmäßig 3-4 Jahre nach dem Konsulat angetreten wurde (L. Minicius Natalis Quadronius Verus, cos. 139, Statthalter 142-144; M. Servilius Fabianus Maximus, cos. 158, Statthalter 161-163; Nachweise bei Fitz, Die Laufbahn der Statthalter in der röm. Provinz Moesia inferior, 1966, 46 f. mit 60, 68; Alföldy 230 ff.), dürfte Saturninus zwischen 142 und 144 Konsul gewesen sein, vgl. Degrassi, I fasti consolari dell'impero romano (1952) 41: "prima dei 145"; Syme, Dacia 12 (1968) 334: zwischen 136 und 140; Alföldy 142: etwa 141. Die Kompetenz der Konsuln muß jedoch vorerst Hypothese bleiben, da der mutmaßliche Amtskollege Faustinus bislang nicht identifizierbar ist. Freilich wäre in den Konsulatsfasten der Jahre 141 und 142 noch genügend Raum: Alföldy 141 ff. Die private Rechtsverfolgung durch und gegen Gesandte während ihrer Amtstätigkeit in Rom war zum Schutze einer gewissenhaften Durchführung der Amtsgeschäfte stark eingeschränkt. Fest steht, daß ein Gesandter bei Vermögensschädigung während der Legation sofort klagen konnte, vgl. D 5.1.24-28; 50.7.9.2; 10; llpr.; 12.1. Weitere Belege bei Miliar, The Emperor in the Roman World (1977) 383 f. - Zum ius domum revocandi s. das Pius-Reskript bei Vip 3 ed D 5.1.2.4.

8. Ulp 6 Sab D 29.2.6.3

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8. Ulp 6 Sab D 29.2.6.3. Sed et si non adierit filius, diu tarnen possedit pater hereditatern, credendus est admisisse hereditatem, ut divus Pius et imperator noster rescripserunt 61 Auch ohne aditio des zum Erben eingesetzten Sohnes erwirbt der Hausvater die Erbschaft, wenn er sie lange Zeit besessen hat. Die Entscheidung überrascht, denn sie durchbricht das Prinzip des notwendigen Zusammenwirkens von Vater und Sohn, ohne daß zwingende, der Furiosität oder der Abwesenheit des Vaters aus Staatsgründen vergleichbare Gründe in der Person des Vaters auf den ersten Blick ersichtlich wären. Das väterliche iussum scheint durch langen Besitz ersetzt, die aditio des Sohnes ersatzlos entfallen. In der völligen Zurückdrängung der Rolle des Sohnes sieht Desserteaux 62 das justinianische Konzept verwirklicht, den pater in nahezu allen Punkten selbst als heres zu betrachten. Seine Interpolationsannahme wird von der überwiegenden Ansicht jedoch nicht geteilt. Man sieht in der Stelle den Beweis einer klassischen, von den Kaisern akzeptierten Rollenvertauschung zwischen Vater und Sohn: der Vater vollziehe die aditio mittels pro herede gestio unter stillschweigender Zustimmung des Sohnes63 . Man stützt diese Interpretation hauptsächlich auf eine Konstitution des Kaisers Decius aus dem Jahre 250 und sieht in den Reskripten des Pius und des ,regierenden Kaisers' Bausteine der dort erwähnten Reskriptenpraxis: C 6.30.4. Imp. Decius A. Athenaidi. Filio familias delata hereditate si pater pro herede voluntate filii gessit, sollemnitati iuris satisfactum videri saepe rescriptum est. PP. X k.Mart. Decio A et Grato Conss. 61

Pal. 2472. Lit.: Bonfante VI 194 = 242; Desserteaux, De l'acquisition de l'heredite

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Desserteaux 69. Buckland. The Roman Law of Slavery (1908) 139 f.: Bonfante VI 194 f. = 242; Fadda, DER II 91;Volterra 571; Voci I 603. -Biondi, DER 291, sieht vom Willen des

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par l'intermediaire du fils ou de l'esclave d'autrui, RH 56 (1932) 67 ff.;Solazzi, DER II 41 f.; Dulckeit, Erblasserwille etc. (1934) 118 Fn. 3; P. Krüger, SZ 64 (1944) 396 f.; Biondi, DER 245 f., 291; Volterra, Atti deli' XI Congresso Internazionale di Papirologia (1966) 571 Fn. 3; Voci I 601 ff., 638 f.; Beduschi, Hereditatis aditio (1976) 180.

Sohnes ganz ab. Ursprünglich hat auch Solazzi, I modi di accettazione dell'eredita nel dir. rom., StPav. 5 (1919) 20 f., in der Stelle eine pro herede gestio gesehen; später (DER II 42) bezieht er sie auf eine bonorum possessio. Seine Bemerkung (42 l-n. 2), admittere werde gängig bei der b.p. gebraucht, während das VIR kein anderes Beispiel für admittere hereditatem registriere, ist zwar richtig, jedoch nicht als Argument einsetzbar, solange nicht feststeht, daß admittere hier tatsächlich, wie bei der b.p., als terminus technicus im Sinne von (die Erbschaft) ,annehmen' gebraucht wird. Unbegründet ist Dulckeits, 118 Fn. 3, Konjektur: sed et si non adierit. Für Krüger 396 f. ist die Stelle unverständlich.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

Sollemnitas iuris bezeichnet die an einen gültigen Erbantritt zu stellenden Anforderungen, meint also die herkömmlichen Formen des Erbantritts64 . Ihnen werde nach ständiger Reskriptenpraxis genügt, wenn statt der iussu patris vollzogenen pro herede gestio des zum Erben eingesetzten Sohnes der Vater selbst vo/untate filii die gestio vornehme 65 . Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten der Fallgestaltungen nicht zu leugnen. Die Vorstellung eines Rollentauschs zwischen Vater und Sohn in der Pius-Entscheidung liegt nahe, auch wenn darin weder die voluntas filii ausdrücklich erwähnt noch der lange Besitz des Vaters als eine pro herede gestio gekennzeichnet wird 66 . Gleichwohl glauben wir, daß die ursprüngliche Konzeption des Pius-Reskripts eine andere war und daß erst die nachklassische Jurisprudenz das Reskript in den umfassenderen Bereich des Rollentauschs beim Erbantritt einbezogen hat. Zum Beweis dieser These ist zunächst der Kontext der Stelle zu klären: (pr.) (§ I) (§ 2)

Qui in aliena est potestate, non potest invitum hereditati obligare eum in cuius est potestate, ne aeri alieno pater obligaretur. Sed in bOIlOrum possessione placuit ratam haberi posse eam, quam citra voluntatem adgnovit is qui potestati subiectus est. Sed et si legitima hereditas filio delata sit ex senatus consulto Orfitiano matris, idem erit probandum 67

Das principium, von Schulz 68 zu Recht als Sabinus-Lemma angesehen, gibt das Thema an: der Gewaltunterworfene kann eine Erbschaft ohne Willen seines Gewalthabers nicht antreten, da diesen die Erbenhaftung trifft. Entscheidend ist das Wort invitum; es wird in den folgenden § § 1-3 von Ulpian im Hinblick auf die verschiedenen Möglichkeiten der Erbschaftsannahme kommentiert 69. Im pr. setzt Sabinus als selbstverständlich voraus, daß der Wille des Vaters, verkörpert im iussum, einer wirksamen aditio des Sohnes vorangehen 64 65 66 67

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Biondi, DER 246. Sollemnitas im nachklass. Sprachgebrauch bedeutet Herkommen, Gewohnheit: Heumann-Seckel, s.v. sollemnitas. Jedenfalls ist nicht die cretio gemeint. Solazzi, StPav. 5 (1919) 20 Fn. 3; später (DER II 43 f.) leugnet er die Echtheit der Konstitution. Keine Anhaltspunkte findet die Ansicht Beduschis 180, man habe eine stillschweigende Annahme durch den Sohn vermutet. Die hauptsächlich von Beseler und Solazzi vorgetragenen Bedenken gegen die Echtheit des Textes (vgl. Ind. und Beseler, SZ 66, 1948, 375 f.; Solazzi, DER II 42; lURA 3, 1952,24 f.) zerstreut mit Recht Volterra 570 f. und Fn. 2-3. Schulz, Sabinus-Fragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906) 22; abweichend Lenel, Das Sabinussystem (1892) 29. Anders Schulz (oben Fn. 68) 22, der nur in § 3 eine Kommentierung des Wortes invitum, in § 1 und § 2 dagegen eine Kommentierung von hereditati sieht. Doch hat Ulpian sicherlich nicht überall dort, wo er bei Sabin den Begriff hereditas vorfand, das Wort zum Selbstzweck kommentiert. Wichtig war es nur dann, wenn sich im Zusammenhang mit einem anderen Problem für die bonorum possessio Abweichendes ergab: hier z.B. hatte Ulpian zu prüfen, ob und zu welchem Zeitpunkt der Wille des Vaters bei der bonorum possessio vorliegen mußte. Der Wille ist also das übergeordnete Problem.

8. VIp 6 Sab D 29.2.6.3

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muß 70. Ulpian ergänzt in § 1, daß für den Antrag auf Erteilung der bonorum possessio der nachträglich erteilte Wille, die ratihabitio, genügt. § 2 bringt den Kommentar auf den neuesten Stand: Ulpian untersucht den einzig möglichen Fall, bei dem der gewaltunterworfene Sohn ziviler Intestaterbe eines extraneus sein kann, nämlich den Fall der durch das SC Orfitianum im Jahre 178 eingeflihrten gesetzlichen Erbfolge der Kinder nach der Mutter 71 . Mit Recht konnte hier, solange die Bedeutung des SC. noch nicht allenthalben bekannt war, die Frage gestellt werden, ob auch für die s e Erbschaftsannahme der Wille des Vaters erforderlich ist. Dahinter verbirgt sich die bisweilen noch heute aufgeworfene Frage, ob das Sc. das ius acquirendi des Vaters zugunsten eines Eigenerwerbs des Sohnes durchbrochen hat 72. Ulpian entscheidet: "idem erit probandum". Solazzi 73 will dies nur auf § 1 beziehen; die Aussage reduzierte sich dann auf die Feststellung, auch bei der gesetzlichen Erbschaft könne der agnitio des Sohnes die Ratifikation des Vaters nachfolgen. Unseres Erachtens liegt es jedoch näher, § 2 zunächst auf das pr. zu beziehen, denn Ulpian wollte sicherlich klarstellen, daß Sabins Satz, aufgestellt für den filius heres ex testamento, auch für den filius als Intestaterben der mütterlichen Güter gilt 7 4 . Ohne den Willen des Vaters kann also der Sohn auch eine solche Erbschaft nicht antreten. Die Frage, wann dieser Wille vorliegen muß, wird in § 2 gar nicht angeschnitten. Ulpian setzt voraus, daß dafür die üblichen Regeln maßgebend sind: tritt der Sohn nach Zivilrecht an, muß das iussum der aditio vorangehen; nimmt er nach prätorischem Recht die Erbschaft an, genügt die nachfolgende ratihabitio. Nun wird der Bezug der Worte idem erit probandum ganz deutlich: flir den zivilen Erbantritt des filius gilt die Aussage des pr., für die prätorische Erbschaftsannahme dagegen die des § 1. Der Sohn sieht sich damit als gesetzlicher Erbe der Mutter bei der Annahme der Erbschaft den gleichen Anforderungen ausgesetzt wie als ihr Testamentserhe 7 5 . Das neu aufgezeigte Bezugssystem der §§ pr.-2 hat Konsequenzen für die Interpretation unseres § 3. Bisher gingen nahezu alle Bearbeiter offensichtlich davon aus, § 3 könne inhaltlich nur an das pr. anschließen, regele also einen

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S. auch VIp 8 Sab D 29.2.25.4. Kaser I § 16811 2 und 3; Volterra 571. Mit Recht ablehnend Volterra 567 ff., Matringe, St. Grosso 5 (1972) 376. Solozzi, DER 11 43· - Bonfante VI 195 = 242 scheint die ratihabitio auch für den zivilen Erbantritt nach dem Sc. Orfitionum zuzulassen, ebenso Fadda, DER 11 91. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Volterra 572, obwohl er im Ansatz Solozzi folgt. Die Funktion des Ausdrucks idem erit probandum erschöpft sich also nicht in der bloßen Übertragung der Rechtsfolge des vorhergehenden Sachverhalts; es wird vielmehr auch eine stillschweigende gedankliche Differenzierung auf Tatbestandsebene vorgenommen. Ein solch unsauberes methodisches Vorgehen bereitet dem Interpreten oft große Schwierigkeiten. Eine ähnliche Beobachtung ist bei Iav 5 post Lab D 41.2.51 (idem iuris esse) zu machen.

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

beliebigen Fall testamentarischer Einsetzung eines filiusfamilias. Einer Verknüpfung mit dem Fall der gesetzlichen Erbfolge in § 2 schien entgegenzustehen, daß das Pius-Reskript unmöglich einen derartigen Fall des zeitlich viel späteren Sc. Orfitianum zum Gegenstand haben konnte. In Wirklichkeit jedoch schließt § 3 sachlich unmittelbar an § 2 an 76 . Auch § 3 geht nämlich davon aus, daß dem filiusfamilias die mütterliche Erbschaft anfällt; freilich fehlt es hier, im Unterschied zu § 2, an der aditio. Man wird sogar den Fall der gesetzlichen Erbfolge des Sc. Orfitianum in den § 3 hineinprojizieren dürfen. Man kann sich gut vorstellen, ~1 der zur Zeit der Abfassung der Schrift regierende Kaiser (imperator noster) einen Fall des Sc. Orfitianum entschieden hatte. Ulpian erinnerte sich dieser Entscheidung und fügte sie an der passenden Stelle in seinen Kommentar ein, ohne dabei jedoch die Tatsache zu unterschlagen, daß bereits Antoninus Pius die Lösung, freilich für den zu seiner Zeit allein möglichen Fall der testamentarischen Einsetzung des Sohnes durch die Mutter, vorgezeichnet hatte. Da es Ulpian oder den Kompilatoren bei der Erwähnung des Pius-Reskripts wohl nur um den Hinweis auf die historische Grundlegung der ratio der Entscheidung ging, wird man die kleine Ungenauigkeit, die sich aus der Unmöglichkeit einer Beziehung des Pius-Reskripts zum SC Orfitianum ergibt, nachsehen dürfen 78. Diese Interpretation, die auch dem Reskript des regierenden Kaisers einen eigenständigen Stellenwert zumißt, ist für sich betrachtet gewiß nicht zwingend; sie wird jedoch wahrscheinlich, wenn es gelingt, das rätselhafte Erfordernis des ,langen Besitzes' des Vaters zu ergründen. Diu possidere drückt den Zustand langandauernden, vielleicht generationsübergreifenden 7 9 Besitzes aus; offen bleibt dabei, wie der Besitz begründet worden ist. Die Schwäche der herkömmlichen Meinung besteht darin, daß sie nicht zu erklären vermag, weshalb hier erst der lange Besitz und nicht bereits die sonst genügende Besitzergreifung der Erbschaft als pro herede gestio gelten so1180 . Das Problem löst sich, wenn man annimmt, daß es einer Besitzergreifung nicht bedurfte, weil sich der Vater zum Zeitpunkt der Delation der Erbschaft an den filiusfamilias bereits im Besitz der Güter des Erblassers befand. Eine solche Vorstellung ist nur dann le-

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So auch Meinhart, Die SCa. Tertullianum und Orfitianum etc. (1967) 146, jedoch mit der voreiligen Schlußfolgerung, § 2 sei überarbeitet, da Pius sich nicht zum Sc. Orfitümum habe äußern können. Sehr wahrscheinlich ist Caracalla gemeint, unter dessen Herrschaft I Jlpian eine zweite Auflage seines Kommentars herausgegeben haben soll, vg!. Lenel, Pa!. Ir 1019 Fn. 3; Gualandi Il 186 ff.; Fitting 113; Krüger 245 Fn. 174. Für Septimius Severus: Voci 1603. Vielleicht war schon im Reskript des imperator noster auf das Pius-Reskript als Präzedenzfall verwiesen. So in Scaev 19 dig D 32.38.4 = 3 resp D 32.93pr. Biondi, DER 245, meint lapidar, der einfache Besitz könne nicht die pro herede gestio nach sich ziehen.

8. VIp 6 Sab D 29.2.6.3

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bensnah, wenn es sich bei dem Erblasser nicht um einen beliebigen Dritten, sondern gerade um die Ehefrau des paterfamilias und Mutter desfiliusfamilias handelte. Die gewaltfreie Frau 81 überließ ihr Vermögen bei gesunder Ehe regelmäßig der Verwaltung ihres Mannes82 . Sie selbst blieb dabei ziviler Besitzer ihrer Güter; ihr Mann war als Mandatar oder negotiorumgestorpossessor, also einfacher detentor. Mit dem Tod der Frau erlosch der zivile Besitz, da die Frau keine sui hatte, auf die er hätte übergehen können. Der Mann blieb weiterhin detentor und mußte den Antritt und die Weisungen des eingesetzten Erben abwarten. Die weitere Verwaltung der Güter bis zum Erbantritt konnte daher nicht von vornherein - unter dem Blickwinkel der Lehre vom Rollentausch - als pro herede gestio gewertet werden 83 . Auch eine usucapio pro herede des Nachlasses kam nicht in Betracht, da in der Hochklassik nicht mehr die Erbschaft als solche, sondern nur ihre einzelnen Vermögensbestandteile ersessen werden konnten 84 Blieb damit die Erbschaft ohne dominus, so hatte es doch der pater andererseits in der Hand, seinen Sohn durch Erteilen des iussum zum Antritt zu bewegen und sich selbst dadurch den zivilen Besitz und die Erwerberstellung zu verschaffen. Die Gründe, die den Vater bestimmten, das iussum nicht zu erteilen, gleichwohl aber vielleicht über Jahre mit dem Nachlaß zu wirtschaften, sind uns nicht bekannt. Vielleicht hielt er die Einhaltung der Förmlichkeiten für überflüssig, in der Meinung, ohnehin nicht mehr durch sie zu erlangen als er schon besaß. Vielleicht hielt er sich bewußt zurück, weil etwa der Nachlaß insolvenzverdächtig war und auf lange Sicht gefahrlich werden konnte. Jedenfalls mußte es eines Tages auf die Frage, ob er Erbschaftserwerber geworden war, angekommen sein. Wir können uns vorstellen, daß etwa der gesetzliche Erbe der Frau, ihr gradnächster Agnat, dem Mann das Erbe streitig machte oder etwa ein Erbschaftsgläubiger mit einer größeren Forderung vorstellig wurde. Man holte sich Rat beim Kaiser. Pius entschied: credendus est admisisse hereditatem. Subjekt zu credendus kann vernünftigerweise nur der Vater sein, denn man scheint diese Folgerung aus dem langen Besitz des Vaters zu ziehen. Der Vater wird als einer angesehen, der die Erbschaft zug e las sen hat. Die wörtliche Übersetzung des Ausdrucks hereditatem admittere ist hier durchaus 81 82

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Gewaltfreiheit der Ehefrau war unter dem Prinzipat die Regel, Kaser I § 76 11 1; seit Hadrian konnte die gewaltfreie Frau selbständig testieren: Gai 1.115a; 2.112. Kaser I § 79 I; Sailer, Der Tatbestand der negotiorum gestio im röm. Recht (1968) 141 und Fn. 46 mwN. Das ist eine Konsequenz der faktischen Vermögensgemeinschaft unter Ehegatten: der Überlebende setzt die Vermögensgemeinschaft mit der ruhenden Erbschaft des Verstorbenen fort, bis der Erbe antritt, s. unter Hinweis auf Pap 10 resp D 3.5. 32 Wacke, Actio rerum amotarum (1963) 101 und Fn. 125. Gai 2.54; Kaser I § 177 11; Franciosi, Usucapio pro herede (1965) 132 ff. Die Andeutung Krügers 397 ist also verfehlt. Eher könnte man an einen Vorläufer der longi temporis praescriptio denken (dazu sofort bei Fn. 85 im Text).

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§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

treffend. Der Vater hat die Erbschaft nicht zugelassen, weil er kein iussum erteilt hat; aufgrund seines langen Besitzes wird er jedoch wie ein solcher angesehen, der die Erbschaft zugelassen hat. Der lange Besitz steht damit stellvertretend für das iussum. Wie das iussum zu erkennen gibt, daß der Gewalthaber die Erbschaft erwerben will, so zeigt auch der lange Besitz der Erbschaftsgüter den Erwerbswillen an: ja noch mehr, er signalisiert geradezu, daß sich der Besitzer bereits als Erwerber der Erbschaft versteht. Bei der besonderen Fallgestaltung kann von der aditio des Sohnes, der ohnehin bloß noch formale Bedeutung zukäme, ersatzlos abgesehen werden. Der Verzicht wird gewiß durch die anscheinend indifferente Haltung des Sohnes zu dem Geschehen erleichtert. Möglicherweise liegt hier die Wurzel zu dem Erfordernis der voluntas filii, einer wesentlichen Komponente der Lehre vom Rollentausch zwischen Vater und Sohn. Jetzt eröffnen sich klar die Bezüge des § 3 innerhalb des Fragments. Ulpian übernimmt den Tatbestand zum Teil aus § 2, kommentiert mit § 3 und den angeführten Reskripten jedoch das Wort invitum aus Sabins Regel im pr. Auch in § 3 wird nämlich der Vater nicht ohne oder gegen seinen Willen der Erbschaft verhaftet. Nimmt man den Bezug auf das pr. ganz genau, so kann der dem Reskript zugrunde liegende Sachverhalt eigentlich nur die Frage nach der Haftung des Vaters als möglicher Erbschaftserwerber aufgeworfen haben. Die Pius-Entscheidung gewinnt damit eine neue Dimension: Der Vater, der die Erbschaft lange Zeit in Besitz (detentio) hatte, sie verwaltete, mit ihr arbeitete, sich für seine Aufwendungen aus ihr schadlos hielt, soll sich nicht darauf berufen dürfen, er habe die Erbschaft nicht dem Rechte gemäß erworben, hafte also den Erbschaftsgläubigern nicht. Wer jahrelang nach außen den Eindruck erweckt, Titular der Erbschaft zu sein, im Grunde jedoch durch seine Hinhaltetaktik den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge oder den Anfall an den Fiskus,jedenfalls die Herbeiführung klarer Verhältnisse verzögert, muß sich den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens gefallen lassen und die negativen Konsequenzen tragen. Die Berufung auf eine formale Rechtsposition, auf das Fehlen der sollemnitas iuris, wird ihm abgeschnitten. Der Gedanke des Rechtserwerbs durch Zeitablauf, dessen Selbstverständlichkeit bereits vor dem Auftauchen des Instituts der longi temporis praescriptio Dieter Nö"85 nachgewiesen hat, wirkt auch in dem Pius-Reskript, freilich in letzter Konsequenz wegen der Haftung gegen den Erwerber. Nörr führt die Stelle nicht an; es ist jedoch evident, daß das Reskript in dem von Nörr erarbeiteten Argumentationsfeld zwischen Rechtssicherheit , Vermutung der Rechtmäßigkeit einer länger bestehenden Rechtslage, Verschweigung durch lang anhaltende Säumnis, gutem Glauben, Interessenabwägung und Billigkeit 86 anzusiedeln ist. Der Gedanke der Verwirkung einer Rechtsposition wegen Zeitab-

85 Nörr, Die Entstehung der longi temporis praescriptio (1969) 26 ff., 63 ff., 71 ff.

86

Nörr (oben Fn. 85) 71 f.

Zusammenfassung

61

laufs ist dem Repertoire der Kanzlei unseres Kaisers im übrigen nicht fremd. Wer, um bei seinem Schuldner einen angenehmen Eindruck zu erwecken, während eines langen Zeitraums die Einforderung der laufenden Zinsen unterlassen hat, soll auf die fällig gewordenen Zinsforderungen später nicht mehr zurückgreifen dürfen 87 Es hat sich herausgestellt, daß das Pius-Reskript, wie wir vermuteten, von der aditio des Sohnes absieht und das iussum des Vaters durch langen Besitz ersetzt. Die herrschende Auffassung vom Rollentausch zwischen Vater und Sohn kann das Reskript nicht länger für sich beanspruchen. Es paßt viel besser in die Reihe der in diesem Kapitel behandelten Reskripte, bei denen man auf die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Vater und Sohn aus zwingenden Gründen des Einzelfalls verzichten konnte 8 8. Allerdings mag sich aus diesem Reskript, sei es aufgrund verfehlter Interpretation, sei es aufgrund bewußter Weiterentwicklung, durchaus die Lehre gebildet haben, die in der frühen Nachklassik ihre allgemeine Formulierung in der Konstitution des Kaisers Decius 89 gefunden hat und von den heutigen Autoren als Lehre vom Rollentausch bezeichnet wird. Zusammenfassung Die Reskripte Nr. 6, 7 und 8 haben Fälle gestörten Zusammenwirkens von Gewalthaber und Gewaltunterworfenem beim Erbschaftserwerb zum Gegenstand. Obgleich der paterfamilias das iussum zum Erbantritt nicht erteilen kann (6, 7) oder nicht erteilen will (8), läßt Pius den Erbschaftserwerb entgegen den Vorschriften des ius civile zu. Furiosität (6), Abwesenheit aus Staatsgründen (7) und langer Besitz des Vaters (8) sind die äußeren Gründe, die den Verzicht auf das iussum rechtfertigen. Die Eingriffe in das Zivilrecht sind in ihrer Intensität abgestuft: Fordert man bei Nr. 6 noch die aditia des Sohnes, so verzichtet man bei Nr. 7 und 8 auch auf sie. Einmal wird sie durch den Tod des Sohnes unmöglich (7); zum anderen entbehrt sie aufgrund der vollendeten Tatsachen einer materiellen Berechtigung (8). Gewiß hat das Verbleiben des Vermögens in der Kleinfamilie den Verzicht auf die aditia erleichtert. Zur inneren Rechtfertigung der Entscheidungen trägt jeweils der Gesichtspunkt des favar testaPaul I. sing de usuris D 22.1.17.1.: ,,Divus Pius ita rescripsit: ,Farum iuste praeterltas usuras petis, quas omisisse te longi temporis interva[[um indicat, qui (quo:scr.) ea.~ ~ debitore tuo, ut gratlor apud eum videlicet esses, petendas non putastl. 88 Ähnlich erklärt sich C 3.31.10 (a. 294) : ,,si filius familias delatam sibi hereditatem per longum tempus detinuit, eo ipso utpote agnita hereditate patri suo eius comm.0 dum adquisiisse videtur". Es scheint demnach nicht darauf angekommen zu sem, ob der Vater oder der Sohn die Erbschaft lange Zeit besessen hat. 89 Die weitere Entwicklung nach Decius, die von Aufweichungstendenzen bei der cretio und der Sonderbehandlung der bona materna geprägt wird, bleibt wegen der Textverderbnis in CT 8.18.5 (a. 349) offen. Vgl. jedoch hierzu Voci I 647; Kaser 11 § 291 Fn. 31.

87

62

§ 3. Erbschaftserwerb durch hereditatis aditio

menti bei. Die Aufrechterhaltung der testamentarischen Erbfolge kann dabei im Ergebnis durchaus auch gegen den Erwerber ausschlagen (8), Das technische Repertoire zur Realisierung der Entscheidungen erweist sich als fallspezifisch flexibel. Der Kaiser greift zu Fiktionen (6, 8) und zur analogen Anwendung des prätorischen Rechtsmittels der restitutio ,in integrum (7). Pius stellt mit den Reskripten nicht das hergekommene Recht in Frage; vielmehr will er besonders pathologischen Einzelfällen gerecht werden. Allerdings mag in der Reskriptreihe der Ursprung einer Entwicklung gesehen werden, die in nachklassischer Zeit zur Auflockerung und schließlich zur Aufweichung des rigorosen Formalismus beim Erbantritt geftihrt hat.

§ 4. ERBFOLGE GEGEN DAS TESTAMENT

I. Die bonorum possessio contra tabufo.s der filia praeterita Das prätorische Institut der bonorum possessio contra tabufo.s (bpct) trug seit der jüngeren Republik zur Sicherung der Familienerbfolge gegenüber einer schrankenlosen Testierfreiheit beil. Der Erblasser konnte nämlich im Testament seine liberi nicht ohne Konsequenzen für die Erbfolge übergehen. Hatte er einen gewaltunterworfenen Sohn übergangen, erachtete man das Testament als nichtig, und Intestaterbfolge trat ein 2 . Bei übergehung anderer liberi blieb das Testament nach ius civile gültig; allerdings wurden übe r g a n gen e s u i durch das Prinzip der Ab- und Anwachsung neben den Eingesetzten an der Erbschaft beteiligt. Gai 2.124 gibt nähere Auskunft 3 : ... scriptis heredibus in partem accrescunt. si s u i heredes sint, in v ir i I e m, si ex t ra n e i , in dimidiam ... Hiernach erhielt die übergangene filia in potestate, um beim Gaianischen Beispiel zu bleiben, neben eingesetzten sui einen Kopfteil, der ihrem gesetzlichen Erbteil bei Intestaterbfolge entsprach 4 , neben eingesetzten extranei die Hälfte der Erbschaft. Noch diffiziler gestaltete sich die Lage der übergangenen Tochter und der ihr gleichgestellten Personen nach prätorischem Recht. Als übergangene liberi konnten sie zwar einerseits die bpct verlangen und damit jedenfalls die Erbeinsetzungen hinfällig machen, doch konnten andererseits die eingesetzten liberi, selbst die gewalt freien, mit der bp commisso per alium edicto nachziehen und praktisch eine Verteilung nach den prätor ischen Intestaterbteilen erreichen 5 . Gegenüber eingesetzten non liberi extranei aber, die prätorisch, wenn überhaupt, allenfalls in späterer Klasse legitimiert waren, stellte sich die filia praeterita mit der bpct im Vergleich zur zivilen Erbfolge viel günstiger. Sie schlug alle aus dem Felde. Gai 2.125 fährt fort:

2 3 4 5

S. hierzu und zum folgenden Koser I § § 171, 172. Gai 2.123 mit Schulenstreit, wenn der übergangene Sohn vor dem Vater stirbt; vgl. auch VE 22. 16. Vgl. auch VE 22.17. Paul41 ed D 37.4.11.1. Vip 39 ed D 37.4.3.11. Enterbungen ließ der Prätor allerdings bestehen: Vip 40 ed D 37.4.8pr. Insofern konnte es doch zu Differenzen gegenüber der Intestaterbfoige kommen.

64

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Quid ergo est? licet hae secundum ea, quae diximus, scriptis heredibus dimidiam partem detrahant, tarnen praetor eis contra tabulas bonorum possessionem promittit; qua ratione extranei heredes a tota hereditate repelluntur et efficiuntur sine re heredes. In diese Rechtsstellung der filia praeterita griff das folgende Reskript ein: 9a.

Gai 2.126 Et hoc iure utebamur, quasi nihil inter feminas et masculos interesset. sed nuper imperator Antoninus significavit rescripto su0 6 non plus nancisci feminas per bonorum possessionem, quam quod iure adcrescendi consequerentur. quod in emancipatarum quoque persona observandum est, ut hae quoque quod adcrescendi iure habiturae essent" si in potestate fuissent, id ipsum etiam per bonorum possessionem habeant . Das Reskript begrenzte die bpct einer gewaltunterworfenen Frau der Höhe nach auf die Quote, die ihr nach dem Akkreszenzrecht des ius civile zustand. Fortan erübrigte sich also ihr Antrag auf Erteilung der bpct, sofern er lediglich zu dem Zwecke der Erzielung einer höheren als der zivilen Quote gestellt war. Die Urheberschaft des Antoninus Pius wird in der Literatur des öfteren bestritten. Kniep und Solazzi, eifrige Verfechter der Lehre von den nachgaianischen Glossen im Gaius, nehmen Gai 2.126 als wichtige Stütze für ihre Lehre in Anspruch. Sie schreiben das Reskript Antoninus Caracalla zu und berufen sich dabei auf eine Konstitution lustinians in 8 :

9b. C 6.28.4.1 ... filia autern praeterita ... ex praetore autem habebat contra tabulas bono rum possessionern in totum, constitutio autern Magni Antonini earn in tanturn coartabat, in quantum ius adcrescendi competebat 6

7

8

Viele Editoren ziehen im Anschluß an Huschke das Hyperbaton rescripto suas non plus nancisci [eminas vor. Aber abundante Possessiva waren durchaus gebräuchlich (Nachweise bei David-Nelson II 98 und III 60). Im übrigen ist es wegen des ius accrescendi nicht zweifelhaft, daß das Reskript nur [eminae s u a e betrifft. Das Reskript fehlt in der Sammlung Hänels, Corpus leg um (1857). Lit .. : A. Schmidt, Das formelle Recht der Notherben (1862) 98 ff.; Woess, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter (1910) 153; De Francisci, Bull. 23 (1911) 220 ff. ;Solazzi, Glosse a Gaio 11 (1933) 422 ff.; Lardone, Imperial Constitutions in Gaius, St. Riccobono 1 (1936) 664 f., 685; Renier, Etude sur l'histoire de la querela inofficiosi en droit romain (1942) 34; David-Nelson III 345 f.; Voci II 652; Schindler, Justinians Haltung zur Klassik (1966) 30 ff. Kniep, Der Rechtsgelehrte Gaius und die Ediktskommentare (1910) 2 und Gai institutionum commentarius 11 2(1913) 210 ff.; Solazzi 424 f. Ebenso De Francisci 220 ff.

/. Die bonorum possessio contra tabulas der/ilia praet erita

65

Es handelt sich um einen Auszug aus der Reformkonstitution Justinians an den Prätorianerpräfekten Johannes vom 1. September 531, in der Justinian die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter bei Enterbung und Übergehung im Testament abschaffte 9 . Die darin zitierte Konstitution des Magnus Antoninus ist unstreitig mit dem Reskript des imperator Antoninus in Gai 2.126 identisch, und mit Magnus Antoninus wird in der Kompilation durchweg Caracalla bezeichnet 10 . Doch sollte man diesem Befund kein zu großes Gewicht beimessen, da Justinians historische Berichte bekanntlich wenig zuverlässig sind 11 und ihm an anderer Stelle bezeichnenderweise gerade die umgekehrte Verwechslung der beiden Kaiser unterläuft, als er Antoninus Pius die constitutio A ntoniniana zuschreibt 12 . Jedenfalls ist es plausibler, in C 6.28.4.1 mit der überwiegenden Meinung 13 einen Irrtum der justinianischen Kanzlei anzunehmen als in Gai 2.126 eine spät- oder nachklassische Glosse zu sehen. Knieps14 'Vorwurf, die §§ 125 und 126, welche in der Handschrift einen besonderen Absatz bilden, seien nachträglich eingeschoben und in schlechtem Latein geschrieben, darf als widerlegt gelten. Sie sind zwar in die Darstellung der Erbeinsetzung und Enterbung nach ius civile (§§ 123-124,127-128) eingeflochten, vertragen sich aber gut mit Gaius' Methode, das prätorische Recht dem zivilen überall dort gegenüberzustellen 15, wo ein Verschweigen peinliche Folgen für den Lernerfolg und für die Kenntnis des geltenden Rechts bei den Studenten hätte herbeiführen können 16 . Die Floskelquid ergo est (§ 125) findet sich öfter bei Gaius; sie ergänzt oder erläutert das jeweils behandelte The-

9 10

11 12

13

14 15 16

Einzelheiten bei Francke, Das Recht der Notherben und PfIichttheilsberechtigten (1831) 163 ff.;Schindler 30 ff. Paul D 49.18.5pr.; 50.7.12.1; coll. 4.3.6; Marcian D 39.4.16.11; 44.3.9; 48.17.1pr.; C 9.8.6.3; Mod D 27.1.14.2 (griech. Synonym); 50.4.11.3 und 4. S. schon Kämme· rer, Beiträge zur Geschichte und Theorie des Röm. Rechts 1(1817) 131 ff.; Guakzndi 11 185 (Quellen unvollständig). - Caracalla soll sich das Attribut Magnus wegen seiner glühenden Verehrung für Alexander den Großen selbst beigelegt haben: SHA, vita Carac. 2,1-2; Aurel. Victor, Epitome de Caesaribus 21,4; Herodian 4.8.1-3 (zum Alexanderkult). S. nur Schindler 54 ff. Nov. 78,5: " ... sicut enim Antoninus Pius cognominatus, ex quo etiam ad nos appelkztio haec pervenit, ius Romanae civitatis ... omnibus in commune subiectis donavit ... " Vgl. Guakzndi 11 173 Fn. 7; Schindler 32 Fn. 53 mwN. Sokzzzis Einwand (425 Fn. 358), in Nov. 78,5 sei die Verwechslung der Kaiser verständlich, da die Kanzlei aus dem Gedächtnis zitiert habe, nicht jedoch in C 6.28.4.1, wo Ulpians /ibri ad edictum (arg. § 4) als Vorlage dienten, kann angesichts der Unwägbarkeiten des Entstehungsprozesses der justinianischen Reformkonstitutionen nicht ernstlich treffen. Nachweise bei Schindler 32 Fn. 53; cui adde: David-Nelson 346 (zu § 126 Z 9/10); Voci 11 652; I 135; Guakzndi 11 135. Kniep, Gai inst. comm. 11 2 (1913) 16 Fn. 6. So bereitsSokzzzi 423 unter HinweisaufGai 2.129 und 135. Zum Kollegcharakter der Institutionen s. zuletzt Liebs, ANRW 11 15,229 f. und Fn. 173.

5 Müller-Eiselt

66

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

ma 17 . Auch der Gebrauch des singularischen Kollektivum in emancipatarum ... persona ist nicht vereinzelt 18. Nuper ist in den Institutionen allerdin~s singulär; als Interpolationsindiz hat dies aber trotz Solazzi kein Gewicht 1 , da es sich bei nuper offensichtlich um einen Standardausdruck handelt, ·den vor allem die unter Pius wirkenden Juristen, auch Gaius, stets dann verwenden, wenn sie sich auf ein kürzlich ergangenes Reskript des Kaisers berufen und die genaue Datierung nicht mitteilen wollen oder können 20 . Significare schließlich ist ein bei Gaius besonders beliebtes Wort 21 Sechsmal gebraucht Gaius in den Institutionen die Kaiserbezeichnung imperator Antoninus 22 . Bei zwei Stellen entdeckt bereits ein oberflächlicher Quellenvergleich den zur Zeit der Niederschrift regierenden Kaiser als Antoninus Pius: die beiden in Gai 1.53 erwähnten Konstitutionen zum Schutze der Sklaven vor übertriebener Grausamkeit ihrer Herren weisen lustinian in I 1.8.2 und, jedenfalls die zweitgenannte, Ulp 8 off proc D 1.6.2 sowie Coll 3.3.1-3 ausdrücklich Pius zu 23 . Als Urheber der in Gai 1.102 zitierten Epistel an die pontifices, in welcher die Arrogation von impuberes unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen wurde, wird durch die Zeugnisse Ulp 4 Sab D 28.6. 10.6, 40 ed D 37.6.1.21 und Paul 10 leg lul et Pap D 38.5.13 ebenfalls Kaiser Pius identifiziert. Es liegt daher nahe, auch die vier übrigen Zitate auf Antoninus Pius zu beziehen. Dazu paßt, daß einerseits der Tod Hadrians vorau?esetzt 24 , andererseits aber kein späterer Kaiser als Pius angeführt wird 2 . Da Pius bei seiner letzten Nennung in Gai 2.195als verstorben bezeich17 18 19 20 21 22 23

24 25

Gai 2.151a, 212; 4.51, 81; 4 ed prov D 4.7.3.5. Vgl. Solazzi 423 Fn. 350. Gai 1.123 ; David-Nelson 11 98 (zu § 126 Z. 12). Zu rescripto suo vgl. oben Fn. 6. Richtig David-Nelson III 346 gegen Solazzi 424 Fn. 355. Maurician 2 leg Iul et Pap D 33.2.23; Pomp 2 Qu Muc D 32.85; Gai 11 ed prov D 24.1.42. Allein viermal gebraucht er es bei Pius-Konstitutionen: Gai 2.126, 151a; 3 leg ed praet D 30.73.1; 2 fideic D 36.1.65.5; aber auch sonst sehr häufig: Gai 1.80, 81 (SC), 93 (Edikt), 94 (subscriptio), 96 (epistulae) etc. Gai 1.53, 74, 102; 2.120, 126, 151a; ein siebentes Mal dürfte sie in Gai 2.149a zu ergänzen sein. Diese für die Rechtspolitik des Kaisers außerordentlich wichtigen Konstitutionen würdigt zuletzt Casavola, Labeo 14 (1968) 267 ff. - Gai 1.53 ist übrigens verkürzt in D 1.6.1.2 aufgenommen. Dort haben die Kompilatoren divus in die Kaiserbezeichnung eingefügt, vielleicht irregeführt durch das Attribut sacratissimus in Gai 1.53. Der Superlativ, der in literarischen Quellen und in Inschriften jedenfalls seit Trajan belegt ist (s. David-Nelson 111 71 f. zu Z. 13/14) und bei den Juristen nur von Gaius gebraucht wird (vgl. Gai 1.53, 77, 81, 94; 2.285; I sing Sc. Orph D 38.17.9), dient als Ehrentitel für die Kaiser Hadrian, Pius und Mark Aurel, besagt aber nichts darüber, ob der Geehrte noch unter den Lebenden weilt. So fügt Gaius, wenn er von sacratissimus Hadrianus spricht, stets divus bei (Gai 1.77, 81, 94; 2.285). Vgl. Gai 1.7, 30,55,73,77,81,84,92,93,94, 115a; 2.163,221,280,285,287; 3.73, 121, 121a. Die beiden Ausnahmen Gai 1.47 und 2.57 (ohnedivus) fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Eine Tabelle aller in den Institutionen vorkommenden Konstitutionen hat Lardone, St. Riccobono 1 (1936) 696 f. erstellt. Er läßt die Bezeichnung Antoninus allerdings unverständlicherweise doppeldeutig erscheinen, wenn er stets von den Antoninen Pius und Mark Aurel spricht. Nirgends in den Institutionen ist indessen eine Bezugnahme auf Mark Aurel nachzuweisen.

1. Die banarum passessia contra tabu/as der JWa praeterita

67

net wird, sind einige Antoren sogar der Ansicht, der Kaiser sei zwischen der Abfassung von Gai 2.151 a und 2.195 gestorben, und die Institutionen seien mithin ca. 160/161 verfaßt worden 26 . Richtig dürfte sein, geht man von dem unbestreitbaren Charakter der Schrift als Vorlesungsmanuskript oder -nachschrift aus, eine möglicherweise vom Autor selbst kurz nach dem Tode des Pius herausgegebene endgültige Fassung der Schrift anzunehmen 27 . Doch mag es für unsere Zwecke genügen, Pius als Urheber des Reskripts in Gai 2.126 wahrscheinlich gemacht zu haben. Letzten Aufschluß über die Urheberschaft gibt indessen eine genaue Untersuchung über Tragweite und Bedeutung des Reskripts. Kniep ist der Ansicht, die Hintanstellung der Frauen entspreche eher dem Zeitalter Caracallas und könne als Auswirkung der Ausdehnun~ des römischen Bürgerrechts auf den griechischen Kulturkreis erklärt werden 8. Die auch von anderer Seite getroffene Feststellung der Frauenfeindlichkeit des Reskripts 29 verschlägt jedoch nicht, denn es hat auf die in der Praxis wohl überwiegende Anzahl der Fallgestaltungen gar keinen Einfluß, wie die folgende Tabelle (s. S. 68) zeigt. Nur bei einer Fallgestaltung ist die prätorische Quote der filia sua praeterita tatsächlich höher als die zivile: wenn nämlich der Erblasser ausschließlich extranei als Erben eingesetzt hat und, was sich von selbst versteht, außer der filia keine weiteren übergangenen liberi vorhanden sind (I 1, 12). Nur für diesen Fall ändert das Reskript die Rechtslage. Die nach prätorisehern Recht verdrän§ten extranei kommen wieder in den Genuß der Hälfte der Erbschaft 3 , während die filia gegenüber dem bisherigen Recht die Hälfte einbüßt.

In den übrigen Fällen aber, sobald eingesetzte oder mitübergangene Geschwister existieren, ist, unabhängig davon, ob der Erblasser die Quoten gleichmäßig oder in unterschiedlicher Höhe ausgesetzt hat, die zivile Quote der filia stets größer als die prätorische (3, 7, 8, 9, 10) oder doch zumindest gleich groß (1,2,4,5,6)31. 26 27 28 29 30 31

5"

S. nur Dernburg, Die Institutionen des Gajus, ein Collegienheft aus dem Jahre 161 nach Christi Geburt (1869) 73 f., 79 f.;Fitting 57. Zu den verschiedenen Auffassungen s. Liebs, ANRW 11 15, 229 ff. und vor allem Fn. 173. Hanare, Gaius (1962) 58 ff., setzt die hauptsächliche Überarbeitung des Werks, wohl zu feinsinnig, zwischen 150 und 156 an. Kniep, Gai inst. comm. 112 (1913) 212 f. A. Schmidt 98 f. Er weist das Reskript allerdings zu Unrecht Mark Aurel zu. Schmidt 105 f. (besonders 106 Fn. 26) schlägt als technische Lösung eine bp secundum tabulas der extranei neben der bpct der filia vor. Fall 5 wurde bereits gelöst von Schulz, Classical Roman Law (951) 272 Ziff. 470 (Fall a); Schulz hat auch an einem Einzelfall gezeigt, daß die zivile Quote der ti/ia sua praeterita höher sein kann als ihr Intestaterbteil (der allerdings nur dann der prätorischen Quote entspricht, wenn niemand enterbt ist, vgl. oben Fn. 5), vgl. 267 Ziff. 461 (Fall d). S. auch Schindler 31 f. Fn. 54 f.

6B

~

lnstituti

4 Erbfolge gegen das Testament

Quote der

filia sua praeterita nach Zivilrecht (Akkreszenz)

Quote der

Quote der

1/2

1/2

IQuoten der

instituti nach filia sua prae- instituti na (CI! Zivilrecht terita nach prä!. Recht ( Dekreszenz) prät. Recht (bpct commisso (bpct) p.a. edicto)

I.

FS Alleinerbe oder FE Alleinerbe

1/2

2.

FS I FS 2 je 1/2

1/3

FS I FS 2

1/3 1/3

1/3

FS I FS 2

1/3 1/3

3.

FS FE

je 1/2

1/2

FS FE

1/4 1/4

1/3

FS FE

1/3 1/3

4.

FS E

je 1/2

1/2

1/2

FS E

1/2

FS E

2/8 6/8

4/8

FS E

1/8 1/8

4/8

FS E

4/8

6.

FS E

6/8 2/8

4/8

FS E

3/8 1/8

4/8

FS E

4/8

7.

FS I FS 2 je 1/3 FE

14/36

FS I FS 2 FE

8/36 8/36 6/36

9/36

FS I FS 2 FE

9/36 9/36 9/36

8.

FS I FS 2 je 1/3 E

7 j18

6j18

FS I FS 2 E

6j18 6j18

FS I FS 2 E

6j18 6j18

5.

9.

FS I FS 2

3j18 3/18 12/18

8j18

18/36 PS 2 12/36 E 6/36

13/36

~

FS

1/4 1/4 (vgI.PS3. 4B .8)

E

FS I 4/18 FS 2 4j18 3j18 E (vgl. PS 3. 4B.8) FS I FS 2 E

2j18 2/18 6j18

6j18

FS I 10/36 FS 2 10/36 E 3/36

12/36

1/2

-

-

-

-

-

10.

I~S I

11.

E Alleinerbe

1/2

E

1/2

total

E

-

12.

Mehrere E

1/2

alle E zus. 1/2

total

alle E

-

Zeichenerklärung: FS

= filius suus;

FE

FS I 12/36 FS 2 12/36 E -

= filius emancipatus; E = extraneus

I. Die bonorum possessio contra tabulas der tilia praeterita

69

Man darf davon ausgehen, daß dem Reskript ein Sachverhalt der Fallgruppe 11 oder 12 zugrunde lag und der Kaiser und seine Rechtsberater sich des beschränkten Regelungsbereichs bewußt waren. Angesichts dieses Befundes fällt die Theorie einer im Geiste der Zeit liegenden allgemeinen Zurücksetzung der Frau in sich zusammen. Eine andere Erklärung ist vonnöten. Sie vordergründig im Schutz der extranei und der damit verbundenen stärkeren Respektierung des Erblasserwillens zu suchen, kann nicht zum Ziele fUhren. Unerfindlich wäre es dann, den Schutz zu versagen und die extranei leer ausgehen zu lassen, wenn ihnen der Erblasser männliche Nachkommen als Miterben zur Seite gestellt hatte (4, 5, 6, 8, 9,10). Wir glauben, die Gründe im System der römischen Erbfolgeordnung ausmachen zu können. Der von Gaius vielleicht im Original wiedergegebene Wortlaut des Reskripts mag zunächst den Gedanken anregen, das prätorische Erbrecht dürfe im Konkurrenzfall nicht weiter reichen als das zivile. Da die bpct nicht darauf angelegt war, eine ohnehin bestehende zivile Berechtigung zu vermehren, sondern eine nach Zivilrecht nicht existierende Erbberechtigung überhaupt erst zu schaffen 32 , schien es konsequent, den Anreiz, den dieser Aspekt der bpct der filia sua praeterita nach herkömmlichem Recht bot, zu eliminieren. Doch trägt der Gedanke nicht allgemein 33 , denn die beschriebene Konkurrenzsituation kann auch in einem anderen Fall auftreten, der nicht von der Regelung des Reskripts erfaßt wird. Ein in der Gewalt des Erblassers stehender übergangener Enkel 34 verdrängt nämlich den eingesetzten extraneus zivilrechtlieh um die Hälfte, nach prätorischem Recht jedoch ganz. Sollte Pius diesen, obschon relativ selten vorkommenden Fall einfach übersehen haben? Das wäre kaum glaublich. Die Sammelbezeichnung feminae im Reskript und die Gegenüberstellung der Geschlechter in Gaius' einleitender Bemerkung zeigen, daß nicht nur die übergangene Tochter, sondern auch die übergangene Enkelin und überhaupt jede weibliche, unmittelbar gewaltunterworfene Person von der Regelung des Reskripts betroffen, masculi dagegen offenbar bewußt ausgenommen waren. Der nepos in potestate praeteritus war sogar der Prototyp der nicht betroffenen masculi, da die übergehung eines filius suus praeteritus zur Nichtigkeit des Testaments und damit von vornherein zum Ausschluß der eingesetzten extranei führte. Doch welcher Unterschied, außer im Geschlecht, bestand im römischen Erbrecht zwischen filia oder neptis sua praeterita und nefXJs suus praeteritus, der eine differenzierte Behandlung rechtfertigen könnte? 32 33 34

S. zu dieser Funktion der bpct (Schutz der liberi emancipati) ausführlich La Pira, Succ. 320 ff. Unrichtig Voci 11 652, der unter Verkennung der Tragweite des Reskripts diesen Gedanken offensichtlich nicht nur auf Frauen anwenden will. Der nepos mußte bereits bei der Errichtung des Testaments Noterbe sein. Wurde er es er~t später, z.B. durch den Tod seines in der Gewalt des Erblassers stehenden Vaters, lag testamentum ruptum (quasi adgnatio) vor, wie bei Übergehen eines postumus. Vgl. Gai 2 inst D 28.3.13;Francke, Das Recht der Notherben und Pflichttheilsberechtigten (\831) 73.

70

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Unterschiedlich waren in dem hier interessierenden Bereich allein die Anforderungen, die man an die testamentarische Enterbung stellte. Nach ius civile mußte der filius suus nominatim enterbt werden; bei allen anderen sui, gleich welchen Geschlechts, genügte die Enterbung inter ceteros 35 . Macht man sich klar, daß das Akkreszenzrecht eine Sanktion für Verstöße des Erblassers gegen die Enterbungsregeln darstellt, wird einsichtig, daß bei gleichen Anforderungen an eine Enterbung gleiche Sanktionen im Falle des Verstoßes drohen müssen. Sowohl nepos in potestate als auchfilia in potestate sind inter ceteros zu enterben; bei Übergehung steht beiden das gleiche Akkreszenzrecht zu. Diese Lösung ist systemgerecht. Anders verhält es sich nach prätorisehern Recht. Hier verlangt der Prätor bei männlichen tiberi namentliche Enterbung, bei weiblichen läßt er Enterbung inter ceteros genügen 3 6. Die Vorzugsstellung des filius suus unter den männlichen liberi bleibt gewahrt, da seine Übergehung zur prätorisehen Intestaterbfolge, die Übergehung aller anderen männlichen wie weiblichen tiberi dagegen nur zu einer Vernichtung der Erbeinsetzungen ftihrt 3 7 . Das prätorische System ist in einem Punkt aber ersichtlich inkonsequent: es stuft einerseits hinsichtlich der Anforderungen an eine Enterbung die sonstigen männlichen tiberi zum fitius suus auf und distanziert sie dadurch von den weiblichen tiberi. So ist der nepos in potestate nominatim, die filia sua nur inter ceteros zu enterben. Andererseits ist trotz dieser unterschiedlichen Anforderungen die Sanktion bei Übergehung die gleiche: beiden wird die bpct in totum gewährt, quasi nihil inter feminas et masculos interesset, wie es Gaius anschaulich ausdrückt. Die qualifizierte Anforderung an die Enterbung des nepos in potestate ist damit ohne Sinn. Hier, so glauben wir, liegt der Ansatzpunkt des Pius-Reskripts. Der Kaiser respektierte die vom prätorischen Recht geschaffene Differenzierung zwischen Mann und Frau bei der Form der Enterbung und damit auch die im prätorischen Recht vorgegebene Ungleichheit der Geschlechter. Die Differenzierung sollte sich aber, um eine innere Berechtigung zu haben, auch in den Rechtsfolgen bei Übergehung niederschlagen. Folglich mußte die Rechtsstellung der Frau geschmälert werden. Als Lösung bot sich an, die Quote der Frau bei der bpct generell auf das Maß zu beschränken, das sie bei unterlassener inter ceteros-Enterbung auch nach Zivilrecht hätte. Damit war die Inkonsequenz des prätorischen Rechts beseitigt und gleichzeitig eine gewisse Harmonisierung von Zivilund prätorischem Recht bei der Enterbung inter ceteros erreicht. Beim Mann dagegen konnte die bpct weiterhin über das Maß der zivilen Akkreszenz hinaus gewährt werden, da das prätorische Recht an seine Enterbung höhere Anforderungen als das Zivilrecht stellte. 35 36 37

Gai 2.127,128; UE 22.20. Gai 2.129 mit 135. Vgl. oben Fn. 5.

I. Die bonorum possessio contra tabu/as der filia praeterita

71

Kaiser Pius korrigiert mit dem Reskript eine äußere Systemwidrigkeit der prätorischen Testamentserbfolgeordnung, ohne diese allerdings in ihrer inneren Folgerichtigkeit in Frage zu stellen. Dadurch nimmt er in Kauf, daß die Korrektur in ihren, wenn auch beschränkten praktischen Auswirkungen zu einer Vertiefung der in der prätorischen Testamentserbfolgeordnung nur im Ansatz vorhandenen Ungleichbehandlung der Geschlechter führt 3 8. Darf ~an mithin das Reskript zwar nicht nackter Frauenfeindlichkeit zeihen, so ist doch eine dem weiblichen Geschlecht ungünstige Auswirkung nicht zu leugnen. Diese wird zudem noch dadurch verschärft, daß auch emanzipierte Frauen der Restriktion des Reskripts zum Opfer fielen, da sie nicht besser stehen durften als ihre gewaltunterworfenen Schwestern. Die Juristen haben diese Konsequenz sofort erkannt; Gaius formuliert sie unmittelbar im Anschluß an die Mitteilung des noch jungen Reskripts. Da Emanzipierte kein ziviles Erbrecht besaßen, war man sogar gezwungen, die Stellung der emancipata alsfiliafamilias zu fingieren, um ein fiktives Höchstmaß der Erbquote zu ermitteln 39 . Schon dies zeigt deutlich, daß der Eingriff des Kaisers in das prätorische Recht lediglich an einem Symptom operierte, nicht aber das Grundübel, das für Mann und Frau unterschiedliche Testamentserbrecht, wie es in den Erbeinsetzungsvorschriften dokumentiert wird, an der Wurzel packte. Erst Justinian korrigierte dieses "maximum vitium antiquae subtilitatis,,40. In der bereits erwähnten Reformkonstitution aus dem Jahre 531 ordnete er für alle liberi nominatim-Enterbung an. Damit war eine Gleichbehandlung von

Mann und Frau bei der testamentarischen Erbfolge im jeweiligen Erbrechtssystem des zivilen und des prätorischen Rechts gewährleistet 41 . Die Neuordnung Justinians erklärt, daß bis auf Gai 2.126 alle Spuren des Pius-Reskripts in den Quellen getilgt sind 42 .

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42

Insofern charakterisiert Lardone 665 das Reskript mit Recht als restnktiv-rechtskorrigierende Konstitution. Er führt aus: "These restrictions are motivated by different reasons ... but never with lack of equity." Den Eingriff des Reskripts in das prätorische Recht hat bereits W/assak, Kritische Studien zur Theorie der Rechtsquellen (1884) 107, hervorgehoben. Vgl." ... ut hae quoque quod adcrescendi iure habiturae essent, si in potestate [uissent, id ipsum etiam per bonorum possessionem habeant." C 6.28.4pr. und 1. C 6.28.4.6 und 7. Einzelheiten zu der Konstitution, ihrer historischen und praktischen Legitimation durch Justinian und ihrer nur kurzen Geltungsdauer bis zur Novelle 115 (a. 542) bei Wesener, RE Suppl. 9 (1962) 1178 ff., s.v. praeteritio;Schindler 31 ff.;Kaser II § 289 III, IV.

De Francisci 224.

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§ 4 Erbfolge gegen das Testament

II. Co n s e r V a t i 0 p 0 r t ion i s

her e d i tat i s

Die Vernichtungswirkung der bpct auf die Erbeinsetzungen schlug notwendig auf die von deren Gültigkeit abhängigen Legate und Fideikommisse durch. Doch sah bereits das prätorische Edikt für einen bestimmten Personenkreis, die sog. exceptae personae, Ausnahmen vor. Das Edikt de legatis praestandis contra tabulas bonorum possessione petita 43 hielt Einzelverfügungen von Todes wegen, die der Erblasser zugunsten seiner Kinder und Eltern, unabhängig von dem Grad der Blutsverwandtschaft, sowie dotis nomine zugunsten seiner Ehefrau und seiner Schwiegertöchter getroffen hatte, zu Lasten der Kontratabularerben aufrecht 44 . Die Regelung entsprach, wie Ulpian kommentiert 45 , einer gewissen natürlichen Billigkeit und kollidierte in der Idee nicht mit dem Grundgedanken der bpct, den engsten Familienangehörigen die Partizipation am Nachlaß zu gewährleisten. Den zweiten Schritt tat Antoninus Pius: 1Da.

Ulp 40 ed 037.5.5.6

Sed et si portio hereditatis fuerit adscripta ei, qui ex liberis parentibusve est, an ei conservanda sit, ut solent legata? et Iulianus saepissime scripsit in portione quoque hereditatis idem quod in legato proband um, cuius sententia rescripto divi Pii comprobata est, cum hereditates non modo honestiore titulo, sed et pleniore onere tribuantur. 46 Der Kaiser ordnete, einem Vorschlag Julians folgend, die Aufrechterhaltung auch von Erbteilen zugunsten der exceptae personae an. Er kam damit einem Gebot materieller Gerechtigkeit nach, war es doch oft nicht mehr als zufällig, ob der Erblasser einen nahen Verwandten nach Bruchteilen der Erbschaft oder mit einem vielleicht ansehnlichen Vermächtnis bedachte. Der Begründungssatz cum hereditates - tribuanturmacht Schwierigkeiten. Beseler47 stößt sich an titulus in der Bedeutung Erwerbsgrund. Kaser 4 !'., der gegen Haloander und Mommsen mit einigen älteren Ausgaben pleniore honore49 liest, hält den Gedanken des Satzes wegen seiner Bezugnahme auf die außerjuristische Erwägung der honestas in seiner Verallgemeinerung für unecht. Titulus in der genannten Bedeutung scheint indessen ein terminus technicus zu sein, der seit der severischen Jurisprudenz Eingang in die Fachsprache der Juristen 43 44

45

46 47 48

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Lenel, EP Tit. XXV § 143.

Ulp40edD37.5.1. Vip 40 ed D 37.5.1pr. Pal. 1112. Lit.: A. Schmidt, Das formelle Recht der Notherben (1862) 136 ff. ; Morillud, De la simple familie paternelle en droit romain (1910) 182 ff.; La Pira, Succ. 364 ff.; Voci II 658 f. Beseler, SZ 66 (1948) 381. Kaser, SZ 60 (1940) 138 f. Fn. 2. Auch Cujaz VI 398 liest honore. F hat honere.

II. Conservatio portionis hereditatis

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und der kaiserlichen Kanzlei gefunden hat 50 . Dies deutete auf eine dem Reskript nachgeschobene Begründung Ulpians hin. Versteht man titulus jedoch in dem der ursprünglichen Bedeutung ,Aufschrift' näherliegenden Sinne von ,Benennung, Bezeichnung,51 , könnte man darunter rein formal die Ben e n nun g als heres begreifen, und auch das tribuere wäre als Verteilungshandlung des Erblassers bei der Erbeinsetzung zwanglos erklärt. Da jede testamentarische Bedenkung als Bezeugung von honor durch den Erblasser gegenüber dem Bedachten galtS 2, wird auch der Komparativ honestior, bezogen auf die Einsetzung als heres im Vergleich zu der bloßen Benennung als Legatar, plastisch. Pleniore onere53 betont die stärkere Inpflichtnahme des Erben gegenüber dem Legatar, was etwa in der Belastung mit Legaten praktisch werden konnte. So verstanden hat die Begründung doch spezifisch juristisches Format. Wir möchten daher annehmen, daß Ulpian Originalworte des Reskripts wiedergibt. Dann hätte Pius bei seiner Entscheidung naheliegende Gründe materialer Gerechtigkeit und Billigkeit hinter einer formalistisch anmutenden Argumentation zurückgehalten. Nicht auszumachen ist, ob Pius die Begründung von Julian übernommen hat. Julian war jedenfalls der Wegbereiter der Neuerung. Pius scheint sich im Reskr~t auf die Meinung des Juristen berufen und sie ausdrücklich gebilligt zu haben 4. Nach dem saepissime zu schließen, muß die Ausdehnung der Ediktsklausel auf Erbteile eine dringende Forderung Julians gewesen sein, und wir dürfen davon ausgehen, daß er seine Änderungsvorstellungen nachgerade im 23. Buch seiner Digesten bei der Behandlung des Edikts de legatis praestandis 55 zum Ausdruck gebracht hat. Dies wird unmittelbar belegt durch Iul23 dig D 37.5.6 Salvius Aristo Iuliano salutern. Qui filium emancipatum habe bat , praeterito eo patrem suum et extraneum heredem instituit et patri legatum dedit: filius 50

51 52 53 54

55

Vgl. die im VIR s.v. titulus, 11, angegebenen Stellen (VIR 5.1061. 45 - 5.1062.20); bei Legaten und Fideikommissen ist titulus in der Bedeutung ,Erwerbsgrund' allerdings erst in der Nachklassik zu finden: C 5.9.3pr. (a. 382); 5.9.6pr. (a. 472); 6.24. 12 (a. 469); 11.32.3pr. (a. 469). Georges, s.v. titulus, I und 11 la; VIR s.v. titulus, I. S. nur VIp 6 fideic D 5.1.52.2; 2 fideic D 32.11.20 (eit. Marcellus)); 40 ed D 37.5. 3.2. Onus in der Bedeutung von obligatio begegnet häufig im Erbrecht der Hochklassik, s. VIp 3 fideic D 36.L3pr. (eit. Marcellus); Scaev 4 resp D 34.1.13pr. u.a.; Pius verwendet den Begriff in VIp 2 off cons D 34.1.3 a.E. Glück, Pand. 37 (1833) 27; Rives 50; Vocill 659; Gualandi 11 115. Neben der Sache Beseler 3.56: "Auch der Bericht über Julian in 50 VIp 40 ed ist von den Kompilatoren verfälscht. Julian hat die Neuerung des Pius nicht antizipiert, sondern gefordert." Wer literarisch eine rechtstheoretisch neue Lösung vertritt, antizipiert diese für sich, fordert gleichzeitig aber die herrschende Meinung zur kritischen Überprüfung der Rechtspraxis auf. Nichts anderes hat Julian getan. Vnter comprobare (rescripto) sententiam ist die von der Kaiserkanzlei gebilligte Übernahme einer Juristenmeinung in die herrschende Rechtspraxis zu verstehen. VgI. auch VIp 18 Sab D 35.1. 7 pr. (Pius-Aristo, Neratius, Julian); ebenso für sententiam confirmare in Gai 1 ed prov D 2.1.11 pr. (Pius-Sabinus, Cassius, Proculus). Iul 23 dig D 37.5.2; 4; 6; VIp 40 ed D 37.5.5.4 (cit. lul) = Pa\. Julian Nr. 369-372.

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§ 4 Erbfolge gegen das Testament

contra tabulas bonorum possessionem petit: quaero, si aut uterque hereditatem adisset aut alter ex his aut neuter, an et quantum legatorum nomine patri debeatur. respondit: saepe animadverti hanc partem edicti, qua emancipatus accepta contra tabulas bonorum possessione liberis et parentibus legata praestare iubetur, habere nonnullas reprehensiones: nam si dodrans legatus fuerit, plus habiturus est cui legatum erit quam emancipatus. decreto itaque ista temperari debebunt, ut et hereditatis partem emancipatus praestet ita, ne scriptus heres amplius habeat quam emancipatus, et legatorum modus temperaretur, ut nihil plus ex legatis ad aliquem perveniat, quam apud emancipatum bonorum possessionis nomine remansurum est. 56 Ein Erblasser hatte unter Übergehung seines emanzipierten Sohnes seinen Vater und einen extraneus als Erben eingesetzt, den Vater darüber hinaus mit einem Legat bedacht. Ein gewisser Salvius Aristo fragt brieflich an, ob und in welcher Höhe der Vater das Legat von dem Kontratabularerben beanspruchen könne. Seine Antwort beginnt Julian mit der allgemeinen Feststellung: "saepe animadverti hanc partem edicti, qua emancipatus accepta contra tabulas bonorum possessione !iberis et parentibus legata praestare iubetur, habere nonnull a s r e p reh e n s ion es . .. " Man ist versucht, aus diesen Worten eine leichte unterschwellige Verärgerung des Juristen herauszulesen, weil er sich erneut mit dieser Ediktsklausel, die er schon früher wiederholt in einigen Punkten beanstandet hatte, befassen mußte. Dann jedoch wird Julian konkret. Er kritisiert die Unausgewogenheit der Klausel, die es zulasse, daß bei unbeschränkter Aufrechterhaltung eines Legats der Kontratabularerbe weniger erhalten könne als der Legatar. Die r e p reh e n s i 0 trifft in ihrem Kern das Schweigen des Edikts über den Konflikt zweier diametral entgegengesetzter Positionen: Beide, Kontratabularerbe und Legatar, sollen geschützt werden, aber der Schutz des einen ist nur auf Kosten des anderen zu erreichen. Julian schlägt vor, den Kontratabularerben bei der Auszahlung von Erbteilen und Legaten an exceptae personae nur insoweit zu belasten, daß ihm selbst bonorum possessionis nomine mindestens ebensoviel verbleibt, also überschießende Erbteile und Legate bis auf diesen Betra$ zu kürzen. Die Einbeziehung der Erbteile in die Erörterung zeigt, daß Julian ganz selbstverständlich von einer Ausdehnung der Ediktsklausel auf Erbteile ausgeht. Es liegt nahe, da das Edikt auch hierüber schweigt, hierin eine weitere jener reprehensiones zu sehen, auf die der Jurist in den einleitenden Worten seines Responsums anspielt 57

56 57

Zu dieser Stelle Moriaud 182 ff. ; Dieter Nörr, Rechtskritik in der röm. Antike (1974) 111 f. Die reprehensio betrifft die Nichtberücksichtigung von Erbteilen durch das Edikt. Erst wenn der Erbteil zugesprochen wird, stellt sich das Problem seiner Beschränkung. Dies verkennt Moriaud 184.

II. Conservatio portionis hereditatis

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Jlrioriaud hält die Erwähnung der pars hereditatis für interpoliertS 8. Die dem Juristen gestellte Frage "an et quantum legatornm nomine patri debeatur ziele allein auf das Schicksal des Legats ab. In seiner Antwort spreche Julian zunächst auch nur vom Legat. Die überraschende Einbeziehung des Erbteils sei von den Kompilatoren aufgrund des späteren Pius-Reskripts in dem Bestreben eingefügt worden, die Reform Julian als ihrem wirklichen Vater zuzuschreiben. Formal werde die Interpolation durch die Wiederholung von temperari im abhängigen ut-Satz (decreto ista temperari debebunt, ut et ... praestet ... et legatorum modus temperaretur, ... ) und den Tempuswechsel praestet - temperaretur gestützt. Moriaud streitet also Julian die Vaterschaft über die Neuerung nicht ab, doch sei an dieser Stelle gerade nicht davon die Rede gewesen 59 . Dem können wir nicht zustimmen. Ein Responsum, das theoretisch über die Anfrage hinausgeht oder hinter ihr zurückbleibt, ist nicht ohne weiteres ein Hinweis auf Verfälschung. In Julians Antwort sind beide Erscheinungen vereint. Einerseits bleibt die Frage nach dem Einfluß des Erbantritts auf das Entstehen der Legatsschuld ( an . .. debeatur) unbeantwortet. Vielleicht war der Anfragende in Sorge, ob der Vater nach einem Erbantritt später noch das Legat verlangen könne. Offensichtlich kam es auf das Problem des Erbantritts aber gar nicht an, denn die Erteilung der bpct zerstörte hier in jedem Fall die Wirkung einer vorherigen aditio, gehörten doch weder extraneues noch pater zu den Personen, deren Erbantritt das Testament bestärken konnte 60 . Die Legatsforderung war daher nicht präkludiert. Julian hat sicher die Irrelevanz dieser Teilfrage sofort erkannt, und auch dem Empfänger des Responsums wird dies gerade durch Julians Schweigen klar geworden sein. Andererseits geht Julian bei seiner Antwort über die gestellte Frage hinaus, hält sich aber, wie gleich deutlich werden wird, an den vorgetragenen Sachverhalt. Während sich der Fragesteller nur für die Abwicklung des Legats interessiert und gar nicht auf die Idee kommt - wie sollte er auch, wenn das Edikt nur von Legaten spricht -, nach dem Schicksal des Erbteils zu fragen, sieht der Jurist vor allem einen interessanten Anwendungsfall für seine Lehre von der Ausweitung der Ediktsklausel auf Erbteile vor sich61 . Moriaud 184 f. Er streicht ut et hereditatis - temperaretur; ebenso Partsch, SZ 32 (1911) 447; Rechnitz, Studien zu Salvius Iulianus (1925) 44. 59 Moriaud 185 ff. (185-187). 60 S. nur La Pira, Succ. 364 ff. Nur der Antritt von liberi bestärkte das Testament; es blieb insoweit nach prätorischem Recht gültig (La Pira, Succ. 34;4). Der Erbantritt dieser Personen schloß eine spätere bpct commisso per alium edicto aus, weil sie dem Willen des Erblassers gehorcht hatten, vgl. African 4 quaest D 37.4. 14pr. Umgekehrt wurde nach erfolgter bpct der Rückgriff auf das Testament versagt: Ulp 40 ed D 37.5.5.4. 61 Eine besondere Würze erhält der Fall durch das Konkurrenzproblem, da der pater nach Iulians Auffassung Legat und/oder Erbteil beanspruchen kann. Die Lösung, Kumulation bei gleichzeitiger Beschränkung der Gesamtleistung auf den Kopfteil, findet sich bei Ulp 40 ed D 37.5.8.1. Ist nur ein Kontratabularerbe vorhanden, darf der Eingesetzte aus Erbteil und Legat insgesamt höchstens die Hälfte der Erbschaft er-

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§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Nun erscheinen seine einleitenden Worte in einem etwas anderen Licht. Julian mußte bei der Formulierung seiner Antwort etwa so empfinden wie heutzutage ein Rechtslehrer, der einen seiner Studenten dafür tadelt, daß er das Hauptproblern eines Falles verkannt und dabei, was das Schlimmere ist, die Lehre des Meisters übersehen hat, obwohl sie oft genug gelehrt oder publiziert worden war. Wer will es Julian verdenken, wenn er in einer solchen Situation die Gelegenheit benutzt, zunächst allgemein noch einmal auf seine von der herrschenden Lehre abweichende Auffassung zu den Problemen der Ediktsklausel hinzuweisen, um sodann die seiner Meinung nach nicht korrekte Fragestellung zurechtzurücken und dem Anfragenden auf die Sprünge zu helfen. Somit mag Moriauds Kritik 62 zwar formalsprachlich durchaus berechtigt sein, substantiell geht sie jedoch fehl. Wir haben es vielmehr mit einer bemerkenswerten Kostprobe des Juliansehen Könnens zu tun. Das Julian-Responsum hat damit die Notiz der Ausgangsstelle D 37.5.5.6 bestätigt, in welcher Julian als geistiger Vater der Reform des Kaisers Pius vorgestellt wird. Es ist aber auch für die Probleme der Datierung in vielfacher Hinsicht von Interesse. Julians Digesten sind sicher nach der Neufassung des Edikts, wahrscheinlich während der Regierungszeit des Antoninus Pius, entstanden 6 3. Weniger sicher, aber doch wahrscheinlich ist auch das Responsum im 23. Buch nachediktal. Zwar wird man die Möglichkeit einräumen müssen, daß Julian auch vorediktale Gutachten, sofern sie noch aktuell waren, in seine Digesten aufgenommen hat 64 . In dem Responsum hierfür ein Beispiel zu sehen, ginge freilich nach allem, was wir über Julians Ediktsredaktion wissen, kaum an. Wäre das Responsum vorediktal oder stände es etwa im Zusammenhang mit der Ediktsredaktion, hätte Julian bei der Durchführung seines Auftrags die Ediktsklausel gewiß entsprechend seinen Vorstellungen geändert 65 . Dies geschah aber erst durch das Pius-Reskript. Daß Julian eine sachliche Änderungsbefugnis eingeräumt war, von der er allerdings nur sparsam Gebrauch gemacht zu haben scheint, beweist die einzige, in den Quellen ausdrücklich mit seinem Namen in Verbindung gebrachte Reform des Edikts, die Einfügung der nova clausula de coniungendis cum emancipato !iberis eius 66 . Zu einer relativ frühen Datierung des Responsums zwingt auch nicht die erst unlängst wieder von Dieter Nörr nach den Lebensdaten ftir möglich erach-

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halten. Möglicherweise klingt diese Lösung auch im Schlußsatz des Julian-Responsums an. S. oben im Text nach Fn. 58. S. zuletzt Bund, Salvius Julianus, Leben und Werk, ANRW 11 15, 408 ff. (431 ff., 433). Guarino, Salvius Iulianus (1945) 74 = Labeo 10 (1964) 402, glaubt aneinevordigestale Sammlung von Episteln Julians, für welche D 37.5.6 ein Beispiel sei. Nö". Rechtskritik etc. (1974) 112;zu skeptisch Honore, Gaius (1962) 54. Titel D 37.8; s. Marce1l9 dig D 37.8.3.

ll. Conservatio portionis hereditatis

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tete Identifizierung des Anfragenden mit dem bekannten Juristen Titius Arist0 67 . Diese spekulative Hypothese verliert jegliches Gewicht, wenn man bedenkt, daß einem Könner wie Aristo kaum ein so grober Schnitzer wie die Frage nach dem Erbantritt unterlaufen wäre. Ein weiteres Argument ist auszuräumen. Sähe man in Julians Lösungsvorschlag die Empfehlung an einen Gerichtsmagistrat, der mit dem Fall konkret befaßt ist und ihn zur Begutachtung unterbreitet hat 68 , bei seiner Entscheidung durch Dekret von den Bestimmungen des Edikts abzuweichen, so stünde man vor der erheblichen Schwierigkeit zu erklären, weshalb gerade hier einem nachediktalen Magistrat vom Edikt abzuweichen gestattet sein sollte 6 9. Gegen eine solche Auslegung sprechen Julians unpersönlich und allgemein gehaltene Lösung (decreto . .. d e beb u n t ; ex leg a t i s, obwohl in der Anfrage nur von einem Legat die Rede ist) sowie die in Varianten gestellte Anfrage (si aut uterque ... aut alter . .. aut neuter). Es liegt daher näher, den Briefwechsel zwischen Salvius Aristo und Julian losgelöst von einem rechtshängigen Fall eher als theoretische Problemerörtening 70 und decretum eher als vorsorglichen Hinweis auf jene Figur der bonorum possessio decretalis zu begreifen, mit welcher in einem zukünftigen praktischen Fall der Magistrat, freilich auf kaiserliche Veranlassung, dem Betroffenen werde helfen können 71. Die besseren Gründe sprechen also daftir, das sonach untechnische Responsum zeitlich nach der Ediktsredaktion einzuordnen. Damit handelt es sich um echte Ediktskritik durch einen Juristen. Sie erhält ihre besondere Note durch den Aspekt der Selbstkritik 72. Dabei ist freilich zu bedenken, daß Julian die Klausel nicht erfunden, sondern lediglich ihre Unzulänglichkeit bei der Redaktion des Edikts nicht erkannt hat. Außerdem scheint die Klausel verhältnismäßig jung und noch wenig erprobt gewesen zu sein 7 3. Die zeitliche Abfolge: Ediktsredaktion - Julians Responsum - Abfassung des 23. Buchs der Digesten - Reskript des Pius, steht sonach mit einiger Sicherheit fest. 67 68 69 70 71

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Nörr, Rechtskritik etc. (1974) 111 Fn. 52. Mommsen, Jur. Schriften 2 (1905) 12 Fn. 13, streicht Salvius, lehnt aber eine Identifizierung mit dem Juristen ab. Vgl. ausführlich (ebenfalls ablehnend) Glück, Pand. 37 (1833) 24 Fn. 57. So Mommsen (oben Fn. 67) 11 f. Zum Problem s. Palazzolo, Potere imperiale (1974) 26 ff. und vor allem 28 Fn. 23 mwN. Zum Briefwechser als dialogische Methode der Problem erörterung s. ausflihrIich Krampe, Proculi Epistulae (1969) 28 ff., 47 ff. Die bp decretalis wurde vom Prätor außerhalb der im Edikt vorgesehenen Fälle nach den Bedürfnissen des Einzelfalls gewährt, s. Kaser I § 176 II;Meinhart, Die SCa. Tertullianum und Orfitianum (1967) 99 f. Fn. 44 mwN. Zur kaiserlichen Veranlassung s. z.B. Mod 6 pand D 37.8.4; Ulp 41 ed D 37.9.1.14. An kaiserliche Vermittlung denkt auch Glück, Pand. 37 (1833) 26 Fn. 58. Honore, Gaius (1962) 54; zu pointiert Nö", Rechtskritik ete. (1974) 112. Vgl. Ulp 40 ed D 37.5.1pr.: ,Pic titulus aequitatem quandam habet naturalem et ad aliud no va m ... "

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§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Kaiser Pius scheint freilich nur einer reprehensio Julians abgeholfen zu haben, denn das Reskript in D 37.5.5.6 erstreckt das Edikt zwar auf Erbteile, von einer Begrenzung der Quoten ist aber nicht die Rede. Dieses Thema schneidet Ulpian im unmittelbar folgenden § 7 an: Ad eum autem modum talibus personis succurendum est, ut ampliore quidem quam virili portione hereditatis data usque ad virilem tueantur, in minorem autem eatenus actiones his tribuantur, quatenus scriptae si nt. idem observatur et circa legata fideive commissa, quae his data fuerint, et in mortis causa donationibus. Erbteile sind bis zur Grenze der portio virilis auszuzahlen. Die eingesetzten Erben zählen zusammen nur einen Kopf, während jeder Kontratabularerbe für sich zählt. Der Kopfteil für die eingesetzten Erben beträgt somit bei einem Kontratabularerben die Hälfte der Erbschaft, bei zweien ein Drittel, bei dreien ein Viertel, etc. 74 . Nichts anderes meint Julian, wenn er in seinem Responsum fordert, daß ein scriptus heres nicht mehr erhalten dürfe als dem übergangenen emancipatus verbleibe. Die Lösungen sind identisch, nur formuliert Ulpian generell und juristisch begrifflicher. Dabei zitiert er seinen Vorgänger nicht. Er verschweigt auch, daß er das Lösungsmuster der portio virilis jenem Pius-Reskript entnommen hat, das er in § 6 unmittelbar zuvor zu einem anderen Punkt anfUhrt. Eine glückliche Doppelüberlieferung des Reskripts sichert uns den Beweis: lOb. Tryphonin 16 disp D 37.5.7 Nam secundum constitutionem divi Pii ad [Tuscium Fuscianum] Numidiae legatum placuit parentes et liberos heredes quoque institutos tueri usque ad partem virilem exemplo legatorum, ne plus haberent ex institutione tales personae, quam ad eum perventurum esset, qui contra tabulas bonorum possessionem accepit 75 Die durch die Stellung des q u 0 q u e erzielte Hervorhebung des Schutzes der exceptae personae auch als eingesetzte Erb e n macht deutlich, daß es der Konstitution primär nicht um die Beschränkung, sondern um die Einführung des Schutzes für Erben ging. Gleichzeitig aber begrenzte die Konstitution auch den Umfang der Begünstigung nach dem Vorbild der Legate (exemplo legatorum) auf die portio (pars) virilis. Dies setzt voraus, daß in der Praxis eine Kürzung der Legate bereits üblich war 76 . Es ist auch plausibel, daß nach den Erfahrungen mit den Legaten ein und dieselbe Konstitution den Schutz für die

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Ulp 40 ed D 37.5.8pr. Zur Berechnung ausführlich Glück, Pand. 37 (1833) 23. Pal. 58. Lit.: Partsch, Die Schriftformel im röm. Provinzialprozeß (1905) 64; im übrigen s. die in Fn. 46 Genannten. Glück, Pand. 37 (1833) 23 Fn. 54.

1I. Conservatio portionis hereditatis

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Erben begründete und zugleich auf das rechte Maß beschränkte 7 7. Die letzten Zweifel hieran beseitigt eine weitere Tryphoninstelle aus demselben Buch: !Oc.

Tryphonin 16 disp D 37.8.7 Si post ernancipationern filii susceptus ex eo fuerit nepos, conservanda illi erit portio, sed quanta, videarnus. finge enirn patruo scripto heredi coheredem datum hunc nepotern, patrern autern eiusdern praeteriturn accepisse contra tabulas bonorurn possessionern. quod ad edicturn praetoris attinct, sernisses bonorurn fient: nunc vero post constitutionern divi Pii si conservatur pars nepoti, utrum virilis an quarta debeat servari? narn si in avi natus . . b atur In . unarn partern curn patre suo ... 78 potestate f Ulsset. conlUnge Ein Vater hatte unter Übergehung eines emanzipierten Sohnes (E) einen nach der Emanzipation geborenen Enkel (N) und seinen zweiten gewalt unterworfenen Sohn (F) zu Miterben eingesetzt. Zur Diskussion steht die Frage nach der Verteilung des Nachlasses, wenn E die bpct beantragt hat. Die Lösung nach dem prätorischen Edikt wäre eindeutig: E und F (bpct commisso per alium edicto) erhielten je die Hälfte, N fiele nach dem Repräsentationsprinzip aus. Aber die Rechtslage hat sich durch die Pius-Konstitution geändert. N bleibt sein Erbteil erhalten. freilich nicht in voller Höhe (1/2). Zu erwarten wäre eine Beschränkung auf pars virilis (l /3), wovon auch Tryphonin zuvörderst als selbstverständlich ausgeht (utrum virilis an quarta debeat servari). Der Jurist sieht sich aber vor einem besonderen Problem. Nach dem Edikt de coniungendis cum emancipato /iberis eius. für welches Julian verantwortlich zeichnete 79. mußte der übergangene emancipatus bei der bpct die ihm zukommende Quote mit seinem in der Gewalt des Erblassers verbliebenen Sohn teilen. Ein solcher nepos erhielte in Tryphonins Beispielsfall nur 1/4 der Erbschaft. Müßte daher nicht auch N auf quarta pars beschränkt werden? Der Lösung dieses speziellen Problems, das sich aus dem ungeklärten Verhältnis zwischen der neuen Ediktsklausel und der Pius-Konstitution ergibt, kann hier nicht weiter nachgegangen werden 80 . Festzuhalten bleibt jedoch die eindeutig positive Formulierung Tryphonins, daß die Konstitution dem Enkel. der ja Erbe ist, den (Erb)teil erhalte (conservatur pars nepoti), wobei der Jurist den negativen Aspekt der Begrenzung auf pars virilis bei der Fragestellung mit einfließen läßt. Die constitutio divi

77 78

79 80

Schmidt 139 Fn. 240 und 143; Glück, Pand. 37 0833) 27. Pal. 61. Li!.: Moriaud, De la simple familie paternelle en droit romain (1910) 196 f.; La Pira. Suee. 368 f. Oben Fn. 66. Die Frage war offenbar streitig, wie man African 4 quaest D 37.5.18 und 5 quaest D 37.5.19 entnimmt. Zum Problem vgl. auch D 375.25.2; 37.8.3; Moriaud 1961'.; La Pira. Suee. 369 f.

80

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Pii in D 37.8.7 ist somit identisch mit der constitutio divi Pii in D 37.5.7. und dem rescriptum divi Pii Ulpians in D 37.5.5.6 81 . Hieran sind zwei Folgerungen zu knüpfen. Äußerst interessant ist der Einblick in die Arbeitsweise Ulpians bei der Kommentierung des Edikts 82 . Er scheut sich nicht, Kaiserentscheidungen zu zerlegen und ihre Teilaspekte nach Gutdünken entweder zur Abstützung seines Kommentars zu zitieren (§ 6) oder sie ohne Zitat zum Teil wörtlich in die fortlaufende Kommentierung einzubeziehen (§ 7). So stammt der Ausdruck usque ad virilem tueri in § 7 mit Sicherheit aus der Kaiserentscheldung, wie ihre wohl ausführlichste und zuverlässigste Überlieferung bei Tryphonin in D 37.5.7 zeigt. Nach dieser Erfahrung dürfte allgemein mit weiteren ,versteckten' Konstitutionen vor allem bei Ulpian zu rechnen sein 83. Die Terminologie der römischen Juristen bei der Zitierung von Kaiserentscheidungen ist uneinheitlich und untechnisch 84 . Während Tryphonin zweimal den Oberbegriff constitutio benutzt und Ulpian von rescriptum spricht, handelt es sich in Wirklichkeit technisch um eine epistula, da die Entscheidung an einen Beamten, den Legaten Numidiens, gerichtet ist 85 . Fortan wird man daher terminologischen Argumenten bei der Bestimmung der Rechtsnatur einer Kaiserentscheidung mit der nötigen Distanz begegnen müssen. Wir kehren zur Analyse von D 37.5.7 zurück. Die Nennung eines Legaten Numidiens als Adressaten der Epistel fordert zu einem Datierungsversuch heraus. Numidien hatte bekanntlich unter den Antoninen noch nicht den Status einer selbständigen Provinz 86 . Es gehörte de iure immer noch zur Provinz Africa proconsularis. De facto war das numidische Kommando in jener Zeit aber durchaus mit einer regulären Statthalterschaft in einer Kaiserprovinz vergleichbar, denn der legatus Aug. pr. pr. Numidiae war nicht nur Kommandant der legio III Augusta in Lambaesis, sondern in seinem Bereich auch ftir zivile Aufgaben, u.a. ftir die Rechtsprechung, zuständig. Daher kann eine consultatio des numidischen Legaten in einer Erbrechtssache nicht überraschen. 81 82 83 84 85 86

Die Zusammengehörigkeit dieser Stellen wird in der Literatur vernachlässigt oder gar verkannt: s. nur La Pira, Succ. 366; Voci 11 659. Die Ausführungen stehetl unter dem Vorbehalt eines hier freilich nicht nachweisbaren Eingriffs der Kompilatoren, mit dem man bei Zitierfragen aber immer rechnen muß. Zum Problem der schriftstellerischen Ehrlichkeit Ulpians im allgemeinen (mit wenig günstigem Urteil) s. Pernice, Ulpian als Schriftsteller, SBer.BerI.Phil.-Hist.KI. (1885) 480 ff. = Labeo 8 (1962) 365 ff. S. schon oben § 2 Fn. 66. Zur Unterscheidung von epistula und rescriptum im eigentlichen Sinn vgl. Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser (1974) 11 ff. - Auch in 8 off proc D 48.18.1pr. bezeichnet Ulpian eine epistula mit rescriptum. Zur Entwicklungsgeschichte Numidiens und zur Stellung des numidischen Legaten s. Pflaum, Libyca 5 (1957) 61 ff.;Leglay, Atti III congr. int. epigr. (Rom 1957, aber 1959) 233 ff.; Thomasson, Die Statthalter der röm. Provinzen Nordafrikas von Augustus bis Diokletian I (1960) 10 ff. und 82-99 (dazuE. Birley, JRS 52,1962, 219ff.).

II. Conservatio portionis hereditatis

81

Schwierigkeiten macht sein Name. Da er in der Statthalterliste fehlt und für ein Blankett zu ungewöhnlich wäre, wird er allgemein mit dem Namen des nachgewiesenen Statthalters Matuccius Fuscinus ersetzt 87 . Dabei ist wohl kaum an eine Kontamination mehrerer Namen zu denken 88 ; näher liegt ein Hörfehler eines Schreibers, vielleicht hervorgerufen durch die voranstehende Präposition ad (ad Tuscium Fuscianum statt ad Matuccium Fuscinum). Die Emendation ist wahrscheinlich richtig; allerdings bleibt ein Rest an Unsicherheit, da die Statthalterliste jedenfalls eine Lücke in der Regierungszeit des Antoninus Pius aufweist 89 . L. Matuccius Fuscinus ist als Statthalter Numidiens in zwei Inschriften sicher ftir das Jahr 158 bezeugt. Seine Legatur dürfte in den Jahren 156-159 anzusetzen sein90 . Die Konstitution gehört also nahe an das Ende der Regierungszeit des Antoninus Pius. Datiert man die Ediktsredaktion mit einer zunehmend vertretenen Meinung

in die letzten Jahre Hadrians 91 , ergibt sich eine erstaunliche zwanzigjährige

Entwicklungsgeschichte des Edikts de legatis praestandis. Neu und unerprobt in das Album übernommen, gerät es bald unter Julians bohrende Kritik, die in dem Responsum an Aristo, vielleicht gegen Mitte oder Ende der vierziger Jahre 92 , ihren dokumentierten Höhepunkt findet. Ein erster, uns nicht überlie87

Die Emendation geht zurück auf L. Renier, Arti. des missions scientifiques (1851) 442 und Inscriptions romaines de l'Algerie (1855-58) nr. 23, 24, 1631. Sie wird von den moderneren Autoren durchweg gebilligt, s. nur Thomasson (oben Fn. 86) II (1960) 177 Fn. 113 88 Nö", Rechtskritik in der röm. Antike (1974) 111 Fn. 55, hat eine Kontamination des Namens mit dem Namen eines Amtsvorgängers (M. Valerius Etruscus) erwogen. Das ist nicht glaubhaft. Etruscus war nicht der unmittelbare Amtsvorgänger des Fuscinus (vgl. G. Alfö!dy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen, 1977, 247), so daß die Möglichkeit eines Amtswechsels der beiden zwischen consultatio und Entscheidung entfällt. 89 Vgl. G. Alfö!dy, Konsulat etc. (1977) 247 f.: der Legat von 153-156 ist unbekannt. 90 CIL VIII 2501 (Calceus Herculis), VIII 17858 (Thamugadi): hier bereits als consul designatus, die übliche Beförderung für den ausscheidenden Legaten Numidiens. Sehr wahrscheinlich fällt sein Suffektkonsulat in das Jahr 159 (Hüftl II 138, 187; G. Alfö!dy, Konsulat etc., 1977, 173), die Legatur unter Berücksichtigung der üblichen Dauer von drei Jahren in die Jahre 156-159 (G. Alfö!dy 247). 91 Instruktiv unter Auseinandersetzung mit den Argumenten der herkömmlichen Meinung Bund, ANRW II 15, 426 f. - Boulard, Salvius Iulianus (1903) 43 und Bund 427 datieren das Edikt in den Zeitraum von 135-138;H. Vogt, Fs. Schulz 2 (1951) 193 ff., 199 f., neigt aufgrund des Münzbefundes (Häufigkeit der iustitiaPrägungen) eher zu 134-138; d'Orgeval, L'Empereur Hadrien (1950) 48 und Serrao, Atti III Congr. int. epigr. (Rom 1957, aber 1959) 410, legen sich mit Argumenten der Vicennalia-Feiern bzw. des cursus honorum auf 137 fest. 92 Nach der Ediktsredaktion muß Julian genügend Zeit für seine wiederholte Kritik (saepe animadverti ... ) eingeräumt werden. Andererseits darf das Responsum nicht zu knapp vor der Konstitution angesetzt werden. Die Hypothese Honores, Gaius (1962) 53, über die Entstehungszeit der Digesten Julians (Beginn 145, sechs Bücher pro Jahr) führte für das 23. Buch ins Jahr 148, terminus ad quem für das Responsum. 6 Müller-Eiselt

82

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

ferter Erfolg in der Beschränkung des Legatsumfangs auf die portio virilis bereitet schließlich den Boden für die Reformkonstitution gegen Ende der Regierungszeit unseres Kaisers. Eine direkte Beteiligung Julians an der Abfassung der Konstitution, etwa bei einer Diskussion im Konsilium, ist nicht nachzuweisen. Immerhin zeigt die Rechtfertigung der Beschränkung der Erbteile auf die pars virilis am Ende von D 37.5.7 viel Ähnlichkeit mit Julians Argumentation in seiner Antwort an Aristo. Zudem ist sein Aufenthalt in Rom in den fraglichen Jahren kaum zu bezweifeln 93. Der lange und mühsame Prozeß der Rechtsänderung mag im wesentlichen auf beharrenden Traditionalismus zurückgeführt werden. Man sollte jedoch ihre praktische Relevanz nicht überschätzen. Die Deszendenten des Erblassers und die übrigen unmittelbar seiner Gewalt unterworfenen Nachkommen waren auf eine conservatio ihrer Erbteile nicht angewiesen. Sie konnten nämlich entweder durch aditio ohnehin das Testament bestärken94 oder sich als zur bonorum possessio berechtigte fiberi dem Angriff des praeteritus auf das Testament mit der bpct commisso per alium edicto anschließen oder ihm zuvorkommen 95 und damit in der Regel wenigstens in den Genuß ihres gesetzlichen Erbteils gelangen. Schutzlos einer bpct ausgeliefert waren dagegen die nicht zur bp berechtigten heredes instituti. Sofern es sich bei ihnen um entferntere Angehörige oder gar um Familienfremde handelte, die schon nach der Wertung des Edikts de fegatis praestandis leer ausgingen, hatte es dabei sein Bewenden. Ein Wertungswiderspruch ergab sich nur für die Personen, welche durch jenes Edikt bei Legaten geschützt waren, bei Erbteilen aber das Nachsehen hatten. Dies waren die Aszendenten und die mittelbaren Deszendenten des Erblassers. Allein um ihren Schutz ging es der Kritik Julians; nur auf sie war die Konstitution zugeschnitten 96 . Die eigentlichen Nutznießer in der Praxis waren sicherlich in erster Linie die Eltern und die nicht privilegierten Enkel des Erblassers. In diese Richtung deutet eine kurze Bemerkung Marcells, aus der wir die wahrscheinlich unserer Konstitution zugrunde liegende Fallkonstellation erschließen können: 93

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Nach der kurzen Statthalterschaft Niedergermaniens (etwa 151-152) lolgte als nächstes Amt in den Provinzen erst die Legatur von Hispanio citerior zu Beginn der Regierungszeit der divi fratres (s. nur G. Alföldy, Konsulat etc., 1977, 227 und 229). Einzelheiten zur Lebensgeschichte Julians zuletzt bei Bund, ANRW II 15, 408-431; zum Teil abweichend Dieter Nörr, Drei Miszellen zur Lebensgeschichte des Juristen Salvius Iulianus, Fs. Daube (Daube noster) (1974) 233 ff. In diesem Fall wurde der Betroffene vom Prätor gegenüber einer bpct "in eam partem qua scriptus sit ... , dum tamen non amplius, quam habiturus esset, si bonorum possessionem accipisset" (African 4 quaest D 37.4.14pr.) geschützt. Dies bedeutete eine Teilaufrechterhaltung der zivilen testamentarischen Erbfolge bis zur Grenze der Intestatberufung. Vgl. La Pira, Succ. 365 f. und oben Fn. 60. Vgl. oben Fn. 60; zu diesem Wahlrecht Voci II 658 f. Glück, Pand. 37 (1833) 40 f.; Morioud 187; La Pira, Succ. 365; zu Unrecht bestritten von A. Schmidt 137 Fn. 234.

1/. Conservatio portionis hereditatis

83

IOd.

Marce1l9 dig D 37.8.3 a.E . . . . Sed fratris eius, qui post emancipationem natus est, diversa condicio est: conservanda est tarnen et illi ad virilem partem hereditas, sicut imperator Antoninus in persona nepotis ex filia rescripsit. 97 Marcell vergleicht in dem die bpet behandelnden Responsum - Einzelheiten des Falles interessieren hier nicht - die rechtliche Lage zweier als Erben eingesetzter Enkel. Dem nepos in potestate avi sei die bpet zu gewähren. Der nepos post emancipationem patris natus 98 werde zwar durch seinen noch lebenden Vater von der bp ausgeschlossen, die Erbschaft bleibe ihm aber bis zur Grenze der pars virilis erhalten, "so wie es Kaiser Antoninus für den nepos ex tilia" reskribiert habe. Die Kaiserentscheidung dient Marcell zur Begründung seines Responsums. Er will sagen, daß der nepos post emancipationem patris suseeptus ebenso behandelt werden müsse wie der nepos ex tilia. Dieser stand regelmäßig nicht in der Gewalt seines avus maternus, sondern in der seines Vaters oder Großvaters väterlicherseits. Daher war ihm die bpet nach seinem Großvater mütterlicherseits versagt. Er war auf den Schutz der Konstitution angewiesen. In der gleichen Lage befand sich Marcells nepos post emancipationem patris suseeptus. Auch der nepos natus ex patre in adoptione dato ist "tuendus ... exemplo parentium et liberorum, quibus legata praestare eoguntur qui bpct aeeeperunt" (Marce1l9 dig D 37.5.25.1). Gleiches gilt für die mater (Marce1l9 dig D 37.5.25.2, wo zunächst wiederum der nepos ex tilia angeführt wird) und den pater detuneti (Julian-Responsum). Allen diesen Personen ist gemeinsam - und dies bestätigt unsere überlegung über den Anwendungsbereich der Konstitution -, daß sie nicht zur bp nach dem Erblasser berufen sind. Es liegt nahe, in dem von Marcell zitierten Fall des nepos ex filia die Konstellation zu sehen, welche zur Ausdehnung des Edikts auf Erbteile gefUhrt hat. Schon die Glosse und Cujaz identifizierten die von Marcell angezogene Kaiserentscheidung mit der Konstitution des Kaisers Pius99 . Der neueren Literatur wird der Blick hierauf durch die Kaiserbezeichnung versperrt. Die Juristen bezeichneten in ihren Schriften verstorbene und konsekrierte Kaiser regelmäßig mit divus, während sie den gerade regierenden Kaiser meist mit imperator, seltener mit Augustus oder prineeps, titulierten. Dieser Sprachgebrauch gab Fitting 100 den ersten und mitunter auch einzigen Anhaltspunkt für die Datierung einer Juristenschrift. 97 98 99 100



Pal. 121. Lit.: La Pira, Succ. 369 f. ; Cosentini, St. Solazzi (1948) 219 ff. Genauer: susceptus. Glosse divi Pii) ad 1. D 37.8.7;Cujaz VI 1010. Fitting, Alter und Folge der Schriften röm. Juristen von Hadrian bis Alexander (1908 2 ).

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

84

Marcells digestorum fibri XXXI sind mit Sicherheit unter den Divi Fratres abyeschlossen worden 101. Da bereits in Buch 3 von divus A ntoninus die Rede ist 02, wird allgemein angenommen, daß sie auch erst nach Pius' Tode begonnen wurden. Folglich müßte der imperator Antoninus in Buch 9 (0 37.8.3) eigentlich Mark Aurel sein 10 3. Doch schon Mommsen hat in einer gründlichen Untersuchung aufgezeigt, daß sich nicht alle Juristen an den Kurialstil hielten, ganz zu schweigen von den vielen Zufälligkeiten und Versehen der Überlieferung 104 . Ordnete man die Entscheidung Mark Aurel zu, müßte man nicht nur unterstellen, daß sich Markus schon wenige Jahre nach der Pius-Konstitution erneut mit dem Problem zu beschäftigen hatte, sondern könnte auch kaum erklären, weshalb Marcell zur Begründung seiner Entscheidung statt Pius' Reformkonstitution eine bloße Folgekonstitution Mark Aurels zitierte. Zudem hat Marcell die Pius-Konstitution sicherlich gekannt. Sogar seine Mitwirkung bei ihrer Beratung im Konsilium des Pius, dem er nachweislich zumindest in den letzten Jahren des Kaisers angehörte 10 5 , ist gut denkbar. Insgesamt sprechen die stärkeren Argumente für ein weiteres Zitat der PiusKonstitution 106. Den Verstoß gegen den Kurialstil könnte man vielleicht damit erklären, daß Marcell das Responsum unbesehen aus seinem wohl noch unter Pius 107 verfaßten fiber singu/aris responsorum oder aus einer anderen älteren Stoffsammlung in seine Digesten übernommen hat. Sicheres läßt sich hierüber freilich nicht sagen.

Exkurs Die Entdeckung der Pius-Konstitution in D 37.8.3 und die dadurch gewonnene Präzisierung des ihr zugrunde liegenden Sachverhalts könnten neues Licht werfen auf Ulp I sing off curatoris rei publicae D 50.12.15 Inter liberos nepotem quoque ex filia contineri divus Pius rescripsit 108 . Bisher wurde die Stelle systematisch korrekt stets in bezug auf die pollicitatio und die unmittelbar zuvor in fr. 14 zur pollicitatio überlieferte Pius-Konstitu29 dig D 28.4.3 (a. 166): "proxime . .. ". 102 D 4.1.7pr. 103 So Fitting 60; Gualandi 11 180. Aus der älteren Literatur: Kämmerer, Beiträge zur Geschichte und Theorie des Römischen Rechts 1(1817) 71 f. 104 Mommsen, Die Kaiserbezeichnung bei den römischen Juristen, ZRG 9 (1870) 97116 = Jur. Schriften 2 (1905) 155-171. 105 SHA, vita Pii 12.1: ,,Multa de iure sanxit ususque est iuris peritis Vindio Vero, Salvio 101 Arg.

Valente, Volusio Meciano, Ulpio Marcello et Dioboleno':Die Juristen sind offensichtlich nach ihrem Dienstalter aufgeführt, vgl. Hüttl 179; Crook,

Consilium principis (1955) 67 und Nr. 354. 106 So auch Burillo, SD 31 (1965) 208, aber beiläufig und ohne Begründung. - Bei Gualandi I ist die Stelle auf S. 88 nachzutragen und auf S. 141 zu streichen. 107 Fitting 62; abweichend Schulz, RRW 293 f.

108 Pal. 2077.

lI. Conservatio portionis hereditatis

85

tion interpretiert 109. Diese regelt die Haftung des Erben, wenn der Erblasser einem Gemeinwesen sine causa ein Bauwerk versprochen und noch zu Lebzeiten mit der Errichtung begonnen hatte. Ein extraneus heres konnte sich durch Überlassung eines Fünftels der Erbschaft an das Gemeinwesen von der Verpflichtung, das Bauwerk zu vollenden, freikaufen; is qui ex numero liberorum est hatte hingegen dafür lediglich ein Zehntel zu zahlen. Da Ulpian in der Instruktionsschrift für die curatores rei publicaef d .h. kaiserliche Spezialkommissäre für die Finanzverwaltung der Gemeinden 10, auch Probleme der pollicitatio behandeltili, und da die Definition des Begriffes liberi wegen der von der Konstitution getroffenen Differenzierung von erheblicher praktischer Bedeutung war, ist eine Bezugnahme der Stelle auf die in fr. 14 überlieferte Konstitution unmittelbar einleuchtend. Dies muß keineswegs auch für den ursprünglichen Kontext des von Ulpian referierten Pius-Reskripts gelten. Vielleicht war wirklich ein klärendes Wort des Kaisers zur Auslegung des im römischen Erbrecht vieldeutigen Begriffs liberi 112 angebracht. Ebensogut könnte man sich aber, gerade in Anbetracht der Erfahrungen mit Ulpians Arbeits- und Zitierweise 113, einen ganz anderen Verlauf des Geschehens vorstellen: Ulpian findet in seinen Materialien die von Pomponius zitierte Konstitution (fr. 14) vor, rezipiert sie in seine Monographie und kommentiert sie. Bei der Erläuterung des privilegierten Personenkreises erinnert er sich der unlängst im Ediktskommentar 114 verarbeiteten Reformkonstitution desselben Kaisers, worin der nepos ex ti/in zum Kreis der liberi, quibus portio hereditatis conservatur, gerechnet wurde. Ulpian formuliert die109 Titel XII i~t überschrieben: ,/Je pollicitationibus'; fr. 14 = Pomp 6 ep et var lectionum: der hier genannte divus Antoninus ist Pius, vgl. Fitting 41; Liebs, ,Variae Lectiones', St. Volterra 5 (1971) 51 ff. (58), ebendort Fn. 30 zur substantiellen Echtheit des Fragm~nts. Zum Zusammenhang mit fr. 15 vgl. Lenel, Pal. II 959 Fn. 1 [dort muß es heißen: (50.12.)14 ];Dell'Oro, I Iibri de officio nella giurisprudenza romana (1960) 228 Fn. 472. 110 Kornemann, RE 4,2 (1901) .1804 s.v. curatores;Langhammer, Die rechtliche und soziale Stellung der Magistratus Municipales und der Decuriones etc. (1973) 165 ff.; zu den Anfängen des Amtes s. Dell'Oro, I libri de officio nella giurisprudenza romana (1960) 221 f. Unter Hadrian standen allein in Italien 5 Städte unter Kuratel; unter Mark Aurel und Commodus waren es bereits 22, vgl. d'Arms, JRS 64 (1974) 105f. 111 050.12.1. 112 Morwud 55 ff. unterscheidet bei der bpct drei Kategorien von liberi: 1) die Noterben, die der Prätor in der 1. Klasse ab intestato (unde liberi) beruft; 2) liberi in adoptiva [ami/w, die von der bp unde liberi ausgeschlossen sind, aber die bpct commisso per alium edicto erhalten können; 3) alle weiteren Deszendenten, quibus portio hereditatis conservatur gemäß der Ausdehnung des Edikts de legatis praestandis (reines Kognationsprinzip). Der Begriff fiberi kann damit in vierfachem Sinn gebraucht werden: in jedem der drei genannten Kategorien sowie ganz allgemein ftir a I I e diese Deszendenten (Morwud 67). 113 S. oben Fn. 82 f. 114 Dieser zeitlichen Reihenfolge steht nichts entgegen. Beide Werke, der Ediktskommentar und die Schrift de o[ficio curatoris rei publicae, sind unter Caracalla geschrieben, vgl. Krüger 242, 246 Fn. 188; Cri[b, ANRW II 15, 753 Fn. 286 und 755 Fn. 310. Ausführliche Charakterisierung der Monografie bei Dell'Oro, I Iibri de officio et c. (1960) 220 ff.

86

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

sen Teilaspekt als alleinige Maxime der Konstitution und kommentiert damit den liberi-Begriff der zur pollicitatio ergangenen Pius-Konstitution. Das Wort quoque stellt klar, daß Ulpian den Begriff möglichst weit verstehen und das

Privileg des Zehntels all e n Deszendenten zugute kommen lassen möchte.

Da ein abschließendes Urteil über D 50.12.15 nicht möglich erscheint, sehen wir von einer Aufnahme der Stelle in die Sammlung der Zitate unserer PiusKonstitution ab. Ein letztes Mal wird die Konstitution erwähnt l15 bei lOe.

Hermogenian 3 iur epit D 37.5.23 Hi, quibus vel relictum vel virilem divus Pius conservari constituit, ex servis, qui libertatem propter bonorum possessionem contra tabulas acceptam conseq ui non potuerunt, nihil habe bunt 116 Der nachklassische Jurist bezieht sich auf die Konstitution lediglich zur Abkürzung der Sachverhaltsschilderung 11 7. Die knappe, nur dem Fachkundigen verständliche Formulierung bestätigt aufs neue unsere Charakterisierung der Konstitution. Sie begründet den Schutz (relictum conservare) unter gleichzeitiger Begrenzung desselben (virilem). Im übrigen zeigt die Stelle, wie schon D 37. 8.7, daß die Pius-Konstitution die Jurisprudenz vor eine Vielzahl von Folgeproblemen stellte, auf die in diesem Rahmen aber nicht näher eingegangen werden kann. Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Die folgende Tabelle gibt zunächst einen überblick über die äußeren Daten der flinffach zitierten Konstitution:

115 Außer Betracht bleiben das seltsame beneficium legis bei Pap 13 quaest D 37.5.21 (dazu Solazzi, Glosse a Gaio, St. Riccobono 1, 1936, 92 Fn. 60 gegen Kreller, SZ 41, 1920,263) sowie das farblose constat bei Marcian 4 reg D 37.5.20. 116 Pal. 59. Die Literatur meidet die Stelle; ihren Sinn zu erfassen, sei schwierig, meint Liebs, Hermogenians iuris epitomae (1964) 105. Doch vgl. die ansprechende Interpretation des Accursius, Glosse acceptam ad h.l. (dort unter 2). 117 Liebs, Hermogenians iuris epitomae (1964) 47 Fn. 46.

87

11. Conservatio portionis hereditatis

Funktion des Zitats

Stelle

Zitat

lOa. Dip 40 ed D 37.5.5.6+7

rescriptum divi Pii

Anführung als historische Autorität für eigene Meinung des Juristen

lOb. Tryph 16 dispD37.5.7

constitutio divi Pii

Mitteilung der Rechtsänderung

I Oc. Tryph 16

disp D 37.8.7

constitutio divi PU

Einfluß der Rechtsänderung auf Falllösung

IOd. Marcell 9 dig D 37.8.3

imperator Anto- Heranziehung als ninus rescripsit analoges Präjudiz

10e. Hermog 3 ·ur epit D 37.5.23

divus Pius constituit

Abkürzung der Sachverhaltsschilderung

Daten des konkreten Falles -

Adressat: L. Matuccius Fuscinus Datum: 156-1 59 Ort: Provinz Numidien -

Persona excepta nepos ex filia -

Auf die uneinheitliche Zitierweise der Juristen bei Kaiserentscheidungen wurde bereits hingewiesen 118. Bei der bekannten Tendenz der Kompilatoren, Wiederholungen zu streichen, dürfte die häufige Erwähnung der Konstitution nicht zuletzt auf die Vielfalt der Funktionen ihrer Mitteilung zurückzuführen sein. Die Tryphoninstelle (Nr. lOb) mit ihrer bloßen Dokumentationsfunktion ist dabei sicherlich als Hauptquelle gedacht. Die Konstitution, literarisch von Julian vorbereitet, korrigierte eine Ungerechtigkeit der prätorischen Erbrechtsordnung im Bereich der bpct. Das Edikt erhielt den exceptae personae zwar Legate, nicht aber Erbteile. Während die in der Klasse unde fiberi zur bp berechtigten Abkömmlinge auf die bpct commisso per alium edicto ausweichen und sich damit ihren Erbteil sichern konnten, gingen die übrigen nicht zur bpct berechtigten exceptae personae bei Erbteilen leer aus. Die Konstitution beseitigte diesen Wertungswiderspruch. Gleichzeitig löste sie den dadurch hervorgerufenen Konflikt mit den Interessen des Kontrabularerben nach dem Muster der Legate, indem sie die Erbteile nur bis zur Höhe des Kopfteils erhielt.

118 S. oben Fn. 84 f.

88

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Die Konstitution führte keineswegs zu einer rechnerischen Gleichstellung aller Blutsverwandten 119 bei den Folgen einer bpct. Vielmehr ergab sich nun ein deutlich abgestuftes System: Eine persona excepta, die zur 1. prätorischen Erbklasse zählte, wurde durch das Edikt de bpct oder durch Aufrechterhaltung der testamentarischen Einsetzung bis zur Höhe ihres Intestaterbteils geschützt. Eine persona excepta, die zwar in direkter auf- oder absteigender Linie blutsverwandt war, aber nicht zur I. prätorischen Erbklasse zählte, wurde durch das nun erweiterte Edikt de legatis praestandis nur in den Grenzen des Kopfteils geschützt. Die übrigen Blutsverwandten, die nicht zu den personae exceptae gehörten, sowie alle familienfremden extranei waren der bpct ohne Schutz ausgesetzt. So werden zwei je zur Hälfte eingesetzte filii durch die bpct ihres emanzipierten übergangenen Bruders auf je 1/3 beschränkt (Intestaterbteil) ; zwei hälftig eingesetzte nepotes ex fi/ia dagegen durch die bpct eines filius emancipatus praeteritus auf je 1/4 (Kopfteil); und zwei ebenso eingesetzte extranei gehen völlig leer aus. Entsprechend erhält der übergangene im ersten Fall 1/3, im zweiten 1/2 und im dritten das Ganze. Der Eingriff des Kaisers in das prätorische Recht 120 bedeutete mithin eine materielle Korrektur des Edikts, das in dem Schutz der übergangenen liberi zu weit gegangen war. In Zukunft sollte der Rechtsprechungsmagistrat bei der Erbfolge gegen das Testament dieses für einen weiter als bisher gezogenen Kreis von nahen Verwandten aufrechterhalten. Nebeneffekt war eine stärkere Beachtung des Erblasserwillens. Der Grundsatz der Testierfreiheit hat wertvollen Boden zufÜckgewonnen. Der Provinzialbezug der Konstitution ist nicht besonders ergiebig. Merkmale eines Kognitionsverfahrens sind nicht ersichtlich 121. Ein Formularprozeß in Numidien, das de iure noch zur Senatsprovinz Africa proconsularis gehörte, wäre nicht überraschend. Immerhin beweist die Konstitution, daß Rom und die stadt römischen Magistrate keine MonopolsteIlung bei der Erstanwendung einschneidender Rechtsänderungen besaßen. Der Kaiser konnte neues Recht auch über seine Statthalter in den Provinzen einführen. In diesem Falle war die Erstreckung seiner Geltung auf Rom und Italien offenbar selbstverständlich, denn die Juristen verlieren hierüber kein Wort. Auch wenn man insofern von der Praxis einer einheitlichen Reichsrechtsordnung für römische Bürger ausgehen darf, bleiben die alten Streitfragen über die territoriale Geltung von Kaiserkonstitutionen 122 und über das Verhältnis von stadtrömischem und Provinzialedikt(en)123 weiter offen. 119 Moriaud 188 und 195;LaPira, Succ. 366. 120 So bereits DeDominicis, AFerrara 8 (1948/49 - 49/50) 213 Fn. 1 für D 37.8.7. 121 Richtig Partseh, Die Schriftformel im röm. Provinzialprozeß (1905) 64 und Kaser, ZPR § 66 IV gegen Pemice, Fg. Beseler (1885) 75 ff. 122 Zum Streitstand s. Palazzolo, Potere imperiale (1974) 6 Fn. 10. 123 Hierzu Martini, Ricerche in tema di editto provinciale (1969) 4 ff., 49 ff.

89

II. Conservatio portionis hereditatis

Eine interessante überschneidung der Pius-Konstitution mit der vorher besprochenen Pius-Konstitution Nr. 9 ergibt sich, wenn eine Frau zur bpct berechtigt und ein eingesetzter extraneus persona excepta ist. Wir vergleichen die dort tabellarisch aufgeführten Fälle mit Beteiligung von extranei: 124

Instituti

4.

FS E je 1/2

Quote der filia Quote der Quoten der sua praeterita instituti nach Beteiligten nach Zivilrecht Zivilrecht bei bpct

1/2

Quoten bei con servatio portionis hereditatis (E ·= persona excevta)

FS 1/4 E 1/4

FS 1/2 E FSP 1/2

FS 1/3 E 1/3 FSP 1/3

I

5.

FS E

2/8 6/8

4/8

FS 1/8 E 3/8

FS 4/8 E FSP 4/8

FS 1/3 E 1/3 FSP 1/3

6.

FS E

6/8 2/8

4/8

FS 3/8 E 1/8

FS 4/8 E FSP 4/8

FS 3/8 E 2/8 FSP 3/8

8.

FS 1 FS 2 je 1/3 E

7/18

FS 1 4/18 FS 2 4/18 E 3/18

FS 1 6/18 FS 2 6/18 E FSP 6/18

FS 1 FS 2 E FSP

1/4 1/4 1/4 1/4

9.

FS 1 3/18 FS 2 3/18 E 12/18

8/18

FS 1 2/18 FS 2 2/18 E 6/18

FS 1 6/18 FS 2 6/18 E FSP 6/18

FS 1 FS 2 E FSP

1/4 1/4 1/4 1/4

13/36

FS 1 10/36 FS 2 10/36 E 3/36

FS I 12/36 FS 2 12/36 E FSP 12/36

FS I 10/36 FS 2 10/36 E 6/36 FSP 10/36

E

E FSP total (nach Gai 2.126: E 1/2 und FSP 1/2)

E 1/2 FSP 1/2

10 FS 1 18/36 FS 2 12/36 E 6/36 11

E Alleinerbe

1/2

1/2

Zeichenerklärung: FS = filius suus; E = extraneus; FSP = filia sua praeterita

124 Vgl. oben § 4 (im Text nach Fn. 29).

90

§ 4 Erbfolge gegen das Testament

Wenn der eingesetzte extraneus zu den personae exceptae gehört, ist die filia sua praeterita nach der numidischen Konstitution regelmäßig in der Quote schlechter gestellt (Spalte 5) als nach der bei Gaius überlieferten Konstitution (Spalte 4). Nur in dem eigentlichen Anwendungsfall dieser Konstitution (11) ergibt sich für sie eine gleichlautende Lösung. Die einschneidendere Änderung im Recht der bpct, die Männer und Frauen gleichermaßen betraf, lag somit in der numidischen Konstitution. Wahrscheinlich ist sie als generelle, an der materiellen Gerechtigkeit orientierte Rechtsänderung zeitlich vor die bei Gai 2.126 überlieferte Konstitution zu plazieren, welche dann nur noch eine verbleibende Systemwidrigkeit beseitigte. Die letztere verlöre damit weiter an Bedeutung. Sie hätte nur in einem Fall eigenständiges Gewicht, wenn nämlich der Erblasser ausschließlich extranei eingesetzt hätte, die nicht zu den personae exceptae gehörten. Dann müßte in der Tat die übergangene Frau die Hälfte der Erbschaft abgeben, während ein übergangener Mann die extranei mit der bpct völlig verdrängte. Zwingend ist diese zeitliche Einordnung freilich nicht. Doch wäre gegenüber einer umgekehrten Abfolge einzuwenden, der Kaiser habe die Reform an der falschen Stelle angepackt und die Frauen jedenfalls ftir kurze Zeit, bis zum Erlaß der numidischen Konstitution, im Verhältnis zu den Männern über Gebühr belastet. Für die hier bevorzugte Reihenfolge spricht auch das Wörtchen nuper in Gai 2.126. Wenn es richtig ist, daß Gaius die Institutionen 160/161 verfaßt oder revidiert herausgegeben hat l25 , dann dürfte die Konstitution, da nuper auf einen nicht allzu fernen Zeitpunkt hinweist, erst kurz zuvor ergangen sein. Allerdings läge zwischen der numidischen Konstitution (zwischen 156 und 159) und der bei Gaius erwähnten Konstitution (ca. 160-161) nur eine kurze Zeitspanne. Wie dem auch sei, in jedem Fall ist gegen Ende der Regierungszeit des Antoninus Pius das Konzept der bpct neu durchdacht und neu geregelt worden.

Ill. Die bon 0 rum pos ses s i 0 c 0 n t rat abu las des parens manumissor Das Edikt ,si a parente quis manumissus sit' gewährte einem Vater gegen das Testament seines emanzipierten Sohnes, der nicht von fiberi beerbt wurde, nach dem Beispiel des patronus fiberti die bpct in Höhe der Hälfte der Erbschaft, falls ihm der Sohn weniger oder überhaupt nichts hinterlassen hatte 126 Man könnte in dieser Regelung eine pauschale Abgeltung der durch die Emanzipation eröffneten und dann realisierten Chancen auf eigenen Vermögenser125 S. oben § 4 Fn. 27. 126 Lenel, EP § 154; Vip 45 ed D 37.12.1pr.; Gai 3.41 (patronus liberti); Kaser I § 172 11.

III. Die bonorum possessio contra tabula~ des parens manumissor

91

werb sehen 127. Entsprechend konnte der Sohn vor oder nach seiner Emanzipation die Beschränkung seiner Testierfreiheit durch eine Geldzahlung ablösen. Eine gleichwohl beantragte bpct wurde mit einer exceptio doli abgewehrt 128. Auch in einem anderen Fall wurde dem parens manumissor die bpct versagt: 11 a. VIp 45 ed D 37.12.1.4 Et est alius casus, quo bonorum possessionem contra tabulas parens non accipit, si forte filius militare coeperit: nam divus Pius rescripsit patrem ad contra tabulas bonorum possessionem venire non posse. 129 Unter Bezugnahme auf ein Reskript des Kaisers Pius verweigert Ulpian dem Vater die bpct filii militis. Die Aussage wird, wie der Zusammenhang mit § 3 ergibt, von Ulpian und damit auch dem Reskript in bezug auf den filius emancipatus mi/es getroffen. Für den filius in potestate mi/es wäre sie auch höchst überflüssig gewesen. Dieser konnte nämlich seit den frühen Konstitutionen der Kaiser Augustus, Nerva und Trajan frei und ohne Rücksicht auf den Vater über sein ganzes persönliches Vermögen, die im Heeresdienst erworbenen Güter, testieren l30 . Das Pius-Reskript leuchtete unmittelbar ein, wenn es insoweit den filius emancipatus mi/es mit dem filius in potestate mi/es gleichzustellen beabsichtigte. Die Lösung wäre gerecht, da der oben skizzierte Grundgedanke der bpct des parens manumissor, der Gedanke der Abgeltung, hier in der Tat nicht einschlägig wäre: Nicht die Emanzipation begründete für den Sohn die Chance, im Heeresdienst Vermögen zu erwerben, sondern der Eintritt in den Soldatenstand und die hieran geknüpfte Begünstigung der Kaiser. Der Soldatenstatus überlagert und verdeckt insoweit den Status als emancipatus Aber die im Hinblick auf das Vermögen des Sohnes undifferenzierte Aussage Ulpians und seine noch unschärfere Wiedergabe des Reskripts lassen uns zögern. Soll der Vater lediglich an dem in castris adquisitum oder auch an dem zwischen Emanzipation und Eintritt in den Soldatenstand erworbenen Vermögen ausgeschlossen werden? Eine umfassende Geltung des Reskripts ließe sich mit dem Abgeltungsgedanken nicht begründen. Endgültige Klarheit schaffen: Marcell 10 dig D 29.1.29.3 Patri eius, qui in emancipatione ipse manumissor exstitisset, contra tabulas 127 Ulp 45 ed 0 37.12.lpr. (quod aequissimum - quaereret). Der Gedanke ist echt, doch s. Ind.; Glück, Pand. 37-38 V (1879) 562, spricht zutreffend von Renumeration. 128 Ulp45 ed 0 37.12.1.3. 129 Pal. 1177. Lit.: A. Schmidt, Das Pflichttheilsrecht des Patronus und des Parens Manumissor (1868) 146 f.; Fitting, Das castrense pcculium in seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen gemeinrecht!. Geltung (1871) 35, 214 ff., 228; Glück, Pand. 37-38 V (1879) 563. 130 I 2.12pr.; UE 20.10.

92

§ 4. Erbfolge gegen das Testament

testamenti dandam bonorum possessionem partis debitae placet exceptis his rebus quas in castris adquisisset, quarum liberam testamenti factionem habet: 131 und 11 b. Paul 7 quaest D 29.1.30 nam in bona castrensia non esse dandam contra tabulas filii militis bonorum possessionem divus Pius Antoninus rescripsit. 1 32 Marcell unterscheidet die beiden Vermögensmassen: nach gesicherter Auffassung (placet) sei dem Vater der Pflichtteil zu gewähren; das im Heeresdienst erworbene Vermögen sei auszunehmen und könne frei vererbt werden 133. Der im Regel-Ausnahme-Prinzip gehaltene Satzautbau deutet auf eine Korrespondenz zur zeitlichen Entwicklung hin. Anfänglich wurde die bpct unbeschränkt gewährt, später auf die nicht im Soldatenstand erworbenen Güter beschränkt. Vielleicht hat schon Marcell den Urheber der Beschränkung zitiert. Jedenfalls hielten die Kompilatoren es für angebracht, ihn zu nennen. Sie fügten der Marcell-Stelle, welche die Ediktsmasse zu dem Thema einleitet, ein aus der Pa pinianmasse vorgezogenes und um den Sachverhalt verkürztes Paulus-Fragment an. Das darin genannte Pius-Reskript l34 ist in seiner für den Vater negativen Formulierung ohne Zweifel mit dem bei Ulpian erwähnten Reskript identisch 135, nur hat Ulpian dem Leser die Beschränkung auf die bona castrenstiz 136 verschwiegen. Wiederum arbeitet Ulpian unsauber; man könnte ihn hier allenfalls mit dem Argument entschuldigen, für den Fachmann verstände sich die Beschränkung von selbst. Eine isoliert überlieferte Note Marcells zum fiber singularis regularum des Pomponius (D 49.17.10) ergänzt den bisher gewonnenen Eindruck: Constat nec patribus aliq uid ex castrensibus bonis filiorum deberi. Pomponius muß Marcell Anlaß für diese lapidare Feststellung geboten haben. Wahrscheinlich hatte Pomponius noch zwischen filiusfamiltizs und filius emancipatus unterschieden und vielleicht eine rechtliche Gleichbehandlung ihrer 131 Pal. 134. Die Stelle ist formal überarbeitet. Solazzi, Ath. 15 (1927) 108, verbessert eius - ipse in qui filii militis; Mommsen beginnt in der Dig.-Ausgabe mit cum mi/es decessit emancipatus. 132 Pal. 1351. S. Röhle, Iulius Paulus - Gelehrte Untersuchungen einzelner Rechtsfragen (1975) 132 f. (Nr. 84).

133 Libera testament i factio bedeutet hier Ausschluß der bpct, vgl. Schindier, Justi-

nians Ha lt ung zur Klassik (1966) 98. 134 Paul hat bei der Abfassung seiner Quaestionen aus Marcells Digesten gearbeitet: Pal. Paul 1278 (I. 1), 1311 (1. 3), 1422 (I. 25). Möglicherweise hat er dort auch das PiusReskript vorgefunden. 135 Cujaz VI 1066; Schmidt 147 Fn. 54; Fitting, Das castrense peculium etc. (1871) 216 Fn. 2; Fitting, Alter und Folge etc. 42, 61 f. 136 Bona castrensia, castrense peculium und adquisitum in castris werden offenbar unter Pius noch synonym gebraucht, S. Fitting, Das castrense peculium etc. (1871) 35.

[JI. Die bonorum possessio contra tabulas des parens manumissor

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bona castrensia angeregt. Wenn diese überlegung zutrifft, hat Pomfonius das Pius-Reskript bei der Abfassung seiner regulae noch nicht gekannt 1 7; Marcell dagegen konnte aufgrund seiner Kenntnis des Reskripts leicht auf gesichertes Recht (constat) verweisen.

Das Pius-Reskript bezweckte also die Anpassung der Rechtslage des filius emancipatus mi/es an das für dienende Haussöhne geltende Kaiserrecht 138. Jeder Sohn sollte fortan über seine bona castrensia unbeschränkt letztwillig verfügen dürfen. Die Weiterentwicklung des Kaiserrechts wurde durch einen Eingriff in das prätorische Erbrecht gegen das Testament erreicht, indem man die bpct des Vaters gegenständlich auf das übrige Vermögen des filius emancipatus mi/es beschränkte. Später scheint diese Regelung auf den patronus liberti militis übertragen worden zu sein l39 Zusammenfassung Die drei Pius-Konstitutionen (Nr. 9, 10, 11), die in ihrem Kern in das formelle Noterbenrecht eingreifen l40 , beschränken die bpct generell zugunsten der exceptae personae (10), die bpct der Frauen auf die ihnen nach Zivilrecht zustehende Quote (9) und die bpct des parens manumissor auf die nicht zu den bona castrensia zählenden Güter des emanzipierten Sohnes (I 1). Sie nehmen damit den über das Ziel hinausgeschossenen prätorischen Schutz der Familienerbfolge zugunsten einer stärkeren Anerkennung von Testament und Testierfreiheit des Erblassers zurück. Zwei der Korrekturen erfüllen unabweisliche Gebote der Gerechtigkeit: Nr. 10 beseitigt einen Wertungswiderspruch, den die Ediktsklausel de legatis praestandis zwischen Legataren und Erben geschaffen, Nr. 11 die Ungleichheit, die das kaiserliche Militärrecht zwischen dienenden Haussöhnen und emancipati hervorgerufen hat. Nr. 9 dagegen ist im wesentlichen eine bloße Reaktion auf eine äußere Systemwidrigkeit des prätorischen Testamentserbrechts, die im Ergebnis allerdings zu einer gewissen Harmonisierung von prätorischem und zivilem Recht bei der inter ceteros-Enterbung führt. Bei Nr. 9 und 10 war der Mangel im prätorischen Recht selbst begründet, bei Nr. 11 wurde er durch Kaiserrecht von außen an das prätorische Recht herangetragen. 137 Fitting, Das castrense peculium etc. (1871) 227 und Fn. 1 (dort ältere Lit.); Alter und Folge etc. 42. Eine nähere Datierung des Reskripts ist jedoch auch damit nicht möglich. 138 Fitting, Das castrense peculium etc. (1871) 35, 228. 139 VIp 42 ed D 38.2.3.6; Fitting, Das castrense peculium etc. (1871) 228. Für eine umgekehrte Abfolge Glück, Pand. 37-38 V (1879) 563.- Schmidt 149 f. will in Paul 8 ad Plaut D 37.12. 3pr. eine weitere Konstitution des Pius zu dieser Materie sehen. Er liest mit beachtlichen Gründen statt Paconius oder Pantonius (Vulgata) P.(ius) Antoninus, vgl. ausführlich 150 f. Fn. 59. Doch ist uns dies nicht ausreichend gesichert. 140 Der in der Literatur vorerst letzte Beitrag zur bpct von Vacca, In tema di bonorum possessio contra tabulas, Bull. 80 (1977) 159 ff., geht auf die Pius-Konstitutionen nicht ein und verpaßt damit ein wichtiges Zwischenglied in der Entwicklungsgeschichte der bpct.

§ 5. PFLICHTTEILSRECHT Der Erblasser konnte den Beschränkungen, die das Recht der bpct (das sog. formelle Noterbenrecht) seiner Testierfreiheit setzte, durch Enterbung der Berechtigten nur scheinbar ausweichen. Bei grundloser Enterbung nämlich oder zu kärglich bemessener Einsetzung war das Testament der Gefahr der Anfechtung wegen Pflichtwidrigkeit (testamentum inofficiosum) ausgesetzt. Hierfür war ein besonderes Rechtsmittel, die querela inofficiosi testamenti (qit), vorgesehen. Die erfolgreiche Klage führte zur Vernichtung des Testaments und damit zum Eintritt der Intestaterbfolge. Ein kluger Erblasser tat also gut daran, in seinem Testament alle seine gesetzlichen Erben gebührend, also mit mindestens einem Viertel des Intestaterbteils, zu berücksichtigen (das sog. materielle Noterbenrecht) und nur bei grobem Fehlverhalten eine Enterbung anzuordnen 1 . Das Pflichtteilsrecht im 2. nachchristlichen Jahrhundert ist durch zahlreiche Kaiserentscheidungen geprägt. Von den zehn überlieferten Konstitutionen, deren Urheber die Juristen nennen, stammen allein fünf von Pius 2

I Transmissio

accusationis

Um die Vererblichkeit der qit geht es in den unmittelbar aufeinanderfolgenden und sachlich zusammengehörigen Stellen Ulp 14 ed D 5.2.6.2

Si q uis instituta aeeusatione inofficiosi deeesserit, an ad heredern suurn q uerellarn transferat? Papinianus respondit, quod et quibusdarn reseriptis signifieatur, si post adgnitarn bonorurn possessionern deeesserit, esse sueeessionern aeeusationis. et si non sit petita bonorurn possessio, iarn tarnen coepta eontroversia vel praeparata, vel si eurn venit ad rnovendarn inoffieiosi querellarn deeessit, puto ad heredern transire.

2

Zur querela inofficiosi testamenti s. nur Kaser I § 173 I und Wesen er, RE 24 (1963) 858 ff. s.v. querela. Im einzelnen besteht viel Streit. Trotz der gründlichen Untersuchung von Di Lel/a, Querela inofficiosi testament i (1972) [hierzu: Kaser " 610 f. (Nachträge zu 1 § 173); Marrone, Labeo 19 (1973) 358 ff.;Lemosse, RH51 (1973) 424 ff.; Voci, Jura 23 (1972) 278 ff.] ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Traian: D 5.3.7pr.; Hadrian: D 5.2.8.16; 5.2.28; Pius: D 5.2.7; 5.2.8.16; 49.1.5.1. (= 49.1.J4pr.) und 2;5.3.7.1;Divi Fratres: D 5.2.18;49.1.14.1;Severus und Caracalla: D 5.2.30.1. Hinzu kommen Konstitutionen in allgemein gehaltenen Zitaten: D 5. 2.6.2; 5.2.8.2; 49.1.5.3. Nicht zu zählen ist D 5.2.29pr. = 49.1.14pr. (Pius). D 5.2. 8.15 (Pius) gehört nicht hierher, sondern zur Quarta divi Pii (s. den folgenden § 6 unserer Arbeit).

I. Transmissio acclIsationis

95

und 12.

Paul!. sing de septemviralibus iudiciis D 5.2.7 Quemadmodum praeparasse litern quis videatur, ut possit transmittere actionern, videamus. et ponamus in potestate fuisse eum, ut neque bonorum possessio ei necessaria et aditio hereditatis supervacua sit: is si comminatus tanturn accusationem fuerit vel usque ad denuntiationem vel libelli dationem praecesserit, ad heredem suum accusationem transmittet: idque divus Pius de libelli datione et denuntiatione rescripsit. quid ergo si in potestate non fuerit, an ad heredem actionem transmittat? et recte videtur litern praeparasse, si ea fecerit quorum supra mentionem habuimus 3 . Die literarische Diskussion wird von den Grundsatzstreitfragen beherrscht, ob die Texte die Zentumviral- oder die Kognitionsquerel beträfen, und ob die Querel überhaupt eine selbständige Klage oder bloßes Inzidens einer hereditatis petitio sei. Dabei scheint nur allzuoft eine vorgeformte Meinung des jeweiligen Autors die Auslegung der Stellen zu determinieren, selbst um den Preis schwerer substantieller Eingriffe in den Text 4 . Wir gehen die Interpretation daher ganz von neuem an. Ulpian stellt die Frage, ob der Querelberechtigte die angestrengte Klage vererben könne. Instituere accusationem ist technisch und meint Rechtshängigmachen der Querel 5 , beweist aber nichts flir Kognition 6 . Ulpian antwortet zu3

Pal. 43. Lit.: Wieding, Der justinianische Libellprocess (1865) 308 f., 361 ff.; Eisele, Zur Querela inofficiosi, SZ 15 (1894) 256 ff., 265 f., 272 f., 285, 300; Chabrlln, Essai sur la querela inofficiosi testament i (1906) 114 ff., 133 ff. ;Jobbe-DlIval, Explica-

tion de la loi 16 au Code ,De inofficioso testamento' 3.28 Me!. Gerardin (1907) 392;

4 5

Steinwenter, Studien zum röm. Versäumnisverfahren (1914) 14, 18 Fn. 3,26; WTassak, Zum röm. Provinzialprozeß (1919) 39 Fn. 7; Boye, La denuntiatio introductive d'instance sous le principat (1922) 218 ff.;LaPira, Succ. 472 ff., 476ff.;Aru, 11 processo civile contumaciale (1934) 129 ff.; H. Krüger, Querela inofficiosi testamenti, SZ 57 (1937) 94 ff., 103; Renier, Etude sur l'histoire de la querela inofficiosi en droit Romain (1942) 157 f., 304 ff.; Collinet, La nature des ,Querelae', des origines a Justinien, SD 19 (1953) 251 ff., 270 ff.;Biondi, DER 110 f.;Marrone, Sulla natura della ,querela i. t.', SD 21 (1955) 74 ff., 99 ff.; Voci 11 720 ff.;Kaser I § 173 Fn. 21;DiLelTa, Querela i. t. (1972) 147 Fn. 46, 253 Fn. 141. Vg!. nur La Pira, Succ. 476 f. Vip 6 op D 5.2.27 pr. ("Si instituta de inofficioso testamento accusatione de lite pacto transactum est ... "); 5 (Lenel: 6) op D 5.2.29.2 (instituta inofficiosi testamenti accusatione). Obwohl die Belege aus den wahrscheinlich apogryphen opiniones stammen, ist instituere accusationem nicht zu beanstanden. Accusatio ist Synonym rur quereTa (z. B. Paul I sing de septemviralibus iudiciis D 5.2.31pr. und § 3; !.sing de inoff test D 5.2.32pr. und § 1; 2 quaest D 5.2.17pr.). Instituere kommt bei der Querel auch in anderen Verbindungen vor: z.B. Vlp-Pap 14 ed D 5.2.8pr. (inofficiosi querellam instituere); Vip 2 disp D 5.2.25.1 (inofficiosi querelTam instituere); Vip 44 ed D 38.5.1.8 (querelTam inofficiosi instituere); Tryph 17 disp. D 5.2.22.3 (instituere litem de inofficioso testamento); Pap 14 quaest D 5.2.15.1 (litem institu· ere). Litem instituere umfaßt nicht bereits die praeparatio /itis, wie Pap 14 quaest D 5.2.15.1 glauben machen könnte (a.A. Boye 223; Renier 306): dort wird der Satz non enim sufficit litem instituere, si non in ea perseveret lediglich als Argumentum

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§ 5. Pl1ichtteilsrecht

nächst nicht selbst, sondern referiert die Ansicht Papinians, daß die Vererbung die Erteilung der bonorum possessio voraussetze. Die Bezugnahme auf die Reskripte läßt diese Meinung als die herrschende erscheinen. Sicherlich handelt es sich nicht um eine bp des Testamentserben. Dieser mußte nämlich die Erbschaft bereits erworben haben, weil dadurch dem Enterbten überhaupt erst die Möglichkeit zur Klagerhebung erwuchs 7 . Erst die r e a I i sie r t e Pflichtwidrigkeit des Testaments machte Rechtsschutz erforderlich; im Falle des Nichtantritts des Testamentserben trat ohnehin die Intestaterbfolge ein. Papinian fordert mithin eine bp des Enterbten. Da das Testament bis zu einem der Querel stattgebenden Urteil als gültig angesehen wurde, konnte der Prätor dem Enterbten unmöglich eine vollwirksame bp intestati gewähren. Er konnte sie aber !itis ordinandae gratia, d.h. zur Anstrengung der eigentlichen Querei, zusprechen. Die bp !itis ordinandae gratia ist nur aus Ulp-Pap 14 ed D 5.2.8pr. namentlich bekannt 8 . Nach überwiegender Ansicht war sie nur für die prätorischen Intestaterben zur Begründung ihrer Aktivlegitimation notwendig 9 . Zivile Intestaterben dagegen, die nicht zu den sui heredes des Erblassers gehörten, mußten entweder diese bp beantragen oder die aditio vornehmen. So ist in D 5 .2.8pr. von der bp tiris ordinandae gratia eines fitiusfamilias die Rede. Da der paterfamilias als Erblasser ausscheidet - er möchte ja nach dem Tod seines Sohnes die Querel weiterverfolgen 10 -, kommt nur die Mutter als Urheber des pflichtwidrigen Testaments in Betracht: ihr gegenüber ist der Sohn zwar nicht suus heres, aber seit dem Sc. Orfitianum von 178 ziviler Erbeil o maiore ad minus eingesetzt. Die Willensänderung des Intestaterben post litem de inofficioso praeparatam hindert die Vererbung, weil auch eine Willensänderung bei

6 7

8 9

10 11

. bereits anhängigem Prozeß zum Ausschluß der Vererbung führt. Vgl. Chabrun 133; Renier 132 ff., 299 f.; a.A. Bo)'e 220; Marrone 101 f. Fn. 27. Doch bezieht sich accusatio in Paul 2 quaest D 5.2.17pr. eindeutig auf das Zent umviralverfahren. Vip 14 ed D 5.2.8.10 ("quoniom ante aditam hereditatem nec nascitur querella"); Wesener, RE 24 (1963) 861 s.v. querela. Über diesen Punkt bestand gewiß kein Streit zwischen Vlpian und Modestin (vgl. C 3.28.36.2, a. 531), wie Chabrun 95 ff. vermutet. Dort ging es nicht um die Vererbung der Querei, sondern um ihren Erwerb iure patrio. Dieser wird trotz bp des filiusfamilios verneint. Lit. bei Marrone, St. Betti 3 (1962) 405 Fn. 19. Adde: Hellwig, Erbrechtsfeststellung und Rescission des Erbschaftserwerbes (1908) 74; Voci 11 703 f.;Kaser I § 173 I 2. - Marrone selbst (404 f.), ausgehend von seinem Konzept der Inzidentquerel, sieht die Funktion der bp in der Festlegung der Beklagtenrolle eines prätorischen QuereIberechtigten gegenüber einer vom Testamentserben erhobenen hereditatis petitio. Ablehnend Voci II 726; Watson, The Law of Succession in the later Roman Republie (1971) 67 ; Di Lella 31 f.. Beseler, Sero Ferrini 3 (1948) 288, sieht in der bp !itis ordinandae gratio eine vor dem Erbantritt des heres institutus dem gekränkten Intestaterben gewährte bp ab intestato. S. oben Fn. 8. Kaser I § 16811. Papinians 5. Buch der Quaestionen, woraus der Fall stammt, ist nach 178 anzusetzen: Fitting 74.

I. Transmissio accusationis

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Ihre wesentlichste Stütze findet diese Lehre in einem Gegenschluß aus unserem fr. 7, wo es im Zusammenhang mit der Vererbung der Querel eines gewaltunterworfenen suus heißt: " ... ut neque bonorum possessiv ei necessaria et aditio hereditatis supervacua sit ... " Zweifellos ist auch hier die bp litis ordinandae gratia gemeint. Es läßt sich daher die Regel aufsteiIen, daß ein enterbter suus heres unmittelbar, ein enterbter, zur Intestaterbfolge berechtigter extraneus erst nach vorheriger bp !itis ordinandae gratia oder aditio die Querel erheben konnte. Der Sinn dieser Regelung leuchtet ein, wenn man beispielsweise bei einem prätorischen Intestaterben die Erhebung der Querelohne vorherige bp durchspielt 12. Ein dem Kläger günstiges Urteil vernichtete das Testament; Intestaterbfolge träte ein. Bereute jetzt der siegreiche extraneus sein Streben nach der Erbschaft und ließe sich nicht in den Erbschaftsgesitz einweisen, fände die Erbschaft womöglich gar keinen Erben. Das ganze Verfahren wäre sinnlos gewesen. Um ein solches für alle Beteiligten, einschließlich der Erbschaftsgläubiger, unerwünschtes Ergebnis zu vermeiden, mußte ein extraneus heres für den Fall, daß seine Querel Erfolg hatte, von vornherein auf die Erbschaft festgelegt werden l3 . Dies geschah denkbar einfach dadurch, daß man die bp intestati zur Voraussetzung der Klagerhebung machte. Zunächst sine re l4 , erstarkte sie durch den Sieg im Prozeß rückwirkend zur vollen Wirksamkeit 15. Im Falle seines Sieges konnte der Kläger somit der Erbschaft nicht mehr ausweichen. Entsprechendes gilt für die aditio des zivilen Intestataußenerben als Voraussetzung der Klagerhebung. Für 'einen suus heres erübrigte sich eine vorherige bp, da er mit dem Gewinn des Prozesses von selbst Erbe wurde. Die Berufung auf eine abstentio wird man ihm dann allerdings versagt haben.

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Zum folgenden vgl. Voci 11 703 f. Eine ähnliche Begründung gibt Hellwig (oben Fn. 9) 74. Aufschlußreich ist C 3.28.2 (a. 196): "Quamvis de inofficioso testamento acturum te bonorum possessionem accepisse proponas, tamen scriptis heredibus auferre posses· sionem incivile est. " Vgl. VIp 14 ed D 5.2.8.16: ,,si ex causa de inofficiosi cognoverit iudex et pronun· tÜJverit contra testamentum nec fuerit provocatum, ipso iure rescissum est: et suus heres erit secundum quem iudicatum est et bonorum possessor, si hoc se contendit: ... " Nach Krüger 99 und 104 und den Autoren, die in der bp Utis ordinandae gratÜJ eine bp sui generis sehen (Meinungsstand bei Marrone, St. Betti 3, 1962, 405 f. Fn. 21), müßte der extraneus heres erst nach siegreichem Ausgang des Prozesses die ordentliche bp intestati beantragen. Diese Wirkung läßt sich jedoch nicht aus D 5.2.8. 16 ableiten. Contendit ist nämlich ein Perfekt (vgl. Hellwig, oben Fn. 9, 73 Fn. 399: "wenn er sich darum bemüht hat".) und bezieht sich auf die zurückliegende bp litis ordinandae gratÜJ, vgl. Voci 11 689. Auch Lene!, EP § 52 (S. 142);Hellwig (oben Fn. 9) 76; Woess, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter(l91O) 224 Fn. 78; Voci 11 704, sehen in der bp Utis odinandae gratÜJ die gewöhnliche bp intestati, die lediglich ihre Wirkung verändere.

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Wenn dies die Funktion der bp !itis ordinandae gratia war, ist ohne weiteres klar, weshalb Papinian in fr. 6.2 an sie die Vererbung der Querel knüpfte, dokumentierte sie doch die wenn auch vorläufig nur theoretische Einbeziehung der Erbschaft in das Vermögen des enterbten Querelberechtigten. Im Grunde regierte also dasselbe Prinzip wie bei der Weitervererbung einer deferierten Erbschaft: erst die Erteilung der bp und die dadurch bewirkte Einbeziehung der Erbschaft in sein Vermögen ermöglichte dem prätorischen Erben die Weitervererbung l6 . Im Schlußsatz des fr. 6.2 scheint Ulpian die Vererbung der Querel auch ohne vorgängige bp mit der Klagerhebung (coepta controversia) oder bestimmten präparatorischen Maßnahmen (vel praeparata - decessit) zuzulassen. Der Jurist erweckt den Eindruck, als wolle er sich von der herrschenden Meinung (putol) absetzen. Der Eindruck ist freilich doppelt trügerisch. Erstens bringt VIpian nichts Neues. Sein Schlußsatz bezieht sich offensichtlich allein auf einen suus heres, der in der Tat auch ohne bp oder aditio durch prozeßvorbereitende Maßnahmen die Querel vererben konnte: das war bereits in dem Pius-Reskript geregelt, welches Paul in fr. 7 anführt. Zweitens besteht kein Gegensatz zu Papinian und den erwähnten Reskripten. Es darf als sicher gelten, daß diese die Vererbung lediglich in bezug auf den extraneus regelten und keineswegs auch für d'en suus heres, entsprechend dem Gedanken des Pius-Reskripts, die bp verlangten1 7. Schaut man hinter Vlpians mißverständliche Darstellung, die allerdings auch durch eine radikale KÜTzungsaktion der Kompilatoren verursacht worden sein könnte, ergibt sich immerhin noch ein ganz ansprechender Gedankengang l8 . Wenn, so könnte man ihn verstehen, die bp des extraneus als prozeßvorbereitender Akt die Querel vererbt, muß dies erst recht für die Klagerhebung selbst sowie für der bp vergleichbare prozeßvorbereitende Maßnahmen des suus heres

Ulp 39 ed D 37. 1.3.7; Francke, Das Recht der Notherben und der Pflichttheilsberechtigten (1831) 315. 17 Chabrun 115 Fn. 2; Krüger 103; Renier 157. An einen Meinungsunterschied zwischen Papinian einerseits und PaulusjUlpian andererseits denken Marrone 101 und Fn. 127 und Di Le/la 253 Fn. 141. Bozza, St. Bonfante 2 (1930) 622. leugnet überhaupt die Vererbungswirkung der bp fitis ordinandae gratia. Er streicht quod - signi[icatur und stellt Papinians Meinung auf den Kopf. 18 Dagegen streicht A/bertario, SZ 35 (1914) 315, den ganzen Schluß et si non sit petita - [in, hauptsächlich deshalb, weil Ulpian seine abweichende Ansicht zu wenig kontrastiert habe! Ebenso La Pira, Succ. 476. Eine kompilatorische Verkürzung des Gedankengangs Ulpians vermutet Marrone 101 f. Fn. 127. Nach Voci II 720 f. hat Ulpian ursprünglich von der litiscontestatio und der sponsio als sie vorbereitenden Akt gesprochen. Das ließe sich hören, wenn Ulpian die Zentumviralquerel vor Augen gehabt hätte (vgl. zur actio per sponsionem innerhalb des Zentumviralverfahrens Di L ella 126 ff.). 16

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gelten l9 . Ulpian geht damit über die gestellte Frage hinaus. Doch lag die Parallelisierung von bp litis ordinandae gratia des extraneus und prozeßvorbereitenden Maßnahmen des suus so nahe, daß jedenfalls bei der Alternative vel praeparata kaum an eine Interpolation zu denken ist 20 Die Figur der praeparatio litis bei der Querel ist nachweislich klassisch 2 I . lustinian hat sie in den antiqui libri vorgefunden; außer bei Ulpian und Paulus begegnet sie noch bei Papinian 22 . Was konkret darunter zu verstehen ist, erfahren wir aus dem Paulus-Fragment. Die Kompilatoren haben es aus der Sabinusmasse vorgezogen und in eine Ulpian-Katene aus der Ediktsmasse eingeschoben 23 . Es soll den von Ulpian verwendeten Begriff controversia praeparata (fr. 6.2) näher erläutern. Paulus nennt drei präparatorische Maßnahmen, mit denen der suus heres die Querel vererben kann. Während eine comminatio bei Privaten sonst nicht weiter belegt ist, kommen denuntiatio und libelli datio als Ladungsakte im Kognitionsverfahren vor. So wird etwa die excusatio tutoris dati an Gerichtstagen durch denuntiatio, d.h. eine private Anzeige des Tutors an den Antragsteller, und nachfolgende aditio praetoris tutelaris, während der Gerichtsferien dagegen durch eine schriftliche Eingabe (libelli datio) eingeleitet 24 . Noch deutlicher wird der Ladungscharakter bei der potioris nominatio, wenn der Tutor einen geeigneten Ersatzmann benennt. Hier kann zunächst private denuntiatio erfolgen; erscheint der Gegner nicht, kann der Tutor beim Prätor durch Einreichung eines Libells eine amtliche Ladung erwirken, mit der er den vorgeschlagenen Ersatzmann erneut, 19

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Controversia wird häufig zur Bezeichnung von Erbschaftsprozessen verwendet (vgl. VIR s.v. controversia). Vlpian benutzt es auch als Synonym rur querela: VIp 14 ed D 5.2.8.16. - Coepta controversia oder lis coepta (VIp 12 ed D 4.6.12; Vlp-Pius 14 ed D 5.3.5pr.; VIp 35 ed D 26.7.5.6) meint das Stadium der Querel nach Klagerhebung oder Litiskontestation (Boye 223; Renier 306), controversill praeparata oder lis praeparata das Stadium zuvor. Mit coepta controversia kehrt Vlpian in fr. 6.2 also wieder zur Ausgangsfrage (instituta accusatio, s. oben Fn. 5) zurück. - Caracalla (C 3.28.5. a. 211) setzt offenbar lis contestata und causa coepta gleich. Collinet 271 sieht in controversia coepta die Litiskontestation der hereditatis petitio, in controver· sill praeparata die vorherige Anstrengung der Quere!. Einzig Ma"one 103 Fn. 135 setzt coepta controversia mit der denuntiatio und libelli datio in fr. 7 gleich. Das ist unannehmbar, da Paulus diese Akte ausdrücklich zur Prozeßvorbereitung (que· madmodum praeparasse litem ... ) zählt. Marrone 102. Vel si - Querellam halten für nachklassisch: De Francisci, AG 89 (1923) 123; Collinet 271 ; Ma"one 101 f. Fn. 127. A.A. La Pira, Succ. 476 ff. ; Klima, Atti Verona 3 (1951) 97. C 3.28.36.2b (a.531); Pap 14 quaest D 5.2.15.1; Voci 11 720. Vielleicht hat Vlpian durch ein Zitat der Paulus-Stelle selbst den Anstoß hierzu gegeben. Bonore, SZ 80 (1963) 376 f., hat rur Vlpians Zitate im Edikts- und Sabinuskommentar nachgewiesen, 'daß die Kompilatoren häufig das Original aufschlugen und es in eine Vlpian-Katene einschoben. So ließe sich die Merkwürdigkeit erklären, daß Vlpian niemals den Paulus zitiert. Fitting 100 f., sieht den Grund in einer Rivalität der Juristen. Doch vgl. hierzu Berger, RE 10 (1918) 693 f. S.v. Iulius (Paulus) Nr. 382. . VIp I. de excusat vat 156 (" .. .adversario ... denuntiare debet . .. ; si ferille sint, libellosdetcontestatorios."). Vgl.Kaser, ~PR § 71 I 1 Fn. 20-24.

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nun aber ex auctoritate, laden kann 25 . Soll die Ladung an einen anderen Ort als den Wohnort des Tutors erfolgen, muß der Tutor einen Libell beim Prätor einreichen und ihn um die Ausfertigung eines Amtshilfebefehls an die zuständigen Munizipalmagistrate ersuchen T6 . Auffällig ist jeweils der enge Zusammenhang zwischen denuntiatio und libelli datio. Diese Feststellung läßt sich auch für das Paulus-Fragment treffen. Schon sprachlich ist vel usque ad denuntiationem vel libelli dationem praecesserit in sich verklammert und deutlich von der einleitenden comminatio abgeruckt. Das Pius-Reskript nennt nur libelli datio und denuntiatio. Die umgekehrte Reihung läßt auf eine gewisse Fungibilität, jedenfalls aber auf das Fehlen eines chronologischen Ablaufs schließen. Da beide Begriffe auch gut mit praeparatio litis zu assoziieren sind, werden sie in fr. 7 heute zurecht überwiegend als Ladungsakte bei der klassischen Kognitionsquerel identifiziert 2 7. Lebhafter Streit besteht allerdings über den genauen Sinn der beiden Akte. Die herrschende Meinung deutet sie als zwei aufeinanderfolgende Phasen der Ladung, ist aber hinsichtlich der Reihenfolge und Bewertung in sich uneinig. Wlassak und Boye als Vertreter der Theorie der halbamtlichen Ladung halten die libelli datio für das schriftliche Gesuch an den Magistrat, die auctoritas zur Ladung zu erteilen, und die denuntiatio für die sodann mit obrigkeitlicher Ermächtigung vollzogene Ladung des Gegners durch den Kläger selbst 28 . Baron 25 26 27

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Ulp!. de excusat vat 167 (Lesart nach Pa!. Vip 1842: " ... petendum, ut denuntietur ex auctoritate, cum denuntiaveris et non venerit. libellos det et litteras petat. "). Vg!. auch Kaser, ZPR § 71 11 und Fn. 13 f. Vip!. de excusat vat 162 (" ... libellos dedit ... "). Dazu Kaser, ZPR § 71 I 1 Fn. 15 ff. (15 -19); Vip!. de off pr tutel vat 210 (" ... libellos ... dare ... ") mit epistula Mark Aurels. Ältere Lit. bei Boye 224 Fn. 51. Abweichende Ansichten: Nach den Autoren, die bereits das Konzept der praeparatio für nachklassisch halten (oben Fn. 21). hat sich der Text ursprünglich auf die Litiskontestation des Zentumviralverfahrens (Jobbe-Duval 392 Fn. 1 weist auf die denuntiatio hin, in die die actio in rem sponsionem beim Zentumviralverfahren mündete) bzw. auf die agnitio bp litis ordinandae gratia des Kognitionsverfarnens bezogen. - Steinwenter 26 und Collinet "1.7"1. erachten dIe denuntiatio als bloße vorprozessuale Anzeige baldiger Klagerhebung. Dann hätte aber die comminatio keine eigenständige Funktion mehr, Boye 222 f. Vmgekehrt will Voci II 722 die instanzeinleitenden Akte nicht mehr zur praeparatio litis ziehen. Hierfür besteht für das Pius-Reskript kein ersichtlicher Grund. Chabrun 133 f. ordnet die Akte dem nachklassischen Libellprozeß zu. Doch dann hätte Justinian sie sicher beseitigt, vgL Marrone 99 und Fn. 115; auch müßte er das Pius-Reskript erfunden haben (Steinwenter 25 Fn. 6; Bo:ye225 f.). - Die Inskription gibt für die Bestimmung der Prozeßart nichts her. Sowohl die Existenz als auch die Einordnung des Gerichts sind streitig, vg!. den Streitstand bei Marrone, NNDl 17 (1970) 42 s.v. septemviri;Di Lella 1 R Fn. 38 mwN. Wlassak 39 Fn. 7; Boye 225 f. ; Marrone 99; weitere Nachweise bei Renier 307 f. Fn. 2. Renier selbst (328 ff.) weicht von dieser Ansicht insofern ab, als er in der libelli datio das Gesuch an die kaiserliche Kanzlei um Erteilung eines Reskripts sieht. Hieran eine Vererbungswjrkung zu koppeln, scheint uns für die Hochklassik zu weit zu gehen.

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charakterisiert in umgekehrter Reihenfolge die denuntiatio als private Ladung und die libelli datio als die nach ihrem Scheitern wiederholte Ladung ex auctoritate 29 . Alle diese Theorien setzen sich über die im Paulus-Fragment dokumentierte Fungibilität der Begriffe hinweg. Sie vermögen auch nicht zu erklären, weshalb Pius in einem Reskript an zwei aufeinanderfolgende Akte die Vererbungswirkung knüpfte, hätte doch diese Feststellung für den zeitlich früheren Akt genügt. Diesen Einwand vermeidet Wieding. Er sieht die denuntiatio ex auctoritate als einheitlichen Ladungsakt an, wobei die libelli datio notwendiger Bestandteil der denuntiatio sei 30 . Diese Ansicht vermag zwar die Konjunktion et im Reskript, nicht aber vel in Pauls Aufzählung zu erklären. Eine dritte Meinung spricht sich für selbständige, voneinander unabhängige alternative Ladungsmöglichkeiten aus. Nach Eiseie und Kipp, die hier einem amtlichen Ladungsverständnis folgen, lädt der Magistrat regelmäßig mit denuntiatio, in besonderen Fällen jedoch durch evocatio litteris vel edicto: letzteres sei identisch mit der libelli datio 31 . Aru schließlich sieht reine Privatakte, die dem Kläger alternativ zur Eröffnung des Kognitionsverfahrens zur Verfügung ständen. Denuntiatio sei die Ladung, libelli datio der Antrag an den Magistrat auf Erteilung der evocatio litteris 32 Beide Varianten dieser dritten Meinung lassen sich mit der sprachlichen Gestaltung des Fragments vereinbaren. Voll überzeugen können sie jedoch nicht. Bei Eiseie und Kipp ist zu kritisieren, daß sie die ursprüngliche Vorstellung von dem Libell als Eingabe eines Privaten an einen Magistrat aufgeben 33 . Die in den Fragmenta Vaticana zur excusatio tutoris erhaltenen und bereits erwähnten Stellen 34 sprechen insoweit eine andere Sprache. BeiAru erweckt die uneingeschränkte Alternativität bei der Wahl der Ladung Bedenken. Die vergleichbaren Stellen deuten eher auf die denuntiatio als regelmäßige und auf die libelli datio als außerordentliche Ladung, die unter besonderen Umständen, etwa in den Gerichtsferien 35 oder bei auswärtiger Vorladung 36 , einschlägig ist. Wenn ein solcher Ausnahmefall mit libelli datio dem Pius-Reskript zugrunde lag, wäre es überaus angebracht gewesen, daneben auch den gewöhnlichen Fall der denuntiatio in die Direktive des Reskripts mitaufzunehmen. Nimmt man das Fragment beim Worte, so hätte Paulus durchaus einleuchtend zuerst den Regelfall der Ladung, das Pius-Reskript folgerichtig zuerst den zur Entscheidung stehenden Ausnahmefall angeführt. 29 30 31 32 33 34 35 36

Baron, Der Denuntiationsprocess (1887) 108 f. Wieding 308 f., 364. Eiseie 272 unter Verweis auf Vip 15 ed D 5.3.20.6d und 5 fideic D 40.5.26.9;Kipp, RE 5,1 (1903) 224 s.v. denuntiatio, unter Autgabe seiner früheren Meinung (vgl. Die Litisdenuntiation als Processeinleitungsform im röm. Civilprocess, 1887, 161 ff.). Aru 133. Vgl. Boye 225. Vgl. oben Fn. 24-26. Vat 156. Vat 162.

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Mit den Ladungsakten zur Erhebung der Kognitionsquerel hat Kaiser Pius für die Vererbung der Klage des suus heres ein Ereignis festgelegt, welches ebenso klar und eindeutig wie die bp !itis ordinandae gratia beim extraneus heres die Zurechnung des mit der Querel zu erringenden Intestaterbteils zum Vermögen des pflichtwidrig Enterbten implizierte. Für den extraneus heres dürfte auch bei der Kognitionsquerel die vorherige bp !itis ordinandae gratia zur Vererbung notwendig gewesen sein, denn sonst hätte Paulus nicht zwischen suus und extraneus heres differenziert. Die Schlußpassage quid ergo - mentionem habuimus ist allerdings ziemlich vage. Es bleibt unklar, ob sich si ea leeerit quorum supra mentionem habuimus auf die zu Beginn erwähnten bp und aditio oder auf die später angeführten Ladungsakte bezieht. Der unsichere Bezug sowie die unnötige Wiederholung des zu erreichenden Ziels (ut possit transmittere aetionem) in Form einer Frage (an ad heredem aetionem transmittat?) weisen auf Verfälschung hin 37 . Vermutlich hat man in der Nachklassik, als sich ein einheitliches Kognitionsverfahren herausbildete 38 , auf das Erfordernis der bp !itis ordinandae gratia beim extraneus verzichtet. Dies könnte nicht nur den Eingriff am Ende des Paulus-Fragments, sondern auch die merkwürdige Darstellung Ulpians in fr. 6.2 erklären. Ein anderes Ergebnis wäre kaum zu begründen, wollte man nicht die Absicht des Reskripts hintanstellen, dem suus heres durch die Gewährung eines vor die Litiskontestation hinausgreifenden Schutzes eine ähnliche Rechtsstellung zu verschaffen, wie sie der extraneus heres durch die der Klage vorgelagerte bp litis ordinandae gratia genoß. Es ist bezeichnend, daß die materielle Angleichung der Positionen von suus und extraneus heres gerade bei der Kognitionsquerel erfolgte. Sie, die ihre Ausprägung ohnehin weitgehend dem Kaiserrecht verdankte 39 , war gegenüber der altertümlichen Zentumviralquerel, die Mitte des 2. Jh. bereits an Bedeutung verlor, das elastischere und Neuerungen aufgeschlossenere Verfahren40 . Freilich wird man aus dem Vorhaben eines Kognitionsverfahrens in dem dem PiusReskript zugrunde liegenden Fall keine Folgerungen bezüglich des Ortes der Handlung oder der näheren Umstände treffen dürfen, denn hierfür ist das Verhältnis der beiden Querelen und ihre gegenseitige Abgrenzung in der Hochklassik doch zu ungeklärt 41 . 37

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Für Itp.:Faber Ration. ad h.l. 2.1.111;Albertario, SZ 35 (1914) 315;Suman, Saggi minimi (1919) 6; Boye 219 Fn. 40; Krüger 103;Collinet 271 Fn. 52;Marrone 101 Fn. 124. Krüger 103. Renier 327 ff. und oben Fn. 2. Von hier aus verbietet es sich auch, die im Reskript getroffene Regelung auf die Zentumviralquerel des heres suus zu übertragen. Hier wird man an der Litiskontestation als maßgeblichen Zeitpunkt für die Vererbung festgehalten haben, vgl. Renier 321 r. Für Provinzialbezug: Heimbach B 49.1.7 sch.l; Chabrun 134 f ((aiis überhaupt echt); Eiseie 272, 285. Für Rom: Wlassak 39 Fn. 7. Beides möglich: Boye 220.

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Die Entwicklung des Vererbungsproblems nach Pius ist durch eine stetige Ausdehnung des Schutzes für den Erben des pflichtwidrig enterbten suus heres gekennzeichnet. Paulus (fr. 7) läßt bereits die Androhung der Klagerhebung (comminatio )42, Ulpian (fr. 6.2) die Anreise zur Klagerhebung (cum venit ad movendam i. querellam)43 genügen. Bei Caracalla verschwinden objektive Kriterien hinter einer nicht näher definierten Absicht der Klagerhebung 44 . Auch lustinian wurde mit dem Problem konfrontiert. Seine Kritik setzt an einem von uns bisher vernachlässigten Punkt an. Wenn der Testamentserbe den Erbschaftsantritt hinauszögerte und die Entwicklung der Dinge abwartete, war der pflichtwidrig enterbte suus unter Umständen lange Zeit schutzlos, da er die Querel erst nach dessen Erbantritt erheben konnte. Starb er vorher, gingen seine Erben regelmäßig leer aus. lustinian reduzierte dieses Risiko, indem er dem Testamentserben Fristen für den Antritt setzte und bei Verschweigung einen Antrittszwang vorsah45 . Selbst das dann noch verbleibende Risiko eines vorzeitigen Todes des heres suus wurde einem Teil der Erbeserben abgenommen: In medio tarnen, id est amorte quidern testatoris, ante aditarn autern hereditatern, etsi deeesserit filius, huiusrnodi querellarn, licet non se praeparaverit, ad suarn posteritatern transrnittet, ad extraneos vero heredes tune tanturnrnodo, quando antiquis libris insertam faeiat praeparationern 46

Der suus heres vererbt seinen sui die Querel auch ohne vorherige praeparatio litis, den extranei heredes dagegen nur lite praeparata. Für uns ist besonders wichtig, daß lustinian eine praeparatio litis bereits vor dem Erbschaftsantritt durch den Testamentserben als selbstverständlich voraussetzt. lustinian kann daher unter praeparatio litis hier nicht die instanzeinleitende Ladung verstehen, die wegen ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit der Klagerhebung selbst notwendig bereits das Vorliegen der Passivlegitimation des Beklagten erforder42

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Die Variante ist als Pauls eigener Beitrag zur Diskussion sicher echt (a.A. Suman, Saggi minimi, 1919,6). Nicht angebracht ist eine Identifizierung mit VlpiansAnreise zur Klagerhebung in fr. 6.2 (so offenbar Collinet 271 Fn. 51) oder gar mit einer ersten Stufe der rein privaten Ladung (so Wieding 309, 362). Dies könnte für Provinzialbezug und daher für eine Kognitionsquerel in fr. 6.2 sprechen, vgl. Vip 5 op D 5.2.29.4: ,Jn ea provincia de inofficioso testamento agi oportet, in qua scripti heredes domicilium habent. " Doch s. auch oben Fn. 20. C 3.28.5 (a. 211): ,Jmp. Antoninus A. Aelio. Si pater tuus post litem contestatam vel postquam propositum habuisset inofficiosum fratris testamentum dicere te herede relicto decessit, causam coeptam vel quocumque modo illi placitam exsequi non prohiberis. PP. prid. non. Oct. Gentiano et Basso conss. ". Caracalla scheint Zentumviralqueret (fis contestata = causa coepta) und Kognitionsquerel (propositum hizbere causa quocumque modo placita) in Parallele zu setzen, vgl. Eiseie 300; Itp.-Bedenken bezüglich der Litiskontestation daselbst 304 sowie bei Marrone 103. Bedenken erregt aber eher die uferlose Ausdehnung der praeparatio. C 3.28.36.2a (a. 531, k. Sept.); s. Schindler, lustinians Haltung zur Klassik (1966) 177 f. C 3.28.36.2b (a. 531, k. Sept.). Vgl. für den suus heres heredis schon C 3.28.34 (1111 k. Aug. a. 531); zu beiden Konstitutionen Francke, Das Recht der Notherben und Pflichttheilsberechtigten (1831) 317 ff.

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te. Wenn die praeparatio folglich ein noch früheres Stadium der Auseinandersetzung in den Augen Justinians markierte und schon vor Erbantritt des Gegners erfolgen konnte, wäre an eine Gleichsetzung mit der bei Paulus erwähnten comminatio oder ähnlichen Handlungen zu denken. Die comminatio gewänne eine vollkommen neue Funktion: den Testamentserben frühzeitig auf die Pflichtwidrigkeit des Testaments hinzuweisen, ihn durch die Drohung mit einem Prozeß schon von dem Erbantritt abzuhalten und, falls er sich doch dazu entschlösse, die Vererbung der Aktivlegitimation zu sichern. Das Pius-Reskript steht am Anfang dieser Entwicklung. Ihm kommt das Verdienst zu, den Grundstein für die zunehmende Vererbungsfreundlichkeit bei der Querel gelegt zu haben. Vor einer Überbewertung des Reskripts muß freilich gewarnt werden. Erstens ist die Ladung als Anknüpfungspunkt materiellrechtlicher Wirkungen keine eigene Erfindung des Kaisers. Bereits das Sc. Tuventianum aus dem Jahre 129 hat für die kognitionale vindicatio caducorum nicht die Litiskontestatiop, sondern die Ladung als den für die Beurteilung der Haftung des Erbschaftsbesitzers maßgeblichen Zeitpunkt festgelegt 4 7. Zweitens liegt der eigentliche Fortschritt im Konzept der praeparatio litis bei der Querel erst in der Anerkennung und Einbeziehung präventiver, womöglich schon vor dem Antritt des Testamentserben erfolgender Handlungen durch die spätklassische Jurisprudenz.

II Testamentum i n 0 f f i c i 0 s u mund repetitio legatorum Zu schwierigen Problemen der Rückabwicklung kam es, wenn der eingesetzte Erbe nach der Ausfolgerung von Legaten im Anfechtungsprozeß unterlegen war. Vor allem galt es die Frage zu lösen, wann und von wem das Legat zurückgefordert werden konnte. Schon die einfache Grundkonstellation, bei der sich jeweils nur ein Erbe ex testamento, ein siegreicher Intestaterbe und ein Legatar gegenüberstanden, machte Schwierigkeiten: 13. Ulp 14 ed D 5.2.8.16

Si ex causa de inllfficiosi cognoverit iudex et pronuntiaverit contra testamentum nec fuerit provocatum, ipso iure rescissum est: et suus heres erit secundum quem iudicatum est et bonorum possessor, si hoc se contendit: et libertates ipso iure non valent: nec legata debentur, sed soluta repetuntur aut ab eo qui solvit, aut ab eo qui optinuit et haec utili actione repetuntur. 47

Ulp 15 ed D 5.3.20.6d und 11.

II. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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fere autem si ante controversiam motam soluta sunt, q ui optinuit repetit: et ita divus Hadrianus et divus Pius rescripserunt 48 Ulpian faßt zunächst die wichtigsten Wirkungen des der Querel stattgebenden rechtskräftigen Urteils zusammen49 : das Testament wird ipso iure ungültig 50 ; die siegreiche Partei rückwirkend Intestaterbe51 ; die testamentarischen Freilassungen sind unwirksam, und die ausgesetzten Legate werden nicht geschuldet. Im Brennpunkt der literarischen Diskussion steht die Frage nach der Rechtsnatur der Quere!. Während die herrschende Meinung den Text mit unterschiedlicher Argumentation fur die Kognitionsquerel in Beschlag nimmt 52 ,

Pal. 501. Lit.: Merkei, Abhandlungen aus dem Gebiete des Römischen Rechts, Heft 11: Über die Geschichte der klassischen Appellation (1883) 65 ff.; Eiseie, SZ 15 (1894) 278 ff.; Chabrun, Essai sur 1a querela i. t. (1906) 119, 124 ff.;Perrot, L'appel dans la procedure de I'ordo judiciorum (1907) 94 ff.; Hel/wig, Erbrechtsfeststellung und Rescission des Erbschaftserwerbes (1908) 65 ff.; Woess, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter (1910) 226 ;La Pira, Succ. 451;Sanfilippo 1= Contributi esegetici alla storia dell'appellatio I, ACam. 8 (1934) 329 ff. (Separatdruck 17 ff.);Sanfilippo 11 = Studi sul hereditas I, AUPA 17 (1937) 197 ff.; H. Krüger, SZ 57 (1937) 98 ff.; Renier, Etude sur I'histoire de la querela i. en droit Romain (1942) 166, 226 f., 290 ff., 317; Marrone I = L'Efficacia pregiudiziale della sentenza nel processo civile Romano (1955) 453 ff.;Marrone II = Sulla natura della ,q.i.t.', SD 21 (1955) 76, 113; Voci II 683,688 ff. ;/mpal/omeni, Le manimissioni mortis causa (1963) 186 ff.; Kaser, ZPR § 7 I Fn. 26; Di Lella, Q.i.t. (1972) 229 ff.; Va/ino, Actiones utiles (1974) 196 f. 49 Nach Voci II 689 f. handelt es sich um eine kompilatorische Zusammenfassung klassischen Rechts.: .. notevole esempio di co me un passo possa essere stato sconvolto e ridotto ai minimi termini, ma per scopi legislativi e senza introduzione di principi nuovi." Verfehlt ist die radikale Textkritik von Siber, Römisches Recht II (1928) 378. 50 D.h. nach Zivilrecht, ohne Rückgriff auf prätorische Rechtsbehelfe: Voci II 683, 689; Di Lella 230 Fn. 99; Negri, La clausola codicillare nel testamento inofficioso (1975) 107 Fn. 38. Ohne weiteren richterlichen Spruch: Hel/wig 66. Rein prozessuales Verständnis von ipso iure als Gegensatz zu ope exceptionis: Marrone I 457 f. 51 Marrone I 456 und Fn. 140 f. hält et suus-contendit für ein Glossem; Sanfilippo II 198 streicht et bp-contendit. Ihre Gründe verschlagen nicht. Die Aneinanderreihung von suus heres und bonorum possessor ist nicht anstößig. Ulpian will keine abschließende Aufzählung der Kategorien der möglichen Querelberechtigten geben - in diesem Falle fehlte der zivile heres non suus -, vielmehr stellt er sich das Paradigma des pflichtwidrig enterbten filiusfamilias vor, der suus heres wird und g lei c h z e i t i g bonorum possessor, wenn er die für ihn nicht obligatorische bp litis ordinandae gratia beantragt hatte (s. auch oben Fn. 15). Die Verknüpfung mit et statt aut ist somit nicht ohne Grund, vgl. Hel/wig 73 Fn. 399. Die Echtheit der ganzen Passage versichert Timbai, RH 19-200940-41) 389 und Fn. 1. 52 Mommsen, Röm. Staatsrecht II 2 (1887 3 ) 981 Fn. 1.; Eiseie 275, 278 ff.;Hellwig 67; Woess 224 Fn. 78, 226; Bozza, Sulla competenza dei Centumviri (1928) 102; La Pira, Succ. 451; Renier 291 ff. ; Marrone I 453 ff. (dort 455 Fn. 138 weitere Lit.). Zu den Argumenten vgl. Di Lella 230 Fn. 98. Im iudex wird überwiegend der iudex pedaneus erkannt, der aus besonderen Gründen (,ex causa') anstelle des Provinzialstatthalters entscheiden konnte (Eiseie, Hel/wig, Woess,Bozza). Renier und Marrone deuten ex causa in Anlehnung an Naber, Mnemosyne 25 (1897) 182, als ex act/One. Doch ist ex causa = aus besonderem Grund in den Quellen gut belegt (das VIR 1.652. 18 ff. S.V. causa zählt allein bei Ulpian 22 Belege), und nur bei dieser Bedeutung ist 48

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§ 5. Pflichtteilsrecht

sprechen sich andere Autoren fUr ein Formularverfahren aus oder ziehen es zumindest in ErwägUnt 3. Eine dritte Meinung glaubt an eine Interpolation des iudex fUr centumviri 4. Wir stellen das Problem einstweilen zurück und wenden uns dem zweiten Teil der Stelle zu, wo die Rückabwicklung bereits geleisteter Legate erörtert wird. Testamentserbe (T) und siegreicher Intestaterbe (I) erhalten scheinbar alternativ Rückforderungsklagen gegen den Legatar (L).

Sed so lu ta repetuntur aut ab eo qui solvit aut ab eo qui optinuit et haec utili actione repetuntur ist nicht gerade elegantes Latein. Störend wirken die Wiederholung von repetuntur und überhaupt die passivische Ausdrucksweise repeti ab aliquo, wobei aliquis der Rückfordernde ist. In dieser Bedeutung kommt der Ausdruck im Bereich des VIR nur noch an drei weiteren, allesamt von Beseler verdächtigten Stellen vorS 5. Sonst wird repetere ab aliquo durchweg sowohl in aktivischer als auch in passivischer Konstruktion zur Bezeichnung des der Rückforderung Ausgesetzten gebraucht 56 . Die Juristen vermieden offenbar - bis auf die genannten Ausnahmen - die grammatikalisch durchaus korrekte Passivkonstruktion in dem hier einschlägigen Sinne, um Mißverständnisse zu vermeiden. Die diokletianische Reskriptkanzlei störte sich daran nichtS 7. J ustinian verwendet repeti ab aliquo in beiden Bedeutungen58 . Bei diesem Befund ist eine formale Verfälschung des Textes· nicht auszuschließen. Er ist offensichtlich darauf angelegt, möglichst viele Wirkungen des Querelurteils in knapper Form zum Ausdruck zu bringen. Nicht zu Unrecht sieht man in ihm eine kompilatorische Epitome eines längeren klassischen Ulpiantextes5 9.

Wir erörtern zunächst die Klage des T (ab eo qui solvit). Wie ist es möglich, daß Tindebite geleistete Damnationslegate - legata sol u t a - mit Erfolg zurückfordern kann, wo doch das klassische Recht ein striktes Kondiktionsverbot rur diesen Fall vorsah 60 ? Die altertümliche Regel, zu erklären aus dem 53

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eine sinnvolle Ergänzung (ex causa de ino[[iciosi: sc. testamenti actione!) möglich; . vgl. dazu auch Pap 5 quaest D 5.2.14; 14 quaest D 5.2.15.2; Paul3 resp D 5.2.21.1. Merkel 67, 70; Pernice SZ 5 (1884) 38 Fn. 4; Wlassak Römische Processgesetze 1 (1888) 215;Chabrun 124 f.;Pmot 96; Lenel EP 143; Kaser, ZPR 39, Fn. 26, 359 Fn. 62. Der iudex wäre hier der iudex unus des Formularprozesses, an den der Prätor ausnahmsweise bei geringem Streitwert verweisen konnte. Einzelheiten sind streitig. ,Ex causa' übersetzte sich dann besser mit ,im Einzelfall, gegebenenfalls' (s. Kaser, ZPR 39 Fn. 26). Naber, Mnemosyne 25 (1897) 181 f.;Kriiger 98 f.;San[ilippo II 197 ff.; I 19;Beseler, Scr. Ferrini 3 (1948) 292. ,Ex causa' ließe sich dabei nur schwerlich begründen, s. oben Fn. 52. Iul 80 dig D 39.6.19; Pap 6 quaest D 12.6.55; Paul5 Plaut D 18.1.57.2. Vgl. Beseler, Scr. Ferrini 3 (1948) 292. VJR 5.89.10 ff. s.v. repeto. Für Ulpian selbst vgl. 8 omn trib D 50.13.1.13. C 4.5.3 (a. 293); C 4.5.4 (a. 2Q3). C 3.43.1.1 (a. 529);C4.1.13.1 (a. 531). Voci II 689 f. (oben Fn. 49). Marrone I 458 f. hält nur den zweiten Teil (aut ab eo - [in.) flir eine kompilatorische Zusammenfassung klassischen Rechts. Gai 2.283; Diokletian C 4.5.4 (a. 293) respektiert es als certissimum ius. Justinian (vgl. I 3.27.7) dehnt das Verbot sophistisch auf indebite geleistete Fideikommisse aus unter gleichzeitiger Beschränkung seiner Geltung auf Leistungen an die Kirche, was weitgehend einer Aufhebung des Verbots gleichkam.

II. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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Zusammenspiel von Litiskreszenz bei der actio ex testamento auf ein certurn und der ursprünglich unwiderruflichen Haftungslösung durch den Formalakt der solutio per aes et libram 61 , sah sich spätestens im l. Jh. n.Chr., als man zunehmend auf Fideikommisse auswich, für welche die Regel nicht galt, auf dem Prüfstand juristischer Kritik. Zwar hielt man formal an ihr fest, doch gab es zahlreiche Aufweichungserscheinungen62 . Der wichtigste Schutz für den Testamentserben, der sich einem Erbschaftsstreit ausgesetzt sah oder zumindest einen solchen ernstlich befürchten mußte, war die dem Legatar vom Prätor causa cognita auferlegte cautio evicta hereditate legata reddl-63. Dies galt auch, wenn eine Querel zu befürchten war, weil diese jedenfalls in der Wirkung auf ein evincere hereditatem ausgerichtet war 64 . Die Funktion der cautio beim Damnationslegat ist besonders einleuchtend. Mit der Stipulation wird das Kondiktionsverbot umgangen. Wurde die Erbschaft evinziert, stand der Rückforderungskl~e aus der Stipulation nichts im Wege. Schon Proculus hat die cautio gekannt 5. Freilich war ihr Wirkungsfeld ursprünglich recht beschränkt; sie schützte nur den Testamentserben, der die Gefährdung seiner Erbenstellung kannte und gleichwohl bereit war, die Legate auszuzahlen. Hatte er aber keinen Anlaß, an dem Bestand des Testaments zu zweifeln, mußte er die Legate ohne cautio auszahlen. Eine präventive cautio ohne iusta causa gab es nicht 66 . Stellte sich erst später die Gefährdung des Testaments heraus, und diese Fälle mußten bei der Vielfalt der Unwirksamkeitsgründe eines Testaments im römischen Recht sehr zahlreich sein 67 , war die cautio nicht mehr nachzuholen. Aber auch hier fand sich ein Weg. Pomponius gewährte dem Erben eine condictio, ut cautio ista interponatur6 8 . Da die Kondiktion nicht auf die Rückforderung des Legats, sondern auf die nachträgliche Leistung der cautio abzielte, und gegebenenfalls erst aufgrund der cautio zurückgefordert wurde, stand das Kondiktionsverbot nicht entgegen. Es war jetzt vielmehr lückenlos umgangen. 61 62

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Ausflihrliche Darstellung und Begründung bei Joseph Georg Wolf, Causa stipulationis (1970) 178 ff. Vgl. Eiseie, SZ 35 (1914) 34;Dulekeit, Fs. Koschaker 2 (1939) 322 ff. (dort auch jeweils zur ,Rückforderungsvereinbarung' in Vip 16 Sab D 12.6.2pr. Lenel, EP 537 f. mwN. Paul 3 resp D 5.2.21.2. Proc 8 epist D 31.48.l. Dies wird in der Lit. häufig übersehen. Freilich deutet nam iniquum erat - fieri in Paul 75 ed D 35.3.4pr. auf einen früheren Rechtszustand hin, wo die eautio in jedem Fall auf Initiative des Erben dem Legatar abverlangt werden konnte. - Der Schlußsatz in C 6.37.9 (a. 223) "quamvis alias eautioni tune loeus sit, eum sine controver· sia legata solvantur" hat mit dieser Frage nichts zu tun. Dort gibt Alexander Severus der Klage des Legatars unter gleichzeitiger Anordnung der eautio statt, obwohl sonst die eautio außerhalb des Legatsprozesses ihr Anwendungsfeld hat. S. nur Kaser I § 163. Vip-Pomp 79 ed D 35.3.3.10. Ausflihrliche Erklärung der "kühnen Konstruktion" und gründliche Auseinandersetzung mit den Gegenmeinungen: Joseph Georg Wolf, Causa stipulationis (1970) 180 ff. Fn. 99.

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§ 5. Pt1ichtteilsrecht

Eine erstaunliche Parallele hierzu findet sich bei der cautio ,Quanto amplius', mit der sich der Erbe die Rückforderung dessen sicherte, was der Legatar möglicherweise mehr erhalten hatte, als ihm nach der lex Falcidia gebührte 69 . In einem hierzu ergangenen Reskript bestimmte Kaiser Pius, daß der Legatar auch noch nach Auszahlung des Legats zur Leistung der cautio gezwungen werden könne 70 . Wahrscheinlich lag in diesem Pius-Reskript der Ursprung der auf Leistung einer nachträglichen cautio gerichteten condictio, und Pomponius brauchte den Gedanken auf die cautio evicta hereditate legata reddi bloß zu übertragen 71. Wenn nun Ulpian, der die Lösung des Pomponius aus praktischer Gerechtigkeit befürwortete 72 , im Ausgangsfall Teine Rückforderungsklage gewährt, hat er sehr wahrscheinlich die das Kondiktionsverbot umgehende Klage aus der cautio, gegebenenfalls auch die vorbereitende condictio cautionis vor Augen. Der Einwand, Ulpian habe T doch eine utitis-Klage gewährt, greift nicht. Die Worte haec utili actione repetuntur beziehen sich nach Stellung und Numerus allein auf die noch zu erörternde Klage des I. Abweichende Ansichten in der Literatur sind unbegründet. Solazzis These, die eine Rückforderung des Damnationslegats nur dann ausschließt, wenn es t eil w eis e indebitum ist, bei totaler Nichtschuld aber die condictio gewährt 7 3, folglich hier zu einer regulären condictio des T gelangen müßte, beruht auf einem Mißverständnis von Gai 2.283, was F Schwarz überzeugend dargetan hat 74 . Valino, der T bei Leistung post controversiam motam eine actio certi ordinaria zuspricht 75, übersieht das Kondiktionsverbot. Voci 76. und Marrone77 befürworten eine condictio utilis. Doch Vocis Erklärung, T fordere als heres pro tempore wegen befürchteter Insolvenz des Legatars zurück, ist pure Phantasie 78. Marrone ist der Auffassung, T habe ein debitum geleistet, weil er zu Unrecht die Rückwirkung des Querelurteils abstreitet. Der hieraus resultierenden Nichtrückforderbarkeit der Legate h:itten erst die in Rede stehenden Kaiserkonstitutionen abgeholfen, indem sie utilis-Klagen gewährten 79. Doch 69

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Lenel,EP537.

Ulp 79 ed D 35.3.3.5: ./tem sciendum est fiscum hanc cautionem non pati, sed'perinde conveniri posse, ac si cavisset. ceteros autem, cuiuscumque dignitatis sint, /icet iam legata perceperint, compelli debere ad cavendum divus l'ius rescripsit: es quo rescripto etiam illud accipimus, quod etiam post so lu ta legata voluit stipulationem interponi. " Vielleicht hat Julian auf das Reskript eingewirkt; die Begründung für die Gewährung der Kondiktion ist jedenfalls, wenn auch in anderem Zusammenhang, zuerst bei ihm überliefert: Iul 39 dig D 30.60. Vgl. oben Fn. 68: utilitatis gratia. Solazzi, L'Errore nella condictio indebiti (1939) 18 f. = Scritti 4 (1963) 109 f. Schwarz, SZ 68 (1951) 268 ff.

Valino 197. Voci II 690. Marrone I 460.

T ist nach Erlaß des Urteils gar nicht mehr Erbe; von drohender Insolvenz ist keine Rede; der angebliche Parallelfall aus dem vermeintlichen Fideikommißrecht (Pap 3 quaest D 36.1.51.1) ist nicht einmal entfernt vergleichbar. Marrone I 460.

II. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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für die Rückwirkung des testamentsvernichtenden Urteils steht eindeutig ein Zeugnis Pauls 80

I erhält unstreitig eine actw utilis als Rückforderungsklage. Sie wird in der Literatur als condictio utilis indebiti verstanden und ihre Utilität damit begründet, daß I selbst ja nicht geleistet hat 81 . Valino schließt daraus sogar auf eine condictio utilis mit entsprechender formu/a ficticia, welche die Wirkung einer Legalzession habe 82 . Diese Erklärung befriedigt nicht. Eine bloße Fiktion der Zahlung durch I beseitigte noch nicht das Kondiktionsverbot; auch reichte es nicht aus, I die Zahlung auf andere Weise zuzurechnen. Es mußte daher ein weiteres Element fingiert, oder besser ausgedrückt, durch Fiktion entfernt werden, nämlich der Bezug der Zahlung auf ein Damnationslegat. Diese Aufgabe leistete vielleicht die zur Rückwirkung einer erfolgreichen Querel überlieferte Fiktion per i n d e omnia observari oportere, a c s i hereditas adita non f u iss e t 83. Ohne Erbantritt des T fallen Testament und Legate dahin. Die Erbschaft wird rückwirkend dem Vermögen des I zugerechnet. Hatte T das Legat mit Mitteln der Erbschaft erfüllt, war das Vermögen des I um den ausgefolgerten Betrag vermindert. Beide Fiktionen bewirken nun, daß die Zahlung des T auf das Legat als einfache Zahlung des I aus der Erbschaft erscheint. Das Kondiktionsverbot steht nicht mehr im Wege 8 4 . Die Konstruktion setzt voraus, daß T nicht aus seinem eigenen Vermögen, sondern aus Mitteln der Erbschaft geleistet hat 85 . Nur in diesem Fall war eine Rückforderungsklage des I auch wirklich angebracht. Der Schlußsatz der Stelle beschäftigt sich mit dem Verhältnis der beiden Klagen. Auf den ersten Blick scheint es, als seien beide Reskripte zu dieser Frage ergangen und im Regelungsgehalt identisch. Wenn der Text freilich eine kompilatorische Epitome eines längeren Ulpiantextes ist 86 , liegt es nahe, daß Ulpian im Original den Inhalt der Reskripte deutlich voneinander abgehoben hatte 87 . Wir glauben, daß Hadrian die utilis condictio eingeführt und Pius später eine nähere Abgrenzung der beiden Klagen getroffen hat. Zur Erläuterung Paul 3 resp D 5.2.21.2: ,Jdem respondit, evieta hereditate per inoffieiosi querellom ab eo qui heres institutus esset, perinde omnio observari oportere, ae si hereditas adita non fuisset: ... " Vgl. auch Hellwig 83 f.;/mpallomeni 186 Fn. 14; Voci 11 688. . 81 Eisele, SZ 35 (1914) 37; Donatuti, Le causae delle condictiones, St. Parmensi 1 (1951) 117 f.; Bull. 64 (1961) 183; Marrone 1460;Palazzolo, Potere imperiale etc. (1974) 119. 82 Valino 197; ebenso für D 12.6.2.1 (198). 83 Vgl. oben Fn. 80. 84 Ähnlich Eisele, SZ 35 (1914) 37. 85 Eisele, SZ 35 (1914) 37 Fn. 1; G. H. Maier, SZ 50 (1930) 499; Dulekeit, Fs. Koschaker 2 (1939) 320 Fn. 28. 86 S. oben Fn. 59. 87 Marrone 1 458 f. hält es flir ausgeschlossen" daß die Reskripte einen identischen Regelungsgehalt hätten haben können. 80

§ 5. Ptlichtteilsrecht

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dieser These prüfen wir weitere einschlägige Reskripte der beiden Kaiser, die in aufeinanderfolgenden Fragmenten im Titel ,De condictione indebiti' überliefert sind. Wir beginnen mit Ulp 16 Sab D 12.6.2.1 Si quid ex testamento solutum sit, quod postea falsum vel inofficiosum vel irritum vel ruptum apparuerit, repetetur, [vel si post multum temporis emerserit aes alienum, vel codicilli diu celati prolati, qui ademptionem continent legatorum solutorum vel deminutionem per hoc, quia aliis quoque legata relicta sunt.] nam divus Hadrianus circa inofficiosum et falsum testamentum rescripsit actionem dandam ei, secundum quem de hereditate iudicatum est 88 Obwohl die Stelle den Solutionsgegenstand ganz allgemein mit quid umschreibt, beziehen sich jedenfalls die Reskripte allein auf Damnationslegate, wie die in demselben Problemzusammenhang stehenden Fragmente 3 und 5 beweisen/!9. Auch der unbekannte Glossator hat bei seinem Einschub an Legate gedacht. Hadrian gewährt I eine Rückforderungsklage gegen L, dem Tein Legat ausgezahlt hatte, ehe sich die Fälschung oder die Pflichtwidrigkeit des Testaments (postea falsum vel inofficiosum . .. apparuerit) herausstellte. Apparere weist auf einen hohen Grad an Evidenz hin. Es wäre daher gut möglich, daß bei zweifelhafter Rechtslage die Auszahlung des Legats selbst nach Anstrengung der Querel bis hin zum Zeitpunkt des testamentsvernichtenden Urteils 90 die Rückforderungsklage des I unberührt ließ. Die gewährte actio war gewiß die condictio utilis Für die kondiktizische Natur ,streitet die Stellung des Fragments in den Digesten, für die Utilität das nachfolgende fr. 3 sowie die typische Ausdrucksweise actionem dandam 91 . Demnach ist das hier zum testamentum inofficiosum zitierte Reskript wahrscheinlich mit dem in der Ausgangsstelle überlieferten Hadrian-Reskript identisch92 . Entsprechende Entscheidungen Hadrians ergingen zum testamentum fal88

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Das Glossem ist allgemein anerkannt, vgl. die Begründung von Eiseie, SZ 35 (1914) 35 f. und die Belege bei Ma"one I 145 Fn. 59. Weitere Streichungen [vel i"itum vel ruptum ] ,[ l1am ], [repetetur ], [circa inofficiosum et falsum testamentum] (vgl. Eiseie, SZ 35, 1914, 35 ff.;Solazzi, L'Errore nella condictio indebiti, 1939, 18 Fn. 2; Beseler 3.45 und 4.4 7; Ma"one I 146; Palazzolo, Potere imperiale, 1974, 118) sind unbegündet. Die Einbeziehung von testamentum irritum und testamentum ruptum ist sachlich korrekt. Rescribere circa ist klassisch, vgl. Ulp 33 ed D 26.7.11. Zu circa in der Bedeutung ,super, de' s. VIR 1. 742.5 ff. s.v. circa. Eiseie, SZ 35 (1914) 36 .. Vgl. beiläufig Marrone 1466. Donatuti, Le causae delle condictiones, St. Parmensi 1 (1951) 117 Fn. 383 und 118; Schwarz, Die Grundlage der condictio im klass.röm. Recht (1952) 264 Fn. 52. So auch Marrone 1455,459; Il76 Fn. 6;Palazzolo, Potere imperiale (1974) 118 Fn. 108.

II. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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sum 93 und zu einem Unterfall des testamentum ruptum: Paul3 Sab D 12.6.4 Idem divus Hadrianus rescripsit et si aliud testamentum proferatur94 . Auch die arglos aus einem in Wahrheit gefälschten oder widerrufenen Testament geleisteten Legate kann der wirkliche Erbe direkt vom Legatar zurückfordern. Hadrian hat die condictio utilis dem wahren_Erben augenscheinlich immer dann gewährt, wenn der vermeintliche Erbe ein ungültiges Damnationslegat aus Mitteln der Erbschaft ausgezahlt hatte. Bevor wir auf die Leistung des Pius-Reskripts eingehen können, sind die Gründe dieser bedeutenden Reform Hadrians zu untersuchen. Ein wichtiges Argument für die neue Lösung war zweifellos die Schaffung eines von den Unwägbarkeiten des Kondiktionsverbots unabhängigen und damit gerechteren Rückabwicklungsmechanismus. In vielen Fällen wird es gar keine andere Möglichkeit der Rückabwicklung gegeben haben. Hatte z.B. der vermeintliche Erbe den Abschluß der cautio evicta hereditate legata reddi versäumt 95 , wäre die Position des Legatars ohne die neue Klage unangreifbar gewesen, denn die Konstruktion einer nachträglichen condictio cautionis, wie sie später Pomponius und Ulpian vertreten 96 , war unter Hadrian sicher noch nicht aktuell. Weiterhin wäre etwa an prozeßökonomische Gründe zu denken. Es besteht nämlich Anlaß zu der Annahme, daß man dem wahren Erben den direkten Durchgriff auf den Legatar auch dann gewährt hat, wenn dieser an und für sich der Rückforderung des Scheinerben ausgesetzt war. Ulp 16 Sab D 12.6.5 Nec novum, ut quod alius solverit alius repetat. nam et cum minor viginti quinque annis inconsulte adita hereditate solutis legatis in integrum restituitur, non ipsi repetitionem competere, sed ei, ad quem bona pertinent, Arrio Titiano rescriptum est 97 Ein MindeIjähriger hatte unbedacht eine unvorteilhafte Erbschaft angetreten und nach Zahlung von Damnationslegaten die restitutio in integrum erreicht. Dadurch wurde das Testament irritum 98 ; die Erbschaft fiel dem InteEntgegen Marrone 1 453 1ä1~t der Kognitionscharaktcr des Testamentstalschungsprozesses keineswegs auf das Vorliegen einer Kognitionsquerel in D 12.6.2.1 schließen. Zweifelnd auch Kaser, Antologia giuridica romanistica ed antiquaria 1 (1968) 184 f. Fn.59. 94 ldem ist der kompilatNische Anschluß an die Rechtsfolge der Entscheidung in fr. 3: ..uti/es actiones . .. dari oportere in eos, qui legatum perceperunt ... " - Zu der SteHe vgl. auch Valino 199. 95 Hierin vermutet Dulckeit, Fs. Koschaker 2 (1939) 324 Fn. 38, den Ursprung der Klage. 96 S. oben Fn. 68. 97 Zu der Stelle: Valino 200. 98 UE 23.4; Kaser 1 § 163 11 und 3.

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§ 5. Pflichtteilsrecht

staterben zu. Das Reskript des namentlich nicht genannten Kaisers an den sonst unbekannten Arrius Titianus 99 weist die Rückforderungsklage nicht dem minor, sondern dem Intestaterben zu. Wortlaut (non ipsi repetitionem competere) und Parallelen im Minderjährigenschutz des römischen Rechts lassen uns vermuten, daß ehemals die Klage trotz des Kondiktionsverbots dem minor zustand 100 .

Lenels palingenetische Rekonstruktion hilft noch einen Schritt weiter. Er schließt fr. 5 unmittelbar an fr. 2 § 1 an und faßt beide Stellen zu einem Text zusammen 1 01. Nec novum, ut quod alius solverit alius repetat stellt sich jetzt als nähere Erläuterung der Hadrian-Reskripte zum testamentum falsum und inofficiosum dar und führt uns gleichzeitig, wenn wir Ulpian nur ein wenig rechtsgeschichtliches Gespür zutrauen dürfen, zum Ausgangspunkt der neuen Lehre: zu dem Reskript an Arrius Titianus in Sachen testamentum irritum. Hier begegnet ein Fiktionselement wieder, welches wir oben als unerläßlich für die Gewährung einer condictio utilis beim Damnationslegat erkannt haben: ac si hereditas adita non fuisset 10 2. Genau darin besteht nämlich die Wirkung der in integrum restitutio des minor. Deshalb konnte er auch ursprünglich trotz des Kondiktionsverbots das Legat zurückfordern. Nun läßt sich auch der Weg der Fiktion zurück,;erfolgen: Entlehnt aus dem Bereich der in integrum restitutio diente sie zunächst zur Konstruktion der neugeschöpften actio utilis des Intestaterben beim testamentum irritum; so dann wurde die solchermaßen entwickelte actio utilis allmählich auf die Fälle des testamentum inofficiosum, falsum und ruptum übertragen. Damit steht gleichzeitig Kaiser Hadrian als Urheber des Reskripts an Arrius Titianus fest 103 . Doch auch unabhängig von der Erkenntnis aus dem Werdegang der Fiktion zögerten wir nicht, das Reskript diesem Kaiser zuzuschreiben. Hadrian verfügte nicht nur über das notwendige rechtstechnische Repertoire für die Entscheidung, sondern hatte sogar eine besondere Sensibilität für diese Variante des testamentum irritum entwickelt 104 . Auch kann die in seiner Regierungszeit auftretende Ballung von Reskripten zur condictio utilis kein Zu99

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Vg!. Gualandi 11 191. Bei den zahlreichen Arrii (PIR 2 A 1083-1112) ist nirgends das Cognomen Titianus belegt. Möglicherweise war Arrius Titianus der mit der Sache befaßte Magistrat (a.A. Gualandi 11 191: Privatmann). Die gens Arria trat in den beiden ersten Jh. im öffentlichen Leben Roms besonders hervor und stellte viele Konsuln (K!. Pauly 1607 s.v. Arrius). Auch Pius war über seine Mutter Arria Fadilla dieser gens verbunden. Daß der Minderjährigenschutz dem Konuiktionsverbot vorgeht, zeigen für Fälle ohne Drittbeziehung Gai 4 ed prov D 4.4.25pr. und C 2.32.2 (a. 294); dazu F. 6chwarz, Die Grundlage der condictio im klass. röm. Recht (1952) 105 f. Lenel, Pa!. Vip 2545. Vg!. oben Fn. 80, 83. Hier wird die Fiktion, anders als bei D 5.2.8.16, auch von Valino 200 erkannt. Valino 202 denkt, ohne Angabe von Gründen, an Pius. Gai 2.163: RestitutiD in integrum für einen maior XXVannorum!

lI. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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fall sein. Es handelt sich vielmehr um eine planmäßige, von Fall zu Fall fortschreitende Ausdehnung eines originalen Reformkonzepts. Der Nachweis der prozeßökonomischen Relevanz des direkten Durchgriffs I - L, der in bestimmten Fällen die Klagen T - L und I - T ersetzt, erhellt zwar den formalen Abwicklungsmechanismustos , besagt aber nichts über die ihm zugrunde {iegenden materiellen Wertungen. Dabei ist ganz klar, daß in einem Drei-Personen-Verhältnis eine veränderte prozessuale Gestaltung notwendig eine tiefgreifende Neuregelung der einzelnen Rechtsbeziehungen mitsamt einer Umverteilung der Insolvenzrisiken voraussetzt. Näheres hierzu entnehmen wir einem weiteren Pius-Reskript: , Pap 28 quaest D 12.6.3

14.

[Idem est et] si solutis legatis nova et inopinata causa hereditatem abstulit, veluti nato postumo, quem heres in utero fuisse ignorabat, [vel etiam ab hostibus reverso filio, quem pater obisse fa Iso praesumpserat: nam] utiles actiones postumo [vel filio], qui hereditatem evicerat, dari oportere in eos, qui legatum perceperunt, imperator Titus Antoninus rescripsit, scilicet quod bonae fidei possessor in quantum locupletior factus est tenetur nec periculum huiusmodi nominum ad eum, qui sine culpa solvit, pertinebit 106 Das Reskript des Kaisers Pius - in Papinians Quaestionen unter Auslassung der Konsekrationsbezeichnung überwiegend imperator Titus A ntoninus genannt I 07 - gewährt einem übergangenen postumus suus nach Eviktion der Erbschaft actiones utiles gegen die Damnationslegatare, deren Ansprüche der eingesetzte Erbe, ohne daß er den Mangel seiner Erbenstellung kannte, erfüllt hatte.

105 Valino 197 begnügt sich mit der Darstellung dieser äußeren Strukturen (obligatorische Klagenzession). 106 Pal. 342. Lit.: So/azzi, L'Errore nella condictio indebiti (1939) 11; Voci, In tema di errore, SD 8 (1942) 86 f.;Ma"one 1146 f.;Pa/azz%, Potere imperiale(1974) 118 f.; Valino, Actiones utilesU974) 198 f. 107 Vgl. die Stellen bei Fitting 72 f. Der Bezug auf Pius wird u.a. bewiesen durch die Doppelüberlieferung Marcian 9 inst D 36.1.32.1 mit Pap 20 quaest D 36.1.57.1. Um so unverständlicher ist es, daß Vassalli, luris et facti ignorantia, St. giuridici III 1 (1960, aber 1914) 454 Fn. 3 und Donatuti, St. Parmensi 1 (1951) 118, das vorliegende Reskript ohne Begründung gegen die übrige Literatur dem Commodus zuweisen. - Der Erklärungsversuch von Mommsen, Die Kaiserbezeichnung bei den röm. Juristen, ZRG 9 (1870) 100 f. = Jur. Schriften 2 (1905) 158, Papinian habe sich bei seinem ersten schriftstellerischen Auftreten an den Kurialstil nicht gekehrt, ist wenig überzeugend. Wir glauben, daß Papinian die Zitate mit Kaiserbezeichnung wörtlich von Juristen, die unter Pius schrieben, übernommen hat. Dabei ist hauptsächlich an Julian zu denken, den Papinian aus der Rechtsliteratur am häufigsten benutzt hat (Fitting 75), und von dem ebenfalls die Bezeichnung imperator Titus Antoninus ftir Pius überliefert ist (lul dig 89 D 4.2.18). 8 Müller-Eiselt

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§ 5. Pflichtteilsrecht

Die Geburt eines postumus suus vernichtet das Testament des Erblassers, wenn der Nachkömmling darin weder eingesetzt noch enterbt ist. Es handelt sich um einen Fall des testamentum ruptum I 08. Der postumus wird Intestaterbe und kann mit der hereditatis petitio die Erbschaft von dem eingesetzten Erben, der hier offensichtlich nicht neben dem postumus zur Intestaterbfolge berufen ist, herausverlangen. Die Legate dagegen soll er nach der Entscheidung des Kaisers mit einer condictio utilis direkt von den Legataren zurückfordern. Pius folgt damit der Entscheidung Hadrians in einem anderen Fall des testa-

mentum ruptum: si aUud testamentum proferatur l 09

Der zweite Sachverhalt der Stelle, die Rückkehr eines für tot gehaltenen Sohnes von den Feinden, ist depraviert. Ist es schon nicht glaubhaft, daß Pius in einem Reskript entweder zwei verschiedene Fälle entschieden oder dem entschiedenen obiter dictum einen Parallelfall hinzugefügt hätte, so schwindet der letzte Zweifel bei einer Gegenüberstellung der beiden Relativsätze, die die beiden Sachverhalte umreißen. Der erste, quem heres in utero fuisse ignorabat, hebt zutreffend auf die Vorstellung des Erben ab, der bei der Leistung der Legate nicht wußte, daß ihm die Erbschaft nicht gebührteil O. Der zweite, quem pater obisse falso praesumpserat, erläutert dagegen den Grund der Übergehung durch den Erblasser, ist mithin für die hier zu treffende Entscheidung über die Rückforderung der Legate ohne Belang. Wahrscheinlich hat ein nachklassischer Bearbeiter in dem Bestreben nach Vollständigkeiti ähnlich wie in fr. 2 § I, den zweiten Sachverhalt des testamentum ruptum l 1 beigebracht und, ohne den Sinn des Relativsatzes beim überlieferten Fall zu erfasseni aus Symmetriegründen auch dem eigenen Fall einen Relativsatz hinzugefügt 1 2. Streicht man weiterhin die kompilatorische Angleichungsfloskel an fr. 2 (idem est et) und in deren Folge das spätere nam, dürfte man im wesentlichen den klassischen Text rekonstruiert haben. Ein schwerwiegender Irrtum ist der bisherigen Literatur unterlaufen, indem sie den Schluß der Stelle seiUcet - fin. als Glosse oder Kompilatorenwerk ver108 Gai 2.131;Kaser I § 16313; § 171111. 109 S. oben bei Fn. 94. 110 Gradenwitz, SZ 7 (1886) 78, verdächtigt diesen Relativsatz, weil er überflüssig sei und Papinian ,quem heres in utero esse ignoraverat' hätte schreiben müssen; Solazzi, L'Errore nella condictio indebiti (1939) 11; Marrone I 146 Fn. 66 und Pa lazzolo , Potere imperiale (1974) 118 Fn_ 105, haben sich ihm angeschlossen. Die Interpolation ist jedoch nicht zwingend. Auf die Beachtung der Regeln der consecutio temporum haben die römischen Juristen keinen großen Wert gelegt, vgl. Liebs, ANRW 11 15, 300 und Fn. 105. Außerdem ist fuisse, da ignorabat sich auf den Zeitpunkt der Leistung bezieht, durchaus angebracht. Von hier aus gesehen war die Testamentserrichtung als der entscheidende Zeitpunkt des in utero esse nämlich vorzeitig, und in der Zwischenzeit konnte der postumus sehr wohl das Licht der Welt erblickt haben. 111 Vgl. Gai 17 ed prov D 28.2.30; der Fall wird technisch auch mit testamentum nullius momenti beschrieben: Kaser I § 163 I 1. 112 [quem pater - praesumpserat] streichen Gradenwitz, SZ 7 (1886) 78; Solazzi 11; Marrone I 147 Fn. 67, alle aus anderen Gründen. Solazzi verkennt den Wechsel in der Person des Irrenden, was Voci 87 ihm zurecht vorhält. Aber auch Voci hält beide Relativsätze flir didaktische Interpolationen.

II. Testamentum inotticiosum und repetitio legatorum

115

dächtigt 113 und sich dadurch den Blick auf die tragenden Gründe der Entscheidung versperrt. Die Begründung setzt sich aus zwei Argumenten zusammen, die beide jedoch auf ein und dieselbe Person abzielen: auf den heres institutus. Er und nicht der Legatar, wie man zunächst wegen der Haftungsfrage glauben möchte, verbirgt sich hinter dem bonae fidei possessor, der lediglich auf in quantum locupletior factus est haften soll. Der heres institutus, der gutgläubig, d.h. im Vertrauen auf die eigene Erbenstellung (quem heres in utero fuisse ignorabat!) die Legate ausgezahlt hat, war eben in Wirklichkeit nicht heres und Eigentümer der Erbschaft, sondern nur bonae fidei possessor (sc. hereditatis)1 ~ 4. Doch weshalb wird von seiner Haftung gesprochen, wenn die Rückforderungsklage gegen den Legatar gegeben wird? Zur Klärung dieser Frage müssen wir zunächst ein wenig ausholen. Der Haftungsmaßstab quanta locupletior factus est bei redlichem Erbschaftsbesitz begegnet erstmals in einer Klausel des SC luventianum aus dem Jahre 129 115 . Das hadrianische Senatsgesetz, auf dessen Regelungen der berühmte Jurist und cos.ord. des Jahres 129 Publius Iuventius Celsus maßgeblichen Einfluß ausgeübt haben soll, bezweckte ursprünglich nur den Schutz fiskalischer Interessen bei der kognitorischen vindicatio caducorum des Ärars 116 Danach hafteten gutgläubige Erbschaftsbesitzer, die den Nachlaß durch Verkauf der einzelnen Gegenstände aufgelöst hatten, der Staatskasse lediglich auf den aus der Veräußerung erzielten Erlös (dumtaxat, quo locupletiores ex ea re facti essent), bösgläubige dagegen auf den Wert des ursprünglich Besessenen (quasi possiderent )117. Fritz Schwarz hat überzeugend dargetan, daß der Fall der entgeltlichen Veräußerung alleiniger Regelungsgegenstand des SC. war, daß jedoch die offene Fassung des § 6c die Jurisprudenz, mit Ausnahme Julians, bald zu einer extensiven Anwendung der Rechtsgedanken des Sc. angeregt

113 Gradenwitz, SZ 7 (1886) 78 Fn. 1: " ... unecht, weil er eine seichte Argumentation zum Veberfluss bringt, was nicht papinianisch ist, sorlann, weil Papinian schwerlich von ad eum qui (dei!) qui sine culpa solvit gesprochen hat, endlich weil Papinian ganz gewiß nicht tenetur . .. nec pertinebit schrieb." Lenel, Pal. I 872 Fn. 3: gloss.? Marrone I 147 Fn. 68: "tipica aggiunta compilatoria". Valino 198 Fn.l zu § 22: "muy posiblemente un anadido". Er streicht allerdings nur scilicet - tenetur und sine culpa (199). - Der Tempuswechsel tenetur - pertinebit zählt wenig; sine culpa steht mit gutem Grund; die ,seichte Argumentation' gilt es gerade zu widerlegen. 114 Ein ähnlicher, ebenfalls von Papinian (6 resp D 29.1.36.2) überlieferter Fall, wo es heißt " ... nec institutum, cum bonae tidei possessor tuerit, ... ", beweist eindeutig den Bezug auf den heres institutus. 115 Das Sc. Iuventianum ist wiedergegeben in Vip 15 ed D 5.3.20.6-6d. Einschlägig ist § 6c, zweiter Teil. Zur locupletior-Haftung bei diesem SC. vgl. Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klass. röm. Recht (1953) 154 ff. 116 Vgl. §§ 6a, 6d;Di Paola, Saggi in materia di hereditatis petitio (1954) 79 ff., 88 ff.; F. Schwarz, Studien zur hereditatis petitio, TR 24 (1956) 294 f., 309; Ka ser , Die Passivlegitimation zur hereditatis petitio, SZ 72 (1955) 103 ff.; Kaser I § 182 I 6b (dort Fn. 41 abweichende Ansichten). 117 Schwarz (oben Fn. 116) 297, 300. S·

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§ 5. Pllichtteiisrecht

hat l18 . Diese ging in zwei Richtungen. Einmal wurden die Regelungen nach und nach auf die private hereditatis petitio des wirklichen Erben übertragen l19 , zum anderen erfolgte parallel hierzu eine von Fall zu Fall fortschreitende analoge Anwendung des SC. auf andere Fälle desfacere quominus possiderent: Für den gutgläubigen Erbschaftsbesitzer bedeutete die Beschränkung der Haftung auf das Erlangte in Fällen schuldlosen Verlustes eine Befreiung von jeglicher Haftung. Er sollte aus der fremden Erbschaft zwar keine Vorteile ziehen, aber auch nicht mit einer unverdienten Haftung beschwert werden 120 Das aufgezeigte Prinzip trifft auch auf den vermeintlichen Erben zu, der ohne Kenntnis von der Existenz eines postumus Legate aus der Erbschaft ausgefolgert hat. Er muß die fremde Erbschaft dem postumus herausgeben, soll aber nicht für die gutgläubig geleisteten Legate, die die Erbschaft vermindert haben, haften. Der erste Teil der Begründung in D 12.6.3 enthält mithin eine analoge Anwendung des Rechtsgedankens des Sc. Iuventianum 121. Gleichzeitig wird die Haftung des Legatars negativ motiviert: L soll der Rückforderung ausgesetzt sein, weil der gutgläubige T dem I gegenüber von der Haftung freigestellt ist l22 . Das zweite Argument in D 12.6.3 (nec periculum huiusmodi nominum ad eum, qui sine culpa solvit, pertinebit) ist bloß supplementär. Es ist der Konkursgedanke. Das Risiko der Durchsetzbarkeit der Rückforderung soll nicht der gutgläubige T, sondern I tragen. Wir glauben, daß die ganze Begründung auf das Pius-Reskript zurückgeht und Pius mit dem Rückgriff auf das Iuventianische Prinzip einen neuen Gesichtspunkt in die Diskussion eingeworfen hat. Damit soll freilich nicht behauptet werden, Hadrian habe bei der Einführung der actio utilis nicht zwischen gutgläubigem und bösgläubigem Erbschaftsbesitzer differenziert. Diese Kategorien sind sicherlich vorjuventianischen Ursprungs l23 . Keines der behandelten Reskripte ließ darauf schließen, Hadrian habe I auch dann den Durchgriff auf L gewährt, wenn T bösgläubig bei der Leistung der Legate war. 118 Schwarz (oben Fn. 116) 299 f., 309 f. Dagegen beziehen DiPao/atlben Fn. 116) 101 und Kaser, SZ 72 (1955) 114, 125, den offen gefaßten § 6c von vornherein auf alle Fälle, in denen sich die Besitzer der Erbschaftssachen irgendwie entledigt hatten (jacere quominus possiderent). 119 Ihren Abschluß fand diese Entwicklung in einer Konstitution Mark Aurels aus dem Jahre 170: C 3.31.1. 120 Schwarz (oben Fn. 116) 310. 121 Die Legatsfälle werden in der einschlägigen Literatur unter diesem Aspekt regelmäßig übergangen. Nur bei Marrone I 459 findet sich ein flüchtiger Hinweis auf das SC. Iuventianum. 122 Eine theoretisch bestehende Rückforderungsmöglichkeit des T wurde offensichtlich nicht als dem I herauszugebende Bereicherung gewertet. Anders Julian (Vip 15 ed D 5.3.16.7) bei indebite geleisteten Fideikommissen, allerdings mit der Möglichkeit der Klagabtretung. Auch eine Klagabtretung verlagert das Risiko der Durchsetzbarkeit der Forderung auf den wahren Erben und entlastet den gutgläubig Leistenden. 123 S. nur Schwarz (oben Fn. 116) 310, 323;Kaser, SZ 72 (1955) 123.

II. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

117

Allerdings ermangelte es einer klaren Trennungslinie zwischen Gut- und Bösgläubigkeit. ·So hielten wir es an anderer Stelle 1L4 für möglich, daß man bei zweifelhafter Rechtslage selbst eine Auszahlung der Legate noch während des Querelprozesses als vom guten Glauben des Leistenden gedeckt ansah. Einem solchen ausufernden Verständnis von Gutgläubigkeit scheint Pius entgegengetreten zu sein, indem er den Begriff des bonae fidei possessor entsprechend der Regelung des Sc. Iuventianum definierte. Um dies zu erläutern, kehren wir zu D 5.2.8.16 zurück, wo noch der letzte Satz der kompilatorischen Zusammenfassung abzuklären ist: Fere autem si an te controversiam motam so lu ta sunt, qui optinuit repetit. Darin isolieren wir den wesentlichen Inhalt des dort angeführten Pius-Reskripts zum testamenturn inofficiosum l25 . Nur wenn T das Legat ante controversiam motam zahlt, steht I die actio utilis gegen L zu und wird T gegenüber I bezüglich des Legats frei.

Controversiam movere meint einen Zeitpunkt vor Litiskontestation der Quere!. Aufschlußreich ist die Kommentierung einiger Worte des SC Iuventianum ' 126 :, ,soI an t eltern /. . 'f'. .< > ' . d urc h VI plan contestatarn ,, .mqUlt, J ecen n t: hoc ideo adiectum, quoniam post litern contestatarn omnes incipiunt malae fidei possessores esse, quin immo post co n t r 0 ver s i a m m 0 tarn. " Lis contestata, ja sogar schon controversia mota ist der typische Zeitpunkt, an dem der gute Glaube des Erbschaftsbesitzers endet und seine Bösgläubigkeit beginnt. Der Umkehrschluß liegt auf der Hand: Zahlt T das Legat post controversiam motam, ist er also bösgläubig, bekommt I keine actio utilis gegen L, sondern kann das Legat von T herausverlangen, weil dieser dolo fecit quo minus possideret. T seinerseits kann sich wieder an L halten, wenn er sich mit der cautio evicta hereditate legata reddi vorgesehen hatte l27 . Auch die Bedeutung des 124 Oben Fn. 90.

125 [tere - repetit] streichen Betti, D. 42.1.63 (1922) 469 Fn. 1; Solazzi, St. Riccobono 1 (1936) 187, 362;Sanfilippo I 198. Doch ist die Passage formal nicht anstößig; auch fere ist wohlbegTÜndet (dazu sogleich im Text). 126 VIp 15 ed D 5.3.25.7: Kommentar zu § 6c des SC. 127 Damit war der cautio ihr eigentlicher Anwendungsbereich - bei Auszahlung der Legate im Bewußtsein der Gefährdung der ErbensteIlung (oben Fn. 63, 66), also oft post controversiam motam - wieder zuTÜckgewonnen. Es ist bezeichnend, daß Pius auch niemals die von Pomponius vorgeschlagene Ausdehnung der cautio mittels der Konstruktion einer condictio cautionis (oben Fn. 68) gebilligt hat. Dies mit gutem Grund. Die Lösung mag nämlich für ein Zwei-Personen-Verhältnis bei der cautio quanto amp/ius (oben Fn. 70) adäquat gewesen sein; für die Regelung einer komplizierten

Drei-Personen-Beziehung war sie denkbar ungeeignet. Ein Teil der Juristen (Schulenkontroverse? s. auch oben Fn. 71) hält denn auch zurecht eine cautio bei Leistung ante controversiam motam rur überflüssig, vgl. Paul 75 ed D 35.3.4.2: " .. .si vero pe-

cuniam hereditariam solvat . " q u i d a m non putant cavendum. quia nec teneri potest eo nomine victus, cum non possideat vel dolo fecerit, quo minus possideat. hoc si a n t e m 0 t a m co n t r 0 ver si a m solvat: quod si postea. tenebitur culpae nomine." Vgl. auch Paul9 ed D 35.2.41 (zur cautio quanto amplius). Gai 6 ed prov D 5.3.17 betrifft dagegen die hier nicht interessierende Zahlung de suo.

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§ 5. Pflichtteilsrecht

fere wird jetzt deutlich. Ante controversiam motam ist der Erbschaftsbesitzer typischerweise oder regelmäßig gutgläubig; ausnahmsweise kann er jedoch bereits in diesem Stadium bösgläubig sein, wenn er z.B. positiv den Mangel seiner Erbenstellung kennt. In diesem Fall treten die gleichen Rechtsfolgen wie bei der Leistung post controversiam motam ein. Was verbirgt sich nun konkret hinter controversia mota? Da es sich um einen Zeitpunkt handelt, der vor der Litiskontestation liegt und typischerweise die Gutgläubigkeit des Erbschaftsbesitzers beseitigt, bietet sich die Ladung zum Prozeß als plausible Erklärung an 128. Die Parallele zum SC Iuventianum, das den für die Beurteilung der Redlichkeit des Erbschaftsbesitzers maßgeblichen Zeitpunkt von der Litiskontestation auf die Ladung vorverlegt l29 , ist evident. Sie ist unmittelbar evident, wenn direkt zur hereditatis petitio geladen wird, wenn z.B. das Testament als ruptum angegriffen wird. Ist zunächst ein vorbereitendes Verfahren erforderlich, wenn etwa das Testament als pflichtwidrig angefochten wird, ist die Parallele bereits zur Ladung zum vorbereitenden Verfahren zu ziehen. Die Begründung mit der Bereicherungshaftung in D 12.6.3 und die Festlegung auf die Ladung in D 5.2.8.16 zeigen, daß Pius wesentliche Elemente seiner Reskripte aus dem Sc. Iuventianum übernommen hat. Damit sind alle Bausteine für eine abschließende GesamtwÜfdigung der Reskripte zur condictio utilis zurechtgerückt. Hadrian hat das Reformkonzept zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen T, I und L entwickelt. Sichtbarster Ausdruck hierfür war die Neuschöpfung einer actio utitis des I gegen L. Pius hat dieses Konzept im Grundsatz bestätigt. Dies geboten nicht nur die Achtung früheren Kaiserrechts und der Respekt vor seinem Adoptivvater, sondern auch Gründe der Praktikabilität und der Prozeßökonomie. In der praktischen Rechtsanwendung hat Pius das Konzept jedoch modifiziert. Indem er den Akzent auf die Ladung des Erbschaftsbesitzers setzte, schränkte er die Bandbreite der actio utitis auf Fälle makelloser Gutgläubigkeit ein 130. Diese interessante Lösung, welche die Gewährung 128 VIR 1.1009.25- 32 s.v. controversia (movere), bietet keinen Anlaß zu anderer Schlußfolgerung. 129 VIp 15 ed D 5.3.20.6d: ,,Petitam autem fisco hereditatem ex eo tempore existimandum esse, quo prim um scierit quisque eam a se peti, id est cum primum aut denuntÜJtum esset ei aut litteris vel edicto evocatus esset, censuerunt ... " Vgl. den Kommentar Vlpians in § 11. 130 Nur Marrone I 459 f. spricht dem Pius-Reskript eine eigenständige Bedeutung zu. Die Beschränkung der actin utilis wird richtig erkannt; es kann jedoch keine Rede davon sein, daß Pius dem Testamentserben wegen der post controversÜJm motam gezahlten Legate eine eigenständige Rückforderungsklage gegen den Legatar gewährt hätte. Die Rückforderung war ihm nach wie vor nur über die cautio evicta hereditate legate reddi möglich. - Für Renier 317 hat das Pius-Reskript nur rechtsbestätigende Wirkung, ebenso offenbar für Valino 201. Nach Perrot 97 f. ging es Pius allein um die Zulässigkeit einer Berufung der Legatare gegen das erstinstanzliche Querelurteil. Per-

/I. Testamentum inofficiosum und repetitio legatorum

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der actio utilis an I von der Gutgläubigkeit eines Dritten (T) abhängig macht, ist auch billig. Zahlte nämlich der Erbschaftsbesitzer Legate aus, nachdem er zum Erbschaftsstreit geladen war, tat er es auf eigenes Risiko, und der siegreiche wahre Erbe mochte sich deswegen später getrost an ihn halten. Die Lösung verbindet in glücklicher Weise den lückenlosen Schutz de·s wahren Erben mit einem gerechten Gutglaubensschutz des Scheinerben. Dem Legatar dagegen konnte es gleichgültig sein, wem von beiden er gegebenenfalls auf Rückzahlung haftete. Die Gründe der Modifizierung hat bereits Marrone zum Teil deutlich gemacht 131. Pius fand sozusagen im Nachlaß Hadrians zwei Konzepte zu einem Problem vor: das spezielle der actio utilis bei der Rückabwicklung von Damnationslegaten und das sich vorsichtig auf ähnliche Fälle im öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Bereich ausdehnende, daher generelle Konzept des SC luventianum. Sowie man das Sc. im Wege der Analogie auch auf den Fall der Erfüllung von Damnationslegaten aus der vermeintlichen Erbschaft 132 erstreckte- und dies muß unter Pius gewesen sein - gab es eine überschneidung der Konzepte, die in dem einen oder anderen Sinne gelöst werden mußte, um widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern 133. Pius entschied sich für das generelle und in den Lösungen einfachere und gerechtere System des SC luventianum. Interessant ist auch die technische Bewältigung der Reform. Hadrian greift mit der Schaffung einer actio ex constitutione in den prätorischen Bereich der Rechtsschöpfung ein und schreibt dem Prätor sogar ein bestimmtes prozessuales Mittel (condictio utilis indebiti) vor. Diese Beschneidung der typischen Macht der "iurisdictio pretoria (potere essenzialmente discrezionale) di scegliere il mezzo processuale piu adatto per far valere una certa pretesa" ist Palazzolo untrügliches Merkmal nachediktaler Rechtsschöpfung, als der Kaiser den Prätor entmachtet und dessen ureigene Funktion an sich gerissen hatte l34 . Pius sah sich diesem Problem nicht ausgesetzt l35 . Er stützte sich auf früheres

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rot gelangt daher (arg.: nec fuerit provocatum) zu einer unverständlichen Identifizierung des Reskripts mit dem in D 49.1.14pr. überlieferten Pius-Reskript (dazu unten Fn. 143). Marrone I 459 f. Die actio utilis wurde nur bei einer Leistung der Legate aus der vermeintlichen Erbschaft gewährt, nicht auch bei einer Leistung de suo (s. oben Fn. 85). Darauf hat schon Cujaz VII 302 hingewiesen. An eine Kumulierung der Klagen des I gegen T und gegen L, wenn T post controver· siam motam geleistet hatte, ist freilich gegen Marrone I 459 nicht zu denken. Hadrians Konzept der actio utilis war gewiß auf Alternativität der Klagen angelegt. Palazzolo. Potere imperiale (1974) 113 ff., 117, 119. Allerdings ist das Fehlen der condictio utilis indebiti im Album kein Beweis für nachediktale Erfindung. Wir dürfen nicht mit Vollständigkeit des Edikts rechnen; der Prätor edizierte über sein Officium nur nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten (vgJ. Lenel, EP 16 f.). Zu pauschal daher Palazzolo, Potere imperiale (1974) 119.

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§ 5. Pflichtteilsrecht

Kaiserrecht, welches er modifizierte, um es mit ius novum, mit ,neuern' Zivilrecht, zu harmonisieren. Das war gewiß eine Aufgabe, die einem nachediktalen Prätor, da Kaiserrecht tangiert wurde, von vornherein verschlossen war. Zweifellos waren die verschiedenen actiones utiles, die Hadrian und Pius in ihren Reskripten gewährten, Formularklagen, selbst wenn der zugrunde liegende Erbschaftsstreit im Einzelfall kognitorischer Natut gewesen sein sollte 13 6 Für die Annahme einer Kognitionsquerel in D 5.2.8.16 hat aber auch unsere Exegese keine weiteren Beweise erbracht 13 7. Zwar mag immerhin eine größere Analogienähe zum kognitorischen Fiskalprozeß bestehen, doch wäre der dann unabweisbaren Schlußfolgerung, alle den Reskripten zugrunde liegenden Erbschaftsstreitigkeiten seien kognitionaler Natur gewesen, entschieden zu widersprechen 1 38. Wir belassen es daher mit Kaser bei einem non lique~ 3 9 .

IIf A P pell a t i 0

leg a t a rio rum

Das testamentsvernichtende Inofficiositätsurteil wirkte nicht nur zwischen den Parteien der Querei, sondern ergriff auch Freigelassene und Legatare, die ihre Berechtigung aus dem Testament herleiteten: " ... libertates ipso iure non valent: nec legata debentur ... ,,140. Ihrer actio legati bzw. petitio libertatis konnte der Testamentserbe mit dem Hinweis auf das rechtskräftige Querelurteil begegnen. Eine erneute Sachprüfung der Gültigkeit des Testaments war für sie imsgeschlossen 141 . Das Querelurteil wirkte also auch gegen Dritte; es entfaltete sog. Tatbestandswirkung für einen eventuellen späteren Prozeß 142 . l36 l37 l38 l39

So ausdrücklichPalazzolo (oben Fn. 134) 118 Fn. 107, 119 Fn. 110. Zum Streitstand oben Fn. 52-54. So im Ergebnis auchPalazzolo (oben Fn. 134) 233 f. Fn. 62 für D 12.6.2.1. Kaser, ZPR 360 Fn. 63; Antologia giuridica romanistica ed antiquaria I (1968) 184 f. Fn.59. 140 Ulp 14 ed D 5.2.8.16 (oben Nr. 13). 141 Pap 20 quaest D 20.1.3pr.: Obwohl der Schuldner, der eine Erbschaft verpfändet hatte, mit der hereditatis petitio scheiterte, ist bei der actio Serviana des Pfandgläubigers in eine erneute Sachprüfung einzutreten. Papinian fährt fort: " ... atquin

aliud in legatis et libertatibus dictum est, cum secundum eum, qui 1egitimam hereditatem vindicabat, sententia dicta est." (dazu Kaser, ZPR § 55 III 2 und Fn. 57).

Das Problem stellte sich bei jeder erfolgreichen Erbschaftseviktion, unabhängig von der Natur des Verfahrens, vgJ. Pugliese, St. Betti 3 (1962) 767. A.A. Marrone, L'efficacia pregiudiziale della sentenza nel processo civile Romano (1955) 129 ff.: nur das Urteil im Legisaktionenverfahren präjudiziert. Hackl, Praeiudicium im klass. röm. Recht (1976) 189 ff. weist zurecht auf die Verbindung zum Sponsionsprozeß hin, läßt aber die Präjudizialität des Querelurteils in seiner Untersuchung ausdrücklich beiseite (192). 142 Hellwig, Erbrechtsfeststellung und Rescission des Erbschaftserwerbes (1908) 86. Die Problematik wird häufig unter dem dogmatisch umstrittenen Begriff der sog. materiellen Rechtskraftwirkung (s. Kaser, ZPR § 55 III Fn. 30) abgehandelt. Die wichtigsteLiteratur zitiert Hackl (oben Fn. 141) 298 Fn. 3.

111. Appellotio legatariorum

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Einen besonderen Fall behandelt ISa. Ulp 14 ed D 49. 1.1 4pr. Si periusorio iudicio actum sit adversus testamentum, an ius faciat iudex, videndum. et divus Pius, cum inter coniunctas personas diceretur per collusionem in necem Iegatariorum et libertatium actum, appellare eis permisit. et hodie hoc iure utimur, ut possint appellare : sed et agere causam apud ipsum iudicem, qui de testamento cognoscit, si suspicantur non ex fide heredem causam agere 14 3

Ulpian stellt die Frage an ius [aciat iudex, wenn in einem abgekarteten Prozeß gegen das Testament geklagt worden ist. Er antwortet mit einem Pius-Reskript, welches Legataren und Freigelassenen die Berufung gegen das Urteil gestattet. Die ungewöhnliche Formulierung der Frage und die scheinbar nicht korrespondierende Antwort haben der Literatur gelegentlich Anlaß zur sachlichen Verdächtigung gegeben l44 . Die Sorge ist unbegründet. Testamentserbe und Querelant - die Inskription weist das iudicium als qit aus 145 - wirken kollusiv zusammen, um das Testament zu Fall zu bringen. Typisch dürfte folgender Ablauf gewesen sein l46 : Der Erblasser hatte den Erben hoch, nahezu bis zur Grenze der Falzidischen Quart, mit Legaten belastet. Der unzufriedene Erbe sann auf Abhilfe. Eine Ausschlagung der Erbschaft half nichts, da ihn das Edikt ,si Quis omissa causa testamenti ab intestato possideat hereditatem.I 4 7 zur Leistung der Legate verpflichtete, sowie er ab in143 Pal. 503. Lit.: Eiseie, Zur QuereJa inofficiosi, SZ 15 (1894) 275 f.; Chabrun, Essai sur la q.i.t. (1906) 126 ff.; Perrot, L'appel dans la procedure de l'ordo judiciorum (1907) 71 ff.; Hellwig, Erbrechtsfeststellung und Rescission des Erbschaftserwerbes (1908) 84 ff.; Renier, Etude sur l'histoire de la q uerela inofficiosi en droit Romain (1942) 288 ff.; Lemosse, Cognitio. Etude sur le röle du juge dans l'instruction du proces civil antique (1944) 208 f.; Siber, Präjudizialität feststellender Zwischenurteile, SZ 65 (1947) 27 ff.; Mayer-Maly, Collusio im Zivilprozeß, SZ 71 (1954) 254 ff., 259 ff.; Marrone, L.'efficada pregiudiziale della sentenza nel processo civile Romano (1955) 62, 469 ff.; Broggini, Rez. Marrone, Eff., SZ 74 (1957) 454 f.; Impallomeni, Le manomissioni mortis causa (1963) 191 ff. ;Pugliese, La ,cognitio' e la formazione di principi teorici sull'efficacia dei giudicato, St. Biondi 2 (1965) 150 f.; Litewski, Die römische Appellation in Zivilsachen 111, RIDA 14 (1967) 308, 336 ff., 345 f.;Di Lello, Q.i.t. (1972) 247 ff.;Liebs, Ulpiani Opinionum libri VI, TR 41 (1973) 298. 144 Vgl. Chabrun 126 f.; Lemosse 208; Siber 27 f. ; Mayer-Maly 262 f. 145 Perrot 72; Hellwig 85 f.; Renier 289. Erst im 15. Buch des Ediktskommentars befaßt sich Ulpian mit der hereditatis petitio. 146 Zum folgenden S. auch Mayer-Maly 256 f. 147 Lenel EP Tit. XXVI § 168; D 29.4.

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§ 5. Ptlichtteilsrecht

testato in den Erbschaftsbesitz kam 14 8. Nach einem Reskript Hadrians 14 9 haftete er den Legataren selbst dann, wenn er sich, ohne überhaupt in den Erbschaftsbesitz zu gelangen, die Ausschlagung von dem hieraus profitierenden gesetzlichen Erben abkaufen ließ. Er trat daher die Erbschaft an, dingte sich aber einen Strohmann, der mit der Querel das Testament angreifen sollte. Dieses Vorgehen war möglich, da die Aktivlegitimation des Querelanten offenbar nicht von Amts wegen nachgeprüft wurdeiSO . Verteidigte sich der Testamentserbe unter Anerkennung der anspruchsbegründenden Tatsachen nur zum Schein, waren der Sieg des Querelanten und die Vernichtung des Testaments gewiß. Dies kam aber nicht dem Sieger, sondern den Intestaterben zugute l51 , unter denen der Testamentserbe regelmäßig eine starke Stellung - im besten Fall war er der einzige - innehatte. Denkbar wäre auch, daß wirklich ein übergangener Intestaterbe die Querel erhob, und daß sich der Testamentserbe, als der Prozeßausgang auf des Messers Schneide stand, mit dem Kläger im geheimen zum beiderseitigen Vorteil arrangierte und den Prozeß verloren gab. Für diese zweite Möglichkeit könnte das verwandtschaftliche Verhältnis von Kläger und Testamentserbe sprechen (inter coniunctas personas). In jedem Fall aber waren die Freigelassenen um ihre Freiheit, die Legatare um die Legate geprellt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage an ius [aciat iudex einen eindeutigen Sinn. Ulpian fragt, ob das Querelurteil auch dann ,Tatbestandswirkung' entfaltet, wenn es auf heimlichem Einverständnis der Parteien beruhtlS 2 Mit ius [acere wird auch sonst "nur diejenige Urteilswirkung bezeichnet ... , die sich nicht auf die Prozeßparteien beschränkt und sich nicht aus den gewöhnlichen Regeln über die Erstreckung der exceptio rei iudicatae ... ergibt,,153, sondern darüber hinaus auch Dritte ergreift, deren Recht von der Feststellung einer übergeordneten Rechtslage abhängig ist. Nicht zufällig finden sich die Belege für ius[acere gerade bei Statussachen 154 und bei Erbschaftsprozessen, die über die Gültigkeit des Testaments befindeniSS 148 Einen Ausnahmefall regelte das Pius-Reskript bei Vip 50 ed D 29.4.10.1: Wenn sowohl instituti als auch substituti omissa causa testamenti die Erbschaft besitzen, verweigern die instituti zurecht die Auszahlung der den substituti ausgesetzten Legate, da die substituti durch Erbantritt die ganze Erbschaft hätten erwerben können. Das Edikt soll also nicht diejenigen schützen, die ihre Rechtsstellung aus irgendweIchen spekulativen Gründen aufgegeben haben. 149 Vip 7 Sab D 29.4.2pr. 150 Vip 14 ed D 5.2.6.1. Dazu DiLeila 189 ff. 151 Vip 14 ed D 5.2.6.1. 152 Vgl. Hellwig 85 f. 153 Hellwig 85 Fn. 456 mit ält. Lit. 154 Vip 34 ed D 25.3.3pr.: Die Vaterschaftsfeststellung wirkt gegenüber jedermann. Vgl. Kaser I § 83 I 1 und Fn. 12 f. 155 Paul2 quaest D 5.2.17.1 (Quere!); Vip 24 Sab D 30.50.1 (Querei?). Eine knappe Entwicklungsgeschichte des Satzes sententill facit ius zeichnet Pugliese 150.

III. Appel/atio legatariorum

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Die so verstandene Frage setzt die Gültigkeit des Urteils inter partes voraus. Verfehlt ist.. daher d~e Ansicht, U~p~an.s ~ra~e.ziele d~rauf ab~ ob da~ Urteil dem Recht gemaß oder mfolge von lnlUna ludIClS -nIchtIg seI 150. Pugllese hat den besonderen Charakter der Kollusionsfälle gegenüber den Fällen von iniuria iudicis treffend charakterisiert 15 7: Bei Kollusion, ebenso wie bei absichtlichem Fernbleiben des Beklagten vom Prozeß, wird das ,Unrecht' von außen, nämlich von den Parteien, an das Urteil herangetragen; iniuria iudicis liegt vor, wenn der Fehler beim Richter liegt, wenn er sich irrt oder bewußt falsch Recht spricht. Ulpian weicht einer direkten Antwort auf die gestellte Frage aus und führt statt dessen das Pius-Reskript an, welches den betroffenen Dritten die Appellation gestattet. Gleichwohl wird die Frage für die Rechtspraxis klar und erschöpfend beantwortet 158. Appellation des Dritten bedeutet Weiterverfolgung des Querelprozesses in der nächsten Instanz unter gleichzeitiger Ablehnung des potentiellen Begehrens, in einem eigenen Folgeprozeß eine anderweitige Entscheidung zu erzielen. Das Urteil im Querelprozeß entfaltet also insofern Bindungswirkung, als es einen Folgeprozeß des Dritten präkludiert; der Bindungstatbestand aber, der Urteilsspruch, ist für den Dritten nicht absolut, sondern kann durch sein Betreiben in der Berufungsinstanz revidiert werden. Die Lösung läßt sich somit nicht mit den beiden Extremen der Bindungswirkung beschreiben. Pius hat vielmehr einen Mittelweg beschritten und damit gewiß eine neue Kategorie von Bindungswirkung geschaffen. Ulpian war gut beraten, sich nicht in eine lange und komplizierte Erörterung über die Einordnung der neuen Rechtsfigur einzulassen; mit dem Zitat des Reskripts als Antwort ging er jeder Schwierigkeit aus dem Wege 15 9 Die Vorzüge der neuen Regelung liegen auf der Hand. Sie vermeidet einerseits die grobe Unbilligkeit, welche bislang in der starren Bindung des Dritten an das durch Kollusion erschlichene Urteil begründet war l60 . Die Rechtslage vor Pius hat bereits Mayer-Maly herausgearbeitet I 61. Permisit spricht für erstmalige Gewährung einer Vergünstigung. Des Reskript hat sicherlich die Lage der Betroffenen verbessert. Das kann nur bedeuten, daß ihnen zuvor, wie bei einem regulären Querelprozeß, jeglicher Rechtsschutz gegen das Urteil versagt war. Pius trennte die Kollusionsfälle heraus und beschied ihnen ein eigenes rechtliches Schicksal. 156 So Lemosse 208.

157 Pugliese, St. Betti 3 (1962) 737 und Fn. 1. Zu den iniuria-Fällen vgl. ausführlich 735 ff. mit Quellen 735 Fn. 10. 158 Ähnlich Marrone 473 f.; ihm folgend Litewski 337 Fn. 134. 159 Da Fragestellung und Antwort hiernach voll korrespondieren, ist Mayer-Malys (262 f.) These, ein nachklassischer Ulpian-Bearbeiter habe die Stelle gründlich überarbeitet und auf das Problem der Rechtskraftwirkung hin getrimmt, aufzugeben. Unhaltbar auch Chabrun 126 f., der auf den einleitenden Satz unmittelbar § I folgen läßt und das Pius-Reskript völlig streicht. 160 Impallomeni 192: "criterio digiustizia". 161 Mayer-Maly 257 ff.

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Andererseits schließt die neue Regelung im Interesse der Rechtssicherheit einander in der Person des Erben widersprechende Urteile aus, wozu es leicht hätte kommen können, wenn man sich dafür entschieden hätte, den Dritten die Klagen unberührt von dem Querelurteil zu belassen. Die neue Lösung ist auch prozeßökonomischer; Bedenken wegen des Verlusts einer Instanz müssen hinter den Ordnungsgesichtspunkten zurücktreten. Das Reskript gewährte den Dritten die Berufung nicht allgemein, sondern nur für den Fall der Kollusion 162 . Sibers Ansicht 163, die Kollusion sei bloß Anlaß (occasio legis), nicht aber notwendiger Inhalt der Neuordnung (tenor legis), demnach nicht einziger Grund der Appellation, gewesen, findet in den Quellen keine Stütze. Freilich wird der Streit dadurch entschärft, daß als Voraussetzung der Legitimation zur Einlegung der Berufung nicht der Nachweis der Kollusion gefordert wurde. Da Legitimation und Erfolg von ein und derselben Tatsache der Kollusion abhingen, begnügte man sich mit Kollusionsverdacht, d.h. der bloßen Behauptung der Kollusion (cum ... d i cer e t u r per collusionem ... actum, appel/are eis permisit)164. Ganz deutlich kommt dies in einer Doppelüberlieferung des Reskripts zum Ausdruck:

15b Marcian I de appellationibus D 49.1.5.1 Si heres institutus victus fuerit ab eo, qui de inofficioso testamento agebat, legatariis et qui libertatem acceperunt permittendum est appellare, si que. ., . 't 165 rantur per colluslOnem pronunhatum: SlCUt d'lVUS P'lUS rescnpSl Die Parallelen zu dem von Ulpian mitgeteilten Reskript sind evident. Si querantur per collusionem pronuntiatum entspricht cum ... diceretur per co/lusionem ... actum in Nr. ISa und weist eindeutig den bloßen Kollusionsverdacht als Legitimationsvoraussetzung aus. Siber sieht sich daher gezwungen, die Passage zu streichen 16 6 . Strittig ist, ob das Reskript den betroffenen Dritten neben der BerufQng auch die Nebenintervention in der ersten Instanz zusprach. Entscheidend hierfür ist das Verständnis des zweiten Abschnitts der Ausgangsstelle Nr. ISa (et hodie - [in. )16 7 . Eine starke Meinung streicht et hodie - appel/are als 162

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Renier 289; Voci II 716; Orestano, L'appello civile in diritto Romano (1953 2 ) 330. Siber 27 f. Ähnlich bereits Hellwig 88. Mayer-Maly 260;Marrone 471 f. ;Di Lella 249 ; Litewski 339 Fn. 138. Pal. 1 . Lit. wie oben Fn. 143. Siber 30. Beseler 2.104 f. streicht diesen Abschnitt ganz und setzt im ersten Abschnitt die

Nebenintervention an die Stelle der Berufung. Das ist willkürlich. Segre, Me!. Girard 2 (1912) 516 Fn. 2, ficht nicht den ganzen zweiten Abschnitt an, wie der Ind. glauben läßt, sondern nur das Wort iudex.

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nachklassischen Einschub 168 . Dadurch wird der Nachsatz sed et agere - [in. von permisit abhängig: Das Reskript erhält eine zweigliedrige Rechtsfolge. Dieses Vorgehen ist indessen mehr als zweifelhaft. Formal ist et hodie - appel/are nicht anfechtbar. Hodie darf keinesweg~ mit Beseler169 stets verdächtigt werden. Albörtario, der den Gebrauch von hodie in den Digesten gründlich untersucht hat l7 ,hält neben zahlreichen anderen Stellen auch unsere Stelle für echt, weil die neue Rechtsquelle, das Reskript, angegeben werde 171 . Von Bedeutung ist auch die Verbindung mit hoc iure utimur. Diese Floskel findet sich häufig nach der Erwähnung von Konstitutionen verstorbener Kaiser l72 , wenn der Jurist Anlaß hatte, die aktuelle Geltung der Konstitution ausdrücklich hervorzuheben. Bereits zu Beginn des 3. Jh. muß es ein schwieriges und überhaupt nur dem sachkundigen Juristen mögliches Unterfangen gewesen sein, aus dem verwilderten Wald von Gesetzen 173 das geltende Recht herauszufinden und diejenigen kaiserlichen Verordnungen auszuscheiden, die ein persönliches Privileg enthielten oder durch späteres Kaiserrecht obsolet geworden waren. Ob es zu Ulpians Zeiten Meinungsverschiedenheiten über die Fortgeltung des Reskripts gegeben hat, wissen wir nicht. Es wäre aber gut denkbar, daß aufgrund eines späteren Reskripts der divi [ratres, welches für den ähnlichen Fall, daß sich die Kollusion im Ausbleiben des Testamentserben und einem dadurch provozierten Versäumnisurteil realisierte, eine ganz andere Lösung vorsah 17 4 , eine Juristenkontroverse entbrannte. Mit et hodie hoe iure utimur, ut possint appellare hätte Ulpian somit die Fortgeltung des Reskripts in seiner Zeit unter besonderer Betonung der Rechtsfolge hervorgehoben. Demgegenüber sind die Erklärungsversuche Marrones, die Kompilatoren wollten mit einem Einschub die generelle, über den Fall der Kollusion hinausgehende Zulässigkeit der Berufung im justinianischen Recht dokumentieren, und Mayer-Malys, der Ulpian-Bearbeiter hätte mit dem Hinweis auf das Berufungsrecht die Nichtigkeit des Urteils dartun wollen 1 75 , wenig überzeugend. Ist daher die Passage et hodie - appel/are ulpianisch l 76, ergibt der zweite Abschnitt der Stelle einen anderen, aber guten Sinn. Das Pius-Reskript gewähr168 169 170 171 172

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Mayer-Maly 263;Marrone 472;Litewski 339 Fn. 138. Beseler 2.97-106. Zu hodie vgl. oben § 2 Fn. 40. Albertario, Hodie (1911) = Studi 6 (1953) 123 ff. Albertario, Studi 6 (1953) 130. Vgl. zum folgenden De Robertis, Sulla efficacia normativa delle costituzioni imperiali (1941/42) 142 ff. mit Quellen 142 Fn. 1 (dazu die Rezension von Wenger, SZ 63, 1943, 499); bereits früher Wlassak, Kritische Studien zur Theorie der Rechtsquellen (1884) 113 f. Tert., Apo\. 4,7: "nonne et vos cottidie experimentis illuminantibus tenebras antiquitatis totam iIIam veterem et s qua I e n te m si 1v a m 1e g u m novis principalium rescriptorum et edictorum securibus truncatis et caeditis?" VIp 14 ed D 49.1.14.1 = Paul I.sing de inofftest D 5.2.18. S. oben Fn. 168. Albertario, Studi 6 (1953, aber 1911) 130 ; Steinwenter, Studien zum rörn. Versäumnisverfahren (1914) 66 Fn. 1; Renier 289. Liebs 298 geht stillschweigend von der Echtheit der Passage aus. Lemosse 208 spricht sie zwar Vlpian zu, streicht aber den

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te nur das Rechtsmittel der Appellation. Ulpian konnte es aber bei der historischen Reminiszenz nicht belassen, da sich die Rechtslage seitdem geändert hatte. Das geltende Recht sah nämlich für die betroffenen Dritten neben der Appellation auch die präventive Möglichkeit vor, dem in der ersten Instanz anhängigen Erbrechtsstreit beizutreten und die Sache des Erben, die gleichzeitig die eigene war, zu betreiben. Wie für die Appellation war auch für die Nebenintervention die Behauptung der Kollusion erforderlich. Hodie - appel/are gewinnt damit eine weitere Funktion: das geltende Recht zu resümieren, um die eingangs gestellte Frage nicht nur historisch korrekt, sondern auch für die Gegenwart möglichst präzise und vollständig zu beantworten. Die hier vertretene Auffassung, das Pius-Reskript habe nur die Berufung gewährt, wird durch die Doppelüberlieferung des Reskripts in D 49.1.5.1 (Nr. 15b) gestützt. Auch Marcian spricht nur von Appellation. Die Gegenmeinung müßte schon behaupten, Marcian habe für das Thema seiner Monographie nicht einschlägige Teile des Reskripts unterdrückt. Immerhin ließen sich für eine solche Arbeitsweise geniigend Parallelen finden 1 77. Doch überprüfen wir zunächst den sich unmittelbar anschließenden § 2, der einige Schwierigkeiten aufwirft: 16.

Marcian 1 de appellationibus D 49.1.5.2 Idem rescripsit legatarios causam appellationis agere possei 78. Perrot und Marrone sind der Auffassung, der Text gestatte den Legataren die Betreibung des Berufungsverfahrens. Weil er dann nichts anderes als § 1 aussage, sehen sich beide Autoren veranlaßt, das Wort appel/ationis zu streichen, Perrot, weil es sich um eine typische Linear- oder Marginalglosse l79 , Marrone, weil es sich um eine justinianische Betonung der generellen Zulässigkeit der Berufung handele l80 . Danach regelte das Reskript die e r s t instanzliche Nebenintervention. Marcian habe in den §§ 1 und 2 zusammen dasselbe gesagt wie Ulpian in D 49.1.14pr. Doch während Marrone ein Reskript mit ambivalentem Inhalt annimmt, wobei Ulpian noch die Reihenfolge der Anordnungen vertauscht habe, erkennt Perrot zwei selbständige, in korrekter zeitlicher Abfolge zitierte, Pius-Reskripte.

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Schluß sed et - [in. als nachklassisch. Nur Renier (unklar allerdings 314) und Liebs konstatieren klar, daß nur die Berufung, nicht auch die Nebenintervention, Gegenstand des nämlichen Pius-Reskripts war. S. oben § 4 Fn. 82 f. (zu Ulpian). Pal. 1. Lit.: s. oben Fn. 143 und Peterlongo, La transazione nel diritto romano (1936) 212. Perrot 73 Fn. 2; ähnlich auch Peterlongo 212, der in § 2 - § 4 einen Glossenkomplex sieht. Marrone 472 und Fn. 190.

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Der zunächst ansprechende Gedankengang erweist sich bei näherer Betrachtung als unzutreffend. Zwar könnte Marcian durchaus die Ulpian-Stelle als Vorlage benutzt haben 181, doch bliebe unerklärlich, wie Marcian dort entweder zwei selbständige Pius-Reskripte (Perrot) hätte identifizieren oder eine als einheitlich erkannte Verordnung (Ma"one) als zwei verschiedene Reskripte hätte ausgeben können. Der entscheidende Einwand liegt jedoch darin, daß sich Marcian in § 2 in Wirklichkeit gar nicht wiederholt. Das Reskript in § 1 gestattet die Ein leg u n g der Berufung und damit gleichzeitig die Führung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz neben oder anstelle des Testamentserben l82 . Die bloße Einlegung der Berufung ohne diese Konsequenz wäre lebensfremd und würde ihren Zweck, die Kollusion der Parteien aufzudecken, verfehlen. Das Reskript in § 2 dagegen sagt nichts über die Einlegung der Berufung; es gestattet lediglich die F ü h run g des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz. Dann muß die Berufung von der in der ersten Instanz unterlegenen Partei, dem Testamentserben, eingelegt worden sein 183. Der nachfolgende § 3 bestätigt die Richtigkeit unserer überlegung: Sed et si in fraudem suam transactionem factum ab eo qui appellasset dicerent, idem dicend um est ... Der Testamentserbe hat Berufung eingelegt und sich dann mit dem Gegner verglichen. Die Legatare werden mit der Behauptung, dies sei arglistig zu ihrem Nachteil geschehen, gehört. [dem dicendum est, d.h. sie dürfen, wie in § 2, den Rechtsstreit in der Berufung führen, besser weiterfUhren, ohne selbst die Berufung eingelegt zu haben l84 . In § 3 zielt der Vorwurf der Kollusion auf den Abschluß des Vergleichs in der 2. Instanz l85 , in § 2 - hier ist die Behauptung der Kollusion aufgrund der Stellung zwischen § 1 und § 3 zu subintellegieren - auf die nachlässige, den Prozeßveriust provozierende Führung des Berufungsverfahren s. Das Pius-Reskript in § 2 ist nach alldem ein selbständiges Reskript mit eigenem Regelungsgehalt, so wie es Marcian darstellt. Es gibt den Legataren das Recht, bei Kollusionsverdacht im Berufungsverfahren zu intervenieren l86 . 181 Marcians !ihri ff de appellationibus sind wahrscheinlich wie alle Werke des Juristen nach dem Tode Caracallas anzusetzen, s. Fitting 123. Ulpians Ediktskommentar ist unter Caracalla geschrieben, vgl. oben § 4 Fn. 114. 182 Zur Unterscheidung zwischen der Legitimation Dritter zur Einlegung der Berufung von derjenigen zum Eintritt in die Berufung vgl. den Überblick bei Litewski 345. Nicht zwingend ist Litewskis These (345 f.), der eintrittsberechtigte Dritte sei stets nur an Stelle der früheren Partei legitimiert. 183 So bereits B 9.1.5, worauf Mayer-Maly 261 zurecht hinweis~. Peterlongo 212 f. hat die Stelle und den folgenden § 3 nicht verstanden, weil er nicht zwischen Einlegung und Durchführung der Berufung differenziert. 184 Litewski 338 f. Fn. 137. 185 Abweichend Litewski 339 Fn. 139, der zwischen Kollusion und [raus unterscheiden will. 186 Litewski 338.

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Parallele Entwicklungen sind bei der Entwehrung einer verkauften oder verpfändeten Sache festzustellen. Hat der einem Vindikanten unterlegene Verkäufer einer Sache Berufung eingelegt, war aber eine nachlässige Prozeßführung zu befürchten, konnte der Käufer in der Berufungsinstanz intervenieren. Interessant ist die Ausdrucksweise Macers: f.erinde defensio causae emptori committenda est, atque si ipse appellasset l 7. Sie bestätigt, daß Einlegung der Berufung und Befugnis zur Prozeßführung untrennbar miteinander verbunden waren. Die Intervention eines Dritten in der Berufungsinstanz, der selbst nicht Berufung eingelegt hatte, war anscheinend nur mit der Vorstellung einer Fiktion dieses Aktes zu bewältigen. Eine Konstitution, deren Urheber wir nicht kennen, gestattet dem Pfandgläubiger die Intervention in der Berufungsinstanz, wenn der erstinstanzlich einem Vindikanten unterlegene Schuldner die eingelegte Berufung unredlich führte 18 8

Am Ende des § 3 berichtet Marcian über ein weiteres, leider anonymes Reskript zu unserem Fragenkreis: .. . sed et sine appellatione si fuerit transactum, similiter rescriptum est. Bei einem kollusiven - aus dem Vordersatz ist in fraudem suam zu ergänzen - Vergleich nach dem Urteil in der ersten Instanz, aber vor Einlegung der Berufung, ist ähnlich reskribiert worden. Nur bei diesem Verständnis von sine appellatione erhält man einen vernünftigen Sinn und vermeidet einen Widerspruch zu der in einem Reskript der divi fratres bestätigten Rechtsauffassung, wonach ein Vergleich vor Erlaß des erstinstanzlichen Urteils weder das Testament umstoßen noch die Rechte der Freigelassenen und Legatare beeinträchtigen könne l89 . Similiter rescriptum est verweist auf die Rechtsfolge des § 2 (causam appellationis agere). Similiter (nicht idem!) stellt klar, daß hier, im Gegensatz zu § 2 und zum ersten Fall des § 3 (idem!), zuerst die Berufung von dem Legatar einzulegen ist, ehe er sie fIrnren kann. In der Gesamtschau dokumentiert das Marcian-Fragment D 49 .1.5 zur Geniige, daß die Kollusion im Querelprozeß nicht Gegenstand eines einzigen, alle Probleme regelnden Reskripts, sondern Gegenstand eines Bündels von sich von Fall zu Fall vortastenden Reskripten war. Mit dieser Orientierung kann die letzte Bastion der in der Beurteilung des Pius-Reskripts D 49.J.14pr. abweichenden Meinung angegangen werden:

187 Macer 1 de appellat D 49.1.4.3. Dazu Litewski 340 f. 188 Macer 1 de appellat D 49.1.4.4. Dazu Litewski 342. 189 Scaev 1 dig D 2.15.3pr. S. dazu Peter[ongo 15 ff.; Scar/ota Fazio, Principii vecchi e nuovi di Diritto privato nell'attivita giurisdizionale dei Divi fratres (1939) 95 f. (Nr. 36). Vgl. auch Vip 5 (6) op D 5.2.29.2.

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15c. Ulp 5 (Lenel: 6) op D 5.2.29pr. Si suspecta collusio sit 1egatariis inter scriptos heredes et eum qui de inofficioso testamento agit: adesse etiam legatarios et vo1untatem defuncti tueri constitutum est, eisdemque permissum est etiam appellare, si contra testamentum pronuntiatum fuerit 90. Mit Sicherheit handelt es sich um eine Parallelstelle zu D 49 .1.14pr. Die Nebenintervention wird mit adesse (sc. auditorio) ausgedrückt - einem auch anderweitig belegten Synonym fUr agere causam 191 -, voluntatem defunctitueri bestimmt eindeutig, auf welcher Seite im Prozeß interveniert wird. Ein Hinweis auf das dem Reskript zugrunde liegende Motiv ist aber nicht auszuschließen 192 Siber, Mayer-Maly und Marrone halten D 5.2.29pr. gegenüber D 49. 1. 14pr. und D 49.1.5.1 für die bessere überlieferung. Die Stelle sei echt und gebe die richtige Reihenfolge der Anordnungen wieder. Doch während Mayer-Maly und Marrone, entsprechend ihrer Auffassung zu D 49.1.14pr., die Anordnungen auf ein und dasselbe Pius-Reskript zurückführen l9 3, entnimmt Siber dem Text zwei verschiedene Pius-Reskripte I94 . Schon diese Divergenz zeigt, daß D 5.2.29pr. keineswegs das Verständnis von D 49.1.14pr. zu determinieren vermag. Im übrigen ist bei dem Text, was die genannten Autoren zu wenig berücksichtigen, von vornherein Vorsicht geboten, denn die opiniones sind nach fast einhelliger Meinung pseudoulpianisch. Die abweichende Ansicht Santalucias 195 hat Liebs ausführlich und entschieden zurückgewiesen und das Werk der diokletianischen Epoche zugeordnet l96 . Sein Verfasser schöpfte hauptsächlich aus Konstitutionen, ohne dies freilich immer kenntlich zu machen, und tat er es doch, wie hier, so gab er niemals den Urheber der Konstitution an. Die Opinionen waren eben ein provinziales Rechtsbuch, welches, ähnlich wie die Paulus-Sentenzen, einen überblick über alle wesentlichen Rechtsmaterien gab und das zu Beginn des 4. Jh. geltende Recht ohne Sinn für historische Entwicklung und Genauigkeit darstellte. l'1U Pol. 2349. Lit.: wie oben Fn. 143; vor allem: Siber 25 f.;Liebs 298. Dazu: Santalu· ciil, I ,libri Opinionum' di Vlpiano I (1971) 51 ff., 189; II (1971) 247 ff. 191 VIp 4 appellationum D 49.9.1. 192 Nur das Motiv des Reskripts sehen Mayer·Maly 260 und Litewski 336 Fn. 132 hervorgehoben. 193 Mayer·Maly 261; Marrone 471,474. Ebenso offenbar Santalucia I 189; II 247, 250. Litewski 336 ff. beschränkt sich auf den Aspekt der Berufung. 194 Siber 26 f. 195 Santalucia, I ,Iibri Opinionum' di Vlpiano (1971), 2 Bde. 196 Liebs, TR 41 (1973) 279-310; 279 Fn. 2 mit Nachweisen der h.M. 9 Müller-Eiselt

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über das Verhältnis der Stelle zu D 49 .1.14pr. hat bereits Liebs das Wesentliche gesagt 197. Der Opinionenverfasser hat die beiden Rechtsbehelfe der Berufung und der Nebenintervention aus der Vorlage D 49. 1. 14pr. entnommen, sie in die logisch-systematische Reihenfolge (zunächst erstinstanzliche Nebenintervention, dann Berufung) gebracht und auch die Nebenintervention der Autorität der vorgefundenen Konstitution unterstellt. Die letzte Aussage ist freilich nicht unanfechtbar. Man könnte nämlich mit Siber 19 8 in der Aneinanderreihung von constitutum est und pennissum est ebensogut die Mitteilung zweier voneinander unabhängigen Konstitutionen sehen. Dann hätte der Opinionenverfasser die Zulassung der Nebenintervention auf eine selbständige Konstitution zurückgeführt, was gewiß nicht seiner Ulpian-Vorlage entsprach, sachlich vielleicht aber doch gerechtfertigt war. Bei der Vielzahl der Reskripte zu unserem Themenbereich wäre es merkwürdig, wenn ausgerechnet der wichtige Fall der erstinstanzlichen Intervention nicht durch ein Reskript eingeführt worden wäre l99 . Nichts deutet darauf hin, daß Ulpian aus der Appellationsentscheidung des Reskripts selbständig die Folgerun§ auf Zulassung der Nebenintervention in der ersten Instanz gezogen hätte 20 . Ulpian resümiert im letzten Abschnitt von D 49.1.14pr. lediglich das zu seiner Zeit geltende Recht, ohne für die Nebenintervention zu sagen, wie es dazu gekommen ist. Eine eigene gedankliche Leistung hätte Ulpian sicherlich in aller Deutlichkeit herausgestellt. Auch nach Prüfung von D 5.2.29pr. halten wir also daran fest, daß das PiusReskript in D 49.1.14pr. nur das Rechtsmittel der Berufung gewährt hat. Ein letztes Problem ergibt sich aus dem nicht einheitlich überlieferten Kreis der Begünstigten des Pius-Reskripts. Während der Opinionenverfasser nur die Legatare aufführt, werden bei Ulpian und Marcian auch die testamentarisch Freigelassenen in den Schutz des Reskripts miteinbezogen. Marrone hält dies entsprechend seiner Grundauffassung zu den drei Stellen für eine justinianische Erweiterung 20 I . Die vorgebrachten formalsprachlichen Bedenken greifen jedoch nicht. Libertatium statt libertatum in D 49.1.14pr. ist nicht außergewöhnlich und auch bei den Juristen gut belegt 20 2. Das fehlende iis zwischen legatariis et und qui libertatem acceperunt in D 49.1.5.1 läßt sich mit elliptischem Gebrauch erklären, ohne daß man ein Schreibversehen annehmen müßte 203 . Auch sachlich bestand kein Grund, die Freigelassenen schlechter als die 197 198 199 200

Liebs 298. Siber 26 f. Perrot 73 denkt an ein zweites Reskript des Pius. So aber Liebs 298. Auch für Renier 314 ist das Interventionsrecht eine Regelung der Jurisprudenz. . 20 I Marrone 472. Siber 27 verdächtigt zwar libertatium in D 49. 1. 14pr., läßt aber (30) qui libertatem acceperunt in D 49.1.5.1 kommentarlos stehen. Kein Argument läßt sich aus D 49.1.5.2 herleiten, weil es sich dort um ein anderes Pius-Reskript handelt. 202 S. nur Kühner-Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lat. Sprache 1 (1966, Ndr. der 2. Auf!. 1912) 341. Iul31 dig D 29.4.22pr.; Vip 60 ed D 40.5.4.5. 203 So aber Litewski 337 f. Fn. 135.

I/f. Appellatio legatariorum

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Legatare zu behandeln, wenn der Respekt vor dem letzten Willen des Verstorbenen wirklich ein Motiv des Reskripts und der [avar libertatis die Leitidee des hochklassischen Rechts waren. Auch prozessual bestand kein Hinderungsgrund, da die Freigelassenen mit dem Tod des Erblassers bzw. mit dem Erbantritt frei wurden und jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Querel frei blieben: die Einlegung der Berufung war daher unproblematisch. Wahrscheinlich geht die Ungenauigkeit auch hier zu Lasten des üpinionenverfassers 204 Mayer-Maly behauptet demgegenüber, das Pius-Reskript sei erst im Jahre 293 durch eine Konstitution der Kaiser Diokletian und Maximian analog auf Freilassungen erstreckt worden 205 . Diese interessante These zwingt uns zu einem Exkurs. Exkurs C 7.2.12

17.

Impp. Dioc1etianus et Maximianus AA. et Ce. Rhizo. Si heredes iure facto testamento sollemniter adierint hereditatem, ex testamento tibi libertas quaesita post colludentibus tarn scriptis heredibus quam ab intestato vindicantibus successionem adimi non potuit. (1) Quod si sponte repudiaverunt sibi de1atam successionem, omnia quae testamento fuerant scripta defecisse convenit. (2) Si vero, ut vos fraudarent libertate, collusisse eos praeses animadvertit, secundum haec quae divus Pius Antoninus constituit libertatibus consuli providebit. S. k. Dec. Sirmi AA. conss.

(a. 293) 206

Rhizus, der im Testament freigelassen worden ist, befindet sich trotz ,Antritts' des Testamentserben offensichtlich noch nicht im Genuß der ungestörten Freiheit. Die Kaiser bescheiden seine Supplikation in Fallvarianten. Ist die Erbschaft aufgrund eines gültig errichteten Testaments angetreten, ist Rhizus frei; eine spätere Kollusion zwischen Testamentserben und Intestaterben ist unschädlich (pr.). Wurde die Erbschaft dagegen spante ausgeschlagen, sind alle Verfligungen, einschließlich der Freilassungen hinfällig (§ 1). Die Gegenüberstellung zweier so verschiedener Konstellationen erklärt sich leicht, wenn aus Rhizus' laienhafter Anfrage nur zu entnehmen war, daß gegenwärtig die Intestaterben im Besitze der Erbschaft waren, im übrigen aber offen blieb, ob die eingesetzten Erben zuvor die Erbschaft bereits angetreten hatten. 204 fmpallomeni 192; Liebs 298 Fn. 89. Auch Renier 289, Orestano, i'appello civile in diritto Romano, 1953 2, 330, DiLella 248 und Kaser, ZPR § 74111 2 Fn. 61, § 75 111 Fn. 40, beziehen das Reskript auf die Freigelassenen, ohne sich allerdings mit dem geschilderten Problem zu befassen. 205 Mayer-Maly 261 f. 206 Lit.: Buckland, The Roman Law of Slavery (1908) 610; Sanjilippo, Studi sull'hereditas I, AUPA 17 (1937) 165 f., 329; Mayer-Maly, Collusio im Zivilprozeß, SZ 71 (1954) 261 ff. 9*

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§ 5. Pflichtteilsrecht

In § 2 wird Rhizus versichert, daß bei einem Zusammenwirken von Testaments- und Intestaterben zum Zwecke der Vernichtung der Freilassungen der Statthalter für ihre Gewährleistung Sorge tragen wird. Wenn dieser Satz eine eigenständige Bedeutung haben soll, kann er nicht im Zusammenhang mit dem pr. stehen, dessen Aussage er lediglich wiederholen würde. Er schließt sich vielmehr harmonisch an § 1 an und führt als neues Element, welches eine gegenüber § 1 gegensätzliche Entscheidung (si ver 0 . . . ) rechtfertigt, die collusio bei der Aus s chi a gun g der Erbschaft ein. Die Funktion des § 2 im Aufbau der Konstitution ist evident. Einerseits soll der Gegensatz zu sponte repudiare in § 1 betont, andererseits durch die Anführung der Kollusion der Kreis zum pr. geschlossen werden. Für den Supplikanten waren somit alle in Betracht kommenden Fallgestaltungen abgedeckt. Er war gegen jede Art von Kollusion geschützt. Nach dieser Interpretation hatte die von den Kaisern in § 2 zitierte PiusKonstitution den Fall der Kollusion bei der Ausschlagung zum Gegenstand. Sie ist daher nicht identisch mit dem Reskript in D 49.1.14pr., welches den Fall des kollusiven Angriffs auf das durch den Antritt in Kraft gesetzte Testament regelte. Daher kann auch von einer analogen Anwendung der - dann nur die Legatare betreffenden - Pius-Konstitution auf testamentarische Freilassungen nicht die Rede sein. Dort geht es um Berufung und Nebenintervention, also um prozessuale Rechtsbehelfe Dritter in einem anhängigen Prozeß der Erbprätendenten, hier, ohne daß ein Hauptprozeß anhängig wäre, um eine eigene Klage der Betroffenen auf Erteilung der Freiheit. Die beide Gestaltungen verbindende Kollusion zum Zwecke der Ausschaltung lästiger Dritter ist als Analogiebasis zu schmal. Auch die Ausdrucksweise secundum haec quae divus Pius Antoninus constituit deutet nicht auf Analogie, sondern auf bloße Rezeption eines Präjudizes 207 . Die Kaiser entscheiden nichts Neues: sie beziehen sich zur Lösung der letzten Variante auf eine Konstitution des Pius. Die in C 7.2.12.2 zitierte Konstitution ist somit selbständig und unabhängig von dem Reskript in D 49 .1.14pr. zu würdigen. Sachlich ist sie am besten in die Entwicklungsgeschichte des Edikts ,si quis omissa causa testamenti ab intestato possideat hereditatem' einzuordnen 208 . Wer die Erbschaft ausschlug, sie .aber ab intestato in Besitz hatte, haftete den Legataren und auch den Freigelassenen 209 nach dem Edikt. Hadrian erstreckte die Haftung auf denjenigen, der sich die Ausschlagung bezahlen ließ 21 O. Endlich wurde auch dann gehaftet, 207 VgJ. z.B. MarceIl 29 dig D 28.4.3 (Marcus-Pius); a.A. Mayer-Maly 262. 208 Sanfilippo 164 ff.; Biondi, Succ. 192 f. VgJ. bereits oben Fn. 147 ff. - Wenig überzeugend Buckland 610, der eine Verbindung zu den Reskripten des Pius zur Sicherung der fideikommissarisch erteilten Freiheit bei Abwesenheit des belasteten Erben sieht. 209 Iul 31 dig D 29.4.22pr.; Ulp 50 ed D 29.4. 12pr. ; 5 fideic D 29.4.29 (fideik. Freilassung); Marcian 1 inst D 40.4.23pr.; C 6.39.2pr. (a. 245). 210 Ulp 7 Sab D 29.4.2pr. (oben Fn. 149); C 7.4.1.1 (a. 197).

III. Appellatio legatariorum

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wenn die Ausschlagunf abgesprochen war, sei es mit den gesetzlichen Erben 211 , mit einem Miterben 2 2, sei es mit einem Substituten 213 , ja selbst wenn man ohne eigenes Profit streben allein die Schädigung der Legatare und Freigelassenen bezweckte 214 . In diesem Umfeld fraudulöser Ausschlagung muß der PiusKonstitution eine wesentliche Bedeutung zugekommen sein 215 . Ihr Zitat in der diokletianischen Konstitution läßt vermuten, daß Pius den Freizulassenden für den jeweiligen Kollusionsfall den geeigneten Rechtsschutz zugewiesen hatte. Insbesondere dürfte er auch die umstrittene Frage geregelt haben, ob im Einzelfall der ausschlagende Erbe oder der Erbschaftsbesitzer auf die Erteilung der Freiheit in Anspruch zu nehmen war 216 Der Exkurs zu C 7.2.12 hat nicht nur Mayer-Malys These als nicht haltbar erwiesen, sondern mit der gewonnenen Parallele bei der Ausschlagung sogar die Echtheit der Erwähnung der libertates in D 49.1.14pr. und D 49.1.5.1 untermauert. Wenn es sich auch um verschiedene Konstitutionen handelt, so sind sie doch Ausfluß einer einheitlichen Rechtspolitik unseres Kaisers, welche der Strategie der Testamentserben, sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten und Raffinessen den vom Erblasser auferlegten Lasten zu entziehen, mit einem breiten Spektrum von Sanktionen wirksam begegnete. Für eine gesicherte Entwicklungsgeschichte der einzelnen Maßnahmen des Kaisers geben die Quellen nichts her. Der Versuch einer Rekonstruktion ist auf psychologisch-taktische Vermutungen angewiesen. Wahrscheinlich versuchte man ursprünglich, die testamentarischen Belastungen durch kollusive Ausschlagung zu Fall zu bringen, ehe man den umständlicheren und kostspieligeren Weg eines zum Schein geführten Erbschaftsprozesses, wozu sich die Querel vorzüglich anbot, einschlug. Daher dürfte die Pius-Konstitution in C 7.2.12.2 (NI. 17) früher anzusetzen sein als die zur Querel ergangene Reskriptgruppe. Innerhalb dieser Gruppe ist gewiß das mehrfach bezeugte Reskript, welches den Dritten die Berufung gestattete (NI. 15a,b,c), sachlich und zeitlich vorrangig. Der Versuch des Erben, das Reskript zu umgehen 21 7, indem er den Scheinprozeß selbst in die Berufungsinstanz trug, um dort ein rechtskräftiges Urteil zu er211 212 213 214 215

Ulp 50 ed D 29.4.1.13. Ulp 50 ed D 29.4.6.8 mit instruktiver Entscheidung des Celsus. Ulp 50 ed D 29.4.10.2; 12pr. Ulp 50 ed D 29.4.4pr. und 1. Ein weiteres Pius-Reskript in diesem Bereich regelt einen besonderen Fall (dazu schon oben Fn. 148). 216 Die von Ulp 50 ed D 29.4.4.1 getroffene Unterscheidung der Rechtsfolgen bei entgeltlicher und unentgeltlicher fraudulöser Ausschlagung ließe sich gut als Inhalt eines solchen Reskripts verstehen. - San[ilippo 328 f. schreibt in seiner Zusammenfassung diese Erweiterung des Edikts fälschlich erst der Konstitution Diokletians und Maximians zu, ohne die Leistung des Pius auch nur zu erwähnen. Damit setzt er sich in Widerspruch zu seinen korrekten Ausftihrungen 165 f. 217 Vgl. Mayer-Maly 261.

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schleichen oder sich kollusiv zu vergleichen, wurde bald darauf durch die Zulassung der Nebenintervention im Berufungsverfahren (Nr. 16) zunichtegemacht. Von hier aus ergab sich als logische Konsequenz die Einflihrung der generalpräventiven Nebenintervention bereits in der ersten Instanz. Diese den Sanktionskatalog abrundende Maßnahme ist wahrscheinlich ebenfalls einer Kaiserentscheidung zuzuschreiben (vgl. Nr. ISc), deren Urheber freilich nicht zu ermitteln ist. Es könnte Pius, vielleicht aber auch Mark Aurel gewesen sein. Einen Spezialfall von Kollusion regelte eine Epistel der divi fratres, die Ulpian im Anschluß an das Pius-Reskript (Nr. ISa) immer noch unter dem übergeordneten Aspekt an ius faciat iudex anflihrt 218 . Für den Fall, daß der mit der Querel verklagte Erbe vor dem Urteilsgericht nicht erschien, weil er sich möglichst einfach und schnell verurteilen lassen wollte, bestimmten die Kaiser, das ergangene Versäumnisurteil solle nur inter partes wirken und die Klagen der Legatare, Fideikommissare und Freigelassenen unberührt lassen (" ... salvae sunt actiones . .. perinde ac si nihil esset iudicatum ... "). Damit gingen die divi fratres über das Pius-Reskript hinaus und gaben für diesen Sonderfall das Prinzip der präjudiziellen Bindungswirkung des Querelurteils, im Reskript mißverständlich als rei iudicatae auctoritas bezeichnet, auf. Wie so oft behalf man sich auch hier technisch mit einer Fiktion, die vermutlich in die Klagen der betroffenen Dritten eingebaut wurde 219 : man betrachtete das Urteil als Nichturteil oder entkleidete es jedenfalls jeglicher Wirkung, wie es Paulus in einer Doppelüberlieferung des Reskripts elegant, ganz als wollte er Ulpians Fragestellung aufgreifen, ausdrückte: " ... hoc enim casu non creditur ius ex sententia iudicis fieri ... ,,220. Vielleicht war die Entscheidung und die Abweichung von dem Gedanken des Pius-Reskripts deshalb notwendig, weil es keine Berufung gegen Versäumnisurteile gab 2 21 . Materiell gerechtfertigt war sie wohl aber durch die Vorstellung, daß ein nicht kontradiktorisches Urteil keine Richtigkeitsgewähr beanspruchen konnte 2 2 2 . Darin lag der wesentliche Unterschied zu den Pius-Entscheidungen. Gleichwohl scheinen beide Konzepte nicht immer deutlich auseinandergehalten worden zu sein 223 , für Ulpian ein Grund mehr, 218 Vip 14 ed D 49.1.14.1. VgI. dazu Apelt, Die Vrteilsnichtigkeit im röm. l'roze1\ (o.J., aber vor 1936) 81 f.; Scarlata Fazio, Principii vecchi e nuovi di Diritto privato ne 11' attivita giurisdizionale dei Divi fratres (1939) 143 ff. (Nr. 67);DiLella 250 ff. mwN. Fn. 135, 136. 219 Aru, 11 processo civile contumaciale (1934) 91. 220 Paul2 quaest D 5.2.17.1 mit Paull.sing de inofftest D 5.2.18. 221 Orestano, L'appello civile in diritto Romano (1953 2 ) 356 ff. 222 Kritisch hierzu aber Impa/lomeni 192 f. 223 Vgl. nur den Beginn der vieldiskutierten Stelle Vip 24 Sab D 30.50.1: "Si hereditatis iudex contra heredem pronuntiaverit non agentem causam vel lusorie agentem (t), nihil hoc nocebit legatariis ... " Entweder ist vel lusorie agentem ein späterer Zusatz (Mayer-Maly 258), oder nihil hoc nocebit legatariis gibt nur die theoretische Problemlösung, abstrahiert von den sich dahinter verbergenden ganz verschiedenen prozessualen Abwicklungsmechanismen (so Perrot 68). Ganz anders Siber 32 und Marrone 135

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am Ende von D 49 .1.14pr. das geltende Recht noch einmal gedrängt zusammenzufassen. Ebenso wie bei D 5.2.8.16 (Nr. 13) streitet sich die Literatur auch bei D 49. 1.14pr. um die Rechtsnatur der dem Reskript zugrunde liegenden Quere!. Beide Stellen stammen aus demselben Buch Ulpians, und Lenels Palingenesie plaziert sie in enger Nachbarschaft 224 . So ist es nicht verwunderlich, wenn der Streit mit nahezu denselben Argumenten hier wie dort geführt wird, bei D 49. 1.14pr. allerdings bereichert um das nicht zu gering einzuschätzende Argument des Zusammenhangs mit § I, wo der Erlaß des Versäumnisurteils sicherlich zur Annahme eines ordo-Verfahrens zwingt 225 . Es wäre fruchtlos, die gegnerischen Argumente im einzelnen auszubreiten und zu diskutieren, um am Ende doch nur feststellen zu können, daß mit Sicherheit oder auch nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit über den Charakter der Querel in D 49.1. 14pr. nichts gesagt werden kann 226 . Doch wäre es seltsam und initiierte neue Umgehungsmöglichkeiten, wenn das Reskript von der ursprünglichen Prozeßart nicht auch auf andere Verfahrensarten übertragen worden wäre 2 2 7 über seinen eigentlichen Bereich der Querel hinaus muß das Pius-Reskript (Nr. 15) bestimmenden Einfluß auf die Herausbildung anderer Fälle von Drittlegitimation zur Einlegung der Berufung bei Kollusionsverdacht oder über das Reskript Nr. 16 zur Intervention im Berufungsverfahren ausgeübt haben. Neben den bereits aufgezeigten Parallelen bei der Entwehrung verkaufter oder verpfändeter Sachen 228 sind hier vor allem das Appellationsrecht des Miterben im Prozeß des von einem Erbschaftsgläubiger verklagten anderen Miterben und das des Bürgen im Prozeß des Hauptschuldners zu nennen 229 . Da keine der Quellen älter als das Reskript ist, darf man Pius mit einiger Sicherheit als Schöpfer der Drittlegitimation zur Einlegung und Führung der Berufung bezeichnen.

224 225 226

227 228 229

ff. (Streitstand 137 Fn.37), die den Text allein auf die hereditatis petitio und die iniuria iudicis beziehen wollen. Pa!. 501 (NI. 13) bzw. Pa!. 503 (Nr. 15a). Perrot 74 f.;Kaser, ZPR § 54 V. Die ausflihrlichste Diskussion der Argumente findet sich bei Perrot 73 ff., der sich flir eine Zentumviralquerel entscheidet. Doch sollte man sich nicht zu der Behauptung versteigen, erst Pius habe die Berufung gegen Zentumviralurteile eingeflihrt (so Impal· lomeni 191; dagegen Perrot 80, freilich mit unzutreffender Polemik gegen Merkel, oben Fn. 48, 65). Vgl. auch Sueton, Domit. 8: "ambitiosas centumvirorum senten· tias rescidit." Vehementester Verfechter einer Kognitionsquerel ist Marrone 469 ff. (dort Fn. 182 mwN). Einen knappen Überblick über den Streitstand gibt Di Lella 249 Fn. 133. Maver-Maly 264; Broggini, SZ 74 (1957) 454 f. Oben Fn. 187 f. Vgl. die Zusammenstellung der Quellen bei Litewski 342 ff.

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§ 5. Pflichtteilsrecht

Zusammenfassung Die Vielzahl der Entscheidungen zum materiellen Noterbenrecht (Nr. 12, 13, 15, 16)230 und ihre Thematik erweisen das Rechtsgebiet zur Zeit des Antoninus Pius als noch jung und unausgereift. Dies mag mit dem späten Aufkommen der Kognitionsquerel im 2. Jh. n.Chr. zusammenhängen. Freilich war nur bei einem Reskript (12) der Bezug auf die Kognitionsquerel mit Sicherheit nachzuweisen. Jedenfalls hat aber der Kaiser typische Elemente des Kognitionsprozesses für seine Problemlösungen fruchtbar gemacht. An die kognitionalen Ladungsakte wird einmal die Vererbung der Querel des suus heres geknüpft (12); zum anderen wird die Ladung der entscheidende Zeitpunkt für die Gutgläubigkeit des Erbschaftsbesitzers, der Legate aus der Erbschaft auszahlt (13). Während es dort (12) um die Angleichung der Rechtsstellung des suus heres an die des prätorischen Erben geht, mithin um die Harmonisierung zivilen und prätorischen Rechts, steht hier (13) die Beseitigung von Reibungen im Vordergrund, die sich aus zwei Reformkonzepten Hadrians ergeben hatten. Pius bestätigt im Grundsatz Hadrians Konzept der condictio utilis bei der Rückforderung von zu Unrecht aus der Erbschaft gezahlten Legaten, und zwar sowohl für das testamentum inofficiosum (13) als auch für das testamentum ruptum (14); jedoch schränkt er die actio utilis, entsprechend dem Rechtsgedanken des ebenfalls unter Hadrian ergangenen SC luventianum, auf Fälle gutgläubiger Leistung des Erbschaftsbesitzers ein, wobei der gute Glauben spätestens mit der Ladung zum Erbschaftsprozeß endet. Damit erkennt Pius den Gedanken des SC luventianum als den generellen und allgemeingültigeren an, dem das Konzept der condictio utilis untergeordnet werden muß. Kaiserrecht und neues Zivilrecht (SC luventianum) werden harmonisiert, der wahre Erbe und der gutgläubige Erbschaftsbesitzer als gleichermaßen schutzwürdig anerkannt. Während Pius bislang (12-14) mit Material seines Vorgängers Hadrian arbeiten konnte, das es lediglich zu sichten und zu systematisieren galt, ist die Gewährung der Drittlegitimation zur Einlegung und Führung der Berufung (15a,b,c) sowie die Gestattung der Nebeninterventionin der Berufung (16) beim Verdacht der Kollusion zwischen den Parteien des Querelprozesses eine völlig eigenständige reformatorische Leistung unseres Kaisers. Die neuen prozessualen Rechtsbehelfe berücksichtigen in glücklicher Weise sowohl die Gebote von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, indem widersprüchliche Urteile vermieden werden, als auch in besonderem Maße das Leitbild eines fairen und 230 Hinzu kommt die berühmte causa Licinnümi in VIp 14 ed D 5.3.7.1. Die vielbehandelte Stelle wäre systematisch in dem größeren Zusammenhang der Konkurrenz von Erbschaftsstreit und Statusprozeß zu erörtern. Hier glauben wir ohne Schaden auf sie verzichten zu können. S. zuletzt die gründliche Analyse von Hackl, Praeiudicium im klass. röm. Recht (976) § 24 (152 ff.) mwN.

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gerechten Verfahrens, indem sie Prozeßbetrug vorbeugen und erschlichenen Urteilen die absolut bindende Wirkung versagen. Der den Legataren und Freigelassenen gewährte Schutz ist sichtbarer Ausdruck des auch in anderem Zusammenhang (17) deutlichen Bemühens des Kaisers, den rechtsgültigen letzten Willen des Erblassers vor üblen Machenschaften vermeintlich zu kurz gekommener Erben zu schützen und ihm zur Durchsetzung zu verhelfen. Der materielle Impuls, der zur Einflihrung der neuen Rechtsbehelfe führte, mag dabei durchaus von vergleichbaren Wertungen des Edikts ,si quis omissa causa testamenti hereditatem ab intestato possideat' ausgegangen sein.

§ 6. QUARTA DIVI PlI Im Umfeld des materiellen Noterbenrechts, aber doch "vom Recht der Querel unabhängig"l, wird eine interessante Rechtsfigur erörtert, die unter Bezeichnung ihres Schöpfers als Quarta divi Pii in die Rechtsbücher eingegangen ist. Trotz der reichen Literatur 2 erscheint eine neue Behandlung im Rahmen unseres Themas gerechtfertigt. Die Quart geht zurück auf eine vielschichtige Epistel an die pontifices, in welcher der Kaiser die Arrogation von impuberes ,cum quibusdam condicionibus' IZestattet : 18a. Gai 1.102 Item impuberem apud populum adoptari aliquando prohibitum est, aliquando permissum est: [nune] ex epistula optimi imperatoris Antonini, quam scripsit pontificibus, si iusta causa adoptionis esse videbitur, cum quibusdam condicionibus permissum est. apud praetorem vero et in provinciis apud proconsulem legatumve cuiuscumque aetatis adoptare possumus 3 . Man unterschied im klassischen römischen Recht zwei species adoptionis, die adoptio im engeren Sinne, die für den Familienwechsel Gewaltunterworfener offenstand und imperio magistratus vollzogen wurde, und die arrogatio, mit der Gewaltfreie auctoritate populi in die patrÜl potestas des Adoptivvaters ein· traten 4 . Die Arrogation fand ausschließlich in Rom, in einem feierlichen Akt vor den Kuriatkomitien, die seit der späten Republik durch 30 Liktoren repräsentiert wurden 5 , statt 6 . Dem Akt voraus ging eine das Schicksal der angestreb1 2

3

4 5 6

Kaser I § 173 III. Eine knappe und vorzügliche Darstellung der Probleme gibt Moli!, NNDI 14 (1967) 629 ff. s.v. Quarta Divi Pii (dort auch umfassende Bibliographie; cui adde: Castello, 11 problema evolutivo della ,adrogatio', SD 33 (1967) 129 ff.) Aus der Spezialliteratur zu Pius vgl. die allerdings nicht ausreichenden Hinweise bei Rives 30 ff. ; LacourGayet 414 f.;Hüttl I 101. Lit.: Bergman, Beiträge zum römischen Adoptionsrecht (1911) 83 ff.; Beseler, Subsiciva (1930) 1; Solazzi, Glosse a Gaio, St. Riccobono 1 (1936) 144; David-Nelson, Gai institutionum comment. IV = Studia Gaiana III (1954 ff.) 124 ff.; Donatuti, Contributi allo studio dell'adrogatio impuberis, Bull. 64 (1961) 127 ff.; Castello, 11 problema evolutivo della ,adrogatio', SD 33 (1967) 139 ff. Gai 1.98 f.; Gellius 5.19.1-4 (adoptatio - arrogatio); Gai Ep 1.5.1; UE 8.2 f.; Mod 2 reg D 1.7.1.1. Bei Justinian wird die arrogatio auctoritate principis vollzogen: Gai 1 inst D 1.7 .2pr.; I 1.11.1. Cic., de lege agraria 2,12.31. Gai 1.100; UE 8.4. Die Rogationsformel, mit der zum Abschluß das ,Volk' befragt wurde, ist bei Gellius 5.19.9 überliefert. Zur Funktion der Komitien s. Castello 143 ff.

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ten Arrogation determinierende Untersuchung des Pontifikalkollegiums, ob die Arrogation nach bestimmten,nicht in jedem Falle gleichermaßen verbindlichen, Richtlinien gerechtfertigt war 7 . Die Zuständigkeit der pontifices erklärt sich wohl dadurch, daß sich beim Aufeinandertreffen zweier patresfamilias mannigfache Probleme über das Schicksal der Familiensacra ergaben, die nur von den pontifices zu bewältigen waren 8 . Im Laufe der Zeit tritt der sakralrechtliche Charakter der Arrogation immer mehr hinter profan-juristischen Erwägungen zurück. Während Cicero die sacra noch ausdrücklich als Prüfungspunkt der quaestio des Pontifikalkollegiums hervorhebt 9 , ist im 2. Jh. n.Chr. bei Gellius und in den juristischen Quellen die cognitio auf Alter und Zeugungsfähigkeit des Adoptivvaters sowie auf mögliche Gefahren für das Vermögen des zu Adoptierenden konzentriert 1 0 . Die Zuständigkeit der pontifices bleibt dennoch gewahrt. Die Gaius-Stelle zeigt sie als Adressaten jener Reformepistel. Also hatten sie, wie jeder gewöhnliche dem Rechtssetzungsmonopol des Kaisers unterworfene Rechtsprechungsmagistrat, beim Kaiser angefragt, ob die Arrogation eines impubes zulässig sei 11. Die Stelle bietet keinen Anhalt dafür, daß Pius die Epistel in seiner Eigenschaft als pontifex maximus an seine Kollegen gerichtet hätte 12 Die Passage aliquando prohibitum est, aliquando permissum est, mit der Gaius das Referat der Epistel einleitet, hat zu Spekulationen Anlaß gegeben, ob die Arrogation von impuberes bereits vor Pius irgendwann einmal zulässig war, ohne daß man freilich hierfür beweiskräftige Quellen vorweisen könnte l3 . Entgegen stehen die klaren Aussagen von Gellius (sed adrogari non pofest nisi tam vesticeps )14 und vor allem von 18b.

UE 8.5 Per praetorem vel praesidern provinciae adoptari tarn masculi quarn ferninae, 7

8 9 10 11 12

l3

14

Kaser I § 83 II 1. Zur mangelnden Verbindlichkeit der Richtlinien vgl. nur die Arrogation des Clodius durch Fonteius: Cic., de domo sua 13.34 ff. Zur detestatio sacrorum s. Kaser I § 15 III 1 Fn. 9,10 mwN. Cic., de domo sua 13.34. Gellius 5.19.6; VIp 26 Sab D 1.7.15.2-3. Eine weitere Epistel des Pius an die pontifices überliefert Vip 14 Sab D 38.16.3.12. Dort geht es um die Berechnung der den Status bestimmenden Empfängniszeit. So aber Castello 139 Fn. 28, 153. Mi/lor, The Emperor in the Roman World (1977) 361 räumt immerhin ein: .. he thus detached himself from the body of Pontifices". Vnerforscht ist, wie der Kaiser seine vielfältigen Funktionen - er war Mitglied aller Priesterschaften (Dio 53,17.8) - in der Praxis ausftillte. Als pontifex maximus ließ er sich bei weniger bedeutenden Aufgaben wahrscheinlich durch den promagister des Kollegiums vertreten (s. z.B. die Inschrift ILS 8380 aus dem Jahre 155; dazu mit weiterem Material Mi/lor 359 ff.). Bergman 84 Fn. 1 ; Da vid , SZ 51 (1931) 528 Fn. 2; Lardone, St. Riccobono 1 (1936) 681 ; Fadda, DER 1104. GeUius 5.19.7. Zu vesticeps vgl. Festus 560.

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et tarn puberes quam impuberes possunt: per populum vero Romanum feminae non adrogantur: pupilli antea quidem non poterant adrogari, nunc autem possunt ex constitutione divi Antonini 15 Die constitutio divi Antonini ist mit Sicherheit die epistula optimi imperatoris Antonini, quam scripsit pontificibus, in Gai 1.102. Wahrscheinlich hat der nachklassische Verfasser des fälschlich Ulpian zugeschriebenen liber singularis regularum 16 Gai l.102 ausgeschrieben, wobei er für epistula den Oberbegriff constitutio setzte, folgerichtig den Adressaten strich und dem Kurialstil gemäß optimus imperator in divus abänderte, ohne zu bemerken, daß damit die Kaiserbezeichnung mehrdeutig wurde 1 7. Jedenfalls hat er die Vorlage, will man nicht auch hier eine vereinfachende Kürzung annehmen, so verstanden, daß vor Pius eine Arrogation von impuberes nicht zulässig war. Aufgrund dieses Befundes streichen einige Autoren aliquando permissum est in Gai 1.102 als Glossem 18 . Demgegenüber haben David-Nelson überzeugend die Echtheit dieses Ausdrucks dargelegt 19 . Sie übersetzen aliquando aliquando statt in dem rein temporalen ,zu der einen Zeit - zu der anderen Zeit' in dem übertragenen Sinne ,in dem einen Fall - in dem anderen Fall' und können sich dabei auf eine Parallele in Gai 2.251 stützen. Prohibitum est und permissum est werden, dem Kontext entsprechend, als präsentische Perfekta gedeutet, der Anschluß mit nunc durch das erläuternde nam ersetzt, eine auch sonst gängige Auflösung des Kürzels N in der Handschrift. Bei dieser Interpretation setzte Gaius die Pius-Epistel zur Erklärung des Falles ein, bei welchem die Arrogation MindeIjähriger gestattet war: wenn nämlich die Voraussetzungen iusta causa adoptionis und quaedam condiciones erfüllt waren. Somit steht Gai 1 .102 nicht im Widerspruch zu UE 8.5 und der Gellius-Stelle. Pius gestattete erstmals die Arrogation MindeIjähriger, und zwar lediglich mindeIjähriger Knaben, wie UE 8.5 (pupilli) klarstellt. Der Kaiser setzte sich damit über die juristischen Bedenken hinweg, die bislang einer solchen Arrogation im Wege standen 20 . Das bloß formale Hindernis, daß MindeIjährige keinen Zugang zu den Komitien hatten, war bei der Degeneration des Formalaktes gewiß .leicht zu überwinden. Aber auch den von Gellius glaubhaft berichteten maLit.: Schulz, Die Epitome Ulpiani des Codex Vaticanus Reginae 1128 (1926) 33 ad h.l.; Schönbauer, ,Tituli ex corpore Ulpiani' in neuerer Analyse, St. de Francisci 3 (1956) 319 f. 16 S. nur Schulz, RRW 220 ff. 17 Schulz 33 ad UE 8.5; etwas abweichend Schänbauer 320, der die Entstehung des Ziber singularis regularum in die Jahre 212/213 datiert. 18 Vgl. nur Solazzi 144. Unannehmbar sind die weitergehende Interpolationsvermutung Beselers 1 und die an verschiedenen Stellen geäußerten, im übrigen in sich selbst widersprüchlichen, Textveränderungen Bähms, Gaiusstudien 3(1969) 132 ff. und 10 (1972) 29 ff. 19 David-Nelson 124 ff. (zu Gai 1.102). 20 Vgl. zum folgenden Donatuti 137 ff.;Mole (oben Fn. 2) 630 Fn. 4.

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teriellen Hinderungsgrund, wonach die auctoritas des Tutors nicht ausreichte, einen der Obhut des Tutors anvertrauten Freien einer fremden patria potestas zu unterwerfen, ließ man offensichtlich nicht mehr gelten 21 . Das Bedürfnis, beim Ausbleiben natürlicher Nachkommen ein Kindschaftsverhältnis herzustellen, die Natur nachzuahmen, hatte die alte adoptio längst aus ihrer archaischen Verkrustung gelöst und ihr jene neue sozialbezogene Funktion gegeben 22 . Wahrscheinlich hat Pius diese neue Konzeption der adoptio auf die a"ogatio übertragen und die juristischen Konsequenzen für die gewaltfreien impuberes gezogen 23 Demgegenüber erscheint die These Bergmans 24 , Pius habe lediglich ein altes Verfahren, ein Surrogat der adoptio, legalisiert, bei dem sich der Tutor mit einer Pönalstipulation von einem Susceptor die Behandlung des Mündels wie ei~en ~igenen Sohn garantieren ließ, wenig überzeugend. Sie beruht auf einer Ubennterpretation von Paul 15 quaest D 45.1.132 25 . Der neuen Konzeption der Arrogation entsprach auch die Aufhebung des Verbots, wonach Tutoren ihre Mündel nicht arrogieren konnten, für den relativ häufigen Fall, daß Tutor und Mündel blutsverwandt waren oder sonst in enger Familiengemeinschaft standen 26 . Kaiser Pius erlaubte dem Tutor die Arrogation des Stiefsohnes: Pap 31 quaest D 1.7.32.1 Imperator Titus Antoninus rescripsit privignum suum tutori adoptare permittendum 27 Mit ziemlicher Sicherheit ist das Reskript eine Folgekonstitution jener Verordnung, welche die Arrogation von impuberes allgemein gestattete 28 . Frauen

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Gellius 5.19.10; bei Justinian C 5.59.5.1 (a.531) ist das Beiwort des Tutors zur tutela uflösenden Arrogation des Pupills eine Selbstverständlichkeit. 22 Donotuti 127-134. 23 Donotuti 135. Rives 32 Kritik (" ... l'adrogation des impuberes nous panul peu compatible avec le cteveloppement du droit et une civilisation avancee. Quoi de plus singulier, en effet, que de disposer de la vie entiere d'un homme sans un veritable consentement de sa part ... S'il a voulu introduire l'adrogation pour proteger l'impub ere, le legislateur romain n'a pas eu une heureuse inspiration, avouons-Ie".) ist zu modern und verkennt die Strukturen des röm. Rechts. 24 Bergman 2lff., 90. 25 Gründliche Auseinandersetzung mit Bergmans Argumentation und der Paulus-Stelle bei Donotuti 135 ff. 26 Vgl. Vip 26 Sab D 1. 7.17pr. (Grund des Verbots); § 1 (Aufhebung bei Blutsverwandtschaft und sanctissima affectio). 27 Pal. 363. Bergman 86 Fn. 1 schreibt das Reskript fälschlich Commodus zu. Auf seine beachtlichen Überlegungen zu einer Ausweitung des Inhalts des Reskripts auf die nachfolgende Marcian-Stelle 5 reg D 1.7.33 kann hier nicht weiter eingegangen werden. 28 Castello 153 f. und Fn. 69.

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freilich blieb die Arrogation, obschon das Problem· von den Juristen diskutiert wurde 29 , auch weiterhin grundsätzlich verschlossen 3u . Zur Datierung der Ausgangskonstitution läßt sich Sicheres nicht sagen. Zwar ist man geneigt, sie in die späten Regierungsjahre des Kaisers zu plazieren, weil Gellius nur von dem früheren Rechtszustand berichtet und die Konstitution anscheinend nicht kennt J 1 ; doch sind die Lebensdaten des Literaten und die Entstehungszeit seiner ,Attischen Nächte' viel zu ungewiß 3 2, um mehr als Vermutungen äußern zu können. Nur wenn man seine Geburt um 130, seinen Athenaufenthalt erst nach seiner Richtertätigkeit in Rom (ca. 155) und die Abfassung des 5. Buches in diesem Zeitraum ansetzt und überhaupt ein Interesse des Autors unterstellt, dem Leser auch neue Entwicklungen mitzuteilen, wäre der Datierung zu vertrauen. Pius gestattete die Arrogation Minderjähriger nur unter zwei Voraussetzungen. Erstens mußte eine iusta causa adoptionis vorliegen. Damit ist nichts anderes gemeint als die auch bei der Arrogation Volljähriger notwendige Ermessensprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien durch das Pontifikalkollegium 33 . Nach Ulp 26 Sab D 1.7.17.2 waren bei der Arrogation Minderjähriger hauptsächlich drei Punkte zu prüfen: Ließ der Vermögensvergleich der Parteien auf eine dem PupilI vorteilhafte Adoption schließen? Hielt die Lebensflihrung des Adoptivvaters einer kritischen Überprüfung stand? Und schließlich: Stand der Adoptivvater nicht noch in einem Alter, in dem ihm die Zeugung eigener Nachkommen möglich und anzuraten war? Daneben gab es zum Schutze des PupilI noch weitere, von den Umständen eines jeden Falles abhängige Prüfungspunkte. Alles spricht dafür, daß jeweils der individuelle Grund einer jeden Arrogation erforscht und beurteilt wurde 34 . 29 30

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Vgl. Gai 1.101: nam id magis placuit! Thomas, Some notes on adrogatio per rescriptum principis, RIDA 14 (1967) 427, hält dagegen eine adrogatio feminae seit Pius für möglich. Es ist jedoch ziemlich sicher, daß die Kaiser im Ein z elf a II die Arrogation von Frauen durch Reskript gestatteten, und daß sich hieraus und aus den Provinzialfällen die erst von Diokletian allgemein anerkannte adrogatio per rescriptum principis entwickelte, s. nur Kaser I § 83 II 1; Gai I. sing reg (!) D 1. 7.21; MarceIl 26 dig D 1. 7.20: " ... sed etsi de pupillo loquitur, tamen hoc et in pupilla observandum est" ist wohl echt, weil schon Gaius von einer juristischen Diskussion berichtet (oben Fn. 29). Bergman 84 Fn. 1 ; Donatuti 130; Castello 139 f. S. nur Hosius, RE 7,1 (1910) 992 ff. s.v. Gellius; Strzelecki, Der KleincPauly 2 (967) 727 f. s.v. GelJius: Rolfe (ed.), The Attic Nights of Aulus GelJius I (1927), Introduction XI ff. eie., de domo sua 13.34 ("Quae . .. causa cuÜ[ue sit adoptionis, ... quaeria pontificum collegio solet."); 13.35 ("pontificibus bona causa visa est"); Gell. 5.19.5/6; VIp 26 Sab D 1.7.15.2 (" ... cognitio vertitur . .. aut alia iusta causa adrogandi"); I 1.11.3 (" ... causa cognita adrogatio permittitur et exquiritur causa adrogationis ... "). Vgl. Donatuti 132 f. ; David-Nelson 126. Donatuti 13 2; vorsichtiger Mole 630; s. auch Martini, Il probleme della causae cognitio pretoria (1960) 32 f.

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Zweitens mußten bei dem Akt der Arrogation quaedem condiciones erfüllt werden. Gaius konnte sich mit dieser vagen Andeutung begnügen, da Einzelheiten außerhalb seines Generalthemas, wer wann in potestate ist (Gai 1.48, 50, 52, 55, 97), lagen. Die quaedam condiciones werden näher aufgeschlüsselt in

I 1.11.3 ... et cum q u i bus d a m co nd i c ion i bus adrogatio fit, id est ut caveat adrogator personae publicae, hoc est tabulario, si intra pubertatem pupillus decesserit, restituturum se bona illis, qui, si adoptio facta non esset, ad successionem eius venturi essent. item non alias emancipare eos potest adrogator, nisi causa cognita digni emancipatione fuerint et tunc sua bona eis reddat. sed et si decedens pater eum exheredaverit vel vivus sine iusta causa eum emancipaverit, iubetur quartam partem ei suorum bonorum relinquere, videlicet praeter bona, quae ad patrem adoptivum transtulit et quorum commodum ei adquisivit postea. Hiernach sind zwei Komplexe zu unterscheiden: einmal wird sichergestellt, daß bei einer Beendigung des neuen Gewaltverhältnisses vor Eintritt der Volljährigkeit das vom Pupill in die neue Familie eingebrachte und das dort dem Adoptivvater erworbene Vermögen wieder an den Arrogierten oder an seine Erben zurückfließt; zum anderen wird der Arrogierte in bestimmten Fällen an dem hinterlassenen Vermögen des Adoptivvaters mit einem Viertel, der Quarta divi Pii, beteiligt. Den ersten Kom~lex, der außerhalb unseres Interesses liegt, hat Donatuti vorzüglich behandelt 5. Wir wenden uns daher unverzüglich der Quart zu und werden auf den ersten Komplex und auf Donatutis Ergebnisse nur dort zurückkommen, wo es zum Verständnis der Quart oder der Konstitution im ganzen unabweislich ist. Die Passage sed et si decedens pater - relinquere 36 unterscheidet zwei Tatbestände, welche die Rechtsfolge der Quart auslösen: Enterbung und Emanzipation sine iusta causa. Beide Maßnahmen müssen sich gegen den arrogierten impubes richten.

Eum bezieht sich auf impubes oder pupi/lus im ersten Satz. Seltsam ist der Wechsel auf eos im zweiten Satz (item - reddat). Dieser scheint später einge-

schoben oder einer anderen Vorlage zu entstammen. Er steht, was die Emanzipation betrifft, dem Wortlaut nach in Widerspruch zum folgenden Satz 37

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37

Donatuti 141 ff. (Zusammenfassung 197 f.).

Die Passage ist echt und aus dem klass. Recht übernommen: David, SZ 51 (1931) 529; a.A. Beseler 2 f., der den Exheredationsfall als byzantinische Neuerung streicht; ihm zustimmend Lavaggi, SD 5 (1939) 97 Fn. 56. Solazzi, Manumissio ex mancipatione, Athenaeum 5 (1927) 110 Fn. 3 = Scritti 3 (1960) 205 Fn. 31, und Lavaggi, SD 5 (1939) 97 Fn. 56, halten den Satz item reddat noch aus anderen Gründen ftir emblematisch. Für Donatuti 174 ff., 188 ff. ist er bis auf den Einschub digni emancipatione fuerint substantiell klassisch (190). Wir räumen ein, daß der Widerspruch bei der Emanzipation lösbar ist, wenn man non potest im Sinne von non licet versteht (so bereits Faber, lurisprudentiae papiniana-

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Auch schließt der dritte Satz viel besser an den ersten an. Dort geht es um den Tod des PupilI intra pubertatem, hier um den umgekehrten Fall, den Tod des Adoptivvaters ebenfalls intra pubertatem. Dies verdeutlicht iubetur . .. ei ... relinquere. Relinquere kann hier zwar nicht ,testamentarisch hinterlassen' bedeuten - dies vertrüge sich nicht mit der Exheredation -, meint aber im weitesten Sinne ,nach dem Tode zurücklassen.38; ei nimmt eum, also pupillum, wieder auf; iubetur darf als Hinweis auf die Konstitution verstanden werden 39 Zu einem der bei den genannten Tatbestände muß mithin der Tod des Arrogators intra pubertatem hinzutreten. Vorläufig darf man die Quart daher umschreiben als Recht des enterbten oder sine iusta causa emanzipierten impubes, welches mortis tempore a"ogatoris entsteht. Für den Emanzipationstatbestand kommt die Anknüpfung an den Tod des Adoptivvaters klarer zum Ausdruck in 18c. PaullO leg Iul et Pap D 38.5.13 Constitutione divi Pii cavetur de impubere adoptando, ut ex bonis, quae mortis tempore illius qui adoptavit fuerunt, pars quarta ad eum pertineat qui adoptatus est: [sed et bona ei, q uae adq uisiit patri, restitui iussit:] si causa cognita emancipatus fuerit, quartam perdit, si quid itaque in fraudem eius alienatum fuerit, quasi per Calvisianam vel Fabianam actionem revocandum est 40 Aus der constitutio divi Pii de impubere adoptando 41 greift der Jurist die die Quart betreffende Bestimmung heraus. Die Ausdrucksweise bestätigt, daß Zulassung der MindeIjährigenarrogation und Einführung der Quart auf ein und dieselbe Konstitution, die Epistel des Kaisers Pius an die pontifices, zurückgehen. Auch Paulus gelingt es nicht, den Inhalt der Anordnung deutlich zu reproduzieren 42 : Klar ist nur, daß die Quart aus dem Vermögen des Adoptivvaters zum Zeitpunkt seines Todes zu berechnen ist und dem Arrogierten - offen bleibt, ob er dann noch impubes ist - zustehen soll. Die Emanzipation des im-

38 39 40

41 42

neae scientia (1658) tit. 11, princ. I, iIl. 12,271) und zwischen erlaubter Emanzipation causa cognita und unerlaubter, aber gleichwohl wirksamer, freilich mit der Quart sanktionierter Emanzipation sine iusta causa unterscheidet (176). Gleichwohl paßt der Satz an dieser Stelle nicht. Wahrscheinlich ist er aus einer anderen klassischen Vorlage eingeflossen. Vgl. Heumann-Seckel 503 s.v. relinquere 1b. Donatuti 175, 177 übersieht die Exheredation, wenn er unter relinquere ,testamentarisch hinterlassen' versteht. Dadurch schafft er sich künstlich Schwierigkeiten (177 f.). Zu iubere und Kaiserverordnungen s. Bonifacio, Synt. Arangio-Ruiz 1 (1964) 130 und Fn. 9. Pal. 974. Lit.: Francke, Das Recht der Notherben und der Pflichttheilsberechtigten (1831) 493 ff.;Bergman 85-93; Beseler 4; Lavaggi, SD 5 (1939) 97 Fn. 56; Donatuti 176 ff., 186 ff. Paulus gebraucht durchgängig den Oberbegriff adoptare. Deshalb braucht der Text aber kein "riassunto compilatorio" (Voci 11 755 Fn. 2) zu sein.

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pubes sine iusta causa als weitere Voraussetzung der Quart ergibt sich dagegen lediglich aus einem Umkehr schluß aus der Mitteilung, daß der causa cognita Emanzipierte die Quart verliere. Eine solche Art und Weise der Darstellung erscheint nur dann zulässig und einem klassischen Juristen angemessen, wenn der zum Verständnis des Vorhergehenden notwendige, den Umkehr schluß tragende Satz si causa cognita emancipatus tuerit etc. unmittelbar auch an das Vorhergehende anschlösse. Im überlieferten Text ist der Gedankengang freilich unterbrochen: Sed et bontJ - restitui iussit ist in ihm ein Fremdkörper. Formal zeigt sich dies an iussit (sc. constitutio?), das nicht zu cavetur paßt 43 . Sachlich sagt der Einschub zwar Richtiges: die Konstitution ordnete au c h die Restitution des Vermögens an, welches der Pupill dem Adoptivvater erworben hatte 44 . Dahinter steckt natürlich der Gedanke, daß die Quart nicht aus dem Bruttovermögen des Erblassers, sondern aus dem Vermögen zu berechnen ist, das nach Abzug der vom Pupill in das Gewaltverhältnis eingebrachten und später dem Adoptivvater erworbenen Gütern übrig bleibt 45 . Doch was als Kritik des unbekannten Glossators an Paulus gedacht und ziemlich unglücklich ausgedrückt ist, erweist sich bei näherer Besicht sogar als neben der Sache liegend. Im Emanzipationsfalle war nämlich das Vermögen, das der Pupill eingebracht und später erworben hatte, unmittelbar nach der Emanzipation zu restituieren. Starb sodann der Adoptivvater intra pubertatem, war in der Tat nur noch die Quart abzuwickeln 46 . Anders beim Exheredationstatbestand. Hier wird die patria potestas gerade durch den Tod des Adoptivvaters beendet. Beide Zeitpunkte fallen also zusammen. Es kommt zu einer umfassenden Abwicklung aller Vermögenspositionen 47 . Aber diesen Fall behandelt Paulus gerade nicht. Daher dürfte die Bemerkung sed et bOntJ - restitui iussit als belehrende, besserwisserische und doch das Ziel verfehlende typische Randglosse zu bewerten sein 48 . Nach Tilgung des störenden Glossems ist Pauls Darstellung nicht mehr zu beanstanden. Er unterscheidet zwischen ungerechtfertigter Emanzipation mit Quart und gerechtfertigter Emanzipation ohne Quart. Welche Gründe die Emanzipation rechtfertigten, wissen wir nicht. Es ist wohl weniger an schlechtes Betragen des Minderjährigen zu denken als an Dinge, die man bei der Arrogation übersehen hatte oder noch nicht berücksichtigen konnte 49 . Jedenfalls 43 44 45 46 47 48

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Bergman 89 Fn. 1. Donatuti 176, 178 (ohne Rücksicht auf den Grund der Emanzipation); 179 ff., 185 ff. (actio in factum ad exemplum condiction'is ob causam finitam). Vgl. die Parallele in I 1.11.3: videlicet - postea; dazu Donatuti 177 f., 193. Diese klare Schlußfolgerung vermissen wir bei Donatuti; doch s. Mole 631 bei Fn. 8. Gerade im Hinblick auf den Exheredationsfall ist der Schluß von I 1.11.3 (videlicet postea; dazu oben Fn. 45) ganz passend und daher kein Glossem. Kompilatorisch oder späteres Glossem: Bergman 89 Fn. 1; Glosse: Beseler 4, dessen weitere Änderungen aber abzulehnen sind; David, SZ 51 (1931) 539; Martini (oben Fn. 34) 173 Fn. 135; Wesener, St. Donatuti 3 (1973) 1410; interpoliert: Solazzi 205 Fn. 31 (oben Fn. 37); Lavaggi 97 Fn. 56. - Donatuti 191 erweist überzeugend ein vorjustinianisches Glossem ("ma una glossa, ehe riflette il principio classico "). Bergman 85 ; Donatuti 190 (mit Beispielen).

10 Müller-Eiselt

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wurden die Gründe in einem besonderen Prüfungsverfahren (causa cognita) auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft. Überhaupt scheint die Emanzipation causa cognita die einzige Möglichkeit flir den Adoptivvater gewesen zu sein, das Arrogationsverhältnis an te pubertatem ohne Gefährdung des eigenen Vermögens zu lösen. Zwar war das eingebrachte Vermögen auch hier zurückzugeben, doch ein Anspruch des emanzipierten impubes auf die Quart entstand nichtS 0 !

Solazzi leugnet die Möglichkeit einer probatio causae bei der klassischen Emanzipation und streicht, außer dem Glossem, auch die Passage si causa cognita emancipatus fuerit, quartam perdit 51 . Dabei übersieht er allerdings, daß bei der Emanzipation eines a r r 0 g i e r t e n impubes der Minderjährige einen besonderen Schutz genießen und die Lösung des Gewaltverhältnisses noch vordringlicher als dessen Eingehung Ausnahmerecht unterliegen muß. Wenn bei der Arrogation zum Schutz des impubes eine causae cognitio durch die pontifices stattfindetS 2, streitet eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch bei der Entlassung des imTJubes aus der Gewalt eine seinen Schutz bezweckende cognitio, vielleicht ebenfalls der pontijices5 3, durchgeführt wurde. Für Ausnahmerecht spricht außerdem, von Solazzi auch übersehen, daß entgegen der sonst gültigen Regel, wonach ein Haussohn seine Emanzipation nicht erzwingen kann 54 , der impubes adrogatus pubes tactus die Entlassung aus der Gewalt begehren und causa cognita gegebenenfalls auch erreichen konnte 55 . Das spiegelbildliche Prüfungsverfahren, die Restitution des eingebrachten eigenen Vermögens und der Ausschluß der Quart deuten darauf hin, daß eine gerechtfertigte Emanzipation das durch die Arrogation begründete Gewaltverhältnis ex tune ungeschehen machen und alle Spuren beseitigen sollte. Anders bei der Emanzipation sine iusta causa. Man wird sich hierunter eine Emanzipation vorstellen dürfen, die ohne Einhaltung des formalisierten Prüfungsverfahrens, vielleicht auch weil dieses nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatte, wie üblich vor dem Prätor vollzogen wurde. Auch eine solche Emanzipation war rechtlich wirksam und führte zur Entlassung aus der Gewalt des Adoptivvaters 5 6. Ebenso wurde dem impubes das eingebrachte Vermögen restituiert; doch blieb ihm quasi als Überbleibsel des Arrogationsverhältnisses die Aussicht auf die Quart am Vermögen des Arrogators. Um mehr als eine spes

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I 1.11. 3: " ... item non alias emancipare eos potest adrogator, nisi causa cognita [d~ni emancipatione fuerint] et tune sua bona eis reddat." Vgl. dazu oben Fn. 37. Solazzi (oben Fn. 37) 205 Fn. 31; ähnlich Lavaggi 97 Fn. 56, der für das klassische Recht die Quart ohne Rücksicht auf den Grund der Emanzipation zusprechen will; dagegen aber richtig Donatuti 187 ff. Oben Fn. 33. So Bergman 85 ; Donatuti 188. Marcian 5 reg D 1. 7.31. Pap 31 quaest D 1.7.32pr.; 33. Vgl. auch Donatuti 188; Bergman 85 f. Zur causae cognitio bei Emanzipation: Martini (oben Fn. 34) 173.

Donatuti 176.

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handelte es sich freilich nicht. Wie bereits die Interpretation von I 1.11.3 gezeigt hat, stand nämlich die Quart - worüber Paulus hier freilich hinweggeht 5 7 - nur einem impubes zu. Der Tod mußte also den Adoptivvater noch intra pubertatem ereilen. Wurde der impubes volljährig, ehe der Arrogator starb, entstand das Recht auf die Quart gar nicht 58 . Auf einen ähnlichen Fall hat Bergman hingewiesen 59 . Verstarb der MindeIjährige nach der Emanzipation, aber vor seinem Adoptivvater, ging die Hoffnung auf die Quart ebenfalls nicht in Erfüllung. Hieraus folgt, daß die Quart jedenfalls nicht primär als Sanktion für ungerechtfertigte Emanzipation angesehen werden kann. Ihre Verknüpfung mit dem Tod des Arrogators läßt zunächst an ein Erbr e c h t des ungerechtfertigt Emanzipierten denken. In diese Richtung könnte auch der letzte Satz der Paulus-Stelle (si quid itaque - revocandum est) weisen. Die action es Calvisiana und Fabiana sind Klagen des Patrons, der seinen Freigelassenen beerbt und feststellen muß, daß dieser Vermögensgegenstände ar listig, um den Pflichtteil des Patrons zu verkürzen, beiseite geschafft hatte 6 . Wenn nun Paulus dem ungerechtfertigt emanzipierten impubes quasi-Aktionen, d.h. action es utiles oder ad exemplum 61 , als Reaktion gegen böswillige Aushöhlung der Quart gewährt, stellt sich in aller Deutlichkeit die Frage nach dem Umfang der Analogie. Man benötigt Analogie sicher hinsichtlich der vertauschten Parteirollen : anders als dort ist hier der ,Freigelassene' aktivlegitimiert, doloses Verhalten des ,Freilassers' zu korrigieren. Offen ist dagegen, ob man eine Analogie auch für die Quart im Verhältnis zum Pflichtteil des Patrons braucht. Entscheidend hierfür ist die Rechtsnatur der Quart. Ist sie, wie der Pflichtteil des Patrons, ein gesetzliches Mindesterbrecht, das gegebenenfalls mit der bpct durchgesetzt werden kann?

B-

Wir gehen die Frage an, indem wir zunächst den Einfluß von Arrogation und Emanzipation Volljähriger auf deren gesetzliches Erbrecht prüfen. Durch die Arrogation erhält der mündige Mann die Stellung eines filiusfamilias des Arrogierenden, mit allen Konsequenzen für die Erbfolge 6 2. Dagegen verliert er, falls er seine ursprüngliche Gewaltfreiheit durch Emanzipation erlangt hatte, das 57 58

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62 10'

Eum meint impuberem: dies wird allerdings durch qui adoptatus est verschleiert. Das wird in dieser Konsequenz in der neueren Literatur nur selten deutlich. Offenbar sind einige Autoren noch der entgegengesetzten Lehre Franckes (473) verhaftet. Positiv hervorzuheben sind: Rives 33; Bergman 85; Gaudemet, Etude sur le regime juridique de l'indivision en droit romain (1934) 432; Hüftl 1101; Voci 11 57. Zur älteren Lit. vgl. Vassalli, Studi giuridici 1111 (1960, aber 1913) 360 Fn. 2. Bergman 87; früher bereits Francke 478 f. und Vassalli (oben Fn. 58) 360 Fn. 3. Kaser I § 172 11. Wesener, Zur Denkform des ,Quasi' in der röm. Jurisprudenz, St. Donatuti 3 (1973) 1413. Wesen er untersucht (1406-1411) den Ausdruck quasi in Verbindung mit actio und kommt zu dem Ergebnis, daß er in einigen Fällen, so auch in D 38.5.13 (1410), echt ist; anders noch SZ 75 (1958) 246 f. im Anschluß an SoIßzzi, Bull. 25 (1912) 114, 122 (stets itp.). Kaser I § 15 11 1.

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§ 6. Quarta divi Pii

Erbrecht hinter seinem natürlichen Vater in der Klasse unde liben-6 3. Die Emanzipation aus der Gewalt des Adoptivvaters bewirkt den Verlust der Kindes- und damit jeglicher Erbenstellung in der Adoptivfamilie; gleichzeitig lebt das Erbrecht hinter dem leiblichen Vater, sofern dieser ihn emanzipiert hatte und noch am Leben ist, wieder aur6 4 . Wenn mithin der pubes a"ogatus et emancipatus kein Erbrecht hinter seinem Adoptivvater hat, streitet eine gesunde Vermutung daftir, daß auch dem impubes a"ogatus, der mit der wirksamen, wenn auch ungerechtfertigten Emanzipation ebenso aus dem Familienverband des Adoptivvaters ausscheidet wie ein pubes, ein Erbrecht nicht zusteht. Die Rechtsnatur der Quart beleuchtet Ulp 19 ed D 10.2.2.1

18d.

Si quarta ad aliquem ex constitutione divi Pii adrogatum deferatur, quia hic neque heres neque bonorum possessor fit, utile erit familiae erciscundae iudicium necessarium 65 .

Vassalli streicht quia - fit, utile und necessarium, weil er die Quart als Erbrecht ansieht 66 ·. Die herrschende Meinung beurteilt die Quart als Forderung und verändert dementsprechend den Text: Arangio-Ruiz ersetzt utile durch non und eliminiert necessarium 67 ; damit ist eine Erbteilungsklage ausgeschlossen. Biondi hält trotz des Forderungscharakters ein iudicium utile für möglich, eliminiert aber den Hinweis auf den bonorum possessor68 . Wer den Text unvoreingenommen angeht, könnte wie Biondi der Ansicht sein, Ulpian gewähre neben dem heres auch dem bonorum possessor eine direkte Erbteilungsklage. Doch dies wollte Ulpian gewiß nicht sagen. Wahrscheinlich kam es ihm auf die Feststellung an, daß dem impubes, 0 b g lei c h weder Erbe noch bonorum possessor, ein utile iudicium gewährt wurde. Die ungenaue kausale Ausdrucksweise (q u i a ... ) mag darauf zurückzuführen sein, daß die 63

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68

I 3.1.10; UE 28.8 (für den vergleichbaren Fall der datio in adoptionem). Das Erbrecht in der Klasse unde eognati blieb erhalten. Besonderheiten gelten für die bpet, wenn ihn der natürliche Vater im Testament bedacht hatte: vgl. Ulp 40 ed D 37.4.8. 11-13;D 37.6.1.14. Paul 2 Sab D 38.6.4; I 3.1.10f. Pal.631. Lit.: Berger, Zur Entwicklungsgeschichte der Teilungsklagen im klass. röm. Recht (1912) 23; Arangio-Ruiz, Appunti sui giudizi divisori, RISG 52 (1913) 223 ff. = Scritti 1 (1974) 489 ff., 493 f.; Vassalli, Miscellanea critica di Diritto Romano I, Studi giuridici III 1 (1960, aber 1913) 380 f.; Biondi, La legittimazione processuale nelle azioni divisorie romane (1913) 5 ff.; Beseler, Subsiciva (1930) 4 f.; Gaudemet, Etude sur le regime juridique de l'indivision en droit romain (1934) 128,432 f.; Sciascia, In tema di actio familiae erciscundae, AG 132 (1945) 75 ff.; Valino, Actiones utiles (1974) 105 f. Vassalli 380 f. Arangio-Ruiz 494; ähnlich Seilt seilt 77, der hinter utile non einfügt. Auch Seilt seilt lehnt damit jegliche Erbteilungsklage ab, was von Kaser I § 179 Fn. 17 mißverstanden wird. Biondi 5 Fn. 2, 6 Fn. 2, 7.

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Erbteilungsklage unter bonorum possessores als frühester Fall eines utile iudicium zu Ulpians Zeiten bereits alltäglich war, in der praktischen Bedeutung sogar die reguläre Klage für die zivilen Erben überflügelt hatte und man sich darob ihrer Utilität kaum mehr bewußt war 69 . So verschweigt Ulpian auch an anderer Stelle den utilis-Charakter der Erbteilungsklage zwischen bonorum possessores 70. Bei diesem Verständnis ist der Text nicht zu beanstanden. Der Begünstigte der Quart hat eindeutig keine ErbensteIlung hinter dem Arrogator. Der Ausdruck quarta d e f e rat u r zwingt zu keiner abweichenden Beurteilung. Mit defe"e wird nicht nur technisch der Anfall von Erbschaften, sondern in weiterem Sinne auch der Anfall von Legaten, anderen Rechten, ja sogar Klagen, bezeichnet 7 1. Ist die Quart somit kein Erbteil, so kann sie andererseits aber auch kein bloßes Forderungsrecht des impubes gegen die Erben des Arrogators sein, weil sie zu einer Quote an den Gegenständen der Erbschaft, nicht nur dem Werte nach, berechtigt 72. Deshalb kann man dem impubes, 0 bschon er nicht zu den Erben zählt, die Beteiligung an der Bruchteilsgemeinschaft der Erben bei der Erbteilung nicht versagen. Die Gewährung einer actio familiae erciscundae u t i I i s ist der natürliche Weg zur Auflösung der ,Erbengemeinschaft' 73. Die Quart nimmt mithin eine MittelsteIlung zwischen Erbrecht und bloßem Forderungsrecht ein. Kaser umschreibt die Stellung des Begünstigten vorsichtig mit den Worten "als ob er Erbe wäre,,74, Beseler mit "heredis /oco,,75, Bergman mit "eine Art Gläubiger,,7 6 Voci sieht in der Quart eine "successione straordinaria", wobei der impubes "solo creditore" sei 77 ,Windscheid ein "gesetzliches Vermächtnis,,78, Gaudemet einen unmöglich klassischen Fall von "indivision" zwischen Gläubiger und Schuldner 79 . Die Vielzahl der sich um 6'1

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Berger 22. Die Klassizität der utile-Erbteilungsklage unter bonorum possessores, ftir die SciasciII 75 ff., unterstützt allerdings durch die Autorität Arangio-Ruiz; gegenüber Biondi, Bonfante und Perozzi nur vorsichtig eintrat, bedart heute kerner Kechttertlgung mehr, vgJ. Kaser I § 179 11. Vip 19 ed D 10.2.24.1. Anders noch Gai 2 fideic D 10.2.40. VIR 2.130.34 ff. s.v. defero. Der BGB-Gesetzgeber hat beim ,Erbrecht' des nichtehelichen Kindes einen anderen Weg beschritten. Gerade um es der Miterbengemeinschaft fernzuhalten, hat man ihm an Stelle des gesetzlichen Erbteils einen schuldrechtlichen Erbersatzanspruch in Höhe des Wer t e s des Erbteils gewährt, § 1934 a I. Die utilis actio akzeptieren als klassisch: Berger 23;Biondi 5 Fn. 2; Beseler 5; Kaser I § 179 II; Valino 106. VgJ. schon früher Cujaz VII 783 ; Francke 480 f. Kaser I § 173 III. Beseler 5 (wie stets mit phantastischen Textveränderungen). Bergman 90. Für ihn ist die Quart das g e set z I ich festgelegte Mindestmaß der alten Pönalstipulation (oben Fn. 24), deren Charakter sie beibehalten habe. Doch s. oben Fn. 25. VgJ. auch Cujaz VII 782 (veluti creditor!). Voci II 56,58. Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts III (1906 9) 362 Fn. 11. Ebenso Bonfante, Instituzioni (1925 8) 605 ("Iegato imposto dalla legge"); jetzt auch Mole 631 Fn. 12. Ähnlich David 529 ("Anspruch, vielleicht nach Art eines Fideikommisses"). Gaudemet 432.

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eine Charakterisierung bemühenden Äußerungen - zahlreiche weitere ließen sich aufführen - beunruhigt; die vermeintliche Vergeblichkeit des Versuchs, die Quart in die herkömmlichen Schemata einzuordnen, von Cujaz hübsch illustriert mit den Worten "et !icet in ea quarta non sit heres, ... tamen quasi heres . .. agit,,80, unterstreicht gleichzeitig ihre einmalige Stellung im klassischen römischen Recht. Immerhin scheint die Rechtsstellung des Quartbegünstigten nicht ohne Vorbild gewesen zu sein. Eine Parallele könnte man in der Figur des Universalfideikommissars sehen, dem der Erbe die Restitution einer Erbquote schuldet. Zwischen diesen beiden findet nämlich ebenfalls ein iudicium fami/iae erciscundae utile als Teilungsklage statt 81 . Hat der Erbe allerdings den Erbteil nach dem SC.Trebellianum formlos restituiert 82 , steht der Fideikommissar heredis loco und haftet den Erbschaftsgläubigern 8 3. Eine solche Haftung Dritten gegenüber wird man dem impubes nach Ausfolgerung der Quart kaum zugemutet haben. Vergleichbar ist dagegen wiederum der Fall der Restitution einer Erbquote nach dem SC Pegasianum, wenn der Erbe die falzidische Quart einbehalten hat 84 . Hier steht der Fideikommissar legatarii partiarii loeo und muß sich nur im Innenverhältnis mit den Erben, durch gegenseitige Stipulationen gesichert, auseinandersetzen, wenn sich nach der Verteilun~ der Bestand der Erbschaft durch bislang unentdeckte Forderungen verändert 5. Eine solche Lösung wäre auch für den impubes im Verhältnis zu den Erben des Arrogators angemessen. Da das Problem der Erbteilung sicher, das der Haftung vermutlich in gleicher Weise gelöst wurde, halten wir es, auch wenn der Beweis aus den Quellen nicht möglich ist, für gut vertretbar, im Erbschaftsfideikommiß (nach dem SC Pegasianum) des 1. Jahrhunderts und weitergehend im Teilungsvermächtnis der späten Republik 86 historische Vorbilder der Quarta divi Pii zu sehen. Freilich darf der Unterschied nicht übersehen werden: während jene ihren Geltungsgrund im letzten Willen des Erblassers finden, entspringt die Quart ex constitutione, aus dem Gesetz. Man darf sie mithin, Windscheids und Bonfantes Vorstellungen bestätigend 87 , als Legat oder Fideikommiß kraft Ge set z e s verstehen. 80 Cujaz VII 782.

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Gai 2 fideic D 10.2.40. Es ist ein klassischer Fall der ,indivision' zwischen Gläubiger und Schuldner, vgl. Biondi 5 Fn. 2; a.A. freilich Gaudemet 433 und oben Fn. 79. Auch dann kommt eine Erbteilungsklage in Betracht: Ulp 19 ed D 10.2.24.1; Marcell-Iul40 dig D 36.1.28.11 (s. Berger 19 f.). Gai 2.251 mit 253. Zum Unterschied der Restitutionen nach dem Sc. PegasÜlnum und nach dem SC. TrebellÜlnum s. Kaser I § 190 IV. Gai 2.251 mit 254: " ... ille autem qui ex fideicommisso reliquam partem heredi· tatis recipit. legatarii partÜlrii loco est. id est eius legatarii. cui pars bonorum legatur; quae species legati partitio vocatur. qUÜl cum herede legatarius partitur hereditatem ... ". Zum Teilungsvermächtnis s. Kaser I § 18411 Sb. Vgl. Lab 2 post a lav epit D 32.29.1 ; Kaser I § 184 Fn. 35 mwN. Oben Fn. 78.

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Unmittelbares Vorbild der Quarta divi Pii sowohl im Regelungsmechanismus als auch in der Rechtsnatur könnte indessen die von Justinian im Zuge der Adoptionsreform aufgehobene und aus den Quellen getilgte Quarta Afiniana 88 gewesen sein. Nur die Aufhebungsanordnung der Reformkonstitution C 8.47. 10.3 (a. 530), ihre Wiedergabe in I 3.1.14 und die dazu gehörige Erläuterung des Theophilus 89 dokumentieren Existenz und ungefähres Anwendungsfeld dieser Quart. Einem filiusfami/ias, der noch mindestens zwei Brüder hatte und von seinem Vater einem extraneus zur Adoption gegeben worden war (sog. adoptio ex tribus maribus ), stand beim Tode des Adoptivvaters aufgrund des Sc. Afinianum ein Viertel des Nachlasses zu. Theophilus' Erklärung setzt dieselbe Wirkungsweise wie bei der Quarta divi Pii voraus: hinterließ der Erblasser das Viertel nicht, gab das Sc. dem Adoptierten eine persönliche Klage gegen die Erben. Einen Schutz gegen Emanzipation scheint das Sc. dagegen nicht vorgesehen zu haben. Während Einzelheiten über die Tragweite der Regelung, über den Grund der Privilegierung gegenüber anderen Adoptionen und über die Höhe des Anspruchs lebhaft umstritten und wegen des Überlieferungsnotstandes weitgehend ungeklärt sind 90', scheinen die Benennung des Sc. nach dem Konsul L. Afinius Gallus und die Datierung in das Jahr 62 n.Chr. nunmehr gesichert 91 . Obgleich ein abschließendes Urteil über die Afinianische Quart und ihre Funktion nicht möglich ist, so dürfte doch ihre technische Lösung, die Gewährung eines Anspruchs auf eine Quote der Erbschaft, in weitem Maße die Struktur der Quarta divi Pii beeinflußt haben 92 . Kehren wir zu D 38.5.13 (Nr. 18c) zurück und beantworten die dort zuletzt gestellte Frage nach dem Umfang der Analogie. Da die Quart im Gegensatz zum Pflichtteil des Patrons kein gesetzliches Mindesterbrecht ist, welches mit der bpct durchgesetzt werden könnte, beruht die Gewährung einer actio utilis Fabiana oder Calvisiana in D 38.5.13 aue h auf einer Analogie zwischen Pflichtteil des Patrons und Quart des impubes.

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Lit.: Bergman 76 ff., 93 ff.; Perozzi, Istituzioni di diritto Romano (1928 2 ) 448; Fadda, DER 1107 ff.;Kaser I § 173 IV. Ferrini, Institutionum graeca paraphrasis Theophilo Antecessori (1884) 263 ff. Am ausführlichsten unterrichtet Bergman 76 ff. Bergman 78 f.; vgl. PIR2 A 437. Entscheidendes Gewicht kommt Bergmans Hinweis (78) auf Tac., Annal. 15, 19 bei. Dort wird für das Jahr 62 von einem Sc. berichtet, welches sich gegen Adoptionen richtete, die nur zum Schein, zur Erlangung von Ämtern oder Erbschaften, eingegangen wurden. Nun ist es gut denkbar, daß der Senat das Konzept der Adoption überhaupt neu regelte und als Maßnahme zur Unterbindung von Scheinadoptionen das Quartrecht einführte, vgl. auch Bergman 82 f. Fadda I 109 sieht in der ein e n Figur ein M 0 deli der a n der e n, ist sich aber über die zeitliche Einordnung der Quarta Afiniana (von ihm noch fälschlich Sabiniana genannt nach der früher herkömmlichen Lesart) noch nicht im klaren.

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Viel diskutiert und doch selten verstanden wird l8e. Ulp 14 ed D 5.2.8.15 Si quis impubes adrogatus sit ex his personis, quae et citra adoptionem et emancipationem queri deinofficioso possunt,hunc puto removendum a querella, cum habeat quartam ex constitutione divi Pii. quod si egit nec optinuit, an quart am perdat? et puto aut non admittendum ad inofficiosum, aut si admittatur, etsi non optinuerit, quartam ei quasi aes alienum concedendam 93 Ein Hausvater arrogiert aus seiner nächsten Verwandtschaft einen pflichtteilsberechtigten Minderjährigen, etwa seinen Enkel, dessen Vater als emanzipierter Sohn des Arrogators verstorben ist. Der Enkel wird ungerechtfertigt emanzipiert, so daß ihm beim Tode seines ehemaligen Adoptivvaters, der gleichzeitig sein natürlicher Großvater ist, das Recht auf die Quart zusteht. Offensichtlich hat ihn der Großvater auch enterbt. Ulpian weist das Begehren des Enkels, das Testament mit der Querel anzufechten, mit der Bemerkung zurück, er habe die Quarta divi Pii. Der Jurist schließt also im Konkurrenzfalle die Querel wegen der Quart aus. Sachverhalt und Konkurrenzsituation der Stelle werden häufig verkannt. Die Passage ex his personis, quae et citra adoptionem et emancipationem queri de inofficioso possunt hat zu beträchtlichen Mißverständnissen geführt.

Naber erklärt sie aufgrund von C 8.47.l0.ld (a. 530) für tribonianisch 94 , doch ist unklar, wie jene die Adoption betreffende Konstitution zur Erhellung unseres Arrogationsfalls beitragen könnte 95 . Lavaggi, eine Bemerkung Bergmans aufgreifend, sieht die Abgrenzung des Personenkreises, der ganz abgesehen von der Arrogation zur Querel berechtigt sei, beeinflußt durch C 6.55.9 (a. 389) = CT 5.1.4, jene Konstitution, die zum erstenmal die nepotes ex filia zu Noterben des avus machte 96 . Doch wenn der Scholiast in den Basiliken den Fall des nepos impubes ex filia aufgreift 97 , ist dies kein Beweis dafür, daß die Stelle tatsächlich diesen Fall und keinen anderen behandelte und damit nachklassisch bearbeitet wäre. Weshalb sollte Ulpian nicht von dem klassischen Fall des nepos ex filio emancipato et mortuo ausgegangen sein? - Formal ist der Passus nicht anfechtbar. Der Ausdruck ex his personis ist entgegen La Pira gut klassisch 9 8. 93 94 95 96 97

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Pal. 500. Lit.: Francke 474 f.; Bergman 92 f.; Vassalli 379; Beseler 3; Krüger, SZ 57 (1937) 101 f.;Lavaggi, SD 5 (1939) 93 ff., Voci 11 754. Naber, Mnemosyne 31 (1906) 372 Fn. 10; ihm folgend Krüger, Dig.-Ausg. ad h.l.; Vassalli 379;Beseler 2.38. Vgl. Bergman 93 Fn. 1, dessen Kritik an Naber sich Lavaggi 93 Fn. 42 anschließt. Lavaggi 93 f.;Bergman 93 Fn. 1. B 39.1.8, sc.28: " ... quidam habens nepotem ex filia impuberem, hunc, qui sui iuris erat, Q"ogavit. Certum autem est ex fi/ia nepotem etiam arrogatione vel emancipatione non interveniente de inofficioso agere posse. " La Pira, Succ. 427 Fn. 3. Doch vgl. nur Gai 1.142; Vip 40 ed D 37.5.3.4.

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Beselers umfassende Kritik 99 ist in einem Punkt nicht ohne Substanz: übersetzt man den mit quae et citra eingeleiteten Relativsatz mit ,die aue hohne

Arrogation und Emanzipation die Querel anstrengen können', so könnte das Mißverständnis entstehen, die Arrogation an sich mache einen impubes zum materiellen Noterben, unabhängig von seiner besonderen personenrechtlichen Stellung 1 00 . Indessen wäre dann die Erwähnung der Emanzipation nicht zu erklären. Bergman meint, man habe et emancipationem erst später hinzugefügt, um zu betonen, "daß die Adrogation an und für sich nicht zur Querel berechtigt,,101; Faber hält die Worte im Kontext für sinnlos 10 2 . In Wirklichkeit gehen diese Autoren von einem falschen Sachverhalt aus: sie glauben, Ulpian beziehe sich auf den impubes arrogatus non emancipatus exheredatus.

Die Schwierigkeiten lösen sich, wenn man die Passage ex his personis - possunt als verkürzte, gewiß nicht untadelige Sachverhaltsschilderung in temporaler Abfolge, wie eingangs geschehen, auffaßt: ein querelberechtigter nepos impubes wird arrogiert und wieder emanzipiert 10 3 . Durch die Emanzipation er-

langt er seine ehemalige Rechtsstellung als prätorischer Intestaterbe wieder. Um die bpct auszuschließen, enterbt ihn der Arrogator ausdrücklich in seinem Testament, wohl aus denselben Gründen, die bereits zur Emanzipation geführt haben. Stirbt jetzt der Arrogator intra pubertatem, erwächst dem impubes das Recht auf die Quart, weil die Emanzipation ungerechtfertigt war. Kann der impubes gleichwohl die Enterbung mit der materiellen Noterbenklage, der Querei, anfechten?

Gewiß könnte er anfechten, wenn Arrogation und Emanzipation nicht stattgefunden hätten. Dann hätte er bei einem Erfolg der Klage seinen Intestaterbteil, möglicherweise die ganze Erbschaft, erzielen können. Soll er nun nach Arrogation und Emanzipation schlechter dastehen und sich mit dem Viertel begnügen müssen? Die Lösung des Problems muß kontrovers gewesen sein (hunc p u t 0 removendum a querella)l 04. Ulpian schließt die Querel aus. Den Ausdruck removere a querel( lja gebraucht Modestin zur Bezeichnung einer praescriptio im Kognitionsprozeß, bei der Prozeßeinrede des anerkannten Testaments 105 . Vielleicht wollte Ulpian ebenfalls auf eine solche Prozeßeinrede, auf

Beseler 3. -Citra ist echt, vgl. Kalb, Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt (975 2 )8. 7 · 100 Die Lehre wird von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten I (1863 ) 468 ff., allerdmgs 99

aus anderen Erwägungen, vertreten.

101 Bergman 93 Fn. 1. 102 Faber, Rationalia 11,1,147: "haud dubie addita sunt ab imperito interprete. "; ebenso Lavaggi 97 Fn. 56. Bereits Cujaz VII 300 hat die Emanzipation nicht berücksichtigt. 103 Vgl. Vangerow (oben Fn. 100) 470. 104 So auch Kaser 11 § 290 Fn. 77.-Et puto ist eine Spezialität Ulpians. Kalb (oben Fn.

99) 131 erklärt es damit, daß Ulpian mehr als andere Juristen die eigene Person in den Vordergrund stellte. Wir ziehen die Annahme einer Kontroverse vor. 105 Mod l.sing de praescriptionibus D 5.2.12.2.

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die Einrede des arrogierten und emanzipierten quartberechtigten impubes, hin-

weisen 106. Andere Juristen müssen den impubes zur Querel zugelassen haben (quod si egit ... ).

Der Schluß quod si egit - concedendam ist nicht zu beanstanden 107 . Die Wiederholung aut - aut, von Bergman kritisiert 10 8, ist erträglich. Ulpian wirft ein neues Problem auf, welches sich nur dann stellen kann, wenn man der abweichenden Ansicht folgt. Bei der Problemlösung durfte Ulpian daher noch einmal ausdrücklich hervorheben, daß er eigentlich im Ansatz anderer Ansicht ist. Das aufgeworfene neue Problem ist einfach zu beschreiben. Gewann der

impubes den Prozeß, errang er seinen Intestaterbteil. Verlor er ihn, war mögli-

cherweise auch die Quart verloren, da er sich gegen den letzten Willen des Erblassers, nämlich gegen die Exheredation, aufgelehnt hatte. Eine verlorene Querel wurde als Fall der Erbunwürdigkeit angesehen und führte zum Verlust des testamentarisch Empfangenen an den Fiskus 10 9 . Da die Quart jedoch nicht auf dem Testament beruhte, durfte sie der impubes trotz seiner Niederlage quasi aes alienum einstreichen. Quasi bezeugt die Mischnatur der Quart: sie ist keine echte Forderung, vielmehr gesetzlich oktroyiertes Fideikommiß; doch wird sie wie eine Forderung behandelt. Damit ist die Idee einer möglichen Erstreckung der Indignitätsvorschriften auf gesetzliche Vermächtnisse bereits im Ansatz erstickt 11 0 . Man mag Ulpian vorwerfen, er breite Selbstverständlichkeiten aus 111 . Zu seiner Verteidigung sind jedoch zwei Dinge hervorzuheben: einmal hatte er unmittelbar zuvor eine Entscheidung Papinians gelobt, die dem mit einem Universalfideikommiß belasteten Alleinerben nach erfolgloser Testamentsanfechtung die ihm sonst gebührende Quarta Falcidia entzog 112 . Natürlich regte

dies zur Gegenüberstellung der beiden Quarten an. Zum anderen ist der Fall nicht von der Hand zu weisen, daß der Erblasser den impubes zu einer geringen Quote eingesetzt hatte und nun tatsächlich gefragt wurde, ob diese Quote auf

106 Krüger 101 f. denkt an eine echte praescriptio, die der Prätor in den Judikationsbe-

fehl an das Zentumviralgericht aufgenommen habe. 107 Beseler 3 eliminiert ihn zw'ar als unsinnig, und in Vassa/lis (379) Konzept paßt er nicht hinein (weitere Rügen bei Lavaggi 95 f., 96 Fn. 52); doch er sagt Richtiges. Lavaggi (93, 94 f., 95 Fn. 47) scheitert an seiner übermäßigen Textkritik, was auch Kaser II § 290 Fn. 77 rügt. Vlpian habe gerade entgegengesetzt entschieden; der vorhandene Text sei tribonianisch (99). Wir verstehen nicht, weshalb Tribonian die Kontroverse dann nicht ganz beseitigt hätte. 108 Bergman 93 Fn. 1. 109 Vip 14 ed 0 5.2.8.14. 110 Anders der Scholiast in B 39.1.8 sc.28, der die Quart dem Recht der Indignität unterstellt und Vlpian dagegen ankämpfen läßt. Der Widerspruch der Paraphrase ist evident. Vgl. Lavaggi 99 f. 111 Vassalli 379; ,vanitas' der Frage an quartam perdat sei evident. 112 Vip 14 ed 0 5.2.8.14.

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dem letzten Willen des Erblassers beruhe und daher verloren, d.h. von der Quart abzuziehen sei II3 . Dasselbe Problem wurde auch in anderem Zusammenhang diskutiert. Hatte der Erblasser dem impubes die Quart testamentarisch ausgesetzt, aber mit einem Fideikommiß belastet, wurde dieses als unzulässig gestrichen. Die klare Begründung Ulpians lautet: " ... quia hoc non iudicio eius ad eum pervenit, sed p r i n c i p a I i pro v i den t i a ,,114. Wo immer der Grund der Juristenkontroverse lag, Ulpians Entscheidung konnte nur von grundsätzlichen Erwägungen geprägt sein. Man enthielt sich eines opportunistischen Blicks auf die Erbenzahl, d.h. eines Kalküls, ob die erfolgreiche Querel im Einzelfall gegenüber der Quart für den impubes zu einer günsti~eren Quote geführt hätte. Auch der Verweis auf das Subsidiaritätsdogma 11 ist keine Erklärung. Wir vermuten sie in der Funktion der Quart. Damit nähern wir uns dem Kern des Problems. Weshalb beteiligte man den impub es am Vermögen des Erblassers und wieso gerade mit einem Viertel? Die Literatur schweigt sich darüber bis auf wenige Ausnahmen aus. LacourGayet sieht den Grund in einer Gleichstellung des arrogierten mit dem natürlichen Kind, welches stets das Recht auf ein Viertel des väterlichen Nachlasses habe II6 . Das ist einmal nicht korrekt ausgedrückt, denn nur das natürliche Einzelkind ist jedenfalls zu einem Viertel, zu seinem Pflichtteil, an der Erbschaft des Vaters berechtigt. Doch mag dies nicht stören, da das Adoptivkind im Regelfall auch das einzige Kind des Erblassers gewesen sein wird, zumindest nach der Vorstellung der die iusta causa adoptionis prüfenden.pontijices. Zum anderen wird nicht erklärt, weshalb der emanzipierte leibliche Sprößling sich mit der bpct gegebenenfalls den ganzen Nachlaß verschaffen kann, während der emanzipierte arrogierte impubes auf die Quart beschränkt bleibt. Eine interessante Lösung schlägt Bergman vor il 7. Einen Bestandteil seiner Erklärung, die Höhe der Quart als gesetzlich festgelegtes Mindestmaß einer ehemaligen Pönalstipulation zwischen Tutor und Susceptor, haben wir freilich mit Donatuti bereits zurückgewiesen 1 18. Bergman erachtet den Zeitraum zwischen Arrogation und Eintritt der Pubertät als Prüfungsstadium, die Arrogation selbst als "unvollkommene ... , die indessen, weil die Voruntersuchung doch ein Mal stattgefunden hat, ohne weiteres, wenn nämlich eine Auflösungsklage nicht genehmigt wird, mit dem Mündigwerden des Unmündigen zu ·einer vollkommenen wird ,,119. In der Zwischenzeit habe der impubes zwar formelles, aber 113 Der Extremfall, daß der Erblasser die volle Quart ausgesetzt hätte, konnte nicht vorliegen, da sonst die Frage nach der Querel nicht aufgetaucht wäre: der Pflichtteil war ja jedenfalls ausgesetzt. 114 Vip 26 Sab D 1.7.22.1. 115 Krüger 101. 116 Lacour-Gayet 415. 117 Bergman 90-92. 118 Oben Fn. 25. 119 Bergman 91.

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kein materielles Noterbenrecht. Allein hiergegen sprechen alle bisher gewonnenen Erkenntnisse. Die Prüfung fand vor den pontifices statt, also vor der Arrogation; eine Entlassung aus der Gewalt, nach Eintritt der Pubertät jederzeit ohne besondere Umstände und ohne Gefahr einer späteren erbrechtlichen Inanspruchnahme möglich, war während der Unmündigkeit zwar nicht verboten, aber wiederum an ein besonderes Prüfungsverfahren gekoppelt und in höchstem Maße unerwünscht, wie die Drohung einer etwaigen Inanspruchnahme des Vermögens des Adoptivvaters zeigt. Kurz, der Arrogierte stand während seiner Unmündigkeit unter einem gesteigerten Schutz, der mit jeder Auflösung des Gewaltverhältnisses aktualisiert werden konnte. Mit dem Eintritt der pubertas reduzierte sich dieser Schutz auf das gewöhnliche Maß. Bergman ist also darin Recht zu geben, daß das Arrogationsverhältnis vor Eintritt der Pubertät ein b e s 0 n der e s war; allerdings verkehrt er dessen Wertigkeit in ihr Gegenteil: das Arrogationsverhältnis war nicht etwa locker und unvollkommen, sondern gerade besonders gefestigt und geschützt. Bergman irrt auch in der Beurteilung des Erbrechts des impubes, wie die folgenden Überlegungen erweisen werden. Wir erörtern zunächst den Grundfall der Emanzipation (impubes emancipatus). Mit der Emanzipation schied der impubes aus der Familie des Arrogators und, da keine Blutsbande bestanden, aus dem Kreis der formellen Noterben aus. Wenn er gleichwohl an der Erbschaft des Adoptivvaters beteiligt werden soll, so kann dies nur bedeuten, daß man ihn, trotz der formell wirksamen Emanzipation, m a t e r i e 11 noch als zur Familie gehörig ansah. Jetzt erhalten die Worte "non alias emancipare eos potest adrogator, nisi causa cognita . .. " in I 1.11.3 120 plötzlich einen guten Sinn: allein causa cognita kann der impubes auch materiell aus der Familie gewiesen werden; bei gewöhnlicher Emanzipation scheidet er zwar formell aus - sicher wollte man die patria potestas nicht durch ein Emanzipationsverbot antasten -, bleibt jedoch materiell Mitglied der Familie. Die natürliche Konsequenz wäre gewesen, ihm Intestaterbrecht, materielles Noterbenrecht und Querelberechtigung zu gewähren. Da er im typischen Fall einziger Sohn des Erblassers gewesen wäre 121 , hätte sein Pflichtteil ein Viertel der Erbschaft betragen. Vor der Zubilligung eines Erbrechts scheute man freilich zurück: immerhin war die Emanzipation formell wirksam. Um der besonderen Situation des impubes aber gerecht zu werden, löste man Erbrecht, materielles Noterbenrecht und Querelberechtigung ab und ersetzte alles durch die Quart. Diese ist somit funktionell Erb er s atz; als Surrogat der Querel oder der mit dieser zu erzielenden Intestaterbquote hat sie den Charakter eines p aus c haI i e r t eng e set z I ich e n M i n -

120 Oben Fn. 37. 121 Francke 472 und oben nach Fn. 116.

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des t p f I ich t t eil s122. Dazu paßt ihre Rechtsnatur als Leg a t oder F i dei kom m i ß kraft G e set z es. Nun erscheint auch die lasche Ausdrucksweise Ulpians in D 5.2.8.15 (ex his personis, quae et citra adoptionem et emancipationem queri de inofficioso possunt)123, in einem versöhnlicheren Licht: Ulpian umschreibt zwei eng miteinander verwandte Tatbestände, den Quereltatbestand und den Surrogattatbestand, die Quartsituation. Zur Entscheidung D 38.5.13 ist ein weiterer Analogiegesichtspunkt nachzutragen 124: sowohl dem Patron als auch dem impubes steht jeweils ein gesetzlich garantierter Mindestpflichtteil zu, der bei doloser Aushöhlung mit den revokatorischen Klagen (actiones Calvisiana und Fabiana) sichergestellt werden kann. Die Utilität der Klagen des impubes gegenüber denen des Patrons ist also auch noch darauf zurückzuftihren, daß dieser Erbe, jener gesetzlicher Vermächtnisnehrner ist. Der Wegfall der Quart nach erreichter Pubertät reiht sich harmonisch unserem Erklärungsversuch ein. Es ist nicht die Arrogation, die sich vervollkommnet (Bergman), sondern es ist die Emanzipation, die nun auch zu materieller Wirksamkeit erstarkt. Dies bedeutet den endgültigen Ausschluß aus der Familie, eine Wirkung, die nun herbeizuführen ohnehin im freien Belieben des Adoptivvaters gestanden hätte. Als zweiter klassischer Anwendungsfall der Quart gilt allgemein der Fall der Exheredation (impubes non emancipatus exheredatus). Ausdrücklich ist er nur in zwei relativ späten, nicht ganz unangreifbaren Quellen, C 8.47.2pr. (a. 286)125 und I l.1l.3 126 , belegt. Apriori ist zwar nicht einzusehen, weshalb man einem solchen impubes das materielle Noterbenrecht hätte nehmen und durch die Quart ersetzen sollen. Doch wird man seine Situation mit derjenigen des emancipatus verglichen und dabei genügend Gründe gefunden haben, beide Fälle gleich zu behandeln. Bedenkt man, daß der Testator mit der Emanzipation die Entfernung des impubes aus der Familie und damit dessen Ausschluß von der Erbfolge anstrebt, so liegen Emanzipation und Exheredation doch recht nahe beieinander. Vielleicht wollte man dem enterbten impubes 122 Eine

~nliche

Auffassung hat cuq, Manuel des institutions juridiques des Romains

(1928 ) 201 Fn. 3 und 7l3, bereits für die Quarta AfiniJma (oben Fn. 88 ff.) ent-

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wickelt. Es sei eine vom Senat festgesetzte und dem Adoptierten zugewiesene Quote zur Vermeidung der Querel ("C'est en appuyant sur ce SC, confirme plus tard par le rescrit d'Antonin qui a etabli la quarte Antonine, que la jurisprudence a etabli la quarte legitime. "). Bergman 96 f. stimmt dem rur die Quarta Afiniana im wesentlichen zu, lehnt aber eine Übertragung dieses Grundgedankens auf die Quarta divi Pii ab. Oben Fn. 94 ff. Vgl. oben Fn. 61 und im Text nach Fn. 61 und Fn. 92. Die entscheidende Stelle (" ... ita ut bonorum tuorum quarta pars tam in postremo iudicio tuo, quam si a te emancipatus fuerit, ei praebeatur ... ") betrachtet BeseIer 4 als itp.; doch s. auch Donatuti 160 f. und 162 Fn. 238 mwN. Kritisch zu der ganzen Konstitution: Bergman 92 Fn. 1. Oben Fn. 37.

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auch das Risiko des Querelprozesses ersparen und ihn jedenfalls mit einem VIertel der Erbschaft absichern. Schließlich wäre denkbar, daß man abweichende Resultate vermeiden wollte, wozu es leicht hätte kommen können, wenn etwa bei einer Vielzahl von Erben der exheredatus mit der Querel weniger bekommen hätte als ein emancipatus in derselben Situation. Obgleich wir die Quart des enterbten impubes nicht auf die Pius-Konstitution zurückführen möchten, schätzen wir sie doch als eine Entwicklung der spätklassischen Jurisprudenz ein 1 27. Sehr fraglich ist dagegen eine weitere Ausdehnung der Quart auf den Fall des impubes non emancipatus praeteritus. Sie wird von einigen Autoren mit dem Argument vertreten, die Quart stehe immer dann zu, wenn das Testament den impubes nicht gebührend berücksichtige l28 . Da die Quellen schweigen, lassen wir die Frage lieber offen 12 9 . Bei einer Intestaterbfolge bleibt jedenfalls das volle Intestaterbrecht des arrogierten impubes unberührt. Überblickt man aus nun abgeklärter Distanz noch einmal Ulpians Entscheidung in D 5.2.8.15, so eröffnet sich eine dogmatisch einwandfreie Begründung. Durch die Emanzipation scheidet der impubes nur formal aus dem Arrogationsverhältnis aus; materiell bleibt er weiterhin dessen besonderem Recht unterworfen. Es kommt zu einer Überlagerung seines alten, wiedergewonnenen Status als querelberechtigter Verwandter des Arrogators mit dem durch die Normen des Arrogationsverhältnisses geprägten Status. Den Doppelstatus löst Ulpian in dem Sinne, daß die künstlich geschaffene Verwandtschaft der natürlichen vorgeht, die Quart mithin die Querel ausschließt. Ulpians Gegenspieler werden dagegen für die Dauer der Statusüberlagerung, d.h. bis zum Eintritt der Pubertät, beide Rechtsmittel zur Wahl gestellt haben.

127 A.A. Beseler 3 ("Geschöpf ... Justinians"); zweifelnd Lavaggi 97 f. Fn. 56. 128 Francke 476 ff. ; David, SZ 31 (1931) 529; offenbar auch Voci II 754. 129 Vip 26 Sab D 1.7.22pr. besagt hierüber nichts. Es ist nämlich unklar, ob der Tatbestand von Exheredation, Präterition oder gar von Einsetzung auf die Quart ausgeht. Donatuti 164 ff. (167 f.) bezweifelt die Zuverlässigkeit des Schlusses et praeterea quartam partem. Der Vergleich mit § 1 spricht eher ftir Exheredation oder Einsetzung auf die Quart und für Echtheit des Schlusses (s. dazu unten Fn. 159).

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VIp 40 ed D 37.6.1.21

159

18f.

Si impuberi adrogato secundum divi Pii rescriptum quarta debetur, videndum est, an, si patris naturalis bonorum possessionem petat, conferre quartarn debeat. quaestio in eo est, an heredi suo relinquat quartae actionem an non. et magis est, ut ad heredem transferat, q uia personalis actio est: igitur etiam de quarta conferenda cavere eum oportebit, sed hoc ita demum, si iam nata est quartae petitio. ceterum si adhuc pater adoptivus vivat, qui eum emancipavit, dicendum est cautionem quoque cessare: praematura est enim spes collationis, cum adhuc vivat is, cuius de bonis quarta debetur l30 . Ein Unmündiger hat nach Arrogation und Emanzipation die Quart zu beanspruchen 131. Nach dem Arrogator stirbt auch der natürliche Vater des impubes. Es entsteht die Frage, ob die Quart kollationspflichtig ist, wenn der impubes die bonorum possessio (intestati oder contra tabulas) patris naturalis beantragt. Bereits der Sachverhalt enthüllt ein interessantes Detail. Wenn der impubes bei der Arrogation noch einen natürlichen Vater hatte, mußte er von diesem zuvor emanzipiert worden sein. Die Emanzipation eines Minderjährigen kann man sich eigentlich nur im Hinblick auf die beabsichtigte Arrogation vorstellen. Somit war diese offensichtlich erstrebenswerter als eine ebensogut mögliche adoptio. Maßgebliches Motiv für die Arrogation war gewiß der b e s 0 n der e Schutz, den das Arrogationsverhältnis dem impubes gegenüber einer bloßen adoptio bot. Ulpian bejaht die Kollationspflicht (igitur etiam de quarta conferenda cavere eum oportebit). Ihr wird regelmäßig mit einer cautio in der Form einer satisdatio Genüge getan 13 2 . Darin ließen sich die sui heredes des Erblassers vom emancipatus das Einwerfen dessen versprechen, quidquid moriente patre in bonis habuisti dolove malo fuisti, quo minus haberes ... 133. Demnach kam es 130 Pal. 1121. Lit.: Cujaz VI 982 ff.;Francke 478 ff. ; Bergman 87; Vassalli 359 ff. 131 Ulpian spricht hier (und in der folgenden Stelle D 28.6.10.6) von rescriptum, sonst aber von constitutio divi Pii (D 10.2.2.1; 5.2.8.15), während es sich in Wirklichkeit um eine epistula (Gai 1.102) handelt. Zum uneinheitlichen Gebrauch der Bezeichnungen der Kaiserentscheidungen vgl. oben § 2 Fn. 66 und § 4 Fn. 84 f. 132 Kaser I § 180 II 1. - Wenn Vassalli 361, im Anschluß an Faber (oben Fn. 37) 10.1. 12, in der Stelle eine andere cautio, nämlich eine solche für zukünftiges, gegenwärtig noch nicht geschuldetes Einwerfen der Quart erkennen will, so beruht dies auf dem Mißverständnis, daß im Ausgangsfall der Adoptivvater noch lebe (gegen Faber schon Francke 479 ; Bergman 87 Fn. 1). Vassallis Haupteinwand gegen die Echtheit des Textes, der Emanzipierte habe stets fUr sein g a n z e s Vermögen kavieren müssen, ist als Textkritik abwegig. Ulpian hat die Frage nur für die Quart gestellt, und nur für sie, weil sie ein Nachlaßrecht ist, konnte die Frage überhaupt sinnvoll sein. Das Eigenvermögen war in jedem Fall einzuwerfen, eine Diskussion hierüber überflüssig. Im übrigen deutet Ulpian dies mit igitur e t i a m de quarta conferenda cavere ... sogar an. 133 Lenel EP § 283.

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im konkreten Fall darauf an, ob der impubes beim Tod seines leiblichen Vaters die Quart mindestens als Forderung i n bon i s hatte. Ebendies erörtert Ulpian, wenn er die Frage m~ch der Vererblichkeit der quartae actio stellt, denn nur, was man in bonis hat, kann vererbt werden. Die Vererbungsprobe wird also zum Nachweis des in bonis habere durchgeführt, nicht, wie Cujaz meint l34 , zur Erforschung der Frage, ob die Klage der Person anhänge, also höchstpersönlich sei. Eine solche Fragestellung entbehrte, selbst bei pönalem Charakter der Quart, jeglicher Problematik, es sei denn, man hätte eine Parallele zu der aktiv unvererblichen, daher höchstpersönlichen und nicht einwerfungspflichtigen actio iniuriarum 135 ziehen wollen. Indessen paßte Ulpians Begründung, quia personalis actio est, nicht zu seiner Entscheidung, Vererblichkeit der quartae actio, wenn es wirklich um die Höchstpersönlichkeit der Klage ginge.

Actio personalis soll nach herkömmlicher Lehre eine spezifisch justinianische Ausdrucksweise sein 136. Dagegen hat Fehr Ulpian geradezu als Schöpfer des Terminus entdeckt 13 7. Ihm ist zuzustimmen, denn der nicht zu beanstandende Text Ulp 49 Sab D 50.16.178.2 138 erweist den Ausdruck als klassisch: " ,.4 ctionis' verbum et speciale est et generale. nam omnis actio dicitur, sive in personam sive in rem sit petitio: sed plerurnque ,actiones' personales solemus dicere . .. " Ulpian gebraucht ihn als Synonym für actio in personam. Nun wird der Gedankengang vollends deutlich. Ulpian diskutiert die Rechtsnatur der quartae actio. Weil sie mortis causa entsteht, könnte man meinen, es sei eine Erbschaftsklage, also eine typische actio in rem. Dann wäre zur Vererbung der Klage allerdings noch der Erbantritt oder die bp erforderlich; eine bloße Delation reichte nicht aus. Mit der Qualifizierung als actio in personam dagegen steht fest, daß die quartae actio mit dem Tod des Arrogators ohne weiteres Zutun des impubes entsteht und vererbt werden kann; seit diesem Zeitpunkt ist sie in bonis impuberis. Der um die bp patris naturalis angegangene Prätor hat daher für die Kollationspflicht lediglich den Tod des Arrogators festzustellen. Sicherlich hätte Ulpian dies alles einfacher und deutlicher mitteilen können. Keinesfalls darf man ihm jedoch vorwerfen, er habe ein Scheinproblem aufgebauscht. Gerade wenn der Arrogator den Vorschriften der Konstitution gemäß den impubes tatsächlich zum Viertelerben eingesetzt hatte, konnte ernsthaft gefragt werden, ob in diesem Fall nicht etwa der impubes doch Erbe sei und daher das Viertel erst nach Antritt der Erbschaft einwerfen müsse. So unum134 Cujaz VI 983. 135 Paul 41 ed D 37.6.2.4 (actio vindictam spirans); vgl. Kaser I § 142 VI 1 b mit Fn. 26; § 145 11 2. 136 Bonfante, Storia dei diritto rornano (1909 2 ) 683; Albertario, Actiones einterdicta, Studi 4 (1946, aber 1912) 148 f. Fn. 1 ; Berger, Zur Entwicklungsgeschichte der Teilungsklagen im klass. rörn. Recht (1912) 103 ff.; Vassalli 362. 137 Fehr, SZ 33 (1912) 578 f. 138 Fehr, SZ 33 (1912) 579.

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stritten scheint diese Frage und überhaupt die Rechtsnatur der Quart unter,den Juristen nicht gewesen zu sein, wie ihre häufige Erörterung (D 5.2.8.15; 10.2.2. 1; 37.6.1.21) unter den verschiedensten Aspekten und vielleicht auch Ulpians Worte et magis est beweisen. Schließlich mag auch die Ersatzfunktion der Quart für die Querel stutzig gemacht haben, vererbte sich die Querel doch nicht automatisch, sondern erst nach Beantragung einer bp !itis ordinandae gratial 39. Die Meinungsverschiedenheiten lassen darauf schließen, daß die Konstitution die Quart lediglich als Rechtsfolge für bestimmte, vielleicht nicht abschließend geregelte Tatbestände angeordnet, im übrigen aber die praktische Realisierung weitgehend der Jurisprudenz überlassen hat. Dies setzt entweder den Verzicht auf die Anordnung einer bestimmten Klage oder doch zumindest die Gewährung einer nicht eindeutig zu qualifizierenden actio voraus. Die Schaffung einer völlig neuen Klage, einer echten actio ex consiitutione, darf nach dem bisherigen Stand der Forschung ausgeschlossen werden. Magdelain 140 hat gezeigt, daß die actiones ex constitutionibus in Wirklichkeit prätorische Klaren sind, die der Magistrat auf Aufforderung des Kaisers gewährt. Donatuti 41 hat dies im wesentlichen bestätigt und darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei ,neuen' Klagen stets um actiones ad exemplum (utiles oder in factum) bereits im Album vorhandener ziviler oder prätorischer Klagen handele. Darauf aufbauend schließt Mole für die Quart eine condictio ex lege aus und befürwortet, bei allem Vorbehalt, eine actio utilis ad exemplum actionis ex testamento certi l42 . Dem können wir grundsätzlich zustimmen, möchten aber diese Klage gegenüber den Erben des Arrogators auf solche Erbschaftsforderungen beschränken, die ipso iure geteilt werden und daher nicht dem Erbteilungsverfahren unterfallen l43 ; im übrigen steht ja das iudicium utile familiae erciscundae zur Verfügung l44 . Jedenfalls scheint es so, als habe der Kaiser die Auswahl der zu gewährenden Klage dem Magistrat, und damit natürlich auch der juristischen Diskussion, überlassen. Insofern gewinnen wir einen wichtigen Einblick in die Kompetenzabgrenzung zwischen princeps und nachediktalem Magistrat. Der Schluß der Stelle sed hoc ita demum - debetur wird zu Unrecht als verfälscht angegriffen l45 . Zwar war die Klarstellung, daß die Klage auf die Quart erst beim Tode des Adoptivvaters entstehe, nicht unbedingt erforderlich. Ulpian wollte jedoch davor warnen, die Quart in dem Zeitraum zwischen Eman139 Vgl. oben § 5 Fn. 8 ff. 140 Magde/ain, Les actions civiles (1954) 86. 141 Donatuti 180 ff. (181). 142 Mate 632 und Fn. 3. Die Klage ist von Donatuti 195 ff. für die Rückforderung des Eigenvermögens bei Vorversterben des Arrogators intra pubertatem begründet und entwickelt worden. 143 Kaser I § 179 I 3. 144 S. oben Fn. 73. 145 Faber, Vassalli streichen den Schluß, weil sie den Anfang mißverstehen (oben Fn. 132);Beseler 5 (Stelle "fast gänzlich unecht") nennt keine Gründe. 11 Müller-Eiselt

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zipation des impubes und Tod des Arrogators intra pubertatem als bedingtes Recht zu qualifizieren. Auch bedingte Rechte waren kollationspflichtig, es sei denn, ihr Entstehungstatbestand wäre auch bei Gewaltunterworfenheit nicht dem Vater, sondern dem Sohn zugerechnet worden. So brauchte der emancipatus z.B. ein bedingtes Legat nicht einzuwerfen, weil er es auch als Gewaltunterworfener, wäre der Vater vor Eintritt der Bedingung gestorben, hätte selbst erwerben können l46 . Die Quart ist nach der Emanzipation aber nicht einmal einem bedingten Legat, dessen Entstehung den Tod des Erblassers voraussetzt, vergleichbar. Wäre der Tod des Adoptivvaters ante pubertatem eine Bedingung, müßte bereits die Emanzipation das Quartrecht begründen 147. Dann wäre die Quart, weil an einen Entstehungstatbestand unter Lebenden geknüpft, eine bloße Forderung. Diese Auffassung lehnt Ulpian gerade ab. Die Quart ist, wie das Legat und das bedingte Legat, ein Recht mortis causa, zu dessen Entstehungstatbestand notwendig der Tod des Erblassers gehört. Vor dem Tod des Arrogators besteht kein Recht des impubes, sondern, wie Ulpian es ausdrückt, eine bloße Chance (spes). Chancen aber, die sich auf den Nachlaß eines noch lebenden Dritten gründen, sind kein Handelsobjekt ; sie sind nicht verkehrsfahig und daher auch nicht einzuwerfen 148 Insgesamt hat die Stelle den Mischcharakter der Quart bestätigt: sie ist kein Erbrecht, aber doch ein Recht mortis causa. Die erheblichen Schwierigkeiten, welche die Quart der Jurisprudenz bereitete, zeigt noch einmal in aller Deutlichkeit der letzte zu diesem Komplex gehörende Text: 18g. Ulp 4 Sab D 28.6.10.6

In adrogato quoque irnpubere dicirnus ad substitutum eius ab adrogatore datum non debere pertinere ea, quae haberet, si adrogatus non esset, sed ea sola, quae ipse ei dedit adrogator: nisi forte distinguirnus, ut quartam quidem, quarn ornnirnodo ex rescripto divi Pii debuit ei re!inquere, substitutus habere non possit, superfluum habeat. Scaevola tarnen !ibro decirno quaestionurn putat vel hoc adrogatori perrnittendurn, quae sententia habet rationem .. 149 146 Vgl. Paul41 ed D 37.6.2.3. 147 So in der Tat Vassalli 360 und Fn. 3 (bedingtes Recht); noch weitergehend Faber (oben Fn. 37) 10.1.12, der die Quart als durch den Tod des Arrogators befristete Forderung ansieht. Er übersieht, daß die Quart mit Erreichen der Pubertät entfällt. 148 Verträge über die Erbschaft eines noch lebenden Dritten sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (contra bonos mores) nichtig, vgl. z.B. Pap 12 resp D 39.5.29.2; Kaser, SZ 60 (1940) 125 f.; Erbschaftskauf und Hoffnungskauf, Bull. 74 (1971) 58 f.- Valino, Los precedentes c1asicos de la prohibicion de negocios sobre la herencia de un vivo, en derecho romano, Fs. Santa Cruz Teijeiro II (1974) 475 ff., erklärt dagegen das moralische Argument rur nachklassisch; die klassischen Juristen hätten spezifisch juristische Kriterien für die Gültigkeit von Geschäften über den Nachlaß eines Dritten herangezogen (486); in D 37.6.1.21 sei "la estipulacion sobre Ja spes collationis ... de objeto imposible" (482). - Vgl. auch den heutigen§ 312 I BGB.

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Der Arrogator hat den impubes zum Erben eingesetzt und ihm einen Ersatzerben bestimmt. Die Juristen streiten um die Tragweite der Substitution. Der Kontext erweist sie als Purillarsubstitution. Der Beginn des § 5, zurecht als Sabinus-Lemma identifiziert 50, vermittelt den allgemeinen Grundsatz, daß der Erblasser durch die Anordnung der Pupillarsubstitution auch dem Pupill einen Erben bestimmt, daß mithin im Substitutionsfalle auch das Eigenvermögen des Pupill, welches nicht vom Erblasser stammt, dem Substituten anheimfallt. Ulpian kommentiert das Lemma mit zwei Einschränkungen aus der nachsabinianischen Rechtsentwicklung. Die erste stammt aus dem Militärrecht. Ein Soldat kann die Pupillarsubstitution auf das ererbte Vermögen beschränken 151. Die zweite, in unserem § 6, ist Folge der Pius-Konstitution über die Arrogation Minderjähriger. Hier erstreckt sich die Pupillarsubstitution lediglich auf die aus dem Vermögen des Arrogators stammenden Gegenstände, nicht aber auf das Eigenvermögen, das der PupilI auch ohne Arrogation hätte. Dieses fällt beim Tod des Arrogators vielmehr außerhalb der Erbfolge an den impubes zurück. Gleichwohl wäre es nach Sabins Regel von der Substitutionsanordnung erfaßt. Hiernach könnte es der Arrogator durch Einsetzung eines familienangehörigen Substituten in seine eigene Familie herüberziehen, falls der Mündel intra pubertatem verstürbe. Da diese Konsequenz jedoch einem der Zwecke der Konstitution, nämlichdemPupill und seinen Verwandten bei vorzeitigem Erlöschen der patria potestas die Rückgewähr des eingebrachten Guts zu gewährleisten 152, zuwiderliefe, leuchtet die Beschränkung der Substitution auf ea sofa, quae ipse ei dedit adrogator unmittelbar ein. Es scheint dies die übliche Formel gewesen zu sein, nach der in der Rechtspraxis die der Substitution unterworfenen Güter von den übrigen separiert wurden. Nicht einig war man sich offensichtlich darüber, ob man die testamentarisch ausgesetzte Quart unter diese Formel subsumieren könne. Nisiforte distinguimus leitet den Kontroversenbericht ein. Es besteht kein Grund, darin Tribonianismen zu vermuten. Allenfalls ist der Kontroversenbericht, wie so häufig, gekürzt wiedergegeben. BeseIer tilgt nisi rell., ohne die ,handgreiflichen Unechtheitsanzeichen' zu benennen. Für ihn ist § 6 ein zu einem gesetzesvorbereitenden Protokoll erwei-

149 Pal. 2456. Lit.: Cujaz VII 1464 ff.;Bergman 88 und Fn. I;Fadda,DERI 106; Voci 11 173.

150 ,,Ad substitutos pupillares pertinent et si quae postea pupillis obvenerint: neque

enim suis bonis testator substituit, sed impuberis, cum et exheredato substituere quis possit ... ". Vgl. Schulz, Sabinus-Fragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906) 19; Voci 11 173. 151 Vgl. die Fortsetzung des § 5: " ... nisi mihi proponas militem esse, qui substituit heredem hac mente, ut ea sola velit ad substitutum pertinere, quae a se ad institutum pervenerunt. " 152 Donatuti 197.

11·

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terter Ulpiantext 153. Bergman beanstandet nisi forte, omnimodo, sententia habet rationem 15 4 . All dies hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Nisi forte steht auch in einem Reskript der divi fratres (Ulp 79 ed D 37 .6.5pr.); mit dem Indikativ Präsens ist es regelmäßig unverdächtigISS. Omnimodo debere ist durch Gai 4.101,155 als klassisch erwiesen. Sententia habet rationem in der Bedeutung von ,richtig sein, vernünftig sein' begegnet in den Digesten 16mal, davon allein l4mal bei Ulpian, und zwar je 7mal im Sabinus- und im Ediktskommentar. Die Massenverteilung (5mal Ediktsmasse; 9mal Sabinusmasse; 2mal Papinianmasse) und die Überprüfung des Ausdrucks im Codex, wo er lediglich in einer Konstitution der Kaiser Septimius Severus und Caracalla vorkommt (C 7.45.1; vgl. auch C 8.13.4), sprechen für seine Echtheit l56 . Distinguimus, von Honore an einer Stelle im Sprachschatz Tribonians nachgewiesen I5 '?, hat in Bezug auf Juristenmeinungen gleichwohl eine gute klassische Tradition 158 Nach der einen Meinung, die sich nicht durchgesetzt hat und deren Vertreter die Kompilatoren daher wahrscheinlich gestrichen haben, erhielt der Substitut nur das dem impubes über die Quart hinausgehend Vererbte. Der Text deutet die Begründung dieser Lehre an: Der Erblasser mußte aufgrund der Konstitution die Quart omnimodo, d.h. unter allen Umständen, hinterlassen. Das Viertel war im Grunde keine freiwillige Zuwendung, sondern eine durch Gesetz erzwungene Abgabe. So konnte man durchaus der Ansicht sein, daß, im Sinne der Ulpianschen Formel, nicht der Arrogator die Quart gegeben hatte, sondern die Konstitution. Die siegreiche Lehre, von dem jüngeren Scaevola vertreten, ließ die Substitution auch bezüglich der Quart zu. Ulpian, der anscheinend direkt aus Scaevolas Quästionen gearbeitet hat, schließt sich ihr an (quae sententia habet rationem). Seine Meinung findet sich an anderer Stelle bestätigt: Ulp 26 Sab D l.7.22.l Sed an impuberi adrogator substituere possit, quaeritur: et puto non admitti substitutionern, nisi forte ad quartam solam quam ex bonis eius consequitur, [et hactenus ut ei usque ad pubertatem substituat] ... Der Text erweckt den Eindruck, als wolle Ulpian die Substitution nur auf die Quart, nicht auch auf das superfluum zulassen. Der Eindruck trügt. In Wirklichkeit besteht kein Widerspruch zu D 28.6.10.6, weil Ulpian, wie sich aus

153 Beseler 6. 154 Bergman 88 Fn. 1.

155 VIR 4.149.27 ff. s.v. nisi. 156 Zur Bedeutung von ratio bei den Severischen Juristen und in den spätklassischen und frühnachklassischen Konstitutionen s. Honore, SD 28 (1962) 178 ff. 157 Honore, Tribonian (1978) 121 Fn. 748. 158 Vgl. VIR 1.280.29 ff. s.v. distinguo. Zu distinctio vgl. oben § 3 Fn. 45.

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dem pr. ergibt, lediglich das Eigenvermögen des impubes und die Quart als mögliche Gegenstände der Substitution ins Auge faßt 159 . Non admitti substitutionem ist daher nur auf das Eigenvermögen zu beziehen; nisi forte ad quartam sol a m betont die Zulässigkeit der Substitution in die Quart als Ausnahme gegenüber einer solchen in das Eigenvermögen; ein super[/uum steht gar nicht zur Debatte. Die Kontroverse um die Zulässigkeit der Substitution in die Quart scheint von den Kompilatoren gestrichen, denn quaeritur hätte an und für sich mehr versprochen als Ulpians Solo et puto. Der Schluß et hactenus substituat sagt Selbstverständliches. Der Fall konnte nämlich überhaupt nur die Pupillarsubstitution betreffen. Ihre Anordnung war in jedem Fall, auch ohne Bezug auf die Quart, nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit wirksam. Der Satz ist daher als Glossem zu streichen. Weder Scaevola noch Ulpian begründen ihre Lehre. Ulpians Argumentation ergibt sich indessen aus seinem Obersatz. Ganz offensichtlich betrachtet er die Quart, ob sie nun testamentarisch ausgesetzt ist oder nicht, als vom Arrogator gegeben. Der entscheidende Gesichtspunkt dürfte sein, daß sie aus dem Vermögen des Arrogators stammt (D 1.7.22.1: ex bonis eius co nsequitur). Scaevola und Ulpian begnügen sich mit der objektiv vorliegenden Vermögensverschiebung; die Gegenmeinung fragt dagegen nach deren Grund. Hinter der Kontroverse steht sicher nicht eine Meinungsverschiedenheit über die Rechtsnatur der Quart, weil es ftir die Frage der Substitution in das Vermögen des PupilI ohne Bedeutung ist, wie der PupilI das Vermögen erworben hat. Die Differenzen sind vermutlich in einer verschiedenen Einschätzung des Schutzzwecks der Quart begründet. Nach der Mindermeinung ist die einmal geschuldete Quart der Bestimmung des Arrogators entzogen und damit der eigenen Vermögenssphäre unwiederbringlich verloren. Die gesetzlichen Erben des PupilI oder die ihm von seinem natürlichen Vater bestimmten Testamentserben 160 werden den ihm von seinem ehemaligen Adoptivvater bestellten Erben vorgezogen. Die Quart ist daher dem impubes über den Tod intra pubertatem hinaus absolut garantiert. Er steht sich besser als ein natürlicher Sohn, dem der Erblasser den Pflichtteil hinterlassen und ihm hierfür einen Pupillarsubstituten bestellt hat, denn eine solche Substitution war wirksam und mit der Querel unangreifbar 161. Die herrschende Ansicht mochte für diese Besserstellung keinen rechtfertigenden Grund sehen. Die Quart war funktionell Pflichtteilsersatz, und wenn für den Pflichtteil ein Pupillarsubstitut eingesetzt werden konnte, mußte ebendies auch für die Quart gelten. Die Lösung gefährdete auch nicht den Versorgungs159 § 1 setzt ein Testament voraus, in dem der impubes entweder bloß auf die Quart

eingesetzt oder enterbt ist. Auch bei Enterbung kann nämlich eine Pupillarsubstitution angeordnet werden, wie Sabin in D 28.6.10.5 lehrt. Beide Möglichkeiten bleiben entsprechend auch f1ir das pr. offen (s. oben Fn. 129). 160 Vgl. hierzu Pap 29 quaest D 28.6.40. 161 Vip 14 ed D 5.2.8.7.

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zweck, den der Pflichtteil intra pubertatem sicherlich erfüllen sollte. Er endet mit dem Tod des impubes. Für eine Versorgung der Erben des impubes gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Testators lieferte selbst der gesteigerte Schutz des Arrogationsverhältnisses keine Rechtfertigung. Die Gegenmeinung muß den Schutzzweck der Quart rigoroser beurteilt haben: war die Quart erst einmal entstanden, so war sie absolut verfallen 1 6 2. Die Juristenkontroverse bestätigt aufs neue, daß die Quart kein perfektionierter Mechanismus war, sondern den Rechtsanwendern durchaus Interpretationsspielraum geboten hat. Dieses Urteil fällt natürlich auf die Pius-Konstitution zurück, mit der die ,Quart in das Rechtsleben getreten ist. Zusammenfassung Die Pius-Konstitution zur Arrogation Minderjähriger (Nr. 18) wird in den Quellen insgesamt 7mal - so oft wie keine andere Entscheidung des Kaisers genannt. Dies spiegelt ihren komplexen Regelungsgehalt, aber auch ihre hervorragende Bedeutung im Schnitt feld von Adoptions- und Erbrecht wider. Wir halten ihre Essentialia in einem tabellarischen überblick fest: Stelle

Zitat

Funktion/Problem

Äußere Daten/Ergebnisse der Interpretation

18a Gai 1.102

epistu/a op tim i imperatoris Antonini

Mitteilung der Rechtsänderung : Erstmalige Zulassung der Arrogation Minderjähriger

Adressat: pontifices als zuständige Behörde. Zulässigkeitsvoraussetzungen: iusta causa adoptionis; quaedam condiciones (vgl. auch I 1.11.3)

18b. UE 8.5

constitutio divi A ntonini

dto.

Arrogation nur für männliehe impuberes zugelassen

18c. Paul 10 leg Iul et Pap D 38.5.13

constitutio divi Pii

Zentralstelle für die Quart: Beschreibung des wichtigsten, vielleicht ursprünglich einzigen Tatbestands: ungerechtfertigte Emanzipation und Tod des Arrogators intra pubertatem/analoge

Unterscheidung zwischen gerechtfertigter Emanzipation causa cognita ohne Quart und ungerechtfertigter Emanzipation intra pubertatem mit Aussicht auf die Quart

162 Weshalb die Gegenmeinung ,piu logica' (Fadda, DER I 106) sein soll, ist nicht ersichtlich.

§ 6. Quarta divi Pii

Stelle

Zitat

Funktion/Problem

167 Äußere Daten/Ergebnisse der Interpretation

Anwendung der Revokatorischen Klagen bei böswilliger Aushöhlung der Quart 18d. Ulp 19 ed D 10.2.2.1

constitutio divi Pii

Rechtsnatur der Quart Bestandteil der Sachverhaltsschilde- als Vermächtnis kraft rungj Gew ährung Gesetzes einer actio familiae erciscundae utilis als Teilungsklage

18e. Ulp 14 ed D 5.2.8.15

constitutio divi Pii

Bestandteil der Entscheid ungsbegründ ungjV er hältnis von Quart und Querel bei Konkurrenzsituation (J uristenkontroverse)

18f. Ulp 40 ed D 37.6.1.21

rescriptum divi Pii

Bestandteil der Rechtsnatur der Quart Sa chver halt sschil- als Recht mortis causa; derungjKollations- vorher bloße spes (Juripflicht bei bpct stenkontroverse bei Vererbung der actio quarpatris naturalis tae?)jKonstitution überläßt Auswahl der passenden Klage dem Magistrat

18g. Ulp 4 Sab D 28.6.10.6

rescriptum divi Pii

Bestandteil der Entscheidungsbegründ ungjPupillarsubstitution in die Quart (Juristenkontroverse)

Funktion der Quart als Erbersatz und Querelsurrogat: pauschalierter Mindestpflichtteiljbesonderer Schutz des Arrogationsverhältnisses bis zum Eintritt der Pubertät

Strengere und gemäßigte Auffassung zum Schutzzweck der QuartjKonstitution läßt Interpretationsspielraum für die Jurisprudenz

Die Pius-Epistel ist eine echte Reformkonstitution. Bedeutsam ist dabei nicht so sehr die erstmalige Zulassung der Arrogation Minderjähriger (18a,b), als vielmehr die Art und Weise, wie das neu geschaffene Rechtsverhältnis ausgestaltet und vor Mißbrauch geschützt wurde. Bei jeder Art der Auflösung des Arrogationsverhältnisses intra pubertatem war dem PupilI oder seinen Erben die

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§ 6. Quarta divi Pii

Restitution des eingebrachten Vermögens garantiert; bei ungerechtfertigter Emanzipation rechnete man den Pupill m a t e r i e 1I weiterhin zur Familie des Arrogators und stellte ihm in Aussicht, bei dessen Ableben intra pubertatem an seinem Nachlaß mit einer Quote von einem Viertel beteiligt zu werden (I8c,t). Diese Quarta divi Pii war als pauschalierter gesetzlicher Mindestpflichtteil funktionell Erbersatz und Querelsurrogat (I 8e). Entsprechend wurde sie nicht als Erbrecht, sondern als Vermächtnis kraft Gesetzes auf eine Quote des Nachlasses ausgestaltet (I8d). Die Reformkonstitution trug den Veränderungen der sozialen Wirklichkeit Rechnung und berücksichtigte, maßgeblich bestimmt durch neue Strömungen bei der adoptio, das Bedürfnis nach einer künstlichen Herstellung von Kindschaftsverhältnissen auch ftir gewaltfreie Minderjährige. Die Quart selbst ist nicht ohne historisches Vorbild. Während ihre technische Lösung an das Teilungsvermächtnis und an das Fideikommiß einer Erbquote nach dem SC Pegasianum erinnert, hatte sie möglicherweise in der Quarta Afiniana einen Vorläufer. Obgleich die Konstitution eine sehr komplexe Regelung traf, ließ sie der Interpretation erheblichen Spielraum. So war offenbar die Ausgestaltung der Klage den Rechtsprechungsmagistraten überlassen (l8t). Daraus wird sich erklären, daß sich die Einordnung der Quart in die römische Rechtspraxis nicht ohne Schwierigkeiten vollzog. Juristenkontroversen sind bei der Lösung der Konkurrenzsituation zwischen Quart und Querel (18g) und vielleicht sogar, wo es um die Vererbung der Klage ging (18t), über die Rechtsnatur der Quart nachweisbar. Die Anwendung der revokatorischen Klagen bei böswilliger Aushöhlung der Quart (l8c) sowie der actio familiae erciscundae zur Auflösung der ,Erbengemeinschaft' (l8d) erforderte zum Teil schwierige Analogien. Der zweite Tatbestand der Quart, der Fall des impubes non emancipatus exheredatus, verdankt seine Entwicklung vermutlich erst der spätklassischen Jurisprudenz. Insgesamt bietet die Konstitution ein instruktives Beispiel für die Einftihrung eines neuen Rechtsinstituts durch den Kaiser. Der Herrscher setzt den Rahmen und trifft die Grundentscheidungen; den Magistraten bleibt die Umsetzung in die Rechtspraxis, der Jurisprudenz die mitunter schwierige Einpassung des neuen Instituts in das Rechtssystem und seine dogmatische Bewältigung vorbehalten. Mit diesem arbeitsteiligen Zusammenwirken, freilich unter unbestrittener Führung des Kaisers, scheint das idealtypische Bild der die Rechtsordnung prägenden Organe im Prinzipat des 2. nachchristlichen Jahrhunderts gezeichnet.

§ 7. ERBSCHAFTSSTREIT ZWISCHEN TESTAMENTARISCHEN UND

GESETZLICHEN ERBPRÄTENDENTEN

Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Testaments· und Intestaterben wurden nicht nur durch Verstöße gegen das formelle oder materielle Noterbenrecht (§§ 4 - 6) hervorgerufen, sondern auch durch zahlreiche andere Umstände, welche die Wirksamkeit eines Testaments in Frage stellten. Fälschung und Formfehler, Widerruf und Beschädigung der Urkunde waren häufiger Anlaß von Prozessen. Auch in diesem Bereich hat Pius bedeutsame Entscheidungen getroffen.

l Testamentum non

iure factum

19a.

Gai 2.120,121 Sed videamus, an etiam si frater aut patruus extent, potiores scriptis heredibus habeantur: rescripto enim imperatoris Antonini significatur eos, qui secundum tabulas testamenti non iure factas bonorum possessionem petierint, posse adversus eos, qui ab intestato vindicant hereditatem, defendere se per exceptionem doli mali. (121) Quod sane quidem ad masculorum testamenta pertinere certum est;

item ad feminarum, quae ideo non utiliter testatae sunt, quod verbi gratia familiam non vendiderint aut nuncupationis verba locutae non sint. an autem et ad ea testamenta feminarum, quae sine tutoris auctoritate fecerint, haec constitutio pertineat, videbimus 1 .

Die berühmte Reformkonstitution bestimmt den Vorrang der Testamentserben eines Siebenzeugentestaments gegenüber den zivilen Intestaterben. Gaius referiert die Konstitution inzident bei der Erörterung des Testaments der unter Tutel stehenden Frau. Dem einleitenden Satz, daß diese zivilrechtlieh Lit.: Wlassak. Kritische Studien zur Theorie der Rechtsquellen (1894) 106 f.; A. Schmidt, SZ 17 (1896) 324 ; Ermal1, SZ 26 (1905) 473 ff. ;La Pira, Succ. 97 f.; Solazzi, Glosse a Gaio 11, Studi per il XIV centenario delle Pandette edel Codice di Giustiniano (1933) 418 ff.; Sanfilippo, Studi sull'hereditas I, APal. 17 (1937) 324; Archi, Oralita e scrittura nel testamenturn per aes et libram, St. de Francisci 4 (1956) 289 ff.; von Lübtow, St. de Francisci 1 (1956) 503 ff.;David-Nelson, Gai institutionum comm. IV, Studia Gaiana III (1954 ff.) 335 ff.;A melotti, 11 testamento romano attraverso la prassi documentale I (1966) 200 f.; Voci I 182 f.; id., Testamento praetorio, Labeo 13 (1967) 319 ff. = St. Grosso 1 (1968) 97 ff.;Kaser I § 158 11 2c, § 160 111.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

wirksam nur mit dem Beiwort ihres Tutors testieren könne (§ 118), mußte notwendig ein Exkurs in das prätorische Recht folgen, wollte Gaius seine Hörer nicht unvollständig über das geltende Recht informieren. Der Exkurs geht historisch vor. Testierte die Frau ohne auctoritas des Tutors, und wies das Testament die Siegel von sieben Zeugen auf, verhieß der Prätor den Testamentserben die bonorum possessio secundum tabulas (bpst) ursprünglich nur dann, wenn kein ziviler Intestaterbe, etwa der Bruder der Frau als proximus agnatus, existierte (§ 119)2. Man wird dies so verstehen dürfen, daß der Prätor die bpst erst gar nicht gewährte, wenn sich ein Agnat bei ihm gemeldet hatte. Entgegen der üblichen Reihenfolge 3 blockte hier die bonorum possessio intestati(bpi) die bpst ab. Meldete sich freilich der Intestaterbe beim Prätor nicht und erhielt der Testamentserbe die bpst - nur dieser Aspekt wird in der Literatur diskutiert - , konnte der zivile Intestaterbe erfolgreich die hereditatis petitio anstrengen: die bpst war sine re4 . Gleiches galt bei zwei anderen Formfehlern, die das Testament, auch das eines Mannes, zivil rechtlich ungültig machten, wenn nämlich die mancipatio familiae unterblieben oder die Nunkupationsformel nicht gesprochen worden, das Testament jedoch wenigstens mit den Siegeln der sieben Zeugen versehen war. In den folgenden §§ 120-122 untersucht Gaius, ob die Pius-Konstitution die Rechtslage auch bei formungültigen Frauentestamenten geändert hat. Nur der Beginn des § 120 (Sed videamus, an etiam ... ) verdeutlicht, daß Gaius den gegenwärtigen mit dem früheren Rechtszustand, der mindestens bis in die Zeit Ciceros zurückreichte 5 , vergleicht. David-Nelson 6 übersetzen richtig: "Wir wollen jedoch untersuchen, ob au c h jet z t noch, ... " die zivilen Intestaterben den Testamentserben vorgehen. Die reich belegte Darstellung der temporalen Bedeutungsnuance von etiam widerlegt Solazzis ohnehin recht zweifelhafte Glossentheorie 7 . Die Schilderung der früheren Rechtslage im Präsens (§ 119: pollicetur; idem iuris est ... ) erklärt sich aus der Eigenart der Vorlage der Institutionen, eines Vorlesungsmanuskripts, wie wir annahmen 8 , in welchem der Autor dem neuen Recht nicht so sehr durch Veränderung des

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Gai 2.119: ,,Praetor tamen, si septem signis testium signatum sit testamentum, scriptis heredibus secundum tabulas testament i bonornm possessionem pollicetur, si nemo sit, ad quem ab intestato iure legitimo pertineat hereditas, velut frater eodem patre natus aut patrnus aut fratris filius. ita poterunt scripti heredes retinere hereditatem: nam idem iuris est et si alia ex causa testamentum non vakat, velut quod fami/ia non venierit aut nuncupationis verba testator locutus non sit." Vgl. Vip 44 ed D 38.6.1.2; 41 ed D 37.11.2pr. (bpct - bpst - bp intestati). Zum Begriff: Voci I 183. Cic., Verr. II,1.45.1l7.

David-Nelson 335. David-Nelson 336 f. (mwN) gegen Solazzi 418. Vgl. auch Voci, Labeo 13 (1967) 322. S. oben § 4 Fn. 16,27.

I. Testamentum non iure factum

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alten Textes als vielmehr durch Einfügung bloßer Nachträge Rechnung getragen hat 9 . Aus dieser Erkenntnis ließe sich sogar eine Hypothese über die ungefähre Datierung der Konstitution entwickeln. Ein Vorlesungsmanuskript wächst häufig über mehrere Iahre, ehe es der Publikation für würdig befunden wird. Wurden die Institutionen in den Iahren 160/161 veröffentlicht lO und unterstellt man für das Manuskript eine Entwicklungszeit von 10 I ahren, so dürfte die Konstitution um die Mitte der 50er Iahre anzusetzen sein, einige Iahre nach der ersten Vorlesung, aber auch einige Iahre vor ihrer Publikation, denn auf eine erst frische Rechtsänderung hätte Gaius sicher, wie auch an anderer Stelleil , mit nuper oder ähnlichen Ausdrücken hingewiesen. Bei aller gebotenen Vorsicht in der spekulativen Datierung stimmt doch zuversichtlich, daß auch die Neuordnung der eng verwandten bpct erst in den letzten Regierungsjahren des Kai. sers vonstatten ging 12 Die Konstitution machte die Stellung der Testamentserben, die aufgrund eines formungültigen Siebenzeugentestaments (testamentum non iure factum) die bpst erlangt hatten, für die zivilen Intestaterben unangreifbar. Von nun an konnte deren hereditatis petitio mit einer exceptio doli aus dem Felde geschlagen werden: die bpst war jetzt cum re 13 . § 121 enthält eine wesentliche Präzisierung des Inhalts der Konstitution. Ursprünglich auf das Testament eines Mannes gemünzt, wendet Gaius sie auch auf Frauentestamente an, wenn es an mancipatio familiae oder nuncupatio fehlte. Damit sind die beiden wichtigsten, auch für den Mann einschlägigen, Anwendungsfälle des testamentum non iure factum genannt. Gaius hatte sie bereits in § 119 erwähnt, und gewiß waren sie auch Gegenstand der Konstitution. Die analoge Anwendung der Konstitution auf das sine auctoritate tutoris errichtete Frauentestament läßt Gaius am Ende mit der Floskel videbimus freilich dahingestellt. Der offene Schluß oder jedenfalls die bloß indirekt gegebene Antwort, die So-

lazzi in § 122 zu erkennen glaubt, beweisen nichts gegen die Echtheit des Textes l4 . Videbimus, von Gaius noch zweimal in 3.116 und 3.202 gebraucht, wo-

bei ebenfalls die aufgeworfenen Fragen nicht ausgetragen werden, ist regelmäßig nicht als Versprechen der zukünft~en Verwirklichung einer Handlung, etwa einer späteren Antwort, zu verstehen 5; es signalisiert vielmehr die Absicht. des 9

Eine ähnliche Beobachtung konnte schon bei Gai 2.125, 126 getroffen werden (s. oben Nr. 9a). Der alte Rechtszustand wird in 2.125 im Präsens geschildert. § 126 fährt dann fort: ,,Et hoc iure utebamur, ... sed nuper imperator Antoninus signi· ficavit rescripto suo ... Auch der Ausdruck rescripto significare kehrt also wieder (s. oben § 4 Fn. 21). S. oben § 4 Fn. 26, 27. S. soeben Fn. 9. S. oben § 4 11 nach Fn. 125. Zum Begriff: Voci 1183. K niep, Gai institutionum 11 2 (1913) 12 f. Fn. 12 und Solazzi 418 halten an autem (§ 121) - palam est (§ 122) für eine Glosse. Gegen sie Archi 290 f.; Voci, Labeo 13 (1967) 322 Fn. 15. Kühner·Stegmann, Ausführliche Grammatik der lat. Sprache I (1962 4 ) 148 f. ; David· Nelson 338 f. H.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Verfassers, sich eine Antwort aus den verschiedensten Gründen zu ersparen 16 . Wahrscheinlich war hier die Frage, ob man das Fehlen der auctoritas tutoris den genannten Formfehlern gleichstellen konnte, in aller Kürze nicht so ohne weiteres zu beantworten 1 7. Auch der Wechsel in der Terminologie zwischen rescriTJtum (§ 120) und constitutio (§ 121) deutet keineswegs auf zwei Schreiber 11f: wie die Erfahrungen mit Ulpians Zitaten von Kaiserentscheidungen zeigen 19 Die Konstitution wird von Gaius noch ein zweites Mal erwähnt, und zwar systematisch passender, in einem Annex über die Wirkungen eines zivilrechtlieh ungültigen, aber mit sieben Siegeln versehenen Testaments 20 . Der lückenhafte Text, dessen Sinngehalt nicht umstritf{'n ist, wird verschieden rekonstruiert. Wir folgen der Lesart von David-Nelson 21 . 19b. Gai 2.149a Aliquando tarnen, sicut supra quoque notavimus, etiam legitimis quoque 22 heredibus potiores scripti habentur, veluti si ideo non iure factum sit testamentum, quod familia non venierit aut nuncupationis verba testator locutus non sit: cum adgnati petunt hereditatern, ex constitutione veri 23. Gaius wiederholt, unter Hinweis auf 2.120,121 (sicut supra quoque notavimus), die beiden Fälle des testamentum non iure factum, bei denen die Testamentserben die Erbschaft erfolgreich gegen die Intestaterben verteidigen können. Ein Vergleich mit Gai 2.147-149 macht deutlich, daß die Konstitution die Testamentserben nur schützte, wenn bei der E r r ich tun g des Testaments ein Formfehler unterlaufen war, nicht aber in Fällen später, wenngleich rückwirkend eintretender Unwirksamkeit des Testaments (z.B. testamentum irritum oder ruptum). Dann gewährte zwar der Prätor, wenn nur der Erblasser

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Zu diesem idiomatischen Gebrauch von videbimus s. die ausflihrliche Untersuchung von Nicholas, Synt. Arangio-Ruiz 1 (1964) 150 ff., mit zahlreichen literarischen und juristischen Belegen sowie die Fortsetzung (Videbimus 11) in St. Volterra 2 (1971) 577 ff.;vgl. auch Voci, Labeo 13 (1967) 322 Fn. 15. Während man sich beim sine tutoris auctoritate errichteten Frauentestament eine analoge Anwendung der Konstitution immerhin noch vorstellen kann, wird sie bei schwerwiegenderen Formfehlern (Nichteinhaltung der Zahl der Zeugen, Einsetzung von Peregrinen etc.) sicher abzulehnen sein, vgl. Leist, Die bonorum possessio 11 1 (1848) 267 und Fn. 5. So aber Solazzi 419. S. oben § 4 Fn. 84 f., § 6 Fn. 131. Zum Kontext s. Voci, Labeo 13 (1967) 321 und Fn. 13. David-Nelson, Gai institutionum editio maior, ad h.l. (= Studia Gaiana 11, 1968); zur Begründung s. auch den Kommentar in Studia Gaiana 111 361. Eine Tilgung des quoque mit Krüger, Gai Institutiones (1912) ad h.l., ist nicht nötig; zur abundanten Verbindung etiam ... quoque s. David-Nelson 361. Lit.: wie oben Fn. 1. Die Identität der Konstitutionen wird durchweg bejaht. Krüger liest den letzten Satz: cum si agnati petant hereditatem, exceptione doli maU ex constitutione imperatoris Antonini removeri possint.

I. Testamenf/lm non iure factum

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zum Zeitpunkt seines Todes römischer Bürger und gewalt frei war, aufgrund eines Siebenzeugentestaments ebenfalls die bpst (§ 147), doch war diese sine re gegenüber jedem zivilen Testaments- oder Intestaterben (§§ 148, 149). Dagegen gab es keinen prätorischen Schutz, geschweige den der Konstitution, wenn der Erblasser einen suus oder postumus übergangen hatte. In diesem Fall war das Testament von Anfang an oder seit der Geburt des postumus nichtig und auch nicht als prätorisches gültig, da die Erbeinsetzung mangelhaft war und darum juristisch gar keine tabulae existierten 24 . Der Fall war so selbstverständlich, daß Gaius ihn gar nicht aufzuführen brauchte. Nichts könnte die Zielsetzung der Konstitution deutlicher dokumentieren als die Tatsache, daß man aus der breiten Palette ziviler Unwirksamkeitsgründe gerade die Formfehler bei der Testamentserrichtung herausgriff und ihre harten wirtschaftlichen Konsequenzen fortan unterband. Der rigorose Formalismus früherer Zeiten wurde als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Längst war das alte Ritual der Errichtung des testamentum per aes et libram verkümmert, der Manzipationsakt zu einer bloßen Förmlichkeit erstarrt, die Nunkupation auf das Hersagen einer kurzen Formel zusammengeschrumpft 25 . Die Achtung vor der Tradition verbot die Abschaffung des Formalakts; andererseits geboten Billigkeit und der Respekt vor dem Erblasserwillen, die strengen Folgen der Nichteinhaltung überlebter Förmlichkeiten zu mindern oder aufzuheben, wenn nur die Authentizität des letzten Willens durch die unbeschädigten Siegel von sieben Zeugen gesichert war 26 . Die Intention der Konstitution wurde technisch in hervorragender Weise umgesetzt. Die Intestaterben blieben traditionsgemäß zivile Erben, doch wurde ihre Rechtsstellung zu einer boßen Hülle ausgehöhlt: ihr Hauptangriffsmittel, die hereditatis petitio, mit einer exceptio doli der priltorischen Testamentserben gelähmt. Dies bestätigt, daß man die Berufung auf den Formfehler als unbillig und dolos ansah. Nach dem klaren Referat des Juristen hat die Konstitution die exceptio doli offensichtlich unmittelbar eingeführt 27 und damit die technische Ausgestaltung des Rechtsschutzes nicht, wie es bei der Gewährung einer actio ex constitutione üblich war 28 , dem Magistrat überlassen. Somit griff die Konstitution in abstrakter Anordnung und in konkreter Ausgestaltung korrigierend in das Zivilrecht ein. Wenn der Prätor in der Folge in einschlägigen Fällen die exceptio doli iuris civilis co"igendi causa 29 verhieß, so tat er dies nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern aufgrund der Bindungswirkung der kaiserlichen Entscheidung. 24

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La Pira 97 f. Die Prokulianer weichen ab, wenn der übergangene Sohn vor dem Vater stirbt: Gai 1.123. Gai 2.103 f.;Kaser I § 16011, I1I; s. oben § 2 Fn. 14 f. Sanfilippo 324. So auch Wlassak 107;Palazzolo, Potere imperiale (1974) 121 f. S. oben § 6 Fn. 140 ff. von Lübtow 505.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Sicherlich wollte Pius mit der Konstitution keinen neuen Testamentstypus in dem Sinne einführen, daß künftig zwischen zwei dogmatisch verschiedenen, institutionalisierten Testamentsformen differenziert werden sollte. Eine solche Gegenüberstellung von zivilem Manzipationstestament mit abstrakter nuncupatio und dem sogenannten prätorischen Testament, welches im Grunde kaiserliches Testament 30 heißen müßte, wäre eine begriffsjuristische Fehleinschätzung 31 . Andererseits darf man aber die praktischen Folgewirkungen der Konstitution nicht außer acht lassen: fortan konnte jeder, der bei der Testamentserrichtung die Förmlichkeiten nicht genau oder überhaupt nicht eingehalten, aber sieben Zeugen zur Siegelung hinzugezogen hatte, sicher sein, daß der Magistrat dem letzten Willen auch zur Durchsetzung verhalf. Es wird danach nicht lange gedauert haben, bis die Praxis auf die Beachtung der alten Förmlichkeiten grundsätzlich verzichtete.

Amelotti lehnt unter Hinweis auf die in nahezu allen erhaltenen Testamentsurkunden bezeugten Manzipationsklauseln 32 die Auffassung des prätorischen Testaments als eines neuen klassischen Instituts entschieden ab 33 . Er tritt vielmehr für eine dritte Stufe in der Entwicklung des Manzipationstestaments ein, bei der man auf den realen Vollzug der Manzipation verzichtet, die nun ausgehöhlte Manzipationsklausel aber weiterhin als festen Bestandteil der Formularpraxis beibehalten habe, bis sie unter Konstantin zusammen mit den Überresten des Manzipationsaktes endgültig verschwunden sei 34 . Dagegen ist einzuwenden, daß man ein derartiges ,Manzipationstestament' kaum als ziviles Testament anerkannt haben wird. Hans Julius Wolffhat Amelotti treffend entgegengehalten, daß anderenfalls für das Eingreifen des Prätors nur in dem bei dem Funktionieren der römischen Formularpraxis sehr seltenen Fall Raum bliebe, daß der Erblasser die Manzipationsklausel einzufügen vergessen hätte 35 . Auch läßt Gaius' Darstellung des testamentum non iure factum, insbesondere seine Parallele zum Frauentestament sine auctoritate tu toris , eine solch simple Erklärung nicht zu. Viel ansprechender ist Wolffs überlegung, daß Gaius' Ausführungen - und damit letztlich die Konstitution - gerade auf solche Fälle der Diskrepanz zwischen Realität (Fehlen der Manzipation) und Inhalt der Testamentsurkunde (formularmäßige Manzipationsklausel) abzielten 36 . Bei diesem Verständnis scheint es nach all dem nicht verkehrt, in der von Amelotti ange-

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A. Schmidt 324 f. Fn. 2. Archi, St. PaoJi (1955) 11 ff. und Amelotti 191 ff.lehnen die Existenz eines prätorischen Testaments als klassische Institution ab. Gegen sie vor allem Voci, Labeo 13 (1967) 319 ff.; Voci 11 73; Kaser I § 160 III und Fn. 21;11 § 283 11 1. Über die Dokumente und die FundsteIlen informiert Amelotti 10 ff. Amelotti 191. Amelotti 168 f.; 217 ff.; zustimmend Kaser 11 § 283 11 1. Hans Ju/ius Woltt. SZ 84 (1967) 499 ff. Wo/ff (oben Fn. 35) 500.

Exkurs: Exemplum testamenti

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nommenen dritten Entwicklungsstufe des Manzipationstestaments die entwikkelte Form gerade jenes prätorischen Testaments zu sehen, welches in der PiusKonstitution seinen Ursprung hatte und durchaus schon von den Spätklassikern als institutionalisierter Sondertypus anerkannt worden sein mochte. Das prätorischen Anforderungen genügende Testament unterschied sich nur durch den verschiedenen Errichtungstatbestand von dem zivilen Grundmuster. Insbesondere gibt es keine Anzeichen dafür, daß der Prätor außer auf Manzipation und Nunkupation auch auf die Einhaltung der sollemnis heredis institutio verzichtet hätte. Diese war nämlich kein äußeres Erfordernis 3 7, sondern berührte unmittelbar den Inhalt des Testaments. Pius hatte ihre Notwendigkeit für das Manzipationstestament sogar ausdrücklich betont, allerdings unter Berufung auf Sabins Fiktion credimus plus nuncupatum minus scriptum gewisse elliptische Erbeinsetzungsformen zugelassen 3 8. Die Vermutung verlor allerdings ihren realen Anknüpfungspunkt, wenn nun auch die abstrakte Nunkupationsformel entbehrlich war. Es ist gut denkbar, daß Marcells subtile Kritik an der Fiktion 39 , die er unter den divi fratres, als die Entwicklung des prätorischen Testaments bereits fortgeschritten war, äußerte, auch oder gerade hieran Anstoß genommen hat. Dann hätte Marcell die Fiktion grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt einer veränderten Wirklichkeit der Testamentserrichtung kritisiert, ohne freilich den Kern der ellipsenfreundlichen Pius-Reskripte, die ja zum Manzipationstestament ergangen waren, zu treffen. Auf jeden Fall war seiner Kritik ein bleibender Erfolg versagt40 .

Exkurs: Exemplum testamenti Wie weit auch die Auflockerung der Förmlichkeiten bei der Testamentserrichtung ging, ein e Schwelle blieb unüberwindlich: der bloße Testamentsentwurf genügte nicht zur Ausschließung der Intestaterben. Ulp 2 fideic D 32.11.1

20.

Quotiens quis exemplum testamenti praeparat et prius decedat quam testetur, non valent quasi ex codicillis quae in exemplo scripta sunt, licet verba fideicommissi scriptura habeat: et ita divum Pium decrevisse Maecianus scribit 41. 37 38 39 40

Vgl. La Pira, Succ. 97. S. oben § 2 Nr. 2/3. S. oben § 2 Fn. 34-42. S. oben § 2 Fn. 46.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Ein Erblasser hatte sein Testament niedergeschrieben und verstarb, ehe es zur testatio, zur feierlichen Erklärung vor den Zeugen kam. Der dokumentierte. letzte Wille ist weder ziviles, weil die nuncupatio, noch prätorisches Testament, weil die Siegelung durch die Zeugen fehlt 42 . Der Text setzt diese Beurteilung als selbstverständlich voraus. Ein Verzicht auf jene Formalien, deren Vollzug das Dokument erst perfekt, erst zum gültigen Testament macht, wird nicht einmal erwogen; ante consummationem testamentl43 ist das Dokument bloßer Entwurf (exemplum testamenti)44. Dagegen wurde offenbar diskutiert, ob das Dokument als Kodizill, für welches einfache Schriftform ausreichte 45 , galt. In einem solchen nicht konfirmierten Kodizill konnten zu Lasten der Intestaterben wirksam nur fideikommissarische Verfügungen getroffen werden46 . Einen Rechtsstreit, den vermutlich ein im exemplum Begünstigter angestrengt hatte, entschied Kaiser Pius zugunsten der Intestaterben. Das Dekret, das Ulpian aus Maecians quaestiones de jideicommissis4 7 , einer für die Abfassung der eigenen Monographie über das Fideikommißrecht häufig benutzten Vorlage 4M , zitiert, lehnt eine Geltung der im exemplum getroffenen Anordnungen quasi ex codicillis ab, licet verba fideicommissi scriptura habeat. Der Sinn ist klar. Das exemplum testamenti ist kein Kodizill, da es Testament werden sollte; es kann aber auch nicht wie ein Kodizill (quasi ex codicillis) behandelt werden, obgleich die objektiven Voraussetzungen (Schriftform, Fideikornrnißanordnung) erftillt sind. Daher sind nicht nur die Verfügungen, die ein Intestatkodizill ohnehin nicht aufnehmen konnte, unwirksam, sondern aue h Fideikommisse und die anderen Verfügungen, die vorsorglich mit einer fideikommissarischen Klausel versehen waren. Das kommt besonders deutlich in einem Paulus' zugeschriebenen Responsum zum Ausdruck: Paul 14 resp D 28.1.29pr. Ex ea scriptura, quae ad testamenturn faciendum parabatur, si nullo iure testamenturn perfecturn esset, nec ea quae fideicommissorum verba habent peti posse 4 9 41

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Pal. 1857. Lit.: Scarlata Fazio, La successione codicillare (1939) 187 ff.; Biondi, Succ. 64 ff.; Voci 11 81 f., 880; Negri, La clausola codicillare nel testamento inofficioso (1975) 45 ff. 117 f. Scarlata Fazio 187. Zu diesem Ausdruck vgl. Vip 15 Sab D 28.4.1.2; Voci 11 81 f. Exemplum in der Bedeutung ,Entwurf, Muster' ist streng zu unterscheiden von den Bedeutungen ,Kopie' und ,Zweitschrift'. Oft kann der genaue Sinn nur aus dem Kontext erschlossen werden, vgl. Biondi, Succ. 64 f.; Kornhordt, Exemplum, Diss. Göttingen (1936) 54 ff. Kaser I § 165 I. Gai 2.270 a;Kaser I § 165 III. Zu Maecian und seinem Werk S. oben § 3 Fn. 32 ff. Fitting 117. S. dazu Negri 118 f.

Exkurs :Exemplum testamenti

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Das identische Problem und die Ähnlichkeit einzelner Ausdrücke (scriptura, verba jideicommissorum habere) möchten dazu veranlassen, als fehlenden Obersatz der a.c. i. -Konstruktion statt des üblichen Paulus respondit eher ein divus Pius decrevit anzunehmen. Ein Beweis läßt sich freilich nicht führen. Die Begründung der Entscheidungen sucht die herrschende Ansicht unter dem Blickwinkel der Kodizillarklausel. Mit einer solchen Klausel konnte der Erblasser seine letztwilligen Anordnungen vorsorglich für den Fall, daß sie als Testament ungültig sein sollten, unter Fideikommißrecht stellen und ihnen damit auch gegenüber möglichen Intestaterben Geltung verschaffen50 . Scarlata Fazio 51 argumentiert: das Schriftstück könne deshalb nicht als Kodizill gegolten haben, weil die Kodizillarklausel gefehlt habe und eine ,stillschweigende' Kodizillarklausel von den Juristen zwar diskutiert, vom Kaiser aber nicht anerkannt worden sei 52 . Bereits die Sachverhaltsprämisse ist nicht unbestritten. So sieht Mühlenbruch in den verba jideicommissi oder jideicommissorum selbst die Kodizillarklausel 53 . Diese Interpretation paßt allenfalls fur die verba jideicommissi in D 32.11.1; der Plural jideicommissorum in D 28.1.29pr. könnte eher auf fideikommissarische Klauseln deuten, die einzelnen Verfügungen vorsorglich beigeftigt waren 54 . Wie dem auch sei, der Boden ist viel zu schwankend, als daß man auf ihm die Figur einer stillschweigenden Kodizillarklausel behandelt und abgelehnt finden könnte. Wir glauben nicht, daß die kaiserliche Entscheidung das Problem der Kodizillarklausel behandelte; das Schriftstück wäre auch mit Kodizillarklausel nicht anders beurteilt worden 55 . Der Erblasser wollte ein Testament errichten. Auch eine Kodizillarklausel wäre eine testamentarische Verfügung gewesen und, wie das Testament im ganzen, erst mit der Perfektion des Testaments in Kraft getreten. Zu einer Perfektion ist es aber weder objektiv noch in der Vorstellung des Erblassers gekommen, der selbst seine Erklärung noch nicht als vollendet, das Testament noch nicht als errichtet ansah 56 . Das Geschriebene war noch 50

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Kaser I § 165 III; ausführliche Nachweise bei Negri 6 Fn. 11. Negri 25 ff. hält gegen die absolut herrschende Meinung eine stillschweigende, im Wege der Interpretation des Testaments gewonnene "Kodizillarklausel" für ausreichend; ablehnend Voci, Rez. Negri, SO 42 (1976) 472 ff. - Zur h.M. vgl. Glück-Fein, Pand. 45 (1853) 200 f. (anders noch Glück-Mühlenbruch, Pand. 38 (1835) 198 Fn. 32); David, Studien zur heredis institutio etc. (1930) 68 Fn. 94; Scarkzta Fazio 187 ff.; Giuffre, L'utilizzazione degli atti giuridici mediante ,conversione' in diritto romano (1965) 99 f. Fn. 270. Scarkzta Fazio 187 f. Oie Argumentation setzt die Existenz der Kodizillarklausel bereits unter Pius oder sogar noch früher (vgl. 188) voraus. Glück-Mühlenbruch, Pand. 38 (1835) 198 Fn. 32. Negri 118 f. S. dazu und zum folgenden: Negri 47 ff. (dort 47 ff. gegen Fein, oben Fn. 50;49 f. gegen Scarkzta Fazio). Glück-Mühlenbruch, Pand. 38 (1835) 198 Fn. 32.

12 Müller-Eiselt

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

nicht vom Geltungswillen getragen: in der Terminologie der Lehre von der Willenserklärung im deutschen bürgerlichen Recht würde man sagen, die Willenserklärung ist zwar verkörpert, aber noch nicht abgegeben. Negri hat kürzlich die Situation treffend charakterisiert: bei einem Testamentsentwurf handele es sich nicht um "un problema di difetto di forma, bens) di mancanza della determinazione di volontä,,57. Deshalb sind alle in einem Entwurf enthaltenen Verfügungen rechtlich nicht existent58 . Das Problem des Formmangels hingegen kann erst nach erfolgter Perfektion des Testaments aufgeworfen werdenS 9. Erst dann ist auch zu fragen, wie dem Formmangel gegebenenfalls abgeholfen werden kann, etwa durch Senkung der Anforderungen, wie beim prätorischen Testament, oder durch interpretative Maßnahmen, wie bei der Kodizillarklausel. Ein ähnliches Problem stellt sich bei Fideikommissen. Ulpian schließt es darum unmittelbar an: 21.

Ulp 2 fideic D 32.11.2 Si ita quis scripserit: ,illum tibi commendo', divus Pius rescripsit fideicommissum non deberi: aliud est enim personam commendare, aliud v01untatem suam fideicommittentis heredibus insinuare60 Wenn Pius die Formulierung ,illum tibi commendo' bei dem sonst so freizügigen Fideikommiß61 nicht als wirksame Anordnung der fideikommissarischen Freilassung gelten läßt, so ist die Unwirksamkeit nicht in einem Formmangel, sondern eben nur darin begründet, daß der entschiedene Wille fehlt, den Belasteten zu binden62 . Dem bloß empfehlenden commendo kann dieser Wille nicht entnommen werden 63 . Wird commendo dagegen näher erläutert und ergibt sich dadurch eindeutig der Verpflichtungswille des Erhlassers, so ist das Fideikommiß gültig64 . Diese Entscheidung erweist den Ausdruck commendo nicht als Form-, sondern als Interpretationsproblem65 . 57 58 59

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62 63 64

Negri 117. Bereits früher erkannten Biondi, Succ. 65 und Voci II 880 die ratio der

Entscheidung im Fehlen einer volunta definitiva. Auch für den Kaiser: Paul5 sent D 32.23. Zur Erklärung der scheinbar abweichenden Entscheidung des Septimius Severus in Paul 3 decret D 40.5.38 s. zuletzt Negri 34 ff. mwN. Pal. 1857. Lit.: Ferrini, Teoria generale dei legati e dei fedecommessi secondo il diritto romano (1889) 36 f.; Biondi, Succ. 290; Grosso, I legati nel diritto romano (1962 2 ) 116. S. nur Kaser I § 189 11 1. Biondi, Succ. 290. Anders Siber, Röm. Recht in Grundzügen für die Vorlesung 11 (1928) 357, der von einem Formalismus bei der Fideikommißerrichtung spricht. Vgl. ferner Scaev 21 dig D 36.1.80.8; C 7.4.12 (a. 294); PS 4.1.6. lörs-Kunkel-Wenger, Röm. Privatrecht (1949 3 ) 356 Fn. 6 ; Kaser I § 189 11 1. Mod l.sing de manumissionibus D 40.5. 12pr. : ,Jmperator Antoninus, cum Firmus

Titiano tragoedos tres legasset et adiecisset: ,quos tibi commendo, ne cui alii serviant', publicatis bonis Titiani rescripsit debere eos publice manumitti. " Wahrschein-

lich stammt auch dieses Reskript von Pius, s. unten § 9 Fn. 215.

I. Testamentum non iure factum

179

Die Begründung aliud - insinuare stammt sicher nicht aus dem Reskript und auch kaum von Ulpian.lnsinuare ist nämlich nachklassischer Kanzleistil. Es begegnet häufig in Codexkonstitutionen, zuerst bei Gordian (C 3.36.10); im Bereich des VIR kommt es nur noch ein weiteres Mal, und zwar ebenfalls in einer verdächtigen Stelle, vor66 . Wenn daher die Passage mit Beseler formal zu beanstanden ist 67 , so gibt sie doch die klassische Lösung wieder. Diokletian und Maximian begnügen sich bei der Wiederholung der Entscheidung mit dem Hinweis auf die auctoritas iuris6 8. Die Ablösung des Tenors des Reskripts von der Person seines Urhebers beweist die allgemeine Anerkennung der getroffenen Lösung.

Den Rechtszustand vor Erlaß der Konstitution, die das prätorische Testament einführte (Nr. 19), glauben Dirksen und Bortoluccl-69 in der sog. oratio de testamentis transmarinis 70 zu erkennen, dem einzigen aus Frontos Gerichtsreden erhaltenen Fragment. Fronto hatte die Rede dem Kronprinzen Mark Aurel, seinem Schüler, offenbar zu Studienzwecken überlassen. Mark Aurel deklamierte ausgewählte Passagen vor dem Kaiser und berichtete danach Fronto, unter Wiedergabe der vorgetragenen Ausschnitte, daß Pius das Werk überschwenglich gelobt und lebhaft bedauert habe, die Rede nicht im Gerichtssaal gehört zu haben: Ad M. Caes. I.6 (Haines I 154 ff.) M. AURELIUS CAESAR salutem dicit Frontoni magistro suo. (1) ... Ha adfectus est auditione eorum Dominus meus, ut paene moleste ferret quod alio modo ad negotium opus sibi esset, quam eo quo tu orationem habiturus intraveris .... Der Brief ist in die Jahre 144/145 zu datieren 71 .

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Vg!. Ferrini 36 f.; Grosso 116. Ulp 41 ed D 37.10.3.5; vg!. VIR 3.765.20 f. s.v. insinuo. Beseler, SZ 43 (1922) 551; SD 1 (1935) 284; SZ 66 (1948) 322. A.A. Ferrini 36 (aus dem Reskript) und Grosso 116 (Kommentar Ulpians). C 7.4.12 (a. 294): ,,Ex verbo ,commendo' testamento vel codicillis non videri fideicommissarißm libertatem relictam auctoritate iuris declaratur." - Ferrini 36 und Fn. 2 bezieht auctoritas iuris zu Unrecht auf das gegen Ende des 3. Jh. bekannteste Monument des ius, die Paulussentenzen (vg!. etwa PS 4.1.6); hier ist die frühere Kaisergesetzgebung gemeint, vielleicht konkret das besprochene Pius-Reskript. Dirksen, Beitrag zur Auslegung einiger Stellen in des Corno Fronto Reden und Briefen, Hinter!. Schriften 1 (1871) 243 ff. (248); id., Über die, durch griechische und lateinische Rhetoren angewendete, Methode der Auswahl und Benutzung von Beispielen römisch-rechtlichen Inhalts, Hinter!. Schriften 1 (1871) 254 ff. (278 ff.); Bortolucci, Corno Frontone, Ep. ad Marcum Caes. 1,6 e,la dilatio instrumentorum vel personarum gratia', St. Riccobono 2 (1936) 431 ff. (437 ff.). Fronto, ad M. Caes. 1,6 = Haines, The Correspondence of Marcus Cornelius Fronto I (1919, rev. Ed. Loeb CIassical Library 1962), 154 ff. Haines 1155.

180

§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Mark Aurel erwähnt nämlich, daß der Sohn des Atticus Herodes 7 2 gleich nach der Geburt gestorben ist (§ 7). Herodes hatte Appia Annia Regilla 7 3 wahrscheinlich 143, in seinem Konsulatsjahr, geheiratet, und der tote Knabe muß ihr erster Sohn gewesen sein. Ein weiteres starkes Indiz für die Datierung liefert Frontos Antwort- und Danksagebrief an Mark Aurel 74 , wo er in § 2 den eigenen, offenbar noch nicht lange zurückliegenden Suffektkonsulat (Juli/August 143)erwähnt 75 . Die Rede selbst dürfte, nach der einleitenden Bemerkung Mark Aurels, nur wenig später vor dem Kaisergericht gehalten worden sein. Eine Zurückdatierung in die letzten Jahre Hadrians 76 ist nicht deshalb notwendig, weil Fronto die Rede an den Kaiser richtete, Pius im Gerichtssaal aber gar nicht anwesend war. Dem Kaisergericht wird ein Vertreter des Kaisers präsidiert haben; wegen des großen Arbeitsanfalls konnte der Kaiser unmöglich jeden Prozeß vor seinem Gericht selbst leiten und entscheiden 77 . Gleichwohl mußten die Advokaten mit dem persönlichen Vorsitz des Kaisers rechnen und ihre Reden entsprechend konzipieren. Die in unserem Zusammenhang wichtigste Passage der Rede, die nämlich den juristischen Hintergrund ausbreitet, lautet: 22. Ad M. Caes. 1.6 (3) "Quare, si hoc decretum tibi proconsulis placuerit, formam dederis omnibus omnium provinciarum magistratibus, quid in eiusmodi causis decernant. Quid igitur eveniet? Illud scilicet, ut testamenta omnia ex longinquis transmarinisque provinciis Romam ad cognitionem tuam deferantur. Filius exheredatum se suspicabitur: postulabit ne patris tabulae aperiantur. Idem filia postulabit, nepos abnepos, frater consobrinus, patruus, avunculus, amita 72 73 74 75

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Grundlegend Graindor, Un milliardaire antique: Herode Atticus et sa familie (1930); vg!. auch A. Birley, Mark Aurel (1977 2 ) 114 ff., 139 ff., 155,203 f., 329 ff., 352 f.; PIR2 C 802. PIR2 A 720. ad M. Caes. 1,7 = Haines I 162 ff. Hanslik, Opusc.phi!.d.kath. Phi!. (Vindob.) 6 (1934) 29 ff. (zitiert nach Stein, PIR2 C 802) datiert Mark Aurels Brief genau in das Jahr 143; zustimmend A. Birley, Mark Aurel (1977 2 ) 146 Fn. 30; Champlin, JRS 64 (1974) 158 ganz vorsichtig in den Zeitraum zwischen 143 und 160. Das ist zu gewagt bzw. übertrieben vorsichtig. So Bayer, Reflexions sur !'aratio de testamentis transmarinis de M. Cornelius Fronto, , Me!. Magnol (1948) 21 ff., dem sich Dumant, Me!. Levy-Bruhl (1959) 88 undAmeIOfti, 11 testamente romano attraverso la prassi documentale I (1966) 36 (Nr. 14) und Fn. 2, angeschlossen haben. S. nur Kaser, ZPR § 67 11, § 75 I. Das Ausmaß der persönlichen Prozeßleitung des Kaisers bei seinem Gericht hing auch von den jeweils individuellen Neigungen des Amtsinhabers ab, vg!. Miliar, The Emperar in the Roman Warld (1977) 528 ff., 530, der allerdings das persönliche Engagement der Kaiser generell zu stark in den Vordergrund rückt (237 ff., 239) und bei der Fronto-Rede die Abwesenheit des Kaisers Pius übersieht (532 f.).

I. Testamentum non iure factum

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matertera; omnia necessitudinum nomina hoc privilegium invadent, ut tabulas aperiri vetent, ipsi possessione iure sanguinis fruantur. Causa denique Romam remissa quid eveniet? Heredes scripti navigabunt, exheredati autem in possessione remanebunt, diem de die ducent, dilationes petentes fora variis excusationibus trahent ... ,,78 Fronto vertritt in der Berufungsinstanz die Sache eines vermeintlichen Testamentserben, der in der ersten Instanz eines Erbschaftsstreits gegen den zivilen Intestaterben vor dem Prokonsul von Asien schon mit dem vorbereitenden Antrag, das Testament zu eröffnen, gescheitert war. Im Verlauf der Rede rügt Fronto die Verzögerungstaktik des Intestaterben, der die Verhandlung vor dem Berufungsgericht möglichst lange hinauszögern wollte, um in der Zwischenzeit die Vorteile des Erbschaftsbesitzes auf Kosten des wahren Erben genießen zu können, und warnt, in starker rhetorischer übertreibung, vor den gefährlichen Folgewirkungen, die bei einer Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung für die zukünftige Praxis der Testamentseröffnung hervorgerufen würden 7 9 Ober die Gründe der Nichteröffnung des Testaments läßt uns die Rede im unklaren. Nach der lex Iulia vicesimaria des Augustus (6 n.ehr.) waren die Testamente unverzüglich, innerhalb von 3 - 5 Tagen nach dem Tod des Erblassers, förmlich zu öffnen 80 . Die Frist konnte sich zwar verlängern, wenn etwa die Formzeugen zur Anerkennung der Authentizität ihrer Siegel von auswärts anreisen mußten, wenn die lokalen Gepflogenheiten es verlangten oder wenn aufgrund besonderer Umstände durch Reskript oder prätorisches Edikt abweichende Regelungen getroffen waren 81 ; grundsätzlich jedoch erlaubten das private Interesse der letztwillig Begünstigten und das öffentliche Steuerinteresse keine willkürlichen Verzögerungen 82 . Bezeichnend hierfür ist ein Reskript

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Lit.: s. oben Fn. 69 und 76. - Die Rede (vgl. auch § 2) ist ein hübscher Beleg flir die Bindungswirkung und damit die Rechtsquellennatur der decreta principum. Zu ihr s. zuletzt Kaser, Das Urteil als Rechtsquelle im röm. Recht, Fs. Schwind (1978) 122 (mwN 122 Fn. 37), mit Verweis auf seinen (noch nicht zugänglichen) Beitrag in der Fs. Flume (1978) 11 2b. Vgl. Amelotti 36 f.; zu den Fragen der Vertagung und Prozeßverschleppung s. ausf1ihrlich Bortolucci 440 ff. PS 4.6.1-3; Voci 11 107 f.; Amelotti 183 ff.; Kaser I § 164 I mwN;Meincke, Erbschaftssteuer und Zivilrecht in Rom, Steuer und Wirtschaft 4 (1978) 3 f. Val. PS 4.6.3; C 6.32.2 (a. 256); Ulp 50 ed D 29.5.3.18 ff. (Eröffnungsverbot bei Ermordung des Erblassers nach dem SC.Silanianum). Weitere Gründe bei Dumont 96. PS 4.6.3 aE: " ... nec enim oportet tam heredibus et legatariis aut libertatibus quam necessario vectigali moram fieri." Meincke (oben Fn. 80) 4 bringt zurecht das Interesse der Steuerpächter an einer zügigen Einziehung der Erbschaftssteuer in die Diskussion ein. Frontos Rede (vgl. § 6) hebt auf die privaten Interessen, in das Mäntelchen der Pietät eingekleidet, ab. Vgl. auch Archi, Interesse privato einteresse pubblico nell'apertura e pubblicazione dei testamento romano, IURA 20 (1969) 337 ff., 372 ff., 374 f.

182

§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Hadrians, wonach die Berufung gegen die Entscheidung des Magistrats, das Testament zu öffnen, nicht statthaft war 83 . Das Reskript präjudizierte das vorliegende Verfahren nicht; Frontos Fall lag gerade umgekehrt. Die Besorgnis, im Testament enterbt worden zu sein, war gewiß nur persönliches Motiv des Erben für die Inanspruchnahme des privilegium, ut tabulas aperiri vetent, dürfte aber kaum die Entscheidung des Prokonsuls beeinflußt haben. Die materielle Berechtigung einer Enterbung blieb stets der Überprüfung in einem besonderen, nach Testamentseröffnung und Erbantritt zu führenden Verfahren vorbehalten; einen präventiven Rechtsschutz gab es nicht 84 . Auch das Verhalten der Zeugen konnte kaum ursächlich für die Nichteröffnung gewesen sein. Bei ihrem Nichterscheinen war in dringenden Fällen ein Ersatzöffnungsverfahren vorgesehen 85 , und die Nichtanerkennung eines Siegels war für den Akt der Eröffnung ohne Bedeutung 86 . Am wahrscheinlichsten ist die Annahme eines formalen, dem Testament äußerlich anhaftenden Mangels 87 . Dirksen und Bortolucci sind der Ansicht, die Testamentserben hätten unter Vorlage eines bloß prätorisch wirksamen Testaments die Erteilung der bonorum possessio secundum tabulas beantragt; den Antrag habe der Prokonsul, da zivile Intestaterben existierten, auf der Grundlage der von Gai 2.119 referierten herrschenden Praxis 88 zurückgewiesen, ohne überhaupt erst zur Testamentseröffnung zu schreiten 89 . Diese Erklärung hat einiges für sich. Tatsächlich mußte nach Frontos Schilderung die Einweisung in den Erbschaftsbesitz der dringlichste Wunsch des Testamentserben gewesen sein. Das Dekret des Prokonsuls entbehrte nicht der materiellen Plausibilität; auch formell wäre es nicht zu beanstanden, denn wenn der Magistrat die bpst ohne Eröffnung der Urkunde gewähren konnte 90 , war ihm sicher auch ihre Zurückweisung ohne Einblicknahme in das Testament gestattet. Doch wie konnte man einem ordnungsgemäß mit sieben Siegeln verschlossenen Testament von außen die Einhaltung oder Nichteinhaltung des zivilen Errichtungsrituals ansehen? Eine scriptura exterior, die eventuell hätte Aufschluß geben können, gab es beim Testament aus Geheirnhaltungsgründen nicht 91 . 83 84 85 86 87 88

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Paull.sing de appellationibus D 49.5.7pr. Anders Boyer 30, der ohne überzeugende Gründe in dem Prozeß eine (vorbeugende ?) querela inofficiosi testamenti sieht; gegen ihn Dumont 96 Fn. 6; Amelotti 36 Fn. 3. Vgl. auch Bortolucci 439 f. Gai 17 ed prov D 29.3.7; Vip 50 ed D 29.3.4 und 6; Paul 8 Plaut D 29.3.5. Doch s. auch die sog. causa forensis de aperiundo testamento (a. 184), BGU I 361 = FIRA III Nr. 57 (dazu Amelotti 48, Nr. 35). • Gai 17 ed prov D 29.3.1.2. Dumont 96 Fn. 6. S. oben Fn. 2. Dirksen (oben Fn. 69) 278 f.;Bortolucci 437 ff. Vip 39 ed D 37.11.1.2 :•... nec enim opus est aperire eas, ut bonorum possessio se-

cundum tabulas agnoscatur. " Vgl. nur Talamanca, Documentazione e documento (Diritto romano), ED 13 (1964)

548 ff., 549 Fn. 7.

I. Testamentum non iure factum

183

Erman denkt an einen eigen schriftlichen Ritualbericht der Zeugen auf der Außentafel, der sich neben der ohnehin für jeden Zeugen notwendigen kurzen Siegelbeischrift des Namens 92 auf die drei Vermerke familiae emptoris, libripendis und antestati beschränkt hätte 93 . Leider bestätigt das am besten erhaltene Manzipationstestament des Soldaten Antonius Silvanus aus dem Jahre 142 94 diese These nicht. Neben den anderen Unwägbarkeiten, die aus dem provinzialen Umfeld des Prozesses, den üblichen rhetorischen Übertreibungen und nicht zuletzt aus der bloß fragmentarischen Überlieferung der Rede folgen, ist dies ein weiteres Problem bei Dirksens und Bortoluccis Versuch, die juristische Problematik des Falles zu rekonstruieren. Hinzu kommt, daß jeglicher Hinweis auf den Ausgang des Prozesses fehlt 95 . Wahrscheinlich lautete die Entscheidung im Sinne Frontos, der seinem kaiserlichen Schüler gewiß wohl kaum ein nicht erfolgreiches Plädoyer zum Studium unterbreitet hätte. Bei all diesen Bedenken verzichten wir auf eine definitive Beurteilung96 . Immerhin ist nicht auszuschließen, daß die Rede die Entwicklung gefördert hat, die schließlich zur Anerkennung des prätorischen Testaments durch die Pius-Konstitution führte. Unmittelbar veranlaßt haben kann sie die Konstitution freilich nicht, da in Frontos Fall die Besitzverhältnisse an der Erbschaft gerade umgekehrt lagen und dem Testamentserben folglich eine exceptio doli nichts genützt hätte 97 .

92 93

Wenger, Die Quellen des röm. Rechts (1953) 144 ;Amelotti 173 ff. Erman, Zum antiken Urkundenwesen, SZ 26 (1905) 473 ff., der auch andere Möglichkeiten der Beweissicherung diskutiert. 94 FIRA III Nr. 47; dazu Amelotti 38 f. (Nr. 18). 95 Trotz Ausbleibens des Gegners in der Berufungsinstanz - sie war bereits zweimal vertagt worden (§ 4) - konnte ein Urteil gefällt werden, das auch zuungunsten des Ausgebliebenen lauten konnte, vgl. Paul imp sent in cognit prolatarum ex libris VI libro primo seu decretorum libro 11 D 36.1.83; vgl. auch BGU 11 628 = FIRA I Nr. 91. Ein reines Prozeßurteil darf man daher ausschließen. Schon deshalb kann auch kein Zusammenhang mit dem Pius-Reskript in Paul59 ed D 42.4.7.19 bestehen, weIches dem Kläger gegen den ausgebliebenen Erbschaftsbesitzer die missio in possessionem rerum hereditariarum gewährt. 96 Ebenso Amelotti 36 f. Fn. 3. 97 So richtig Bortolucci 438 f. gegen Dirksen 279 f., der einen ,dunklen Zusammenhang' mit der Konstitution in Erwägung zieht.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

ll. Testamentum

incisum

Nur der Tatbestand des Reskripts, nicht auch die Entscheidung ist lesbar in 23a. Gai 2.151a Quid ergo est? si quis ab intestato bonorum possessionem petierit et is qui ex eo testamento heres est, petat hereditatem ... (2 1/3 versus legi non possunt) ... perveniat hereditas: et hoc ita rescripto imperatoris Antonini significatur 98 Ein vom Prätor in den Erbschaftsbesitz eingewiesener Intestaterbe sieht sich der hereditatis petitio eines Testamentserben ausgesetzt. Mit dem Testament hatte es jedoch eine besondere Bewandtnis: ex eo testamento nimmt Bezug auf das unmittelbar zuvor in § 151 beschriebene Testament: Potest, ut iure facta test amen ta nuda voluntate infirmentur. apparet non posse ex eo solo infirmari testamentum, quod postea testator id noluerit valere, usque adeo, ut si linum eius ineiderit, nihilo minus iure eivili valeat. quin etiam si deleverit quoque aut eonbusserit tabulas testamenti, non ideo [minus] desinent valere, quae ibi fuerunt seripta, lieet eorum probatio diffieilis sit. Demnach hatte der Erblasser das Testament nach Zivilrecht gültig errichtet, später aber in der Absicht, es aufzuheben, die Verschlußschnur durchschnitten und damit die Versiegelung zerstört. Trotz der deutlich dokumentierten Widerrufsabsicht blieb die zivilrechtliche Gültigkeit des Testaments unangetastet 99 Es entfaltete solange Wirkung, bis seine Geltungsgrundlagen, Libralakt und nuncupatio, durch Vollzug eines neuen Rituals, also durch Errichtung eines neuen zivilen Testaments, aufgehoben wurden 1 00. Der Fortbestand der Urkunde war ftir die zivile Wirksamkeit des Testaments nicht erforderlich, wenngleich der Erbe bei völliger Vernichtung oder Verbrennung der Urkunde in eine schwierige Beweislage geriet. Der Prätor allerdings erachtete das vom Erblasser durchschnittene Testament nicht als ausreichende Grundlage ftir die Erteilung Lir.; Suman, ,Favor testamenti' e ,voluntas testantium' (1916) 139 ff.; Bohatek, 11 problema della revoca non formale deI testamento nel diritto romano cIassico e giustinianeo, 5t. Bonfante 4 (1930) 318 ff.;Lardone, The Imperial Constitutions in the Institutes of Gaius, St. Riccobono 1 (1936) 664, 687; San[ilippo, Studi sull'hereditas I, APal. 17 (1937) 91 f.; Nardi, I casi di indegnita nel diritto successorio romano (1937) 136 ff., 151 ff.; Voci 11 497 f.;David-Nelson, Gai institution um comm. IV, 5tudia Gaiana III (1954 ff., 1968) 363 f. 99 Das ist heute unbestritten; grundlegend P. Krüger, Kritische Versuche im Gebiete des röm. Rechts (1870) 1-40. Überholt ist Schirmer, SZ 7 I (1886) 1 ff., der nisi linum liest (7) und somit zur zivilrechtIichen Nichtigkeit des Testaments gelangt; gegen ihn schonP. Krüger, SZ 711 (1886) 91 ff.; Lit. bei Bohacek 308 Fn. 3. 100 Gai 2. 144; Kaser I § 16311 1. 98

/I. Testamentum incisum

185

der bpst 10 1. Damit war der Weg für die bp intestati des gesetzlichen Erben frei. Das Reskript hatte offensichtlich die Frage zu entscheiden, ob diese bpi cum re war, also der hereditatis petitio des zivilen Testamentserben standhielt. Trotz der Textlücke kann eine positive Entscheidung nicht zweifelhaft sein. Gaius ist nämlich noch den Beleg für seine Behauptung schuldig, daß iure facta testamenta nuda voluntate infirmentur (§ 151). Da er in § 151 lediglich ausfUhrt, daß der Widerrufswille, der sich jedenfalls in äußeren Handlungen manifestieren muß, zur Entkräftung des Testaments nicht ausreicht, muß er das zur Erzielung dieser Wirkung Erforderliche in § 15la gesagt haben: erst der Prätor verschafft dem manifestierten Widerrufswillen des Erblassers Geltung, indem er, angewiesen durch das Reskript, die hereditatis petitio der Testamentserben zurückweist. Nun erst ist das Testament injirmatum. Da der Erblasserwille das prätorische Eingreifen veranlaßte, konnte freilich vereinfachend gesagt werden:

testamenta nuda voluntate injirmentur.

Während über den Ausgang des Erbschaftsstreits zwischen Testaments- und Intestaterben Einigkeit herrscht, streitet man über die technische Abwicklung. Bohacek und Sanjilippo meinen, Pius habe die Klage des Testamentserben denegiert 1 02 , während sich die überwiegende Ansicht für die Hemmung der Klage durch eine exceptio doli ausspricht 103: der Streitpunkt ist indessen ohne praktisches Interesse: "nihil interest, ipso iure quis actionem non habeat an per excevtionem injirmetur,,1 04. Wenn der Kläger voluntatem testatoris non habetiOS, wird er in jedem Fall abgewiesen. Gleichwohl müssen wir der Frage zur Erhellung der rechtstheoretischen Bedeutung des Reskripts nachgehen. 101 Vip 39 ed D 37. 11.1.10;Kaser I § 16311 2. 102 Boha~ek 321 ff.;Sanfilippo 91 f. 103 David·Nelson 363 und alle gängigen Gaius-Ausgaben; vgl. im übrigen Suman 139; Lardone 687;Nardi 152; Voci 11 498; Kaser I § 163 Fn. 20. 104 Paul 8 ed D 50.17.112; zum mutmaßlichen Kontext s. Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klass.röm. Recht I (1918) 61. - Zur engen Verwandtschaft von denegatio actinnis und exceptio s. vor allem Metro, La ,denegatio actionis' (1972) 76 ff. 105 Vgl. Ulp 44 ed D 38.6.1.8: "Si heres institutus non habeat voluntatem. vel quia in·

cisae sunt tabu/oe vel quia cancel/otae vel quia alia ratinne voluntatem testator mutavit voluitque intestato decedere, dicendum est ab intestato rem habituros eos. qui bonorum possessinnem acceperunt." - Der Ausdruck non habere voluntatem

scheint technisch gebraucht, wenn der Erblasser sein Testament formlos - zivilrechtlieh ungültig - widerruft, vgl. Pap 16 quaest D 34.9.12 (dazu unten Fn. 134 ff.) und Vip 76 ed D 44.4.4.10 (dazu sofort im Text). Vgl. auch Bohacek 324 Fn. 74. Vel quia alia ratione - decedere ist sicher echt. Ratio ist hier mit ,Art und Weise' zu übersetzen (vgl. Heumann-Seckel s.v. ratio Nr. 6). Vlpian wollte damit pauschal andere Fälle formlosen, manifestierten Widerrufs erfassen, z.B. auch die in Gai 2.151 erwähnten Fälle der Testamentsvernichtung oder -verbrennung (vgl. Suman 179 f.). Anders Bohacek 327; Sanfilippo 133 f., 140 (itp.). Nardi 150 Fn. 5 weist, neben unwesentlichen Veränderungen, lediglich die Verallgemeinerung aZie ratione den Kompilatoren zu. - Die Aneinanderreihung verschiedener Fallgestaltungen erklärt, weshalb Ulpian bei der ersten Alternative auf die Erwähnung des Reskripts verzichtet und auch überhaupt nicht auf das prozessuale Prozedere eingeht.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Die herrschende Meinung kann sich auf ein wichtiges Zeugnis Ulpians stützen: Ulp 76 ed D 44.4.4.10 Praeterea sciendum est, si quis quid ex testamento contra voluntatem petat, exceptione eum doli mali repelli solere: et ideo heres, qui non habet voluntatem, per exceptionem doli repellitur. Es besteht keine Veranlassung, die exceptio doli im zweiten Teil des Textes mit Bohacek und Sanjilippo als einen ausschließlich gegen eine Prälegatsforderung des Erben ferichteten Rechtsbehelf zu interpretieren 106. Der palingenetische Kontext 10 gibt für die Annahme eines Prälegats nichts her; ein Rückschluß aus dem nachfolgenden § 11, bei dem ein Prälegat zur Debatte steht, ist nicht zulässig, da Ulpian ersichtlich von der allgemeinen Regel zum besonderen Fall schreitet.

Eine exceptio war auch elastischer zu handhaben. Gerade wenn, wie wohl regelmäßig, Streit darüber entstand, ob der Erblasser oder ein unbefugter Dritter die Urkunde zerstört hatte 108, wird der Prätor der Sache nicht selbst nachgegangen sein und gegebenenfalls die Klage denegiert haben, sondern die Prüfung der Tatsachenlage mittels exceptio dem iudex überlassen haben. Dies schließt nicht aus, daß der Prätor in besonderen Fällen, wenn die Tatsachen unstreitig oder leicht zu ermitteln waren, die Klage einfach denegierte 109. Ein starkes Argument für die exceptio doli ist schließlich die parallele Lösung in dem gerade umgekehrt liegenden und daher gut vergleichbaren Fall, daß ein Intestaterbe mit der hereditatis petitio gegen den prätorischen, im Erbschaftsbesitz befindlichen, Testamentserben contra voluntatem testatoris vorgeht. Wenn Pius dort, statt die Klage zu denegieren, die exceptio doli ge106 Bohacek 324; Sanfilippo 92. 107 Lenel, Pal. 11 E. 277, ordnet die Stelle, wie die Digesten, in den größeren Zusammenhang der exceptiones doli mali et metus ein. Voci 11 522 erkennt eine "generalizzazione compilatoria" ohne genauen Bezug. Nardi 153 ff. weist die Stelle als justinianische Maxime zurück. Dazu besteht kein Grund. 108 Die Frage, wer das Testament zerstört hatte, war für die Beurteilung des Erblasserwillens natürlich entscheidungserheblich, vgl. nur VIp 39 ed D 37.11.1.10. Ihre Relevanz für die Erteilung der bpst leugnen Bohacek 313 ff. und Sanfilippo 125 f., 138 ff. Eine klassische Kontroverse ist nicht auszuschließen: vgl. C 6.23.30 (a. 531) undKaser I § 163 Fn. 19 gegen Schindler, lustinians Haltung zur Klassik (1966) 225 ff. Wenn nicht bei der Erteilung der bp, so doch jedenfalls bei einem nachfolgenden Erbschaftsstreit, war die Prüfung des Problems unerläßlich. 109 Zum Verhältnis von denegatio actionis und exceptio und zu möglichen Überschneidungen ihrer Anwendungsbereiche s. Metro, La ,denegatio actionis' (1972) 76 ff., 81 ff. Denegari actiones in VIp 15 Sab D 28.4.1.3 und 4 disp D 28.4.2 (dazu Sanfilippo 91 f.) könnte auf eine gewisse Flexibilität und Austauschbarkeit beider Institute deuten, obschon die Beobachtung Metros (238 ff.), der Ausdruck denegatio actionis habe im Kognitionsprozeß seine technische Bedeutung als festumrissenes Prozeßinstitut eingebüßt und fortan die Versagung von Rechtsschutz generell als zweite, untechnische Bedeutungsebene in sich aufgenommen (ausführliches Quellenverzeichnis 242 Fn. 148, 243 Fn. 149), Beachtung verdient.

II. Testamentum incisum

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währt 11 0, kann bei einer rechtstheoretisch-systematischen Betrachtungsweise die Lösung hier keine andere gewesen sein. Beide Kläger berufen sich im Grunde, ob unter positivem oder negativem Aspekt, auf die Form des zivilen Testaments; beide werden mit der exceptio doli abgewiesen, weil sie die Einhaltung und Befolgung der Formgebote über den Willen des Erblassers stellen. Nach alldem scheint uns die Gewährung einer exceptio gesichert. Die vergleichende Betrachtung mit Gai 2.120, 149a entkräftet auch die bisweilen geäußerte Vermutung, der Prätor habe bis zum Erlaß des Reskripts die exceptio doli gewährt; das Reskript habe die Exzeptionslösung also nicht begründet, sondern geradezu abgeschafft und durch eine neue Lösung, die Gaius im ausgefallenen Teil von 2.151 a vorgeführt habe, ersetzt 111 . Dies führt zu der interessanteren und wesentlich diffizileren Frage, ob das Reskript n e ben der exceptio (nicht statt der exceptio )112 noch eine weitere Anordnung enthielt. Überlegungen in dieser Richtung sind durchaus angebracht; immerhin umfaßt die Textlücke 2 1/3 Zeilen oder ca. 85 Buchstaben l13 , die durch eine der bisherigen Beobachtung korrespondierende Ergänzung, wie z.B. per exceptionem doli mali repellitur, nicht auszuftillen sind. Nardi 114 ftillt die Lücke in Anlehnung an Ulp 44 ed D 38.6.1.8 115 wie folgt: petat hereditatem, perveniat hereditas. Diese Rekonstruktion ist mehr als unwahrscheinlich. Mag die ausschweifende Wiederholung heres, qui voluntatem non habet als Erklärung des qui ex eo testamento heres est notfalls noch angehen 116, so ist der Schluß ab ita ut ganz unverständlich. Da der Intestaterbe bereits im Besitz der Erbschaft ist, kann die - hier untechnisch verstandene - hereditas nicht erst künftig als Folge der erfolgreichen exceptio doli an ihn gelangenil 7. Sumans l18 Ergänzung trifft dieser Vorwurf nicht, doch ist diese im Umfang zu knapp, im Inhalt im Vergleich zu Gai 2.120, 149a zu belehrend. Huschkes Teubnerausgabe hat: . Mit dem auf den Eintritt der Intestaterbfolge gerichteten Erblasserwillen und der Frage seines Beweises werden zwei Punkte hervorgeho-

110 Gai 2.120, 149a (oben Nr. 19 a,b). 111 So Bohacek 325 (neue Lösung: denegatio actionis); Voci 11 493 Indignität des Testamentserben). 112 S. soeben Fn. 111. 113 David-Nelson 363. Nardi 153.

114 115 116 117

f.

(neue Lösung:

S. oben Fn. 105. Kritisch hierzu freilich David-Nelson 364. Wenn Gaius auf die Erstarkung der bp zur bp cum re hätte abheben wollen, hätte er sich anders ausgedrückt (vgJ. z.B. Gai 2.148).

118 Suman 142.

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

ben, die in dem breiten Spektrum der Fälle formlosen Widerrufs sicher von Bedeutung waren 119. Doch sehen wir nicht, wie bei den von Gaius behandelten Fällen des Siegelbruchs (vermutlich Gegenstand des Reskripts), der Testamentszerstörung und -verbrennung der zuvörderst auf ein Ungültigwerden des Testaments ausgerichtete Wille des Erblassers (testator id = testamentum noluerit valere) typischerweise hätte anders interpretiert werden können: wenn man seinen Willen beachtete, war die Intestaterbfolge von Rechts wegen die unausweichliche Alternative l20 . Das wird nicht immer gesehen. Viel Verwirrung hat dabei ein berühmtes Protokoll über eine Sitzung des Kaisergerichts aus dem Jahre 166 hervorgerufen. Gegen die Mehrheit seines Konsiliums ordnete Mark Aurel 121 die Aufrechterhaltung der ausgesetzten Legate an, als ein Erblasser sein ordnungsgemäß errichtetes Testament aufgerissen und die Namen der eingesetzten Erben durchgestrichen hatte. Protokoll und Entscheidung sind nebst einem einleitenden Referat bei Marcell überliefert, der als Konsiliar selbst an der Verhandlung teilgenommen hatte. Wir drucken die Stelle ganz ab, da Markus bei seiner Entscheidung auf eine Konstitution seines Vorgängers Pius Bezug nimmt: 23b. Marcell 29 dig D 28.4.3pr. Proxime in eognitione principis eum quidam heredum nomina induxisset et bona eius ut eaduea a fiseo vindicarentur, diu de legatis dubitatum est et maxime de his legatis, quae adseripta erant his, quorum institutio fuerat induetao plerique etiam legat arios excludendos existimabant. quod sane sequendum aiebam, si omnem seripturam testamenti eaneellasset: nonnullos opinari id iure ipso peremi quod induetum sit, eetera omnia valitura. quid ergo? non et illud interdum eredi potest eum, qui heredum nomina induxerat, satis se eonseeuturum putasse, ut intestati exitum faeeret? sed in re dubia be119 Vgl. nur VIp 44 ed D 38.6.1.8 (oben Fn. 105); Paul-Pap 6 resp D 28.4.4. 120 Gegen Huschke (Teubnerausgabe ad h.l.) S. auch Nardi 153 Fn. 1. - In VIp 44 ed D 38.6.1.8 (oben Fn. 105) gehört voluitque intestato decedere offensichtlich ni c h t zu den benannten Fällen (tabulae incisae vel cancellatae), sondern als nähere Erklärung zu dem generellen Tatbestand (oben Fn. 105) vel quia alia ratione voluntatem testator mutavit. In der Paulus-Note zu Pap 6 resp D 28.4.4 bedingt die Besonderheit des Papinianischen Sachverhalts - der Erblasser hatte von mehreren Exemplaren eines Testaments nur einige vernichtet, was nach der Entscheidung des Juristen die Wirksamkeit des Testaments unberührt ließ - die besondere Herausstellung des Willens, ab intestato beerbt zu werden (',Paulus notat: sed si, ut intestatus moreretur, incidit tabulas et hoc adprobaverint hi qui ab intestato venire desiderant, scriptis avocabitur hereditas. "); die Beweislastregelung verdächtigen: Suman 181; Bohacek 327 Fn. 85;Nardi 148 f. Fn. 4;Sanjilippo 95 ff., 97 Fn. 4;vgl. auch Ind. 121 Bisweilen wird versehentlich Pius als Gerichtsherr bezeichnet, so von Impallomeni, Le manomissioni mortis causa (1963) 194; Palazzolo, Potere imperiale (1974) 65; Dieter Nörr, Rechtskritik in der römischen Antike (1974) 115, richtig aber 84 Fn. 7 und 126 Fn. 31; Volterra, 11 problema deI testo delle costituzioni imperiali, Atti 11 congr.int.Soc.Ital. di storia deI diritto 2 (1971) 992.-Buckland, The Roman Law of Slavery (1908) 611 verwechselt Mark Aurel mit Caracalla.

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nigniorem interpretationem sequi non minus iustius est quam tutius. Sententia imperatoris Antonini Augusti Pud ente et Pollione consulibus. "Cum Valerius Nepos mutata voluntate et inciderit testamentum suum et heredum nomina induxerit, hereditas eius secundum d iv i p a tri s m ei c 0 n s t i tut ion e m ad eos qui scripti fuerint pertinere non videtur." et advocatis fisci dixit: "Vos habetis iudices vestros." Vibius Zeno dixit: "Rogo, domine imperator, audias me patienter: de legatis quid statues?" Antoninus Caesar dixit: "Videtur tibi voluisse testamentum valere, qui nomina heredum induxit?" Cornelius Priscianus advocatus [Leonis] dixit: "Nomina heredum tantum induxit." Calpurnius Longinus advocatus fisci dixit: "Non potest ullum testamentum valere, quod heredem non habet." Priscianus dixit: "Manumisit quosdam et legata dedit." Antoninus Caesar remotis omnibus cum deliberasset et admitti rursus eodem iussisset, dixit: "Causa praesens admittere videtur humaniorem interpretationem, . . N epotem unta . . esse vo 1Ulsse, . . d UXl't 12 2 " ut ea d umtaxat eXlstlmemus quae m Marcells einleitender Bericht (proxime - tutius), von der Interpolationenforschung mit Kritik überzogen 123, ist im wesentlichen, das anschließende Protokoll, welches alle Charakteristika der in papyrologischen oder literarischen Quellen tradierten Protokolle aufweist l24 , vollkommen authentisch 125. 122 Pal. 263. Lit.: Zur Protokollnatur: Schulz, RRW 181 und Fn. 2; Volterra (oben Fn. 121) 992 f. - Zur Diskussion im Konsilium: grundlegend Kunkel, Die Funktion des Konsiliums in der magistratischen Strafjustiz und im Kaisergericht II, SZ 85 (1968) 253 ff. (302 ff., 326 ff.);außerdem Gualandi 11 129 und Fn. 23 ff.;Palazzolo, Potere imperiale (1974) 62. - Zum Verfahren: Litewski, RIDA 15 (1968) 232 f. - Auswahl aus der reichen Lit. zum Inhalt: P. Krüger, Kritische Versuche im Gebiete des röm. Rechts (1870) 10 f.; Schirmer, SZ 7 I (1886) 9 ff.;Suman, ,Favor testamenti' e ,voluntas testantium' (916) 168 ff.;Boha~ek, St. Bonfante 4 (1930) 318 ff.;Bonfante VI 353 f.; Sanfilippo, Studi sull'hereditas I, APal. 17 (1937) 89 ff., 170 ff.;Nardi, I casi di indegnita nel diritto successorio romano (937) 23 f., 132 Fn. 4, 142, 161 ff., 277 f., 298 ff.; Solazzi, Attorno ai ,caduca' (1942) 75 f., 159 ff.;Fadda, DER I 299 f.;Biondi, Succ. 168 ff.; Gualandill 146, 148;Provera, La vindicatio caducorum (1964) 116 Fn. 14; Wubbe, Benignus redivivus, Symb. David 1 (1968) 237 ff. (242 ff.); Kaser I § 178 II; Wieling, Testamentsauslegung im röm. Recht (1972) 144 f.; Palazzolo, Potere imperiale (1974) 65; Seiler, Fs. Kaser (1978) 134. 123 S. nur Ind. 124 Volterra (oben Fn. 121) 992 mit Quellen Fn. 57. 125 Wir beschränken uns auf wenige Bemerkungen und Nachweise: (I) Et maxime - inducta ist weder justinianisch (Nardi 161 Fn. 2) noch Glosse (Solazzi 159 Fn. 3): die Qualität der durchgestrichenen Erben als gleichzeitige Prälegatare ist zweifellos eine besondere Delikatesse des Falles; von Prälegaten berichtet auch Pap 16 quaest D 34.9.12, als er das nämliche Dekret Mark Aurels referiert (unten Fn. 134). Sanfilippo erfaßt das Problem des Prälegats nicht, da er adscribere anscheinend als Belastung mit einem Legat versteht (89). (11) Die Passage plerique - faceret stellt die verschiedenen im Konsilium erwogenen Lösungsmöglichkeiten vor; bis auf ipso iure, dem flir das klass. Recht kaum ein vernünftiger Sinn abzugewinnen ist, ist jedes Wort notwendig (vgl. Nardi 140 Fn. 4;anders Sanfilippo 89 f.; Voci 11 500; doch s. auch Krüger 9). (111) Sed in re dubÜl - tutius ist in D 50.17.192.1 von den Kompilatoren als allgemeine Maxime isoliert und schon deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit marcellinisch (Berger, In dubiis benigniora, ACIV 2 (1951) 197 ff.; Verrey, Legesgeminatae adeux

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

Das Protokoll beginnt mit der Entscheidung des Kaisers über die Gültigkeit der Erbeinsetzung, die nach herkömmlichem Recht die Wirksamkeit der Legate präjudiziert. Markus weist die eingesetzten Erben, ohne sein Konsilium zu befragen, kurz und bündig zurück. Dem knappen Tatbestand (curn Valerius Nepos - induxerit) folgt eine ebenso knappe Entscheidung, die ohne Begründung, allein unter Verweis auf eine Konstitution des Pius, ergeht. Man gewinnt den Eindruck, als subsumiere der Kaiser unter eine Rechtsnorm. Aufgrund der Ähnlichkeit der Tatbestände identifiziert eine starke Meinung in der Literatur die zitierte Konstitution des Pius mit dem bei Gai 2.151 a angeführten Reskript 126. Nardi und Biondi sprechen sich dagegen aus 1 2 7 . Wir gehen der Sache auf den Grund. Der Wortlaut der Entscheidung (hereditas eius secundum divi patris rnei constitutionern ad eos qui scripti fuerint pertinere non videtur) läßt alle Möglichkeiten offen. Die Fälle differieren zwar insofern, als dort der Testamentserbe einem Intestaterben, hier dagegen dem Fiskus gegenübersteht, und dort der Testamentserbe als Kläger mit der hereditatis petitio abgewiesen wird, hier dagegen, selbst im Erbschaftsbesitz, als Beklagter der Herausgabeklage des Fiskus unterliegt l28 . Diese Unterschiede stehen einer Kongruenz der Entscheidungen aber nicht entgegen, wenn Markus' Verweisung allein auf die ratio decidendi der Pius-Konstitution abzielt. Sieht man die ratio des Reskripts in Gai 2.151a darin, daß der heres institutus, dessen Einsetzung nicht mehr vom Willen des Erblassers gedeckt ist, auch nichts erben dürfe, ergibt sich in der Tat ein tragfähiges Präjudiz, auf das Markus bei der Entscheidung seines Falls mit Recht verweisen durfte. Freilich bedürfte es zusätzlich einer befriedigenden Erklärung dafür, weshalb das Verhalten des Erblassers dort den Intestaterben, hier aber den Fiskus begünstigt. auteurs et compilation du Digeste (1973) 87, 107). Im übrigen entspricht Marcells Bezeichnung benigniora interpretatio Mark Aurels hunumior interpretatio, vgl. Berger 196; Wubbe 244; Hausmaninger, St. Grosso 5 (1972) 258. Humaniorinterpretatio ist als Entscheidungsmotiv der Kaiser seit Hadrian nachgewiesen: BGU I 140 = FIRA I Nr. 78 (Epistula Hadriani de bonorum possessione liberis militum danda, a. 119), vgl. MeinJuzrt, TR 33 (1965) 260 ff.; Wubbe 245 Fn. 3; anders noch Pringsheim, SZ 42 (1921) 661. - Zum Begriff der humanitas s. bereits oben § 3 Fn. 31. 126 Oben Nr. 23a. S. Karlowa, Röm. Rechtsgeschichte I (1885) 727; Fitting 56; Bohacek 318 Fn. 41;Sanfilippo 91;Gualondill 33,177. 127 Nardi 152 Fn. 4;Biondi, Succ. 170 Fn. 3. 128 Markus entscheidet, wie man heute sagen würde, nur über den Grund des Anspruchs; wegen des Umfangs verweist er den Streit an die zuständigen Richter: ..et advocatis fisci dixit: ,vos habetis iudices vestros'." Vgl. Pap 16 quaest D 34.9.12 (unten Fn. 134): " ... causam enim ad praefectos aerarii misit ... ". Die Aerarpräfekten waren die erstinstanzlichen Richter in Fiskalsachen in Rom, s. Corbier, L'aerarium Saturni et I'aerarium militare (1974) 689 ff.; im einzelnen besteht viel Streit, s. zuletzt Spagnuolo Vigorita, ,Bona caduca' e giurisdizione procuratoria agli inizi dei terze secolD d.C., Labeo 24 (1978) 149 ff. Die Verweisung des Prozesses schließt nicht aus, daß der Kaiser im Berufungsverfahren entscheidet: so l.B. Nardi, 317 Fn. 2, der freilich ein Urteil des Kaisers üCer die Wirksamkeit der Erbeinsetzung abstreitet; Litewski, RIDA 15 (1968) 232; anders Volterra (oben Fn. 121) 993.

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Häufig wird gelehrt, in Mark Aurels Fall habe der Nachlaß keinen Intestaterben gefunden und sei daher als bona vacantia nach der lex lulia caducaria dem Aerar anheimgefallen 1 2 9 . 'Di~se Auffassung hält einer kritischen Überprüfung aber nicht stand. Erstens bleibt der Erbe, dessen Einsetzung gestrichen ist, ziviler Erbe l30 . Die Argumentation des advocatus jisci "non potest ullum testamentum valere, quod heredem non habet" ist sophistisch und soll, gemünzt auf die Legate und Freilassungen, den Interessen des von ihm vertretenen Fiskus dienen 131 . An Erbschaftsbesitz und Erbschaftserwerb der eingesetzten Erben besteht kein Zweifel 132 ; erst dadurch wird ihre Passivlegitimation, werden die Erwerbschancen der Legatare begründet, Hat die Erbschaft aber einen Erben gefunden, ist Kaduzität wegen Vakanz ausgeschlossen. Der Einwand, das Pius-Reskript erkenne den Testamentserben materiell gerade nicht als Erben an, so daß man von seiner Existenz absehen müsse, mithin bei Desinteresse oder Fehlen der Intestaterben die Erbschaft doch vakant sei 133, verkennt die tatsächliche und rechtliche Situation des Testamentserben in dem von Markus zu entscheidenden Fall. Die Tilgung der Erbeinsetzung läßt die Erwerbsfahigkeit unberührt; der einmal wirksam vollzogene Erbschaftserwerb kann nicht über ein materielles Vakanzverständnis wieder rückgängig gemacht werden. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Erbschaft nicht aufgrund anderer Prinzipien an die Intestaterben oder den Fiskus herauszugeben ist. Zweitens war die Intestaterbfolge offensichtlich eine ernstzunehmende AIternativlösung. Man machte sich nämlich im Konsilium über sie Gedanken (non et illud - [aceret?), wenngleich einzuräumen ist, daß es dabei wohl weniger um den Erben als um das Schicksal der Legate ging. Drittens schließlich streitet eine Doppelüberlieferung des Dekrets klar gegen eine Annahme von Vakanz und gibt zugleich den entscheidenden Hinweis auf das obwaltende Prinzip: Pap 16 quaest D 34.9.12 eum quidam scripsisset heredes quos instituere non potuerat, quamvis institutio non valeret neque superius testamenturn ruptum esset, heredibus tarnen ut indignis, qui non habuerunt supremam voluntatem, abstulit iam pridem senatus hereditatern. quod divus Marcus in eius persona iudicavit, cuius nomen peracto testamento testator induxerat: causa m enim ad praefectos aerarii misit: verum ab eo legata relicta salva manserunt. de praecep129 So Krüger 8 ff.;De Francisci, BuH, 27 (1914) 15; Barbieri, Filang, 40 (1915) 9 ff.; Bohacek 320 ff.;Sanfilippo 171 Fn. 2, 173 ff, VgJ. auch UE 28,7, 130 S. oben Fn. 99. 131 Suman 173 Fn. 1 ;Nardi 164 f. Fn. 3 ;Solazzi 161 f. ; Fadda, DER I 299. 132 Solazzis Bedenken (161) sind unbegründet. 133 Bohacek 321, 327; Sanfilippo 174 f., beide auf der Grundlage des denegatio-Konzepts (oben Fn. 102),

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§ 7. Erbschaftsstreit zwischen Erbprätendenten

tionibus eidern datis voluntatis erit quaestio: et legatum ei non denegabitur, nisi hoc evidenter testatorem voluisse appareat 134 Hiernach sah man den Erben, dessen Einsetzung durchgestrichen war, als indignus an. Dies ergibt sich indirekt aus quod, mit dem Papinian die Rechtsfolge des ersten Falles wieder aufgreift (heredibus ... ut indignis ... senatus hereditatem). Bohacek 135 stört sich, wie Mommsen, an der Wortstellung, verändert sie aber nicht wie dieser 13 6 , sondern tilgt ut indignis. Das ist willkürlich. Unter Beibehaltung der Wortstellung wird der Relativsatz als kausaler Adjektivsatz zu ut indignis zu verstehen sein 13 7 Mithin hatte die Kaduzität ihren Grund in der Erbunwürdigkeit des heres inductus 13 8. Unsere Problemstellung spitzt sich auf die Frage zu, weshalb Pius zur Intestaterbfolge, Markus dagegen zur Indignität gelangte. Zunächst ist ohne weiteres einleuchtend, daß die Rechtsfolge der Indignität keine Neuschöpfung Mark Aurels sein kann. Wäre es so, hätte der Kaiser die Rechtsänderung in seinem Dekret gebührend hervorgehoben. Statt dessen bezieht er sich zur Begründung seiner Entscheidung auf die Konstitution des Pius. Mithin war die Indignität bereits in jener Konstitution angeordnet; sehr wahrscheinlich wurde sie darin eingeführt. Wenn die Konstitution aber mit dem Reskript in Gai 2.l51a identisch ist, muß der Indignitätsfall in der Textlücke wiedergegeben worden sein. Das Reskript hätte dann die Indignität, neben der durch die exceptio geschützten Intestaterbfolge, als alternative Rechtsfolge vorgesehen. Der Ausgangsfall der Papinianstelle D 34.9.12 zeigt, daß Pius die ratio seiner Entscheidung, den heres, dessen Einsetzung nicht mehr vom Willen des Erblassers gedeckt ist, von der Erbschaft auszuschalten, durchaus mit der Rechtsfigur der Indignität assoziieren konnte. Wenn Papinian, was anzunehmen ist, chronologisch vorgeht, ist das von ihm zitierte, sonst unbekannte Sc., dessen Verhältnis zur Gegenwart Papinian mit iam pridem angibt, vor das De-

134 Lit.: Krüger 9 tI.; Bohafek 319 f.; Sanfilippo 84 ff.; Nardi 156 ff., 277 f.; Provera 115 f. 135 Bohacek 320; ihm folgend Sanfilippo 86; gegen ihn Nardi 157 ff. 136 Mommsen, Dig. ad h.l.: tamen ut indignis heredibus. l37 Vgl. Nardi 157. Das kausale Gedankenverhältnis wird zwar überwiegend durch den Konjunktiv ausgedrückt, doch ist auch der Indikativ möglich: Kühner-Stegmann, AusfUhr!. Grammatik der lat. Sprache 2 (1962 4 ) § 194,3 Anm. 2 (S. 293). l38 Das ist die heute herrschende Meinun~: vgl. Suman 171 ff.;Nardi 142,161 ff.;SoTozzi 75 und Fn. I;Biondi, Succ. 168 ff.; Voci II 494, 501 Fn. 37;Provera 115 f.; Kaser I § 178 II; Seiler, Fs. Kaser (1978) 134; ältere Lit. bei Sanfilippo 86 Fn. 1. Die Streitfrage, entbrannt an der Formulierung bona eius u t ca duc a 11 fisco vindicantur, ob bei Indignität die bona als kaduk qualifiziert (so SoTozzi 75 ;Provera 139) oder lediglich mit solchen verglichen und analog behandelt werden (so Nardi 23 f. und Fn. 5), mag hier dahingestellt bleiben.

II. Testamentum incisum

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kret Mark Aurels, also unter Pius oder noch früher, zu datieren. Es ordnete die Indignität der zivilen Testamentserben an, wenn der Erblasser später ein neues Testament errichtet hatte, dieses aber sowohl nach zivilem als auch nach prätorischem Recht unwirksam war, weil den neuen Erben die testamenti factio passiva fehlte 13 9. Der kausale Adjektivsatz 140 qui non habuerunt supremam voluntatem bezeichnet als Grund der Indignität genau jene ratio, welche so oft in den Quellen beim formlosen Widerruf des Testaments begegnet 141 und auch dem Reskript des Kaisers Pius zugrunde liegt. Wahrscheinlich geht die Maxime auf das SC. zurück, in dem wir folglich einen, wenn nicht den Grundstein der Lehre vom formlosen Widerruf der Testamente sehen dürfen. Gleichzeitig führte das Sc. einen neuen Indignitätsgrund ein. Da die Indignität unter Pius durch Schaffung zahlreicher Indignitätstatbestände eine erste große Blüte erreichte 142 , darf das SC. mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Pius angesetzt werden 143 . Jedenfalls aber hat das Pius-Reskript in Gai 2.l5la den Grundgedanken des Sc. zur Anwendung gebracht oder fortentwickelt. Dabei war eine Auseinandersetzung mit der Rechtsfolge der Indignität, etwa in Form einer Abgrenzung, wann Intestaterbfolge und wann Indignität eintreten sollte, unvermeidlich. Kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Indignität war sicherlich der gegen den Willen des Erblassers vollzogene Erbschaftserwerb des eingesetzten Erben. Wenn vor dem Erwerb die Intestaterbfolge, nach dem Erwerb die Kaduzität Platz gegriffen hätte, wäre das Schicksal der Erbschaft von dem rein zuf:Hligen Wettlauf der Prätendenten abhängig gewesen: ein gewiß untragbares Ergebnis 144 Eine Priorität der Intestaterbfolge vor der Indignität in dem Sinne, daß die bp intestati der gesetzlichen Erben das Recht des Fiskus ausschlösse 145 , ist nirgends belegt; sie setzte bei dem von Markus zu entscheidenden Fall das Desinteresse der Intestaterben voraus. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern wäre auch systematisch äußerst fragwürdig 146 . Denn die Festlegung auf die 139 140 141 142 143 144

145 146

Zur Fähigkeit, als Erbe eingesetzt werden zu können, s. Kaser I § 161 IV. S. oben Fn. 137. S. oben Fn. 105. Vgl. vorläufig die Übersichten bei Nardi 275 ff.; Voci I 466 ff.;Kaser I § 17811. Ausführlich unten § 9. So Voci I 475; Kaser I § 163 Fn. 15. Nach Nardi 278 könne iam prüfem, von Papinians Warte aus gesprochen, durchaus auch einen nöch früheren Zeitpunkt bezeichnen. Daher sind alle Formulierungen mißverständlich, die den Eindruck erwecken könnten, erst der Erb s c h a f t s e r wer b gegen den Willen des Erblassers fUhre hier zur Indignität; bedenklich daher Kaser I § 17811, § 163112; richtig Nardi 304,306, der auf den Zeitpunkt der Delation abhebt, und Solozzi 161 f. So Boha'Cek 327 und Sanfilippo 174, allerdings auf der Basis der Kaduzität wegen Vakanz (oben Fn. 129); offensichtlich auch Bonfante VI 417. Deshalb ist auch Krügers Rekonstruktion von Gai 2.151a (