Disposition über den Instanzenzug im Zivilprozess [1 ed.] 9783428588213, 9783428188215

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Disposition über den Instanzenzug im Zivilprozess [1 ed.]
 9783428588213, 9783428188215

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Schriften zum Prozessrecht Band 288

Disposition über den Instanzenzug im Zivilprozess Von

Maike Dickmann

Duncker & Humblot · Berlin

MAIKE DICKMANN

Disposition über den Instanzenzug im Zivilprozess

Schriften zum Prozessrecht Band 288

Disposition über den Instanzenzug im Zivilprozess Von

Maike Dickmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18821-5 (Print) ISBN 978-3-428-58821-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Anfang August 2022 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem geschätzten Doktorvater Prof. Dr. Christoph A. Kern, LL.M. (Harvard) für die Anregung zu diesem spannenden und facettenreichen Thema und für das offene Ohr und die hilfreichen Anmerkungen während der Entstehungsphase dieser Arbeit. Prof. Dr. Matthias Siegmann danke ich für sein reges Interesse am Thema dieser Arbeit und für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus gebührt Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer mein Dank für die Übernahme des Vorsitzes im Rahmen meiner Disputation. Außerdem gebührt mein Dank all denjenigen, die mich auf dem Weg der Erstellung dieser Arbeit begleitet und auf unterschiedlichste Weise unterstützt haben. An erster Stelle möchte ich meinem Mann Yu-Chen, meinen Eltern Harald und Susanne sowie meiner Schwester Ina für ihre bedingungslose Unterstützung von ganzem Herzen Danke sagen. Ihr seid es, die mich zu der Person gemacht haben, die diese Arbeit schreiben konnte. Ohne eure Unterstützung, nicht nur während der Promotionsphase, sondern bereits während des Studiums und auch sonst in jeder Lebenslage, hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Euch sei die Arbeit gewidmet. Besonderer Dank gilt auch Frau Stella König, Frau Dr. Anne Kristin Krafft und Frau Melanie Schubert für die schnelle und tatkräftige Unterstützung beim Korrekturlesen, vor allem aber für die vielen schönen gemeinsamen Jahre des Studiums und der Freundschaft. München, im Herbst 2022

Maike Dickmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erstes Kapitel Historische Entwicklung und Bedeutung der Rechtsmittelverfahren und der Parteidisposition im Zivilprozess A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgestaltung von zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren in Vergangenheit und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Altrömische Periode und Zeit der römischen Republik . . . . . . . . . . . . b) Prinzipatszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die nachklassische Zeit und die justinianischen Kodifikationen . . . . 2. Prozessrecht im germanisch-deutschen Rechtskreis bis zum 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsmittel im kanonischen Recht der Antike und des Mittelalters . . . 4. Rechtsmittelrecht im Alten Reich seit der Reichskammergerichtsordnung 1495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vom Ende des Alten Reichs bis zu den Reichsjustizgesetzen 1877 . . . . . 6. Die Civilprozeßordnung von 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Entwicklungslinien des Rechtsmittelrechts nach Inkrafttreten der einheitlichen Prozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die ZPO-Reform von 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Aktuelle Entwicklungen bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgabe und Funktion des Zivilprozesses im Allgemeinen und der Rechtsmittelverfahren im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung zur Diskussion um den Prozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Feststellung und Durchsetzung subjektiver Privatrechte . . . . . . . . . . . b) Bewährung des objektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Auffassungen zum Prozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis d) Stellungnahme zur Prozesszwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwecke der Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlerkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtseinheit und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualrechtsschutz durch Herbeiführung einer (erneuten) autoritativen Streitentscheidung über einen konkreten Streitgegenstand . . . d) Primärzweck der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Disposition über den Instanzenzug und Gesamtrechtsordnung – Rahmenbedingungen aufgrund der Verfassung, der EMRK und sonstiger relevanter Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subjektives Recht auf einen Instanzenzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parteiherrschaft im Zivilprozess und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . 2. Europarecht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Parteidisposition im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Dispositionsmaxime und die Disposition über prozessuale Regeln . . . . . 1. Die Dispositionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Disposition über den Anfang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Disposition über den Gegenstand des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Disposition über Ende des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einseitige Prozessbeendigung durch den Kläger . . . . . . . . . . . . . . bb) Einseitige Prozessbeendigung durch den Beklagten . . . . . . . . . . . cc) Einvernehmliche Prozessbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Disposition über prozessuale Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zulässigkeit von Prozessverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Grundlagen des Prozessvertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschriebene Regeln: die Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Liberalität der Regeln zur objektiven Schiedsfähigkeit . . . . . (2) Grenzen der objektiven Schiedsfähigkeit im Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subjektive Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Beschränkungen der Dispositionsfreiheit der Parteien im Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Instanzenzug im Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ungeschriebene Regeln zur Zulässigkeit von Prozessverträgen . . . . . . . . a) Dispositives und zwingendes Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis zwischen zwingendem materiellem Recht und prozessualer Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Herstellung von Vertragsgerechtigkeit im Prozessvertragsrecht . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweites Kapitel Parteidisposition über den Instanzenzug A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorzüge des Instanzenzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung von Richtermacht und Kontrolle richterlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherung der Verfahrensintegrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bürgernähe der Justiz und Akzeptanz staatlicher Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Effiziente Ressourcenallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kehrseiten des Instanzenzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lange Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kostenbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mangel an Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Antinomie von Partei- und Allgemeininteressen in Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parteiherrschaft und rechtsfortbildende Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Individualinteresse an der Verhinderung negativer Präjudizien . . b) Die Implikationen der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht und des Primats der gütlichen Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung von Präjudizien für den Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtseinheit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fortentwicklung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Effizienzsteigerung und Arbeitseinsparung innerhalb der Justiz d) Reformvorschläge zur Vereinbarkeit von Parteiherrschaft und Präjudizienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Begrenzung der Kommunikation zwischen Parteien und Gericht bb) Publikation von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtseinschätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ansätze Hergenröders: Veröffentlichung von obiter dicta . . . . . . . dd) Ansätze Hergenröders: Verhinderung eines negativen Präjudizes als prozessuale Arglist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vorschlag Hodzˇic´s: Verfahrensbeteiligung eines objektiven Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Normbildung trotz Wegfalls des Entscheidungsinteresses der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Anregung Limpergs: Musterfeststellungsantrag im Revisionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parteiherrschaft und Zugang zur Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwecke der Regulierung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz . . . . . . aa) Generelle Ziele von Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regulierung des Geschäftsanfalls bei den Rechtsmittelgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ressourcenverteilung und -einsparung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Modalitätsspezifische Ziele von Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wertgrenze als Filter für Bagatellfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulassungsgründe als der Erreichung von Rechtsmittelzwecken dienende Regelungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelverfahren im Parteiinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkungen des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . aa) Ausschluss bzw. Abschaffung eines Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . bb) Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Difformität der vorinstanzlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . dd) Kombination einer allgemeinen Zulassungsrevision mit streitwertabhängigen Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Paradoxon einer Wertgrenze im zulassungsbasierten Revisionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde als Fremdkörper im Recht des Zugangs zur Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erfordernis einer Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zur Entlastung des Bundesgerichtshofs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reformdiskussionen um die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185 186 192 194 196 197 201 206 207 211 212 213 213 214 216 216 219 221 224 225 226 228 229 231 231 235 237

Inhaltsverzeichnis (1) Entlastung des Bundesgerichtshofs durch Regelungsinstrumente außerhalb des Wertkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anhebung der Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Dispositionsbefugnisse der Parteien über den Instanzenzug im Einzelfall . . . . . I. Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlicher Bedeutungsgehalt und Tragweite der Verzichtserklärung . . 2. Abgrenzung von anderen Dispositionsbefugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klageverzicht nach § 306 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materiell-rechtlicher Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkung der Rechtsmittelanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittelrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arten von Rechtsmittelverzichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsnatur des vertraglichen Rechtsmittelverzichts: Prozessvertrag oder Rechtsgeschäft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirksamkeit und Wirkungen von Rechtsmittelverzichten . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen der Zulässigkeit von Rechtsmittelverzichten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der antizipierte Rechtsmittelverzicht in der Zivilprozessordnung . . . b) Der antizipierte Verzicht auf die Beschwerde im Verfahren in Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einschränkungen der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im Interesse der verzichtenden Partei, des Prozessgegners oder der Allgemeinheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sonstige Erscheinungsformen des Verzichts auf Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung durch Einlegung der Sprungrevision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsmittelrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen des Rechtsinstituts der Rechtsmittelrücknahme . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Zulässigkeit der Rechtsmittelrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Ausgestaltung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gestaltungsspielraum de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Klageanerkenntnis in der Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Notwendigkeit und Möglichkeit der Reform der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz und des Instituts des Instanzenzugs

A. Mikroebene: Disposition über eine Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Optionen und Grenzen einer Reform der Ausgestaltung von Dispositionsbefugnissen über eine Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkrete Gestaltungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit der Beschränkung der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im öffentlichen Interesse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs als ein Element der Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abschaffung des Instanzenzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verkürzung des Instanzenzugs durch Abschaffung der zweiten Tatsacheninstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschränkung des Instanzenzugs im Bereich niedriger Streitwerte . . . . . . . . IV. Verkürzung des Instanzenzugs im Bereich hoher Streitwerte . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage: geringe Attraktivität der staatlichen Justiz für großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorschlag der fakultativen Verkürzung des Instanzenzugs . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele für die Verkürzung von Instanzenzügen in zivilrechtlichen Streitigkeiten und in anderen Gerichtszweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausgestaltung des Instanzenzugs in Commercial Courts ausländischer Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung des Vorschlags eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307 307 307 309 310 315 316 319 322 328 329 331 332 336 340

Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. Abs. AcP a. F. AG AGB AGO AktG AK-ZPO AnwBl ArbGG Art. BaFin BAG BAGE BayObLG BayObLGZ BB BeckOGK BeckOK BeckRS Beschl. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHZ BMJV BPO BRAK-Mitteilungen

andere Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Amtsgericht/Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 Aktiengesetz Alternativkommentar zur Zivilprozeßordnung Anwaltsblatt Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Betriebsberater beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck’scher Online-Kommentare Beck-Rechtsprechung Beschluss Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (von Dezember 2013 bis Dezember 2021) Bürgerliche Proceßordnung für das Königreich Hannover von 1850 Bundesrechtsanwaltskammer-Mitteilungen

14 BR-Drs. BT-Drs. Bus. L.Today BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE bzw. C. CAD C.J.Q. CPO CR C. Th. C.T.L.R. D. DAR DDR DIS DNotZ DÖV DRiZ DStR DVBl DZWIR EGMR ELI EMRK ErfK Arbeitsrecht

EU EuR EuZW EwiR EWS FamFG FGG-ReformG FS GemS-OGB

Abkürzungsverzeichnis Drucksache des Deutschen Bundesrats Drucksache des Deutschen Bundestags Business Law Today Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Codex (Codex Iustiani); Causa (Decretum Gratiani) Canadian Dollar (Kanadische Dollar) Civil Justice Quarterly Civilprocessordnung (Sprachgebrauch bis 1903) Computer & Recht Codex Theodosianus Computer and Telecommunications Law Review Digesten Justinians (Pandekten) Deutsches Autorecht Deutsche Demokratische Republik Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Law Institute Europäische Menschenrechtskonvention Müller-Glöge, Rudi/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Aufl., München 2021 (zit. ErfK Arbeitsrecht/Bearbeiter) Europäische Union Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Festschrift Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe

Abkürzungsverzeichnis GG GKG GMP

GrCh GreifRecht Gruch. Beitr. GRUR GVG GVRZ Herv. d.Verf. Hong Kong L.J. Hrsg. Hs. I.C.C.L.R. I.C.L.Q. i. d. F. IJODR Int’l Bus. L.J. IPBürglR/IPBürgR i. S. d. IWRZ JA Jh. JÖR JR JURA JuS JW JZ Kap. KG KK-EMRK/GG

KritV KV LArbG LG

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Grundgesetz Gerichtskostengesetz Germelmann, Claas-Hinrich/Matthes, Hans-Christoph/Prütting, Hanns (Hrsg.), Arbeitsgerichtsgesetz – Kommentar, 9. Aufl., München 2017 (zit. GMP/Bearbeiter) Europäische Grundrechte-Charta Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft Gruchot’s Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht Hervorhebung durch die Verfasserin Hong Kong Law Journal Herausgeber Halbsatz International Company and Commercial Law Review International & Comparative Law Quarterly in der Form International Journal of Online Dispute Resolution International Business Law Journal Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Sinne des Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Juristische Ausbildungsblätter Jahrhundert Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Dörr, Oliver/Grote, Rainer/Marauhn, Thilo/Rupprecht, Stephanie (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2013 (zit. KK-EMRK/GG/Bearbeiter) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kostenverzeichnis Landesarbeitsgericht Landgericht

16 MAH PersGesR

MAH VersR MDR Melb. J. Int’l L. MHdB ArbR Bd. 4

MittBayNot MMR MünchKomm m.w. N. n. Chr. NJOZ NJW NJW-Editorial NJW-RR NVwZ NZBau NZFam NZM OLG Prot. RabelsZ RefE RG RGBl. RGZ RiW Rn. r+s RVG RW S. SchiedsVZ SGD SGG

Abkürzungsverzeichnis Gummert, Hans (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, 3. Aufl., München 2019 (zit. MAH PersGesR/Bearbeiter) Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl., München 2013 (zit. MAH VersR/Bearbeiter) Monatsschrift für Deutsches Recht Melbourne Journal of International Law Lunk, Stefan (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 4 Kollektives Arbeitsrecht II, Arbeitsgerichtsverfahren, 4. Aufl., München 2019 (zit. MHdB ArbR Bd. 4/Bearbeiter) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Multimedia und Recht Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen nach Christus Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift-Editorial Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Oberlandesgericht Protokoll Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Referentenentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Recht und Schaden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung Seite Zeitschrift für Schiedsverfahren Singapore Dollar (Singapur-Dollar) Sozialgerichtsgesetz

Abkürzungsverzeichnis SK-StPO

StPO SVR TOP u. a. UCLA UKlaG UmwG UNIDROIT Urt. USD v. Chr. VersR vgl. VuR VVG VW VwGO Willamette J. Int’l L. & Dis. Res. WuM WM X Y.B. ZfBR ZfPW zit. ZJS ZMR ZPO ZPO-RG ZRP ZVglRWiss ZWH ZZP ZZPInt

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Wolter, Jürgen (Hrsg.), Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, Bd. 10 – EMRK, 4. Aufl., Köln 2012 (zit. SK-StPO/Bearbeiter) Strafprozessordnung Blätter Straßenverkehrsrecht Tagesordnungspunkt unter anderem University of California Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz The International Institute for the Unification of Private Law Urteil US-Dollar vor Christus Versicherungsrecht vergleiche Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung Willamette Journal of International Law and Dispute Resolution Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wertpapiermitteilungen Liber Extra (Dekretalen Gregors IX.) Yearbook Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft zitiert als Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung (Sprachgebrauch seit 1903) ZPO-Reformgesetz Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht, Steuerstrafrecht und Unternehmensrecht Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

Einleitung I. Gegenstand der Untersuchung Civil justice in crisis – der Titel des über zwanzig Jahre alten Sammelwerks von Adrian A. S. Zuckerman1 hat kaum an Aktualität verloren. Das Phänomen der zunehmenden Privatisierung der Justiz führt zu einer der drängendsten rechtspolitischen Fragen der Gegenwart: Aus welchem Grund vermag es die staatliche Ziviljustiz in bestimmten Bereichen nicht, einen attraktiven, effektiven Zugang zum Recht zu gewährleisten? Im Herbst 2020 hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine Studie in Auftrag gegeben, um die Ursachen des Rückgangs der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten2 empirisch aufzuarbeiten.3 Die deutsche Ziviljustiz steht unter erheblichem Wettbewerbsdruck von Seiten der Schiedsgerichtsbarkeit, sonstiger alternativer Streitbeilegungsmechanismen und ausländischer Justizstandorte. Die Streitbeilegung in der Schiedsgerichtsbarkeit oder auf E-Commerce-Plattformen erschöpft sich in aller Regel in einem einstufigen Verfahren. Das Fehlen eines Instanzenzugs in außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen verspricht ex ante eine kürzere Bindung finanzieller Ressourcen, einen geringeren Lästigkeitswert im Vergleich zu einem langen gerichtlichen Streit, aber auch eine weniger konfrontative und damit etwaige geschäftliche Beziehungen zwischen den Parteien schonende Weise der Streitbeilegung.4 Die Wahl unter den zur Verfügung stehenden Optionen zur Konfliktlösung fällt daher oftmals nicht auf die staatliche Gerichtsbarkeit. Unternehmen präferieren im Streitfall die Konfliktlösung durch die Schiedsgerichtsbarkeit und Verbraucher die Nutzung von After-Sale-Services.

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Zuckerman, Civil justice in crisis. Beispielhaft sei auf den stetigen Rückgang der Erledigungszahlen der Kammern für Handelssachen an den Landgerichten hingewiesen. Diese sind von 54.697 Fällen im Jahr 2002 auf 22.502 Fälle im Jahr 2020 gesunken. Damit ist eine Abnahme um 40 % zu verzeichnen, siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2015, S. 42; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 43. 3 Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, BMJV startet Forschungsvorhaben zum Rückgang zivilgerichtlicher Verfahren, 2020. 4 Den Zeitfaktor als entscheidenden Vorzug der Schiedsgerichtsbarkeit betonend OLG Köln, NJW 1961, 1312, 1313; KG, NJW 2011, 2978, 2979; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2183; Leuering, NJW 2014, 657, 659; Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2525. Zum Thema der außergerichtlichen Online-Streitbeilegung instruktiv Voß, RabelsZ 84 (2020), 62 ff. 2

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Murray hat in seinem Aufsatz „Flucht aus dem Zivilprozess“ zu Recht betont, dass die Abwanderung von Rechtsstreitigkeiten in außergerichtliche Streitbeilegungsforen keine begrüßenswerte Entwicklung, sondern „ein Phänomen [ist], das nachteilige Folgen für Recht und Gerechtigkeit sowie das Allgemeinwohl haben könnte“.5 Der dreistufige staatliche Zivilprozess fördert im besonderen Maße die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze und garantiert ein hohes Rechtsschutzniveau, welches ein einstufiges, nichtöffentliches Schiedsverfahren nicht ohne Weiteres zu erreichen vermag. Im einstufigen, nichtöffentlichen Schiedsverfahren fehlt die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und es kann keine Fortentwicklung des Rechts im Allgemeininteresse stattfinden. Vor diesem Hintergrund sollen die Folgen des durch den kontinuierlichen Rückgang von Eingangszahlen verursachten Bedeutungsverlusts der staatlichen Justiz für die Allgemeinheit analysiert und die aus ex ante Sicht vermeintlich bestehenden Nachteile der Inanspruchnahme der staatlichen Gerichtsbarkeit im Vergleich zur alternativen Streitbeilegung betrachtet werden. Angesichts des hohen Individualrechtsschutzniveaus im staatlichen Zivilprozess mag es verwundern, warum es um die Attraktivität der staatlichen Ziviljustiz im Vergleich zu anderen Streitbeilegungsangeboten so schlecht bestellt ist. Schließlich steht den Parteien in einem staatlichen Zivilprozess aufgrund der Dispositionsmaxime eine große Bewegungsfreiheit zu. „Nullo actore nullus iudex/Wo kein Kläger, da kein Richter“ – schon zu Beginn des Zivilprozesses offenbart sich das besondere Gewicht der Parteiherrschaft im Zivilprozess. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Zivilprozesses, zuvörderst zur Feststellung und Verwirklichung der subjektiven Privatrechte beizutragen. Der Dispositionsgrundsatz im Zivilprozess ist Ausfluss der in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verankerten Verfügungsbefugnis über privatrechtliche Ansprüche und mithin prozessuales Pendant der Privatautonomie.6 Der Leitgedanke der Wahrung subjektivrechtlicher Positionen und damit des Schutzes von Parteiinteressen durchzieht den gesamten Instanzenzug und manifestiert sich in einer weiten Geltungskraft der Dispositionsmaxime auch in den Rechtsmittelinstanzen. Allerdings treten neben die individualbezogenen Zielsetzungen des Zivilprozesses auf Ebene der Rechtsmittelinstanzen weitere Leitmotive hinzu. Die staatliche Ziviljustiz ist anders als die privaten Akteure der außergerichtlichen Streitbeilegung den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips verpflichtet, was notwendigerweise mit einer Zurückdrängung der Parteiherrschaft einhergeht. Höchstrichterliche Entscheidungen dienen neben der konkreten Fallentscheidung im Individualinteresse auch der Wahrung der Rechtseinheitlichkeit

5 6

Murray, ZZPInt 11 (2006), 295. R. Stürner, in: Grunsky (Hrsg.), Festschrift für Fritz Baur, 1981, S. 647, 651.

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und der Rechtsfortbildung.7 Zur Stärkung der Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs sind daher der Ausübung von einseitigen streitbeendigenden Prozesshandlungen in der Revisionsinstanz Grenzen gesetzt. So entsteht ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Partei- und Allgemeininteressen in den Rechtsmittelinstanzen. Diese Antinomie von Partei- und Allgemeininteresse prägt insbesondere das Revisionsverfahren. Die öffentlichen Revisionszwecke werden umso effektiver erreicht, je selektiver der Rechtsmittelzugang an der Spitze des Instanzenzugs ausgestaltet ist und je mehr höchstrichterliche Arbeitsressourcen dadurch auf die Entscheidung von Fällen mit über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung verwendet werden können. Ferner hängt die Erreichung der im Allgemeininteresse liegenden Revisionszwecke maßgeblich davon ab, ob das Revisionsgericht ein streitiges Urteil erlassen kann. Im Interesse der Rechtsgemeinschaft an einem leistungsfähigen Revisionsgericht, das zum Wohl aller Rechtsunterworfenen Bewertungsmaßstäbe für die Behandlung einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsbeziehungen hervorbringt, muss der Zugang zu den Rechtsmittelinstanzen beschränkt werden und Möglichkeiten der parteidispositiven Beendigung eines Rechtsmittelverfahrens Grenzen gesetzt werden. Gesetzgeberische Eingriffe in die Befugnisse der Parteien zur nicht-streitigen Beendigung des Verfahrens mit dem Ziel der Stärkung der Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs können jedoch fruchtlos bleiben, wenn sie dazu beitragen, dass Parteien aus der Ziviljustiz in die außergerichtliche Streitbeilegung flüchten oder Parteien davor zurückschrecken lassen, Rechtsschutz in der Revisionsinstanz zu suchen. Denn auch in den Rechtsmittelinstanzen bleibt der parteiliche Entscheidungsauftrag legitimatorische Grundlage richterlichen Judizierens. Ein öffentliches Interesse an der Ausschöpfung des gesamten Instanzenzugs besteht nicht.8 Folglich erlaubt es die Zivilprozessordnung den Prozessparteien auch, sich im Interesse einer schnellen, effektiven Streitbeilegung ihres Rechts auf Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht endgültig zu begeben.9 Aufgrund des starken auf der Ziviljustiz lastenden Konkurrenzdrucks wurde das Thema der parteidispositiven Verkürzung des zivilprozessualen Instanzenzugs durch einen leider am Ende der vergangenen Legislaturperiode dem Diskontinuitätsgrundsatz zum Opfer gefallenen Gesetzesentwurf des Bundesrats10 in den Fokus der rechtspolitischen Diskussion gerückt. 7 Vgl. Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, S. 1; Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 333. 8 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 538. 9 Hoffmann ist der Ansicht, dass gerade ausländische Parteien auf diese Möglichkeit des deutschen Zivilprozesses hingewiesen werden sollten, Hoffmann, IWRZ 2018, 58, 61. 10 Gesetz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21).

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Das Phänomen der Abwanderung der Parteien einer zivilrechtlichen Streitigkeit in die Schiedsgerichtsbarkeit und in die sonstige alternative Streitbeilegung bietet Anlass dazu, die Attraktivität der Ausgestaltung des Zivilprozesses im niedrigen11 und im hohen12 Streitwertbereich zu überdenken. Die Frage der Ausgestaltung des Instanzenzugs und der parteilichen Einflussnahme auf den im Einzelfall durchlaufenen Instanzenzug sind aufgrund des Stereotyps der Langwierigkeit des staatlichen Zivilprozesses zentrale Diskussionsthemen.13 Der Instanzenzug gewährleistet ein hohes Individualrechtsschutzniveau bei gleichzeitiger Realisierung wichtiger Anliegen der Rechtsgemeinschaft wie der Herstellung von Rechtseinheit. In dieses sorgfältig zu kalibrierende Umfeld muss der Grundsatz der Parteiherrschaft eingepasst werden. Das gesetzgeberische Streben nach simultaner Verwirklichung von Partei- und Allgemeininteressen in den Rechtsmittelinstanzen des Zivilprozesses zeigt sich in zahlreichen Regelungsbereichen des Rechtsmittelrechts. Diese unterschiedlichen Facetten von Parteidisposition und Instanzenzug sollen in dieser Arbeit14 beleuchtet werden. Die Arbeit fokussiert sich nicht ausschließlich auf das wohl klassische Mittel der Disposition über den Instanzenzug, den Rechtsmittelverzicht. Es wird auch die Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen in den Blick genommen, denn Zugangsregelungen zur Rechtsmittelinstanz können wie ein unfreiwilliger Rechtsmittelverzicht wirken. Zentrale Bedeutung soll auch der Problematik der Disposition über eine Instanz durch Rechtsmittelrücknahme zukommen. Es stellt sich hierbei insbesondere das vieldiskutierte Problem

11 Initiative der Einführung eines beschleunigten Online-Verfahrens, siehe nur „Arbeitsgruppe Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 76 ff.; Balke, AnwBl Online 2020, 209 ff.; Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229 ff. 12 Vorschlag des Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten, siehe BR-Drs. 219/21, S. 1 ff. Zu Vorgängerinitiativen und zur rechtspolitischen Diskussion um die Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit für großvolumige internationale Handelsstreitigkeiten siehe nur T. Pfeiffer, DRiZ 2021, 46 ff.; ders., IWRZ 2020, 51 ff.; Podszun/Rohner, NJW 2019, 131 ff.; monographisch Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, passim. 13 Hinsichtlich des Vorschlags der Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens wird im Interesse der Verfahrensbeschleunigung für eine Beschränkung des Zugangs zur Berufungsinstanz plädiert, Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229, 232. Der Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten enthält den Vorschlag, es den Parteien einer großvolumigen (inter-)nationalen Handelsstreitigkeit zu ermöglichen, durch ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung die Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz anzurufen und somit den Instanzenzug auf zwei Stufen zu verkürzen, BR-Drs. 219/21, S. 1. 14 Die vorliegende Arbeit nutzt zur Vereinfachung der Lesbarkeit bei der Bezeichnung von Personen- und Berufsgruppen das generische Maskulinum. Diese Bezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in gleicher Weise, siehe BVerfGE 147, 1 ff.

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der strategischen Verhinderung von Grundsatzurteilen durch die Rücknahme des Rechtsmittels der Revision.15 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es somit, einen holistischen Blick auf das Zusammenspiel von Parteiherrschaft und öffentlichen Interessen in Rechtsmittelverfahren zu werfen und Reichweite und Grenzen von Dispositionsbefugnissen mit Auswirkungen auf den Instanzenzug im Einzelfall auszuloten. Dabei sollen Vorstöße zur Veränderung der gegenwärtigen Rechtslage bewertet und eigene Reformvorschläge entwickelt werden.

II. Gang der Untersuchung Die Untersuchung untergliedert sich in drei Kapitel. Das erste Kapitel widmet sich der Skizzierung der historischen Entwicklung und Bedeutung der Rechtsmittelverfahren sowie der Dispositionsmaxime im Zivilprozess. Die historische Darstellung zeichnet ein Bild der Erscheinungsformen von Rechtsmittelverfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Es wird der Strukturwandel der Instanzenordnung von einem Machtverteilungsmechanismus zwischen den politischen Ebenen zu dem heutigen Individualrechtsschutzsystem nachvollzogen. Anschließend wird zur Feststellung der heutigen Bedeutung und Tragweite der Rechtsmittelverfahren auf den Zweck des Zivilprozesses im Allgemeinen und der Rechtsmittel im Besonderen eingegangen. Es wird ein besonderer Fokus auf die Eruierung des Zwecks des Rechtsmittels der Revision gelegt. Die Erörterung der Zwecksetzung des Revisionsverfahrens dient als Grundlage der im zweiten Kapitel angesiedelten Auseinandersetzung mit der Taktik der strategischen Verhinderung von Grundsatzurteilen durch parteidispositive Streitbeendigung. Ein weiterer Schwerpunkt des ersten Kapitels ist die Darstellung der verfassungsrechtlichen Dimension des Themas. Im Zentrum steht die hochstrittige Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug. Ferner wird untersucht, welche Elemente der Dispositionsmaxime zum verfassungsfesten Kern der Parteiherrschaft im Zivilprozess gehören. Außerdem soll analysiert werden, ob auf internationaler Ebene Verbürgungen eines Rechts auf einen Instanzenzug existieren. Im Anschluss folgt eine Einführung in die Reichweite des Grundsatzes der Parteiherrschaft im Zivilprozess. Zunächst werden die Dispositionsmaxime und deren Ausprägungen in den drei Instanzen des Zivilprozesses und das Thema der Disposition über prozessuale Regelungen erörtert. Schließlich werden geschrie15 Zu diesem Thema siehe nur Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 282 ff.; Hodzˇic´, Das zivilprozessuale Revisionsverfahren im Spannungsverhältnis zwischen Dispositionsmaxime und Entscheidungsinteresse, S. 127 ff.; Bräutigam, AnwBl 2012, 533; Hirsch, VersR 2012, 929 ff.; ders., NJW-Editorial Heft 18/2012; Klingbeil, GVRZ 2019, 14; Rapp, JZ 2020, 294 ff.; Voß, JZ 2020, 286 ff.

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bene und ungeschriebene Regeln für die Zulässigkeit von Prozessverträgen thematisiert. Als Beispiel für geschriebene Regelungen zur Zulässigkeit von Prozessverträgen werden die Regelungen zum schiedsrichterlichen Verfahren, insbesondere zur Schiedsfähigkeit einer zivilrechtlichen Streitigkeit, analysiert. Durch den Abschluss einer Schiedsvereinbarung ist es den Parteien einer zivilrechtlichen Streitigkeit möglich, über die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte und damit über den staatlichen Instanzenzug im Ganzen zu disponieren. Es wird aufzuzeigen sein, dass auch im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit, wenn auch nur im untergeordneten Maße, Instanzenzüge eingerichtet sind. Ferner wird auf allgemeine, ungeschriebene Grundsätze des Prozessvertragsrechts eingegangen. Das Erfordernis der Erörterung von ungeschriebenen Regeln für die Ausübung von parteilichen Dispositionsbefugnissen ergibt sich aus dem rudimentären Charakter der Regelungen der Zivilprozessordnung in diesem Bereich. Dort, wo die gesetzlichen Regelungen nur fragmentarisch ausgestaltet sind, kann der Rückgriff auf allgemeine Grundsätze des Prozessvertragsrechts von Nöten sein. Dies gilt für die im zweiten Kapitel zu untersuchende Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts, die nur eine lückenhafte Regelung in der Zivilprozessordnung findet. Das Institut des Instanzenzugs ist das zentrale Strukturelement des staatlichen Zivilprozesses. Die Verbindung mehrerer Gerichte durch Rechtsmittelzüge zu einer Gerichtsbarkeit hat eine Vielzahl von Gründen und Vorteilen. Allerdings kann das Bestehen eines Instanzenzugs auch mit Nachteilen verbunden sein, aufgrund derer Parteien geneigt sein können, sich von der staatlichen Gerichtsbarkeit abzuwenden. Der zweite Abschnitt stellt zunächst die Gründe dar, die den herausragenden Wert des Instanzenzugs für die Rechtsgemeinschaft ausmachen. Sodann geht die Arbeit den Umständen nach, die als Nachteile des Instanzensystems wahrgenommen werden. Im Zentrum dieser Darstellung steht der Vergleich der staatlichen Gerichtsbarkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit, die in aller Regel in einem einstufigen Verfahren eine endgültige und unanfechtbare Entscheidung hervorbringt. Das Fehlen des Instanzenzugs wird oftmals als Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit postuliert. Daher gilt es zu analysieren, ob und inwieweit diese Einschätzung Zustimmung verdient. Das zweite Kapitel geht ferner auf zwei sehr strittige Materien des Rechtsmittelrechts ein, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Thematik der Disposition über den Instanzenzug stehen. Es erfolgt eine vertiefte Analyse der Beweggründe und Implikationen einer streitbeendigenden Parteidisposition über die Revisionsinstanz zur Verhinderung eines nachteiligen höchstrichterlichen Grundsatzurteils sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den zahlreichen Vorschlägen zur Reaktion auf derartige Prozessstrategien. Anschließend wird das Thema der Ausgestaltung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz erörtert. Das Erfüllen der Zugangsanforderungen zur Rechtsmittelinstanz ist conditio sine qua non für die Ausübung von parteilichen Dispositionsbefugnissen in den Rechtsmittelinstanzen. Zugangsbeschränkungen wirken wie ein staatlicherseits auf-

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oktroyierter Rechtsmittelverzicht und sind daher Spiegelbild des freiwilligen Rechtsmittelverzichts. Sie sind zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtsmittelgerichte unabdingbar. Im Kontext der Thematik des Zugangs zur Revisionsinstanz wird ähnlich wie bei der Thematik der strategischen Abwendung von Grundsatzurteilen auf die Gegensätzlichkeit der Interessen, die die Parteien und die Allgemeinheit im Wege des Revisionsverfahrens verfolgen, einzugehen sein. Zudem werden im zweiten Kapitel die gesetzliche Ausgestaltung und Reichweite der Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme umfassend analysiert, die eine Verfügung über eine Instanz des dreistufigen Instanzenzugs im Einzelfall ermöglichen können. Das dritte Kapitel wendet sich der Frage zu, ob Anpassungen hinsichtlich der Ausgestaltung von Dispositionsbefugnissen in den Rechtsmittelinstanzen oder hinsichtlich des Instanzensystems geboten sind. Es wird auf jüngste rechtspolitische Reformvorhaben eingegangen. Im Zentrum der Untersuchung im dritten Kapitel steht die Frage, ob im Bereich geringer und/oder im Bereich hoher Streitwerte Anpassungen an der Ausgestaltung des Instanzenzugs vorzunehmen sind. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des zweiten Kapitels, das die staatliche Gerichtsbarkeit mit der Schiedsgerichtsbarkeit unter Attraktivitätsgesichtspunkten verglichen hat, wird der Modifikationsbedarf des Zivilprozessrechts aufgrund des Wettbewerbs mit anderen Streitbeilegungsmechanismen und Jurisdiktionen ausgelotet und die jüngsten Reforminitiativen bewertet. Zudem werden aus der Gesamtanalyse der Ausgestaltung und Reichweite von Dispositionsbefugnissen über den Instanzenzug extrahierte Anpassungsvorschläge gemacht.

Erstes Kapitel

Historische Entwicklung und Bedeutung der Rechtsmittelverfahren und der Parteidisposition im Zivilprozess A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren des Zivilprozesses Zu Beginn des ersten Kapitels soll zunächst eine historische Betrachtung der Wurzeln von Rechtsmittelverfahren und der Ausgestaltung von Parteiherrschaft in diesen Verfahren vorgenommen werden. Der Blick auf die Historie der Rechtsmittelverfahren bietet die Möglichkeit nachzuvollziehen, wie das Institut des Instanzenzugs im Zivilprozess entstanden ist und welche Faktoren dessen Fortentwicklung beeinflusst haben. Zum Zwecke der kritischen Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung von Befugnissen zur Parteidisposition über den Instanzenzug ist ferner eine Erörterung der Zwecke der Rechtsmittelverfahren unerlässlich. Die Verfassung bildet den äußeren Rahmen von gesetzlichen Änderungen des Rechts der Rechtsmittelverfahren und des Instanzenzugs. Daher soll abschließend für den ersten Teil dieses Kapitels die Verfassungsdimension des Themas dieser Arbeit beleuchtet werden.

I. Ausgestaltung von zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren in Vergangenheit und Gegenwart Die Rechtsmittel der Revision und Berufung sind aus der heutigen Zivilprozessordnung nicht wegzudenken und durch den Gesetzgeber klar umrissen. Die Anfechtungsrechtsbehelfe der Zivilprozessordnung (insbesondere die Berufung) blicken auf eine lange Historie zurück. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, ein grundlegendes Verständnis der historischen Entwicklung der zivilprozessualen Rechtsmittel zu vermitteln. Es soll eine Einführung in Meilensteine auf dem Weg zu den heutigen Rechtsmitteln und zum gegenwärtigen Instanzenzug im Zivilprozess erfolgen. Die Darstellung nimmt ihren Ausgang in der römischen Rechtsgeschichte und zeichnet die Entwicklung der zivilprozessualen Rechtsmittel bis zur Gegenwart nach. 1. Römisches Recht Das römische Recht ist von herausragender Bedeutung für die Interpretation und Deutung verschiedener heutiger Rechtsinstitute, sowohl im materiellen bür-

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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gerlichen Recht als auch im Zivilprozessrecht. Vorläufer heutiger Ausformungen des deutschen Zivilprozesses reichen bis in vorchristliche Epochen zurück. Bei der Auseinandersetzung mit dem römischen Zivilprozessrecht ist stets zu beachten, dass ein (einziges) römisches Recht nicht existierte.1 Darüber hinaus verstanden die Römer das materielle Privatrecht und das Prozessrecht als eine Einheit.2 Eine strikte Trennung zwischen den beiden Rechtsgebieten, wie wir sie heute kennen, gab es nicht. Da sich römisches Recht über mehrere Jahrhunderte herausbildete, existierten verschiedene Entwicklungslinien in Hinblick auf die Art und Weise der Durchsetzung von privatrechtlichen Ansprüchen, die sich in den Verfahrensformen des Legisaktionenverfahrens, des Formularprozesses und des Kognitionsverfahrens äußerten.3 a) Altrömische Periode und Zeit der römischen Republik Die altrömische Periode, die bis circa Mitte des 3. Jh. v. Chr. reichte, prägten Verfahren, die ihren Ausgang in Legisaktionen fanden.4 Bei den Legisaktionen handelte es sich um Wortformeln (sog. legis actio), durch die die Parteien ihre Behauptungen feierlich vor dem Gerichtsmagistrat vortrugen.5 Die Legisaktionen dienten als Akt des Zugriffs auf eine Person oder Sache verbunden mit dem Ziel, ein streitiges oder vollstreckendes Verfahren zur Verfolgung privater Rechte einzusetzen.6 Die Aufgabe des Gerichtsmagistrats (Prätor) beschränkte sich zu dieser Zeit auf die Einleitung des Verfahrens und die Beauftragung eines von den Parteien gemeinsam gewählten oder aufgrund einer Richterliste zugewiesenen Richters (iudex), der durch die Beauftragung, den sog. Judikationsbefehl (iudicium dare), die Ermächtigung zur Entscheidung des Rechtsstreits erhielt.7 Die Zweiteilung des Verfahrens in die Abschnitte in iure vor dem Prätor und apud iudicem vor dem iudex prägte den Legisaktionenprozess.8 Obwohl dem Gerichtsmagistrat keine Entscheidungsbefugnis zukam, leistete er in Hinblick auf den darauffolgenden Verfahrensabschnitt vor dem iudex aber wichtige Vorarbeiten. So oblag ihm in einer Art Vorverfahren der Versuch eines gütlichen Ausgleichs zwischen den Parteien und im Falle dessen Nichtgelingens die gutachter1 2 3 4

Boosfeld, JuS 2017, 490. Kaser, Das römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 41. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 2, 9, 16. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 2; Boosfeld, JuS 2017, 490,

491. 5 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 3, § 6 Rn. 1; Rosenberg/ K. H. Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 4 Rn. 6. 6 Kaser, Das römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 223. 7 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 5. 8 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 202; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 44 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 4; Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, Rn. 388.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

liche Überprüfung des Vorbringens der Parteien ohne Beweisaufnahme, das durch die Fassung des Streitmaterials in einer Klageformel (formula) und die Festlegung des Streitprogramms in der sog. litis contestatio (Streitbefestigung) endete.9 Im Rahmen dieses Vorverfahrens konnte der Beklagte einseitig durch Anerkenntnis (confessio in iure) die litis contestatio abwenden.10 Im Verfahren apud iudicem vor dem iudex erging dessen Entscheidung nach Überzeugungsbildung über den Sachverhalt und Subsumtion auf Basis der Zusammenfassung des juristischen Gehalts des Streits in der formula durch den Prätor.11 Nachgelagerte, auf Revidierung einer bereits ergangenen Entscheidung angelegte Verfahren waren in der Zeit der römischen Republik (zwischen 510 v. Chr. bis 27 v. Chr.) noch nicht bekannt.12 Es fehlte zudem an einer Rangordnung zwischen den Gerichten als Grundvoraussetzung für die Entstehung eines Instanzenzugs.13 Es war aber möglich, in das laufende Verfahren mittels einer intercessio (Dazwischentreten) einzugreifen, mit der eine appellatio ad magistratum eingefordert wurde, gegen die Akte des Gerichtsmagistrats vorzugehen, um eine fehlerhafte litis contestatio oder den Judikationsbefehl zu beseitigen und so den Fortgang des Verfahrens zu verhindern.14 Die Stellung des iudex im staatlichen Verfahren des klassischen römischen Rechts ähnelte der Figur eines Schiedsrichters, dem sich die Parteien freiwillig unterwarfen und dessen Entscheidung aus diesem Grunde für die Parteien verbindlich und unanfechtbar sein sollte.15 Autoritative Streitentscheidungen konnten vor staatlichen Gerichten und vor privaten Schiedsgerichten herbeigeführt werden.16 Neben dem Legisaktionenverfahren entwickelte sich in der älteren Republik der sog. Formularprozess.17 Im Formularprozess erfolgte die Einleitung des Ver9 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 202 f.; Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 388. 10 R. Stürner, in: S. Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 2005, S. 1061, 1062; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 72; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 111; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 6. 11 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 203; Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 388. 12 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 204; Morhard, Die gerichtliche Berufung im kanonischen Recht, S. 78. 13 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 78. 14 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 204; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 10 Rn. 10; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 79. 15 Vgl. Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 204; Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 389. 16 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 9; Ziegler, Das private Schiedsgericht im antiken römischen Recht, S. 161 f. 17 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 9.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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fahrens durch schriftliche Klagformeln.18 Der Formularprozess zeichnete sich im Vergleich zu den starren Legisaktionen durch eine größere Wandelbarkeit aus und verdrängte das Legisaktionenverfahren weitgehend.19 Den Formularprozess prägte die Herrschaft der Parteien über das Prozessgeschehen.20 b) Prinzipatszeit Zu Beginn der römischen Prinzipatszeit (27 v. Chr.–284 n. Chr.), also in der frühen Kaiserzeit, entwickelten sich erstmals Vorläufer der heutigen Berufung (appellatio), die eine nachträgliche Kontrolle einer durch einen staatlichen Beamten getroffenen Entscheidung erlaubten und den Streit vor eine weitere Instanz, nämlich den Kaiser oder den beauftragten kaiserlichen Beamten brachten.21 Eine Art erster regelmäßiger zivilprozessualer Instanzenzug war damit entstanden.22 Die erstmalige Herausbildung eines auf nachträgliche Änderung oder Aufhebung einer Entscheidung gerichteten Verfahrens beruhte im Wesentlichen auf der veränderten Verfassung der staatlichen Gerichtsbarkeit im Zuge des Endes der römischen Republik und des Beginns der Kaiserzeit.23 Die verbindliche Streitentscheidung wurde in einem staatlichen Verfahren, dem sog. Kognitionsverfahren, fortan nicht mehr vor dem privat gewählten iudex gefällt, sondern war Sache von staatlichen Organen, zunächst von Verwaltungsbeamten, später von Berufsrichtern.24 Ferner wurden die Untersuchung und Entscheidung der Streitsache in einem Verfahren in staatlicher Hand zusammengefasst und die frühere Zweiteilung in Vorverfahren vor dem Prätor und Hauptverfahren vor dem iudex aufgegeben.25 Mit der Zuweisung der Macht zur autoritativen Streitentscheidung in privatrechtlichen Streitigkeiten an staatliche Stellen ging gleichzeitig das Bedürfnis der Begrenzung dieser Machtstellung und der Einrichtung von Kontrollinstanzen einher.26 Seit Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.) unterlag ein Urteil im Kognitionsver18 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 9; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 6. 19 Boosfeld, JuS 2017, 490, 492; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 9. 20 Ziegler, Schiedsgericht, S. 162. 21 Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 95 II, S. 533; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 10 Rn. 10; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 80. 22 Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 95 II, S. 533; Hergenröther, Die Appellationen nach dem Decretalenrechte, S. 5. 23 Vgl. Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 205. 24 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 205; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 16; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 80. 25 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 16; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 10; Boosfeld, JuS 2017, 490, 493. 26 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 206.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

fahren der Appellation.27 Hierbei konnte es sich um ein Endurteil oder eine andere Gerichtsentscheidung handeln.28 Der Instanzenzug zum Kaiser diente der Durchsetzung und Sicherung der kaiserlichen Macht.29 Der Kaiser konnte Einfluss auf die Rechtspflege ausüben und seine eigene Machtposition festigen.30 Der Verfahrensgang der Appellation in der römischen Prinzipatszeit weist viele Charakterzüge auf, die sich im heutigen Rechtsmittel der Berufung in der Zivilprozessordnung widerspiegeln. Zentrale Voraussetzung für die Anfechtbarkeit einer Entscheidung durch ein Rechtsmittel war die Beschwer des Klägers. Zur Appellation war derjenige berechtigt, der seine Rechte durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt sah.31 Das Appellationsgericht durfte nicht nur die Ausgangsentscheidung aufheben, sondern konnte in der Sache auch selbst entscheiden.32 Die Appellation war mit einem Devolutiv- und Suspensiveffekt verbunden.33 Das begriffliche Verständnis des Terminus Rechtsmittel wich allerdings von der heutigen Konzeption ab, denn im römischen Recht bezeichnete der Begriff des Rechtsmittels allgemein Mittel zur nachträglichen Beseitigung nachteiliger Prozessergebnisse.34 c) Die nachklassische Zeit und die justinianischen Kodifikationen Unter Kaiser Diokletian wurde die Gerichtsverfassung im Römischen Reich neu geordnet. Es bildeten sich verbindliche Strukturen eines Instanzenzugs heraus: In erster Instanz entschied als ordentlicher Richter der Statthalter der Provinz, während über die Appellation der Gardepräfekt oder der Vikar entschieden.35 Diese Einteilung galt aber nicht ohne Durchbrechungen, denn für Streitigkeiten von geringem Wert bestand eine lokale Gerichtsbarkeit der Gemeindebehörden.36 Das Recht zur Appellation war allerdings nicht von der Erreichung

27 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 206; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 501; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 12 Rn. 11; eingehend zu kaiserlichen Berufungsentscheidungen Wankerl, Appello ad principem, passim. 28 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 505. 29 Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 355. 30 Mannheim, Beiträge zur Lehre von der Revision wegen materiellrechtlicher Verstösse im Strafverfahren, S. 16 ff. 31 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 207; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 82. 32 von Canstein, Lehrbuch der Geschichte und Theorie des Oesterreichischen Civilprozessrechtes, S. 61; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 209. 33 von Canstein, Oesterreichisches Zivilprozessrecht, S. 61; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 509. 34 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 189. 35 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 15. 36 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 15.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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eines bestimmten Werts des Streitgegenstands abhängig.37 Der Wert des Streitgegenstands diente im römischen Recht allein als Determinante für die gerichtliche Zuständigkeit, nicht aber für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels.38 Der Instanzenzug wurde in der nachklassischen Zeit erweitert: Fortan stand gegen die Berufungsentscheidung des Vikars eine weitere Berufung zu dem Kaiser offen.39 Die zweite Instanz war als von der ersten Instanz völlig unabhängiges Verfahren ausgestaltet, sog. novum iudicium40 und eine in der nachklassischen Zeit nicht mehr wegzudenkende gefestigte Institution.41 Aus kaiserlichem Briefverkehr ist überliefert, dass die Dispositionsmaxime bereits im römischen Zivilprozess ein zentrales Prozessprinzip im Zivilverfahren darstellte.42 Die Herrschaft der Parteien über das Verfahren manifestierte sich darin, dass niemand gezwungen wurde zu klagen, wenn dies nicht seinem Willen entsprach.43 Allerdings gingen mit der Stärkung der kaiserlichen Macht ausgehend von der Prinzipatszeit auch graduelle Einschränkungen der Parteiherrschaft im Zivilprozess zugunsten größerer Richtermacht einher.44 Dies äußerte sich in ausführlichen Formvorschriften und Fristen für Parteihandlungen im Prozess.45 Weitere Ausprägungen der Parteiherrschaft im Zivilprozess waren die Möglichkeit des freiwilligen einseitigen46 oder beidseitigen47 Verzichts auf die Appellation als Vorläufer des heutigen Instituts des Rechtsmittelverzichts. Ein solcher Verzicht auf ein Rechtsmittel war im römischen Recht auch bereits ante sententiam, also vor Erlass des Endurteils möglich.48 Gleichermaßen lassen sich im justinianischen Kodex Anhaltspunkte dafür finden, dass dem römischen Zivilprozessrecht mit dem Klageanerkenntnis49 und der Rücknahme eines Rechtsmit37 C.7,62,20: et in majoribus et in minoribus negotiis appellandi facultas est; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, S. 710; Blume, The Codex of Justinian Volume 2 Books IV–VII, S. 1965. 38 Vgl. C.7,62,37; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1977; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 535; von Linde, AcP 11 (1828), 91, 92. 39 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 15. 40 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 84. 41 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 617. 42 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 5; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 84. Die Parteien konnten über den Streitgegenstand frei verfügen, Sturm, Ausgewählte Schriften zum Recht der Antike, Band 2, S. 696. 43 C.3,7,1: invitus agere nemo cogitur; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 5. 44 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 1. 45 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 2. 46 Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudicarii, Band 2, S. 503. 47 C.7,63,6; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1989; Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß, S. 503. 48 D.49,2,1; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 82. 49 C.7,59,1; D.42,2,1; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1951.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

tels (revocatio)50 verwandte Rechtshandlungen der Parteien im Prozess bekannt waren. 2. Prozessrecht im germanisch-deutschen Rechtskreis bis zum 15. Jahrhundert Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches um das Jahr 476 kam es zu einem tiefen kulturellen Wandel in Westeuropa. Die Besiedelung von Westeuropa durch germanische Stämme mit anderen Traditionen bewirkte einen Verlust weströmischen Gedankenguts. Die Rechtsregeln des römischen Rechts verloren ihre Bedeutung und wurden in den von germanischen Völkern besetzten Gebieten durch deren Rechtstraditionen ersetzt.51 Das germanische Recht des Frühmittelalters zeichnete sich durch seinen personalen Charakter aus, Recht galt aufgrund der Zugehörigkeit von Personen zu einer Klein- oder Großgruppe.52 Das durch Rechtsgelehrte geprägte römische System wurde daher von einem durch ungeschriebene lokale Gebräuche bestimmten Gerichtsbarkeitssystem verdrängt.53 Dies führte auch zu einer Abkehr von der römisch-rechtlichen Appellation. Im mittelalterlichen germanischen Gerichtsverfahren gab es keine Rechtsmittel mit Devolutiveffekt und somit auch keinen Instanzenzug.54 Das Recht wurde in der Gemeinschaft, der Gerichtsversammlung, und aufgrund tradierten Rechtswissens gefunden.55 Ein verkündetes Urteil hatte absoluten Bestand.56 Der Rechtsschutz einer Partei verlagerte sich ähnlich wie in der Zeit der römischen Republik auf einen der Verkündung eines Urteils vorausgehenden Rechtsbehelf, die sog. Urteilsschelte. Die Urteilsschelte richtete sich nicht gegen ein verkündetes Urteil, sondern gegen einen Urteilsvorschlag.57 Nach Auskunft des Ortsgerichts über den Urteilsinhalt auf Nachfrage der Parteien konnten die Parteien, ein Schöffe und jeder rechtsfähige Stammesgenosse den Urteilsvorschlag „schelten“.58 Die Schelte enthielt einen Vorschlag eines Gegenurteils und nach verbreiteter Auffassung den Vorwurf an die Schöffen, das Recht zu beugen.59 Hieraus leitet sich ab, 50 C. Th. 11.30.56; C.7,62,28; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1967; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 621 51 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 85; Boosfeld, JuS 2017, 490, 494. 52 H. Schlosser, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 98. 53 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 85. 54 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz, S. 19; Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, S. 93; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 99; Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 4. 55 Kirschvink, Die Revision als Rechtsmittel im Alten Reich, S. 15. 56 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 85. 57 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 98. 58 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 85 f.; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 98; von Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, S. 270. 59 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 86; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 98; von Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, S. 268; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 102.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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dass die Urteilsschelte ursprünglich als Streit zwischen dem Schelter und dem Gescholtenen um die Richtigkeit des Urteils verstanden wurde.60 Eine Klärung dieses Streits erfolgte im Frühmittelalter durch einen physischen Zweikampf zwischen den sich gegenüberstehenden Parteien. Der physische Zweikampf wurde später durch eine Vorlage der Streitsache an einen sog. Oberhof abgelöst.61 Das Verfahren vor dem Oberhof sollte der Konsultation zwischen Scheltendem und Gescholtenem oder der Überwindung von Uneinigkeit der Gerichtsversammlung dienen.62 Der Oberhof selbst entschied den Rechtsstreit aber nicht anstelle des Untergerichts.63 Der Oberhof urteilte zwar über die gescholtene Sache, der Rechtsstreit wurde aber sodann an das Untergericht zurückgegeben, das eine rechtsverbindliche Entscheidung verkündete.64 Die Oberhöfe waren Rechtsauskunftsstellen.65 Da im mittelalterlichen Recht häufig Rechtsunkundige an der Rechtsfindung beteiligt waren, wurde die Möglichkeit eröffnet, sich an einen Oberhof zu wenden, um sich rechtlich beraten zu lassen.66 Die Oberhöfe im germanischen Recht waren somit mangels Gerichtshoheit keine Rechtsmittelgerichte nach heutigen Verständnis, die eigene autoritative Entscheidungen treffen konnten.67 Der einstufige Oberhofzug wurde vor den weltlichen Gerichten im Heiligen Römischen Reich erst im 15. Jahrhundert durch einen mehrstufigen Instanzenzug abgelöst.68 Damit ging in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Verdrängung der bis dahin weit verbreiteten Urteilsschelte durch das Rechtsmittel der Appellation einher.69 Bereits zuvor, im Hochmittelalter, wandelte sich allerdings in der kirchlichen Gerichtsbarkeit das Prozessrecht von Verfahren vor der Gerichtsgemeinschaft wieder hin zu vorher bekannten römisch-rechtlich ge-

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Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 485; Mannheim, Revision, S. 18. Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 86; Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 9. Oberhofzüge entstanden ab dem 12./13. Jahrhundert, vgl. Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 61, 77. 62 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 16; Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 4. 63 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 486; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 86. 64 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 98. 65 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 15; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 97; Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 7. 66 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 486; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 97 f. Bei den Oberhöfen waren allerdings keine studierten Juristen, sondern erfahrene Laienschöffen und Praktiker tätig. 67 Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 19; Kirschvink, Revision im Alten Reich, 15 f.; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 86; Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, S. 7. 68 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 99. 69 Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555, S. 70; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 487. 61

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

prägten Grundstrukturen mit der Appellation als Rechtsmittel mit suspensiver und devolutiver Wirkung.70 3. Rechtsmittel im kanonischen Recht der Antike und des Mittelalters Im kanonischen Recht setzte die Entwicklung eines mehrstufigen Instanzenzugs bereits ab dem 12. Jahrhundert ein.71 Der kirchliche Instanzenzug führte vom Bischof oder Metropolit über den Patriarchen oder Primas bis zum Apostolischen Stuhl.72 Das Rechtsmittel der Appellation wurde für den kanonischen Prozess erstmals im Decretum Gratiani um das Jahr 1140 normiert.73 Durch die Appellation kam die Sache vor einen höheren Richter und die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung wurde gehemmt.74 Auch im Kirchenrecht reichen die Vorläufer der Appellation weit zurück: Bereits in den frühen nachchristlichen Jahrhunderten gab es Möglichkeiten zur Anrufung höherer Autoritäten gegen innerkirchliche Entscheidungen.75 So war die Berufung an den apostolischen Stuhl bereits in der römischen Kaiserzeit bekannt.76 Die Appellation nach kanonischem Recht weist eine Gemeinsamkeit mit der römisch-rechtlichen Appellation auf: Die Erreichung eines bestimmten Streitwerts ist für die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Bedeutung.77 Ferner war auch der Verzicht auf die Appellation als parteidispositive Handlung bekannt.78 Im kanonischen Recht zeigten sich aber auch erstmals Bemühungen, durch einschränkende Vorschriften die Masse an Appellationen zu begrenzen.79 Dies beinhaltete zum Beispiel das Verbot der Appellation gegen jede mögliche zukünftige Beschwer80 und später auch bei Geringfügigkeit der Sache81. Damit nahm das bis heute in gesetzgeberischen

70 Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 20; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 487; vgl. Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 86. 71 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 126. 72 Hergenröther, Appellationen, S. 16 f.; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 100. 73 C. XXVII., C. XXVIII.; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 126. 74 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 99; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 126 f. 75 Zur Vertiefung siehe Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 93 ff. 76 Hergenröther, Appellationen, S. 8. 77 X,2,28,11; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 102; Hergenröther, Appellationen, S. 25. 78 X,2,28,39; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 102; Hergenröther, Appellationen, S. 24. 79 Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 103. 80 X,2,28,2; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 103. 81 H.-J. Becker, in: Auer/Ortlieb (Hrsg.), Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, 2013, S. 11, 17.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Kodifikationen häufig zentrale Ringen um die Zugangsbedingungen zu Rechtsmitteln bereits im 13. Jahrhundert im kanonischen Recht seinen Ausgang.82 4. Rechtsmittelrecht im Alten Reich seit der Reichskammergerichtsordnung 1495 Mit der erneuten Zuwendung zum römisch-kanonischen Recht ging eine Abkehr von der Lösung von Streitfällen auf Basis eigener Erfahrungen oder überlieferter Rechtsgewohnheiten in den germanischen Gebieten einher.83 Insgesamt kam es zur einer deutlichen Professionalisierung der Gerichtsbarkeit durch die erste Reichskammergerichtsordnung aus dem Jahre 1495, die ein abgeschlossenes rechtswissenschaftliches Studium als Eignungsvoraussetzung für den Richterberuf postulierte.84 Es entstand ein mehrstufiger Instanzenzug auf Basis des Rechtsmittels der Appellation.85 Die Reichskammergerichtsordnung von 1495 legte in § 13 als allgemeine, rechtlich unverbindliche Richtschnur für das Reich einen dreistufigen Instanzenzug fest, der vor dem Reichskammergericht enden sollte.86 Das Reichskammergericht wurde somit zur höchsten Appellationsinstanz in Zivilsachen im Heiligen Römischen Reich.87 Das Rechtsmittel der Appellation war in der Reichskammergerichtsordnung von 1495 nur rudimentär geregelt, wurde aber als anerkanntes Rechtsinstitut des römisch-kanonischen Rechts vorausgesetzt.88 Die landesherrlichen und städtischen Gerichte unterlagen der Reichsgerichtsbarkeit insoweit, als demjenigen, der sich durch ihre Urteile beschwert fühlte, ein Rechtsmittel an die Reichsgerichte zustand.89 82

Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 103 Fn. 267. Vgl. Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 161. 84 Gmür/A. Roth, Grundriss der deutschen Rechtsgeschichte, Rn. 234; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 161. Erstmals erwähnt wurde das Kammergericht bereits im Jahre 1400 und diente zunächst allein der Einsetzung von den König vertretenden Kammerrichtern, Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 27; a. A. Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses, S. 11 (erstmalige Erwähnung des Kammergerichts im Jahr 1415). Durch die verstärkte Rezeption des gelehrten Rechts und Professionalisierung der Justiz im 15. Jahrhundert gewann das Kammergericht immer mehr an Bedeutung, die in der Einsetzung des Reichskammergerichts als oberste justizielle Kontrollinstanz im Reich im Jahr 1495 kumulierte, Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 27, 29 f. 85 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 168. 86 Schildt, in: Auer/Ortlieb (Hrsg.), Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, 2013, S. 67; M. Stürner, Die Anfechtung von Zivilurteilen, S. 14. 87 Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 30; Gmür/ A. Roth, Rechtsgeschichte, Rn. 235; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 168. Das Reichskammergericht von 1495 besaß eine echte Rechtsmittelzuständigkeit gegenüber Urteilen der landesherrlichen Obergerichte, Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 22. 88 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 238. 89 Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 12. Reichsgerichte waren das Kammergericht und das Reichshofgericht, später das Reichskammergericht 83

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Die Einsetzung des Reichskammergerichts als oberste Gerichtsinstanz beruhte vor allem auf machtpolitischen Interessen der Stände.90 Es sollte ein Gegengewicht zur richterlichen Gewalt des Kaisers sein und verhindern, dass der kaiserliche Hof willkürlich Reichsangelegenheiten an sich zog.91 Der Kaiser blieb jedoch weiterhin Inhaber der höchsten Gerichtsbarkeit im Reich.92 Ferner sollte durch die Installierung einer gemeinsamen obersten Instanz im Reich Gerichtseinheit herbeigeführt werden.93 Eine Gerichtseinheit im Heiligen Römischen Reich war jedoch aus vielerlei Gründen nur schwerlich herzustellen. Die Einführung moderner Gerichtsstrukturen in den Reichsterritorien als grundlegende Voraussetzung dafür, dass ein Reichskammergericht an deren Spitze treten konnte, spielte sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ab, sodass zum Teil bereits aus diesem Grunde der Weg zum Reichskammergericht versperrt war.94 Zudem gab es sog. exemte Reichsteile, über die das Reichskammergericht keine Gerichtsgewalt ausüben konnte.95 Die bedeutendste Beschränkung des Zugangs zum Reichskammergericht stellten jedoch die Appellationsprivilegien (privilegia de non appellando) dar.96 Aufgrund dieser Appellationsprivilegien war es den unterlegenen Parteien eines Rechtsstreits in den Reichsterritorien untersagt, sich an das Reichskammergericht zu wenden.97 Damit standen die Appellationsprivilegien dem Grunde nach im diametralen Gegensatz zu dem Bestreben nach Gerichtseinheit im Reich, da sie den Weg zum obersten Gericht, dem Reichskammergericht, versperrten. In den Appellationsprivilegien manifestierte sich die Verteilung von Macht zwischen dem Kaiser und den Ständen.98 Die Appellationsprivilegien wurden durch den Kaiser nach dessen freiem Ermessen unter Berücksichtigung finanzieller und politischer Erwägungen in großer Anzahl zugewiesen.99 Dadurch glich die Gerichtsbarkeit des Reichskammerund der Reichshofrat, Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 13. Die Ausführungen beschränken sich auf das Kammergericht und Reichskammergericht. 90 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 23. 91 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 26. 92 Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 65; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 27. 93 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 168. 94 Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 30. Das Reichskammergericht war daher kein oberster Gerichtshof im modernen Sinne, Traut, Der Zugang zur Revision in Zivilsachen, S. 16. 95 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 168. Hierzu zählten zum Beispiel Österreich und Böhmen, Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 24. 96 Ausführlich zu den Appellationsprivilegien im Mittelalter Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, passim. 97 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 184. 98 Vgl. Diestelkamp, Deutsche Königsgerichtsbarkeit im Spätmittelalter, S. 151. 99 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 184 ff.; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 28.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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gerichts einem Flickenteppich.100 Allerdings konnte der Kaiser durch Vorgaben für die Einrichtung der Gerichtsbarkeit in den Territorien im Gegenzug für die Gewährung eines Appellationsprivilegs auf die territoriale Gerichtsbarkeit einwirken.101 Dank dieser Vorgaben war es möglich, mittels Appellationsprivilegien doch eine gewisse Einheitlichkeit des Rechtsmittelwesens im Alten Reich herbeizuführen.102 Insgesamt konnte die Reichsgerichtsbarkeit aufgrund der zahlreichen Ausnahmeprivilegien aber ihrer Aufgabe, die Rechtseinheit zu wahren, nicht gerecht werden; das Heilige Römische Reich blieb rechtlich und politisch zersplittert.103 Ferner krankte der gemeine Prozess vor dem Reichskammergericht an seiner überwiegenden Schriftlichkeit, an den komplizierten Vorschriften zur Beweisführung und den zahlreichen Möglichkeiten zur Prozessverschleppung.104 Diese Defizite der Verfahrensgestaltung und die hohe Anzahl an Verfahren erschwerten die Herbeiführung eines Verfahrensabschlusses vor dem Reichskammergericht.105 Um der Überlastung des Reichskammergerichts entgegenzuwirken, wurden mit der Reichskammergerichtsordnung von 1521 Zugangsbeschränkungen in Form von Wertgrenzen eingeführt, die fortan kontinuierlich erhöht wurden, aber keine nachhaltige Entlastung des Reichskammergerichts herbeiführen konnten.106 Aber auch in Fällen, in denen ein abschließendes kammergerichtliches Urteil erging, regte sich Widerstand gegen das Reichskammergericht. Beschwerden gegen das Reichskammergericht wurden von unterliegenden Parteien gegen einzelne Urteile107 und später von freien und Reichsstädten über allgemeine The-

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Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 168. Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 54; vgl. Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 186 f. 102 Vgl. Eisenhardt, Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. 55; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 186 f. 103 Laufs, JuS 1969, 256. 104 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 129; Gmür/A. Roth, Rechtsgeschichte, Rn. 236; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 354. 105 Gmür/A. Roth, Rechtsgeschichte, Rn. 236; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 16. Die schiere Überforderung des Reichskammergerichts aufgrund der Vielzahl von Fällen hat Goethe wie folgt beschrieben: „Ein ungeheurer Wust an Akten lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da siebzehn Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten sechzig abgetan werden und das Doppelte kam hinzu.“ von Goethe, Aus meinem Leben: Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, S. 202 (12. Buch). 106 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 16; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, S. 710. 107 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 29; siehe für eine Beschwerde in einem Einzelfall von Harpprecht, Staats-Archiv Des Kayserl. und des H. Röm. Reichs Cammer-Gerichts, Dritter Teil, S. 287 ff. 101

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

men wie Fragen der Finanzierung des Gerichts erhoben.108 Die unterliegenden Parteien bedienten sich mangels Eröffnung eines Rechtsmittels gegen die Urteile des Reichskammergerichts in der Reichskammergerichtsordnung von 1495 der aus dem römischen Recht rezipierten und anerkannten Supplikation, einer Bittschrift eines Privaten an den Kaiser, um eine unparteiische Nachprüfung einer Entscheidung des Reichskammergerichts durch den Kaiser zu erreichen.109 Damit ging freilich eine Schwächung der Position des Reichskammergerichts als vom Kaiser unabhängiges und ständisch mitbestimmtes Gericht einher.110 Die allgemeinen Beschwerden beruhten auch auf einem grundlegenden Misstrauen gegenüber dem Reichskammergericht aufgrund der weitgehenden Unabhängigkeit seiner Richter und des Bedürfnisses nach Kontrolle des Reichskammergerichts.111 Infolge dieser Beschwerden kam es zu ersten politischen Diskussionen über die Zulässigkeit der Überprüfung von reichskammergerichtlichen Entscheidungen.112 Die Aufgabe der Überprüfung von Beschwerden gegen das Reichskammergericht sollte durch sog. Visitationskommissionen bestehend aus Gelehrten übernommen werden.113 Der Aufgabenbereich dieser Reichskammergerichtsvisitationen, der ursprünglich vor allem die Feststellung von Mängeln des Reichsjustizsystems umfasste114, erfuhr sukzessive Erweiterungen. Die erstmalige Einführung eines förmlichen Rechtsmittels gegen (Einzel-)Entscheidungen des Reichskammergerichts erfolgte durch den Reichsabschied von 1532.115 Das förmliche Rechtsmittel bestand in einer Überprüfung des Urteils allein anhand der Akten durch den Bischof von Mainz, von der allerdings keine Suspensivwirkung in Hinblick auf das reichskammergerichtliche Urteil ausging.116 Durch die Beschränkung auf die Überprüfung allein anhand der Akten und das Verbot

108 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 29 f.; siehe beispielhaft für ein Beschwerdeschreiben der Städte von Harpprecht, Staats-Archiv Des Kayserl. und des H. Röm. Reichs Cammer-Gerichts, Dritter Teil, S. 282 ff. 109 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 25; Rehse, Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen, S. 177; Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilproceßrechts, S. 526. 110 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 25 f. 111 Baumann, Visitationen am Reichskammergericht, S. 3; Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 203. 112 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 31. 113 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 35; Mencke, Die Visitationen am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert, S. 46, 81. 114 von Harpprecht, Staats-Archiv Des Kayserl. und des H. Röm. Reichs CammerGerichts, Dritter Teil, S. 157; Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 31; Mencke, Die Visitationen am Reichskammergericht, S. 22 ff., 35 f. 115 Reichsabschied 1532 III. § 17, abgedruckt bei Schmauß/Senckenberg, Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede Theil 2, S. 359; Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses, S. 215 f.; Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 49 f. 116 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 50 f.

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neuen Vorbringens wies dieses Rechtsmittel aber erste Ähnlichkeiten mit der heutigen Revision auf.117 Der Begriff der Revision erhielt erstmals Eingang in die Reichskammergerichtsordnungen von 1548 und 1555.118 Die Revision gegen Entscheidungen des Reichskammergerichts diente mangels Veröffentlichung aber nicht wie heute der Rechtsfortbildung oder Rechtsvereinheitlichung, sondern lediglich der Klärung strittiger Rechtsfragen und der Korrektur von fehlerhaften Vorentscheidungen im Parteiinteresse.119 Zudem erlaubte die Revision gegen Entscheidungen des Reichskammergerichts auch eine Neuverhandlung des Rechtsstreits in tatsächlicher Hinsicht.120 5. Vom Ende des Alten Reichs bis zu den Reichsjustizgesetzen 1877 Diese fehlende Veröffentlichung reichskammergerichtlicher Urteile war ein entscheidender Grund dafür, dass mit dem Ende des Alten Reichs und der Auflösung der höchsten Reichsgerichte einschließlich des Reichskammergerichts ein Bedeutungsverlust der reichsgerichtlichen Verfahren einherging.121 Auf Ebene der Territorialstaaten hatten die Grundsätze des reichskammergerichtlichen Zivilverfahrens aber bereits vor Ende des Alten Reichs Eingang in die Gerichtsverfassung gefunden und dieser Einfluss überdauerte das Ende des Alten Reichs. Aufgrund der zahlreichen Appellationsprivilegien, die die Anrufung der Reichsgerichte ausschlossen, blieben die obersten Gerichte der Einzelstaaten häufig ungeachtet des Untergangs des Alten Reichs an der Spitze des jeweiligen Instanzenzuges.122 In den preußischen Staaten war das preußische Oberappellationsgericht seit Beginn des 18. Jahrhunderts aufgrund eines umfassenden Appellationsprivilegs 117 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 53; Mencke, Die Visitationen am Reichskammergericht, S. 87. Eine Beschränkung allein auf Rechtsfragen war hiermit aber nicht verbunden, auch Tatfragen wurden überprüft, Traut, Der Zugang zur Revision, S. 16. Zur Verwandtschaft der Revision der CPO mit der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde, Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 23 f. 118 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 53; für die RGKO 1555 Dritter Theil LIII., abgedruckt in Schmauß/Senckenberg, Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede Theil 3, S. 134 ff. Erkenntnisse zu den Dispositionsbefugnissen der Parteien im Kameralprozess finden sich bei Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses, S. 125 f.: Den Parteien war es möglich, auf die Fortführung des Prozesses zu verzichten, die Klage anzuerkennen und die Klage bis zur Festlegung des Rechtsstreits durch die Litiskontestation zu ändern. 119 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 207; Linnenbaum, Probleme der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO), S. 5; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 16. 120 Linnenbaum, Revisionszulassung, S. 5. 121 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 173; Renaud, Gemeines deutsches Civilproceßrecht, S. 529. 122 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 175.

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die oberste Gerichtsinstanz. In der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 (AGO) wurde bereits die Revision als Rechtsmittel zu diesem Gericht aufgenommen.123 Bei dem Rechtsmittel der Revision in der AGO handelte es sich erstmals um ein auf dem Gedanken der Rechtseinheit beruhendes Rechtsmittel, das allein die Anfechtung von Urteilen unter rechtlichen Gesichtspunkten erlaubte.124 In den linksrheinischen Gebieten, die nach ihrer Besetzung durch Frankreich durch den Frieden von Lunéville französisches Staatsgebiet wurden, hielt seit 1802 das französische Recht Einzug.125 Damit ging die Einführung eines mehrstufigen Instanzenzugs ausgehend von Friedensgerichten über förmliche Gerichte erster Instanz, die gleichzeitig Berufungsinstanz gegen Entscheidungen des Friedensrichters waren, bis zu Appellationsgerichtshöfen an der Spitze des Instanzenzugs einher.126 Mit der Niederlage Napoleons 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig endete die französische Herrschaft über weite Teile des heutigen deutschen Staatsgebiets und es kam zu einer staatsrechtlichen Neuordnung Deutschlands.127 Auf dem Wiener Kongress (1814/1815) wurde so der Deutsche Bund gegründet, bei dem es sich um einen völkerrechtlichen Staatenbund mit schwachen gemeinsamen Institutionen und starker Selbstständigkeit der einzelnen Bundesstaaten handelte.128 Eine nationalstaatliche Lösung scheiterte an den Partikularinteressen der größten deutschen Staaten Österreich, Preußen und den süddeutschen (ehemaligen) Rheinbundstaaten sowie dem Widerstand europäischer Nachbarstaaten.129 Das Gründungsdokument des Deutschen Bundes, die Bundesakte von 1815, verpflichtete die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes in seinem 12. Artikel zur Einrichtung eines dreistufigen Instanzenzugs in der ordentlichen Gerichtsbarkeit.130 Kleineren Staaten wurde gestattet, ein gemeinsames Höchstgericht einzurichten oder das Gericht eines anderen Staats als oberstes Gericht zu bestimmen.131 Aus der formellen Einführung des Grundsatzes eines dreistufigen Instan123

Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 176. Linnenbaum, Revisionszulassung, S. 5. 125 Gmür/A. Roth, Rechtsgeschichte, Rn. 326; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 230. 126 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 230 f. 127 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 191, 195. 128 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 551, 554; Gmür/A. Roth, Rechtsgeschichte, Rn. 384. 129 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 552; Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 194. 130 Abgedruckt in Näf, Die deutsche Bundesakte und der schweizerische Bundesvertrag von 1815, S. 38. 131 Berger, Rezeption im liechtensteinischen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des ABGB, S. 217; Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 177; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 235. 124

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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zenzugs folgte aber nicht ohne Weiteres das Recht der Parteien, die Streitsache auch über alle Instanzen zu führen, denn partikularrechtliche Appellationsprivilegien und Appellationssummen bestanden fort.132 Eine eigene oberste Bundesgerichtsbarkeit wurde nicht eingesetzt.133 Aus diesem Grunde waren ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch neue einzelstaatliche Kodifikationen entscheidend für die Entwicklung des Zivilprozessrechts einschließlich der Ausgestaltung von Rechtsmitteln und des Instanzenzugs. In der hannoverschen Zivilprozessordnung von 1850 (BPO) wurde der Zivilprozess, in Abkehr von den Vorgaben der Bundesakte von 1815, von drei Instanzen auf zwei Instanzen verkürzt.134 Die Berufung war gem. § 392 BPO bei einem geringen Streitgegenstand ausgeschlossen.135 Zur gleichen Zeit setzten aber auch Bestrebungen für eine einheitliche deutsche Gesetzgebung zur Überwindung der den Wirtschaftsverkehr zwischen den deutschen Staaten lähmenden Rechtszersplitterung ein. Eines der ersten Einheitskodifikationsprojekte war das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861.136 Die Bemühungen um die Einführung eines einheitlichen Handelsrechts in den deutschen Staaten mündeten 1869 in der Schaffung eines einheitlichen Obergerichts, des Bundesoberhandelsgerichts (BOH), durch die Staaten des Norddeutschen Bundes. Im Jahr 1871 wurde sodann die Zuständigkeit des Gerichts auf die süddeutschen Staaten erweitert. Das Gericht firmierte fortan als Reichsoberhandelsgericht (ROHG) und stellte das erste gemeindeutsche Obergericht dar.137 In die Reihe der ersten Bemühungen um Einheitskodifikationen reiht sich auch der Entwurf einer allgemeinen Zivilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten von 1866 ein. Die Beratungen zu diesem Kodifikationsvorhaben begannen ab 1862 in Hannover.138 Der Bundesstaaten-Entwurf von 1866 (sog. Hannoverscher Entwurf) gilt als erster Versuch, ein für alle deutschen Staaten einheitliches Verfahrensrecht zu implementieren.139 In Abkehr von der hannoverschen Zivilprozessordnung von 1850 wurde ein dreistufiger Instanzenzug für die deut132 von Bayer, Vorträge über den gemeinen ordentlichen Civilproceß, S. 20; von Linde, AcP 15 (1832), 151, 181. 133 Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 177; ders., JuS 1969, 256 f. 134 Kirschvink, Revision im Alten Reich, S. 187. 135 Abgedruckt in Allgemeine bürgerliche Proceß-Ordnung für das Königreich Hannover vom 8. November 1850, S. 99. 136 Dahlmanns, Der Strukturwandel des deutschen Zivilprozesses im 19. Jahrhundert, S. 49; Laufs, JuS 1969, 256, 257. 137 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 144; Lames, Rechtsfortbildung als Prozeßzweck, S. 84 f.; Laufs, JuS 1969, 256, 259. 138 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 137; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 248. 139 Dahlmanns, Deutscher Zivilprozess im 19. Jahrhundert, S. 49.

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schen Staaten festgelegt.140 An die Seite der Berufung sollte in dritter Instanz die Oberberufung treten, die auf die Prüfung der Rechtsfragen beschränkt war.141 Ferner erfolgte keine Übernahme des Ausschlusses der Berufungsmöglichkeit bei geringfügigem Streitwert aus der hannoverschen BPO.142 Aufgrund des Endes des Deutschen Bundes sowie der Auflösung des Königreichs Hannover 1866 konnte sich der Entwurf letztlich politisch aber nicht mehr durchsetzen.143 Eine weitere bedeutende Vorarbeit auf dem Weg zur Civilproceßordnung von 1877 stellte der preußische Justizministerialentwurf von 1871 dar. Anliegen des Entwurfs war es, die damaligen Prozessideale, zu denen die Herrschaft der Parteien über den Prozess zählte, zu verwirklichen.144 Ein Konventionalprozess sollte aber nicht eingeführt werden, eine Grenze fand die Parteiherrschaft in Schikane und missbräuchlichem Verhalten.145 Der Entwurf beinhaltete den Vorschlag der Abschaffung der Berufung bei Entscheidungen von Kollegialgerichten und Beibehaltung des Rechtsmittels allein für amtsgerichtliche Verfahren.146 Die partielle Reduktion des Instanzenzugs auf eine einzige Tatsacheninstanz stieß auf erheblichen Widerstand und so wurde das Vorhaben im Frühjahrsentwurf von 1874 aufgegeben.147 Die Berufung sollte Rechtsmittel gegen Endurteile aller Erstinstanzgerichte sein.148 Der Entwurf von 1871 sah ferner als weitere Rechtsmittel die auf Rechtsfragen beschränkte Revision und die Oberrevision vor, letztere sollte nur dann statthaft sein, wenn die Revision zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung geführt hatte, sog. Difformitätsprinzip.149

140 Dahlmanns, Deutscher Zivilprozess im 19. Jahrhundert, S. 69; Hellweg, AcP 11 (1878), 78, 98. 141 Protokolle der Kommission zur Beratung einer allgemeinen Zivilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten, S. 3786, 3890; Dahlmanns, Deutscher Zivilprozesses im 19. Jahrhundert, S. 69. 142 Dahlmanns, Deutscher Zivilprozess im 19. Jahrhundert, S. 71. 143 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 248; Hellweg, AcP 11 (1878), 78, 98 f. 144 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 140; Unger, Adolf Wach (1843– 1926) und das liberale Zivilprozeßrecht, S. 154. 145 Wach, Vorträge über die Reichs-Civilprocessordnung, S. 40. 146 Dahlmanns, Deutscher Zivilprozess im 19. Jahrhundert, S. 83; Lames, Rechtsfortbildung, S. 95; Wach, Vorträge über die Reichs-Civilprocessordnung, S. 179; Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 659 f.; Hellweg, AcP 11 (1878), 78, 117. 147 Vgl. Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 250; Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 662; Hellweg, AcP 11 (1878), 78, 123. 148 Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 662. 149 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 140; Hahn/Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 2. Materialien zur Zivilprozeßordnung, Abt. 1, 1880, S. 363 f.; Lames, Rechtsfortbildung, S. 95; Unger, Liberales Zivilprozeßrecht, S. 154; Hellweg, AcP 11 (1878), 78, 117 f.

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Bei der Ausarbeitung der Reichsjustizgesetze war das Instanzenmodell mit einem obersten Gerichtshof an seiner Spitze jedoch nicht der einzige Diskussionsvorschlag. Besonders Bayern pochte auf die Errichtung eines Rechtshofs anstelle eines obersten Revisionsgerichts.150 Der Rechtshof sollte als außerhalb des Gerichtsaufbaus stehendes Organ in Fällen divergierender gerichtlicher Entscheidungen abstrakte Rechtsfragen mit Präjudizwirkung für die Gerichte entscheiden.151 Der Instanzenzug setzte sich aber schließlich als Instrument zur Herbeiführung von Rechtseinheit durch.152 6. Die Civilprozeßordnung von 1877 Der formelle Endpunkt der Bestrebungen nach einheitlichem Prozessrecht in den deutschen Staaten war die Annahme der Reichsjustizgesetze durch den Reichstag am 21. Dezember 1876.153 Die Reichscivilproceßordnung wurde am 30. Januar 1877 verkündet und trat am 1. Oktober 1879 in Kraft.154 Die Reichscivilproceßordnung revolutionierte das deutsche Prozesswesen, denn erstmals galt in allen Teilen des Deutschen Reichs ein einheitliches Zivilverfahrensrecht.155 Es gelang, einen nationalen Kodex aus einer Vielzahl von partikularen Kodifikationen zu bilden.156 Das Rechtsmittelsystem der CPO basierte auf einem engen Rechtsmittelbegriff, der nur solche prozessualen Behelfe umfasste, die die Sache vor einen höheren Richter brachten und den Eintritt der formellen Rechtskraft hemmten.157 Ziel des Gesetzgebers war die Schaffung einer neuen Ordnung zivilprozessualer Rechtsbehelfe und die Ablösung des unübersichtlichen gemeinrechtlichen Systems aus einer Vielzahl von Rechtsbehelfen mit unterschiedlichster Benennung wie zum Beispiel Appellation, Supplikation, Oberappellation und -revision.158 In der Berufungsinstanz sollte die Streitsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auf Grundlage des erstinstanzlichen Urteils von Neuem verhandelt wer-

150 151 152 153

Lames, Rechtsfortbildung, S. 84. Lames, Rechtsfortbildung, S. 84 f. Lames, Rechtsfortbildung, S. 89. Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 5 Rn. 3; Hellweg, AcP 11 (1878), 78,

138. 154 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 143; Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 250. 155 Unger, Liberales Zivilprozeßrecht, S. 156. 156 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 368. 157 Vgl. von Bülow, Die Civilprozess-Ordnung und ihre Nebengesetze, vor § 472 CPO S. 345; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 190; Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 139. 158 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 188.

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den.159 Auf die Einführung einer Berufungssumme verzichteten die Schöpfer der Reichscivilproceßordnung, da nach ihrem Verständnis der Wert des Streitgegenstands keine Relevanz für die Frage der Notwendigkeit einer zweiten Instanz hatte.160 § 475 CPO 1877 normierte, dass der nach Erlass eines Urteils vor Gericht erklärte Verzicht auf die Berufung nicht von der Annahme der Verzichtsleistung durch den Gegner abhängig war. Daraus wurde gefolgert, dass ein vor Erlass eines erstinstanzlichen Urteils erklärter Verzicht keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten konnte, den Verlust des Rechtsmittels also nicht unmittelbar herbeiführen konnte.161 Die Gültigkeit eines Vertrags über einen antizipierten Berufungsverzicht sollte nach dem bürgerlichen Recht bewertet werden.162 Gem. § 476 CPO 1877 konnte die Berufung nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zurückgenommen werden. Damit sollte ein den Beklagten und das Gericht belästigendes Schwanken des Berufungsklägers verhindert werden.163 Die Berufungsrücknahme stand in ihrer Wirkung dem Berufungsverzicht gleich, eine erneute Einlegung des Rechtsmittels innerhalb der Berufungsfrist war ausgeschlossen.164 Das Rechtsmittel der Revision war gem. § 507 CPO 1877 allein gegen von den Oberlandesgerichten in der Berufungsinstanz erlassene Endurteile statthaft. Das Oberlandesgericht war Berufungsinstanz für erstinstanzliche landgerichtliche Urteile, § 123 Nr. 1 GVG 1877. Gegen Berufungsurteile der Landgerichte war die Revision nicht zugelassen, diese Urteile wurden folglich mit Verkündung rechtskräftig.165 Auf einem amtsgerichtlichen Urteil beruhende Rechtssachen konnten somit nicht an das Reichsgericht gelangen.166 Die Zulässigkeit der Revision war von der Erreichung einer Revisionssumme in Höhe eines 1500 Mark übersteigenden Betrags als Beschwerdegegenstand abhängig, § 508 CPO 1877. Die Revisionssumme hatte erst kurz vor Annahme der 159 §§ 472, 478 CPO; von Bülow, Civilprozess-Ordnung, § 472 CPO S. 346, § 478 CPO S. 353. 160 Rekurriert wurde zur Begründung auf den romisch-rechtlichen Grundsatz et in majoribus et in minoribus causis appellandi facultas est, s. Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 141, 348. 161 von Bülow, Civilprozess-Ordnung, § 475 CPO S. 347 f. 162 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351; Struckmann/Richard Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich: nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, § 475 CPO S. 385 f. 163 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 164 Struckmann/Richard Koch, Civilproceßordnung, § 476 CPO S. 386. 165 von Bülow, Civilprozess-Ordnung, § 472 CPO S. 346 f.; Struckmann/Richard Koch, Civilproceßordnung, § 507 CPO S. 411; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 25. 166 von Bülow, Civilprozess-Ordnung, § 507 CPO S. 363; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 25.

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Civilproceßordnung Eingang in das Gesetz gefunden.167 Gleichzeitig wurde das Erfordernis der Abweichung von erst- und zweitinstanzlicher Entscheidung (Difformität) als Voraussetzung für die Revision aufgegeben.168 Ein Bedenken gegen das Difformitätsprinzip war dessen fehlende Eignung zur Herstellung von Rechtseinheit im Falle der Existenz einer im Gebiet eines Oberlandesgerichts einhellig vertretenen, der Rechtsansicht des Reichsgerichts widersprechenden rechtlichen Auffassung.169 Zur Einführung einer Revisionssumme sah man sich vor dem Hintergrund der Entlastung des Reichsgerichts genötigt.170 Die Abänderung des durch die CPO 1877 eingerichteten zivilprozessualen Instanzenzugs durch Prorogation war nicht zulässig.171 7. Entwicklungslinien des Rechtsmittelrechts nach Inkrafttreten der einheitlichen Prozessordnung Nach Inkrafttreten der CPO im Jahr 1879 blieben größere Reformen des Gesetzes zunächst aus. Eine Vielzahl an Novellen der ZPO bis zum Ersten Weltkrieg setzte sich mit dem Thema der Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen auseinander, um eine Überlastung der oberen Gerichte zu verhindern.172 So wurde beispielsweise durch die Novelle 1905 die Revisionssumme deutlich von 1.500 Mark auf 2.500 Mark erhöht.173

167 Vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 143; von Bülow, CivilprozessOrdnung, § 507 CPO S. 363; Struckmann/Richard Koch, Civilproceßordnung, § 507 CPO S. 411; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 19. 168 Linnenbaum, Revisionszulassung, S. 7; Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 60; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 24 f. 169 Das Rechtsmittel der Revision sollte die Einheit des Rechts und der Rechtspflege herstellen, Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 144. In den Protokollen zu der Reichscivilproceßordnung lassen sich die Vorbehalte gegen das Difformitätsprinzip gut nachvollziehen. Es wurde bemängelt, dass das Reichsgericht bei übereinstimmender Ansicht zweier unterer Instanzen lahmgelegt sei. Darüber hinaus würde der Richter der unteren Instanz in die Lage versetzt werden, über die Zuständigkeit des Reichsgerichts zu disponieren. Die Beschränkung des Zugangs zum Reichsgericht durch eine Revisionssumme berechtige das Reichsgericht hingegen, im ganzen Reich die von seiner Rechtsauffassung abweichenden Erkenntnisse zu vernichten, Hahn, Karl/ Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 723 f. Siehe vertiefend zum Difformitätsprinzip als Zugangsschranke zur Revisionsinstanz Zweites Kapitel A. III. 2. b) cc). 170 von Bülow, Civilprozess-Ordnung, § 508 CPO S. 363 f.; Struckmann/Richard Koch, Civilproceßordnung, § 507 CPO S. 411. 171 von Bülow, Civilprozess-Ordnung, vor § 472 CPO S. 346. Stets revisionsfähig, ohne Rücksicht auf die Erreichung der Revisionssumme waren aber Fälle, in denen die Unzuständigkeit des Gerichts, die Unzulässigkeit des Rechtswegs gerügt, die Berufung als unzulässig verworfen wurde und die Zuständigkeit der Landgerichte ohne Rücksicht auf den Streitwert gegeben war, § 509 CPO 1877. 172 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 259. 1903 veränderte sich die Bezeichnung der Zivilprozessordnung durch einen veränderten Sprachgebrauch von CPO zu ZPO, H. Roth, JR 2018, 159.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Der Entwurf zur Amtsgerichtsnovelle von 1909 enthielt zunächst die Regelung des Ausschlusses der Berufung bis 50 Mark Beschwerdesumme, nach starker Kritik wurde die geplante Beschränkung der Berufung jedoch fallen gelassen.174 Im Anschluss an die Novelle 1905 stellte sich heraus, dass die Erhöhung der Revisionssumme keine wirksame Entlastung des Reichsgerichts herbeiführte.175 Im Rahmen der Suche nach ausreichenden Abhilfemaßnahmen entbrannte eine Diskussion um die Einführung eines Difformitätsprinzips. Schließlich fiel die Wahl des Reichstags aber auf die Erhöhung der Revisionssumme auf 4.000 Mark.176 Ein Wandel vollzog sich allerdings in Hinblick auf die Frage der Einführung einer Berufungssumme. Es wurde ein Ausschluss der Berufung bis zu 50 Mark Beschwerdesumme eingeführt, der auf Geldansprüche beschränkt war.177 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde erstmals wieder eine grundlegende Reform des Zivilprozessrechts in Angriff genommen. Die sog. EmmingerNovelle von 1924 leitete eine Phase der Abwendung von dem äußerst liberalen Prozessverständnis der Civilproceßordnung von 1877 ein.178 Die Richtermacht im Prozess wurde gestärkt und die Parteiherrschaft über den Prozess, insbesondere über Termine und Fristen, zurückgedrängt.179 Die zunehmende Entfernung von einer reinen individualistisch-liberalen Prägung des Zivilprozesses beruhte auf der Einsicht, dass der Zivilprozess zwar in aller Regel dispositive Privatrechte der Parteien zum Gegenstand habe, der Staat für den Erfolg seiner Rechtsschutzeinrichtung auf den Prozessverlauf aber in einer solchen Weise einwirken müsse, wie es zum Zwecke einer effektiven Rechtspflege erforderlich ist.180 173 RGBl. 1905, S. 536; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 149; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Band 2, S. 676; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 25; von Seuffert, ZZP 35 (1906), 65, 66. 174 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 150. 175 R. Schmidt, Die Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 71 f. 176 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 153; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse, S. 677; R. Schmidt, Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 78. 177 RGBl. 1916 I, S. 393; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 155; R. Schmidt, Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 79. 178 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 5 Rn. 7. 179 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 160, 161; Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozess, S. 6. Nach der Civilproceßordnung von 1877 genossen die Parteien weite Gestaltungsspielräume mit Blick auf Termine und Fristen. Auf der Basis einer gegenseitigen Übereinkunft der Parteien konnten nach Anzeige gegenüber dem Gericht (mehrmals) Termine verlegt werden und gesetzliche Fristen mit Ausnahme von Notfristen verlängert oder verkürzt werden. Die Parteien sollten in Hinblick auf die Erweiterung oder Verkürzung von Prozessfristen und die Aufhebung von Terminen vollen Spielraum haben, § 202 Abs. 1 CPO, Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 240; Bolgiano, Handbuch des Reichs-Civil-Prozeßrechts auf rationellen Grundlagen, S. 407 f.; Kleiner, Kommentar zur Civilproceßordnung für das deutsche Reich, Band 1, S. 650. 180 Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, S. 267.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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In der Zeit des Zweiten Weltkrieges kam es aufgrund der nationalsozialistischen Willkürherrschaft zu einer Stagnation der Zivilrechtspflege.181 Nach § 1 S. 1 der 1. Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943182 hatten die Gerichte die Bearbeitung bürgerlicher Rechtssachen zurückzustellen, soweit deren Erledigung während des Krieges nicht dringlich war.183 Die Entscheidung über die Zurückstellung war unanfechtbar.184 Rechtsmittelverfahren sollten dadurch vereinfacht werden, dass weniger Richter an den Entscheidungen zu beteiligen waren und Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Urteile bei den Oberlandesgerichten konzentriert wurden.185 Eine weitere, bereits mit der 4. Vereinfachungsverordnung vom 12. Januar 1943 eingeführte Maßnahme war die Möglichkeit der jederzeitigen Rücknahme der Berufung ohne Einwilligung des Beklagten.186 Mit der 2. Kriegsmaßnahmenverordnung vom 27. September 1944187 kam es zu weiteren drastischen Eingriffen in den zivilprozessualen Instanzenzug: Das Rechtsmittel der Berufung wurde abgeschafft und die Zugangsvoraussetzungen zu dem Rechtsmittel der Revision verschärft. Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte konnten mit dem Rechtsmittel der Berufung nicht mehr angefochten werden.188 Die Revision gegen Urteile der Amtsgerichte und der Landgerichte sollte nur dann zugelassen werden, wenn dies wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung auch unter Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse geboten war, wobei nach einer Verfügung des Reichsjustizministers diese Zulassung im allerengsten Rahmen gehalten werden sollte.189 Dies führte dazu, dass der größte Teil der durch Einzelrichter erlassenen zivilgerichtlichen Entscheidungen der Amts- und Landgerichte nicht mehr angefochten und überprüft werden konnte.190 181 Prütting spricht von einem „Abbau der Rechtspflege aus kriegsbedingten Gründen“, Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 34. 182 Verordnung über Kriegsmaßnahmen auf dem Gebiete der bürgerlichen Rechtspflege (Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 12. Mai 1943, RGBl. 1943 I, S. 290. 183 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 184. 184 § 1 S. 2 der 1. Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943 (siehe Fn. 182). 185 §§ 2, 3 der 1. Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943 (siehe Fn. 182). 186 Damrau, Die Entwicklung einzelner Prozessmaximen seit der Reichszivilprozessordnung von 1877, S. 463. 187 Verordnung über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts aus Anlaß des totalen Krieges (Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung vom 27. September 1944), RGBl. 1944 I, S. 229. 188 § 1 Abs. 1 der 2. Kriegsmaßnahmenverordnung (siehe Fn. 187). 189 § 2 Abs. 1 S. 2 der 2. Kriegsmaßnahmenverordnung (siehe Fn. 187); Weinkauff/ A. Wagner, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, S. 312. Nach § 2 Abs. 2 der 2. Kriegsmaßnahmenverordnung waren von der Beschränkung des Zugangs zum Rechtsmittel der Revision solche Urteile ausgenommen, die die Zulässigkeit des Rechtswegs oder vermögensrechtliche Ansprüche betrafen, für welche die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands ausschließlich zuständig waren. Die Revision war in diesen Fällen stets zuzulassen. 190 Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse, S. 668; Weinkauff/A. Wagner, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, S. 313.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Eine noch gravierendere Beschneidung des gerichtlichen Rechtsschutzes war die Befugnis des Reichsministers des Innern, den Rechtsweg auszuschließen und selbst zu entscheiden, wenn vor den Zivilgerichten Ansprüche geltend gemacht wurden, die mit den politischen Vorgängen bei der „nationalsozialistischen Staatserneuerung“ zusammenhingen.191 In der Zeit des Nationalsozialismus erreichte der zivilgerichtliche Rechtsschutz mithin einen Tiefpunkt und die Zivilgerichtsbarkeit kam weitgehend zum Erliegen. Die unmittelbare Nachkriegszeit war zunächst von Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Zivilrechtspflege geprägt.192 Einen Betrag zur Rechtseinheit in der Zivilrechtspflege auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland leistete die Novelle im Jahr 1950.193 Der Bundesgerichtshof wurde als einheitliches oberstes Gericht in Zivilsachen errichtet.194 Eine weitere bedeutende Rechtsmittelnovelle der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland war die Revisionsnovelle von 1975.195 Gegenstand der Novelle war der Zugang zur Revisionsinstanz. Der Bundesgerichtshof sollte durch Erhöhung der Revisionssumme entlastet werden.196 Bei geringem Streitwert unterlag die Revision fortan der Zulassung.197 Es entstand ein Mischsystem des Zugangs zur Revisionsinstanz.198

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Weinkauff/A. Wagner, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, S. 201. Zum Beispiel fiel die Regelung der Berufungsrücknahme in den Besatzungszonen unterschiedlich aus: in der französischen Besatzungszone war die Rücknahme der Berufung bis zum Ende der mündlichen Verhandlung, in der britischen Zone nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zulässig, siehe Damrau, Prozessmaximen, S. 520. 193 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950, BGBl. 1950 I, S. 455 ff.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 190. Die Rücknahme der Berufung war nunmehr einheitlich nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Beklagten zulässig, § 515 ZPO, BGBl. 1950 I, S. 474. Darüber hinaus wurde die Zuständigkeitsordnung in der Zivilgerichtsbarkeit wieder in der Form hergestellt, die sie durch die Reichsjustizgesetze erhalten hatte, Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse, S. 668. 194 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 21. 195 Gesetz zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen vom 8. Juli 1975, BGBl. 1975 I, S. 1863 ff. 196 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 88. Gem. § 546 ZPO musste der Wert der Beschwer vierzigtausend Deutsche Mark überschreiten, BGBl. 1975 I, S. 1863. 197 § 546 Abs. 1 ZPO in der Fassung vom 14. Juni 1976. Gem. § 546 Abs. 1 S. 3 ZPO a. F. war das Revisionsgericht an die Zulassung gebunden. Zu den Wurzeln der Zulassungsrevision, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreichen, siehe Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 26 ff. 198 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 22 f.; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse, S. 688. 192

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Eine weitere Anhebung der Revisions- sowie auch der Berufungssumme erfolgte durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz 1990.199 Die Berufungssumme wurde abermals durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993 erhöht.200 Der erste Entwurf des Bundesrats zum Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege enthielt den Vorschlag der Einführung einer Zulassungsberufung, verbunden mit einer Nichtzulassungsbeschwerde.201 Der Vorschlag stieß im Bundestag jedoch auf einhellige Ablehnung. Die Entlastungswirkung einer Zulassungsberufung wurde aufgrund der mit ihr einhergehenden Vielzahl an Nichtzulassungsbeschwerden bezweifelt, die Zulassungsberufung ferner als erhebliche Beschneidung des Rechts des Einzelnen auf Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung erachtet.202 So blieb es schließlich allein bei der Erhöhung der Berufungssumme. 8. Die ZPO-Reform von 2001 Kurz nach der Jahrtausendwende stieß der deutsche Gesetzgeber eine weitere Reform des Zivilprozesses an, die im Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (ZPO-RG)203 mündete. Die Revision erfuhr eine gravierende Strukturveränderung: Das bisherige Mischsystem wurde abgeschafft und durch eine Zulassungsrevision in Kombination mit einer Nichtzulassungsbeschwerde ersetzt.204 Anlass des Abbaus streitwertabhängiger Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmittelinstanzen war der Befund, dass die bestehenden streitwertabhängigen Beschränkungen die obergerichtliche Klärung von Rechtsfragen in weiten Bereichen der Rechtsprechung erschwerten und somit der Instanzenzug seine Aufgabe der Wahrung der Rechtseinheit nicht zu erfüllen vermochte.205 Allerdings setzte sich der Gesetzgeber durch die Einführung einer (zunächst befristeten) streitwert199 Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990, BGBl. 1990 I, S. 2847. Der Wert der Beschwer musste bei dem Rechtsmittel der Berufung fortan eintausendzweihundert Deutsche Mark übersteigen, § 511a ZPO, BGBl. 1990 I, S. 2850. Die Revisionssumme wurde von vierzigtausend Deutsche Mark auf sechzigtausend Deutsche Mark erhöht, § 546 ZPO, BGBl. 1990 I, S. 2850, siehe auch MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 113. 200 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993, BGBl. 1993 I, S. 50 ff. Der Wert des Beschwerdegegenstands musste eintausendfünfhundert Deutsche Mark übersteigen, § 511a ZPO, BGBl. 1993 I, S. 50. Die ursprüngliche Entwurfsfassung sah eine Erhöhung der Berufungssumme auf zweitausend Deutsche Mark vor, § 511a Abs. 1 ZPO in der Entwurfsfassung in BT-Drs. 12/1217, S. 4. 201 § 511b Abs. 2 ZPO in der Entwurfsfassung in BT-Drs. 12/1217, S. 4 f. 202 BT-Drs. 12/3832, S. 39. 203 BGBl. 2001 I, S. 1887 ff. 204 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 146; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 202. 205 BT-Drs. 14/4722, S. 59. Nur 5 % aller zivilrechtlichen Streitigkeiten gelangten aufgrund einer Zulassung durch das Oberlandesgericht oder durch Überschreitung des Revisionsbeschwerdewerts an den Bundesgerichtshof. 40 % der amtsgerichtlichen Streitigkeiten waren aufgrund des Verfehlens der Berufungssumme unanfechtbar.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

abhängigen Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde sogleich in Widerspruch zu seinen Bemühungen um den Abbau von streitwertabhängigen Rechtsmittelzugangsschranken.206 Auch die Berufungssumme wurde durch das ZPOReformgesetz gesenkt.207 Gleichzeitig wurde für solche Streitigkeiten, die die erforderliche Berufungssumme nicht erreichen, die Möglichkeit der Zulassung der Berufung eingeführt.208 Durch die Zulassungsberufung sollten Rechtsfragen in Streitigkeiten mit geringem Streitwert auch obergerichtlicher Klärung in der Berufungsinstanz zugänglich gemacht werden.209 Durch die ZPO-Reform 2001 wurden ferner die Dispositionsbefugnisse der Parteien in den höheren Instanzen erweitert. Gem. § 516 ZPO konnte das Rechtsmittel der Berufung unabhängig von der Zustimmung des Gegners bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurückgenommen werden. Zuvor war die Rücknahme der Berufung nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Beklagten zulässig.210 Über die Verweisung des § 565 ZPO auf das Berufungsrecht fand die weite Rücknahmemöglichkeit des Rechtsmittelführers auch in der Revisionsinstanz Anwendung. 9. Aktuelle Entwicklungen bis zur Gegenwart Nach der Zivilprozessreform 2001 stand eine Reform des Instanzenzugs in der Zivilgerichtsbarkeit auch weiterhin auf der rechtspolitischen Agenda. Auf der Justizministerkonferenz im Herbst 2004 wurde der Vorschlag diskutiert, eine sog. „Große Justizreform“ auf den Weg zu bringen. Dieser Reformvorstoß sah einen drastischen Einschnitt in den zivilgerichtlichen Instanzenzug vor, indem die Anzahl der Instanzen auf zwei reduziert werden sollte. Die Mehrheit der Justizminister sprach sich für eine so bezeichnete „funktionale Zweigliedrigkeit“ aus, wonach auf die Eingangsinstanz (Tatsacheninstanz) nur ein Rechtsmittel mit aus206 Als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde wurde festgelegt, dass der Wert der Beschwer zwanzigtausend Euro zu übersteigen hat, § 26 Nr. 8 EGZPO a. F. Vgl. Kern/Weitz, in: Hess/Ortolani (Hrsg.), Impediments of national procedural law to the free movement of judgments – Luxembourg report on European procedural law: Volume I, 2019, Chapter 4, Rn. 99. 207 Die Berufung ist gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i. d. F. des ZPO-RG 2001 zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt. 208 Die Berufung ist gem. § 511 Abs. 4 Nr. 1, 2 ZPO i. d. F. des ZPO-RG 2001 von dem erstinstanzlichen Gericht zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Vor dem ZPO-RG 2001 war die Berufung unzulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes eintausendfünfhundert Deutsche Mark nicht überstieg. Die Kombination von Streitwert- und Zulassungsberufung hat der Gesetzgeber bis heute beibehalten. Allerdings gibt es anders als beim Rechtsmittel der Revision keine Nichtzulassungsbeschwerde, die Versagung der Zulassung ist unanfechtbar, arg. e contrario aus § 544 ZPO, MünchKomm ZPO/ Rimmelspacher, Band 2, § 511 Rn. 87. 209 Vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 59. 210 § 515 ZPO a. F., BGBl. 1950 I, S. 474, vgl. oben Fn. 193.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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schließlicher Rechtsfehlerkontrolle folgen sollte.211 Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sollte durch ein Vorlageverfahren für Fälle der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung zum Bundesgerichtshof sichergestellt werden.212 Der Vorschlag zur Verkürzung des Instanzenzugs und der Einführung eines Vorlageverfahrens zum Bundesgerichtshof stieß in Richter- und Anwaltschaft aber auf einhellige Kritik.213 Als zentraler Kritikpunkt wurde angeführt, dass die Reduktion der Anzahl der zivilgerichtlichen Instanzen eine erhebliche Verkürzung des Rechtsschutzes bedeute.214 Ferner könne der Bundesgerichtshof seine Aufgabe der Wahrung von Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung nicht erfüllen, wenn seine Entscheidungsbefugnis von der Vorlage unterer Gerichte abhängig sei.215 Der Vorschlag konnte sich daher schließlich nicht durchsetzen. Gleichermaßen erfolglos war auch ein durch das Land Schleswig-Holstein initiiertes Gesetzgebungsvorhaben mit dem Ziel der Reduzierung der Berufungen mit geringen Streitwerten durch Anhebung der Berufungssumme von 600 auf 1.000 Euro. Der Gesetzesentwurf, der 2007216 erstmals und 2010217 erneut durch Beschluss des Bundesrats zur Einbringung beim Bundestag vorgelegt wurde, erledigte sich aufgrund des Diskontinuitätsprinzips.218 Der Gesetzesentwurf hob im Wesentlichen darauf ab, dass eine weitergehende Entlastung der zweiten Instanz durch Reduzierung von Bagatellverfahren geboten sei, da solche Verfahren die Justiz mit einem nicht zu rechtfertigenden Arbeitsaufwand belasteten.219 Die Bundesregierung lehnte das Vorhaben als „massive Verkürzung des Rechtsschutzes“ ab.220 Mit dem Ziel, den Bundesgerichtshof in seiner Funktion als Bewahrer der Rechtseinheit und rechtsfortbildende Instanz zu stärken, wurden 2013 im Rahmen des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs221 die Dispositionsbefugnisse der Parteien in der Revisionsinstanz eingeschränkt. Gem. § 565 211 Justizministerkonferenz der Länder, Beschlüsse der Herbstkonferenz „Große Justizreform“ am 25.11.2004 in Berlin, TOP 1.2, 2004, S. 1 f. 212 Ebenda. Der Bundesgerichtshof sollte fortan nur noch über Rechtsfragen entscheiden, die ihm untere Instanzen vorlegen und nicht mehr auf Basis eines Parteirechtsmittels angerufen werden können, Weth, ZRP 2005, 119, 122. 213 Siehe nur Trittmann/Schroeder, SchiedsVZ 2005, 71, 73 ff. 214 Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 4/2006, 2006, S. 4. 215 Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs, Entschließung zur „Großen Justizreform“ vom 14. Dezember 2005, 2005, S. 4. 216 BR-Drs. 439/07, S. 2. 217 BR-Drs. 261/10, S. 1. 218 Zu dem Gesetzesentwurf siehe vertiefend Genenger, ZRP 2011, 16 ff. 219 BR-Drs. 439/07, S. 1. 220 BT-Drs. 16/6970, S. 8 (Anlage 2). 221 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. 2013 I, Nr. 63.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

S. 3 ZPO n. F. kann die Revision ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten ausschließlich bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden. Ein Anerkenntnisurteil kann gem. § 555 Abs. 3 ZPO n. F. nur noch auf gesonderten Antrag des Klägers ergehen. Durch diese gesetzgeberischen Maßnahmen sollten die Möglichkeiten der Parteien im Zivilprozess eingeschränkt werden, höchstgerichtliche Grundsatzentscheidungen durch Ausübung von Dispositionsbefugnissen zu verhindern.222 Ein weiterer, den zivilprozessualen Instanzenzug betreffender Reformvorschlag wurde auf der Herbstkonferenz der Justizminister der Länder im Jahre 2017 erstmalig diskutiert. Ein Baustein eines aus der Feder des Bundeslandes Hamburg stammenden Entwurfs zur Einführung eines „Beschleunigten OnlineVerfahrens“ bei Bagatellforderungen bis zu einem Streitwert von zweitausend Euro ist die Beschränkung der Rechtsmittel für Bagatellforderungen. Das geltende Mischsystem aus Streitwert- und Zulassungsberufung soll für die im „Beschleunigten Online-Verfahren“ zu verhandelnden Bagatellsachen durch eine ausschließliche Zulassungsberufung ersetzt werden.223 Erneut aufgegriffen wurde der Vorschlag eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ im Anfang 2021 veröffentlichten Diskussionspapier der Präsidenten der oberen Gerichte zum Thema „Modernisierung des Zivilprozesses“.224 Es ist offen, ob sich der Vorschlag für ein „Beschleunigtes Online-Verfahren“ rechtspolitisch durchsetzen kann. Im Revisionsrecht wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2020 die Wertgrenze für die revisionsrechtliche Nichtzulassungsbeschwerde festgeschrieben, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.225 Der Schritt der Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde wurde seitens des Gesetzgebers für notwendig zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs erachtet.226 Während des Gesetzgebungsverfahrens war das Vorhaben im Rechtsausschuss des Bundestags aber nicht ohne Kritik geblieben. Wissenschaft und Anwaltschaft227 äußerten Vorbe222

BT-Drs. 17/13948, S. 35. Justizministerkonferenz der Länder, Abschlussbericht der Länderarbeitsgruppe – Legal Tech: Herausforderungen für die Justiz, 2019, S. 88 f.; Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229, 232. 224 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 4 f. 225 Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften, BGBl. 2019 I, S. 2634. 226 Gesetzesentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 19/13828, S. 20. 227 Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften, 2019, S. 6. 223

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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halte gegen die Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde. Angesichts der durch das Zivilprozessreformgesetz 2001 vollzogenen Abkoppelung der Zulassung der Revision von dem Wert der Beschwer stellt die Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde einen nicht zu rechtfertigenden Systembruch dar.228 Der Bundestag beschloss die feste Verankerung der Wertgrenze am 14. November 2019. Zuletzt befand sich ein Vorschlag des Bundesrats für ein Gesetz zur Steigerung der Attraktivität der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten in der rechtspolitischen Diskussion.229 Der Gesetzesvorschlag zielte darauf ab, die Position der deutschen Justiz als Streitbeilegungsforum für grenzüberschreitende, großvolumige Handelsstreitigkeiten im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit und ausländischen Jurisdiktionen zu stärken. Zentraler Baustein des Gesetzesentwurfs war das Angebot der fakultativen Verkürzung des Instanzenzugs durch einvernehmliche erstinstanzliche Anrufung der Oberlandesgerichte an die Parteien eines Handelsverfahrens mit internationalem Bezug und einem zwei Millionen Euro übersteigenden Streitwert. Der Gesetzesvorschlag konnte sich am Ende der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags aber politisch nicht durchsetzen und scheiterte am Diskontinuitätsprinzip. 10. Zusammenfassung Die Rechtsmittel und der Instanzenzug im Zivilprozess haben eine wechselhafte Geschichte durchlaufen. Ihre Entwicklung war in ihren Anfängen untrennbar mit der Ausübung und Erhaltung von politischer Macht verknüpft.230 So diente das Rechtsmittel der Appellation zur römischen Kaiserzeit vor allem der Sicherung der Stellung des Kaisers als höchstem Richter im Staat und der Einschränkung der Macht von „unteren“ Jurisdiktionsbeamten.231 Die Instanzenordnung wurde zu einem Sinnbild politischer Über- und Unterordnung.232 Entsprechend umkämpft war die Instanzenordnung zwischen den Territorien und dem Reich in der Zeit des Heiligen Römischen Reichs.233 Dieser Kampf betraf vor allem die Frage der Gewährung von Appellationsprivilegien, die für die Territorien eine Stärkung der eigenen Gerichtsbarkeit und gleichzeitig für das Reich eine Schwächung der reichseinheitlichen Gerichtsbarkeit bedeuteten.234 Auch 228 Gsell, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften (BRDrucksache 366/19), 2019, S. 3. 229 Gesetz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21). 230 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 355. 231 Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 206. 232 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 356. 233 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 356 f. 234 Oestmann, Rechtsgeschichte, S. 186 f.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

wenn sich die Entwicklung der Rechtsmittel und des Instanzenzugs in ihren Anfängen auf der Makroebene nach den Herrschaftsverhältnissen der jeweiligen historischen Situation richtete235, war die inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsmittel im Einzelnen bereits früh von Parteifreiheiten geprägt, wie wir sie noch heute im Zivilprozessrecht kennen. Die Dispositionsmaxime als zentrales Prozessprinzip war bereits im römischen Recht bekannt.236 Die Parteien konnten maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens in den Instanzen durch Ausübung von parteidispositiven Handlungen wie Klageanerkenntnis237, einseitigen238 oder beidseitigen239 Rechtsmittelverzicht oder Rücknahme eines Rechtsmittels240 nehmen. Dem Rechtsmittelrecht im Mittelalter fehlte es an einer klaren Rechtsmittelsystematik. Das gemeine Recht kannte eine Vielzahl zivilprozessualer Rechtsbehelfe neben der Appellation als Vorläufer der Berufung und neben der Revision.241 Die inhaltliche Ausgestaltung eines übereinstimmend bezeichneten Rechtsbehelfs wich zwischen den einzelnen partikularen Rechten häufig deutlich voneinander ab. Die Anzahl der Instanzen und die Ausgestaltung des Instanzenzugs im Zivilprozess bestimmte sich im Mittelalter jeweils nach den partikularen Rechten der einzelnen Territorien. Erste Spuren von Bestrebungen nach Vereinheitlichung der Instanzenordnung fanden sich in der Deutschen Bundesakte von 1815: Die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes sollten einen dreistufigen Instanzenzug in der ordentlichen Gerichtsbarkeit einrichten.242 Die Anzahl der zivilprozessualen Instanzen in den deutschen Staaten blieb nichtsdestotrotz weiter uneinheitlich.243 Wiederkehrende Themen zivilprozessualer Kodifikationen ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Einführung einer Berufungssumme und das Difformitätsprinzip als Voraussetzung der Statthaftigkeit der Revision. An sich stand das Instanzenmodell, mit Ausnahme der Vorschläge Bayerns hinsichtlich eines Rechtshofmodells, aber nie ernsthaft in Frage. Der Grundstein für das noch heute geltende dreistufige Instanzenmodell im Zivilprozess wurde durch die Civilproceßordnung von 1877 gelegt. 235

Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 355. Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 1; Morhard, Berufung im kanonischen Recht, S. 84. 237 C.7,59,1; D.42,2,1; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1951. 238 Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß, S. 503. 239 C.7,63,6; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1989; Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß, S. 503. 240 C. Th. 11.30.56; C.7,62,28; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1967; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 621. 241 Vgl. Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, S. 188. 242 Abgedruckt in Näf, Die deutsche Bundesakte, S. 38. 243 Die Hannoversche Zivilprozessordnung von 1850 sah einen zweistufigen, der Bundesstaaten-Entwurf von 1866 wieder einen dreistufigen Instanzenzug vor. 236

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Die tiefgreifendste Veränderung des zivilprozessualen Instanzenzugs und damit Verkürzung des Individualrechtsschutzes ereignete sich in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Rechtsmittel der Berufung wurde vollständig abgeschafft und auch Revisionsverfahren sollten nur noch durchgeführt werden, wenn dies wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auch unter Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse geboten erschien. Die nationalsozialistische Gesetzgebung ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie sehr prozessualer Rechtsschutz beschnitten werden kann und damit auch jegliche Parteibefugnisse im Prozess zunichte gemacht werden können. Dies muss eine stetige Mahnung sein. Verkürzungen des zivilprozessualen Rechtsschutzes seitens des Gesetzgebers müssen stets gut bedacht und abgewogen werden. Einer schleichenden Verschlechterung des Rechtsschutzes muss genau so vorgebeugt werden wie ein einmaliger deutlicher Rückschritt zu verhindern ist. Die Rechtsmittel des Zivilprozesses sind in ihrer Eigenschaft als Parteirechtsmittel nicht nur von erheblicher Bedeutung für den Individualrechtsschutz. Die binnenjustizielle Gewaltenkontrolle ist gleichermaßen Garant für die Begrenzung von staatlicher Hoheitsgewalt, Ausdruck des Strebens nach Rechtssicherheit und Gerechtigkeit und damit essenziell für den Rechtsstaat.244 Wie bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, setzte sich auch im 20. und 21. Jahrhundert der Trend fort, dass gesetzgeberische Reformen der zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren häufig die Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen zum Gegenstand hatten. Mit der Zivilprozessreform 2001 ging ein substanzieller Abbau streitwertabhängiger Zugangsschranken zu den Rechtsmitteln einher, ohne deren vollständige Beseitigung aufgrund der Bestrebung des Schutzes der Gerichte vor Überlastung.

II. Aufgabe und Funktion des Zivilprozesses im Allgemeinen und der Rechtsmittelverfahren im Besonderen Die Auseinandersetzung mit den historisch und gegenwärtig bedeutsamen Fragestellungen des Rechtsmittelrechts sowie der Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen und der Zulässigkeit von parteilicher Disposition in diesen Instanzen erfordert einen Blick auf die Zwecke, die durch das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren verfolgt werden. Das Verständnis vom Prozesszweck wirkt sich auf das Maß der Verwirklichung von Parteiherrschaft im Zivilprozess aus, bestimmt also die Reichweite der Verwirklichung von Prozessmaximen wie der Dispositionsmaxime als Mittel zur Durchsetzung des Prozesszwecks.245 Trotz der Fokussierung dieser Arbeit auf die Rechtsmittelverfahren muss zunächst ein Blick auf das gesamte zivilprozessuale Erkenntnisverfahren eingenommen wer244 245

Vgl. Selbherr, BRAK-Mitteilungen 2000, 11, 12. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 44.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

den. Auch der Frage nach einem Rangverhältnis unter mehreren vorhandenen Zwecksetzungen soll nachgegangen werden. 1. Vorbemerkung zur Diskussion um den Prozesszweck Die Erforschung des Zwecks des Zivilprozesses führt zu den Grundlagen der Institution selbst. Sie nimmt ihren Ausgang in der Frage, was unter dem Begriff Zivilprozess zu verstehen ist. Hier beginnt bereits die hohe Komplexität des Themas durchzuscheinen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch deutet das Wort Prozess ein Fortschreiten auf ein bestimmtes Ziel hin.246 Aus diesem Blickwinkel ist die Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses bereits in seiner eigenen Titulierung fundiert, da mit dem Begriff des Prozesses eine bestimmte Zielrichtung untrennbar verbunden ist. Anderseits kann unter dem Wort Prozess auch schlicht ein kausal bedingter Geschehensablauf verstanden werden.247 Das letztere weitere Verständnis des Wortes Prozess deckt die eigentliche Gretchenfrage der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Zwecke des Zivilprozesses auf. Was steht am Anfang, was steht am Ende der Kausalkette? Wird der Zweck des Zivilprozesses aus seiner Ausformung durch den Gesetzgeber gefiltert oder wird ein idealtypischer Zweck des Zivilprozesses auf den Gesetzgeber projiziert?248 Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses kann folglich Seinsbetrachtung oder Sollensbetrachtung sein. Nicht selten wird auch die Nützlichkeit der Erörterung des Zwecks des Zivilprozesses in Frage und in Abrede gestellt.249 Die wissenschaftliche Diskussion des Themas des Zwecks des Zivilprozesses ist aber deshalb so wichtig, weil sich davon häufig auch die Zielvorstellungen ableiten, die der Gesetzgeber mit Reformkodifikationen im Zusammenhang mit dem Zivilprozess im Allgemeinen und den Rechtsmittelverfahren im Besonderen verfolgt. Zivilprozessreformkodifikationen standen im Laufe der Zeit unter erheblichem Einfluss des jeweiligen Verständnisses des Reformgesetzgebers von dem Zweck des Zivilprozesses. Die Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses ist Fluch und Segen zugleich. Gefahr für den Rechtsstaat droht aufgrund der Ideologieanfälligkeit des Zwecks des Zi-

246

Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 1 Rn. 5. Münch, in: A. Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 5, 9. 248 Gaul spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von einem Unterschied zwischen einer rein empirischen Seinsbetrachtung und einer teleologischen Sollensbetrachtung des Prozesses. Bei der Sollensbetrachtung (dem idealtypischen Zweck) muss es um einen durch den Zivilprozess realisierbaren, nicht utopischen Zweck gehen, Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 73. 249 So z. B. Gaul, AcP 168 (1968), 27, 28. 247

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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vilprozesses.250 In der Vergangenheit haben Unrechtsregime wie die NS-Diktatur und die DDR ihr eigenes Verständnis vom Prozesszweck propagiert und genutzt, um das gesamte Prozessrecht in diesem Sinne „einzufärben“.251 Andererseits ist die Diskussion des Themas in der Prozessrechtswissenschaft wertvoll, um Fehlsteuerungen des Gesetzgebers aufzudecken und auch Reformvorschläge vor dem Hintergrund des Gesamtsystems des Zivilprozesses zu bewerten.252 Die Befassung mit dem Zweck des Zivilprozesses ist für die vorliegende Arbeit unerlässlich, denn der Prozesszweck determiniert, ob und wieweit den Parteien im System der verschiedenen Instanzen Dispositionsbefugnisse zugestanden werden können.253 Wird die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Zivilprozesses betont, bestünde beispielsweise größerer Raum für eine Beschränkung der Parteifreiheit in der Revisionsinstanz zur Rücknahme des Rechtsmittels als bei Hervorhebung der individualschutzrechtlichen Bedeutung des Prozesses. Eine weitere besondere Schwierigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Zweck des Zivilprozesses liegt darin, dass aufgrund der grundlegenden Interessenverschiedenheit der Akteure (Parteien und Staat) ganz verschiedene Sichtweisen auf den Zivilprozess eingenommen werden können. Es kann ein Blick aus der Makroebene auf den Zivilprozess als Institution und Gesamtheit aller Einzelprozesse, aber auch aus der Mikroebene auf einen Einzelprozess als Sinnbild der Zivilprozesse in ihrer Gesamtheit geworfen werden.254 Die durch ein Einzelver250 H. Roth, ZfPW 2017, 129, 136. Zivilprozessrecht ist politisch, da es die Ziele der Rechtsgemeinschaft in der jeweiligen Gesellschaftsstruktur verwirklicht, Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 46. Der Prozesszweck ist damit immer auch Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Ausrichtung. 251 Vgl. beispielhaft für die Zeit der NS-Diktatur das Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.10.1933, RGBl. 1933 I, S. 780: „Die Parteien und ihre Vertreter müssen sich bewußt sein, dass die Rechtspflege nicht nur ihnen, sondern zugleich und vornehmlich (Herv. d. Verf.) der Rechtssicherheit des Volksganzen dient.“ Nahtlos in die damit begonnene Entindividualisierung des Prozesszwecks fügen sich die späteren Maßnahmen der Degenerierung des Zivilprozesses und dessen völlige Unterordnung unter Kriegsmaßnahmen ein. Siehe zur Stagnation der Zivilrechtspflege während der Zeit der NS-Diktatur oben Abschnitt A.I.7. In der ZPO der DDR von 1976 war in § 2 Abs. 1 festgelegt, dass die Gerichte in erster Linie die Aufgabe hatten, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu schützen, Gesetzblatt DDR, Jahrgang 1975, Teil I, S. 533. 252 Die Befassung mit dem Zweck des Zivilprozesses ist zwar nicht geeignet, eine Lösung für alle denkbaren prozessualen Einzelprobleme hervorzubringen. Die Eingliederung einer Einzelnorm des Prozessrechts in den Funktionszusammenhang des Zivilprozesses ist jedoch wertvoll, um die Bedeutung der Einzelnorm im Gesamtsystem des Zivilprozesses zu erkennen, so zu Recht Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 70. 253 So zutreffend Jauernig, JuS 1971, 329. 254 Hinsichtlich der Bestimmung der Rolle des Bundesgerichtshofs im Spannungsfeld zwischen individuellen und öffentlichen Interessen erläutert Kern instruktiv, dass es auch hier zwei verschiedene Herangehensweisen an die Fragestellung gibt. Es kann ein Top-down-Ansatz verfolgt werden, also zunächst die Rolle des Bundesgerichtshofs be-

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

fahren (im Instanzenzug) und durch das Gesamtsystem Zivilprozess seitens des Staats verfolgten Zwecke können zudem deutlich von den Erwartungen der Parteien an die gerichtliche Klärung ihres Rechtsstreits und den Zivilprozess im Allgemeinen abweichen.255 Jede Auseinandersetzung mit der Diskussion um den Prozesszweck basiert daher notwendigerweise auf einer selektiven Wahrnehmung, denn sie kann sich weder vollkommen von der gegenwärtigen Ausgestaltung des Verfahrens durch den Gesetzgeber lösen, noch in Anspruch nehmen, frei von jeglichem durch ein gesellschaftliches Wertesystem geprägtem subjektivem Vorverständnis zu sein. 2. Zweck des Zivilprozesses Der Zivilprozess überführt das privat Strittige in ein staatsseitiges förmliches Streitverfahren.256 Mit dem Hinzutreten des Staats als Akteur der Streitschlichtung wird klar, dass der Zweck des Zivilprozesses keinesfalls eindimensional sein kann. a) Feststellung und Durchsetzung subjektiver Privatrechte Die Notwendigkeit einer Parteiinitiative als Voraussetzung der Ingangsetzung eines Zivilprozesses ist der augenscheinlichste Beleg dafür, dass es die Aufgabe des Zivilprozesses ist, subjektive Privatrechte257 festzustellen und durchzusetzen (treffender: zu verwirklichen).258 Dreh- und Angelpunkt des Zivilprozesses ist der klägerische Antrag gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Staat schaltet sich grundsätzlich nicht ex officio in privatrechtliche Auseinandersetzungen zwischen seinen Bürgern ein.259 Erst die Parteiinitiative berechtigt den Staat, das private

stimmt und daraus Schlüsse für bestimmte Regeln des Prozessrechts gezogen werden. Ein Bottom-up-Ansatz versucht hingegen aus konkreten Regelungen des Prozessrechts Schlüsse für die Rolle des Bundesgerichtshofs abzuleiten, Kern, RePro 39 (2014), 15, 23 f. Die Beantwortung einer Zweckfrage ist somit stets durch die Sichtweise determiniert, die der Betrachter einnimmt. 255 Objektive versus subjektive Bestimmung des Zwecks des Zivilprozesses. 256 Münch, in: A. Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 5, 10. 257 Für die Zwecke dieser Ausführungen wurde als gegeben unterstellt, dass die materielle Rechtsordnung subjektive Privatrechte, also Rechtspositionen, die dem Einzelnen in seinem Interesse zugewiesen sind und über deren Ausübung und Nichtausübung der Einzelne entscheiden kann, anerkennt. So auch Jauernig, JuS 1971, 329, 331. 258 Vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 9; Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 9. Thiere sieht in der Parteiherrschaft im Zivilprozess ein wesentliches Indiz dafür, dass der Zivilprozess vorrangig den Interessen der Parteien dient. 259 Pohlmann, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 5. Eine Ausnahme gilt in Hinblick auf das Eheaufhebungsverfahren wegen Doppelehe, welches auf Antrag der Verwaltungsbehörde eingeleitet werden kann, §§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, 1306 BGB.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Recht des Einzelnen durch seine Gerichte hoheitlich festzustellen und durchzusetzen. Eine gerichtliche Klage beruht auf dem Willen der Klagepartei, ihre bürgerlich-rechtlichen Ansprüche durchzusetzen. Durch die gerichtliche Klage wird somit eine Brücke zu einem staatsseitigen Verfahren geschlagen, wenn eine außergerichtliche Streitbeilegung erfolglos war. So überführt die Klage den Streit um subjektive Privatrechte in ein neues Stadium und beschreibt damit die Fortsetzung des bürgerlich-rechtlichen Anspruchsdenkens im Rahmen eines staatsseitigen Verfahrens.260 Der Zivilprozess hat somit „dienende Funktion“, nämlich die Aufgabe, der Privatrechtsordnung in der konkreten Streitsache Geltung zu verschaffen.261 Der Zivilprozess muss die subjektiven Privatrechte schützen und durchsetzen, um deren Wertlosigkeit zu verhindern und einen Ausgleich für das staatliche Gewaltmonopol und das weitgehende Verbot von Selbsthilfe zu schaffen.262 Es gilt zu beachten, dass der Schutz subjektiver Privatrechte auch die Bewahrung des Beklagten vor unberechtigter Inanspruchnahme durch den Kläger bedeutet.263 Das Verbot der Selbsthilfe von Privaten durch den Staat lässt sich nur rechtfertigen, wenn der Staat den Individualrechtsschutz selbst gewährleistet.264 Aus diesem Grund stellt der Staat Privaten ein förmliches Verfahren zum Zwecke der Feststellung und Durchsetzung subjektiver Privatrechte, den Zivilprozess, zur Verfügung. Stein fasst den Zweck des Zivilprozesses wie folgt zusammen: „Seinem Zwecke nach ist der Zivilprozeß (. . .) diejenige Tätigkeit, die vornehmlich die Privatrechtsordnung im Interesse (. . .) des einen Gesetzesuntertanen gegen den anderen durch Entscheidung über private Rechte (Erkenntnisverfahren) und ihre zwangsweise Verwirklichung (Zwangsvollstreckung) schützen soll.“ 265

In diesem Sinne begreift die herrschende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung den zentralen Zweck des Zivilprozesses als die Feststellung und Durch260 Vgl. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 64; Münch, in: A. Bruns/ Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 5, 10; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 132. 261 Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 1. Jauernig spricht von einer „existentiellen Abhängigkeit“ des Prozessrechts vom materiellen Recht, Jauernig, JuS 1971, 329. Ähnlich Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 10. 262 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 8. Vgl. Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 483. 263 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 83 f.; Schilken, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 10; R. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 49 f.; Gilles, in: Dammann/T. Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 377, 382. 264 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 9; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 1 Rn. 12; Lüke, Zivilprozessrecht I, § 1 Rn. 1; Prütting, AnwBl 2013, 401, 403. 265 Stein, Grundriss des Zivilprozessrechts und des Konkursrechts, S. 2 f.

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setzung266 von subjektiven Privatrechten.267 v. Grolman hat den Zweck des Zivilprozesses wie folgt resümiert: „Der Endzweck eines jeden gerichtlichen Verfahrens ist: dass jeder bey seinem ihm von dem Staate garantirten Recht, durch richterliche Hülfe, geschützt werde.“ 268

Mit der Betonung der subjektiven Privatrechte rückt der Einzelne in den Mittelpunkt der Institution Zivilprozess. Die Institution des Zivilprozesses wird genutzt, um im jeweiligen Einzelverfahren die materielle Rechtslage und die aus ihr folgenden subjektiven Rechte der Parteien festzustellen.269 266 Wie bereits betont, passender: Verwirklichung subjektiver Privatrechte (Herv. d. Verf.), Anders/Gehle/U. Becker, ZPO, Einl II Rn. 9; Münch, in: A. Bruns/Münch/ Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 5, 18. Der Zivilprozess als Institution verwirklicht die subjektiven Privatrechte, die das materielle Recht den Privatrechtssubjekten zuweist, indem der abstrakte Gesetzesbefehl in die Seinssphäre überführt wird. Im einzelnen Zivilprozess setzt ein Privatrechtssubjekt seine Rechte durch. Der Zivilprozess verwirklicht die Rechte des Einzelnen aber nur so weit, wie er eine Verwirklichung anstrebt, denn findet sich ein Rechtsträger mit der Verletzung seiner Rechte ab, greift der Staat nicht ein. Im Prozess geht es daher nicht schlechthin um die Durchsetzung subjektiver Rechte, Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 7. 267 Vertreter dieser herrschenden Auffassung, die den zentralen Zweck des Zivilprozesses in der Feststellung und Durchsetzung von subjektiven Privatrechte sieht, finden sich in der Rechtsprechung und Literatur bei: BGHZ 10, 333, 336 = BGH, NJW 1953, 1830, 1831; BGHZ 10, 350, 359 = BGH, NJW 1953, 1826, 1828; BGHZ 161, 138, 143 = BGH, NJW 2005, 291, 293; BGH, NJW 2008, 1312, 1316; OLG Hamm, Urt. v. 23. Februar 2006, 28 U 217/04, juris Rn. 46; OLG Hamm, Urt. v. 23. Oktober 2007, 28 U 29/07, juris Rn. 39; Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 115 Rn. 9; MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 8; Musielak/ Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 3; Saenger/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 3; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, § 4 Rn. 19; Jacoby, Zivilprozessrecht, 1. Kap. Rn. 13; Schilken, ZPO, § 1 Rn. 10; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 6; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 317; Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 13, 23; P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozess, S. 10 f.; M. Stürner, Anfechtung von Zivilurteilen, S. 37; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 83; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 59 f.; Knauss, ZRP 2009, 206, 207; Prütting, AnwBl 2013, 401, 403; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 132; ders., JZ 2016, 1134; Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 327; P. Meyer, JR 2004, 1, 6; Gaul betont die Gleichwertigkeit der Zwecke der Durchsetzung subjektiver Privatrechte und der Bewährung der objektiven Rechtsordnung, Gaul, AcP 168 (1968), 27, 46 f. R. Stürner sieht den primären Zweck des Zivilprozesses im Individualrechtsschutz durch Wahrheitsfindung, R. Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S. 49. 268 von Grolman, Theorie Des Gerichtlichen Verfahrens In Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, S. 98. 269 Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 19. Die verfassungsrechtliche Herleitung und Verankerung des Prozesszwecks des Individualrechtsschutzes wird jedoch uneinheitlich beurteilt. Teilweise wird unmittelbar auf die Freiheitsrechte der Verfassung verwiesen, R. Stürner, in: Prütting (Hrsg.), Festschrift für Gottfried Baumgärtel zum 70. Geburtstag, 1990, S. 545; Prütting, AnwBl 2013, 401, 403. Im Übrigen wird auf den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch rekurriert, Saenger/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 9; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 132.

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b) Bewährung des objektiven Rechts Als ein weiterer Zweck des Zivilprozesses wird von einer teilweise vertretenen Ansicht die Bewährung des objektiven Rechts genannt.270 Beispielhaft für diese Einschätzung kann die Aussage Wachs, der den Charakter des Zivilprozesses als Form der gerichtlichen Verwirklichung des objektiven Privatrechts zum Zwecke des Schutzes privatrechtlicher Interessen betonte, herangezogen werden.271 Wach nahm einen breiten Blickwinkel auf die Wirkung des Zivilprozesses als Institution ein, der die Bedeutung des einzelnen Streitfalls in den Hintergrund rückt.272 Folgerichtig wird die Feststellung und Durchsetzung von subjektiven Rechten als schlichte Folge der mit der Institution bezweckten Bewährung des objektiven Rechts verstanden.273 Auch nach dem Prozessverständnis Kleins war der Zweck des Zivilprozesses nicht auf den Schutz privater Rechte reduzierbar, er erachtete die Wahrung der Rechtsordnung für einen bedeutsamen, alle geschichtlichen Phasen durchziehenden Prozesszweck.274 Die Ansicht beruht auf dem Standpunkt, dass der Prozess als Institution vor allem den Gehorsam der Bürger gegenüber der Rechtsordnung fördern solle.275 Es bestehe die Gefahr, dass den Regeln der Rechtsordnung keine Folge geleistet werde, wenn der Zivilprozess die Rechtsordnung nicht durchsetze.276 Der gesamtgesellschaftlichen Wirkung des Zivilprozesses wird damit entscheidende Be270 Kehrberger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Bewährung des objektiven Rechts“ begriffliche Unschärfe aufweist und von den Vertretern der Ansicht wohl vorrangig auf die materiell-rechtliche Rechtsordnung bezogen wird, Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 302. von Hippel sah die Aufgabe des Zivilprozesses in der Wahrung und Durchsetzung des guten materiellen Rechts, von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, S. 332. 271 Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Band 1, § 1 S. 3. 272 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 48. Ähnlich wie Wach auch Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. 273 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 23; Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. Im Gegensatz hierzu stellt sich die Bewährung der objektiven Rechtsordnung für Vertreter der herrschenden Auffassung als Konsequenz eines funktionierenden Prozesses, als andere Seite der Medaille des Individualschutzes dar, Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 12; R. Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S. 51 f. Nach Auffassung Schönkes war die Bewährung der objektiven Rechtsordnung aber nicht ohne Individualrechtsschutz denkbar. Schönke betonte, dass die Bewährung des objektiven Rechts nur durch Schutz des auf seinem Boden sich ergebenden subjektiven Rechts möglich ist, und rückte damit den Individualrechtsschutz zumindest in gewissem Maße in den Fokus, Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. Die Auffassung Schönkes wurde später in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgegriffen, BGHZ 10, 333, 336 = BGH, NJW 1953, 1830, 1831. 274 Franz Klein/F. Engel, Der Zivilprozess Österreichs, S. 186; Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 53 f. 275 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 23. 276 Vgl. Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 23 f.

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deutung zugeschrieben.277 Der Zivilprozess verleiht in dieser Konzeption einem überindividuellen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung Wirkung. Insofern liegt es nahe, der Institution Zivilprozess von dem Blickpunkt dieser Ansicht aus soziale Steuerungs- und Gestaltungsfunktion zuzuschreiben.278 Mit dieser gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und Zielrichtung sei die Gewährung von Dispositionsbefugnissen der Parteien aber nicht unvereinbar, da der Gesetzgeber nichtsdestotrotz vorwiegend die Förderung allgemeiner Interessen durch den Zivilprozess erstrebe.279 Gleichzeitig ist aber zu konstatieren, dass auf Basis der Betonung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe des Zivilprozesses die Rechtfertigung von bzw. die Argumentation zugunsten von Beschneidungen von Dispositionsbefugnissen der Parteien begünstigt wird.280 c) Weitere Auffassungen zum Prozesszweck Das Interesse der Allgemeinheit ist ferner Fixpunkt einer weiteren Ansicht in der Literatur, die den sozialen Zweck des Zivilprozesses betont. Begründer der Theorie über den sog. „sozialen Zivilprozesses“ war der Österreicher Franz Klein. Er sah die wesentliche Aufgabe des Zivilprozesses darin, eine „staatliche Wohlfahrtseinrichtung“ zu schaffen, die die Schwächeren schützen, aber auch die Wirtschaft durch Fallerledigung in angemessener Zeit stärken solle.281 Der Schutz dessen, der im Recht ist, rückte somit in den Hintergrund.282 Die Ziele des Schutzes der sozial Schwächeren und der Verfahrensbeschleunigung sollte durch eine Beschränkung der Parteimacht über den Prozessverlauf und den Prozessstoff erreicht werden.283 Durch die Rechtsschutzgewährung sollte ferner der 277 Vgl. Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 302. Dies steht in diametralen Gegensatz zu den Vertretern der herrschenden Auffassung, die das Individuum in das Zentrum der Institution Zivilprozess stellen. Nach Ansicht Dütz’ dient der richterliche Privatrechtsschutz vor allem wichtigen Belangen der staatlichen Gemeinschaft, Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 158. 278 Zitat Diakonis: „Diese Meinung verleiht der Sozialfunktion des Zivilprozesses und nicht den individuellen Interessen Nachdruck.“ (Herv. d. Verf.), Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 24. 279 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 25. 280 Zum Konnex zwischen gesamtgesellschaftlicher Bestimmung des Prozesszwecks und stärkerer Ausrichtung des Verfahrens auf richterliche Aktivität, Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 44. 281 Franz Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse, S. 25; Franz Klein/F. Engel, Der Zivilprozess Österreichs, S. 191 f., 196 f.; P. Meyer, JR 2004, 1. 282 Dazu kritisch H. Roth, ZfPW 2017, 129, 137. 283 Wassermann, Der soziale Zivilprozess, 55, 86 f. Nach Menger soll der Schutz der sozial schwachen Partei sogar soweit gehen, dass der Zivilrichter ihr bei der Sicherung seiner Privatrechte Hilfe zu leisten habe, Menger, Das buergerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 23. Auch Wassermann sah die Aufgabe des Richters in dem Ausgleich von Defiziten, die aus der Ungleichheit der Parteien resultieren, Wassermann, Der soziale Zivilprozess, S. 155. Ähnlich Bender, ZRP 1974, 235, 236. Zutreffen-

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Gesellschaftsfrieden wiederhergestellt werden, der durch Rechtsstreitigkeiten gestört wird.284 Dem Denkansatz der Vertreter eines sog. „sozialen Zivilprozesses“ lag mithin ein grundlegend anderes Bild von der Stellung des Menschen in der Gesellschaft und den Aufgaben des Staates zugrunde.285 Die derart ideologisch eingefärbte Auffassung über den Zweck des Zivilprozesses wurde aber häufig kritisiert und konnte sich insgesamt nicht durchsetzen.286 Obwohl es nach überwiegender Auffassung nicht die Aufgabe des Zivilprozesses ist, unabhängig von der materiellen Rechtsordnung für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, bleibt doch unbestritten, dass der Zivilprozess eine wertvolle gesellschaftliche und damit „soziale“ Funktion innehat,287 die sich in der Sicherung des Rechtsfriedens durch den Zivilprozess äußert.288 Die Sicherung des Rechtsfriedens wird teilweise als eigener Prozesszweck289, überwiegend aber als bloßer Reflex der Feststellung und Durchsetzung des subjektiven Rechts290 angesehen.291 Der Rechtsfrieden erschöpft sich nach dem Verständnis als eigener Prozesszweck nämlich nicht allein in der individuellen Rechtsgewissheit im jeweiligen Einzelverfahren, sondern entsteht auch durch die Akzeptanz der Rechtsfindung in einem justizförmigen Verfahren durch die Rechtsunterworfenen.292 Ferner werden in der Wissenschaft die Wahrheitsfindung und der Legitimationszweck als weitere Prozesszwecke diskutiert, die aber in breiten Teilen auf Ablehnung stoßen.293 Von den Vertretern der Ansicht, dass ein Zweck des Zivilprozesses in der Wahrheitsfindung liegt, wird vorgebracht, dass die Suche nach derweise kritisch gegenüber richterlicher Sozialgestaltung Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 19. 284 Franz Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse, S. 28; Franz Klein/F. Engel, Der Zivilprozess Österreichs, S. 190; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 10. 285 So zutreffend erkannt von Leipold, JZ 1982, 441, 447. 286 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 299; Leipold, JZ 1982, 441, 447; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 137. 287 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 5; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 299. 288 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 5. 289 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 9; Schilken, ZPO, § 1 Rn. 12, 13. Diakonis spricht davon, dass die Feststellung und Durchsetzung des subjektiven Rechts nur ein mittelbarer Zweck in Bezug auf die Wiederherstellung des Rechtsfriedens sei, Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 33. Mit dieser Annahme versucht er wohl aber vor allem belegen zu wollen, dass die Feststellung und Durchsetzung des subjektiven Rechts nicht als selbstständiger Prozesszweck anzuerkennen ist. 290 Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 20; E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie, S. 27; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 142. 291 R. Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 545 f. 292 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 9; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 33. 293 Bspw. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 4.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

der materiellen Wahrheit unabdingliche Voraussetzung für ein gerechtes Prozessergebnis ist.294 Auch der Theorie Luhmanns, dass die Institution Zivilprozess Legitimation durch Verfahren erstrebe, ist vielfach widersprochen worden.295 Nach Ansicht Luhmanns soll die Einhaltung der Verfahrensregeln dem Prozessergebnis seine Legitimation verleihen und für dessen Akzeptanz unter den Parteien sorgen.296 Luhmann versteht den Zivilprozess mithin als in sich geschlossenes Handlungssystem, das sich aus sich selbst heraus legitimiert und frei von außerprozessualen Bezügen ist. d) Stellungnahme zur Prozesszwecklehre Die Ansicht Luhmanns, dass der Zweck des Zivilprozesses die Legitimation durch Verfahren ist, begegnet vielfältigen Bedenken. Das Prozessziel, sich strikt an die Regeln des Prozessrechts zu halten, würde jedenfalls bei einer Reduzierung der Regeln auf das geschriebene Recht jegliche, außerhalb der gesetzlich zugelassenen Fälle liegende Parteidisposition, auch über den Instanzenzug, im Keim ersticken. Das Gebot einer starren Einhaltung der Prozessregeln wäre nur schwer mit der grundsätzlichen Handlungsfreiheit in materiell-rechtlicher Hinsicht, die der Grundsatz der Privatautonomie für die subjektiven Privatrechte zugesteht, kompatibel. Zudem erscheint die Auffassung, allein die Einhaltung der Verfahrensregeln verleihe dem Prozessergebnis seine Akzeptanz unter den Parteien, äußerst zweifelhaft. Die Parteien eines Zivilprozesses strengen das Verfahren an, um ihre subjektiven Privatrechte zu verwirklichen. Den Parteien kommt es damit zuvörderst auf eine rechtlich zutreffende bzw. zumindest vertretbare Entscheidung ihres Rechtsstreits an. Selbst wenn alle Verfahrensregeln beachtet werden, der zur Entscheidung berufene Richter aber ein Urteil erlässt, das in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht fehlerhaft ist, leidet die Akzeptanz des Prozessergebnisses unter den Parteien aus inhaltlichen Gründen. Das materielle Zivilrecht stellt mithin ein Wertesystem dar, welches neben den Normen des Zivilprozessrechts für die Akzeptanz des Prozessergebnisses von Bedeutung ist. Der Zivilprozess ist somit keinesfalls frei von außerprozessualen Bezügen. Darüber hinaus vermag der Prozesszweck der Legitimation durch Verfahren die Bedeutung des Rechtsmittelzugs im Zivilprozess nicht greifbar zu machen. Die 294 Schilken, ZPO, § 1 Rn. 11; Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 84. Ferner die Wahrheitsfindung als Prozesszweck einordnend R. Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S. 49 ff. Einschränkend hält Diakonis die Wahrheitsfindung nur insoweit für einen Zivilprozessrechtszweck, als dies unentbehrlich für die Verwirklichung des materiellen Rechts ist und die Gewährung des Rechtfriedens nicht verletzt, Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 44. 295 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 28; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 310 ff.; Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 72 f.; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 135. 296 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 27 ff.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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historische Entwicklung zeigt, dass die Zielrichtung von Rechtsmitteln seit langer Zeit die Aufhebung und inhaltliche Änderung einer richterlichen Entscheidung ist297, deren Anzahl jedoch aus verschiedensten Gründen298 stets beschränkt war. Ausgehend von dem Verständnis der Aufgabe des Zivilprozesses dergestalt, dass seine gesellschaftliche Akzeptanz allein durch Einhaltung der Regeln der Zivilprozessordnung herstellbar sei, könnte sowohl die Einstufigkeit des Rechtszugs299 oder die (schier unendliche) Mehrstufigkeit des Zivilprozesses300 begründet werden. Dies wird weder den schutzwürdigen Interessen der Parteien noch dem Interesse an Rechtssicherheit gerecht. Der Zivilprozess würde zu einem Selbstzweck verkommen301, der völlig unabhängig von außerhalb der geschriebenen Prozessnormen liegenden Interessen der betroffenen Privatrechtssubjekte und dem öffentlichen Interesse an der Institution Zivilprozess wäre. Die Berücksichtigung der tangierten Privat- und Allgemeininteressen bei der Ausgestaltung des Zivilprozesses ist aber entscheidend für dessen Akzeptanz und die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung im Ganzen. Die Aufgabe des Zivilprozesses allein in seiner Legitimationsfunktion zu suchen, überzeugt daher nicht. Die Versteifung auf die Einhaltung des Verfahrens als Legitimationsfaktor birgt die Gefahr, dass unter dem Deckmantel der Verfahrenskonformität ungerechte Verfahrensergebnisse legitimiert werden und dadurch die Rechtsstaatlichkeit insgesamt gefährdet wird.302 Gleichermaßen kann die Rechtsstaatlichkeit des Zivilprozesses bedroht sein, wenn aufgrund des Strebens nach Wahrheitsfindung im Prozess rechtsstaatliche Garantien beeinträchtigt werden.303 Diese Gefahr bestünde zum Beispiel bei der prozessualen Verwertung von unverwertbaren Beweismitteln.304 Die Aufklärung des wahren Geschehensablaufs und dessen prozessuale Verwertung ist nicht stets Garant für ein gerechtes Prozessergebnis. Ferner beschränkt sich der Prüfungsumfang bestimmter zi297

Siehe oben A. I. Machtpolitische Interessen oder Überlastung von Gerichten, siehe oben A. I. 299 Sofern von der Einhaltung der Verfahrensregeln durch den Richter ausgegangen wird, könnte die Akzeptanz des Verfahrensergebnisses schon in einer Verfahrensstufe (endgültig) als hergestellt erachtet werden. 300 Sofern Misstrauen gegenüber der Einhaltung der Verfahrensregeln durch den Richter besteht, müsste solange fortprozessiert werden, bis ein verfahrenseinwandfreies Prozessergebnis hergestellt wurde. 301 Ähnlich Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 73. 302 Diese Gefahr erkennt Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 312 f. 303 Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens tritt das Streben nach der Wahrheitsfindung beim Fehlen von Sachentscheidungsvoraussetzungen wie zum Beispiel der entgegenstehenden Rechtskraft zurück, Hyckel, RW 2021, 223, 244. 304 Bsp. die Verwertung von unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hergestellten heimlichen Tonbandaufnahmen, BVerfG, NZA 2002, 284; OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577 f.; MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 284 Rn. 69. 298

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

vilrechtlicher Institute wie der Revision und des Vorlageverfahrens nach § 148 ZPO allein auf die Prüfung von Rechtsfragen. Die Begrenzungen der richterlichen Suche nach der Wahrheit zeigen deutlich, dass die Wahrheitsfindung nicht als Endziel des Zivilprozesses gelten kann. Die Suche nach der Wahrheit ist vielmehr als Ideal auf dem Weg des Richters zur Findung einer die subjektiven Privatrechte der Parteien verwirklichenden Entscheidung einzuordnen.305 Rechtsstaatlichen Bedenken begegnet ferner die Auffassung, die einen sozialen Zweck des Zivilprozesses postuliert. Dort wo die Institution Zivilprozess als „staatliche Wohlfahrtseinrichtung“ verstanden wird, wird einer Sozialgestaltung durch den Richter Tür und Tor geöffnet und gleichzeitig die richterliche Bindung an Recht und Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG vernachlässigt. Die richterliche Gesetzesbindung ist Kernelement des Rechtsstaats. Eine Erosion des Rechtsstaats droht, sofern die Aufgabe der Sozialgestaltung dem Richter übertragen wird. Eine richterliche Zuständigkeit für Sozialgestaltung hätte zur Folge, dass eine einzelne subjektive, dem Wandel der Zeit unterliegende Rechtsauffassung von dem Begriff „sozial“ entscheidende Koordinate für das Prozessergebnis wird. Damit wären richterlicher Willkür keine Schranken gesetzt. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass in der Vergangenheit vor allem Unrechtsregime wie die NS-Diktatur oder das DDR-Regime auf soziale, überindividuelle Prozesszweckanschauungen rekurrierten, um die eigenen Systeme des Zivilprozesses zu legitimieren, in dem Individualrechtsschutz stark beschnitten wurde.306 Eine strikte Ausrichtung des Zwecks des Zivilprozesses an gesamtgesellschaftlichen Belangen unter Negierung der Rechte des Einzelnen zum Schutz des sozial Schwächeren ist geeignet, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat zu erschüttern. Eine Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung wäre dann nicht mehr gewährleistet, denn es fehlt an einer allgemeingültigen Definition des sozialen Zwecks bzw. sozialer Schwäche. Das propagierte Ziel der Wiederherstellung des Gesellschaftsfriedens wird durch die auf Basis richterlicher Sozialgestaltung möglichen willkürlichen Entscheidungen nicht erreichbar sein. Zutreffenderweise wird heute die Gefährlichkeit richterlicher Sozialgestaltung für den Rechtsstaat 305 So auch Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 25; vgl. ferner Braun, JZ 2021, 53 ff. 306 Das Zivilgericht sollte nach dem Zivilprozessrecht der DDR eine „erzieherische Funktion im Sinne einer sozialistischen Gerechtigkeit“ erfüllen, Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 74. Vertiefend zu der in der DDR vorherrschenden Prozesszweckauffassung: BT-Drucks. VI/3080, Rn. 576. Nach dem Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.10.1933, RGBl. 1933 I, S. 780 galt, dass die Rechtspflege vornehmlich der Rechtssicherheit des Volksganzen dient. Der Individualrechtsschutz wurde dadurch vollumfänglich verdrängt, Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 78.

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erkannt und die soziale Prozessauffassung grundlegend abgelehnt.307 Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Eine Ermächtigung des Richters zur Sozialgestaltung würde auch die Grundfesten des Instituts des Instanzenzugs als solches erschüttern. Die Legitimation der Aufhebung einer untergerichtlichen Entscheidung im Instanzenzug beruht im Wesentlichen auf der Vorhersehbarkeit des Verfahrensergebnisses aufgrund des geltenden Rechts und der Entscheidung durch eine neutrale Instanz308, welche bei richterlicher Sozialgestaltung nicht mehr gegeben wäre. Die Sicherung des Rechtsfriedens stellt keinen eigenständigen Prozesszweck dar. Da im Mittelpunkt jedes justizförmigen Verfahren die geltend gemachten subjektiven Privatrechte stehen, über die die Parteien während des Verfahrens verfügen und somit auf die Art und Weise der Befriedung des Streitverhältnisses309 einwirken können, spricht vieles dafür, die Sicherung des Rechtsfriedens als Folge der Feststellung und Durchsetzung des subjektiven Rechts anzusehen.310 Somit stellt sich schlussendlich die Kernfrage der Prozesszwecklehre: Liegt der Zweck des Zivilprozesses in der Feststellung und Durchsetzung subjektiver Privatrechte311 oder der Bewährung der objektiven Rechtsordnung?312 Diese am häufigsten vertretenen Prozessauffassungen stehen sich nicht derart unversöhnlich gegenüber, wie die Frage insinuiert. Die beiden Prozessauffassungen werden überwiegend in ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis gesetzt, wobei der jeweilig nachrangige Zweck als Folge des primären Prozesszwecks dargestellt wird.313 307 Schilken, ZPO, § 1 Rn. 16; Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 19; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 310; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 137. 308 Vgl. Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 20. 309 Bspw. durch streitiges Urteil oder aber auch durch Prozessvergleich. Auch die generelle Akzeptanz der Rechtsunterworfenen gegenüber dem Zivilverfahren wird häufig in nicht unbedeutendem Maße davon abhängen, in welcher Weise das Verfahren die subjektiven Privatrechte zu verwirklichen vermag. 310 Anders Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 33 ff. 311 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 8; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 5; Saenger/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 3; Jacoby, ZPO, 1. Kap. Rn. 13; Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 19; Schilken, ZPO, § 1 Rn. 10; Knauss, ZRP 2009, 206, 207; P. Meyer, JR 2004, 1, 6; Prütting, AnwBl 2013, 401, 403; H. Roth, JZ 2016, 1134; ders., ZfPW 2017, 129, 132. 312 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 23 ff.; Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. 313 Für den Vorrang der objektiven Bewährung der Rechtsordnung und die Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte als deren Folge: Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 21; Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. Diametral dazu wird von folgenden Vertretern in der Literatur der primäre Prozesszweck in der Feststellung und Durchsetzung der subjektiven Privatrechte gesehen, woraus die objektive Bewährung der Rechtsordnung folgt: Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 12; Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 20; Schilken, ZPO, § 1 Rn. 10; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 6; Rimmelspacher, Zur Prüfung

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Zentrales Begründungselement der Vertreter eines Vorrangs des Individualrechtsschutzes ist das staatliche Gewaltmonopol und dessen Spiegelbild – das Verbot der Selbsthilfe. Aus dem Verbot der Selbsthilfe folge die Gefahr, dass die subjektiven Privatrechte wertlos werden, wenn der Staat kein förmliches Verfahren zu deren Durchsetzung zur Verfügung stelle.314 Zwingende Konsequenz des Verbots der Selbsthilfe sei aus diesem Grund die Verpflichtung des Staates, durch den Zivilprozess Individualrechtsschutz herzustellen.315 Die Tauglichkeit dieser unmittelbaren Verknüpfung des Individualrechtsschutzes und des Verbots der Selbsthilfe als Begründungsansatz ist zuletzt aber durch Diakonis in Zweifel gezogen worden.316 Die Tatsache, dass der Zivilprozess an die Stelle der Selbsthilfe, die zweifellos der Durchsetzung von subjektiven Privatrechten diene, trete, lasse nicht den Schluss zu, dass auch der Zivilprozess selbst der Durchsetzung von subjektiven Rechten diene.317 Selbsthilfe und staatliche Rechtspflege dienten unterschiedlichen Zwecken.318 Wenn die staatliche Rechtspflege an Stelle der Selbsthilfe trete, tue sie dies vor allem im Dienste der Allgemeinheit, um die Gemeinschaftsordnung, die durch den Verstoß des Einzelnen gegen die Privatrechtsordnung gestört sei, wiederherzustellen.319 Ferner wird den Individualschutz betonenden Stimmen vorgeworfen, den Zweck der Klage und den Zweck des Prozesses als Institution zu verwechseln.320 Der Zweck des Prozesses als Institution sei in der Bewährung des objektiven Rechts zu sehen.321 Die erhobenen Einwände gegen die Herleitung eines primären Prozesszwecks des Individualrechtsschutzes und die Argumente für den Vorrang der Bewährung des objektiven Rechts vermögen jedoch nicht vollends zu überzeugen. Der fehlende zwingende Gleichlauf von dem Zweck der Selbsthilfe und dem Zweck des an seine Stelle tretenden staatlichen Zivilprozesses erweckt keine durchgreifenden Zweifel an der Heranziehung des Verbots der Selbsthilfe als Begründungsansatz des Vorrangs des Individualrechtsschutzes. Dass sich die

von Amts wegen im Zivilprozess, S. 13; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 84. 314 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 8. 315 Saenger/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 3. 316 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 19 f. 317 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 19. 318 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 19. 319 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 19 f. 320 Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217. 321 Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 21; Schönke, AcP 150 (1949), 216, 217.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Zwecke der Selbsthilfe und der staatlichen Rechtspflege nicht vollumfänglich überlappen, beruht auf dem Hinzutreten des Gerichts als ein weiterer (grundrechtsgebundender) Akteur im Rahmen der staatlichen Rechtspflege. Dies muss zweifelsohne bei der Bestimmung des Zwecks des Zivilprozesses Berücksichtigung finden. Aufgrund der Bindungen des Staats an das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG ist dieser verpflichtet, als Ausgleich des Verbots der Selbsthilfe den Rechtsunterworfenen eine Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung zu stellen.322 Wenn der Staat also die Selbsthilfe (bis auf geringfügige Ausnahmen u. a. in §§ 229 ff. BGB) weitgehend verbietet, spricht vieles dafür, dass er damit auch den Zweckgedanken des zu ersetzenden Instituts aufnimmt.323 Im modernen Rechtsstaat stehen die Rechte des Individuums im Mittelpunkt.324 Die Rechtsordnung, also das objektive Recht, existiert um des Einzelnen willen und nicht umgekehrt.325 Die zentrale Stellung des Individuums in der Rechtsordnung lässt sich in einer Linie vom Grundgesetz bis zum Zivilprozessrecht verfolgen. Der Rechtsschutz, der durch die Institution des Zivilprozesses geleistet wird, wurzelt in dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch, den das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. dem Rechtsstaatsprinzip ableitet.326 Es handelt sich um ein echtes subjektives Grundrecht des Einzelnen. Die Institution des Zivilprozesses ist damit eng verkoppelt mit den Grundrechten des Einzelnen.327 Daher kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Zivilprozess zuvörderst dem Individualrechtsschutz dient.328 Dieser Prozesszweck leitet sich unmittelbar aus den Freiheitsrechten der Verfassung ab.329 Die Vergewisserung darauf, dass der im Individualrechtsschutz liegende Zweck des Zivilprozesses in einem der höchsten Ränge der Rechtsordnung, der Verfassung, wurzelt, kann ferner davor schützen, dass unter Postulierung einer Prozesszwecklehre durch ein322 BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 199; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 6. 323 Vgl. Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 315. 324 Siehe Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 315 ff. 325 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 5. 326 BVerfGE 88, 118, 123 = BVerfG, NJW 1993, 1635; BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926; BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 199. 327 Ähnlich argumentiert Thiere: „Das Grundgesetz stellt aber an die Spitze der Pyramide seiner Werteordnung nicht den Staat, [. . .] sondern den einzelnen Menschen (Art. 1 I GG), dem die Entfaltung seiner Persönlichkeit garantiert wird (Art. 2 I GG)“, Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 9 f. Der Zivilprozess fügt sich durch den Schutz der subjektiven Rechte in die durch das Grundgesetz geformte Staatsordnung ein. 328 So auch Gaul, in: Yyldyrym (Hrsg.), Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, 2001, S. 68, 78; A. Bruns, ZZP 124 (2011), 29, 31. 329 R. Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 545.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

faches Gesetz, wie in der Vergangenheit geschehen330, der Rechtsstaat ausgehöhlt wird. Die Bewährung des objektiven Rechts ist demgegenüber lediglich als mittelbare Folge des Individualschutzes einzuordnen.331 Wenn sich ein subjektives Recht durchsetzt, dann bewährt sich auch die Rechtsordnung.332 Das öffentliche Interesse wird durch die Institution des Zivilprozesses indirekt verwirklicht. So verhält es sich auch hinsichtlich des im öffentlichen Interesse liegenden Rechtsfriedens, der Folge der Erkenntnis und Durchsetzung von subjektiven Rechten ist. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die Institution des Zivilprozesses vorrangig der Feststellung und Verwirklichung von subjektiven Privatrechten dient. Darin verwirklicht sich die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für einen liberalen Rechtsstaat. Gleichzeitig dient der Zivilprozess aber auch der Verwirklichung von überindividuellen Interessen. Das Funktionieren eines Rechtsstaats erfordert auch die Bewährung der materiellen Privatrechtsordnung, Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit. Aus diesem Grund kann die Ausgestaltung des Zivilprozessrechts nicht allein am Individualrechtsschutz ausgerichtet werden, sondern hat die Erfordernisse zu berücksichtigen, die aus der staatlichen Rechtspflegeaufgabe erwachsen.333 Hiermit ist ein grundsätzlicher Blick auf die Zwecke des Zivilprozesses im Sinne eines Vorrang-Nachrang-Verhältnisses zwischen dem Schutz subjektiver Rechte und der Verfolgung überindividueller Interessen geworfen. Für die Zwecke dieser Arbeit erscheint aber neben der obigen Auseinandersetzung mit den häufig vertretenen Prozesszweckauffassungen eine weitere Differenzierung nötig. Das gängige Verständnis von dem Zweck des Zivilprozesses ist vor allem auf das erstinstanzliche Verfahren gemünzt, denn es ist dieses erstinstanzliche Verfahren, welches den Privatstreit in einen Rechtsstreit überführt 330 Angesprochen sind hiermit, wie bereits oben ausgeführt, das NS-Regime und das DDR-Regime, siehe A. II. 1. 331 So auch MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 9; R. Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien, S. 51 f.; Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 8. Ähnlich Kehrberger, der die Bewährung der materiellen Privatrechtsordnung für einen Reflex des Individualschutzes hält, Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 317. Meller-Hannich beschreibt die Bewährung der objektiven Rechtsordnung als Kehrseite der Durchsetzung subjektiver Rechte, Meller-Hannich, ZPO, § 4 Rn. 20. 332 Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 11. Rimmelspacher differenziert zwischen einem realen Ziel des Zivilprozesses (Schutz subjektiver Rechte) und einem idealen Ziel (Wahrung des Rechtsfriedens), Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, S. 23. Das ideale Ziel wird durch die Sicherung und Durchsetzung subjektiver Rechte erreicht, sodass auch Rimmelspacher einen Ursachenzusammenhang herstellt. 333 Bundesministerium für Justiz, Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, 1961, S. 168.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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und somit unmittelbar die Fortsetzung des bürgerlich-rechtlichen Anspruchsdenkens im Rahmen eines staatsseitigen Verfahrens beschreibt. Der Prozesszweck des Individualrechtsschutzes überragt weitere (überindividuelle) Folgeziele des Zivilprozesses. 3. Zwecke der Rechtsmittelverfahren Im Anschluss soll nun auf die Frage nach dem Zweck der Rechtsmittelverfahren eingegangen werden. a) Fehlerkontrolle Der Zweck der Rechtsmittelverfahren wird in folgendem Zitat deutlich: „Sehr weislich haben unsre Gesetze, um den Richtern einen Gegengrund gegen Verleitungen zur Ungerechtigkeit und Partheylichkeit an die Hand zu geben, und die Staatsbürger gegen die Furcht vor willkührlicher Behandlung zu sichern, mehrere Instanzen angeordnet, und den Partheien mehrere Wege vorgezeichnet, auf welchem sie [. . .] Hülfe gegen richterliche Sprüche, durch welche sie sich in ihren Rechten beeinträchtigt glauben, zu erlangen im Stande sind.“334

Die Kontrolle eines Urteils durch eine höhere Instanz setzt präventiv einen Anreiz für eine sorgfältige erstinstanzliche Verfahrensleitung und trägt somit zur Fehlervermeidung bei.335 Die Fehlerkontrolle durch die höhere Instanz leistet einen Beitrag dazu, dass das erstinstanzliche Verfahren in rechtsstaatlichen Bahnen abläuft: Die Gefahr von willkürlichen oder parteilichen Entscheidungen wird minimiert durch das Bewusstsein eines jeden Entscheidungsträgers, dass eine Urteilsaufhebung durch die höhere Instanz droht. Das Wissen um die Überprüfung der Entscheidung in höherer Instanz hat Disziplinierungsfunktion. Rechtsmittel dienen somit der Fehlerkontrolle der unteren Instanz.336 Im Rahmen dieser Fehlerkontrolle werden nicht nur unmittelbar die erkannten Fehler der unteren Instanz beseitigt, die Fehlerkontrolle bewirkt, dass ähnliche Fehler in Zukunft vermieden werden können.337 Die Rechtsmittel sollen dazu beitragen, dass am Ende des Zivilprozesses ein Urteil steht, das den bestehenden subjektiven Privatrechten entspricht.338

334

von Grolman, Gerichtliches Verfahren in Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, S. 343. Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 332. 336 Jacoby, ZPO, 16. Kap. Rn. 648; Schilken, ZPO, § 26 Rn. 865; Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 11. Bezogen auf das Rechtsmittel der Berufung Zöller/Heßler, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 511–541 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 20. 337 Vgl. BeckOK ZPO/Wulf, § 529 Rn. 1; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 529 Rn. 1; Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 332. 338 Schumann, JA 1974, 575. 335

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Die Funktion des Rechtsmittels der Berufung als Instrument der Fehlerkontrolle wurde besonders betont. Die durch das ZPO-RG 2001 eingeführte grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz stärkt die erste Instanz und richtet den Fokus des Berufungsgerichts auf eine Kontrolle und Beseitigung der Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens.339 In der Revisionsinstanz ist die Fehlerkontrolle gem. § 545 Abs. 1 ZPO auf Rechtsfehler beschränkt. Fehlerkontrolle ist damit Anliegen beider Rechtsmittelinstanzen.340 Der Kontrollzweck der Rechtsmittel wurzelt unmittelbar in rechtsstaatlichen Erwägungen. Die Rechtsmittel stellen eine Art binnenjustizielles Kontrollregime dort dar, wo aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Richter eine Kontrolle durch andere Gewalten unzulässig ist.341 Da auch die Rechtsprechungstätigkeit nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine Ausübung von Staatsgewalt ist, stellt sich die binnenjustizielle Überprüfung von Akten der Rechtsprechung als ein Baustein der Kontrolle der Ausübung von hoheitlicher Gewalt dar. Ferner soll die Möglichkeit der Fehlerkontrolle richterlicher Urteile das Vertrauen in die Rechtspflege stärken.342 b) Rechtseinheit und Rechtsfortbildung Neben die Aufgabe der Fehlerkontrolle treten allerdings in Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision auch andere Prozesszwecke hinzu. Die Revision ist das Rechtsmittel zum höchsten Gericht der Zivilgerichtsbarkeit, dem Bundesgerichtshof. An der Spitze des Instanzenzugs muss das oberste Gericht dafür sorgen, dass die Rechtsprechung einheitlich ist.343 Für die Einheitsfunktion der obersten Instanz ist es von entscheidender Bedeutung, dass das oberste Gericht potenziell alle Rechtsfragen klären kann.344 Durch die heutige Ausgestaltung der Revision als Zulassungsrevision ist daher gewährleistet, dass potenziell jede Rechtsfrage von dem Bundesgerichtshof geklärt werden kann.345 Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung wird aber nicht allein durch das Revisionsgericht gesichert. Sofern die Berufungssumme von 600 Euro gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht überschritten wird, besteht die Möglichkeit der Zulassung der Berufung, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des 339 Saenger/Wöstmann, ZPO, § 529 Rn. 1; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 529 Rn. 1; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 529 Rn. 1. 340 Schilken, ZPO, § 7 Rn. 865. 341 Schumann, JA 1974, 575. 342 Jacoby, ZPO, 16. Kap. Rn. 648. 343 Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 333. 344 Lames, Rechtsfortbildung, S. 115. 345 Die Ausgestaltung der Revision als reine Zulassungsrevision beruht auf dem ZPO-RG 2001. Zuvor bestand ein Mischsystem aus Zulassungs-, Annahme- und Wertrevision, siehe Ausführungen unter A. I. 8.

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Berufungsgerichts erfordert, § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO. Im Divergenzfall muss das erstinstanzliche Gericht das Rechtsmittel der Berufung zulassen, damit eine Abweichung von der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung korrigierbar bleibt.346 Die Aufgabe der Rechtsmittel, zur Rechtseinheit beizutragen, ist untrennbar verbunden mit dem Streben nach Rechtssicherheit und fließt somit unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip. Es soll bei den Rechtsunterworfenen möglichst weitgehende Klarheit darüber bestehen, wie bestimmte Rechtsfragen in der Zukunft von den Gerichten beantwortet werden, in welcher Weise also Staatsgewalt durch die Gerichte ausgeübt wird.347 In einem mehrschichtigen, dezentralisierten Justizsystem besteht die Gefahr, dass sich divergierende Rechtsprechungslinien zu identischen Problemen herausbilden.348 Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern, bedarf es Lösungen durch Obergerichte, deren Leitbildfunktion zur Harmonisierung instanzgerichtlicher Rechtsprechung beiträgt. Zudem fällt dem obersten Gericht die Aufgabe zu, das Recht fortzubilden.349 Ein Bedürfnis nach Fortbildung des Rechts ist dann gegeben, wenn ein Einzelfall, der einen häufig auftretenden und damit verallgemeinerungsfähigen Sachverhalt betrifft und für den bisher eine Orientierungshilfe fehlt, Veranlassung dazu gibt, allgemeine Orientierungssätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken zu schlie346

Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 511 Rn. 48; Zöller/Heßler, ZPO, § 511 Rn. 38. Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 12. Allgemein zum Inhalt des Grundsatzes der Rechtssicherheit Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, Art. 20 GG VII Rn. 50. 348 Kern weist zutreffend darauf hin, dass der Prozesszweck der Sicherung der Rechtseinheit durch Rechtsanwendungsgleichheit auch eine individuelle Schutzkomponente aufweist, siehe Kern, RePro 39 (2014), 15, 20. Der Einzelne wird davor geschützt, dass Recht unterschiedlich gesprochen wird. 349 Zöller/Heßler, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 542–566 Rn. 1. Pohle fasst die Aufgabe der Rechtsfortbildung als Teil des Strebens nach Rechtseinheit auf. Nach seiner Auffassung dient es der Rechtseinheit, wenn eine übergeordnete Stelle eine unhaltbare Position aufgibt oder ein erstmalig aufgetretenes Problem löst und damit zu gleichen Entscheidungen aufruft, Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 18. In der zivilprozessualen Dogmatik finden sich weitere Nuancierungen der Diskussion um den Prozesszweck der Rechtsfortbildung. Zum Teil wird der Prozesszweck der Rechtsfortbildung aus der Findung des Rechts im Einzelfall hergeleitet, so z. B. Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 358. Lames betont demgegenüber aus einem anderen Blickwinkel den Charakter der Rechtsfortbildung als Gestaltung und Ergänzung des geltenden Rechts über den Einzelfall hinaus, Lames, Rechtsfortbildung, S. 3. Roth sieht die Rechtsfortbildung als Rechtsreflex des individuellen Rechtsschutzes als Bewährung des objektiven Rechts, H. Roth, ZfPW 2017, 129, 150. Eine Einführung in die Thematik findet sich bei Lames, Rechtsfortbildung, S. 1–5. Eine spannende dogmatische Frage, auf die für die Zwecke dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen werden kann, ist die Frage nach dem Rechtscharakter der rechtsfortbildenden Rechtsprechung. Zur Vertiefung sei auf Brehm, in: Gottwald (Hrsg.), Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, 2001, S. 57 ff. verwiesen. 347

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

ßen.350 Obwohl die Richter in den unteren Instanzen keiner strikten Präjudizienbindung unterliegen, haben die höchstgerichtlichen Entscheidungen faktischen Leitbildcharakter für die unteren Instanzen.351 Der Bedarf nach rechtsfortbildender richterlicher Tätigkeit ergibt sich aufgrund des nur rudimentären Charakters der Regelungen des bürgerlichen Rechts.352 Die Ansiedlung der Aufgabe der Rechtsfortbildung bei dem Gericht an der Spitze des Instanzenzugs dient wiederum auch der Sicherung der Rechtseinheit. Nur so kann sichergestellt werden, dass z. B. die Schließung von Gesetzeslücken oder eine bestimmte Gesetzesauslegung vor dem Hintergrund eines strittigen, verallgemeinerungsfähigen Sachverhalts innerhalb des Gerichtsaufbaus einheitlich erfolgt. c) Individualrechtsschutz durch Herbeiführung einer (erneuten) autoritativen Streitentscheidung über einen konkreten Streitgegenstand Gleichzeitig setzt sich aber die Ausrichtung des Zivilprozesses am Schutz der subjektiven Privatrechte des Einzelnen auch in den Rechtsmittelinstanzen fort. Es ist die Funktion der Rechtsmittel, eine erneute Entscheidung über den Streitgegenstand in der Gestalt zu ermöglichen, den er in der Rechtsmittelinstanz angenommen hat.353 Aus Sicht der Rechtsunterworfenen stellen sich die Rechtsmittel als Vehikel zum Schutz ihrer Rechte da, durch die sie die Möglichkeit erhalten, die Aufhebung einer ungünstigen Entscheidung verbunden mit einer Entscheidung zu eigenen Gunsten zu erreichen.354 Ungeachtet dessen, dass der Prüfungsumfang der Rechtsmittelinstanz im Vergleich zur Eingangsinstanz Beschränkungen355 aufweist, ist entscheidendes Motiv der Rechtsmitteleinlegung stets der

350 BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 543 Rn. 23; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 543 Rn. 11; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 543 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 543 Rn. 13; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 543 Rn. 14. 351 Vgl. MünchKomm ZPO/Gottwald, Band 1, § 322 Rn. 23; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 18; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 11. Eine strikte Präjudizienbindung wäre mit der richterlichen Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG und der Freiheit der richterlichen Urteilsbildung nicht in Einklang zu bringen, Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 10. 352 Dies entfließt u. a. dem Leitprinzip des materiellen Zivilrechts, der Privatautonomie. Soweit der Grundsatz der Privatautonomie reicht, sind auch gesetzlich nicht normierte Handlungsformen zulässig. Aber auch im Übrigen ist das Recht nur rudimentär kodifiziert. Der Gesetzgeber ist gar nicht in der Lage, alle denkbaren, multifaktoriellen Sachverhalte zu kodifizieren. 353 Saueressig, Das System der Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 309. 354 Vgl. Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 17. Er bezeichnet das Rechtsmittel der Revision als „Hort der Gerechtigkeit“ (Herv. d.Verf.), ebenda. 355 Das Berufungsgericht ist an die Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Der Prüfungsumfang des Revisionsgerichts beschränkt sich auf Rechtsfragen, § 545 Abs. 1 ZPO.

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Wunsch nach Abänderung einer ungünstigen richterlichen Entscheidung.356 Dies stellte auch das Bundesverfassungsgericht in einer das Revisionsrecht betreffenden Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1980357 fest: „Die Nachprüfungsbefugnis des Revisionsgerichts ist zwar begrenzt; soweit sie aber eröffnet ist, ist sie gerade auch zu dem Zweck gegeben, die rechtliche Richtigkeit der Entscheidung des Falles zu gewährleisten.“ 358

Die Revision bleibt trotz Verfolgung der Allgemeininteressen der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung (wie auch die Berufung) ein Parteirechtsmittel, das von der Partei im Eigeninteresse eingelegt und finanziert wird.359 Aus diesem Grund dient die Revision jedenfalls auch dem Parteiinteresse an der richtigen Entscheidung des Einzelfalls zum Zwecke der Verwirklichung ihrer subjektiven Privatrechte und somit der Einzelfallgerechtigkeit.360 Die Verwirklichung der subjektiven Privatrechte kann sich, wie auch im erstinstanzlichen Verfahren, nicht nur in der Beseitigung einer fehlerhaften Entscheidung, sondern auch in der Bestätigung einer zutreffenden klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung, also in dem Schutz des Beklagten vor unberechtigter Inanspruchnahme, äußern.361 Im Zentrum der Rechtsmittelverfahren in Zivilsachen steht folglich der Individualrechtsschutz und die rechtlich richtige Einzelfallentscheidung.362 Im Revisionsverfahren wird die Einzelfallentscheidung darüber hinaus zum Anlass genommen, die überindividuellen Zwecke der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung zu fördern und gleichzeitig die Kontrollfunktion gegenüber den unteren Gerichten wahrgenommen.363

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So zu Recht Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 309. BVerfGE 54, 277 = BVerfG, NJW 1981, 39. 358 BVerfGE 54, 277, 289 f. = BVerfG, NJW 1981, 39. 359 H. Roth, ZfPW 2017, 129, 151. Für das Rechtsmittel der Revision ergibt sich die Eigenschaft als Parteirechtsmittel aus § 549 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V. m. §§ 91, 97 ZPO, für das Rechtsmittel der Berufung aus § 519 Abs. 1 ZPO i.V. m. §§ 91, 97 ZPO. Für eine Zusammenstellung einzelner Grundsätze des Revisionsrechts, die Ausdruck des Parteiinteresses in der Revisionsinstanz sind, siehe Linnenbaum, Revisionszulassung, S. 18. Vgl. auch BVerfGE 49, 149, 160 = BVerfG, NJW 1979, 151, 152. 360 Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 542 Rn. 2; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 542 Rn. 1; Zöller/Heßler, ZPO, § 542 Rn. 1; Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 310; Dethloff, ZRP 2000, 428; Wenzel, NJW 2002, 3353. 361 Vgl. Ausführungen zu A.II.2.a). 362 BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. Vgl. auch Linnenbaum, Revisionszulassung, S. 18. 363 Vgl. BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. Anders aber Pohle, der betont, dass der Schutz der subjektiven Rechte der Parteien im Einzelfalle mittelbar im Allgemeininteresse gewährt wird, und somit den diametralen Blickwinkel einnimmt, Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 39. 357

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

d) Primärzweck der Revision Die Auseinandersetzung mit den Zwecken der Rechtsmittelverfahren gibt Anlass zu einem vertieften Blick auf das Revisionsverfahren. So sehr Einigkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsmittel der Revision besteht, dass Zwecke des Revisionsverfahrens sowohl in der Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtsfortbildung und in der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit364 liegen, so umstritten ist die Frage, ob einer dieser Zwecke als Primärzweck anzusehen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist eine bedeutende Weichenstellung für die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Rechtsfragen zur Ausgestaltung von Dispositionsbefugnissen in der Revisionsinstanz.365 Sofern der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung eine Vorrangstellung zugesprochen wird und damit Allgemeininteressen in das Zentrum des Revisionsverfahrens rücken, erscheinen Maßnahmen der Zurückdrängung von Parteifreiheiten in der Revisionsinstanz nur konsequent, denn die Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung erfordert ein streitiges Urteil. Wenn die Zwecke der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung und der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit aber gleichgewichtet werden oder letzterer Zweck in der Revisionsinstanz besonders betont wird, sind übermäßigen Beschränkungen von Dispositionsbefugnissen der Parteien in der Revisionsinstanz Grenzen gesetzt.366 Im Individualinteresse der Parteien liegt es, eine einvernehmliche Streitbeendigung durch Rücknahme des Rechtsmittels, Anerkenntnis, Verzicht o. ä. jederzeit möglichst ohne Beschränkungen herbeiführen zu können. Es besteht somit eine Antinomie zwischen den beiden Prozesszwecken.367 Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem Zweck des Rechtsinstituts der Revision besonders interessant. Es ist zunächst aber zu beachten, dass der Zweck des Rechtsinstituts der Revision als Ganzes von dem Zweck einzelner Normen des Revisionsrechts abwei364 Die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit beschreibt nach der hiesigen Auffassung unmittelbar die Fortsetzung des Individualrechtsschutzzweckes in der Revisionsinstanz. Daher sind die Zweckbezeichnungen der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit und des Individualrechtsschutzes als inhaltlich deckungsgleich zu verstehen. 365 Angesprochen sind hiermit die Gesetzesänderungen in Hinblick auf die Rücknahme der Revision (§ 565 S. 2 ZPO) und das Anerkenntnis in der Revisionsinstanz (§ 515 Abs. 3 ZPO) mit Wirkung zum 1. Januar 2014 durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. 2013 I, Nr. 63. Auf diese Gesetzesänderungen wird im Zweiten Kapitel dieser Arbeit vertieft eingegangen. 366 Für die richtungsbestimmende Wirkung der Auffassung vom Prozesszweck für die Ausgestaltung der Parteiherrschaft im Verfahren im Allgemeinen: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 45; Bundesministerium für Justiz, Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, 1961, S. 166 f. 367 Ausführlich Traut, Der Zugang zur Revision, S. 53 ff.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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chen kann. Der Gesamtzweck des Rechtsinstituts kann daher nicht derart auf Einzelnormen projiziert werden, dass deren Auslegung determiniert wird.368 Die überwiegende Auffassung in der Literatur erachtet die Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung als vorrangigen Zweck des Revisionsverfahrens.369 Der Vorrang des Zwecks der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung im Revisionsverfahren wird aus der Stellung des Revisionsgerichts im Gesamtsystem der rechtsprechenden Gewalt abgeleitet: Das oberste Gericht muss im Rechtsstaat für eine einheitliche Rechtsprechung einschließlich einer einheitlichen Rechtsfortbildung Sorge tragen.370 Die Revision diene vor allem dem staatlichen Interesse an der einheitlichen Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch seine Gerichte.371 Noch weiter geht Hirsch, nach dessen Auffassung die Revision nicht mehr der Kontrolle der Instanzentscheidung, sondern nur dem Allgemeininteresse diene.372 Demgegenüber wird von anderen Vertretern in der Literatur die Gleichwertigkeit der Revisionszwecke der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung sowie des Individualrechtsschutzes betont373 und der Schwerpunkt des Revisions368 Vgl. Traut, Der Zugang zur Revision, S. 52; Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 92 ff. Prütting weist zu Recht auf die Schwierigkeiten hin, eine Zweckbestimmung mit Geltung für das gesamte Revisionsverfahren zu treffen. Der Zugang zur Revisionsinstanz ist eindeutig im Allgemeininteresse ausgestaltet. Nach Überschreiten der Zugangshürde dominieren die Parteiinteressen, denn gegen den Willen der Parteien findet kein Revisionsverfahren statt. Nicht jede Teilregelung des Revisionsrechts verfolgt damit die gleiche Zielsetzung, siehe Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 93. Ähnliche Bedenken äußernd Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 77 f. 369 BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 542 vor Rn. 1; Zöller/Heßler, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 542–566 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 21; M. Stürner, Anfechtung von Zivilurteilen, S. 44; Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen, S. 11; Willingmann, Rechtsentscheid – Geschichte, Dogmatik und Rechtspolitik eines zivilprozessualen Vorlagemodells, S. 248; Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 333. In diesem Sinne wohl auch Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 542 Rn. 1; Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 351 Fn. 26 m.w. N., 353 f.; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 316; kritisch hinsichtlich dieses Vorrangverhältnisses Mannheim, Revision, S. 29 ff. Beschränkt auf die Einzelnormen der §§ 546, 554b Abs. 1 ZPO a. F. hat das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1981 vertreten, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Revisionszugangs den Zwecken der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung vorrangiges Gewicht zugemessen habe, BVerfGE 54, 277, 294 = BVerfG, NJW 1981, 39, 42. Der Reformgesetzgeber von 2001 ging ausgehend von der Gestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz verallgemeinernd von einem Vorrang der Zwecke der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung aus, BT-Drs. 14/4722, S. 66. 370 Unberath, ZZP 120 (2007), 323, 333. 371 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 21. 372 Hirsch, NJW-Editorial Heft 18/2012. Zustimmend Bräutigam, AnwBl 2012, 533. 373 Im Sinne der Gleichwertigkeit der Prozesszwecke: Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 542 Rn. 2. So wohl auch MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 543 Rn. 1; Jacoby, ZPO, Kap. 16 Rn. 697; Lames, Rechtsfortbildung, S. 83; Dethloff, ZRP 2000, 428, 432; H. Roth, ZfPW 2017, 129, 151.

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verfahrens sogar in der Herbeiführung einer (erneuten) autoritativen Streitentscheidung über einen konkreten Streitgegenstand gesehen.374 Zwar sei es im Revisionsverfahren in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung zu Recht zu einer Aufwertung von Allgemeininteressen375 gekommen, jedoch sei auch die Einzelfallgerechtigkeit durch Rückbesinnung auf den individuellen Rechtsschutz zu verwirklichen.376 Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Rechtsfortbildung sei nur Konsequenz einer erneuten Streitentscheidung, ohne eine gerechte Einzelfallentscheidung sei keine Rechtseinheit oder -fortbildung möglich.377 Die Schwierigkeit der Bestimmung eines vorrangigen Zwecks der Revision ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass individuelle und öffentliche Interessen im Revisionsverfahren eng miteinander verbunden sind. Kern hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Unterscheidung zwischen individuellen und öffentlichen Interessen in Bezug auf das Revisionsverfahren auf den ersten Blick eindeutig erscheinen mag, bei genauerem Hinsehen die Grenzen aber verschwimmen.378 Prima facie öffentlichen Zwecken dienende Charakteristika des Revisionsverfahren fördern auch individuelle Zwecke und vice versa.379 Die im öffentlichen Interesse stehende Fortbildung des Rechts durch das Revisionsgericht kommt den Parteien zu Gute, da sie ihr Handeln in der Zukunft an den höchstgerichtlichen Leitlinien ausrichten können und dadurch möglicherweise Rechtsstreitigkeiten vermeiden können.380 Das Interesse der Parteien an einer richtigen und einzelfallgerechten Revisionsentscheidung spiegelt sich wider in dem öffentlichen Interesse an der Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung, die das Vertrauen in die Justiz und die Staatsgewalt im Ganzen stärkt.381 e) Stellungnahme Um dennoch einer Antwort auf die Frage nach dem Bestehen eines primären Zwecks des Revisionsverfahrens näher zu kommen, sind die Regelungen des Revisionsrechts in den Blick zu nehmen, die das Wesen des Revisionsverfahrens prägen. Ein prägendes Charakteristikum des Revisionsverfahrens ist die strikte Beschränkung des Zugangs zur Instanz im Allgemeininteresse. Denn nur, wenn die 374

Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 311. Im Vergleich zu dem erstinstanzlichen Verfahren und dem Berufungsverfahren, in denen der Individualrechtsschutzzweck überwiegt. 376 H. Roth, ZfPW 2017, 129, 151. 377 Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 311. 378 Instruktiv Kern, RePro 39 (2014), 15, 19 ff. 379 Kern, RePro 39 (2014), 15, 19, 21. 380 Kern, RePro 39 (2014), 15, 20. 381 Kern, RePro 39 (2014), 15, 22. 375

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Rechtssache grundsätzliche Bedeutung aufweist oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, ist die Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Revision nur der Verwirklichung von Allgemeininteressen dient.382 Sinn und Zweck von Zulassungsschranken zu Rechtsmittelinstanzen ist zuallererst die Vermeidung der Überlastung der Gerichte und der Verhinderung des Kollapses des Rechtsschutzsystems als Ganzem, sie dienen also übergeordneten Zweckmäßigkeitserwägungen, die aber nicht notwendigerweise den Zweck des gesamten Rechtsinstituts determinieren.383 Gleichermaßen wesensprägend für das Revisionsverfahren erscheint die Tatsache, dass im Zentrum des Revisionsverfahrens die Entscheidung des Einzelfalls steht. Aus Anlass der Einzelfallentscheidung wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gesichert und Rechtsfortbildung angestrebt.384 Ohne die Verwirklichung der subjektiven Rechte im Rahmen einer Einzelfallentscheidung können die Ziele der Rechtsfortbildung und Wahrung der Rechtseinheit nicht erreicht werden.385 Die Einlegung, Durchführung und weitgehend auch die Beendigung des Revisionsverfahrens liegen in den Händen der beschwerten Partei.386 Die Fülle an Parteirechten in der Revisionsinstanz zeigt, dass die Gewährleistung der Einzelfallgerechtigkeit im Revisionsverfahren in ihrer Wertigkeit nicht hinter den Revisionszwecken der Sicherung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung zurücksteht.387 Der These Hirschs, dass die Revision allein dem Allgemeininteresse diene388, kann nicht gefolgt werden, da sie nicht mit der gegenwärtigen Ausgestaltung des Revisionsverfahrens kompatibel ist.389 Der Gesetzgeber vertraut auf

382 Das Bundesverfassungsgericht formuliert dies wie folgt: „Es wäre indes ein Fehlschluß, daraus (aus der Beschränkung des Revisionszugangs zur Verfolgung allgemeiner Revisionszwecke, Anm. d. Verf.) zu folgern, daß auch insoweit, als das Rechtsmittel den Beteiligten einmal eröffnet ist, die Gewährleistung der Einzelfallgerechtigkeit den übrigen Rechtsmittelzwecken grundsätzlich hintangesetzt sei oder hintangesetzt werden dürfe.“, BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. 383 Vgl. Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 310 f. Saueressig bringt einen treffenden Vergleich dafür, dass Zugangsfilter zur Revisionsinstanz nicht allein den Zweck des Verfahrens vorprägen können, da man ansonsten sagen müsse: „[. . .], dass es der vorrangige Zweck eines Hauses sei, Unbefugten den Zutritt zu verwehren, da dies ein Zweck der abschließbaren Haustür ist“, Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 310. 384 BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. 385 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 6. Grunsky erachtet vor diesem Hintergrund auch in der Revisionsinstanz die Verwirklichung subjektiver Rechte als Hauptzweck des Prozesses. 386 H. Roth, ZfPW 2017, 129, 150. 387 BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. 388 Hirsch, NJW-Editorial Heft 18/2012. 389 So wohl auch zu verstehen Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 74 f.

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die Privatinitiative für die Wahrung allgemeiner Revisionszwecke390, sodass deren Bedeutung für das Revisionsverfahren nicht unterschätzt werden darf. Sie ist Wurzel und Herzstück des Revisionsverfahrens und Ausgangspunkt vielfältiger Parteibefugnisse im Revisionsverfahren. Insgesamt scheint es aus den vorgenannten Gründen somit am angemessensten, von einer Gleichwertigkeit der Revisionszwecke für das Rechtsinstitut im Ganzen zu sprechen.391 Es gelingt kaum, individuelle und öffentliche Interessen hinsichtlich des Revisionsverfahrens trennscharf voneinander abzusondern.392 Weder ein Vorrang des Zwecks der Einzelfallgerechtigkeit noch ein Vorrang des Zwecks der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung im Revisionsverfahren lassen sich friktionslos begründen. Die erneute Streitentscheidung als Primärzweck des Revisionsverfahrens zu verstehen393, verfängt nicht vollkommen, da unabdingbare Voraussetzung des Erlasses einer erneuten Streitentscheidung das Vorliegen eines Zulassungsgrundes im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO ist. Die Möglichkeit der Parteien, im Rahmen der Revision ihre subjektiven Privatrechte im Einzelfall durchzusetzen, ist begrenzt durch das Erfordernis, dass ihrer Rechtssache überindividuelle Bedeutung zukommt. Ferner wurden durch Gesetzesänderungen im Jahre 2014 auch die Befugnisse der Parteien begrenzt, bei drohendem Verlust des Rechtsstreits die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs durch Anerkenntnis oder Rücknahme des Rechtsmittels zu verhindern.394 Weder die Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz noch diejenige der Dispositionsbefugnisse liegen unmittelbar im Parteiinteresse.395 Aber auch die Postulierung eines Vorrangs des Zwecks der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung begegnet Bedenken. Der Prüfungsauftrag des Revisionsgerichts besteht gem. § 557 ZPO nur im Rahmen der von den

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BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. In diesem Sinne kann auch folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verstanden werden: BVerfGE 49, 149, 160 = BVerfG, NJW 1979, 151, 152. So auch Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß, S. 210 f.; Pohle, Revision und neues Strafrecht, S. 82 f. 392 Vgl. Kern, RePro 39 (2014), 15, 19 ff. 393 So Saueressig, Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 311. 394 Anerkenntnis in der Revisionsinstanz gem. § 515 Abs. 3 ZPO nunmehr nur auf Antrag des Revisionsklägers, eine Rücknahme der Revision ist gem. § 565 S. 2 ZPO ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur noch bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten möglich, eingeführt mit Wirkung zum 1. Januar 2014 durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. 2013 I, Nr. 63. 395 Vgl. Traut, Der Zugang zur Revision, S. 59. Die Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz kann jedoch zumindest mittelbar Parteiinteressen fördern, indem die Verfahrensdauer des Rechtsstreits verkürzt wird und früher eine endgültige Streitbeilegung erfolgt, Kern, RePro 39 (2014), 15, 25. 391

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Parteien gestellten Anträge. Den Parteien wird ermöglicht, durch ihre Revisionsanträge auch solche Rechtsfragen aus dem Verfahren herauszufiltern, deren Beantwortung im Allgemeininteresse läge. Zudem verbleiben trotz der Gesetzesverschärfung im Jahre 2014 weitere Wege zur Verhinderung einer streitigen Revisionsentscheidung, z. B. durch Prozessvergleich oder Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch, § 306 ZPO. Diese Parteimacht spricht gegen den Vorrang des Zwecks der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung in der Revisionsinstanz. Das Rechtsinstitut der Revision prägen daher die Zwecke der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung sowie der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit im gleichen Maße. Besonders treffend hat Braun den Widerstreit der Prozesszwecke im Rahmen der Revision beschrieben: „[Durch das Erfordernis der Einlegung der Revision durch die beschwerte Partei, Anm. d. Verf.] bedient sich die ZPO insoweit subjektiver Parteiinteressen, um ein Anliegen zu realisieren, das im Grunde überindividueller Natur ist. Sie [die Revision, Anm. d. Verf.] enthält daher ein [. . .] Spannungsverhältnis subjektiver und objektiver Momente.“ 396

Einzelne Vorschriften des Revisionsrechts mögen zwar vorrangig Ausprägung der einen oder der anderen Zweckbestimmung397 sein, das Rechtsinstitut im Ganzen vereint in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung beide Zwecke jedoch in gleichwertigem Maße. Das so verstandene Verhältnis zwischen den Revisionszwecken mahnt dazu, im Rahmen der Ausgestaltung der konkreten Einzelnormen des Revisionsrechts darauf zu achten, dass beide Revisionszwecke möglichst zu einem schonenden Ausgleich in einer Weise gebracht werden, die beiden Revisionszwecken am besten gerecht wird, zumindest jedoch einen Revisionszweck nicht völlig leerlaufen lässt.398 Aufgrund der Antinomie der Revisionszwecke ist dies kein leichtes Unterfangen.

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Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, § 64 S. 1013. Zum Beispiel ist die Vorschrift des § 543 Abs. 2 ZPO klarer Ausdruck des Zwecks der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung, wohingegen § 557 ZPO Ausdruck des Individualinteresses an der Revisionsentscheidung ist. 398 Es zeigt sich eine gewisse Parallele zum öffentlich-rechtlichen Grundsatz der praktischen Konkordanz. Das verfassungsrechtliche Auslegungsprinzip soll verhindern, dass ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut auf Kosten eines anderen gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts einseitig bevorzugt wird. Daher soll ein möglichst schonender Ausgleich zwischen den widerstreitenden Verfassungsgütern gefunden werden. Im Einzelfall kann dies auch bedeuten, dass ein Verfassungsgut hinter dem anderen Verfassungsgut zurücktritt, vgl. Maurer, Staatsrecht I, § 1 Rn. 62. Für die Ausgestaltung des Revisionsrechts kann dies bedeuten: so viel Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung im Allgemeininteresse wie nötig, so viel im Parteiinteresse liegende Fallgerechtigkeit wie möglich, vgl. Dethloff, ZRP 2000, 428, 432. 397

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4. Zusammenfassung Die Auseinandersetzung mit Fragen der Prozesszwecklehre zeigt, dass es eine einfache, pauschale Antwort auf die Frage nach dem Prozesszweck nicht gibt. Die Frage lässt sich nicht einheitlich für die verschiedenen zivilprozessualen Instanzen beantworten. Es liegt es daher nicht fern, von einer Relativität des Prozesszwecks in den unterschiedlichen Stadien des Prozesses zu sprechen.399 In der ersten Instanz liegt die Aufgabe des Zivilprozesses darin, die subjektiven Privatrechte der Parteien erstmalig festzustellen. Die Individualrechte der Parteien stehen im Zentrum des Verfahrens, dessen Beginn, Durchführung und Ende unter ihrem Einfluss steht. Die im Individualinteresse bestehende Parteiherrschaft im Prozess ist in der ersten Instanz besonders ausgeprägt. Es stehen den Parteien zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, auf das Verfahren einzuwirken und dadurch auf das Ob und den Umfang der Feststellung ihrer subjektiven Privatrechte Einfluss zu nehmen.400 Im gleichen Maße liegt der Fokus des Berufungsverfahrens auf den individuellen Parteiinteressen. In ihrem Interesse erfolgt die Kontrolle des erstinstanzlichen Urteils auf Fehler und eine erneute autoritative Streitentscheidung über einen konkreten Streitgegenstand zum Zwecke der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit. Die Ausrichtung des Berufungsverfahrens an den Parteiinteressen zeigt sich ferner in den weitgehenden parteilichen Dispositionsbefugnissen in der Berufungsinstanz.401 Ungeachtet dessen, dass das Berufungsrecht in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung auch rechtliche Beschränkungen im Allgemeininteresse wie das Zulassungserfordernis der Berufung bei Nichterreichen der Beschwerdesumme gem. § 511 Abs. 4 ZPO402 kennt, steht durch die Überprüfung der Rechtssache in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht die Feststellung und Verwirklichung der subjektiven Privatrechte der Parteien im Fokus des Berufungsprozesses. Anders als in den ersten beiden Instanzen, in deren Mittelpunkt des Prozesses der Individualrechtsschutz steht, widmet sich das Revisionsverfahren im stärkeren Maße der Verwirklichung von öffentlichen Interessen. Das Revisionsverfah399 H. Roth, ZfPW 2017, 129, 151. Vgl. insofern auch M. Stürner, der davon spricht, dass der Individualschutz nicht in jeder Instanz denselben Stellenwert hat, M. Stürner, Anfechtung von Zivilurteilen, S. 44. 400 Zum Beispiel u. a. durch Klageverzicht (§ 306 ZPO), Anerkenntnis (§ 307 ZPO), Klagerücknahme (§ 269 ZPO), Klageänderung (§§ 263 ff. ZPO). 401 Zum Beispiel in der Möglichkeit der Rücknahme der Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils (§ 516 Abs. 1 ZPO). Im Übrigen bestehen auch ohne besondere Einschränkungen wie in der ersten Instanz die Möglichkeit zum Klageverzicht (§ 306 ZPO) und zum Anerkenntnis (§ 307 ZPO). 402 Bei der Zulassungsberufung entsteht in gleichem Maße ein Spannungsverhältnis zwischen subjektiven Elementen (Erfordernis der Parteieinlegung des Rechtsmittels) und objektiven Elementen (Beschränkung des Zugangs zur Berufung im öffentlichen Interesse), Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, § 64 S. 1013.

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ren realisiert nach der hier vertretenen Ansicht Individual- und Allgemeininteresse in gleichem Maße. Durch die Beschränkung des Zugangs zur dritten Instanz und des Prüfungsumfangs auf Rechtsfragen wird dem Allgemeininteresse an der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung Rechnung getragen. Gleichzeitig benötigt das Revisionsverfahren aber die Parteiinitiative, denn nur durch die autoritative Streitentscheidung über einen Einzelfall wird im Revisionsverfahren die Klärung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung herbeigeführt. Der erhebliche Einfluss der Parteien auf Gegenstand und Beendigung des Verfahrens unterstreicht die große Bedeutung und den hohen Grad der Verwirklichung von Parteiinteressen im Revisionsverfahren. Der obige Befund betreffend das Revisionsverfahren nötigt aber nicht zu einer Neupositionierung zur Grundfrage nach dem Zweck des Zivilprozesses (im Allgemeinen). Alle Instanzen eint, dass das jedes Verfahren (zumindest auch) an dem Ziel der Feststellung und Verwirklichung subjektiver Privatrechte, dem Individualrechtsschutz ausgerichtet ist. Der Zweck des Individualrechtsschutzes zeigt sich im Instanzenzug in vielen Facetten: in der erstmaligen gerichtlichen Entscheidung oder deren Überprüfung und Korrektur in den höheren Instanzen, in den Möglichkeiten der Parteien auf den Gegenstand des Rechtsstreits einzuwirken oder dem Gericht den Rechtsstreit gar wieder zu entziehen. Dies rechtfertigt es, in der Gesamtschau den Zweck des Zivilprozesses in der Feststellung und Verwirklichung der subjektiven Privatrechte der Parteien zu sehen.

III. Disposition über den Instanzenzug und Gesamtrechtsordnung – Rahmenbedingungen aufgrund der Verfassung, der EMRK und sonstiger relevanter Rechtsnormen Das durch den Zivilprozess gewährte Rechtsschutzsystem stellt das Individuum und dessen Rechte in seinen Mittelpunkt und reiht sich damit nahtlos in die Gesamtarchitektur der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung ein.403 Das Recht auf staatlichen Schutz der subjektiven Privatrechte in einem förmlichen Verfahren entspringt der Verfassung, es folgt aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch.404 Das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten hat der Gesetzgeber durch die Zivilprozessordnung ausgestaltet. Aufgrund des Ziels der hiesigen Arbeit, die Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltung des Instanzenzugs und der parteilichen Dispositionsbefugnisse in den höheren Instanzen durch den einfachen Gesetzgeber zu untersuchen, ist von Interesse, welchen Spielraum die Verfassung ihm insofern zugesteht. Es besteht daher Anlass, den Fragen nachzugehen, was der einfache Ge403

Vgl. Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 315 ff. BVerfGE 88, 118, 123 = BVerfG, NJW 1993, 1635; BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926. 404

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setzgeber mit Blick auf den Individualrechtsschutz leisten muss (Recht auf einen Instanzenzug?) und wo die Grenzen der Beschränkungen der Parteifreiheiten innerhalb des Instanzenzugs durch den einfachen Gesetzgeber liegen. Höherrangige Rechtsnormen haben erhebliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Zivilprozessrechts. Zuallererst ist hier der Einfluss des Grundgesetzes zu nennen. So sind die Zivilgerichte als staatliche Akteure gem. Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Ferner stellt das Rechtsstaatsprinzip Anforderungen an den Zivilprozess. Die konkrete Ausgestaltung des Zivilprozessrechts ist ein Spiegelbild der gesetzgeberischen Ausbalancierung von grundrechtlich verankerten Freiheiten des Einzelnen und der dem Rechtsstaatsprinzip entspringenden Bedürfnisse.405 Es ist aber nicht nur das deutsche Verfassungsrecht, das auf das Zivilprozessrecht einwirkt. Zu berücksichtigen sind auch die europarechtlichen Verbürgungen aus der EMRK und der Grundrechte-Charta. Schließlich soll auch in einem völkerrechtlichen Vertrag, dem Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, nach Anhaltspunkten dafür gesucht werden, welche Vorgaben höherrangige Rechtsnormen für die Ausgestaltung des zivilprozessualen Instituts des Instanzenzugs beinhalten oder welche Rahmenbedingungen sie für Dispositionsfreiheit über den Instanzenzug schaffen. 1. Verfassung Welche Vorgaben die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber für die Ausgestaltung des Zivilprozessrechts macht, soll mit Blick auf das Institut des Instanzenzugs näher beleuchtet werden. Die zentrale verfassungsrechtliche Fragestellung, die sich im Zusammenhang mit dem dreistufigen System des Rechtsschutzes in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten aufdrängt, ist die hochumstrittene Frage nach dem Bestehen eines Rechts auf einen Instanzenzug. Auf dieses Thema wird in gebotener Kürze eingegangen. Eine umfassende Erörterung des Themas, eine der Fragestellung in all ihren Facetten gerecht werdende Darstellung, kann diese Arbeit nicht leisten.406 Dennoch soll die Thematik nicht übergangen werden, denn zur Bestimmung der gesetzgeberischen Möglichkeiten zur Gestaltung des zivilprozessualen Instanzensystems ist es von zentraler Bedeutung, ob der einfache Gesetzgeber qua Verfassung verpflichtet ist, dem Rechtsschutzsuchenden im Zivilprozess einen Instanzenzug zur Verfügung zu stellen. Denn eine verfassungsrechtliche Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug stünde der Abschaffung des Instanzenzugs durch den einfachen Gesetzgeber entgegen. 405 Instruktiv zum Verhältnis zwischen Verfahrensrecht und Verfassung R. Stürner, in: FS Baur, S. 647 ff. 406 Für weitere Vertiefung in diesem Zusammenhang sei verwiesen auf Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, S. 27 ff.; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, passim.

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Ferner bietet das Thema der hiesigen Arbeit Anlass zur Erforschung der Frage, ob und inwieweit parteiliche Dispositionsbefugnisse im Zivilprozess, insbesondere in den Rechtsmittelinstanzen, verfassungsrechtlich fundiert sind. Es gilt zu untersuchen, wie weit die Parteifreiheit im Instanzenzug in verfassungskonformer Weise zurückgedrängt werden kann. Die Beleuchtung der Art und Weise der verfassungsrechtlichen Fundierung des Instituts des Instanzenzugs und des Grundsatzes der Parteiherrschaft dient als Fundament für die kritische Würdigung wesentlicher Änderungen des Rechtsmittelrechts, die die Parteirechte im Instanzenzug verkürzen. Im Zentrum einer solchen Würdigung steht stets die Frage, ob eine Änderung des Rechtsmittelrechts die grundrechtssichernde Funktion des Verfahrensrechts hinreichend berücksichtigt oder eine zu starke Zurückdrängung der freiheitssichernden Komponenten des Prozessrechts im Allgemeininteresse vorliegt.407 a) Subjektives Recht auf einen Instanzenzug? Die Verfassungsrechtswissenschaft befasst sich mit der Frage nach dem Recht des Einzelnen auf einen Instanzenzug, also dem Bestehen eines subjektiven Rechts auf Eröffnung einer zweiten Instanz, nicht nur im Zusammenhang mit dem Rechtsweg der Zivilgerichtsbarkeit, sondern auch in Bezug auf den Rechtszug in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. Ausgangspunkt der Auslegung der Verfassungsnormen mit Blick auf das Bestehen eines Anspruchs des Einzelnen, mehr als eine gerichtliche Instanz zur Wahrung der eigenen Rechte beschreiten zu können, ist Art. 19 Abs. 4 GG. In ständiger Rechtsprechung verneint das Bundesverfassungsgericht das Bestehen eines Anspruchs auf mehr als eine gerichtliche Instanz auf Basis der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.408 Die ma407 Vgl. Bethge, NJW 1991, 2391, 2395. Zu Recht nennt Gilles einschneidende Veränderungen des Rechtsmittelsystems ein „Verfassungsproblem erster Ordnung“ (Herv. d. Verf.), Gilles, JZ 1985, 253, 260 f. Zur freiheitsgewährleistenden Funktion des Verfahrensrechts auch BVerfGE 54, 277, 291 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. Wesentliche Änderungen mit Bezug zum Institut des zivilprozessualen Instanzenzugs in jüngerer Vergangenheit, auf die die hiesige Arbeit dann zu einem späteren Zeitpunkt eingehen wird, sind wie bereits betont die Verkürzung der Dispositionsbefugnisse in der Revisionsinstanz und die Verschärfung des Zugangs zur Revision. 408 BVerfGE 4, 387, 398 = BVerfG, NJW 1956, 625; BVerfGE 11, 232, 233; BVerfGE 11, 263, 265 = BVerfG, NJW 1960, 1563; BVerfGE 28, 21, 36 = BVerfG, NJW 1970, 851, 853; BVerfGE 40, 272, 274 = BVerfG, NJW 1976, 141; BVerfGE 42, 243, 248 = BVerfG, NJW 1976, 1837, 1838; BVerfGE 45, 363, 375 = BVerfG, NJW 1977, 1815, 1816; BVerfGE 54, 277, 291 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41; BVerfGE 83, 24, 31 = BVerfG, NJW 1991, 1283, 1284; BVerfGE 87, 48 = BVerfG, NVwZ 1992, 1182, 1183; BVerfGE 107, 395, 401 = BVerfG, NJW 2003, 1924. Dem folgt auch die überwiegende Zahl der Literaturstimmen: Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 179; Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 103; MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 299; Degenhart, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 –

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teriell spruchrichterliche Tätigkeit der Rechtsprechung unterfalle nämlich nicht dem Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG.409 Im Wesentlichen wird zur Begründung und Zusammenfassung dieser Ansicht auf ein auf Dürig zurückgehendes Zitat rekurriert: „Art. 19 Abs. 4 GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter (Herv. d. Verf.).“ 410 Hinter der engen Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG steht die Befürchtung, eine verfassungsrechtliche Anerkennung eines Rechts auf einen Instanzenzug könnte ausufernde Instanzenzüge verursachen, und die Bestrebung, dies zu verhindern.411 Im Gegensatz zu der recht formalen Begründung der herrschenden Meinung wird in Teilen der Literatur allerdings für ein rechtsstaatliches Verständnis von Art. 19 Abs. 4 GG plädiert. Es sei davon auszugehen, dass die verfassungsrechtliche Verweisung auf den Rechtsweg diesen in seiner traditionell für erforderlich gehaltenen, mehrstufigen Ausformung erfasse.412 Die Möglichkeit zur Kontrolle einer erstinstanzlichen Entscheidung diene der Wiederherstellung rechtmäßiger Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 28; Graßhof, in: Graßhof (Hrsg.), Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 217. EL April 2022, 2022, Art. 19 Abs. 4 GG Nr. 42 m.w. N.; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 78 f.; offenlassend hingegen Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 97 f. Ohne Bezug auf eine konkrete Verfassungsnorm oder einen spezifischen Verfassungsgrundsatz ein subjektives Recht auf einen Instanzenzug ablehnend BVerfGE 6, 7, 12; BAGE 135, 264, 275. 409 BVerfGE 11, 263, 265 = BVerfG, NJW 1960, 1563; BVerfGE 49, 329, 340 = BVerfG, NJW 1979, 154, 155; BeckOK GG/Enders, Art. 19 GG Rn. 57; Dürig/Herzog/ Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 96; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 30. Bei Betrachtung der Verfassung im Gesamtzusammenhang ist die einschränkende Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG verwunderlich: Im Rahmen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG wird die Rechtsprechung unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ gefasst. Darauf weist Breuer zutreffend hin, Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, S. 27. Allerdings kam der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG erst 1969 durch das Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. 1969 I, S. 97 in das Grundgesetz und kann daher zur historischen Interpretation des Art. 19 Abs. 4 GG nicht herangezogen werden, T. Brandner, in: G. Pfeiffer (Hrsg.), Festschrift für Hans Erich Brandner zum 70. Geburtstag, 1996, S. 683, 689. Die Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 4 GG liefert in Hinblick auf die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG keine eindeutigen Ergebnisse, BVerfGE 107, 395, 405 ff. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1925. Im Gegensatz zur materiell rechtsprechenden Tätigkeit des Gerichts werden allerdings beispielsweise Akte der Justizverwaltung als Ausübung öffentlicher Gewalt qualifiziert, Dürig/Herzog/Scholz/ Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 102. 410 Zitiert nach Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 96. 411 Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 96; vgl. Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 30; Schenke, JZ 2005, 116, 117. Dies klingt auch in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 an, in der das Bundesverfassungsgericht darauf hinweist, „das Risiko eines immerwährenden Rechtswegs besteht nach dem Grundgesetz nicht [. . .]“, BVerfGE 107, 395, 401 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924. 412 D. Lorenz, in: Erichsen (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, 1985, S. 143, 154.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Zustände, liege im Interesse des Einzelnen und der Gemeinschaft und sei daher Bestandteil des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG.413 Der befürchteten Ausuferung der Instanzenzüge solle auf Ebene des Art. 19 Abs. 4 GG nicht durch Reduzierung des Schutzbereichs, sondern durch eine angemessene Beschränkung ihrer Rechtsfolge begegnet werden.414 Voßkuhle hat Zweifel an der herrschenden Meinung geäußert. Voßkuhle zufolge sei insgesamt eine Abkehr von dem Dogma „Kein Rechtsschutz gegen den Richter“ angezeigt, da es sich bei richterlichen Entscheidungen um Hoheitsakte handele, die die Grundrechte des Bürgers verletzen können. Aus diesem Grund müssten richterliche Entscheidungen auch an der verfassungsrechtlich gebotenen Kontrolle der Ausübung von Hoheitsgewalt teilhaben.415 Es wäre der Qualität der Rechtsprechung zuträglich, einen Kontrollanspruch auf Überprüfung erstinstanzlicher Richterakte durch eine weitere Instanz auf die Rechtsfrage hin anzuerkennen.416 Für den Gerichtszweig der Zivilgerichtsbarkeit zentriert sich die Diskussion um die Frage nach einem Recht auf einen Instanzenzug aber nicht um die Auslegung der Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern um den allgemeinen Justizgewährungsanspruch, da zivilrechtlichen Streitigkeiten Rechtsverletzungen durch Private und keine Rechtsverletzungen durch die Ausübung von öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG durch obrigkeitliche, vollziehende staatliche Akte zugrunde liegen.417 Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur enthält der allgemeine Justizgewährungsanspruch kein subjektives Recht des Einzelnen auf Eröffnung einer zweiten Instanz gegen eine richterliche Entscheidung.418 Es verbleibt bei der Negierung eines subjektiven Rechts auf Rechtsschutz gegen den

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H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 101. Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, S. 14. 415 Vgl. Voßkuhle, NJW 2003, 2193, 2196. Noch deutlicher für eine Abkehr von der Formel „Rechtsschutz durch den Richter, nicht gegen den Richter“ formuliert Lorenz, dass es sich bei der Formel um eine „zum Schlagwort erstarrte Behauptung“ handelt, „für die man vergeblich nach einer Begründung sucht“, D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 241. Für die Anerkennung einer verfassungsrechtlichen Rechtsmittelgarantie auch Gilles, Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik, S. 120 ff. 416 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 275 f. Ähnlich argumentieren H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 101; Klamaris, in: Gottwald (Hrsg.), Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, 1990, S. 269, 275. 417 BeckOK GG/Enders, Art. 19 GG Rn. 57; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 35; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312, 313. 418 BVerfGE 107, 395, 401 = BVerfG, NJW 2003, 1924; BVerfGE 136, 382, 392 f. = NJW 2014, 2853, 2856; Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 28; Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 103; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 69 f.; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 316. 414

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Richter. Ferner wird die Herleitung eines Rechts auf einen Instanzenzug aus dem Rechtsstaatsprinzip abgelehnt.419 Eine gewisse Aufweichung hat das Dogma „Rechtsschutz durch den Richter, nicht gegen den Richter (Herv. d. Verf.)“ jedoch durch einen Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003420 erfahren. In dem Beschluss hielt das Bundesverfassungsgericht zwar an seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG fest, indem es betonte, dass Art. 19 Abs. 4 GG nur den Zugang zum Gericht, nicht aber einen Instanzenzug garantiere. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nehme es die Verfassung hin, dass ein Akt gerichtlicher Überprüfung nicht selbst daraufhin kontrollierbar sei, ob das Gericht das Recht fehlerfrei angewendet hat, wenn ein unabhängiges Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren unter Beachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze entschieden habe.421 Allerdings stellte das Bundesverfassungsgericht ferner fest, dass von Verfassungs wegen eine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG erforderlich sei, und verwies auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.422 Das Gericht fungiere als Alleinadressat der Verfassungsnorm des Art. 103 Abs. 1 GG und in jeder Instanz als neuer (Erst-)Gewährer des rechtlichen Gehörs, sodass ohne Kontrollinstanz die Beachtung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG kontrollfrei bliebe.423 In der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs liege ein eigener Verfassungsverstoß des Gerichts und somit eine Verletzung der Rechte des Einzelnen im Verhältnis zum Staat.424 Der Justizgewährungsanspruch gewähre Rechtsschutz über den Art. 19 Abs. 4 GG hinaus, in dessen Schutzbereich richterliche Akte nicht fallen.425 Dem Bürger müsse zumindest 419 BVerfGE 4, 74, 94 f. = BVerfG, NJW 1955, 17, 18; BVerfGE 19, 323, 327 f. = BVerfG, NJW 1966, 339, 340; BVerfGE 28, 21, 36 = BVerfG, NJW 1970, 851, 853; BVerfGE 45, 363, 375 = BVerfG, NJW 1977, 1815, 1816; BVerfGE 49, 329, 342 = BVerfG, NJW 1979, 154, 155; BVerfGE 54, 277, 291 = BVerfG, NJW 1981, 39; BVerfG, NJW 2003, 281. Vgl. auch BVerfGE 4, 205, 211 = BVerfG, NJW 1955, 1313. 420 BVerfGE 107, 395–418 = BVerfG, NJW 2003, 1924 ff. 421 BVerfGE 107, 395, 402 = BVerfG, NJW 2003, 1924. Siehe auch Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 28. 422 BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926. Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG führt dazu, dass die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gefährdet ist. In diesem Fall wird eine gerichtliche Überprüfung der richterlichen Handlung vom Bundesverfassungsgericht für erforderlich erachtet, da wegen der Bedeutung der Verfahrensgrundrechte für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens nicht im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auf eine gerichtliche Überprüfung verzichtet werden kann. 423 BVerfGE 107, 395, 410 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1927. Vgl. ferner Dürig/ Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rn. 97. 424 Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 28. 425 BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1925 f.

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dann ein Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt werden, wenn das richterliche Handeln die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts nahelegt.426 In der konkreten Ausgestaltung des Rechtsbehelfs gegen die Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG sei der einfache Gesetzgeber frei in der Entscheidung, diese in einer höheren Instanz oder beim iudex a quo anzusiedeln.427 Der Gesetzgeber reagierte auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit der Neufassung der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO. Außerhalb einer behaupteten Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG soll es allerdings dabeibleiben, dass von Verfassungs wegen kein subjektives Recht auf eine weitere Kontrollinstanz gegen richterliche Entscheidungen gegeben ist. Die vordringende Literaturansicht, die dem Art. 19 Abs. 4 GG und auch dem Justizgewährungsanspruch ein subjektives Recht auf eine weitere gerichtliche Instanz und damit auf einen Instanzenzug entnehmen möchte, sieht sich vor allem dem Einwand der Gefahr des Rechtsschutzes ad infinitum ausgesetzt.428 Konsequent weitergedacht könne die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf eine weitere gerichtliche Instanz zu unendlichen gerichtlichen Rekursen führen.429 Anstelle eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug soll sich aus der Gesamtschau des Grundgesetzes unter Berücksichtigung des Art. 95 GG und des Rechtsstaatsprinzips eine objektiv-verfassungsrechtliche Gebotenheit eines Instanzenzugs ergeben.430 Unweigerliche Folge der Ablehnung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug ist, dass die Ausgestaltung des Instanzenzugs vollkommen in die Hände des einfachen Gesetzgebers gelegt ist und es von Verfassungs wegen ohne Weiteres akzeptiert werden muss, wenn der einfache Gesetzgeber eine gerichtliche Instanz völlig abschafft, da der einfache Gesetzgeber völlige Dispositionsfreiheit über den Instanzenzug hat.431 Die persönliche Freiheit des Einzelnen, eine richterliche Entscheidung mit einem Rechtsmittel einer Kon426

Heiderhoff, GVRZ 2018, 5, Rn. 29. BVerfGE 107, 395, 411 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1927. 428 Zu weiteren Argumenten der Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur siehe T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 690 ff. 429 Vgl. BeckOK GG/Enders, Art. 19 GG Rn. 57. Im Verlauf eines zivilprozessualen Verfahrens ergehen eine Vielzahl von richterlichen Entscheidungen. Wenn alle diese (nicht verfahrensabschließenden) Entscheidungen von Verfassungs wegen einer Überprüfung offenstehen müssten, wäre die Effektivität des Verfahrens massiv bedroht. 430 Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 29. Unklar bleibt, welche Rechtsfolgen die Anerkennung einer „objektiv-verfassungsrechtlichen Gebotenheit eines Instanzenzugs“ zeitigen soll. Es bleibt offen, ob dieser Gedanke einer Abschaffung des Instanzenzugs durch den einfachen Gesetzgeber entgegenstünde. 431 Die Rechtsprechung hält dies für unbedenklich: BVerfGE 19, 323, 327 f. = BVerfG, NJW 1966, 339, 340; BVerfGE 74, 228, 234 = BVerfG, NJW 1987, 2067; BVerfG, NJW 2003, 281. Zu Recht kritisch: T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 698 f.; zweifelnd auch Prütting, in: Heldrich (Hrsg.), Festschrift für Hideo Nakamura zum 70. Geburtstag am 2. März 1996, 1996, S. 457, 472. 427

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

trolle zu unterziehen, unterliegt somit der Gestaltungsmacht des einfachen Gesetzgebers. Auch wenn nicht bestritten werden kann, dass der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und die Gebote der Rechtssicherheit und des Rechtfriedens als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips verlangen, dass ein Rechtsstreit in angemessener Zeit seine endgültige Befriedung findet432, und aus diesem Grund ausufernder Kontrolle richterlicher Entscheidungen Einhalt zu gebieten ist, offenbart sich doch eine gewisse Schieflage: Die Verfassung erlaubt es ohne jegliche Restriktionen, die Freiheit des Einzelnen vollumfänglich aus dem Rechtsstaatsprinzip entfließenden Erwägungen zur Eingrenzung der Kontrolle richterlicher Entscheidungen unterzuordnen. Diese eindeutige Positionierung der Verfassung nach Lesart der Rechtsprechung ist überraschend. Es liegt vielmehr nahe, den individualschützenden Charakter des gerichtlichen Rechtswegs auf eine Ebene mit dessen Bedeutung für den Rechtsstaat zu stellen und damit dem einfachen Gesetzgeber eine Abwägung der Verfassungsgüter bei der Ausgestaltung des Instanzenzugs abzuverlangen. Eine angemessene Beschränkung des gerichtlichen Instanzenzugs zugunsten von Allgemeininteressen ist damit nicht ausgeschlossen.433 Die Verfassung selbst geht davon aus, dass alle Zweige der Gerichtsbarkeit in der Regel zumindest über zwei Stufen verfügen, an deren Spitze ein oberster Gerichtshof des Bundes steht, Art. 95 GG. Obwohl Art. 95 GG sich nicht im Abschnitt über die Grundrechte befindet und daher in seiner Eigenschaft als objektiv-rechtlicher Organisationsauftrag434 keinen unmittelbaren Aufschluss über die Frage eines subjektiv-rechtlichen Anspruchs auf eine weitere gerichtliche Instanz geben kann, ist die Norm dennoch ein wichtiger Gradmesser in Hinblick auf die Harmonisierung der Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG und des Justizgewährungsanspruchs im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes. Die grammatikalische Auslegung der Worte „oberste Gerichtshöfe“ im Art. 95 GG deutet darauf hin, dass die Schöpfer des Grundgesetzes von dem Bestehen eines gerichtlichen Unterbaus und der Funktion der Bundesgerichte als Rechtsmittelgerichte höchster Instanz ausgingen.435 In der Eigenschaft als oberste Rechtsmittelgerichte dienen die Gerichte der Wahrung der Rechtseinheit, sie kontrollieren aber gleichzeitig auch die unteren Instanzen.436 Damit gewährleisten die oberen Gerichte immer auch Individualrechtsschutz.437 432

So zu Recht BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924. Gilles, JZ 1985, 253, 260. 434 BeckOK GG/Morgenthaler, Art. 95 GG Rn. 1; von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 95 GG Rn. 20; T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 696. 435 Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 95 GG Rn. 27; BeckOK GG/ Morgenthaler, Art. 95 GG Rn. 4. 436 Vgl. zur Dualität der Prozesszwecke in der Revisionsinstanz obige Ausführungen im Ersten Kapitel A. II. 3. 433

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In das Gesamtbild des primär individuelle Freiheiten sichernden Rechtsschutzes lässt sich das Fehlen eines subjektiven Rechts des Einzelnen auf eine Kontrollinstanz gegen richterliche Sachentscheidungen nicht recht einpassen.438 Es spricht vieles dafür, unter Berücksichtigung des durch Art. 95 GG abgesteckten objektiven Rahmens der Gerichtsbarkeit ein subjektives Kontrollrecht des Einzelnen auf einmalige Überprüfung erstinstanzlicher richterlicher Entscheidungen auf Rechtsfehler anzuerkennen.439 Somit sollte in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG und des Justizgewährungsanspruchs auch die materielle spruchrichterliche Tätigkeit des Richters einbezogen werden, denn auch sie stellt eine Ausübung von Hoheitsgewalt dar, die die Grundrechte des Einzelnen verletzen kann.440 Nur so wird der Bedeutung des Individualrechtsschutzes als Verfassungsgut hinreichend Rechnung getragen. Ein Rechtsschutz ad infinitum wird damit nicht manifestiert. Es ist keinesfalls ausgeschlossen, sondern vielmehr grundsätzlich denkbar, dass das subjektive Recht des Einzelnen auf einen Instanzenzug hinter anderen Verfassungsgütern zurücktritt. Folge der Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug ist allein, dass dem einfachen Gesetzgeber bei Beschränkungen der Kontrollmöglichkeiten einer gerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler eine sorgfältige Abwägung der tangierten Verfassungsgüter auferlegt wird. Bei jeder Einschränkung des Instanzenzugs hat der einfache Gesetzgeber das Für und Wider, u. a. die Gesichtspunkte der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und Richtigkeitsgewähr des Verfahrens, der Herstellung von Rechtsanwendungsgleichheit, der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gerichte, der begrenzten Gerichtskapazitäten und der angemessenen Dauer des Verfahrens, abzuwägen.441 437 T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 697. Vgl. auch Ausführungen zu A. II. 2. d). 438 So auch T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 697; vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 95 GG Fn. 44. Anders die überwiegende Ansicht in der Literatur, die aus Art. 95 GG kein (Indiz für ein) subjektives Recht auf einen Instanzenzug ableiten will: BeckOK GG/Morgenthaler, Art. 95 GG Rn. 4; Dürig/Herzog/ Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 103; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 82; Schenke, JZ 2005, 116, 117. Schenke hält die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug für mit der Stellung der obersten Bundesgerichte unvereinbar. Die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug schließt Beschränkungen im Allgemeininteresse jedoch nicht aus, sodass das Recht auf eine weitere Instanz gegen Entscheidungen der obersten Bundesgerichte im Interesse der Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit versagt werden kann. 439 von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 95 GG Fn. 44; T. Brandner, in: FS Hans Erich Brandner, S. 683, 697 f. Art. 95 GG nimmt Bezug auf die obersten Gerichtshöfe in ihrer Eigenschaft als Revisionsgerichte. Eine verfassungsrechtliche Garantie eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug hat den von Art. 95 GG gesteckten Rahmen zu wahren. Aus diesem Grund kann ein subjektives Recht auf einen Instanzenzug nur auf eine erneute gerichtliche Überprüfung auf Rechtsfragen beziehen. Eine weitere Tatsacheninstanz ist hingegen verfassungsrechtlich nicht garantiert, vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 310 f. 440 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 308; ders., NJW 2003, 2193, 2196. 441 Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 254.

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Das Gebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege kann eine Verkürzung der Kontrollmöglichkeiten des Einzelnen erfordern. Das Rechtsmittelsystem kann nicht als „Garten Eden“ des Individualrechtsschutzes ohne (auch substanzielle) Beschränkungen ausgestaltet werden, da sonst ein Kollaps des Rechtssystems aufgrund heillos überlasteter und daher nicht arbeitsfähiger Gerichte droht. Die Funktionsfähigkeit der Gerichte ist „conditio sine qua non“ eines starken Rechtsstaats. Die Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall durch die Rechtsmittelgerichte ist undenkbar ohne Funktionsfähigkeit der Gerichte.442 Dies kann es rechtfertigen, das die Individualrechte verwirklichende Ziel der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit im Instanzenzug dem Gemeinwohlbelang der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege unterzuordnen. Allerdings wird dem einfachen Gesetzgeber durch Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsfrage aufgegeben, Einschränkungen der Rechtsmittelverfahren sorgsam zu begründen und der Tendenz Einhalt geboten allein unter schlichtem Verweis auf die gerichtliche Überlastung, eine Beschränkung von Rechtsmittelverfahren zu rechtfertigen.443 Die Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems wird ferner der völligen Dispositionsfreiheit des einfachen Gesetzgebers entzogen. Vor diesem Hintergrund sind Zugangsschranken zu Rechtsmittelinstanzen, die die Ausübung von Befugnissen der Parteidisposition im und über den Instanzenzug vollkommen ausschließen oder erheblich beschränken, im besonderen Maße verfassungsrelevant. Die Gesamtschau der geschriebenen Verfassungsnormen deutet darauf hin, dass das Grundgesetz die binnenjustizielle Kontrolle von richterlichen Entscheidungen als freiheitssicherndes Element des Rechtsstaats, verkörpert durch den Instanzenzug, begreift. Eine völlige Dispositionsfreiheit des einfachen Gesetzgebers über die Ausgestaltung bzw. die Gewährung eines Instanzenzugs mit der Möglichkeit der vollständigen Beseitigung des Instanzenzugs, wie sie die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur anerkennt, steht dazu im diametralen Gegensatz und ist daher abzulehnen. Eine verfassungsrechtliche Anerkennung eines subjektiven Rechts des Einzelnen auf Kontrolle einer erstinstanzlichen richterlichen Entscheidung scheint daher geboten. b) Parteiherrschaft im Zivilprozess und Verfassungsrecht In der Dispositionsmaxime tritt die weitgehende Herrschaft der Parteien über den Zivilprozess am deutlichsten hervor. Die Dispositionsmaxime unterstellt es dem Ermessen der Parteien, ob und worüber eine staatliche Klärung zivilrecht442 Vgl. BVerfGE 33, 367, 383 = BVerfG, NJW 1972, 2214, 2216; H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 101. 443 Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 361. Zuletzt wurde derart die Notwendigkeit der Verstetigung der Regelung zur Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen begründet, siehe BT-Drs. 19/13828, S. 1.

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licher Ansprüche herbeigeführt wird. Die Parteien haben die Freiheit, über den Prozess im Ganzen zu verfügen, also Beginn, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens zu bestimmen.444 Prägnant verkürzt ist die Dispositionsmaxime gleichbedeutend mit der Parteiherrschaft über das „Ob“ und „Worüber“ des Prozesses.445 Die Verfügungsbefugnis der Parteien über das „Ob“ und „Worüber“ des Zivilprozesses wird überwiegend als (mittelbare)446 Konsequenz der materiellen Freiheitsrechte des Grundgesetzes, als Ausfluss der in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verankerten Verfügungsbefugnis über privatrechtliche Ansprüche, verstanden.447 Darüber hinaus kann die Dispositionsmaxime als Bestandteil des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK angesehen werden.448 Aus der Eigenschaft der Dispositionsmaxime als prozessuales Pendant der Privatautonomie folgt indes nicht, dass Parteifreiheit im Prozess in gleichem Maße zu verwirklichen wäre wie die Privatautonomie im materiellen Privatrecht. Im Prozess tritt ein weiterer maßgeblicher Akteur hinzu, nämlich der Staat, dessen Aufgabe es ist, eine verbindliche Klärung der Privatrechte herbeizuführen. Der Staat hat bei der Rechtsgewährung noch andere Rechtsgüter neben der Parteifreiheit zu berücksichtigen.449 Von Verfassungs wegen kann daher es bei der Ausgestaltung der Parteifreiheit im einfachen Recht nicht von einem Grundsatz „in dubio pro libertate“ ausgegangen werden.450 444 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 35; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 84; Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 34; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18; Cahn, AcP 198 (1998), 35, 36; Schreiber, JURA 1988, 190. 445 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18; R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 650; Schreiber, JURA 2007, 500, 503. 446 Überwiegend wird in der Zivilprozesswissenschaft betont, dass es sich bei der Dispositionsmaxime um die konsequente Fortführung der Privatautonomie im Verfahrensrecht handelt, so etwa BVerfGE 52, 131, 153 = BVerfG, NJW 1979, 1925, 1927; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 35; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 84; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 339; R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 650. Die Privatautonomie ist verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 I GG verbürgt, vgl. BVerfG, NJW 1996, 2021; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 101. Damit lässt sich die verfassungsrechtliche Wurzel der Dispositionsmaxime direkt zu den Freiheitsgrundrechten zurückverfolgen. Kern beschreibt die Dispositionsmaxime (und die Verhandlungsmaxime) als prozessuale Pendants der Privatautonomie, die entsprechenden verfassungsrechtlichen Schutz genießen, Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161. 447 R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 651. 448 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161; R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1061, 1063 f. 449 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161; R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1061, 1063 f. 450 Die Frage des Bestehens eines Grundsatzes „in dubio pro libertate“ wird in der Zivilprozessrechtswissenschaft zuvorderst im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Prozessverträgen diskutiert. Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330.

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Inwieweit die einzelnen Elemente der Dispositionsmaxime verfassungsrechtlich verbürgt sind, ist bisher nur im geringen Umfang Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen gewesen.451 Teilweise wird von einer partiellen verfassungsrechtlichen Absicherung der Dispositionsmaxime452 oder eine verfassungsrechtliche Gewährleistung des Kerns der Dispositionsmaxime453 gesprochen. Daher besteht Anlass, die Frage nach der verfassungsrechtlichen Fundierung (einzelner Elemente) der Dispositionsmaxime näher zu beleuchten. Das Zitat „Wo kein Kläger, da kein Richter“ spiegelt die Quintessenz der Parteiherrschaft über die Verfahrenseinleitung wider. Grundsätzlich erfordert die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens einen Antrag der klägerischen Partei.454 Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG ist es folglich auch, von einer gerichtlichen Verfolgung von Privatrechten abzusehen. Die Einleitung eines Verfahrens, in dem über das Bestehen und die Reichweite von Privatrechten zwischen zwei Personen entschieden wird, von Amts wegen durch das Gericht ist dem deutschen Zivilprozessrecht unbekannt.455 Dies erscheint auch

Demgegenüber für die Anerkennung eines Grundsatzes „in dubio pro libertate“ im Prozessrecht P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 8 ff.; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 268 f. Im verfassungsrechtlichen Kontext soll durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff „in dubio pro libertate“ danach gefragt werden, ob das Verfassungsrecht eine Direktive an den einfachen Gesetzgeber enthält, bei der Ausgestaltung des Zivilprozessrechts im Zweifel ein die Parteiherrschaft verwirklichendes Ergebnis vorzuziehen hat. Dies ist zu verneinen. 451 R. Stürner hat sich bereits vertieft und grundlegend mit der Fragestellung auseinandergesetzt, siehe R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 650 ff. Ferner knapp H. Roth, ZZP 131 (2018), 3, 7. 452 H. Roth, ZZP 131 (2018), 3, 7. 453 Kern der Dispositionsmaxime sei die Freiheit der Entschließung der Parteien über das Führen eines Prozesses, vgl. Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, S. 154 f. 454 Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 87. Nur ganz ausnahmsweise ist die Verfahrenseinleitung im öffentlichen Interesse abgekoppelt vom Parteiwillen, z. B. in Hinblick auf den Antrag auf Aufhebung einer Ehe in bestimmten Fällen durch die zuständige Verwaltungsbehörde, § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Verfahrenseinleitung unabhängig von dem Willen des Betroffenen im öffentlichen Interesse stellt einen Eingriff in dessen allgemeine Handlungsfreiheit dar, der besonderer Rechtfertigung bedarf. Im Rahmen des § 1316 BGB liegt diese Rechtfertigung in der Wahrung der Ordnung der Ehe und der Klarheit der Statusverhältnisse, vgl. MünchKomm BGB/Wellenhofer, Band 9, § 1316 Rn. 7. Wie R. Stürner zutreffend anmerkt, stellt auch die rechtspolitisch zuletzt stark geförderte Idee der Verlagerung von Befugnissen der Verfahrenseinleitung durch Verbandsklage eine Einschränkung der individuellen Freiheit des Einzelnen dar, vgl. R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 652 f. Hinter dem Ziel des Verbraucherschutzes scheinen bei der zuletzt eingeführten allgemeinen zivilprozessualen Musterfeststellungsklage außerprozessuale Zielsetzungen des Gesetzgebers, wie z. B. die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen durch verbraucherschädigendes Verhalten, hindurch und verleihen der Verbandsklage mehr und mehr den Charakter einer Klage im öffentlichen Interesse, vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321, 1323. 455 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 169.

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verfassungsrechtlich zwingend.456 Art. 2 Abs. 1 GG steht einer Pflicht des Einzelnen zur aktiven Verfolgung seiner subjektiven Rechte vor staatlichen Gerichten entgegen.457 Eine eigenmächtige Verfahrenseinleitung durch den Richter scheidet aus diesem Grund von Verfassungs wegen aus.458 Daraus leitet sich unmittelbar ab, dass es verfassungsrechtlich keine Pflicht gibt, den vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Instanzenzug auch zu beschreiten. Die Parteien können somit frei entscheiden, ob sie ihre subjektiven Privatrechte über die erste Instanz hinaus verfolgen. Von der Einleitung eines Verfahrens vor den staatlichen Gerichten durch die klägerische Partei geht ferner eine wichtige Weichenstellung für das spätere Verfahren aus. Der klägerische Verfahrensantrag steckt die Grenzen des gerichtlichen Entscheidungsauftrags ab. Das Gericht ist an Anträge der Parteien gebunden; es ist dem Gericht verwehrt, etwas auszusprechen, was nicht beantragt wurde, § 308 Abs. 1 ZPO.459 Das Gericht darf also weder mehr noch etwas anderes als beantragt zusprechen.460 Da kein Recht der Verfahrenseinleitung durch das Gericht von Amts wegen besteht, kann eine Loslösung vom Parteiwillen gleichsam nicht durch die Hintertür im Wege der Außerachtlassung der Parteianträge erfolgen. Die Bindung des Gerichts an den Parteiantrag und das Erfordernis eines Parteiantrags zur Verfahrenseinleitung bilden daher eine gedankliche Einheit, die Richtermacht begrenzt und die Parteien vor willkürlichen Eingriffen in ihre Rechtssphäre schützt.461 Somit ist auch die Bindung des Gerichts an den Parteiantrag verfassungsrechtlich garantiert.462 Die Parteien haben ferner die Möglichkeit, für eine ganz andere Verfahrensform der Klärung ihrer subjektiven Rechte zu optieren, nämlich das Schiedsverfahren. Diese Möglichkeit der Übertragung des Rechtsstreits auf einen Dritten, der den Streit verbindlich entscheiden soll, ist Ausdruck der in Art. 2 I GG verankerten Privatautonomie.463 Es entspricht der freiheitlichen Rechtsordnung, die Parteien nicht zu zwingen, ihre Rechtsstreitigkeiten ausschließlich von einem staatlichen Gericht klären zu lassen.464 Dort, wo die Parteien frei über ihre recht456 Vgl. R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 651 f., der von einer verfassungsrechtlichen Gebotenheit der Parteiherrschaft über die Verfahrenseinleitung ausgeht. 457 Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 87; R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 651 f. 458 Schreiber, JURA 2007, 500, 503. 459 Lateinisch „Ne eat iudex ultra petita partium“. 460 Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 89. 461 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 19. 462 R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 654. 463 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1029 Rn. 5; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801. 464 Goette, AnwBl 2012, 33.

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lichen Beziehungen verfügen können, ist es nur konsequent, den Parteien die Alternative zu eröffnen, die Klärung der rechtlichen Beziehungen in die Hände eines Dritten zu legen.465 Die Funktion des Schiedsspruchs als Grundlage staatlicher Zwangsvollstreckung erfordert allerdings, auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, Schiedsverfahren gewissen rechtsstaatlichen Regeln zu unterwerfen. Die Privatautonomie und allgemeine Handlungsfreiheit der Parteien gem. Art. 2 Abs. 1 GG muss hinter rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an gerichtliche Verfahren wie dem Gebot des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs zurücktreten. Auch im Übrigen obliegt es dem Gesetzgeber, das Verfassungsgut der Parteifreiheit und aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende verfassungsrechtliche Gebote in der Ausgestaltung des Schiedsverfahrensrechts im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen.466 Es ist dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen, der zu Lasten der Parteifreiheit erst dann als überschritten erachtet werden kann, wenn der Gesetzgeber das Schiedsverfahren ganz abschafft oder unverhältnismäßige Hürden für das Schiedsverfahren aufstellt.467 Das Bestehen des Schiedsverfahrens als prozessuales Institut ist daher verfassungsrechtlich garantiert. Das Recht, durch Schiedsvereinbarung auf den staatlichen Rechtsweg, den staatlichen Instanzenzug zu verzichten, und dessen Reichweite unterliegt hingegen der Ausgestaltung des einfachen Gesetzgebers. Ferner kann eine Partei im Wege des Rechtsmittelverzichts auf die Inanspruchnahme des staatlichen Instanzenzugs verzichten.468 Das Institut des Rechtsmittelverzichts ist Ausdruck der Parteidisposition über Einlegung und Durchführung eines Rechtsmittels.469 Der Rechtsmittelverzicht verkörpert das Recht der Parteien, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Rechtsmittel einlegen.470 Ein Rechtsmittelverzicht kann in verschiedenen Phasen des Verfahrens erklärt werden. Dem Gesetzgeber wird aus verfassungsrechtlicher Warte ein Gestal465 Hamann/Lennarz, JA 2012, 801. Wo jedoch keine freie Verfügungsbefugnis der Parteien über ihre rechtlichen Beziehungen besteht, kann die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens beschränkt werden, wie zum Beispiel in familienrechtlichen Statusangelegenheiten, die staatsseitig fixiert sind, MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1030 Rn. 17. Dies dient der Rechtssicherheit in Hinblick auf Statusverhältnisse. 466 Vgl. R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 656. 467 R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 656; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 238 ff. 468 Nur wenn sämtliche Prozessparteien einen Rechtsmittelverzicht erklären, wird die betreffende Instanz nicht (weiter) beschritten oder ggf. verlagert sich der Rechtsstreit im Falle einer außergerichtlichen Vereinbarung des Rechtsmittelverzichts auf die Frage der Wirksamkeit der Abrede. 469 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 1. 470 Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 1.

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tungsspielraum hinsichtlich des Ausgleichs dieser widerstreitenden Interessen, die durch die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts in einem bestimmten Verfahrensstadium tangiert werden, zuzugestehen sein. Die Parteiherrschaft im Zivilprozess tritt ferner in den zahlreichen Möglichkeiten zur einseitigen oder einverständlichen Verfahrensbeendigung zutage. Die Zivilprozessordnung stellt verschiedene Handlungsformen zur Verfügung, mittels derer die Parteien den Prozess ohne gerichtliche Entscheidung beenden oder die gerichtliche Entscheidung in ihrem Sinne prädeterminieren können.471 Dispositionsakte, die auf Beendigung des Rechtsstreits abzielen, tangieren verschiedene verfassungsrechtliche Belange. Bei dem Ausgleich dieser (teils konfligierenden) Belange steht dem einfachen Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Einer dieser in der Verfassung verankerten Belange ist die Verfahrensbeschleunigung. Beispielsweise dient der Verzicht auf das Erfordernis des Klägerantrags in Bezug auf ein Anerkenntnisurteil der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung.472 Nach Verfahrensbeginn gewinnt auch das öffentliche Interesse an einer geordneten Rechtspflege473 sowie an der Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung474 an Bedeutung. Es zeichnet einen Rechtsstaat aus, dass er danach strebt, für den Rechtsunterworfenen möglichst Klarheit darüber zu schaffen, wie Gerichte in Zukunft bestimmte Rechtsfragen (streitig) entscheiden werden.475 Die Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung ist von der Entscheidungsform der streitigen Entscheidung abhängig. Dem Gericht ist es beispielsweise verwehrt, etwa in einem Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil Stellung zu obsolet gewordenen Rechtsfragen zu beziehen und dadurch eine Sachentscheidung zu treffen.476 Gleichzeitig kann im Laufe des Verfahrens auch das Entscheidungsinteresse des Beklagten aufgrund der bereits erfolgten Aufwendungen für die Rechtsverteidigung wachsen. Diese Gesichtspunkte können dem Gesetzgeber als Anlass dienen, bestimmte Formen der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung zu beschränken.477 471

Schilken, ZPO, § 8 Rn. 344. Vgl. BT-Drs. 14/3750, S. 58 f.; BGH, NJW-RR 2014, 1358, 1359. 473 Vgl. R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655. 474 Vgl. zur Bedeutung der Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung im Rechtsstaat Ausführungen unter A.II.3.b). 475 Vgl. Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 12. 476 Vgl. Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 90; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 344; Schreiber, JURA 2007, 500, 504. 477 R. Stürner will die Warnfunktion einer fehlenden Rücknahmemöglichkeit als Rechtfertigungsgrund für die Abschaffung der Klagerücknahme gelten lassen, R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655. Dies erscheint zweifelhaft. Ein derart pönalisierend anmu472

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Die Grenzen der Freiheit des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung werden erst dann überschritten, wenn die materiellen Freiheitsrechte der Parteien und damit die weitgehende Freiheit der Rechtssubjekte, auf die materielle Rechtslage einzuwirken, keinerlei funktionelles Äquivalent im Prozessrecht finden.478 Für parteiautonome Veränderungen der Rechtslage muss zwangsläufig die Möglichkeit einer „Übersetzung“ in den Prozess bestehen. Wie der einfache Gesetzgeber dies im Prozessverlauf bewerkstelligt, also zum Beispiel durch prozessuale Beendigungsmöglichkeiten oder Berücksichtigung der Veränderungen erst im gerichtlichen Urteil, ist von Verfassungs wegen aber nicht vorbestimmt.479 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Dispositionsmaxime keinesfalls vollumfänglich, sondern nur in ihrem Kern verfassungsfest ist. Zu dem verfassungsfesten Kern der Parteidisposition im Zivilprozess zählen in der Gesamtbetrachtung somit nur wenige Ausprägungen der Dispositionsmaxime. Dazu gehören das Erfordernis eines Parteiantrags als Grundlage einer streitigen gerichtlichen Entscheidung, die strikte Bindung des Gerichts an die Parteianträge und die grundsätzliche Existenz des Instituts des Schiedsverfahrens. Im Übrigen überlässt es die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber, ob und in welchem Umfang er Befugnisse der Parteidisposition im Zivilprozess einräumt. Über die Reichweite von parteilichen Dispositionsbefugnissen im Instanzenzug entscheidet der einfache Gesetzgeber mithin weitgehend ohne strenge Vorgaben der Verfassung selbst. In der Regel wird eine besondere Berücksichtigung der Parteiinteressen bei der Entscheidung über die Reichweite von Parteidisposition der freiheitlichen Grundausrichtung der Verfassung am besten entsprechen.480 2. Europarecht im engeren Sinne Rechtsfragen rund um die Ausgestaltung von Rechtsmittelzügen sind ein Thema, das nicht nur vor dem Hintergrund des Grundgesetzes diskutiert wird. Die Frage nach einem Recht auf einen Instanzenzug stellt sich auch im Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 47 Abs. 1 GrCh. Art. 47 Abs. 1 GrCh garantiert jeder Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, bei einem Getender Beweggrund scheint im Zivilprozessrecht wesensfremd. Es ist nicht Sinn und Zweck des Zivilprozessrechts, Verhaltenssteuerung zu betreiben, was aber der Fall wäre, würde die Klagerücknahme allein aus dem Grund abgeschafft, um die Kläger (mittelbar) vor der Klageerhebung zu warnen und so implizit die (Hemm-)Schwelle zur Klageerhebung zu erhöhen. 478 Vgl. R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655. 479 So zu Recht R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655. 480 Vgl. den grundlegenden Beitrag zur Thematik R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655 f.

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richt einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Der Europäische Gerichtshof erkennt in Art. 47 GrCh einen Anspruch auf die Prüfung nur durch eine gerichtliche Instanz an.481 Der Garantie eines Rechtsbehelfs kann das Erfordernis mehrerer gerichtlicher Instanzen nicht entnommen werden.482 Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes umfasst nur den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen.483 Ganz überwiegend wird daher die Herleitung eines Rechts auf einen Instanzenzug aus der Grundrechte-Charta abgelehnt. Allerdings kennt das Europarecht sekundärrechtliche Garantien auf eine zweite Instanz.484 Zudem fordert eine Mindermeinung jedenfalls bei richterlichen Entscheidungen, die tief in Grundrechte eingreifen, einen zweistufigen Rechtsmittelzug.485 Was letztlich unter dem offenen Wertungsbegriff „tief “ verstanden wird, bleibt aber offen. Festzuhalten bleibt, dass es bei der Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GrCh und der Gesamtschau der Normen des Europarechts im engeren Sinne an Anhaltspunkten fehlt, die eine Anerkennung eines Rechts auf einen Instanzenzug rechtfertigen.486 3. Völkerrecht Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit der Frage nach einem Recht auf einen Instanzenzug auf der Ebene der EMRK ist das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet Art. 6 Abs. 1 EMRK die Konventionsstaaten nicht, Berufungsoder Kassationsgerichte zu errichten.487 Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt also kein

481 EuGH, Urt. v. 28.07.2011, C-69/10 (Samba Diouf), Slg. 2011, I-7175 Rn. 69. Zur Frage der Verankerung des Rechts auf einen gesetzlichen Richter in der Europäischen Grundrechte-Charta Kern, ZZP 130 (2017), 91, 114 f. 482 Jarass/Jarass, GrCh, Art. 47 Rn. 36; Meyer/Hölscheidt/Eser/Kubiciel, GrCh, Art. 47 Rn. 11; Stern/Sachs/Alber, GrCh, Art. 47 Rn. 50; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 83 f. 483 EuGH, Urt. v. 11.03.2015, C-464/13 (Oberto und O’Leary), Rn. 73; EuGH, Urt. v. 17.07.2014, C-169/14 (Morcillo und García), Rn. 36; EuGH, Urt. v. 28.07.2011, C69/10 (Samba Diouf), Slg. 2011, I-7175 Rn. 69; Heinze, EuR 2018, 654, Fn. 30. 484 Art. 101 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. L 011 vom 14.01.1994, S. 1 ff. und Art. 92 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. L 003 vom 05. 01.2002, S. 1–25. 485 Meyer/Hölscheidt/Eser/Kubiciel, GrCh, Art. 47 Rn. 31. 486 Die Schaffung eines Rechts auf einen Instanzenzug bedürfte eines Tätigwerdens der europäischen Gesetzgebungsinstitutionen. 487 EGMR, Urt. v. 09.11.2004, 46300/99 (Marpa Zeeland), Rn. 48; EGMR, Urt. v. 23.10.1996, 21920/93 (Levages Prestiations), Rn. 44; EGMR, Urt. v. 17.01.1970, 2689/ 65 (Delcourt), Series A Nr. 11 Rn. 25; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 EMRK Rn. 59. Zur Frage der Verankerung des Rechts auf einen gesetzlichen Richter in Art. 6 Abs. 1 EMRK Kern, ZZP 130 (2017), 91, 112 ff.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Recht auf eine zweite Instanz.488 Die EMRK verbürgt lediglich, dass im Verfahren über Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche mindestens einmal eine volle Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtsfragen stattfindet, was allerdings bereits durch Einrichtung einer (einzigen) Instanz gewährleistet sein kann.489 Die EMRK steht der Beschränkung und Abschaffung bestehender Rechtsmittel nicht entgegen.490 Die Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts ist mit Art. 6 Abs. 1 EMRK ebenfalls vereinbar.491 Wenn das gerichtliche Verfahren durch die Zahl von Instanzen und Rechtsmitteln aber unübersichtlich wird, kann sich sogar eine Pflicht des Konventionsstaats ergeben, sein Rechtsmittelsystem zu vereinfachen.492 Die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der herrschenden Literatur, ein einzügiges Gerichtsverfahren genüge den Anforderungen der EMRK, wird auch in Frage gestellt.493 Denn ein Recht auf ein Rechtsmittel sichere eine angemessene Kontrolle der Gerichte und steigere insgesamt die Qualität der Rechtsprechung.494 Auch wenn die Qualität eines einzügigen Verfahrens durch gerichtsverfassungsrechtliche Maßnahmen (größere Richterbank mit besonders erfahrenen Richtern) gesteigert werden könne, sei ein mehrstufiges Verfahren als Qualitätsgarant gerichtlicher Entscheidungen doch überlegen.495 Die Tatsache, dass der verfahrensrechtliche Teil der EMRK mit Art. 43 EMRK, der einen Rechtsmittelzug zur Großen Kammer in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eröffnet, selbst einen Instanzenzug kennt, lasse es wenig überzeugend und kohärent erscheinen, dass die EMRK keine materiell-rechtliche Garantie auf einen Instanzenzug enthalten solle.496 Zudem garantiere Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK497 das Recht auf ein Rechtsmittel in Strafsachen und bei teleologischer Auslegung liege ein Ana488 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 63; Karpenstein/Mayer/Meyer, EMRK, Art. 6 Rn. 62; KK-EMRK/GG/Grabenwarter/Pabel, Kap. 14 Rn. 88; Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, S. 522 f.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 172; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 83; Kley-Struller, Art. 6 EMRK als Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, S. 71. 489 Vgl. A. Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 145. 490 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 EMRK Rn. 59. 491 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rn. 63. 492 EGMR, DÖV 1978, 879, 881. 493 So SK-StPO/Paeffgen, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rn. 69 (Altauflage); Klamaris, in: FS Schwab, S. 269, 275 f. 494 Klamaris, in: FS Schwab, S. 269, 275. 495 Vgl. SK-StPO/Paeffgen, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rn. 69 (Altauflage). 496 Vgl. SK-StPO/Paeffgen, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rn. 69 (Altauflage). 497 Deutschland hat das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK zwar gezeichnet, bis heute aber nicht ratifiziert, Karpenstein/Mayer/Sinner, Prot. Nr. 7 zur EMRK, Art. 2 Rn. 1.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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logieschluss auf eine entsprechende Garantie in Zivilsachen näher als ein argumentum e contrario.498 Dagegen wird jedoch eingewandt, dass das nachträglich entstandene 7. Zusatzprotokoll zur EMRK zum Zwecke der Harmonisierung inhaltlicher Divergenzen zwischen der EMRK und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBürglR) erlassen wurde und infolgedessen nur solche Rechte aus dem IPBürglR ergänzt werden sollten, die bisher noch nicht auf Ebene der EMRK geschützt waren.499 Art. 14 Abs. 5 IPBürglR enthält ein Recht auf Rechtsmittel begrenzt auf Strafsachen.500 Folglich war ein Recht auf ein Rechtsmittel in Strafsachen vor Erlass des 7. Zusatzprotokolls nicht in der EMRK enthalten und es sollte erst recht durch dessen Einführung kein Recht auf ein Rechtsmittel in Zivilsachen eingeführt werden.501 Die historische Auslegung der EMRK enthält mithin ein starkes Indiz dafür, dass der materiell-rechtlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Recht auf einen Instanzenzug entnommen werden kann. Andererseits hindert dieses historische Argument nicht, für die Gegenwart die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 EMRK anders auszulegen, denn die Konvention ist ein dynamisches Instrument.502 Die verfahrensrechtliche Erweiterung des Rechtsschutzsystems vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Einführung eines Rechtszugs zur Großen Kammer durch das 11. Zusatzprotokoll zur EMRK aus dem Jahr 1994503 wirft erhebliche Fragen auf, ob eine Fortentwicklung des Verständnisses des materiell-rechtlichen Gehalts des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht geboten ist.504 Insgesamt könnte eine erweiterte Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK zur Fortentwicklung der Menschenrechte entsprechend dem Leitbild der Präambel beitragen und die Stärkung der Rechte der Rechtsunterworfenen gegenüber Staatsgewalt ausübenden Gerichten bedeuten.

Siehe die letzte öffentliche Verlautbarung zu dieser Thematik: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Kurzinformation Ratifikation von Zusatzprotokollen zur EMRK, 03.07.2017. 498 Klamaris, in: FS Schwab, S. 269, 276. 499 Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, S. 523 f. 500 Hofmann/Boldt/Hofmann/Boldt, IPBürgR, Art. 14 Rn. 12. 501 Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, S. 523 f. Zustimmend HK-EMRK/ Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Prot. Nr. 7 zur EMRK, Art. 2 Rn. 1. Kritisch Gundel, DVBl 2004, 17, 19. 502 Vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 5 Rn. 14. Insgesamt zur dynamischen Auslegung der EMRK Klocke, EuR 2015, 148 ff. 503 Protokoll Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus vom 11. Mai 1994, umgesetzt durch Gesetz vom 24. Juli 1995, BGBl. 1995 II, S. 578 ff. 504 Vgl. SK-StPO/Paeffgen, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rn. 69 (Altauflage). Für eine andere Interpretation der Gewährleistung des Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK Klamaris, in: FS Schwab, S. 269, 275 f.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

4. Zusammenfassung Ausgehend von den obigen Ausführungen zum Recht auf einen Instanzenzug und zur verfassungsrechtlichen Garantie der Dispositionsmaxime lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Vorgaben des höherrangigen Rechts für die Existenz und Ausgestaltung der Rechtsmittelverfahren und zur Reichweite der Dispositionsmaxime von ambivalenter Natur sind. Neben vereinzelten unüberschreitbaren Grenzen tritt ein erheblicher Spielraum des einfachen Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Rechtsmittelverfahren und der Parteibefugnisse in den Rechtsmittelinstanzen. Nach der hier vertretenen Ansicht besteht ein verfassungsrechtlich garantiertes subjektives Recht des Einzelnen auf einmalige Überprüfung erstinstanzlicher richterlicher Entscheidungen auf Rechtsfehler.505 Der Verfassung ist nach diesem Verständnis eine Vorgabe an den einfachen Gesetzgeber zu entnehmen, eine weitere Instanz zur Überprüfung eines erstinstanzlichen Urteils bereitzuhalten. Die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug verhindert, dass der einfache Gesetzgeber Rechtsmittelinstanzen ohne Weiteres abschaffen und damit den Individualrechtsschutz verkürzen kann, denn es wird ihm eine Abwägung zwischen widerstreitenden Verfassungsgütern bei der Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz abverlangt. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig die freiheitssichernde Funktion der Rechtsmittelinstanzen 506 mit erheblichem Gewicht gegen deren Abschaffung sprechen. Die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug wertet zu Recht die Bedeutung der Rechtsmittelverfahren auf. Die Rechtsmittelverfahren haben einen immensen freiheitsverwirklichenden Charakter. Die Rechtsmittelverfahren verstärken den Individualrechtsschutz im Sinne der Verwirklichung und Durchsetzung von subjektiven Privatrechten, aber auch im Sinne des Schutzes vor fehlerhaften Hoheitsakten in Form vom unzutreffenden gerichtlichen Urteilen. Aus diesem Grunde ist eine Abkehr von der ein subjektives Recht auf einen Instanzenzug ablehnenden herrschenden Auffassung in der Verfassungsrechtswissenschaft geboten. Grenzen setzt die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung der Befugnisse zur Parteidisposition. Grenzlinien, die durch den einfachen Gesetzgeber nicht überschritten werden dürfen, wie das Verbot der Verfahrenseinleitung ex officio, bilden den verfassungsfesten Kern der Dispositionsmaxime. 505 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 275 f. Ähnlich auch H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 101; Klamaris, in: FS Schwab, S. 269, 275. 506 Vgl. Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5 – Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 2007, § 114 Rn. 32; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 74 f.

A. Historie, Zweck und Verfassungsdimension der Rechtsmittelverfahren

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Im Übrigen lässt die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber aber einen erheblichen Spielraum für die Ausgestaltung der Parteibefugnisse im gesamten zivilprozessualen Erkenntnisverfahren und damit auch in den Rechtsmittelverfahren. Dies ist dem Befund geschuldet, dass Parteidisposition in den Rechtsmittelinstanzen eine Vielzahl von teils diametralen Interessen berührt. Parteidispositive Handlungen zur Verfahrensbeendigung können folgende Interessen berühren: das Partei- und Allgemeininteresse an Rechtssicherheit durch frühzeitige Beilegung des Streits, das Interesse des Beklagten an Rechtssicherheit durch eine verbindliche gerichtliche Entscheidung und das öffentliche Interesse an einer geordneten Rechtspflege und der Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung.507 Es obliegt dem einfachen Gesetzgeber, einen möglichst schonenden Interessenausgleich herbeizuführen. Auch außerhalb des nationalen Rechts stellt sich die Frage nach der Garantie eines Rechts auf einen Instanzenzug. Ausdrücklich ist ein solches Recht nur im Art. 14 Abs. 5 IPBürglR für den Bereich der Strafsachen normiert, welches durch Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK in die EMRK überführt wurde. In der Literatur zur EMRK wird überwiegend vertreten, dass die Konvention kein Recht auf einen Instanzenzug enthalte. In der Gesamtschau der Artikel der EMRK ergeben sich Zweifel an der herrschenden Auffassung.508 Bei teleologischer Auslegung der Konvention liegt eine Anerkennung einer Garantie auf einen Instanzenzug in Zivilsachen nahe. In der GrCh lassen sich Anhaltspunkte für ein Recht auf einen Instanzenzug allerdings nicht finden.

IV. Zwischenfazit Die geschichtliche Entwicklung der Rechtsmittel hat gezeigt, dass die gegenwärtige Ausgestaltung des zivilprozessualen Instanzenzugs mit seinen drei Stufen ein Privileg ist, das es zu bewahren gilt. Abschreckende Beispiele für eine erhebliche Verkürzung des Individualrechtsschutzes durch Aushöhlung des Instanzenzugs sind die nationalsozialistischen Kriegsmaßnahmenverordnungen.509 Die Rechtspflege in zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten kam zu einem Stillstand. 507 Vgl. zur Frage, welche Interessen der Gesetzgeber bei Ausgestaltung der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung berücksichtigen kann, R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 655. 508 Vgl. SK-StPO/Paeffgen, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rn. 69 (Altauflage). 509 Verordnung über Kriegsmaßnahmen auf dem Gebiete der bürgerlichen Rechtspflege (Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 12. Mai 1943, RGBl. 1943 I, S. 290 sowie die Verordnung über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts aus Anlaß des totalen Krieges (Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 27. September 1944, RGBl. 1944 I, S. 229.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Die historische Betrachtung der Rechtsmittelverfahren offenbart auch, dass die Frage des Zugangs zu Rechtsmittelinstanzen mit Abstand am häufigsten Gegenstand gesetzgeberischer Reformtätigkeiten zur Gestaltung des Instanzenzugs war. Wiederkehrende Grundsatzfrage des Rechtsmittelrechts ist die Art und Weise der Herstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Verwirklichung von Partei- und Allgemeininteressen. Die Verfassung gesteht dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu, wie die Parteiherrschaft mit den Erfordernissen einer geordneten und funktionsfähigen Rechtspflege zu einem schonenden Ausgleich zu bringen ist. Allerdings sollten die Lehren der Vergangenheit dazu Anlass bieten, die verfassungsrechtliche Frage zu überdenken, ob es rechtsstaatlich hinnehmbar ist, dem einfachen Gesetzgeber durch die Ablehnung eines subjektiven Rechts auf einen Instanzenzug die völlige Dispositionsfreiheit über die Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz zuzugestehen. Als besonders schwierig stellt sich die simultane Verwirklichung von Parteiund Allgemeininteressen in der Revisionsinstanz dar: Auf der einen Seite setzt sich die Ausrichtung des Zivilprozesses am Schutz der subjektiven Privatrechte des Einzelnen auch in der Revisionsinstanz durch weitgehende Befugnisse zur Parteidisposition fort, auf der anderen Seite besteht das Bedürfnis nach Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung durch ein höchstinstanzliches Gericht. Die Revision dient der rechtlich richtigen Entscheidung des Einzelfalls und der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung.510 Bei der Ausgestaltung der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung im Revisionsverfahren stehen sich somit das Parteiinteresse an einer möglichst hindernisfreien Beendigung des Verfahrens und das Allgemeininteresse an einer streitigen Entscheidung, die als Orientierungshilfe für untere Instanzen dienen kann, gegenüber. Durch die §§ 555 Abs. 3 ZPO, 565 S. 3 ZPO in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung wird die Parteifreiheit hinsichtlich der Verfahrensbeendigung zum Zwecke der Erhöhung der Anzahl streitiger, richtungsweisender höchstinstanzlicher Entscheidungen zurückgedrängt. Diese Gegensätze führen dazu, dass die Gewährung und Ausgestaltung der Befugnisse zur Parteidisposition in den Rechtsmittelinstanzen zu den besonders kontrovers diskutiertesten Themen der Rechtsmitteldogmatik gehört. Mit einzelnen Gesetzesänderungen, wie den bereits angesprochenen §§ 555 Abs. 3, 565 S. 3 ZPO, aber auch dem § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO511, wird sich die Arbeit im

510

BVerfGE 54, 277, 289 f. = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften, BGBl. 2019 I, S. 2634. Siehe bereits Erstes Kapitel A. I. 9. 511

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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Detail auseinandersetzen. Zur Vorbereitung dieser Auseinandersetzung mit speziellen Normen des Rechtsmittelrechts, die Einfluss auf das Bestehen und die Reichweite von Parteiherrschaft in den Rechtsmittelinstanzen haben, soll sich eine allgemeine Einführung in die Grundlagen des Verfahrensgrundsatzes der Dispositionsmaxime anschließen. Besonderes Augenmerk soll auf der Parteidisposition über die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte und damit auch über den Instanzenzug durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung gem. § 1029 Abs. 1 ZPO liegen. Die Dispositionsmaxime verkörpert den Grundsatz der Parteiherrschaft im Zivilprozess, dessen Reichweite mit besonderem Blick auf die Rechtsmittelinstanzen dargestellt werden soll. Darüber hinaus erlaubt die Zivilprozessordnung in Grenzen die Disposition über prozessuale Regeln. Die Schiedsvereinbarung ist eine der wenigen gesetzlich ausdrücklich geregelten Beispiele für eine Vereinbarung, die eine Disposition über prozessuale Regeln enthält. Abrundend soll eine Auseinandersetzung mit allgemeinen Regeln des Prozessvertragsrechts erfolgen, um die Grenzen einvernehmlicher Parteidisposition im Zivilprozess auszuloten.

B. Parteidisposition im Zivilprozess Zahlreiche Normen des Zivilprozessrechts eröffnen den Parteien Möglichkeiten, auf das gerichtliche Verfahren einzuwirken und über das Ob und Wie der verbindlichen Feststellung ihrer subjektiven Privatrechte nach eigenem Willen zu entscheiden. Diese Normen sind Ausdruck der Parteiherrschaft im Zivilprozess, die ein gemeinschaftliches Gut freiheitlicher Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen ist.512 Die Parteiherrschaft im Zivilprozess manifestiert sich in der Verhandlungsund der für diese Arbeit besonders relevanten Dispositionsmaxime. Die Dispositionsmaxime gewährt den Parteien die Befugnis zur Verfügung über den Prozess im Ganzen, mithin die Entscheidung über Beginn, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens.513 In einer weitgehenden Bestimmungsmacht über Beginn, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens aufgrund der Dispositionsmaxime514 erschöpft sich die Parteiherrschaft im Zivilprozess allerdings nicht. Befugnisse zur Parteidisposition kennt die Zivilprozessordnung über prozessuale Regelungen. Ausdrücklich kodifiziert sind Dispositionsbefugnisse über prozessuale Regeln etwa bei §§ 38–40 ZPO (Gerichtsstandsvereinbarung), § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO (Vereinbarung über

512 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161; R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1061, 1063. 513 Fn. 444 mit dazugehörigem Text. 514 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 78 Rn. 2; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 339.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

die Art der Sicherheitsleistung), § 224 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Abkürzung von Fristen durch Vereinbarung) und § 816 Abs. 1 und 2 ZPO (Einigung über Zeit und Ort der Versteigerung einer gepfändeten Sache).515 Ihren Kulminationspunkt findet die Parteidisposition über prozessuale Regeln in der Möglichkeit des Eingehens einer Schiedsvereinbarung nach §§ 1029 ff. ZPO, durch die über den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten disponiert werden kann. Dispositionsbefugnisse über prozessuale Befugnisse sind aber nur in sehr geringem Umfang ausdrücklich in der Zivilprozessordnung niedergelegt. Außerhalb der ausdrücklich vorgesehenen Parteivereinbarungen über prozessuale Regeln stellt sich die Frage, inwieweit es den Parteien des Zivilprozesses gestattet ist, einvernehmlich über prozessuale Regeln zu verfügen. Der Wirkungsgrad der Parteiherrschaft im Zivilprozess offenbart sich mithin in den Dispositionsbefugnissen der Parteien über den Inhalt des Verfahrens und über seine prozessualen Regeln. Es steht außer Frage, dass der Verwirklichung der Parteiherrschaft im Zivilprozess Grenzen gesetzt sind bzw. gesetzt werden müssen. Eine völlig freie Bestimmung durch Vereinbarung der Parteien über die Regeln des Prozesses vor den staatlichen Gerichten ist ausgeschlossen, einen sog. Konventionalprozess kann es nicht geben.516 Das gesamte Verfahrensrecht kann nicht zur Disposition der Parteien gestellt werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Gericht ein staatlicher Akteur an dem Prozess beteiligt ist, der an Grundrechte gebunden ist und rechtsstaatlichen Bindungen unterliegt. Regelungebundenes Verhalten der Akteure eines Zivilprozesses kann eine Gefahr für die Verfahrensgerechtigkeit und die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens bedeuten.517 Die Frage der Reichweite der Dispositionsbefugnisse der Parteien über Normen des Prozessrechts führt indes nicht stets zu einer Abwägung zwischen sich diametral gegenüberstehenden Privat- und Allgemeinwohlinteressen.518 Ein Verbot der Abdingbarkeit einer konkreten prozessrechtlichen Norm kann auch zum Zweck des Schutzes von Privatinteressen in Betracht kommen.519 Dieser Abschnitt dient dazu, Inhalt und Grenzen der Dispositionsbefugnisse der Parteien im Zivilprozess und über seine prozessualen Regeln auszuloten.

515

Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 332 mit weiteren Beispielen. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. Bülow betont zutreffend: „Eine Civilproceßordnung, über deren Bestimmungen man sich nach Belieben hinwegsetzen dürfte, würde eine Sammlung wohlgemeinter Rathschläge, keine Rechtseinrichtung sein, wie sie erforderlich ist, damit die Verwirklichung der Privatrechtsordnung von Rechtswegen (. . .) gesichert sei“, Bülow, AcP 64 (1881), 1. 517 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. 518 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 71. 519 Siehe die Ausführungen Wagners zu zwingenden Vorschriften zum Schutz von Privatinteressen, G. Wagner, Prozeßverträge, S. 77 ff. 516

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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I. Die Dispositionsmaxime und die Disposition über prozessuale Regeln Die Möglichkeiten der parteidispositiven Gestaltung des Zivilprozesses manifestieren sich in den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln zu den Dispositionsbefugnissen der Parteien im Zivilprozess und über seine prozessualen Regeln. Die Begrifflichkeiten der Dispositionsmaxime einerseits und der Disposition über prozessuale Regeln anderseits sind streng voneinander zu unterscheiden.520 Unter dem Begriff der Dispositionsmaxime wird die Herrschaft der Parteien über Beginn, Gegenstand und Ende des Verfahrens verstanden.521 Die Auseinandersetzung mit der Reichweite des Dispositionsgrundsatzes gibt daher Auskunft darüber, inwieweit die Parteien über das „Ob“ und „Worüber“ des staatlichen Prozesses verfügen können.522 Die Beschäftigung mit einer Disposition über prozessuale Regeln bedeutet hingegen vor allem eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die Parteien über das „Wie“ des staatlichen Prozesses verfügen können. 1. Die Dispositionsmaxime Die Dispositionsmaxime ist einer der tragenden Verfahrensgrundsätze des deutschen Zivilprozessrechts und verkörpert die grundlegende rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers für eine liberale Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Prozessrecht.523 Im Zusammenhang mit der Verfassungsdimension der Dispositionsmaxime wurde bereits auf einige charakteristische, einfachgesetzliche Ausformungen der Dispositionsmaxime eingegangen. Diese Ausführungen werden nun ergänzt und vertieft. Entsprechend der Strukturierung der obigen Ausführungen soll die Unterscheidung zwischen Dispositionsbefugnissen über Beginn, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens beibehalten werden. In Hinblick auf die Möglichkeiten der Parteidisposition in den Rechtsmittelinstanzen werden etwaige Unterschiede in den verschiedenen Instanzen des Zivilprozesses anzusprechen sein. a) Disposition über den Anfang des Verfahrens Die Dispositionsmaxime spiegelt sich bereits in der Freiheit der Parteien wider zu entscheiden, ob überhaupt ein Prozess stattfindet.524 Zur Klage kann niemand 520

Siehe Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 334. Siehe bereits Erstes Kapitel A. III. 1. b) aa). 522 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18; R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 650; Schreiber, JURA 2007, 500, 503. 523 Vgl. Schilken, ZPO, § 8 Rn. 338; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161; R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1061, 1063. 524 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 19. 521

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

gezwungen werden.525 Die Entscheidung über die Einleitung eines zivilprozessualen Klageverfahrens liegt grundsätzlich in den Händen der Parteien.526 Eine Parteiinitiative zur Einleitung eines gerichtlichen Klageverfahrens ist in der Eingangsinstanz und in den Rechtsmittelinstanzen erforderlich.527 Ferner bedarf es auch eines Parteiantrags, um sonstige zivilprozessuale Verfahren außerhalb des Klageverfahrens einzuleiten. Zum Beispiel bedarf es eines Antrags gem. § 688 Abs. 1 ZPO, um ein Mahnverfahren zu initiieren. Zudem ist ein einleitender Verfahrensantrag Voraussetzung für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, §§ 920, 936 ZPO.528 Das Klagerecht im Zivilprozess wird grundsätzlich und in aller Regel von Individualklägern wahrgenommen.529 Darüber hinaus kennt die Zivilprozessordnung vereinzelt behördliche Klagerechte (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB – Eheaufhebungsantrag) und Verbandsklagerechte (§ 606 Abs. 1 ZPO – Musterfeststellungsklage). Eine eigenmächtige Prozesseröffnung durch einen Richter ist im Zivilprozess ganz überwiegend ausgeschlossen.530 Eine Verfahrenseinleitung durch den Staat von Amts wegen ist nur in familienrechtlichen Streitigkeiten bei Kindswohlgefährdung möglich, § 1666 BGB.531 Der Klageantrag ist in aller Regel conditio sine qua non der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis in der Hauptsache. Ein Parteiantrag ist aber nicht stets unabdingbare Voraussetzung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis. Das Gesetz verzichtet in Hinblick auf die Nebenentscheidungen im Urteil und bestimmte weitere Entscheidungen auf das Erfordernis eines Parteiantrags.532 Die Entscheidung kann in diesen Fällen von Amts wegen ergehen, der Antragsgrundsatz wird partiell durchbrochen.533 Mit

525 Grunsky, in: Grunsky (Hrsg.), Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht – Tübinger Symposium zum 80. Geburtstag von Fritz Baur, 1992, S. 25. 526 Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 35; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 341; Schreiber, JURA 2007, 500, 503. 527 Vgl. §§ 495, 253 ZPO (Verfahren vor den Amts- und Landgerichten als Eingangsinstanz) sowie §§ 525, 253 ZPO (Berufungsinstanz) und §§ 555 Abs. 1, 253 ZPO (Revisionsinstanz). Siehe ferner Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 36. 528 Das Erfordernis eines einleitenden Verfahrensantrags gilt ferner für das selbstständige Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO und auch im Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts gem. § 753 Abs. 1 ZPO. 529 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 169; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 87. 530 Schreiber, JURA 2007, 500, 503. 531 In diesen Verfahren gilt das Offizialprinzip, MünchKomm BGB/Lugani, Band 10, § 1666 Rn. 223. 532 Die Nebenentscheidungen des Urteils ergehen von Amts wegen: § 308 Abs. 2 ZPO (Entscheidung über die Prozesskosten von Amts wegen) und §§ 708 ff. ZPO (Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Amts wegen). Weitere Beispiele für den Verzicht auf das Erfordernis eines Parteiantrags sind § 308a ZPO (Ausspruch der Fortsetzung des Mietverhältnisses ohne Antrag) und § 721 ZPO (Ausspruch einer angemessenen Frist zur Räumung von Wohnraum von Amts wegen). 533 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 170; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 92 f.

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der Durchbrechung des Antragsgrundsatzes wird besonderen öffentlichen Interessen an der verbindlichen Klärung jener Prozessfragen Rechnung getragen.534 Die Möglichkeit der amtswegigen Entscheidung über die Räumungsfrist gem. § 721 ZPO dient beispielsweise dem Schutz des Schuldners, indem ihm Zeit eingeräumt wird, eine Ersatzwohnung zu beschaffen. Ferner soll im öffentlichen Interesse die Gefahr der Obdachlosigkeit abgewendet werden.535 Der Parteiantrag ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Verfahrenseinleitung, sondern auch zentral für die gesamte Verfahrensgestaltung. Der Parteiantrag determiniert, in welchem Verfahren wer gegen wen um welche Rechte streitet.536 b) Disposition über den Gegenstand des Verfahrens Mit dem Klageantrag hat der Kläger gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Gegenstand seines geltend gemachten Anspruchs zu bezeichnen. In erster Linie bestimmt damit der Kläger den Gegenstand des Verfahrens und erteilt dem Gericht einen von ihm abgesteckten Entscheidungsauftrag.537 Dem Gericht ist es verwehrt, etwas zuzusprechen, was vom Kläger nicht beantragt wurde, § 308 Abs. 1 ZPO.538 Ein Mehr oder ein Aliud des Beantragten darf das Gericht mithin nicht im Urteil aussprechen, selbst wenn das Gericht nach der Überprüfung der Sach- und Rechtslage davon ausgeht, dem Kläger stünde ein Mehr oder ein Aliud des Beantragten zu.539 Die Bindung des Gerichts an die Parteianträge gilt gem. §§ 528, 557 Abs. 1 ZPO auch in den Rechtsmittelinstanzen. Die durch ein Urteil beschwerte Partei kann bestimmen, in welchem Umfang sie eine Abänderung des Urteils anstrebt, also Berufung oder Revision einlegt. Ferner darf auch dem Rechtsmittelkläger nicht mehr als beantragt zugesprochen werden (Verbot der reformatio in melius).540 Gleichzeitig gilt ein Verschlechte534 Grund für die Regelung des § 308 Abs. 2 ZPO ist das öffentliche Interesse an einer Beantwortung der Frage, welche Partei zu welcher Quote die entstandenen Prozesskosten zu tragen hat, MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 308 Rn. 24. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gleichermaßen von besonderem öffentlichem Interesse, denn es muss Klarheit darüber bestehen, unter welchen Vorzeichen der Gläubiger auf das Schuldnervermögen zugreifen darf. § 308a ZPO ist Ausdruck des „sozialen Zivilprozessrechts“. Die zwingende Entscheidung über die Fortsetzungsbedingungen des Mietverhältnisses gewährleistet Rechtsfrieden und Rechtsklarheit, vgl. Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 308a Rn. 2; Zöller/ Feskorn, ZPO, § 308a Rn. 1. 535 Vgl. Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, § 721 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Hanewinkel, ZPO, § 721 Rn. 1. 536 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 162. 537 Vgl. Schilken, ZPO, § 8 Rn. 342. 538 Lateinisch „Ne eat iudex ultra petita partium“. 539 Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 308 Rn. 12; Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 38; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 89. 540 BeckOK ZPO/Wulf, § 528 Rn. 9; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 528 Rn. 21; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 557 Rn. 7.

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rungsverbot in den Rechtsmittelinstanzen. 541 Das angefochtene Urteil darf nicht zum Nachteil des Rechtsmittelklägers abgeändert werden (Verbot der reformatio in peius).542 Mit der Einlegung des Rechtsmittels wahrt der Rechtsmittelkläger seinen „Besitzstand“, also den Teil des Prozessgegenstands, über den das unterinstanzliche Urteil mit materieller Rechtskraftwirkung zu Gunsten des Rechtsmittelführers entschieden hat, und setzt sich allein dem Risiko der Zurückweisung seines Rechtsmittels aus.543 Eine Verschlechterung zum Nachteil des Rechtsmittelklägers kann nur dann erfolgen, wenn der Prozessgegner auch ein Rechtsmittel einlegt oder sich dem Rechtsmittel anschließt.544 Die Vorschriften der §§ 308 Abs. 1, 528, 557 Abs. 1 ZPO eröffnen den Parteien die Möglichkeit, frei über den Gegenstand des Rechtsstreits zu entscheiden, legen ihnen aber auch das finanzielle Risiko der Antragstellung auf.545 Damit sind die genannten Vorschriften Ausdruck des Prinzips der Parteifreiheit und Parteiverantwortung.546 Eine gewisse Einschränkung erfährt die Dispositionsbefugnis der Parteien über den Streitgegenstand durch die Verpflichtung des Gerichts gem. § 139 Abs. 1 ZPO, auf sachdienliche Anträge hinzuweisen. Richterliche Hinweise dienen der Wahrung rechtlichen Gehörs und der gleichmäßigen Realisierung des Justizgewährungsanspruchs und sind im Interesse einer zügigen Prozesserledigung möglichst früh zu erteilen.547 Im Wege des Hinweises gibt das Gericht den Parteien eine Hilfestellung, es bleibt aber den Parteien überlassen, ob sie dem Hinweis folgen oder nicht.548 Die gerichtliche Hilfestellung darf allerdings nicht so weit gehen, dass der Richter den prozessualen Rahmen zugunsten bzw. zuungunsten einer Partei verändert und damit seine Neutralität und Unparteilichkeit gefährdet.549

541

Anders/Gehle/Nober, ZPO, § 557 Rn. 4; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 557 Rn. 7. Anders/Gehle/Nober, ZPO, § 557 Rn. 4; BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 557 Rn. 5; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 557 Rn. 7. 543 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 528 Rn. 15. 544 BeckOK ZPO/Wulf, § 528 Rn. 12; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 528 Rn. 14. 545 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 76 Rn. 3. 546 Vgl. MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 308 Rn. 1; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 19. Die Parteien sind für die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Rechtsverfolgung verantwortlich, Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 127. Auf dieses Prinzip sind die Prozessgrundsätze der Dispositionsmaxime und der Verhandlungsmaxime zurückzuführen, Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161. 547 MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 94; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 343. 548 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 76 Rn. 7; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 95. 549 Vgl. R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1061, 1070. Die richterliche Hinweispflicht steht also in einem Spannungsverhältnis zum Gebot richterlicher Neutralität, Schilken, ZPO, § 8 Rn. 343. 542

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Ausfluss der Dispositionsmaxime ist ferner die Befugnis des Klägers zur Änderung seiner Klage.550 Durch die Erhebung der Klage wird der Streitgegenstand verbindlich fixiert.551 Nach Rechtshängigkeit der Klage ist eine Klageänderung nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig, und zwar, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet. Mit der Erschwerung der Änderung der Klage durch den Kläger nach Rechtshängigkeit wird den Interessen des Beklagten an einer sachlichen Entscheidung über die Klage Rechnung getragen und werden die Ressourcen der Justiz geschützt.552 Der Beklagte hat einen Anspruch auf eine sachliche Entscheidung über den ursprünglichen Antrag des Klägers und soll sich in einem laufenden Verfahren nicht gegen einen geänderten Angriff verteidigen müssen.553 Das bisherige Prozessergebnis soll durch eine Klageänderung nicht ohne Weiteres gegenstandslos werden.554 Andererseits kann eine Klageänderung aus Gründen der Prozessökonomie zuzulassen sein, um durch die Nutzung des bisherigen Prozessergebnisses einen neuen Rechtsstreit zu verhindern.555 Auch in der zweiten Instanz ermöglicht die Zivilprozessordnung die Klärung zusätzlicher Streitfragen zwischen den Parteien durch eine Klageänderung, wenn dadurch ein weiterer Rechtsstreit vermieden werden kann, der sonst zu gewärtigen wäre.556 Entsprechend der vom Gesetzgeber zugewiesenen primären Aufgabe der Berufung als Instrument der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung steht die Zulässigkeit einer sachdienlichen Klageänderung jedoch unter der weiteren Voraussetzung, dass jene Klageänderung nur auf den nach § 529 Abs. 1 ZPO der Berufung (oder Anschlussberufung) zugrunde zu legenden Tatsachenstoff gestützt wird.557 Damit wird dem Ziel der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung Vorrang vor dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie eingeräumt.558

550

Möller, JA 2010, 47, 48. MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 263 Rn. 1; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 263 Rn. 1. 552 Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 263 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO, § 263 Rn. 1. 553 BGH, NJW 1996, 2869 f.; MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 263 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 263 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, Band 4, § 263 Rn. 3. 554 MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 263 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/ Assmann, ZPO, Band 4, § 263 Rn. 3. 555 BGH, NJW 1996, 2869, 2870; Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 263 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO, § 263 Rn. 1. 556 BeckOK ZPO/Wulf, § 533 Rn. 1. 557 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 533 Rn. 14; Prütting/Gehrlein/ Oberheim, ZPO, § 533 Rn. 14; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, Band 4, § 263 Rn. 73. 558 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 533 Rn. 2. 551

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Im Gegensatz dazu ist eine Klageänderung in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig.559 Die Beschränkung des Prüfungsumfangs der Revisionsinstanz auf Rechtsfragen erlaubt keinen neuen Tatsachenvortrag, der in aller Regel mit einer Klageänderung verbunden ist.560 Indes ist auch in der Revisionsinstanz eine Klageänderung in Form der Änderung des Klageantrags zulässig, wenn sie sich auf einen vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt stützt und den ursprünglichen Klageantrag nur beschränkt oder modifiziert.561 c) Disposition über Ende des Verfahrens Die Parteiherrschaft im Zivilprozess manifestiert sich ferner in den zahlreichen Möglichkeiten der Parteien, das gerichtliche Verfahren selbstständig nach eigenem Willen zu beenden und somit den Auftrag an das Gericht zur Entscheidung über ihren Rechtsstreit zurückzuziehen.562 Die Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung kann bewirken, dass das Gericht außerstande ist, ein der tatsächlichen Sach- und Rechtslage entsprechendes Urteil zu fällen. Die Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung bindet das Gericht, auch wenn es das Parteiverhalten für verfehlt hält.563 Dieser Gesichtspunkt ist ein weiterer Ausdruck des Grundsatzes der Parteiverantwortung. Mit der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung übernimmt eine Partei oder übernehmen beide Parteien Verantwortung für ein Prozessergebnis, das ggf. nicht in Einklang mit der tatsächlichen Sach- und Rechtslage steht bzw. für eine Partei eine nachträgliche negative Veränderung gegenüber der ursprünglichen Rechtslage darstellt. Bezüglich der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung kann zwischen mehreren Ausgangskonstellationen unterschieden werden. Eine vorzeitige Beendigung des Rechtsstreits kann durch einseitige Prozessbeendigung durch den Kläger, durch einseitige Prozessbeendigung durch den Beklagten oder durch einvernehmliches Handeln der Parteien herbeigeführt werden.

559 BGH, NJW 1989, 170, 171; BGH, NJW 1999, 3115, 3117; BGH, NJW-RR 2006, 275, 278; BGH, NJW 2012, 3642, 3644; Anders/Gehle/Nober, ZPO, § 559 Rn. 8; BeckOK ZPO/Bacher, § 263 Rn. 27a; MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 263 Rn. 45; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 559 Rn. 19; Wieczorek/Schütze/ Assmann, ZPO, Band 4, § 263 Rn. 76. 560 MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 559 Rn. 19. 561 BGHZ 26, 31, 37 f. = BGH, NJW 1958, 98, 99; BGH, NJW 1993, 2045, 2046 f.; BAG, NJW 2019, 3101, 3102; MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 263 Rn. 45; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 559 Rn. 3. 562 Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 40; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 344. 563 Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 90.

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aa) Einseitige Prozessbeendigung durch den Kläger Dem Kläger stehen zum Zwecke der einseitigen Beendigung des Prozesses die Möglichkeit der Klagerücknahme nach § 269 ZPO und der Erklärung des Verzichts auf die Klageforderung gem. § 306 ZPO zur Verfügung. Die Rücknahme der Klage durch den Kläger ist der Widerruf seines Gesuchs um gerichtlichen Rechtsschutz in dem angestrengten Verfahren.564 Die Klagerücknahme ermöglicht dem Kläger, der seine mangelnden Erfolgsaussichten erkannt hat, auf den Rechtsschutz im laufenden Verfahren zu verzichten.565 Folglich schließt die Klagerücknahme eine spätere erneute Klageerhebung nicht aus.566 Ab Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache kann die Klage nur noch mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden. So soll der Beklagte, der bereits finanzielle Aufwendungen zu seiner Verteidigung getätigt und ein Interesse an einer verbindlichen Streitentscheidung gewonnen hat, in die Lage versetzt werden, eine Sachentscheidung erzwingen zu können.567 Das Recht zur Klagerücknahme nach § 269 Abs. 1 ZPO steht dem Kläger in jeder Lage des Prozesses bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft offen. Die Klagerücknahme ist folglich auch in den Rechtsmittelinstanzen zulässig.568 Die Klagerücknahme in der Rechtsmittelinstanz hat die Wirkungslosigkeit der unterinstanzlichen Entscheidungen zur Folge.569 Abzugrenzen von der Klagerücknahme in den Rechtsmittelinstanzen ist die Rücknahme eines Rechtsmittels. In den Rechtsmittelinstanzen kann der Kläger sein Gesuch um Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zurückziehen, womit (nur) der Verlust des Rechtsmittels einhergeht.570 In der Berufungsinstanz kann der Kläger sein Nachprüfungsgesuch sogar bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen, § 516 Abs. 1 ZPO. Dieser späte Zeitpunkt ermöglicht es dem Berufungskläger, seine Prozesstaktik flexibel anzupassen, sofern sich erst im Laufe des Prozesses eine Niederlage abzeichnet, um damit eine Zurückweisung seiner Berufung zu verhindern.571 Die Berufungs564

Saenger/Saenger, ZPO, § 269 Rn. 1. Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 269 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 269 Rn. 1. 566 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 269 Rn. 1; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 269 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO, § 269 Rn. 40. 567 MünchKomm ZPO/Becker-Eberhard, Band 1, § 269 Rn. 1. Gleichzeitig wird der Beklagte damit davor geschützt, dass der Kläger den Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt erneut einklagt, BeckOK ZPO/Bacher, § 269 Rn. 1. 568 Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 269 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, Band 4, § 269 Rn. 22. 569 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 269 Rn. 25a. 570 Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 516 Rn. 1. 571 Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 4. Entsprechend häufig wird in der Berufungsinstanz von der Möglichkeit der Rücknahme des Rechtsschutzgesuchs Gebrauch gemacht: im Jahre 2015 wurden bei den Landgerichten in 31,3 %, bei den Oberlandes565

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rücknahme hindert die erneute Einlegung der Berufung innerhalb der Berufungsfrist nicht.572 Mit dem ZPO-RG 2001 wurde das Erfordernis der Einwilligung des Beklagten zur Berufungsrücknahme ab Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten abgeschafft. Der Gesetzgeber erkannte kein schutzwürdiges Interesse des Berufungsbeklagten an der Fortführung des Rechtsmittels entgegen dem Willen des Berufungsklägers.573 Hierfür spricht, dass dem Berufungsbeklagten die durch die Berufungsrücknahme beschleunigt eintretende Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils, das zu seinen Gunsten ausgefallen ist, zu Gute kommt. Die erweiterte Möglichkeit der Rücknahme des Rechtsschutzgesuchs in der Berufungsinstanz dient ferner der Entlastung der Berufungsgerichte und dem Ziel der alsbaldigen und endgültigen Befriedung des Rechtsstreits.574 In der Revisionsinstanz ist die Rücknahme des Rechtsmittels seit 1. Januar 2014 hingegen nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Vor der Gesetzesänderung konnte der Revisionskläger seine Revision bis zu der Verkündung des Revisionsurteils zurücknehmen, eine Zustimmung des Revisionsbeklagten war nicht erforderlich.575 Somit war es dem Revisionskläger möglich, eine nach einem richterlichen Hinweis absehbare Niederlage durch streitiges Urteil mit potenzieller Breitenwirkung abzuwenden. Mit der Einführung des Erfordernisses der Zustimmung des Revisionsbeklagten ab dessen Verhandlung zur Hauptsache soll der Revisionsbeklagte eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs erzwingen können.576 Über den schlichten Widerruf eines Rechtsschutzgesuchs hinaus geht der Verzicht gem. § 306 ZPO.577 In der Verzichtserklärung des Klägers liegt die Verlautbarung, dass der von ihm gegen den Beklagten erhobene Anspruch nicht bestehe,

gerichten in 29,3 % der Fälle die Berufungen (meist erst nach Eingang der Berufungsbegründung und gerichtlichem Hinweis) zurückgenommen, zitiert nach Rosenberg/ K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 53. 572 Anders/Gehle/Göertz, ZPO, § 516 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 516 Rn. 27; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 54. 573 BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 10. 574 BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 1; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 1. 575 Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 565 Rn. 3. 576 BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 565 Rn. 3; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 565 Rn. 1; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 565 Rn. 1. 577 Der Klageverzicht im Sinne des § 306 ZPO ist eine reine Prozesshandlung, die vom privatrechtlichen Rechtsverzicht zu unterscheiden ist, BeckOK ZPO/Elzer, § 306 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 306 Rn. 2. Der prozessuale Verzicht auf eine Rechtsbehauptung ist nur dann zulässig, wenn nicht zwingendes materielles Recht entgegensteht, MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 306 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/ Thole, ZPO, § 306 Rn. 3; Saenger/Saenger, ZPO, § 306 Rn. 4. Im Wege eines Klageverzichts kann folglich nicht das Verbot des Verzichts auf Unterhalt für die Zukunft nach § 1614 Abs. 1 BGB umgangen werden.

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sein Antrag folglich unberechtigt und die eigene Rechtsbehauptung unrichtig sei.578 Der Klageverzicht bezieht sich nicht auf die Rechte des Klägers, sondern nur auf die mit der Klage verbundene Rechtsbehauptung.579 Der erstinstanzliche Kläger kann auf seine Rechtsbehauptung noch in höherer Instanz verzichten, jedoch mangels mündlicher Verhandlung nicht zwischen den Instanzen.580 Auf den wirksamen Verzicht des Klägers hin ergeht bei Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen ohne materiell-rechtliche Prüfung ein klageabweisendes Verzichtsurteil.581 Zu einem vergleichbaren Prozessergebnis führt ein Versäumnisurteil, welches auf die Säumnis des Klägers hin ergeht.582 Das Versäumnisurteil gegen den Kläger ist ein klageabweisendes Sachurteil ohne jegliche materiell-rechtliche Prüfung.583 bb) Einseitige Prozessbeendigung durch den Beklagten Der Beklagte kann die Prozessbeendigung ohne streitige Sachentscheidung dadurch herbeiführen, dass er den Anspruch des Klägers i. S. d. § 307 ZPO anerkennt.584 In dem prozessualen Anerkenntnis liegt die einseitige prozessrechtliche Erklärung des Beklagten gegenüber dem Gericht, dass der vom Kläger erhobene prozessuale Anspruch bestehe und die darüber aufgestellte Rechtsbehauptung zu-

578 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 306 Rn. 2; Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 4 Rn. 460. 579 Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 306 Rn. 3. 580 Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 306 Rn. 5. Der Kläger kann gem. § 306 ZPO in höherer Instanz auf seine Rechtsbehauptung verzichten, wenn der Beklagte als Rechtsmittelführer seinen erstinstanzlichen Abweisungsantrag weiterverfolgt, BeckOK ZPO/ Elzer, § 306 Rn. 14 f. Der in erster Instanz Beklagte als Rechtsmittelführer kann auf sein Rechtsmittel nicht i. S. d. § 306 ZPO „verzichten“, da sich der Verzicht i. S. d. § 306 ZPO nur auf Rechtsbehauptungen, nicht auf Prozesshandlungsmöglichkeiten bezieht, BeckOK ZPO/Elzer, § 306 Rn. 15. Ein derartiger „Verzicht“ auf das Rechtsmittel ist als Rücknahme des Rechtsmittels auszulegen, BeckOK ZPO/Elzer, § 306 Rn. 15. 581 Saenger/Saenger, ZPO, § 306 Rn. 4. 582 Vgl. Schilken, ZPO, § 8 Rn. 344; Meller-Hannich, ZPO, § 6 Rn. 41; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 91. 583 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 168; Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 4 Rn. 343; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 76 Rn. 3. 584 Wie der Verzicht kann ein Anerkenntnis nur insoweit wirksam abgegeben werden, als die Parteien über den materiell-rechtlichen Streitverhältnis verfügen können, Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 4 Rn. 450; Cahn, AcP 198 (1998), 35, 39. Ein Anerkenntnisurteil kann folglich in Scheidungssachen nicht ergehen, vgl. § 113 Abs. 4 Nr. 6 FamFG. Insgesamt sind die Dispositionsbefugnisse der Parteien in Verfahren nach dem FamFG deutlich eingeschränkt. Dies beruht u. a. darauf, dass in einem Teil der Verfahren nach dem FamFG (z. B. Kindschafts-, Betreuungs-, Unterbringungs- oder Freiheitsentziehungssachen) die sog. Offizialmaxime gilt, die als prozessuales Gegenstück zur Dispositionsmaxime parteiliche Dispositionsbefugnisse einschränkt, Keidel/Sternal, FamFG, § 26 Rn. 6 ff. Siehe für einen Überblick zu den Einschränkungen der Dispositionsmaxime im familiengerichtlichen Verfahren, Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 98 f.

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treffe.585 Das wirksam erklärte Anerkenntnis verpflichtet das Gericht, nach Prüfung der unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen und in der Rechtsmittelinstanz zusätzlich der Rechtszugsvoraussetzungen ohne Prüfung der Sach- und Rechtslage ein dem Anerkenntnis entsprechendes Sachurteil zu erlassen.586 Das Anerkenntnis kann bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung in jeder Phase des Verfahrens erklärt werden. Das Anerkenntnis kann anders als der Verzicht nach § 306 ZPO nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern auch im schriftlichen Vorverfahren oder in der Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 ZPO) abgegeben werden.587 Außerdem bedarf es in erster und zweiter Instanz keines klägerischen Antrags auf Erlass eines Anerkenntnisurteils. Diese beiden Gesichtspunkte dienen nach der Intention des Gesetzgebers der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung.588 Seit dem 1. Januar 2014 kann ein Anerkenntnisurteil in der Revisionsinstanz nur noch auf entsprechenden Antrag des Klägers hin ergehen. Wie die Beschränkung der Revisionsrücknahme zielt auch das Erfordernis eines Klägerantrags auf Erlass eines Anerkenntnisurteils in der Revisionsinstanz darauf ab, dass eine größere Anzahl von Revisionsverfahren durch streitiges Urteil und damit mit rechtseinheitsfördernder Wirkung beendet werden können.589 Ein Anerkenntnis kann mithin in jeder Instanz abgegeben werden.590 cc) Einvernehmliche Prozessbeendigung Die Parteien können den Prozess ferner beenden, indem sie den Rechtsstreit einvernehmlich für erledigt erklären oder einen Prozessvergleich abschließen. Durch die übereinstimmende Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits entziehen die Parteien dem Gericht seine Befugnis, über den Streitgegenstand in der Hauptsache zu entscheiden.591 Das Gericht ist an den Parteidispositionsakt gebunden und kann nur noch nach § 91a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits 585 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 307 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 307 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 307 Rn. 1. 586 MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 307 Rn. 1; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 307 Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 307 Rn. 19. 587 Ein zwischen den Instanzen erklärtes Anerkenntnis kann wegen der Bindung des erlassenden Gerichts an sein streitiges Urteil gem. § 318 ZPO erst Wirkung in der höheren Instanz zeitigen, Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 307 Rn. 5. 588 Vgl. BT-Drs. 15/3482, S. 17; BT-Drs. 14/3750, S. 58 f.; BR-Drs. 378/03, S. 8 f.; BGH, NJW-RR 2014, 1358, 1359. 589 Vgl. BT-Drs. 17/13948, S. 35. 590 BGH, NJW-RR 2010, 783; BGH, NJW-RR 2013, 1333, 1334; Zöller/Feskorn, ZPO, § 307 Rn. 3; Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 4 Rn. 448. 591 Anders/Gehle/Gehle, ZPO, § 91a Rn. 108; MünchKomm ZPO/Schulz, Band 1, § 91a Rn. 22; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 132 Rn. 9.

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entscheiden.592 Eine übereinstimmende Erledigung des Rechtsstreits können die Parteien auch in den Rechtsmittelverfahren erklären.593 Abzugrenzen ist die übereinstimmende Erledigung des Rechtsstreits von der übereinstimmenden Erledigung des Rechtsmittels. Auch ein Rechtsmittel kann analog § 91a ZPO übereinstimmend für erledigt erklärt werden.594 Ob die Parteien den Rechtsstreit oder lediglich das Rechtsmittel für übereinstimmend erledigt erklären wollten, ist im Zweifel im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien und der Begleitumstände zu klären.595 Eine weitere Möglichkeit, den Rechtsstreit zu einem einvernehmlichen Abschluss zu bringen, ist, einen Prozessvergleich abzuschließen. Der Prozessvergleich ist eine Prozessbeendigungsvereinbarung, in der der Rechtsstreit seinem ganzen Umfang nach oder in Bezug auf einen Teil des Streitgegenstandes einvernehmlich beigelegt wird.596 Die Parteien können einen Prozessvergleich in jeder Instanz abschließen.597 d) Zusammenfassung Parteiliche Dispositionsbefugnisse sind integrale Bestandteile des Zivilprozesses und Ausdruck der Parteiherrschaft im Zivilprozess. Den Möglichkeiten der Parteien, den Prozess dem eigenen Willen entsprechend zu steuern, sind aber Grenzen gesetzt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass manche parteilichen Dispositionsbefugnisse in allen Instanzen in gleicher Weise ausgestaltet sind und manche Beschränkungen von Parteidispositionen sich nur auf eine Instanz des Zivilprozesses beziehen und sich aus dem Zweck der jeweiligen Instanz ableiten lassen. Zumeist verfolgt der Gesetzgeber mit Beschränkungen parteilicher Dispositions-

592 Anders/Gehle/Gehle, ZPO, § 91a Rn. 107 f.; Zöller/Althammer, ZPO, § 91a Rn. 12. 593 BGHZ 50, 197, 198 = BGH, NJW 1968, 1725; BGH, NJW 1986, 852; BGH, GRUR 2005, 41; BGH, NJW-RR 2012, 688; BeckOK ZPO/Jaspersen, § 91a Rn. 24a; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 91a Rn. 7; Zöller/Althammer, ZPO, § 91a Rn. 18 m.w. N. 594 BGH, NJW-RR 2001, 1007, 1008; BGH, NJW 2009, 234; BeckOK ZPO/Jaspersen, § 91a Rn. 93; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 91a Rn. 8; MünchKomm ZPO/ Schulz, Band 1, § 91a Rn. 111; Zöller/Althammer, ZPO, § 91a Rn. 19 m.w. N. 595 MünchKomm ZPO/Schulz, Band 1, § 91a Rn. 111. Entscheidende Bedeutung kommt der Frage zu, ob die Parteien eine Kassation der angegriffenen Entscheidung oder nur eine kostengünstige Beendigung des Rechtsmittelverfahrens bei Aufrechterhaltung der angegriffenen Entscheidung gewollt haben, BeckOK ZPO/Jaspersen, § 91a Rn. 93. 596 MünchKomm ZPO/Wolfsteiner, Band 2, § 794 Rn. 9. 597 Erforderlich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist lediglich die Anhängigkeit des Rechtsstreits vor einem deutschen Gericht, sodass die Instanz, in welcher sich der Rechtsstreit befindet, unerheblich ist.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

befugnisse Allgemeininteressen598, kann aber auch Privatinteressen in Rechnung stellen.599 2. Disposition über prozessuale Regeln Im Gegensatz zur Dispositionsmaxime handelt es sich bei der Disposition über prozessuale Regeln um die Frage der Parteigestaltung innerhalb des durch die Zivilprozessordnung zur Verfügung gestellten äußeren Rahmens zur Beilegung eines Rechtsstreits.600 Die Auseinandersetzung mit parteilicher Disposition über prozessuale Regeln thematisiert folglich die Frage der Zulässigkeit bzw. der Reichweite parteilicher Disposition über das „Wie“ des Verfahrens.601 Die Zivilprozessordnung kennt nur wenige ausdrückliche Regelungen, in denen den Parteien gestattet wird, von den Regeln der Zivilprozessordnung abzuweichen. Hierzu zählen zum Beispiel die Regeln über Gerichtsstandsvereinbarungen (§§ 38–40 ZPO), Vereinbarungen über die Prozesskostensicherheit (§ 108 Abs. 1 ZPO), Vereinbarungen über Fristenverkürzungen (§ 224 Abs. 1 ZPO), Vereinbarungen im Vollstreckungsrecht (§ 816 Abs. 1 ZPO) und Schiedsvereinbarungen (§ 1029 Abs. 1 ZPO). Parteidisposition wird in diesem Rahmen nur im Wege des einverständlichen Parteihandelns ermöglicht. Darüber hinaus fehlt es an geschriebenen Regeln betreffend die Parteidisposition über prozessuale Normen. Die Regelungen zur Parteidisposition über prozessuale Regeln sind daher nur lückenhaft ausgestaltet. Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von den geschriebenen Regeln zur Parteidisposition über prozessuale Regelungen vertieft auf ungeschriebene Regeln zur Zulässigkeit einverständlichen Parteihandelns im Zivilprozess eingegangen werden. Vor dem Hintergrund der thematischen Ausrichtung der Arbeit auf Parteidisposition über den Instanzenzug werden exemplarisch die geschriebenen Regeln zur Parteidisposition über prozessuale Regelungen in Form der Schiedsvereinbarungen thematisiert. Denn Schiedsvereinbarungen ermöglichen es den Parteien, auf das staatliche Rechtsschutzverfahren zu verzichten und die Aufgabe der verbindlichen Streitentscheidung auf einen Dritten zu übertragen. In der 598 Z. B. das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung von Rechtseinheit durch höchstinstanzliche (streitige) Klärung einer Rechtsfrage wie durch die Gesetzesänderungen der §§ 555 Abs. 3, 565 S. 2 ZPO. 599 Durch die Möglichkeit der amtswegigen Entscheidung über die Frist zur Räumung von Wohnraum gem. § 721 ZPO soll der Einzelne vor Wohnungslosigkeit geschützt werden, womit gleichzeitig sozialstaatliche Interessen verfolgt werden. Mit der Beschränkung der Möglichkeit zur Klageänderung werden Privat- und Allgemeininteressen verfolgt, Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 263 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO, § 263 Rn. 1. 600 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 334. 601 Im Gegensatz dazu offenbart sich in der Reichweite der Dispositionsmaxime, wie die bisherige Untersuchung bereits gezeigt hat, der Grad der Verwirklichung von Parteiherrschaft über das „Ob“ und das „Worüber“ des Verfahrens.

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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Wahl eines einzügigen privaten Rechtsschutzverfahrens liegt eine Disposition über den staatlichen Instanzenzug. Die anschließenden Ausführungen zu ungeschriebenen Regeln zur Zulässigkeit von Prozessverträgen dienen der Vorbereitung des zweiten Kapitels. Dort werden Umfang und Grenzen von Parteidispositionsbefugnissen über eine Rechtsmittelinstanz anhand der in der Zivilprozessordnung nur rudimentär geregelten Institute des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme im Detail ausgeleuchtet werden. Die nur fragmentarischen Regelungen zu Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme können den Rückgriff auf ungeschriebene Regeln zur Zulässigkeit von Prozessverträgen erforderlich machen.

II. Die Zulässigkeit von Prozessverträgen Mit Blick auf die zivilistische Praxis bleibt ein Trend ungebrochen – große Wirtschaftsunternehmen neigen dazu, ihre Rechtsstreitigkeiten nicht vor staatlichen Gerichten, sondern vor Schiedsgerichten auszutragen.602 Auch wenn in jüngerer Zeit die Politik auf die Thematik aufmerksam geworden ist und Ansätze von Bemühungen um die Steigerung der Attraktivität staatlicher Justiz zu erkennen sind603, erfreut sich die Schiedsgerichtsbarkeit in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten nach wie vor großer Beliebtheit. Ein Grund für die große Beliebtheit ist die Flexibilität des schiedsgerichtlichen Verfahrens. Den Parteien steht es gem. § 1042 Abs. 3 ZPO weitgehend frei, die Verfahrensregeln selbst zu bestimmen, die es auf dem Weg zur verbindlichen schiedsrichterlichen Entscheidung zu beachten gilt. Obwohl Flexibilität im staatlichen Prozess im Interesse der Parteien erstrebenswert erscheint, sind mit der Beteiligung des Gerichts als staatlichem Akteur im Zivilverfahren der Parteidisposition natürliche Grenzen gesetzt. Wie bereits aufgezeigt, folgt aus der Bindung des Gerichts an grundrechtliche Gewährleistungen, insbesondere an das Gebot der Justizgewährung, dass Parteivereinbarungen über indisponible, unverbrüchliche Elemente des Prozessrechts ohne jegliche Rechtswirkungen bleiben müssen.604 Die Attraktivität der staatlichen Gerichte kann daher nicht um jeden Preis durch die Erweiterung des Kanons an ausdrücklich zulässigen Prozessvereinbarungen oder durch laxeren Umgang mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen von ungeschriebenen Prozessvereinbarungen gesteigert werden. Allerdings sollte die Abwanderung von Großverfahren hin zur Schiedsgerichtsbarkeit in rechtspolitischer Hinsicht weiterhin Anlass dafür ge602

So schon der Befund bei Teubner/Künzel, MDR 1988, 720. Z. B. in Form der Einrichtung von Commercial Courts in Baden-Württemberg, Staatsministerium Baden-Württemberg, Zukunftsweisende Ausrichtung der Justiz im Land, 2020, S. 2 f. 604 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 295. 603

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

ben, nach Wegen zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Justiz im Ganzen zu suchen und auch Fragen der Zulässigkeit von Prozessvereinbarungen stärker zu reflektieren. Denn obwohl die Disposition über prozessuale Regelungen aufgrund des teils zwingenden Charakters des Prozessrechts im Interesse eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens begrenzt ist, ist es gleichermaßen rechtsstaatlich bedenklich, wenn bestimmte Streitmaterien überwiegend nicht vor staatlichen Gerichten, in denen ein der Öffentlichkeit zugängliches Urteil ergeht, verhandelt werden. Es sind daher die Grenzen zwischen Flexibilität und Prozessstrenge auszuloten. Dazu soll nach einer Einführung in die dogmatischen Grundlagen des Prozessvertragsrechts zunächst auf die Zulässigkeit und Grenzen von Schiedsvereinbarungen eingegangen werden. Daran schließt sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit (ungeschriebenen) Regeln für die Zulässigkeit von Prozessverträgen an. 1. Dogmatische Grundlagen des Prozessvertragsrechts Prozessverträge sind Vereinbarungen über ein bestimmtes verfahrensrechtliches Verhalten, die von den Parteien eines – auch zukünftigen – Rechtsstreits abgeschlossen werden.605 Charakteristisches Merkmal von Prozessverträgen ist, dass sie primär prozessuale Wirkungen bezwecken und damit ihre unmittelbare Hauptwirkung auf prozessualem Gebiet entfalten.606 Mit dem Abschluss eines Prozessvertrags beabsichtigen die Parteien, das gerichtliche Verfahren nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen.607 Prozessverträge können sich sowohl auf das Erkenntnisverfahren als auch auf das Zwangsvollstreckungsverfahren beziehen.608 Prozessverträge können in zwei Erscheinungsformen auftreten. Überwiegend kommt den Prozessverträgen unmittelbare über das Prozessrecht verfügende Wirkung zu. Solche Prozessverträge können daher als sog. prozessuale Verfügungsverträge609 eingeordnet werden. Dies bedeutet, dass der durch sie erstrebte prozessuale Erfolg unmittelbar eintritt, indem eine bestimmte Prozesslage begründet oder aufgehoben wird.610 Da diese Verträge unmittelbare Wirkung im Prozess entfalten, richten sich ihre Abschlussvoraussetzungen pri605

Teubner/Künzel, MDR 1988, 720. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 464; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 66; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 55; Zöller/Greger, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 128–252 Rn. 26; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 1; H.-J. Hellwig, Zur Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 44. 607 Teubner/Künzel, MDR 1988, 720. 608 Schilken, ZPO, § 5 Rn. 167. 609 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. 610 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Schilken, ZPO, § 5 Rn. 168; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 121 f.; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 215 f. 606

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mär nach dem Prozessrecht.611 Es gelten mithin die Prozesshandlungsvoraussetzungen.612 Ferner können die Parteien Verträge über die Vornahme oder Unterlassung von Prozesshandlungen schließen613, sog. prozessuale Verpflichtungsverträge.614 Kann eine Partei nach dem Prozessrecht frei über die Vornahme oder Nichtvornahme einer Prozesshandlung entscheiden, steht es ihr auch frei, ihre Handlungsspielräume durch rechtliche Bindung gegenüber dem Prozessgegner zu begrenzen.615 Die Rechtsnatur solcher prozessualen Verpflichtungsverträge wird uneinheitlich beurteilt. Unter Verweis auf die fehlende unmittelbare verfahrensgestaltende Wirkung werden Verträge, die zu einem bestimmten (künftigen) Prozessverhalten verpflichten, teilweise als materiell-rechtliche Verträge qualifiziert.616 Allerdings liegt die avisierte Wirkung bei prozessualen Verpflichtungsverträgen wie bei verfügenden Verträgen auf prozessualer Ebene.617 Ferner fehlt es auch an der Übernahme von für materiell-rechtliche Verträge charakteristischen Leistungspflichten.618 Eine unterschiedliche Einordnung der Rechtsnatur von verfügenden und verpflichtenden Verträgen erscheint besonders vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass beide Vertragsarten allein auf prozessuale Wirkungen abzielen. Es kann der Rechtsgedanke der im öffentlichen Recht anerkannten Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen nach dem Vertragsgegenstand (sog. Gegenstandstheorie) und dem Vertragszweck619 fruchtbar gemacht werden.620 Da Gegenstand und Zweck der verpflichtenden Verträge auf dem Gebiet des Prozessrechts liegen, spricht vieles dafür, solche Verträge primär als prozessrechtlich (als Prozessvertrag) einzuordnen.621 Die Ablehnung des prozessualen 611

Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 1. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 335. 613 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 5; MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 464. 614 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 336. 615 Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 218; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721. 616 Zöller/Greger, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 128–252 Rn. 26. Ferner für eine Einordnung der Verpflichtungsverträge ihrer Rechtsnatur nach ausschließlich zum bürgerlichen Recht Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 723. 617 Vgl. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 464; Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 39. 618 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 337. 619 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 12 f.; Stelkens/Bonk/ Sachs/Bonk/Neumann/Siegel, VwVfG, § 54 Rn. 56 f. Grundlegend GemS-OGB BGHZ 97, 312, 313 f. = BGH, NJW 1986, 2359. Siehe auch BGH, NVwZ 2003, 371. 620 Vgl. Schilken, ZPO, § 5 Rn. 168. 621 OLG Frankfurt, Urt. v. 10.07.1994, 11 U 12/94, juris Rn. 23; Musielak/Voit/ Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 67; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 337; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 38. 612

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Charakters der Verpflichtungsverträge622 beruht auf einer Vermengung der Frage der Rechtsnatur mit den Fragen der Wirksamkeit und des Zustandekommens von prozessualen Verpflichtungsverträgen. Dass die Normen des bürgerlichen Rechts auf einen Vertrag Anwendung finden, nimmt dem Vertrag nicht zwingend seinen öffentlich-rechtlichen Rechtscharakter.623 Wegen der unvollkommenen Regelungen der Zivilprozessordnung zu Prozessverträgen muss ergänzend auf das bürgerliche Recht zurückgegriffen werden.624 Bei der rechtlichen Bewertung von Fragen der Wirksamkeit und des Zustandekommens von prozessualen Verpflichtungsverträgen wird daher regelmäßig auf das bürgerliche Recht zu rekurrieren sein. Dies berührt aber nicht die Rechtsnatur der Verpflichtungsverträge. Da Vertragsgegenstand und Vertragszweck auf dem Gebiet des Prozessrechts liegen, sind Verpflichtungsverträge ihrer Rechtsnatur nach prozessrechtlich. Beispiele für prozessuale Verfügungsverträge sind Gerichtsstandvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen, bei denen über die gerichtliche Zuständigkeitsordnung bzw. den Anspruch auf Justizgewährung verfügt wird.625 Ferner zählt der zweiseitig gegenüber dem Gericht erklärte Rechtsmittelverzicht zu den prozessualen Verfügungsverträgen, denn durch den Rechtsmittelverzicht wird der Instanzenzug unmittelbar verkürzt. Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen gehören zu den prozessualen Verpflichtungsverträgen.626 Zudem besteht die Möglichkeit, sich gegenüber dem Prozessgegner zu einem Rechtsmittelverzicht zu verpflichten.627 2. Geschriebene Regeln: die Schiedsvereinbarung Die Schiedsgerichtsbarkeit kann als Institution auf eine außerordentlich lange Tradition zurückblicken. Bereits im antiken Rom existierten Schiedsgerichte.628 Das schiedsrichterliche Verfahren eröffnet den Parteien die Möglichkeit, für eine verbindliche Streitentscheidung durch private Schiedsrichter zu optieren und den

622 RGZ 102, 217, 221; RGZ 104, 133, 135; RGZ 160, 241, 242; BGHZ 28, 45, 48 = BGH, NJW 1958, 1397; BGH, NJW 1964, 549, 550; OVG Hamburg, NJW 1989, 604. Keine eindeutige Positionierung zur Rechtsnatur von Verpflichtungsverträgen findet sich hingegen bei RGZ 159, 186, 190; BGH, NJW 1984, 805; BGH, NJW 1985, 189. 623 Vgl. § 62 S. 2 VwVfG. 624 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 66. 625 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 332; Jacoby, ZPO, 6. Kap. Rn. 274; Schilken, ZPO, § 5 Rn. 168. 626 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 338; Zöller/Greger, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 128–252 Rn. 26. 627 BGH, NJW-RR 2018, 250, 251; BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397. 628 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 4 Rn. 9; Ziegler, Schiedsgericht, S. 161. Zu Dispositionsbefugnissen im römischen Formularprozess siehe Sturm, Ausgewählte Schriften zum Recht der Antike, Band 2, S. 695 ff.

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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Rechtsstreit damit gleichzeitig der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen.629 Das 10. Buch der ZPO steckt insofern Umfang und Grenzen der Möglichkeit des Verzichts auf staatliche Justizgewährung durch die Parteien eines Zivilprozesses ab. Die Option der Anstrengung eines schiedsrichterlichen Verfahrens ist eine der bedeutsamsten parteilichen Verfügungsbefugnisse, die die Zivilprozessordnung bietet. Die Durchführung eines Schiedsverfahrens hat zur Folge, dass das gesamte Erkenntnisverfahren in private Hände gelegt wird.630 Ein staatliches Erkenntnisverfahren findet nicht mehr statt, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten wird ausgeschlossen und die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte beseitigt. Damit einher geht auch der Verlust von Rechtsschutzmöglichkeiten durch Einlegung von Rechtsmitteln. In aller Regel fehlt dem Schiedsverfahren ein Instanzenzug, eine verbindliche Streitentscheidung wird in einem nur einstufigen Verfahren herbeigeführt. Die Anstrengung eines staatlichen Erkenntnisverfahrens trotz wirksamer Schiedsvereinbarung führt unweigerlich zu einer Klageabweisung, wenn der Beklagte die Rüge der Unzuständigkeit der staatlichen Gerichte aufgrund wirksamer Schiedsvereinbarung erhebt (sog. Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO).631 Eine wirksame Schiedsvereinbarung entfaltet ihre Wirkung somit auf prozessualer Ebene. Aus diesem Grunde wird die Schiedsvereinbarung zu Recht überwiegend als Prozessvertrag eingeordnet.632 Das Schiedsverfahrensrecht ist folglich das Inbild des Grundsatzes der Parteiherrschaft auf zivilverfahrensrechtlichem Gebiet, da es die Parteien in die Lage versetzt, das gesamte Erkenntnisverfahren den staatlichen Gerichten „aus den Händen“ zu nehmen und nicht nur einzelne Variablen eines staatlichen Erkenntnisverfahrens nach ihren Wünschen zu modifizieren. 629 Jacoby, ZPO, 18. Kap. Rn. 799; Schilken, ZPO, § 25 Rn. 841. In der Schiedsvereinbarung liegt ein Verzicht auf den gesetzlichen Richter, der mangels Eingriffs von außen zulässig ist, vgl. Kern, ZZP 130 (2017), 91, 118. 630 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 1. 631 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1032 Rn. 4; Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1032 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1032 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 1032 Rn. 1; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 124 III, S. 741. 632 Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1029 Rn. 7; Saenger/Saenger, ZPO, § 1029 Rn. 1; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, Einl III Rn. 7; Zöller/Geimer, ZPO, § 1029 Rn. 15; Jacoby, ZPO, 18. Kap. Rn. 804; K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 7 Rn. 37 m.w. N.; Schilken, ZPO, § 25 Rn. 843; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 582; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 217; offenlassend Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 124 IV, S. 742 f. Zur Vertiefung der Thematik der Rechtsnatur des Schiedsvertrags siehe Mayr, Schiedsvereinbarung und Privatrecht, S. 39–47. Unabhängig von der Frage der Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung kann aufgrund der rudimentären Regelungen der Zivilprozessordnung zu Prozessverträgen für das Zustandekommen von Schiedsvereinbarungen auf Regeln des materiellen Rechts zurückzugreifen sein, vgl. Ausführungen unter B. II. 1., ferner MünchKomm ZPO/ Münch, Band 3, § 1029 Rn. 15; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 116.

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Erst die Vollstreckung des schiedsgerichtlichen Erkenntnisses bleibt als Ausübung hoheitlicher Gewalt originäre Staatsaufgabe und ist der Disposition der Parteien entzogen.633 Aber auch inhaltlich sind den Möglichkeiten der Parteien, sich dem staatlichen Rechtsschutzsystem zu entziehen, Grenzen gesetzt. Die Zulassung einer privaten Schiedsgerichtsbarkeit, die privatrechtliche Streitigkeiten an Stelle staatlicher Gerichte mit verbindlicher Wirkung entscheidet, steht unter der Voraussetzung, dass rechtsstaatliche Mindeststandards gewahrt werden.634 Ferner ist die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte in engen Grenzen dort indisponibel ausgestaltet, wo die Allgemeinheit ein besonderes Interesse daran hat, dass staatliche Gerichte anstelle privater Schiedsgerichte entscheiden.635 Hiermit sind die Themen der Schiedsfähigkeit eines Rechtsstreits und der im Schiedsverfahren geltenden rechtsstaatlichen Mindeststandards angesprochen. a) Schiedsfähigkeit Die Schiedsvereinbarung ist eine der wenigen Erscheinungsformen von Prozessverträgen, zu deren Zulässigkeit die Zivilprozessordnung ausdrückliche Regeln bereithält. Besonders bedeutsam für die Zulässigkeit einer Schiedsvereinbarung ist die Schiedsfähigkeit des Rechtsstreits. Die Schiedsfähigkeit legt den Umfang der Streitigkeiten fest, bei denen ein schiedsrichterliches Verfahren zulässig ist, und kämmt damit Streitigkeiten aus, die nicht von einem Schiedsgericht entschieden werden dürfen.636 Bezüglich der Schiedsfähigkeit einer Rechtsstreitigkeit ist zwischen objektiver und subjektiver Schiedsfähigkeit zu unterscheiden. aa) Objektive Schiedsfähigkeit Die in § 1030 ZPO geregelte objektive Schiedsfähigkeit gibt Auskunft darüber, welche Streitigkeiten Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können. Die objektive Schiedsfähigkeit beschreibt die Befugnis der Parteien, einen konkreten Streit der Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu überantworten.637 Maßgeblich für die objektive Schiedsfähigkeit einer Rechtsstreitigkeit ist somit deren Streitgegenstand. (1) Liberalität der Regeln zur objektiven Schiedsfähigkeit § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO ordnet die Schiedsfähigkeit für alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten an. Die gesetzgeberische Anordnung einer umfassenden 633

Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 1. Vgl. Zöller/Geimer, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 1025–1066 Rn. 4. 635 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 60. 636 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1032 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1030 Rn. 1; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 60. 637 Schwab/Weth/Tiedemann, ArbGG, § 4 Rn. 1; Mavrantonakis, Das Verbot der révision au fond im internationalen Handelsschiedsverfahren, S. 85. 634

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Schiedsfähigkeit vermögensrechtlicher Streitigkeiten (in Abkehr von dem Erfordernis der Vergleichsfähigkeit gem. § 1025 Abs. 1 Hs. 2 ZPO a. F. in der Fassung vom 1.1.1964) dient dem Ziel der Stärkung des Schiedsstandorts Deutschlands.638 Das Recht der objektiven Schiedsfähigkeit zeichnet sich mithin durch eine außerordentliche Liberalität aus639 und erscheint somit als Verlängerung der vom Gesetzgeber geschaffenen freiheitlichen Privatrechtsordnung in das Verfahrensrecht hinein. Es ist Teil der Ausstrahlungswirkung der Privatautonomie auf das Verfahrensrecht, dass es den Parteien überlassen wird, ihre rechtlichen Beziehungen selbst zu regeln, und ihnen kein Zwang auferlegt wird, Rechtsstreitigkeiten vor einem staatlichen Gericht auszutragen.640 Ein Anspruch ist vermögensrechtlicher Natur, wenn er auf Zahlung von Geld oder Leistung geldwerter Gegenstände im weitesten Sinne gerichtet ist.641 Die umfassende Schiedsfähigkeit vermögensrechtlicher Ansprüche hat zur Folge, dass auch solche Ansprüche Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können, über die nach materiellem Recht nicht durch Verzicht oder Vergleich disponiert werden kann.642 Anders hingegen stipuliert § 1030 Abs. 1 S. 2 ZPO für nicht-vermögensrechtliche Streitigkeiten, dass solche Streitigkeiten nur soweit Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können, wie die Parteien berechtigt sind, über den Gegenstand des Streits einen Vergleich zu schließen. Damit ist die objektive Verfügbarkeit des Rechtsverhältnisses angesprochen.643 Entscheidend für die Schiedsfähigkeit eines nicht-vermögensrechtlichen Anspruchs ist, ob der Staat zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter ein Rechtsschutzmonopol für sich in An-

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Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1030 Rn. 1. Vgl. Mavrantonakis, Verbot der révision au fond, S. 86. 640 Goette, AnwBl 2012, 33. 641 BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1030 Rn. 3. 642 Bspw. § 276 Abs. 3 BGB, § 1614 Abs. 1 BGB, § 9b Abs. 1 S. 1 GmbHG, siehe K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 4 Rn. 4. Diese Erweiterung der Spielräume der Parteien im schiedsrichterlichen Verfahren, die im Widerspruch zum materiellen Recht steht, ist nicht unbedenklich, da die Unterminierung von öffentlichen Interessen ermöglicht wird. Das Verbot des Verzichts auf den Unterhalt für die Zukunft dient dem Interesse des Unterhaltsgläubigers sowie der Solidargemeinschaft als subsidiärem Unterhaltsschuldner, Schumacher, FamRZ 2004, 1677, 1682. Die Schiedsfähigkeit von Ansprüchen auf künftigen Unterhalt erlaubt es den Parteien in Bereichen, in denen sie nicht dispositionsbefugt sind, dem Schiedsgericht Entscheidungsregeln vorzugeben. Zur Kritik an Verzicht oder Vergleich nicht disponibler Streitgegenstände Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1030 Rn. 1, Fn. 1; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 61; K. H. Schwab, in: Gerhardt/Diederichsen/Rimmelspacher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, 1995, S. 803, 814 f. 643 BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 7; Zöller/Geimer, ZPO, § 1030 Rn. 1. 639

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spruch nimmt.644 Dies ist nur ganz ausnahmsweise zu bejahen. Ansprüche nichtvermögensrechtlicher Art wie beispielsweise Ansprüche zur Durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und verwandter Rechte wie das Recht am eigenen Bild oder das Namensrecht sind folglich schiedsfähig.645 (2) Grenzen der objektiven Schiedsfähigkeit im Allgemeininteresse Aus dem Erfordernis der Vergleichsfähigkeit nicht-vermögensrechtlicher Ansprüche ergibt sich gleichermaßen eine Grenze der objektiven Schiedsfähigkeit privatrechtlicher Streitigkeiten. In Hinblick auf nicht-vermögensrechtliche Familiensachen (insb. statusrechtliche Ehesachen, Abstammungssachen und Kindschaftssachen) fehlt es an der objektiven Verfügbarkeit der Rechtsverhältnisse. Mithin scheidet die Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens in diesen Bereichen staatsseitiger Personenstandsfixierung mangels objektiver Schiedsfähigkeit der Streitsache aus.646 Das Bestehen von Rechtsklarheit über familienrechtliche Statusverhältnisse liegt im besonderen Interesse des Rechtsverkehrs (unter Privaten, mit Behörden), sodass es unabdingbar ist, dass sich der Staat ein Rechtsschutzmonopol im Allgemeininteresse vorbehält.647 Darüber hinaus ordnet § 1030 Abs. 2 ZPO die Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen über den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum im Inland an. Der Ausschluss des schiedsrichterlichen Verfahrens in Streitigkeiten über den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum bezweckt den Sozialschutz des Mieters.648 In der sozial häufig besonders prekären Situation des Streits um den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum misstraut der Staat der sozialen Kompetenz von Schiedsgerichten und will den Mieter vor fehlender Objektivität und Rechtskenntnis der Schiedsrichter schützen.649 Zudem sollen Umgehungen der zum Schutz des Mieters geschaffenen ausschließlichen Gerichtsstandsregelung des § 29a ZPO durch Schiedsvereinbarungen verhindert werden.650 Nicht 644 BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 7; Saenger/Saenger, ZPO, § 1030 Rn. 5; Zöller/Geimer, ZPO, § 1030 Rn. 2; Mayr, Schiedsvereinbarung, S. 56; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 584. 645 Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1030 Rn. 4. 646 OLG Frankfurt, BB 2004, 908, 909; OLG München, Beschl. v. 29.03.2012, 34 Sch 45/11, juris Rn. 8; MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1030 Rn. 17; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 62. 647 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 585; P. Huber, SchiedsVZ 2004, 280, 281; Schumacher, FamRZ 2004, 1677, 1680. 648 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1030 Rn. 1; BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 10; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 1030 Rn. 4. 649 Stein/Jonas/P. Schlosser, ZPO, Band 10, § 1030 Rn. 11; Wieczorek/Schütze/ Schütze, ZPO, Band 11, § 1030 Rn. 12. 650 BT-Drs. 13/5274, S. 35. Den Parteien steht es gem. § 1043 Abs. 1 ZPO frei, den Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens selbst festzulegen. Siehe ferner Wieczorek/ Schütze/Schütze, ZPO, Band 11, § 1030 Rn. 12.

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zuletzt aufgrund der staatlichen Schutzpflicht vor ungewollter Obdachlosigkeit651 besteht ein erhebliches Interesse des Staats, Fragen des Bestands eines Mietverhältnisses über Wohnraum bei staatlichen Gerichten zu monopolisieren. Ein weitgehendes Rechtsschutzmonopol der staatlichen Gerichte besteht indes auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Interesse des Schutzes der Arbeitnehmer kann über die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte und damit über die Rechtsschutzgarantien der Arbeitsgerichtsbarkeit nur in sehr engen Grenzen disponiert werden.652 Mit Ausnahme der in §§ 4, 101 ArbGG anerkannten Fälle sind Schiedsverfahren in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich unzulässig. § 101 Abs. 3 ArbGG schließt die Anwendung der Normen der Zivilprozessordnung über das schiedsrichterliche Verfahren aus. Der weitgehende Ausschluss eines schiedsrichterlichen Verfahrens in Arbeitssachen dient dem Zweck, im Interesse der Parteien eines Arbeitsvertrags sicherzustellen, dass das materielle Arbeitsrecht in jedem Falle mit Hilfe staatlicher Gerichte durchgesetzt werden kann.653 Zudem soll der Arbeitnehmer durch den Ausschluss schiedsrichterlicher Verfahren davor geschützt werden, dass sich die in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten häufig fehlende Vertragsparität in einem Schiedsverfahren zu seinem Nachteil auswirkt.654 Ausgeschlossen werden kann die Arbeitsgerichtsbarkeit aber beispielsweise nach § 101 Abs. 2 ArbGG bei Bühnenkünstlern, die durch den Tarifvertrag „Normalvertrag Bühne“ gebunden sind.655 Das Rechtsschutzmonopol der Arbeitsgerichte dient der Absicherung der sozial schutzwürdigen Stellung des Arbeitnehmers und weist somit Ähnlichkeiten mit der dem Mieterschutz dienenden Vorschrift des § 1030 Abs. 2 ZPO auf. In beschränktem Umfang ist es mithin den Parteien eines privatrechtlichen Rechtsstreits nicht gestattet, über die staatliche Justizgewährung zu verfügen und ein schiedsgerichtliches Verfahren anzustrengen. In Bezug auf einen Gegenstand einer privatrechtlichen Streitigkeit kann nur dann keine Schiedsvereinbarung geschlossen werden, wenn sich der Gesetzgeber im Interesse besonders schutzwürdiger Rechtsgüter oder übergeordneter öffentlicher Belange ein Rechtsschutzmonopol vorbehalten hat. Soweit der Gesetzgeber den Parteien die Befugnis versagt, einen konkreten Streit einem Schiedsgericht zu übertragen, geschieht dies aufgrund struktureller Bedenken gegen die Schiedsgerichtsbarkeit in diesen Bereichen (fehlende Objektivität und Rechtskenntnis der Schiedsrichter, Umgehung von Schutzvorschriften). Dass durch den Abschluss einer Schiedsvereinbarung 651

Ruder, NVwZ 2012, 1283, 1284. Vgl. BT-Drs. 1/3516, S. 34; MHdB ArbR Bd. 4/Jacobs, § 394 Schiedsgerichtsverfahren Rn. 1; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 918. 653 GMP/Germelmann, ArbGG, § 4 Rn. 1; Schwab/Weth/Tiedemann, ArbGG, § 4 Rn. 1. 654 Vgl. GMP/Germelmann, ArbGG, § 101 Rn. 33. 655 Bewährte Schiedsgerichte für den künstlerischen Bereich wollte der Gesetzgeber von 1953 beibehalten, vgl. Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 321. 652

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

auch über den Instanzenzug des staatlichen Gerichtsverfahrens disponiert und der Rechtsschutz mithin verkürzt wird, spielt bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Grenzen der objektiven Schiedsfähigkeit offenbar keine Rolle. bb) Subjektive Schiedsfähigkeit Die subjektive Schiedsfähigkeit beschreibt die konkrete Befähigung der Beteiligten zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung.656 Die subjektive Schiedsfähigkeit setzt die Rechts-, Geschäfts- und Parteifähigkeit der Schiedspartei voraus.657 Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich jede natürliche Person, juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft befähigt ist, eine Schiedsvereinbarung abzuschließen. Eine Einschränkung findet die subjektive Schiedsfähigkeit in § 101 WpHG.658 Der Abschluss von Schiedsvereinbarungen über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen oder Finanztermingeschäften ist allein Kaufleuten oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten. Nichtkaufleute sollen vor Folgen einer für künftige Rechtsstreitigkeiten geschlossenen Schiedsvereinbarung geschützt werden.659 Die praktische Bedeutung dieser Schranke der subjektiven Schiedsfähigkeit hält sich aber in Grenzen, da selbst unter Kaufleuten Schiedsvereinbarungen über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungen selten sind.660 Weitere gesetzliche Beschränkungen der subjektiven Schiedsfähigkeit bestehen nicht. Verbraucher können Schiedsverträge schließen.661 b) Formanforderungen Der Schutzwürdigkeit des Verbrauchers wird durch bestimmte Anforderungen an die Form einer Schiedsvereinbarung Rechnung getragen. Die Schiedsvereinbarung muss in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten, separaten Urkunde enthalten sein, wenn ein Verbraucher an der Schiedsvereinbarung betei656

MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1030 Rn. 11; Mayr, Schiedsvereinbarung,

S. 57. 657 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 65. Zudem müssen die Schiedsparteien imstande sein, die konkrete Schiedsvereinbarung abzuschließen, auf der das Schiedsverfahren beruht, Mavrantonakis, Verbot der révision au fond, S. 82. 658 BGH, NZG 2010, 550, 551 (noch zur gleichlautenden Vorgängervorschrift § 37h WpHG); Schwark/Zimmer/Zimmer, WpHG, § 101 Rn. 5 m.w. N. in Fn. 31; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 65; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 176 Rn. 20. § 1030 Abs. 3 ZPO fungiert als Öffnungsklausel und ermöglicht die spezialgesetzliche Einschränkung der Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen nach § 101 WpHG. 659 Schwark/Zimmer/Zimmer, WpHG, § 101 Rn. 2. 660 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 65. 661 Ebenda.

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ligt ist, § 1031 Abs. 5 ZPO. Die Vorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO bezweckt den Schutz der rechtlich unerfahrenen Verbraucher.662 Eine Schiedsvereinbarung soll dem Verbraucher nicht unbemerkt untergeschoben werden können und gleichzeitig eine Überrumpelung verhindert werden (Warnfunktion der Formvorschrift).663 Nach Einschätzung des Gesetzgebers muss den Verbrauchern besonders deutlich vor Augen geführt werden, dass sie auf eine Entscheidung des Rechtsstreits durch staatliche Gerichte verzichten.664 Das Formerfordernis für Schiedsvereinbarungen, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, dient somit vor allem dazu, dass sich der Verbraucher über die Folgen einer Vereinbarung, nämlich den Verzicht auf eine Entscheidung des Rechtsstreits durch staatliche Gerichte und damit auch auf Rechtsschutz durch den Instanzenzug, bewusst wird. Das Formerfordernis dient damit zumindest mittelbar der Warnung vor einer Disposition über den Instanzenzug vor den staatlichen Gerichten durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung. Im Übrigen reicht für den Abschluss einer Schiedsvereinbarung aber bereits die schlichte Schriftform. c) Beschränkungen der Dispositionsfreiheit der Parteien im Schiedsverfahrensrecht Die Zivilprozessordnung stellt somit insgesamt geringe Hürden für das wirksame Zustandekommen einer Schiedsvereinbarung auf. Allerdings enthält das Schiedsverfahrensrecht Restriktionen der parteilichen Dispositionsfreiheit im Interesse des Schutzes der Parteien und im öffentlichen Interesse an der Garantie eines Mindeststandards für ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Dem Schutz der Parteien dient das Erfordernis der Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses, auf welches sich die Schiedsvereinbarung beziehen soll. Es muss für die Parteien hinreichend klar sein, welches Rechtsverhältnis der Schiedsvereinbarung unterstellt wird. Aufgrund der weitreichenden Folge des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung, des Verzichts auf den Justizgewährungsanspruch, 662 Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 1031 Rn. 8; K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 5 vor Rn. 1. 663 Vgl. MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1031 Rn. 48; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1031 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 1031 Rn. 9; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 176 Rn. 32. 664 BT-Drs. 13/5274, S. 37. Das Erfordernis der Aufnahme der Schiedsvereinbarung in eine gesonderte Urkunde gilt jedoch gem. § 1031 Abs. 5 S. 3 Hs. 2 ZPO nicht bei einer notariellen Beurkundung. Zudem wird ein etwaiger Formmangel gem. Abs. 6 bei rügeloser Einlassung auf die schiedsgerichtliche Verhandlung zur Hauptsache geheilt. Grund für diese Regelungen ist, dass die durch das Formerfordernis angestrebte Warnung des Verbrauchers vor den Gefahren eines Schiedsverfahrens bereits anderweitig erreicht ist – aufgrund der Belehrungspflicht des Notars nach § 17 BeurkG und der Bestätigung des Willens zur Durchführung eines Schiedsverfahrens durch Verhandeln zur Hauptsache, BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1031 Rn. 24; MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1031 Rn. 66.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

muss Gewissheit darüber bestehen, in Bezug auf welche Streitigkeit der Weg zu den staatlichen Gerichten abgeschnitten wird.665 Die Parteien einer Schiedsvereinbarung sollen vor dem Eingehen einer unüberschaubaren Bindung an ein Schiedsverfahren geschützt werden.666 Dem Erfordernis der Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses ist Genüge getan, wenn das Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarung auf eine individuelle oder individualisierbare Grundlage zurückgeführt werden kann.667 Die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung für den Schiedsvertrag.668 Ferner sind im Schiedsverfahren nach § 1042 Abs. 1 ZPO der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu beachten. Die Beachtung dieser Grundsätze qualifiziert das Schiedsverfahren nach Ansicht des Gesetzgebers als eine dem Verfahren vor den staatlichen Gerichten gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit.669 Angesichts der grundsätzlichen Freiheit der Parteien, über die Verfahrensregeln im Schiedsverfahren im eigenen Ermessen zu bestimmen670, sorgt § 1042 Abs. 1 ZPO für die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen an Rechtspflege. Der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sind zwingende rechtsstaatliche Grundpfeiler, auf die sich das Schiedsverfahren stützen muss, sie bilden gewissermaßen die „Magna Charta“ des Schiedsverfahrens.671 Ein Verzicht der Parteien auf die Einhaltung dieser Grundsätze ist unwirksam.672 665

Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1029 Rn. 16; Saenger/Saenger, ZPO, § 1029 Rn. 10. Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 176 Rn. 21; K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 3 Rn. 15. 667 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1029 Rn. 8; MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1029 Rn. 92. Hingegen will Buchwitz es ausreichen lassen, dass der Umfang der Vereinbarung im Nachhinein bestimmt wird, und aufgrund der Gleichwertigkeit von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit das Argument nicht gelten lassen, dass die Parteien aufgrund des Verzichts auf die staatliche Justizgewährung im Vorhinein im Klaren darüber sein müssen, welche zukünftigen Streitigkeiten von der Klausel erfasst sein können, Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 49. 668 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 593 f. Noch deutlicher § 1026 a. F. in der vom 1.1.1964 bis 31.12.1997 geltenden Fassung. Darüber hinaus ist die Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses, auf das sich die Schiedsvereinbarung bezieht, im Falle eines Rechtsstreits vor staatlichen Gerichten entscheidend für die Feststellbarkeit der Identität der Streitgegenstände nach Erhebung einer Schiedseinrede, Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1029 Rn. 10. 669 BT-Drs. 13/5274, S. 46. 670 § 1042 Abs. 3 ZPO, vgl. MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1042 Rn. 6; Zöller/Geimer, ZPO, § 1042 Rn. 1. 671 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1042 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Schütze, ZPO, Band 11, § 1042 Rn. 3; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 123. 672 BGH, NJW 2018, 70, 72 (in Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs); Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1042 Rn. 3; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 1042 Rn. 7; Zöller/Geimer, ZPO, § 1042 Rn. 4. 666

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet das Schiedsgericht dazu, für prozessuale Waffen- und Chancengleichheit zu sorgen.673 Die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist essenziell für ein faires Verfahren, in dem nicht die gesellschaftliche Position oder wirtschaftliche Stärke, sondern allein die Rechtslage über den Ausgang des Verfahrens entscheidet.674 Das Schiedsgericht muss daher den Parteien des Schiedsverfahrens gleiche Chancen eröffnen, ihren prozessualen Vortrag zu leisten.675 Die Anerkennung der Schiedsgerichtsbarkeit als gegenüber den staatlichen Gerichten gleichwertige Rechtspflegeform basiert ferner auf der Wahrung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs durch die Schiedsgerichte. Die Schiedsgerichte müssen im gleichen Umfang wie staatliche Gerichte rechtliches Gehör gewähren.676 Dazu gehören das Recht auf Information (über den Verfahrensstand, durch Akteneinsicht), auf Äußerung im (mündlichen oder schriftlichen) Verfahren und die Pflicht des Gerichts, den Parteivortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.677 Die hohe Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs manifestiert sich in den Folgen einer Verletzung dieser Grundsätze. Die Verletzung der Grundsätze begründet hinsichtlich des Schiedsspruchs einen Aufhebungsgrund nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1b und d sowie Nr. 2 b ZPO (ordre public) und stellt damit auch einen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung dar.678 Die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils soll ein Schiedsspruch nach dem Willen des Gesetzgebers also nur entfalten können, wenn das Schiedsverfahren grundlegenden Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügt hat. Aufgrund des zwingenden Charakters der o. g. Verfahrensgrundsätze und des Bestimmtheitsgrundsatzes zeigt sich, dass der Gesetzgeber die Disposition über den staatlichen Instanzenzug durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung nur unter der Bedingung erlaubt, dass grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden.

673 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1042 Rn. 4; BeckOK ZPO/Wilske/Markert, § 1042 Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1042 Rn. 42. 674 Vgl. Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 124. 675 BeckOK ZPO/Wilske/Markert, § 1042 Rn. 6. 676 OLG Frankfurt am Main, SchiedsVZ 2006, 219, 223; OLG Frankfurt am Main, SchiedsVZ 2014, 154, 157; OLG München, Beschl. v. 09.01.2017, 34 Sch 20/16, juris Rn. 36; Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1042 Rn. 6; Zöller/Geimer, ZPO, § 1042 Rn. 5. 677 BeckOK ZPO/Wilske/Markert, § 1042 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1042 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Schütze, ZPO, Band 11, § 1042 Rn. 9; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 125 ff. 678 BT-Drs. 13/5274, S. 46; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 125, 127 f.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

d) Exkurs: Instanzenzug im Schiedsverfahren Zu der im Schiedsverfahren bestehenden Freiheit der Parteien, die Verfahrensregeln zu bestimmen, gehört auch die Entscheidung über die Vereinbarung eines Instanzenzugs.679 Für ein Schiedsverfahren wird häufig in der Hoffnung optiert, aufgrund des fehlenden Instanzenzugs in kürzerer Zeit zu einem verbindlichen Verfahrensabschluss zu kommen. Die Vereinbarung eines Instanzenzugs im Schiedsverfahren ist aber nicht ausgeschlossen. Das deutsche Recht kennt auch ein institutionalisiertes zweistufiges Schiedsverfahren: In den nach § 101 Abs. 2 ArbGG zulässigen Schiedsverfahren der Bühnenkünstler nach dem „Normalvertrag Bühne“ besteht die Möglichkeit der Anrufung eines Oberschiedsgerichts gegen erstinstanzliche Entscheidungen des Bühnenschiedsgerichts.680 Darüber hinaus existieren vereinzelte internationale institutionalisierte Schiedsordnungen, die ein zweistufiges Schiedsverfahren eröffnen.681 Die überwiegende Zahl von Schiedsordnungen, insb. die Schiedsregeln der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) und weitere international bedeutende schiedsgerichtliche Regelwerke, gewähren jedoch kein Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch.682 Ferner ist eine Vereinbarung eines Instanzenzugs zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit nicht möglich.683 Die Anfechtung eines Schiedsspruchs durch gegen richterliche Entscheidungen gegebene Rechtsmittel ist nicht gestattet.684 Mit dem Abschluss einer Schiedsvereinbarung geht der Verzicht auf staatliche Justizgewährung in seiner Gänze, d.h. auch auf die Justizge-

679 RGZ 17, 434, 435; RGZ 74, 307; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 126 IV, S. 757; K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 22 Rn. 1. 680 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 321. 681 K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 22 Rn. 1 m.w. N. Hierzu zählen folgende Schiedsordnungen: Federation of Oils, Seeds and Fats Associations Ltd (FOSFA), Guide to Arbitration and Appeals, 2022, Section Appeals; Grain and Feed Trade Association (GAFTA), GAFTA Arbitration Rules, 2018, Art. 12 ff.; International Cotton Association (ICA), ICA Bylaws & Rules, 2020, Section 3: Arbitration Bylaws, Bylaw 312 ff., Bylaw 352 ff. 682 Regelmäßig wird nur eine Berichtigung des Schiedsspruchs in Hinblick auf Rechen-, Schreib- und Druckfehler und Fehler ähnlicher Art ermöglicht, vgl. Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS), DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018, 2018, Art. 40; International Chamber of Commerce (ICC), ICC Rules of Arbitration, 2021, Art. 36; London Court of International Arbitration (LCIA), LCIA Arbitration Rules (2014), 2014, Art. 27; Swiss Chambers’ Arbitration Institution (SCAI), Internationale Schweizerische Schiedsordnung (Swiss Rules of International Arbitration), 2021, Art. 36; United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL), UNCITRAL Arbitration Rules, 2013, Art. 38. 683 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1029 Rn. 108; Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1029 Rn. 20; Zöller/Geimer, ZPO, § 1029 Rn. 29; Lachmann, SchiedsVZ 2003, 28 f. 684 RGZ 17, 434.

B. Parteidisposition im Zivilprozess

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währung staatlicher Gerichte in den Rechtsmittelinstanzen, einher. Eine Parteivereinbarung im Schiedsverfahren, die einen Vorbehalt der ordentlichen Rechtsmittel etabliert, ist wirkungslos.685 e) Zusammenfassung Die Auseinandersetzung mit dem Umfang und den Grenzen der möglichen Parteidisposition im Schiedsverfahren hat gezeigt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich der Parteiräson vertraut. Daher ermöglicht der Gesetzgeber es den Parteien sehr weitgehend, über den staatlichen Justizgewähranspruch im Wege des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung zu disponieren. Hinter der Liberalität des Schiedsverfahrensrechts verbergen sich auch rechtspolitische Erwägungen: Durch eine weitgehende Schiedsfähigkeit privatrechtlicher Streitigkeiten soll der Schiedsstandort Deutschland gestärkt werden.686 Grenzen der Gewährung der Möglichkeit der Disposition über die staatliche Justizgewährung ergeben sich unter anderem dort, wo es an der Überzeugung des Gesetzgebers hinsichtlich der Gleichwertigkeit von staatlicher Justizgewährung und Rechtspflege durch die Schiedsgerichte fehlt. In Fällen besonderer sozialer Schutzwürdigkeit der Prozessparteien schenkt der Gesetzgeber allein dem staatlichen Richter das Vertrauen in die angemessene Justizgewährung. Die dargestellten Grundsätze des Schiedsverfahrensrechts geben Denkanlässe in Hinblick auf die später zu thematisierende Frage der Reichweite von Befugnissen zur Disposition über die Rechtsmittelinstanzen. Zentrale Bedeutung wird der Frage zukommen, ob Begrenzungen der Befugnisse zur Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im öffentlichen Interesse geboten sind. 3. Ungeschriebene Regeln zur Zulässigkeit von Prozessverträgen Die Zivilprozessordnung regelt die Zulässigkeit von Prozessverträgen nur sehr vereinzelt. In der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle kann daher für die Beurteilung der Zulässigkeit von prozessvertraglichen Regelungen nicht auf positives Recht zurückgegriffen werden.687 Die Bestimmung des Umfangs und der Reichweite der Zulässigkeit von Prozessverträgen im Allgemeinen ist deshalb eine besonders diffizile Aufgabe, da die Grundhypothese allgemeiner Vertragsfreiheit, die auf dem Gebiet des materiellen Rechts im Grundsatz für die Zulässigkeit der Eingehung vertraglicher 685 RGZ 17, 434; RGZ 13, 430; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 218. 686 Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1030 Rn. 1. 687 Häsemeyer spricht treffend von einem „normativ unbestellten Feld“, Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 296.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

Bindungen streitet, auf dem Gebiet des Prozessrechts keine Geltung beanspruchen kann.688 Der Anerkennung einer grundsätzlichen Freiheitsvermutung im Prozessrecht steht die Beteiligung eines weiteren Akteurs, nämlich des grundrechtsgebundenen Gerichts, am Prozess entgegen.689 Dennoch dürfen der staatliche Gerichtsprozess und die Handlungsform des Vertrags in ihrer Gegenüberstellung nicht als Oxymoron oder als contradictio in adiecto wahrgenommen werden. Es verbieten sich pauschale Aussagen, dass das Prozessrecht in aller Regel zwingend sei und damit Parteidisposition regelmäßig scheitere.690 Denn dort, wo der Gesetzgeber den Privaten einen Weg zur verbindlichen Streitklärung eröffnet, sie gleichzeitig aber nicht dazu zwingt, das Verfahren einzuleiten oder fortzuführen691, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wieso parteiliche Freiheitsbetätigung in Form des Abschlusses von prozessrechtlichen Vereinbarungen allein aufgrund des äußeren Rahmens der staatlichen Klärung der subjektiven Privatrechte in aller Regel ausscheiden soll. Hiermit ist aber gleichermaßen keinesfalls gesagt, dass die Parteien eines Zivilprozesses völlige Freiheit besitzen, im Wege der Parteivereinbarungen über prozessuale Regeln zu verfügen. Einen Konventionalprozess kann es nicht geben.692 Im besonderen öffentlichen Interesse, beispielsweise im Bestreben des Erreichens von Prozesszwecken, der Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und der Wahrung weiterer grundlegender rechtsstaatlicher Gebote existieren zwingende Vorschriften des Prozessrechts, deren Abbedingung im Wege einer vertraglichen Vereinbarung unzulässig ist.693 Mit dem Schlagwort „Verbot des Konventionalprozesses“ kann aber in gleicher Weise die Zulässigkeit von ungeschriebenen Prozessverträgen nicht bereits im Grundsatz angezweifelt werden.694 Es kann weder eine völlige Zurückdrängung vertraglicher Handlungsformen auf prozessualem Gebiet noch ein Fehlen jeglicher Einschränkungen von Prozessverträgen geben. Vermutungen in die eine 688 Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 216. A. A. Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 268 f.; P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 8 ff.; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 59 ff., dazu noch bei Fn. 724 f. 689 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 5. 690 In diese Richtung deutend aber Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 55. 691 Vgl. zu Inhalt und Reichweite der Dispositionsmaxime bereits oben B.I.1. 692 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. 693 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 333; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 8; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 123; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 295. 694 So zu Recht H.-J. Hellwig, Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 81 f. Baumgärtel konstatiert, „mit dem Schlagwort ist wenig anzufangen“, Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 187. A. A. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 151.

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oder andere Richtung, d.h. für allgemeine Vertragsfreiheit695 oder für einen grundsätzlich zwingenden Charakter des Prozessrechts696 sind mithin fehl am Platz.697 Für die Bestimmung der Reichweite der Zulässigkeit von (ungeschriebenen) Prozessverträgen kann es nicht zuletzt auf die Umstände des Einzelfalls, die Auslegung des Gesetzes sowie die Folgen einer etwaigen Abdingbarkeit ankommen.698 Es ist zu beachten, dass im Rahmen der Zulässigkeit von Prozessverträgen die Frage des zwingenden Charakters des Prozessrechts zu beleuchten ist. Der zwingende Charakter materiellen Rechts hingegen präjudiziert nicht ohne Weiteres die Zulässigkeit einer prozessualen Vereinbarung über das materielle Recht. Dies hat bereits die Analyse des explizit geregelten Prozessvertrags der Schiedsvereinbarung ergeben. Die fehlende (materiell-rechtliche) Vergleichsbefugnis hindert bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten nicht den Abschluss einer Schiedsvereinbarung.699 Aus diesem Grund bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen zwingendem materiellen Recht und prozessualer Disposition. Ferner gilt es aufgrund der nur rudimentären Regelungen der Zivilprozessordnung zu Prozessverträgen und der daher statthaften ergänzenden Heranziehung allgemeiner Rechtsgedanken des bürgerlich-rechtlichen Vertragsrechts700 zu eruieren, welche Grenzen der Zulässigkeit von Prozessverträgen sich u. a. aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Grundsatz der Bestimmtheit und dem Verbot des Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) ergeben. a) Dispositives und zwingendes Prozessrecht Die Frage der Zulässigkeit von Prozessverträgen wird häufig zuvörderst mit der Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht in Verbindung gebracht.701 Besonders im Zivilprozessrecht ist die Trennlinie zwischen 695 „in dubio pro libertate“, P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 8 ff.; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 267 f. 696 RGZ 36, 421; RGZ 111, 276, 279; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 55; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720 f. 697 H.-J. Hellwig, Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 81 f.; grundlegend Bülow, AcP 64 (1881), 1, 91. Siehe bereits Erstes Kapitel B. I. 2. 698 Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721. In Bezug auf verfügende Prozessverträge Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 123. Zur Unterscheidung von prozessualen Verfügungsund Verpflichtungsverträgen siehe B. II. 1. 699 Siehe Ausführungen unter B. II. 2. a) aa) (1). 700 Vgl. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 468; Musielak/Voit/ Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 66; Zöller/Greger, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 128– 252 Rn. 27; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 10. 701 Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht enthält die Abhandlung „Dispositives Civilproceß-

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dispositivem Recht, also Recht, das den Parteien eine eigenverantwortliche Gestaltung der Verfahrensregeln ermöglicht702, und zwingendem Recht, schwierig auszumachen, denn wie bereits Bülow erkannte: „Im Zivilprozeßinstitut sind Interessen des Gemeinwesens und reine Privatinteressen aufs innigste und feinste mit einander verwoben.“ 703 Bülow setzte sich mit dem Thema der Reichweite des dispositiven Prozessrechts mit dem Ziel auseinander, Vertretern der sog. Mutationstheorie, nach der den Prozesssubjekten die Befugnis und Macht zustehe, das Prozessrecht selbst zu ändern, entgegenzutreten.704 Vertreter dieser Auffassung, wie z. B. Linde, befürworteten ein Recht der Prozessparteien zur willkürlichen Veränderung des Rechts, wenn Handlungen in Frage stehen, die allein den Vorteil einer oder beider Parteien oder des Richters bezwecken und deren Veränderung dem Zwecke des Verfahrens nicht widerspricht.705 Ein Konventionalprozess wurde für zulässig erachtet.706 Bülow lehnte die Idee eines Konventionalprozesses strikt ab und verwies auf den verbindlichen Charakter als Wesenszug einer Rechtsnorm.707 Bei Ungebundenheit der Parteien könne nicht von Recht im Sinne einer bindenden Regel gesprochen werden, vielmehr erteile das dispositive Recht dem Einzelnen eine Ermächtigung, von Rechts wegen rechtliche Bestimmungen zu treffen.708 Eine dispositive Rechtsnorm zeichne sich folglich dadurch aus, dass die Rechtsordnung einerseits eine (subsidiäre) gesetzliche Regelung vorhalte, aber andererseits die Rechtssubjekte ermächtige, eine vorrangige eigene Willensbestimmung zu treffen.709

recht und die verbindliche Kraft der Rechtsordnung“ von Bülow, AcP 64 (1881), 1 ff. In der gegenwärtigen zivilprozessrechtswissenschaftlichen Literatur wird weiterhin die Bedeutung des Vorliegens eines dispositiven oder zwingenden Rechtssatzes für die Zulässigkeit von Prozessverträgen betont, so etwa MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 466; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 67; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 8; Schilken, ZPO, § 5 Rn. 169. 702 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 39, 108; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 53. 703 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 12. Ähnlich auch Niese, der betont, dass es dem Wesen des Prozesses und seiner Aufgabe in der Rechtsordnung entspreche, dass er in Wechselwirkung mit materiellem Recht stehe, Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 30. 704 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 39 ff. 705 von Linde, Lehrbuch des deutschen gemeinen Civilprocesses, S. 55 f. Ähnliche Thesen vertrat Heffter, System des römischen und deutschen Civil-Processrechts, § 187 S. 224. Für w. N. siehe Bülow, AcP 64 (1881), 1, 41 f. 706 von Linde, Lehrbuch des deutschen gemeinen Civilprocesses, S. 56. 707 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 43. Im Hinblick auf die Civilproceßordnung von 1877 betonend, dass keine Einführung eines Konventionalprozesses bezweckt wurde, Wach, Vorträge über die Reichs-Civilprocessordnung, S. 40. 708 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 49. 709 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 49. Vgl. auch vertiefend die Auseinandersetzung mit der sog. Ermächtigungstheorie Bülows in G. Wagner, Prozeßverträge, S. 52 ff.

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Die sog. Ermächtigungstheorie Bülows ist in neuerer Zeit zunehmend auf Kritik gestoßen.710 Eine derart etatistische Sichtweise, die Dispositionsbefugnisse allein als durch den einfachen Gesetzgeber eingeräumte Handlungsspielräume zu verstehen, erscheint prima facie mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Vertragsfreiheit in der Tat nur schwerlich vereinbar.711 Im Prozessrecht ist jedoch kein Raum für eine allgemeine Geltung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit.712 Zur Bestimmung der Zulässigkeit von Prozessverträgen ist daher notwendigerweise ausgehend von dem Wortlaut des Gesetzes zu eruieren, ob der Gesetzgeber die Parteien ermächtigende prozessuale Normen geschaffen hat. Die Abgrenzung des dispositiven und zwingenden Rechts muss daher letztlich stets im Einzelfall unter umfassender Berücksichtigung der den Prozess beherrschenden Grundsätze und der Prozesszwecke sowie der Folgen der Abdingbarkeit für tangierte Privatinteressen und öffentlich-rechtliche Interessen vorgenommen werden.713 Einer so eingehenden Bestimmung der dispositiven oder zwingenden Natur einer prozessualen Regelung bedarf es indes nicht, wenn sich eine Prozesspartei gegenüber der anderen Prozesspartei zur Ausübung oder Nichtausübung einer ihr zustehenden prozessualen Befugnis verpflichtet. Aus der Tatsache, dass das Prozessrecht es der Partei offenlässt, ob sie von einer prozessualen Befugnis Gebrauch macht oder nicht und ihr mithin volle Entscheidungsfreiheit zuweist, ergibt sich, dass die Partei ihre Handlungsfreiheit auch ohne Weiteres dadurch ausüben kann, sich zur (Nicht-)Ausübung der prozessualen Befugnis zu verpflichten.714 Wie Wagner zutreffend herausgearbeitet hat, erschöpft sich die gesetzliche Regelung bei einer prozessuale Befugnisse verleihenden Norm in einer Ermächtigung. Eine subsidiäre Regelung existiert nicht, da die Befugniserteilung gewissermaßen die einzig gesetzgeberisch gewollte Bestimmung ist.715 Mithin sind beispielsweise Klage- und Rechtsmittelrücknahmeversprechen und der vertragliche Rechtsmittelverzicht aufgrund der korrespondierenden (schlichten) Ermächtigung an die Parteien zum prozessualen Handeln zulässig, ohne dass es auf die Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht ankäme.716 710 Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 60; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 54. 711 Vgl. Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 60; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 54. 712 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Schilken, ZPO, § 5 Rn. 169; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 216. 713 Vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 188; H.-J. Hellwig, Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 83. Siehe grundlegend zur Abgrenzung von dispositivem und zwingendem Prozessrecht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 52 ff. 714 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 67; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 5; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 218; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721. 715 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 55 f. 716 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 55; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 66 Rn. 5 f. Diesen Unterschied auch hervorhebend Baumgärtel, Prozeßhandlung,

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Die Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht erfährt nicht aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des Prozessrechts717 eine Vorprägung in die Richtung, dass das Prozessrecht aufgrund seines Rechtscharakters grundsätzlich nicht zur Disposition der Parteien steht.718 Zwar wird teilweise weiterhin mit Blick auf den Rechtscharakter des Prozessrechts eine Vermutung zugunsten eines zwingenden Charakters des Prozessrechts aufgestellt719, sodass das Prozessrecht grundsätzlich nicht zur Disposition der Parteien stehen könne. Diese Auffassung zeigt allerdings ein zu rigides Verständnis von Wesen und Zweck des Prozessrechts. Das Verfahrensrecht flankiert stets das dazugehörige materielle Recht. Das materielle Recht hat unweigerlich erheblichen Einfluss auf das Verfahrensrecht.720 Der Zivilprozess bezweckt primär die Durchsetzung subjektiver Privatrechte. Daraus resultiert, dass Privatinteressen jedenfalls erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Verfahrensrechts haben müssen.721 Dies zeigt sich bereits in den geschriebenen Regeln zur Zulässigkeit von Prozessverträgen, die ausdrücklicher Beweis dafür sind, dass trotz des öffentlich-rechtlichen Charakters des Verfahrensrechts Raum für Disposition der Parteien besteht. Aufgrund des rudimentären Charakters gesetzlicher Regeln zu Prozessverträgen kann das Fehlen einer geschriebenen Regel nicht für ein grundsätzliches Fehlen S. 188; wohl auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 208; a. A. Eickmann, Beweisverträge im Zivilprozeß, S. 23. Wagner hat das Begriffspaar der „Normdisposition“ (deren Zulässigkeit ist Frage der Abgrenzung von dispositivem und zwingendem Prozessrecht) und der „Befugnisdisposition“ (ohne Weiteres zulässig) geprägt, G. Wagner, Prozeßverträge, S. 57. Eickmann will hingegen eine Prozessvereinbarung über prozessuale Befugnisse nur zulassen, wenn nicht Normen betroffen sind, die im öffentlichen Interesse liegen, und betont den Unterschied zwischen subjektiven materiellen Rechten und prozessualen Rechten, Eickmann, Beweisverträge, S. 23. Ein überzeugender Grund für die Ungleichbehandlung von einseitiger und einvernehmlicher Disposition über prozessuale Befugnisse wird aber nicht vorgetragen. Der Gesetzgeber hat den Parteien die Entschlussfreiheit über die Ausübung oder Nichtausübung einer prozessualen Befugnis vollständig eingeräumt, daher ist eine vertragliche Bindung ohne Weiteres als zulässig zu erachten. 717 So die h. M. – MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 25; Prütting/ Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 2; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 1 Rn. 35; Pohlmann, ZPO, § 1 Rn. 17, z. B. vgl. bereits Ausführungen zu B.I.2. sowie B.II.3. 718 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 57 ff. 719 RGZ 36, 421; RGZ 111, 276, 279; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 55; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720 f. 720 Wagner spricht von einer normativen Verklammerung von materiellem und Prozessrecht, G. Wagner, Prozeßverträge, S. 60. 721 Gleichzeitig darf der Einfluss des materiellen Rechts auf das Prozessrecht aber auch nicht überbetont werden. Da sich das Prozessrecht zu großen Teilen an einen staatlichen Akteur, das Gericht, richtet, sind den Einflüssen des materiellen Rechts auf das Prozessrecht natürliche Grenzen gesetzt, da das Gericht in seinem Handeln nicht von der Privatautonomie, sondern von den Vorgaben der Verfassung in Hinblick auf Justizgewährung geleitet wird. Siehe Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 123.

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von Bewegungsfreiheit der Parteien sprechen.722 Der fragmentarische Charakter geschriebener Regeln zur Disposition über prozessuale Regeln beruht allein darauf, dass einvernehmliches Parteihandeln im streitig geführten Zivilprozess eine untergeordnete Bedeutung hat, da es dem kontradiktorischen Charakter des Prozesses widerspricht.723 Wo im Übrigen die Erreichung von öffentlichen Interessen als Rechtsreflex bzw. Folge des vorrangigen Prozesszwecks der Durchsetzung subjektiver Privatrechte einzuordnen ist724, kann eine Vermutung für eine grundsätzliche Unabdingbarkeit des Prozessrechts nicht überzeugen. Außerdem wurde das Postulat der grundsätzlichen Unabdingbarkeit des Verfahrensrechts zu einem unstimmigen Gesamtkonzept der zivilprozessualen Verfahrensordnung führen: Es ist im höchsten Maße widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber es den Parteien freistellt, über den staatlichen Justizgewährungsanspruch im Ganzen zu verfügen, also den größten denkbaren Freiraum in Form der (ganz weitgehend) freien Ausgestaltung des Verfahrens im Rahmen des Schiedsverfahrens ermöglicht, die Verfahrensregeln vor den staatlichen Gerichten aber ausnahmslos abweichungsfest wären.725 Gleichermaßen ist aber festzuhalten, dass es für einen Grundsatz „in dubio pro libertate“ in Hinblick auf über das Prozessrecht verfügende Verträge keinen Raum gibt.726 Der Übertragung der Freiheitsvermutung des materiellen Rechts in das Prozessrecht steht der Rechtscharakter des Prozessrechts als Teil des öffentlichen Rechts727 entgegen. Das Zivilprozessrecht enthält die Summe aller Regeln, die die Tätigkeit der Rechtspflegeorgane, das von ihnen anzuwendende Verfahren und ihr Verhältnis zu den Prozessparteien regulieren.728 Die Normen der Zivil-

722 Vgl. Häsemeyer, der zu Recht festhält, dass „die verstreuten prozessvertraglichen (ermächtigenden oder beschränkenden) Regelungen unseres Zivilprozessrechts weder einen Typenzwang noch einen numerus clausus rechtfertigen“, Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 295. 723 Vgl. Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 284. 724 Siehe Ausführungen im Ersten Kapitel A. II. 725 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 62 f., der auch für eine Flexibilisierung des Zivilprozessrechts plädiert, um den Trend der Bevorzugung der Schiedsgerichtsbarkeit, der sich in großen Wirtschaftsstreitigkeiten abzeichnet, zu brechen. Vgl. ferner Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 215. 726 Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. A. A. P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 9 ff.; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 79 f. Ähnlich auch Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 285. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist nicht auf das Prozessrecht übertragbar, Schilken, ZPO, § 5 Rn. 169. 727 So die h. M., z. B. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 25; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rn. 2; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 1 Rn. 35; Pohlmann, ZPO, § 1 Rn. 17. 728 Vgl. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 25.

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prozessordnung richten sich mithin an die staatliche Gewalt und sind damit öffentliches Recht.729 Im Interesse der Rechtssicherheit, eines zügigen Verfahrensablaufs und des Schutzes vor Gefahren nicht regelgebundenen Verhaltens staatlicher Akteure sind prozessuale Regeln häufig zwingend.730 Nichtsdestotrotz erfordert die Abgrenzung von dispositivem und zwingendem Prozessrecht eine umfassende Berücksichtigung der den Prozess beherrschenden Grundsätze und der Prozesszwecke sowie der Folgen der Abdingbarkeit für tangierte Privatinteressen und öffentlich-rechtliche Interessen im Einzelfall.731 Es bedarf stets einer Auseinandersetzung mit den Folgen der Abdingbarkeit einer prozessualen Norm für das Prozessrecht, das die Rahmenbedingungen für ein faires und effektives Zivilverfahren und eine funktionsfähige Ziviljustiz zu schaffen hat.732 Die Frage der Abdingbarkeit einer prozessualen Norm lässt sich daher nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls bejahen oder verneinen. Eine allgemeingültige Aussage zur Abgrenzung von dispositivem und zwingendem Prozessrecht zu treffen, fällt mithin schwer.733 Aus diesem Grund lassen sich anhand einzelner Beispiele nur Anhaltspunkte für die Abgrenzung von nachgiebigem und unabdingbarem Prozessrecht herausarbeiten, die keinen Anspruch auf Verallgemeinerungsfähigkeit haben. Grenzen sind der Abdingbarkeit prozessualen Rechts insbesondere bei den funktionellen Zuständigkeitsregeln gesetzt. Regelungen, die den äußeren Verfahrensrahmen des Zivilprozesses abstecken, sich auf Gerichtsorganisation, Rechtswege und Instanzenzug beziehen und damit determinieren, vor welches Gericht bzw. welche Gerichte eine Rechtsstreitigkeit und in welcher Abfolge gelangt, können von den Parteien nicht abgeändert werden.734 Die Aufgliederung der Gerichtsorganisation in Rechtswege und die jeweiligen Instanzenzüge dient dem öf729 Pohlmann, ZPO, § 1 Rn. 17; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 216. 730 Vgl. MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 25; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 330. 731 Vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 188; H.-J. Hellwig, Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 83. Siehe grundlegend zur Abgrenzung von dispositivem und zwingendem Prozessrecht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 52 ff. 732 Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 331; Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 214, 217. 733 Dies zeigt sich auch in bisherigen Auseinandersetzungen in der zivilprozesswissenschaftlichen Literatur zum Thema. H.-J. Hellwig konstatiert: „Was nicht verboten ist, kann erlaubt sein“, H.-J. Hellwig, Systematik des zivilprozessrechtlichen Vertrages, S. 84. Konzen betont: „Was nicht ausdrücklich zugelassen ist, ist deshalb nicht zwingend verwehrt“, Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozessparteien, S. 190. Bülow spricht von der Existenz prozessualer Rechtsvorschriften „von stärkerer und von schwächerer Verbindungskraft“, Bülow, AcP 64 (1881), 1 f. 734 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 188 f.; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 295. Vgl. Kern, ZZP 130 (2017), 137, 148, 150. Darüber hinaus zu den Gefahren einer Parteiwahl des Richters ders., ZZP 130 (2017), 137, 169 f.

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fentlichen Interesse an der Spezialisierung und der Mäßigung von Richtermacht; sie kommt auch dem Einzelnen zu Gute, indem dieser Schutz durch eine gemäßigte Ausübung von hoheitlicher Gewalt erfährt und durch die Funktionsverteilung in den Genuss einer adäquaten, spezialisierten Rechtspflege kommt, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein gerechtes Verfahrensergebnis bieten kann.735 Somit wird eine effektive und kostengünstige Rechtspflege geschaffen, aber gleichzeitig auch eine angemessene Chancen- und Waffengleichheit der Parteien im Prozess bezweckt.736 Durch die Funktionszuweisungen innerhalb des Justizapparats werden ferner knappe Justizressourcen verteilt, im Interesse der Beteiligten anderer Rechtsstreite können Parteien nicht vertraglich mehr Justizressourcen beanspruchen, als ihnen nach der Prozessordnung zustehen.737 Es liegt damit im Allgemein- und im Privatinteresse, dass die Regeln zur Gerichtsorganisation unabdingbar sind. Die Verfahrensrechtsgesetze insgesamt sind aber nicht so ausgestaltet, dass jeglicher Einfluss der Parteien durch Parteivereinbarung auf den zu beschreitenden Rechtsweg ausgeschlossen ist. Gem. § 2 Abs. 4 ArbGG kann bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des Privatrechts und Personen, die kraft Gesetzes allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans der juristischen Person zu deren Vertretung berufen sind, einvernehmlich für den Rechtsweg vor die Arbeitsgerichte optiert werden.738 Anhaltspunkte zur Bestimmung der Reichweite des zwingenden Prozessrechts, welches einer Abbedingung durch Prozessvertrag nicht zugänglich ist, können ferner der Norm des § 295 ZPO entnommen werden. Diese Norm befasst sich mit Verfahrensvorschriften, die den äußeren Ablauf und die Form und nicht den Inhalt von Prozesshandlungen betreffen, und eröffnet eine begrenzte Möglichkeit 735 Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 95 GG Rn. 4; Kern, ZZP 130 (2017), 137, 159; Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2012, 314. 736 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 75. Die individualistische Schutzfunktion der Aufgliederung in Rechtswege tritt deutlich anhand des Rechtswegs der Arbeitsgerichtsbarkeit hervor, welche dazu dient, durch besondere Verfahrensregeln im Interesse der schwächeren Partei, dem besonders sozial schutzwürdigen Arbeitnehmer, Schutzmechanismen gegen Ungleichgewichte in der Chancen- und Waffengleichheit zu etablieren, vgl. Schwab/Weth/Tiedemann, ArbGG, § 4 Rn. 1. 737 Die Parteien können daher über Grenzen des gerichtlichen Prüfungsumfangs in den Rechtsmittelinstanzen nicht verfügen, vgl. in Hinblick auf die Beschränkung der Überprüfung des Rechtsstreits in rechtlicher Hinsicht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 84. Ferner können die Parteien eines Berufungsverfahrens das Gericht nicht dazu ermächtigen, über die Grenzen des § 529 ZPO hinauszugehen, BeckOK ZPO/Wulf, § 529 Rn. 6. 738 Zur Qualität des § 2 Abs. 4 ArbGG als Norm, die eine Vereinbarung über den Rechtsweg ermöglicht, LArbG Köln, Beschl. v. 28.10.2019, 9 Ta 158/19, juris Rn. 14; LArbG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20.04.1995, 7 Ta 7/95, juris Orientierungssatz; ArbG Passau, BB 1992, 359. Im Übrigen sind Vereinbarungen über den Rechtsweg aber unzulässig, BGH, NJW 1997, 328; BeckOK ZPO/Toussaint, § 38 Rn. 16; MünchKomm ZPO/Patzina, Band 1, § 38 Rn. 10; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 333.

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zur nachträglichen Heilung von Verfahrensverstößen nach einseitigem Verzicht oder Nichtrüge.739 Damit gibt die Norm keine unmittelbare Auskunft über die Zulässigkeit von Prozessverträgen mit vergleichbarem Gegenstand.740 Mit der Unverzichtbarkeit von Verfahrensvorschriften im Interesse einer geordneten, funktionsfähigen Rechtspflege oder aufgrund besonderen Schutzbedürfnisses der Partei können die Wertungen des § 295 ZPO auch für die Bestimmung des zwingenden Charakters einer Norm, die eine prozessvertragliche Disposition der Parteien verhindert, herangezogen werden.741 Vor diesem Hintergrund bestätigt sich unter Heranziehung der Wertung des § 295 ZPO bereits das oben begründete Ergebnis, dass Zuständigkeitsregeln betreffend die Gerichtsorganisation, die Rechtswege und den Instanzenzug der Parteidisposition durch Prozessvertrag im Interesse einer effektiven Rechtspflege nicht zugänglich sind. Bei den Vorschriften betreffend die Zulässigkeit des Rechtswegs und die Zuständigkeit im Instanzenzug handelt es sich um im Sinne des § 295 ZPO unverzichtbare Verfahrensvorschriften.742 Im öffentlichen Interesse an der Justizförmigkeit des Verfahrens kann es weder einen nachträglichen Verzicht auf die Einhaltung der Verfahrensnormen noch eine vertragliche Verständigung hierüber geben.743 Insgesamt lässt sich festhalten, dass von zwingendem Prozessrecht dort auszugehen ist, wo die Abdingbarkeit eine geordnete, rechtsstaatliche und effektive Zivilrechtspflege gefährden würde. Grundbedingungen einer geordneten, rechtsstaatlichen und effektiven Rechtspflege können die Parteien im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere auch im Interesse übriger Justizressourcen in Anspruch nehmender Bürger, aber auch im eigenen Interesse nicht antasten. Die Allokation von Justizressourcen durch Regelungen der Gerichtsorganisation und -zuständigkeit kann nur der Gesetzgeber vornehmen. Eine Verschiebung in der Verteilung von Justizressourcen aufgrund von Prozessverträgen würde sich unmittelbar zu Lasten übriger Rechtsstreite auswirken, denen Kapazitäten entzogen werden müssten. Auch im Interesse der Rechtssicherheit und weiterer verfassungsrechtlich verankerter Grundsätze wie dem Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann eine Parteidisposition im Bereich der Regelun739 Anders/Gehle/Bünnigmann, ZPO, § 295 Rn. 3; BeckOK ZPO/Bacher, § 295 Rn. 2, 10; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO, § 295 Rn. 2, 8; Zöller/Greger, ZPO, § 295 Rn. 2, 10; Saenger/Saenger, ZPO, § 295 Rn. 2, 17. 740 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 67. 741 Zöller/Greger, ZPO, § 295 Rn. 2; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 70. 742 BGH, NJW-RR 1992, 1152; Anders/Gehle/Bünnigmann, ZPO, § 295 Rn. 29, 47; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO, § 295 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, Band 4, § 295 Rn. 23. Dies gilt auch für die Einhaltung der Regeln über den gesetzlichen Richter, Kern, ZZP 130 (2017), 91, 101. 743 Vgl. BGH, NJW-RR 1992, 1152; MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 295 Rn. 23.

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gen der Gerichtsorganisation und -zuständigkeit außerhalb der Regelungen der §§ 38–40 ZPO nicht hingenommen werden.744 b) Das Verhältnis zwischen zwingendem materiellem Recht und prozessualer Disposition Nachdem das Verhältnis zwischen zwingendem und dispositivem Prozessrecht analysiert wurde, um die Zulässigkeit von Dispositionen über prozessuale Normen zu beleuchten, schließt sich unmittelbar die Frage an, wie zwingende Normen des materiellen Rechts sich auf das Prozessrecht auswirken. Zwingendes materielles Recht, das ein privatautonomes Handeln eines bestimmten Inhalts per se verbietet, findet sich dort, wo der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sich Privatpersonen nicht selbstbestimmt und gleichrangig gegenüberstehen und somit keine Richtigkeitsgewähr für privatautonomes Handeln gelten kann.745 Da die Dispositionsmaxime ihre Wurzel in der Privatautonomie hat und deren Fortführung im Prozessrecht darstellt746, liegt es nahe, dass der Einfluss von zwingenden Regelungen des materiellen Privatrechts in das Prozessrecht reichen muss. Gleichzeitig kann allein die Eigenschaft eines Rechtssatzes als zwingende Norm des materiellen Rechts aber nicht garantieren, dass die hieraus sich ergebende Rechtslage auch ihre Überführung in die Seinssphäre findet. Das zwingende materielle Privatrecht bedarf nämlich der Durchsetzung in einem gerichtlichen Verfahren, eine tatsächliche Disposition über das durch seinen zwingenden Charakter besonders geschützte Recht durch Untätigkeit bleibt stets möglich.747 Ferner folgt aus der engen Verknüpfung zwischen materiell-rechtlicher Verfü744 Vgl. BeckOK ZPO/Bacher, § 295 Rn. 5.2; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO, § 295 Rn. 3. Verfahrensnormen, die ihre Wurzel im Recht auf den gesetzlichen Richter haben, wie z. B. die Normen des GVG über die ordnungsgemäße Besetzung der Gerichte, sind daher zwingende Normen des Prozessrechts, MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 295 Rn. 22. 745 Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 101; MünchKomm BGB/Schubert, Band 2, § 242 Rn. 634; Möslein, Dispositives Recht, S. 12. 746 BVerfGE 52, 131, 153 = BVerfG, NJW 1979, 1925, 1927; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 35; Jacoby, ZPO, 4. Kap. Rn. 84; Schilken, ZPO, § 8 Rn. 339; R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 650. Die Privatautonomie ist verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 I GG verbürgt, vgl. BVerfG, NJW 1996, 2021; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 101. Damit lässt sich die verfassungsrechtliche Wurzel der Dispositionsmaxime direkt zu den Freiheitsgrundrechten zurückverfolgen, vgl. obige Ausführungen unter A. III. 1. b) aa). Kern beschreibt die Dispositionsmaxime und die Verhandlungsmaxime als prozessuale Pendants der Privatautonomie, die entsprechenden verfassungsrechtlichen Schutz genießen, Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 161. 747 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 107.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

gungsbefugnis und prozessualer Dispositionsbefugnis keinesfalls, dass materielle Verfügungsbefugnis und prozessuale Dispositionsbefugnis sich zwangsläufig spiegelbildlich gegenüberstehen müssten.748 Anders gewendet: Der Gesetzgeber ist nicht dazu verpflichtet, alle Restriktionen der materiellen Verfügungsbefugnisse durch Normen zwingenden Privatrechts eins zu eins in seine Prozessgesetzgebung zu übersetzen. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten besteht gem. § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO die Möglichkeit, auf den staatlichen Justizgewährungsanspruch zu verzichten und die Kompetenz zur verbindlichen Streitentscheidung einem privaten Schiedsgericht zu übertragen. Die umfassende Schiedsfähigkeit vermögensrechtlicher Ansprüche führt dazu, dass ein Schiedsgericht zur verbindlichen Streitentscheidung auch über diejenigen Ansprüche berufen werden kann, über die nach materiellem Recht nicht durch Verzicht oder Vergleich disponiert werden kann.749 Die Parteien haben im Schiedsverfahren die Möglichkeit, die Entscheidungsregeln des Schiedsgerichts gem. § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO in einem Bereich festzulegen, in dem ihnen materiell-rechtlicher Gestaltungsspielraum fehlt.750 Zwingendes materielles Recht korreliert daher nicht stets mit einem Entscheidungsmonopol der staatlichen Gerichte.751 Aber auch im staatlichen Prozess muss zwingendes Privatrecht nicht stets prozessuale Dispositionen ausschließen. Es ist in Rechnung zu stellen, dass die Parteien rein tatsächlich auf die Durchsetzung von zwingendem Privatrecht durch Untätigkeit verzichten können. Dann sollte aber es aber gleichermaßen möglich sein, im Wege der einvernehmlichen Streitbeendigung ein dem außergerichtlichen tatsächlichen Verzicht auf ein zwingendes Privatrecht entsprechendes Ergebnis herbeizuführen. Zwingendem Privatrecht kann kein absoluter Durchsetzungsanspruch verliehen werden, sodass solche Normen einer Klagerücknahme stets entgegenstünden.752 Eine nicht-streitige Beendigung des Verfahrens kann ferner im Wege des Verzichts oder des Anerkenntnisses gem. §§ 306, 307 ZPO 748 R. Stürner, in: FS Baur, S. 647, 651; zustimmend Jurczyk, Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, S. 34. 749 Bspw. § 276 Abs. 3 BGB, § 1614 Abs. 1 BGB, § 9b Abs. 1 S. 1 GmbHG, siehe K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 4 Rn. 4. Zur Kritik an der Schiedsfähigkeit durch Verzicht oder Vergleich nicht disponibler Streitgegenstände siehe oben Ausführungen unter B. II. 2. a) aa) (1). Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1030 Rn. 1 Fn. 1; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 61. 750 Vgl. Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1030 Rn. 1 Fn. 1. 751 Der Gesetzgeber hat nur punktuell ein Entscheidungsmonopol zu Gunsten staatlicher Gerichte eingerichtet, z. B. durch § 1030 Abs. 2 S. 1 ZPO, siehe oben Ausführungen unter B. II. 2. a) aa) (2). Hierdurch wird sichergestellt, dass die zahlreichen zum Schutz des Mieters zwingenden Normen des Mietrechts (§§ 569 Abs. 5, 572, 573 Abs. 4, 573a Abs. 4, 573b Abs. 5, 573c Abs. 4, 573d Abs. 3, 574 Abs. 4, 574b Abs. 3, 574c Abs. 3, 575 Abs. 4, 575a Abs. 4 BGB), die dem Bestand des Mietverhältnisses über Wohnraum dienen, im Inland durchgesetzt werden. 752 Cahn, AcP 198 (1998), 35, 71.

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erfolgen. Als ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzung eines prozessbeendigenden Verzichts oder Anerkenntnisses wird aber die materiell-rechtliche Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand verlangt.753 Teilweise wird sogar jeglicher zwingenden Normen entgegenstehender gerichtlicher Ausspruch nach Verzicht oder Anerkenntnis für unzulässig erachtet.754 Ein Klageverzicht muss gem. § 306 ZPO aber ausscheiden, wenn das darauffolgende Prozessergebnis eine Umgehung zwingenden materiellen Rechts darstellt.755 Ein Verzichtsurteil kann daher nicht ergehen, wenn der Kläger nach materiellem Recht nicht in der Lage ist, eine Forderung zu erlassen, wie den Unterhaltsanspruch für die Zukunft gem. § 1614 Abs. 1 BGB. Ansonsten würde die innere Kohärenz zwischen materiellem und prozessualem Recht leiden und der Prozess ein Mehr an Rechten als das materielle Recht verleihen, wodurch die Verbindlichkeit des zwingenden materiellen Rechts geschwächt würde.756 Allerdings kann nicht jeder Widerspruch zwischen verzichts- und anerkenntnisbedingtem Prozessergebnis und zwingender materiell-rechtlicher Norm zur Unzulässigkeit eines prozessualen Verzichts oder Anerkenntnisses führen. Wäre dies der Fall, könnten die Prozessinstitute ihre Aufgabe, eine schnelle Prozessbeendigung ohne eingehende Sachprüfung herbeizuführen757, nicht mehr erfüllen. Stets wäre eine materiell-rechtliche Überprüfung erforderlich, ob durch das Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil eine zwingende Norm verletzt wird.758 Entscheidend bleibt daher, ob das materielle Recht den Parteien die Verfügungsbefugnis über einen Streitgegenstand als solchen entzieht. Allein die Tatsache, dass auf den Streitgegenstand zwingende Normen des materiellen Rechts Anwendung finden, ohne die Verfügungsbefugnis im Ganzen zu beseitigen, steht der Zulässigkeit von Verzicht und Anerkenntnis nach §§ 306, 307 ZPO aber nicht entgegen. Es besteht folglich kein untrennbarer Konnex zwischen zwingendem materiellen Recht und dem Ausschluss prozessualer Disposition. c) Herstellung von Vertragsgerechtigkeit im Prozessvertragsrecht Fundament der Zulässigkeit prozessvertraglicher Disposition ist das Ideal eines ausbalancierten, gerechten Vertragsergebnisses, das durch selbstbestimmt han753 OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 529, 530; Anders/Gehle/Hunke, ZPO, § 307 Rn. 10; BeckOK ZPO/Elzer, § 306 Rn. 12; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 306 Rn. 3; MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 306 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 307 Rn. 1. 754 Cahn, AcP 198 (1998), 35, 71. 755 Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, § 306 Rn. 3; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 306 Rn. 3. 756 Vgl. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 19 f. 757 Saenger/Saenger, ZPO, § 306 Rn. 7; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 133 Rn. 56. 758 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 109.

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

delnde, ebenbürtige Parteien erzielt wird.759 Die Privatautonomie, die ihre Verlängerung in das Prozessrecht durch das Institut des Prozessvertrags erfährt, basiert auf der Prämisse, dass die Parteien in ihrem vertraglich begründeten Rechtsverhältnis selbst einen angemessenen Ausgleich ihrer Interessen herbeiführen.760 Die Privatautonomie muss daher ihre Grenzen dann finden, wenn bei objektiver Betrachtung ein selbstbestimmter, gerechter Interessenausgleich nicht mehr vorliegt.761 Allein im freien Spiel der Kräfte lässt sich Vertragsparität jedoch nicht herstellen, denn in der Realität werden vertragliche Übereinkünfte zwischen Privatrechtssubjekten nicht primär unter dem Gedanken der Schaffung eines gerechten Interessenausgleichs geschlossen.762 Das allgemeine Vertragsrecht kennt daher Rechtsinstitute und Rechtsgrundsätze, die die Wirkung eines inhaltlich begrenzten, korrigierenden Eingriffs in die Privatautonomie der Parteien haben, um bestimmten besonders gravierenden Ungleichgewichten der Interessenverwirklichungen durch vertragliche Vereinbarungen entgegenzuwirken, also schwerwiegende Störungen der Vertragsparität zu verhindern.763 Solche Regeln beanspruchen daher auch im Prozessvertragsrecht Geltung.764 Hierzu gehört beispielsweise das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB. Sinn und Zweck des AGB-Rechts ist es, den Gefahren einseitiger Ausnutzung der Vertragsfreiheit entgegenzuwirken, die mit der Rationalisierung von Geschäftsabläufen und der Standardisierung von Vertragsinhalten durch Allgemeine Geschäftsbedingungen einhergehen.765 Dass derartige korrekturbedürftige Schieflagen der Vertragsparität auch durch Abreden mit prozessualer Wirkung entstehen können, liegt auf der Hand. Eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf Prozessverträge ist mithin zu befürworten.766 Die Rechtsprechung wendet ohne weitere Herleitung oder Begründung das AGB-Recht auf Ge759 Vgl. MünchKomm BGB/Schubert, Band 2, § 242 Rn. 632 f.; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 126. 760 MünchKomm BGB/Schubert, Band 2, § 242 Rn. 632; Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 3 Rn. 5. 761 Vgl. MünchKomm BGB/Schubert, Band 2, § 242 Rn. 526; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 127. 762 Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 256; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 161. 763 Angesprochen sind hiermit das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB, der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB, das Verbot des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot und gegen die guten Sitten gem. §§ 134, 138 BGB und der Grundsatz der Bestimmtheit. Vgl. Kern, in: do Passo Cabral/ Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 221 f. 764 So zu Recht Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 44. 765 Siehe MünchKomm BGB/Fornasier, Band 2, Vor § 305 Rn. 2; Schulze/SchulteNölke, BGB, Vorbemerkung zu §§ 305–310 Rn. 3; Erman/Roloff/Looschelders, BGB, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 1. 766 So auch in der Literatur BeckOGK BGB/Lehmann-Richter, § 305 BGB Rn. 20; Jacoby, Der Musterprozeßvertrag, S. 212; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 133.

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richtsstandvereinbarungen und auf eine auf den Ausschluss der Klagbarkeit gerichtete Prozessvereinbarung an.767 Ein weiterer Sicherungsmechanismus, der zum Zwecke der Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit in Hinblick auf Prozessverträge greift, ist § 138 Abs. 1 BGB. Auch für Vereinbarungen, die auf dem Gebiet des Prozessrechts Wirkung entfalten, besteht das Bedürfnis, die Verbindlichkeit solcher Übereinkünfte auszuschließen, die grundlegenden ethischen Wertvorstellungen, den guten Sitten, widersprechen.768 Einhellig werden daher in Rechtsprechung und Literatur Prozessverträge sowohl mit verpflichtendem als auch mit unmittelbar verfügendem Charakter daran gemessen, ob die Verträge mit Gesetz und guten Sitten in Einklang stehen.769 Ein Missbrauch der Vertragsfreiheit, durch den wesentliche Grundsätze der Rechtsordnung untergraben werden, soll durch § 138 Abs. 1 BGB verhindert werden.770 § 138 Abs. 1 BGB setzt einen anhand des Einzelfalls zu bestimmenden, besonders schweren Verstoß gegen die Vertragsgerechtigkeit voraus.771 Damit fungiert § 138 Abs. 1 BGB auch in Hinblick auf Prozessverträge nur als sehr grobmaschiges Zulässigkeitsraster, welches nur für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Vereinbarungen ihre Gültigkeit nehmen soll. Ein weiterer Rechtsgrundsatz, der auch im Prozessvertragsrecht Geltung beansprucht, ist der Grundsatz von Treu und Glauben.772 Der Grundsatz von Treu und Glauben stellt vergleichbar zu § 138 Abs. 1 BGB ein für besondere Ausnahmefälle heranzuziehendes Korrektiv der Privatautonomie dar, das ein rechtsethi767

BGH, NJW 1987, 2867; BGH, NJW 1984, 2408 f. Zur Funktion des § 138 Abs. 1 BGB, ein im Rechtsverkehr zu wahrendes ethisches Minimum zu gewährleisten, siehe BeckOK BGB/Wendtland, § 138 Rn. 2; MünchKomm BGB/Armbrüster, Band 1, § 138 Rn. 1; jurisPK-BGB Band 1/Nassall, § 138 Rn. 7. 769 Als wiederkehrende Formulierung findet sich häufig, dass Prozessverträge zulässig sind, sofern sie nicht gesetzes- oder sittenwidrig sind. Vgl. BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; BGH, FamRZ 1982, 782, 784; BGH, NJW 1982, 2072, 2073; BGH, NJW 1986, 198; BGHZ 106, 336, 338 f. = BGH, NJW 1989, 1477; BGH, NJWRR 1989, 1048, 1049; BGH, NJW-RR 2006, 632, 634; BGHZ 180, 221, 228 = BGH, NJW 2009, 1962, 1964; OLG Hamm, v. 11. Oktober 1996, 12 U 187/94, juris, Rn. 6; Anders/Gehle/U. Becker, ZPO, Einl II Rn. 11; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 345; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, Einl III Rn. 6; Zöller/Greger, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 128–252 Rn. 32; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 721. Auch Prozessverträge dürfen sich nicht in Widerspruch zu einem gesetzlichen Verbot (§ 134 BGB) setzen. § 134 BGB begrenzt die Privatautonomie, Schulze/Dörner, BGB, § 134 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland, § 134 Rn. 1. Auf Prozessverträge, die die Verlängerung der Privatautonomie in das Prozessrecht darstellen, muss diese Grenze der Privatautonomie übertragen werden. Eine entsprechende Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Prozessverträge befürwortend Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 270. 770 BGHZ 180, 221, 228 = BGH, NJW 2009, 1962, 1964; BGHZ 106, 336, 338 f. = BGH, NJW 1989, 1477. 771 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 160. 772 Vgl. zu weiteren allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die auf Prozessverträge Anwendung finden, Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 345. 768

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1. Kap.: Rechtsmittelverfahren und Parteidisposition im Zivilprozess

sches Minimum an Rücksichtnahme auf die rechtlich geschützten Interessen des anderen Teils sichert.773 Es handelt sich um einen für die gesamte Rechtsordnung prägenden Grundsatz, dessen Wirkungen auch in das Prozessrecht reichen.774 Mit Blick auf den Grundsatz von Treu und Glauben stellt sich für das Prozessvertragsrecht die Frage, inwieweit sich die Rechtsordnung schützend vor den Einzelnen stellen sollte, der sich beispielsweise aufgrund von rechtlicher Unerfahrenheit der Tragweite der rechtlichen Bindungen, die er durch Abschluss eines Prozessvertrags eingeht, nicht bewusst ist. Bei einer antizipierten Verfügung über prozessuale Befugnisse kann die verfügende Partei über die Reichweite der begründeten Bindungen im Unklaren sein. In der Literatur wurde diese Unsicherheit über die durch eine antizipierte Verfügung über prozessuale Befugnisse ausgelöste rechtliche Bindung als Begründungsansatz für eine Beschränkung derartiger antizipierter Dispositionshandlungen genutzt. Im Interesse des Schutzes der Parteien und auch der Rechtspflege vor voreiligem Handeln sei es geboten, Parteien eine Verfügung über künftige prozessuale Befugnisse nur unter der Voraussetzung zu gestatten, dass die Befugnisse genügend bestimmt oder bestimmbar sind.775 Eine Partei solle sich nicht aus Leichtsinn und Unerfahrenheit durch eine Verfügung über ein prozessuales Recht zu früh ihrer eigenen Entschlussfreiheit begeben können und es sei daher eine gesetzgeberische Notwendigkeit, zur Wahrung der Entschlussfreiheit des Einzelnen eine hinreichende Bestimmtheit und Überschaubarkeit von Prozessverträgen einzufordern.776 Dieser Ansicht ist beizupflichten. Der in den §§ 40 Abs. 1, 1029 Abs. 1 ZPO zutage tretende Grundgedanke der Sicherung von Vertragsgerechtigkeit kann verallgemeinert und auf weitere Arten von Prozessverträgen erstreckt werden.777 Es gilt zu verhindern, dass die Entschlussfreiheit des Einzelnen durch die Eingehung von unübersehbaren prozessvertraglichen Bindungen beeinträchtigt wird.778 Daher muss sich ein Prozessvertrag stets auf ein individuell bestimmtes, abgrenzbares Rechtsverhältnis beziehen.779 773

Vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1347, 1348 Rn. 22; BeckOGK BGB/Kähler, § 242

Rn. 1. 774 Vgl. jurisPK-BGB Band 2/T. Pfeiffer, § 242 Rn. 1; BeckOGK BGB/Kähler, § 242 Rn. 126; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 9. Plädierend für die Inhaltskontrolle von Prozessverträgen anhand von § 242 BGB G. Wagner, Prozeßverträge, S. 165 ff. 775 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 189 f.; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 30 VIII, S. 176; Eickmann, Beweisverträge, S. 23; ähnlich auch Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 296 f. 776 P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 44 f. 777 Instruktiv Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 269 ff. 778 P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 45; Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 275. 779 Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 74.

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Damit ist aber kein Übersehbarkeitserfordernis aufgestellt, welches in der älteren prozessrechtswissenschaftlichen Literatur vertreten wurde.780 Das Erfordernis der Übersehbarkeit der Tragweite der Prozessvereinbarung würde zur Unzulässigkeit von antizipierten Prozessverträgen führen, denn eine prozessuale Lage ist nur dann völlig übersehbar, wenn sie bereits eingetreten ist. Dies würde jedoch einen übermäßigen Einschnitt in die Vertragsfreiheit darstellen, der auch nicht im öffentlichen Interesse liegt.781 Denn antizipierte Prozessverträge können einen Beitrag zu einem rechtssicheren, effektiven Verfahren leisten, aufgrund der Festlegung im Voraus kann auch die Justiz durch schnellere Verfahrensabwicklung entlastet werden. Die Geltung des § 138 Abs. 1 BGB als Schranke vertraglicher Bewegungsfreiheiten auf prozessualem Gebiet führt bereits dazu, dass unerträgliche Beschränkungen der Entschlussfreiheit einer Partei keine rechtliche Wirkung entfalten können.782 Es besteht daher kein Anlass, die Zulässigkeit antizipierter Prozessvereinbarungen vor dem Hintergrund mangelnder Übersehbarkeit in Frage zu stellen. Wer auf ein Recht gänzlich verzichten kann, dem muss es auch zugestanden werden, im Voraus prozessuale Gefährdungen auf sich zu nehmen, die sich auf ein individuell bestimmtes, abgrenzbares Rechtsverhältnis beziehen.783 d) Zusammenfassung Die bisherige Untersuchung offenbart, dass die Bewertung der Zulässigkeit einer vertraglichen Vereinbarung auf prozessualem Gebiet eine mehrdimensionale Prüfung erfordert. Eine entscheidende Weichenstellung in Bezug auf die Rechtswirksamkeit eines Prozessvertrags ist die Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht. Den Einwirkungsbefugnissen der Parteien auf den Ablauf und die Ausgestaltung des Zivilprozesses müssen im Interesse eines nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablaufenden, effektiven Zivilprozesses Grenzen gesetzt sein. Die Liberalität des materiellen Privatrechts kann keinesfalls unvermittelt in eine Freiheitsvermutung für das Prozessvertragsrecht umgemünzt werden, denn im Prozess tritt ein staatlicher Akteur hinzu, dessen Ausübung von Ho780

Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 190 f. Schiedermair spricht in Hinblick auf das Übersehbarkeitserfordernis von einer „Überspitzung eines im allgemeinen Interesse liegenden Schutzes privater Interessen“, Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 72. Ablehnend auch Eickmann, Beweisverträge, 23 f.; Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 278 f. Tatsächlich ist nicht erkennbar, dass zum Schutz von privaten Interessen ein vollständiger Ausschluss antizipierter Verfügungen über eine prozessuale Befugnis zwingend geboten sein sollte. Es kann auch im privaten Interesse liegen, durch antizipierte Verfügung frühzeitig Klarheit über bestimmte Modalitäten eines künftigen Rechtsstreits zu haben. 782 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 174. Ein Ausschluss jeder gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien ohne Individualisierung des Streits wäre eine unerträgliche, den grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung widersprechende Vereinbarung, die gem. § 138 Abs. 1 BGB als unzulässig zu erachten ist. 783 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 209. 781

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heitsgewalt im Rahmen des Prozesses in den Bahnen der Verfassung zu verlaufen hat. Rechtsstaatliche Grundpfeiler des Zivilverfahrens wie beispielsweise die Regelungen betreffend die Untergliederung der Gerichtsorganisation in Rechtswege und die jeweiligen Instanzenzüge sind einer Parteidisposition mithin nicht zugänglich. Die Vielgestaltigkeit von Prozessverträgen erfordert eine einzelfallorientierte Herangehensweise an die Frage des Bestehens einer Dispositionsbefugnis der Parteien. Wo das Prozessrecht den Parteien einseitige prozessuale Dispositionsbefugnisse eröffnet, ist eine Abgrenzung zwischen dispositivem und zwingendem Prozessrecht hingegen obsolet. Als Kehrseite der freien Entscheidung der Ausübung von solchen einseitigen Dispositionsbefugnissen ist das Eingehen einer vertraglichen Bindung in Bezug auf diese Befugnisse unbedenklich möglich. Der zwingende Charakter einer Norm des materiellen Rechts schließt nicht kategorisch eine prozessuale Dispositionsbefugnis über das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis aus. Der Prozessrechtsgesetzgeber ist nicht gehalten, die hinter zwingendem materiellem Privatrecht stehenden Wertungen ungefiltert in das Prozessrecht zu überführen. Im Prozessvertragsrecht bedarf es der Wahrung von Vertragsgerechtigkeit. Prozessverträge müssen sich daher an den Vorschriften der §§ 138 Abs. 1, 242, 305 ff. BGB messen lassen. Diese Normen dienen der Sicherung grundlegender Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft über die Ausgestaltung von Vertragsverhältnissen auch im Prozessvertragsrecht. Bei der Beurteilung der Rechtswirksamkeit und Rechtsbeständigkeit eines Prozessvertrags kann folglich auf allgemeine Rechtsgrundsätze des bürgerlichen Rechts rekurriert werden.784 Der Bestimmtheitsgrundsatz, der im materiellen Privatrecht nur partielle Geltung entfaltet, ist auf das Prozessvertragsrecht übertragbar. Das allgemeine Prozessvertragsrecht gewährt den Parteien folglich keine grenzenlosen Rechte der Einwirkung auf Ausgestaltung und Verlauf des Prozesses. Dies gilt im gesamten Erkenntnisverfahren, also auch in den Rechtsmittelinstanzen. Für die Zulässigkeit von einvernehmlichen Dispositionen über den Instanzenzug, auf die im zweiten Kapitel noch vertieft eingegangen wird, werden die oben analysierten allgemeinen Grundsätze wieder von Bedeutung sein. Vertragliche Vereinbarungen über die Ausübung oder Nichtausübung von prozessualen Befugnissen in den Rechtsmittelinstanzen werden bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte im Einzelfall anhand der §§ 138 Abs. 1, 242, 305 ff. BGB zu überprüfen sein.

III. Zwischenfazit Der Grundsatz der Parteiherrschaft ist kennzeichnend für den gesamten Zivilprozess. Ausfluss der Parteiherrschaft im Zivilprozess ist die Dispositionsma784

Siehe vertiefend Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 345.

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xime, deren Ausprägungen sich über das gesamte Erkenntnisverfahren, von Anfang bis zum Abschluss jeder Instanz des Erkenntnisverfahrens erstrecken. Unverbrüchlich ist die Parteiherrschaft über den Anfang des Verfahrens, ohne parteiliches Rechtsschutzersuchen findet kein Verfahren statt. In ihrer Einwirkung auf den Gegenstand und das Ende des Verfahrens steht den Parteien allerdings nicht in jeder Instanz die gleiche Bewegungsfreiheit zu. So wurden die Befugnisse der Parteien zur nicht-streitigen Beendigung des Rechtsstreits in den Rechtsmittelinstanzen in jüngerer Zeit erheblich beschränkt. Die Hürden für die Erwirkung eines Anerkenntnisurteils in der Revisionsinstanz und für die Rücknahme der Revision sind gestiegen. Ausprägungen der Dispositionsmaxime sind von der Disposition über prozessuale Regeln zu unterscheiden. Disposition über prozessuale Regeln bedeutet Normdisposition, also Verfügung über den Ablauf des Verfahrens regelnde Normen des Zivilprozessrechts. Die Frage der Disponibilität von prozessualen Regelungen bedarf stets einer Auseinandersetzung mit den Folgen der Abdingbarkeit einer prozessualen Norm für das Prozessrecht, das die Rahmenbedingungen für ein faires und effektives Zivilverfahren und eine funktionsfähige Ziviljustiz zu schaffen hat und daher nur sehr begrenzte Spielräume für Dispositionen über prozessuale Regelungen eröffnen kann. Insgesamt sollte aber eine offenere Grundhaltung gegenüber der Anerkennung von ungeschriebenen Parteidispositionen eingenommen werden. Denn nur so kann das Flexibilisierungspotential des Zivilprozessrechts ausgeleuchtet werden, was angesichts der häufigen Abwanderung von großen Wirtschaftsstreitigkeiten zur Schiedsgerichtsbarkeit so dringend analysiert werden muss.

Zweites Kapitel

Parteidisposition über den Instanzenzug A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege Die Rechtsmittelverfahren sind im deutschen Zivilprozess fest verankert und der dreistufige Instanzenzug ist charakteristisch für die staatliche Justizgewährung im Zivilprozess. Allerdings wird die Möglichkeit, gerichtliche Entscheidungen in zwei Rechtsmittelinstanzen zur Überprüfung stellen zu können, nicht nur positiv wahrgenommen. Vor allem in großen Wirtschaftsstreitigkeiten besteht die Tendenz, gänzlich auf das Recht der Inanspruchnahme staatlicher Gerichte und des Instanzenzugs zu verzichten und für die meist einzügige Schiedsgerichtsbarkeit1 zu optieren. Es bedarf daher einer vertieften Betrachtung der Vorzüge und Kehrseiten des Instanzenzugs, die geeignet sind, die Attraktivität der staatlichen Justizgewährung zu beeinflussen. Es wird unweigerlich auf das Konkurrenzverhältnis der staatlichen Justiz zur Schiedsgerichtsbarkeit einzugehen und nach Motiven zu forschen sein, die die Parteien eines Rechtsstreits veranlassen können, gänzlich auf die Inanspruchnahme des staatlichen Instanzenzugs zu verzichten. Prima facie mag die geringe Attraktivität der staatlichen Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten verwundern, denn auch in den Rechtsmittelverfahren gilt die Dispositionsmaxime2. Allerdings ist der Staat an die Vorgaben der Verfassung für die Ausformung eines Rechtsschutzsystems gebunden und kann daher nicht im gleichen Maße wie die Schiedsgerichtsbarkeit Parteifreiheiten gewähren. Der Parteiherrschaft in den Rechtsmittelinstanzen sind Grenzen gesetzt, um eine effektive, funktionsfähige Rechtspflege aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grunde werden die Probleme, die mit einer weitgehenden Verwirklichung des Grundsatzes der Parteiherrschaft in der Rechtsmittelinstanz der Revision einhergehen, sowie die zwingende Notwendigkeit des Ausschlusses von Parteiherrschaft in den Rechtsmittelinstanzen durch Zugangsschranken thematisiert. Es soll unter Bewertung zweier jüngster gesetzgeberischer Reformen3 auf die komplexe Verflechtung zwi1

Zu Instanzenzügen in Schiedsverfahren siehe Erstes Kapitel B. II. 2. d). Zu Grundlagen des Umfangs und Reichweite der Dispositionsmaxime in den Rechtsmittelinstanzen siehe Erstes Kapitel B. I. 1. 3 Die Beschränkung der Rücknahme der Revision (§ 565 S. 3 ZPO) und des Anerkenntnisses in der Revisionsinstanz (§ 555 Abs. 3 ZPO) sowie die Verstetigung des Beschwerdewerts der revisionsrechtlichen Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), siehe zu diesen jüngeren Veränderungen der Ausgestaltung von Rechtsmittelverfahren Erstes Kapitel A. I. 9. 2

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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schen Parteiherrschaft, Funktionsfähigkeit der Justiz und Erreichung der Zwecke des Revisionsverfahrens eingegangen werden.

I. Vorzüge des Instanzenzugs Die Gliederung der Justiz in mehrere Ebenen, also in den Instanzenzug, ist für das staatliche Justizsystem und für den Rechtsstaat insgesamt von herausragender Bedeutung. Die Auffächerung der rechtsprechenden Gewalt in mehrere Ebenen dient der Machtbalance, denn sie verhindert die Akkumulation von großer Macht in den Händen von wenigen Entscheidungsträgern. Der Bürger profitiert von dem Instanzenzug, da dieser es ihm ermöglicht, eine für fehlerhaft erachtete Entscheidung einer anderen Entscheidungsebene vorzulegen und eine Korrektur einer Fehlentscheidung zu erreichen. Die staatliche Gerichtsbarkeit kann aufgrund ihres Instanzenzugs in besonderer Weise zur Fortbildung des Rechts beitragen, denn anders als bei dem einzügigen Schiedsverfahren kommt es zu einem wiederholten Diskurs über Rechtsfragen, der aufgrund der Öffentlichkeit des Verfahrens und bei Veröffentlichung der Gerichtsentscheidungen unter Beteiligung der Allgemeinheit stattfinden kann. Ferner dient die Gliederung der Justiz auf mehrere Ebenen mit entsprechender Zuweisung von Spruchkörpergrößen der möglichst zweckdienlichen Verteilung der knappen Ressourcen der Justiz entsprechend dem jeweiligen Umfang und Aufwand eines Rechtsstreits. 1. Begrenzung von Richtermacht und Kontrolle richterlicher Entscheidungen Der Instanzenzug ist das Institut, das binnenjustizielle Gewaltenteilung sicherstellt. Das Rechtsmittelsystem begrenzt Richtermacht, indem es der richterlichen Ausübung von Hoheitsgewalt Kontrollinstanzen gegenüberstellt. Die Mäßigung der Ausübung von staatlicher Gewalt ist von wesentlicher Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit.4 Richterliche Spruchtätigkeit ist Ausübung hoheitlicher Gewalt par excellence.5 Binnenjustizielle Kontrolle ist besonders vor dem Hintergrund notwendig, dass Richtern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt eine im Vergleich zu den anderen Gewalten einzigartige Machtstellung zukommt. Richter kommen bei ihrer Spruchtätigkeit in den Genuss des sog. Richterspruchprivilegs (Art. 34 GG, § 839 BGB), das ihre Haftung auch bei grober Fahrlässigkeit ausschließt. Zwar dient das Richterspruchprivileg nicht dem persönlichen Schutz der Richterschaft, sondern der Sicherung der Rechtskraft6, allerdings führt es dennoch reflexartig zu einer erheblichen Machtposition eines Richters bei der Aus4

Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, Art. 20 V Rn. 16. Selbherr, BRAK-Mitteilungen 2000, 11, 13. 6 Dürig/Herzog/Scholz/Papier/Shirvani, Art. 34 GG Rn. 262; BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 651 f. 5

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

übung seiner Spruchtätigkeit. Da die Verfassung keine externe Kontrolle der Dritten Gewalt erlaubt, ist die durch das Rechtsmittelsystem bewirkte Binnenkontrolle der Justiz folglich umso wichtiger.7 Die Kontrolle der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt in Form von richterlicher Spruchtätigkeit durch Rechtsmittel ist folglich von elementarer Bedeutung für den Rechtsstaat. In jüngerer Zeit zeigt sich der Gesetzgeber bei Reformdiskussionen über das zivilprozessuale Rechtsmittelsystem angesichts des Befunds der Überlastung der Gerichte (auf Druck der Richterschaft) geneigt, an der Stellschraube der Erschwerung des Zugangs zu den Rechtsmitteln oder der Verkürzung des Instanzenzugs drehen zu wollen.8 Es wird unterschätzt, welche Gefahren eine schleichende Erosion der Binnenkontrolle der Justiz für das rechtsstaatlich verfasste Gemeinwesen mit sich bringt.9 Das Rechtsschutzniveau sinkt, wenn den Bürgern Möglichkeiten entzogen werden, richterliche Entscheidungsakte zu überprüfen. Die Qualität der Entscheidungen kann beeinträchtigt werden, denn bei einem Rückgang von Kontrollen richterlicher Akte leidet deren Disziplinierungsfunktion gegenüber den Richtern. Bereits die schlichte Möglichkeit zur Anfechtung instanzgerichtlicher Urteile leistet einen Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen Rechtspflege, weil sie Richter dazu anhält, die eigenen Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten und „rechtsmittelfest“ zu begründen.10 Die Ziele der Beförderung und der Wahrung des Ansehens in seiner Peergroup, die durch eine hohe Anfechtungsquote in Gefahr geraten können, wirken als starke Anreize für einen Richter, Fehler in seiner Entscheidungsbildung zu vermeiden.11 Der Instanzenzug der staatlichen Gerichtsbarkeit garantiert somit ein hohes Schutzniveau gegenüber ungerechtfertigten hoheitlichen Eingriffen in Rechte des Einzelnen durch richterliche Entscheidungen. Ein derartiges Schutzniveau kann in einem regelmäßig einstufigen Schiedsverfahren nur schwerlich erreicht werden. Das Fehlen eines Instanzenzugs bedeutet eine Einbuße an Kontrolle und

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Selbherr, BRAK-Mitteilungen 2000, 11, 13. Siehe Erstes Kapitel A. I. 9. 9 Hierauf zu Recht hinweisend und den Begriff der Binnenkontrolle der Justiz prägend Selbherr, BRAK-Mitteilungen 2000, 11, 13. 10 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 19; Schilken, ZPO, § 26 Rn. 865; Planz/Schuler, in: Schmidtchen (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur – die Funktionsfähigkeit der Justiz im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts, 1999, S. 184, 190; G. Wagner, in: Bork/Eger/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts – Beiträge zum XI. Travemünder Symposium zur Ökonomischen Analyse des Rechts (26. bis 29. März 2008), 2009, S. 157, 158 f.; Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 305; Rennert, DVBl 2017, 857, 858. 11 Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 391. Von „faktisch-sozialen Bindungswirkungen“ von Präjudizien spricht Loyal, JURA 2016, 1181, 1182. Statistiken erfassen die Quote der Anfechtung von richterlichen Entscheidungen, welche eine Rolle für den Karrierefortgang in der Justiz spielen kann, Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 152. 8

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Richtigkeitsgewähr der Entscheidung.12 Der Verantwortung, die mit der Endgültigkeit des Schiedsspruchs einhergeht, sind sich Schiedsgerichte zwar in der Regel bewusst und werden diesem Umstand daher durch eine besonders sorgfältige, das Recht auf rechtliches Gehör der Schiedsparteien wahrende Verfahrensführung Rechnung tragen. Allerdings kann dies das Fehlen eines Instanzenzugs nicht vollständig kompensieren. Fehlentscheidungen eines Schiedsgerichts sind grundsätzlich nicht korrekturfähig.13 Damit sind die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien erheblich beschränkt.14 Nur der staatliche Instanzenzug ermöglicht die Korrekturfähigkeit von unzutreffenden oder fehlerhaften richterlichen Entscheidungen.15 Flankiert wird die fachliche Kontrolle der Dritten Gewalt im Instanzenzug durch den Grundsatz der Öffentlichkeit. Nach dem im staatlichen Verfahren geltenden Grundsatz der Öffentlichkeit steht jedermann die Möglichkeit offen, einer mündlichen Verhandlung unmittelbar beizuwohnen.16 Der Öffentlichkeitsgrundsatz ergänzt die fachliche Kontrolle richterlicher Spruchtätigkeit im Instanzenzug um eine Verantwortlichkeit gegenüber der Allgemeinheit, die berechtigt ist, sich ein Bild davon zu verschaffen, in welcher Weise Staatsgewalt durch die Gerichte ausgeübt wird. Die Allgemeinheit soll den Verfahrensgang kontrollieren können, sodass sichergestellt wird, dass Gesetzesvorgaben eingehalten werden.17 Die Gerichtsöffentlichkeit und ferner die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen tragen wesentlich dazu bei, dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch spruchrichterliche Tätigkeit in das Gemeinwesen einwirken und zum Gegenstand kritischer Diskussionen gemacht werden kann, die den Rechtsstaat insgesamt stärken. Denn der Rechtsstaat lebt davon, dass die Öffentlichkeit zum Schutze der individuellen Freiheit des Einzelnen überprüft, ob Staatsgewalt nur aufgrund und im Rahmen der Gesetze ausgeübt wird.18 Die Transparenz der Justiz durch Gerichtsöffentlichkeit und die Publikation gerichtlicher Entscheidungen sowie der Austausch mit der Fachöffentlichkeit über die Tragfähigkeit und Konsistenz der von 12 Markgraf, JuS 2013, 1090, 1092; vgl. auch Trittmann/Schroeder, SchiedsVZ 2005, 71, 75; G. Wagner, in: Eidenmüller (Hrsg.), Regulatory competition in contract law and dispute resolution – edited versions of papers presented during an international conference at Ludwig-Maximilians-University in Munich from 13 to 15 October 2011, 2013, S. 347, 395. 13 MAH VersR/Katschthaler/Topsch, Teil F. Sonstige Versicherungen und Mischformen § 34 Rückversicherung Rn. 134. 14 MAH PersGesR/von Unger, § 12 Gesellschafterstreit Rn. 58; vgl. Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 452. 15 Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2183 f. 16 MünchKomm ZPO/Pabst, Band 3, § 169 GVG Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 73. 17 BGHSt 27, 13, 15 = BGH NJW 1977, 157, 158; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 41; Gierhake, JZ 2013, 1030, 1031; Risse/Oehm, ZVglRWiss 114 (2015), 407, 409. 18 Vgl. BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 138.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

der Rechtsprechung gefundenen Lösungen zu Rechtsfragen schaffen öffentliches Vertrauen zur Rechtsprechung und stärken die Qualität des Rechtssystems.19 Demgegenüber sind Schiedsverfahren nicht öffentlich und Schiedssprüche werden grundsätzlich nicht veröffentlicht.20 Im Gegensatz zur staatlichen Gerichtsbarkeit unterbleibt daher der wertvolle öffentliche Diskurs über richterliche Erkenntnisse, der dazu beitragen kann, Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.21 Die fehlende Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen führt auch zu einem geringeren Niveau an Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit richterlicher Entscheidungen. Es mangelt an Orientierungshilfen, an denen die Beteiligten bzw. ihre Prozessvertreter ihre Prozessstrategie im Schiedsverfahren ausrichten können.22 Ferner kann bei der Abwanderung von Rechtsstreitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit aufgrund der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens nicht effektiv verhindert werden, dass sich das von Schiedsgerichten praktizierte Recht von dem staatlichen Recht entfernt und so Privatisierungstendenzen des Rechts, wie sie auch bei Plattformen der alternativen Streitbeilegung sichtbar sind23, verstärkt werden.24 Alleinstellungsmerkmal der staatlichen Gerichtsbarkeit ist daher die umfassende Kontrollfähigkeit richterlicher Entscheidungen, intern durch die verschiedenen Instanzen und gleichzeitig extern in jeder Instanz durch die Gerichtsöffentlichkeit und den wissenschaftlichen Diskurs. Durch das diskursiv organisierte Verfahren der richterlichen Entscheidungsbildung wird zudem die Legitimität richterlichen Entscheidens erhöht.25 2. Rechtsfortbildung und Rechtssicherheit Die fehlende Veröffentlichung von Schiedssprüchen bewirkt ferner, dass von Schiedssprüchen nur im geringen Umfang Impulse für die Fortentwicklung und

19 Gierhake, JZ 2013, 1030, 1032; Goette, AnwBl 2012, 33, 34; Walther, JZ 1998, 1145, 1148. 20 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 175 Rn. 7; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 807; Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52; Risse/Oehm, ZVglRWiss 114 (2015), 407, 412. Kern resümiert mit Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit „information is scarce and review by public courts is extremely limited“, Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 452. 21 Laut Goette entsteht durch die Nichtveröffentlichung von schiedsrichterlichen Entscheidungen eine Art „Schattenrecht“, Goette, AnwBl 2012, 33, 34. Ferner die mangelnde Transparenz von Schiedsverfahren kritisierend Graf von Westphalen, ZIP 1986, 1159. Vgl. auch Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 304 f. 22 Wimalasena, Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung, S. 5; Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 309. 23 Specht, MMR 2019, 153, 155. 24 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 175 Rn. 7; Wimalasena, Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen, S. 6. Vgl. auch Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 309. 25 Rennert, DVBl 2017, 857, 858.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Verbesserung des geltenden Rechts ausgehen können. Rechtsstreitigkeiten, die in Schiedsverfahren geführt werden, können nicht zur Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beitragen.26 Rechtsmittel ermöglichen es der Justiz, wandelnde Umstände und Überzeugungen in ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und das Recht flexibel an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen, sofern dies geboten erscheint.27 Zudem lässt das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung in Bereichen, in denen die schiedsgerichtliche Klärung von Rechtsstreitigkeiten dominiert, ein gewisses Vakuum entstehen, denn zu grundsätzlichen Fragen kann kein Recht gesprochen werden.28 In Teilen des Wirtschaftsrechts fehlt es aufgrund der regelmäßigen Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit so an Präjudizien.29 Parteien und Prozessbevollmächtigte suchen in diesen Rechtsbereichen vergeblich nach Präzedenzfällen, anhand derer sie den Ausgang eines einzelnen Verfahrens prognostizieren können. Es fehlt aufgrund der Abwanderung zur Schiedsgerichtsbarkeit an Fällen, die den staatlichen Gerichten unterbreitet werden und so als Anschauungsmaterial dienen könnten, um über mehrere Instanzen und unter Begleitung durch einen wissenschaftlichen Diskurs Sicherheit für den Umgang mit ähnlich gelagerten, schwierigen Fällen zu gewinnen.30 Angesichts der hohen ökonomischen Bedeutung entsprechender Rechtsfragen ist die auf diesen Rechtsgebieten herrschende geringere Transparenz und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen besonders kritisch für den Rechtsverkehr und bedenklich für den Rechtsstaat.31 Der Rechtsstaat benötigt Möglichkeiten zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung, die nur auf diesem Wege vorhersehbar wird.32 Maßgebliches Vehikel zur Vereinheitlichung sind dabei die Rechtsmittel. Der Instanzenzug der staatlichen Gerichtsbarkeit schafft im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit ein Mehr an Transparenz und fördert die Rechtsfortbil-

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Schroeder, KritV 2012, 145, 152. Rennert, DVBl 2017, 857, 858. 28 In komplexen, großvolumigen internationalen Streitigkeiten dominiert die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel der Wahl für die Konfliktlösung, vgl. Wimalasena, Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen, S. 4 f.; Aden, DZWIR 2012, 360, 361; Gropp-Stadler/ J. K. Schäfer, BRAK-Mitteilungen 2017, 161, 165; Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52; Schroeder, KritV 2012, 145, 156. Zur geringeren Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit richterlicher Entscheidungen in der außergerichtlichen Streitbeilegung, Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 469. 29 Duve/M. Keller, SchiedsVZ 2005, 169; Gaier, NJW 2016, 1367, 1370; M. Stürner, JZ 2019, 1122, 1123. 30 Gropp-Stadler/J. K. Schäfer, BRAK-Mitteilungen 2017, 161, 164; Goette, AnwBl 2012, 33, 34; Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 309. 31 Vgl. Aden, DZWIR 2012, 360, 362; K. Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 124. K. Sachs bezeichnet die fehlende Transparenz als das allgemeine Dilemma der Schiedsgerichtsbarkeit, ebenda. Ein besonderes privates Interesse an höchstrichterlichen Präjudizien kann beispielsweise in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse im unternehmerischen Bereichen bestehen, 32 Rennert, DVBl 2017, 857, 858. 27

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

dung33 in einer Art, zu der die Schiedsgerichtsbarkeit aufgrund ihrer regelmäßigen Einzügigkeit und fehlenden Veröffentlichung von Schiedssprüchen außerstande ist.34 Die Veröffentlichungspraxis der Rechtsmittelgerichte fördert mithin im hohen Maße Allgemeinwohlbelange: Durch ihre Orientierungsfunktion steigt die Vorhersehbarkeit richterlicher Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit für die Parteien. Außerdem kann die Kenntnis von richterlichen Entscheidungen und deren Beweggründen zur präventiven Konfliktvermeidung in ähnlich gelagerten Fällen beitragen.35 3. Sicherung der Verfahrensintegrität Die fehlende Bestimmungsmacht der Parteien über die Zusammensetzung des Gerichts in staatlichen Gerichtsprozessen schirmt das Verfahren von externen, die Verfahrensintegrität potenziell unterminierenden Einflüssen ab. Anders als private Schiedsrichter sind staatliche Richter nicht dem Druck der Parteien ausgesetzt, der aus der Hoffnung auf zukünftige Geschäfte resultiert. Private Schiedsrichter verdanken es zumeist dem Wohl und Wehe einer Partei, dass sie zur Entscheidung eines Schiedsverfahrens berufen sind und somit mittels ihrer Rechtsdienstleistungen Profit erwirtschaften dürfen. Aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit privater Schiedsrichter von der Gunst der Akteure, die regelmäßig in Schiedsverfahren auftreten, kann die Gefahr einer unterschwelligen Voreingenommenheit zugunsten von wirtschaftlich starken Akteuren erwachsen, die die Verfahrensgerechtigkeit gefährdet.36 Eine wirtschaftlich unvorteilhafte Entscheidung eines Schiedsrichters für eine Partei, in Bezug auf welche eine große Zahl 33 „Lawmaking is evidently a substantial function of the appeals process (. . .) in civil-law countries“, Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 415. 34 Vgl. Duve/M. Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 175; Gaier, NJW 2016, 1367, 1369 f.; Klose, DRiZ 2020, 264, 267; Zeyher/Mader, ZHR 185 (2021), 125, 150. T. Pfeiffer spricht zu Recht davon, dass die vertrauensbildende Stetigkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung einen strukturellen Vorteil der staatlichen Gerichte bildet, T. Pfeiffer, DRiZ 2021, 46, 49 f. Habersack konstatiert zutreffend für den Bereich der Streitigkeiten über Unternehmenskäufe, die vorwiegend von Schiedsgerichten entschieden werden, dass Teile des Gesellschaftsrechts den Charakter einer „Geheimwissenschaft“ annehmen, Habersack, SchiedsVZ 2004, 261, 262; so auch Hoffmann, DRiZ 2009, 329, 330. 35 Vgl. Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, S. 78 f. Adams erachtet Gerichtsurteile als Wohlfahrtsgewinne, denn sie ermöglichen den Bürgern, ihre Unsicherheit über den Inhalt ihrer Rechte und Pflichten zu vermindern, Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, S. 78. Besonders gravierend wirkt sich die Flucht aus der Ziviljustiz in Common Law-Jurisdiktionen aus. Im Rechtssystem des Common Law sind gerichtliche Entscheidungen Bestandteile des geltenden Rechts. Das Ausbleiben von Entscheidungen der Ziviljustiz führt daher zu einem Fehlen von aktuellem Zivilrecht und einer Lähmung der Entwicklung des Common Law, siehe Farrow, Civil Justice, Privatization, and Democracy, S. 224 ff.; Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 308 f. 36 Vgl. Dore, Chicago-Kent Law Review 81 (2006), 463, 487; Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 304. Im anglo-amerikanischen Rechtskontext wird insofern von einem „repeat player effect“ oder „repeat player bias“ gesprochen. Näher zu dieser Problematik Reuben, UCLA Law Review 47 (2000), 949, 1064 ff.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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von Fällen vor privaten Schiedsgerichten anhängig sind oder gemacht werden, kann für diesen durch den Wegfall künftiger Beauftragungen manifeste ökonomische Nachteile nach sich ziehen.37 Vor diesem Hintergrund besteht im Schiedsverfahren ein erhöhtes Risiko der Beeinträchtigung der Objektivität der Entscheidungsfindung.38 Darüber hinaus fehlt es in der Schiedsgerichtsbarkeit an prozessualen Absicherungen, die solche Gefahren für die Verfahrensgerechtigkeit abmindern könnten.39 Aufgrund der fehlenden Öffentlichkeit des Schiedsverfahrens existiert keine externe Rechenschaftspflicht der Beteiligten eines Schiedsverfahrens, die etwaige Benachteiligungen einer Partei ausgleichen könnte.40 In der staatlichen Gerichtsbarkeit kann die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens hingegen durch die justizinterne Nachprüfung im Instanzenzug und externe Kontrolle durch die Öffentlichkeit gesichert werden. 4. Bürgernähe der Justiz und Akzeptanz staatlicher Gerichtsentscheidungen Die Untergliederung der staatlichen Gerichte in drei Ebenen fördert zudem die Nähe der Justiz zu ihren Bürgern. Die Bürger, die ganz überwiegend nur die erste Instanz der staatlichen Gerichtsbarkeit in Anspruch nehmen, können aufgrund der großen Anzahl von Amtsgerichten in Deutschland regelmäßig an einem nahen Ort ein Gericht anrufen. Die Bürgernähe der Gerichte mindert die Kosten des Rechtsstreits und senkt damit Hürden des Zugangs zum Rechtsschutz, welche hohe Kosten der Rechtsverfolgung bewirken würden.41 Bei einer Verkürzung des Instanzenzugs und der Aufgabe einer Gliederungsebene in der Justiz, wie zuletzt vorgeschlagen als Große Justizreform42, stünde unweigerlich die Frage der Zentralisierung der Gerichtsstandorte unter Effizienzgesichtspunkten im Raum, was mit einem Verlust an Bürgernähe der Justiz einherginge. Diese Bürgernähe ist aber essenziell für die Akzeptanz der Justiz in der Allgemeinheit.43 Der Rechtsstaat entfaltet seine gesellschaftliche Wirkung dann am effektivsten, wenn Instanzgerichte Recht vor Ort sprechen und in der Fläche vertreten sind.44 Die 37 Murray, Willamette J. Int’l L. & Dis. Res. 15 (2007), 133, 147; ders., Judicature 91 (2008), 272, 275. 38 Murray, Willamette J. Int’l L. & Dis. Res. 15 (2007), 133, 149; ders., Judicature 91 (2008), 315. 39 Siehe vertiefend Farrow, Civil Justice, Privatization, and Democracy, S. 232 f. Vgl. Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 466; ders., Erasmus Law Review 2012, 187, 209. 40 Vgl. das treffende Zitat von Dore: „ADR largely operates in an environment of secrecy whose closed doors can mask a world of mischief“, Dore, Chicago-Kent Law Review 81 (2006), 463, 466. 41 Siehe hierzu und zu weiteren Vorteilen der Bürgernähe der Justiz, insbesondere durch ihre Amtsgerichte, Vultejus, ZRP 2003, 10 ff. 42 Siehe Erstes Kapitel A. I. 9. 43 Selbherr, BRAK-Mitteilungen 2000, 11. 44 Voßkuhle, NJW 2018, 3154, 3158.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Symbolkraft der Streichung von Gerichtsebenen und der Zusammenlegung von Gerichtsstandorten als empfundener Akt des Rückzugs des Rechtsstaats darf daher bei allen verständlichen Bestrebungen nach Steigerung der Effizienz der staatlichen Gerichtsverfahren bei Diskussionen über die Verkürzung des Instanzenzugs nicht unterschätzt werden. Darüber hinaus stärken Rechtsmittelverfahren an sich das Vertrauen der Bürger in die staatliche Justiz. Allein die Perspektive, ein Rechtsmittelverfahren anstrengen und ein anderes Gericht um Überprüfung einer nachteiligen richterlichen Entscheidung bitten zu können, trägt dazu bei, dass die unterlegene Prozesspartei mehr Grund zur Annahme hat, dass ihr Fall angemessen begutachtet wurde.45 Die Prozessparteien sind sich bewusst, dass der ihren Fall beurteilende Richter aufgrund seiner Ausbildung und hinzutretender externer Anreize (Beförderung, Reputation)46 in aller Regel besondere Mühe walten lässt, um qualitativ hochwertige Rechtsprechung hervorzubringen. Folglich steigt insgesamt die allgemeine Wertschätzung der gerichtlichen Urteile.47 5. Effiziente Ressourcenallokation Die Aufteilung der Gerichte in verschiedene Ebenen mit einer graduell steigenden Größe von Spruchkörpern dient darüber hinaus dem Ziel der effektiven Nutzung der zur Verfügung stehenden knappen Justizressourcen. Auf Ebene der Eingangsinstanz können durch kleine Spruchkörper Fälle, die eines geringeren Ressourceneinsatzes bedürfen, mit adäquatem Aufwand durch die Justiz erledigt werden. Auf Ebene der Rechtsmittelinstanz kann durch Erweiterung der Größe von Spruchkörpern schwierig gelagerten Fällen die Aufmerksamkeit geschenkt werden, die sie verdienen. Die Verteilung der Justizressourcen auf mehrere Ebenen führt also zu einer Maximierung der Verfahrenseffizienz unter der Bedingung stetiger Knappheit. Würde der Instanzenzug abgeschafft und würden alle Justizressourcen auf eine Instanz konzentriert, würde es an einem Mechanismus fehlen, der den einzelnen Fällen entsprechend ihrem voraussichtlichen Aufwand adäquate Justizmittel zuweist. Bei einer Konzentration des Verfahrens auf eine Instanz bestünde die Gefahr, dass für solche Fälle, die keiner höchsten Aufmerksamkeit und keines maximalen Aufwands bedürfen, mehr Justizressourcen als nötig aufgewendet werden würden.48 Durch die Regelungen zur Gerichtsorganisation sowie zum Zugang zu den Rechtsmitteln bestimmt der Gesetzgeber über die Verteilung von Justizressourcen und weist solchen Fällen eine größere Aufmerksamkeit zu, die er für besonders bedeutsam hält oder die aufgrund des Parteiwillens zur Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung zusätzlichen Aufwand rechtfertigen. Der Instan45 46 47 48

Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 426. Siehe soeben bereits im Abschnitt Zweites Kapitel A. I. 1. Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 426. Vgl. G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 229.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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zenzug des Zivilprozesses mit seinem gestuften Rechtsmittelsystem ist daher essenziell für die adäquate Allokation von Justizressourcen entsprechend der Bedeutung der Einzelfälle. Eine adäquate Ressourcenallokation ist Grundbedingung für ein effektives Justizsystem. Dass der Begriff des Instanzenzugs aufgrund der bei Ausschöpfung des Instanzenzugs entstehenden langen Verfahrensdauer aber nicht in erster Linie mit dem Begriff der Verfahrenseffektivität in Verbindung gebracht wird, liegt an den stetigen Knappheitsbedingungen, unter denen die staatliche Gerichtsbarkeit zu arbeiten hat. Der Instanzenzug sorgt unter der stetigen Belastung des Justizsystems durch knappe Kapazitäten und schmales Budget für eine effiziente, da falladäquate Verteilung von vorhandenen Justizressourcen, die ein einstufiges Verfahren in dieser Art nicht leisten könnte. Die Bedeutung der Verteilungsfunktion des Instanzenzugs darf angesichts der allgemeinen Wahrnehmung der Schwerfälligkeit des Instanzenzugs, die vor allem durch Ressourcenknappheit bedingt ist, nicht unterschätzt werden.

II. Kehrseiten des Instanzenzugs Der Instanzenzug wird trotz der angesprochenen Vorteile im Allgemeinen nicht als Charakteristikum des staatlichen Zivilprozesses wahrgenommen, das die Attraktivität der staatlichen Justiz gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit steigert. Stattdessen wird der Instanzenzug neben weiteren Gründen wie beispielweise der Öffentlichkeit des staatlichen Gerichtsverfahrens vielmehr als Faktor angeführt, der eine Entscheidung zu Ungunsten der staatlichen Gerichtsbarkeit beeinflussen kann.49 Wiederkehrende Kritikpunkte, die in Bezug auf den Instanzenzug vor den staatlichen Gerichten geäußert werden, sind die lange Prozessdauer und die damit eng verbundene länger bestehende Rechtsunsicherheit, die hohen Kosten des Durchschreitens des gesamten Instanzenzuges und die fehlende Flexibilität des staatlichen Verfahrens insgesamt. Allerdings verbietet sich eine pauschale Aussage über die Vorteile bzw. Nachteile des staatlichen Instanzenzugs oder der Schiedsgerichtsbarkeit, denn ob sich die Wahl der einen oder anderen Form der Gerichtsbarkeit als vorteilhafter darstellt, hängt letztlich stark von einzelfallbezogenen Faktoren ab50, die zum Teil auch nicht im Voraus antizipiert werden können.51 49 Vgl. Saenger/Saenger, ZPO, Vorbemerkung zu §§ 1025–1066 Rn. 2; Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 7, 15; Jacoby, ZPO, 18. Kap. Rn. 802; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 175 Rn. 6; Goette, AnwBl 2012, 33, 34; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1440; Hobeck, DRiZ 2005, 177; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2183; Leuering, NJW 2014, 657, 658 f.; Ochmann, GRUR 1993, 255, 258. 50 Insbesondere von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie von den Bedürfnissen der Parteien. 51 Die tatsächliche Dauer des Verfahrens bis zur endgültigen Beilegung eines Rechtsstreits bestimmt sich maßgeblich durch die Anzahl der durchschrittenen Instanzen vor

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Die Erörterung der Kehrseiten des Instanzenzugs beruht aus diesem Grunde naturgemäß auf einer generalisierenden Betrachtung, die auf bestimmte Parameter hinweisen kann, bei deren Vorliegen ein staatliches Gerichtsverfahren oder Schiedsverfahren in aller Regel zu einer schnelleren und kostengünstigeren Streitbeilegung führt. Für passgenauere Gewichtungen der Bedeutung des Instanzenzugs als Faktor im Konkurrenzverhältnis zwischen staatlicher Justiz und Schiedsgerichtsbarkeit fehlt es derzeit an rechtstatsächlichen Informationen.52 1. Lange Verfahrensdauer Dem staatlichen System der Rechtspflege in Zivilsachen wird überwiegend angelastet, dass der Prozess langwierig sei, da die Ausschöpfung des Rechtsmittelzugs häufig mehrere Jahre in Anspruch nehme und Entscheidungen von Schiedsgerichten in aller Regel rascher zu erzielen seien.53 Das regelmäßige Fehlen von Rechtsmittelverfahren in der Schiedsgerichtsbarkeit trage zu einer zeitsparenden, schnellen Entscheidung eines Rechtsstreits bei.54 Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit sei die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung.55 An genauen Daten hinsichtlich der durchschnittlichen Verfahrensdauer eines schiedsgerichtlichen Verfahrens bei den einzelnen Schiedsgerichtsinstitutionen fehlt es auf deutscher Ebene aber leider.56 Hinsichtlich der durchschnittlichen Dauer eines Verfahrens den staatlichen Gerichten und wird auch dadurch beeinflusst, ob sich im Anschluss an ein Schiedsverfahren staatliche Gerichte mit einem Aufhebungsantrag gegen einen Schiedsspruch befassen. Beide Faktoren sind ex ante nicht abschätzbar. 52 Darauf zutreffend hinweisend K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn. 8 Fn. 36. Abzuwarten bleibt, ob die von dem BMJV in Auftrag gegebene Studie zum Rückgang der Eingangszahlen in der Zivilgerichtsbarkeit (sog. unmet legal needsStudie), die auch auf die Frage der Abwanderung von Verfahren zu der Schiedsgerichtsbarkeit eingehen soll, rechtstatsächliche Erkenntnisse hinsichtlich der das Konkurrenzverhältnis zwischen staatlicher Justiz und Schiedsgerichtsbarkeit maßgeblich prägenden Umstände liefern wird. Siehe Pressemeldung vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, BMJV startet Forschungsvorhaben zum Rückgang zivilgerichtlicher Verfahren, 2020. 53 K. H. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 1 Rn. 8. 54 So die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit hervorhebend OLG Köln, NJW 1961, 1312, 1313; KG, NJW 2011, 2978, 2979; Jacoby, ZPO, 18. Kap. Rn. 802; Rosenberg/ K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 175 Rn. 6; J.-H. Bauer/C. Arnold/N. Kramer, AG 2014, 677, 683; Goette, AnwBl 2012, 33, 34; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1440; Hobeck, DRiZ 2005, 177; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2183; Leuering, NJW 2014, 657, 659; Markgraf, JuS 2013, 1090, 1091; MellerHannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2525; Ochmann, GRUR 1993, 255, 258; Riehm/ Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1728. 55 BGHZ 210, 292, 315 = BGH, NJW 2016, 2266, 2272; vgl. Eidenmüller, JZ 2009, 641, 646. 56 Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) veröffentlicht in ihrer Verfahrensstatistik keine Angaben zur durchschnittlichen Verfahrensdauer der von ihr administrierten Verfahren. Anders aber auf internationaler Ebene: In Verfahren vor der ICC dauerte im Jahr 2019 die streitige Beendigung durchschnittlich 26 Monate,

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

163

erster und zweiter Instanz vor staatlichen Zivilgerichten werden aber Daten vom Statistischen Bundesamt57 veröffentlicht. Daraus ergab sich für das Jahr 2020 deutschlandweit folgendes Bild: Verfahrensdauer Dauer des Verfahrens in der Eingangsinstanz

Dauer der Inanspruchnahme zweier Instanzen (ab Eingang in erster Instanz)

Gericht

Amtsgericht58

Landgericht59

Landgericht60

Oberlandesgericht61

Ø Dauer je Verfahren insgesamt

5,4 Monate

10,5 Monate

20,3 Monate

23,4 Monate

Ø Dauer je Verfahren, das mit streitigem Urteil endete

8,4 Monate

13,4 Monate

24,7 Monate

30,4 Monate

Sofern zusätzlich noch die Revisionsinstanz durchlaufen wurde, vergingen vom Eingang der Revision beim Bundesgerichtshof bis zum Urteil in aller Regel weitere sechs bis achtzehn Monate.62 Für das Durchschreiten aller drei Instanzen des Zivilprozesses von Anfang bis zum streitigen Urteil müssen daher mindestens drei bis sechs Jahre veranschlagt werden. Der Vorteil der Kontrollfähigkeit der Urteile staatlicher Gerichte geht folglich mit einer nicht unerheblichen VerInternational Chamber of Commerce (ICC), ICC releases 2019 Dispute Resolution statistics, 2020. Der Mangel an Daten über die durchschnittliche Dauer von Schiedsverfahren beruht nicht zuletzt darauf, dass die Verfahren vertraulich durchgeführt werden, Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 459. Ein belastbarer Vergleich der durchschnittlichen Verfahrensdauer zwischen Zivil- und Schiedsgerichtsbarkeit ist daher kaum möglich. Selbst wenn die Datenlage zu der durchschnittlichen Dauer von Schiedsverfahren besser wäre, würde sich ein Vergleich als schwierig darstellen, da die Art und Weise der statistischen Erhebung abweichen kann. Zudem kann die Aussagekraft eines Vergleichs von Statistiken dann getrübt sein, wenn es an Informationen mangelt über die Art der Rechtsstreitigkeiten und über weitere Faktoren, die die Verfahrensdauer beeinflussen können. Hierzu instruktiv ders., ZZPInt 14 (2009), 445, 456 ff. 57 Verfahren vor Familiengerichten werden von dem Statistischen Bundesamt gesondert erfasst und sind durch die obige Statistik nicht abgedeckt. 58 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 26. 59 A. a. O., S. 56. 60 A. a. O., S. 76. 61 A. a. O., S. 102. 62 Bundesgerichtshof, Übersicht über den Geschäftsgang bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofes im Jahr 2020 – Jahresstatistik, 2020, S. 33. Kürzere Verfahren, die weniger als sechs Monate dauern, waren 2020 vor dem Bundesgerichtshof sehr selten, Verfahren, die über achtzehn oder gar über vierundzwanzig Monate in Anspruch nehmen, dagegen häufiger.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

fahrensdauer einher.63 Diese Durchschnittswerte berücksichtigen zudem nicht die Komplexität des Einzelfalls. Je höher die Komplexität des Einzelfalls64, desto länger kann das Verfahren dauern. Dies wirkt sich nachteilig auf die Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit für die Lösung von hochkomplexen Wirtschaftsstreitigkeiten aus. Eine lange Prozessdauer zeitigt auch negative Nebeneffekte: Aufgrund der durch einen andauernden Prozess verursachten Schwebelage werden Ressourcen gebunden, die ansonsten wirtschaftlich gewinnbringend verwendet werden könnten.65 Wenn es den Parteien besonders auf eine schnelle Streiterledigung ankommt, kann die Schiedsgerichtsbarkeit, die den staatlichen Instanzenzug entfallen lässt, somit besonders attraktiv sein. Die (vermeintliche) Schnelligkeit des Verfahrens trägt zur Attraktivität von Schiedsverfahren für den unternehmerischen Rechtsverkehr bei.66 Ferner kann die Fachkunde der Entscheidungsträger ein bedeutender Faktor für die Prozessdauer darstellen, denn hohe Expertise kann ein schnelles Voranschreiten eines Verfahrens begünstigen. Im Schiedsverfahren besteht die Möglichkeit, durch die Wahl spezialisierter Schiedsrichter auf dieses Element Einfluss zu nehmen, wobei allerdings eine Spezialisierung eines Schiedsrichters auf eine dem Schiedsverfahren zugrunde liegende Materie keinesfalls ein Garant für eine zügige Verfahrensabwicklung darstellt. Im staatlichen Verfahren bestehen aufgrund des Rechts auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG keine Einwirkungsmöglichkeiten der Parteien auf die Besetzung des Gerichts. Weiterhin wird die Flexibilität der Verfahrensregeln als ein Umstand angesehen, der der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit Vorteile in Hinblick auf die Verfahrensdauer verschafft.67 Den Instanzenzug aber grundsätzlich als Wurzel einer längeren Verfahrensdauer des staatlichen Zivilprozesses im Vergleich zum Schiedsverfahren wahrzunehmen, greift zu kurz. Aufgrund der Endgültigkeit des Schiedsspruchs bemühen sich Schiedsrichter in der Regel um eine besonders sorgfältige und eingehende Prüfung des Falls, was ebenfalls die Dauer des Verfahrens erhöhen kann.68 Je 63

Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 50. Z. B. wegen einer umstrittenen Sach- und Rechtslage, Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. 65 Vgl. Goette, AnwBl 2012, 33, 34. 66 Vgl. Schmidt-Diemitz, DB 1999, 369, 370. 67 Bechte, ZJS 2011, 307; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1440; Markgraf, JuS 2013, 1090, 1091; Ochmann, GRUR 1993, 255, 258. 68 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 17. Außerdem bedeutet der Erlass eines Schiedsspruchs nicht stets die Befriedung des Rechtsstreits, da sich ein Aufhebungsverfahren vor staatlichen Gerichten anschließen kann. Ferner kann die Weigerung einer Partei, den Schiedsspruch zu befolgen, den endgültigen Verfahrensabschluss hinauszö64

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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weniger Instanzen des Instanzenzugs vor den staatlichen Gerichten durchschritten werden, desto weniger lässt sich ein Zeitvorteil der Schiedsgerichtsbarkeit ausmachen.69 Die Entscheidungsgeschwindigkeit ist nicht nur ein Kriterium, das sich nach allgemeiner Wahrnehmung nachteilig auf die Attraktivität der Justizdienstleistungen der staatlichen Gerichtsbarkeit im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit auswirkt. Die Digitalisierung und der dadurch resultierende Bedarf an Entscheidungsschnelligkeit führt zu einer besonderen Beliebtheit außergerichtlicher Streitbeilegungsalternativen, die sich durch eine besonders schnelle und kostengünstige Streitbeilegung auszeichnen.70 Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Instanzenzug in der staatlichen Gerichtsbarkeit das Potential einer erheblichen Verfahrenslänge in sich birgt, die Parteien abschrecken und veranlassen kann, andere Streitbeilegungsformen zu wählen. Vor dem Hintergrund der analysierten statistischen Daten scheint das Stereotyp, dass der staatliche Instanzenzug bei völliger Ausschöpfung zu einer erheblichen Verfahrensdauer führt, zutreffend zu sein. Den Instanzenzug vor diesem Hintergrund jedoch zuvörderst mit negativen Attributen in Verbindung zu bringen, wird seiner Bedeutung im Rechtsschutzsystem nicht gerecht. Der Instanzenzug begrenzt durch seine Kontrollfunktion Richtermacht, schützt dadurch die Rechtsunterworfenen und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer rechtlich zutreffenden Entscheidung.71 Für den Rechtsstaat sind diese Eigenschaften des Instanzenzugs von weitaus größerer Bedeutung als die durch ihn verursachte Verfahrensdauer. Schließlich kann der prima facie bestehende Vorteil der Schnelligkeit von einzügigen Schiedsverfahren auch durch Abstriche bei der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung teuer erkauft sein.72 Ferner ist die Feststellung, ob die Durchführung eines Rechtsstreits vor den staatlichen Gerichten aber tatsächlich eine längere Zeit als ein Schiedsverfahren in Anspruch nimmt, im hohen Maße einzelfallabhängig. Faktoren wie die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, das Erfordernis einer umfangreichen Beweisgern, G. Wagner, in: Eidenmüller (Hrsg.), Regulatory competition in contract law and dispute resolution – edited versions of papers presented during an international conference at Ludwig-Maximilians-University in Munich from 13 to 15 October 2011, 2013, S. 347, 397. 69 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, vor § 1025 Rn. 115. 70 Pickel, AnwBl 2018, 388, 390; Specht, MMR 2019, 153, 155. 71 Das Fehlen eines Instanzenzugs in der Schiedsgerichtsbarkeit bewirkt einen Verlust an Kontrolle und eine besonders stark ausgeprägte Machtstellung der Schiedsrichter, vgl. Markgraf, JuS 2013, 1090, 1092. Siehe bereits Zweites Kapitel A. I. 1. 72 Zeyher/Mader, ZHR 185 (2021), 125, 148. Teilweise wird die Gefahr eines unzutreffenden Schiedsspruchs aufgrund der hohen Sachkunde der Schiedsrichter für gering und der Verzicht auf den Instanzenzug als verschmerzbar erachtet, Thümmel, in: Schütze (Hrsg.), Einheit und Vielfalt des Rechts – Festschrift für Reinhold Geimer zum 65. Geburtstag, 2002, S. 1331, 1336; Leuering, NJW 2014, 657, 659.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

aufnahme, die Fachkunde, Arbeitsbelastung, Verfahrensführungskompetenz der zuständigen Richter sowie das Verhalten der Parteien und Prozessvertreter sind insoweit von Bedeutung. 2. Rechtsunsicherheit Mangels Eintritts von Rechtskraft besteht während der gesamten Verfahrensdauer bei vollständigem Durchlaufen des Instanzenzugs aufgrund des offenen Ausgangs des Rechtsstreits eine lange und quälende Rechtsunsicherheit. Besonders im unternehmerischen Verkehr kann eine Nichtleistung eines Schuldners während des Schwebezustands des Prozesses eine erhebliche oder gar existenzbedrohende Belastung für den klagenden Gläubiger darstellen.73 Die durch den offenen Ausgang des Rechtsstreits verursachte Rechtsunsicherheit kann durch das Instrument der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach §§ 708 f. ZPO nicht vollständig kompensiert werden, denn im Falle der Aufhebung oder Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils nach seiner Vollstreckung greift die verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO ein. Mangels der Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln ist der Schiedsspruch hingegen sofort endgültiger Natur, denn er steht einem rechtskräftigen Urteil gleich, § 1055 ZPO. Nach Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs bzw. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs kann im Wege der Zwangsvollstreckung sofortige Befriedigung der erhobenen Forderung gesucht werden. Aus diesem Grunde kann ein Schiedsverfahren im Wirtschaftsverkehr häufig besonders attraktiv sein.74 Auch kann eine prozessuale Schwebelage vermehrte Bilanzrückstellungen von Unternehmen erforderlich machen und damit Finanzressourcen binden, die ansonsten für Investitionen genutzt werden könnten. Der daher vermeintlich höhere Nutzen einer schnelleren Klarheit über die Rechtslage durch ein Schiedsverfahren ist jedoch trügerisch. Die unterlegene Partei zahlt bei einer Fehlentscheidung einen hohen Preis, denn das Bedürfnis der schnellen Entscheidungsfindung durch das einzügige Schiedsverfahren kann zu Lasten der Richtigkeit der Entscheidung gehen. Der Schiedsspruch kann vor den staatlichen Gerichten nur mit der Aufhebungsklage angegriffen werden, die jedoch keine vollständige Rechtsprüfung seitens des staatlichen Gerichts erlaubt (Verbot der révision au fond).75 Die unterlegene 73 Vgl. Bechte, ZJS 2011, 307, 308; Goette, AnwBl 2012, 33, 34; Markgraf, JuS 2013, 1090, 1091. Die Finalität einer Entscheidung kann für die Parteien eines Rechtsstreits von höherer Bedeutung sein als die Richtigkeit der Entscheidung, Kern, RePro 39 (2014), 15, 21. 74 Die Endgültigkeit und beschränkte Anfechtbarkeit von Schiedssprüchen als Vorzug des schiedsrichterlichen Verfahrens wertend Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 126 IV, S. 757. 75 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1059 Rn. 8; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 182 Rn. 13; Schroeder, KritV 2012, 145, 151. Umgekehrt mit entsprechender Kalkulation hingegen Markgraf, JuS 2013, 1090, 1092. Zum Verbot der révision au

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Partei kann ein solches Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO anstrengen, wodurch im Einzelfall nicht nur etwaige Zeitvorteile des Schiedsverfahrens gegenüber der Durchführung eines staatlichen Prozesses verloren gehen können, sondern gleichermaßen auch eine Schwebelage (aufgrund des offenen Ausgangs des Aufhebungsverfahrens) entstehen kann, die finanzielle Ressourcen binden kann. Damit verbietet sich erneut eine einzelfallunabhängige Bewertung, dass die Inanspruchnahme des Instanzenzugs generell zu einer länger andauernden Rechtsunsicherheit führt. 3. Kostenbelastung Die vielfach erhobene Behauptung, dass die Schiedsgerichtsbarkeit aufgrund des Fehlens eines Instanzenzugs im Schiedsverfahren regelmäßig die kostengünstigere Form der Gerichtsbarkeit sei76, kann in ihrer Pauschalität nicht überzeugen.77 Konkrete Vergleiche der Kosten der Verfahrensformen können nicht angestellt werden, denn ein Rechtsstreit durchläuft nur entweder die Schiedsgerichtsbarkeit oder die staatliche Gerichtsbarkeit.78 Es können daher nur einzelne Parameter bestimmt werden, deren Vorliegen regelmäßig eine günstigere Kostenbilanz einer Form der Gerichtsbarkeit nach sich zieht. Eine allgemeingültige Präferenz für die Staats- oder Schiedsgerichtsbarkeit kann unter Zugrundelegung dieser Parameter nicht festgestellt werden.79 Die Durchführung eines staatlichen Gerichtsverfahrens wird aber zumindest dann regelmäßig kostengünstiger als ein Schiedsverfahren sein, wenn der Streitwert gering ist.80 Ein Kostenvorteil des staatlichen Verfahrens gegenüber einem Schiedsverfahren kann sich ferner dann ergeben, wenn das staatliche Verfahren nur über eine Instanz geführt wird.81 Bei einem hohem Streitwert und Ausschöpfung aller Instanzen der staatlichen Gefond im internationalen Handelsschiedsverfahren Mavrantonakis, Verbot der révision au fond, passim. 76 So etwa Saenger/Saenger, ZPO, Vorbemerkung zu §§ 1025–1066 Rn. 2; Ochmann, GRUR 1993, 255, 258. 77 Graf von Westphalen spricht überspitzt davon, dass es eine Mär sei, zu behaupten, dass ein Schiedsverfahren kostengünstiger sei als ein ordentliches Gerichtsverfahren, Graf von Westphalen, ZIP 2013, 2184, 2186. 78 Schroeder, KritV 2012, 145, 152. 79 Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 806. 80 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, vor § 1025 Rn. 115; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 806; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1441; Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 192; Werner, VersR 2015, 1084, 1085. In Verfahren mit geringem Streitwert vor staatlichen Gerichten kommt den Verfahrensbeteiligten der Vorteil der der Quersubvention durch Verfahren mit höherem Streitwert zu Gute, denn die in Verfahren mit geringerem Streitwert erhobenen Gerichtskosten decken nicht die tatsächlich für den Fiskus anfallenden Kosten. Die Schiedsgerichtsbarkeit hingegen kennt eine solche Umverteilung von Verfahrenskosten nicht und hat daher im Bereich geringer Streitwerte einen Nachteil, Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 18 f. 81 Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 806; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1440; Zeyher/Mader, ZHR 185 (2021), 125, 149.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

richtsbarkeit können die Kosten des staatlichen Gerichtsverfahrens hingegen diejenigen eines Schiedsverfahrens übersteigen.82 Wie viele Instanzen der staatlichen Gerichtsbarkeit im Einzelfall in Anspruch genommen werden, ist jedoch ex ante nicht absehbar, sodass dieser kostenrelevante Gesichtspunkt bei einer Entscheidung zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit keine Bedeutung erlangen kann. Regelmäßig wird mit Blick auf die Kosten nur eine tendenzielle Bewertung anhand des Streitwerts möglich sein, welche Form der Gerichtsbarkeit günstiger sein könnte. Wird aus Kostengesichtspunkten für die Schiedsgerichtsbarkeit optiert, können sich aus einer späteren Überprüfung des Schiedsspruchs durch die staatlichen Gerichte im Aufhebungsverfahren nicht unerhebliche Kostensteigerungen ergeben.83 Als weitgehend unkalkulierbar stellen sich die Kosten eines Schiedsverfahrens auch aus dem Grunde dar, dass im Schiedsverfahren anders als im staatlichen Gerichtsverfahren84 bei Obsiegen die Möglichkeit besteht, die eigenen Rechtsanwaltskosten vollständig, auch bei Abrechnung nach Stunden, erstattet zu bekommen.85 Die Kosten für die Tätigkeit der Prozessvertreter stellen in der staatlichen Gerichtsbarkeit und in der Schiedsgerichtsbarkeit den größten Rechnungsposten dar. Die Höhe dieses Kostenpunkts ist wiederum wesentlich von den Variablen des Einzelfalls abhängig, und zwar von der Komplexität der Sach- und Rechtslage, dem betriebenen Aufwand durch die Prozessvertreter und dem Prozessführungsgeschick der Richter.86 Der Instanzenzug ist mithin kein Charakteristikum der staatlichen Gerichtsbarkeit, das stets zu einer negativen Kostenbilanz gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit führt. Zudem wird der Instanzenzug nur in einer prozentual sehr geringen Anzahl von Fällen vollständig ausgeschöpft.87 Im Regelfall eines staatlichen Gerichtsverfahrens, in dem nur eine oder zwei Instanzen durchlaufen werden, kann ein Kostennachteil gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit nicht ausgemacht werden.88 Insgesamt kann im Vergleich zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schieds82 MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, vor § 1025 Rn. 115; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 806; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1441; Werner, ZWH 2015, 129, 130; ders., VersR 2015, 1084, 1085. Siehe für einen Vergleich der Kosten eines staatlichen Gerichtsverfahrens und eines Schiedsverfahrens Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 19. 83 Ochmann, GRUR 1993, 255, 259. Die Aufhebung eines Schiedsspruchs kann zwei Instanzen staatlicher Gerichte beschäftigen (§ 1059 i.V. m. §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4, 1065 ZPO) und daher zu vorher nicht überschaubaren, deutlichen Kostensteigerungen führen. 84 Im staatlichen Gerichtsverfahren ist die Erstattungspflicht hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten auf die gesetzlich festgelegten Höchstgrenzen des RVG gedeckelt, § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO. 85 Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 806 f. Gleichzeitig wird die Bestimmung der Gesamtkosten von staatlichen Gerichtsverfahren auch dadurch erschwert, dass Statistiken zu Anwaltshonorarvereinbarungen fehlen, vgl. Kern, ZZPInt 14 (2009), 445, 461. 86 Vgl. Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 19. 87 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 19; Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 174. 88 Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 19.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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gerichtsbarkeit mit Blick auf den Faktor des Instanzenzugs keine passgenaue Kostenprognose abgegeben werden. 4. Mangel an Flexibilität Ein weiterer Kritikpunkt, der gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit im Allgemeinen geäußert wird, ist ein Mangel an Flexibilität im Vergleich zu schiedsgerichtlichen Verfahren. Als Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit wird immer wieder ihre Flexibilität betont.89 Das Schiedsverfahren eröffnet den Parteien u. a. die Möglichkeit, Gerichtsort und Sprache des Verfahrens individuell festzulegen.90 Insbesondere die Möglichkeit der Wahl der Verfahrenssprache Englisch kann für international tätige Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Sofern, wie im internationalen Geschäftsverkehr üblich, Verträge und sonstige relevante Dokumente in englischer Sprache verfasst sind, wirkt es sich auf Schnelligkeit und Kosten des Verfahrens positiv aus, wenn keine Übersetzungen nötig werden. Der hohe Stellenwert der Verfahrenssprache für die Wahl der Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten des internationalen Wirtschaftsrechts wird aber zunehmend auch von der Politik erkannt und zum Anlass genommen, der englischen Sprache partiell Eingang in das staatliche Verfahren zu verschaffen. An einzelnen Landgerichten existieren spezialisierte Kammern, vor denen in Teilen eine Verfahrensführung auf englischer Sprache möglich ist.91 Da die Gerichtssprache vor deutschen Gerichten gem. § 184 S. 1 GVG aber (bisher92) allein Deutsch ist, stellt sich die Bedeutung der englischen Sprache als untergeordnet dar.93 Neben der Sprache und dem Gerichtsort können Parteien eines Schiedsverfahrens auch die Besetzung des Schiedsgerichts selbst bestimmen.94 In staatlichen 89

Buchwitz, Schiedsverfahrensrecht, S. 15 f.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Markgraf, JuS 2013, 1090, 1091. Münch spricht von einer „chamäleonartige(n) Anpassungsfähigkeit des Schiedsverfahrens, das sich den individuellen Bedürfnissen maßschneidern lässt“, MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, vor § 1025 Rn. 128. 90 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Markgraf, JuS 2013, 1090, 1091. 91 Commercial Court an den Landgerichten Mannheim und Stuttgart in Baden-Württemberg, Staatsministerium Baden-Württemberg, Zukunftsweisende Ausrichtung der Justiz im Land, 2020, S. 2 f. Ferner existiert am Landgericht Frankfurt am Main eine Kammer für internationale Handelssachen. 2010 wurde im Gerichtsbezirk des OLG Köln ein Pilotprojekt zur Nutzung der englischen Sprache im Zivilverfahren durchgeführt, hierzu vertiefend Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 198 f. 92 Auf die jüngste Gesetzesinitiative des Bundesrats in diesem Zusammenhang durch Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21) wird im Dritten Kapitel eingegangen. 93 Beispielsweise wird die englische Sprache in Verfahren vor der Kammer für internationale Handelssachen am LG Frankfurt am Main nur in der mündlichen Verhandlung genutzt. Im Übrigen besteht keine Veränderung gegenüber sonstigen Zivilverfahren, sodass nach wie vor häufig mit Übersetzungen gearbeitet werden muss. 94 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, 18. Kap. Rn. 802; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 803; Schroeder, KritV 2012, 145, 150.

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Verfahren hingegen steht der für die Entscheidung zuständige Richter durch die gesetzlichen Zuständigkeitsvorschriften und den Geschäftsverteilungsplan fest.95 Die Parteien können sich Schiedsrichter auswählen, die den Ruf besonderer Sachkunde auf dem Gebiet ihres Rechtsstreits haben.96 Der Vorteil der Bestimmung der zur Entscheidung berufenen Richter in der Schiedsgerichtsbarkeit erscheint aber ebenso wie die bereits diskutierten Beispiele für vermeintliche Vorzüge der Schiedsgerichtsbarkeit von ambivalenter Natur. Die Bestimmung der Schiedsrichter kann ein Streitpunkt sein, der den Fortgang des Schiedsverfahrens verzögert. Ferner können trotz besonderer Fachkunde auch Schiedsrichtern Fehler unterlaufen und diese wiegen dann besonders schwer, denn ohne Instanzenzug sind sie in aller Regel irreparabel.97 Im staatlichen Instanzenzug hingegen können Fehlentscheidungen behoben werden.

III. Die Antinomie von Partei- und Allgemeininteressen in Rechtsmittelverfahren Parteien, die einen Rechtsstreit vor den staatlichen Gerichten austragen, bedienen sich der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsmitteln zum Zweck der Erlangung einer für sie vorteilhafteren gerichtlichen Entscheidung. Rechtsmittel werden mit dem Ziel angestrengt, instanzgerichtliche Urteile zu kontrollieren und richtige Entscheidungen herbeizuführen.98 Die Aufgabe der Rechtsmittel erschöpft sich aber nicht allein in der Fehlerkontrolle in Hinblick auf instanzgerichtliche Entscheidungen.99 Rechtsmitteln wird auch die Aufgabe beigemessen, die Rechtseinheit zu sichern und Rechtsfortbildung zu gewährleisten.100 Im dezentralisierten Mehrebenensystem der staatlichen Gerichtsbarkeit können sich zu 95

Seitz, Disposition über die Öffentlichkeit im Zivilprozess?, S. 169; Hamann/Lennarz, JA 2012, 801, 803. 96 Zur Bedeutung der Spezialisierung der Richter als Faktor für die Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit in der anglo-amerikanische Rechtsordnung, vgl. Murray, ZZPInt 11 (2006), 295, 299. 97 Vgl. Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1439, 1440; Schroeder, KritV 2012, 145, 152. 98 Jacoby, ZPO, 16. Kap. Rn. 648; Schilken, ZPO, § 26 Rn. 865; Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 11; G. Wagner, in: Bork/Eger/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts – Beiträge zum XI. Travemünder Symposium zur Ökonomischen Analyse des Rechts (26. bis 29. März 2008), 2009, S. 157, 158. Bezogen auf das Rechtsmittel der Berufung Zöller/Heßler, ZPO, Vorbemerkungen zu §§ 511–541 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 20. 99 Siehe zu den Zwecken der Rechtsmittelverfahren Erstes Kapitel A. II. 3. 100 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 7; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 134 Rn. 19; Schilken, ZPO, § 26 Rn. 865; G. Wagner, in: Bork/Eger/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts – Beiträge zum XI. Travemünder Symposium zur Ökonomischen Analyse des Rechts (26. bis 29. März 2008), 2009, S. 157, 159.

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gleichgelagerten Problemen abweichende Rechtsprechungslinien herausbilden. Obere Gerichte sind daher dazu berufen, durch ihre Entscheidungen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu bewahren. Eng verknüpft mit dem Streben nach Rechtseinheit ist auch die Funktion der Rechtsmittel, das Recht fortzubilden. Die Schließung von Gesetzeslücken durch die Rechtsprechung oberer Gerichte begünstigt die einheitliche Entscheidungsfällung in gleichgelagerten Fällen und gewährleistet damit auch eine gleichförmige Rechtsfortbildung.101 Die verschiedenen Aufgaben der Rechtsmittelverfahren, insbesondere des Revisionsverfahrens, die Fehlerkontrolle richterlicher Entscheidungen einerseits und die Sicherung der Rechtseinheitlichkeit und Rechtsfortbildung andererseits zu gewährleisten, stehen aber in einem Spannungsverhältnis. Die Fehlerkontrolle wird dabei vornehmlich mit Individualinteressen assoziiert, wohingegen die Ziele der Rechtseinheitlichkeit und Rechtsfortbildung mit Allgemeininteressen in Verbindung gebracht werden.102 Es verwundert daher nicht, dass Regelungen des Rechtsmittelrechts ein besonders kontroverses Thema des Zivilprozessrechts sind, da hieran viele unterschiedliche, teils divergierende Interessen anknüpfen.103 Indem das Rechtsschutzsystem der Zivilprozessordnung versucht, individuellen Parteiinteressen und Allgemeinwohlbelangen hinreichend Rechnung zu tragen, ergibt sich somit unausweichlich Konfliktpotential. Eine starke Ausprägung der Parteiherrschaft in den Rechtsmittelinstanzen kann die Erreichung des Ziels, durch obergerichtliche Entscheidungen zur Rechtseinheit beizutragen, beeinträchtigen. Denn es liegt im Individualinteresse, auch noch in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium auf die weitere Durchführung des Revisionsverfahrens verzichten zu können, während die tatsächliche Entscheidung einer grundsätzlichen Rechtsfrage im öffentlichen Interesse liegt.104 Beschränkungen des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen können wiederum ein Absinken des Rechtsschutzniveaus bewirken. Es liegt (zumindest ex ante) im beiderseitigen Parteiinteresse, möglichst weitgehenden Zugang zu Rechtsmittelverfahren zu haben, wohingegen eine Begrenzung des 101 Vgl. Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 18. 102 G. Wagner, in: Bork/Eger/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts – Beiträge zum XI. Travemünder Symposium zur Ökonomischen Analyse des Rechts (26. bis 29. März 2008), 2009, S. 157, 160. 103 Innerhalb einer Interessengruppe können Interessenlagen mitunter gegengerichtet sein, z. B. Parteiinteressen an der Richtigkeit der richterlichen Entscheidung, aber auch an der Schnelligkeit der endgültigen Entscheidungsfindung. In gleicher Weise beruhen überindividuelle Erwartungen an die Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems auf unterschiedlichen Beweggründen, z. B. konkret aus Sicht der Entscheidungsträger in höherer Instanz darauf, dass bereits investierte Arbeitskraft durch Parteihandeln nicht ohne Weiteres obsolet wird, und abstrakt auf der Notwendigkeit der Funktionsfähigkeit von Gerichten bei gleichzeitigem Willen zur Gewährleistung eines hohen Rechtsschutzniveaus. 104 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 54.

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Zugangs zu Rechtsmittelverfahren im öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit der Gerichte liegen kann. In zweierlei Hinsicht ergibt sich daher eine Antinomie von Partei- und Allgemeininteressen in Rechtsmittelverfahren. Ziel dieser Arbeit ist es daher, das Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und der Verwirklichung von Allgemeinwohlinteressen in den Rechtsmittelinstanzen näher zu beleuchten. Anlass hierzu geben jüngere Reformen der Rechtsmittelnormen.105 Im Jahr 2013 beschloss der Gesetzgeber, die Möglichkeiten parteidispositiver Streitbeendigung in der Revisionsinstanz partiell einzuschränken, um einer steigenden Tendenz zur Verhinderung höchstgerichtlicher Grundsatzentscheidungen durch Ausübung dieser Befugnisse entgegenzuwirken.106 Die ungebrochen dominierende Thematik des Rechtsmittelrechts in historischer Hinsicht, aber auch in jüngerer Zeit ist die Ausgestaltung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz. Zuletzt war dieses Thema Gegenstand gesetzgeberischer Tätigkeiten bei der Festschreibung der Wertgrenze für die revisionsrechtliche Nichtzulassungsbeschwerde im Jahr 2019.107 1. Parteiherrschaft und rechtsfortbildende Entscheidung Besonders im Revisionsverfahren treten die Spannungen zwischen dem Wunsch der Parteien des Zivilprozesses nach größtmöglicher Bewegungsfreiheit im Verfahren und dem Interesse der Allgemeinheit an einer streitigen Entscheidung des Gerichts deutlich hervor. Die Herrschaft der Parteien im Zivilprozess verwirklicht sich auch im Revisionsverfahren durch zahlreiche Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Verfahren. Ausfluss der Dispositionsmaxime ist es, dass den Parteien auch in der Revisionsinstanz eine weitgehende Freiheit zur Beendigung des Verfahrens eingeräumt wird.108 In der Revisionsinstanz ist die Ausübung dieser Verfügungsfreiheit ein Vehikel, um bei einer nachteiligen Veränderung der Prozessaussichten den Erlass einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zu verhindern. Es soll daher zunächst untersucht werden, welche Beweggründe die Parteien dazu verleiten, die Schaffung von Präjudizien durch streitige Entscheidung des Bundesgerichtshofs abwenden zu wollen. Um ein umfassendes Bild der Problematik zu schaffen, ist ferner zu beleuchten, welche prozessualen Regelungen dazu beitragen, dass die Parteien überhaupt in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung zur Verfahrensbeendigung mit dem Ziel der Abwendung eines streitigen Urteils zu fällen. Schließlich muss auch die Perspektive der Justiz eingenommen und das öffentliche Interesse an und die Bedeutung 105

Zur Vertiefung siehe Erstes Kapitel A. I. 9. Siehe BT-Drs. 17/13948, S. 35. 107 Hierzu bereits Erstes Kapitel A. I. 9. 108 Zu Ausprägungen der Dispositionsmaxime in den Rechtsmittelinstanzen siehe bereits Erstes Kapitel B. I. 1. 106

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von höchstgerichtlichen Grundsatzurteilen für den Rechtsstaat betrachtet werden. Mit diesem Hintergrundverständnis sollen Vorschläge der Prozessrechtswissenschaft bewertet werden, die sich damit befassen, auf welchem Wege eine Erhöhung der Chancen des Bundesgerichtshofs zum Erlass einer streitigen Entscheidung einer Rechtssache herbeigeführt werden kann. a) Das Individualinteresse an der Verhinderung negativer Präjudizien Sofern sich in der Revisionsinstanz eine Niederlage abzeichnet, kann ein ganz erhebliches Interesse der mit hoher Wahrscheinlichkeit unterliegenden Partei bestehen, eine streitige Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwenden. Dies beruht auf der Präjudizienwirkung obergerichtlicher Urteile. Zwar kennt das deutsche Prozessrecht anders als angloamerikanische Rechtsordnungen keine formelle Präjudizienbindung, allerdings darf die tatsächliche Bedeutung von Präjudizien als informelle Leitbilder bei der Rechtsfindung nicht unterschätzt werden.109 Richter ziehen Präjudizien als Hilfsmittel zum Zwecke richtiger Gesetzeserkenntnis und -auslegung heran und überprüfen deren sachliche Richtigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen.110 Die Heranziehung von Präjudizien zur Rechtsfindung durch Richter der unteren Instanzen wird bedingt durch den hierarchischen Charakter des Instanzenzugs. Abweichungen von der Rechtsprechung höherer Gerichte ziehen sehr wahrscheinlich ressourcenbindende Rechtsmittelverfahren nach sich und eine darauf basierende Aufhebung einer Entscheidung kann abträglich für den beruflichen Aufstieg des Richters der unteren Instanz sein.111 Daher besteht ein erheblicher binnensystemischer Anreiz zur Beachtung der Rechtsprechung der höheren Gerichte. Einer höchstgerichtlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommt aber keine Gesetzeskraft zu. Aufgrund des fehlenden Rechtsquellencharakters des Präjudizes zeitigt eine Rechtsprechungsänderung Rückwirkung.112 Aus diesem Grund kann für eine absehbar unterliegende Partei ein großes Interesse daran bestehen, auf parteiliche Dispositionsbefugnisse zur Beendigung des Revisionsverfahrens zu rekurrieren, um zu verhindern, dass die Grundsatzentscheidung über den Einzelfall hinaus Auswirkungen auf ähnlich gelagerte, bereits eingegangene rechtliche Bindungen hat.113 Präjudizien können auch über den Einzelfall hinaus das Verhalten von am konkreten Revisionsverfahren Nichtbeteiligten steuern. Aus einem Erfolgsfall, dem ein ge-

109 MünchKomm ZPO/Gottwald, Band 1, § 322 Rn. 23; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 10 f.; Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 119 f. 110 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 11. 111 Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 311. 112 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 12; Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie und juristische Methodenlehre, Rn. 249; Hirsch, VersR 2012, 929, 931. 113 Vgl. Hirsch, VersR 2012, 929, 931.

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nereller Sachverhalt zugrunde liegt, kann eine Vielzahl neuer Klagen resultieren. Eine Grundsatzentscheidung zur Wirksamkeit einer von einem großen Unternehmen standardisiert verwendeten AGB-Klausel kann so beispielsweise im Falle der Negation der Wirksamkeit im Revisionsverfahren zu erheblichen finanziellen Nachteilen für das betroffene Unternehmen führen. In den Bereichen des Versicherungs- und Bankenrechts wurde dem Bundesgerichtshof mehrmals der Entscheidungsauftrag kurz vor Verkündung eines Urteils entzogen, das zu Ungunsten von Versicherern und Banken ausgefallen wäre und für eine Vielzahl von Kunden Bedeutung gewonnen hätte.114 Eine höchstrichterliche Entscheidung bewirkt stets, dass die Entscheidung einer bestimmten Rechtsfrage vom konkreten Verfahren abstrahiert wird, damit der Klärung ähnlich gelagerter Fälle dienen kann und so Breitenwirkung entfaltet. Nachteilige Präjudizien können daher über das konkrete Verfahren hinaus zu einer Verwicklung der betroffenen Partei in eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten führen, die finanzielle Ressourcen binden. Unter ökonomischen Gesichtspunkten kann es daher günstiger sein, das Revisionsverfahren einer frühzeitigen Beendigung zuzuführen als ein negatives Präjudiz zu riskieren, das Anreize zum rechtlichen Vorgehen einer hohen Anzahl neuer Anspruchsteller generiert und damit ein größeres, mitunter unkalkulierbares wirtschaftliches Risiko hervorruft.115 Die nichtstreitige Beendigung kann somit Zeit- und vor allem Kostenvorteile mit sich bringen.116 Der Wille zur Vermeidung eines Grundsatzurteils kann daher mitunter Ergebnis einer schlichten Kosten-Nutzen-Analyse sein.117 Es offenbart sich das Dilemma, das eine parteidispositive Beendigung des Revisionsverfahrens hervorruft. Zwar ist es eine wirtschaftlich nachvollziehbare Entscheidung einer Partei, zum Schutze eigener Vermögensinteressen ein absehbar negatives, potenziell folgenreiches Revisionsurteil durch Nutzung der Möglichkeiten zur vorzeitigen Verfahrensbeendigung abzuwenden. Es kann von einer Partei nicht gefordert werden, im Interesse der Klärung einer grundsätzlichen Frage ein Urteil zu riskieren, das absehbar zu ihrem Nachteil ergehen wird.118 Von einer Verfügungsbefugnis Gebrauch zu machen, die die Zivilprozessordnung

114 Bräutigam, AnwBl 2012, 533; Brüss, VW 2010, 886; Hirsch, VersR 2012, 929. Zur Vertiefung siehe Beispielsfälle bei Hodzˇic´, Revisionsverfahren, S. 41 ff. Beispiele für vergleichbares Vorgehen aus der Arbeitsgerichtsbarkeit können nachgelesen werden bei Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 242 ff. 115 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 8; Rapp, JZ 2020, 294; Rüfner, DRiZ 1992, 457. 116 Vgl. BGHZ 10, 333, 339 = BGH, NJW 1953, 1830, 1831. 117 Kritisch von einem „Schadenmanagement durch Rechtsprechungsvermeidung“ sprechend Piontek, r + s 2016, 335; Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 8; Rüfner, DRiZ 1992, 457. 118 Hirsch, VersR 2012, 929, 930. Die Parteien eines Revisionsverfahrens haben typischerweise kein unmittelbares Interesse an der Schaffung eines Präjudizes, Kern, RePro 39 (2014), 15, 20.

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den Parteien eines Prozesses zugesteht, ist somit vollkommen legitim. Die gesetzgeberische Entscheidung, den Parteien eine Vielzahl von Dispositionsbefugnissen, gerade auch in der Revisionsinstanz, zuzugestehen, zeigt, dass die Parteien auch in der Revisionsinstanz völlig berechtigterweise über Beginn, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens bestimmen können. Dennoch haftet einem Rückzug aus dem Revisionsverfahren unter dem Eindruck einer bevorstehenden Niederlage ein negatives Stigma an.119 Dies liegt darin begründet, dass die Verwirklichung des Individualinteresses an dem Rückzug aus dem Revisionsverfahren unweigerlich dazu führt, dass die Revisionszwecke der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung nicht erreicht werden.120 Außerdem sorgt es bei den obersten Richtern (verständlicherweise) für Unmut, dass durch eine prozessbeendigende Parteihandlung auf einen Schlag über einen langen Zeitraum konzipierte Arbeitsergebnisse obsolet werden können.121 Eine Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens droht, wenn der Eindruck entsteht, dass wirtschaftsstarke Akteure in der Lage sind, sich aus einem Revisionsverfahren „herauszukaufen“. Jede angesprochene Sichtweise auf die Thematik der Beendigung des Revisionsverfahrens ohne Grundsatzentscheidung hat folglich in gewisser Weise ihre Berechtigung und hängt letztlich damit zusammen, auf welchen der beiden Revisionszwecke der argumentative Fokus gelegt wird.122 Aus dem Blickwinkel des Individualinteresses kann somit nicht von der Hand gewiesen werden, dass eine Partei, der aufgrund einer absehbaren Niederlage in der Revisionsinstanz erhebliche negative wirtschaftliche Folgen drohen, ein nachvollziehbares Interesse daran hat, das Verfahren auf möglichst kostenschonende Weise zu beenden. Die Rückwirkung einer Rechtsprechungsänderung ist der entscheidende Faktor, der nach einer negativen Grundsatzentscheidung zu einer hohen finanziellen Belastung aufgrund einer Vielzahl von neuen Klagen unter Berufung auf das neue Präjudiz führen kann. Aus Furcht vor dieser abträglichen Fernwirkung besteht ein hohes Parteiinteresse, sich abzeichnende negative Präjudizien zu verhindern.

119 Im allgemeinen Sprachgebrauch wird dieses Verhalten in aller Regel negativ konnotiert beschrieben als „Flucht aus der Revision“ oder „Freikaufen von Grundsatzentscheidungen“, Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 8; Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion, Justizressourcen effizient nutzen – Transparenz stärken, 2019, S. 2. 120 Zu diesen Revisionszwecken bereits vertieft siehe Erstes Kapitel A. II. 3. b). 121 Hirsch, VersR 2012, 929; Seiffert, r + s 2010, 177, 178. 122 Es ist die Gegensätzlichkeit der Revisionszwecke, die die Positionen zum Thema der Beendigung des Revisionsverfahrens derart unversöhnlich macht. Wenn ein Revisionsverfahren kurz vor dem Abschluss steht und sich bereits die Wahrscheinlichkeiten für oder gegen einen Prozesserfolg abgezeichnet haben, steht das Interesse der absehbar unterliegenden Partei nicht selten in diametralem Widerspruch zu dem Interesse der Richter und öffentlichen Interessen. Eine Bewertung der Neuregelungen zur Einschränkung der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz erfolgt zu späterem Zeitpunkt.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

b) Die Implikationen der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht und des Primats der gütlichen Streitbeilegung Regelmäßig besteht innerhalb eines Revisionsverfahrens die Möglichkeit, dass die Parteien im Laufe des Revisionsverfahrens ihre Prozessstrategie anpassen und bei einer absehbaren Niederlage sodann eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens bewirken. Dies beruht darauf, dass sich die Erfolgsaussichten einer Revision häufig erst nach einem Gespräch mit dem Gericht über die Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung präziser bestimmen lassen. Zu einem solchen erörternden Gespräch mit den Parteien über die Sach- und Rechtslage ist das Revisionsgericht gem. § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet. Ferner hat das Revisionsgericht gem. § 139 Abs. 2 ZPO auf bisher übersehene Gesichtspunkte hinzuweisen und gem. §§ 555 Abs. 1, 278 Abs. 1 ZPO auf eine gütliche Streitbeilegung hinzuwirken. Das Gericht kann daher keine rein passive Haltung bei der Verhandlung der Parteien über den Rechtsstreit einnehmen. Die Väter der CPO von 1877 haben dies wie folgt resümiert: „Der Vorsitzende sitzt ja nicht den verhandelnden Parteien ruhig und kalt, nur als Hörer gegenüber. Er leitet die Verhandlung, wirkt auf dieselbe fördernd ein und ist bei der Gestaltung des Rechtsstreits mittätig.“ 123

Die offene Erörterung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Parteien soll zu einer Konzentration des Rechtsstreits auf die wesentlichen Fragen und damit gleichzeitig zu einer Beschleunigung des Prozesses und einer Schonung von Justizressourcen beitragen.124 Die richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten dienen einem transparenten und fairen Verfahrensablauf.125 Die Einbindung der Parteien in einen Dialog mit dem Gericht erhöht ferner die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen.126 Obwohl das Gericht innerhalb der Grenzen des Verbots der Überraschungsentscheidung nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt ist, seine eigene vorläufige Beurteilung der Rechtslage mitzuteilen127, kann der offene Dialog zwischen dem Gericht und den Parteien die Antizipierung der späteren gerichtlichen Entscheidung erleichtern. Dies fußt nicht zuletzt darauf, dass die Beantwortung der Frage, ob Hinweise durch das Gericht zu erteilen sind, sich entscheidend nach dem materiellrechtlichen Standpunkt des Gerichts bemisst.128 Das Verbot der Überraschungsentscheidungen kann eine Offenlegung der gerichtlichen Rechtsansicht zwingend 123

Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 126. MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO, § 139 Rn. 1. 125 MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1. 126 MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO, § 139 Rn. 1. 127 BGH, NJW 1991, 704; OLG München, NJW 2016, 881, 882; Prütting/Gehrlein/ Prütting, ZPO, § 139 Rn. 5. 128 BGH, NJW 2009, 355; BGH, NJW 1991, 704; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 139 Rn. 6; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 139 Rn. 1. 124

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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erforderlich machen.129 So kann ein Rechtsmittelgericht nicht ohne Ankündigung von der Rechtsansicht der Vorinstanz abweichen, weil dies für die in der Vorinstanz siegreiche Partei überraschend wäre.130 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es, in diesem Fall der in der Vorinstanz siegreichen Partei die Möglichkeit des Diskurses über die differierenden Rechtsansichten in der mündlichen Verhandlung einzuräumen. Ferner gilt das Primat der gütlichen Streitbeilegung auch in der Revisionsinstanz. Die gütliche Streitbeilegung dient der Verfahrensbeschleunigung, der Entlastung der Gerichte sowie der Kostensenkung und fördert durch die Verringerung des Konfliktniveaus die Vermeidung künftiger Rechtsstreitigkeiten.131 Der Zweck der Vorschrift ist nicht nur, Ressourcen des Gerichts zu schonen, sondern auch, Kosten für die Parteien zu sparen.132 Ziel des richterlichen Hinwirkens auf eine gütliche Streitbeilegung ist nicht stets ein Prozessvergleich, denn eine nichtstreitige Beendigung kann in vielen Formen wie beispielsweise einer Rechtsmittelrücknahme, einem Anerkenntnis oder Verzicht erfolgen.133 Deutet sich im Verfahrensverlauf ein Erfolg oder Misserfolg des Rechtsmittels an, erfordert es das Transparenzgebot und der Vorrang der gütlichen Streitbeilegung, die Parteien auf diesen Umstand hinzuweisen und ihnen damit die Möglichkeit zu eröffnen, durch eine nichtstreitige Beendigung des Verfahrens noch vor der Entscheidung durch Urteil zu reagieren.134 Die Verpflichtung des Revisionsgerichts zur Förderung einer gütlichen Streitbeilegung bringt das Revisionsgericht jedoch in eine missliche Lage, wenn es ein Grundsatzurteil sprechen will. Es mutet paradox an, dass das Gericht eine gütliche Streitbeilegung zu unterstützen hat, obwohl es aufgrund einer rechtlichen Schwebelage eine Grundsatzentscheidung treffen möchte. Eine Ressourcenentlastung kommt in der dritten Instanz durch die Förderung gütlicher Streitbeilegung im fortgeschrittenen Verfahrensstadium zudem nicht mehr an, vielmehr kommt es zu einer Entwertung bereits eingesetzter Ressourcen.135 Nichtsdestotrotz darf dem Primat der gütlichen Streitbeilegung aus diesem Grund keinesfalls seine Seinsberechtigung im Revisionsverfahren abgesprochen werden. Der Vorrang gütlicher Streitbeilegung bietet auch im Revi129 Auf einen Beispielsfall, indem die Pflicht zu einem rechtlichen Hinweis nach § 139 ZPO zur vorzeitigen Beendigung eines Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof geführt hat, verweist Seiffert, r + s 2010, 177, 178. 130 BGH, ZfBR 2009, 241; BGH, NZBau 2006, 782, 783; BGH, NJW 1994, 1880, 1881. 131 BGH, NJW-RR 2007, 1073, 1074; MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 278 Rn. 2; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 278 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 278 Rn. 1. 132 Hirsch, VersR 2012, 929, 930. 133 MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 278 Rn. 3. 134 Hirsch, VersR 2012, 929, 930. 135 Dies zeigen die Beschwerden der Richter des Bundesgerichtshofs darüber, dass durch nicht-streitige Verfahrensbeendigung nach mündlicher Verhandlung ihre Arbeitsergebnisse wertlos werden, vgl. Hirsch, VersR 2012, 929; Seiffert, r + s 2010, 177, 178.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

sionsverfahren viele Vorteile. Eine vorzeitige Streitbeendigung im Revisionsverfahren kann eine Kostensenkung für die Parteien herbeiführen. Für die weitere Gestaltung der künftigen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien kann sie einen positiven, prozesshemmenden Effekt für die Zukunft zeitigen.136 Auf diesem Wege kann ein Beitrag zur Schonung von Justizressourcen geleistet werden. Ferner wäre es der Akzeptanz gegenüber gerichtlichem Handeln abträglich, würde ein Gericht die Vorteile einer nicht-streitigen Verfahrensbeendigung gegenüber den Parteien aus eigenwilligen Motiven verheimlichen. Die Transparenz gerichtlichen Handelns ist essenziell für ein rechtsstaatliches, faires Gerichtsverfahren. Die richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht sowie die Pflicht zur Förderung gütlicher Streitbeilegung schaffen die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, dass die Parteien eines Revisionsverfahrens im fortgeschrittenen Verfahrensstadium eine informierte Entscheidung über die Frage der Günstigkeit einer nichtstreitigen Verfahrensbeendigung treffen können. Die richterlichen Pflichten wurzeln in rechtsstaatlichen Geboten wie dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und dem Transparenzgebot. Eine nicht-streitige Beendigung des Revisionsverfahrens belastet allerdings gleichzeitig den Rechtsstaat aufgrund des Ausbleibens von Grundsatzentscheidungen. c) Die Bedeutung von Präjudizien für den Rechtsstaat Präjudizien steigern in vielerlei Hinsicht die Funktionsfähigkeit einer rechtsstaatlichen Ordnung. Unter dem Begriff der Präjudizien sind die zur Entscheidungsfindung in einem Richterspruch herangezogenen Rechtsauffassungen zu verstehen, die geeignet sind, nicht nur zur Beurteilung des Einzelfalls zu dienen, sondern auch als Maßstab für die Entscheidung künftiger Streitfälle zu fungieren.137 Das Institut des Instanzenzugs mit einem Höchstgericht an der Spitze der Hierarchie, das über Fälle entscheidet, die maßstabsbildenden Charakter für künftige Rechtsstreite haben können, ist grundlegende Bedingung dafür, dass Präjudizien Wirkung im gesamten Justizsystem entfalten können.138 Zuvörderst dienen Präjudizien der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in einer in viele verschiedene Spruchkörper unterteilten Justizstruktur. Ferner fördern Präjudizien die Vorhersehbarkeit von richterlichen Entscheidungen und stärken somit die

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Vgl. MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 278 Rn. 2. Badura, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht – Referate des 5. Deutsch-Französischen Juristentreffens in Lübeck vom 13.–16. Juni 1984, 1985, S. 49, 50; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 46. 138 Zur engen Verflechtung von Justizorganisation und Bedeutung von Präjudizien vor rechtsgeschichtlichem Hintergrund Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 84 ff. Reichskammergerichtliche Entscheidungen konnten beispielsweise mangels Veröffentlichung keinerlei Wirkung über den entschiedenen Einzelfall entfalten, siehe ferner Erstes Kapitel A. I. 4. 137

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Rechtssicherheit. Das Vorhandensein von Präjudizien ist zudem geeignet, zu einer Steigerung der Effizienz des Justizsystems insgesamt beizutragen.139 aa) Rechtseinheit und Rechtssicherheit Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist ein Gebot von Verfassungsrang. Die Verfassung richtet an die obersten Gerichtshöfe des Bundes den Auftrag, durch ihre Rechtsprechung einheitsstiftend zur gleichmäßigen Auslegung und Anwendung von Gesetzen durch Gerichte beizutragen.140 Bei divergierenden Auslegungen bundeseinheitlichen Rechts durch die Gerichte der Bundesländer droht Rechtszersplitterung.141 Unter einer solchen Rechtszersplitterung und Rechtsanwendungsungleichheit leidet die Akzeptanz der Justiz, aber auch des Rechts an sich unter den Bürgern, denn es entzieht sich der rationalen Erklärbarkeit, aus welchen Gründen einer Norm in einem Gerichtsbezirk eine bestimmte Bedeutung, in einem anderen Gerichtsbezirk aber eine andere Bedeutung zugemessen wird.142 Die Verwirklichung einer einheitlichen Rechtsprechung wird im deutschen Rechtssystem durch Zulassungs- und Vorlagepflichten angestrebt.143 Das Rechtsmittel der Revision ist nur zuzulassen bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Durch die Filterfunktion des Zulassungsgrunds der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung stellt das Verfahrensrecht sicher, dass über innerhalb der Justiz unterschiedlich bewertete Rechtsfragen stets eine klärende Entscheidung des Revisionsgerichts herbeigeführt werden kann, um bestehende Rechtsprechungsdivergenzen zu beseitigen. Grundsatzentscheidungen dienen ferner dazu, der Entstehung unterschiedlicher Beurteilungstendenzen in künftigen Fällen vorzubeugen.144 Die Antwort, die der Bundesgerichtshof auf eine strittige Rechtsfrage in seiner Urteilsbegründung liefert, wirkt als faktisches Präjudiz145, als Leitbild in die unteren Ebenen des Instanzenzugs hinein. Die Än139 Die Autorität von Präjudizien wird maßgeblich dadurch beeinflusst, dass Gerichte in der Regel beim Erlass späterer Entscheidungen auf eigene Präjudizien rekurrieren und untere Instanzen und rechtsanwendende Stellen die Präjudizien rezipieren und akzeptieren, Payandeh, JÖR 68 (2020), 1, 13. Vgl. auch Effer-Uhe, JÖR 68 (2020), 37, 54 f.; Holoubek, JÖR 68 (2020), 89, 106. 140 BeckOK GG/Morgenthaler, Art. 95 GG Rn. 3; Dürig/Herzog/Scholz/JachmannMichel, Art. 95 GG Rn. 17; vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 29. 141 Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 17. 142 F. Baur, JZ 1953, 326; vgl. Kern, ZZP 130 (2017), 137, 158. 143 Martens, JZ 2011, 348, 354; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 320. 144 Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 245; Rimmelspacher, in: Gottwald (Hrsg.), Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, 2001, S. 327, 331. 145 Vertiefend zur rechtstheoretischen Einordnung des Charakters von Präjudizien Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 116–132. Vgl. auch Loyal, JURA 2016, 1181, 1182. Bydlinski bezeichnet Präjudizien als „rechtssoziologisch interessantes Faktum“, Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 503.

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derungsbefugnisse der Rechtsmittelgerichte begründen einen weitreichenden faktischen Zwang zur Beachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung durch die Instanzgerichte.146 Erfolgt hingegen eine Parteidisposition zur vorzeitigen Verfahrensbeendigung, ergeht häufig keine inhaltlich aussagekräftig begründete Entscheidung des Revisionsgerichts mehr.147 Zur Schaffung von Präjudizien bedarf es daher stets eines streitigen Verfahrensabschlusses. Eine vorzeitige Beendigung des Revisionsverfahrens durch die Parteien durch Rücknahme des Rechtsmittels oder Erklärung eines Anerkenntnisses verhindert die Präjudizienbildung. Die streitige Entscheidung in der Revisionsinstanz ist daher Dreh- und Angelpunkt der Einheitsstiftung in der Justiz. Erst durch die faktische Bindungswirkung höchstrichterlicher Präjudizien wird im Mehrebenensystem der Justiz Rechtsanwendungsgleichheit gesichert, ohne aber die Rechtslage durch starre Präjudizienbindung zu zementieren. So wird gleichzeitig die Flexibilität der Rechtsentwicklung aufrechterhalten. 148 Ohne eine präsumtive Verbindlichkeit, eine faktischen Richtigkeitsvermutung zu Gunsten des Präjudizes, ist eine Koordinierung der Rechtsprechung nicht erreichbar.149 Die Kontrolle und Überprüfung der Instanzgerichte durch das Revisionsgericht, insbesondere dessen begründete Stellungnahme zu strittigen Rechtsfragen, garantiert Rechtseinheit.150 Bleibt eine Grundsatzentscheidung des Revisionsgerichts aufgrund nicht-streitiger Verfahrensbeendigung aus, kann die Folge das Fortbestehen einer rechtlichen Schwebelage sein.151 Unweigerlich ist damit auch die Rechtssicherheit beeinträchtigt. Die Bürger und Unternehmen orientieren sich an Präjudizien, nicht nur um Prozessaussichten zu bestimmen, sondern auch um ganz allgemein ihre Rechtsbeziehungen zu regeln, denn für die Bürger und Unternehmen besteht nicht selten kein signifikanter Unterschied in der Bedeutung und Wirkung von Gesetzesrecht und höchstrichterlichen Entscheidungen.152 Auch in der Rechtspraxis kommt höchstrichter-

146 Gaier, NJW 2016, 1367, 1369. Die faktische Präjudizienbindung begrenzt den Entscheidungsspielraum eines Richters und schränkt damit auch die Richtermacht ein, vgl. Kern, ZZP 130 (2017), 137, 168. 147 Fuchs, JZ 2013, 990, 991; Kern, RePro 39 (2014), 15, 28. 148 K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 562; Effer-Uhe, JÖR 68 (2020), 37, 61; vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 19, 37. Präjudizien können daher auch „Förderer des Wandels“ sein, Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 134. 149 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 246. Die normative Bedeutung von Präjudizien für das deutsche Rechtssystem spiegelt sich gerade in der präsumtiven Verbindlichkeit von Präjudizien wider. Abweichungen von Präjudizien werden als zumindest begründungsbedürftig wahrgenommen und die Berufung auf Präjudizien als Mittel der Begründung von rechtlichen Positionen akzeptiert, Payandeh, JÖR 68 (2020), 1, 10. Vgl. ferner den Überblick über den Meinungsstand zur Bindungswirkung von Präjudizien bei Effer-Uhe, JÖR 68 (2020), 37, 38 ff. 150 Martens, JZ 2011, 348, 354. 151 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 8. 152 Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 18; Effer-Uhe, JÖR 68 (2020), 37, 53; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 325. Die faktische Verbindlichkeit von

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lichen Präjudizien kaum geringere Bedeutung als dem Gesetzesrecht zu.153 So richtet ein Anwalt seine rechtliche Beratung an einschlägigen Präjudizien aus, um einen Prozessverlust seines Mandanten und eine eigene Haftung zu vermeiden.154 Da sich Instanzgerichte an höchstrichterlichen Präjudizien orientieren, ist den Präjudizien eine Kontinuitätsgewähr immanent.155 Präjudizien stabilisieren den Rechtsanwendungsprozess und fördern damit die Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung.156 Der rechtssicherheitsfördernde Charakter von höchstrichterlichen Präjudizien wird ferner dadurch verstärkt, dass der Bundesgerichtshof betont, selbst nur dann von seiner eigenen gefestigten Rechtsprechung abzuweichen, wenn „deutlich überwiegende oder gar zwingende Gründe für eine Abkehr von der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung sprechen“.157 Präjudizien ermöglichen damit die Bildung eines Vertrauens in eine bestimmte Rechtsentwicklung158 und erleichtern dadurch den Rechtsverkehr, den ungeklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ansonsten beeinträchtigen würden. bb) Fortentwicklung des Rechts Präjudizien tragen ferner zur Fortentwicklung des Rechts bei. Die Begründungstiefe des richterlichen Urteils korreliert mit der Strahlkraft, die das Urteil für die Rechtsfortbildung haben kann. Die Rechtsfortbildungswirkung eines Urteils ist ferner umso stärker, je höher das erlassende Gericht im Instanzenzug steht.159 Daher tragen insbesondere die höchstrichterlichen Urteile zur Fortent-

Präjudizien ist „einer der bedeutendsten Stabilisierungs- und Kontinuitätsfaktoren des Rechtslebens“, Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 511. 153 Vgl. Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 3; Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 146. 154 Loyal, JURA 2016, 1181, 1182. Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 502; Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 144, 154. 155 Vgl. Heß, DStR 2021, 1905, 1907; Loyal, JURA 2016, 1181; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 323. 156 Kriele, Rechtsgewinnung, S. 259; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 220; Badura, in: Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht – Referate des 5. Deutsch-Französischen Juristentreffens in Lübeck vom 13.–16. Juni 1984, 1985, S. 49, 52; Bryde, JÖR 68 (2020), 201, 205; Heß, DStR 2021, 1905, 1907; Loyal, JURA 2016, 1181, 1182; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 18; Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 134; vgl. ferner ders., RePro 39 (2014), 15, 19 f. Vgl. bereits Erstes Kapitel A. II. 3. d). 157 BGHZ 85, 64, 66 = BGH, NJW 1983, 228; BGHZ 87, 150, 155 f. = BGH, NJW 1983, 1610, 1611; BGHZ 88, 344, 347 = BGH, NJW 1984, 729 f.; BGHZ 113, 384, 386 = BGH, NJW 1991, 1671, 1672. Vgl. auch Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 139. Eine Abweichung von einem Präjudiz geht daher stets mit einer erhöhten Begründungslast einher, K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 567. 158 Vgl. Effer-Uhe, JÖR 68 (2020), 37, 47. 159 Lames, Rechtsfortbildung, S. 35.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

wicklung des Rechts bei.160 Die Praxis der regen Veröffentlichung höchstgerichtlicher Urteile begünstigt den wissenschaftlichen Diskurs über die Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses und seiner Begründung, welcher dann seinerseits Widerhall in der höchstrichterlichen Rechtsprechung findet und so zur Rechtsfortbildung beiträgt. Höchstrichterliche Urteile, denen ein verallgemeinerungsfähiger Sachverhalt zu Grunde liegt, sind von immenser Bedeutung für die Rechtsordnung, denn sie konkretisieren das Gesetz, wo es als generelles Regelungskonstrukt keine subsumtionsfähige Falllösung bietet.161 Grundsatzentscheidungen tragen zur Rechtsfortbildung bei, indem sie Grundsätze für die Auslegung des Rechts aufstellen und Gesetzeslücken schließen.162 Die höchstrichterliche, aber auch die Rechtsprechung insgesamt, gestaltet und ergänzt die Rechtsordnung dort, wo gesetzliche Regelungen aufgrund ihres fragmentarischen Charakters allein keine völlige Rechtsklarheit bewirken können. In Rechtsbereichen, die nur fragmentarisch ausgestaltet sind oder wo Gesetze aufgrund des Alters des Gesetzeswerks den Anforderungen des modernen Rechtsverkehrs nicht mehr hinreichend Rechnung tragen, besteht besonderer Bedarf für eine (dynamische) Fortentwicklung des Rechts durch Rechtsprechung. Die Rechtsprechung ist berufen, in Bereichen, in denen nur typisierende gesetzgeberische Regelungen existieren, diese näher zu konkretisieren.163 Führt Parteidisposition in der Revisionsinstanz dazu, dass keine Grundsatzentscheidung getroffen und damit das Recht nicht konkretisiert werden kann, entsteht ein Vakuum. Die so vereitelte Fortentwicklung des Rechts durch höchstrichterliche Rechtsprechung in diesen Bereichen beeinträchtigt die Rechtssicherheit. Hergenröder beschreibt treffend: „Die Erzeugung von Recht ist in der modernen Gesellschaft ein Ergebnis arbeitsteilig organisierter Entscheidungsleistungen, sie vollzieht sich im Gesetzgebungsverfahren und im Prozeß.“ 164

Parteidisposition im Revisionsverfahren kann daher Rechtserzeugung hemmen, die im Prozess maßgeblich durch eine ausführliche Begründung einer Rechtsauffassung im Revisionsurteil, das später durch seine Veröffentlichung in der Rechtspraxis Berücksichtigung findet, bewirkt wird. Hierdurch können auch Impulse für gesetzgeberisches Tätigwerden verloren gehen. Nicht selten zeigen höchstrichterliche Judikate gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Klarstellung der Rechtslage auf oder dienen als Blaupause für eine spätere normative Fest160 MünchKomm ZPO/Gottwald, Band 1, § 322 Rn. 23; Duve/M. Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 170. 161 Der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt eine gewisse Reservefunktion dort zu, wo das materielle Recht nur rudimentärer Natur ist und im Interesse des Rechtsverkehrs der Konkretisierung bedarf. Rechtsfortbildende Urteile sichern die Handhabbarkeit von offenen Tatbeständen, unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln in der Rechtspraxis. 162 Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 331. 163 Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 4. 164 Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 6.

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schreibung.165 Zudem entwickeln höchstrichterliche Präjudizien nicht nur selbst Recht fort, sondern dienen auch als Hilfsmittel und Stimulus für Beiträge zur Rechtsfortbildung von Instanzgerichten und Rechtswissenschaft.166 Die Ermöglichung von höchstrichterlicher Fortentwicklung des Rechts im Revisionsverfahren steht vor diesem Hintergrund im besonderen öffentlichen Interesse. cc) Effizienzsteigerung und Arbeitseinsparung innerhalb der Justiz Das Vorhandensein von Präjudizien entbindet den unabhängigen Richter nicht von seiner Verpflichtung, bei Zweifeln an der sachlichen Richtigkeit des Präjudizes sein eigenes Urteil zu bilden.167 Nach Art. 97 Abs. 1 GG ist der Richter allein dem Gesetze unterworfen. Allerdings dient das Präjudiz als Hilfsmittel der Konzipierung der eigenen richterlichen Entscheidung. Höchstrichterliche Entscheidungen, die eine fundierte Begründung zur Beantwortung einer Rechtsfrage liefern, tragen zu einer Entlastung der Instanzgerichte bei, indem sie als Anschauungsmaterial eine schnellere, aber gleichzeitig qualitativ hochwertige Entscheidungsfindung fördern. Fehlt höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungsleitbild, ist von einer höheren Belastung des Justizapparats auszugehen.168 Denn aufgrund des geringeren Grads an Berechenbarkeit der Rechtslage kann der individuelle Anreiz zur Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz für die Bürger steigen. Das Vorhandensein eines Präjudizes kann daher in zwei Dimensionen arbeitsentlastende Wirkung haben: Einerseits kann es justizintern die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung in den Instanzen erhöhen169 und andererseits durch seine externe prozesshemmende Wirkung zu einem geringeren Arbeitsanfall bei den Gerichten führen.170 Die faktische Wirkung der Präjudizien fördert damit auch eine ökonomische Verteilung der Arbeitslast zwischen den Unter- und Obergerichten. d) Reformvorschläge zur Vereinbarkeit von Parteiherrschaft und Präjudizienbildung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass Urteile des Bundesgerichtshofs, in denen das Gericht seine Rechtauffassungen begründet kundtun kann, ver165 Vgl. zum Beispiel Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, BGBl. 2017 I, S. 258 ff. 166 Vgl. Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 150 Rn. 11; Duve/M. Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 170. 167 Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 18. 168 Auf dieses Problem hinweisend Winter, NJW 2014, 267. 169 Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 18; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 504; Fuchs, JZ 2013, 990, 994; Loyal, JURA 2016, 1181. 170 Fuchs, JZ 2013, 990, 994; Kern, RePro 39 (2014), 15, 20; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 326 f. Vgl. ferner Rüthers/C. Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 244; EfferUhe, JÖR 68 (2020), 37, 46 f.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

schiedene öffentliche Interessen fördern. Nur durch begründete Urteile gelingt es, Rechtsprechungsdivergenzen zu bereinigen oder vorzubeugen, zur Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung und somit allgemein zur Rechtssicherheit beizutragen. Zudem sind Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs für die Fortentwicklung des Rechts unabdingbar. Schließlich erleichtern höchstrichterliche Präjudizien den Instanzgerichten eine zeitnahe, qualitativ hochwertige Entscheidung ähnlich gelagerter Fälle. Nicht von der Hand zu weisen ist aber auch, dass Parteien eines Revisionsverfahrens verständlicherweise ein hohes Interesse an der Abwendung einer höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung haben können, sofern eine Niederlage mit erheblichen finanziellen Auswirkungen droht. Dieser eklatante Interessengegensatz führt zurück zu den bereits analysierten Wurzeln des Revisionsverfahrens.171 Das Revisionsverfahren bedient sich der Individualinteressen, um die überindividuellen Zwecke der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung zu fördern, und kombiniert somit subjektive und objektive Elemente in einem Verfahren.172 Diese Elemente stehen in einem schier unauflösbaren Spannungsverhältnis, denn die Parteien eines Revisionsverfahrens sind sich zwar bewusst, dass ihnen nur aufgrund der Grundsatzbedeutung ihrer Streitsache das Privileg des Zugangs zur Revisionsinstanz zukommt, allerdings nehmen sie sich aus diesem Grund nicht selbst des Zieles an, eine Grundsatzentscheidung zu erreichen, sondern erstreben in erster Linie (allein) den eigenen Vorteil.173 Partei- und Allgemeininteresse stehen sich daher diametral gegenüber. Im rechtswissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs um die Thematik der Grundsatzentscheidungen verhindernden Parteidisposition in der Revisionsinstanz wurden vorwiegend die sich aus solchem Parteihandeln ergebenden Missstände betont.174 Diese Debatte kumulierte in der Gesetzesreform zur Begrenzung von Rücknahme der Revision und Anerkenntnis in der Revisionsinstanz im Jahr 2013.175 Es sollen nun der aktuelle Diskussionsstand aufgearbeitet, Reformvorschläge bewertet und auch der Frage nachgegangen werden, ob und wie Parteiherrschaft und Rechtsfortbildung im Revisionsverfahren möglichst schonend in Ausgleich gebracht werden können.

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Siehe Erstes Kapitel A. II. 3. Vgl. BVerfGE 54, 277, 289 f. = BVerfG, NJW 1981, 39, 41; Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, § 64 S. 1013. 173 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 34. 174 Siehe nur Hodz ˇ ic´, Revisionsverfahren, S. 105 ff.; Bräutigam, AnwBl 2012, 533; Hirsch, VersR 2012, 929 ff.; Klingbeil, GVRZ 2019, 14; Rüfner, DRiZ 1992, 457 ff.; Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion, Justizressourcen effizient nutzen – Transparenz stärken, 2019, S. 1 ff. 175 Siehe Erstes Kapitel A. I. 9. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Neuregelungen nimmt diese Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt vor. 172

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aa) Begrenzung der Kommunikation zwischen Parteien und Gericht Wie bereits dargelegt176, führen die Verfahrensregelungen der §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 278 Abs. 1 ZPO dazu, dass zwischen den Parteien und dem Gericht ein Austausch über die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage stattfindet, der es den Parteien ermöglicht, ihre Verfahrensstrategie anzupassen und, sofern opportun, das Revisionsverfahren ohne streitige Entscheidung zu beenden. Für das Verfahren richtungsweisende Rechtsauffassungen des Gerichts können in der Form eines richterlichen Hinweises und bei der Erörterung der Möglichkeit einer gütlichen Streitbeilegung offenbar werden. Wenn das Revisionsgericht in einem bestimmten Fall ein Präjudiz schaffen möchte, können die prozessualen Pflichten der §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 278 Abs. 1 ZPO dieses Ziel konterkarieren. Aus diesem Grund hat Kramer die Ansicht vertreten, dass der Richter sich fragen müsse, ob er eine gütliche Streitbeilegung überhaupt noch forcieren dürfe, wenn erkennbar das Ziel der parteidispositiven Streitbeendigung zum Zwecke der Abwendung eines missliebigen Präjudizes durch eine Partei verfolgt wird.177 Die Ausübung von Befugnissen zur parteidispositiven Beendigung des Revisionsverfahrens könne faktisch dadurch begrenzt werden, dass das Gericht seine Kommunikation mit den Parteien begrenzt und so über die Erfolgsaussichten der Revision „den Mantel des Schweigens hüllt“. Sofern das Revisionsgericht keinerlei Indikatoren in Hinblick auf den Prozessausgang preisgibt, sind die Parteien nicht in der Lage, ihre Erfolgsaussichten konkreter zu bestimmen und so das Drohen eines negativen Grundsatzurteils zu erkennen. Aufgrund dieser Unwissenheit der Parteien würde das Phänomen der parteidispositiven Beendigung des Revisionsverfahrens zur Vermeidung einer Grundsatzentscheidung abnehmen. Zu Recht wird den Überlegungen, im Revisionsverfahren ein gerichtliches Schweigen zu institutionalisieren178, aber überwiegend eine klare Absage erteilt. Wie Hirsch treffend zusammengefasst hat, ist es mit wesentlichen Prinzipien des Zivilprozesses unvereinbar, wenn der Bundesgerichtshof die Erörterung der Streitsache mit den Parteien einstellt, nur um keine Tendenzen in Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Revision zu erkennen zu geben und so zu erreichen, dass die Wahrscheinlichkeit einer streitigen Verfahrensbeendigung steigt.179 Eine offene Kommunikation zwischen Gericht und Parteien dient der Transparenz und Fairness des Verfahrens und ist ferner Ausfluss des Gebots des recht-

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Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. b). H. Kramer, in: Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 722, 730. 178 Die Gedanken von Kramer begrüßend Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 281. Hergenröder hält es wohl für unbedenklich, wenn das Gericht keine Anstrengungen zur gütlichen Streitbeilegung unternimmt. 179 Hirsch, VersR 2012, 929, 930; zustimmend Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 28. 177

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

lichen Gehörs. Das Rechtsgespräch ist die konkrete Handlungsform, durch die das Gericht dem Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung trägt und es umsetzt.180 Schweigen des Gerichts hingegen steht im Widerspruch zu diesen rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen.181 Zudem würde es die gesellschaftliche Akzeptanz von Revisionsentscheidungen schwächen, wenn sich die Entscheidungen dem Makel ausgesetzt sähen, „im stillen Kämmerlein“ ergangen zu sein. Allein der rechtliche Diskurs zwischen dem Gericht und den Parteien garantiert ein Grundmaß an Akzeptanz einer später ergehenden Entscheidung.182 Die Tatsache, dass sich durch die dialogische Prozessführung des Gerichts im Verlauf des Revisionsverfahrens das Entscheidungsergebnis graduell herauskristallisiert und dies den Erlass von Grundsatzentscheidungen verhindern kann, muss daher im übergeordneten Interesse an Verfahrensfairness und -transparenz hingenommen werden. Dem Revisionsgericht ist es untersagt, zum Zwecke des Erlasses einer Leitentscheidung richterliche Hinweise zu unterlassen oder den Vorrang der gütlichen Streitbeilegung zu missachten. bb) Publikation von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtseinschätzungen Eine andere, jedoch ungleich offensivere Gegenstrategie der Gerichte gegenüber parteidispositiver Beendigung des Revisionsverfahrens, die jüngst aus Anlass der Dieselverfahren große Aufmerksamkeit erlangte183, stellt die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtseinschätzungen184 dar. Der nach parteidispositiver Streitbeendigung veröffentlichte Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs zu strittigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stieß aufgrund seines Beitrags zur Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in den Massenverfahren vielfach auf positives Echo in der prozessrechtswissenschaftlichen Literatur.185 Auch in der Rechtsprechung fand der Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs großen Anklang. Mehrere, augenscheinlich durch den Bundesgerichtshof ermutigte Oberlandesgerichte veröffent-

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Ortloff, NVwZ 1995, 28, 30. Vgl. Hirsch, VersR 2012, 929, 930 f. 182 So zu Recht Ortloff, NVwZ 1995, 28, 29 f. Zur Bedeutung des Rechtsgesprächs zwischen Richtern und Anwälten vor den Revisionsgerichten Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 300. 183 Paradigmatisch BGH, NJW 2019, 1133 ff. (vollständige Fassung unter Aktenzeichen VIII ZR 225/17 auf Homepage des Bundesgerichtshofs). Siehe ferner OLG Köln, BeckRS 2018, 24255. 184 Zum Thema der gezielten Bekanntgabe von Urteilsentwürfen an die Parteien Kern, in: Basedow (Hrsg.), Time¯tikos tomos gia ton kaphe¯ge¯te¯ Nikolao K. Klamare¯, Band 2, 2016, S. 407 ff. 185 Gsell, EWiR 2019, 429, 430; Kehrberger/Roggenkemper, JR 2019, 547, 551 ff.; Staudinger/Ruks, NJW 2019, 1179, 1182. 181

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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lichten in Folge eigene Hinweisbeschlüsse zum Dieselkomplex.186 Darüber hinaus schlossen sich viele Instanzgerichte den inhaltlichen Erwägungen des Bundesgerichtshofs an, ohne erkennbar eine vertiefte Reflektion des vorläufigen Charakters der höchstrichterlichen Rechtsausführungen vorzunehmen.187 Rechtspolitisch kann zwar kein Zweifel an dem Bedürfnis nach höchstrichterlicher Klärung hochumstrittener Rechtsfragen zum Dieselkomplex bestehen. Nur so kann eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung überwunden und auch der von der enormen Anzahl von Verfahren ausgehende Druck auf das Justizsystem gemindert werden. Es verbleibt jedoch ein fader Beigeschmack, wenn ein Gericht trotz parteidispositiver Beendigung des Verfahrens eine Veröffentlichung seiner (nicht entscheidungserheblichen) Rechtsauffassungen vornimmt und sich somit darüber hinwegsetzt, dass kein Entscheidungsauftrag mehr vorliegt. Selbst im laufenden Verfahren sind Hinweisbeschlüsse, die Auskunft über Rechtsansichten des Gerichts geben, nicht ohne Weiteres unproblematisch, denn sie können in Konflikt mit den Gedanken des fairen Verfahrens und der richterlichen Unparteilichkeit geraten. Aus diesem Grund ist der Frage nachzugehen, ob die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtseinschätzungen tatsächlich ein legitimes Mittel darstellt, um die Öffentlichkeit unabhängig von streitbeendigenden Dispositionen der Parteien eines Zivilprozesses über eine höchstrichterliche Einschätzung zu rechtlichen Fragestellungen zu informieren.188 Dazu sind die Grenzen der Befugnis des Gerichts zu Hinweisen auf rechtliche Gesichtspunkte nach § 139 ZPO abzustecken. Ferner sind die Fragen des Bestehens und der Reichweite von richterlichen Publikationsrechten oder gar -pflichten zu eruieren, die die Veröffentlichung eines derartigen Hinweises auf den vorläufigen rechtlichen Standpunkt des Gerichts rechtfertigen könnten. Das Revisionsgericht ist nach § 139 Abs. 1, 2 ZPO verpflichtet, die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Fragen des Rechtsstreits mit den Parteien zu erörtern.189 Die richterliche Hinweispflicht dient der Förderung sachdienlicher Prozessführung und der Konzentration des Rechtsstreits auf die wesentlichen Fragen.190 186 OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 28021; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 18702; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 18710; OLG Karlsruhe, ZIP 2019, 863 ff.; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 3395; OLG Oldenburg, MDR 2019, 548 f.; Voß, JZ 2020, 286, 287. 187 Die Recherche in der juristischen Datenbank beck-online nach Rechtsprechung, die auf den Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs im Dieselkomplex (BGH, Beschl. v. 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 ff.) rekurriert, ergibt über 1000 Treffer, siehe als Beispiele nur OLG Bamberg, BeckRS 2021, 10356, Rn. 32, 43; OLG Karlsruhe, BeckRS 2021, 9749, Rn. 31; OLG Koblenz, BeckRS 2021, 8819, Rn. 62. 188 Instruktiv Voß, JZ 2020, 286 ff. 189 § 139 ZPO gilt aufgrund seiner systematischen Stellung im ersten Buch der Zivilprozessordnung in jeder Instanz. 190 Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 139 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, § 139 Rn. 4b, 4c.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Die Parteien sollen durch richterliche Hinweise in die Lage versetzt werden, ihre tatsächlichen und rechtlichen Argumente zu ergänzen und ihre Prozessstrategie nach eigenem Ermessen neu kalibrieren zu können.191 Darüber hinaus zielt die richterliche Hinweispflicht auf die Sicherstellung eines fairen, willkürfreien Verfahrens und die Wahrung der prozessualen Waffengleichheit ab.192 Sie verkörpert den Gedanken eines kommunikativen, dialogischen Zivilprozesses, in dem sich das Gericht aktiv um effektive, gerechte Verfahrensgestaltung bemüht.193 Aus der Verpflichtung des Gerichts nach § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, im Dialog mit den Parteien auf wesentliche rechtliche Gesichtspunkte des Rechtsstreits einzugehen und auf übersehene oder durch die Parteien übereinstimmend anders beurteilte194 rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen195, entspringt jedoch kein Gebot für das Gericht, die Parteien über ihren vorläufigen Rechtsstandpunkt zu informieren.196 Dem Gericht steht auch kein über § 139 ZPO hinausgehendes Hinweisrecht zu.197 Das Hinweisrecht ist untrennbar mit der Hinweispflicht verbunden und besteht daher nur soweit, wie der rechtliche Hinweis unter Berücksichtigung des Verfahrensstands erforderlich ist.198 191 Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 265; Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 73; Nober/Ghassemi-Tabar, NJW 2017, 3265; Voß, JZ 2020, 286, 288. 192 BVerfGE 52, 131, 156 f. = BVerfG, NJW 1979, 1925, 1927; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 139 Rn. 1; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, S. 278. 193 BeckOK ZPO/von Selle, § 139 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 139 Rn. 1; R. Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 153. 194 Eines rechtlichen Hinweises durch das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO bedarf es dann nicht, wenn eine Rechtsfrage zwischen den Parteien umstritten ist, Zöller/Greger, ZPO, § 139 Rn. 6; Voß, JZ 2020, 286, 288. Für das Gericht besteht keinerlei Anlass, sich zu positionieren, denn jede Partei muss damit rechnen, dass sich das Gericht der Ansicht des Prozessgegners anschließt, BGH, NJW 2012, 3035 f.; BGH, NJW-RR 2017, 535, 536. 195 Auf Ebene der Rechtsmittelgerichte besteht die Verpflichtung zur Erteilung eines richterlichen Hinweises insbesondere dann, wenn das Gericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und deswegen eine Ergänzung des Parteivorbringens erforderlich ist, BGH, BeckRS 2019, 25750, Rn. 5; BGH, NJW-RR 2017, 535, Rn. 10; BGH, NJW-RR 2007, 17. 196 Dies gilt, soweit der Hinweis nicht wegen des Verbots einer Überraschungsentscheidung (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO) erforderlich ist, BGH, GRUR 2013, 318, 319; BGH, GRUR 2014, 1235, 1237; BGH, BeckRS 2018, 8809, Rn. 5; MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 41; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 16; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 139 Rn. 1; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, § 139 Rn. 98, 122; Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 74. Die Offenbarung der richterlichen Rechtsansicht ist ferner kein aus Art. 103 Abs. 1 GG entfließendes allgemeines Verfassungsgebot, E. Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozeß, S. 120; R. Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 38. 197 E. Peters, Hinweispflichten, S. 106; Rensen, Hinweispflicht, S. 232 f.; Voß, JZ 2020, 286, 289. 198 Vgl. Voß, JZ 2020, 286, 292 f.; weitergehend (ohne Beschränkung auf anlassbezogene Mitteilung von Rechtsauffassungen) Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 139 Rn. 5; Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 74.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Erteilt ein Gericht einen nicht gebotenen Hinweis zu einer rechtlichen Frage, kann dies zudem bei Vorliegen konkreter Indikatoren einer Voreingenommenheit die Besorgnis der Befangenheit begründen und eine Richterablehnung gem. § 42 ZPO rechtfertigen.199 Die Besorgnis der Befangenheit kann entstehen, wenn hinreichende Verdachtsanzeichen dafür vorliegen, dass sich das Gericht durch den Hinweis auf einen bestimmten rechtlichen Standpunkt vorfestgelegt hat und den Argumenten der Parteien im laufenden Verfahren nicht mehr unvoreingenommen gegenübersteht.200 Denn ein gerichtlicher Hinweis dient dazu, mit den Parteien in einen Austausch rechtlicher Argumente einzutreten und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, durch ergänzenden Parteivortrag zu einem Wandel der Rechtsauffassung des Gerichts beizutragen.201 Aus diesem Grund hat ein richterlicher Hinweis zur Rechtslage stets vorläufigen Charakter. Die Frage der Berechtigung zur Erteilung eines Hinweises an die Parteien unter Preisgabe der vorläufigen Rechtsauffassung des Gerichts ist aber strikt von der Problematik der Zulässigkeit der Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen nach prozessbeendigender Parteidisposition zu trennen. Dem Recht zur Hinweiserteilung gegenüber den Parteien eines Rechtsstreits nach § 139 ZPO lässt sich keine Aussage darüber entnehmen, ob auch der breiten (Fach-)Öffentlichkeit der Inhalt des Hinweises zugänglich gemacht werden darf. Es ist allgemein anerkannt, dass Gerichten die Aufgabe obliegt, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.202 Das Gebot der Veröffentlichung publikationswürdiger Entscheidungen durch Gerichte wird aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratieprinzip und aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleitet.203 Ohne die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen wäre der rechtssuchende Bürger nicht in der Lage, das Ausmaß seiner Rechte und Pflichten zu erkennen und seine Prozesschancen auszuloten. Im Rechtsstaat ist es folglich unabdingbar, über die Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen ein hinreichendes Maß an Vorhersehbarkeit des Rechts herzustellen.204 Der Publikation von gerichtlichen Entscheidungen kann eine der Verkündung von 199

Voß, JZ 2020, 286, 289. R. Stürner, Richterliche Aufklärung, S. 31; Riehm, DAR 2019, 247, 248. 201 Voß, JZ 2020, 286, 289. 202 Siehe nur BVerfG, NJW 2015, 3708, 3709; BGH, NJW 2017, 1819; BVerwGE 104, 105, 109 = BVerwG, NJW 1997, 2694; OLG Karlsruhe, BeckRS 2020, 12817, Rn. 29; VGH Mannheim, BeckRS 2020, 17249, Rn. 29; OVG Lüneburg, NJW 1996, 1489; OLG Celle, NJW 1990, 2570; OVG Bremen, NJW 1989, 926, 927. 203 BVerfG, NJW 2015, 3708, 3710; BVerwGE 104, 105, 109 = BVerwG, NJW 1997, 2694, 2694 f.; OLG Karlsruhe, BeckRS 2020, 12817, Rn. 29. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des gerichtlichen Publizitätsgebots, Walker, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen, S. 132 ff., 147 ff., 153. 204 Vgl. BGH, NJW 2017, 1819, 1820; OVG Bremen, NJW 1989, 926, 927. 200

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zukommen.205 Darüber hinaus ist die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen Kernelement der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der Kontrolle der Dritten Gewalt aufgrund ihrer Impulswirkung für den Rechtsdiskurs zwischen den gerichtlichen Instanzen und mit der (Fach-)Öffentlichkeit, der die Fortentwicklung der Rechtsprechung und der Gesetzgebung erst ermöglicht.206 Dem Sinn und Zweck der Veröffentlichungspflicht gerichtlicher Entscheidungen entsprechend sind nur solche gerichtliche Voten erfasst, in denen eine endgültige gerichtliche Stellungnahme zu einer bestimmten Streitfrage niedergelegt ist.207 Nur (instanz-)abschließenden gerichtlichen Voten wie Urteilen oder urteilsersetzenden Beschlüssen kann eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zukommen. Gerichte sind folglich nur verpflichtet, publikationswürdige verfahrensabschließende Entscheidungen zu veröffentlichen.208 Auf § 139 ZPO beruhende gerichtliche Hinweise haben nur vorläufigen Charakter, denn sie sind im Verfahrensverlauf jederzeit abänderbar.209 Eine gerichtliche Positionierung ad interim kann keinesfalls gesetzesvertretende Wirkung entfalten. Die tragende Erwägung für die gerichtliche Pflicht zur Veröffentlichung verfahrensabschließender Entscheidungen, nämlich deren gesetzesähnliche Bedeutung, lässt sich für einen richterlichen Hinweis, der lediglich eine Momentaufnahme eines spezifischen Verfahrens darstellt, nicht fruchtbar machen.210 Dieser gravierende Unterschied zwischen einer verfahrensbeendigenden Entscheidung und einem vorläufigen richterlichen Hinweis lässt sich auch nicht dadurch nivellieren, dass (untergeordnete) Gerichtsinstanzen211 und (mutmaßlich) die Prozessparteien einem richterlichen Hinweis eine gefestigte Rechtsauffassung und verfahrenstranszendente Relevanz entnehmen wollen.212 Ex-post Betrachtungen vermögen die Veröffentlichung eines qua Natur nur vorläufigen rechtlichen

205 BVerwGE 104, 105, 109 = BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695; VGH Mannheim, BeckRS 2020, 17249, Rn. 29. 206 BVerwGE 104, 105, 109 = BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695; VGH Mannheim, BeckRS 2020, 17249, Rn. 29; OVG Bremen, NJW 1989, 926, 927; Albrecht, CR 1998, 373, 374; Voß, JZ 2020, 286, 289. 207 So zu Recht Voß, JZ 2020, 286, 290. 208 Putzke/Zenthöfer, NJW 2015, 1777. 209 MünchKomm ZPO/Fritsche, Band 1, § 139 Rn. 43; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 16; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 139 Rn. 6; Nober/Ghassemi-Tabar, NJW 2017, 3265, 3269; Voß, JZ 2020, 286, 290. 210 Voß, JZ 2020, 286, 290; a. A. jedenfalls mit Blick auf das zivilprozessuale Revisionsverfahren Kehrberger/Roggenkemper, JR 2019, 547, 553. 211 So etwa OLG Bremen, BeckRS 2020, 12793, Rn. 28; OLG Karlsruhe, ZIP 2019, 863, 864; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2019, 869, 869 (Leitsätze 1–3); OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 3395, Rn. 14; OLG Koblenz, BeckRS 2021, 8819, Rn. 62. 212 So wohl aber Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 86 ff.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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Hinweises nicht zu legitimieren, sondern zeigen vielmehr auf, dass die Gefahr einer Dammbruchwirkung von der Veröffentlichung vorläufiger Rechtseinschätzungen nach verfahrensbeendigender Parteidisposition ausgeht. Solchen Hinweisbeschlüssen kommt durch die Veröffentlichung und ihre ungefilterte Rezeption eine faktische Bindungswirkung zu, obwohl eine Überschreitung des richterlichen Mandats vorliegt. Denn aufgrund des Entzugs des richterlichen Entscheidungsauftrags durch streitbeendigende Parteidisposition besteht aus dem konkreten Verfahren heraus kein Anlass mehr für eine richterliche Stellungnahme zu Rechtsfragen. Würde in dieser Situation eine Publikation der vorläufigen Rechtsauffassung für legitim erachtet, stünde die Frage im Raum, warum überhaupt auf ein anhängiges Verfahren für eine ober- oder höchstgerichtliche rechtliche Stellungnahme gewartet werden muss.213 Die Gerichte könnten zur Rechtsfortbildung ohne hinreichenden Verfahrensbezug bzw. ohne Verfahrensmandat animiert werden, wodurch die Akzeptanz und Legitimität richterlicher Entscheidungen in ihrer Gänze litte. Außerdem führt die Publikation von Hinweisbeschlüssen eine schleichende Aushöhlung der Dispositionsmaxime herbei.214 Zwar verbleibt die Verfügungsherrschaft über den konkreten Streitgegenstand in den Händen der Parteien, allerdings entfaltet die Publikation von Hinweisbeschlüssen mittelbare Wirkung gegenüber den Prozessparteien über den Einzelfall hinaus. Negative Implikationen dieser Breitenwirkung bilden aber den Anlass für Prozessparteien, auf Mittel der parteidispositiven Streitbeendigung zu rekurrieren. Werden Hinweisbeschlüsse veröffentlicht, führt dies somit zu einer substanziellen Beschneidung der Parteiherrschaft.215 Ferner lässt sich eine Publikation von Hinweisbeschlüssen durch Gerichte nicht durch ein bestimmtes Prozesszweckverständnis legitimieren. Der Bundesgerichtshof ist nicht berufen, durch die eigenmächtige Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen den öffentlichen Revisionszweck der Wahrung der Rechtseinheitlichkeit und der Rechtsfortbildung zu verwirklichen.216 Nach der hier vertretenen Auffassung stehen sich Partei- und Allgemeininteresse im Revisionsverfahren gleichwertig gegenüber, ohne dass bei einer globalen Betrachtung der Regeln des 213

Vgl. Riedel, NJW-Editorial Heft 13/2019. Hirtz, AnwBl 2019, 337. 215 A. A. Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 85. 216 In diesem Sinne aber Kehrberger/Roggenkemper, JR 2019, 547, 553. Öffentliche Revisionszwecke begründen keinen hinreichenden Legitimationsgrund für die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen durch das Revisionsgericht, so zu Recht Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 90 f. Noch weniger ist es Aufgabe der Berufungsinstanzen, Hinweisbeschlüsse zu erlassen, denn sie haben primär den individuellen Rechtsschutz zu gewährleisten, vgl. Erstes Kapitel A. II. 3. und Voß, JZ 2020, 286, 291. Nichtsdestotrotz von dem Mittel der Hinweisbeschlüsse Gebrauch machend OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 28021; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 18702; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 18710; OLG Karlsruhe, ZIP 2019, 863 ff.; OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 3395; OLG Oldenburg, MDR 2019, 548 f. 214

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Revisionsverfahrens in seiner Gesamtheit den öffentlichen Revisionszwecken oder dem Individualschutz ein Vorrang einzuräumen wäre.217 Das Ausbalancieren der sich antinomisch gegenüberstehenden Partei- und Allgemeininteressen in den einzelnen Regelungen des Revisionsrechts ist Sache des Gesetzgebers. Sollte der Gesetzgeber es für angezeigt halten, den Grundsatz der Parteiherrschaft im Revisionsverfahren (weiter) zurückzudrängen und dem Bundesgerichtshof ein Mandat zur Veröffentlichung von rechtlichen Voten unabhängig von einer streitbeendigenden Parteidisposition zu erteilen, ist dessen Tätigwerden erforderlich.218 Solange dies nicht der Fall ist, muss einer parteidispositiven Streitbeendigung hinreichende Beachtung geschenkt werden. Sie darf nicht durch eine nicht mandatierte Publikation eines Hinweisbeschlusses unterlaufen werden. Schließlich besteht die Gefahr, durch eine exzessive Veröffentlichungspraxis mit Blick auf Hinweisbeschlüsse auf höchstgerichtlicher Ebene das Ziel zu konterkarieren, die Rechtsfortbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs zu stärken. Die Parteien werden in Zukunft in ihre Erwägungen bezüglich der Zweckmäßigkeit der Einlegung der Revision einbeziehen müssen, dass Hinweisbeschlüsse erteilt und veröffentlicht werden können.219 Folglich ist die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtsauffassungen durch Gerichte kein zulässiges oder gar begrüßenswertes Mittel, um auf eine parteiliche Abwendung einer ober- oder höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung zu reagieren.220 cc) Ansätze Hergenröders: Veröffentlichung von obiter dicta Ein weiterer Gedanke, wie es dem Revisionsgericht ermöglicht werden kann, im Falle der nicht-streitigen Beendigung des Revisionsverfahrens nichtsdestotrotz durch eine begründete Entscheidung Präjudizien zu schaffen, geht auf Her217

Siehe Erstes Kapitel A. II. 3. d). Vgl. Voß, JZ 2020, 286, 291. 219 Vgl. Hirtz, AnwBl 2019, 337. 220 In diesem Sinne kritisch auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 16; Voß, JZ 2020, 286, 292 f.; Hirtz, AnwBl 2019, 337; Riehm, DAR 2019, 247, 248; S. Arnold hält die Veröffentlichung von höchstrichterlichen Hinweisbeschlüssen für ein „ungewöhnliches Vorgehen“, siehe S. Arnold, JuS 2019, 489; J. Bruns spricht von einer „Abweichung von bisheriger Praxis“, siehe J. Bruns, NJW 2019, 2211, 2213; Gsell kommetiert das Vorgehen als „unübliche Veröffentlichung“, siehe Gsell, EWiR 2019, 429, 430; Ring erachtet die Veröffentlichung von höchstrichterlichen Hinweisbeschlüssen als Verfahrensweise „entgegen aller Gepflogenheiten“, siehe Ring, SVR 2019, 161; a. A. Laukemann, ZZP 134 (2021), 67, 90 f.; Heese, JZ 2019, 429, 438; Kehrberger/Roggenkemper, JR 2019, 547, 552 f.; wohl auch Staudinger/Ruks, NJW 2019, 1179, 1182 mit Hinweis auf volkswirtschaftliche Schäden durch die Verhinderung von Grundsatzentscheidungen; Riedel bewertet die Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen als „legitim aus Gründen der Transparenz“, siehe Riedel, NJW-Editorial Heft 13/2019; Heese, NJWEditorial Heft 49/2018; Huff, DRiZ 2008, 239. 218

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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genröder zurück. Für die Fälle des Anerkenntnisses und des Verzichts in der Revisionsinstanz hebt er hervor, dass es § 313b Abs. 1 S. 1 ZPO dem Gericht auch beim Erlass eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils ermögliche, einen Tatbestand und Entscheidungsgründe abzufassen.221 § 313b ZPO stelle für Anerkenntnis- oder Verzichtsurteile das Weglassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen in das Ermessen des Gerichts, welches damit frei in der Entscheidung sei, zu den aufgeworfenen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung in einem obiter dictum Stellung zu nehmen.222 Auch für andere Formen der parteidispositiven Beendigung in der Revisionsinstanz wie die Klagerücknahme, Rechtsmittelrücknahme sowie den Prozessvergleich sieht Hergenröder in den entsprechend daraufhin ergehenden Beschlüssen Raum für die Mitteilung von Rechtsauffassungen des Revisionsgerichts in obiter dicta.223 Könnte das Revisionsgericht ganz unabhängig von einer nicht-streitigen Beendigung seine Rechtauffassung zu von den Parteien fallen gelassenen Streitpunkten kundtun, wäre auf einmal jegliches Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und Rechtsfortbildung in der Revisionsinstanz aufgelöst. Hergenröder verkennt jedoch, dass eine streitbeendende Parteidisposition dem Gericht das Recht zur Entscheidung in der Sache entzieht. Eine Prüfung der Sach- und Rechtslage ist dem Gericht bei einem wirksam erklärten Anerkenntnis oder Verzicht nicht mehr gestattet.224 Es ist daher zutreffend, ein Zurückgreifen des Revisionsgerichts auf obiter dicta im Falle parteidispositiver Verfahrensbeendigung als „eigenmächtige Erweiterung des verfahrensrechtlichen Mandats des Bundesgerichtshofs“225 einzuordnen. Es ist als gesetzgeberische Grundentscheidung hinzunehmen, dass Rechtsfortbildung im Zivilprozess über ein Parteirechtsmittel erfolgt und dass das Mandat des Bundesgerichtshofs zur sachlichen Entscheidung nur im Rahmen konkreter, fortbestehender Streitigkeiten besteht. Judikative Rechtserzeugung ist nur soweit legitim, wie abstrakt-generelle Rechtsausführungen eines Gerichts auch entscheidungserheblich sind.226 Dem Bundesgerichtshof ist es daher versagt, bei Ausbleiben einer erwünschten Grundsatzentscheidung wegen parteidispositiver Verfahrensbeendigung rechtliche Erwägungen anlasslos anderweitig zu platzieren.

221

Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 248. Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 248. Zum Ermessen eröffnenden Charakter des § 313b Abs. 1 S. 1 ZPO BeckOK ZPO/Elzer, § 313b Rn. 25; Zöller/Feskorn, § 313b Rn. 2; MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 313b Rn. 4. 223 Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 250 ff. 224 MünchKomm ZPO/Musielak, Band 1, § 307 Rn. 1; Stein/Jonas/Kern, ZPO, Band 2, vor § 128 Rn. 168; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 307 Rn. 10; Wieczorek/ Schütze/Rensen, ZPO, Band 5, Teilband 1, § 307 Rn. 19; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 76 Rn. 3. 225 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 32. 226 Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 213, 452 f. 222

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

dd) Ansätze Hergenröders: Verhinderung eines negativen Präjudizes als prozessuale Arglist Hergenröder hat daneben noch einen weiteren Lösungsweg zur Begrenzung von parteidispositiver Verfahrensbeendigung vorgeschlagen. Solchen Prozesshandlungen, die nur deshalb vorgenommen werden, um ein nachteiliges Präjudiz zu verhindern, sei die Wirksamkeit zu versagen, soweit der schützenswerte Verfahrenszweck es erfordere.227 Verfahrensbeendigenden Prozesshandlungen, die allein auf die Abwendung eines negativen Präjudizes abzielen, fehle es aufgrund ihrer Prozesszweckwidrigkeit an einem Rechtsschutzbedürfnis und daher sei ihnen aufgrund des Verstoßes gegen das prozessuale Arglistverbot die Wirksamkeit zu versagen.228 In Fällen, in welchen die Beendigung des Prozesses durch eine Partei nach richterlicher Aufklärung über den rechtlichen Standpunkt des Gerichts im Wege des Anerkenntnisses oder des Verzichts veranlasst wird, spreche eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen prozessualer Arglist in Form von rechtsmissbräuchlichem Handeln.229 Ein „Freikaufen“ von einem mit Gründen versehenen Urteil solle im öffentlichen Interesse an obergerichtlichen Entscheidungen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht möglich sein.230 Außerhalb der Fälle des Rechtsmissbrauchs erfordere eine entsprechende Modifikation der Dispositionsmaxime eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Parteien an einer vorzeitigen Verfahrensbeendigung und des öffentlichen Interesses an einer Grundsatzentscheidung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.231 Auch dieser Vorschlag Hergenröders vermag nicht zu überzeugen. Einer verfahrensbeendigenden Parteidisposition in den oberen Instanzen den Makel der Rechtsmissbräuchlichkeit zuzuschreiben, ist nicht gerechtfertigt. Die Ausübung von durch den Gesetzgeber gewährten Dispositionsbefugnissen ist grundsätzlich legitim und kann nicht per se mit einer Vermutung arglistigen Verhaltens belegt werden. Auch wenn das Revisionsverfahren der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung dient, verfolgen die Parteien im Verfahren stets ihre Individualinteressen und nehmen sich in aller Regel nicht des Zieles an, eine Grundsatzentscheidung zu erreichen.232 Bürger sind als (potenzielle) Prozessparteien nicht verpflichtet, Prozesse anzustrengen oder zu Ende zu führen.233 Wie bereits thematisiert234, 227

Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 283. Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 282 f.; Hergenröder, in: Farthmann/Hanau/Isenhardt u. a. (Hrsg.), Arbeitsgesetzgebung und Arbeitsrechtsprechung – Festschrift zum 70. Geburtstag von Eugen Stahlhacke, 1995, S. 157, 171. 229 Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 282 f.; Hergenröder, in: FS Stahlhacke, S. 157, 172. 230 Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 283 f. 231 A. a. O., S. 284. 232 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 34. 233 Rüfner, DRiZ 1992, 457. 228

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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geht es den Prozessparteien, die ihr Verfahren nicht zu Ende führen wollen, beim Rückzug aus dem Prozess nicht allein um die Abwendung eines Grundsatzurteils, sondern vielmehr in erster Linie um eine kostengünstige und schnelle Erledigung ihres Rechtsstreits. Das Ausbleiben einer Grundsatzentscheidung ist ein notwendiges Nebenprodukt einer der eigenen Vorteile Rechnung tragenden Prozessstrategie. Eine solche Prozessstrategie ist vollkommen legitim, denn es kann von einer Partei nicht gefordert werden, im Interesse der Klärung einer grundsätzlichen Frage ein Urteil zu riskieren, das absehbar zu ihrem Nachteil ergehen wird.235 Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten ist in dem Gebrauchmachen von einem durch die Prozessordnung eingeräumten Instrument nicht zu erblicken.236 Vielmehr erscheint das Postulat prozessualer Arglist Mittel zum Zweck, dem Gericht ein Recht auf den Erlass eines streitigen Urteils zu verschaffen und so sein Mandat illegitim auf die Beantwortung abstrakter Fragestellungen zu erstrecken, deren Beantwortung im konkreten Verfahren nicht mehr veranlasst ist. Der Rechtsfortbildungszweck rechtfertigt aber kein Recht auf den Erlass eines streitigen Urteils.237 Es gibt kein Recht des Gerichts, bei parteidispositiver Verfahrensbeendigung das Verfahren als objektives Verfahren, zu dem es bei Wegfall des Streitanlasses wird, fortzuführen.238 Spiegelbildlich kann eine Pflicht der Parteien zur streitigen Verfahrensbeendigung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbräuchlichkeit somit nicht begründet werden.239 Ferner bleibt bei Hergenröders Vorschlag unklar, unter welchen Umständen die Parteien außerhalb eines (vermeintlich) eindeutigen Rechtsmissbrauchs zur streitigen Verfahrensfortführung verpflichtet sein können, weil der Eingriff in ihre Dispositionsfreiheit als verhältnismäßig zu bewerten ist. Der Begriff der Rechtsmissbräuchlichkeit ist aufgrund seiner Wertungsoffenheit bereits schwer zu fassen. Eine Abgrenzung zu Fällen, in denen mangels eindeutiger Rechtsmissbräuchlichkeit eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der Parteien an einer vorzeitigen Verfahrensbeendigung und dem öffentlichen Interesse an einer Grundsatzentscheidung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist, scheint unmöglich. Angesichts der tragenden Bedeutung der Dispositionsmaxime im Zivilprozess240 erscheint es darüber hinaus mehr als fragwürdig, die Frage ihrer Einschränkbarkeit jemand anderem als dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber zuzuweisen. Der Lösungsansatz Hergenröders ist demnach insgesamt abzulehnen. 234 235 236 237 238 239 240

Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. a). Hirsch, VersR 2012, 929, 930. So mit Recht Heinze, RabelsZ 80 (2016), 254, 281; Rapp, JZ 2020, 294, 295. Lames, Rechtsfortbildung, S. 125. Rüfner, DRiZ 1992, 457. Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 34. Siehe bereits Erstes Kapitel B. I. 1.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

ee) Vorschlag Hodzˇic´s: Verfahrensbeteiligung eines objektiven Dritten Mit der Thematik der Begegnung des Phänomens der prozesstaktischen Beendigung des Revisionsverfahrens ohne streitiges Urteil in versicherungsrechtlichen Streitigkeiten hat sich Hodzˇic´ befasst. Einschränkungen der Dispositionsmaxime seien besonders im Versicherungsrecht aufgrund der hohen wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Versicherungswirtschaft gerechtfertigt.241 Eine effektive, gleichzeitig aber verhältnismäßige Beschränkung der Möglichkeiten der parteidispositiven Verfahrensbeendigung in Rechtsstreitigkeiten aus oder in Verbindung mit dem VVG sei durch die Beteiligung eines Dritten, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), zu gewährleisten.242 Hodzˇic´ greift erkennbar auf die im Verwaltungsprozessrecht verankerte Figur des Vertreters des öffentlichen Interesses zurück und will der BaFin in versicherungsrechtlichen Streitigkeiten eine Befugnis zur Beteiligung am Revisionsverfahren einräumen.243 Im Fall einer Verfahrensbeteiligung der BaFin soll eine Rücknahme der Revision nach Beginn der mündlichen Verhandlung nur noch bei Einwilligung der BaFin zulässig sein.244 Wenn ein Verfahren, an dessen Fortführung die Parteien kein Interesse mehr haben, aufgrund der fehlenden Billigung einer parteidispositiven Verfahrensbeendigung durch die BaFin im öffentlichen Interesse fortgesetzt wird, soll den Parteien eine Kostenentlastung zu Gute kommen.245 Konsequenz des Vorschlags von Hodzˇic´ ist, dass die Zulässigkeit verfahrensbeendigender Parteidispositionen in der Revisionsinstanz von der Entscheidung eines Dritten abhängig wird. Damit wird die Bestimmungsfreiheit der Parteien über die Verfahrensbeendigung erheblich beschnitten. Parteiautonome Entscheidungen zur Verfahrensbeendigung werden mit Ausnahme des Prozessvergleichs unterbunden.246 Angesichts der Schärfe des Eingriffs in die Dispositionsmaxime stünde nicht nur zu befürchten, dass die Parteien vermehrt auf Prozessvergleiche rekurrieren und so fortan verbissene Vergleichsverhandlungen versicherungsrechtliche Revisionsverfahren prägen würden.247 Ferner könnten sich die Bemü241

Hodzˇic´, Revisionsverfahren, S. 127 f. Hodzˇic´, Revisionsverfahren, S. 128. 243 Hodz ˇ ic´, Revisionsverfahren, S. 131, siehe insb. dort Fn. 698. 244 Darüber hinaus soll der Erlass eines Anerkenntnisurteils von einem Antrag der BaFin abhängig sein und eine übereinstimmende Erledigungserklärung nur dann Wirkung entfalten, wenn auch die BaFin der Erledigung zustimmt. Allein der Abschluss eines Prozessvergleichs könne aufgrund der Vertragsfreiheit der Parteien auch bei einer Beteiligung der BaFin nicht ausgeschlossen werden, Hodzˇic´, Revisionsverfahren, S. 131 f. 245 Hodz ˇ ic´, Revisionsverfahren, S. 133 ff. 246 Dies widerspricht erkennbar dem Willen des Gesetzgebers: „Dem Kläger darf aber schon wegen des auch in der Revisionsinstanz geltenden Grundsatzes der Dispositionsmaxime der Weg zum Anerkenntnisurteil nicht gänzlich abgeschnitten werden“, BT-Drs. 17/13948, S. 35. 247 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 37. 242

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hungen der Parteien zu einer gütlichen Streitbeilegung auf die Berufungsinstanz verlagern, die ihnen mehr Handlungsspielraum ermöglicht, sodass darunter die Attraktivität des Revisionsverfahrens insgesamt leidet. Zwar bedingt der Vorschlag von Hodzˇic´, dass aufgrund der Einschränkungen der parteilichen Dispositionsfreiheit potenziell mehr Grundsatzentscheidungen ergehen können. Allerdings verpufft der gewünschte Effekt, wenn dadurch die Anstrengung eines Revisionsverfahrens so unattraktiv wird, dass die Parteien hiervon absehen. Denn in eine Prozessstrategie ist immer einzubeziehen, welche Möglichkeiten bestehen, ein nachteiliges Urteil abzuwenden. Ist es im Revisionsverfahren weitgehend ausgeschlossen, nach dem Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung eine einseitige verfahrensbeendigende Disposition vorzunehmen, kann dies ein Risikofaktor sein, der den Willen einer Partei zur Inanspruchnahme der Revisionsinstanz hemmt. Die starke Einschränkung der Dispositionsfreiheit über die Verfahrensbeendigung und damit auch der einvernehmlichen, gütlichen Streitbeilegung konfligiert ferner mit dem auch in der Revisionsinstanz geltenden Primat der gütlichen Streitbeilegung.248 Der massive Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Parteien kann auch nicht dadurch abgefedert werden, dass den Parteien bei Fortführung des Verfahrens gegen ihren Willen wegen fehlender Zustimmung der BaFin eine Kostenentlastung zuteil wird. Denn wie bereits aufgezeigt wurde, liegt die Belastung durch ein Revisionsurteil für die unterliegende Partei häufig nicht in den Kosten des einzelnen Revisionsverfahrens an sich, sondern in dessen Breitenwirkung, die dazu führen kann, dass die unterliegende Partei in weitere kostenträchtige Rechtsstreitigkeiten verwickelt wird.249 Eine Beteiligung eines außenstehenden Dritten an einem gerichtlichen Verfahren und dessen Ausstattung mit extensiven Veto-Rechten, die Folgen von immenser Tragweite für die Privatrechte eines Einzelnen bedingen können, kann in einem Verfahren wie dem Zivilprozess, in dem der Individualrechtsschutz von zentraler Bedeutung ist, nicht befürwortet werden. ff) Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof Ein weiteres Lösungsmodell, das Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion um die Stärkung der Wirkungskraft der Revisionsinstanz ist, ist der Vorschlag der Einführung eines Vorlageverfahrens zum Bundesgerichtshof im Zivilverfahren anstelle250 oder neben251 der Revision als Parteirechtsmittel. Jüngst wurde dafür plädiert, ein vom Parteiwillen unabhängiges Vorlageverfahren zum

248 Vgl. Althammer, in: A. Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 87, 101. 249 Vgl. Zweites Kapitel A. III. 1. a). 250 Siehe H. Roth, JZ 2006, 9, 17. 251 Rapp, JZ 2020, 294 ff.

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Bundesgerichtshof nach Vorbild der französischen saisine pour avis252 einzuführen. Ziel des französischen Verfahrens ist die Klärung bislang offener Rechtsfragen durch die Cour de Cassation (Kassationshof).253 Die Instanzgerichte (Tribunal judiciaire oder Cour d’Appel) können die Stellungnahme des Kassationshofs zu einer ungeklärten und schwierigen Rechtsfrage einholen.254 Das instanzgerichtliche Verfahren wird bis zum Erlass der Stellungnahme durch den Kassationshof ausgesetzt.255 Der Kassationshof erteilt seine Stellungnahme binnen drei Monaten nach Eingang der Vorlageakte.256 Diese Stellungnahme zeitigt keine strikte, aber doch faktische Bindungswirkung.257 Die Instanzgerichte sollen dem Bundesgerichtshof in Anlehnung an den französischen Prototyp Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorlegen können. Nachdem ein unteres Gericht den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zur Vorlagefrage gegeben hat, trifft es einen unanfechtbaren Aussetzungs- und Vorlagebeschluss.258 Der Bundesgerichtshof soll sodann im Beschlusswege über die vorgelegte Rechtsfrage259 entscheiden. Eine verfahrensbeendende Parteidisposition in der unteren Instanz soll auf das Entscheidungsmandat des Bundesgerichtshofs keine Auswirkung haben.260 Vorteil der Einführung eines zivilprozessualen Vorlageverfahrens sei die erhebliche Effektivierung der Rechtsdurchsetzung.261 Die vorgeschaltete Rechtsklärung durch den Bundesgerichtshof führe zur Einsparung von Ressourcen, denn die Belastung der Instanzgerichte mit gleichgelagerten Fällen werde gemindert.262 252 Art. 1031 Code de procédure civile. Zur Ausgestaltung der saisine pour avis Rapp, JZ 2020, 294, 297. 253 Das französische Recht kennt zudem ein Rechtsmittel „im Interesse des Rechts“ (pourvoi dans l’intérêt de la loi), welches auf Initiative eines staatlichen Beamten (unabhängig von dem Parteiwillen) gegen gesetzwidrige Entscheidungen beim Kassationshof eingelegt werden kann, Kern, RePro 39 (2014), 15, 24 f. Näher zur französischen Gerichtsorganisation mit Blick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters siehe ders., ZZP 130 (2017), 91, 106 ff. 254 Gem. Art. 1031-1 Abs. 1 Code de procédure civile teilt der Richter, der ein Vorlageverfahren anstrengen will, sein Ansinnen den Parteien mit und gibt Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist. 255 Art. 1031-1 Abs. 2 Code de procédure civile. 256 Art. 1031-3 Code de procédure civile. 257 Rapp, JZ 2020, 294, 297. 258 Rapp, JZ 2020, 294, 302. 259 Dem Beschluss soll zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit keine Bindungswirkung zukommen, Rapp, JZ 2020, 294, 302. Außerdem will Rapp die dreimonatige Frist für den Erlass der Stellungnahme durch den Kassationshof nicht in das deutsche Recht übertragen. 260 Ebenda. 261 Rapp, JZ 2020, 294, 300. 262 Rapp, JZ 2020, 294, 301. Zu der Bedeutung von höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen siehe bereits Zweites Kapitel A. III. 1. c).

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Vorlageverfahren sind der Zivilprozessordnung nicht unbekannt. Ein Beispiel für ein interinstanzielles Vorlageverfahren war das frühere Rechtsentscheidverfahren im Wohnraummietrecht263, § 541 ZPO a. F., wonach ein erstinstanzlich entscheidendes Landgericht, sofern es bei der Entscheidung einer Rechtsfrage im Anwendungsbereich der Norm von der Rechtsprechung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen wollte, zunächst eine bindende Entscheidung des Oberlandesgerichts herbeiführen musste. Die gleiche Vorlagepflicht traf das Oberlandesgericht, sofern es in der Entscheidung einer Rechtsfrage von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichen wollte. Durch eine Bindung an die obergerichtliche Entscheidung der Rechtsfrage gem. § 541 Abs. 1 S. 5 ZPO a. F. war der unteren Instanz der Inhalt ihrer Entscheidung partiell vorgegeben. Ein Rechtsentscheid konnte nach umstrittener überwiegender Auffassung nicht mehr ergehen, wenn die Vorlagefrage aufgrund parteidispositiver Verfahrensbeendigung nicht mehr entscheidungserheblich war.264 Der Rechtsentscheid vermochte es aber nicht, sich zu bewähren, denn die Begründung des Vorlagebeschlusses stellte sich als eine Aufgabe von hoher Zeitintensität dar.265 Die Bereitschaft der Instanzgerichte zur Vorlage von Rechtsfragen hielt sich daher in engen Grenzen.266 Entsprechend gering war der Gewinn für die Rechtsvereinheitlichung im Wohnungsraummietrecht durch den Rechtsentscheid. Aufgrund dieser Erfahrungen der Vergangenheit darf bezweifelt werden, dass eine Ergänzung des Parteirechtsmittels der Revision um ein Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof den Zwecken der Rechtsvereinheitlichung und der Rechtseinheitlichkeit besser dienen würde. Es ist zumindest fraglich, ob unter der Voraussetzung des Erfordernisses einer Vorlageinitiative aus der Richterschaft der Bundesgerichtshof mehr Grundsatzentscheidungen fällen könnte als im Falle der Notwendigkeit einer Parteiinitiative, denn für die Parteien eines Rechtsstreits besteht aus monetären Gründen ein starker Eigenanreiz, eine weitere Instanz zu einzuschalten. Darüber hinaus sind Zweifel angebracht, ob die Einführung eines Vorlageverfahrens überhaupt zu einer signifikanten Effektivierung der Rechtsdurchsetzung beitragen könnte. Die Einführung eines Vorlageverfahrens bedeutet eine deutliche Mehrbelastung der Instanzgerichte. Die Zulassung einer Revision im Tenor

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Monographisch Willingmann, Rechtsentscheid, passim. Betreffend die parteidispositive Verfahrensbeendigung durch übereinstimmende Erledigungserklärung BayObLGZ 1987, 254 f.; OLG Oldenburg, ZMR 1989, 299; OLG Hamm, NJW-RR 1992, 146; a. A. BayObLG, NJW 1981, 580, 581; Willingmann, Rechtsentscheid, S. 184. 265 H. Roth, JZ 2006, 9, 17. 266 H. Roth, JZ 2006, 9, 17. 264

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

einer Berufungsentscheidung, die keiner Begründung bedarf 267, ist ungleich weniger arbeitsintensiv als die Begründung einer Vorlagefrage.268 Bei einer bereits gegenwärtig sehr hohen Belastung der Instanzgerichte269 könnte sich diese zusätzliche Strapazierung der Instanzgerichte nachteilig auf die sonstigen durch sie zu erledigenden Verfahren auswirken. Der erhoffte Entlastungseffekt für die Instanzgerichte durch den Rückgang gleichgelagerter Verfahren aufgrund der vorgeschalteten Klärung spezifischer Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof könnte so deutlich gemindert sein.270 Zwar könnten strittige Rechtsfragen möglicherweise einer zeitnäheren Klärung durch den Bundesgerichtshof zugeführt werden271, gleichzeitig bliebe aber zu befürchten, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer vor den Instanzgerichten einen deutlichen Anstieg verzeichnen würde. Aus einem globalem Blickwinkel auf die Ziviljustiz wird daher ohne eine deutliche Stärkung der personellen Ressourcen der unteren Instanzen kaum eine erhebliche Effektivierung des Rechtsschutzes durch ein Vorlageverfahren zu erreichen sein. Zudem bedeutet eine vorgezogene Klärung einer Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof eine Schwächung des instanziellen Kontrollsystems bezüglich der Rechtsfrage. Obwohl dem Beschluss des Bundesgerichtshofs zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit der Richter an den Instanzgerichten keine strikte Bindungswirkung zukommen soll, wird sich dennoch eine faktische Bindungswirkung einstellen.272 Der fruchtbare Diskurs über strittige Rechtsfragen innerhalb der Ziviljustiz zwischen Instanzgerichten und Bundesgerichtshof 273, der maßgeblich auf der sorgfältigen, vertieften Prüfung und Entscheidung komplexer Rechtsfragen durch die Instanzgerichte beruht, könnte Schaden nehmen.274 Die 267 MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 543 Rn. 29; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 543 Rn. 14; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 543 Rn. 55. 268 H. Roth, JZ 2006, 9, 17. 269 Im Jahr 2019 lag die Belastung von Richtern am Amtsgericht bei Ø 522,5 Verfahren, bei Richtern am Landgericht als erster Instanz bei Ø 158,6 Verfahren und als Berufungsinstanz bei Ø 146,0 Verfahren, Bundesamt für Justiz, Geschäftsentwicklung der Zivilsachen – Amts-, Land- und Oberlandesgerichte 1995–2019, 2020, S. 3. 270 A. A. Rapp, JZ 2020, 294, 301. 271 Angesichts der hohen Belastung des Bundesgerichtshofs ist selbst diese These mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. 272 Zur faktischen Bindungswirkung von Präjudizien im deutschen Recht siehe bereits Zweites Kapitel A. III. 1. c). 273 Der Diskurs zwischen den Instanzen der Ziviljustiz erhöht die Legitimität der richterlichen Entscheidungsfindung. Jegliche beschränkende Einwirkung hierauf ist somit begründungsbedürftig, vgl. Rennert, DVBl 2017, 857, 858. 274 Dies gilt dann, wenn die Begründung des Vorlagebeschlusses keine ausführliche Auseinandersetzung mit der vorzulegenden Rechtsfrage erfordert. Die Vorlage könnte zur Möglichkeit werden, sich der eigenen Entscheidungspflicht zu entziehen, vgl. Willingmann, Rechtsentscheid, S. 224. Stellt der Gesetzgeber für den Fall der Einführung eines Vorlageverfahrens hingegen sehr hohe Anforderungen an die Begründung einer Vorlage, ergibt sich das bereits angesprochene Problem. Die Bereitschaft der Instanz-

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Einführung eines Vorlageverfahrens könnte dazu führen, dass weniger eigene Impulse für die Fortbildung des Rechts von den unteren Instanzen ausgehen.275 Insgesamt erscheint es folglich nicht zielführend, das bewährte Instanzenmodell um ein Vorlageverfahren zu ergänzen. gg) Normbildung trotz Wegfalls des Entscheidungsinteresses der Parteien Prominente Stimmen in der rechtspolitischen Diskussion wie der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Hirsch, fordern, den negativen Auswirkungen der Parteiherrschaft auf den Erlass von Grundsatzentscheidungen dadurch zu begegnen, dass dem Bundesgerichtshof ein Mandat zur Klärung einer grundsätzlichen Frage auch dann gegeben wird, wenn das Interesse einer Partei oder beider Parteien an der streitigen Entscheidung entfallen ist.276 Kernpunkt des Vorschlags ist der Fortbestand einer weiten Dispositionsfreiheit der Parteien in der Revisionsinstanz, wonach die Parteien ihr Revisionsverfahren vorzeitig beenden können, bei gleichzeitiger Ermächtigung des Bundesgerichtshofs, trotz nichtstreitiger Beendigung des Revisionsverfahrens ein mit Gründen versehenes Urteil zu erlassen.277 Klingbeil bezeichnet diesen Vorschlag als „Entkoppelungslösung“ und vertritt die Auffassung, dass die „Entwendung“ des Streitstoffes, über den die Parteien keine Entscheidung mehr wünschen, zum Zweck der Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage nur eine geringfügige Tangierung des Grundsatzes der Parteiherrschaft darstelle.278

gerichte zur Nutzung des Vorlageverfahrens wird aufgrund des hohen Arbeitsaufwands begrenzt sein. 275 Bei der vorgeschlagenen Einführung eines Vorlageverfahrens unter Beibehaltung des dreistufigen Rechtsmittelsystems bleibt dem Bundesgerichtshof weiterhin die Möglichkeit, fehlerhafte Grundsatzurteile abzuändern. Parteien bleibt es unbenommen, im Einzelfall alle Instanzen zu durchlaufen und somit Rechtsauffassungen von sämtlichen Instanzen des Zivilprozesses einzuholen. Im Vorlageverfahren ist die Wahrscheinlichkeit von rechtlichen Impulsen aus den unteren Instanzen geringer, da diese den Bundesgerichtshof zur Beantwortung einer Rechtsfrage anrufen und aufgrund des faktischen Leitbildcharakters der Stellungnahme des Bundesgerichtshofs die Chancen für den Erlass einer abweichenden unterinstanzlichen Entscheidung der Rechtsfrage nach deren Vorlage sinken. Vgl. ferner Kern, O Processo em Perspectiva 2013, 131, 136 f. 276 Siehe Hirsch, VersR 2012, 929, 932; zustimmend ferner Althammer, in: A. Bruns/ Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses – Freiburger Symposion am 27. April 2013 anlässlich des 70. Geburtstages von Rolf Stürner, 2014, S. 87, 101; Bräutigam, AnwBl 2012, 533; Naundorf, NJW-aktuell, Leserforum, Heft 44/2013, 14. In der älteren prozesswissenschaftlichen Literatur findet sich auch der Vorschlag der Einführung eines dem französischen Kassationsrekurs nachgebildeten Rechtsmittels zur Wahrung des Rechts, das von einer staatlichen Behörde eingelegt wird, K. Hellwig, JW 1910, 305, 306. 277 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 40. 278 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 42.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Die Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung sei ein minimalinvasiver Eingriff in die Rechte der Parteien und gleichzeitig ein hocheffektives Mittel zur Erreichung des Zwecks der Rechtsfortbildung.279 Die überschießenden Kosten des Ergehens einer Leitentscheidung sollen als Kosten der Rechtsfortbildung der Staatskasse zur Last fallen.280 Die Einführung eines Mandats zum Erlass einer Grundsatzentscheidung durch den Bundesgerichtshof trotz nichtstreitiger Beendigung rücke den Bundesgerichtshof nicht in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers, denn materiell betrachtet handele es sich immer noch um eine fallbezogene Normbildung.281 Sofern die Parteien das Revisionsverfahren bereits vor einer streitigen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof beenden und so ein Rechtsgespräch zwischen Gericht und Parteien ausbleibt, solle der Bundesgerichtshof den Parteien oder Dritten zum Zwecke der Erhöhung der Richtigkeitsgewähr vor Erlass einer Leitentscheidung Möglichkeiten zur Stellungnahme geben.282 Als Begründung für die Notwendigkeit dieser Erweiterung der Entscheidungskompetenz des Bundesgerichtshofs wird stets auf den Vorrang des Revisionszwecks der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung rekurriert.283 Eine Ermächtigung des Bundesgerichtshofs zum Erlass einer Revisionsentscheidung trotz nicht-streitiger Beendigung des Verfahrens der Parteien sei ferner kein Fremdkörper in der Rechtsordnung, was die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts, über Verfassungs- und Wahlprüfungsbeschwerden trotz Wegfalls des Beschwerdeführers zu entscheiden, zeige.284 Die vorgeschlagene Lösung der Ermächtigung des Bundesgerichtshofs zum Erlass einer Grundsatzentscheidung entgegen dem ausdrücklichen Willen der Parteien stellt jedoch einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Parteien des Revisionsverfahrens dar.285 Wenn die Parteien eine nicht-streitige Beendigung des Verfahrens bevorzugen, beispielsweise zum Zweck des Abwendens eines Schadens für künftige Rechtsbeziehungen, dann ist eine nichtsdestotrotz ergehende revisionsgerichtliche Entscheidung ein Störfeuer. Ferner ist es dem Rechts-

279

Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 42. Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 43. 281 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 44. 282 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 45. 283 Hirsch, VersR 2012, 929, 932; Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 40. Noch deutlicher Hirsch, NJW-Editorial Heft 18/2012: „Die Revision dient somit nicht mehr der Kontrolle der Instanzentscheidung auf ihre Richtigkeit hin im Interesse der Parteien, sondern der Gewährleistung der Klarheit, Einheit und Stimmigkeit der Rechtsordnung, also dem Allgemeininteresse.“ 284 Hirsch, VersR 2012, 929, 932; ders., NJW-Editorial Heft 18/2012. 285 Kritisch gegenüber dem Lösungsvorschlag auch Gsell, Rechtsgutachtliche Stellungnahme zum Umgang mit strategischer Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen im Zivilprozess, Anlage zum Antrag „Zivilprozess im 21. Jahrhundert – Strategischer Verhinderung der Revision entgegenwirken“ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 19/14207), 2019, S. 17 f. 280

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frieden nicht zuträglich, wenn zwei unter Umständen sehr unterschiedlich ausfallende Lösungen desselben Einzelfalls in der Welt sind, einerseits das nichtstreitige Ergebnis der Verfahrensbeendigung der Parteien und andererseits die Entscheidung des Revisionsgerichts über die in Rede stehenden subjektiven Privatrechte. Wie die Vertreter der „Entkoppelungslösung“ mit diesem Problem umgehen wollen, bleibt offen. Es zeigt sich, dass eine wahre Entkoppelung nicht möglich ist. Der Einzelfall und die Grundsatzentscheidung bleiben auf das Engste verwoben. Es steht zu befürchten, dass die Partei, zu deren Gunsten die spätere Grundsatzentscheidung ergeht, alle erdenklichen Hebel in Bewegung setzen wird, um die verfahrensbeendigende Parteidisposition zu beseitigen und auf diesem Wege doch noch von der günstigen Grundsatzentscheidung ihres Einzelfalls profitieren zu können. Darüber hinaus erscheint die Auffassung, dem Revisionsgericht komme bei einer Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung keine Stellung eines Ersatzgesetzgebers zu, zweifelhaft. Dies zeigt vor allem der Vorschlag, dass wenn die Parteien das Revisionsverfahren vor einer streitigen mündlichen Verhandlung beenden, das Revisionsgericht zum Zwecke der Erhöhung der Richtigkeitsgewähr den Parteien oder Dritten vor Erlass einer Leitentscheidung die Möglichkeit zur Stellungnahme gewähren soll. Es ist ein gängiges Prozedere in Gesetzgebungsverfahren, dass nach Erarbeitung der Gesetzesentwürfe durch die Ministerien Verbände und Fachöffentlichkeit zur Stellungnahme zum Entwurf aufgefordert werden. Die Parallelen des Vorschlags zu diesem Usus bei Gesetzgebungsverfahren sind sehr deutlich. Auch bleibt unerfindlich, wieso den Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnet werden sollte, wenn es durch die Entkoppelung der Normbildung vom Einzelfall doch nicht mehr auf ihren Willen ankommen soll. Außerdem verliert judikative Rechtserzeugung durch die Entkoppelung von Normbildung und Streitentscheidung ihr legitimationsstiftendes Wesenselement. Judikative Rechtserzeugung ist nur soweit legitim, wie die Rechtsausführungen des Gerichts auch tatsächlich entscheidungserheblich sind.286 Auch die Übertragung von der Verfassungsgerichtsbarkeit entlehnten prozessualen Wertungen auf die Zivilgerichtsbarkeit geht fehl, denn die Berechtigung zur Rechtserzeugung der Verfassungsgerichtsbarkeit unterscheidet sich wesentlich von derjenigen der Zivilgerichtsbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat als einziges Gericht nach Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG die grundgesetzlich fundierte Befugnis, Entscheidungen mit Gesetzeskraft zu treffen. Ihre Rechtserzeugung darf aus diesem Grund über den Einzelfall hinausgehen.287 Dieser Ausnahmecharakterzug der Verfassungsgerichtsbarkeit spricht gegen eine Verallgemeinerung von aus dieser Gerichtsbarkeit herrührenden Grundsätzen. 286 287

Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 213. Möllers, Gewaltengliederung, S. 136 f.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Das Verbot der einzelfallunabhängigen Entscheidung des Gerichts sichert die Unabhängigkeit der Justiz.288 Wird das Revisionsgericht ermächtigt, in jedem Fall unabhängig von dem Parteiwillen eine begründete Entscheidung erlassen zu können, wird das Revisionsgericht gezwungen sein, nach Wichtigkeit des Rechtsproblems zu filtern, denn es wird keine ausreichenden Kapazitäten haben, um sämtliche anhängige Verfahren mit einer begründeten Entscheidung abzuschließen. Wenn sich das Revisionsgericht aufgrund dieser Kapazitätsengpässe willkürlich Rechtsgebiete herauspickt, in denen es eine Grundsatzentscheidung erlassen möchte, kann dies leicht den bösen Schein verursachen, bestimmte Thematiken und damit mittelbar bestimmte Gruppen von Rechtssubjekten würden gezielt ins Visier genommen. Zudem könnten Interessengruppen an die Richterschaft mit Rufen herantreten, in einem bestimmten Rechtsgebiet sei der Erlass einer Grundsatzentscheidung besonders dringlich. Dies gefährdet die Neutralität und Unabhängigkeit der Justiz. Außerdem vermag es nicht zu überzeugen, unter Berufung auf einen Vorrang des Revisionszwecks der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung die Parteiherrschaft im Revisionsverfahren derart zurückzudrängen. Die Möglichkeit der Parteidisposition über die Verfahrensbeendigung wird sinnentleert, wenn das Gericht trotz parteidispositiver Verfahrensbeendigung durchentscheiden kann. Die Entscheidung des Einzelfalls ist neben den Zwecken der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung gleichermaßen wesensprägend für das Revisionsverfahren.289 Erst aus Anlass der Einzelfallentscheidung wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gesichert und Rechtsfortbildung angestrebt.290 Von einem ausgewogenen Ausgleich der nach hier vertretener Auffassung gleichwertigen Ziele des Revisionsverfahrens, dem Individualschutz und der Rechtsfortbildung sowie der Sicherung der Rechtseinheitlichkeit, ist die „Entkoppelungslösung“ weit entfernt. Der Gesetzgeber vertraut auch in der Revisionsinstanz zu Recht auf die Parteiinitiative, um allgemeine Revisionszwecke zu erreichen. Die Revision ist ein Parteirechtsmittel, das nur auf Antrag einer Partei angestrengt werden kann. Spiegelbild des Vertrauens auf die Parteiinitiative sollte konsequenterweise auch die Respektierung verfahrensbeendigender Parteidispositionen und Akzeptanz ihrer Folgen sein. Denn es ist das gute Recht der Parteien, zur Abwendung abträglicher Folgewirkungen eines negativen Präjudizes das Revisionsverfahren vorzeitig zu beenden.291 Allein der Umstand, dass nach der vorgeschlagenen Lösung die Staatskasse die zusätzlichen Kosten des Erlasses einer Grundsatzentscheidung nach parteidispositiver Verfahrensbeendigung tragen soll, wird nicht ausreichen, 288

Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 213. Siehe Erstes Kapitel A. II. 3. e). 290 BVerfGE 54, 277, 290 = BVerfG, NJW 1981, 39, 41. 291 Dies erkennen sogar Vertreter der Auffassung an, der Bundesgerichtshof solle eine rechtsfortbildende Entscheidung trotz Rücknahme der Revision treffen können, siehe Bräutigam, AnwBl 2012, 533. 289

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um potenzielle Negativfolgen eines breitwirkenden Präjudizes für die unterliegende Partei aufzufangen. Insgesamt ist der Vorschlag, den Parteien eines Revisionsverfahrens die Möglichkeit einer nicht-streitigen Beendigung des Verfahrens zu gewähren, gleichzeitig aber dem Bundesgerichtshof ein Mandat zum davon unabhängigen Erlass einer Grundsatzentscheidung zu erteilen, mithin aufgrund zahlreicher tiefgreifender Bedenken abzulehnen. Die Legitimität judikativer Normbildung hängt von der Entscheidungserheblichkeit der beurteilten Rechtsfragen ab. Zudem stellt ein allgemeines Mandat des Bundesgerichtshofs zum Erlass von Grundsatzentscheidungen eine Gefahr für die Neutralität und Unabhängigkeit der Justiz dar. Aus rechtsstaatlichem Blickwinkel kann dem Vorschlag somit nicht gefolgt werden. Gsell 292 hat einen weiteren Diskussionsvorschlag gemacht, der gewissermaßen ein Minus gegenüber einem Mandat für den Bundesgerichtshof, unabhängig von einer verfahrensbeendigenden Parteidisposition ein Revisionsurteil zu fällen, darstellt. Nach der Ansicht von Gsell ist eine Ermächtigung der Gerichte, sich über entgegenstehende Parteidispositionen hinwegzusetzen und nichtsdestotrotz in der Urteilsformel über den Erfolg des Rechtsmittels zu entscheiden, ein zu weitgehender Eingriff in den Grundsatz der Parteiherrschaft.293 Wenn das Interesse der Parteien an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung entfalle, brauche es keinen neuerlichen Urteilspruch über die Streitsache.294 Die Ermächtigung des Revisionsgerichts zur Klärung von Grundsatzfragen solle sich darauf beschränken, dem Revisionsgericht Feststellungen zu den durch die Revision aufgeworfenen Rechtsfragen in einem Beschluss zu erlauben.295 Feststellungen zu durch die Revision aufgeworfenen Rechtsfragen unabhängig von einer nichtstreitigen Beendigung des Revisionsverfahrens sollen dem Revisionsgericht nur gestattet sein, „soweit dies wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im besonderen Maße (Herv. d. Verf.) geboten erscheint“.296 Die vorgeschlagene Ermächtigung solle in ihrer Funktion auf solche Fallkonstellationen beschränkt bleiben, in denen mit Blick auf eine Vielzahl gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten eine höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage dringend geboten

292 Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 18 ff. 293 Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 17 f. 294 Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 18. 295 Siehe den entsprechenden Formulierungsvorschlag zur Gesetzesreform von Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 19. 296 Ebenda.

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erscheint.297 Einer solchen Feststellung über Rechtsfragen solle wie gewöhnlichen Revisionsentscheidungen Präjudizcharakter beigemessen werden.298 Zwar kann dem Vorschlag von Gsell zu Gute gehalten werden, dass es anders als bei der zuvor skizzierten „Entkoppelungslösung“ durch die Beschränkung zulässiger revisionsgerichtlicher Feststellung nach nicht-streitiger Beendigung auf Rechtsfragen nicht dazu kommen kann, dass zwei potenziell sehr unterschiedliche Lösungen ein und desselben Rechtsstreits in der Welt sind. Andererseits bleibt das Problem der Legitimität judikativer Rechtserzeugung bestehen, wenn die Rechtsausführungen des Gerichts nicht entscheidungserheblich sind. Unklar bleibt, wie zu verfahren ist, wenn verschiedene Senate des Bundesgerichtshofs in gleichgelagerten Rechtsfragen abweichende Feststellungsbeschlüsse erlassen.299 Unscharf ist auch das Kriterium einer Gebotenheit einer Feststellung „im besonderen Maße“ als Voraussetzung zulässiger, verfahrensunabhängiger rechtlicher Feststellungen des Revisionsgerichts. Zu einer Konturierung oder gar Begrenzung der Ermächtigung des Revisionsgerichts kann das Kriterium nicht beitragen, vielmehr bleibt dem Revisionsgericht ein weites Ermessen, ob und in welchem Umfang rechtliche Feststellungen getroffen werden.300 Damit besteht aber die Gefahr, dass das Revisionsgericht mittels dieser Ermächtigung zu einer Art Ersatzgesetzgeber avanciert und eine eigene rechtspolitische Agenda verfolgen kann. Dies setzt die Neutralität und Unabhängigkeit des Revisionsgerichts aufs Spiel. Insgesamt ist daher auch der Vorschlag von Gsell grundlegenden Bedenken ausgesetzt. hh) Anregung Limpergs: Musterfeststellungsantrag im Revisionsverfahren Die gegenwärtige Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Limperg, plädiert dafür, im Revisionsverfahren einen Musterfeststellungsantrag einzuführen.301 Qualifizierte Einrichtungen (insbesondere Verbraucherverbände) sollten ermächtigt werden, in Verbraucherrechtsstreitigkeiten einem vor dem Bundesgerichtshof bereits anhängigen Revisionsverfahren auf Seiten des Verbrauchers beizutreten, um rechtliche Vorfragen für das Bestehen oder Nichtbestehen des revisionsgegenständlichen Anspruchs oder Rechtsverhältnisses mittels Musterfeststellungsan297 Siehe den entsprechenden Formulierungsvorschlag zur Gesetzesreform von Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S.19. 298 Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 23. 299 Hierauf aufmerksam machend S. Lorenz in Legal Tribune Online, Gegen Freikauf-Taktik nach dem Dieselskandal: Grüne wollen Revisionsurteile – auch ohne Revision, 2019, S. 3. 300 Gsell, Stellungnahme zur strategischen Verhinderung von Grundsatzentscheidungen, 2019, S. 23. 301 Limperg, Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften, 2018, S. 18.

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trag klären zu lassen.302 Bei Beendigung des Revisionsverfahrens ohne Sachentscheidung könne das Verfahren als Musterfeststellungsverfahren weitergeführt werden und im Musterfeststellungsurteil münden, das keine rechtliche Bindungswirkung gegenüber den ursprünglichen Streitparteien, aber die faktische Autorität eines Präjudizes entfalten könne.303 Die qualifizierten Einrichtungen fungierten so als „Vertreter des öffentlichen Interesses“.304 Der Austausch des individuellen Anspruchs durch Feststellungsziele vermeide, dass der Individualprozess in paternalistischer Weise gegen den Willen der ursprünglichen Parteien fortgeführt werde.305 Dem Vorschlag Limpergs begegnen ähnliche grundlegende Bedenken, die schon gegen den Vorschlag Hodzˇic´s der Verfahrensbeteiligung eines Vertreters des öffentlichen Interesses gesprochen haben. Die Fortführung des Revisionsverfahrens trotz einvernehmlichen Verzichts auf eine Sachentscheidung widerspricht dem Willen der Prozessparteien. Daran ändert auch die Auswechslung des individuellen Anspruchs durch Feststellungsziele nichts. Hätten die Parteien eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts über die für das Bestehen oder Nichtbestehen des revisionsgegenständlichen Anspruchs oder Rechtsverhältnisses entscheidenden rechtlichen Vorfragen gewünscht, hätten sie nicht für eine vorzeitige Verfahrensbeendigung optiert. Eine Fortsetzung des Verfahrens höhlt die Dispositionsfreiheit der Parteien aus. Die Umwandlung des Individualprozesses in ein Feststellungsverfahren im fortgeschrittenen Prozessstadium spiegelt eine Abstrahierungsfähigkeit der entscheidenden Rechtsfragen des Einzelfalls vor, die gar nicht existiert. Denn es sind die Parteien des Einzelfalls, die von einem späteren Musterfeststellungsurteil betroffen sind. Ein negatives Präjudiz, das ein Musterfeststellungsurteil enthalten kann, kann die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien und im Verhältnis zu anderen Rechtssubjekten nachhaltig beeinträchtigen. Es ist als Ausfluss der Parteiherrschaft im Prozessrecht hinzunehmen, dass die Prozessparteien solche Verfahrensfolgen durch das Gebrauchmachen von Dispositionsbefugnissen abwehren. Eine Sachentscheidung der im Einzelfall entscheidenden Rechtsfragen trotz prozessual zulässiger Verfahrensbeendigung sollte den Parteien nicht aufgezwungen werden. ii) Stellungnahme Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es bisher an einer überzeugenden Lösung des Problems des Ausbleibens von revisionsgerichtlichen Grundsatzentscheidungen aufgrund verfahrensbeendigender Parteidisposition fehlt. 302 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 18. 303 A. a. O., S. 18 f. 304 A. a. O., S. 19. 305 A. a. O., S. 19.

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Viele der Diskussionsbeiträge begegnen grundlegenden rechtsstaatlichen Bedenken. So dringend der Erlass einer Grundsatzentscheidung auch erscheint, um Rechtsprechungsdivergenzen zu bereinigen und zur Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung beizutragen, so wenig sollten zum Zwecke der Erzwingung eines Revisionsurteils rechtsstaatliche Grundsätze über Bord geworfen werden. Zentraler rechtsstaatlicher Grundsatz ist das Eigeninitiativverbot der Gerichte, die Entscheidungen nur im Rahmen konkreter Streitigkeiten treffen dürfen.306 Daher sind Ansätze, die versuchen, mehr Grundsatzurteile dadurch zu generieren, dass dem Bundesgerichtshof unabhängig von einer verfahrensbeendigenden Parteidisposition eine inhaltliche Stellungnahme zu den aufgeworfenen Rechtsfragen ermöglicht wird, kritisch zu bewerten. Es bleibt bei dem Dilemma des Revisionsverfahrens, einerseits eine rechtsfortbildende Entscheidung hervorbringen zu wollen, andererseits aber auf den Grundsatz der Parteiherrschaft zu bauen. Ein Gesetzgeber, der (auch) im Revisionsverfahren auf die Parteiinitiative vertraut und sich subjektiver Parteiinteressen bedient, um ein Anliegen zu fördern, das überindividueller Natur ist, kann aufgrund der Gegensätzlichkeit der Interessen der Allgemeinheit und der am Verfahren beteiligten Individuen nur schwer ein alle Seiten unter allen denkbaren Umständen zufriedenstellendes Regelungswerk zur Verfügung stellen. Eine optimale Lösung, die der Dispositionsfreiheit der Parteien hinreichend Rechnung trägt und gleichzeitig dem Bedürfnis nach höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen angemessene Geltung verschafft, ist vor diesem Hintergrund nur schwer zu erreichen. Die bisherigen Lösungsvorschläge drängen die Parteiherrschaft im Revisionsverfahren zu stark zurück. Die Revision ist ein Parteirechtsmittel, sodass die Parteien auch als zentrale Akteure des Verfahrens wahrzunehmen sind. Auch wenn die Parteien eines Revisionsverfahrens nur berechtigt sind, ein solches Verfahren zu führen, weil die Entscheidung über den Gegenstand ihres Rechtsstreits von Allgemeininteresse ist, verfolgen sie dennoch zuvörderst Eigeninteressen, nämlich die Aufhebung oder die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung. Bei der Entscheidung über eine vorzeitige nicht-streitige Beendigung des Revisionsverfahrens geht es den Parteien darum, ob eine Aufrechterhaltung des unterinstanzlichen Verfahrensergebnisses, eine andere einvernehmliche Lösung oder eine streitige Beendigung des Revisionsverfahrens opportun ist. Diese Entscheidung sollten die Parteien möglichst selbstbestimmt treffen dürfen. Genau dies ermöglichen die parteilichen Dispositionsbefugnisse in Hinblick auf die Streitbeendigung in der Revisionsinstanz. Gleichzeitig kann aber nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Dispositionsfreiheit der Parteien in der Revisionsinstanz nicht in gleichem Umfang wie in den anderen zwei Instanzen verwirklicht werden kann. Denn allein in der Revisionsinstanz tritt neben den Individualrechtsschutzzweck ein im öffentlichen Interesse liegender Prozesszweck der Sicherung 306

Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 213.

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der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung. Die Balance zwischen der Parteiherrschaft und dem Allgemeininteresse an dem Erlass einer rechtseinheitssichernden, rechtsfortbildenden Grundsatzentscheidung sollte anhand der Formulierung von Voraussetzungen für die Begrenzung der Ausübung einzelner verfahrensbeendigender Dispositionsbefugnisse gesucht werden. Diesen Lösungsansatz hat der Gesetzgeber auch im Jahr 2013 verfolgt, indem er mit Wirkung zum 1. Januar 2014 die Voraussetzung für die Rücknahme des Rechtsmittels der Revision und für das Anerkenntnis in der Revision verschärfte.307 Gem. § 565 S. 3 ZPO n. F. kann die Revision ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden. Ein Anerkenntnisurteil kann gem. § 555 Abs. 3 ZPO n. F. allein auf gesonderten Antrag des Klägers ergehen. Diese Herangehensweise ist prinzipiell zu begrüßen. Die hiesige Arbeit wird sich der Gesetzesreform zur Begrenzung der Dispositionsfreiheit in der Revisionsinstanz zu späterem Zeitpunkt vertieft widmen und sich mit der Frage auseinandersetzen, ob Nachjustierungen empfehlenswert sind.308 Das Aufstellen begrenzender Anforderungen an die Ausübung von Parteidisposition in der Revisionsinstanz ist der einzige Lösungsweg, der Parteiherrschaft und Allgemeininteressen in der Revisionsinstanz ausbalanciert und die Parteiherrschaft nicht völlig in den Hintergrund treten lässt. Lösungsvorschläge, die die Parteiherrschaft in der Revisionsinstanz vollkommen entwerten, beispielsweise, indem die Ausübung von verfahrensbeendigenden Dispositionen weitgehend unter den Vorbehalt der Zustimmung eines Dritten gestellt oder unabhängig von einer verfahrensbeendigenden Parteidisposition ein streitiges Urteil gefällt wird, sollten keine Umsetzung finden. Dies gilt ungeachtet des Befunds, dass solche Lösungsansätze dazu beitragen, mehr ober- und höchstgerichtliche Grundsatzurteile zu generieren. Denn sie verlieren aus dem Blick, dass es im Kern in jedem Zivilprozess um die subjektiven Privatrechte der beteiligten Prozessparteien geht. Es muss den Parteien eines Zivilprozesses, auch in der Revisionsinstanz, maßgeblicher Einfluss auf die Art und Weise der Beendigung des Verfahrens und damit (mittelbar) auf die verbindliche Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen vorbehalten bleiben. Denn eine weitreichende Verwirklichung von Parteiherrschaft ist Anker der Akzeptanz und Legitimität judikativer Rechtserzeugung im Zivilprozess. Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Einzelfallbezug gerichtlicher Entscheidungen und ihr Beruhen auf einem fortwährenden parteilichen Entscheidungsauftrag Zeichen der besonderen Qualität und Stärke des Zivilprozesses in den Rechtsmittelinstanzen ist. Einer institutionalisierten abstrakten Aufstellung von Rechtsregeln durch Bundesrichter, wie sie in Form einer „Revision im Interesse 307 308

Siehe schon Erstes Kapitel A. I. 9. Siehe Zweites Kapitel B. II. 2. b).

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des Rechts“ teilweise gefordert wird, bedarf es nicht. Eine Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung führt unweigerlich zu einem Akzeptanzabfall gegenüber richterlichen Judikaten und zu einem Legitimitätsverlust von Richterrecht. Selbst wenn den staatlichen Rechtsmittelverfahren ein Manko an Effizienz und Effektivität des Ressourceneinsatzes vorzuwerfen ist, beruht ihre Wirkung in die Rechtsgemeinschaft hinein jedoch maßgeblich auf der einzelfallbezogenen Streitentscheidung. Ohne den Einzelfallbezug verliert die höchstrichterliche Rechtsprechung ihre Bodenhaftung, denn ihre Aufgabe ist es nicht, durch gezielt an sich gezogene Verfahren vorausgeplante Grundsatzentscheidungen zu generieren und so als Ersatzgesetzgeber gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern. Die Obliegenheit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es zuallererst, Antworten auf eine konkrete Rechtsfrage zu finden. Es ist eine Rückbesinnung auf die immense Bedeutung des Einzelfallbezugs richterlicher Judikate erforderlich. Legitime und akzeptierte judikative Rechtserzeugung ist ohne einzelfallorientierte Streitentscheidung nicht möglich. Es sollten also Regelungen vermieden werden, die einer einvernehmlichen Prozessbeendigung durch die Parteien eines Revisionsverfahrens keine Beachtung schenken. Erstrebenswert ist eine gleichzeitige Verwirklichung der Parteiherrschaft im Prozess und der Ziele der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung, die aufgrund der potenziellen Widersprüchlichkeit der Interessenrichtungen, vor allem im fortgeschrittenen Stadium eines Revisionsverfahrens, nicht ohne Abstriche an der einen oder der anderen Seite möglich erscheint. Diese Ausgewogenheit fehlt den hier besprochenen, in der Literatur vertretenen Lösungen des Konflikts zwischen Parteiherrschaft und allgemeinen Prozesszielen in der Revisionsinstanz, die einseitig dem Ziel der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung unter weitgehender (faktischer309) Preisgabe der Parteiherrschaft Vorrang einräumen. Wie Esser zutreffend formuliert hat: „(. . .) Rechtseinheit und Rechtsaufsicht ist eine, aber sicherlich nicht die einzige Aufgabe der Revision; diese ist bei uns ein schon unverzichtbar gewordenes Mittel des Rechtsschutzes der Parteien. Es kann sich nicht darum handeln, diesen Rechtsschutz zu leugnen, sondern nur darum, den richtigen Rang zwischen den beiden Rechtspflegezielen herzustellen.“310

Nach der hier vertretenen Auffassung der Gleichwertigkeit der Revisionszwecke ist ein ausgewogenes, nicht einseitiges Verhältnis zwischen Parteiherr309 Der Vorschlag der Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung will verfahrensbeendigende Parteidispositionen zwar zulassen, aber ungeachtet dessen dem Bundesgerichtshof ein Mandat zum Erlass einer begründeten Entscheidung zugestehen. Die Parteidisposition wird faktisch vollkommen entwertet. Dies läuft der verfassungsrechtlichen Garantie der Kernelemente der Dispositionsmaxime zuwider, siehe bereits Erstes Kapitel A. III. 1. b). 310 Esser, JZ 1962, 513 f.

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schaft und allgemeinen Revisionszwecken nur durch Formulierung beschränkender Voraussetzungen an die Ausübung einzelner streitbeendigender Dispositionshandlungen zu bewerkstelligen. 2. Parteiherrschaft und Zugang zur Rechtsmittelinstanz Beschränkungen der Parteiherrschaft in den Rechtsmittelverfahren sind nicht nur im fortgeschrittenen Stadium eines Revisionsverfahrens zu verorten. Die Parteiherrschaft in den Rechtsmittelverfahren wird zum Beginn des Verfahrens durch Zugangshürden zu den Rechtsmittelinstanzen begrenzt. Im Vergleich zu der uneingeschränkt zugänglichen ersten Instanz müssen in Hinblick auf ein Rechtsmittel die von Seiten des Gesetzgebers festgelegten Anforderungen an den Zugang zu einer Rechtsmittelinstanz erfüllt sein. Werden die Zugangsanforderungen im Einzelfall nicht erfüllt, scheidet eine Weiterverfolgung des rechtlichen Begehrs im zivilprozessualen Instanzenzug aus. Ein Rechtsmittel, das den spezifischen Anforderungen an den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht genügt, ist unzulässig.311 Die Eröffnung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen im Einzelfall ist conditio sine qua non für die weitere Ausübung von Dispositionsbefugnissen in den Rechtsmittelinstanzen. 312 Dispositionen der Parteien im und über den Instanzenzug im Einzelfall sind nur denkbar, wenn der Zugang zu einer Rechtsmittelinstanz eröffnet ist. Eine Beschränkung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz wirkt wie ein vom Staat erzwungener, unfreiwilliger Rechtsmittelverzicht.313 Im Parteiinteresse liegt prima facie der gänzlich unbeschränkte Zugang zu den Rechtsmittelinstanzen. 314 Bei Gewährung eines unbeschränkten Zugangs wäre aber die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung nicht mehr gesichert. Aus diesem Grunde ist die Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen häufig Gegenstand stark umkämpfter zivilprozessualer Reformvorhaben. Die Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung von Verfahren der Kontrolle richterlicher Entscheidungen hat bereits gezeigt, dass seit Einführung der Civilprocessordnung von 1877 die Ausgestaltung des Zugangs zu Rechtsmittelverfahren einem stetigen Wandel unterlag.315 Die letzte gesetzgeberische Maß311 Vgl. BeckOK ZPO/Wulf, § 511 Rn. 31; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 511 Rn. 16; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 543 Rn. 1; Zöller/Heßler, ZPO, § 543 Rn. 3; Hergenröder, Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 73. 312 Prütting erachtet die starke Einschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz als auffallendste Beschneidung des Parteiinteresses, Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 92. Vgl. oben Einleitung B. 313 Vgl. Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren durch gesetzliche Zugangsbeschränkungen, S. 31. 314 Vgl. Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 88. Allerdings besteht gleichermaßen ein hohes parteiliches Interesse an einer effektiven, schnellen Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte, die bei deren Überlastung aufgrund unreguliertem Zugang zu den Rechtsmittelinstanzen nicht gewährleistet ist. 315 Siehe Erstes Kapitel A. I. 6.

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nahme in der Reihe regelmäßig wiederkehrender Reformkodifikationen betreffend den Zugang zu zivilprozessualen Rechtsmitteln bildet die Festschreibung der Wertgrenze für die revisionsrechtliche Nichtzulassungsbeschwerde, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, im Jahr 2019.316 Die hiesige Arbeit erörtert zunächst, auf welchen Gründen Beschränkungen der klägerischen Dispositionsbefugnis über den Verfahrensbeginn in den Rechtsmittelinstanzen basieren. In Anknüpfung an den geschichtlichen Überblick über die Veränderung des Zugangs zu den zivilprozessualen Rechtsmittelinstanzen soll dann auf die wichtigsten Erscheinungsformen eingegangen werden, derer sich der Gesetzgeber zur Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen bedient hat, noch bedient oder bedienen könnte. Schließlich soll auf die angesprochene gesetzgeberische Festschreibung der Wertgrenze für die revisionsrechtliche Nichtzulassungsbeschwerde eingegangen werden, die gleichsam eine – nicht unproblematische – Kombination von Beschränkungsmodellen darstellt. a) Zwecke der Regulierung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz Zur Eröffnung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen im Zivilprozess bedarf es stets entweder des Erreichens einer bestimmten Höhe der Beschwer oder einer besonderen Zulassung. In der Rechtsmittelinstanz der Berufung und in der Revisionsinstanz lassen sich eine Kombination dieser beiden Zugangsmodalitäten wiederfinden. Maßgebliches Kriterium für den Zugang zur Berufungsinstanz ist das Vorliegen einer die Berufungssumme von 600 Euro überschreitenden Beschwer, § 511 Abs. 2 ZPO. Wird die Berufungssumme allerdings nicht überschritten, verbleibt die Möglichkeit der Zulassung der Berufung gem. § 511 Abs. 4 ZPO, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Revision unterliegt der Zulassung nach den oben genannten Entscheidungskriterien, § 543 Abs. 2 ZPO. Das Berufungsgericht trifft eine Entscheidung über die Zulassung der Revision. Im Falle der Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht steht den Parteien die Nichtzulassungsbeschwerde beim Revisionsgericht offen, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt oder das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat, § 544 Abs. 2 ZPO. Die Ziele und Motive, von denen die Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelverfahren getragen sind, lassen sich in zwei Kategorien unterteilen, 316 Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften, BGBl. 2019 I, S. 2634.

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und zwar in solche Ziele und Motive, die den Zugangsregelungen sowohl zur Berufungs- als auch der Revisionsinstanz immanent sind (generelle Ziele und Motive von Zugangsbeschränkungen), und solche, die durch eine spezifische Form der Zugangsbeschränkung zur Rechtsmittelinstanz angesteuert werden können (modalitätsspezifische Ziele und Motive von Zugangsbeschränkungen). aa) Generelle Ziele von Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmitteln Zunächst soll auf Ziele von Zugangsbeschränkungen eingegangen werden, die den verschiedenen Erscheinungsformen einer Rechtsmittelzugangsbeschränkung, also sowohl einer Wertgrenze als auch anderen Zulassungshürden, gemein sind. (1) Regulierung des Geschäftsanfalls bei den Rechtsmittelgerichten Ein verfahrenstranszendentes Ziel einer Zugangsbeschränkung zu Rechtsmittelverfahren ist die Regulierung der Anzahl der Rechtsbehelfe und damit mittelbar die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gerichte und Verhinderung deren Überlastung.317 Bereits die historische Entwicklung der Rechtsmittelverfahren hat gezeigt, dass die Verhinderung der Überlastung der Rechtsmittelgerichte wiederkehrendes Leitmotiv gesetzgeberischer Veränderungen der Zugangsregelungen zu Rechtsmittelverfahren war und ist.318 Durch eine Beschwerdesumme und durch Zulassungsgründe kann der Geschäftsanfall bei den Rechtsmittelgerichten gesteuert werden. Die Festlegung einer Wertgrenze als Zugangsbeschränkung hat aufgrund der numerischen Komponente des Abgrenzungskriteriums den Vorteil einer (relativen) Rechtsklarheit für die Rechtsunterworfenen, ob sie zur Einlegung eines Rechtsmittels berechtigt sind oder nicht. Aufgrund der Abstraktion des Kriteriums von einem konkreten Streitgegenstand und den Umständen des Einzelfalls fehlt es der Wertgrenze in ihrer spezifischen Höhe für die Parteien aber nicht selten an Erklärbarkeit. Durch die Pauschalität der Wertgrenze geht zwangsläufig der Bezug der Zugangsschranke zu einer mitunter sehr unterschiedlichen Bedeutung desselben Rechtsmittelstreitwerts für unterschiedliche Parteien verloren. Ferner kann eine Wertgrenze bewirken, dass schwerwiegende Mängel des vorangegangenen Verfahrens allein aufgrund der geringen monetären Bedeutung des Rechtsstreits nicht auf-, sondern zugedeckt werden.319 Durch spezielle Zulassungsgründe erfolgt eine Re317 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 511 Rn. 3; Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 329; vgl. ferner Kern, RePro 39 (2014), 15, 25. So auch entscheidender Rechtfertigungsgrund für die Festschreibung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, siehe nur BT-Drs. 19/13828, S. 20; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 544 Rn. 1; Zöller/Heßler, ZPO, § 544 Rn. 6; Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204 f. 318 Siehe Erstes Kapitel A. I. 6. bis A. I. 9. 319 Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 329.

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gulierung des Zugangs zu einem Rechtsmittelverfahren hingegen mit einem stärkeren Bezug zu dem Streitgegenstand und Verfahren des Einzelfalls. (2) Ressourcenverteilung und -einsparung Beschränkungen des Zugangs zu den zivilprozessualen Rechtsmitteln dienen ferner der Herstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen dem Aufwand an Kosten und Zeit zu dem mit dem Rechtsmittel erreichbaren Erfolg.320 Um eine ökonomische Nutzung der begrenzten Justizressourcen zu ermöglichen, muss der prozessuale Aufwand umso stärker begrenzt werden, je geringer der Wert ist, um den es im Rechtsmittelverfahren geht.321 Die Untergliederung des Justizsystems in drei Ebenen gibt bereits eine Struktur für eine Ressourcenverteilung vor. In einem Rechtsmittelsystem kann eine Gewichtung der Justizressourcen anhand der Bedeutung des Einzelfalls stattfinden: Die Ressourcen höherer Instanzen können auf wenige Verfahren mit besonderer Tragweite konzentriert werden, wohingegen Massenfälle in der Eingangsinstanz mit geringerem Personaleinsatz erledigt werden.322 Gleichzeitig wird hierdurch dem privaten Interesse an einer zeitnahen finalen Streitbeilegung und der Reduktion der Verfahrensdauer Rechnung getragen.323 Zugangsbeschränkungen zu Rechtsmittelverfahren sind ein Baustein in der Zuweisung von Justizressourcen. Sie vermitteln daher stets eine rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers, in welcher Form er Justizressourcen einsetzen möchte. Gesetzliche Zugangsbeschränkungen helfen durch die Reduktion der Anzahl der anfallenden Rechtsmittelverfahren, die erforderlichen Ressourcen für die (effektive) Beantwortung schwieriger Rechtsfragen in höherer Instanz freizusetzen.324 Die Optimierung der Ressourcenverteilung am Bundesgerichtshof ist ferner einer der Beweggründe, der Rufe der Richterschaft nach einer weiteren Erhöhung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde im Revisionsverfahren ertönen lässt.325 Denn die Ressourcen des Bundesgerichtshofs werden zu weiten Teilen durch Nichtzulassungsbeschwerden gebunden und stehen dadurch nicht mehr für die Vorbereitung von Grundsatzentscheidungen zur Verfügung.326 Eine Erhöhung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde könnte das Aufkommen an Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesgerichtshof verringern und so Ressourcen für die Entscheidung grundlegender Rechtsfragen freisetzen. 320

Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 330. Ebenda. 322 Siehe bereits Zweites Kapitel A. I. 5. 323 Kern, RePro 39 (2014), 15, 25 f. 324 Vgl. Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 131. 325 Siehe nur Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204. 326 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesgerichtshof standen 2017 in einem Verhältnis von 1:5, Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204. 321

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Gleichermaßen werden durch die Zugangsschranke der Wertgrenze auch auf Ebene der Berufungsinstanz Ressourcen allokiert. Durch die Verwehrung des Zugangs zur Berufungsinstanz in Fällen, die den Beschwerdewert von 600 Euro nicht überschreiten, selektiert der Gesetzgeber solche Verfahren aus, für die er den erhöhten Personaleinsatz in der Berufungsinstanz nicht für gerechtfertigt erachtet. Es handelt sich um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, bis zu der Schwelle der Wertgrenze bei einem im Verhältnis zu dem durch das Rechtsmittel erreichbaren Erfolg hohen Ressourcenaufwand Fehler der ersten Instanz (als endgültig) hinzunehmen und das Ziel der Richtigkeitsgewähr hinter die Ressourcenschonung zurückzustellen. Bis zu welchem Grad es vertretbar ist, die Wertgrenze der Berufungsinstanz zu erhöhen und dadurch für eine Vielzahl von Verfahren den Rechtsschutz nach nur einer Instanz enden zu lassen, ist eine schwierige Wertungsfrage, die nicht weiter vertieft werden kann. Weil aber das Gros der gerichtlichen Streitigkeiten den Bereich geringerer Streitwerte betrifft, sollte in diesem Bereich der Zugang zu Rechtsmittelinstanzen nicht über die Gebühr eingeschränkt werden.327 Eine Verengung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Streitwertbereichen, für die die staatlichen Gerichte häufig angerufen werden, kann sich negativ auf die Akzeptanz staatlicher Rechtspflege auswirken. Daher sind auch jüngste Vorschläge wie der Hamburger Vorschlag zur Einführung eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ bei Bagatellforderungen bis zu einem Streitwert von zweitausend Euro bei gleichzeitiger Beschränkung der Rechtsmittel in Bezug auf diese Bagatellforderungen328 kritisch zu bewerten. Aus rechtsstaatlichem Blickwinkel ist es auch im Bereich niedriger Streitwerte geboten, eine Kontrolle der unterinstanzlichen richterlichen Entscheidung zuzulassen. Der immaterielle Wert der Kontrollfähigkeit richterlicher Entscheidung329, der in einer schlichten Gegenüberstellung von Zeit- und Kostenaufwand des Verfahrens330 und Verfahrensstreitwert nicht zur Geltung kommt, darf 327 Die Erhöhung der Berufungssumme würde den bereits jetzt hohen Anteil an berufungsunfähigen amtsgerichtlichen Urteilen weiter steigern, vgl. Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 334. Bereits derzeit machen Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu 500 Euro knapp dreißig Prozent der amtsgerichtlichen Verfahren aus, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 11. 328 Siehe Erstes Kapitel A. I. 9. sowie Drittes Kapitel B. III. 329 Siehe Zweites Kapitel A. I. 1. 330 Zu Recht weist Rimmelspacher darauf hin, dass der Staat in eine Nutzen-Aufwand-Rechnung die von den Parteien zu tragenden Gerichtskosten und Anwaltskosten nicht einstellen kann, da es in einem Rechtsstaat Entscheidung der Parteien selbst ist, wie sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis der von ihnen zu tragenden Kosten bewerten, Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 335. Die Begründung einer Wertgrenze durch den Gesetzgeber mit Blick auf ein disproportionales Verhältnis von Nutzen-Aufwand eines Rechtsmittelverfahrens unter der Berücksichtigung von durch die Parteien zu tragenden Kosten ist daher zweifelhaft. Die Bestimmung des durch die von den Parteien zu tragenden Gerichtskosten nicht kompensierten Teils der Aufwendungen eines Rechtsmittelverfahrens, die eine valide Gegenüberstellung des Nutzen-Aufwands der

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bei einer Einschränkung des Zugangs zu Rechtsmittelinstanzen zur Optimierung der Ressourcenallokation nicht unbeachtet bleiben. bb) Modalitätsspezifische Ziele von Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmitteln Neben diesen universell geltenden Motiven von Zugangsbeschränkungen zur Rechtsmittelinstanz gibt es auch Zielsetzungen von Zugangsbeschränkungen, die eng mit einer bestimmten Erscheinungsform einer Rechtsmittelzugangsbeschränkung verknüpft sind. (1) Wertgrenze als Filter für Bagatellfälle Der Zugang zur Berufung ist in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung eine Kombination aus einer Wert- und einer Zulassungsberufung. Das Rechtsmittel der Berufung ist zulassungsunabhängig zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt. Die Wertgrenze des Berufungsrechts dient der Entlastung des Berufungsgerichts von Streitigkeiten mit geringem Wert.331 Bagatellsachen sollen (möglichst) in lediglich einer Instanz erledigt und von den Berufungsgerichten ferngehalten werden.332 Obwohl die berufungsrechtliche Wertgrenze relative Rechtsklarheit über den Zugang zur Berufungsinstanz vermittelt333, wirft eine Beschränkung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz durch Wertgrenzen zur Aussonderung von Bagatellfällen, wie bereits angedeutet334, eine Reihe von diffizilen Rechtsfragen auf. Dies betrifft zuvörderst die Deutung des Begriffs der Bagatelle. Es handelt sich um einen offenen Wertungsbegriff, der keiner Ausfüllung zugänglich ist, die universale Zustimmung generieren kann. Was eine Partei mit geringeren finanziellen Ressourcen unter einer Bagatelle versteht, kann deutlich von dem abweichen, wie eine Partei mit größeren finanziellen Ressourcen den Begriff einordAkteure eines Rechtsmittelverfahrens ermöglichen würde, ist nur schwer zu bewerkstelligen, da Gerichte ihre Arbeitszeiten pro Fall nicht bilanzieren und es folglich an einem Bilanzfaktor für richterliche Tätigkeit fehlt. Insgesamt bestätigt sich dadurch die Auffassung Rimmelspachers, dass die Begründung von Wertgrenzen für Rechtsmittelverfahren mit einer Nutzen-Aufwand-Rechnung äußerst fragwürdig ist. Der angesprochene immaterielle Wert der Rechtsprechung rechtfertigt es ferner, stets einen erheblichen Teil der Kosten der Judikative aus Steuermitteln zu bestreiten, so zu Recht auch Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 336. Darin tritt der wenig zielführende Charakter des Versuchs der Aufstellung einer Nutzen-Aufwand-Rechnung erneut zu Tage. 331 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 511 Rn. 3. 332 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 511 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/ Lemke, ZPO, § 511 Rn. 13; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 5. 333 Diesen Vorzug von Streitwertgrenzen betonend Büttner, BRAK 1999, 50, 52. 334 Siehe Zweites Kapitel A. III. 2. a) aa).

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net.335 Aufgrund des pauschalisierenden Charakters der Wertgrenze, der ein Bezug zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen fehlt, entsteht eine soziale Schieflage. Parteien mit größeren finanziellen Ressourcen haben statistisch einen längeren Instanzenzug zur Verfügung als solche Parteien, deren Ressourcen gering sind.336 Die Möglichkeiten, ein Rechtsmittel einzulegen, werden asymmetrisch verteilt. Die individuelle Bedeutung des Rechtsstreits für die daran beteiligten, in ganz unterschiedlichen Vermögens- und Einkommensverhältnissen lebenden Parteien wird vollkommen ausgeblendet.337 Die Legitimation einer Wertgrenze, die Bagatellverfahren aussondern will, krankt ferner daran, dass sich nur schwer sachgerechte Kriterien für die Abgrenzung berufungsfähiger von nichtberufungsfähigen Urteilen finden lassen. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Entlastung der Gerichte und das Fehlen eines angemessenen Verhältnisses zwischen Verfahrensaufwand und Verfahrensnutzen im Bagatellbereich ist vor dem Hintergrund des Justizgewährungsanspruchs nur eine bedingt tragfähige Grundlage zur Rechtfertigung von Erhöhungen von Wertgrenzen. Die Rechtspflege hat ihr Angebot an der Nachfrage auszurichten; ihr ist es verwehrt, Rechtsschutz zu verweigern, weil ihr der Aufwand eigener Ressourcen unverhältnismäßig erscheint.338 Aus rechtsstaatlichem Blickwinkel ist jede Erhöhung von Wertgrenzen, die den Zugang zu einer Rechtsmittelinstanz beschränken, in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig. Denn rechtsstaatliches Ideal bleibt der römisch-rechtliche Grundsatz „et in majoribus et in minorius negotiis appellandi facultas est“.339 Obwohl die Abschaffung von Wertgrenzen als Zugangskriterium für Rechtsmittelverfahren aufgrund der sehr hohen Belastungssituation des Justizsystems kein gangbarer Weg erscheint, sollte der Gesetzgeber bei Diskussionen um die Erhöhungen von Wertgrenzen aus rechtsstaatlichen Gründen stets darauf bedacht sein, von dem Mittel der Wertgrenze zur Regelung des Zugangs zu Rechtsmittelverfahren so wenig Gebrauch wie möglich zu machen. Zu Recht wurde daher in den Jahren 2007 und 2010 von einer weiteren Erhöhung der Berufungssumme von 600 auf 1000 Euro abgesehen.340 Das zentrale Argument für die Notwendigkeit einer Erhöhung der Berufungssumme, nämlich die Unverhältnismäßigkeit des Aufwands im Vergleich zum Nutzen bei Bagatellverfahren zwischen 600 auf 335

Vgl. auch Kern, JZ 2012, 389 ff. zur Small-Claims-Verordnung. Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 145. 337 Dieses Problem des Zugangskriteriums der Wertgrenze erkennt auch der Gesetzgeber an, BT-Drs. 14/4722, S. 59; siehe auch Traut, Der Zugang zur Revision, S. 37 f. 338 Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 22. 339 C.7,62,20; Blume, The Codex of Justinian Volume 2, S. 1965; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, S. 710. Das Recht zur Appellation ist nicht von der Erreichung eines bestimmten Werts des Streitgegenstands abhängig. 340 Siehe Erstes Kapitel A. I. 9. 336

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

1.000 Euro341, ist unter Rechtsschutzgesichtspunkten wenig überzeugend.342 Die Bedenken gegen eine Erhöhung der Berufungssumme können auch nicht durch den Hinweis ausgeräumt werden, dass verfassungsrechtlich ein Instanzenzug nicht garantiert sei und der Gesetzgeber unter Abwägung verschiedener Interessen entscheiden könne, ob und unter welchen Voraussetzungen mehrere Instanzen angerufen werden können.343 Ungeachtet der bereits herausgestellten Zweifelhaftigkeit dieser gefestigten Grundannahme344 bedarf es dennoch eines nachvollziehbaren Sachgrunds zu einer Anhebung der Berufungssumme.345 Eines solchen legitimen Sachgrunds entbehrt eine Erhöhung der Berufungssumme auf 1.000 Euro. Je höher die Berufungssumme steigt, desto größer wird der Anteil an Geringverdienern, denen kein Zugang zum Instanzenzug eröffnet ist.346 Dies verschärft die durch die Bagatellgrenze herbeigeführte soziale Schieflage und kann daher auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Justizsystems beeinträchtigen. Die Begrenzung des Zugangs zur Berufungsinstanz durch eine Wertgrenze offenbart ein Dilemma, das dieser Form der Zugangsbeschränkung zur Rechtsmittelinstanz anhaftet. Die Wertgrenze ist als Filter für Bagatellverfahren ein wirksames Instrument zur Steuerung des Geschäftsanfalls der zweiten Instanz und ein notwendiges Begrenzungselement zur Verhinderung ihrer Überlastung. Allerdings steht ihre Legitimation auf wackeligen Füßen, da eine Überlastung der Gerichte aus rechtsstaatlichem Blickwinkel nur ein wenig überzeugender Sachgrund für die Beschränkung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ist und andere Sachgründe ersichtlich fehlen.347 Zutreffend fasst diese Problemlage Ankermann zusammen: „Die Einführung von Wertgrenzen ist zwar die bequemste, der Sache nach aber, weil notwendig willkürlich, die schlechteste Lösung.“ 348

Auch den Vätern der Civilproceßordnung von 1877 war der ambivalente Charakter des Zugangskriteriums der Wertgrenze bewusst:

341

BR-Drs. 439/07, S. 1. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 21. 343 So aber die Begründung des Gesetzesentwurfs BR-Drs. 439/07, S. 4 (Anlage). Kritisch demgegenüber auch Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 22; a. A. Genenger, ZRP 2011, 16, 17. 344 Siehe Erstes Kapitel A. III. 1. a). 345 Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 22. 346 Genenger weist in ihrem Diskussionsbeitrag zu dem schleswig-holsteinischen Gesetzesentwurf darauf hin, dass ein Ausschluss der streitwertabhängigen Berufung bis zur Grenze von 1.000 Euro einem Betrag entspricht, den das monatliche Nettoeinkommen von circa dreißig Prozent der Bevölkerung nicht übersteigt, Genenger, ZRP 2011, 16, 17. Zustimmend Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 21. 347 Vgl. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 511 Rn. 22; a. A. wohl Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 464. 348 AK-ZPO/Ankermann, § 511a a. F. Rn. 2. 342

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„Auch würde dieses Mittel (die Wertgrenze, Anm. der Verf.) als ein wirksames angesehen werden müssen, weil man an und für sich die Summe beliebig hoch stellen kann. Eine entsprechende Vorschrift empfiehlt sich jedoch nicht, weil die Festsetzung der einen wie der anderen Summe auf Willkür beruht (. . .).“ 349

Die Nutzung des Filters einer Wertgrenze zum Aussieben von Bagatellverfahren ist folglich ein effektives, aber unbefriedigendes Mittel der Ausgestaltung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz, da es sich zwangsläufig dem Einwand der Willkürlichkeit ausgesetzt sieht. (2) Zulassungsgründe als der Erreichung von Rechtsmittelzwecken dienende Regelungselemente Über die Beschränkung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz können auch Rechtsmittelzwecke angesteuert werden. Prägend für die Ausgestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz ist deren Ausrichtung auf die Ziele der Sicherung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung.350 Im Allgemeininteresse wird durch die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO das Fallaufkommen in der Revisionsinstanz so reguliert, dass (nur) für die Rechtsordnung wichtige, potenziell maßstabsbildende Rechtsfragen einer ober- und höchstgerichtlichen Klärung zugeführt werden können. Für solche Verfahren, die die Zulassungsanforderungen nicht erfüllen, wirken die Zulassungsgründe zur Revision wie ein vom Staat erzwungener, unfreiwilliger Rechtsmittelverzicht, der aber unabdingbar dafür ist, dass das Revisionsgericht seine Aufgabe der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung erfüllen kann.351 Die nur unvollkommene Förderung der im Allgemeininteresse liegenden Revisionszwecke durch die Ausgestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz durch das vor der Zivilprozessreform 2001 geltende Mischsystem aus Zulassungs-, Annahme- und Wertrevision führte zu deren Ersetzung durch die gegenwärtige Form der Zulassungsrevision in Kombination mit einer Nichtzulassungsbeschwerde.352 Ziel war die Erweiterung der Zugänglichkeit der Revisionsinstanz durch Abbau streitwertabhängiger Zugangsbeschränkungen.353

349

Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 143. Vertiefend zu diesen im Allgemeininteresse liegenden Revisionszwecken siehe bereits Erstes Kapitel A. II. 3. b) sowie Erstes Kapitel A. II. 3. e). Maßgebend für die Zulassung des Rechtsmittels sind damit in der Regel öffentliche Interessen Kern/Weitz, in: Hess/Ortolani (Hrsg.), Impediments of national procedural law to the free movement of judgments – Luxembourg report on European procedural law: Volume I, 2019, Chapter 4, Rn. 111. 351 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 543 Rn. 1. 352 MünchKomm ZPO/Rauscher, Band 1, Einleitung Rn. 146; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Band 1, vor § 1 Rn. 202. Vertiefend zur ZPO-Reform 2001 siehe Erstes Kapitel A. I. 8. 353 BT-Drs. 14/4722, S. 59. 350

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Die dienende Funktion der Zulassungsgründe als auf die Erreichung der Revisionszwecke der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung abzielende Zulassungshürden zeigt sich auch darin, dass die Auslegung der in den Zulassungsgründen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe im Lichte der öffentlichen Revisionszwecke erfolgt. Die Auslegung orientiert sich maßgeblich an dem Ziel, das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, seine Aufgabe zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Rechtsfortbildung erfüllen zu können.354 Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert, dass die Rechtsstreitigkeit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.355 Zudem soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch das Kriterium der Grundsatzbedeutung der Zugang zur Revisionsinstanz auch für solche Fälle offengehalten werden, in denen Leitentscheidungen des Revisionsgerichts zu Rechtsstreitigkeiten von allgemeiner Bedeutung erforderlich erscheinen.356 Gleichermaßen orientiert sich die Auslegung der weiteren Zulassungsgründe der Rechtsfortbildung und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung an der Leitbildfunktion und der Breitenwirkung, die Entscheidungen des Revisionsgerichts einnehmen und ausstrahlen sollen. Ein Einzelfall bildet Anlass zur Rechtsfortbildung, wenn die Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist, um Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen, weil richtungsweisende Orientierungshilfen fehlen.357 Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich, wenn nur auf diesem Wege verhindert werden kann, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, die die Einheit der Rechtsprechung im Ganzen berühren.358 Im Wege der Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz durch Zulassungsgründe filtert der Gesetzgeber anders als durch eine Wertgrenze die vor das Rechtsmittelgericht gelangenden Rechtssachen inhaltlich-sachbezogen. Anders als eine Wertgrenze sind Zulassungsgründe daher nicht prima facie dem Einwand der Willkürlichkeit ausgesetzt359, 354

Vgl. Traut, Der Zugang zur Revision, S. 117. BGHZ 151, 221, 223 = BGH, NJW 2002, 3029; BGHZ 154, 288, 291 = BGH, NJW 2003, 1943, 1944; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 543 Rn. 12; Zöller/Heßler, ZPO, § 543 Rn. 11. 356 BT-Drs. 14/4722, S. 104; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 543 Rn. 6; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 543 Rn. 7; kritisch dieser Begriffsauslegung gegenüberstehend Traut, Der Zugang zur Revision, S. 117 ff. 357 BGHZ 151, 221, 225 = BGH, NJW 2002, 3029, 3030; BGHZ 154, 288, 292 = BGH, NJW 2003, 1943, 1945; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 543 Rn. 11. 358 BGHZ 154, 288, 292 = BGH, NJW 2003, 1943, 1945. 359 So wohl auch Traut, Der Zugang zur Revision, S. 45. 355

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jedoch weisen sie aufgrund der fehlenden mathematischen Berechenbarkeit ein geringeres Maß an Rechtsklarheit im Vergleich zu Wertgrenzen auf und sind daher für den Rechtsanwender und auch für das Gericht weniger „bequem“. Das Gericht kann die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht beurteilen, ohne sich inhaltlich mit dem Einzelfall auseinanderzusetzen.360 Der Vorteil der Ausgestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz durch Zulassungsgründe ist aber ihr gleichheitssichernder Charakter. Es steht in jedem Rechtsstreit unabhängig von dem Wert einer Beschwer der Weg in die Revisionsinstanz offen, sodass alle Rechtsunterworfenen gleichbehandelt werden. cc) Keine Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelverfahren im Parteiinteresse Die Erörterung der mit den Beschränkungen des Zugangs zu Rechtsmittelverfahren verfolgten Zwecke hat aufgezeigt, dass die Begrenzung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen stets im Allgemeininteresse erfolgt. Im Kern bezweckt der Gesetzgeber mit der Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gerichte durch Regulierung des Geschäftsanfalls und Verhinderung der Überlastung der Gerichte. Ferner spielen Erwägungen der angemessenen Zuweisung von Justizressourcen und der Erreichung von Rechtsmittelzwecken eine Rolle bei der Ausgestaltung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz. Teilweise wird auch in Erwägung gezogen, ob Beschränkungen des Zugangs zu Rechtsmittelverfahren nicht zum Schutz der Parteirechte, dem Interesse der Parteien an einer zeitnahen und kostenschonenden, endgültigen Bereinigung ihres Rechtsstreits legitimiert werden können.361 Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.362 Obwohl der Zeit- und Kostenfaktor des Durchschreitens der Rechtsmittelverfahren häufig als Schwäche der staatlichen Gerichtsbarkeit im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit erachtet wird363, fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung für paternalistische staatliche Beschränkungshandlungen unter dem Deckmantel der ökonomischen Optimierung des Zivilprozesses. Es bedarf keines staatlichen Aufoktroyierens eines Rechtsmittelverzichts durch Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen im vermeintlichen Parteiinteresse, wenn das Prozessrecht den Parteien Möglichkeiten eröffnet, im Einzelfall dem Bedürfnis einer schnellen und kostengünstigen Streitlösung durch parteiliche Dispo-

360

Anders bei einer Streitwertgrenze, Traut, Der Zugang zur Revision, S. 34. Vgl. Pohle, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des vierundvierzigsten Deutschen Juristentages, 1962, S. 7, 37. 362 So zu Recht Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 30 ff. 363 Siehe Zweites Kapitel A. II. 1. sowie Zweites Kapitel A. II. 3. 361

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sitionshandlungen Rechnung zu tragen. Die eigenbestimmte Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts oder eines Vergleichs zum Zwecke der beschleunigten und kostengünstigeren Beendigung eines Zivilprozesses ist das mildere Mittel im Vergleich zu einem staatlichen Eingriff in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien. Es darf nicht außer Acht bleiben, dass eine Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz, die dazu führt, dass der Weg zu der Rechtsmittelinstanz nicht eröffnet ist und dass der Rechtsmittelzug sich verkürzt, einen erheblichen Einschnitt in den Rechtsschutz der Parteien bedeutet. Zwar könnte als Argumentationsansatz für eine Rechtsmittelbeschränkung im Parteiinteresse vorgetragen werden, dass eine Verkürzung des Instanzenzugs im Interesse der Parteien liege, da eine schnellere Klärung des Rechtsstreits herbeigeführt werden könne und somit zeitnah Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bestehe. Zielführend ist diese Argumentation jedoch nicht, denn sie könnte radikal zu Ende gedacht zum Anlass genommen werden, jegliche Rechtsmittel abzuschaffen. Die bereits thematisierten Vorzüge der Existenz von Rechtsmitteln364 lassen eine Verkürzung des Instanzenzugs durch den Staat aus Sicht der Parteien als wenig erstrebenswert erscheinen. Es kommt den Parteien zu Gute, dass durch Rechtsmittelverfahren Richtermacht begrenzt wird. Die Kontrollfähigkeit richterlicher Entscheidungen schützt die Parteien eines Rechtsstreits vor richterlicher Willkür und erhöht die Qualität der Entscheidungsfindung. Außerdem besteht Anlass zu Zweifeln daran, dass die Verkürzung des Instanzenzugs tatsächlich zu einer Verbesserung des Rechtsschutzsystems führen kann, denn durch Verzicht auf Ebenen im Rechtsmittelzug kann es zum Verlust der zeit- und kostenrelevanten Vorteile des Instanzenzugs, der bürgernahen Rechtspflege und effizienten Allokation von Justizressourcen kommen.365 Ex ante, also vor Erlass der anzufechtenden Entscheidung, liegt es daher stets im Interesse der Parteien, Zugang zu einer Rechtsmittelinstanz zu haben.366 Unerheblich ist hingegen, welche Art von Zugang zur Rechtsmittelinstanz sich die Parteien nach Erlass der Ausgangsentscheidung wünschen.367 Es liegt in der Natur der Sache, dass im Falle eines Prozessverlustes die unterlegene Partei stets ein valides Interesse an einer Möglichkeit hat, eine Abänderung der ungünstigen Gerichtsentscheidung durch Einlegung eines Rechtsmittels zu erreichen. Spiegelbildlich wird der obsiegenden Partei ex post die Eröffnung eines Rechtsmittels gegen die Ausgangsentscheidung missfallen, denn ihr ist daran gelegen, dass die für sie günstige Entscheidung zügig in Rechtskraft erwächst. Da Zugangsbe-

364 365 366 367

Siehe Zweites Kapitel A. I. Siehe oben Zweites Kapitel A. I. 4. sowie Zweites Kapitel A. I. 5. So auch Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 30. Anders wohl Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 331.

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schränkungen zu Rechtsmittelverfahren aber stets abstrakt, also bereits vor Erlass der Ausgangsentscheidung, gelten, ist allein die Interessenlage der Parteien vor Erlass der Ausgangsentscheidung beachtlich für die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Zugangsbeschränkungen zu Rechtsmittelinstanzen auch unter Verweis auf Parteiinteressen gerechtfertigt werden können.368 Es erscheint schwer, ex ante klare Wertungskriterien aufzustellen, anhand derer eine überzeugende Begründung gelingt, dass gegen eine künftig zu erlassende Entscheidung im Parteiinteresse kein Rechtsmittel eröffnet ist. Aufgeworfen wird der Gedanke, eine staatlich aufoktroyierte Zugangsbeschränkung zu Rechtsmittelverfahren könne im Parteiinteresse liegen, beispielsweise im Falle von querulatorischen Prozessen oder wenn eine der Parteien aus objektiv unvernünftigen Gründen auf einem Rechtsmittel beharrt.369 Allerdings handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die keinesfalls geeignet sind, für die notwendige Rechtsklarheit von Zugangsregelungen zu einer Rechtsmittelinstanz zu sorgen. Zu befürchten wäre eine quälende Rechtsunsicherheit über die Frage der Eröffnung eines Rechtsmittels durch zeitraubende Streitigkeiten über die Thematik, welche den vermeintlichen Zeitvorteil einer staatlich auferlegten Rechtsmittelbeschränkung im Parteiinteresse aufzehren würden. Zentrale Weichen des Rechtsmittelrechts wie der Zugang zur Rechtsmittelinstanz und die Beendigung des Rechtsmittelverfahrens sollte der Gesetzgeber möglichst rechtsklar stellen.370 Im Interesse einer zügigeren Erledigung des Rechtsstreits scheint eine derartige staatlich aufgezwungene Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz folglich nicht geboten. Vielmehr determinieren nicht zuletzt die prozessinternen und -externen Umstände, welche Zeitspanne eine Rechtsmittelinstanz in Anspruch nimmt. Um hierauf zu reagieren, stehen den Parteien zahlreiche Dispositionsbefugnisse und dem Gericht Prozessleitungsbefugnisse zur Verfügung. Die Nutzung dieser Rechte bei Bedarf im Einzelfall scheint der ex-ante Beschränkung des Zugangs zu Rechtsmittelinstanzen im Interesse eines zügigen Verfahrensabschlusses überlegen. Eine staatliche Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz kann ebenso wenig mit dem Parteiinteresse an einer möglichst finanziell schonenden Beilegung eines Rechtsstreits überzeugend begründet werden. Der Staat handelt widersprüchlich, wenn er das Rechtsschutzniveau zu Lasten der Parteien senkt mit Blick auf Kosten, deren Eintritt die Parteien entweder durch Einlegung des Rechtsmittels oder durch Verteidigung gegen das Rechtsmittel bewusst riskiert haben. In einer freien Wirtschaftsordnung ist jeder Herr seiner finanziellen Risi368

So zu Recht Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 30. Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 31 f. 370 Vgl. auch Zweites Kapitel A. III. 1. d) dd). Der offene Wertungsbegriff der „prozessualen Arglist“ ist beispielweise wenig geeignet, rechtsklar zulässige von unzulässigen parteidispositiven Verfahrensbeendigungen zu trennen. 369

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

ken und bedarf keiner Bevormundung durch einen paternalistisch agierenden Staat.371 Beiden Parteien eines Rechtsmittelverfahrens ist bewusst, dass je nach Prozessausgang Kostentragungspflichten entstehen können. Ob das Risiko der Tragung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens den potenziellen finanziellen Nutzen der Verfahrensdurchführung übersteigt, ist eine Frage, deren Beantwortung in der Diskretion der Parteien liegt.372 Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass Beschränkungen des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz stets ihre Wurzel allein in den Interessen der Allgemeinheit bzw. des Staates haben. Eine Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz lässt sich nicht plausibel mit den Interessen der Prozessparteien legitimieren. Aus diesem Grund stellen Zugangsbeschränkungen zu Rechtsmittelinstanzen einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Parteiherrschaft im Zivilprozess dar. b) Beschränkungen des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz Im Mittelpunkt gesetzgeberischer Beschränkungen des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen steht mithin die Bestrebung, die Funktionsfähigkeit der Rechtsmittelgerichte zu sichern, ihre Überlastung zu verhindern und Justizressourcen entsprechend der Bedeutung des Falls angemessen zu verteilen. Zentrale Erscheinungsformen der Beschränkung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen der Berufung und der Revision in ihrer heutigen Ausgestaltung sind die bereits angesprochenen Modalitäten der Wertgrenze und Zulassungsanforderung. Jede Beschränkung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz verkürzt allerdings die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien und muss aus diesem Grunde kritisch daraufhin reflektiert werden, ob sie verfassungsrechtlich zulässig und zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele geeignet, zweckmäßig und verhältnismäßig ist.373 Es soll auf verschiedene Ausprägungen von Zugangsschranken zu Rechtsmittelinstanzen eingegangen werden. Die Ausführungen stellen keine abschließende Aufzählung in der prozessrechtswissenschaftlichen Diskussion häufig thematisierter Erscheinungsformen von Zugangsschranken zu Rechtsmittelverfahren dar. Ob eine bestimmte Erscheinungsform einer Zugangsschranke für ein Rechtsmittelverfahren für dessen Zwecke zielführend ist, kann nur in Abhängigkeit von einem konkreten Rechtsmittelverfahren bewertet werden. Sodann soll 371 Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 32; Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 335. Der Gedanke, dass die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen müssten, wurde auch im preußische Justizministerialentwurf von 1871 verworfen: „Die Erwägung, daß die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnisse zu dem Werthe des Streitgegenstands stehen müßten, würde auf einer nicht gerechtfertigten staatlichen Bevormundung der Parteien beruhen (. . .)“, Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 141; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 38. 372 Siehe vertiefend Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 32 f. 373 Büttner, BRAK 1999, 50, 51.

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abschließend das Rechtsmittel der Revision besonders vor dem Hintergrund der Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde im Revisionsrecht in den Blick genommen werden. aa) Ausschluss bzw. Abschaffung eines Rechtsmittels Die rigoroseste Zugangsschranke ist der gänzliche Ausschluss bzw. die Abschaffung eines Rechtsmittels.374 Dass dieses radikale Mittel der Begrenzung von Rechtsmittelverfahren keinesfalls nur ein Gedankenspiel darstellt, zeigt der Vorschlag einiger Bundesländer zu einer „Großen Justizreform“ aus dem Jahr 2004.375 Eckpunkt des gescheiterten Vorschlags war die Reduktion der Anzahl der zivilprozessualen Instanzen von drei auf zwei. Auf die Eingangsinstanz als Tatsacheninstanz sollte nur ein Rechtsmittel mit ausschließlicher Rechtsfehlerkontrolle folgen, wodurch nach Ansicht der vorschlagenden Bundesländer Effizienz- und Beschleunigungseffekte hätten generiert werden können.376 Damit wäre das Rechtsmittel der Berufung abgeschafft worden. Der Ausschluss bzw. die Abschaffung eines Rechtsmittels ist der denkbar schlechteste Weg der Regulierung des Zugangs zu gerichtlichen Kontrollinstanzen, weil dies zu einer erheblichen Verschlechterung des Rechtsschutzes führen würde.377 Aus Sicht der – zweifelhaften – überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ergibt sich aus der Verfassung kein Recht des Einzelnen auf ein irgendwie geartetes Rechtsmittel, sodass der einfache Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert ist, eine Abschaffung eines Rechtsmittels, wie im Rahmen der „Großen Justizreform“ avisiert, zu beschließen.378 Nach der hier vertretenen Auffassung sprechen gute Gründe für die Ansicht, dass verfassungsrechtlich eine Rechtsmittelgarantie hinsichtlich einer rechtlichen Kontrollinstanz gegen erstinstanzliche verfahrensabschließende Rechtsprechungsakte anzuerkennen ist. Der Staat 374

Büttner, BRAK 1999, 50, 51; Gottwald, BRAK 1999, 55, 56. Vgl. Erstes Kapitel A. I. 9. 376 Justizministerkonferenz der Länder, Beschlüsse der Herbstkonferenz „Große Justizreform“ am 25.11.2004 in Berlin, TOP 1.2, 2004, S. 1 f. Ob eine generelle Streichung der Berufungsinstanz tatsächlich die erhofften Effizienz- und Beschleunigungseffekte hätte, darf bezweifelt werden. Als Ausgleich der Streichung der Berufung als Tatsachenkontrollinstanz müssten die Ressourcen für die Tatsachenfeststellung in der ersten Instanz deutlich erhöht werden. Eine Tatsachenfeststellung allein durch einen Einzelrichter und nicht unter der Kontrolle durch ein Kollegialgericht wäre unter Rechtsschutzgesichtspunkten bei der Abschaffung der Berufungsinstanz nicht mehr hinnehmbar. Ferner würde die Verkürzung des Instanzenzugs die Allokation von Justizressourcen erschweren. Der dreistufige pyramidale Instanzenzug hat den Vorzug, dass das Fallaufkommen schonend „gesiebt“ werden kann. Der Übergang von einer breiten Eingangsinstanz hin zu einer (im Interesse an der Verwirklichung der Revisionszwecke) sehr beschränkten Revisionsinstanz wird durch das Fehlen der Berufungsinstanz erschwert. Siehe Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 470. 377 Zu Recht so auch Gottwald, BRAK 1999, 55, 56. 378 Siehe Erstes Kapitel A. III. 1. a). 375

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

verlangt von den Privaten, von Selbsthilfe Abstand zu nehmen und sich einer verbindlichen Streitklärung vor staatlichen Gerichten zu unterwerfen, sich also dem staatlichen Gewaltmonopol unterzuordnen. Diese staatliche Direktive ist jedoch für den Einzelnen nur dann erträglich, wenn die Prozessordnung den Parteien die Möglichkeit gewährt, im Falle eines irrigen Urteils eine Korrektur verlangen zu können.379 Ferner gewährleisten Rechtsmittel einen angemessenen Ausgleich für den Haftungsausschluss bei spruchrichterlicher Tätigkeit.380 Die Abschaffung von Rechtsmittelinstanzen wirft daher stets die Frage auf, ob die Bürger noch hinreichend vor richterlichen Fehlurteilen durch Kontrollmöglichkeiten geschützt sind, sodass der Ausschluss der Haftung des Staats für ein fahrlässig falsches Zivilurteil gerechtfertigt erscheint. Der Rechtsstaatsgrundsatz verwehrt es dem Staat, sich von jeglicher Verantwortlichkeit für fehlerhafte Rechtsprechungsakte freizuzeichnen, indem er weder deren Korrektur noch Kompensation zulässt.381 Von einem Ausschluss oder der Abschaffung eines Rechtsmittels als schärfstem Eingriff in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien und damit letztlich auch in die Parteifreiheit sollte der Gesetzgeber daher tunlichst Abstand nehmen.382 bb) Wertgrenze Eine weniger einschränkende Ausgestaltung des Zugangs zu einer Rechtsmittelinstanz besteht darin, die Zulässigkeit des Rechtsmittels von dem Erreichen oder Überschreiten bestimmter Wertgrenzen (sog. Erwachsenheitssumme) abhängig zu machen. Für die Berufungs- und die Revisionsinstanz ist die Wertgrenze historisch gesehen das wichtigste Strukturelement der Beschränkung des Rechtsmittelzugangs, von dem der historische Gesetzgeber regen Gebrauch machte.383 Für das Rechtsmittel der Berufung wurde eine Wertgrenze als zugangsbeschränkendes Element im frühen 20. Jahrhundert eingeführt384, die bis heute fortbesteht. Das Rechtsmittel der Revision war bei Inkrafttreten der CPO von 1877 als reine Streitwertrevision ausgestaltet.385 Über ein Jahrhundert, bis zur ZPOReform 2001, war die Wertgrenze zentrales Gestaltungselement des Zugangs zur Revisionsinstanz.

379

Vgl. Büttner, BRAK 1999, 50, 51 f. Ebenda. 381 Vgl. Büttner, BRAK 1999, 50, 52. 382 Vertiefend Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 467 ff., 474. Prütting spielt verschiedene Varianten der Abschaffung von Rechtsmittelinstanzen durch und kommt zu Recht zu dem Ergebnis, dass keine der Rechtsmittelinstanzen des Zivilprozesses entbehrlich ist und eine generelle Streichung einer Rechtsmittelinstanz nicht sinnvoll wäre. 383 Siehe Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 463. 384 Siehe Erstes Kapitel A. I. 7. 385 Siehe Erstes Kapitel A. I. 6. 380

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Ein Wertkriterium ist ein in der Praxis besonders einfach handhabbares Regelungsinstrument.386 Das Gericht kann das Erreichen oder das Überschreiten einer Streitwertgrenze ohne erheblichen Arbeitsaufwand überprüfen und auch für die Parteien ist recht schnell erkennbar, ob sie das Zugangserfordernis erfüllen oder nicht.387 Darüber hinaus kann der Gesetzgeber bei Bedarf aufgrund der Überlastung des Revisionsgerichts oder aus Gründen der Inflation auf einfache Weise nachsteuern, indem er die Wertgrenze erhöht.388 Allerdings sieht sich die Wertrevision dem Einwand ausgesetzt, der grundsätzlich in Hinblick auf das Wertkriterium als Zugangsschranke für Rechtsmittelverfahren erhoben werden kann, und zwar ihre fehlende dogmatische Erklärbarkeit, ihre Willkürlichkeit.389 In der Revisionsinstanz stellt sich besonders nachdrücklich die Frage, ob das Wertkriterium für die Erreichung der Verfahrenszwecke überhaupt zweckmäßig ist. Das Rechtsmittel der Revision dient als Parteirechtsmittel dem Individualrechtsschutz. Ferner hat das Rechtsmittel der Revision die Funktion der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung. Besonders in Hinblick auf die letzteren Revisionszwecke wirft ein Wertkriterium enorme Friktionen auf. Eine Streitwertgrenze bewirkt, dass das Revisionsgericht in Rechtsgebieten, die vorwiegend Rechtsstreitigkeiten hervorbringen, welche im niedrigen Streitwertbereich liegen, davon abgehalten wird, grundsätzliche Rechtsfragen zu klären. Dies ist besonders bedenklich, da der Streitwert im Einzelfall keinerlei Gradmesser dafür ist, inwieweit es zum Zwecke der Beseitigung von Rechtsanwendungsungleichheit oder Rechtsunsicherheit einer klärenden höchstrichterlichen Entscheidung bedarf. Eine Klärung einer Rechtsfrage in einem Massenfall im niedrigen Streitwertbereich kann für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung von unvergleichbar höherer Bedeutung sein als die Klärung einer strittigen, aber hochspeziellen Rechtsfrage in einem Rechtsstreit mit hohem Streitwert. Eine vergleichbare Schieflage ergibt sich dort, wo Gegenstand des Rechtsstreits im Kern immaterielle Fragen sind, die sich nicht sinnvoll über einen Streitwert erfassen lassen.390 Auch kann es aus rechtsstaatlichem Blickwinkel ein besonderes Bedürfnis an der Schaffung von Rechtssicherheit durch eine revisionsgerichtliche Entscheidung geben, die aber im Falle der Existenz eines zugangsbeschränkenden Wertkriteriums nicht ergehen kann. Das Wertkriterium

386 Vgl. die bereits angesprochenen Vorteile des Wertkriteriums unter Zweites Kapitel A. III. 2. a) bb) (1). 387 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 34. 388 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 34; Rimmelspacher, in: FS Schumann, S. 327, 333. 389 AK-ZPO/Ankermann, § 511a a. F. Rn. 2; Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 143; Traut, Der Zugang zur Revision, S. 35. Vgl. Zweites Kapitel A. III. 2. a) bb) (1). 390 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 35 f.

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spiegelt nur die finanzielle Bedeutung des Einzelfalls für die Parteien, nicht aber die Bedeutung der Entscheidung des Einzelfalls für die Allgemeinheit wider.391 Ferner führt ein Wertkriterium zu einem sozial unausgeglichenem Zugang zur Revisionsinstanz, denn bei besser Bemittelten bestehen tendenziell höhere Chancen darauf, dass hinsichtlich ihres Rechtsstreits das Rechtsmittel der Revision eröffnet ist als bei Geringverdienern.392 Diese soziale Ungleichbehandlung entbehrt einer nachvollziehbaren Erklärung. Auch unter dem Blickwinkel des Individualrechtsschutzes sind Unterschiede im Rechtsschutzniveau abhängig von dem Streitwert nur schwerlich erklärbar, zumal die Bedeutung des Rechtsstreits und damit auch der Stellenwert der Möglichkeit der Anfechtung einer richterlichen Entscheidung durch ein Rechtsmittel nicht ausschließlich oder gar vorrangig von dem Wert des Streitgegenstands abhängt.393 Die besondere Schwere des Eingriffs in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien durch ein Wertkriterium ergibt sich demnach aus seiner sozialen Unausgewogenheit. Das Wertkriterium ist folglich auch in Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision keine ideale, sondern eine makelbehaftete Schranke zur Rechtsmittelinstanz. cc) Difformität der vorinstanzlichen Entscheidungen Eine Ausgestaltungsform des Zugangs zur Revision, die besonders im Vorfeld des Erlasses der Zivilprozessordnung und bis in die Anfänge des 20. Jahrhundert hinein Gegenstand der zivilprozessualen Reformdiskussion war, ist die Difformität der Vorentscheidungen.394 Difformität der Vorentscheidungen liegt nur dann vor, wenn die Vorinstanzen keine zwei übereinstimmenden Entscheidungen getroffen haben. Konformität, also das Vorliegen zweier übereinstimmender Entscheidungen der Vorinstanzen (duae conformes), versperrt den Zugang zur Revisionsinstanz.395 Als Vorteil des Difformitätsprinzips galt seine leichte Handhabbarkeit, da die Ergebnisse der Vorinstanzen leicht überprüft worden konnten. Jedoch besitzen die Prozessergebnisse der Vorinstanzen, ähnlich wie auch das Kriterium einer Wertgrenze, wenig Aussagekraft darüber, ob sich die Vorinstanzen mit einem besonders umstrittenen Rechtsproblem auseinandergesetzt haben, das im Interesse der Rechtseinheit einer höchstrichterlichen Klärung bedarf. Die Prozessergebnisse können äußerliche Konformität aufweisen, aber inhaltlich völlig unterschiedlich oder gar konträr begründet sein. Die Gleichheit des Tenors

391 Dies war u. a. eine maßgebliche Erwägung des Gesetzgebers, die ihn bewegte, die Wertrevision durch das ZPO-RG 2001 abzuschaffen, BT-Drs. 14/4722, S. 66. 392 Vgl. schon Zweites Kapitel A. III. 2. a) bb) (1). Prütting spricht zu Recht von einer „unsozialen Wirkung starrer Wertgrenzen“, Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 464. 393 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 37. 394 Siehe Erstes Kapitel A. I. 5., Erstes Kapitel A. I. 6. und Erstes Kapitel A. I. 7. 395 Traut, Der Zugang zur Revision, S. 32.

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bedeutet keinesfalls die Gleichheit der Entscheidungsgründe. In den Diskussionen über die Einführung des Difformitätsprinzips in das Revisionsrecht kam die Kritik auf, es versetze den Richter der zweiten Instanz in die Lage, die Überprüfung einer regionalen Praxis zu vereiteln, divergierende regionale Rechtsentwicklungen zu verfestigen und trage daher nicht zur Rechtseinheit bei. Ferner vermag das Difformitätsprinzip den Parteien eines Rechtsstreits keine sachgerechte, plausible Antwort darauf zu geben, warum in ihrem Einzelfall der Zugang zur Revisionsinstanz eröffnet ist oder nicht. Ob eine Konformität oder eine Difformität der Vorentscheidungen besteht, stellt sich aus Sicht der Parteien letztlich nicht selten als zufällig und unvorhersehbar dar. Darüber hinaus kann es den Parteien auch nur schwerlich plausibel gemacht werden, dass bei völlig konträrer Begründung desselben Verfahrensergebnisses in den Vorinstanzen der Weg zur Kontrolle der Berufungsentscheidung versperrt sein soll, obwohl die unterschiedlichen Beurteilungsweisen der Vorinstanzen Rechtsunsicherheit verursachen und ein Bedürfnis nach Klärung hervorrufen. Zwischen dem Individualinteresse an der Eröffnung einer dritten Instanz und der Konformität oder Difformität der Vorentscheidungen besteht keinerlei Korrelation. Zudem vermag das Difformitätsprinzip es nicht, die im Allgemeininteresse stehenden Revisionszwecke der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung zu fördern, da das Difformitätsprinzip außerstande ist, bestehende Rechtsungleichheiten in Form von der Rechtsprechungslinie des Revisionsgerichts einhellig abweichenden vorinstanzlichen Rechtsauffassungen zu bereinigen, und somit die Partikularisierung des Rechts begünstigt. Das Difformitätsprinzip ist daher aus gutem Grund seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts nicht mehr Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussionen um die Ausgestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz.396 dd) Kombination einer allgemeinen Zulassungsrevision mit streitwertabhängigen Nichtzulassungsbeschwerde Der Gesetzgeber ersetzte 2001 das bis dahin für die Revision dominierende Wertkriterium durch eine Zulassungsrevision. Der Vorteil der Regelung des Zugangs zur Revision durch die Formulierung von Zulassungsgründen liegt in dem zielgenaueren Ansteuern der im Allgemeininteresse liegenden Revisionszwecke.397 Die Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz durch verschiedene Zulassungsgründe erfolgt im Allgemeininteresse an der Verwirklichung der Revisionszwecke der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung. Die Aufgabe der Entscheidung über die Zulassung liegt traditionell in den Händen des iudex a quo, dessen Entscheidung Gegenstand der möglichen Nachprüfung 396 397

So zu Recht Traut, Der Zugang zur Revision, S. 33. Vgl. Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 465.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

durch das Revisionsgericht ist. Sofern der iudex a quo die Zulassungsgründe in anderer Weise auslegt als das Revisionsgericht, besteht allerdings die Gefahr, dass das Revisionsgericht den Zugriff auf Rechtsstreite verliert, die nach seinem Verständnis der Zulassungsgründe die Zulassungsanforderungen erfüllen. Ferner ist es denkbar, dass das Berufungsgericht zum Schutze des eigenen Erkenntnisses nur sehr zurückhaltend von der Zulassung der Revision Gebrauch macht.398 Aus diesem Grunde wird dem Revisionsgericht die Möglichkeit eröffnet, auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin zu kontrollieren, ob die von der Vorinstanz versagte Zulassung rechtens war.399 Die Nichtzulassungsbeschwerde verhindert damit, dass fehlerhafte oder uneinheitliche Auslegungen der Zulassungsgründe durch die Berufungsgerichte sich verfestigen. Ferner wird die Chancengleichheit der Parteien beim Zugang zum Revisionsgericht gesichert, die durch eine unterschiedliche Auslegung der Zulassungsgründe unter den Berufungsgerichten beeinträchtigt wäre. Andererseits bindet die Nichtzulassungsbeschwerde Ressourcen des Revisionsgerichts und verringert die Arbeitskapazitäten für die inhaltliche Entscheidung von Revisionsverfahren. Zur Verhinderung einer Überlastung des Revisionsgerichts wurde (zunächst übergangsweise) mit der grundlegenden Reform des Zugangs zur Revisionsinstanz im Jahr 2001 eine Wertgrenze als Hürde für die Zulässigkeit der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde eingeführt, obwohl erklärtes Ziel der Neuordnung des Zugangs zur Revisionsinstanz die Eröffnung des Zugangs für alle (und alle Rechtsgebiete) war.400 Die Wertgrenze bedingt, dass Rechtsfragen aus Rechtsgebieten, die typischerweise nur geringwertige Streitigkeiten hervorbringen, nur zum Revisionsgericht gelangen können, wenn die Revision durch die Vorinstanz zugelassen worden ist. Dies stellt nicht nur ein Hemmnis für die Rechtsfortbildung in diesen Gebieten dar401, sondern enthebt das Revisionsgericht auch partiell von seiner Kontrollfunktion über die Zulassungspraxis der Berufungsgerichte. Der iudex a quo muss im Bereich geringer Streitwerte keine Überprüfung seiner ablehnenden Zulassungsentscheidung befürchten und hat daher einen besonders verantwortungsvollen Entscheidungsauftrag, da seine Ablehnung der Revisionszulassung gleichermaßen das Ende des Instanzenzugs im Einzelfall und den Eintritt der formellen Rechtskraft der Berufungsentscheidung bedeutet. Die Kombination einer allgemeinen Zulassungsrevision mit einer streitwertabhängigen Nichtzulassungsbeschwerde wirft eine Reihe von grundsätzlichen Problemen auf, auf die im Folgenden einzugehen sein wird.

398

Dethloff, ZRP 2000, 428, 429. Büttner, BRAK 1999, 50, 53; vgl. ferner BT-Drs. 14/4722, S. 67. 400 BT-Drs. 14/4722, S. 68; Däubler-Gmelin, ZRP 2000, 33, 34; Nassall, NJW 2018, 3561 f.; Rehmke, VuR 2019, 460, 461. 401 Rehmke, VuR 2019, 460, 461. 399

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c) Das Paradoxon einer Wertgrenze im zulassungsbasierten Revisionsverfahren Die Nichtzulassungsbeschwerde dient der Überprüfung, ob das Berufungsgericht über die Zulassungsvoraussetzungen der Revision richtig befunden hat. Dem Revisionsgericht kommt somit eine Kontrollfunktion gegenüber dem Berufungsgericht zu. Diese Kontrolle soll verhindern, dass das Berufungsgericht zum Schutze seiner eigenen Erkenntnisse nur zögerlich von der Zulassung der Revision Gebrauch macht oder dass sich eine von der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts zur Auslegung der Revisionsgründe abweichende Zulassungspraxis verfestigt. Das Bedürfnis nach der Überprüfung der korrekten Anwendung der Zulassungsgründe auf den Einzelfall durch das Berufungsgericht hängt aber nicht von dem Wert der jeweiligen Beschwer ab, es besteht wertunabhängig.402 Aus diesem Grund steht die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde im Revisionsverfahren in der prozessrechtswissenschaftlichen Diskussion unter deutlicher Kritik.403 Demgegenüber betont der Bundesgerichtshof, dass die Wertgrenze unabdingbar für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts sei, und fordert gar eine Erhöhung der Wertgrenze zur Entlastung des Gerichts.404 Auf Betreiben der Justiz wurde die zuvor zeitlich beschränkte Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Höhe von 20.000 Euro gem. § 26 Nr. 8 EGZPO a. F. durch Einfügung in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO mit Wirkung zum 1. Januar 2020 verstetigt. Auf die beschriebene Konfliktlage soll eingegangen und die Verstetigung und der Ruf nach Erhöhung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde eruiert werden. aa) Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde als Fremdkörper im Recht des Zugangs zur Revision Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bewirkt, dass im Bereich niedriger Streitwerte eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nicht erhoben werden kann. Die Wertgrenze zieht demnach eine Trennlinie zwischen niedrigen und höheren Streitwerten im Hinblick auf die Kontrollfähigkeit einer ablehnenden Zulassungsentscheidung durch das Berufungsgericht. Auch hier kristallisiert sich das symptomatisch Wertgrenzen anhängende Manko erneut heraus: ihre fehlende dogmati-

402 So zu Recht Gsell, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2019, S. 3. 403 Siehe nur Dethloff, ZRP 2000, 428, 430; Klocke, ZRP 2017, 136, 137; Nassall, NJW 2018, 3561, 3566; Rehmke, VuR 2019, 460, 461. 404 Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 205; Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/ 2016, 17.

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sche Begründbarkeit.405 Es lässt sich vor dem Hintergrund der Kontrollfunktion des Revisionsgerichts nicht plausibel erklären, dass nur bei höheren, aber nicht bei niedrigeren Streitwerten die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung gegeben ist.406 Das Bedürfnis der Sicherung der Chancengleichheit beim Zugang zur Revisionsinstanz auf Basis einer einheitlichen Auslegung der Zulassungsgründe durch die Berufungsgerichte besteht sowohl im höheren als auch im niedrigen Streitwertbereich. Auch sind die Parteien gegenüber einer zögerlichen Zulassungspraxis eines Berufungsrichters zum Schutz seiner eigenen Entscheidungen nicht deshalb weniger schutzwürdig, weil ihr Rechtsstreit einen geringeren Streitwert zum Gegenstand hat. Das Bedürfnis, dass das Revisionsgericht seine Kontrollfunktion gegenüber der Zulassungspraxis der Berufungsgerichte wahrnimmt, besteht völlig unabhängig vom Streitwert des Einzelfalls. Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde bewirkt, dass das Revisionsgericht im Bereich niedriger Streitwerte auf die Unterstützung der Berufungsgerichte angewiesen ist, um in diesen Bereichen durch höchstrichterliche Judikate zur Verwirklichung der öffentlichen Revisionszwecke beizutragen. Der Bereich, in dem das Revisionsgericht seine Aufgabe zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung wahrnehmen kann, wird partiell allein durch die Berufungsgerichte abgesteckt. Außerdem fehlt der durch die Nichtzulassungsbeschwerde geschaffene (disziplinierende) Anreiz für die Berufungsgerichte, die Revision in geeigneten Fällen zuzulassen, da sie eine Revidierung ihrer ablehnenden Zulassungsentscheidung nicht zu befürchten haben. Die Vermutung liegt daher nahe, dass die Erreichung der Revisionszwecke in niedrigen Streitwertbereichen durch die Wertgrenze gehemmt wird.407 Die Fehlsteuerung des Zugangs zur Revisionsinstanz durch eine streitwertabhängige Nichtzulassungsbeschwerde wird dadurch offenbar, dass das Wertkriterium in keinerlei Zusammenhang mit den Revisionszwecken gesetzt werden kann. Ob eine Rechtsstreitigkeit zur Revision wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen ist oder ob die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, bestimmt sich völlig losgelöst von dem Wert der jeweiligen Beschwer.408 Im Bereich niedriger Streitwerte, sofern dies Massenfälle betrifft, kann ein erhöhtes Bedürfnis für eine höchstrichterliche Klärung einer strittigen Rechtsfrage bestehen. Diese Klärung steht aber unter der Bedingung, dass das Berufungsgericht die Revision zulässt, andernfalls wird das Berufungsurteil rechtskräftig. 405

Siehe Zweites Kapitel A. III. 2. a) bb) (1) sowie Zweites Kapitel A. III. 2. b) bb). Dethloff, ZRP 2000, 428, 430. 407 So Rehmke, VuR 2019, 460, 461. Vgl. auch Balke, AnwBl 2019, 565. 408 Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 175; Gsell, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2019, S. 3. 406

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Unter Berücksichtigung des Ziels der Verwirklichung der Revisionszwecke ist die Wertgrenze kontraproduktiv, denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht in den Bereichen von geringeren Streitwerten besteht für das Revisionsgericht keinerlei Handhabe, die Tür zu einem möglicherweise dringend benötigten Revisionsurteil durch Stattgabe einer Nichtzulassungsbeschwerde zu öffnen. Auch wenn anzunehmen ist, dass die Berufungsgerichte im Bereich geringer Streitwerte über die Zulassung der Berufung besonders sorgfältig und rechtlich zutreffend befinden409, wird es hingenommen, dass das Berufungsgericht im Bereich geringer Streitwerte das Letztentscheidungsrecht über den Zugang zur Revision hat. Damit wird gleichzeitig auch die Gefahr toleriert, dass der Zugang zur Revision fälschlicherweise versperrt und somit eine Grundsatzentscheidung verhindert wird. Im niedrigen Streitwertbereich wird die Berufungsentscheidung über die Revisionszulassung(-sgründe) aufgrund der schlichten Unkenntnis der Revisionsinstanz von der berufungsgerichtlichen Entscheidung und des Vertrauens des Gesetzgebers auf deren Fehlerfreiheit nicht als Gefahr für die Verwirklichung der Revisionszwecke wahrgenommen.410 Ganz anders liegt dies bei parteidispositiven Handlungen zur Beendigung des Revisionsverfahrens, durch die gleichermaßen eine Grundsatzentscheidung abgewendet werden kann. Es wird stets von Seiten der Richter des Bundesgerichtshofs betont, wie unbefriedigend es sei, dass der Bundesgerichtshof an dem Erlass eines Grundsatzurteils gehindert werde.411 Sicherlich kann gegenüber dieser Kontrastierung der Einwand erhoben werden, dass es sich bei Fehlerhaftigkeit der berufungsgerichtlichen Bewertung von Revisionszulassungsgründen um eine zahlenmäßig zu vernachlässigende, theoretische Gefahr handelt, wohingegen die Flucht aus der Revisionsinstanz ein massives, häufig anzutreffendes Problem darstellt. Die Gegenüberstellung soll deutlich machen, dass der Gesetzgeber durch die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde partiell den Wirkungsbereich des Bundesgerichtshofs einschränkt, einen Wirkungsbereich, den er aber am Ende des Revisionsverfahrens so vehement einfordert.412 Auch soll keineswegs die Wertgrenze für die Nichtzulas409 Der überwiegende Anteil (60 %) der durch die Berufungsgerichte zugelassenen Revisionen zwischen 2003 und 2013 betraf Streitwerte unter 20.000 Euro, Brückner/ Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 203. 410 Vgl. Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204 f., die die hohe Belastung des BGH durch Nichtzulassungsbeschwerden betonen, dabei aber außer Acht lassen, dass sich der BGH auf diese Weise partiell von der Überprüfung von Fehlern ablehnender berufungsgerichtlicher Entscheidungen zur Revisionszulassung zurückzieht. Auch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Festschreibung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt, dass bei der Gesetzesinitiative allein an die Beseitigung der Überlastung des BGH gedacht wurde, BT-Drs. 19/13828, 13 f. 411 Siehe bereits die vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik im Zweiten Kapitel A. III. 1., dort insbesondere Zweites Kapitel A. III. 1. d). 412 Siehe nur Hirsch, VersR 2012, 929 ff.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

sungsbeschwerde als völlig illegitim dargestellt werden, sondern sichtbar gemacht werden, dass sie unter Berücksichtigung der Revisionsziele ein defizitäres Regelungsinstrument darstellt.413 Zu Recht wurde gegen das Wertkriterium der Vorwurf erhoben, es erscheine angesichts der allein an öffentlichen Revisionszwecken ausgerichteten, vom Wert der Beschwer abgekoppelten Zulassungsvoraussetzungen inkonsistent, die Überprüfung dieser Zulassungsvoraussetzungen doch von einer Wertgrenze abhängig zu machen.414 Dies sei ein nicht zu rechtfertigender Systembruch.415 Das Wertkriterium wirkt wie ein Fremdkörper innerhalb der Regelungen zum Zugang zur Revisionsinstanz. Dort, wo der Gesetzgeber den Zugang zur Revisionsinstanz für alle gewährleisten will416, ist eine Wertgrenze deplatziert. Wenn der Wert der Beschwer von keiner Relevanz für die Zulassung der Revision ist, ist es inkonsequent, die Kontrolle des Berufungsgerichts, ob es das Vorliegen der Zulassungsanforderungen rechtlich zutreffend bewertet hat, von einer Wertgrenze abhängig zu machen.417 Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ist somit ein corpus alienum im Recht des Zugangs zur Revision. Die allein am Zweck der Entlastung der Justiz ausgerichtete Wertgrenze steht außerhalb jeglichen Bezugs zu den öffentlichen Revisionszwecken. Darüber hinaus gebietet es die Kontrollfunktion des Revisionsgerichts, im Bereich niedriger Streitwerte und im Bereich höherer Streitwerte die Nichtzulassungsbeschwerde zu eröffnen.418 Die konkrete Höhe der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ist für den Bürger schwerlich nachvollziehbar, sodass die Wertgrenze an sich, aber darüber hinaus auch jede Erhöhung, unweigerlich Akzeptanzschwierigkeiten aufwirft.419 Dies sind durchgreifende Bedenken, die Anlass für den Gesetzgeber geben sollten, andere Wege aus dem Dilemma der Überlastung des Bundesgerichtshofs zu suchen.

413 Künftige Reformbestrebungen hinsichtlich des Zugangs zu Rechtsmittelinstanzen sollten, nicht nur in Hinblick auf die Revisionsinstanz, die Bedeutung von Zugangsbeschränkungen für die Erreichung der jeweiligen Rechtsmittelzwecke stärker reflektieren, vgl. Prütting, in: FS Nakamura, S. 457, 459 f. Bisher stand häufig allein die Entlastungswirkung solcher Regelungen im Fokus des Gesetzgebers. 414 Gsell, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2019, S. 3. 415 Ebenda. 416 So die Argumentation des Gesetzgebers in Hinblick auf die Abschaffung der zuvor geltenden Wertrevision BT-Drs. 14/4722, S. 66. 417 Gsell, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2019, S. 3. 418 Dethloff, ZRP 2000, 428, 430. 419 Vgl. Winter, NJW 2016, 922, 923.

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bb) Erfordernis einer Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zur Entlastung des Bundesgerichtshofs? Trotz dieser strukturellen Vorbehalte gegen die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ist das Wertkriterium für die Nichtzulassungsbeschwerde nach Ansicht der Richter des Bundesgerichtshofs ein zentraler Anker der Funktionsfähigkeit des Zivilverfahrens.420 Die Richter des Bundesgerichtshofs plädieren gar dafür, die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof solle davon abhängig gemacht werden, dass der Wert der geltend zu machenden Beschwer 40.000 Euro überschreite. Dies stelle eine moderate Anhebung der derzeit geltenden Wertgrenze von 20.000 Euro dar, die geboten sei, um die nach wie vor hohe Belastungssituation der Richter des Bundesgerichtshofs zu verbessern.421 In der Tat kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass bereits die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung des Zugangs zur Revision, bestehend aus einer Zulassung in Kombination mit einer streitwertabhängigen Nichtzulassungsbeschwerde, erhebliche strukturelle Probleme aufwirft und nicht in der Lage ist, den Zweck der angemessenen Verteilung der Arbeitsressourcen des Revisionsgerichts422 zu erreichen. Ganz zutreffend wurde resümiert, dass der Bundesgerichtshof weit überwiegend allein damit befasst sei, ob er sich mit einem Rechtsstreit befassen soll.423 Die Bescheidung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist besonders zeitaufwändig. Über eine Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet ein Senat des Bundesgerichtshofs in einer Besetzung mit fünf Richtern auf Grundlage eines umfassenden schriftlichen Votums des Berichterstatters über sämtliche Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde.424 Nach Angaben der Präsidentin des Bundesgerichtshofs werden die Nichtzulassungsbeschwerden genauso sorgfältig votiert wie Revisionsurteile und verursachen daher (mindestens) einen vergleichbaren Verfahrensaufwand.425 Die Belastung mit einer Vielzahl von Nichtzulassungsbeschwerden führt dazu, dass weniger Arbeitskraft für den Erlass von Grundsatzurteilen verwendet werden kann. Die Ausgestaltung des Zugangs zur Revision führt zu einer dysfunktionalen Verteilung der Arbeitsressourcen des Bundesgerichtshofs. Seiner Aufgabe, durch Erlass von Grundsatzurteilen die Rechtseinheit zu wahren und Recht fortzubilden, kann der Bundesgerichtshof so nur ungenügend nachkommen. 420

Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200. Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204; Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/ 2016, 17. 422 Siehe Zweites Kapitel A. III. 2. a) aa) (2). 423 Nassall, NJW 2018, 3561, 3564. 424 Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 202. 425 Nassall, NJW 2018, 3561, 3565. 421

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Zum Teil kann der Arbeitsaufwand für die Bescheidung einer Nichtzulassungsbeschwerde gar den Aufwand der Erstellung eines Urteilsvotums übersteigen, wie beispielsweise bei der Prüfung des häufig geltend gemachten Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Hier erfordert die Feststellung des Verstoßes und dessen Kausalität im konkreten Fall ein vertieftes, aufwendiges Aktenstudium.426 Die überwiegende Bindung der Ressourcen des Bundesgerichtshofs mit Nichtzulassungsbeschwerden ist ferner aufgrund ihrer niedrigen Erfolgsquote unbefriedigend. Die Erfolgsquote der Nichtzulassungsbeschwerden lag im Jahr 2017 bei 5,3 %.427 Eine Nichtzulassungsbeschwerde hat somit durchschnittlich in über 90 % aller Fälle keinen Erfolg.428 Der Bundesgerichtshof wendet mithin das Gros seiner Ressourcen für Fälle auf, in denen es (freilich ex ante unerkennbar) an den Zulassungsvoraussetzungen zur Revision mangelt, also bezüglich derer keine Gebotenheit des Erlasses einer höchstrichterlichen Entscheidung im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung festgestellt werden kann. Eine Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet trägt in keinster Weise zu der Erfüllung öffentlicher Revisionszwecke bei. Ein Wegfall der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ließe befürchten, dass sich das bestehende Ungleichgewicht der revisionsgerichtlichen Ressourcenverteilung zwischen Revisionsurteilen und Nichtzulassungsbeschwerden durch den weiteren Anstieg der Anzahl an Nichtzulassungsbeschwerden noch weiter verschärfen würde und ist daher mit Blick auf die in diesem Fall wohl nur noch schwer erreichbaren öffentlichen Revisionszwecke kritisch zu sehen. Im Gesetzgebungsverfahren, das in der Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde mündete, legte die Präsidentin des Bundesgerichtshofs anhand Verfahrensstatistiken für das Jahr 2018 dar, dass bei Wegfall der Wertgrenze unter Berücksichtigung der Erledigungszahlen der Land- und Oberlandesgerichte in Berufungsverfahren sowie der Einreichungsquote für die Nichtzulassungsbeschwerde von 38 % von einer Mehrbelastung von circa 10.000 Fällen von Nichtzulassungsbeschwerden zu rechnen sei.429 Eine solche Verdreifachung des Fallaufkommens von Nichtzulassungsbeschwerden würde nach Ansicht der Präsidentin des Bundesgerichtshofs die Kernfunktion des Bundesgerichtshofs, Rechtsprechungseinheit zu gewährleisten, nachhaltig beschädigen.430

426

Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17; Nassall, NJW 2018, 3561, 3565. Nassall, NJW 2018, 3561, 3563. 428 Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 201 f.; Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17. 429 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 4. 430 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 5. 427

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Es erscheint ferner fraglich, ob der Erhalt der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auch im privaten Interesse an einer gründlichen Kontrolle des Revisionsgerichts von Fehlern der Berufungsentscheidung liegt. Die Richter des Bundesgerichtshofs befürchten im Falle der mit dem Wegfall der Wertgrenze einhergehenden Erweiterung eine Verschlechterung des Rechtsschutzes in Zivilsachen aufgrund der erhöhten Arbeitsbelastung der Gerichte.431 Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg betont „Masse und Klasse zugleich geht nicht“.432 In der Tat kann es nicht im Parteiinteresse liegen, dass der Bundesgerichtshof derart mit Nichtzulassungsbeschwerden „überschwemmt“ wird, dass er für die sorgfältige Erarbeitung eines Revisionsurteils keine freien Kapazitäten mehr hat. Der Schutz des Bundesgerichtshofs vor einer Überlastung mit Nichtzulassungsbeschwerden muss daher gewährleistet sein. Ein erheblicher Anstieg der Anzahl der Nichtzulassungsbeschwerden stünde im Widerspruch zu dem Revisionsverfahrenszweck des Individualrechtsschutzes. Die Wertgrenze ist aufgrund ihrer Dysfunktionalität und ihres fehlenden Bezugs zum Selektionsziel der Herausfilterung von Verfahren mit Rechtsfragen von Breitenwirkung kein optimales Regelungselement zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs. Einen Wegfall der Wertgrenze kann es aber ohne jegliche entlastenden Ersatzinstrumente nicht geben. Der Bundesgerichtshof muss vor einer Überlastung durch Nichtzulassungsbeschwerden wirkungsvoll geschützt werden. Eine Abschaffung der Wertgrenze ist daher so lange nicht möglich, wie der Gesetzgeber nicht Reformen anstößt, die eine vergleichbare Entlastungswirkung haben und die – anders als die Wertgrenze – nicht dysfunktional zu den Rechtsmittelzwecken stehen.433 cc) Reformdiskussionen um die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde Solche Alternativlösungen im Vergleich zur Wertgrenze sollen erörtert werden, die gleichermaßen dem gebotenen Schutz des Bundesgerichtshofs vor einer Überlastung durch Nichtzulassungsbeschwerden Rechnung tragen sollen, aber nicht wie das Wertkriterium außerhalb jeglichen Bezugs zu den Zielen des Revisionsverfahrens stehen. Gleichzeitig soll auch auf den Vorschlag aus der Justiz, die Wertgrenze weiter zu erhöhen, eingegangen werden.

431

Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200. Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17. 433 G. Wagner, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung, BT-Drucks. 19/1686, 2018, S. 10. 432

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

(1) Entlastung des Bundesgerichtshofs durch Regelungsinstrumente außerhalb des Wertkriteriums Eine vergleichbare Entlastung des Bundesgerichtshofs durch Regelungsinstrumente außerhalb der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zu erreichen, verlangt zweifellos nach einem Maßnahmenbündel. Denn außerhalb des Wertkriteriums, das nach Berechnungen der Verfahrenslast des Bundesgerichtshofs recht einfach anpassbar ist, wird sich die Belastung des Bundesgerichtshofs durch alternative Elemente der Steuerung der Arbeitslast nicht vergleichbar zielgenau regulieren lassen. Im Zusammenhang mit der (letztmaligen) Verlängerung der Befristung des § 26 Nr. 8 EGZPO a. F. wurden daher aus der Prozessrechtswissenschaft eine Reihe von Vorschlägen gemacht, um die Überlastung des Bundesgerichtshofs mit Nichtzulassungsbeschwerden ohne das Wertkriterium zu verhindern.434 Als ein Lösungsansatz wird die Entlastung des Bundesgerichtshofs von solchen Nichtzulassungsbeschwerden, die einen besonders hohen Prüfungsaufwand nach sich ziehen, durch Reform und engere Auslegung der Zulassungsgründe für die Revision ins Spiel gebracht.435 Die besondere Belastung des Bundesgerichtshofs mit Nichtzulassungsbeschwerden beruhe auf Verfahren, in denen die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben werde.436 Das Herausfiltern von auf den Einzelfall beschränkten Fehlern, wie zum Beispiel die Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf rechtliches Gehör und auf ein willkürfreies Verfahren, aus dem Revisionsverfahren durch eine Reform der Zulassungsgründe könne zur Entlastung des Bundesgerichtshofs beitragen.437 Unzweifelhaft sei, dass die Prüfung der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Einzelfall in der Fachgerichtsbarkeit zu erfolgen hat und nicht in die Verfassungsgerichtsbarkeit verschoben werden kann.438 Die Befassung mit Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Einzelfall müsse in der Fachgerichtsbarkeit aber nicht zwingend der Bundesgerichtshof übernehmen.439 434 Heinze, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung, 2018, S. 1 ff.; G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 1 ff. 435 G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 12; Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17. 436 Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17. 437 Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17; G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 12. Nach dem Willen des Reformgesetzgebers von 2001 sollen aber auch Fehler im Einzelfall, wie die Verletzung von Verfahrensgrundrechten, allgemeine Interessen berühren und damit den Zugang zur Revision eröffnen, wenn sie von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen, BT-Drs. 14/4722, S. 104. Eine Abkehr hiervon macht mithin eine Reform der Zulassungsgründe zwingend erforderlich. 438 So zutreffend Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17, unter Verweis auf BVerfGE 107, 395, 401, 406 f. = BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926. 439 Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17.

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Gegen den Vorschlag der Reform der Zulassungsgründe wird eingewandt, dass hierdurch ohne Not die durch die Handhabung der Zulassungsgründe gewonnene Rechtssicherheit geopfert und eine Mehrbelastung des Bundesgerichtshofs herbeigeführt würde.440 Der Zweifel, dass es durch eine Beschränkung der Zulassungsgründe zu einer Mehrbelastung statt einer Entlastung des Bundesgerichtshofs kommen kann, ist jedoch höchstens temporär als valide einzustufen. Denn es liegt in der Natur einer Gesetzesänderung, dass eine Adaptionsphase nötig ist, damit sich der Umgang mit der Reform einspielt. Auf lange Sicht könnte eine Rückbesinnung der Zulassungsgründe auf die Revisionszwecke der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung aber entlastende Wirkungen entfalten, denn es sind gerade die Nichtzulassungsbeschwerden, in denen ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör gerügt wird, die ein besonders vertieftes Aktenstudium des Einzelfalls zur Feststellung des Verstoßes und seiner Kausalität erfordern.441 Bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Einzelfall bestehen für den Zugang zur Revision hohe Hürden, und zwar muss die Verletzung von erheblichem Gewicht und geeignet sein, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen.442 Die hohen Hürden sind in den wenigsten Fällen erfüllt, sodass derartige Verfahren wohl maßgeblich zu der hohen Zurückweisungsquote von Nichtzulassungsbeschwerden (95 %) beitragen.443 Dennoch stellt sich die Frage, ob eine Reform der Zulassungsgründe unter Ausschluss der Rüge von Verfahrengsgrundrechtsverletzungen rechtspolitisch wünschenswert und umsetzbar wäre. Dass gewichtige Verfahrensfehler gerade durch den Bundesgerichtshof beseitigt werden können, trägt zur Akzeptanz seiner Rechtsprechung bei. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Verfahrensgrundrechtsverletzungen führt zu einem einheitlichen Umgang mit derartigen Rügegegenständen im Instanzenzug und leistet einen gewichtigen Beitrag zur Vermeidung der Verletzung von Verfahrensgrundrechten in der Ziviljustiz. Ferner führt insbesondere bei Gehörsrügen die enge Verzahnung von materiell- und verfahrensrechtlichen Wertungen dazu, dass sich eine Aufspaltung einer diesbezüglichen einheitlichen rechtlichen Bewertung als schwierig darstellt. Der Vorschlag der Reform der Revisionszulassungsgründe unter Ausschluss unter Eliminierung von Verfahrensgrundrechtsverletzungen als Rügegegenstand begegnet daher grundlegenden Zweifeln. Jedenfalls sind Vor- und Nachteile einer schärferen Konturierung der Zulassungsgründe durch den Gesetzgeber sorgfältig in den Blick zu nehmen.

440 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 9. 441 Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/2016, 17. 442 BT-Drs. 14/4722, S. 104. 443 G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 12. Vgl. bereits soeben Zweites Kapitel A. III. 2. c) bb).

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Ein weiterer zentraler Vorschlag zur Entlastung des Bundesgerichtshofs von einer hohen Anzahl an Nichtzulassungsbeschwerden ist die Einführung eines Kammerprinzips bezüglich der Entscheidungen über Nichtzulassungsbeschwerden. Über eine Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet ein Senat des Bundesgerichtshofs wie im Urteilsverfahren in einer Besetzung mit fünf Richtern.444 Eine Entlastung des Bundesgerichtshofs könne bewirkt werden, wenn für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Kammersystem, über welches das Bundesverfassungsgericht (§ 93b BVerfGG) bereits verfügt, eingeführt und so die Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden auf Kammern von drei Richtern verteilt würde.445 Teilweise wird gar erwogen, durch Änderung gerichtsverfassungsrechtlicher Grundlagen die Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden allein dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter anzuvertrauen.446 Gegen eine solche Einführung eines Kammersystems wird jedoch der Einwand erhoben, sie gefährde die Rechtsprechungseinheit innerhalb der Senate des Bundesgerichtshofs.447 Darüber hinaus wird die Effektivität der Maßnahme angezweifelt, denn der Bearbeitungsaufwand einer Nichtzulassungsbeschwerde verringere sich nicht substanziell, wenn der Entscheidungsvorschlag des Berichterstatters nur von drei statt fünf Senatsmitgliedern beraten werden müsse.448 In der Tat lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der Vorschlag der Einführung eines Kammersystems in Hinblick auf die Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden als singuläre Maßnahme mit großer Wahrscheinlichkeit nur geringe Entlastungseffekte herbeiführen könnte, denn der Arbeitsaufwand für den Berichterstatter, der einen Votumsentwurf fertigt, bleibt von der Veränderung der senatsinternen Entscheidungszuständigkeit unberührt. Allerdings kann sich der Vorschlag als sinnvolle Ergänzung der oben genannten inhaltlichen Refokussierung und Begrenzung der Zulassungsgründe darstellen. Wenn langfristig der Bearbeitungsaufwand für Nichtzulassungsbeschwerden durch eine Einengung der Zulassungsgründe sinkt, kann das Kammersystem für 444

Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 202. Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 9; G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 13. Für die strafrechtliche Revision schlägt Schletz vor, die Anzahl der über die Zulässigkeit der Revision entscheidenden Senatsmitglieder auf die Zahl zwei zu reduzieren, Schletz, Die erweiterte Revision in Strafsachen, S. 594, 603. 446 G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 13. 447 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 8. 448 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 8; Schultzky, Gutachterliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 19/13828), 2019, S. 4. 445

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weitere Steigerungen der Effizienz der Behandlung von Nichtzulassungsbeschwerden sorgen. Ferner kann der Einwand, die Einführung eines Kammerprinzips gefährde die senatsinterne Rechtsprechungseinheit, nicht vollends überzeugen.449 Zunächst muss bei der Konstituierung der Kammer darauf Acht gegeben werden, dass die unterschiedlichen Sachgebiete des Senats jeweils auf einzelne Kammern aufgeteilt werden und es keine Zuständigkeitsüberlagerungen gibt.450 So kann sichergestellt werden, dass in Bezug auf spezifische Rechtsgebiete keine Rechtsprechungsdivergenzen bei der Auslegung der Zulassungsgründe entstehen. Der Vorsitzende, der Mitglied jeder Kammer ist, kann bei Bedarf Rechtsprechungsdivergenzen, sollten diese dennoch auftreten, entgegensteuern. Die Übertragung der Zuständigkeit zur Entschließung über eine Nichtzulassungsbeschwerde allein auf einen Entscheidungsträger ist demgegenüber nicht als sinnvoll zu erachten. Es ist zu befürchten, dass eine Alleinzuständigkeit des Vorsitzenden zu einer übermäßigen Bindung von dessen Ressourcen führt, sodass dieser sich anderen sich aus seiner Funktion ergebenden Aufgaben nicht mehr in hinreichendem Maße widmen kann. Würde allein der Berichterstatter mit der Aufgabe der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde betraut, müsste dieser, um eine gleichförmige Senatsrechtsprechung zu gewährleisten, sich im umfangreichen Maße mit seinen Kollegen abstimmen. In diesem Fall ist es weder rationell erklärbar, warum allein dem Berichterstatter ein Entscheidungsrecht zukommen soll, noch, welche Effizienzvorteile das Alleinentscheidungsrecht hätte. Eine Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde durch drei Senatsrichter erscheint daher als notwendige Minimalbesetzung. Eine auf die besonderen Gegebenheiten des Bundesgerichtshofs angepasste Variante des beim Bundesverfassungsgericht bereits erprobten Kammersystems451 für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde sollte in der Lage sein, Effizienzvorteile im Stadium der Entscheidung über die Stattgabe oder Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde zu generieren. Es sind keine Gründe ersichtlich, wieso das Kammersystem sich vor dem Bundesgerichtshof anders als beim Bundesverfassungsgericht, wo es mit der Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde eine vergleichbare Vorstufe zum Urteilsverfahren wie die Entscheidung über Stattgabe oder Zurückweisung der Nichtzulassungsbe-

449 So zu Recht auch Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 9 f. 450 Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 9 f. 451 Mit Zweifeln an der direkten Übertragbarkeit des Modells des Kammersystems des Bundesverfassungsgerichts Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 9.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

schwerde gibt, nicht bewähren sollte.452 Vielmehr spricht vieles dafür, dass die Nichtzulassungsbeschwerde durch die Reduktion der Anzahl der Entscheidungsträger ihre Filterfunktion in Hinblick auf die Trennung unzulässiger oder unbegründeter Nichtzulassungsbeschwerden von Erfolg versprechenden Beschwerden besser und effizienter erfüllen kann. Des Weiteren wird eine personelle Aufstockung des Bundesgerichtshofs durch Erhöhung der Anzahl von Richtern und wissenschaftlichen Mitarbeitern als sinnvolle Entlastungsmaßnahme in Erwägung gezogen.453 Bezüglich des Vorschlags der personellen Erweiterung des Bundesgerichtshofs wird angemahnt, die Maßnahme könne die Gewährleistung der Rechtsprechungseinheit durch die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit senatsübergreifender Rechtsprechungsdifferenzen gefährden.454 Aus der Aufgabe des Bundesgerichtshofs, für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung Sorge zu tragen, ergeben sich notwendigerweise Grenzen der personellen Stärkung des Gerichts. Es kann nur eine maßvolle Aufstockung der Personalressourcen des Bundesgerichtshofs geben, denn mit zunehmender Größe steigt auch die Gefahr, dass innerhalb des Gerichts nur noch schwer eine einheitliche Rechtsprechungslinie gewährleistet werden kann. Nur eine einheitliche Stimme an der Spitze des Instanzenzugs kann für Rechtssicherheit in der Breite sorgen. Aus diesem Grund ist der Spielraum für eine weitere personelle Aufstockung des Bundesgerichtshofs durch Schaffung weiterer Zivilsenate, wie zuletzt 2018, als eng einzustufen. Eine Ergänzung eines weiteren Senats scheint noch vertretbar455, darüber hinaus nötigt aber die spezifische Funktion des Bundesgerichtshofs im zivilprozessualen Instanzenzug zur Begrenzung von Personalzuwächsen. Der Gesetzgeber sollte sich mit diesen und weiteren Vorschlägen zur Entlastung des Bundesgerichtshofs von dem deutlichen Übergewicht von Nichtzulassungsbeschwerden456 außerhalb der Wertgrenze auseinandersetzen, um auf lange Sicht die willkürliche Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien durch die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zu ersetzen. Die zuletzt erfolgte Verstetigung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ist, ob452

Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018,

S. 10. 453

Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018,

S. 10. 454 Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 5 f. 455 So auch Vorschlag von Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 10. 456 Weitere Vorschläge betreffen das Erfordernis der Begründung der Zurückweisung der Nichtzulassungsentscheidung, die Einführung einer Sanktion gegen Prozessvertreter bei Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, siehe G. Wagner, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 11 ff.; Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 11.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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wohl deren Abschaffung aufgrund des (bisherigen) Fehlens der Einführung gleichwertiger Instrumente gegenwärtig keine Option ist, rechtspolitisch keine ideale Lösung, denn – anders als die befristete Regelung – erinnert sie den Gesetzgeber nicht an die dringende Reformierungsbedürftigkeit der Regelung. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es sinnvoll ist, die notwendige Reflexion der Ausgestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz in einen größeren Kontext einzubetten und eine umfassende Reform des Zivilprozesses anzustoßen, um die Digitalisierung des Verfahrensrechts voranzutreiben.457 (2) Anhebung der Wertgrenze Die Justiz befürwortet eine Erhöhung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde. Die bestehende Wertgrenze in Höhe von 20.000 Euro müsse „maßvoll erhöht werden, um den hohen rechtsstaatlichen Standard der deutschen Ziviljustiz dauerhaft aufrechtzuerhalten“.458 Es sei daher angebracht, die bisherige Wertgrenze auf 40.000 Euro zu erhöhen.459 Dieser Vorstoß ist zu Recht auf Kritik gestoßen.460 Die Verdoppelung der Wertgrenze hätte zwar ohne Zweifel zur Folge, dass die absolute Zahl beim Bundesgerichtshof eingehender Nichtzulassungsbeschwerden abnehmen würde, jedoch schlösse sie in noch gravierenderer Weise die für Privatpersonen mit durchschnittlichem Einkommen relevanten Rechtsstreitigkeiten vom Zugang zur Revisionsinstanz aus, wenn die Zulassung der Revision durch die Berufungsinstanz zu Unrecht verweigert wird. Bereits die Wertgrenze von 20.000 Euro erschwert den Zugang von einem Großteil der Bürger zum Bundesgerichtshof, eine Anhebung der Wertgrenze würde diesen Missstand folglich sogar verschärfen.461 Sofern sich der Bundesgerichtshof noch weiter aus dem Bereich der für Individualpersonen relevanten Rechtsstreitigkeiten zurückzieht, leidet die Verbindung des höchsten Gerichts zu der Lebenswirklichkeit der Menschen. Auch wenn der Bundesgerichtshof an der Spitze des Instanzenzugs steht und daher der Zugang zu dem Gericht notwendigerweise beschränkt sein muss, schadet der böse Schein einer privilegierten Stellung großvolumiger Verfahren der Akzeptanz und dem Ansehen des Gerichts in der Gesamtbevölkerung. Zudem ist daran zu erinnern, dass der Bundesgerichtshof im Falle einer Anhebung der Wertgrenze seine Kontrollfunktion gegenüber den Berufungsgerichten in noch weiterem Maße als schon bisher aufgibt. Ferner werden 457 Schultzky, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2019, S. 5, 13 f. 458 Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200. 459 Brückner/Guhling/Menges, DRiZ 2017, 200, 204; Limperg/Voit, NJW-aktuell 15/ 2016, 17. 460 Siehe Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 4. 461 Heinze, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 4.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

die Möglichkeiten des Bundesgerichtshofs beschnitten, auf die einheitliche Auslegung der Zulassungsgründe durch die Berufungsgerichte hinzuwirken.462 Eine Verschärfung einer sachlich nur schwer begründbaren Rechtswegverkürzung im Falle der fehlerhaften Ablehnung der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht ist vor diesem Hintergrund zu vermeiden. Die verfassungsrechtliche Korrekturmöglichkeit bei fehlerhafter Nichtzulassung der Revision463 durch die Berufungsgerichte kann nicht als eine gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber dem ordentlichen Revisionsverfahren, das eine Aufhebung einer fehlerhaften Instanzentscheidung ermöglicht, erachtet werden. Daher sollte durch Anhebung der Wertgrenze nicht noch eine größere Zahl von Rechtsstreitigkeiten auf diese außerordentlichen Rechtsschutzmöglichkeit verwiesen werden. Nach alldem sollte von einer Anhebung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde Abstand genommen werden. 3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich bei der simultanen Verfolgung von Individual- und Allgemeininteressen durch ein Rechtsmittelverfahren wie dem Rechtsmittel der Revision unweigerlich ein erhebliches Spannungsverhältnis aufbaut, das der Gesetzgeber kaum für alle Akteure des Zivilprozesses befriedigend zu lösen vermag. Die große Mehrheit der im Schrifttum erwogenen Lösungsansätze will dem Allgemeininteresse an dem Erlass einer Grundsatzentscheidung besonderes Gewicht zuweisen und den Bundesgerichtshof dazu ermächtigen, trotz parteidispositiver Streitbeendigung Urteile zu fällen. Eine solche völlige Entwertung der Dispositionsfreiheit ist nicht zu befürworten. Soweit der Gesetzgeber auf eine Parteiinitiative vertraut und sich subjektiver Parteiinteressen bedient, um ein Anliegen zu fördern, das überindividueller Natur ist, ist eine völlige Missachtung des Parteiwillens der nicht-streitigen Verfahrensbeendigung durch Fortführung des Verfahrens ein widersprüchlicher Akt. Die Dienstbarmachung individueller Interessen für ein überindividuelles Ziel bedingt, dass der Gesetzgeber etwaige Unzulänglichkeiten der Vereinbarkeit der diametralen Zielrichtungen hinnehmen muss. Die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung der Restriktion der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz mag unbefriedigend sein. Allein sie stellt aber sicher, dass es nicht zu einer vollkommenen Entwertung der Dispositionsmaxime kommt. Gleichermaßen zeigt sich an den Regelungen betreffend den Zugang zur Revisionsinstanz die Antinomie von Partei- und Allgemeininteressen. Die weit über462 Zu diesen rechtsstaatlich nachteilhaftigen Konsequenzen der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde für durch sie ausgesiebte Verfahren siehe bereits Zweites Kapitel A. III. 2. c) aa). 463 Auf diese verweist Limperg, Stellungnahme zur Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde, 2018, S. 12.

A. Instanzenzug und Attraktivität staatlicher Rechtspflege

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wiegende Bindung der Ressourcen des Bundesgerichtshofs durch Nichtzulassungsbeschwerden und die vergleichsweisen geringen Kapazitäten für den Erlass von Revisionsurteilen zeigt die Unerlässlichkeit einer rigiden Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz. Die fest verankerte Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde ist hierfür allerdings ein ungenügendes Instrument. Die Wertgrenze ist ein Fremdkörper im Revisionsverfahren, das nach Willen des Gesetzgebers für alle zugänglich sein soll. Der Wert der in der Revision geltend zu machenden Beschwer steht außerhalb jeglichen Zusammenhangs zu den Bedürfnissen nach Kontrolle der einheitlichen Auslegung der Zulassungsgründe durch die Berufungsgerichte und nach Verwirklichung der öffentlichen Revisionszwecke durch das Revisionsgericht. Die Erschwernis des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ist einer der schwersten denkbaren Eingriffe in die Parteiherrschaft, denn es wird staatlicherseits ein Rechtsmittelverzicht erzwungen. Sofern das Berufungsgericht zu Unrecht das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen verneint, werden Verfahren mit höheren Streitwerten privilegiert. Der Gesetzgeber sollte sich auch auf der vorgelagerten Ebene der Nichtzulassungsbeschwerde keines Regelungselements bedienen, das systemwidrig und daher in der gegenwärtigen Höhe kaum rational erklärbar ist. Aus diesem Grunde darf die zuletzt verstetigte Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf Dauer perpetuiert werden und es sollte ein Bündel sinnvoller Alternativvorschläge wie die Einführung eines Kammersystems und die moderate personelle Aufstockung des Bundesgerichtshofs reflektiert werden.

IV. Zwischenfazit Die Untersuchung hat ergeben, dass die Einrichtung des Instanzenzugs ein zweischneidiges Schwert in Hinblick auf Attraktivität und Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege darstellt. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist der Instanzenzug einerseits ein unsagbar wertvolles Institut, denn er sorgt für die Begrenzung der Richtermacht und unterstellt die richterliche Ausübung hoheitlicher Gewalt der gebotenen binnenjustiziellen Kontrolle. Die Transparenz der Entscheidungsergebnisse durch die Praxis der Veröffentlichung von Entscheidungen über alle Instanzen hinweg trägt dazu bei, dass das Recht durch wissenschaftlichen Diskurs fortgebildet werden kann und aufgrund eines gewissen Maßes an Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen der Rechtsverkehr erleichtert wird. Andererseits kann der Instanzenzug auch der entscheidende Faktor für einen Entschluss der Parteien sein, anstatt für die staatliche Gerichtsbarkeit für die Schiedsgerichtsbarkeit zu optieren. Wenn die Parteien besonderen Wert darauf legen, eine schnelle verbindliche Klärung ihres Rechtsstreits zu erreichen, kann die Einzügigkeit des Schiedsverfahrens Vorteile bieten. Insgesamt kann stets aber nur eine tendenzielle Aussage darüber getroffen werden, in welcher Gerichtsbarkeit sich im Einzelfall die Durchführung eines Rechtsstreits als voraussichtlich kosten- bzw. zeitökonomischer darstellt. Nichtsdestotrotz haftet dem staatlichen Ins-

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

tanzenzug häufig stereotypisch das Bild einer langwierigen und kostenträchtigen Rechtsfindung an. Die Funktionsfähigkeit der Gerichte im Sinne eines Vermögens zur zweckgemäßen Aufgabenerfüllung hat entscheidende Bedeutung für die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsmittelrechts. Der Bundesgerichtshof ist als Revisionsgericht, das für die Wahrung der Rechtseinheit und die Rechtsfortbildung verantwortlich ist, darauf angewiesen, streitige Grundsatzurteile erlassen zu können. Die nicht-streitige Beendigung des Revisionsverfahrens durch die Parteien und die Überlastung mit einer Vielzahl an Nichtzulassungsbeschwerden stellen daher Hemmnisse für dessen Aufgabenerfüllung dar. Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Revisionsrechts eine bewusste Entscheidung getroffen, sich individueller Interessen zu bedienen, um Ziele zu erreichen, die überindividuellen Charakter haben. Aus diesem Grunde müssen die Parteiinteressen im Revisionsverfahren angemessene Verwirklichung erfahren. Die Dispositionsbefugnisse der Parteien in der Revisionsinstanz sind daher angesichts des Ziels der Verwirklichung der öffentlichen Revisionszwecke maßvoll zu beschränken, aber nicht vollkommen zu entwerten, indem einer nicht-streitigen Verfahrensbeendigung keinerlei Bedeutung beigemessen und ungeachtet davon ein Revisionsurteil erlassen wird. Die Regulierung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen ist für die Arbeitsfähigkeit der Rechtsmittelgerichte unabdingbar, sollte aber systemkonform, also unter Berücksichtigung der Zwecke der jeweiligen Rechtsmittelinstanz, erfolgen. Die zwangsweise Auferlegung eines Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision, sofern im Einzelfall eine Zulassung durch das Berufungsgericht nicht erfolgt und die Wertgrenze von 20.000 Euro nicht überschritten ist, ist mangels rationeller Erklärbarkeit der Höhe der Wertgrenze rechtsstaatlich nur schwer akzeptabel. Folglich ist die Zugangsschranke der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde im Revisionsrecht dringend reformbedürftig.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien über den Instanzenzug im Einzelfall Die Zivilprozessordnung legt die Wahl der Anfechtung einer richterlichen Entscheidung in die Hand der Parteien.464 Aus der Dispositionsmaxime folgt, dass die Parteien auf die Inanspruchnahme von Rechtsmittelinstanzen verzichten oder die gerichtliche Auseinandersetzung in den Rechtsmittelinstanzen beenden können. Die Entscheidungen des Verzichts auf eine Rechtsmittelinstanz oder der Beendigung eines begonnenen Rechtsmittelverfahrens durch Rechtsmittelrücknahme sollen im Fokus der Bearbeitung stehen. Denn durch diese Dispositionsbefugnisse entscheiden sich die Parteien, ihr Recht zur Kontrolle einer richter-

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BGH, NJW 1968, 794.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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lichen Entscheidung in einer Rechtsmittelinstanz aufzugeben und die Vorentscheidung zu akzeptieren. Entsprechend verkürzt sich der beschrittene Instanzenweg im Einzelfall. Die Arbeit setzt sich folglich nach der Darstellung der Bedeutung des Instituts des Instanzenzugs und der Ausgestaltung der Parteibefugnisse in den Rechtsmittelinstanzen für die Attraktivität und die Funktionsfähigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit eingehend mit den konkreten Dispositionsbefugnissen des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme auseinander, die eine parteiliche Disposition über den Instanzenzug im Einzelfall erlauben.

I. Rechtsmittelverzicht Der Rechtsmittelverzicht findet in der Zivilprozessordnung nur eine sporadische Regelung. Die Zivilprozessordnung stellt in § 515 ZPO klar, dass die Wirksamkeit eines Verzichts auf das Recht der Berufung nicht davon abhängig ist, dass der Gegner die Verzichtsleistung angenommen hat. Damit geht der Gesetzgeber implizit von der Zulässigkeit des Rechtsmittelverzichts aus.465 Die Verzichtsmöglichkeit steht den Parteien nicht nur im Berufungsverfahren zur Verfügung. Über die Verweisung des § 565 ZPO gilt sie auch im Revisionsverfahren und aufgrund von § 346 ZPO auch für den Einspruch gegen das Versäumnisurteil. Eine besondere Erscheinungsform des Rechtsmittelverzichts ist gem. § 566 Abs. 1 S. 2 ZPO der Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung durch Antrag auf Zulassung der Sprungrevision und Erklärung der Einwilligung des Gegners zum Übergehen der Berufungsinstanz. In der Rechtspraxis, insbesondere bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, spielt der Rechtsmittelverzicht aber eine nur untergeordnete Rolle, wohingegen er in Ehesachen ein recht häufig genutztes Handlungsmittel darstellt.466 Daraus erklärt sich auch, dass die Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts in Scheidungssachen unter rechtshistorischem Blickwinkel ein besonders strittiges prozessrechtliches Thema darstellte. Nunmehr sollen aber zunächst die für den Verzicht auf ein Rechtsmittel geltenden rechtlichen Grundsätze anhand des Verzichts auf das Rechtsmittel der Berufung erörtert werden. Schließlich soll auch auf weitere Erscheinungsformen des Verzichts auf ein Rechtsmittel, den Verzicht auf die Revision und den Berufungsverzicht durch Einlegung einer Sprungrevision, sowie die Sonderkonstellation des Einspruchsverzichts eingegangen werden. 1. Rechtlicher Bedeutungsgehalt und Tragweite der Verzichtserklärung Der Rechtsmittelverzicht ist die Erklärung, sich des Rechts auf Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht endgültig bege465 466

Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 1. W. Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, S. 26.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

ben zu wollen.467 Durch den Rechtsmittelverzicht gibt eine Partei das Recht auf, ein ergangenes Urteil anzufechten, um dadurch eine erneute Überprüfung des gesamten oder eines abtrennbaren Teils des Streitgegenstands und eventualiter eine ihr günstige Änderung des vorinstanzlichen Urteils erreichen zu können.468 In einen solchen gravierenden Rechtsverlust wird eine Partei regelmäßig nur dann einwilligen, wenn Folgevereinbarungen oder die weitere Geschäftsbeziehung mit der gegnerischen Partei von dem alsbaldigen Eintritt der Rechtskraft und damit von der schnellstmöglichen Herstellung von Rechtssicherheit abhängen.469 Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, dass Rechtsmittelverzichte Teil eines Vergleichs zur beschleunigten Beilegung von Rechtsstreitigkeiten470 sowie der präventiven vertraglichen Gestaltung der Lösung von Konfliktfällen sein können471 oder mit dem Ziel der Vermeidung weiterer Kosten472 vereinbart werden.473 Ohne das Vorliegen eines derartigen speziellen Anlasses wird die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts aus anwaltlicher Sicht in aller Regel der Partei nicht anzuraten sein.474 Das Institut des Rechtsmittelverzichts ist Ausdruck der Parteidisposition über Einlegung und Durchführung eines Rechtsmittels.475 Die Entscheidung, ein richterliches Urteil mit einem Rechtsmittel anzufechten, überantwortet der Gesetzgeber allein den Parteien.476 Es unterliegt der freien Disposition der Parteien, ob sie ein Rechtsmittel einlegen oder im Voraus darauf verzichten.477 467 RGZ 152, 37, 44; RGZ 161, 350, 355; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 2; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 I, S. 545; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 42. Hierin liegt ein zulässiger Verzicht auf den gesetzlichen Richter, vgl. bereits Fn. 657 und Kern, ZZP 130 (2017), 91, 118. 468 Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 2; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2370; vgl. ferner Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, S. 321 f. 469 Hirtz/Oberheim/Siebert, Berufung im Zivilprozess, Rn. 272. 470 Siehe nur BGH, NJW-RR 1989, 802; BGH, VersR 1993, 714; BGH, BauR 2014, 139, 140; BGH, NJW-RR 2018, 250 f. 471 BAGE 135, 264, 267. 472 Siehe insofern BGH, NJW 1985, 2335, 2336. 473 Siehe zu den Nachteilen des dreistufigen Instanzenzugs, deren Vermeidung das Ziel einer Disposition über den Instanzenzug im Einzelfall sein kann, Zweites Kapitel A. II. 474 Besondere anwaltliche Vorsicht bei einem Rat zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts ist ferner aus dem Grund geboten, dass der Anwalt sich schadensersatzpflichtig machen kann, wenn sich nach dem Rechtsmittelverzicht herausstellt, dass das Rechtsmittel Erfolg gehabt hätte. Die untergeordnete Rolle des Rechtsmittelverzichts in vermögensrechtlichen Streitigkeiten erklärt sich aus diesen hohen Risiken des Instituts für Partei und Rechtsbeistand. 475 BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 1; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 1. 476 BGH, NJW 1968, 794; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 1; P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 76 f. 477 BAGE 135, 264, 273.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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Die Freiheit der parteilichen Entscheidung über den Rechtsmittelverzicht verdeutlicht, dass die Zivilprozessordnung kein öffentliches Interesse an der Ausschöpfung des gesamten Instanzenzugs anerkennt.478 Der Gesetzgeber erachtet damit das Interesse der Parteien an der Beendigung der gerichtlichen Auseinandersetzung und der frühzeitigen Herstellung von Rechtsfrieden durch Verzicht auf eine Rechtsmittelinstanz als prioritär. Die Erklärung des Verzichts kann ausdrücklich oder durch konkludentes Verhalten erfolgen, stets muss aber der Wille zur Aufgabe der Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung und der Hinnahme des vorinstanzlichen Urteils als endgültig klar und eindeutig zu Tage treten.479 In Zweifelsfällen ist der Inhalt und die Tragweite einer Verzichtserklärung danach zu bestimmen, wie sie nach objektiver Auslegung zu verstehen ist.480 Die Verzichtserklärung bringt nicht, wie nach bis ins 19. Jahrhundert herrschender Rechtsauffassung, zum Ausdruck, dass sich die Parteien dem Richterspruch unterwerfen.481 Die Väter der Civilprozeßordnung wollten der Vorgängervorschrift des heutigen § 515 ZPO in diesem Verständnis noch die Bedeutung der „Begünstigung der Rechtskraft der Urteile“482 zuschreiben. Nach heutigem Verständnis besitzt das gerichtliche Urteil kraft des staatlichen Gewaltmonopols verbindliche Natur.483 Der ausdrückliche oder stillschweigende Rechtsmittelverzicht (durch Verstreichenlassen der Rechtsmittelfristen) ist keine konstitutive Voraussetzung für die Rechtskraftgeltung. 2. Abgrenzung von anderen Dispositionsbefugnissen Der Rechtsmittelverzicht ist von verwandten prozessualen und materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnissen zu unterscheiden. a) Klageverzicht nach § 306 ZPO Von einem Rechtsmittelverzicht ist der Verzicht nach § 306 ZPO abgrenzen. Während durch Rechtsmittelverzicht der Wille zur Aufgabe des Rechts auf Anfechtung einer richterlichen Entscheidung zum Ausdruck gebracht wird, enthält die Verzichtserklärung des Klägers nach § 306 ZPO die Kundgabe, dass der von 478

Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 538. RGZ 161, 350, 355; BGH, NJW 1974, 1248, 1249; BGH, NJW 1985, 2335; BGH, NJW-RR 1989, 1344; BGH, NJW-RR 1996, 1203, 1204; BGH, NJW 2002, 2108, 2109; BGH, NJW 2006, 3498; BGH, WM 2021, 1091; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 6; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 2. 480 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 6; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 515 Rn. 2; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 5. 481 Rimmelspacher, JuS 1988, 953. Vgl. Ausführungen zur Rechtsmittelgeschichte, insb. zur römischen Zeit, in der die freiwillige Unterwerfung der Parteien unter den Richter charakteristisch für die Rechtspflege war, im Ersten Kapitel A. I. 1. a). 482 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 483 Rimmelspacher, JuS 1988, 953. 479

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dem Kläger gegen den Beklagten erhobene Anspruch nicht bestehe, sein Antrag folglich unberechtigt und die eigene prozessuale Rechtsbehauptung unrichtig sei.484 Die Wirkungen des Verzicht nach § 306 ZPO sind damit deutlich weitreichender als diejenigen eines Rechtsmittelverzichts. Während der Rechtsmittelverzicht bewirken kann, dass eine unterinstanzliche richterliche Entscheidung keiner Aufhebung zugänglich ist und daher beibehalten wird, kann ein Verzicht nach § 306 ZPO in höherer Instanz die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils verursachen, sofern der erstinstanzlich siegreiche Kläger als Beklagter in der Rechtsmittelinstanz eine solche Verzichtserklärung abgibt.485 b) Materiell-rechtlicher Verzicht Der Rechtsmittelverzicht ist ferner von einem materiell-rechtlichen Verzicht486 zu unterscheiden. Während der Rechtsmittelverzicht die Aufgabe eines prozessualen Rechts bedeutet, kann es sich bei dem materiell-rechtlichen Verzicht um den Verzicht auf einen materiell-rechtlichen Anspruch487, einen Verzicht auf Einreden und Gestaltungsrechte oder um ein einseitiges Rechtsgeschäft488 handeln. c) Beschränkung der Rechtsmittelanträge Schwierig gestaltet sich die Abgrenzung des Rechtsmittelverzichts von der Beschränkung der Rechtsmittelanträge gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO. Wird ein Rechtsmittel von Anfang an in einem beschränkten Umfang eingelegt, bleibt der Rechtsmittelantrag also hinter der Beschwer zurück, kann diesem Vorgehen regelmäßig nicht der Bedeutungsgehalt eines teilweisen Rechtsmittelverzichts beigemessen werden.489 Dies gilt selbst dann, wenn die Erklärung eines beschränkten Rechtsmittelantrags keinen ausdrücklichen Vorbehalt enthält, den 484

Dazu im Einzelnen Erstes Kapitel B. I. 1. c) aa). Die Sachverhaltskonstellation mag aber von geringerer Praxisrelevanz sein, da bei allgemeiner Lebenserfahrung wenig dafür spricht, dass ein in erster Instanz siegreicher Kläger in einer höheren Instanz einen gänzlich konträren, für ihn nachteiligen Standpunkt einnehmen wird. 486 Bspw. § 1614 Abs. 1 BGB. 487 Dies kann rechtlich als Erlassvertrag i. S. d. §§ 397 ff. BGB, Aufhebungsvertrag oder einseitiger Verzicht einzuordnen sein, siehe vertiefend MünchKomm BGB/Schlüter, Band 3, § 397 Rn. 18 f. 488 Z. B. Verzicht auf die Hypothek gem. § 1168 BGB oder Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt, J. F. Baur/R. Stürner, Sachenrecht, § 59 Rn. 14. Vergleichbare Wirkungen zeitigen die Ausschlagung der Erbschaft gem. § 1942 BGB und die Ausschlagung des Vermächtnisses gem. § 2180 BGB. 489 BGHZ 7, 143, 144 f. = BGH, NJW 1952, 1295; BGH, NJW 1958, 343; BGH, NJW 1961, 1115 f.; BGH, NJW 1983, 1561, 1562; BGH, NJW 1985, 3079; BGH, NJWRR 1987, 249; BGH, NJW 2001, 146; BeckOK ZPO/Wulf, § 520 Rn. 17; Stein/Jonas/ Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 13; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 5. 485

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Antrag noch erweitern zu wollen, denn ein Rechtsmittelverzicht erfordert stets die klare und eindeutige Manifestation des Willens, die Vorentscheidung hinzunehmen und nicht anfechten zu wollen.490 Bei objektiver Auslegung des Erklärungsgehalts der Stellung eines beschränkten Rechtsmittelantrags ist ein solcher klarer und eindeutiger Wille, die vorinstanzliche Entscheidung über den in der Rechtsmittelinstanz nicht zur Entscheidung gestellten Teil des Streitgegenstands als endgültig hinzunehmen, wegen der weitreichenden Folgen eines Rechtsmittelverzichts491 regelmäßig nicht erkennbar. Sofern ein solcher Teilrechtsmittelverzicht nicht vorliegt, ist der Rechtsmittelkläger durch eine anfängliche Beschränkung des Rechtsmittelantrags nicht gehindert, sein Rechtsmittel im weiteren Verlauf des Verfahrens auf andere Teile der angefochtenen Entscheidung zu erstrecken, durch die er beschwert ist.492 Durch einen teilweisen Rechtsmittelverzicht hingegen begibt sich eine Partei ihres Rechts, ihre Rechtsmittelanträge zu erweitern.493 Eine Abgrenzung einer Rechtsmittelbeschränkung von einem teilweisen Rechtsmittelverzicht erfordert somit eine sorgfältige Auslegung des Erklärungsgehalts anhand der Umstände des Einzelfalls.494 d) Rechtsmittelrücknahme Eine weitere schwierige Abgrenzungsproblematik stellt sich zwischen dem Institut der Rechtsmittelrücknahme und dem nach Einlegung des Rechtsmittels erklärten Rechtsmittelverzicht. Eine Verzichtserklärung nach Einlegung des Rechtsmittels ist nach überwiegender Auffassung als ein Rechtsmittelverzicht495 und nicht als Rechtsmittelrücknahmeversprechen496 dogmatisch zu erfassen. Die Begründung des Entwurfs zur CPO von 1877 zeigt das Verständnis der Urheber der Zivilprozessordnung von dem Verhältnis zwischen Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme – die Rechtsmittelrücknahme war Äquivalent des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels und der Rechtsmittelverzicht bezog sich allein auf das Verfahrensstadium vor oder nach Erlass des Urteils.497 Allerdings erleichterte diese klare Vorstellung von einer zeitlichen Zäsur zwi490

BGH, NJW 1983, 1561, 1562. Siehe vertiefend BGH, NJW 2006, 3498 f. 492 BGH, NJW 1981, 2360, 2361. 493 BGH, NJW 1968, 2106. 494 Siehe nur BGH, NJW-RR 1989, 1344; BGH, NJW 2002, 2108, 2109. 495 RGZ 161, 350, 356; BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 22; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 19; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 20; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 42; W. Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, S. 26. 496 RGZ 38, 430, 432. 497 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 531. 491

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schen Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme durch die Einlegung des Rechtsmittels die Tatsache, dass beide Rechtsinstitute ihrer Rechtsfolge nach identisch behandelt wurden. Eine Rücknahme eines Rechtsmittels ermöglichte nach Auffassung des historischen Gesetzgebers nicht, wie nach heutiger einhelliger Rechtsansicht498, die erneute Einlegung des Rechtsmittels binnen der Notfrist, da „ein den Gegner wie die Gerichte belästigendes Schwanken“ 499 nicht zuzulassen sei.500 Ein ab den 1920er Jahren einsetzender Wandel in der Rechtsbetrachtung des Instituts der Rechtsmittelrücknahme bewirkte, dass der ursprüngliche klare Ansatz der Abgrenzung von Rechtsmittelverzicht und -rücknahme danach, ob die Parteidisposition vor Einlegung des Rechtsmittels (Verzicht) oder nach Einlegung des Rechtsmittels (Rücknahme)501 erfolgte, eine Aufweichung erfuhr. Nunmehr bestand nach Ansicht der herrschenden Meinung502 ein Nebeneinander von Rechtsmittelrücknahme und Rechtsmittelverzicht nach Einlegung des Rechtsmittels.503 Die gleichzeitige Verfügbarkeit der Rechtsinstitute des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme für die Parteien im Stadium nach Einlegung des Rechtsmittels wirft Friktionen auf, da die Gefahr entsteht, dass durch Erklärung eines Rechtsmittelverzichts etwaige strengere Anforderungen an die Rechtsmittelrücknahme unterlaufen werden. Der Rechtsmittelverzicht bedarf grundsätzlich keiner Zustimmung des Rechtsmittelgegners, wohingegen nach § 565 S. 2 ZPO die Rücknahme der Revision nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten nur mit dessen Zustimmung zulässig ist.504 Ein spitzfindiger Revisionskläger könnte vor diesem Hintergrund geneigt sein, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären, sofern sich eine nachteilige Revisionsentscheidung abzeich498 Bei der Rücknahme eines Rechtsmittels handelt es sich nach heutigem Verständnis nicht um die endgültige Aufgabe des Rechtsmittels, sondern nur zum Verlust des konkret eingelegten Rechtsmittels. Eine erneute Einlegung des Rechtsmittels innerhalb der Rechtsmittelfrist bleibt möglich, BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 516 Rn. 2; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 17. 499 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 500 Vgl. OLG München, NJW-RR 1994, 446. 501 Vgl. RGZ 38, 430, 432. 502 RGZ 161, 350, 356; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 22; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 42. 503 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; OLG München, NJW-RR 1994, 446. 504 Bis zum ZPO-RG ergab sich eine identische Problemkonstellation im Berufungsrecht nach § 515 Abs. 1 ZPO a. F. Auch hier galt, dass die Rücknahme der Berufung nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten nur mit dessen Zustimmung zulässig war. Siehe zur ehemaligen Rechtslage, deren Regelungsziele und die Gründe für deren Abänderung durch den Gesetzgeber BT-Drs. 14/4722, S. 94; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 532.

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net, und auf diesem Wege zu versuchen, die Restriktionen für die Rücknahme des Rechtsmittels der Revision505 nach § 565 S. 2 ZPO zu umgehen. Dass eine reale Gefahr der Umgehung der Beschränkung von Rechtsmittelrücknahmen im fortgeschrittenen Stadium des Revisionsverfahrens durch Erklärung eines Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels besteht, zeigt sich rechtshistorisch an Versuchen der Umgehung der ehemaligen Einschränkung des § 515 a. F. ZPO für die Rücknahme der Berufung ab Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten, die den aktuellen Schranken für die Revisionsrücknahme entspricht.506 Der Gesetzgeber wollte mit dem Zustimmungserfordernis vor allem das Interesse des Berufungsbeklagten an der Durchführung seiner Anschlussberufung schützen.507 Es bestand die Gefahr, dass der Schutzzweck der Norm unterlaufen wird, wenn der Berufungskläger anstelle einer Rechtsmittelrücknahme einen Rechtsmittelverzicht erklärte. Die Rechtsprechung wies Umgehungsversuche der den Rechtsmittelverzicht erklärenden Partei allerdings in die Schranken, indem sie das Einwilligungserfordernis für die Berufungsrücknahme nach § 515 a. F. ZPO auf den Rechtsmittelverzicht nach Beginn der Berufungsverhandlung übertrug.508 Im Wesentlichen berief sie sich zur Begründung eines Analogieschlusses zu § 515 a. F. ZPO in Bezug auf den Rechtsmittelverzicht des Berufungsbeklagten nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten darauf, dass eine Regelungslücke betreffend die Voraussetzungen des Rechtsmittelverzichts erst durch das veränderte rechtswissenschaftliche Verständnis vom Verhältnis zwischen dem Institut der Rechtsmittelrücknahme und dem Institut des Rechtsmittelverzichts entstanden sei.509 Den daraus resultierenden Regelungsbedarf habe der Gesetzgeber nicht erkannt.510 Das Zustimmungserfordernis für die Rücknahme des Rechtsmittels nach § 515 a. F. ZPO müsse für einen nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung erklärten Rechtsmittelverzicht gelten, da in diesem Zeitpunkt bereits die Rechtsmittelfrist abgelaufen sei und so kein praktischer Unterschied zwischen den Rechtsfolgen eines Verzichts und einer Rücknahme des Rechtsmittels bestehe.511 Außer505 Siehe zu dem in der rechtlichen Diskussion stets negativ konnotierten Thema der „Flucht aus der Revision“ durch parteidispositive Streitbeendigung bereits eingehend Zweites Kapitel A. III. 1. 506 Siehe nur BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; OLG Celle, NJW 1963, 1113 f.; OLG München, NJW-RR 1994, 446 f. 507 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 508 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; OLG Celle, NJW 1963, 1113 f.; OLG München, NJW-RR 1994, 446 f.; ablehnend gegenüber der analogen Anwendung des § 515 a. F. ZPO auf den Rechtsmittelverzicht nach Einlegung des Rechtsmittels Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395, 2396 Fn. 6; Pohle, JZ 1964, 462 f. 509 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738. 510 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738. 511 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738 f.; OLG Celle, NJW 1963, 1113, 1114.

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dem rechtfertige die Analogie, dass ansonsten die Zwecksetzung des § 515 a. F. ZPO durch den Berufungskläger im Wege einer Erklärung eines ohne Weiteres zulässigen Rechtsmittelverzichts umgangen werden könnte.512 Angesichts der starken Annäherung des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels an die Rechtsmittelrücknahme durch Übertragung der Anforderungen des überholten § 515 a. F. ZPO hat Wagner zu Recht die Frage nach der Legitimation der Anerkennung eines Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels gestellt.513 Die alleinige Raison d’Être des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels514 im Verhältnis zur Rechtsmittelrücknahme liegt darin, dass nur der Rechtsmittelverzicht, nicht aber die Rechtsmittelrücknahme das Recht der erneuten Einlegung des Rechtsmittels, freilich innerhalb der Rechtsmittelfrist, ausschließen soll.515 Die rechtliche Charakteristik der Rechtsmittelrücknahme, nämlich die Gestattung der erneuten Einlegung des Rechtsmittels und somit eines Umdenkens des Rechtsmittelklägers, stellt nur prima facie einen Vorteil des Instituts dar. Denn eine – theoretisch mögliche – erneute Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Rechtsmittelrücknahme wird rechtspraktisch wegen des Ablaufs der Rechtsmittelfristen nach §§ 517, 548 ZPO regelmäßig ausscheiden. Auch die Rechtsprechung erkennt an, dass es sich bei einer zweiten zulässigen, weil fristgerechten, Einlegung eines Rechtsmittels um eine Ausnahmeerscheinung handelt.516 Auf512 BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 739; OLG Celle, NJW 1963, 1113, 1114; OLG München, NJW-RR 1994, 446, 447. 513 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 533. 514 Zur überholten Rechtslage hat die Rechtsprechung vertreten, dass ein Berufungskläger aus Kostengründen einen Rechtsmittelverzicht einer Rechtsmittelrücknahme vorziehen könne. Eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens könne beim Verzicht von Amts wegen ergehen, wohingegen die Entscheidung über die Wirkungen der Berufungsrücknahme gem. § 515 Abs. 3 S. 2 a. F. ZPO nur auf Antrag des Gegners ergehen könne, der zu diesem Zwecke einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen habe. Um diese später dem Rechtsmittelkläger aufzuerlegenden Kosten des Rechtsmittelbeklagten zu vermeiden, könne der Berufungskläger die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts vorziehen, BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868. Ein solcher Unterschied zwischen den Kosten eines Verfahrens bei Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung besteht im geltenden Recht nicht mehr. Ganz im Gegensatz bietet sich vor dem Hintergrund der Kostenfrage eine Rechtsmittelrücknahme an, die anders als der Rechtsmittelverzicht eine Ermäßigung der Gerichtskostengebühr KV 1220 ff. GKG (nach KV 1221 GKG auf 1,0 oder nach KV 1222 Nr. 1 GKG auf 2,0) nach sich zieht, BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 16; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 35. 515 RGZ 161, 350, 357; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; OLG Celle, NJW 1963, 1113; OLG München, NJW-RR 1994, 446, 447. 516 Vgl. OLG München, NJW-RR 1994, 446, 447; OLG Celle, NJW 1963, 1113, 1114. In der Praxis wird eine zweite fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels regelmäßig nur dann in Betracht kommen, wenn die Rechtsmittelfrist mangels einer Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils erst mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils beginnt (§§ 517, 551 Abs. 2 S. 3 ZPO), Anders/

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grund dieser geringen praktischen Bedeutung der zweifachen zulässigen Rechtsmitteleinlegung stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Anerkennung eines Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels überdeutlich. Selbst im Falle des Bestehens einer Möglichkeit der erneuten Rechtsmitteleinlegung könnte die Rechtsmittelrücknahme mit einem Versprechen verbunden werden, das Rechtsmittel nicht erneut anhängig zu machen.517 So könnte dasselbe rechtliche Ergebnis wie durch einen Rechtsmittelverzicht nach Einlegung des Rechtsmittels erreicht werden. Für die Eröffnung der Möglichkeit des Rechtsmittelverzichts auch nach Einlegung des Rechtsmittels besteht folglich kein rationales Bedürfnis.518 Vielmehr kann eine Aufgabe der Figur des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels für dogmatische Klarheit sorgen und Versuche der Umgehungen der Beschränkungen der Rechtsmittelrücknahme nach Beginn der mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren durch die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bereits im Ansatz verhindern. Ansonsten steht zu befürchten, dass Bemühungen unternommen werden, sich den Anforderungen der Neuregelung der Revisionsrücknahme nach § 565 S. 2 ZPO durch Erklärung eines Rechtsmittelverzichts zu entziehen und die Justiz sich somit erneut mit der Fragestellung der analogen Anwendung einer Beschränkung der Rechtsmittelrücknahme auf das Institut des Rechtsmittelverzichts zu befassen hat.519 Auch hier hat der Gesetzgeber wohl nicht erkannt, dass das Bedürfnis für eine entsprechende Regelung zur Beschränkung des Rechtsmittelverzichts nach Beginn der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren besteht, um zu unterbinden, dass der Revisionskläger auf dem Weg der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts dem Revisionsbeklagten das Recht entzieht, durch unterlassene Mitwirkung eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen.520 Eine Aufgabe der Anerkennung eines Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels durch eine klare dogmatische Trennung der RechtsmittelrückGehle/Göertz, ZPO, § 522 Rn. 10. Grund für eine wiederholte Rechtsmitteleinlegung kann beispielsweise sein, dass das erste Rechtsmittel wegen unzureichender Begründung als unzulässig verworfen wurde, vgl. BAGE 1, 82 = BAG, NJW 1954, 1704. 517 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 534. In diesem Sinne auch Althammer und Heßler, die den nach Rechtsmitteleinlegung erklärten Verzicht sachlich als Rechtsmittelrücknahme unter Verzicht auf erneute Einlegung einordnen, Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 5; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 15; a. A. Saenger/Wöstmann, ZPO, § 515 Rn. 5. 518 A. A. Rimmelspacher, der konstatiert, dass eine Partei gute Gründe haben könne, statt der Rücknahme das Mittel des Verzichts zu wählen, ohne allerdings diese Gründe zu benennen, MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 22. 519 Heßler will ungeachtet des klaren, auf die Rücknahme des Rechtsmittels beschränkten Wortlaut des § 565 S. 2 ZPO auch für den Verzicht auf die Revision die §§ 515, 516 ZPO nur nach Maßgabe des § 565 S. 2 ZPO anwenden, Zöller/Heßler, ZPO, § 565 Rn. 2. 520 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 565 ZPO, BT-Drs. 17/13948, S. 35.

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nahme von dem Rechtsmittelverzicht ist nach alldem sinnvoll. Sie befreit die Judikatur von der Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Frage der analogen Anwendbarkeit von Beschränkungen der Rechtsmittelrücknahme auf den Rechtsmittelverzicht. Die Interessen der Parteien werden nicht nachteilig tangiert, da sie über ein Versprechen, von der erneuten Einlegung des Rechtsmittels Abstand zu nehmen, gleichwertigen Schutz wie durch einen Rechtsmittelverzicht erlangen können. Die somit gewonnene Rechtsklarheit ist daher der entscheidende Gewinn, den eine Aufgabe der Figur des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels generieren kann. 3. Arten von Rechtsmittelverzichten Das Prozessrecht ermöglicht den Parteien, auf verschiedenste Weise einen Rechtsmittelverzicht zu erklären. Aus der Freiheit, über Einlegung und Durchführung eines Rechtsmittels zu entscheiden, folgt die Autonomie der Parteien bezüglich des Zeitpunkts und der Form, in der sie sich dazu entschließen, das prozessuale Recht, eine gerichtliche Entscheidung durch die übergeordnete Instanz nachprüfen zu lassen, endgültig aufzugeben. Folglich besteht eine Vielzahl an prozessualen Ausformungen des Rechtsmittelverzichts, derer sich die Parteien bedienen können. Diese Typen von Rechtsmittelverzichten lassen sich je nach Differenzierungskriterium verschiedenartig kategorisieren.521 Regelmäßig erfolgt in der prozessrechtswissenschaftlichen Literatur eine Unterteilung der Arten von Rechtsmittelverzichten in temporaler Hinsicht entsprechend dem Zeitpunkt der Verzichtserklärung. Darüber hinaus können Erscheinungsformen von Rechtsmittelverzichten in zweifacher Hinsicht nach den an dem Rechtsmittelverzicht beteiligten Akteuren abgrenzt werden. Der Adressat eines Rechtsmittelverzichts kann entweder das Gericht oder der Prozessgegner sein. Zudem kann der Rechtsmittelverzicht einseitig oder zweiseitig erklärt werden. Die durch Anwendung verschiedener Unterscheidungskriterien bewirkte Multiplikation von Erscheinungsformen von Rechtsmittelverzichten führt allerdings zu einem für den Rechtsunterworfenen schwer noch durchschaubaren Dickicht an Handlungsoptionen für die Erklärung eines Verzichts auf ein Rechtsmittel. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Arten von Rechtsmittelverzichten zielt darauf ab, zum Ziel der Erhöhung der Rechtsklarheit zu den Grundlagen des Instituts des Rechtsmittelverzichts vorzudringen und dogmatische Grundkoordinaten des Instituts des Rechtsmittelverzichts herauszuarbeiten. Die Heranziehung normativer Grundlagen aus der Zivilprozessordnung zum vorgenannten Zwecke erweist sich als wenig fruchtbar, da die Zivilprozessordnung selbst nur spärliche Auskunft über die Facetten des Rechtsinstituts des Rechtsmittelverzichts gibt. Der Gesetzgeber beschränkt sich im Berufungsrecht 521

Siehe bei Habscheid, NJW 1965, 2369.

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darauf festzuhalten, dass die Wirksamkeit eines Verzichts auf das Recht der Berufung nicht davon abhängt, dass der Prozessgegner die Verzichtsleistung angenommen hat. Im Wege der Streichung des Zusatzes „nach Erlaß des Urteils“ in § 514 ZPO a. F. durch das ZPO-RG 2001 wurde klargestellt, dass eine Annahmeerklärung des Gegners auch für einen Rechtsmittelverzicht vor Erlass des Urteils keine Wirksamkeitsbedingung ist.522 Bereits vor der Gesetzesänderung war die Zulässigkeit des Rechtsmittelverzichts vor Urteilserlass in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt.523 Die Regelung des § 515 ZPO ist auch insofern rudimentär, als der Anwendungsbereich der Norm sich allein auf den einseitigen Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Gericht erstreckt.524 Eine einseitige Erklärung einer Partei über den Rechtsmittelverzicht kann jedoch nicht nur gegenüber dem Gericht, sondern auch gegenüber dem Gegner erfolgen.525 Aus den Gesetzesmaterialien zur Civilproceßordnung von 1877 ergibt sich, dass die Väter der Zivilprozessordnung bei der Regelung des Vorläufers zum heutigen § 515 ZPO zuvörderst den einseitigen (dem Gericht oder dem Gegner gegenüber erklärten) Rechtsmittelverzicht nach Erlass des Urteils im Blick hatten.526 Der Rechtsmittelberechtigte kann den Rechtsmittelverzicht nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils gegenüber dem Ausgangsgericht im Schriftsatzwege oder im Rahmen der Urteilsverkündung mündlich erklären.527 Gleichermaßen steht der Partei nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils die Möglichkeit offen, den Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozessgegner kundzutun.528 Da die Zivilprozessordnung jeder Partei ein eigenständiges Entscheidungsrecht darüber zugesteht, ihr Recht auf Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens aufzugeben, wird teilweise vertreten, dass der Rechtsmittelverzicht als eine prozessuale Verfügung einzuordnen

522 BGH, NJW-RR 2018, 250, 251; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 1; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 1; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 2. 523 BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 70; P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 76 ff.; Habscheid, NJW 1965, 2369; Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 956. 524 BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 1; a. A. Rimmelspacher, JuS 1988, 953. 525 RGZ 104, 133, 136; RGZ 161, 350, 355; BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; BGHZ 4, 314, 320 = BGH, NJW 1952, 705; BGH, NJW 1968, 794, 795; BGH, NJW 1974, 1248, 1249; BGH, NJW 1985, 2335; BGH, NJW-RR 1989, 1344; BGH, NJW-RR 1991, 1213; BGH, NJW 2002, 2108; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 13; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 9; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 43. 526 Siehe Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 527 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 18; Prütting/Gehrlein/ Lemke, ZPO, § 515 Rn. 15. 528 BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 13.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

sei.529 Die Verfügung liege in einer unmittelbaren Aufhebung des Anfechtungsrechts hinsichtlich des gerichtlichen Urteils.530 Das Verständnis der Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts als eine prozessuale Verfügung wird dem Rechtsinstitut aber nicht in allen seinen Erscheinungsformen gerecht. Eine prozessuale Verfügung setzt voraus, dass der durch sie erstrebte prozessuale Erfolg unmittelbar eintritt, indem eine bestimmte Prozesslage begründet oder aufgehoben wird und dadurch gleichsam alle Akteure des gerichtlichen Verfahrens wegen der „erga omnes-Wirkung“ der Parteidisposition die neue Prozesslage zu beachten haben.531 Eine unmittelbare Aufgabe der prozessualen Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels führt aber ausschließlich die Erklärung des Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Gericht herbei, nicht jedoch die (außergerichtliche) Erklärung des Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Prozessgegner.532 Der einseitige, außergerichtliche Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozessgegner wird erst durch die Erhebung der Verzichtseinrede durch den Prozessgegner prozessual beachtlich533 und führt daher nicht unmittelbar eine veränderte Prozesslage herbei. Der nachträgliche außergerichtliche Rechtsmittelverzicht kann ferner in Form eines Vertrags durch zweiseitige Verzichtsvereinbarung zustande kommen.534 Neben den nachträglichen Rechtsmittelverzicht tritt – nunmehr kaum bezweifelt535 – der vor Erlass des Urteils erklärte Rechtsmittelverzicht.536 Die Zulässigkeit des Rechtsmittelverzichts vor Erlass des Urteils wurde durch die Streichung des Zusatzes „nach Erlaß des Urteils“ in § 514 ZPO a. F. durch das ZPO-RG 2001 bekräftigt.537 Bereits die Entwürfe zur Civilproceßordnung von 1877 erörterten den Verzicht vor Erlass des Urteils und erfassten den antizipierten Rechts-

529 So wohl BGH, NJW 1974, 1248, 1249; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 2; ausdrücklich Habscheid, NJW 1965, 2369, 2370 f. 530 Habscheid, NJW 1965, 2369, 2370 f. 531 Siehe zum prozessualen Verfügungsvertrag die Ausführungen im Ersten Kapitel B. II. 1. 532 So zu Recht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 529; a. A. Blomeyer, Zivilprozessrecht, S. 177, der auch beim Rechtsmittelverzichtsvertrag von einer (negativen) Verfügungswirkung im Sinne einer unmittelbar verfahrensgestaltenden Wirkung ausgeht. 533 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 16; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 515 Rn. 4; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, S. 160. 534 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 17; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 17. 535 Anders noch Walsmann, AcP 102 (1907), 1, 208 f. Gegenteilige Stimmen siehe ferner bei P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 75 Fn. 114. 536 Siehe nur BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 3; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 1. Wie bereits soeben unter dem Abschnitt Zweites Kapitel B. I. 2. d) dargelegt, ist die Figur des Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels nicht anzuerkennen. 537 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 8.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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mittelverzicht als Vertrag.538 Diesem Verständnis folgend ordneten Rechtsprechung und Literatur den antizipierten Rechtsmittelverzicht zunächst ganz überwiegend allein als eine auf vertraglicher Übereinkunft basierende Parteidisposition ein.539 Nach Inkrafttreten des ZPO-RG von 2001 setzte sich aber die Auffassung durch, dass für einen antizipierten Rechtsmittelverzicht nicht allein die Handlungsform der zweiseitigen vertraglichen Vereinbarung in Betracht kommt, sondern auch eine einseitige Verzichtserklärung möglich ist.540 Nach hier vertretener Ansicht ist der antizipierte Rechtsmittelverzicht ebenso wie der nachträgliche Rechtsmittelverzicht auch der einseitigen Erklärung zugänglich. Durch Entfernung des Zusatzes „nach Erlaß des Urteils“ in § 514 ZPO a. F. kann nicht mehr im Wege des argumentum e contrario der Schluss gezogen werden, der antizipierte Rechtsmittelverzicht bedürfe der Annahme durch den Prozessgegner und daher der Vertragsform. Der Gesetzgeber hat stattdessen zum Ausdruck gebracht, dass er die aus diesem Zusatz hergeleitete Differenzierungen zwischen Rechtsmittelverzichten unter Hinweis auf den Zeitpunkt der Erklärung des Rechtsmittelverzichts beseitigen wollte.541 Den Parteien bleibt es jedoch unbenommen, eine vertragliche Vereinbarung über ihr prozessuales Recht, ein Rechtsmittel einzulegen, zu treffen.542 Die Parteien können sich wechselseitige Pflichten mit dem Ziel der beidseitigen Aufgabe des Rechts zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung im Sinne eines do ut des auferlegen, um eine schnellere endgültige Beilegung ihres Rechtsstreits zu erreichen. Eine Partei kann sich gegenüber ihrem Prozessgegner verpflichten, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären, die Urteilsanfechtung zu unterlassen oder auf die Einlegung eines Rechtsmittels zu verzichten.543 Wagner hat darauf hingewiesen, dass allein wechselseitige Unterlassungserklärungen dem Willen der vertragsschließenden Parteien, ein richterliches Urteil anfechtungsfest zu machen und dadurch schnelle Rechtssicherheit zu erlangen, hinreichend gerecht werden.544 Nur, wenn der Schuldner sich dahingehend bindet, das Urteil nicht mit

538

Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 70, 78; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 529; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2373; Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 956. 540 So nunmehr die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, siehe nur Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 9 f.; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 3; a. A. Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4. 541 Vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 94. 542 BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26. 543 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 48. Habscheid spricht von einer „materiellrechtlichen Verpflichtungserklärung, ein demnächst entstehendes Anfechtungsrecht nicht auszuüben oder darauf zu verzichten“, Habscheid, NJW 1965, 2369, 2371. 544 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 529. 539

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Rechtsmitteln anzugreifen, und nicht die Verpflichtung zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts lasse sich ein gleichwohl anhängig gemachtes Rechtsmittel wegen Verstoßes gegen eine prozessvertragliche Pflicht als unzulässig verwerfen.545 Wagner ist zwar beizupflichten, dass es sich aus Gründen der Rechtsklarheit empfiehlt, den Willen beider Parteien zur Aufgabe ihres Rechts zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung rechtstechnisch in Form von Unterlassungspflichten in Hinblick auf die Einlegung eines Rechtsmittels umzusetzen.546 Allerdings vermag die Rechtsauffassung, dass nur im Falle einer Postulierung einer Unterlassenspflicht in Hinblick auf die Einlegung eines Rechtsmittels ein gleichwohl anhängig gemachtes Rechtsmittel wegen des Verstoßes gegen eine prozessvertragliche Pflicht als unzulässig verworfen werden könne, nicht recht zu überzeugen. Es entbehrt eines sachlichen Grundes, zwischen der Verpflichtung zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts und zur Unterlassung der Einlegung eines Rechtsmittels im Falle eines ungeachtet der vertraglichen Verpflichtung eingelegten Rechtsmittels auf Rechtsfolgenebene zu unterscheiden, denn beide vertraglichen Verpflichtungen verfolgen das gleiche Ziel, nämlich die Verhinderung der Fortsetzung des Verfahrens in einer höheren Instanz.547 Derjenige, der entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt und ein Rechtsmittel einlegt, setzt sich mindestens in gleichem Maße in Widerspruch zu seiner vertraglichen Verpflichtung wie derjenige, der ein Rechtsmittel einlegt, obwohl er sich zur Unterlassung dieser Prozesshandlung verpflichtet hat. Mehr sogar lässt sich festhalten, dass derjenige, der entgegen seinen vertraglichen Bindungen keinen Rechtsmittelverzicht erklärt und ein Rechtsmittel einlegt, sich in doppelter Weise treuwidrig verhält, indem er sich zweifach in einer Weise geriert, die durch die vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden sollte. Auch in dem Fall der vertraglichen Verpflichtung zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts muss das später ohne vorherige Erklärung des versprochenen Rechtsmittelverzichts eingelegte Rechtsmittel wegen eines venire contra factum proprium als unzulässig verworfen werden.548

545

G. Wagner, Prozeßverträge, S. 529. Dies entspricht wohl auch der Rechtspraxis, die sich in den Judikaten zum Rechtsmittelverzichtsvertrag widerspiegelt, vgl. nur BGH, NJW 1968, 794, 795; BGH, NJW 1982, 2072, 2073; BGH, BauR 2014, 139, 140. 547 Zur rechtlichen Gleichwertigkeit der beiden Formulierungsvarianten siehe nur BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397, 1397; BGH, NJW-RR 1992, 567, 568; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 35; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 18. 548 Vgl. zum Verbot, sich prozessual mit seinem vorausgegangenen rechtsgeschäftlichen Verhalten in Widerspruch zu setzen, RGZ 102, 217, 222; RGZ 123, 84, 85; RGZ 159, 186, 190; BGH, NJW 1963, 243; BGH, NJW 1964, 549, 550; BGH, NJW 1984, 805; BGH, NJW 1985, 189; BGH, NJW-RR 1989, 802; BGH, BauR 2014, 139, 140. 546

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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Eine vertragliche Vereinbarung über einen Rechtsmittelverzicht kann sowohl antizipiert als auch nach Erlass des Urteils getroffen werden.549 Die vertragliche Verpflichtung, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder es zu unterlassen, Rechtsmittel einzulegen, hat keine unmittelbare Auswirkung auf den Prozess, sondern findet prozessual erst Berücksichtigung auf Einrede des Prozessgegners hin.550 Die Ausführungen zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Rechtsmittelverzichten zeigen, dass eine Systematisierung der Arten von Rechtsmittelverzichten in temporaler Hinsicht, wie sie durch die überkommene Gesetzesfassung des § 514 ZPO a. F. durch den Zusatz „nach Erlaß des Urteils“ bis zum ZPO-RG 2001 angelegt war, nicht zielführend ist. Vielmehr bietet es sich an, Rechtsmittelverzichte dogmatisch einheitlich nach dem Adressaten der Erklärung zu erfassen.551 Eine einseitige Erklärung eines Rechtsmittelverzichts dem Gericht gegenüber, sei es vor oder nach dem Erlass des Urteils, ist eine prozessuale Verfügung, durch die die erklärende Prozesspartei unmittelbar des Rechts auf Anfechtung eines Rechtsmittels verlustig geht. Ein trotzdem eingelegtes Rechtsmittel ist von Amts wegen als unzulässig zu verwerfen.552 Demgegenüber bewirkt eine Erklärung eines Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Prozessgegner keine unmittelbare Verfügung über die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels. Prozessuale Wirkung entfaltet der vor oder nach Erlass des Urteils gegenüber dem Prozessgegner erklärte einseitige oder zwischen den Parteien vertraglich vereinbarte Rechtsmittelverzicht erst, wenn der Prozessgegner die Einrede des Rechtsmittelverzichts erhebt. 4. Rechtsnatur des vertraglichen Rechtsmittelverzichts: Prozessvertrag oder Rechtsgeschäft? Uneinigkeit besteht über die Rechtsnatur des vertraglichen Rechtsmittelverzichts. Eine vertragliche Übereinkunft, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder die Einlegung eines Rechtsmittels zu unterlassen, wird oftmals dem ma-

549 BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 10; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 11, 17; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 515 Rn. 2 f.; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 3, 10; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 48. 550 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 35; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 18; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 13. Prozessuale Verpflichtungsverträge finden grundsätzlich erst auf Erhebung der Einrede hin Berücksichtigung (str.), Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 220 m.w. N. 551 So zu Recht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 531. 552 BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 20; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/ Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 5.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

teriellen Recht zugeordnet und als zivilrechtlicher Vertrag qualifiziert.553 Eine Vorprägung hat diese Qualifikation der Rechtsnatur des vertraglichen Rechtsmittelverzichts wohl durch das Verständnis der Verfasser der Civilproceßordnung erfahren, die den beidseitigen Rechtsmittelverzicht als Vertrag einordneten, der „lediglich nach dem Civilrechte zu beurtheilen“ sei.554 Der Charakter des vertraglichen Rechtsmittelverzichts als Verpflichtungsgeschäft allein hindert die Einordnung als Prozessvertrag jedoch nicht.555 Es besteht kein zwingender, untrennbarer Zusammenhang zwischen der Rechtsform des Verpflichtungsvertrags und dem materiellen Recht.556 Allein die Notwendigkeit der Beantwortung von Fragen der Zulässigkeit eines vertraglichen Rechtsmittelverzichts nach den materiellen Vorschriften des bürgerlichen Rechts determiniert die Rechtsnatur des Vertrags nicht, denn das geschriebene Prozessvertragsrecht ist nur rudimentärer Natur557 und zur Lückenschließung auf die Anwendbarkeit der Regeln des materiellen Vertragsrechts angewiesen. Eine vertragliche Vereinbarung, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder die Einlegung eines Rechtsmittels zu unterlassen, zielt auf eine Disposition über eine prozessuale Befugnis ab, nämlich die Befugnis zur Anfechtung eines richterlichen Urteils, zum Durchschreiten des zivilprozessualen Instanzenzugs. Liegt die avisierte Wirkung eines verpflichtenden Vertrags auf prozessualer Ebene, ist der Vertrag dem Prozessrecht zuzuordnen und als Prozessvertrag zu bewerten.558 Die Erzeugung einer rechtlichen Bindung im Hinblick auf die Befugnis, Rechtsmittel einzulegen und den Instanzenzug auszuschöpfen, wirkt sich auf die Zulässigkeit eines eingelegten Rechtsmittels aus und hat daher unzweifelhaft eine prozessuale Substanz. Der Rechtsmittelverzicht verhindert den Prozessfortgang in höherer Instanz.559 Mithin ist eine zweiseitige außergerichtliche Vereinbarung über einen Rechtsmittelverzicht als ein prozessualer Verpflichtungsvertrag zu qualifizieren.

553 BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; BGH, NJW 1968, 794, 795; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 35; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 11; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2372. 554 Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. 555 Siehe bereits die Ausführungen im Ersten Kapitel B. II. 1. 556 So zu Recht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 535. 557 Siehe bereits die Ausführungen im Ersten Kapitel B. II. 2. 558 Den vertraglichen Rechtsmittelverzicht als Prozessvertrag qualifizierend Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 48; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 534 f.; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 309 ff. Keine rechtliche Position nimmt Althammer ein, da „die Frage der Qualifizierung kaum von praktischer Bedeutung“ sei, Stein/ Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 3. Ähnlich indifferent auch Zeiss, der konstatiert, „Ob man diesen Vertrag nun dem Prozeßrecht unterstellt und die Normen des Bürgerlichen Rechts (. . .) entsprechend anwendet, (. . .), oder ob man ihn als bürgerlichrechtlichen Vertrag mit prozessualer Wirkung behandelt, bleibt im Ergebnis gleich“, Zeiss, NJW 1969, 166, 168. 559 Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265, 311.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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5. Wirksamkeit und Wirkungen von Rechtsmittelverzichten Nachdem bereits auf verschiedene Erscheinungsformen des Rechtsmittelverzichts eingegangen wurde, sollen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts und Wirkungen eines Rechtsmittelverzichts näher erörtert werden. Ein gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsmittelverzicht ist eine Prozesshandlung und unterliegt damit dem Anwaltszwang gem. § 78 ZPO.560 Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Gericht vor oder nach dem Erlass des Urteils erklärt wird. Der Rechtsstreit muss aber bereits bei Gericht anhängig sein. Demgegenüber unterliegen der außergerichtlich gegenüber dem Prozessgegner einseitig erklärte Rechtsmittelverzicht und der Rechtsmittelverzichtsvertrag nach überwiegender Auffassung nicht dem Anwaltszwang.561 Der einseitige außergerichtlich gegenüber dem Prozessgegner erklärte Rechtsmittelverzicht wird als eine Prozesshandlung eingestuft, da er auf die Herbeiführung eines Erfolgs gerichtet ist, dessen Wirkungen im Wesentlichen auf prozessualem Gebiet liegen.562 Aufgrund der Eigenschaft des einseitigen außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts als Prozesshandlung werden Zweifel daran geäußert, dass Prozesshandlungsvoraussetzungen wie der § 78 ZPO keine Anwendung auf den einseitigen außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht finden sollen.563 Dogmatisch konsequent erscheint die herrschende Meinung in der Tat nicht. Indes stellt es sich aber ebenso nicht als opportun dar, den Wirkbereich der Prozesshandlungsvoraussetzungen, der erkennbar auf einen bereits anhängigen Prozess zielt, derart in den außer-/vorgerichtlichen Bereich auszudehnen und damit die Hürden für die Erklärung eines außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Prozessgegner zu erhöhen. Daher ist der herrschenden Meinung beizupflichten, dass der einseitige außergerichtliche Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozessgegner nicht dem Anwaltszwang unterliegt.

560 BGH, NJW 1985, 2335; BGH, NJW-RR 1989, 1344; BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 3; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 18; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 10; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/ Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 6; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 45 f.; Zeiss, NJW 1969, 166, 167. 561 BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; BGH, NJW 1974, 1248, 1249; BGH, NJW 1985, 2335; BGH, NJW 1989, 39; BGH, NJW-RR 1997, 1288; BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 11; kritisch in Hinblick auf den einseitigen außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 43; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 19. 562 BGH, NJW 1985, 2335; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 5; Saenger/ Wöstmann, ZPO, § 515 Rn. 3; Zeiss, NJW 1969, 166, 167. 563 Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 45.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Die Wirksamkeit einer außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvereinbarung richtet sich nach dem bürgerlichen Vertragsrecht, das auf den prozessualen Verpflichtungsvertrag entsprechende Anwendung findet.564 Folglich sind auch die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Willensmängel nach den §§ 116 ff. BGB auf den außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvertrag übertragbar.565 Eine vertragliche Verpflichtung, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären, die aufgrund einer Täuschung oder einer Drohung des Prozessgegners zustande gekommen ist, kann solange im Wege der Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 BGB beseitigt werden, wie noch nicht die Verzichtserklärung gegenüber dem Gericht erklärt wurde.566 Die Anwendung der Grundsätze des Anfechtungsrechts macht umständliche Konstruktionen einer Gegeneinrede der Arglist bei Erhebung der Einrede des Rechtsmittelverzichts entbehrlich.567 Eine einseitige Erklärung des Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Gericht ist nach überwiegender Ansicht Bewirkungshandlung, welche die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels vernichtet, unwiderruflich und nicht wegen Willensmängeln anfechtbar ist.568 Die Wirksamkeit eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsmittelverzichts unterliegt allein dem Verfahrensrecht.569 Im Interesse an einem geordneten Fortgang des Verfahrens, der dadurch gehemmt werden könnte, dass über die Wirksamkeit eines gegenüber einem Gericht erklärten Rechtsmittelverzichts Streit entsteht, ist ein solcher Rechtsmittelverzicht einem Widerruf nicht zugänglich.570 Teilweise wird der einseitige gerichtliche Rechtsmittelverzicht mit Einwilligung des Prozessgegners bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in dem (gleichwohl angestrengten) Berufungsverfahren für widerruflich gehalten.571 Ein Streit über die Wirksamkeit des Widerrufs des einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts störe den geordneten Ablauf des Verfahrens nicht, da er nicht zur Beendigung des Verfahrens führe.572 Die Konstruktion eines Widerrufs eines ein564 Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 10; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 535; im Ergebnis auch BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 11. 565 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 35; Prütting/Gehrlein/ Lemke, ZPO, § 515 Rn. 6; Zeiss, NJW 1969, 166, 168. 566 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 35. 567 Vgl. BGH, NJW 1986, 198; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 536 f. 568 BGH, NJW 1985, 2334; BGH, NJW-RR 1986, 1327; BGH, WM 2021, 1091, 1092; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 6; Zeiss, NJW 1969, 166, 167. 569 RGZ 105, 351, 355; BGH, NJW 1985, 2334; BGH, WM 2021, 1091, 1092; BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 8. 570 RGZ 105, 351, 355; BGH, NJW 1985, 2334. 571 BGH, NJW 1990, 1118, 1119; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 30; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 5; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 I, S. 545; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, S. 154; a. A. Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 30. 572 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 30.

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seitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts im Einvernehmen mit dem Prozessgegner vermag nicht zu überzeugen, da das Prozessrecht außerhalb des § 290 ZPO keine Vorschrift kennt, die einen Widerruf zuließe.573 Ferner unterliegen die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Klage und eines Rechtsmittels nicht der Parteidisposition und sind zwingendes Recht.574 Würde die Entscheidung über die prozessuale Beachtlichkeit des einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts, der zu einer Verwerfung des gleichwohl eingelegten Rechtsmittels wegen Unzulässigkeit von Amts wegen führt575, in die Hände der Parteien gelegt, könnten die Parteien über eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittelverfahrens disponieren. Es sollte daher kein Präzedenzfall geschaffen werden, anhand dessen die Indisponibilität von Sachentscheidungsvoraussetzungen prinzipiell in Zweifel gezogen werden könnte. Zudem entbehrt das Argument, ein Streit über die Wirksamkeit des einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts störe den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht, jeglicher Überzeugungskraft. Im Falle des Disputs über die Frage der Wirksamkeit eines einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts aufgrund eines vermeintlichen Widerrufs wird der Abschluss des Rechtsmittelverfahrens verzögert, denn das Rechtsmittel kann nicht ohne Weiteres aufgrund der Unzulässigkeit des gleichwohl eingelegten Rechtsmittels schnell und effizient durch Prozessurteil abgewiesen werden. Im Interesse der Sicherstellung eines geordneten, effektiven Verfahrensablaufs ist eine Widerrufsmöglichkeit eines einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzichts abzulehnen.576 Im Gegensatz zu einem einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzicht, infolgedessen ein trotzdem eingelegtes Rechtsmittel von Amts wegen als unzulässig zu verwerfen ist, wird der einseitige gegenüber dem Prozessgegner erklärte Rechtsmittelverzicht prozessual erst durch die Erhebung der Einrede des Rechtsmittelverzichts durch den Prozessgegner beachtlich. Dem Prozessgegner steht es frei, auf die Erhebung der Einrede des Rechtsmittelverzichts zu verzichten.577 Insofern ist es aber irreführend, von der Widerruflichkeit des einseitigen gegenüber dem Prozessgegner erklärten Rechtsmittelverzichts zu sprechen.578 Der Erklärende ist an die an seinen Prozessgegner gerichtete Äußerung gebunden. Es liegt 573

BGH, NJW 1985, 2334; BeckOK ZPO/Wulf, § 515 Rn. 8. Anders/Gehle/Bünnigmann, ZPO, § 295 Rn. 46; BeckOK ZPO/Bacher, § 295 Rn. 5.1; Zöller/Greger, ZPO, § 295 Rn. 4; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 295 Rn. 3. 575 BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 20; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 12. 576 Vgl. RGZ 105, 351, 355. 577 BGH, NJW 1985, 2334; BGH, NJW-RR 1989, 1344; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 31; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 I, S. 546. 578 So aber BGH, NJW 1985, 2334; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 30; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 5; Zeiss, NJW 1969, 166, 167. 574

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allein in der Rechtsmacht des Prozessgegners, ob er auf die Erhebung oder Aufrechterhaltung der Einrede des Rechtsmittelverzichts verzichtet und damit die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig abwendet.579 Die Beschreibung dieses rechtlichen Vorgangs in aktiver Form als Widerruf durch den Rechtsmittelführer generiert ein verzerrtes Bild, denn der Rechtsmittelkläger, der gegenüber seinem Prozessgegner auf das Rechtsmittel verzichtet hat, ist gänzlich von dem „Wohl und Wehe“ des Prozessgegners abhängig und kann nur passiv dessen Entscheidung über die Erhebung der Einrede des Rechtsmittelverzichts abwarten. Die Möglichkeiten, sich von einem einseitigen Rechtsmittelverzicht zu lösen, sind folglich deutlich begrenzter als bei einem Rechtsmittelverzichtsvertrag. Ob ein Rechtsmittelverzicht durch einseitige Erklärung oder in Vertragsform zustande gekommen ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.580 Es kann nicht der Weg beschritten werden, stets eine stillschweigende Annahmeerklärung des Empfängers zu konstruieren, um die Lösungsmöglichkeiten des Verzichtserklärenden zu erweitern. Primärer Anwendungsfall der Verzichtsvereinbarung wird daher bleiben, dass beide Prozessparteien sich synallagmatische Pflichten zum Rechtsmittelverzicht auferlegen. Bei einer Eingehung von Pflichten do ut des ist es ohne Weiteres rational erklärbar, dass den Parteien eines zweiseitigen Rechtsmittelverzichts ein Anfechtungsrecht zugestanden wird, von dem sie Gebrauch machen können, wenn das vertragliche Gleichgewicht durch einen Willensmangel gestört ist. Rechtsdogmatisch unbefriedigend bleibt der Befund, dass die bloße Annahme einer Verzichtserklärung durch den Prozessgegner ohne korrespondierende Erklärung eines Rechtsmittelverzichts wegen der nichtsdestotrotz bestehenden Vertragsform die Lösungsrechte des Erklärenden erweitert.581 Zum Teil wird aus diesem Grunde vorgeschlagen, einer Partei stets582 ein Lösungsrecht von einer mit Mängeln behafteten Verzichtserklärung über die ent579

So zutreffend BGH, NJW-RR 1989, 1344. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 10. 581 Auf dieses Dilemma hinweisend G. Wagner, Prozeßverträge, S. 528. Kritisch auch Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 23; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, S. 157 ff. Allerdings dürfte diese Fallkonstellation wohl rechtstheoretischer Natur bleiben, denn der Prozessgegner wird regelmäßig keine Annahme einer Verzichtserklärung erklären. Es liegt nicht im Interesse des Prozessgegners, die Lösungsrechte des Erklärenden zu erweitern. Ihm kommt vielmehr die Rechtsklarheit zu Gute, die mit einer Einseitigkeit des Rechtsmittelverzichts des Erklärenden einhergeht, nämlich deren Unwiderruflichkeit. 582 Die Wiedereinsetzungsregelungen sollen nach dieser Ansicht nicht für den Rechtsmittelverzichtsvertrag, sondern auch für einseitige Verzichtserklärungen gelten. Die Rechtsprechung berücksichtigt Willensmängel bei einseitigen Rechtsmittelverzichten hingegen nur, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt, siehe nur BGHZ 12, 284, 285 = BGH, NJW 1954, 676; BGH, NJW 1968, 794, 795; BGH, JR 1994, 21 f. Damit solle verhindert werden, dass eine Partei erst ein Urteil gegen sich ergehen lassen muss, um anschließend gegen dieses Urteil im Wege der Restitutionsklage vorzugehen. Ferner ergebe sich aus § 582 ZPO die Subsidiarität der Restitutions580

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sprechende Anwendung der Wiedereinsetzungsregelungen nach §§ 233 ff. ZPO zu geben.583 Der Vorschlag, die Regeln der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf das Institut des Rechtsmittelverzichts zu übertragen, ist jedoch dogmatisch verfehlt. Es mangelt an einer Übertragbarkeit des in den §§ 233 ff. ZPO geregelten Sachverhalts auf das Institut des Rechtsmittelverzichts. Die Wiedereinsetzungsregeln befassen sich mit der rechtlichen Thematik, ob eine Prozesspartei ohne ihr Verschulden außerstande war, eine Notfrist zu wahren, und ihr aus diesem Grunde eine Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zu gewähren ist. Die Entscheidung, sich des Rechts auf Anfechtung einer richterlichen Entscheidung durch Rechtsmittelverzicht zu begeben, wirkt sich aber in prozessualer Weise ohne Weiteres in Form der Unzulässigkeit des gleichwohl eingelegten Rechtsmittels aus, ohne dass die Rechtsfrage virulent würde, ob die Rechtsmittelfrist gewahrt oder ohne Verschulden versäumt wurde. Wo es aber irrelevant für die Zulässigkeit eines Rechtsmittelverfahrens ist, ob die Rechtsmittelfrist eingehalten wurde oder nicht, kann der Rechtsgedanke der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht fruchtbar gemacht werden.584 Außerdem wirft die Übertragung des Prüfungsrahmens der §§ 233 ff. ZPO auf die Konstellation des Rechtsmittelverzichts Friktionen auf. Während sich im Rahmen der §§ 233 ff. ZPO die Rechtsfrage stellt, ob ein Untätigbleiben innerhalb der Rechtsmittelfrist schuldlos war, müsste im Fall des Rechtsmittelverzichts die konträre Frage beantwortet werden, ob ein Tätigwerden, nämlich in Form der Erklärung des Rechtsmittelverzichts, schuldlos gewesen ist. Letztlich zeigt sich die Vorzugswürdigkeit der Anwendung der Anfechtungsregeln nach den §§ 119 ff. BGB auf den außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvertrag.585

klage und die Pflicht, den Restitutionsgrund schon im anhängigen Verfahren geltend zu machen, vgl. RGZ 150, 392, 396; RGZ, 153, 65, 69. Hierbei handelt es sich um eine systemimmanente Durchbrechung des Grundsatzes der Unwiderruflichkeit eines einseitigen Rechtsmittelverzichts. Eine darüber hinausgehende Aufweichung des Grundsatzes ist abzulehnen. 583 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 31 ff.; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 23. Rimmelspacher plädiert für die Anwendung der Wiedereinsetzungsregeln auch in Hinblick auf die Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme, MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 13 ff. Rimmelspacher erachtet es aus Gründen der Gleichbehandlung für geboten, nicht nur einer Partei, die ohne ihre Verschulden verhindert war, erneut Berufung einzulegen, sondern auch einer Partei, die schuldlos am Zustandekommen eines als Zulässigkeitshindernis wirkenden Rechtsmittelverzichts mitgewirkt hat, die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu eröffnen, MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 31. 584 So zu Recht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 537. 585 G. Wagner führt ferner an, dass die §§ 119 ff. BGB wegen ihres abgestuften Systems von Anfechtungsgründen gegenüber einem einzelnen Wiedereinsetzungsgrund vorzugswürdig sind, G. Wagner, Prozeßverträge, S. 537.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Ferner unterscheiden sich die Wirkungen verschiedener Arten von Rechtsmittelverzichten in Hinblick auf den Eintritt der Rechtskraft des gerichtlichen Urteils. Der zweiseitige, nach Erlass des Urteils gegenüber dem Gericht erklärte Rechtsmittelverzicht führt die Rechtskraft der betroffenen Entscheidung unmittelbar, also noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, herbei.586 Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft ist der Zugang der letzten Verzichtserklärung.587 Wird der allseitige Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Gericht bereits vor Erlass des Urteils erklärt, wird das spätere Urteil mit seinem Erlass rechtskräftig.588 Bei einem einseitigen gerichtlichen Rechtsmittelverzicht tritt die Rechtskraft ein, wenn die Rechtsmittelfrist für die nicht verzichtende Partei abgelaufen ist.589 Dies gilt selbst dann, wenn nur die verzichtende Partei beschwert ist.590 Aufgrund des streng formalisierten Charakters des Verfahrens zur Erteilung des Rechtskraftzeugnisses durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle obliegt diesem allein die Prüfung, ob ein Urteil bei Ablauf der Rechtsmittelfrist unangefochten geblieben ist. Zur Prüfung, ob eine Prozesspartei durch ein Urteil beschwert ist, ist allein das Prozessgericht und nicht der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle berufen.591 Ein beidseitiger außergerichtlicher Verzicht führt hingegen die Rechtskraft des Urteils nicht herbei.592 Die Rechtskraftgeltung erlangt das Urteil nicht qua eines rechtskraftschaffenden Vertrags der Parteien. Die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und die Überwindung der Vorstellung, die Parteien unterwürfen sich durch die Verzichtserklärung dem Richterspruch, lässt keinen Raum für die Anerkennung eines rechtskrafterzeugenden Charakters eines außergerichtlichen Rechtsmittelverzichtsvertrags.593 6. Grenzen der Zulässigkeit von Rechtsmittelverzichten Die Zivilprozessordnung gesteht den Parteien die prozessuale Befugnis, ein Rechtsmittel einzulegen und damit ein richterliches Urteil anzufechten, in einem 586 BGH, NJW-RR 2018, 250, 251; OLG Karlsruhe, NJW 1971, 664; Musielak/Voit/ Ball, ZPO, § 515 Rn. 12; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 17; Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 954. 587 BeckOK ZPO/Ulrici, § 705 Rn. 8; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, § 705 Rn. 5. 588 BGH, NJW-RR 2018, 250, 251; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 12; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2372. 589 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 515 Rn. 12; Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 955. 590 OLG Karlsruhe, NJW 1971, 664; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 20; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 17; Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 954; a. A. OLG Nürnberg, VersR 1981, 887; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2372. 591 OLG Karlsruhe, NJW 1971, 664; MünchKomm ZPO/Götz, Band 2, § 705 Rn. 14. 592 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 12; ders., JuS 1988, 953, 955. 593 Vgl. Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 955.

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weiten Umfang zu. Den Parteien ist freigestellt, ob und wann sie sich des Rechts auf Anfechtung einer richterlichen Entscheidung begeben. Die Rechtsansicht, dass ein Rechtsmittelverzicht bereits vor Erlass des Urteils zulässig ist, hat sich aber erst im Laufe der Zeit durchgesetzt. Darüber hinaus steht die Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts besonders in Ehesachen seit langer Zeit in Streit. Dies bietet Anlass, sich näher mit den Thematiken der Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts im Allgemeinen und im Besonderen in Ehesachen auseinanderzusetzen. a) Der antizipierte Rechtsmittelverzicht in der Zivilprozessordnung Obwohl selbst die Begründung der Civilproceßordnung von 1877 den antizipierten Rechtsmittelverzicht in Vertragsform anerkannte und von seiner Zulässigkeit ausging594, blieb diese Rechtsauffassung nicht unangefochten. Eine in der prozesswissenschaftlichen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete Literaturansicht vertrat, dass den Parteien die Dispositionsbefugnis zum Verzicht auf ein Rechtsmittel vor Erlass des Urteils nicht zustehe und daher der antizipierte Rechtsmittelverzicht schlechterdings ausgeschlossen sei.595 Im Wesentlichen fußten die Bedenken gegen die Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts auf der Wahrnehmung der gravierenden prozessualen Benachteiligung des Verzichtenden, wenn er sich ohne Kenntnis des Urteils seines Rechts auf Anfechtung begibt. Bei einem antizipierten Rechtsmittelverzicht „würde die Partei dem hernach ergehenden Urteile, wie fehlerhaft es auch immer ausfallen möge, auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert sein“.596 Die Tragweite des Verzichts sei vor Erlass des Urteils nicht absehbar, es handele sich um ein bedenkliches aleatorisches Geschäft.597 Damit wird letztlich insinuiert, dass nur eine Entscheidung über die Ausübung der Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts in Kenntnis des Urteils geeignet sei, ein gerechtes Prozessergebnis herbeizuführen.598 Durch den Ausschluss des antizipierten Rechtsmittelverzichts soll daher der Verzichtende besonders vor Dispositionen geschützt werden, deren künftige Bedeutung er noch nicht abschätzen kann. Die Befugnis zur Disposition über das Recht zur Anfechtung eines Urteils allein unter der Bedingung der Kenntnis von

594

Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, S. 311 f.; K. Hellwig, in: Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto Gierke, Bd. 2, 1910, S. 41, 90; Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 415 ff.; Walsmann, AcP 102 (1907), 1, 208 f.; a. A. Struckmann/Richard Koch, Civilproceßordnung, S. 403. 596 Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 416 f. 597 Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 422. 598 So betont Oertmann die Gefahren des antizipierten Rechtsmittelverzichts für den Verzichtenden: „Der vorgängige Rechtsmittelverzicht (. . .) enthält eine Abmachung über künftige Gerechtsame, deren Tragweite man noch nicht im entferntesten übersehen kann“, Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 422. 595

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

dessen Inhalt und Tragweite zu stellen, erinnert an das Übersehbarkeitserfordernis, das auch im allgemeinen Prozessvertragsrecht599, zum Teil vertreten wird.600 Mit Recht hat Wagner angezweifelt, ob es eines derart starren Schutzmechanismus im Interesse des im Voraus Verzichtenden bedarf, um eine Übereilung des Verzichtenden zu verhindern und dadurch ein vermeintlich höheres Maß an prozessualer Gerechtigkeit zu erreichen.601 Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich im Einzelfall ein antizipierter Rechtsmittelverzicht vor dem Hintergrund prozessualer Gerechtigkeit als bedenklich darstellt, weil eine Partei unter dem Druck eines übermächtigen Prozessgegners zur Aufgabe ihres Anfechtungsrechts gedrängt wurde. Gleichermaßen kann aber auch die Option der Vereinbarung eines antizipierten Rechtsmittelverzichts im Einzelfall ein wichtiger Baustein einer Verständigung zwischen zwei Parteien sein, die eine schnelle Klärung ihres Rechtsstreits wünschen, um eine (bis dato) prosperierende Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Die Beschränkung der antizipierten Disposition über das Recht, ein Rechtsmittel einzulegen, in der Rigidität des vollumfänglichen Ausschlusses erscheint vor diesem Hintergrund nur dann unumstößlich, wenn das Prozessrecht im Falle eines unangemessenen antizipierten Rechtsmittelverzichts keinerlei Mittel bereithält, um auf unerträgliche Benachteiligungen einer Prozesspartei zu reagieren. Die Rechtsordnung muss den Einzelnen vor seinem eigenen Willensentschluss in derart drastischer Form der Invalidierung nur dann schützen, wenn die zu gewärtigenden Folgen schier unerträglich sind.602 Das Prozessvertragsrecht hält aber durch die entsprechende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Regeln zur Sicherung der Privatautonomie einen adäquaten Schutzmechanismus vor, um ein hinreichendes Maß an Vertragsgerechtigkeit zu gewährleisten.603 Daher besteht kein Bedürfnis, die durch die ZPO gewährte Freiheit der Disposition der Parteien über Einlegung und Durchführung eines Rechtsmittels, die sich in dem Rechtsinstitut des Rechtsmittelverzichts widerspiegelt, durch den Ausschluss der Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts aufgrund der Postulierung eines Übersehbarkeitserfordernisses drastisch zu verkürzen.604 Ferner greifen auch dogmatische Vorbehalte gegen die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts im Zivilprozess nicht durch. Wie bereits ausführ599 600 601 602

Siehe Ausführungen im Ersten Kapitel B. II. 3. c). G. Wagner, Prozeßverträge, S. 539. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 539. P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 77; Habscheid, NJW 1965, 2369,

2374. 603 Vgl. Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 8; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 539; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2374. Siehe Ausführungen im Ersten Kapitel B. II. 3. c). 604 Vgl. auch Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 72 f.

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lich begründet605, können (ungeschriebene) parteiliche Dispositionsbefugnisse nicht grundsätzlich unter Verweis auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des Prozessrechts oder das Verbot des Konventionalprozesses in Zweifel gezogen werden.606 Die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Prozessrechts hindert die Anerkennung von parteilichen Dispositionsbefugnissen nicht überall dort, wo sie Dispositionsbefugnisse nicht ausdrücklich gestattet.607 Es ist unschädlich, dass ein Rechtsmittelverzicht möglicherweise die Unanfechtbarkeit eines unrichtigen Urteils in höherer Instanz herbeiführt, denn es besteht kein öffentliches Interesse an einem richtigen Urteil.608 Es obliegt allein der Entscheidung einer Partei, ob sie ein sie belastendes Urteil mit einem Rechtsmittel angreift. Der Staat hat folglich kein Interesse an der Ausschöpfung des Instanzenzugs.609 Die Zivilprozessordnung vertraut in allen Instanzen stets auf die Parteiinitiative zur Einleitung eines staatlichen Gerichtsverfahrens. Ein Zwang zum Durchschreiten des Instanzenzugs existiert nicht. Spiegelbild des Vertrauens der Zivilprozessordnung in die Parteiinitiative für die Einleitung des Verfahrens auch in den Rechtsmittelinstanzen ist die Freiheit der Parteien, sich bezüglich der Initiierung des Verfahrens durch Erhebung des Rechtsmittels durch einen Rechtsmittelverzicht rechtlich zu binden. Ein Vertrag über einen antizipierten Rechtsmittelverzicht führt auch nicht „gewissermaßen“ einen Konventionalprozess herbei, indem das Verfahren eine Gestalt erhält, die von der gesetzlich festgelegten abweicht.610 Ein Rechtsmittelverzicht wirkt sich allein auf der Ebene der Zulässigkeit des Rechtsmittels aus. Die Parteien erlegen dem Gericht keine neuen, vom Gericht zu beachtenden Prozessregeln auf. Das Eingehen einer rechtlichen Bindung in Hinblick auf die Befugnis, ein Rechtsmittel einzulegen, berührt die Gestalt des Zivilprozesses in keinster Weise. Der Rechtsmittelverzicht führt allein auf besonderem Wege herbei, was für die Mehrzahl an Zivilprozessen ohnehin Realität ist, nämlich, dass der Prozess allein in erster Instanz, höchstens noch bis zur Berufungsinstanz, geführt wird.611 Zu Recht wird die in den Anfängen des 20. Jahrhunderts verbreitete Auffassung, dass ein antizipierter Rechtsmittelverzicht schlechthin unzulässig sei, heute nicht mehr vertreten. Vielmehr wird die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmit605

Siehe Erstes Kapitel B. II. 3. a). So aber für den antizipierten Rechtsmittelverzicht K. Hellwig, in: FS Gierke II, S. 41, 88; Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 419; Walsmann, AcP 102 (1907), 1, 209. 607 A. A. Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 419. 608 P. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln, S. 76 f.; Habscheid, NJW 1965, 2369, 2373 f. 609 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 538. 610 So aber Walsmann, AcP 102 (1907), 1, 209. 611 Vgl. die Geschäftsstatistiken der Zivilgerichte Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 13, 43; Bundesgerichtshof, Jahresstatistik 2020, 2020, S. 4 ff. 606

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

telverzichts einhellig anerkannt.612 Der antizipierte Rechtsmittelverzicht ist bereits vor Erhebung der Klage613 und auch zu diesem Zeitpunkt in der Form des einseitigen Verzichts möglich.614 Ein Verzicht auf ein künftiges prozessuales Recht bereits vor Erhebung der Klage muss sich aber auf ein bereits bestimmtes künftiges Prozessrechtsverhältnis beziehen.615 Das künftige Prozessrechtsverhältnis kann bereits vor der Erhebung der Klage durch außergerichtliche Korrespondenz hinreichend bestimmt sein, sodass in diesem Fall ein einseitiger Rechtsmittelverzicht möglich ist616, der sodann in einem später gegen ein erstinstanzliches Urteil angestrengten Rechtsmittelverfahren die Einrede des Rechtsmittelverzichts begründet. Die hinreichende Bestimmtheit des Prozessrechtsverhältnisses bei einem antizipierten Rechtsmittelverzicht noch vor Erhebung der Klage stellt gewissermaßen den notwendigen Mindestinhalt des Rechtsmittelverzichts sicher, denn ohne die grundlegenden Koordinaten eines Prozesses (Parteien, Streitgegenstand) besteht Unklarheit, worauf sich die Verzichtserklärung bezieht.617 Teilweise wird eine Abrede, in allen zukünftigen Prozessen auf die Berufung zu verzichten, für unwirksam gehalten.618 Dieser Auffassung ist beizupflichten, denn bei einem derart globalen antizipierten Rechtsmittelverzicht im Vorfeld einer Klageerhebung geht der Verzichtende ein weit höheres Risiko ein als bei einem Verzicht, der sich allein auf einen konkreten Prozess bezieht. Sofern sich ein antizipierter Rechtsmittelverzicht vor Erhebung der Klage auf ein bereits hin612 RGZ 20, 398, 400; RGZ 36, 421 f.; RGZ 70, 59, 60; RGZ 104, 133, 135; RGZ 160, 241, 242 f.; RGZ 161, 350, 356; BGHZ 2, 112, 113 f. = BGH, NJW 1952, 26; BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; BGH, NJW 1982, 2072, 2073; BGH, NJW 1986, 198; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 6; Thomas/Putzo/ Seiler, ZPO, § 515 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 43; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 209 f.; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 70; Habscheid, NJW 1965, 2369; Pohle, JZ 1959, 93. Allgemein zur Zulässigkeit antizipierender Prozessverträge Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 270 f. 613 BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; BGH, NJW 1986, 198; Stein/ Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 538; a. A. Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 515 Rn. 10; AK-ZPO/Ankermann, § 514 a. F. Rn. 2. 614 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 8; Zöller/Heßler, ZPO, § 515 Rn. 1; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, S. 153; a. A. Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; Lüke, Zivilprozessrecht I, § 35 Rn. 15. 615 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 210. Urhahn spricht von einem „prozessvertraglichen Bestimmtheitsgebot“, Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 269. 616 A. A. Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/ Lemke, ZPO, § 515 Rn. 10. 617 Zu der Diskussion eines allgemeinen Bestimmtheitserfordernisses im Prozessvertragsrecht siehe Erstes Kapitel B. II. 3. c). 618 BAGE 135, 264, 274; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 73; offenlassend BGH, NJW 1986, 198; so wohl auch MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 8.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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reichend bestimmtes Prozessrechtsverhältnis bezieht, ist dem Verzichtenden eine zumindest kursorische Schätzung des zu erwartenden finanziellen Risikos möglich, wenn ein für ihn nachteiliges Urteil ergeht. Diese Bewertungsmöglichkeit besteht aber nicht, wenn der Verzichtende sein Anfechtungsrecht ohne Kenntnis des konkreten Streitgegenstands aufgibt. Die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts für alle künftigen Prozesse gegen eine bestimmte Prozesspartei kann daher in einem unerträglichen Risiko münden, vor dem ein Schutz des Verzichtenden geboten erscheint. Rechtstechnisch kann dieser Schutz des Verzichtenden in Hinblick auf einen globalen antizipierten Rechtsmittelverzicht vor Klageerhebung über ein allgemeines prozessvertragliches Bestimmtheitsgebot begründet werden.619 Der antizipierte Rechtsmittelverzicht muss sich mithin stets auf einen konkreten Prozess beziehen.620 Folglich zeigt sich, dass der antizipierte Rechtsmittelverzicht mit Recht einhellig als zulässig anerkannt wird und zur Lösung von Härtefällen die Schutzgewährleistungen des Prozessvertragsrechts zur Verfügung stehen. Für die Annahme der Unzulässigkeit eines antizipierten zivilprozessualen Rechtsmittelverzichts in toto besteht mithin kein Anlass. Schließlich ist auch die Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverzichts keine zwingende Voraussetzung einer antizipierten Disposition. Rimmelspacher621 hat sich zwar gegen einen gänzlichen Ausschluss des antizipierten Rechtsmittelverzichts positioniert, die Zweiseitigkeit aber als zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts angesehen.622 Der Verzichtende müsse „angesichts der Formlosigkeit der Erklärung vor deren allzu leichtfertiger Abgabe und damit der vorschnellen Preisgabe einer prozessualen Befugnis geschützt werden“.623 Unbilligen Härten eines einseitig gebliebenen antizipierten Rechtsmittelverzichts kann durch die entsprechend anwendbaren bürgerlichrechtlichen Generalklauseln begegnet werden.624 619

Vertiefend Urhahn, Prozessverträge im Investmentrecht, S. 269 ff. So zu Recht MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, Band 7, § 515 Rn. 4; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, S. 73. 621 Rimmelspacher, JuS 1988, 953 ff. 622 An dieser Auffassung hält Rimmelspacher wohl nicht mehr fest, MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 515 Rn. 9. Ohne nähere Begründung vertritt Blomeyer, dass vor Erlass des Urteils auf ein Rechtsmittel nur durch Vertrag verzichtet werden kann, Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 I, S. 545 f. Auch die Modellregeln für das Zivilverfahrensrecht in Europa vom European Law Institute und UNIDROIT sehen vor, dass ein antizipierter Rechtsmittelverzicht nur abgegeben werden kann, wenn er von allen Parteien vereinbart wird, ELI/UNIDROIT, Model European Rules of Civil Procedure, 2020, Rule 154 (2). Vertiefend zu dem Projekt der Erarbeitung von Modellregeln für Zivilprozessrecht in Europa R. Stürner, in: Ackermann/Gaier/C. Wolf (Hrsg.), Gelebtes Prozessrecht – Festschrift für Volkert Vorwerk, 2019, S. 313 ff.; Wilke, EuZW 2021, 187 ff. 623 Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 956. 624 Siehe oben Erstes Kapitel B. II. 3. c). 620

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

b) Der antizipierte Verzicht auf die Beschwerde im Verfahren in Familiensachen Die Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit eines antizipierten zivilprozessualen Rechtsmittelverzichts gibt Veranlassung dazu, sich der Thematik der Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts in Ehesachen zuzuwenden. In einem Grundsatzurteil vom 26. November 1908 entschied das Reichsgericht, dass eine Vereinbarung, dass im Falle eines Scheidungsurteils in einem anhängig zu machenden Ehescheidungsprozess die Berufung gegen das Scheidungsurteil nicht zulässig sein solle, gegen die guten Sitten verstoße und daher unwirksam sei.625 Im Wesentlichen führte das Reichsgericht zur Begründung seiner Rechtsauffassung an, dass eine Vereinbarung über den Verzicht auf das Rechtsmittel analog der Regelungen des Schiedsverfahrensrechts (§ 1025 ff. ZPO) nur bei einem Streitgegenstand zulässig sei, über den die Parteien vergleichsweise paktieren können.626 Die rechtliche und sittliche Natur der Ehe lasse es nicht statthaft erscheinen, eine Verfügung der Parteien über das Recht, Rechtsmittel einzulegen, vor Erlass des Urteils zuzulassen und damit zu ermöglichen, dass ein Scheidungsurteil unabhängig von seiner materiellen Richtigkeit die Parteien unbedingt bindet.627 Die Rechtsansicht des Reichsgerichts, dass die Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts unter anderem an der vertragsrechtlichen Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB scheitern könne628, wurde teilweise in der Literatur für dogmatisch unzutreffend erachtet.629 Habscheid vertrat die Auffassung, dass in Eheverfahren jeder Rechtsmittelverzicht vor Erlass des Urteils ausnahmslos unzulässig und wirkungslos sei.630 Das öffentliche Interesse an dem Bestand der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) erfordere ein objektiv richtiges Urteil und daher wenigstens das Offenhalten der Möglichkeit für die Parteien, die Nachprüfung in höherer Instanz zu betreiben, bis zum Erlass des unterinstanzlichen Urteils.631 Die Rechtsauffassung des Reichsgerichts und einer Minderheit in der Literatur konnte sich mit Recht nicht durchsetzen. Die Begründung des Reichsgerichts, dass ein antizipierter Rechtsmittelverzicht in Ehesachen unzulässig sei, da der Streitgegenstand, die Ehe, nicht der freien Verfügung der Parteien unterliege und daher analog den Grenzen der objektiven Schiedsfähigkeit632 keine Befugnis der 625 626 627 628 629 630 631 632

RGZ 70, 59, 60. RGZ 70, 59, 60. Ebenda. So auch RGZ 118, 171, 173. Siehe Habscheid, NJW 1965, 2369, 2375 f.; Pohle, JZ 1959, 93, 94. Habscheid, NJW 1965, 2369, 2376. Habscheid, NJW 1965, 2369, 2375 f.; so wohl auch Pohle, JZ 1959, 93, 94. Siehe Erstes Kapitel B. II. 2. a) aa) (2).

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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Parteien zur antizipierten Disposition über das Recht zur Einlegung eines Rechtsmittels bestehe, verfängt nicht. In dem antizipierten Verzicht auf ein Rechtsmittel liegt keine Disposition über den Bestand der Ehe. Die Parteien erklären allein, dass sie einen Richterspruch über den Scheidungsantrag nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifen wollen.633 Darüber hinaus überzeugt die Heranziehung von Wertungen aus dem Schiedsverfahrensrecht zur Begründung der Unzulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts in Ehesachen wegen der grundlegenden Verschiedenheit der Prozessverträge nicht, denn anders als der Schiedsvertrag bewirkt der Rechtsmittelverzicht nicht die Derogation der Zuständigkeit der staatlichen Gerichte, sondern allein die Verkürzung des Instanzenzugs. In einem Scheidungsverfahren vor den staatlichen Gerichten, in dem eine Rechtsmittelverzichtsvereinbarung getroffen wurde, ergeht ein Beschluss, der die staatlicherseits festgelegten Personenstandsverhältnisse rechtsverbindlich klärt. Das Rechtsprechungsmonopol der staatlichen Gerichte bezüglich Personenstandssachen verhindert, dass ein Dritter über hoheitlich festgelegte Personenstandsverhältnisse mit verbindlicher Wirkung urteilen kann, und bewirkt Sicherheit im Rechtsverkehr. Sofern aber lediglich auf eine Instanz der staatlichen Gerichtsbarkeit verzichtet wird und die staatliche Gerichtsbarkeit nicht vollumfänglich ausgeschlossen wird, wird eine verbindliche staatliche Entscheidung über die Ehesache herbeigeführt. Darüber hinaus vermag das Argument Habscheids, das staatliche Bestandsschutzinteresse an der Ehe erfordere wenigstens das Offenhalten der Möglichkeit für die Parteien, die Nachprüfung in höherer Instanz zu betreiben, bis zum Erlass des unterinstanzlichen Urteils, nicht recht zu überzeugen. Da der Staat auf die Parteiinitiative zur Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens vertraut und kein Zwang zur Einlegung eines Rechtsmittels selbst bei einem fehlerhaften Scheidungsurteil besteht634, erscheint es widersprüchlich, wenn der Staat es nicht zulässt, dass sich die Parteien antizipiert rechtlichen Bindungen unterwerfen, die das gleiche rechtliche Ergebnis wie das – zweifelsohne legitime – Verstreichenlassen einer Rechtsmittelfrist herbeiführen.635 Aus der Gesamtschau des materiellen Zivilrechts (§ 1565 Abs. 2 BGB) und des Prozessrechts (§ 616 Abs. 2 ZPO a. F., nunmehr § 127 Abs. 2 FamFG) ergibt sich, dass die scheidungswilligen Ehepartner spätestens nach dem Trennungsjahr durch das Eintreten sämtlicher Scheidungsvoraussetzungen volle Dispositionsbefugnis über die Ehe erlangen, in Fällen unzumutbarer Härte ist sogar bereits vor Ablauf des Trennungsjahres eine Scheidung möglich.636 Indem die Rechtsordnung den Willen der Ehepartner zur Scheidung in diesem Rahmen anerkennt, verbleibt kein Raum für die Argumentation mit dem staat633 634 635 636

So auch BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397. BGH, NJW 1968, 794. Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 540. Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 541.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

lichen Bestandsschutzinteresse an der Ehe zur Begrenzung der Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts. Dem staatlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe wird bereits hinreichend mit dem Trennungsjahr Rechnung getragen, wodurch die Parteien vor leichtfertigen und voreiligen Scheidungsanträgen geschützt werden sollen.637 Schließlich streitet für die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts auch in Ehesachen die Inkonsistenz dessen Ablehnung bei gleichzeitiger Befürwortung der Zulässigkeit eines nachträglichen Rechtsmittelverzichts in Ehesachen.638 Denn auch der nachträgliche Rechtsmittelverzicht kann bewirken, dass ein objektiv fehlerhaftes Scheidungsurteil nicht mehr in höherer Instanz nachgeprüft werden kann. Bis zur Reform des Familienverfahrensrechts im Jahr 2009 und dem damit einhergehenden Ende der Anwendbarkeit zivilprozessualer Grundsätze auf Ehesachen, so auch auf den Verzicht auf das Beschwerderecht gem. § 621e ZPO a. F.639, war die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts in Ehesachen folglich zu Recht allgemein anerkannt.640 Mit der Neuregelung des § 67 Abs. 1 FamFG legte der Gesetzgeber allerdings fest, dass das Rechtsmittel der Beschwerde unzulässig ist, wenn der Beschwerdeführer hierauf nach Bekanntgabe des Beschlusses durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet. Laut der Begründung des Regierungsentwurfs zu dieser sprachlichen Fassung soll der Beschwerdeverzicht sowohl vor als auch nach dem Erlass des Beschlusses möglich sein.641 Im Interesse möglichst frühzeitiger Rechtsklarheit für alle Beteiligten solle auch im Anwendungsbereich des FamFG die Befugnis zur antizipierten Disposition über das Recht zur Beschlussanfechtung bestehen.642 Bei dieser Begründung handelt es sich jedoch um ein offensichtliches Redaktionsversehen, da sie sich auf die Textfassung der Vorschrift zum Verzicht auf die Beschwerde im Referentenentwurf 643 bezieht.

637

MünchKomm BGB/Weber, Band 9, § 1565 Rn. 4. So aber Habscheid, NJW 1965, 2369, 2375; Pohle, JZ 1959, 93, 94. Die Zulässigkeit des nachträglichen Rechtsmittelverzichts in Ehesachen stand stets außer Streit und war allgemein anerkannt, RGZ 59, 346, 348 f.; RGZ 104, 133, 135; RGZ 105, 351, 352; RGZ 110, 228, 229; BGH, NJW 1968, 794, 795; BGH, NJW 1974, 1248, 1249; Oske, MDR 1972, 14, 15. 639 Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 4. 640 BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 540 m.w. N. 641 BT-Drs. 16/6308, S. 207. 642 Vgl. ebenda. 643 Die Fassung des § 70 Abs. 1 RefE-FGG-ReformG lautete wie folgt: „Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, wenn der Beschwerdeführer hierauf vor oder nach Bekanntgabe des Beschlusses durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet hat“, siehe Bundesministerium für Justiz, Ergänzter Referentenentwurf zum Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (14. Februar 2006), 2006, S. 49. 638

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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Gegen die gesetzgeberische Interpretation hat sich aufgrund des klaren Wortlauts der Norm („nach Bekanntgabe des Beschlusses“) und der Änderung des Referentenentwurfs durch Streichung der Alternative vor Bekanntgabe des Beschlusses vermehrt Widerstand geregt.644 Folglich wird auf Grundlage der Gesetzesfassung des § 67 Abs. 1 FamFG der antizipierte (gerichtliche) Beschwerdeverzicht von der ganz herrschenden Meinung für unzulässig erachtet.645 Demgegenüber geht eine Mindermeinung von der Maßgeblichkeit der Gesetzesbegründung aus und hält den antizipierten Rechtsmittelverzicht trotz des Wortlauts des § 67 Abs. 1 FamFG für zulässig.646 Nach der hier vertretenen Auffassung ist nach einer wortlautgetreuen Auslegung des § 67 Abs. 1 FamFG unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie von einer Unzulässigkeit des antizipierten gerichtlichen Beschwerdeverzichts in Verfahren, die dem FamFG unterliegen, auszugehen. Durch die Streichung der Alternative, dass die Beschwerde unzulässig sei, wenn der Beschwerdeführer hierauf vor Bekanntgabe des Beschlusses durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichte, hat der Gesetzgeber objektiv zum Ausdruck gebracht, dass er die Erklärung eines Beschwerdeverzichts gegenüber dem Gericht vor Erlass des Beschlusses nicht gestatten wollte. Der Rückgriff auf die gegenteilige, sich auf die Vorfassung des Referentenentwurfs beziehende Begründung des Regierungsentwurfs verbietet sich, da der Gesetzgeber eine Veränderung des Wortlauts der Norm vorgenommen hat. Zur Auslegung einer Norm dürfen die Gesetzesmaterialien nur unterstützend und insofern herangezogen werden, als der Wille des Gesetzgebers auch im Gesetzestext Niederschlag gefunden hat. Mithilfe der Materialien dürfen die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen nicht an die Stelle des objektiven Gesetzesinhalts gesetzt werden.647 Selbst, wenn die Anerkennung des antizipierten Rechtsmittelverzichts gegenüber dem Gericht auch den subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen entsprochen haben mag, so hat sich ein solcher Wille jedenfalls nicht in dem Gesetzestext des § 67 FamFG niedergeschlagen. Der Gesetzestext des FamFG eröffnet die Möglichkeit des Verzichts auf das Rechtsmittel der Beschwerde durch Verzichtserklärung gegenüber dem Gericht somit erst nach Erlass des Beschlusses. 644 OLG Hamm, NZFam 2017, 468; Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller, FamFG, § 67 Rn. 3; Johannsen/Henrich/Althammer/Althammer, Familienrecht, § 67 FamFG Rn. 2; MünchKomm FamFG/A. Fischer, Band 1, § 67 Rn. 17; Musielak/Borth/Borth/ Grandel, Familiengerichtliches Verfahren, § 67 FamFG Rn. 2; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 4; Bolkart, MittBayNot 2009, 268, 273; so wohl auch Litzenburger, RNotZ 2009, 380, 383. 645 Siehe nur die vorangegangenen Nachweise, a. A. MünchKomm BGB/Weber, Band 9, § 1564 Rn. 100; Heinemann, DNotZ 2009, 6, 18. 646 Haußleiter/Haußleiter, FamFG, § 67 Rn. 1; MünchKomm BGB/Weber, Band 9, § 1564 Rn. 100; Heinemann, DNotZ 2009, 6, 18. 647 BVerfGE 54, 277, 298 f. = BVerfG, NJW 1981, 39, 42 f.; BVerfGE 62, 1, 45 = BVerfG, NJW 1983, 735, 738.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Aus der Gesamtschau von § 67 Abs. 1 FamFG und § 67 Abs. 3 FamFG ergibt sich nach hiesiger Auffassung, dass der Gesetzgeber in Hinblick auf den Beschwerdeverzicht gegenüber dem Prozessgegner keine Hürden aufgestellt hat und daher auch im Anwendungsbereich des FamFG eine außergerichtliche Verzichtsvereinbarung zwischen zwei Parteien oder eine einseitige außergerichtliche Verzichtserklärung in Hinblick auf ein späteres Rechtsmittel vor Erlass des Beschlusses zulässig ist.648 Der Ausschluss eines gegenüber dem Gericht erklärten antizipierten Beschwerdeverzichts durch das FamFG ist kritikwürdig. Bei der Regelung des § 67 Abs. 1 FamFG handelt es sich nicht nur unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie um ein technisches Malheur, sondern auch um ein inhaltliches Missgeschick. Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) steht einem antizipierten Beschwerdeverzicht nicht entgegen649, ihm wird mit der materiell-rechtlichen Regelung des § 1565 BGB bereits hinreichend Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedarf, dem staatlichen Bestandsinteresse hinsichtlich der Ehe zusätzlich auf prozessualer Ebene Rechnung zu tragen. Bei dem Ausschluss des antizipierten Rechtsmittelverzichts im Anwendungsbereich des FamFG handelt es sich ferner nicht um ein effektives Mittel, um für einen Zuwachs an objektiv richtigen Urteilen zu sorgen, denn auch durch einen nachträglichen Rechtsmittelverzicht oder durch schlichtes Verstreichenlassen der Beschwerdefrist können rechtlich fehlerhafte Judikate rechtskräftig und damit verbindlich werden. Hingegen bewirkt ein gegenüber dem Gericht erklärter antizipierter Rechtsmittelverzicht, wie zutreffend in der Begründung zum Regierungsentwurf des FGG-ReformG hervorgehoben, frühzeitige Rechtsklarheit für alle Beteiligten und ermöglicht eine prozesswirtschaftliche, schnelle Erledigung eines Verfahrens. Zudem ist es kein Zeichen eines stimmigen Regelungskonzepts, dass sich die Zulässigkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts im Anwendungsbereich des FamFG unterschiedlich darstellt, je nachdem, ob der Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozessgegner oder dem Gericht erklärt wurde. Eine sachliche Rechtfertigung für diese rechtlich differenzierte Behandlung ist nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde hätte der Gesetzgeber gut daran getan, bei der Reform des Familienverfahrensrechts im Jahr 2009 sich an den zivilprozessualen Grundsätzen zum antizipierten Rechtsmittelverzicht650 zu orientieren und diese für das FamFG zu übernehmen.651 648 Vgl. so in Bezug auf eine außergerichtliche Verzichtsvereinbarung BeckOK FamFG/Obermann, § 67 Rn. 11; in Hinblick auf den antizipierten einseitigen außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht Keidel/Sternal, FamFG, § 67 Rn. 12; a. A. MünchKomm FamFG/A. Fischer, Band 1, § 67 Rn. 24. 649 Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 4. 650 Siehe soeben Zweites Kapitel B. I. 6. a). 651 So mit Recht Johannsen/Henrich/Althammer/Althammer, Familienrecht, § 67 FamFG Rn. 2; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, Band 6, § 515 Rn. 4.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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c) Einschränkungen der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im Interesse der verzichtenden Partei, des Prozessgegners oder der Allgemeinheit? Die Zivilprozessordnung räumt den Parteien einen weiten Entscheidungsspielraum bezüglich der Ausübung ihrer Befugnis zur Aufgabe des Anfechtungsrechts hinsichtlich einer richterlichen Entscheidung ein. Den Parteien ist es selbst überlassen, ob und auf welchem Wege sie sich ihres Rechts begeben, ein ungünstiges Urteil in höherer Instanz anzufechten. Nach zutreffender Rechtsansicht kann eine Partei oder können beide Parteien bereits vor Erlass eines Urteils in Unkenntnis der Tragweite ihres Willensentschlusses das Recht zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung aufgeben. Es entspricht den Grundsätzen einer liberalen Rechtsordnung, dass jedermann grundsätzlich – auch im Prozess – über seine Rechtspositionen selbst bestimmen kann.652 Es gilt der römisch-rechtliche Grundsatz „Volenti non fit iniuria“. Eine Abweichung von diesem rechtlichen Grundsatz mit Blick auf eine parteiliche Disposition über ein Rechtsmittel vor Erlass des Urteils ist nicht geboten, da der Willensentschluss eines (konkreten) antizipierten Rechtsmittelverzichts nicht per se Rechtsfolgen von unerträglichem Ausmaß zeitigt. Die Parteien eines Zivilprozesses dürfen daher frei bestimmen, ob sie auf ihr Recht zur Anrufung einer zivilprozessualen Rechtsmittelinstanz verzichten wollen. Treffen die Parteien übereinstimmend die Entscheidung zur Aufgabe ihres Anfechtungsrechts, verkürzt sich der in ihrem Rechtsstreit durchlaufene Instanzenzug, wohingegen im Falle des allein durch eine Prozesspartei erklärten Rechtsmittelverzichts dem Prozessgegner weiterhin der volle Instanzenzug offensteht. Erst recht bedarf die Dispositionsbefugnis über das Recht zur Anfechtung eines richterlichen Urteils keiner Beschränkung im Interesse des Prozessgegners.653 Für den Prozessgegner ist die Verzichtserklärung einer Prozesspartei lediglich vorteilhaft. Im Interesse des Prozessgegners liegt es mithin, dass der Rechtsmittelverzicht der hierzu entschlossenen Partei so weit wie möglich gestattet wird. Die nicht verzichtende Partei erlangt durch den Rechtsmittelverzicht die Gewissheit, dass sie eine Anfechtung eines unterinstanzlichen Urteils durch den Verzichtenden nicht zu befürchten hat. Ferner besteht auch kein Anlass, im Interesse der Allgemeinheit die Dispositionsbefugnis der Parteien über das Recht zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung einzuschränken. Der Gesetzgeber hat die Einlegung und die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens in die Hände der Parteien gelegt und dadurch verdeutlicht, dass kein öffentliches Interesse an der Ausschöpfung des Instanzenzugs besteht.654 Das freie Recht zur Einlegung eines Rechtsmittels ist 652 653 654

Habscheid, NJW 1965, 2369, 2374. So zu Recht Habscheid, NJW 1965, 2369, 2374. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 538.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

untrennbar verbunden mit dem Recht zum Verzicht auf diese vorteilhafte Rechtsposition (beneficia non obtruduntur). Wenn der Staat sein volles Vertrauen in die Parteiinitiative zur Einlegung eines Rechtsmittels setzt, fehlt es an einem Motiv, das die Notwendigkeit zur Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts rechtfertigen könnte. Eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts bewirkt nach der hier vertretenen Auffassung allein die Aufrechterhaltung der Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ende des Laufs der Rechtsmittelfrist. Die Anerkennung eines Rechtsmittelverzichts nach Einlegung des Rechtsmittels ist hingegen dogmatisch verfehlt und nötigte in der Vergangenheit zu müßigen Analogiebildungen und wird wohl auch in der Zukunft dazu zwingen.655 Es gibt keinen triftigen Grund für den Staat, den Prozessparteien aufzuerlegen, sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit offenzuhalten, ein Rechtsmittel einlegen zu können. Die Analyse hat gezeigt, dass dies sowohl für den allgemeinen Zivilprozess als auch für das Verfahren für Familienverfahren zutrifft656, obwohl das letztere Verfahrensrecht (unglücklicherweise und daher reformierungsbedürftig) den antizipierten gerichtlichen Rechtsmittelverzicht gem. § 67 Abs. 1 FamFG ausschließt. Der antizipierte Rechtsmittelverzicht dient dem Regelungsziel des Rechtsmittelverzichts, der Prozesswirtschaftlichkeit657, indem frühzeitig Klarheit über die (partielle) Anfechtungsfestigkeit eines richterlichen Urteils hergestellt wird und somit schneller und effizienter ein verbindliches Verfahrensergebnis herbeigeführt werden kann. Ein Rechtsmittelverzicht kann eine effizientere und schnellere endgültige Streitbeilegung ermöglichen, die im Interesse sämtlicher am Gerichtsverfahren beteiligter Akteure liegt. Mithin sind der Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts zu Recht nur geringe Grenzen gesetzt.658 7. Sonstige Erscheinungsformen des Verzichts auf Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe der Zivilprozessordnung Die berufungsrechtliche Norm des § 515 ZPO ist die zentrale Norm betreffend die Dispositionsbefugnisse über Rechtsmittel und Rechtsbehelfe in der Zivilprozessordnung. Über die Verweisungsnorm des § 565 S. 1 ZPO finden die aus § 515 ZPO folgenden rechtlichen Wertungen auch auf das Rechtsmittel der Revision Anwendung. Nach § 566 ZPO besteht die Möglichkeit des Verzichts auf die Berufung unter Einlegung der Sprungrevision. Schließlich soll auf die umstrit-

655

Siehe Zweites Kapitel B. I. 2. d). Siehe soeben Zweites Kapitel B. I. 6. a) und Zweites Kapitel B. I. 6. b). 657 Anders/Gehle/Göertz, ZPO, § 515 Rn. 3. 658 Als echte Zulässigkeitsgrenze wird wohl nur das Erfordernis des Bezugs der Verzichtserklärung auf einen konkreten, auch künftigen, Prozess einzuordnen sein, siehe Ausführungen im Zweiten Kapitel B. I. 6. a). 656

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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tene Frage der Zulässigkeit des Verzichts auf den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil nach § 346 ZPO eingegangen werden. a) Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision Auf das Rechtsmittel der Revision kann vor oder nach Erlass des Berufungsurteils verzichtet werden.659 Die Erklärung des Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision kann gegenüber dem Gericht oder außergerichtlich gegenüber dem (zukünftigen) Prozessgegner erfolgen.660 Richtigerweise sollte einem Rechtsmittelverzicht nach Einlegung des Rechtsmittels auch im Revisionsrecht aus Gründen der dogmatischen Klarheit, aber ferner auch zur Abwendung der Gefahr des Unterlaufens des Regelungsziels des § 565 S. 2 ZPO durch Rückgriff auf das Rechtsinstitut des Rechtsmittelverzichts in fortgeschrittenem Verfahrensstadium anstelle einer Rechtsmittelrücknahme die Anerkennung versagt werden.661 Die Zulässigkeit des antizipierten Rechtsmittelverzichts bedarf in der Revisionsinstanz keiner Einschränkungen aus dem Grunde, dass aufgrund eines Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision die im öffentlichen Interesse liegenden Revisionszwecke der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und Rechtsfortbildung möglicherweise nicht erfüllt werden können.662 Denn auch in der Ausgestaltung des Revisionsrechts hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, auf die Parteiinitiative bei der Einlegung zu vertrauen. Die Erreichung im Allgemeininteresse liegender Revisionszwecke ist von der Einlegung des Rechtsmittels durch die Partei abhängig und steht somit in akzessorischer Abhängigkeit von dem Individualinteresse.663 Aufgrund dieses Abhängigkeitsverhältnisses vermögen die öffentlichen Revisionszwecke keinen Ausschluss des Rechts auf Erklärung des Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision vor Erlass des Berufungsurteils zu rechtfertigen. Ein Verbot der Aufgabe des Anfechtungsrechts bis zum Erlass des Berufungsurteils wäre zudem wenig geeignet, öffentliche Revisionszwecke zu fördern, denn die Parteien können noch nach Erlass des Berufungsurteils auf das Rechtsmittel 659 RGZ 20, 398, 400; RGZ 36, 421 f.; RGZ 161, 350, 356; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 565 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Prütting/Winter, ZPO, Band 7, § 565 Rn. 6; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 136 Rn. 42. 660 BGHZ 27, 60, 61 f. = BGH, NJW 1958, 868; BGH, NJW-RR 1992, 567, 568; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 565 Rn. 6; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 565 Rn. 3. 661 Siehe Zweites Kapitel B. I. 2. d). So wohl auch Jacobs und Prütting/Winter, nach deren Auffassung es sich bei dem Verzicht auf die Revision nach Einlegung der Revision in der Sache um eine Rücknahme der Revision handele, Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 565 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Prütting/Winter, ZPO, Band 7, § 565 Rn. 7. 662 So aber Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 420; a. A. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 210 f. 663 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 542.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

der Revision verzichten oder schlicht die Einlegung des Rechtsmittels der Revision unterlassen. Vor Einlegung des Rechtsmittels der Revision, in einem Verfahrensstadium, in dem der Ausgang des Revisionsverfahrens sich noch in keinster Weise abzeichnet, kann die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts auch kaum als eine anstößige, beschränkungswürdige Verhinderung eines Grundsatzurteils erachtet werden.664 Vielmehr können die Parteien ein valides Bedürfnis an der Erklärung eines Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision haben, um in ihrem Rechtsstreit zügiger eine verbindliche Streitklärung durch das Berufungsurteil zu erreichen. Demzufolge sind die in Hinblick auf den Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung erarbeiteten Grundsätze zur Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts in vollem Umfang auf den Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision übertragbar. b) Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung durch Einlegung der Sprungrevision Die Parteien können sich ferner entschließen, die Berufungsinstanz zu überspringen und unter den in § 566 ZPO normierten Bedingungen direkt das Rechtsmittel der Revision gegen das erstinstanzliche Urteil einlegen, sog. Sprungrevision oder revisio per saltum. Der Antrag auf Zulassung der Sprungrevision und die Einwilligungserklärung gelten gem. § 566 Abs. 1 S. 2 ZPO als Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung. Die Übergehung der Berufungsinstanz durch Einlegung der Sprungrevision kann sich dann für die Parteien eines Zivilprozesses anbieten, wenn alle strittigen tatsächlichen Punkte geklärt sind und allein eine um Rechtsfragen fortbestehende Kontroverse schnell und unter Senkung des Kostenaufwands durch das Revisionsgericht geklärt werden soll.665 Die Verkürzung des dreigliedrigen Instanzenzugs nach der Vorschrift des § 566 ZPO dient mithin der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung.666 Die Sprungrevision findet nur gegen nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ohne Zulassung berufungsfähige erstinstanzliche Endurteile statt. Dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision und der Erklärung der Einwilligung wird der Erklärungswert des endgültigen Verzichts auf die Berufung beigemessen.667 Die Endgültigkeit des Verzichts auf die Berufung zeigt sich darin, dass weder die Unzulässigkeit, die Zurücknahme noch die Nichtzulassung der Sprungrevision die Verzichtswirkung beseitigen können.668 664 Zu dem umstrittenen Rechtsproblem der Verhinderung von Grundsatzurteilen im Revisionsverfahren siehe bereits Zweites Kapitel A. III. 1. 665 Anders/Gehle/Nober, ZPO, § 566 Rn. 2; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 566 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, § 566 Rn. 1; Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 566 Rn. 1; Zöller/Heßler, ZPO, § 566 Rn. 1; Milger, NZM 2011, 177, 184. 666 MünchKomm ZPO/Krüger, § 566 Rn. 1; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 566 Rn. 1. 667 BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 566 Rn. 3; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 566 Rn. 5. 668 Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 566 Rn. 13.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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Die Besonderheit des Verzichts auf das Rechtsmittel der Berufung durch Einwilligung in die Sprungrevision liegt darin, dass der Rechtsmittelverzicht nur dann Wirkung entfaltet, wenn der Prozessgegner den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision auch tatsächlich einreicht. Der Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung durch Einwilligung in die Sprungrevision steht mithin unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Zulassungsantrag tatsächlich eingereicht wird.669 Der Eintritt der Fiktionswirkung der Einwilligung zur Sprungrevision im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Zulassung der Sprungrevision dient der Verhinderung divergierender Rechtsmittelentscheidungen im Falle eines beidseitigen Teilunterliegens in erster Instanz.670 Das Rechtsmittel der Berufung bleibt einer Partei mithin solange erhalten bis der Prozessgegner den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision stellt. Sofern der zur Einlegung der Sprungrevision berechtigte Prozessgegner von diesem Recht keinen Gebrauch macht oder gar stattdessen Berufung einlegt, besteht keine Gefahr des Erlasses von die Rechtssicherheit beeinträchtigenden differierenden Entscheidungen, sodass auch der zuvor in die Sprungrevision einwilligenden Partei weiterhin das Rechtsmittel der Berufung offensteht.671 Eine nach Stellung des Antrags auf Zulassung der Sprungrevision und Einwilligung des Prozessgegners durch letzteren eingelegte oder fortgeführte Berufung muss als unzulässig verworfen werden.672 Eine Vereinbarung über die Einwilligung in die Sprungrevision oder mit dem Inhalt, dass gegen das Urteil nur Sprungrevision und keine Berufung eingelegt werden dürfe, kann bereits vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils getroffen werden.673 Im letzteren Fall bedarf es nichtsdestotrotz der Erklärung der Einwilligung in die Sprungrevision.674 Unterbleibt die Erklärung der Einwilligung in die Sprungrevision durch eine Partei, kann sie sich nicht auf den Berufungsverzicht des Prozessgegners berufen.675 Die Sprungrevision weicht von einem regulären Revisionsverfahren insoweit ab, als Verfahrensverstöße des erstinstanzlichen Gerichts grundsätzlich unbeacht-

669 BGH, NJW 1997, 2387; MünchKomm ZPO/Krüger, § 566 Rn. 12; Zöller/Heßler, ZPO, § 566 Rn. 4. 670 BGH, NJW 1997, 2387; Anders/Gehle/Nober, ZPO, § 566 Rn. 5; BeckOK ZPO/ Kessal-Wulf, § 566 Rn. 3; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 566 Rn. 11. 671 BGH, NJW 1997, 2387. 672 BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 566 Rn. 3; MünchKomm ZPO/Krüger, § 566 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Prütting/Winter, ZPO, Band 7, § 566 Rn. 10. 673 BGH, NJW 1986, 198; BGH, NJW 1997, 2387. 674 Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 566 Rn. 12; Zöller/Heßler, ZPO, § 566 Rn. 4. 675 BGH, NJW 1986, 198; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 566 Rn. 12; Zöller/ Heßler, ZPO, § 566 Rn. 4. In der Erhebung dieses Einwands läge ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, Wieczorek/Schütze/Prütting/Winter, ZPO, Band 7, § 566 Rn. 7.

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lich sind, § 566 Abs. 4 S. 2 ZPO.676 Folge des Ausschlusses der Rügefähigkeit von nicht von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernissen ist, dass sämtliche Tatbestandselemente eines Anspruchs im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils enthalten sein müssen.677 Darüber hinaus ist die ablehnende Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision gem. § 566 Abs. 6 ZPO nicht anfechtbar, sodass es anders als bei der Revision gegen Berufungsurteile (unter den Rahmenbedingungen des § 544 ZPO678) nur zu einer einmaligen Prüfung des Vorliegens von Revisionszulassungsgründen kommt. Diese Einschränkungen des Rechtsschutzes sind wohl entscheidende Gründe dafür, dass die Sprungrevision in der Praxis nur ein Schattendasein fristet679 und auch nur in geringem Maße Gegenstand der Judikatur ist. Eine Abschaffung der Sprungrevision, wie teilweise vorgeschlagen680, ist aus diesem Grunde dennoch nicht angezeigt. Beschränkt sich die rechtliche Auseinandersetzung allein auf Rechtsfragen, die sich bereits aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils herauskristallisieren lassen, kann die Sprungrevision dazu beitragen, dass der Rechtsstreit einer prozessökonomischeren Klärung zugeführt wird. c) Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil Parallel zum Revisionsrecht richtet sich auch der Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil aufgrund der Verweisungsnorm des § 346 ZPO nach 676 Eine Ausnahme gilt für von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel, auf die das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil auch im Rahmen einer Sprungrevision überprüft, RGZ 151, 65, 66; BGH, NJW-RR 1996, 1150; MünchKomm ZPO/ Krüger, § 566 Rn. 18 f.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 566 Rn. 12; Prütting/Gehrlein/ Ackermann, ZPO, § 566 Rn. 10. 677 Ein Rückgriff auf Vortrag aus Schriftsätzen scheidet aus, da es sich hierbei um eine unzulässige Verfahrensrüge nach § 286 Abs. 1 ZPO handeln würde, Vorwerk, WuM 2001, 455, 460. 678 Siehe vertiefend zur Nichtzulassungsbeschwerde im Revisionsrecht Zweites Kapitel A. III. 2. c). 679 Vorwerk nennt die Sprungrevision „ein Rechtsmittel, das man beruhigt vergessen kann“ und hält den Ausschluss von Verfahrensrügen für „einen Grund, weshalb von der Sprungrevision stets abzuraten ist“, Vorwerk, WuM 2001, 455, 460. Dass die Sprungrevision in der Praxis wenig gebräuchlich ist, konstatiert auch Kessal-Wulf, BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 566 vor Rn. 1; so auch Wieczorek/Schütze/Prütting/Winter, ZPO, Band 7, § 566 Rn. 2; ähnlich in Bezug auf Wohnraummietsachen Milger, NZM 2011, 177, 184. Bereits bei der Einführung der Sprungrevision durch die Notverordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Februar 1924 wurde die Besorgnis geäußert, die Sprungrevision werde „von ganz verschwindenden Ausnahmefällen ein papiernes Dasein führen“, Heilberg, JW 1924, 361, 364. Dass diese Befürchtung nicht in dieser Drastik wahr wurde, zeigt sich dadurch, dass bereits im Jahr der Einführung des Rechtsinstituts das Reichsgericht erstmalig hierzu Stellung bezog, RG, JW 1924, 1988. 680 Mertin, Recht und Politik 2005, 67, 73.

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den Grundsätzen zum Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung. Die Zulässigkeit des antizipierten Verzichts ist und war stets wiederkehrender Streitpunkt in der Dogmatik des Verzichts auf die Einspruchsbefugnis. In der älteren Literatur wurde die Zulässigkeit einer antizipierten Vereinbarung über den Einspruchsverzicht vor Erlass des Versäumnisurteils vehement mit der Begründung abgelehnt, dass das Einspruchsrecht als Hilfsmittel des Ausgleichs der mit dem Versäumnisverfahren verbundenen Gefahren unerlässlich sei.681 Durch eine antizipierte Einspruchsverzichtsvereinbarung könne eine Partei auf die Verhinderung und Vergesslichkeit der anderen spekulieren, dies sei ein nicht zuzulassender Missgriff.682 Gleichzeitig konzedierte Oertmann aber auch, dass der Gesetzgeber nichtdestotrotz wohl die antizipierte Verzichtsvereinbarung über den Einspruch gegen ein künftiges Versäumnisurteil in Parallelität zum Verzicht auf die Berufung als zulässig eingestuft wissen wollte.683 Auch Kohler erkannte an, dass antizipierte Vereinbarungen im Zusammenhang mit einem künftigen Versäumnisverfahren eine „gute Bedeutung“ haben können, wenn dadurch eine (schnelle) Vollstreckung ermöglicht werden soll.684 Wenn sich außergerichtlich zwischen den Prozessparteien eine Einigung dergestalt abzeichnet, die eine verbindliche Bestätigung des Einigungsergebnisses durch ein Versäumnisurteil ermöglicht, kann es durchaus sinnvoll erscheinen, eine vertragliche Übereinkunft über die Herbeiführung der Voraussetzungen eines Versäumnisurteils und über den Verzicht auf den Einspruch zu treffen, um schnell und effizient einen Vollstreckungstitel zu generieren.685 Es sind keine triftigen Gründe dafür ersichtlich, dass die Einspruchsmöglichkeit gegen ein Versäumnisurteil nicht durch ein Recht, auf diese günstige Rechtsposition zu verzichten und (auch antizipierte) rechtliche Bindungen auf sich zu nehmen, flankiert werden sollte.686 Einer generellen Invalidierung des antizipierten Vertrags über den Einspruchsverzicht „zur Abwendung der Gefahren des Versäumnisverfahrens“ bedarf es nicht, denn es greift stets das Sicherheitsnetz des allgemeinen Prozessvertragsrechts687, um ein Mindestmaß an Vertragsgerechtigkeit sicherzu-

681 Siehe so etwa Kohler, Gruch. Beitr. 1887 (Bd. 31), 276, 288; Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 421. 682 Kohler, Gruch. Beitr. 1887 (Bd. 31), 276, 288; Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 421. 683 Oertmann, ZZP 45 (1915), 398, 422. 684 Kohler, Gruch. Beitr. 1887 (Bd. 31), 276, 298; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 213. 685 So zu Recht G. Wagner, Prozeßverträge, S. 543. 686 A. A. Häsemeyer, der den Verzicht auf den Einspruch vor Erlass des Versäumnisurteils nicht zulassen will, „weil die Richtigkeitsgewähr für das Versäumnisurteil stark eingeschränkt ist“, Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 225. Ablehnend auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 212 f. 687 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 543 f. Siehe im Einzelnen Erstes Kapitel B. II. 3. c).

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stellen. Darüber hinaus erscheint es fernliegend, dass verständige Parteien antizipiert eine Vereinbarung über den Einspruchsverzicht aufgrund des Willens zur Spekulation über die Verhinderung und Vergesslichkeit des Prozessgegners treffen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann darin nach der hier vertretenen Auffassung kein verwerfliches Verhalten erkannt werden, denn es bleibt bei „Volenti non fit iniuria“. Noch weitergehender vertrat Habscheid die Auffassung, jeder Verzicht auf den Einspruch vor Erlass des Versäumnisurteils sei unzulässig und unwirksam.688 Die antizipierte Disposition über das Einspruchsrecht sei im öffentlichen Interesse und im Parteiinteresse auszuschließen. Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergehe, werde staatlicher Rechtsschutz nur in beschränktem Maße zu Teil, da sie ihren rechtlichen und tatsächlichen Standpunkt nicht vortragen konnte und nur auf Basis des Vortrags des Prozessgegners verurteilt wurde.689 Das Einspruchsrecht bedürfe als letzte Gelegenheit zum rechtlichen Gehör eines besonderen Schutzes, der über den Schutz des Berufungs- oder Revisionsklägers herausgehen müsse.690 Daher müsse der Partei die Entscheidungsfreiheit über den Verzicht auf den Einspruch bis zum Urteilserlass erhalten bleiben.691 Zwar ist Habscheid zuzugeben, dass die Partei, die sich ihres Einspruchsrechts gegen ein künftiges Versäumnisurteil begibt, sich im Vergleich zu einem künftigen Rechtsmittelkläger in einer weitaus vulnerableren Position befindet, da sie ein Ergebnis in Kauf nimmt, das ihr gegenüber ohne Gewährung rechtlichen Gehörs zustande kommt. Ein besonderer Schutz des Einspruchsberechtigten wäre aber nur dann hergestellt, wenn sein Einspruchsrecht gänzlich vor einem Verzicht geschützt wäre. Dies widerspräche aber erkennbar dem Willen des Gesetzgebers, der den Verzicht auf den Einspruch analog den Regelungen zum Verzicht auf die Berufung normiert hat. Spätestens durch die Neuregelung des Berufungsverzichts nach § 515 ZPO durch das ZPO-Reformgesetz von 2001 ist in Hinblick auf den gerichtlichen Verzicht klargestellt, dass dieser auch vor Erlass des Urteils erklärt werden kann, was folglich entsprechend auch für den Einspruchsverzicht gilt.692 Die Sicherstellung der Übersehbarkeit des Urteilsinhalts ist nach der hier vertretenen Auffassung kein zwingender Grund, sämtliche antizipierte Dispositionen über den Einspruch zu invalidieren, denn bereits vor Urteilserlass ist der Einspruchsberechtigte regelmäßig über den Streitstand im Bilde und kann das Risiko seines Verzichts einschätzen.

688 689 690 691 692

Habscheid, NJW 1965, 2369, 2375. Habscheid, NJW 1965, 2369, 2374 f. Habscheid, NJW 1965, 2369, 2375. Ebenda. BGH, WM 2021, 1091; BeckOK ZPO/Toussaint, § 346 Rn. 1.1.

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In der neueren Literatur wird die Zulässigkeit des einseitigen Verzichts auf den Einspruch vor Erlass des Versäumnisurteils teilweise abgelehnt.693 Ausschließlich der vertragliche Verzicht auf den Einspruch solle vor Erlass des Versäumnisurteils zulässig sein.694 Die historische Betrachtung und der erforderliche Schutz der Parteien sprächen klar gegen die Anerkennung eines einseitigen Verzichts.695 Nach überzeugender überwiegender Auffassung steht es einer Partei jedoch frei, auch vor Erlass des Urteils einseitig auf ihr Einspruchsrecht zu verzichten.696 Eine derartige rechtliche Benachteiligung der Erklärung des Verzichts auf den Einspruch durch eine Prozesspartei, sei es in Vertragsform oder durch einseitige Erklärung, erscheint nicht angezeigt, denn sie kann ein wichtiges Vehikel für eine schnellere und kostengünstige Beendigung eines Rechtsstreits sein. Ferner steht die Frage der Angemessenheit einer antizipierten Disposition über das Recht des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil in keinerlei innerem Zusammenhang zu der Beidseitigkeit des Rechtsverzichts, denn beide Parteien wollen durch den Einspruchsverzicht nicht um den Verzicht des anderen willen das volle Risiko der eigenen Verhinderung übernehmen, sondern allein eine schnelle verbindliche Erledigung des Prozesses fördern.697 Mithin ist auch eine unilaterale antizipierte Disposition über das Einspruchsrecht zulässig.698 Im Ergebnis ergeben sich keine rechtlichen Unterschiede hinsichtlich der Zulässigkeit eines antizipierten Verzichts auf das Rechtsmittel der Berufung und eines antizipierten Verzichts auf das Einspruchsrecht gegen ein Versäumnisurteil. 8. Zusammenfassung Als Pendant des Rechts der freien Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels ist es den Parteien des Zivilprozesses anheimgestellt, auf diese günstige Rechtsposition zu verzichten. Die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts fördert die Prozesswirtschaftlichkeit, indem sie es den Parteien ermöglicht, durch Verkürzung des Instanzenzugs auf eine schnellere und kosten693 MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 346 Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 346 Rn. 1; so zuvor in Hinblick auf den Verzicht auf die Berufung Rimmelspacher, JuS 1988, 953, 956. 694 MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 346 Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 346 Rn. 1. Stadler will ausdrücklich allein den beiderseitigen vertraglichen Verzicht, d. h. nicht aber den unilateralen vertraglichen Verzicht als zulässig anerkennen. 695 MünchKomm ZPO/Prütting, Band 1, § 346 Rn. 4. 696 BGH, WM 2021, 1091; Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 346 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Göbel, ZPO, § 346 Rn. 2; Stein/Jonas/Bartels, ZPO, Band 5, § 346 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, Band 5, Teilband 2, § 346 Rn. 6; Zöller/Herget, ZPO, § 346 Rn. 1; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 106 Rn. 57. 697 Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge, S. 543. 698 Vgl. zur gleichgelagerten Frage, ob die Zweiseitigkeit des Verzichts notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit eines antizipierten Verzichts auf das Rechtsmittel der Berufung ist, oben Zweites Kapitel B. I. 6. a).

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günstigere verbindliche Klärung des Rechtsstreits hinzuwirken. Die Freiheit zur Verkürzung des Instanzenzugs im Einzelfall geht mit einer Formenvielfalt in Hinblick auf die (rechtliche und tatsächliche) Umsetzung eines Willens zur Aufgabe des Rechts zur Anfechtung eines richterlichen Urteils einher. Aus dogmatischem Blickwinkel empfiehlt sich eine Systematisierung der Erscheinungsformen des Rechtsmittelverzichts nach Adressaten der Erklärung. Richtigerweise verläuft keine rechtliche Trennlinie in Hinblick auf die Zulässigkeit von Rechtsmittelverzichten entlang deren zeitlicher Einordnung vor oder nach Erlass des Urteils. Der Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung ist bereits vor Erlass des Urteils zulässig und kann vor Erlass des Urteils sowohl gegenüber dem Gericht (ab Anhängigkeit des Rechtsstreits) und außergerichtlich gegenüber dem Prozessgegner erklärt werden. Diese rechtliche Wertung gilt auch für den Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision und den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil. Nach Einlegung des Rechtsmittels ist ein Rechtsmittelverzicht hingegen nicht mehr möglich, es handelt sich in der Sache um ein auf Rechtsmittelrücknahme gerichtetes Begehr.

II. Rechtsmittelrücknahme Nach Einlegung des Rechtsmittels kann der Kläger in höherer Instanz auf die weitere Durchführung des Verfahrens verzichten, indem er sein Rechtsmittel zurücknimmt. Dadurch akzeptiert die klägerische Partei das Prozessergebnis aus der unteren Instanz und disponiert über ihr Überprüfungsrecht in höherer Instanz. Im Folgenden sollen zunächst allgemeine Grundsätze des Rechtsinstituts der Rechtsmittelrücknahme erörtert werden. Anschließend soll eine Untersuchung der durch den Gesetzgeber in Vergangenheit und Gegenwart implementierten Grenzen der Zulässigkeit einer Rechtsmittelrücknahme im Berufungsrecht und im Revisionsrecht vorgenommen und zu den im Jahr 2014 eingeführten Einschränkungen der einseitigen Prozessbeendigung im Revisionsrecht Stellung bezogen werden. 1. Grundlagen des Rechtsinstituts der Rechtsmittelrücknahme Die Rücknahme eines Rechtsmittels bringt den Willen zum Ausdruck, das konkrete Verlangen nach Überprüfung des Urteils eines vorbefassten Gerichts aufgeben zu wollen.699 Die Rücknahme eines Rechtsmittels bedeutet somit die Beendigung der Weiterverfolgung eines bereits erhobenen Begehrs auf Nachprüfung eines Urteils aus einer niedrigeren Instanz.700 699 Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 2; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 II, S. 546. 700 MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 4. Abzugrenzen ist die Rechtsmittelrücknahme von der Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 1 ZPO, die auch in höherer Instanz möglich ist, siehe Erstes Kapitel B. I. 1. c) aa). Die Klagerücknahme ist

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Anders als bei dem Rechtsmittelverzicht liegt in der Rechtsmittelrücknahme keine generelle Aufgabe des Rechts auf Anfechtung einer richterlichen Entscheidung. Die Rechtsmittelrücknahme führt lediglich zum Verlust des eingelegten Rechtsmittels.701 Läuft die Rechtsmittelfrist nach Rücknahme des Rechtsmittels noch oder kommt die Wiedereinsetzung in die abgelaufene Rechtsmittelfrist in Betracht, kann das Rechtsmittel erneut eingelegt werden.702 Die Rücknahme eines Rechtsmittels führt die Rechtskraft des angefochtenen Urteils nur dann unmittelbar herbei, wenn kein weiteres (Anschluss-)Rechtsmittel eingelegt ist und ein Rechtsmittel von den Beteiligten mehr eingelegt werden kann.703 Die Verkürzung des im Einzelfall durchlaufenen Instanzenzugs durch eine Rechtsmittelrücknahme dient der alsbaldigen und endgültigen Befriedung des Rechtsstreits durch beschleunigten Eintritt der Rechtskraft.704 Abweichend von dem Rechtsinstitut des Rechtsmittelverzichts705 ist die Rücknahme eines Rechtsmittels gem. § 516 Abs. 2 S. 1 ZPO zwingend gegenüber dem Rechtsmittelgericht zu erklären. Ein Rechtsmittel kann nicht wirksam einseitig gegenüber dem Prozessgegner zurückgenommen werden.706 Die Erklärung der Rechtsmittelrücknahme gegenüber dem Rechtsmittelgericht ist auch dann unabdingbare Voraussetzung für das Auslösen der Rechtsfolgen des § 516 Abs. 3 ZPO, wenn die Parteien die Rechtsmittelrücknahme vertraglich vereinbart haben.707 In der älteren der Widerruf des Gesuchs um Rechtsschutz durch die staatliche Gerichtsbarkeit, der sich nicht nur auf eine Rechtsmittelinstanz auswirkt, sondern zur Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteils führt und die Rechtshängigkeit rückwirkend entfallen lässt, Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 55. 701 BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 14; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 516 Rn. 12. 702 RGZ 158, 53, 55 f.; BGH, NJW 1965, 761; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 738; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 8; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 17; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, S. 154. Nach dem Rechtsverständnis der Schöpfer der Civilproceßordnung hingegen war auch bei einer Rechtsmittelrücknahme dem Rechtsmittelkläger die erneute Einlegung des Rechtsmittels verwehrt, siehe Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351. Das Reichsgericht beurteilte eine erneute Einlegung des Rechtsmittels nach einer Rechtsmittelrücknahme kritisch, siehe RGZ 147, 313, 315. Vertiefend Zweites Kapitel B. I. 2. d). 703 BGHZ 173, 374, 379 = BGH, NJW 2008, 373, 374; BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 14; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 516 Rn. 14. 704 Vgl. BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 1; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 1; Saenger/Wöstmann, ZPO, § 516 Rn. 1. 705 Siehe zu den Erscheinungsformen des Rechtsinstituts des Rechtsmittelverzichts bereits Zweites Kapitel B. I. 3. Die Modellregeln für das Zivilverfahrensrecht in Europa sehen auch für die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts vor, dass alle Verzichtserklärungen zwingend vom Gericht in einem Urteil oder einem anderen amtlichen Protokoll vermerkt werden müssen, ELI/UNIDROIT, Model European Rules of Civil Procedure, 2020, Rule 154 (4). 706 BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 7, 23. 707 Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 516 Rn. 21; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 6.

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prozessrechtswissenschaftlichen Literatur wurde die Zulässigkeit eines vertraglichen Rechtsmittelrücknahmeversprechens zum Teil abgelehnt.708 Die Versagung der Zulässigkeit von prozessualen Verpflichtungsverträgen beruhte auf dem mittlerweile überwundenen Verständnis, dass die Zivilprozessordnung nur gesetzlich normierte Prozessverträge gestatte.709 Die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur erkannte das Rechtsmittelrücknahmeversprechen wie auch das Klagerücknahmeversprechen als zulässige materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte an710 und konnte sich so der Stellungnahme zu der Streitfrage der Zulässigkeit ungeschriebener Prozessverträge entziehen.711 Wie bereits in Hinblick auf den vertraglichen Rechtsmittelverzicht dargelegt712, zieht das Eingehen einer rechtlichen Bindung in Form einer Verpflichtung nicht notwendigerweise die Zuordnung des Rechtsgeschäfts zum materiellen Privatrecht nach sich. Das Handlungsinstrument des Verpflichtungsvertrags steht auch dem Prozessrecht zur Verfügung.713 Eine vertragliche Vereinbarung, ein Rechtsmittel zurückzunehmen, ist aufgrund ihrer Zweckrichtung als prozessualer Verpflichtungsvertrag und mithin als Prozessvertrag einzuordnen.714 Ein trotz einem Rechtsmittelrücknahmeversprechen aufrechterhaltenes Rechtsmittel ist nach Erhebung der Einrede des Rechtsmittelrücknahmeversprechens durch den Rechtsmittelgegner als unzulässig zu verwerfen.715 Die Rücknahme eines Rechtsmittels setzt semantisch zwingend die vorherige Einlegung des Rechtsmittels voraus, sodass die Rechtsmittel708 K. Hellwig, in: FS Gierke II, S. 41, 89 f.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 151. 709 K. Hellwig, in: FS Gierke II, S. 41, 88; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 150 f. Siehe vertiefend Erstes Kapitel B. II. 3. 710 Vgl. RGZ 102, 217, 221; RGZ 123, 84, 85; RGZ 159, 186, 188; BGH, NJW 1964, 549, 550; BGH, NJW 1968, 794 f.; BGH, NJW 1984, 805; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1996, 420, 421; Teubner/Künzel, MDR 1988, 720, 723. 711 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 505. 712 Siehe bereits Zweites Kapitel B. I. 4. 713 G. Wagner, Prozeßverträge, S. 506. 714 So zu Recht auch Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 65. 715 RGZ 102, 217, 223; RGZ 159, 186, 190; BGHZ 28, 45, 48 f. = BGH, NJW 1958, 1397, 1398; BGH, NJW 1961, 460; BGH, NJW 1964, 549, 550; BGH, NJW 1984, 805; BGH, NJW 1968, 794 f.; BGH, NJW 1989, 39; BGH, NJW-RR 1989, 802; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 34; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 12; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 65; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 510; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 98 II, S. 548; Mendelssohn Bartholdy, JW 1921, 1244, 1245. Zu einer überholten Gesetzesfassung der Zivilprozessordnung wurde teilweise vertreten, dass das Rechtsmittel nach einredeweiser Geltendmachung eines Rechtsmittelrücknahmeversprechens entsprechend der §§ 113 S. 2, 632 Abs. 4 a. F. ZPO für zurückgenommen zu erklären ist, so beispielsweise OLG Stuttgart, ZZP 76 (1963), 318; Bonin, JZ 1958, 268, 269 f. Zu Recht kritisch Wagner, der eine „quasi-Ersatzvornahme“ durch das Gericht ablehnt, G. Wagner, Prozeßverträge, S. 510. Hinsichtlich der heutigen Gesetzesfassung ist einhellig anerkannt, dass ein trotz eines Rechtsmittelrücknahmeversprechens aufrechterhaltenes Rechtsmittel nach Erhebung der Einrede des Rechtsmittelrücknahmeversprechens durch den Rechtsmittelgegner als unzulässig zu verwerfen ist.

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rücknahme nicht vor Einlegung des Rechtsmittels erklärt werden kann.716 Die einseitige gegenüber dem Rechtsmittelgericht erklärte Rücknahme des Rechtsmittels ist eine Prozesshandlung und daher weder anfechtbar noch grundsätzlich widerruflich.717 Ein Widerruf einer einseitigen Rechtsmittelrücknahme scheidet selbst dann aus, wenn der Prozessgegner sein Einverständnis hierzu erklärt.718 Es kann auf die parallel gelagerte Argumentation im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Frage der Widerruflichkeit des einseitigen gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsmittelverzichts verwiesen werden.719 Die Wirkungen der einseitigen Erklärung der Rechtsmittelrücknahme gegenüber dem Rechtsmittelgericht sind gem. § 516 Abs. 3 S. 2 ZPO von Amts wegen durch Beschluss auszusprechen. Über die Rechtswirkung der Verwerfung des eingelegten Rechtsmittels von Amts wegen können die Parteien nicht einverständlich verfügen. Im Interesse der Gewährleistung von Rechtssicherheit ist das Entstehen eines Schwebezustands hinsichtlich der Prozessbeendigung durch Prozesshandlungen zu verhindern.720 2. Grenzen der Zulässigkeit der Rechtsmittelrücknahme Der Gesetzgeber setzt dem Rechtsmittelkläger in den Rechtsmittelinstanzen unterschiedliche zeitliche Grenzen, bis zu denen er dem Rechtsmittelkläger alleinige Entscheidungsfreiheit über die Streitbeendigung durch Ausübung der Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme gewährt. Der Berufungskläger kann die Beendigung des Berufungsverfahrens durch einseitige Erklärung der Rechtsmittelrücknahme gegenüber dem Gericht bis zur Verkündung des Berufungsurteils herbeiführen. Der Revisionskläger kann sein Rechtsmittel hingegen ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurücknehmen. a) Berufungsinstanz Dem Berufungskläger steht seit der Streichung des Erfordernisses der Einwilligung des Prozessgegners in die Berufungsrücknahme ab dem Zeitpunkt der 716 BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 7; Rosenberg/K. H. Schwab/Gottwald, ZPO, § 137 Rn. 57. 717 RGZ 120, 243, 246; BGH, NJW-RR 2008, 85, 86; BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 11; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 516 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 7. Eine einseitige gegenüber dem Rechtsmittelgericht erklärte Rechtsmittelrücknahme ist nur dann ausnahmsweise widerruflich, wenn die Voraussetzungen der Restitutionsklage nach §§ 580, 581 ZPO vorliegen, siehe Zweites Kapitel B. I. 5. und Prütting/ Gehrlein/Lemke, ZPO, § 516 Rn. 7; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 10; Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, S. 472 f.; a. A. MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 13 f. 718 RGZ 150, 392, 395; BGHZ 20, 198, 205 = BGH, NJW 1956, 990, 991. 719 Siehe Zweites Kapitel B. I. 5. 720 BGH, NJW-RR 1990, 67, 68; BGH, NJW-RR 2008, 85, 86; Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 7 Rn. 915.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten zur Hauptsache durch das ZPO-Reformgesetz 2001 ein extensiver zeitlicher Entscheidungsspielraum bezüglich der Rücknahme seines Rechtsmittels zu. Erst mit Beginn der Verkündung des instanzbeendenden Berufungsurteils ist die selbstbestimmte Beendigung des Berufungsverfahrens durch den Berufungskläger ausgeschlossen.721 Nach Beginn der Verkündung des Berufungsurteils soll die Rücknahme der Berufung mit Einwilligung des Prozessgegners nach überwiegender Auffassung noch bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig sein.722 Die bis zum 1. Januar 2002 geltende Beschränkung der Berufungsrücknahme ab dem Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten gem. § 515 Abs. 1 ZPO a. F. durch das Einwilligungserfordernis des Berufungsbeklagten diente für den Prozessgegner als Möglichkeit zur Sicherung der Einlegung und Durchführung einer unselbstständigen Anschlussberufung.723 Der Gesetzgeber entschloss sich allerdings im Rahmen des ZPO-Reformgesetzes, das Interesse des Anschlussberufungsklägers an der Durchführung seines Anschlussrechtsmittels hinter dem Interesse der schnellen Herbeiführung einer endgültigen Befriedung der Parteien und der Entlastung der Berufungsgerichte zurücktreten zu lassen.724 In der Tat lässt sich in der Berufungsinstanz kein schutzwürdiges Interesse des Berufungsbeklagten erkennen, zu dessen Sicherung es eines Einwilligungserfordernisses zur Berufungsrücknahme bedürfte. Das Interesse des Berufungsbeklagten an der Durchführung einer unselbstständigen Anschlussberufung verdient keinen Schutz, denn dem Berufungsbeklagten bleibt es unbenommen, soweit er durch das erstinstanzliche Urteil beschwert ist, selbständig Berufung einzulegen.725 Legt der Berufungsbeklagte, möglicherweise wegen fehlender Beschwer, seinerseits keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein, gibt er damit zu erkennen, dass er sich mit dem (ihm vorteilhaften) erstinstanzlichen Urteil begnügen will. Unter diesen Voraussetzungen ist eine weitgehende Möglichkeit zur Berufungsrücknahme durch den Berufungskläger für den Beklagten günstig, denn es besteht die Chance des schnelleren Eintritts der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils. Das Rechtsmittel der Berufung dient der Fehlerkontrolle der unteren Instanz im Interesse der Parteien an der rechtlichen Richtigkeit der Entscheidung des Einzelfalls und bezweckt daher in erster Linie die Gewährung von Individual721 BGHZ 190, 197, 199 = BGH, NJW 2011, 2662; BGH, GRUR 2014, 911, 912; BeckOK ZPO/Wulf, § 516 Rn. 9; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 9; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 516 Rn. 8. 722 BAGE 125, 226, 228 f. = BAG, NJW 2008, 1979, 1980; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, Band 2, § 516 Rn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 2; Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, § 7 Rn. 916. 723 Vgl. Hahn, Karl/Mugdan, Benno (Hrsg.), Materialien II/1, S. 351; BGHZ 124, 305, 309 f. = BGH, NJW 1994, 737, 739; BAGE 125, 226, 228 f. = BAG, NJW 2008, 1979, 1980. 724 BT-Drs. 14/4722, S. 94. 725 Pohlmann, ZPO, § 12 Rn. 614.

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rechtsschutz.726 Folgerichtig besteht keine Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Berufungsklägers über die Durchführung seines Rechtsmittels im Allgemeininteresse. Zweifel bestehen hingegen an der Auffassung, dass die Berufungsrücknahme nach Beginn der Verkündung des instanzbeendenden Urteils mit Einwilligung des Prozessgegners noch bis zum Eintritt der Rechtskraft zulässig sein soll. Für diese Ansicht streitet zwar die dadurch schneller bewirkte endgültige Befriedigung der Parteien und der Grundsatz der prozessualen Dispositionsfreiheit.727 Der Widerspruch in sich, dass das Berufungsgericht bei einer nach Erlass des instanzbeendenden Berufungsurteils erfolgten Berufungsrücknahme die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen hat, wird dadurch entschärft, dass durch die Berufungsrücknahme entsprechend § 269 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 ZPO das noch nicht rechtskräftige Berufungsurteil ipso iure wirkungslos wird. Dennoch lässt sich die Anerkennung einer Rücknahme nach Verkündung des Berufungsurteils mit Zustimmung des Berufungsbeklagten nicht recht in das zuvor thematisierte728, allgemeine Begriffsverständnis vom Institut der Rechtsmittelrücknahme einpassen. Die Rechtsmittelrücknahme ist die Aufgabe des Verlangens nach Überprüfung des Urteils eines vorbefassten Gerichts. Wenn die Überprüfung bereits stattgefunden hat und das Verlangen des Rechtsmittelklägers durch Erlass einer Rechtsmittelentscheidung bereits erfüllt ist, ist es höchst fragwürdig, ob in diesem Fall Raum für eine Aufgabe des Anfechtungsverlangens bleibt. Im Interesse des vorzeitigen Eintritts der Rechtskraft und der Ermöglichung einer zeitlich möglichst flexiblen Ausübung parteilicher Dispositionsbefugnisse ist trotz begrifflicher Friktionen eine Rücknahme der Berufung zwischen Verkündung des Berufungsurteils und Eintritt seiner Rechtskraft mit Einwilligung des Prozessgegners als zulässig anzuerkennen.729 b) Revisionsinstanz Anders als in der Berufungsinstanz sind die Möglichkeiten der eigenbestimmten, einseitigen Rücknahme des Rechtsmittels durch den Rechtsmittelkläger in der Revisionsinstanz seit dem Inkrafttreten der Änderung des § 565 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs deutlich beschränkt worden. Der Revisionskläger kann nur bis zum Beginn der mündlichen Verhand726 Zu den Zwecken des Rechtsmittels der Berufung siehe Erstes Kapitel A. II. 3. a) sowie Erstes Kapitel A. II. 3. c). 727 So das Bundesarbeitsgericht in BAGE 125, 226, 228 f. = BAG, NJW 2008, 1979, 1980. 728 Siehe Zweites Kapitel B. II. 1. 729 Derart liberal ausgestaltet sind auch die Modellregeln für den Zivilprozess in Europa. In der ersten Rechtsmittelinstanz soll gelten „A party that has commenced a first appeal can withdraw their appeal at any time“, ELI/UNIDROIT, Model European Rules of Civil Procedure, 2020, Rule 163 (1).

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lung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache allein über die Rücknahme der Revision entscheiden. Gesetzgeberisches Ziel der Neuregelung war die Verhinderung einer Prozesstaktik des Revisionsklägers, eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs durch Rücknahme des Rechtsmittels kurz vor Verkündung des Revisionsurteils zu vereiteln.730 Die vorherige Erörterung des Problems der Verhinderung höchstrichterlicher Grundsatzentscheidungen durch parteidispositive Verfahrensbeendigung hat gezeigt, dass es bisher an einem überzeugenden Konzept der Harmonisierung der Parteiherrschaft und öffentlichen Revisionszwecken fehlt.731 aa) Gesetzliche Ausgestaltung de lege lata Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dem Revisionsbeklagten nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache ein Wahlrecht zwischen einem streitigen Urteil oder einer nicht-streitigen Verfahrensbeendigung zu eröffnen. Sofern der Revisionsbeklagte nach Beginn der mündlichen Verhandlung seine Zustimmung zur Revisionsrücknahme durch den Revisionskläger verweigert, ist die Rücknahme wirkungslos und das Revisionsverfahren wird streitig fortgeführt.732 Es soll verhindert werden, dass der Revisionskläger sich nach Hinweisen des Revisionsgerichts in der mündlichen Verhandlung, die auf eine Prozessniederlage hindeuten, ohne Weiteres einem zu gewärtigenden negativen Grundsatzurteil entziehen kann. Ziel der Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Rücknahme der Revision ist die Erreichung eines Anstiegs streitiger höchstgerichtlicher Entscheidungen und einer Stärkung des Bundesgerichtshofs in seiner Funktion als Normbildungsinstanz.733 Durch die Einschränkungen der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz wird der Prozessgegner der eine einseitige Prozessbeendigung anstrebenden Partei faktisch in die Stellung eines Sachwalters der öffentlichen Revisionszwecke erhoben. Er kann durch seine Verweigerung der Zustimmung zur Revisionsrücknahme dazu beitragen, dass durch den Erlass einer höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung die öffentlichen Revisionszwecke der Sicherung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung gefördert werden. Gleichzeitig kann der Revisionsbeklagte aber durch Erteilung der Zustimmung dem Urteil der Vorinstanz zur Rechtskraft verhelfen und so dem Revisionsgericht die Möglichkeit entziehen, ein Grundsatzurteil zu fällen. Die Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme im Revisionsverfahren war aus Sicht des Gesetzgebers geboten, um der steigenden 730 731 732 733

Rn. 1.

BT-Drs. 17/13948, S. 35. Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. BT-Drs. 17/13948, S. 35. BT-Drs. 17/13948, S. 2; Fuchs, JZ 2013, 990, 993; Klingbeil, GVRZ 2019, 14,

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Tendenz zur Rücknahme des Rechtsmittels nach dem Offenbarwerden der vorläufigen Rechtsauffassung des Revisionsgerichts Einhalt zu gebieten. Dennoch bestehen Zweifel, ob die Regelung geeignet ist, einen substanziellen Beitrag zur Stärkung der Revisionsinstanz durch eine Erhöhung der Anzahl an Grundsatzurteilen zu leisten.734 Ein neuralgischer Punkt der Regelung des § 565 S. 2 ZPO ist, dass sie die Entscheidung über die Verwirklichung der im Allgemeininteresse liegenden Revisionszwecke in die Hände des Prozessgegners der eine einseitige Prozessbeendigung erstrebenden Partei legt. Diese Prozesspartei als Sachwalter für die Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung einzusetzen, vermindert die Zielgenauigkeit der Regelung. Denn jede Prozesspartei verfolgt in der Regel zuvörderst eigene Interessen und hat somit kein genuines Interesse an der Herbeiführung einer höchstrichterlichen Leitentscheidung.735 Ferner muss der Prozessbevollmächtigte einer Partei, die über die Zustimmung zu einer Revisionsrücknahme zu entscheiden hat, um seine eigene Haftung zu verhindern, zur Einwilligung in die Rücknahme der Revision raten, wenn bei streitiger Entscheidung durch das Revisionsgericht auch nur in geringem Maße eine negative Abweichung von dem Verfahrensergebnis der Vorinstanz für den Revisionsbeklagten zu erwarten ist.736 Insgesamt sind daher die Anreize für den Revisionsbeklagten begrenzt, sich dem öffentlichen Interesse zu verpflichten und ein streitiges Revisionsurteil einzufordern. Ferner wirkt die Regelung nur punktuell, denn sie begrenzt nur eine spezifische Dispositionsbefugnis zur einseitigen Verfahrensbeendigung, die Teil einer Vielzahl von Optionen für parteiliche Verfügungen über die Prozessdurchführung ist. Den Parteien verbleibt stets die Möglichkeit, dem Revisionsgericht den Entscheidungsauftrag durch Abschluss eines Prozessvergleichs zu entziehen. Ferner kann der Revisionskläger die Attraktivität der Erklärung der Zustimmung zur Revisionsrücknahme durch das Versprechen finanzieller Vorteile steigern. Vor diesem Hintergrund verwundert es keinesfalls, dass die Neuregelung des § 565 S. 2 ZPO in der prozessrechtswissenschaftlichen Literatur mit viel Kritik bedacht wurde. Ball ordnet die durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs eingeführten punktuellen Beschränkungen der Dispositions734 Kritisch MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 555 Rn. 3; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 565 Rn. 3. 735 Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 307; Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren, S. 29; Fuchs, JZ 2013, 990, 993; Kern, RePro 39 (2014), 15, 20; Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 23. Auch im Kollektivinteresse handelnde Klägerparteien (qualifizierte Einrichtungen nach dem UKlaG oder den §§ 606 ff. ZPO) sind primär den Interessen des repräsentierten Kollektivs und nicht den Interessen der Allgemeinheit verpflichtet. 736 Dies zu Recht hervorhebend Naundorf, NJW-aktuell, Leserforum, Heft 44/2013, 14; Piontek, r + s 2016, 335, 337 f.; Winter, NJW 2014, 267, 268.

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maxime in der Revisionsinstanz als „halbherzig und nicht geeignet, den Verhinderungsstrategien, auf die sie abzielt, umfassend entgegenzuwirken“ ein.737 Krüger bescheinigt der Gesetzesänderung keinen durchschlagenden Erfolg, da der Bundesgerichtshof weiter dazu tendiert, bei parteidispositiver Beendigung des Revisionsverfahrens auf anderen Wegen seine Rechtsauffassung zu bekunden.738 Das Gewicht des Beitrags, den die zeitliche Begrenzung der Revisionsrücknahme zum Anstieg der Anzahl streitiger Verfahrensabschlüsse vor dem Bundesgerichtshof und der Stärkung der Funktion des Revisionsgerichts als Bewahrer der Rechtseinheit leistet, kann daher insgesamt nur als mäßig beschrieben werden. Dementsprechend groß ist die Anzahl der Befürworter weiterer Einschnitte in die Parteiherrschaft im Revisionsverfahren, um dem Revisionsgericht mehr Möglichkeiten zu verschaffen, Grundsatzurteile zu sprechen.739 bb) Gestaltungsspielraum de lege ferenda? Außer Zweifel steht der rechtstatsächliche Befund, dass parteiliche Dispositionsbefugnisse zur Beendigung des Verfahrens in der Revisionsinstanz die Erreichung der öffentlichen Revisionszwecke der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung hemmen. Die Bedeutung höchstrichterlicher Präjudizien für den Rechtsstaat wurde bereits beleuchtet und ist im höchsten Maße zu betonen.740 Angesichts der mäßigen Wirkung der Einschränkung der Revisionsrücknahme mit Blick auf die Stärkung der Kapazität des Bundesgerichtshofs zum Erlass von Grundsatzurteilen liegt es nicht fern, von einem akuten Gestaltungsbedarf zu sprechen. Allerdings kann einer anderen gesetzlichen Gestaltung im Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und öffentlichen Revisionszwecken nur dann der Vorrang eingeräumt werden, wenn ein angemessenerer Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen geschaffen und gleichzeitig das Ziel der Stärkung der Revisionsinstanz mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Von einem unmittelbaren Gestaltungsbedarf kann folglich nur dann gesprochen werden, wenn die Möglichkeit der adäquateren, zielgenaueren Steigerung der Wirkungskraft des Revisionsgerichts als durch die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung besteht. Wie bereits betont741, sind solche Lösungsansätze, die dem Revisionsgericht trotz nicht-streitiger Beendigung des Revisionsverfahrens ein Mandat zum Erlass

737

Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 565 Rn. 3. Verweisend auf die Hinweisbeschlüsse des Bundesgerichtshofs zu Widerrufsbelehrungen im Darlehensrecht und der Dieselthematik BGH, NJW 2017, 3239 f.; BGH, NJW 2019, 1133 ff., MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 555 Rn. 3. 739 Vertiefend Zweites Kapitel A. III. 1. Siehe beispielhaft Hirsch, VersR 2012, 929, 932; Klingbeil, GVRZ 2019, 14. 740 Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. c). 741 Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. d) ii). 738

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eines streitigen Grundsatzurteils erteilen wollen, wegen der Entwertung der Parteiherrschaft abzulehnen.742 Es ist die genuine Stärke des Zivilprozesses, dass sich in ihm Streitentscheidung und Normbildung Hand in Hand vollziehen.743 Der Einzelfallbezug ist auch entscheidende Legitimitätsquelle richterlicher Entscheidungen, denn der rechtsstaatliche Grundsatz des Eigeninitiativverbots der Gerichte erlaubt den Gerichten, Entscheidungen nur im Rahmen konkreter Streitigkeiten zu treffen.744 Gerichte geraten daher unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel in schweres Fahrwasser, wenn sie sich abstrakt zu Rechtsfragen äußern, die im konkreten Rechtsstreit nicht (mehr) entscheidungserheblich sind.745 Es dürfen dem Revisionsgericht daher keine dem Eigeninitiativverbot zuwiderlaufenden Befugnisse zur abstrakten Entscheidung über nicht mehr entscheidungserhebliche Rechtsfragen eingeräumt werden. Teilweise wird befürwortet, den Zeitpunkt der Zustimmungsbedürftigkeit der Rücknahme des Rechtsmittels der Revision weiter auf den Zeitpunkt der Einreichung der Revisionsbegründung bzw. der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vorzuverlegen.746 Unter Umständen seien für die Parteien bereits durch gerichtliche Hinweise vor der mündlichen Verhandlung Entscheidungstendenzen erkennbar, die ihnen als Anlass zur einseitigen Verfahrensbeendigung dienen können.747 Es ist jedoch zu bezweifeln, dass eine solche Maßnahme eine signifikante Verbesserung des Anteils an streitigen Verfahrensbeendigungen vor dem Revisionsgericht herbeizuführen geeignet ist. Es verbleiben auch bei der zeitlichen Vorverlegung der Beschränkung der Revisionsrücknahme ausreichend Optionen für die Parteien, in beiderseitigem Einvernehmen dem Revisionsgericht seinen Entscheidungsauftrag zu entziehen.748 Darüber hinaus steht zu befürchten, dass eine Vorverlegung der Begrenzung der einseitigen Dispositionsbefugnis der Revisionsrücknahme auf den Zeitpunkt der Einreichung der Revisionsbegründung bzw. der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde dazu führt, dass sich die Ausübung von Dispositionsbefugnis742 So etwa die Vorschläge von Hirsch, VersR 2012, 929, 932; Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 40 ff. Ein schwerer Eingriff in die Dispositionsmaxime läge auch vor, wenn die Revisionsrücknahme (neben der Zustimmung der anderen Partei) von der Zustimmung des Gerichts abhängig wäre, so der Vorschlag der ELI/UNIDROIT Model European Rules of Civil Procedure, ELI/UNIDROIT, Model European Rules of Civil Procedure, 2020, Rule 163 (2). Ein solch paternalistischer Ansatz, der dem Gericht ein Vetorecht hinsichtlich der Revisionsrücknahme zugesteht und dem Revisionskläger somit keinerlei Bewegungsfreiheit im Revisionsverfahren belässt, ist abzulehnen. 743 So zu Recht Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 442. 744 Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 213. 745 Aus diesem Grunde sind die vorher angesprochenen abstrakten Hinweisbeschlüsse des Bundesgerichtshofs kritisch zu sehen. 746 Rinkler, NJW 2002, 2449, 2450 Fn. 16; Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 22. 747 Klingbeil, GVRZ 2019, 14, Rn. 22. 748 Hierzu bereits soeben im Zweiten Kapitel B. II. 2. b) aa).

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

sen vermehrt auf die zweite Instanz verlagert und die dritte Instanz wegen der erhöhten Prozessrisiken für den Rechtsmittelkläger an Attraktivität verliert. Denn der Revisionskläger stünde bei einer Vorverlegung des Zeitpunkts der Zustimmungsbedürftigkeit der Revisionsrücknahme bereits mit Begründung seines Rechtsschutzbegehrens der streitigen Entscheidung ausweglos gegenüber. In dem kontradiktorischen Verfahren kann er grundsätzlich nicht damit rechnen, dass sich sein Prozessgegner von einer einvernehmlichen Prozessbeendigung überzeugen lässt. Das Risiko der erheblichen Erschwerung einer einseitigen verfahrensbeendigenden Disposition wird ein potenzieller Revisionskläger in seine Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich der Durchführung der Revision als Negativfaktor einstellen müssen. Folglich erscheint eine weitere Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zustimmungsbedürftigkeit der Revisionsrücknahme nicht geeignet, das gesetzgeberische Ziel, das Revisionsgericht in seiner Funktion als normbildende Instanz zu stärken, besser zu erreichen. Vielmehr könnte die Rechtsfortbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs durch einen Schwund an Streitmaterial Schaden nehmen, da sich Prozessparteien aufgrund der erhöhten Risiken mit geringerer Häufigkeit des Rechtsmittels der Revision bedienen.749 Die Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs ist von der Bereitschaft der Rechtsunterworfenen abhängig, Prozesse in der Revisionsinstanz zu führen, und kann folglich auch durch den Rückgang des Zuflusses an Streitmaterial beeinträchtigt werden.750 Mit der Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zustimmungsbedürftigkeit der Revisionsrücknahme bleibt der Revisionsinstanz zwar möglicherweise eine Anzahl an Verfahren erhalten, hinsichtlich derer dem Revisionsgericht ansonsten nach Kundgabe der vorläufigen Rechtsauffassung der Entscheidungsauftrag entzogen worden wäre. Gleichzeitig können aber auch wichtige Rechtsfragen ungeklärt bleiben, da die Einschränkung der Dispositionsfreiheit die Bereitschaft der Parteien senkt, Prozesse in der höchsten Instanz zu führen. Denn die Geltung der Dispositionsmaxime im Revisionsverfahren sorgt dafür, dass die Parteien auch in höchster Instanz die Stellung als Verfahrenssubjekte einnehmen und sich die höchstrichterliche Rechtsprechungstätigkeit auf eine konkrete Rechtsfrage und nicht auf eine abstrakte Normbildung ausrichtet. Je stärker die Dispositionsmaxime im Interesse der öffentlichen Revisionszwecke eingeschränkt wird, desto höher wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Rechtsunterworfenen alternativen Streitbeilegungsmechanismen zu wenden, weil dort anders als im staatlichen Gerichtssystem die Lösung ihres konkreten Streitfalles nicht im Interesse

749 Treffend beschreibt dies Shavell: „(. . .) if litigants do not bring appeals, the appeals process can hardly achieve good.“, Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 385. 750 Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 306.

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der Normbildung in den Hintergrund gedrängt wird.751 Folglich setzt eine weitere Beschränkung der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz allein einen circulus vitiosus in Gang. Durch den zu befürchtenden Rückgang an Streitmaterial wird dem Revisionsgericht das Fundament entzogen und das eigentliche Ziel, dessen Festigung, verfehlt. Aufgrund dieser fehlenden Zielgenauigkeit stellt der Vorschlag der Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zustimmungsbedürftigkeit der Revisionsrücknahme einen unangemessenen Eingriff in die Parteiherrschaft dar, denn er legt dem Rechtsmittelkläger faktisch den Zwang auf, das Revisionsverfahren bis zur streitigen Beendigung durch Urteil durchzuführen, ohne dass erkennbar ist, dass durch diese Prozessparteien abschreckende Maßnahme die Anzahl streitiger Revisionsurteile positiv beeinflusst wird. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Gegensätzlichkeit von Parteiund Allgemeininteresse im Revisionsverfahren kaum in rundum befriedigender Weise aufgelöst werden kann. Es stellt ein zweifelsfrei nachvollziehbares Ärgernis für Bundesrichter dar, wenn der Revisionskläger durch die Erklärung der Revisionsrücknahme den Erlass eines Grundsatzurteils vereitelt und das Revisionsgericht der Möglichkeit beraubt, seiner Rechtsfortbildungsfunktion nachzukommen. Zur Bereinigung dieses Missstands aber noch stärker durch Beteiligung eines Dritten, der über die Zulässigkeit der Prozessbeendigung entscheidet,752 in die Dispositionsfreiheit der Parteien einzugreifen oder sie gar durch Entkoppelung der Streitentscheidung von der Normbildung753 in Gänze zu entwerten, konterkariert das Ziel der Stärkung höchstrichterlicher Normbildung. Die Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz weiter einzuschränken, ist der Festigung der Bedeutung und Position der Revisionsinstanz in der staatlichen Gerichtsbarkeit und im Wettbewerb mit alternativen Streitbeilegungsmechanismen abträglich. Parteien, die ihren Rechtsstreit vor staatlichen Gerichten austragen, werden sich verstärkt auf die Berufungsinstanz konzentrieren und die dort weitgehenden Dispositionsmöglichkeiten ausüben, anstatt das Risiko einzugehen, sich ohne Bewegungsfreiheit in ein Revisionsverfahren mit unsicherem Ausgang zu verstricken.754 Darüber kann die Zurückdrängung der Parteiherrschaft in der 751 Vgl. Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 309. Zu den potenziellen negativen Auswirkung der Beschränkung der Dispositionsfreiheit in der Revisionsinstanz siehe ferner Voit, NJW-Editorial Heft 33/2013. 752 Vgl. den Vorschlag von Hodz ˇ ic´, Zweites Kapitel A. III. 1. d) ee). 753 So der Vorschlag von Vertretern der „Entkoppelungslösung“, siehe Zweites Kapitel A. III. 1. d) gg). 754 Empirische Studien zu der Frage, wie sich Beschränkungen der Parteifreiheit im Revisionsverfahren darauf auswirken, ob Parteien von dem Rechtsmittel Gebrauch machen, gibt es bisher nicht. Möglicherweise könnte aber die von der letzten Bundesregierung in Auftrag gegebene unmet legal needs-Studie Aufschluss zu dieser Thematik geben, vgl. Fn. 55 auf Seite 162.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Revisionsinstanz ein Motiv für die Parteien sein, die staatliche Gerichtsbarkeit zu meiden und für eine stärker auf den konkreten Rechtsstreit fokussierte Streitbeilegungsform zu optieren.755 Den Ausgleich zwischen Parteiherrschaft und öffentlichen Revisionszwecken in einer strengeren Restriktion der Geltung der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz zu suchen, ist nicht zielführend, da dadurch droht, dass sich die Judikative eines hinreichenden Entscheidungszuflusses beraubt und somit „am eigenen Stuhl sägt“. Die Parteiinitiative ist Existenzbedingung des Verfahrens in jeder Instanz der staatlichen Gerichtsbarkeit. Jede Einschränkung der Parteiherrschaft über die Durchführung des Verfahrens hemmt unweigerlich die Motivation einer Prozesspartei, von ihrem Recht zur Initiierung eines gerichtlichen Instanzverfahrens Gebrauch zu machen. Aufgrund dessen kann die Bedeutung der Parteiinitiative (und damit schließlich auch des Individualinteresses) im Revisionsverfahren nicht hoch genug angesiedelt werden.756 Die Unvollkommenheit der gesetzlichen Regelung zur Dispositionsbefugnis der Revisionsrücknahme muss hingenommen werden, da sie systemisch bedingt ist. Das Revisionsverfahren bedient sich eines Individualinteresses an einer rechtlich zutreffenden richterlichen Entscheidung, um die überindividuellen Zwecke der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung zu erreichen. Rechtseinheit wird in den Rechtsmittelinstanzen nur hergestellt, Rechtsfortbildung nur betrieben über die Fehlerkorrektur im Einzelfall.757 Obwohl den Parteien das Privileg des Zugangs zur Revisionsinstanz nur deshalb zukommt, weil ihrem Rechtsstreit eine grundsätzliche Rechtsfrage zu Grunde liegt, machen sich die Parteien die öffentlichen Revisionsziele nicht zu Eigen. Die Gegensätzlichkeit der Interessen der zentralen Verfahrensakteure und des übergeordneten Verfahrensziels führt mithin unvermeidbar zu Friktionen. Eine vollständige Dienstbarmachung des Parteiinteresses zum Zwecke der Erreichung der öffentlichen Revisionszwecke scheidet aus, da die Parteien ansonsten von der Verfahrenseinleitung Abstand nehmen. Die richterliche Rechtsfortbildungsfunktion leidet damit unweigerlich. Die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung der Revisionsrücknahme beschränkt in noch zumutbarer Weise die parteiliche Dispositionsfreiheit in der Revisionsinstanz. Die Gefahr, dass sich die Parteien dem Revisionsverfahren aufgrund gesetzlicher Beschränkung ihrer Dispositionsfreiheit gänzlich entziehen, 755

Maultzsch, Streitentscheidung und Normenbildung, S. 309. Es bestätigt sich die hier vertretene Auffassung, dass im Revisionsverfahren dem öffentlichen Revisionszwecke und dem Individualrechtsschutz gleiches Gewicht zukommt, siehe Erstes Kapitel A. II. 3. e). Die herausragende Bedeutung der Parteiinitiative im Revisionsverfahren betont Voit zu Recht mit folgender Feststellung „Der BGH ist zwar zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung berufen, dies aber nur innerhalb der von den Parteien vorgelegten Fragen.“, Voit, NJW-Editorial Heft 33/2013. 757 „Harmonization will naturally come about through correct legal decision“, siehe Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 425. 756

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

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ist geringer einzuschätzen als bei Lösungsvorschlägen, die das Parteiinteresse völlig758 oder noch stärker759 den öffentlichen Revisionszwecken unterordnen wollen. Gleichzeitig wird aber die Funktion des Bundesgerichtshofs als normbildende Instanz dadurch gestärkt, dass der klagenden Partei die einseitige Beendigung des Revisionsverfahrens nach der Mitteilung der vorläufigen Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung erschwert wird. Eine weitere Einschränkung der Revisionsrücknahme sollte nach der hier vertretenen Ansicht vermieden werden, um die Attraktivität des Revisionsverfahrens für die Rechtssubjekte nicht zu schmälern.760 cc) Exkurs: Klageanerkenntnis in der Revisionsinstanz Durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs wurde ferner die Möglichkeit des Revisionsbeklagten begrenzt, durch Erklärung eines Anerkenntnisses einseitig die Beendigung des Revisionsverfahrens herbeizuführen. Gem. § 555 Abs. 3 ZPO ergeht Anerkenntnisurteil in der Revisionsinstanz nur auf gesonderten Antrag des Klägers. Dem Kläger kommt mithin nach einem Anerkenntnis des Revisionsbeklagten ein Wahlrecht zu, ob der Rechtsstreit durch Anerkenntnisurteil oder durch streitiges Urteil beendet wird.761 Anders als die Regelung zur Revisionsrücknahme differenziert § 555 Abs. 3 ZPO dem Wortlaut nach nicht danach, in welchem Stadium des Revisionsverfahrens das Anerkenntnis erklärt worden ist. Der Bundesgerichtshof vertritt deshalb, dass das Antragserfordernis nach § 555 Abs. 3 ZPO ebenfalls für ein bereits vor Beginn der mündlichen Revisionsverhandlung abgegebenes Anerkenntnis Geltung beansprucht.762 Um Einheitlichkeit und Parallelität zu der Regelung des § 565 S. 2 ZPO zu erreichen, wird jedoch in der Literatur vermehrt dafür plädiert, § 555 Abs. 3 ZPO im Wege einer teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen und erst auf Anerkenntnisse anzuwenden, die nach Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache erklärt worden sind.763 758 Beispielsweise durch die Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung, siehe Zweites Kapitel A. III. 1. d) gg). 759 In Form der soeben thematisierten weiteren Vorverlegung des Zeitpunkts der Zustimmungsbedürftigkeit der Revisionsrücknahme. 760 Insofern stellt die gesetzliche Regelung zwar einen unvollkommenen, wohl aber den angemessensten Ausgleich zwischen der Dispositionsmaxime und dem öffentlichen Interesse an der Klärung von Rechtsfragen mit Grundsatzbedeutung dar, vgl. BT-Drs. 17/13948, S. 35. 761 BT-Drs. 17/13948, S. 35. 762 BGHZ 223, 57, 60 = BGH, NJW 2019, 3582, 3583; zustimmend Musielak/Voit/ Ball, ZPO, § 555 Rn. 9b; MünchKomm ZPO/Krüger, Band 2, § 555 Rn. 3; BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, § 555 Rn. 9. 763 Grundlegend Winter, NJW 2014, 267, 268 f.; so auch Saenger/Raphael Koch, ZPO, § 555 Rn. 1; a. A. Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 555 Rn. 3; Zöller/Heßler, ZPO, § 555 Rn. 8.

302

2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Nach Sinn und Zweck der Beschränkungen der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz bestehe das Antragserfordernis zum Erlass eines Anerkenntnisurteils erst ab Beginn der mündlichen Verhandlung. Die Regelungen der §§ 555 Abs. 3, 565 S. 2 ZPO sollten die strategische Prozessbeendigung einer Partei ab dem Zeitpunkt verhindern, in dem sich durch Bekanntwerden der vorläufigen Rechtsauffassung des Revisionssenats die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels klar herauskristallisieren.764 Eine Einschränkung beider Dispositionsbefugnisse sei erst legitim, wenn die Parteien zur Hauptsache mündlich verhandeln und der Bundesgerichtshof sodann seine vorläufige Einschätzung der Rechtslage kundtut.765 Darüber hinaus gebiete das Gebot der Gleichbehandlung und der fair-trial Grundsatz die Gleichbehandlung der Parteien; der Revisionsbeklagte solle nicht früher als der Revisionskläger den Ausschluss der Freiheit zur einseitigen Disposition über die Verfahrensdurchführung hinnehmen müssen.766 Der Bundesgerichtshof hingegen lehnt eine teleologische Reduktion des § 555 Abs. 3 ZPO mit Blick auf die Gesetzesentstehung wegen des Fehlens einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ab.767 In der Tat lassen sich keine überzeugenden Gründe dafür erkennen, die Dispositionsfreiheit des Revisionsbeklagten stärker einzuschränken als diejenige des Revisionsklägers. Durch einen vollständigen Ausschluss der Option zur einseitigen Verfahrensbeendigung für den Rechtsmittelbeklagten in der Revisionsinstanz kann dieser sich gezwungen sehen, sich bereits in der zweiten Instanz darüber klar zu werden, welche Auswirkungen eine Prozessniederlage in der Revisionsinstanz für ihn potenziell zeitigen kann.768 Um der Ausweglosigkeit eines streitigen Urteils769 (durch einseitige Disposition) zu entgehen, kann ein starker Anreiz für den späteren Revisionsbeklagten bestehen, bereits in der Berufungsinstanz auf eine endgültige Bereinigung der Streitsache durch Vergleich hinzuwirken. Es besteht die Gefahr, dass die Eingrenzung der Freiheit des Revisionsbeklagten zur einseitigen Disposition nicht zu einer Stärkung der Revisionsinstanz führt, sondern die Prozesspartei veranlasst, ein Verfahren in dritter Instanz möglichst abwenden zu wollen. Ferner sind die Parteien erst dann in der Lage, prozessstrategisch ihre Freiheit zur einseitigen Disposition zum Zwecke der Verfahrensbeendigung einzusetzen, 764

Vgl. BT-Drs. 17/13948, S. 35. Winter, NJW 2014, 267, 269. 766 Winter, NJW 2014, 267, 268. 767 BGHZ 223, 57, 60 ff. = BGH, NJW 2019, 3582, 3583 f. Zum Erfordernis der verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes als Voraussetzung einer teleologischen Reduktion BGHZ 179, 27, 35 = BGH, NJW 2009, 427, 429; BGHZ 194, 94, 117 = BGH, NJW 2017, 1378, 1385; BGHZ 220, 100, 128 = BGH, NJW-RR 2019, 310, 307. 768 Vgl. Winter, NJW 2014, 267, 268 f. 769 Jacobs spricht von der „Einführung eines Entscheidungszwangs“, Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, Band 6, § 555 Rn. 3. 765

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

303

um ein Grundsatzurteil zu verhindern, wenn das Revisionsgericht seine (vorläufige) Rechtsauffassung mitteilt, was sich ganz überwiegend im Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung vollzieht. Das erklärte Ziel des Gesetzgebers, dieses Vorgehen der Prozesspartei zu beschränken, rechtfertigt daher erst eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit ab Beginn der mündlichen Verhandlung. Die Regelung des § 555 Abs. 3 ZPO greift somit zu stark in die Parteiherrschaft im Zivilprozess ein. Nichtsdestotrotz lässt sich angesichts der bewussten Unterscheidung des Gesetzgebers zwischen der Revisionsrücknahme und dem Anerkenntnis in der Revisionsinstanz im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens770 nicht feststellen, dass § 555 Abs. 3 ZPO planwidrig zu weit gefasst wurde.771 Zwar stellt die Norm des § 555 Abs. 3 ZPO eine die gesetzgeberischen Ziele überschießende Regelung dar, aber es ist angesichts der soeben angesprochenen klaren gesetzgeberischen Differenzierung nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber § 555 Abs. 3 ZPO in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vorschrift einen überschießenden Eingriff in die Parteiherrschaft in der Revisionsinstanz darstellt. Mithin gilt das (in dieser Form nach hier vertretener Auffassung zu weit in die Parteiherrschaft eingreifende) Antragserfordernis des § 555 Abs. 3 ZPO auch für vor Beginn der mündlichen Verhandlung erklärte Anerkenntnisse. Allerdings ergeben sich ferner dogmatische Bedenken gegen die Ausgestaltung des § 555 Abs. 3 ZPO, auf die Winter772 zu Recht hingewiesen hat. Zweifel sind angebracht, ob die Regelung des § 555 Abs. 3 ZPO, die nur den Erlass des Anerkenntnisurteils von dem Antrag des Klägers abhängig macht, aber nicht die Erklärung des Anerkenntnisses an sich beschränkt, tatsächlich geeignet ist, wie gesetzgeberisch avisiert, umfassend begründete Grundsatzurteile zu generieren. Erklärt der Revisionsbeklagte ein Anerkenntnis, ist dieses als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und bindet die erklärende Partei und das Gericht.773 Die Erklärung des Anerkenntnisses ist von dem Erlass des Anerkenntnisurteils klar zu trennen, denn sie ist ein einseitiger Dispositionsakt über prozessuale Rechte, der die Grundlage für ein später zu erlassendes Anerkenntnisurteil legt.774 Bereits durch die Erklärung des Anerkenntnisses wird dem Gericht der Entscheidungsauftrag entzogen, sodass das Gericht nicht länger berechtigt ist, 770

Siehe BT-Drs. 17/13948, S. 35. Vgl. BGHZ 223, 57, 60 = BGH, NJW 2019, 3582, 3583 f. Es zeigt sich eine gewisse Parallele zwischen dem zuvor mit Blick auf § 67 FamFG geschilderten Problem der Diskrepanz von Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung, siehe Zweites Kapitel B. I. 6. b). 772 Winter, NJW 2014, 267, 268 f. 773 BGHZ 80, 389, 392 = BGH, NJW 1981, 2193, 2193 f.; BGHZ 107, 142, 147 = BGH, NJW 1989, 1934, 1935; BeckOK ZPO/Elzer, § 307 Rn. 29; Prütting/Gehrlein/ Thole, ZPO, § 307 Rn. 10; Saenger/Saenger, ZPO, § 307 Rn. 9 f. 774 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 307 Rn. 2. 771

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

den ursprünglich vorgelegten Streitstoff zu überprüfen.775 Aufgrund der Bindungswirkung der Prozesshandlung des Anerkenntnisses für den Revisionsbeklagten und das Gericht kann weder streitig zum ursprünglichen Streitstoff verhandelt werden noch ein klageabweisendes oder klagestattgebendes streitiges Urteil erlassen werden.776 Das Antragserfordernis zum Erlass eines Anerkenntnisurteils gem. § 555 Abs. 3 ZPO ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht geeignet, die dargelegten Wirkungen eines Anerkenntnisses zu durchbrechen und zu invalidieren.777 Sinnvoll beendet werden kann das Revisionsverfahren im Falle eines Anerkenntnisses also nur, wenn der Kläger einen Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils stellt.778 Die Neuregelung begründet daher entgegen der Auffassung des Gesetzgebers779 kein Wahlrecht des Klägers zwischen einem Anerkenntnisurteil und einem streitigen Urteil, denn sie knüpft nicht begrenzend an die Prozesshandlung des Anerkenntnisses an sich an. Folglich ist die Regelung des § 555 Abs. 3 ZPO untauglich, um die Anzahl von streitigen, inhaltlich begründeten Grundsatzurteilen zu steigern, und letztlich entgegen dem ersten Anschein doch kein scharfes Schwert, um die Parteiherrschaft in der Revisionsinstanz zu beschränken. Anders als die Regelung des § 565 S. 2 ZPO zur Rücknahme des Rechtsmittels der Revision ist die Norm des § 555 Abs. 3 ZPO mithin keine stimmige Regelung zur Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen Parteiherrschaft und öffentlichen Revisionszwecken. 3. Zusammenfassung Die Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme eröffnet dem Rechtsmittelkläger die Möglichkeit, seinen an das Rechtsmittelgericht adressierten Auftrag der Nachprüfung eines Urteils aus niedriger Instanz zu widerrufen und auf die weitere Durchführung des Rechtsmittelverfahrens zu verzichten. Die Rechtsmittelrücknahme führt zur Verbindlichkeit des erstinstanzlichen Prozessergebnisses und stellt wie der Rechtsmittelverzicht eine Disposition über eine Instanz des Zivilprozesses dar. Es besteht kein Zwang, das Rechtsmittelverfahren streitig zu Ende zu führen. Dem Rechtsmittelkläger ein Recht zur Revokation seines Willensentschlusses zur Durchführung eines Verfahrens zuzugestehen, dient der alsbaldigen und endgültigen Befriedung der Parteien und dem beschleunigten Eintritt der Rechtskraft. In der Berufungsinstanz steht der klägerischen Partei bis zur 775 BGHZ 10, 333, 336 = BGH, NJW 1953, 1830; BGH, NJW-RR 2014, 831, 832; BGH, NJW-RR 2014, 1358, 1359; BeckOK ZPO/Elzer, § 307 Rn. 35. Siehe Erstes Kapitel B. I. 1. c) bb). 776 Winter, NJW 2014, 267, 269. 777 Anders hingegen implizit BGHZ 223, 57, 60 = BGH, NJW 2019, 3582, 3583. 778 So zu Recht Winter, NJW 2014, 267, 269. 779 BT-Drs. 17/13948, S. 35.

B. Dispositionsbefugnisse der Parteien im Einzelfall

305

Verkündung des Berufungsurteils die Möglichkeit offen, das Rechtsmittel zurückzunehmen. Die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung der Berufungsrücknahme trägt dem Charakter der Berufungsinstanz als Fehlerkontrollinstanz par excellence780 Rechnung. Hingegen rechtfertigt die zweidimensionale Zielrichtung des Revisionsverfahrens Einschränkungen der Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme in der Revisionsinstanz. Aufgrund der Antinomie der Prozesszwecke des Revisionsverfahrens stellt die gegenwärtige gesetzliche Regelung ein zwar nicht vollumfänglich befriedigendes, aber dennoch ein vertretbares Verhältnis zwischen Parteiherrschaft und Allgemeininteresse her. Die Parteiherrschaft ist das Fundament des gerichtlichen Verfahrens in jeder Instanz, denn erst die Parteiinitiative leitet das Verfahren ein. Die Parteiinitiative und das Fortbestehen des gerichtlichen Entscheidungsauftrags während des gesamten Rechtsmittelverfahrens sind Quellen der Legitimität judikativer Rechtserzeugung in der Revisionsinstanz. Streitentscheidung und Normbildung sind folglich nicht zu entkoppeln. Zudem bergen übermäßige Eingriffe in die Dispositionsmaxime die Gefahr, die Attraktivität der Inanspruchnahme der Revisionsinstanz insgesamt zu mindern und dadurch das gesetzgeberische Ziel der Stärkung der Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs zu verfehlen. Von einer noch schärferen Beschneidung der Befugnis zur Rechtsmittelrücknahme in der Revisionsinstanz sollte folglich Abstand genommen werden.

III. Zwischenfazit Die Zivilprozessordnung ermöglicht den Parteien sehr weitgehende Flexibilität bei der Ausübung von Befugnissen zur Disposition über den Instanzenzug im Einzelfall. Vor dem Hintergrund der dargestellten Flexibilität der zivilprozessualen Regelungen zur parteiautonomen Verkürzung des Instanzenzugs stellt sich erneut die Frage, aus welchem Grunde der Instanzenzug als ein Nachteil der staatlichen Gerichtsbarkeit im Wettbewerb mit der Schiedsgerichtsbarkeit wahrgenommen wird.781 Den Parteien eines Rechtsstreits vor den staatlichen Gerichten stehen zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, sich der Befugnis zur Anfechtung eines richterlichen Urteils in höherer Instanz zu begeben und somit die Anzahl der im Einzelfall durchlaufenen Instanzen zu verringern. Das zivilprozessuale System der Dispositionsbefugnisse über eine Rechtsmittelinstanz zeichnet sich ferner durch besondere Flexibilität aus, denn die Parteien können sich je nach ihrer Interessenlage und Prozesssituation zu einem für sie opportunen Zeitpunkt rechtlich binden. Legen die Prozessparteien besonderen Wert auf die schnelle Beendigung ihres Rechtsstreits, können sie den Instanzenzug bereits vor Erlass des Urteils in der unteren Instanz verkürzen, indem sie einen antizipierten Rechtsmittelverzicht erklären. 780 781

Siehe Erstes Kapitel A. II. 3. Siehe vertiefend Zweites Kapitel A. II.

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2. Kap.: Parteidisposition über den Instanzenzug

Die durch den Gesetzgeber den Parteien verliehene Freiheit der Entscheidung über Einlegung und Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens unterstreicht, dass kein öffentliches Interesse an der vollständigen Ausschöpfung des Instanzenzugs besteht. Soweit der Gesetzgeber durch die Neuregelungen zur Beschränkung der Dispositionsmaxime im Revisionsverfahren den Parteien im fortgeschrittenen Stadium des Revisionsverfahrens den Weg zur einseitigen Streitbeendigung versperrt und damit die „Ausschöpfung der Revisionsinstanz“ begünstigt, liegt darin eine angemessene Beschränkung der Dispositionsmaxime im Interesse an der Stärkung der Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs. Trotz des Mankos des vergeblichen Einsatzes von Justizressourcen bei nichtstreitiger Beendigung von sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium befindlichen Rechtsmittelverfahren durch Rechtsmittelrücknahme sollte die den Grundsatz der Parteiherrschaft verkörpernde Dispositionsmaxime aber auch in den Rechtsmittelinstanzen grundsätzlich stark ausgeprägt sein. Die Dispositionsmaxime erlaubt es den Parteien, flexibel auf neue Prozesslagen zu reagieren, und ist damit letztlich auch ein Garant dafür, dass das staatliche Verfahren gegenüber dem Schiedsverfahren, das den Parteien die Freiheit der Entscheidung über die anwendbaren Verfahrensregeln ermöglicht782, nicht signifikant an Attraktivität einbüßt.

782

Siehe vertiefend zum Schiedsverfahrensrecht Erstes Kapitel B. II. 2.

Drittes Kapitel

Notwendigkeit und Möglichkeit der Reform der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz und des Instituts des Instanzenzugs A. Mikroebene: Disposition über eine Rechtsmittelinstanz Die Reichweite der Freiheit der Parteien zur Verfügung über das Verfahren in höherer Instanz durch Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme wurde bereits in dem zweiten Kapitel der hiesigen Arbeit eingehend beleuchtet. Dabei wurde teilweise Verbesserungsbedarf festgestellt. Die gefundenen Ergebnisse zu Optionen und Grenzen der Umgestaltung der gesetzlichen Regelungen zu parteilichen Dispositionsbefugnissen über eine Rechtsmittelinstanz sollen zusammengefasst und darauf beruhende konkrete Gestaltungsvorschläge unterbreitet werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob es sinnvoll ist, die Möglichkeiten der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz durch die Institute des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme weiter als bisher zu begrenzen. Als Anhaltspunkt für eine Beschränkung der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz kommt die Übertragung von Wertungen aus dem Schiedsverfahrensrecht in Betracht. Das Schiedsverfahrensrecht ermöglicht den Rechtssubjekten einen vollumfänglichen und nicht nur partiellen Verzicht auf staatlichen Rechtsschutz in drei Verfahrensebenen in den Grenzen der objektiven und subjektiven Schiedsfähigkeit des Rechtsstreits.1 Daher ist zu prüfen, ob die Freiheit zur Disposition über eine Rechtsmittelinstanz in vergleichbarer Weise im besonderen öffentlichen Interesse, zum Beispiel auch zum Schutz von Verbrauchern, begrenzt werden sollte.

I. Optionen und Grenzen einer Reform der Ausgestaltung von Dispositionsbefugnissen über eine Rechtsmittelinstanz Die Analyse des Rechtsinstituts des Rechtsmittelverzichts hat gezeigt, dass der Gesetzgeber den Parteien große Entschlussfreiheit über die Aufgabe des Rechts zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung in höherer Instanz zugesteht. Im Interesse der Prozessökonomie und der schnellen endgültigen Befriedung des 1

Vgl. Erstes Kapitel B. II. 2.

308

3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Rechtsstreits steht den Parteien die Möglichkeit des Verzichts auf ein Rechtsmittel bereits vor Erlass des unterinstanzlichen Urteils offen. Für den Zeitraum ab Einlegung des Rechtsmittels fehlt es allerdings an einer klaren Trennung zwischen den Instituten des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme. Nach der hier vertretenen Ansicht sollte der Rechtsmittelkläger ab dem Zeitpunkt, in dem er sein Rechtsmittel einlegt, nur noch mittels des Instituts der Rechtsmittelrücknahme auf eine einseitige Streitbeendigung hinwirken können. Steht dem Rechtsmittelkläger auch nach Einlegung des Rechtsmittels noch die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts zur Verfügung, ist die Entwicklung von neuen Strategien zur Umgehung von Einschränkungen der Rechtsmittelrücknahme im Revisionsverfahren zu befürchten, wie dies bereits im Berufungsrecht in Hinblick auf § 515 a. F. ZPO der Fall war.2 Solchen Ausweichmanövern kann die Judikative zwar durch Übertragung der Schranken der Rechtsmittelrücknahme auf den Rechtsmittelverzicht im Wege der Analogiebildung Einhalt gebieten. Vorzugswürdig erscheint im Interesse der Rechtsklarheit aber eine Korrektur durch den Gesetzgeber. Durch diese Änderung entsteht kein Nachteil in der Gestaltungsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Aufgabe des Rechts auf Fortsetzung des Rechtsstreits in höherer Instanz. Nach Einlegung des Rechtsmittels kann der Rechtsmittelkläger zusätzlich zu seiner Rechtsmittelrücknahme mit dem Gegner vereinbaren, dass er es unterlassen wird, das Rechtsmittel erneut einzulegen. Auf diesem Wege wird eine endgültige Aufgabe des Rechts zur Anfechtung einer richterlichen Entscheidung wie durch den Rechtsmittelverzicht bewirkt. Außerdem wird durch den Ablauf der Rechtsmittelfrist ohnehin regelmäßig eine erneute zulässige Einlegung des Rechtsmittels ausscheiden. Die gesetzgeberische Neuregelung zur Rücknahme des Rechtsmittels der Revision stellt nach hiesiger Ansicht einen angemessenen Ausgleich zwischen der Parteiherrschaft und dem Allgemeininteresse im Revisionsverfahren dar.3 Eine Beschränkung der einseitigen streitbeendenden Disposition durch den Revisionskläger nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten ist geboten, um dem Vorgehen Einhalt zu gebieten, dass der Revisionskläger bei sich abzeichnender Prozessniederlage ein richtungsweisendes Grundsatzurteil durch Rechtsmittelrücknahme verhindert. Die Norm des § 565 S. 2 ZPO leistet einen Beitrag dazu, dass der durch das Revisionsgericht bereits investierte Arbeitsaufwand nicht vergebens ist. Der Wirkungskreis der Einschränkung der Revisionsrücknahme ist aber systembedingt begrenzt, denn aufgrund der Prägung auch des Revisionsverfahrens durch den Grundsatz der Parteiherrschaft bleibt stets die Möglichkeit der einver2 3

Siehe Zweites Kapitel B. I. 2. d). Siehe vertiefend insb. Zweites Kapitel A. III. 1. und Zweites Kapitel B. II. 2. b).

A. Mikroebene: Disposition über eine Rechtsmittelinstanz

309

nehmlichen nicht-streitigen Beendigung des Revisionsverfahrens. Angesichts der limitierten Wirkkraft der Einschränkung der Revisionsrücknahme weitere Einschränkungen der Parteiherrschaft in der Revisionsinstanz, beispielsweise in Form einer Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung, vorzunehmen, wäre dem Ziel der Stärkung der Normbildungsfunktion des Revisionsgerichts abträglich. Zusätzliche Beschränkungen der Parteiherrschaft in der Revisionsinstanz können bewirken, dass der Zufluss von Entscheidungsmaterial an das Revisionsgericht abnimmt. Außerdem fördert die Symbiose von Streitentscheidung und Normbildung die Akzeptanz der Revisionsurteile durch die Parteien. Die Einzelfallentscheidung ist Quelle der Legitimation richterlicher Rechtsfortbildung. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich die Antinomie von Individual- und Allgemeininteresse im Revisionsverfahren nur im Wege der moderaten Begrenzung der Dispositionsbefugnis der Revisionsrücknahme in der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung ausbalancieren lässt. Demgegenüber stellt die parallel zur Begrenzung der Revisionsrücknahme erlassene Neuregelung des Anerkenntnisses in der Revisionsinstanz einen zu starken Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Parteien dar.4 Durch die zeitlich uneingeschränkte Aufstellung des Antragserfordernisses für den Erlass eines Anerkenntnisurteils wird dem Revisionsbeklagten das Recht zur einseitigen Beendigung des Revisionsverfahrens vollumfänglich entzogen. Bis zum Beginn der mündlichen Revisionsverhandlung erscheint ein derart tiefer Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Revisionsbeklagten zum Zwecke der Begrenzung einer strategischen Verhinderung eines Grundsatzurteils nicht geboten, da bis zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch kaum Indizien hinsichtlich des weiteren Prozessverlaufs offenbar geworden sind. Überzeugende Gründe für eine Ungleichbehandlung von Revisionskläger und Revisionsbeklagten in Hinblick auf einseitige Dispositionsbefugnisse in der Revisionsinstanz sind nicht ersichtlich. Die Befugnis zur einseitigen Streitbeendigung sollte folglich für den Revisionsbeklagten erst ab Beginn der mündlichen Revisionsverhandlung des Revisionsklägers begrenzt werden. Darüber hinaus erscheint eine Reformulierung der Regelung zum Anerkenntnis in der Revisionsinstanz sinnvoll. Die Wirksamkeit der Prozesshandlung der Erklärung des Anerkenntnis und nicht das Folgeereignis des Erlasses eines Anerkenntnisurteils sollte in Abhängigkeit von der Einwilligung des Revisionsklägers gesetzt werden.

II. Konkrete Gestaltungsvorschläge Aufbauend auf den vorangegangenen Überlegungen sind folgende Gesetzesänderungen vorzuschlagen:

4

Siehe Zweites Kapitel B. II. 2. b) cc).

310

3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

§ 515 ZPO n. F.5 1

Die Wirksamkeit eines Verzichts auf das Recht der Berufung ist nicht davon abhängig, dass der Gegner die Verzichtsleistung angenommen hat. 2Nach Einreichung der Berufungsschrift kann der Berufungskläger nicht mehr auf die Berufung verzichten. 3Die Möglichkeit der Zurücknahme der Berufung bleibt unberührt. § 555 ZPO n. F.6 (1) 1Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben, die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. 2 Einer Güteverhandlung bedarf es nicht. (2) Die Vorschriften der §§ 348 bis 350 sind nicht anzuwenden. (3) Die Klageforderung kann ohne Einwilligung des Revisionsklägers nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsklägers zur Hauptsache anerkannt werden. § 67 FamFG n. F.7 (1) Die Beschwerde ist unzulässig, wenn der Beschwerdeführer hierauf durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet hat. (2) Die Anschlussbeschwerde ist unzulässig, wenn der Anschlussbeschwerdeführer hierauf nach Einlegung des Hauptrechtsmittels durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet hat. (3) Der gegenüber einem anderen Beteiligten erklärte Verzicht hat die Unzulässigkeit der Beschwerde nur dann zur Folge, wenn dieser sich darauf beruft. (4) Der Beschwerdeführer kann die Beschwerde bis zum Erlass der Beschwerdeentscheidung durch Erklärung gegenüber dem Gericht zurücknehmen.

III. Erforderlichkeit der Beschränkung der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im öffentlichen Interesse? Angesichts der sehr weitreichenden Befugnisse der Parteien eines Zivilprozesses, ihr Recht auf Fortsetzung des Verfahrens in höherer Instanz aufzugeben, stellt sich die Frage, ob die Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme zur Verfolgung bestimmter Schutzzwecke einge5 Zur Begründung dieses Vorschlags vgl. Zweites Kapitel B. I. 2. d), Drittes Kapitel A. I. 6 Siehe Zweites Kapitel B. II. 2. b) cc), Drittes Kapitel A. I. 7 Vgl. Zweites Kapitel B. I. 6. b).

A. Mikroebene: Disposition über eine Rechtsmittelinstanz

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schränkt werden sollten. Es müsste sich um Schutzgüter von überragender Bedeutung handeln, die in der Abwägung mit dem Grundsatz der Prozessökonomie und dem Ziel der schnellen, endgültigen Befriedung des Rechtsstreits das Interesse an der Aufrechterhaltung der Entschlussfreiheit über die Fortsetzung des Verfahrens in höherer Instanz (Rechtsmittelverzicht) oder das Interesse an der Verfahrensbeendigung selbst (Rechtsmittelrücknahme) deutlich überwiegen. Als Partikularinteressen, die eine Einschränkung der Institute des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme rechtfertigen könnten, kommen solche Schutzzwecke in Betracht, die der Gesetzgeber zum Anlass genommen hat, Sonderregeln im Rahmen des Schiedsverfahrens zu erlassen.8 Es stellt sich die Frage, ob sich Schutzerwägungen, die den Gesetzgeber dazu veranlasst haben, das Recht der Derogation der Zuständigkeit der staatlichen Gerichte und damit der Disposition über den dreistufigen staatlichen Instanzenzug zu beschränken, a maiore ad minus auf die Dispositionsbefugnisse über eine Instanz des Zivilprozesses übertragen lassen bzw. übertragen werden sollten. Im Folgenden soll daher der Thematik der Übertragbarkeit von Wertungen aus dem Schiedsverfahrensrecht auf die Ausgestaltung der Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme nachgegangen werden. Hierzu ist die ratio legis von Grenzen der Schiedsfähigkeit in den Blick zu nehmen. Einem Rechtsstreit fehlt die objektive Schiedsfähigkeit im Wesentlichen nur dann, wenn sich der Staat im Interesse besonders schutzwürdiger Rechtsgüter ein Rechtsprechungsmonopol vorbehalten hat. In diesem Fall soll nur der staatliche Richter in der Lage sein, durch seine Entscheidung eine rechtsverbindliche Klärung des Rechtsstreits herbeizuführen.9 Bei nicht-vermögensrechtlichen Familiensachen (insb. statusrechtliche Ehesachen, Abstammungssachen und Kindschaftssachen) fehlt es an der objektiven Schiedsfähigkeit entsprechender Streitsachen. Im Interesse an Rechtsklarheit über das Bestehen staatsseitig fixierter Personenstandsverhältnisse hat sich der Staat ein Rechtsprechungsmonopol vorbehalten. Insofern steht der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit aber nicht in einem funktionalen Zusammenhang zu der regelmäßigen Verkürzung des Instanzenzugs im Schiedsverfahren. Aus diesem Grund erscheint es prima facie schwierig, aus dem Ausschluss der Schiedsfähigkeit in nicht-vermögensrechtlichen Familiensachen auf eine Disposition über eine Rechtsmittelinstanz übertragbare Wertungen zu extrahieren. Allerdings

8 Siehe zu den angesprochenen Grenzen der objektiven und subjektiven Schiedsfähigkeit eines Rechtsstreits bereits Erstes Kapitel B. II. 2. a). In diesem Sinne argumentierend RGZ 70, 59, 60. 9 BGH, NJW 2004, 2898, 2899; BGHZ 132, 278, 283 = BGH, NJW 1996, 1753, 1754; BGH, NJW 1991, 2215, 2216; BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 7; MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1030 Rn. 1.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

wurde, wie bereits in der Analyse des Instituts des Rechtsmittelverzichts thematisiert, mit Blick auf den Schutz der Ehe durch Art. 6 GG in der älteren Literatur vertreten, dass ein antizipierter Rechtsmittelverzicht in Ehesachen unzulässig sei.10 Nach § 67 Abs. 1 FamFG ist der antizipierte Verzicht auf die Beschwerde gegenüber dem Gericht unzulässig. Nach der hier vertretenen Auffassung rechtfertigt der Schutz von Ehe und Familie aber weder einen Ausschluss des antizipierten Rechtsmittelverzichts noch einen sonstigen Eingriff in die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts. Im Interesse möglichst frühzeitiger Rechtsklarheit für alle Beteiligten sollte auch im Anwendungsbereich des FamFG die Befugnis zur antizipierten Disposition über das Recht zur Beschlussanfechtung bestehen.11 Eine Abkehr von dem Grundsatz beneficia non obtruduntur ist nicht angezeigt, denn in jedem Fall endet das Verfahren mit einem Beschluss durch einen staatlichen Richter. Unsicherheit über das (Nicht-)Bestehen eines staatlicherseits fixierten Personenstandsverhältnisses kann somit nicht entstehen. Sinn und Zweck des weitgehenden Ausschlusses eines schiedsrichterlichen Verfahrens in Arbeitssachen ist die Sicherstellung der Durchsetzung des materiellen Arbeitsrechts durch die staatlichen Gerichte.12 §§ 4, 101 ArbGG fungieren zudem als Schutzvorschriften zugunsten des Arbeitnehmers, der davor geschützt werden soll, dass sich die in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten häufig fehlende Vertragsparität in einem Schiedsverfahren zu seinem Nachteil auswirkt.13 Hierin zeigt sich die Annahme des Gesetzgebers, dass der staatliche Richter den gebotenen Schutz der Rechte des sozial schwächeren Arbeitnehmers in aller Regel besser gewährleisten kann als der private Schiedsrichter. Das Rechtsprechungsmonopol der staatlichen Gerichtsbarkeit in Arbeitssachen beruht daher auf der besonderen sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers und dem daraus entspringenden besonderen staatlichen Interesse an der verbindlichen Feststellung der Rechtslage nach den Regeln des ArbGG und dem materiellen Arbeitsrecht. Im Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten gelten gem. § 64 Abs. 6 ArbGG und § 72 Abs. 5 ArbGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung bzw. die Revision entsprechend. Der Rechtsmittelverzicht und die Rechtsmittelrücknahme im Urteilsverfahren nach dem ArbGG richten sich mithin nach zivilprozessualen Regelungen. Bei Ausübung der Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts oder der Rechtsmittelrücknahme im Arbeitsgerichtsverfahren ist sichergestellt, dass ein staatlicher Richter in mindestens einer Instanz nach den Regeln des ArbGG und 10

Siehe Zweites Kapitel B. I. 6. b). So auch der in der Gesetzesbegründung zu § 67 Abs. 1 FamFG erklärte Wille des Gesetzgebers, siehe BT-Drs. 16/6308, S. 207. 12 GMP/Germelmann, ArbGG, § 4 Rn. 1; Schwab/Weth/Tiedemann, ArbGG, § 4 Rn. 1. 13 Vgl. GMP/Germelmann, ArbGG, § 101 Rn. 33. 11

A. Mikroebene: Disposition über eine Rechtsmittelinstanz

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des materiellen Arbeitsrechts eine verbindliche Entscheidung über die Rechtslage trifft. Vor diesem Hintergrund scheint es trotz der besonderen sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers nicht geboten, ihm beispielweise zum Zwecke der Sicherstellung der Übersehbarkeit der Auswirkungen seiner Rechtsaufgabe die Möglichkeit eines antizipierten Rechtsmittelverzichts zu versagen. Denn es ist ebenso als berechtigtes Interesse einzuordnen, dass sich die Parteien eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens frühzeitig auf ein einstufiges Verfahren festlegen wollen, um durch eine schnelle Klärung des Rechtsstreits die weitere vertragliche Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Nutzt ein Arbeitgeber seine Machtstellung gegenüber seinen Arbeitnehmern durch Vereinbarung von Rechtsmittelverzichten unangemessen aus, sind diese Vereinbarungen an den prozessvertraglichen Sicherungsmechanismen der Vertragsgerechtigkeit zu messen.14 Ein besonderer Schutz von Arbeitnehmern vor einer Disposition über eine Rechtsmittelinstanz ist daher nicht geboten. Das Schiedsverfahrensrecht enthält ferner besondere Schutzregelungen zu Gunsten von Wohnraummietern und Verbrauchern. § 1030 Abs. 2 ZPO ordnet die Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen über den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum im Inland an. Die Vorschrift bezweckt den Sozialschutz des Mieters.15 Der Mieter soll in der sozial häufig besonders prekären Situation des Streits um den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum vor fehlender Objektivität und Rechtskenntnis der Schiedsrichter geschützt werden.16 Folglich beruht das Rechtsprechungsmonopol der staatlichen Gerichte im Bereich der Wohnraummietverhältnisse auf Zweifeln an der sozialen Kompetenz der Schiedsrichter. Der Staat vertraut zur Durchsetzung der Normen des sozialen Mietrechts allein auf seine Richter. Aus diesem an die Person des Schiedsrichters anknüpfenden Umstand lässt sich allerdings keine unmittelbar auf die Disposition über (nur) eine Rechtsmittelinstanz der staatlichen Gerichtsbarkeit übertragbare Wertung extrahieren, denn insofern hat sich zumindest in einer Instanz ein Richter der staatlichen Gerichtsbarkeit mit dem Rechtsstreit befasst. Es fehlen Anhaltspunkte, dass der Sozialschutz des Wohnraummieters die Eingrenzung von einer der schnellen, prozessökonomischen Streitbeilegung dienenden Disposition über eine Rechtsmittelinstanz im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung zwingend erfordert. Im Schiedsverfahrensrecht besteht im Interesse des Schutzes des Verbrauchers zudem das besondere Formerfordernis des § 1031 Abs. 5 ZPO. Die Formvor14 Siehe zur Thematik der Sicherungen der Vertragsgerechtigkeit von Prozessverträgen bereits Erstes Kapitel B. II. 3. c). 15 Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 1030 Rn. 1; BeckOK ZPO/C. Wolf/Eslami, § 1030 Rn. 10; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 1030 Rn. 4. 16 Stein/Jonas/P. Schlosser, ZPO, Band 10, § 1030 Rn. 11; Wieczorek/Schütze/ Schütze, ZPO, Band 11, § 1030 Rn. 12.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

schrift soll verhindern, dass eine Schiedsvereinbarung dem Verbraucher unbemerkt untergeschoben werden kann und soll den Verbraucher daher warnen und vor Überrumpelung schützen.17 Dem Verbraucher soll besonders deutlich vor Augen geführt werden, dass er auf eine Entscheidung des Rechtsstreits durch staatliche Gerichte verzichtet.18 In diesem Sinne könnte argumentiert werden, dass ein vergleichbarer Schutz des in aller Regel rechtsunerfahrenen Verbrauchers vor einer Disposition über eine Rechtsmittelinstanz durch Rechtsmittelverzicht durch Ausschluss einer antizipierten Disposition geboten ist. Mit Kenntnis des Urteilsinhalts wäre der Verbraucher in einer besseren Position, die Tragweite seiner Rechtsaufgabe zu erkennen. Es ist aber gleichermaßen nicht zwingend, dass sich der Gesetzgeber in dieser Weise schützend vor den Verbraucher stellt. Stets ist dem Verbraucher, der einen Rechtsmittelverzicht erklärt, bereits Rechtsschutz in einer (vollwertigen) Instanz der staatlichen Gerichtsbarkeit zu Gute gekommen. Die Inanspruchnahme einer Rechtsmittelinstanz ist ein Recht, dessen Inanspruchnahme im Ermessen der Parteien liegt. Die Parteien haben zu entscheiden, ob sie im Interesse an einer richtigen Entscheidung ein Rechtsmittel einlegen oder ob sie im Bestreben der schnellen Befriedung ihres Rechtsstreits von der Einlegung eines Rechtsmittels Abstand nehmen. Diese Entscheidung ist ein höchstpersönlicher Entschluss, der nicht zuletzt von den ganz individuellen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Umständen des Rechtsstreits abhängt. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte der Staat diese Abwägungsentscheidung nicht durch eine Beschränkung des Instituts des Rechtsmittelverzichts beeinflussen.19 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass rechtliche Wertungen aus dem Schiedsverfahrensrecht sich nicht auf die Frage der Disposition über eine Rechtsmittelinstanz des Zivilprozesses durch Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme übertragen lassen. Es besteht keine Notwendigkeit der (weiteren) Beschränkung der sehr weitgehenden zivilprozessualen Befugnisse der Parteien, das Recht zur Fortführung des Verfahrens in höherer Instanz aufzugeben. Die Zivilprozessordnung erkennt kein öffentliches Interesse an der Ausschöpfung des gesamten Instanzenzugs an. Die Institute des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme dienen der Prozessökonomie. Daher ist es folgerichtig, dass der Gesetzgeber den Parteien einen weiten Handlungsspielraum zugesteht.

17 Vgl. MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1031 Rn. 48; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, § 1031 Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 1031 Rn. 9; Rosenberg/K. H. Schwab/ Gottwald, ZPO, § 176 Rn. 32. 18 BT-Drs. 13/5274, S. 37. 19 Die ELI/UNIDROIT Model European Rules of Civil Procedure sehen hingegen bei Verbraucherbeteiligung an einem Rechtsstreit vor, dass ein antizipierter Rechtsmittelverzicht ausscheiden soll, ELI/UNIDROIT, Model European Rules of Civil Procedure, 2020, Rule 154 (3).

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs als ein Element der Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit Reformdiskussionen über das zivilprozessuale Rechtsmittelrecht haben nicht zuletzt mit regelmäßiger Häufigkeit die Frage der Umgestaltung des Instanzenzugs in Form einer Verkürzung des dreistufigen Instanzenwegs zum Gegenstand. Der bisher weitreichendste Vorschlag zur Beschränkung des Instanzenzugs war der Vorschlag zur Einführung einer sog. „funktionalen Zweigliedrigkeit“ im Rahmen der Diskussion einer „Großen Justizreform“ im Jahr 2004, wonach auf die Eingangsinstanz (Tatsacheninstanz) nur ein Rechtsmittel mit ausschließlicher Rechtsfehlerkontrolle folgen sollte. Weitere, in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion erörterte Vorschläge zur Beschränkung des zivilprozessualen Instanzenzugs setzen an dem Wert des Streitgegenstands an. So ist Teil des Vorschlags zur Einführung eines sog. „Beschleunigten Online-Verfahrens“ eine Einschränkung des dreistufigen Instanzenwegs für Rechtsstreitigkeiten im geringen Streitwertbereich.20 Daneben ist die parteiautonome Verkürzung des Instanzenzugs in Verfahren mit hohen Streitwerten auf zwei Instanzen Element des gegenwärtigen Diskurses über Wege zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit in Wirtschaftsstreitigkeiten.21 Ab einer bestimmten Streitwertgrenze soll ein an einem Oberlandesgericht eingerichteter Senat für Internationale Handelssachen durch die Parteien einverständlich als Eingangsinstanz angerufen werden können. Im Folgenden sollen verschiedene Szenarien der Beschränkung des zivilprozessualen Instanzenzugs und ihre Implikationen beleuchtet werden. Die angesprochenen Reformvorschläge zur Verkürzung des Instanzenwegs im Zivilprozess sollen kritisch bewertet werden. Der enorme Konkurrenzdruck durch alternative Streitbeilegungsmechanismen, insbesondere durch die Schiedsgerichtsbarkeit, gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit bietet Anlass dazu, den status quo und status futurus der Ausgestaltung des zivilprozessualen Instanzenzugs zu reflektieren. Denn die bereits untersuchten, sehr weitreichenden Dispositionsbefugnisse über den Instanzenzug kommen nur dann grundlegend als positives Merkmal des staatlichen Zivilprozesses zum Tragen, wenn die Rechtsunterworfenen sich für die staatliche Gerichtsbarkeit und den durch sie angebotenen Instanzenzug entscheiden.

20

Siehe bereits Erstes Kapitel A. I. 9. Vorschlag eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21). 21

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

I. Abschaffung des Instanzenzugs Die denkbar radikalste Umgestaltung des dreistufigen zivilprozessualen Instanzenwegs wäre die Abschaffung des Instanzenzugs. Rechtsschutz in zivilrechtlichen Streitigkeiten würde dann nur in einer einzigen Instanz gewährt, in welcher alle Streitigkeiten letztverbindlich, ohne die Möglichkeit einer Berufung oder einer Revision, entschieden würden. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur garantiert das Grundgesetz keinen subjektiven Anspruch auf Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung. Nach dieser Auffassung ist die Abschaffung des Instanzenzugs also verfassungsrechtlich ohne Weiteres zulässig, denn der Staat würde bereits mit der verbindlichen Klärung eines Rechtsstreits in einer Instanz seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Gewährung von Rechtsschutz nachkommen. Wie bereits ausführlich erläutert22, begegnet dieses verfassungsrechtliche Verständnis aber durchgreifenden Bedenken. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Abkehr von dem Dogma „Kein Rechtsschutz gegen den Richter“ geboten, auf dessen Basis ein subjektiver Anspruch des Einzelnen auf Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung in einer Rechtsmittelinstanz meist rigoros abgelehnt wird. Die Verfassung verbietet richtigerweise die Abschaffung von Verfahren binnenjustizieller Kontrolle durch einen schlichten Federstrich des einfachen Gesetzgebers. Richterliche Entscheidungen sind Hoheitsakte, die in die Grundrechte des Bürgers eingreifen können. Die verfassungsrechtlich gebotene Kontrolle der Ausübung von Hoheitsgewalt muss sich folglich auch auf richterliche Entscheidungen erstrecken. Verfassungsrechtlich ist ein subjektiver Kontrollanspruch auf Überprüfung erstinstanzlicher Richterakte durch eine weitere richterliche Instanz in Hinblick auf die Rechtsfrage anzuerkennen. Diese verfassungsrechtliche Deutung passt sich deutlich harmonischer in das Gesamtbild der Verfassung ein als die Lesart der herrschenden Rechtsprechung und Literatur, die dem einfachen Gesetzgeber völlige Freiheit über die Beseitigung des Instanzenzugs zugesteht. Art. 95 GG lässt erkennen, dass die Verfassung von dem Bestehen eines gerichtlichen Unterbaus ausgeht. Der Instanzenzug ist integrales freiheitssicherndes Element des Rechtsstaats, denn er sorgt dafür, dass fehlerhafte richterliche Entscheidungen in Frage gestellt werden können und nicht regungslos hingenommen werden müssen. Die binnenjustizielle Kontrolle im Instanzenzug hat Disziplinierungsfunktion gegenüber den Richtern der unteren Instanzen und trägt damit zu einer hohen Qualität der Rechtsprechung bei. Eine völlige Dispositionsfreiheit des einfachen Gesetzgebers über den Instanzenzug mit der Möglichkeit der vollständigen Beseitigung des Instanzenwegs wird der überragenden, grundrechtssichernden Bedeutung des Instituts für den Rechts22

Siehe vertiefend Erstes Kapitel A. III. 1. a).

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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staat nicht gerecht. Mithin steht ein subjektiver Anspruch auf Überprüfung einer erstinstanzlichen richterlichen Entscheidung in Hinblick auf die Rechtsfrage der vollständigen Abschaffung der zwei zivilprozessualen Rechtsmittel der Berufung und der Revision entgegen. Darüber hinaus wäre die Abkehr vom dreistufigen Instanzenzug hin zu einer einstufigen Rechtsschutzgewährung in ökonomischer Hinsicht weder für den Staat noch für den Bürger sinnvoll. Durch die Abschaffung des Instanzenzugs würde zwar unmittelbar der Bedarf an Richterpersonal an den Rechtsmittelgerichten wegfallen. Ein Gros der Rechtsmittelrichter müsste dann aber auf die Eingangsinstanzen verteilt werden, da durch den Wegfall der Rechtsmittelinstanzen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die (effektive) Rechtsschutzgewährung durch die einzig verbleibende Instanz stiegen.23 Es ist daher zu bezweifeln, dass durch eine Abschaffung des Instanzenzugs viele Richterstellen und damit finanzielle Ressourcen eingespart werden könnten.24 Substanzielle monetäre Vorteile der öffentlichen Hand durch Umstrukturierung der Justiz sind zudem aufgrund der erheblichen Anschubkosten, die ein solch gravierender Systemwechsel verursacht, nicht zu erwarten. In gleichem Maße wäre eine Abschaffung des Instanzenzugs auch für die Parteien in finanzieller Sicht nicht stets von Vorteil. Zwar kann sich die Abschaffung des Instanzenzugs im Einzelfall dahingehend auswirken, dass sich der Zeit- und Geldaufwand für die Klärung eines Rechtsstreits verringert und damit die Nachteile des Instanzenzugs ausgeräumt sind.25 Allerdings kann der Schaden, der einer Partei durch einen negativen Verfahrensausgang aufgrund einer fehlerhaften gerichtlichen Entscheidung entsteht, die Kosten eines Rechtsmittels um ein Vielfaches übersteigen.26 In diesem Fall ist es für die unterliegende Partei ökonomisch sinnvoll, ein Rechtsmittelverfahren anzustrengen und sogar das Risiko dessen Verlusts einzugehen. Bei einer Abschaffung des Instanzenzugs wäre ferner zu erwarten, dass es zu einer Erhöhung des monetären Aufwands für die erste und einzige Instanz kommt. Aufgrund der Endgültigkeit der Verfahrensentscheidung würde sich der Einsatz von finanziellen Ressourcen für die Rechtsverteidigung durch die Parteien in der verbleibenden Instanz massiv erhöhen. Wegen der Tragweite der richterlichen Entscheidung bei nur einer einzigen zur Verfügung stehenden Instanz müsste auch an die Einführung eines generellen Anwaltszwangs 23 Zum Beispiel in Form von erhöhten Anforderungen an die materielle Prozessleitung durch den Richter gem. § 139 ZPO, vgl. Trittmann/Schroeder, SchiedsVZ 2005, 71, 74. Darüber hinaus müsste auch die Sachverhaltsermittlung deutlich sorgfältiger vorgenommen und ein durchgehendes Kollegialsystem eingeführt werden. 24 A. A. Planz/Schuler, in: Schmidtchen (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur – die Funktionsfähigkeit der Justiz im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts, 1999, S. 184, 189. 25 Siehe zu den Kehrseiten des Instanzenzugs vertiefend Zweites Kapitel A. II. 26 Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 386.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

zum Schutz der Parteien gedacht werden. Durch diese Maßnahme würden wiederum die Rechtsschutzkosten ansteigen. Es scheint daher wahrscheinlich, dass eine Abschaffung eines Instanzenzugs bei dem Staat und bei den Parteien des Zivilprozesses nur zu einer Umschichtung, nicht aber zu einer (deutlichen) Einsparung finanzieller Ressourcen führen würde. Darüber hinaus wäre der immaterielle Verlust, der mit einer Abschaffung des Instanzenzugs einherginge, von immensem Gewicht. Durch den Wegfall des binnenjustiziellen Kontrollsystems fiele eine wesentliche Begrenzung von Richtermacht weg.27 Dies muss in einem Rechtsstaat alarmieren. Das Rechtsschutzniveau sinkt, wenn den Bürgern jegliche Möglichkeiten entzogen werden, richterliche Entscheidungsakte zu überprüfen. Bürger stehen dann richterlichen Entscheidungen hilflos gegenüber. Aufgrund der Fehlbarkeit menschlichen Entscheidens wäre eine Abwesenheit von Rechtsmitteln auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten bedenklich. Außerdem ist ein Rückgang der Qualität der Entscheidungen zu befürchten, denn bei einem Fehlen von Kontrollen mangelt es an der Disziplinierungsfunktion der Nachprüfbarkeit von richterlichen Akten. Die schlichte Existenz von Möglichkeiten zur Anfechtung richterlicher Urteile fördert die Qualität der Rechtspflege, da sie Anreize dafür setzt, dass stets sorgfältig begründete Entscheidungen gefällt werden. Auch die psychologische Bedeutung des Vorhandenseins eines Instanzenzugs für die Rechtsunterworfenen darf nicht unterschätzt werden. Die Existenz des Instanzenzugs mit den Rechtsmitteln der Berufung und der Revision und das Wissen um die Kontrollmöglichkeit der richterlichen Entscheidung vermittelt den Parteien das Gefühl, dass ihre rechtlichen Interessen aufgrund der disziplinierenden Wirkung der Kontrollmöglichkeiten durch die erste Instanz bereits in einem angemessenen Maße berücksichtigt worden sind.28 Mithin ist das Institut des Instanzenzugs der Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen in der Bevölkerung zuträglich. Ferner wäre im Falle der Abschaffung des Instanzenzugs auch mit einer deutlichen Rationalisierung der Gerichtsstandorte und dadurch mit dem Verschwinden der Präsenz der Justiz in der Breite zu rechnen. Ein solcher Rückzug des Rechtsstaats kann nicht als opportun eingeschätzt werden, sichert er doch die Wirkung des Rechts in die Rechtsgemeinschaft hinein und damit die allgemeine Wertschätzung der Justiz.29 Darüber hinaus bedarf es in einem einstufigen Rechtsschutzsystem der Entwicklung von Strategien zur effizienten Allokation der Arbeitsressourcen zwischen einfach gelagerten und umfangreichen Rechtsstreitigkeiten. Bei einer Konzentration aller Ressourcen auf eine Instanz erhielten 27 Weitere Richtermacht begrenzende Rechtsnormen sind § 839 Abs. 2 BGB, Art. 34 GG, § 339 StGB. 28 Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 426. 29 Siehe Zweites Kapitel A. I. 4.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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zunächst auch solche Fälle die größtmögliche Aufmerksamkeit, die dessen nicht bedürfen.30 Außerdem wären Konzepte zu entwickeln, die die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung in dem einzügigen Rechtsschutzverfahren sichern. In einem dreistufigen Rechtsschutzsystem findet diese Ressourcenallokation auf natürlichem Wege durch die Filterfunktion der Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen statt. Über die Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen kann der Gesetzgeber zudem Prozesszwecke steuern und somit den Zielen der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung besonderes Gewicht zuweisen.31 In Ansehen der obigen Erwägungen zu den materiellen und immateriellen Kosten sowie den verfassungsrechtlichen Bedenken stellt die Abschaffung des Instanzenzugs unter keinen Umständen eine umsetzbare bzw. umsetzungswürdige Gestaltungsoption dar.

II. Verkürzung des Instanzenzugs durch Abschaffung der zweiten Tatsacheninstanz In der rechtspolitischen Diskussion um die Ausgestaltung des zivilprozessualen Instanzenzugs haben die Justizminister der Bundesländer im Jahr 2004 den Vorschlag der Einführung einer sog. „funktionalen Zweigliedrigkeit“ unterbreitet. Auf die als Tatsacheninstanz ausgestaltete Eingangsinstanz sollte nur noch eine Rechtsmittelinstanz folgen, die den Streitgegenstand allein unter rechtlichen Gesichtspunkten prüft. Die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung sollte durch ein Vorlageverfahren für Fälle von grundsätzlicher Bedeutung und für Fälle der Divergenz sichergestellt werden.32 Die funktionale Zweigliedrigkeit sollte somit zur Umwandlung der Berufung in eine Instanz reiner Rechtsfehlerkontrolle und zur Abschaffung der Revision als Parteirechtsmittel sowie deren Ersetzung durch ein gerichtliches Vorlageverfahren führen. Das Konzept der funktionalen Zweigliedrigkeit zielte vor allem auf die Verringerung der durchschnittlichen Verfahrensdauer und die Erreichung von Effizienz- und Beschleunigungseffekten ab.33 Die Einführung eines zweistufigen Gerichtssystems bestehend aus lediglich einer Tatsachen- und einer Rechtskontrollinstanz würde unweigerlich eine erhebliche Mehrbelastung der Eingangsgerichte als Tatsacheninstanzen bedingen. Die Tatsacheninstanzen müssten ihren Arbeitsaufwand für die ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung steigern, um Verfahrensfehler zu minimieren, die eine Zurück30

G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 228. Siehe Zweites Kapitel A. I. 2. sowie Zweites Kapitel A. I. 5. 32 Justizministerkonferenz der Länder, Beschlüsse der Herbstkonferenz „Große Justizreform“ am 25.11.2004 in Berlin, TOP 1.2, 2004, S. 1 f. 33 Justizministerkonferenz der Länder, Beschlüsse der Herbstkonferenz „Große Justizreform“ am 25.11.2004 in Berlin, TOP 1.2, 2004, S. 2. 31

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

verweisung des Verfahrens durch die Rechtskontrollinstanz herbeiführen können. Durch den Wegfall einer zweiten Tatsacheninstanz könnten Verfahrensfehler nicht mehr in höherer Instanz bereinigt werden. Die Rechtskontrollinstanz müsste bei Rechtsfehlern im Rahmen der Sachverhaltsermittlung an die Tatsacheninstanz zurückverweisen, deren Urteil wiederum erneut der Rechtskontrolle unterliegt. Durch die Umgestaltung der Berufung zu einer reinen Rechtskontrollinstanz erhöht sich die Gefahr, dass Rechtsfehler bei der Sachverhaltsermittlung durch Zurückverweisung des Verfahrens an die Ausgangsinstanz dazu führen, dass der zweistufige Instanzenzug mehrfach durchlaufen wird. Die erhoffte Effizienzsteigerung würde dann verfehlt werden. Von einer signifikanten Ressourcenschonung und Verbesserung der durchschnittlichen Verfahrensdauer durch die Einführung eines zweistufigen Rechtsschutzsystems ist aufgrund der Erhöhung der Belastung der Eingangsinstanz insgesamt nicht auszugehen.34 Da das Gros aller zivilprozessualer Verfahren nur die erste Instanz durchläuft, wird sich bei der über das übliche Maß hinausgehenden Belastung der Eingangsgerichte durch Einführung eines zweistufigen Instanzensystems in der überwiegenden Anzahl aller Fälle eine Verlängerung und keine Verkürzung der Verfahrensdauer einstellen. Darüber hinaus zeichnet den Wert eines Rechtsschutzsystems nicht allein die Schnelligkeit der Verfahrenserledigung aus. Die Qualität der Rechtsprechung ist ebenso von herausragender Bedeutung für ein hohes Rechtsschutzniveau. Rechtsmittel sind ein zentrales Element justizieller Qualitätssicherung.35 Parteien sind gewillt, eine Verlängerung der für die Prüfung von Fällen in Anspruch genommenen Zeit hinzunehmen, wenn dies die Wahrscheinlichkeit eines korrekten Prozessergebnisses erhöht.36 Wenn die Parteien im Einzelfall im besonderen Maße auf die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung angewiesen sind, stehen ihnen Mittel des Verfahrensrechts offen, um durch beidseitige Parteidispositionen den Instanzenzug in ihrem konkreten Prozess zu verkürzen. Einer zwangsweisen Auferlegung eines Rechtsmittelverzichts durch Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz im Interesse der Parteien bedarf es daher nicht. Der Wegfall einer Mittelinstanz durch Umwandlung der Berufung in eine reine Rechtskontrollinstanz kann sich nachteilig auf die Qualität der Rechtsprechung auswirken.37 Der Vorteil einer Mittelinstanz, die die Funktion einer Tatsachen- und Rechtskontrollinstanz aus34 Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs, Entschließung zur „Großen Justizreform“ vom 14. Dezember 2005, 2005, S. 2; Arbeitsgruppe Justizreform der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Mitteilungen 2005, 263, 264; Trittmann/Schroeder, SchiedsVZ 2005, 71, 74. 35 Vgl. Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs, Entschließung zur „Großen Justizreform“ vom 14. Dezember 2005, 2005, S. 2. 36 Vgl. Shavell, The Journal of Legal Studies 1995, 379, 383. 37 So auch Trittmann/Schroeder, SchiedsVZ 2005, 71, 74.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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übt, ist deren Janusköpfigkeit. Durch ihre Überprüfung und Korrektur von Verfahrensfehlern der ersten Instanz kann die Mittelinstanz auf Einheitlichkeit und Qualität der Sachverhaltsermittlung durch die Eingangsinstanz einwirken. Gleichzeitig kann die Mittelinstanz schwierige Rechtsfragen aufgrund ihrer erfahrenen Richter und ihres geringeren Fallpensums im Vergleich zur unteren Instanz detailliert aufbereiten und so das Revisionsverfahren erleichtern. Eine solche Brückenfunktion kann die Eingangsinstanz in einem zweistufigen Rechtsschutzsystem nicht erfüllen, da sie ihre Arbeitskraft im Wesentlichen auf die sorgfältige Sachverhaltsermittlung konzentrieren muss, um eine Zurückverweisung des Rechtsstreits im Falle eines Verfahrensfehlers zu vermeiden. Ein zweistufiges Rechtsmittelsystem, an deren Spitze ein Gericht eines Landes und nicht des Bundes steht, birgt ferner die Gefahr einer Beeinträchtigung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Es könnten sich im Bundesgebiet oder gar innerhalb eines Bundeslands unterschiedliche Rechtsprechungslinien je nach zuständigem Berufungsgericht herausbilden. Ein Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof kann, wie bereits erläutert38, die Ziele der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung nicht in äquivalenter Weise fördern wie das Parteirechtsmittel der Revision. Es ist nicht zu erwarten, dass Berufungsgerichte in gleichem Maße von der Vorlage eines Rechtsstreits an den Bundesgerichtshof Gebrauch machen, wie sie gegenwärtig die Revision an das Gericht zulassen.39 Die Abfassung eines Vorlagebeschlusses wäre regelmäßig mit einem erhöhten Arbeitsaufwand verbunden, denn es obläge den Gerichten, die sich an § 543 ZPO orientierenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des Vorlageverfahrens darzulegen. Für die Parteien eines Zivilprozesses besteht naturgemäß ein höherer Anreiz zur Investition eines solchen Arbeitsaufwands, da sie sich einen finanziellen Vorteil von der Anstrengung des Revisionsverfahrens versprechen. Der Abschied von einem Parteirechtsmittel zum Bundesgerichtshof in einem zweistufigen Rechtsmittelsystem könnte folglich die Rechtseinheits- und Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs schwächen. Die Abschaffung der zweiten Tatsacheninstanz und die Ersetzung des Revisionsverfahrens durch ein Vorlageverfahren ist mithin kein geeigneter Weg, um die Effizienz des Zivilprozesses zu steigern. Die zweite Tatsacheninstanz gewährleistet als Bindeglied zwischen der Eingangs- und der Revisionsinstanz ein qualitativ hohes Rechtsschutzniveau. Darüber hinaus stellt die Abschaffung einen gravierenden Einschnitt in das Rechtsschutzniveau in zivilgerichtlichen Streitigkeiten dar.40 Nicht ohne Grund ist der dreizügige Instanzenzug wesensprägender 38

Siehe Zweites Kapitel A. III. 1. d) ff). Vgl. Arbeitsgruppe Justizreform der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Mitteilungen 2005, 263, 266. 40 A. A. Sendler, der ein zweistufiges Rechtsmittelsystem für eine Verbesserung, nicht für einen Abbau des Rechtsstaats hält und mit Blick auf den regelmäßig dreistufi39

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Bestandteil des Zivilprozesses. Die Dreistufigkeit verbürgt ein hohes Maß an Freiheitssicherung des Einzelnen vor in seine Grundrechte eingreifenden justiziellen Hoheitsakten. Einer freiheitlichen Staatsordnung steht es nicht gut zu Gesicht, das Grundrechtsschutzniveau durch Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz zu schwächen. Kürzungen des Instanzenzugs stellen richtigerweise keine Rücknahme von Wohltaten des Staats gegenüber den Bürgern dar, sondern greifen unmittelbar in die Grundrechte der Bürger ein und stellen damit ein Verfassungsproblem erster Ordnung dar.41 Zur Legitimation einer generellen Einführung eines zweistufigen Rechtsmittelsystems bedarf es daher eines aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel triftigen Grundes, zu dessen Förderung die Maßnahme auch geeignet sein muss. Mangels eines derartigen erkennbaren substanziellen Nutzens der Verkürzung des Instanzenzugs für die Steigerung der Effizienz des Zivilprozesses ist eine generelle Abschaffung der zweiten Tatsacheninstanz abzulehnen.

III. Beschränkung des Instanzenzugs im Bereich niedriger Streitwerte Eine Steigerung der Attraktivität der Inanspruchnahme der staatlichen Gerichtsbarkeit versprechen sich auch die Initiatoren des aktuellen im Rahmen der Diskussion um eine Modernisierung des Zivilprozesses erörterten Vorschlags der Einführung eines sog. „Beschleunigten Online-Verfahrens“ für Massenverfahren im niedrigen Streitwertbereich.42 Ziel der Integrierung eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ in die Zivilprozessordnung ist die Bereitstellung eines effizienten staatlichen Streitbeilegungsmechanismus für Kleinforderungen. Teil des Vorschlags ist die Beschränkung des Rechtsmittels der Berufung zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung.43 Der Zugang zur Berufungsinstanz soll in Online-

gen Instanzenzug in der Rechtspflege von Hypertrophie und Instanzenseligkeit spricht, Sendler, DVBl 1982, 157, 164. 41 Arbeitsgruppe Justizreform der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Mitteilungen 2005, 263, 264; Gilles, JZ 1985, 253, 260 f. 42 Sog. Hamburger Modell, Justizministerkonferenz der Länder, Abschlussbericht der Länderarbeitsgruppe – Legal Tech: Herausforderungen für die Justiz, 2019, S. 78 ff. Der Hamburger Vorschlag wurde in dem im Januar 2021 veröffentlichten Diskussionspapier der Präsidentinnen und Präsidenten der oberen Gerichte der Länder und des Bundesgerichtshofs erneut aufgegriffen, siehe Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 76 ff. Aufgrund dieses Reformvorschlags hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im August 2021 das Projekt „Digitale Klagewege“ auf den Weg gebracht. Es soll ein Prototyp für ein Online-Tool zur Einreichung einer Klage entwickelt werden, Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Digitale Zugänge zu den Gerichten – BMJV startet Projekt für ein Online-Klagetool, 2021. 43 Justizministerkonferenz der Länder, Abschlussbericht der Länderarbeitsgruppe – Legal Tech: Herausforderungen für die Justiz, 2019, S. 88; Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229, 232.

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Verfahren entsprechend dem Vorbild des § 124 Abs. 1 VwGO nur noch dann eröffnet sein, wenn die Berufung durch das entscheidende Amtsgericht oder die höhere Instanz (Landgericht) bei Vorliegen eines Zulassungsgrundes zugelassen worden ist.44 Im Bereich niedriger Streitwerte steht die staatliche Gerichtsbarkeit unter dem Konkurrenzdruck von außergerichtlichen Streitbeilegungsangeboten. Es besteht ein rationales Desinteresse an der Inanspruchnahme des Rechtsschutzangebots der staatlichen Gerichtsbarkeit, da der mit der Rechtsverfolgung vor staatlichen Gerichten verbundene Zeit- und Kostenaufwand unverhältnismäßig im Vergleich zum Nutzen des Verfahrens erscheint.45 Im Bereich der Rechtsdurchsetzung typischerweise wiederkehrender Streitigkeiten aus Massengeschäften mit geringem Streitwert erfreuen sich außergerichtliche Schlichtungsverfahren wie der PaypalKäuferschutz46, der Amazon Käuferschutz47 und das eBay Resolution Center48 großer Beliebtheit. Diese sog. After-Sale-Services sind für die E-CommercePlattformen unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen erheblichen Konkurrenzdrucks zwingender Bestandteil des unternehmerischen Geschäfts zur Sicherung der Kundenzufriedenheit.49 Die Integration eines Streitbeilegungsverfahrens als sog. After-Sale-Service in das Angebotsportfolio des elektronischen Handels wird angesichts des rationalen Desinteresses an der Rechtsverfolgung im Niedrigstreitwertbereich in einer Vielzahl von Fällen den Zugang des Verbrauchers zu einem Streitbeilegungsverfahren erst ermöglichen. Aufgrund der Annehmlichkeit eines Service „aus einer Hand“ verwundert es nicht, dass einer europäischen Studie zufolge 40 Prozent der europäischen Verbraucher sich bereits dann außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen zuwenden würden, wenn ein Verlust von 200 Euro in Rede stünde, Klagen vor einem staatlichen Gericht aber bei einem Streitwert von bis zu 500 Euro vermieden werden.50

44 Justizministerkonferenz der Länder, Abschlussbericht der Länderarbeitsgruppe – Legal Tech: Herausforderungen für die Justiz, 2019, S. 88 f.; Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229, 232. 45 Eidenmüller/M. Engel, ZIP 2013, 1704, 1705 f.; vgl. Kern, JZ 2012, 389, 392. Die Rechtsstreitigkeiten mit geringem Streitwert nehmen nichtsdestotrotz einen gewichtigen Anteil der Rechtsstreitigkeiten vor den Amtsgerichten ein. Dreißig Prozent der beim Amtsgericht geführten Prozesse haben einen Streitwert von bis zu 500 Euro, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 11. 46 https://www.paypal.com/de/webapps/mpp/paypal-safety-and-security (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022). 47 https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=GQ37ZCNECJKT FYQV (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022). 48 https://resolutioncenter.ebay.de (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022). 49 Vgl. Grupp, AnwBl 2015, 186, 193 f.; Voß, RabelsZ 84 (2020), 62, 65 f. 50 Europäische Kommission, Special Eurobarometer 342, Consumer Empowerment Report, 2011, S. 225.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Mit der steigenden Beliebtheit außergerichtlicher Streitbeilegungsmechanismen51 im Bereich geringwertiger Forderungen und in der Welt des Online-Handels schwindet die Gestaltungskraft des bürgerlichen Rechts für diesen Bereich von Rechtsverhältnissen. Die Regeln des Privatrechts werden im Bereich des Online-Handels zwar nicht abbedungen, ihnen kommt aber in aller Regel faktisch keine Bedeutung mehr zu, denn Konfliktfälle werden durch Online-Plattformen mittels ihrer eigenen, erheblich simplifizierten Rechtsregeln gelöst.52 Die schwindende Relevanz des Privatrechts für die Gestaltung bestimmter Rechtsverhältnisse des täglichen Lebens weist auf ein rechtsstaatliches Defizit bei der Durchsetzung von Kleinforderungen hin.53 Besonders im Bereich der Kleinforderungen ist der Gesetzgeber daher aufgerufen, ein effektives, leicht handhabbares und zugängliches Rechtsdurchsetzungsverfahren zu schaffen, um dem schleichenden Bedeutungsverlust des materiellen Rechts entgegenzuwirken.54 Der Gesetzgeber muss einen angemessenen access to justice im Sinne echter Durchsetzung der individuellen Privatrechte des Einzelnen gewährleisten.55 Durch die Einführung des sog. „Beschleunigten Online-Verfahrens“ soll der Verdrängung des Rechtsschutzangebots der Justiz im Bereich geringwertiger Forderungen durch Streitbeilegungsmechanismen des Online-Handels entgegengewirkt werden.56 Neben dem Regelverfahren soll künftig für Streitigkeiten zwischen klagenden Verbrauchern und beklagten Unternehmen in bestimmten Massenfällen (z. B. Flugentschädigungsstreitigkeiten) bis zu der Streitwertgrenze von 5.000 Euro die Möglichkeit der Durchführung eines vollständig onlinebasierten Rechtsschutzverfahrens zur Verfügung stehen.57 Durch intelligente Eingabehilfen

51 Nach dem Roland-Rechtsreport 2021 sind 52 % der Bürger überzeugt, dass sich mit einem Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung viele Streitigkeiten beilegen lassen, Roland Rechtsreport 2021, Einstellung der Bevölkerung zum deutschen Justizsystem und zur außergerichtlichen Konfliktlösung, 2021, S. 21. 52 Fries, NJW 2016, 2860, 2861; Voß, RabelsZ 84 (2020), 62, 66 f. 53 Vgl. Balke, AnwBl Online 2020, 209. 54 Die Sicherstellung der Gestaltungskraft des materiellen Rechts im Bereich der Kleinforderungen und die Verhinderung dessen weitgehender Verdrängung durch die primitiven Rechtsregeln von E-Commerce-Plattformen durch den Gesetzgeber weist eine demokratische Dimension auf. Den Streitbeilegungsregeln von Online-Handelsplattformen fehlt es an demokratischer Legitimation. Gesetze spiegeln den Willen des Volks wider und sind daher in der parlamentarischen Demokratie das Mittel der Wahl für die Rechtssetzung. Folglich ist der Staat zum Handeln aufgerufen, wenn parlamentarisches Recht an Bedeutung für die Rechtsdurchsetzung verliert, vgl. Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031, 3036. 55 Voß, RabelsZ 84 (2020), 62, 68. 56 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 76. 57 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 85; Christensen, AnwBl 2021, 286; Nicolai/ Wölber, ZRP 2018, 229, 231.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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und Abfragesysteme soll dem Bürger die Nutzung des neuen Rechtsschutzverfahrens erleichtert werden.58 Der Kläger darf zwischen der Verfolgung seiner rechtlichen Ansprüche im Online-Verfahren oder im Regelverfahren wählen. Für das beklagte Unternehmen soll hingegen keine Option zum „opt-out“ eröffnet sein. Sofern der Kläger das Online-Verfahren wählt, besteht für den Beklagten ein passiver Nutzungszwang.59 Die Notwendigkeit in der Justiz, Antworten auf das Bedürfnis der digitalisierten Welt nach effektiver, kostensparender, einfach handbarer Konfliktlösung zu geben, haben andere Jurisdiktion bereits früher erkannt. Spezielle online-basierte Streitbeilegungsverfahren sind im Vereinigten Königreich60, in Kanada61, China62, Singapur63 und in verschiedenen Bundesstaaten der USA64 bereits Teil des staatlichen Gerichtssystems. In Dänemark ist der Zugang zu Gericht gar nur über eine Online-Plattform65 möglich, über die das gesamte Verfahren abgewickelt wird.66 Die Urheber des sog. Hamburger Modells plädieren zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung für eine Beschränkung der Rechtsmittel durch Einführung einer Zulassungsberufung nach dem Vorbild des § 124 VwGO.67 Die Präsidenten der oberen Gerichte der Bundesländer und des Bundesgerichtshofs äußern in ihrem Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses allerdings Kritik an dem Vorschlag zur Beschränkung des Instanzenzugs bei einem online-basierten Verfahren für Kleinforderungen. Die Einführung einer Zulassungsberufung 58 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 80 ff. 59 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 89; Christensen, AnwBl 2021, 286; Nicolai/ Wölber, ZRP 2018, 229, 231. 60 Der Civil Money Claims Online (CMCO) ist ein vereinfachtes Online-Zivilverfahren zur Bearbeitung von Fällen mit einem Streitwert von bis £10,000. Siehe https:// www.moneyclaim.gov.uk/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022) sowie den einführenden Aufsatz von Cortés/Takagi, C.T.L.R. 2019, 25(8), 207 ff. 61 Der Civil Resolution Tribunal in British Columbia (https://civilresolutionbc.ca/, zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022) ermöglicht die Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert von $ 5.000 CAD und weniger in einem Online-Verfahren, das sich eines intelligenten Abfragesystems (Solution Explorer) zu Nutze macht. Zur Einführung Salter, 34 Windsor Y.B. of Access to Justice, 112. 62 Loebl, Designing Online Courts, S. 51 f.; Fang, 5 IJODR 49 (2018), 49 ff. 63 Community Justice and Tribunals Division (CJTD), die in drei Abteilungen, die Small Claims Tribunals (SCT), Community Disputes Resolution Tribunals (CDRT) und die Employment Claims Tribunals (ECT) unterteilt sind und deren Zuständigkeitsgrenze zwischen $ 10,000 SGD und $ 30,000 SGD liegt. Siehe https://www.state courts.gov.sg/CJTS und Tuck Leong, 5 IJODR 9 (2018), 9 ff. 64 Siehe Bericht der American Bar Association, Online-Dispute Resolution in the United States, 2020, S. 2. 65 www.minretssag.dk. 66 Loebl, Designing Online Courts, S. 49 f.; Eskesen, DRiZ 2018, 56 f. 67 Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229, 232.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

ausschließlich für eine bestimmte Verfahrensform sei systemwidrig.68 Darüber hinaus würde eine zwischen Regelverfahren und Online-Verfahren differenzierende Ausgestaltung des Instanzenzugs den Kläger in die Lage versetzen, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien zu steuern.69 Aufgrund des passiven Nutzungszwangs des Beklagten müsste dieser den mit einer Beschränkung des Instanzenzugs einhergehenden Rechtsverlust hinnehmen. Darüber hinaus könnten eingeschränkte Rechtsmittelmöglichkeiten der Attraktivität des „Beschleunigten Online-Verfahrens“ schaden und dieses in der öffentlichen Wahrnehmung als Verfahren „minderen Rechts“ gelten lassen.70 In der Tat entbehrt es eines Rechtfertigungsgrunds, dass der klägerischen Partei durch die Wahl eines online-basierten Verfahrens die Rechtsmacht zugesprochen wird, mit Wirkung zum Nachteil des Beklagten dessen Rechtsschutzmöglichkeiten einzuschränken. In dem Entschluss zur Nutzung des „Beschleunigten Online-Verfahrens“ durch den Kläger läge faktisch eine „Prozesshandlung zum Nachteil Dritter“. Es ist daher nicht zu erwarten, dass sich die Verengung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Bereich geringer Streitwerte positiv auf die Akzeptanz des neuen Verfahrens in der Bevölkerung auswirkt. Wird das „Beschleunigte Online-Verfahren“ unter umfassender Ausnutzung der Möglichkeiten des digitalen Fortschritts zu einem schnellen, laienfreundlichen Rechtsschutzinstrument geformt und entstehen darüber hinaus Beschleunigungsimpulse auch für das Verfahren in den Rechtsmittelinstanzen, könnte der Instanzenzug der staatlichen Gerichtsbarkeit allerdings einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Streitbeilegungsplattformen der Online-Händler darstellen. Zwar kann ein Privater nach der Nutzung einer außergerichtlichen Streitbeilegungsplattform ein dort herbeigeführtes Verfahrensergebnis vor den staatlichen Gerichten kontrollieren lassen. Steht ein schnelles, kostengünstiges online-basiertes staatliches Rechtsschutzverfahren zur Klärung von Streitigkeiten zur Verfügung, kann dies aber Anreiz sein, die Streitbeilegung direkt mit diesem staatlichen Verfahren zu beginnen, das mehrere Verfahrensstufen bereithält. Von außergerichtlichen Streitbeilegungsplattformen des E-Commerce könnten so „Marktanteile“ zurückgewonnen werden. Zuzugeben ist allerdings, dass gerichtliche Kontrollen der Ergebnisse der Streitbeilegung durch Online-Handelsplattformen rar sind.71 Der Vorteil des Instanzenzugs der staatlichen Gerichtsbarkeit darf vor diesem Hintergrund auch nicht überschätzt werden und wird sich wohl erst entfalten können, wenn das online-basierte Verfahren hinreichend erprobt worden ist und sich darüber hinaus sinnvolle digitalisierungsbedingte Neuerungen im Zivilprozess fest etabliert haben. 68 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 95. 69 Ebenda. 70 Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“, Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, 2021, S. 96. 71 Specht, MMR 2019, 153, 155.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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Mit Recht äußern die Präsidenten der obersten Gerichte der Länder und des Bundesgerichtshofs die Befürchtung, dass die Bürger im Falle der Einführung einer generellen Zulassungsberufung in dem bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro zulässigen „Beschleunigten Online-Verfahren“ von der Inanspruchnahme dieser Verfahrensart Abstand nehmen könnten. Im Regelverfahren steht gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Berufung offen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt, sodass das Regelverfahren im Streitwertbereich von über 600 Euro bis 5.000 Euro anders als das online-basierte Verfahren einen unbeschränkten Zugang zur Berufungsinstanz ermöglichen würde. In der Einführungsphase des neuen Verfahrens könnte die Rechtsmittelbeschränkung hemmend wirken. Ein „Beschleunigtes Online-Verfahren“ kann sich in der Zivilprozessordnung nur dann dauerhaft etablieren, wenn viele Bürger es nutzen und es durch die Erfahrung seines Gebrauchs optimiert wird. Ist das „Beschleunigte Online-Verfahren“ unmittelbar nach seiner Inkorporation in die Zivilprozessordnung noch nicht vollständig ausgereift, könnte einem anwaltlich beratenen Verbraucher geraten werden, von seinem Wahlrecht der Verfahrensarten wegen der Einschränkung des Rechtsmittelzugangs im online-basierten Verfahren zu Gunsten des Regelverfahrens Gebrauch zu machen. Der anwaltlich nicht beratene Verbraucher müsste vor seiner Entscheidung über die Ausübung seines Wahlrechts in deutlicher Weise auf deren Tragweite als partieller Rechtsverlust hingewiesen werden.72 Es besteht ferner kein überzeugender Anlass, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung mit staatlichem Zwang durch Rechtsmittelbeschränkung in die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien einzugreifen. Vorzugswürdig erscheint es, den Parteien eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ wie im Regelverfahren die Entscheidung über eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten durch parteidispositive Handlung wie einem Rechtsmittelverzicht selbst zu überlassen. Aus rechtsstaatlichem Blickwinkel ist es auch im Bereich niedriger Streitwerte geboten, eine Kontrolle der unterinstanzlichen richterlichen Entscheidung zuzulassen, soweit dies nicht die Funktionsfähigkeit der Justiz gefährdet.73 Die Berufungsunfähigkeit aller amtsgerichtlichen Urteile im „Beschleunigten Online-Verfahren“, die keine grundsätzlichen Rechtsfragen aufwerfen oder deren Entscheidung es durch das Berufungsgericht im Interesse der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht bedarf, stellt eine erhebliche Verkürzung des Rechtsschutzes dar. Aufgrund der Erstreckung der Zugänglichkeit des „Beschleunigten Online-Verfahrens“ auf den gesamten Bereich amtsgerichtlicher Zuständigkeit kann ferner nicht mehr pauschal von niedrigen Streit72 Insbesondere im Bereich geringfügiger Forderungen kann erhöhter Bedarf für gerichtliche Anleitung und Unterstützung bestehen, Kern, JZ 2012, 389, 395. Dies ist bei der Ausgestaltung eines onlinebasierten Verfahrens, insbesondere aufgrund möglicherweise fehlender Technikaffinität von Bürgern, besonders zu berücksichtigen. 73 Vgl. Zweites Kapitel A. III. 2. a) aa).

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

werten gesprochen werden. Insgesamt sollte der rechtspolitische Vorschlag, eine Beschränkung des Rechtsmittelzugangs bei einem einzuführenden online-basierten Zivilverfahren vorzunehmen, daher nicht umgesetzt werden.

IV. Verkürzung des Instanzenzugs im Bereich hoher Streitwerte Die staatliche Gerichtsbarkeit steht nicht nur im Bereich der „low value, high volume“-Rechtsstreitigkeiten unter erheblichem Konkurrenzdruck durch alternative Streitbeilegungsangebote. Es ist ein Faktum, dass das Verfahrensangebot der Zivilprozessordnung in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung nicht ausreicht, um komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten mit hohen Streitwerten vor staatliche Gerichte zu ziehen.74 Sog. „high value disputes“ mit Streitwerten im mehrstelligen Millionenbereich werden in aller Regel vor Schiedsgerichten ausgetragen. Im Übrigen bemühen sich auch ausländische Jurisdiktionen, großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten anzuziehen.75 Die Folge der Abwanderung großvolumiger Wirtschaftsstreitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit oder zu ausländischen staatlichen Gerichten ist das Fehlen von Fallmaterial und Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs zu für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland kritischen Rechtsfragen.76 Darüber hinaus entgehen dem staatlichen Finanzhaushalt hohe Gerichtsgebühren.77 Aus diesem Grund soll auf die Schwächen des Rechtsschutzangebots der staatlichen Gerichtsbarkeit in Bezug auf Wirtschaftsrechtsstreitigkeiten im hohen Streitwertbereich eingegangen werden. Aufgrund des thematischen Zuschnitts dieser Arbeit soll dabei der Faktor des Instanzenzugs der staatlichen Gerichtsbarkeit thematisiert werden. Sodann soll die jüngste gesetzgeberische Initiative zur Steigerung der Attraktivität der Justiz für internationale, großvolumige Wirtschaftsrechtsstreitigkeiten, der am 26. März 2021 vorgestellte und am 7. Mai 2021 vom Bundesrat beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg erläutert werden. Kernelement des Vorschlags ist das Angebot an Parteien eines wirtschaftsrechtlichen Rechtsstreits mit einem Streitwert von über zwei Millionen Euro und internationalem Bezug, das OLG nach entsprechender Parteivereinbarung als Eingangsinstanz anzurufen. Im Einvernehmen beider Parteien soll somit künftig in großvolumigen Rechtsstreiten eine Verkürzung des Instanzenzugs auf zwei Instanzen möglich sein. Es sollen ähnliche Verkürzungen 74

Vgl. Callies/Hoffmann, ZRP 2009, 1, 2; A. Wolf, RiW 2019, 258, 267. Die deutsche Justiz steht somit nicht nur im Wettbewerb der Justizsysteme, sondern auch im Wettbewerb der Justizstandorte, vgl. M. Stürner, JZ 2019, 1122, 1123. 76 Siehe zu den negativen Folgen des Ausbleibens von Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofs durch Verdrängung der staatlichen Gerichtsbarkeit durch die Schiedsgerichtsbarkeit bereits Zweites Kapitel A. I. 2. 77 Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 191. 75

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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des Instanzenzugs bei besonders komplexen Streitigkeiten in Hinblick auf bestimmte zivilrechtliche Streitigkeiten sowie in Prozessordnung anderer Gerichtszweige analysiert sowie vergleichbare Angebote anderer Jurisdiktionen für großvolumige internationale Wirtschaftsstreitigkeiten in den Blick genommen werden. Abschließend sollen Vor- und Nachteile des Vorschlags der Ermöglichung einer parteidispositiven Verkürzung des Instanzenzugs in großvolumigen internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten bewertet werden. 1. Ausgangslage: geringe Attraktivität der staatlichen Justiz für großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten Die deutschen staatlichen Gerichte sind in komplexen, wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten im hohen Streitwertbereich nicht das Forum der Wahl zur Rechtsverwirklichung für wirtschaftlich Handelnde. Die Entwicklung der Fallzahlen in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten und in Verfahren der Kammern für Handelssachen ist stark rückläufig. Die Erledigungszahlen der Kammern für Handelssachen sind von 54.697 im Jahr 2002 auf 22.502 im Jahr 2020 gesunken.78 Damit ist ein Rückgang um 40 % zu verzeichnen. Im Zeitraum zwischen 2005 und 2015 hat sich die Zahl der bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit anhängig gemachten Schiedsverfahren hingegen verdoppelt.79 Die staatliche Justiz ist augenscheinlich nicht hinreichend in der Lage, ein an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasstes Angebot der Rechtsdurchsetzung zu bieten. Deutsche Unternehmen haben ein valides Interesse daran, zeitintensive, komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten vor den heimischen Gerichten zu führen, denn eine effiziente und leistungsfähige Justiz ist das Fundament eines planbaren und geordneten Wirtschaftslebens und erleichtert Investitionsentscheidungen an einem Standort.80 Eine leistungsstarke Justiz stellt daher einen bedeutenden Standortvorteil dar.81 Die Wettbewerbsfähigkeit der staatlichen Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten hemmen im besonderen Maße strukturelle Probleme. Ein Einzelrichter am Land78 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2015, S. 42; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.1 Rechtspflege Zivilgerichte, 2020, S. 43. 79 G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 100. 80 Vgl. Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 191; Klose, Justiz als Wirtschaftsfaktor, S. 15, 22 f.; Podszun/Rohner, BB 2018, 450, 453. Laut Calliess/Hoffmann könnten kleine und mittelständische Unternehmen, die Motor der Exportnation Deutschland sind, aufgrund der moderaten und vorhersehbaren Kostenstruktur der deutschen Justiz von einem leistungsstarken Angebot der Justiz profitieren, Callies/Hoffmann, ZRP 2009, 1, 2. G. Wagner betont zu Recht, dass leistungsfähige und anspruchsvollen Standards genügende Institutionen der Streitbeilegung der hiesigen Wirtschaft und Gesellschaft einen nicht zu unterschätzenden Nutzen bringen, G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 240 f. 81 Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 192; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 1.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

gericht hat pro Jahr 150 Fälle zu erledigen und daher keine ausreichenden zeitlichen Kapazitäten, einem Großverfahren die notwendige Aufmerksamkeit, die der Komplexität des Rechtsstreits gerecht wird, zu widmen.82 Ferner verfügt ein staatlicher Richter nicht über die nötige sachliche und technische Ausstattung, die eine schnelle und effiziente Verfahrensführung ermöglicht.83 Hingegen können Anwälte und Schiedsrichter weitaus mehr zeitliche Ressourcen einsetzen, um komplexe Großverfahren angemessen zu bearbeiten. Auch das Institut des Instanzenzugs und die daraus ex-ante folgende Gefahr einer langen Verfahrensdauer ist ein Faktor, der Wirtschaftsunternehmen dazu veranlassen kann, vertragsgestalterisch darauf hinzuwirken, dass im Konfliktfall nicht die staatlichen Gerichte als Konfliktlösungsforum zum Zug kommen.84 Für Wirtschaftsunternehmen ist Rechtsdurchsetzung ein Produkt, eine Dienstleistung, die nach ökonomischen Opportunitätsgrundsätzen „eingekauft“ wird.85 Bereits vor Entstehung des Streits hat der wirtschaftlich Handelnde eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ihm das Sicherheitspolster einer Korrekturmöglichkeit einer Entscheidung im Instanzenzug den Aufwand an Zeit und Geld für das Rechtsmittelsystem der staatlichen Gerichtsbarkeit wert ist.86 Er muss beantworten, ob er bereit ist, im Interesse an einer schnellen Beilegung eines Rechtsstreits das Risiko der Irreversibilität eines fehlerhaften Schiedsspruchs einzugehen. Wirtschaftlich Handelnde erstreben bei der Entscheidung für einen Streitbeilegungsmechanismus einen möglichst günstigen Kosten-Nutzen-Saldo der Rechtsverwirklichung.

82 G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 220; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2180. 83 „Germany is still behind in terms of technological equipment; (. . .) there is much to be done in this regard“, Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4, 23. Die stetige Sparpolitik und die deutlich zu zögerlich in Angriff genommene Digitalisierung führen zu einem manifesten infrastrukturellen Nachteil der deutschen Justiz im Vergleich zu anderen Justizsystemen bzw. Rechtsordnungen. Eine schnelle Investitions- und Digitalisierungsoffensive in der Justiz ist daher unabdingbar, um die Wettbewerbsfähigkeit der Justiz nachhaltig zu stärken, vgl. Riehm/Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1728. 84 Siehe Zweites Kapitel A. II. 85 Vgl. M. Stürner, der Recht als Produkt einordnet, das sich wie viele andere auf dem globalen Markt behaupten muss, M. Stürner, JZ 2019, 1122, 1123; siehe ferner Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, S. 135; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Regulatory competition in contract law and dispute resolution – edited versions of papers presented during an international conference at Ludwig-Maximilians-University in Munich from 13 to 15 October 2011, 2013, 1; Kern, GreifRecht 18 (2014), 114, 115. Grundlegend hierzu Eidenmüller, JZ 2009, 641 ff. Von Justiz als Dienstleistung spricht auch der neueste, sogleich zu erörternde Gesetzesentwurf zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten, BR-Drs. 219/21, S. 19; siehe ferner Hobeck, DRiZ 2005, 177, 179 f.; Kern/Dalitz, ZZPInt 21 (2016), 119; für den Verwaltungsprozess Rennert, DVBl 2017, 857. 86 Vgl. G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 229.

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Um die Attraktivität der Justiz im Bereich komplexer, großvolumiger Wirtschaftsstreitigkeiten zu steigern, bedarf es daher eines verstärkten Eingehens auf die Bedürfnisse der Parteien durch die Verfahrensordnung der staatlichen Gerichte, die Zivilprozessordnung.87 Ein Staat muss für das gesamte Spektrum privater Rechtsstreitigkeiten wirksamen und zugänglichen Rechtsschutz ermöglichen.88 Im Bereich hoher Streitwerte, der von wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten geprägt ist, bedeutet dies, auf die Anforderungen des Wirtschaftsverkehrs an adäquate Rechtsdurchsetzung einzugehen. 2. Vorschlag der fakultativen Verkürzung des Instanzenzugs Ein solches die Attraktivität der staatlichen Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten steigerndes Angebot an Unternehmen sollte der am 7. Mai 2021 vom Bundesrat beschlossene Entwurf der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten sein. Wesentlicher Inhalt des Reformvorschlags ist eine parteidispositive Verkürzung des Instanzenzugs bei Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem Streitwert von über zwei Millionen Euro.89 Den Ländern soll es durch einen neu zu schaffenden § 119b GVG-E ermöglicht werden, an einem Oberlandesgericht einen oder mehrere Senate einzurichten, vor denen Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem zwei Millionen Euro übersteigenden Streitwert nach ausdrücklicher Gerichtsstandvereinbarung auch erstinstanzlich geführt werden können (sog. Commercial Court).90 87

Vgl. Podszun/Rohner, NJW 2019, 131, 132. Vgl. M. Stürner, JZ 2019, 1122, 1123. 89 BR-Drs. 219/21, S. 1. Der Bundesratsentwurf ist das letzte Reformvorhaben in einer Reihe von rechtspolitischen Vorstößen zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit für internationale Handelsstreitigkeiten. Die bisherigen, erfolgslosen Reformvorschläge fokussierten sich allerdings auf die Beibehaltung der Landgerichte als Eingangsinstanz in Handelssachen und die dortige Errichtung englischsprachiger Kammern für (internationale) Handelssachen. Die Einführung von Englisch als Gerichtssprache sollte entscheidender Motor der „Charmeoffensive“ der Justiz in Hinblick auf Wirtschaftsstreitigkeiten mit internationalem Bezug sein, siehe BT-Drs. 17/ 2163, S. 1 f.; BR-Drs. 53/18, S. 1 f.; Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 199. Zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen instruktiv, Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, passim. Der neueste Reformvorstoß nimmt den Vorschlag der Einführung von Kammern für internationale Handelssachen an Landgerichten wieder auf und schafft damit eine weitere Verfahrensoption bei internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten zusätzlich zu der Möglichkeit der erstinstanzlichen Anrufung eines Senats für internationale Handelssachen an einem Oberlandesgericht, BR-Drs. 219/21, S. 2. 90 Das Verfahren vor den für internationale Handelssachen zuständigen Senaten der Oberlandesgerichte wird gem. § 184 Abs. 2 GVG-E auf englischer Sprache geführt. Nach § 119 Abs. 4 GVG-E soll ferner die Möglichkeit bestehen, in rein nationalen Handelssachen mit einem Streitwert von über zwei Millionen Euro auf Basis einer ausdrücklichen Gerichtsstandsvereinbarung für die erstinstanzliche Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts optiert werden können, siehe BR-Drs. 219/21, S. 1. 88

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Die Begründung einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts soll dazu dienen, dass Landgerichte von wirtschaftsrechtlichen Großverfahren entlastet werden.91 Die geringeren Richterpensen, die weniger starke Personalfluktuation sowie die Erfahrung und Expertise der Richter soll eine effektive und qualitativ hochwertige Bearbeitung hochkomplexer Wirtschaftsstreitigkeiten bereits in erster Instanz ermöglichen.92 Nach Wunsch der Initiatoren des Vorschlags soll eine stärkere Konzentration von internationalen Handelssachen an möglichst nur einem OLG in einem Bundesland erfolgen, um für internationale Unternehmen durch die Bildung von Kompetenzzentren ein möglichst übersichtliches und leicht erfassbares Verfahrensangebot zu schaffen.93 Die Revision gegen eine erstinstanzliche Entscheidung eines Oberlandesgerichts soll stets statthaft und nicht von der Zulassung durch die Eingangsinstanz abhängig sein.94 3. Beispiele für die Verkürzung von Instanzenzügen in zivilrechtlichen Streitigkeiten und in anderen Gerichtszweigen Bei dem zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit in Hinblick auf großvolumige Handelsstreitigkeiten vorgeschlagenen Mittel der Hochzonung des Instanzenzugs und der Etablierung des Oberlandesgerichts als Eingangsgericht handelt es sich nicht um ein singuläres prozessrechtliches Gestaltungselement. Die Zivilprozessordnung und die Verfahrensordnungen anderer Gerichtszweige enthalten verschiedene Verkürzungen des Instanzenzugs bei Großverfahren. Zwei Beispiele für einen verkürzten Instanzenzug sind die kollektiven Rechtsschutzvehikel des Kapitalanleger-Musterverfahrens sowie der Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO. Mit dem 2005 geschaffenen Kapitalanleger-Musterverfahren will der Gesetzgeber die Bündelung von Interessen für den Bereich des Kapitalanlagerechts in Hinblick auf eine Vielzahl von gleich gelagerten Schadensfällen ermöglichen und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherstellen.95 Gem. § 6 Abs. 1 KapMuG i.V. m. § 118 GVG hat das Oberlandesgericht einen Musterentscheid zu Feststellungszielen zu erlassen, denen Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommt. Die Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts bei Kapitalmusterklagen ergibt sich daher aus dem gesetzgeberischen Willen einheitliche, für die

91

BR-Drs. 219/21, S. 2, 13. BR-Drs. 219/21, S. 18. 93 BR-Drs. 219/21, S. 12 f., 23. Nach § 119b Abs. 4 GVG-E soll die Einrichtung eines gemeinsamen oder mehrerer gemeinsamer Senate für internationale Handelssachen auch länderübergreifend vereinbart werden können. 94 § 542 Abs. 2 S. 2 ZPO-E, BR-Drs. 219/21, S. 2. 95 Vorwerk/Wolf/Radtke-Rieger, KapMuG, § 1 Rn. 1. 92

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Prozessgerichte bindende Feststellungen für eine Vielzahl von gleichgelagerten Fällen durch ein oberes Gericht treffen zu lassen und so zu einer Entlastung der unteren Gerichte beizutragen.96 Nach § 20 Abs. 1 S. 2 KapMuG ist die Rechtsbeschwerde unabhängig von den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO stets zulässig. Nach § 119 Abs. 3 S. 1 GVG sind die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug für die Verhandlung und Entscheidung von Musterfeststellungsverfahren nach den §§ 606 ff. ZPO zuständig. Gegen Entscheidungen von Musterfeststellungsverfahren durch die Oberlandesgerichte kann gem. § 614 S. 1 ZPO das Rechtsmittel der Revision eingelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wird nach § 614 S. 2 ZPO fingiert. Aufgrund der Bedeutung solcher Verfahren für eine Vielzahl gleichartiger Fälle wurde die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Musterfeststellungsklagen nach den §§ 606 ff. ZPO bestimmt, nachdem der Gesetzentwurf noch die Zuständigkeit der Landgerichte vorschlug.97 Die Zivilprozessordnung sieht auch für die schiedsrichterlichen Materien des § 1062 Abs. 1 ZPO eine Eingangszuständigkeit der Oberlandesgerichte vor. Die Hochzonung der Eingangszuständigkeit trägt der Gleichwertigkeit des Schiedsgerichts als „erste Instanz“ Rechnung und dient darüber hinaus der Verfahrensbeschleunigung.98 Ferner sind die Oberlandesgerichte Eingangsinstanz in den aktien- und umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren nach §§ 246a Abs. 1 S. 3, 319 Abs. 6 S. 7 AktG, § 16 Abs. 3 S. 7 UmwG. Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für das Freigabeverfahren im Fall der Klage gegen Beschlüsse über Kapitalmaßnahmen oder Unternehmensverträge, die der Eintragung ins Handelsregister bedürfen, dient der Verfahrensbeschleunigung.99 Um den Lästigkeitswert missbräuchlicher Aktionärsklagen zu senken, sei es erforderlich, dass das Freigabeverfahren so schnell wie möglich zum Abschluss gebracht wird.100 Gem. § 246a Abs. 3 S. 4 AktG ist der im Freigabeverfahren gefasste Beschluss des Oberlandesgerichts unanfechtbar. Die Oberlandesgerichte sind gem. § 201 GVG auch Eingangsinstanz für Entschädigungsklagen wegen über96 Entscheidendes Kriterium der Eingangszuständigkeit der Oberlandesgerichte ist die Bedeutung der Verfahrensentscheidung für eine Vielzahl gleichartiger Fälle, BeckOK GVG/Conrad-Graf, § 119 Rn. 16. 97 BT-Drs. 19/2439, S. 7; BeckOK GVG/Conrad-Graf, § 119 Rn. 16. 98 BeckOK ZPO/Wilske/Markert, § 1062 Rn. 2; MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1062 Rn. 3; Musielak/Voit/Voit, ZPO, § 1062 Rn. 2. Münch kritisiert den durch die Zuständigkeitskonzentration bei den Oberlandesgerichten in den schiedsrichterlichen Materien der § 1062 Abs. 1 ZPO bewirkten weitgehenden Ausschluss von Rechtsmitteln, MünchKomm ZPO/Münch, Band 3, § 1062 Rn. 4. Der ratio legis der Verfahrensbeschleunigung folgen auch die Parallelvorschriften des § 319 Abs. 6 S. 7 AktG und des § 16 Abs. 3 S. 7 UmwG, BT-Drs. 16/13098, S. 42 f. 99 MünchKomm AktG/C. Schäfer, Band 4, § 246a Rn. 14; das fehlende Recht zur Anfechtung von Beschlüssen im Freigabeverfahren kritisierend Grigoleit/Ehmann, AktG, § 246a Rn. 3; Koch/J. Koch, AktG, § 246a Rn. 2. 100 BT-Drs. 16/13098, S. 41.

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langer Verfahrensdauer. Insofern erlaubt § 201 Abs. 1 S. 3 GVG die Revision nur nach Maßgabe der §§ 543, 544 ZPO.101 Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal der geplanten Gesetzesänderung zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Justiz für Handelssachen mit hohem Streitwert zu den angesprochenen Beispielen für Eingangszuständigkeiten der Oberlandesgerichte ist ihr fakultativer Charakter. Die Oberlandesgerichte sollen für Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem Streitwert von über zwei Millionen Euro erst dann zuständig werden, wenn die Parteien den verkürzten Instanzenweg wählen. Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte ist somit nicht obligatorischer Natur. Es handelt sich vielmehr um ein frei wählbares Justizangebot an die Wirtschaft.102 Neben dem zivilprozessualen Rechtsweg kennen auch die Verfahrensordnungen anderer Gerichtszweige die Eingangszuständigkeit der Oberlandesgerichte für besonders komplexe, umfangreiche und bedeutsame Verfahren. Die Oberverwaltungsgerichte sind gem. § 47 Abs. 1 VwGO erstinstanzlich für die abstrakte Normenkontrolle zuständig, die der Rechtsklarheit und der ökonomischen Gestaltung des Prozessrechts dient, indem sie zahlreichen Einzelprozessen vorbeugt.103 Die Hochzonung der Eingangszuständigkeit erklärt sich somit vergleichbar mit den kollektiven Rechtsschutzverfahren der Zivilprozessordnung durch die besondere Bedeutung und Auswirkungen der Verfahrensentscheidung für eine Vielzahl von Einzelprozessen. Gem. § 48 Abs. 1 VwGO ist den Oberverwaltungsgerichten ferner die erstinstanzliche Entscheidung über verschiedene planungsrechtliche Streitigkeiten vorbehalten. Die Oberverwaltungsgerichte fungieren als erste und letzte Tatsacheninstanz. Sinn und Zweck dieser Zuständigkeitskonzentration ist die Verkürzung der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren über bestimmte Großprojekte von erheblicher Tragweite und überregionaler Bedeutung und damit die Leistung eines Beitrags zur Erleichterung der Planungsarbeit der Behörden und der Investitionstätigkeit der Wirtschaft.104 Darüber hinaus macht es die Komplexität der im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung wichtiger Infrastrukturprojekte aufgeworfenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen erforderlich, dass erfahrene, mit besonderen Fachkenntnissen ausgestattete Richter die erstinstanzliche Entschei-

101 Wegen der faktischen Limitierung der richterlichen Prüfung auf eine Instanz von einer bedenklichen Verkürzung des Rechtsschutzes sprechend MünchKomm ZPO/ Pabst, Band 3, § 201 GVG Rn. 2. 102 BR-Drs. 219/21, S. 19. 103 BT-Drs. 3/1094, S. 6; Schoch/Schneider/Panzer, Verwaltungsrecht, Band VwGO, § 47 Rn. 3. 104 BeckOK VwGO/Bestermann, § 48 Rn. 2; Schoch/Schneider/Panzer, Verwaltungsrecht, Band VwGO, § 48 Rn. 3.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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dung über diese Materien treffen.105 Ferner fehlt es den Verwaltungsgerichten an hinreichenden Ressourcen, um Großverfahren in angemessener Zeit zu erledigen, ohne die Vielzahl an sonstigen anhängigen Verfahren zu vernachlässigen.106 Die Hochzonung der Eingangszuständigkeit auf die Oberverwaltungsgerichte dient somit der Verfahrensbeschleunigung, der richterlichen Spezialisierung und angemessenen Ressourcenverteilung. Die Ziele der Verfahrensbeschleunigung und der schnelleren Herbeiführung von Rechtssicherheit sowie die besondere (wirtschaftliche) Bedeutung und Tragweite der richterlichen Entscheidungen waren ferner gesetzgeberische Beweggründe zur Hochzonung der Eingangszuständigkeiten in Arbeitsgerichtsverfahren nach § 97 ArbGG107 und § 98 ArbGG108 sowie in Sozialgerichtsverfahren nach § 29 SGG.109 Die Oberlandesgerichte am Sitz der Landesregierungen sind gem. § 120 Abs. 1 GVG erstinstanzlich für Staatsschutzstrafsachen zuständig. Durch die Zuständigkeitskonzentration auf maximal ein Oberlandesgericht pro Bundesland soll eine besondere Sachkunde der mit den Verfahren befassten Richter erreicht werden.110 Insgesamt handelt es sich bei den Beispielen für die Hochzonung der Eingangszuständigkeit zum Oberlandesgericht aus anderen Gerichtszweigen ähnlich wie bei den Beispielen in Hinblick auf zivilgerichtliche Streitigkeiten aber um obligatorische Instanzenverkürzungen. Der Gesetzgeber beruft die obersten Landesgerichte als Eingangsinstanzen in hochkomplexen Verfahren und Verfahren mit besonderer Tragweite, die nach seiner Ansicht eine Klärung durch erfahrene und sachlich spezialisierte Richter erforderlich machen. Teilweise sind auch die Ziele der Verfahrensbeschleunigung und der schnelleren Herstellung von Rechtssicherheit ausschlaggebend für eine obligatorische Instanzenverkürzung durch den Gesetzgeber.

105

Vgl. Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 15; Schulz/Maierhöfer, ZRP 2019, 54. Rennert, DVBl 2017, 857, 858; Schulz/Maierhöfer, ZRP 2019, 54. 107 Erga-omnes Wirkung der Entscheidung über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung, BeckOK Arbeitsrecht/Poeche, ArbGG, § 97 Rn. 7; GMP/ Schlewing, ArbGG, § 97 Rn. 30. 108 Entscheidung über Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes, einer Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a des ArbeitnehmerEntsendegesetzes und einer Rechtsverordnung nach § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, BR-Drs. 147/14, S. 29 f.; ErfK Arbeitsrecht/Raphael Koch, § 98 ArbGG Rn. 1; GMP/Schlewing, ArbGG, § 98 Rn. 13. 109 BR-Drs. 820/07, S. 17 f.; BeckOK Sozialrecht/M. Röhl, SGG, § 29 Rn. 3; MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt/W. Keller, SGG, § 29 Rn. 1. 110 BeckOK GVG/M. Huber, § 120 Rn. 1. Gem. § 120 Abs. 5 S. 2 GVG können auch durch Staatsverträge über die Landesgrenzen hinweg Zuständigkeiten übertragen werden. Die Länder Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Schleswig-Holstein haben hiervon Gebrauch gemacht (OLG Hamburg für Bremen, Hamburg, SchleswigHolstein und Mecklenburg-Vorpommern, OLG Koblenz für Rheinland-Pfalz und Saarland), BeckOK GVG/M. Huber, § 120 Rn. 1.1; KK-StPO/Feilcke, GVG, § 120 Rn. 2. 106

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

4. Ausgestaltung des Instanzenzugs in Commercial Courts ausländischer Rechtsordnungen Das Gesetzgebungsvorhaben des Bundesrats zeigt, dass die deutsche Rechtspolitik sich bemüht, die Schaffung eines für großvolumige Streitigkeiten zwischen Unternehmen attraktiven Verfahrensumfelds vor staatlichen Gerichten zu forcieren. Im internationalen Vergleich ist zu konstatieren, dass sich andere Rechtsordnungen bereits früh positioniert haben, um durch spezialisierte sog. „Commercial Courts“ grenzüberschreitende Unternehmensstreitigkeiten vor ihre staatlichen Gerichte zu ziehen. Die (noch nicht abgeschlossenen) deutschen Bestrebungen gehen daher mit deutlicher Verspätung in den Wettbewerb der Justizstandorte um großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten und sehen sich daher der Konkurrenz etablierter Business Courts aus angelsächsischen Jurisdiktionen ausgesetzt.111 Als Inbegriff eines besonderen, auf die Bedürfnisse international agierender Unternehmen abgestimmten Justizangebots gilt der englische Commercial Court. Der Commercial Court ist eine Unterabteilung der Queen’s Bench Division am High Court of Justice und damit unmittelbar an den englischen Obergerichten angesiedelt. Das Angebot der Inanspruchnahme der Justizdienstleistungen des Commercial Courts erstreckt sich auf alle wesentlichen Themen des Wirtschaftsrechts, unter anderem die Ausfuhr oder Einfuhr von Gütern, die Beförderung von Gütern sowie Bank- und Finanzdienstleistungen.112 Der englische Commercial Court erfreut sich großer internationaler Beliebtheit: In circa der Hälfte aller Verfahren vor dem Commercial Court besteht keinerlei Bezug des Falls zum Vereinigten Königreich und in über 75 % aller Fälle wird das Verfahren durch eine Partei angestrengt, die nicht im Vereinigten Königreich ansässig ist.113 Besonders die Erfahrung und Spezialisierung der Richter, die aus Wirtschaftsanwälten mit zwanzig bis dreißig Jahren Berufserfahrung rekrutiert werden, sind entscheidende Faktoren für die Popularität des englischen Commercial Courts.114 Gegen 111 Zum Thema des Wettbewerbs der Justizstandorte Themeli, The Great Race of Courts, passim; G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, passim. 112 Part 58. 1 der Civil Procedure Rules. 113 Themeli, The Great Race of Courts, S. 256; G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 191; Mercer, IWRZ 2020, 200, 202; Vogenauer, European Review of Private Law 21 (2013), 13, 59. 114 British Institute of International and Comparative Law, Factors Influencing International Litigants’ Decisions to Bring Commercial Claims to London Based Courts, 2015, S. 2; Themeli, The Great Race of Courts, S. 257; Eidenmüller, JZ 2009, 641, 646; Mercer, IWRZ 2020, 200; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 10. Die Besetzung der Richterbank erfolgt damit unter Berücksichtigung des Bedürfnisses von Unternehmen, Streitigkeiten durch hochqualifizierte und -spezialisierte Richter klären zu lassen. Mercer formuliert bezeichnenderweise „The aim in recruiting judges to the Commercial Court is to have businessfocused judges by whom business wants its disputes resolved“, Mercer, IWRZ 2020, 200. Die Auswirkungen des Brexits auf die Position des Londoner Com-

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Entscheidungen des Commercial Courts steht nur ein zulassungsgebundenes Rechtsmittel zum Court of Appeals115 offen, in aller Regel sind die Urteile des Commercial Courts unanfechtbar.116 Einen herausragenden Ruf für die Beilegung von handelsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Unternehmen genießt im internationalen Vergleich ferner der Supreme Court des US-amerikanischen Bundesstaats New York mit seiner Commercial Division.117 Die Commercial Division des New Yorker Supreme Court wurde mit dem Ziel eingerichtet, großvolumige handelsrechtliche Streitigkeiten durch das Angebot der schnellen, kompetenten Streitbeilegung durch im Wirtschaftsrecht erfahrene Richter anzuziehen.118 Das New Yorker Recht und die enge Abstimmung zwischen Anwälten und potenziellen Parteien, aber auch zwischen allen relevanten Akteuren der Rechtspflege zur Verbesserung des Rechtsdienstleistungsangebots des Commercial Courts tragen zu der hohen Attraktivität der Commercial Division des New Yorker Supreme Court als Streitbeilegungsforum bei.119 Die Urteile der Commercial Division können mit einem appeal zur Appellate Division angegriffen werden, jedoch werden Rechtsstreite in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle in erster Instanz beigelegt.120

mercial Courts als beliebtestes staatliches Forum für die Beilegung von Handelsstreitigkeiten in Europa sind bisher noch nicht absehbar. 115 Die Zulassung des appeal erfolgt jeweils auf Antrag der Partei durch den Commercial Court oder dem Court of Appeals. Siehe zur Einlegung eines appeal zum Court of Appeals https://www.gov.uk/guidance/appeal-to-the-court-of-appeal-civil-division (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022). Die besondere Ausrichtung des Commercial Courts an „needs of business“ betonte auch der ehemalige Lord Chief Justice of England and Wales, The Right Honourable The Lord Thomas of Cwmgiedd, Giving Business what it Wants – A Well Run Court for Commercial and Business Disputes, 2017. Solche öffentlichkeitswirksamen Positionierungen von Vertretern der englischen Justiz unterstreichen deren Selbstverständnis von der eigenen Rechtsordnung als „Jurisdiction of Choice“, siehe hierzu Kern, GreifRecht 18 (2014), 114, 118 ff. 116 Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 10. 117 Zu weiteren Beispielen von Business Courts in US-Bundesstaaten (North Carolina, Delaware) siehe Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, S. 164 ff. Die große Beliebtheit anglo-amerikanischer Commercial Courts ist nicht zuletzt auf die historisch gewachsene wirtschaftliche Macht dieser Länder zurückzuführen, siehe hierzu Kern, GreifRecht 18 (2014), 114, 117. 118 Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, S. 162; G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 193. 119 G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 192 ff.; Driscoll, 2014 Bus. L.Today, 1; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179. Zuletzt wurde 2014 in einer aus Richtern und Anwälten bestehenden Expertenkommission darüber beraten, wie die Commercial Division „zukunftsfest“ gemacht werden kann, und Veränderungen, wie die Erhöhung des Mindeststreitwerts auf 500.000 USD empfohlen, The Chief Judge’s Taskforce on Commercial Litigation in the 21st Century, Report and Recommendations to the Chief Judge of the State of New York, 2012, S. 8. 120 Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, S. 162 Fn. 878.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Das Phänomen der Commercial Courts ist von globaler Natur.121 An vielen der größten Handelsplätze der Welt sind Commercial Courts angesiedelt. Auf wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten spezialisierte staatliche Gerichte existieren u. a. in China122, Singapur123 sowie in den Handelszentren der arabischen Halbinsel Abu Dhabi124, Dubai125 und Qatar126. Auch auf dem europäischen „Markt der Rechtsdienstleistungen“ konkurrieren verschiedene Rechtsordnungen mit speziellen Angeboten für die Beilegung von Wirtschaftsstreitigkeiten um finanziell lukrative großvolumige Verfahren. In Frankreich wurde im Jahr 2018 am Cour d’appel de Paris eine englischsprachige Berufungskammer für internationale Handelssachen eingerichtet und die Verfahrensregeln der bereits 2010 geschaffenen englischsprachigen Kammer am Tribunal de commerce de Paris wurden überarbeitet.127 Die englischsprachigen Kammern sind in den regulären Instanzenaufbau integriert mit einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Tribunal de commerce und einer zweitinstanzlichen Zuständigkeit des Cour d’appel.128 Anders hingegen plante Belgien im Jahr 2018

121 Instruktiv mit Aufsätzen zu der Entwicklung von auf internationale Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisierten Gerichten in Europa und weltweit X. E. Kramer/Sorabji (Hrsg.), International Business Courts, 2019, passim; Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4 ff. 122 China International Commercial Court (CICC) als Abteilung des Supreme People’s Court mit Standorten in Shenzhen und Xi’An. Die Entscheidungen des CICC sind final und können nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Es besteht Parteien in internationalen Handelsstreitigkeiten jedoch die Freiheit, entweder die Zuständigkeit der CICC oder des entsprechenden Higher People’s Court zu wählen. Zur Vertiefung siehe Cai/Godwin, I.C.L.Q. 2019, 68 (4), 869 ff.; Lin, I.C.C.L.R. 2018, 29 (11), 664 ff. 123 Singapore International Commercial Court (SICC). Der SICC ist eine Unterabteilung des High Court of Singapore. Gegen Entscheidungen des SICC kann ein appeal zu einem speziellen Court of Appeal eingelegt werden. Das Verfahren des SICC folgt dem Vorbild des englischen Commercial Courts. Siehe vertiefend zur Entstehung, Zielen und Zuständigkeit des SICC Godwin/Ramsay/Webster, 18 Melb. J. Int’l L., 219 ff.; Huo/Yip, I.C.L.Q. 2019, 68 (4), 903, 910 ff; Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4, 17 ff.; Wong, Civil Justice Quarterly 2014, 33 (2), 205, 209 ff; Yip, Erasmus Law Review 2019, 81 ff. 124 Abu Dhabi Global Market Courts (ADGM Courts). 125 Dubai International Financial Centre Courts (DIFC), Wong, Civil Justice Quarterly 2014, 33 (2), 205, 207 ff. 126 Qatar International Court (QIC), Qatar Financial Centre Courts (QFC), Al Abdin Sharar/Al Khulaifi, 46 Hong Kong L.J., 529 ff. 127 Biard, Erasmus Law Review 2019, 24, 27 f.; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 12; Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4, 24 f. In Verfahren vor den spezialisierten Kammern am Tribunal de commerce de Paris dürfen Verfahrensunterlagen auf englischer Sprache vorgelegt und die mündliche Verhandlung kann auf englischer Sprache gehalten werden, Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 195. 128 Jeuland, in: X. E. Kramer/Sorabji (Hrsg.), International Business Courts – A European and global perspective, 2019, S. 65, 71; Reece/Hannotin, 2018 Int’l Bus LJ, 363, 368; A. Wolf, RiW 2019, 258, 266.

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die Einrichtung eines selbstständigen Wirtschaftsgerichts außerhalb des allgemeinen Gerichtsaufbaus.129 Der Business Court sollte wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmen mit grenzüberschreitendem Bezug in erster und letzter Instanz bei einverständlicher Anrufung des Gerichts durch die Parteien entscheiden.130 Aufgrund fehlender politischer Unterstützung und Widerstand seitens der belgischen Justiz verlief die Reforminitiative jedoch erfolglos.131 Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 wurde in den Niederlanden der Netherlands Commercial Court bestehend aus spezialisierten Kammern bzw. Abteilungen des Bezirksgerichts sowie des Berufungsgerichts in Amsterdam (Rechtbank und Gerechtshof Amsterdam) etabliert.132 Quintessenz des Modells des Netherlands Commercial Court ist folglich wie im französischen Konzept die Integration spezieller, auf internationale Wirtschaftsstreitigkeiten ausgerichteter Spruchkörper in das reguläre Instanzensystem.133 Der Blick auf andere Länder Europas und der Welt zeigt, dass die Einrichtung besonderer Streitbeilegungsmöglichkeiten für internationale Handelsstreitigkeiten in das Gerichtsgefüge der jeweiligen Jurisdiktion sehr unterschiedlich erfolgt. Es lässt sich aus globalem Blickwinkel kein einheitlicher Trend hinsichtlich der Art und Weise der Inkorporation eines spezialisierten Forums zur Konfliktbeilegung in internationalen Handelsstreitigkeiten ausmachen. Auch innerhalb der Rechtssysteme anglosächsischer und kontinentaler Prägung zeichnet sich keine eindeutige Tendenz ab. Beispielsweise ist der Commercial Court London an den britischen Obergerichten angesiedelt, während der New Yorker Supreme Court mit seiner Commercial Division demgegenüber ein erstinstanzliches Gericht darstellt.134 In Frankreich und in den Niederlanden sind spezielle Verfahrensangebote zur Klärung von internationalen Handelsstreitigkeiten in den regulären Gerichtsaufbau und Instanzenzug eingebaut. In Belgien hingegen sollte ein eigenständiges, nur einzügiges Wirtschaftsgericht eingerichtet werden.135 129

Brussels International Business Court (BIBC). Peetermans/Lambrecht, Erasmus Law Review 2019, 41, 49 ff.; Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4, 30; Rühl, JZ 2018, 1073, 1078. 131 Antonopoulou/X. Kramer, The International Business Court saga continued: NCC First Judgment – BIBC Proposal unplugged, 2019. 132 Themeli, The Great Race of Courts, S. 268 f.; Bauw, Erasmus Law Review 2019, 15, 16; Rühl, JZ 2018, 1073, 1077; A. Wolf, RiW 2019, 258, 266; siehe zum Aufbau und der Organisation des Netherlands Commercial Court auch Kern/Dalitz, ZZPInt 21 (2016), 119, 128. 133 Vgl. Requejo Isidro, International Journal of Procedural Law 2019, 4, 24. 134 Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, S. 162; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 9. 135 Aufgrund der föderalen Struktur der Judikative (Art. 92, 95 GG) dürfte die Einrichtung eines zentralen Handelsgerichts für Deutschland eine hypothetische Gestaltungsoption bleiben. Für die Einrichtung eines Commercial Courts als Bundesgericht bedürfte es einer Grundgesetzänderung, vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 95 GG Rn. 1. 130

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass sich zwar die unmittelbaren Nachbarn Deutschlands für den Weg der Integration von speziellen Verfahrensformen für internationale Handelsstreitigkeiten in ihren allgemeinen Verfahrensaufbau entschieden haben. Weltweit gibt es aber auch zahlreiche Beispiele dafür, dass spezielle Gerichte für Wirtschaftsstreitigkeiten auf Ebene der Obergerichte unter entsprechender Modifizierung des Instanzenzugs eingerichtet werden. 5. Bewertung des Vorschlags eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten (BR-Drs. 219/21) Der Vorschlag eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten bezweckt die Hochzonung des Instanzenzugs durch Eröffnung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte nach entsprechender Gerichtsstandsvereinbarung in Handelsverfahren mit internationalem Bezug und bei einem zwei Millionen Euro übersteigenden Streitwert. Großvolumige internationale Wirtschaftsstreitigkeiten sollen vor die deutschen Gerichte gezogen werden, indem spezialisierte Spruchkörper bei den Oberlandesgerichten eingerichtet werden, vor denen das Verfahren nach übereinstimmendem Willen der Parteien auf englischer Sprache durchgeführt wird.136 Die Bedeutung der Spezialisierung und Erfahrung der Richter eines Gerichts für dessen Attraktivität als Streitbeilegungsforum darf nicht unterschätzt werden. Dies zeigt nicht zuletzt der bereits erörterte Befund, dass die Beliebtheit des Prototyps jeglicher spezialisierter Foren für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten, des englischen Commercial Courts, maßgeblich auf der Spezialisierung und Erfahrung seiner Richter fußt.137 Die Einrichtung von Spezialsenaten für internationale Handelssachen an den Oberlandesgerichten ermöglicht die Konzentration richterlicher Expertise.138 Der Grad der Bündelung richterlicher Fachkenntnis kann dadurch erhöht werden, dass in einem Bundesland an nur einem Oberlandesgericht ein „Kompetenzzentrum“ 136 Daneben sollen auf Ebene der Landgerichte Kammern für internationale Handelssachen entstehen können, §§ 93 Abs. 2, 114a, b GVG-E. 137 British Institute of International and Comparative Law, Factors Influencing International Litigants’ Decisions to Bring Commercial Claims to London Based Courts, 2015, S. 2; Themeli, The Great Race of Courts, S. 257; Mercer, IWRZ 2020, 200; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 10. 138 Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 21. Empirische Studien zu den maßgeblichen Entscheidungsfaktoren für die Wahl einer Gerichtsbarkeit deuten auf die enorme Bedeutung der Erfahrung und Spezialisierung der Richter hin, siehe nur British Institute of International and Comparative Law, Factors Influencing International Litigants’ Decisions to Bring Commercial Claims to London Based Courts, 2015, S. 15; Oxford Institute of European and Comparative Law and the Oxford Centre for Socio-Legal-Studies, Civil Justice Systems in Europe, 2008, S. 28; Themeli, The Great Race of Courts, S. 299. Vgl. auch Queen Mary University of London, International Arbitration Survey, 2015, S. 15.

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für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten errichtet oder gar länderübergreifend ein gemeinsamer Senat für internationale Handelssachen geschaffen wird. Aufgrund der geringeren Richterpensen an den Oberlandesgerichten haben die dortigen Richter mehr zeitliche Kapazitäten, um sich in angemessenen Umfang komplexen Großverfahren zu widmen. Der Belastungsquotient eines Richters am Landgericht lag im Jahr 2019 bei circa 150 bis 160 Fällen pro Jahr139, wohingegen in demselben Jahr ein Richter am Oberlandesgericht im Durchschnitt 98,3 Verfahren zu erledigen hatte.140 Anders als an den Landgerichten können an den Oberlandesgerichten durch die Möglichkeit der Investition größerer zeitlicher Ressourcen Fachkenntnisse im Bereich des Wirtschaftsrechts stärker vertieft werden.141 Die große Berufserfahrung der Richter an den Oberlandesgerichten kann ein besonderes Vertrauen in die Qualität der Rechtsprechung bei Unternehmensvertretern wecken, die über einen geeigneten Weg zur Beilegung von Streitigkeiten zu entscheiden haben. Eine effiziente und kompetente Verfahrensführung sind grundlegende Anforderungen, die Parteien an ein Gericht stellen.142 Hohe richterliche Fachkenntnisse können sich positiv auf die Effizienz des Verfahrens auswirken. Einem Richter mit großer Berufserfahrung wird es in der Regel leichter fallen, den Verfahrensstoff zügig abzuschichten und damit das Verfahren auf die entscheidenden rechtlichen oder tatsächlichen Streitpunkte zu fokussieren. Ziel der Einrichtung von Senaten für internationale Handelssachen an den Oberlandesgerichten muss es daher sein, Richterpersönlichkeiten mit herausragenden juristischen Qualifikationen zu gewinnen, deren Ruf eine Strahlkraft besitzt, die geeignet ist, eine Vielzahl von großvolumigen Handelsstreitigkeiten anzuziehen. Nur ein kontinuierlicher Zufluss von Fällen an die Senate für internationale Handelssachen, deren stetige Erprobung in der Praxis, kann eine nachhaltige Steigerung der Attraktivität des Justizstandorts Deutschland für grenzüberschreitende Wirtschaftsstreitigkeiten bewirken. Darüber hinaus kann die geringere Personalfluktuation bei den Oberlandesgerichten dazu beitragen, dass in der Praxis nachhaltiges Vertrauen in die Kompetenz der Senate für internationale Handelssachen entsteht. Bestimmte Persönlichkeiten können die Rechtsprechung eines Senats über einen langen Zeitraum prägen, wodurch auf Nachfragerseite der Justizdienstleistungen die Entscheidung für das spezielle Rechtsschutzangebot der Senate für internationale Handels139 Unterscheidung zwischen Belastung von Richter am Landgericht als erster Instanz (Ø 158,6) und als Berufungsinstanz (Ø 146,0), Bundesamt für Justiz, Geschäftsentwicklung der Zivilsachen – Amts-, Land- und Oberlandesgerichte 1995–2019, 2020, S. 3. 140 Ebenda. 141 Allerdings müsste mit Blick auf den recht hohen Belastungsquotienten der Richter am Oberlandesgericht über eine Stärkung der Personaldecke nachgedacht werden. 142 G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 218.

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sachen erleichtert wird. Qualifikation und Erfahrungen der anzurufenden Richter sind essenzielle Entscheidungskriterien für Unternehmen in Hinblick auf die Inanspruchnahme von Streitbeilegungsmechanismen. Durch gefestigte Besetzungen von Senaten für internationale Handelssachen kann besondere Klarheit über und Zutrauen in das Rechtsschutzangebot entstehen, welches die Attraktivität des Rechtsschutzangebots erhöht.143 Die Hochzonung der Eingangsinstanz für internationale Handelsstreitigkeiten auf die Ebene der Oberlandesgerichte ermöglicht die Schaffung von Kompetenzzentren und der Konzentrierung von Sachkompetenz an wenigen Orten. 24 Oberlandesgerichte stehen in der Bundesrepublik potenziell bereit, um ein solches Kompetenzzentrum für internationale Handelsstreitigkeiten zu werden.144 Durch die Möglichkeit der länderübergreifenden Schaffung von gemeinsamen Senaten für internationale Handelssachen kann es noch zu einer weiteren Kompetenzbündelung kommen und somit die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden, dass die Senate für internationale Handelssachen als echte Alternative zu ausländischen Jurisdiktion und der Schiedsgerichtsbarkeit wahrgenommen werden.145 Denn den Bedürfnissen der Wirtschaft entspricht es, auf wenige prominente Gerichtsstandorte mit hoher Expertise zugreifen zu können. Auf die Bürgernähe der Justiz146, die durch die Vielzahl an Eingangsgerichten hergestellt wird, kommt es in Wirtschaftsstreitigkeiten nicht an. Zudem kann die Kumulation von besonderer Expertise in Fragen des internationalen Wirtschaftsrechts an den Oberlandesgerichten zu einer Entlastung der Landgerichte beitragen, denen komplexe Wirtschaftsverfahren „abgenommen“ werden, für die sie angesichts ihres hohen Belastungsquotienten keine ausreichenden zeitlichen Kapazitäten hätten einsetzen können. Schließlich kann in großvolumigen Wirtschaftsstreitigkeiten die mit der Hochzonung der Eingangsinstanz einhergehende Verkürzung des Instanzenzugs von zentraler Bedeutung für die Wahl der staatlichen Gerichte durch die Parteien eines komplexen Rechtsstreits mit hohem Streitwert sein. Im Interesse der Wirt143 Zur Wichtigkeit des Vertrauens der Wirtschaft in eine auf vertieften wirtschaftsrechtlichen Kenntnissen basierende hohe Qualität der Commercial Courts im Wettstreit mit der Schiedsgerichtsbarkeit für den Erfolg des Rechtsschutzangebots Graf von Westphalen, AnwBl 2020, 2203. 144 An den 115 Landgerichten in Deutschland wäre die Einrichtung von Kompetenzzentren für die Beilegung von internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten ungleich schwerer, weil durch die große Zahl an Landgerichten ein einzelnes Landgericht nicht mit der ausreichenden Anzahl an Fällen versorgt wird, um vertiefte Fachkenntnisse in Spezialmaterien des Wirtschaftsrechts zu erlangen. Darüber hinaus bleibt das Problem des höheren Belastungsquotienten der Richter am Landgericht bestehen, der eine angemessene Befassung mit hochkomplexen wirtschaftsrechtlichen Fällen unmöglich macht. 145 Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 24. 146 Siehe zu den Vorteilen des Instanzenzugs der staatlichen Gerichtsbarkeit, u. a. der Sicherung der Bürgernähe der Justiz, siehe bereits Zweites Kapitel A. I. 4.

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schaft liegt eine schnelle Streitbeilegung. Aus diesem Grunde erfreut sich die Schiedsgerichtsbarkeit im Vergleich zu der staatlichen Gerichtsbarkeit besonderer Beliebtheit in Hinblick auf Wirtschaftsstreitigkeiten, denn sie verspricht durch ihre Beschränkung auf eine Instanz ex ante ein schnelleres Verfahrensergebnis.147 Besonders unternehmerisch Handelnde legen vor Entstehung des Streits bei Fixierung einer vertraglichen Streitbeilegungsklausel besonderen Wert auf eine zügige und effiziente Streitbeilegung und gewichten dieses Kriterium häufig höher als die Chance auf Korrektur von richterlichen Fehlern im Rechtsmittelsystem, die mit hohem Aufwand an Zeit und Geld einhergeht und finanzielle Ressourcen bindet, die ansonsten gewinnbringend hätten eingesetzt werden können. Der jüngste Gesetzesvorschlag zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht es den Parteien einer Handelsstreitigkeit mit internationalem Bezug und einem Streitwert von über zwei Millionen Euro, einvernehmlich den Instanzenzug durch erstinstanzliche Anrufung eines Oberlandesgerichts zu verkürzen. Durch die Option der parteidispositiven Reduzierung des Instanzenzugs könnten Marktanteile von der Schiedsgerichtsbarkeit zurückerobert werden, denn sie eröffnet den Parteien einen potenziell schnelleren, aber in gleichem Maße qualitativ hochwertigen Verfahrensweg innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit. Die entscheidende Stärke des Reformvorschlags liegt in seinem fakultativen Charakter. Die Einrichtung von erstinstanzlich zuständigen Senaten für internationale Handelssachen an den Oberlandesgerichten ist ein Angebot an die Wirtschaft. Nur durch ausdrückliche schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien wird die erstinstanzliche Zuständigkeit der Senate für internationale Handelssachen begründet und der Instanzenzug somit verkürzt. Es handelt sich nicht um eine zwangsweise Rechtsverkürzung, sondern allein um eine Verfahrensalternative, deren Nutzung der freien Entscheidung der Parteien unterliegt. Erscheint es den Parteien im Einzelfall sinnvoll, sich die Option des Durchlaufens des dreistufigen Instanzenzugs offenzuhalten, steht ihnen dieser Weg weiterhin offen. Durch die im Gesetzgebungsvorschlag auch vorgesehene Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen an Landgerichten können die Parteien auch auf der Ebene der Landgerichte von spezialisierten Spruchkörpern profitieren. Die Entscheidung des Zielkonflikts zwischen Schnelligkeit, Kostengünstigkeit der Entscheidung und höherer Gewähr einer richtigen Entscheidung ist eine höchstpersönliche Entscheidung der Parteien. Den Parteien mehrere Verfahrenswege aufzuzeigen und zu eröffnen, kann sich nur positiv auf die Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit in Wirtschaftsstreitigkeiten auswirken. Die Ermöglichung der parteidispositiven Anwahl der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz und damit Verkürzung des Instanzenzugs in handelsrechtlichen Streitigkeiten mit in147 Vgl. Hoffmann, IWRZ 2018, 58, 61; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 25. Siehe zu den Kehrseiten des Instanzensystems Zweites Kapitel A. II.

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

ternationalem Bezug und einem zwei Millionen Euro übersteigenden Streitwert ist daher zu begrüßen.148 Der Vorschlag der optionalen zweistufigen Ausgestaltung des Instanzenzugs kann Signalwirkung als Zugeständnis an die Bedürfnisse des Wirtschaftsverkehrs haben. Demgegenüber ist der Vorschlag zur Ausgestaltung des Zugangs zur Revision, sofern erstinstanzlich ein Oberlandesgericht angewählt worden ist, kritisch zu bewerten. Nach § 542 Abs. 2 S. 2 ZPO-E soll bei einer erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte stets die Revision zum Bundesgerichtshof zulässig sein. Die Anwendbarkeit der §§ 543, 544 ZPO soll ausgeschlossen sein. Für diese Lösung könnte zwar ihr Kompensationscharakter für das Fehlen der Berufungsinstanz sprechen. Anderseits wird in wichtigen wirtschaftsrechtlichen Rechtsfragen eine Fallgruppe des § 543 Abs. 2 ZPO zu bejahen sein, da aufgrund der bisherigen Tendenz der Abwanderung von Wirtschaftsstreitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit viele offene Rechtsfragen existieren und dadurch auch Raum für Rechtsfortbildung besteht.149 Mit Blick auf die angespannte Belastungssituation des Bundesgerichtshofs150 erscheint dessen Überlastung mit einer 148 Eine vertiefte Bewertung der Wertgrenze von zwei Millionen Euro für das Angebot der Anwahl der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz in handelsrechtlichen Streitigkeiten mit internationalem Bezug kann aus Platzgründen nicht vorgenommen werden. Die Nachteile der Arbeit mit Wertgrenzen im Prozessrecht wurden bereits aufgezeigt, siehe Zweites Kapitel A. III. 2. b) bb), A. III. 2. c). Allerdings ist die Einführung einer Wertgrenze für das Zurverfügungstellen einer effizienten Verfahrensoption für hochkomplexe, großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten unabdingbar. Zu dem Problem der Bestimmung eines Mindeststreitwerts für den Zugang zu einem deutschen Commercial Court siehe T. Pfeiffer, IWRZ 2020, 51, 54. 149 Die restriktive Auslegung der Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Rechtssache kritisierend Riehm/Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1728 f. Der eingeschränkte Zugang zur Revisionsinstanz wird als ein Nachteil für die Attraktivität des staatlichen Rechtsschutzangebots im Hinblick auf Streitigkeiten im Millionenbereich angesehen und daher für die Wiedereinführung der Streitwertrevision plädiert, T. Pfeiffer, IWRZ 2020, 51, 57; Riehm/Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1728 Es steht zwar außer Zweifel, dass wirtschaftliche Akteure ihre Rechtsstreite häufiger der deutschen Ziviljustiz anvertrauen würden, wenn sie sich sicher sein könnten, dass über ihren Streitfall ein höchstrichterliches Urteil herbeigeführt werden kann. Eine stetige höchstrichterliche Rechtsprechung wäre ein starkes vertrauensbildendes Element zu Gunsten der staatlichen Gerichtsbarkeit. Gleichwohl würde die Wiedereinführung der Streitwertgrenze die zentralen Funktionen des Bundesgerichtshofs, nämlich die Funktionen der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung in grundsätzlichen Fragen, schwächen. Es gibt keine Indikation dafür, dass bei hohen Streitwerten überproportional viele Rechtsfragen von über den jeweiligen Einzelfall hinausgehender Bedeutung auftreten. Mit der Einführung einer Wertgrenze geht zudem das Manko der fehlenden rationalen Erklärbarkeit der genauen Höhe der Wertgrenze einher, vgl. hierzu ausführlich Zweites Kapitel A. III. 2. b) bb). Eine Erweiterung des Zugangs zum Bundesgerichtshof ist daher u. a. aufgrund dieser signifikanten Nachteile der Wiedereinführung der Streitwertrevision insgesamt nicht zu befürworten. 150 Siehe zu dem Problem der Überlastung des Bundesgerichtshofs und dessen Eindämmung durch die Begrenzung der Nichtzulassungsbeschwerde Zweites Kapitel A. III. 2. c).

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

345

Vielzahl von Wirtschaftsstreitigkeiten, deren Bearbeitung aufgrund ihrer Komplexität im großen Maße Zeitressourcen von den übrigen zu erledigenden Revisionen entzöge, nicht opportun.151 Ob eine solche auf die Bedürfnisse des Wirtschaftsverkehrs ausgerichtete Verfahrensoption im Zivilprozess allerdings die Bedeutung der deutschen Justiz im Wettbewerb mit anderen Justizstandorten weltweit merklich steigern wird, bleibt abzuwarten. Dies ist nicht zuletzt insbesondere aufgrund der Dominanz angloamerikanischer Rechtsdienstleistungen fraglich.152 Darüber hinaus beruht die Entscheidung für ein bestimmtes Forum nicht stets auf Qualitätserwägungen, sondern auf Präferenzen des jeweils tätigen Rechtsberaters, die durch seine Ausbildung in einem bestimmten Rechtssystem vorgeprägt sind.153 Ein Grund zur Resignation und Aufgabe der Gesetzesinitiative ist dies aber nicht. Eine Steigerung der Attraktivität des deutschen Zivilprozesses im internationalen Vergleich durch eine solche Gesetzesinitiative erscheint auch vor dem Hintergrund erreichbar, dass ferner eine weitgehende Nutzung der englischen Sprache154 im deutschen Zivilprozess ermöglicht werden soll.155 Auch in Anbetracht von gegen die 151 Im Ergebnis so auch Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 40; a. A. T. Pfeiffer, IWRZ 2020, 51, 57. Die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits als solche legitimiert die Eröffnung des Zugangs zur Revision nicht, vgl. Prütting, Die Zulassung der Revision, S. 176 ff. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs muss der Zugang zur Revision auch im hohen Streitwertbereich beschränkt werden. Dafür sprechen auch Gerechtigkeitsgesichtspunkte, denn der weitere Zugang zur Revisionsinstanz führt zu einer Benachteiligung von Verfahren mit geringen Streitwerten. 152 Zum Wettbewerb der Rechtsordnungen und zur Dominanz anglo-amerikanischer Rechtsordnungen Kern, GreifRecht 18 (2014), 114 ff. 153 Kern, GreifRecht 18 (2014), 114, 122. 154 Nach dem Gesetzesvorschlag soll das Verfahren in erster Instanz vor den Kammern für internationale Handelssachen und in zweiter Instanz vor den Senaten der Oberlandesgerichte nach entsprechender Parteivereinbarung auf englischer Sprache geführt werden. Das Protokoll und die Entscheidungen des Gerichts sollen auf englischer Sprache abgefasst und die Schriftsätze auf englischer Sprache eingereicht werden. Auch vor dem Bundesgerichtshof soll das Verfahren auf englischer Sprache geführt werden können, BR-Drs. 219/21, 4. Für einen Überblick zu den denkbaren graduellen Abstufungen, in denen die englische Sprache Eingang in den Zivilprozess finden könnte, siehe Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 192 f. Die an dem Diskontinuitätsprinzip gescheiterte Gesetzesinitiative der Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen bezweckte eine umfassende Nutzung der englischen Sprache. Zu den praktischen und rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Einführung von Englisch als Gerichtssprache siehe ders., Erasmus Law Review 2012, 187, 200 ff. 155 Die Öffnung der deutschen Rechtsordnung für Englisch als Gerichtssprache ist zentraler Bestandteil der Initiative zur Einrichtung von Commercial Courts, BR-Drs. 219/21, 4. Siehe zur Vertiefung dieses Themas und des Diskussionsstands G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 224 ff.; Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, S. 108 f.; Kern, Erasmus Law Review 2012, 187 ff. Die Förderung der Nutzung der englischen Sprache im deutschen Zivilprozess dient hierbei nicht nur dem Abbau eines potentiellen Störfaktors bei der Beilegung internationaler Handelsstreitigkeiten. Die Ermöglichung einer weitgehenden Nutzung der englischen Sprache im deutschen Zivilprozess ist nicht zuletzt eine Strategie, um die Position des

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

Einführung von Englisch als Verfahrenssprache geäußerten Bedenken156 überwiegen doch die möglichen positiven Effekte einer solchen Maßnahme: Die Bedeutung der Zivilgerichtsbarkeit in Bereichen des Handels- und Wirtschaftsrechts, das in diesen Bereichen die Fortbildung des Rechts ermöglicht, die durch Entscheidungen von Schiedsgerichten hinter verschlossenen Türen gehemmt wird, kann wiedererstarken.157 Außerdem kann durch einen Bedeutungsgewinn der Zivilgerichtsbarkeit und die dadurch geschaffene Transparenz und Erleichterung des Zugangs zum Recht das wirtschaftliche Handeln der Rechtsunterworfenen insgesamt erleichtert werden.158 Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die Bundesratsinitiative unterstützenswert ist.159 Die Einführung von spezialisierten Kammern und Senaten für internationale Handelssachen an Land- und Oberlandesgerichten kann eine Stärkung des Justizsstandorts Deutschland bewirken. Der Vorschlag der Eröffnung Justizsstandorts Deutschland und die Bedeutung des deutschen materiellien Rechts im internationalen Vergleich zu stärken, indem das Verfahrensaufkommen großvolumiger internationaler Handelsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten und die Wahrscheinlichkeit der Wahl des deutschen Rechts erhöht wird, ders., Erasmus Law Review 2012, 187, 190 f. Hierin zeigt sich, dass „Recht“ Wesenszüge einer Dienstleistung aufweist, deren Ausgestaltung marktwirtschaftliche Folgen zeitigen kann. Eine flächendeckende Verwendbarkeit der englischen Sprache im deutschen Zivilprozess kann den Bedarf an Rechtsberatung zum deutschen Recht erhöhen und Unternehmen die Entscheidung für die heimischen Gerichte und das deutsche Recht erleichtern, ders., Erasmus Law Review 2012, 187, 191 f. Siehe bereits zur wirtschaftlichen Bedeutung der Leistungsfähigkeit der Justiz für Unternehmen die obigen einleitenden Ausführungen im Dritten Kapitel B. IV. 1. Daher stehen hinter der (gesamten) Gesetzesinitiative auch manifeste wirtschaftspolititsche Interessen. 156 Hierzu einen Überblick gebend Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 200 ff. Kritisch gegenüber der Nutzung der englischen Sprache als Verfahrenssprache vor deutschen Gerichten Flessner, NJOZ 2011, 1913 ff.; Handschell, DRiZ 2010, 395 ff.; Piekenbrock, Forschung & Lehre 2010, 171; ders., EWS 2010, Die erste Seite. Ein zentraler Vorbehalt gegen die Nutzung der englischen Sprache als Gerichtssprache ist hierbei die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit. Bei Abfassung von Urteilen auf englischer Sprache seien die Entscheidungen nicht mehr der kritischen Erörterung in der gesamten Bevölkerung zugänglich, sodass der Rechtsdiskurs, aber auch die Transparenz des Rechts leide, Flessner, NJOZ 2011, 1913, 1914; Handschell, DRiZ 2010, 395, 399. Piekenbrock betont, dass das Prozedere und die Erkenntnisse öffentlich und verständlich seien müssen, Piekenbrock, Forschung & Lehre 2010, 171. Kern weist insofern zutreffend daraufhin, dass eine verpflichtende Übersetzung auf englischer Sprache verfasster Entscheidungen Bedenken gegen den Einsatz von Englisch als Gerichtssprache zumindest abmildern könne. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass Ziel der Initiative sei, internationale Handelsstreitigkeiten von der (nicht-öffentlich verhandelnden) Schiedsgerichtsbarkeit zurückzugewinnen. Damit trage das Vorhaben zu einer Förderung der Transparenz der Rechtsfindung bei, Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 204 f. 157 So zu Recht Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 208 f. 158 Vgl. Kern, Erasmus Law Review 2012, 187, 209; Hoffmann, IWRZ 2018, 58, 60. 159 Die Bundesregierung sah im Juni 2021 noch Prüfungsbedarf hinsichtlich des Gesetzesvorschlags, sodass dieser nicht mehr in 19. Legislaturperiode verabschiedet werden konnte, siehe BT-Drs. 19/30745, S. 27.

B. Makroebene: Umgestaltung des Instanzenzugs

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der Möglichkeit der parteidispositiven Anwahl der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz und Verkürzung des Instanzenzugs zeigt, dass die Rechtspolitik den Bedürfnissen der unternehmerisch Handelnden nach einer flexibleren Ausgestaltung des Zivilprozessrechts, die schnelle Verfahrensergebnisse bei hoher Entscheidungsqualität hervorbringt, Rechnung trägt. Es bleibt zu hoffen, dass das Gesetzesvorhaben, das aufgrund der Bundestagswahl im September 2021 dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer gefallen ist, schnellstmöglich wieder aufgegriffen wird.160 Darüber hinaus sollten insbesondere ausländische Parteien eines Zivilprozesses vor den deutschen Gerichten stärker auf die Flexibilität der Verfahrensregeln der Zivilprozessordnung mit Blick auf die parteidispositive Ausgestaltung des Instanzenzugs hingewiesen werden.161 Die Parteien eines Zivilprozesses können jederzeit einvernehmlich den Instanzenzug verkürzen.162 Die Prozessparteien einer internationalen Handelsstreitigkeit, die in erster Instanz einen Senat für internationale Handelssachen eines Oberlandesgerichts anrufen, können auf das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof verzichten und damit das Oberlandesgericht als erst- und letztinstanzlich berufenen Entscheidungsinstanz beauftragen. Mit der auf diese Weise hergestellten Einstufigkeit des staatlichen Gerichtsprozesses kann ein oft genannter Vorteil der Einzügigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit163 egalisiert werden.164 Der Hinweis auf die Möglichkeit der Verfahrensverkürzung sollte fester Bestandteil der Verfahrensstrukturierung in einer vorbereitenden Verfahrenskonferenz werden.165 Um die Attraktivität der deut160 Im Februar 2022 hat das Land Nordrhein-Westfalen die neue Initiative „QualityLaw NRW“ bekannt gemacht. Ziel ist die Schaffung von (erst- und zweitinstanzlichen) gerichtlichen Kompetenzzentren für die Bereiche Unternehmensverkäufe und -transaktionen, Informationstechnologie und Medientechnik sowie Erneuerbare Energien, https://www.justiz.nrw/JM/qualitylaw/index.php (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022). 161 Hoffmann, IWRZ 2018, 58, 61. 162 Durch einen Rechtsmittelverzicht, siehe vertiefend Zweites Kapitel B. I. 163 Zu den Kehrseiten des Instanzenzugs siehe Zweites Kapitel A. II. 164 Vgl. Diekmann, NJW 2021, 605, 606. 165 Durch den am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO hat der Gesetzgeber betont, dass es zu den Aufgaben des Gerichts gehört, zum Zwecke der Steigerung der Verfahrenseffizienz das Verfahren zu strukturieren. In der Schiedsgerichtsbarkeit findet zu Beginn des Verfahrens üblicherweise eine Verfahrenskonferenz statt, um zwischen Schiedsgericht und Parteien den weiteren Verlauf des Verfahrens abzustimmen und somit auf eine verlässliche, effiziente Abwicklung des Verfahrens hinzuwirken. Darüber dient die Verfahrenskonferenz auch als vertrauensbildende Maßnahme zwischen den Verfahrensakteuren. Besonders für ausländische Parteien, die mit Verfahrenskonferenzen aus der Schiedsgerichtsbarkeit gut vertraut sind, kann eine Stärkung des case managements vor staatlichen Gerichten das Zutrauen in das staatliche Rechtsschutzangebot erhöhen. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch der Abschluss von dreiseitigen Prozessverträgen über den zeitlichen Ablauf des Verfahrens wie es das brasilianische Zivilprozessrecht ermöglicht, siehe hierzu Kern, in: do Passo Cabral/Nogueira (Hrsg.), Negócios processuais, 2013, S. 213, 224 f. Vor einem deutschen

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3. Kap.: Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform

schen Ziviljustiz nachhaltig zu steigern, muss die gebotene Reform des Zivilprozesses schließlich zwingend durch Anpassungen des für Wirtschaftsverträge geltenden materiellen Privatrechts flankiert werden.166

Commercial Court sollte daher im Regelfall eine Verfahrenskonferenz Grundlage der Prozessgestaltung sein, vgl. T. Pfeiffer, IWRZ 2020, 51, 53. Zur Notwendigkeit der Forcierung aktiver richterlicher Prozessleitung zum Zwecke der klaren Strukturierung und Abschichtung des Verfahrensstoffes in einer Verfahrenskonferenz im Kontext der Etablierung von Commercial Court siehe ferner Diekmann, NJW 2021, 605, 607; Rapp, GVRZ 2020, 2, Rn. 37; Podszun/Rohner, BB 2018, 450, 454; dies., NJW 2019, 131, 135. 166 Riehm/Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1729. Zur Bedeutung des materiellen Rechts für den Justiz- und Schiedsstandort Deutschland G. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, S. 144 ff. Die verhältnismäßig strenge Prüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Wirtschaftsverkehr schwächt die Attraktivität des deutschen Rechts als Vertragsstatut im internationalen Vergleich, Riehm/Q. Thomas, NJW 2022, 1725, 1729; Finkelmeier, ZIP 2022, 563 f.

Zusammenfassende Thesen 1.

Der dreistufige Instanzenzug des Zivilprozesses ist heute Sinnbild eines hohen Rechtsschutzniveaus. Ursprünglich wurden über das Institut des Instanzenzugs Machtverhältnisse ausgestaltet und politische Über- und Unterordnung definiert. Einheitlichkeit in territorialer und dogmatischer Hinsicht ließ das auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik geltende zivilprozessuale Rechtsmittelrecht lange vermissen. Die massiven Einschnitte in der Zeit des Nationalsozialismus schaffen ein Bewusstsein für die überragende Bedeutung des Rechtsmittelsystems für den Individualrechtsschutz. Der Instanzenzug ist essenziell für die Kontrolle der Dritten Gewalt im demokratischen Rechtsstaat, sichert deren Verantwortlichkeit gegenüber dem rechtssuchenden Bürger und der Öffentlichkeit sowie die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen.

2.

Die Parteiherrschaft ist ein im Verfahrensrecht tief verwurzelter Prozessgrundsatz. Als zentraler Verfahrensgrundsatz waren Ausprägungen der Dispositionsmaxime bereits im römischen Recht verankert. Bedeutende Fragen der Ausgestaltung und Reichweite der Parteiherrschaft in den Rechtsmittelverfahren waren in der Vergangenheit und sind in der Gegenwart wiederkehrender Gegenstand von teilweise hochstreitigen Reformgesetzgebungen oder -diskussionen. Dies betrifft zuvörderst die Problematik der Ausgestaltung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen. Die Gewährung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ist conditio sine qua non für die Ausübung von parteilichen Dispositionsbefugnissen. Zugangsbeschränkungen zu den Rechtsmittelinstanzen wirken wie ein staatlich aufoktroyierter Rechtsmittelverzicht. Das Rechtsmittelrecht hat die Funktionsfähigkeit der Justiz bei gleichzeitig hohem Niveau des Individualrechtsschutzes sicherzustellen. In der aktuellen rechtspolitischen Diskussion steht ferner prominent die strategische Verhinderung von Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofs. Die revisionsrechtlichen Regelungen zur parteidispositiven Verfahrensbeendigung unterstreichen die Antinomie von Partei- und Allgemeininteresse im Revisionsverfahren.

3.

Der Zweck des Zivilprozesses liegt in der Feststellung und Verwirklichung der subjektiven Privatrechte. Die Rechtsmittel dienen der Fehlerkontrolle von unterinstanzlichen Urteilen und ermöglichen eine erneute autoritative Entscheidung über einen konkreten Streitgegenstand. Im Fokus des Berufungsverfahrens steht der Individualrechtsschutz. Im Revisionsverfahren stehen sich individuelle und öffentliche Revisionszwecke gleichwertig gegenüber. Ein Vorrang der öffentlichen Revisionszwecke der Wahrung der Rechts-

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Zusammenfassende Thesen

einheit und der Rechtsfortbildung besteht nicht. Der parteiliche Entscheidungsauftrag ist auch im Revisionsverfahren integraler Legitimationsgarant staatlichen Entscheidens. Das besondere Gewicht der Parteiherrschaft im Revisionsverfahren ist daher zu unterstreichen. 4.

Die Dispositionsmaxime stellt die prozessuale Fortsetzung der in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verankerten Verfügungsbefugnis des Einzelnen über privatrechtliche Ansprüche dar und ist damit das prozessuale Pendant der Privatautonomie. Die Dispositionsmaxime reicht indes keinesfalls so weit wie die Privatautonomie, denn im Prozess tritt der Staat als maßgeblicher Akteur hinzu, der bei der Rechtsgewährung nicht ausschließlich nur die Parteifreiheit zu berücksichtigen hat. Zu dem verfassungsfesten Kern der Parteidisposition im Zivilprozess zählen das Erfordernis eines Parteiantrags als Grundlage einer streitigen gerichtlichen Entscheidung, die Bindung des Gerichts an die Parteianträge und die Existenz des Instituts des Schiedsverfahrens. Im Übrigen steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum mit Blick auf die Ausgestaltung und Reichweite zulässiger Parteidisposition zu.

5.

Aus der Gesamtschau der Verfassung ergibt sich ein subjektives Recht auf einen Instanzenzug. Der Einzelne hat ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf einmalige Kontrolle erstinstanzlicher richterlicher Entscheidungen in Hinblick auf Rechtsfehler. Richterliche Entscheidungen sind Ausübung von hoheitlicher Gewalt und haben daher an der rechtsstaatlich gebotenen Kontrolle von Hoheitsakten teilzunehmen. Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit erfolgt dies in Form der binnenjustiziellen Kontrolle im Instanzenzug. Die Anerkennung eines Rechts auf einmalige Überprüfung erstinstanzlicher richterlicher Entscheidungen auf Rechtsfehler stärkt den Individualrechtsschutz. Ein Rechtsschutz ad infinitum entsteht nicht. Dem einfachen Gesetzgeber bleibt es unbenommen, das Rechtsmittelsystem unter Abwägung von widerstreitenden Verfassungsgütern zu gestalten. Die vollständige Abschaffung des Instanzenzugs bleibt ihm aber verwehrt.

6.

Bei teleologischem Verständnis der Artikel der EMRK ist eine Garantie auf einen Instanzenzug in Zivilsachen nach der EMRK anzuerkennen. Anderen internationalen Regelwerken wie dem IPBürglR und der GrCh lässt sich hingegen keine Verbürgung eines Rechts auf einen Instanzenzug entnehmen.

7.

Die Ausgestaltung der Rechtsmittelverfahren und der Reichweite der Befugnisse zur Parteidisposition hat fundamentale rechtsstaatliche Bedeutung. Es handelt sich um „Verfassungsprobleme erster Ordnung“. Die Thematik berührt verschiedene rechtsstaatliche Anliegen wie ein hohes Individualrechtsschutzniveau, die Einheitlichkeit des Rechts, die Rechtsfortbildung und die Funktionsfähigkeit der Justiz, die miteinander in schonenden Ausgleich gebracht werden müssen.

Zusammenfassende Thesen

351

8.

Die Zivilprozessordnung erlaubt es den Parteien einer zivilrechtlichen Streitigkeit im weiten Maße, über den staatlichen Instanzenzug zu disponieren. Die umfassendste Dispositionsbefugnis der Parteien liegt in der Möglichkeit des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung. Hierbei kommt es zu einer Derogation der Zuständigkeit der staatlichen Gerichte und damit auch zur Abwahl des staatlichen Instanzenzugs. Die Parteien können sich auch entschließen, ihr Recht auf Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung in einer Rechtsmittelinstanz nicht (weiter) zu verfolgen. Die Parteien können auf ihr Rechtsmittel verzichten. Dem Rechtsmittelkläger steht ferner die Möglichkeit zur Verfügung, sein Rechtsmittel zurückzunehmen und damit das vorinstanzliche Urteil zu akzeptieren.

9.

Der Möglichkeit der parteilichen Disposition über die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit und damit auch über den Instanzenzug durch Schiedsvereinbarung sind dort Grenzen gesetzt, wo der Gesetzgeber ein Rechtsschutzmonopol der staatlichen Gerichte im besonderen öffentlichen Interesse angeordnet hat. Diese durch die Regeln zur Schiedsfähigkeit verkörperten Interessen von besonderem öffentlichen Gewicht stehen aber nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Institut des Instanzenzugs, sondern wollen lediglich die Zuständigkeit eines staatlichen, auch erstinstanzlich abschließend entscheidenden Richters sichern. Aus diesem Grunde sind die der Beschränkungen der Schiedsfähigkeit einer Streitmaterie zugrundeliegenden Erwägungen nicht auf die Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme übertragbar.

10. Nach allgemeinen prozessvertraglichen Grundsätzen begegnen einvernehmliche Befugnisdispositionen wie ein beidseitiger Rechtsmittelverzicht keinen grundlegenden Bedenken, denn sie stellen die Kehrseite parteilicher Entscheidungsfreiheit über die Wahrnehmung entsprechender Befugnisse dar. Jedoch müssen solche Prozessverträge mit den entsprechend anwendbaren bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zur Sicherung der Vertragsgerechtigkeit vereinbar sein. Sie dürfen weder gesetzes- noch sittenwidrig sein, bei formularvertraglich vereinbarten Klauseln erfolgt eine Überprüfung anhand der Wertungen der §§ 305 ff. BGB. 11. Ein Verfahren vor Schiedsgerichten endet in aller Regel in der verbindlichen Klärung eines Rechtsstreits. Ein Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch zu einem Oberschiedsgericht wird in Schiedsordnungen überwiegend nicht vorgesehen. Die Schiedsgerichtsbarkeit verzichtet also auf einen Instanzenzug. Im unternehmerischen Verkehr wird ein entscheidender Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit in der zügigen Streitbeilegung gesehen. Dem staatlichen Instanzenzug werden demgegenüber die Attribute einer langwierigen und kostenträchtigen Rechtsfindung zugeschrieben. Ein klares Urteil zugunsten einer Gerichtsbarkeit unter At-

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Zusammenfassende Thesen

traktivitätsgesichtspunkten lässt sich aber nicht fällen. Es kommt auf den konkreten Einzelfall an, ob die Schiedsgerichtsbarkeit oder die staatliche Gerichtsbarkeit die vorteilhaftere Wahl ist. In Wirtschaftsstreitigkeiten ist die Schiedsgerichtsbarkeit besonders aufgrund der hohen fachlichen Qualifikation und Spezialisierung ihrer Richter und der Flexibilität des Verfahrens, das an die Bedürfnisse der unternehmerisch Handelnden angepasst ist, beliebt. Eine gezieltes Angebot der staatlichen Gerichtsbarkeit betreffend Wirtschaftsstreitigkeiten, das die Bedürfnisse der Parteien und die Spezialisierung der Richter in den Fokus nimmt, kann zu einer Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit beitragen. 12. Die Möglichkeit der Fehlerkorrektur ist der zentrale Vorteil des staatlichen Instanzensystems. Ein fehlerhafter Schiedsspruch lässt sich nur unter engen Voraussetzungen aufheben. Die Kontrollfunktion der Rechtsmittel begrenzt ferner die Richtermacht. Die fehlende Überprüfbarkeit des Schiedsspruchs durch ein Rechtsmittel verleiht den Schiedsrichtern eine größere Machtfülle. Der Instanzenzug ermöglicht zudem einen fruchtbaren Diskurs zwischen den Instanzen und mit der (Fach-)öffentlichkeit über Entscheidungsinhalte, der zur Vorhersehbarkeit des Rechts, zur Rechtsfortbildung und zur Akzeptanz richterlicher Entscheidungen beiträgt. Die fehlende Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen bewirkt in bestimmten wirtschaftsrechtlichen Bereichen eine erhöhte Rechtsunsicherheit. Darüber hinaus fördert die Untergliederung der staatlichen Ziviljustiz in drei Ebenen die zweckmäßige Verteilung von Arbeitsressourcen und sichert die Nähe der Gerichte zu den Bürgern. 13. Für das Problem der strategischen Verhinderung von revisionsgerichtlichen Grundsatzentscheidungen aufgrund verfahrensbeendigender Parteidisposition in Form der Revisionsrücknahme fehlt es bisher an einer überzeugenden Lösung. Die Antinomie von Partei- und Allgemeininteresse im Revisionsverfahren steht einer alle Interessen vollumfänglich befriedigenden Lösung entgegen. Teilweise begegnen Lösungsansätze rechtsstaatlichen Bedenken. Das Eigeninitiativverbot der Gerichte, die Entscheidungen nur im Rahmen konkreter Streitigkeiten treffen dürfen, darf nicht durch die eigenmächtige Veröffentlichung von Hinweisbeschlüssen und vorläufigen Rechtseinschätzungen oder durch die Entkoppelung von Streitentscheidung und Normbildung unterlaufen werden. Eingriffe in die Parteiherrschaft im Revisionsverfahren bergen zudem stets die Gefahr, dass die Attraktivität der Inanspruchnahme der Revisionsinstanz für die Parteien schwindet und so das Ziel der Stärkung der Normbildungsfunktion des Bundesgerichtshofs verfehlt wird. 14. Die Gegensätzlichkeit von Partei- und Allgemeininteressen spiegelt sich ferner in den Regelungen zum Zugang zu der Revisionsinstanz wider. Zugangsbeschränkende Regelungen des Rechtsmittelrechts können wie ein unfreiwilliger Rechtsmittelverzicht wirken. Im Interesse des Einzelnen liegt folglich

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ein möglichst weitgehender Zugang zur Revisionsinstanz, wohingegen im öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit des Revisionsgerichts eine hinreichende Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz unerlässlich ist. Die Regelung der nunmehr verstetigten Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde berücksichtigt das individuelle Interesse an der Inanspruchnahme der Revisionsinstanz nicht in adäquaten Umfang. Der Wert der in der Revision geltend zu machenden Beschwer steht außerhalb jeglichen Zusammenhangs zu dem Bedürfnis der Verwirklichung der öffentlichen Revisionszwecke durch das Revisionsgericht. Es ist daher geboten, andere Wege zu suchen, um die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs zu sichern, als durch eine wertmäßige Begrenzung der Nichtzulassungsbeschwerde. 15. Die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelverzichts ist Inbegriff des rechtlichen Grundsatzes beneficia non obtruduntur. Den Parteien des Zivilprozesses steht es frei, auf die günstige Rechtsposition des Anfechtungsrechts einer erst- oder zweitinstanzlichen Entscheidung zu verzichten. Ein beidseitiger gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsmittelverzicht führt unmittelbar zu einer Verkürzung des Instanzenzugs im Einzelfall, der die Streiterledigung beschleunigen kann. Ein Rechtsmittelverzicht kann wirksam bereits vor Erlass des instanzgerichtlichen Urteils erklärt werden. Dies sollte nicht nur im zivilgerichtlichen, sondern auch im familiengerichtlichen Verfahren gelten. Unbillige Härten, die durch einen antizipierten beidseitigen Rechtsmittelverzicht entstehen, können durch das allgemeine Prozessvertragsrecht abgefedert werden. Auf die Option des antizipierten Rechtsmittelverzichts sind die Parteien insbesondere in Wirtschaftsstreitigkeiten hinzuweisen. Durch die übereinstimmende parteidispositive Verkürzung des Instanzenzugs im Einzelfall kann Boden gegenüber der vermeintlich schnelleren Schiedsgerichtsbarkeit zurückgewonnen werden. 16. Die Dispositionsbefugnis der Rechtsmittelrücknahme ermöglicht dem Rechtsmittelkläger, auf die weitere Durchführung des eingelegten Rechtsmittels zu verzichten. Die Dispositionsbefugnisse des Rechtsmittelverzichts und der Rechtsmittelrücknahme sollten dogmatisch klarer voneinander getrennt werden. Ab Einlegung des Rechtsmittels sollte es dem Rechtsmittelkläger nicht mehr möglich sein, auf sein Rechtsmittel zu verzichten. Die Erfahrungen aus dem Berufungsrecht zeigen, dass die Gerichte ansonsten genötigt sind, Einschränkungen der Rechtsmittelrücknahme umständlich auf den Rechtsmittelverzicht zu übertragen. 17. Das staatliche Gerichtssystem muss so konzipiert sein, dass es für die gesamte Spannweite privater Rechtsstreitigkeiten einen wirksamen Rechtsschutz und ein attraktives Verfahrensangebot bietet. Die Ausgestaltung des Instanzenzugs ist ein wichtiger, die Attraktivität des staatlichen Justizangebots beeinflussender Faktor. Im Bereich niedriger Streitwerte ist es aber

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nicht geboten, den Instanzenzug zu verkürzen. Im Online-Handel besteht bereits eine Vielzahl erprobter After-Sale-Services, deren Streitbeilegungsmechanismen durch ihre Schnelligkeit und Kostengünstigkeit punkten. Bei Umsetzung des Vorschlags zur Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens kann der staatliche Instanzenzug als Vorteil gegenüber alternativen Streitbeilegungsforen wirken. Einschränkungen des Instanzenzugs im Beschleunigten Online-Verfahren könnten den potenziellen Erfolg des Vorhabens zur Rückgewinnung von Marktanteilen von der alternativen Streitbeilegung gefährden. 18. Zu Recht hat die Rechtspolitik erkannt, dass auch im Bereich großvolumiger Handelsstreitigkeiten Handlungsbedarf für die Reform der Zivilprozessordnung besteht. In der globalisierten Welt steht das deutsche Gerichtssystem sowohl mit der Schiedsgerichtsbarkeit als auch mit anderen Justizstandorten in Konkurrenz. Das Fehlen von Entscheidungen staatlicher Gerichte in bestimmten Spezialmaterien des Wirtschaftsrechts erschwert Investitionsentscheidungen am Wirtschaftsstandort Deutschland. Zudem entgehen der Justiz lukrative Gebühreneinnahmen. Ein wichtiger Baustein eines auf die Bedürfnisse der Wirtschaft angepassten Rechtsschutzangebots ist die Eröffnung der Möglichkeit der fakultativen Anwahl des Oberlandesgerichts als Eingangsinstanz in großvolumigen (inter-)nationalen Handelsstreitigkeiten. Die Parteien erhalten somit die Option, den Instanzenzug zum Zwecke der beschleunigten Streitbeilegung zu verkürzen, und können gleichzeitig erreichen, dass in erster Instanz besonders erfahrene Richter über ihren Rechtsstreit entscheiden. Die Spezialisierung der dortigen Richter ist von großer Signifikanz, denn der Erfolg eines Commercial Courts wird nicht zuletzt maßgeblich von der dort wirkenden Richterschaft abhängen.

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Stichwortverzeichnis After-Sale-Services 322–328 Anerkenntnis 27–31, 115–116, 301–304 – confessio in iure 27–31 – der Klage (§ 307 ZPO) 115–116 – in der Revisionsinstanz 301–304 Antizipierter Rechtsmittelverzicht 269– 278 – auf die Beschwerde im Verfahren in Familiensachen 274–278 – in der Zivilprozessordnung 269–273

Einspruch gegen ein Versäumnisurteil 284–287 Englisch als Verfahrenssprache 340–348 Fehlerkontrolle siehe Zwecke der Rechtsmittelverfahren Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte siehe Zwecke des Zivilprozesses Flucht aus dem Zivilprozess 170–211 Formularprozess 27–29

Appellation 29–39 – im kanonischen Recht 34–35 – im römischen Recht 29–31 – in der Reichskammergerichtsordnung 1495 35–39 Berufung 247–268, 288–293 – Oberberufung 41–42 – Rücknahme des Rechtsmittels (aktuelle Gesetzeslage) 288–293 – Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung (aktuelle Gesetzeslage) 247–268 – Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung und Rücknahme des Rechtsmittels in der Civilprozeßordnung von 1877 43–45 Commercial Courts 336–340

Geschichte des Zivilprozesses und des Instanzenzugs 26–53 – Civilprozeßordnung von 1877 43–45 – im germanisch-deutschen Rechtskreis bis zum 15. Jahrhundert 32–34 – Reichskammergerichtsordnung 1495 35–39 – römisches Recht 26–32 – ZPO-Reform von 2001 49–53 Gesetz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten 340–348 Grundgesetz siehe Verfassung Grundrechte-Charta 98–99 Hinweisbeschluss 186–192 In dubio pro libertate 139–143 Instanzenzug siehe Vorteile des ~s, siehe Kehrseiten des ~s

Dispositionsmaxime 92–98, 107–117 – einfachrechtliche Ausgestaltung 107– 117 – verfassungsrechtliche Verankerung 92–98

Kehrseiten des Instanzenszugs 161–170 – Kosten 167–169 – Mangel an Flexibilität 169–170 – Rechtsunsicherheit 166–167

Stichwortverzeichnis – Verfahrensdauer 162–166 Kognitionsverfahren 29–30 Konventionalprozess 133–143 Kriegsmaßnahmenverordnungen 47–48

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Sprungrevision 282–284 Subjektives Recht auf einen Instanzenzug siehe Recht auf einen Instanzenzug Urteilsschelte 32–34

Legisaktionenprozess 27–29 litis contestatio 27–29 Oberhof(verfahren) 32–34 Online-Verfahren 322–328 Präjudizien 172–183 Prozessverträge 107–150 – geschriebene Regeln zu ~n im Zivilprozess 122–133 – ungeschriebene Regeln zu ~n im Zivilprozess 133–149 Recht auf einen Instanzenzug? 85–101 – im Grundgesetz 85–92 – in der EMRK 99–101 – in der GrCh 98–99 Rechtsmittelrücknahme 288–304 Rechtsmittelverzicht 247–288 – Abgrenzung von anderen Dispositionsbefugnissen 249–256 – Arten 256–261 – Rechtsnatur des vertraglichen Rechtsmittelverzichts 261–262 – sonstige Erscheinungsformen 280–287 Rechtsstaatsprinzip 88–90 Reichskammergericht 35–40 Revision 170–211, 281–282, 293–304 – Rücknahme des Rechtsmittels der Revision 170–211, 293–304 – Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision 281–282 Schiedsverfahren 122–133 – Instanzenzug in ~ 124–128 – Schiedsfähigkeit von Rechtsstreitigkeiten 124–128

Verfassung 85–98 Verfassungsrechtliche Verankerung der Dispositionsmaxime 92–98 siehe auch Recht auf einen Instanzenzug Verkürzung des Instanzenzugs 42, 52, 319–322 – im preußischen Justizministerialentwurf von 1871 42 – Vorschlag der Einführung eines „Beschleunigten Online-Verfahrens“ 52, 322–328 – Vorschlag einer „Großen Justizreform“ 50–51, 319–322 Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof 197–201 Vorteile des Instanzenzugs 153–161 – Akzeptanz staatlicher Gerichtsentscheidungen 159–160 – Begrenzung von Richtermacht 153– 156 – Rechtsfortbildung 156–158 – Ressourcenallokation 160–161 Wertgrenze siehe Zugangsbeschränkungen zu Rechtsmitteln Zugang zur Berufung 43–49 – Entwicklungslinien in der Nachkriegszeit 49 – in der Civilprozeßordnung von 1877 43–44 – nach Inkrafttreten der einheitlichen Prozessordnung 46 Zugang zur Revision 44–49 – Entwicklungslinien in der Nachkriegszeit 48–49

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Stichwortverzeichnis

– in der Civilprozeßordnung von 1877 44 – nach Inkrafttreten der einheitlichen Prozessordnung 44 Zugangsbeschränkungen zu Rechtsmitteln 224–230 – Ausschluss bzw. Abschaffung eines Rechtsmittels 225–226, 316–319 – Difformität 228–229 – Wertgrenze 226–228 Zwecke der Rechtsmittelverfahren 71–83

– Fehlerkontrolle 71–72 – Primärzweck der Revision 76–81 – Rechtseinheit und Rechtsfortbildung 72–74 Zwecke des Zivilprozesses 55–71 – Bewährung des objektiven Rechts 61– 62 – Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte 58–60 – weitere Auffassungen zum Prozesszweck 62–64