Dimensionen der Demokratisierung: Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und lokale Partizipation in Brasilien 9783964566959

Ausgangspunkt des Autors für seine vergleichende Fallstudie in drei brasilianischen Städten ist eine kritische Untersuch

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Dimensionen der Demokratisierung: Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und lokale Partizipation in Brasilien
 9783964566959

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen
Abkürzungen
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1. Auf der Suche nach einer Begriffsbestimmung: Einführung in die Civil-Society-Debatte
Kapitel 2. Öffentlichkeit und zeitgenössisches Demokratieverständnis: konzeptionelle Bezugsrahmen
Kapitel 3. Medien, Zivilgesellschaft und 'Kiez': Kontexte des (Wieder-)Aufbaus der politischen Öffentlichkeit in Brasilien3
Kapitel 4. Politische Partizipation auf der lokalen Ebene: empirische Befunde
Kapitel 5. Kommunale Öffentlichkeiten
Schlußbetrachtung: Bilanz und Perspektiven
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang

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Sérgio Costa Dimensionen der Demokratisierung

BERLINER LATEINAMERIKA-FORSCHUNGEN Herausgegeben von Dietrich Briesemeister, Reinhard Liehr, Carlos Rincón, Renate Rott und Ursula Thiemer-Sachse Band 6

BERLINER LATEINAMERIKA-FORSCHUNGEN

Sergio Costa

Dimensionen der Demokratisierung Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und lokale Partizipation in Brasilien

VERVUERT VERLAG FRANKFURT AM MAIN 1997

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Costa, Sérgio: Dimensionen der Demokratisierung : Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und lokale Partizipation in Brasilien / Sérgio Costa. Frankfurt am Main : Vervuert, 1997 (Berliner Lateinamerika-Forschungen ; Bd. 6) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1996 ISBN 3-89354-156-X

NE: GT © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1997 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

5

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Tabellen Abkürzungen Vorwort Einleitung

7 7 9 13

Kapitel 1 Auf der Suche nach einer Begriffsbestimmung: Einführung in die CivilSociety-Debatte 1.1 Begriffsgeschichtliche Hintergründe 1.2 Das zeitgenössische Comeback des Konzepts der Zivilgesellschaft 1.2.1 Die emphatische Variante 1.2.2 Die gemäßigte Deutungsrichtung 1.3 Zur Fortführung der Debatte 1.4 Die brasilianische Rezeption

19 19 23 25 29 30 33

Kapitel 2 Öffentlichkeit und zeitgenössisches Demokratieverständnis: konzeptionelle Bezugsrahmen 2.1 Die funktionalistische Konzeption 2.2 Die diskurstheoretische Ansicht 2.3 Vergleich der Modelle

43 43 45 48

Kapitel 3 Medien, Zivilgesellschaft und 'Kiez': Kontexte des (Wieder-)Aufbaus der politischen Öffentlichkeit in Brasilien 3.1 Die Öffentlichkeit in Brasilien 3.1.1 Politische Aspekte 3.1.2 Die Medienlandschaft 3.2 Der Aufbau der Öffentlichkeit in Brasilien 3.2.1 Jüngste Transformationen im Medienbereich 3.2.2 Aufbau der Zivilgesellschaft 3.2.3 Aufrechterhaltung und Erweiterung der 'kleinen' Öffentlichkeiten

51 52 52 56 58 58 61 66

Kapitel 4 Politische Partizipation auf der lokalen Ebene: empirische Befunde 4.1 Kommunalverwaltung und politische Beteiligung 4.1.1 Lokale historische Hintergründe

69 72 72

6 4.1.2 Die 'partizipativen Verwaltungen' (1983 - 1988) 4.1.3 Jüngste Entwicklungen (1989 - 1994) 4.2 Dynamik der lokalen Zivilgesellschaft

76 84 88

Kapitel S Kommunale Öffentlichkeiten 5.1 Medienvermittelte Öffentlichkeit 5.1.1 Hörfunk und Fernsehen 5.1.2 Printmedien 5.1.3 Neue Entwicklungen 5.2 Parlamentarische und behördliche Öffentlichkeit 5.3 Mit organisierten Gruppen zusammenhängende Öffentlichkeit 5.4 Kleine Öffentlichkeiten Schlußbetrachtung: Bilanz und Perspektiven Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit: Demokratie als Agenda-Setting? Lokale Demokratie oder Instrumentalisierung der Partizipation? Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit und lokale Partizipation in Brasilien: die unvollendete Demokratisierung Quellen- und Literaturverzeichnis Bücher, Dissertationen und Aufsätze Dokumente Radiosendungen und Tageszeitungen Andere zitierte Periodika Interviews Anhang Erläuterungen zum Aufbau der Feldforschung 1. Phase: Materialsammlung von Sekundärquellen Aufbereitungsverfahren 2. Phase: Interviews mit Vertretern lokaler Gruppen, Stichprobenauswahl Aufbereitungsverfahren 3. Phase: Interviews mit qualifizierten Informanten Aufbereitungsverfahren Zur Teilnahme studentischer Hilfskräfte an der Feldforschung Leitfaden für die Interviews mit Vertretern lokaler Organisationen Personenverzeichnis

101 101 101 103 106 108 112 117 121 123 125 127 139 140 140 141 143 143 144 145 146 146 147 147 148 149

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Verzeichnis der Thbellen Tab. 4.1: Bevölkerungszuwachs

73

Tab. 4.2: Institutionelle Mechanismen der Partizipationspolitik Vergleichender Überblick

79

Tab. 4.3: Bustarife zu ausgewählten Zeitpunkten in Governador Valadares

88

Tab. 4.4: Organisationen nach Entstehungszeit bzw. Zweck in Uberländia, Governador Valadares und Juiz de Fora

89

Abkürzungen Politische ARENA MDB

Parteien

PT

Alianija Renovadora Nacional - Allianz der Nationalen Erneuerung Movimento Democrático Brasileiro - brasilianische demokratische Bewegung Partido Demócrata Cristäo - Christlich Demokratische Partei Partido Democrático e Social - Soziale und Demokratische Partei Partido Democrático Trabalhista - Demokratische Partei des Trabalhismo Partido do Movimento Democrático Brasileiro - Partei der brasilianischen demokratischen Bewegung Partido Popular - Volkspartei Partido Progressista - Fortschrittspartei Partido da Social Democracia Brasileira - Partei der Brasilianischen Sozialdemokratie Partido dos Trabalhadores - Arbeiterpartei

PTB

Partido Trabalhista Brasileiro - Brasilianische Partei des Trabalhismo

PDC PDS PDT PMDB PP' PP" PSDB

Andere ACIUB AMAC ANPOCS

Associa9äo Comercial e Industrial de Uberländia - Handels- und Industrieverband Uberländias Associalo Municipal de Asäo Comunitària - Stadtvereinigung gemeinschaftlichen Handels, Juiz de Fora Associafäo Nacional de Pós-Graduafào e Pesquisa em Ciencias Sociais - Brasilianischer Verein für Fortbildung und Forschung in den Sozialwissenschaften

8 CDL CIMI CPM CPT CUT DIAP DIEESE

FAMOG FEP GAC GEMA IBASE IPPLAN NAC NRO PMDES PROECI SEMOV STO

Clube de Diretores Lojistas - Verband der Ladeninhaber Conselho Indigenista Missionàrio - Rat der Indianermissionen Centros de Porte Mèdio - Mittelzentren (Entwicklungsplan) Comissäo Pastoral da Terra - Landespastoral Central Unica dos Trabalhadores - Zentralunion der Arbeiter (Gewerkschaftsbund) Departamento Intersindical de Assessoria Parlamentar - Übergewerkschaftliche Abteilung für parlamentarische Beratung Departamento Intersindical de Estudos e Estatísticas Sociais e Económicas - Übergewerkschaftliche Abteilung für soziale und wirtschaftliche Studien und Statistiken Federafäo de Associa9öes de Moradores de Governador Valadares Föderation der Stadtteilorganisationen Governador Valadares' Fòrum de Entidades Populares - Forum von Volksorganisationen, Uberländia Grupo de A?äo Comunitària - Arbeitsgruppe gemeinschaftlichen Handelns, Juiz de Fora Grupo de Estudos do Meio Ambiente - Arbeitsgruppe Umwelt, Juiz de Fora Instituto Brasileiro de Análise Social e Econòmica - Brasilianisches Institut für soziale und wirtschaftliche Analysen Intituto de Pesquisa e Planejamento - Forschungs- und Planungsinstitut, Juiz de Fora Nucleo de A?äo Comunitària - Arbeitskreis gemeinschaftlichen Handelns, Juiz de Fora Nichtregierungsorganisation(en) Piano Mineiro de Desenvolvimento Econòmico e Social - Ökonomischer und sozialer Entwicklungsplan, Minas Gerais Programa Estadual de Cidades Intermediários - Landesprogramm für Mittelstädte, Bundesstaat Minas Gerais ServifO Municipal de Obras de Viafäo - Stadtbauamt, Governador Valadares Stadtteilorganisation(en)

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Vorwort Während der Zeit der politischen Transitionsprozesse insbesondere in den lateinamerikanischen Ländern, die von Militärdiktaturen beherrscht wurden, also vor allem in Chile, Brasilien und Argentinien, kam den sozialen Bewegungen, die außerhalb des Systems der vormals etablierten politischen Vertretungen entstanden, eine große Bedeutung zu. Während die traditionellen Organisationen, d.h. Gewerkschaften, Parteien oder andere Gruppierungen der Gesellschaft streng überwacht oder aufgelöst und die aktiven Mitglieder verfolgt wurden, entstand - zumeist auf der Basis der Wohnviertel - eine neue Form von politischen Gruppierungen, die einen sozialen Protest artikulierten, der von Seiten des Staates kaum mit den üblichen Mitteln der Repression und geheimdienstlicher Überwachung zu kontrollieren war. Auch unter den Angehörigen der 'alten Linken', die noch an marxistische Transformationsvorstellungen der Gesellschaft gebunden war, begann ein überraschender Prozeß der Wahrnehmung und des Umdenkens. Der Begriff der 'zivilen Gesellschaft' wurde - quer durch die Schichten und Gruppierungen - ein zentrales Schlagwort im Widerstand gegen die Staatsgewalt, Willkür und autoritäre Herrschaftsformen; allerdings beinhaltete er in der Alltagspraxis wie in der wissenschaftlichen Diskussion höchst unterschiedliche Zuschreibungen und Definitionen, nur vereinigt durch die realpolitischen Konstellationen, die Gegnerschaft gegen die Militärs oder autoritäre Machtausübung. Auch nach den erfolgten Transformationsprozessen, der Rückkehr zu den Formen der parlamentarischen Demokratie, blieb diese Hoffnung auf ein Mehr an Demokratie und Mitbeteiligung mit diesem zentralen Begriff verbunden; er fand und findet eine breite Rezeption in allen lateinamerikanischen Ländern wie heute in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. In der Arbeit von Sergio Costa werden einige Aspekte der Transitionsprozesse für ein Mehr an Demokratie am Beispiel Brasiliens behandelt. Das zentrale Forschungsinteresse ist dabei bewußt nicht auf die Beschreibung und Analyse der 'klassischen' Akteure, d.h. Parteien, Gewerkschaften oder etwa die Wahlforschung, die Meriten und Hindernisse für die Durchsetzung des parlamentarischen Systems, ausgerichtet. Die Fragestellung wird bestimmt von der Suche nach Manifestations- und Repräsentationsformen von neuen Gruppierungen, Akteuren und Akteurinnen oder Kommunikationsformen, die außerhalb des etablierten politischen Systems anzusiedeln sind, salopp und hoffnungsvoll formuliert, Manifestationen einer 'Demokratie von unten' sein können. Eine zentrale theoretische Fragestellung in der vorliegenden Arbeit bildet die kritische Untersuchung des Begriffes der zivilen Gesellschaft und seine Rezeption in der brasilianischen wissenschaftlichen Diskussion. Den zweiten wichtigen theoretischen

10 Bezugspunkt stellt die Analyse des Zusammenhanges zwischen dem Begriff der Öffentlichkeit und dem zeitgenössischen Demokratieverständnis dar, die funktionalistische und diskurstheoretische Position. Die Beschreibung des komplexen Geflechtes von Öffentlichkeit, vertreten durch die Medien (Printmedien wie auch das weitaus wirksamere Fernsehen), Zivilgesellschaft und Basis - letztere bei Sergio Costa höchst unbrasilianisch, sondern berlinerisch 'Kiez' benannt, womit das 'Milieu', die Lebenswelt, der eigene, noch überschaubare Lebensraum der Familie und des Wohnviertels umschrieben wird - und deren Beitrag für den demokratischen (Wieder)Aufbau Brasiliens bereiten die Diskussion für den empirischen Teil der Arbeit vor: Die Untersuchung der sozialen Bewegungen und Organisationen in drei Städten (Uberländia, Juiz de Fora, Governador Valadares) seines Heimatstaates Minas Gerais. Der Bundesstaat Minas Gerais war seit Ende der 70er Jahre bahnbrechend mit seinen Versuchen, Formen der Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und den Organisationen der Stadtviertel zu suchen. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung in den drei Städten geben keineswegs Anlaß zu der euphorischen Hoffnung, die noch anfangs der 80er Jahre in den Basisbewegungen den Urquell der Demokratisierung von unten gesehen hatten, Einschätzungen, die insbesondere auch von wohlmeinenden ausländischen Beobachtern vertreten wurden. Die Euphorie scheint nicht angebracht, keineswegs aber ein plattes eindimensionales Kooptationsschema, weil für unterschiedliche Gruppierungen auch verschiedene Handlungsspielräume und Konstellationen genutzt wurden, auch Öffentlichkeit mit Hilfe der Medien für Problembereiche oder Randgruppen geschaffen werden konnte, die früher undenkbar schien. Die in den Basisbewegungen gemachten Erfahrungen ermöglichten Einfädelungsstrategien in den Bereich organisierter politischer Vertretungen, also auch Lernprozesse; zu diesem Prozeßcharakter gehört allerdings auch die große Gefahr der Instrumentalisierung, sei es durch Politiker oder Parteien. Die vergleichenden Fallstudien in den drei Städten gehen den neuen Formen der Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen in den 80er Jahren nach, als die autonom entstandenen Organisationen der Einwohnerschaft eines Stadtviertels oder einer Stadtrandsiedlung wichtige Ansprechpartnerinnen der Stadtverwaltung wurden. Aber gerade diese zeitweise enge Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung führte viele Stadtteilorganisationen in eine chronische Legitimationsnot. Die Partizipationsrhetorik von Seiten der offiziellen Vertreter der Stadtverwaltung verdeckte oft die Versuche, die freiwilligen Zusammenschlüsse der Einwohnerschaft für die - eigene oder parteipolitische - Legitimationsbeschaffung zu instrumentalisieren. Nicht nur für die untersuchten Gruppen bzw. brasilianische Städte dürfte gelten, daß der Anpassungsprozeß an die 'Imperative der Politik' (Verhandlungsfähigkeit, Flexibilität, Kompromißbereitschaft, taktische Erwägungen u.a.) eine Reduzierung der internen Kommunikation und den Zerfall des basisdemokratischen Repräsentationsgehaltes mit sich brachte oder bringen kann.

11 Die vorliegende Arbeit entstand - zumindest in ihrer schriftlichen Version - an einem Ort, an dem sich in dieser Zeit in sehr wahrnehmbarer Form, in der Alltagserfahrung wie in der intellektuellen Diskussion, die Folgen der Wende beobachten und tagtäglich erleben ließen: Und auch dies war und ist ein Beispiel für Transitionsprozesse, die Schwierigkeiten wie Möglichkeiten für ein Mehr an Partizipation, Öffentlichkeit und Demokratie, eine Plattform für neue Akteure und Akteurinnen. Wenn ich mir eine persönliche Bemerkung, jenseits eines Vorwortes, erlauben kann: Ich finde, Sergio Costa hat seine Zeit an diesem Ort - Berlin - gut genutzt, um ein 'Basisproblem einer Basisdemokratie' zu analysieren, das über Brasilien hinaus von Relevanz ist. Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, im September 1996

Renate Rott

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Einleitung Spätestens im Jahre 1994 anläßlich ihres XVI. Weltkongresses erkannten die Politologen an, daß Demokratisierung, Hauptthema jener Begegnung, mehr als der bloße Aufbauprozeß einer liberaldemokratischen Ordnung bedeutet. Danach wurde Demokratisierung allgemein zu einem "infusing of elements of populär control into the structures and processes of political governance" (IPSA 1994:14f). Auf dieser Definition beruht die Generalisierbarkeit des Konzeptes und darüber hinaus das Interesse von Wissenschaftlern aus den verschiedensten Regionen unseres Planeten, sich mit dem Begriff auseinanderzusetzen. Demokratisierung bezieht sich also sowohl auf die Einführung klassischer liberaldemokratischer Instrumente (freie Wahlen, ein mit gewissen Entscheidungsbefugnissen ausgestattetes Parlament, zugelassene Parteien, Meinungsfreiheit usw.) in nichtdemokratische Länder als auch auf die Verbesserung im Sinne einer Erweiterung der effektiven Partizipationsmöglichkeiten bzw. -motivationen in den bereits etablierten Demokratien. Im ersten Fall sollte sich die Demokratisierung auf der institutionell-politischen Ebene abspielen, im zweiten hingegen vornehmlich im sozialen, ökonomischen und kulturellen Bereich (ebd.). Diese Darstellung zweier unterschiedlicher Demokratisierungsstränge, so nah sie dem politischen Common Sense liegen mag, wird meines Erachtens den real existierenden Demokratisierungskontexten nicht ganz gerecht. Einerseits setzt die Verbesserung der bereits existierenden Demokratien eine permanente Veränderung des Institutionengefüges voraus, das sich den dynamischen gesellschaftlichen Ansprüchen anpassen muß, wenn die Unstimmigkeiten zwischen den Bürgererwartungen und der legalen Ordnung ausgeglichen werden sollen. Andererseits impliziert die Demokratisierung nichtdemokratischer Länder eine synchrone gesellschaftsweite Diskussion über den Charakter der neuen politischen Ordnung, die sich im Aufbau befindet, und beschränkt sich somit nicht auf die (Re-)Etablierung 'neutraler' demokratischer Institutionen. Sie ergibt sich aus den veränderten gesellschaftlichen Machtkonstellationen und reflektiert mehr oder weniger die Forderungen neuer bzw. relevant gewordener sozialer Akteure, die für angemessene Ausdrucks- bzw. Vermittlungsmöglichkeiten ihrer Belange eintreten. Damit stellt die Demokratisierung autoritärer Regimes einen Prozeß dar, der beide oben dargestellte Demokratisierungsmomente umfaßt; sie entspricht dem institutionellen Aufbau einer liberaldemokratischen Ordnung und gleichzeitig der Auseinandersetzung um ihre Erweiterung und Verbesserung. Die vorliegende Arbeit behandelt einige Kontexte und Aspekte der brasilianischen Demokratisierung. Dabei liegt das Zentrum des Forschungsinteresses nicht bei der

14 Beschreibung und Analyse des Wiederaufbaus klassischer demokratischer Institutionen, sondern bei den außerhalb des politischen Systems anzusiedelnden Demokratisierungsakteuren und ihrer Suche nach neuen Manifestations- und Repräsentationsformen. Dieser Interessenfokus bedingt die Auswahl der berücksichtigten Literatur. Die vornehmlich auf der Diskussion der Bedingungen für die Konsolidierung einer Liberaldemokratie in den nichtdemokratischen Ländern basierende Transitionsforschung, deren Entwicklung weltweit renommierte Sozialwissenschaftler wie Alfred Stepan, Guillermo O'Donnell, Scott Mainwaring, Philippe Schmitter, J. Samuel Valenzuella, A. Przeworski (vgl. v. a. O'Donnell, Schmitter & Whitehead 1986; Stepan 1989; Mainwaring, O'Donnell & Valenzuella 1993; Schmitter 1993; Przeworski 1986) und hierzulande Nohlen (vgl. Nohlen 1986, 1994 und Nohlen & Thibaut 1994) vorantrieben, rückt in den Hintergrund. Ich greife dennoch auf ihre Diagnosen der demokratischen Defizite in Lateinamerika (Rechtlosigkeit, Mangel im Parteiensystem, Feudalisierung des Staatsapparats usw.) mehrmals zurück. In einem anderen theoretischen Kontext befinden sich Autoren, die anhand von Stichworten wie 'Demokratie von unten' (Roth 1994a, 1994b), 'reflexive Demokratie' (Schmalz-Bruns 1992, 1994a, 1994b, 1994c, 1994d), 'associative democracy' (Cohen & Rogers 1994) teils sich ergänzende teils gegensätzliche Konzepte für eine Korrektur der demokratischen Unzulänglichkeiten in den bereits konsolidierten rechtsstaatlichen Ordnungen skizzieren. Bei solchen Verbesserungsvorschlägen geht es generell um die Identifikation neuer öffentlicher Ausdrucksformen und die Einrichtung neuer Repräsentationskanäle, die eine aktive Einflußnahme der Bürger durch ihre Bewegungen und Organisationen auf die Politik ermöglichen sollen. Hier sind ebenfalls Autoren einzuordnen, die durch Rekurs auf den rehabilitierten Begriff der Zivilgesellschaft versuchen, das Verhältnis Markt: Staat: Gesellschaft in den demokratischen Nationen neu zu definieren. Aus dieser aktuellen Debatte um die Zivilgesellschaft, stammen die wichtigsten theoretischen Anregungen für die vorliegenden Reflexionen. Dabei handelt es sich also um die Erforschung einerseits der mutablen Handlungsspielräume, die im Rahmen der Demokratisierung den zivilgesellschaftlichen Akteuren in Brasilien zur Verfügung stehen, andererseits um die Beiträge dieser Akteure zur Konsolidierung und Erweiterung der brasilianischen Demokratie. Die Untersuchung entfaltet sich auf zwei verschiedenen Ebenen. Zuerst werden nach einigen theoretischen Ausführungen jüngste Transformationsprozesse der brasilianischen Öffentlichkeit dargestellt und dabei die Entstehung neuer sozialer Akteure und ihr Beitrag zur Ausdehnung des öffentlichen Themenspektrums hervorgehoben. Diese Darstellung leitet eine vergleichende Fallstudie ein, in der, anhand einer Beschreibung des Entstehungs- und Entwicklungsprozesses zivilgesellschaftlicher Organisationen in drei brasilianischen Städten, die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen

15 dieser Akteure auf der lokalen Ebene behandelt werden. Aus der Berücksichtigung dieser beiden empirischen Bereiche ergibt sich die Gliederung der Arbeit. Das erste Kapitel dient dem begrifflichen und thematischen Einstieg in die behandelten Problemfelder. Hier wird auf die wichtigsten Positionen in der zeitgenössischen Debatte um die Zivilgesellschaft sowie ihre Rezeption in Brasilien eingegangen und die These aufgestellt, daß das aktuelle 'Projekt' der Zivilgesellschaft neue Perspektiven für die brasilianische Demokratisierung - im Sinne einer Verbesserung der bereits bestehenden liberaldemokratischen Institutionen - mit sich bringt. Es stellt in diesem Sinne die konzeptionelle Fortsetzung der Demokratiebewegung dar, die sich beim Zerfall des Militärregimes herausbildete. Ferner wurde ein operationales Konzept von Zivilgesellschaft herausgearbeitet, das die Erfassung der 'zivilgesellschaftlichen Akteure' methodologisch ermöglichen soll. Das zweite Kapitel vertieft auf der theoretischen Ebene die Diskussion über spezifische Handlungsräume zivilgesellschaftlicher Akteure. Dabei wird durch den Vergleich eines funktionalistischen und eines diskurstheoretischen Konzeptes von Öffentlichkeit der Frage nachgegangen, welche Funktionen und darüber hinaus welche Einflußmöglichkeiten auf die Dynamik moderner politischer Öffentlichkeit den Akteuren der Zivilgesellschaft zugeschrieben werden können. Hier soll eine wichtige methodologisch-theoretische Limitation der vorliegenden Arbeit vorweg expliziert werden. In der diskurstheoretischen Perspektive erfüllt die demokratische politische Öffentlichkeit zwar eine bedeutende gesellschaftliche Vermittlungsfunktion, indem sie als Ausdrucksebene für die Spannungen zwischen den gesellschaftlichen Forderungen und der bestehenden sozialen Ordnung fungiert. Doch erst wenn die nicht zufriedengestellten Ansprüche in das Rechtssystem aufgenommen werden, kann die dabei entstandene Unstimmigkeit zwischen 'Legalität und Legitimität' aufgelöst werden (Habermas 1987; 1992c:464; vgl. auch Freitag 1995). Im vorliegenden Beitrag wird die Rolle des Rechtssystems sowohl auf der theoretischen als auch auf der empirischen Ebene kaum berücksichtigt. Ich konzentriere mich auf den Bereich der politischen Öffentlichkeit, um so die in sie hineingetragenen Kommunikationsimpulse und die daraus folgenden unmittelbaren politischen Reaktionen zu untersuchen. Die Behandlung langfristiger Auswirkungen der veränderlichen Machtkonstellationen und der Einflußgewinnung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen im Bereich des Rechtssystems hätte die komplexe Nebeneinanderstellung öffentlich gemachter Ansprüche und der Entwicklung ihrer rechtlichen Bearbeitung erfordert, eine Operation, die im Rahmen meiner Fragestellung nicht hätte eingeordnet werden können. Die im Kapitel 2 theoretisch eingeführte Beschäftigung mit der Öffentlichkeit geht im Kapitel 3 auf der empirisch-analytischen Ebene weiter. Hier wird anhand einer Beschreibung der Dynamik der brasilianischen Öffentlichkeit und ihrer jüngsten Veränderungen die Frage thematisiert, ob sich eine im funktionalistischen und diskurstheoretischen Sinne demokratische Öffentlichkeit in Brasilien herausbildet. Dies im-

16 pliziert einerseits die Untersuchung der Fähigkeit dieser Öffentlichkeit, Themen aufzunehmen, zu verarbeiten und weiterzuvermitteln. Andererseits geht es darum, ihre Durchlässigkeit für die im Rahmen der Lebensbereiche wahrgenommenen Problemlagen zu überprüfen. Mit den beiden letzten Kapitel bzw. der angefügten Erläuterung zur Feldforschung gehen wir auf die Fallstudie und damit auf die lokale Ebene ein. Im Kapitel 4 wird die Beschäftigung mit der Öffentlichkeit als Handlungsebene zivilgesellschaftlicher Akteure zunächst hintangestellt. Hier wird das Augenmerk primär auf andere Formen politischer Einflußnahme gelenkt. Im Vordergrund steht nicht die Teilnahmemöglichkeit am Generierungsprozeß der öffentlichen Meinung und über diese indirekte Form an den Entscheidungsprozessen, sondern die unmittelbare Teilnahme der Akteure der Zivilgesellschaft an der Politik, wobei diese Beteiligung einer Vitalisierung der örtlichen Öffentlichkeit entspricht. Das Interesse, direkte politische Partizipationserfahrungen zu erforschen, gab auch für die Auswahl der untersuchten Kommunalkontexte den Ausschlag. In die drei untersuchten Städte im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais - Uberländia, Juiz de Fora und Governador Valadares - wurden in den 80er Jahren Formen der Bürgerbeteiligung eingeführt und den zivilgesellschaftlichen Organisationen Partizipationsmöglichkeiten durch die Stadtverwaltung geboten, die über die generell in anderen Städten bestehenden politischen Teilnahmeoptionen bei weitem hinausgingen. Die Vielgestaltigkeit der Probleme, die die politische Inanspruchnahme dieser Akteure bereitete, macht aus den ausgewählten Städten ein vielversprechendes Terrain für eine lokale Untersuchung des demokratisierenden Potentials der Zivilgesellschaft. Das Kapitel 5 setzt die Diskussion über die Demokratisierung auf der Kommunalebene fort, allerdings aus einer anderen Perspektive. Die direkte Partizipation rückt in den Hintergrund und die Thematik der Öffentlichkeit und die damit zusammenhängenden indirekten Beeinflussungsformen der politischen Entscheidungen wieder in den Mittelpunkt. Auch hier fungiert die Untersuchung des (lokalen) Demokratisierungsgehaltes zivilgesellschaftlicher Akteure und ihrer mutablen Handlungszusammenhänge als Leitmotiv der Reflexion. Im Kapitel 5 läßt sich mein wenig orthodoxer Umgang mit dem in diese Arbeit einbezogenen Theorieangebot besonders deutlich beobachten. Der Anschluß an die Civil-Society-Debatte soll schließlich keine Festlegung an das Zivilgesellschaftsparadigma darstellen. Wenn es dabei um die Beschreibung empirisch naheliegender Kausalitätszusammenhänge geht, so wird auch auf weniger anspruchsvolle (funktionalistische) Erklärungsmuster zurückgegriffen. Zuletzt wird in der Schlußfolgerung versucht, die untersuchten Prozesse in die Horizonte einer Reflexion über die politische Belastbarkeit zivilgesellschaftlicher Akteure und ihre angemessene Einordnung in die ungleiche Demokratisierung Brasiliens zu projizieren.

17 Die vorliegende Arbeit, die als Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines "Dr. phil." an der FU Berlin im Januar 1996 angenommen wurde, wäre ohne die emotionale, intellektuelle und materielle Hilfe verschiedener Menschen und Institutionen nicht zustande gekommen. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei all jenen bedanken, die mich unterstützt haben: Renate Rott möchte ich für die gewissenhafte Betreuung danken. Ihre akademische Haltung ist für mich ein Vorbild konsequenter wissenschaftlicher Praxis. Barbara Freitag-Rouanet, Zweitgutachterin, sowie Marianne Braig, Roland Roth und Volker Lühr gilt mein Dank für ihre Teilnahme an der Prüfungskommission. Ihre anregenden Kommentare sehe ich zugleich als Ansporn und Herausforderung, mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Den Teilnehmerinnen des von Prof. R. Rott geleiteten akademischen Kolloquiums, in dem Teile dieser Arbeit besprochen wurden, verdanke ich zahlreiche Vorschläge. Das Gleiche gilt für die Teilnehmerinnen des von Prof. V. Lühr und Prof. C. Rincön veranstalteten "Coloquio Interdisciplinario" am Lateinamerika-Institut und des von Prof. A. Honneth geleiteten Kolloquiums am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Merces Somarriba unterstützte mich bei der Feldforschung. Luciana Lima, Andreia dos Santos, Luiz Arantes, Alessandra Marques, Patricia Pinheiro, Luciana Cruz danke ich für die engagierte Mitarbeit bei der Datenerhebung, sowie meinen Interviewpartnern und Informanten für ihre Bereitschaft und Geduld. Der CNPq förderte mich mit einem Promotionsstipendium, und die Ford Foundation/ANPOCS stellten die erforderlichen Mittel für die Feldforschung bereit. Ursula Ferdinand und Christoph Wichtmann motivierten mich mit mancher Kritik und lasen geduldig Korrektur. Christoph kümmerte sich außerdem um die Gestaltung des druckfertigen Manuskripts. Schließlich gilt mein besonderer Dank Sabine, die mit viel Verständnis und Entgegenkommen alle Fortschritte und Probleme dieser Arbeit mitgelebt hat, auch danke ich Luta, Zeze, Gerda und Helmut für ihren affektiven und moralischen Beistand.

19

Kapitel 1 Auf der Suche nach einer Begriffsbestimmung: Einführung in die Civil-Society-Debatte Die Anwendung eines Begriffs, der so alt ist wie die Politikwissenschaft und dem im Laufe seiner 'Karriere' unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben wurden, bedarf einer Klärung: Man sieht sich dazu gezwungen, sich darüber zu äußern, von 'welcher' Zivilgesellschaft man redet bzw. an welche Denktradition man gebunden ist. Im vorliegenden Kapitel wird anhand eines knappen Überblicks über die zeitgenössische Diskussion der Zivilgesellschaft und ihre Rezeption in Brasilien versucht, das Konzept zu umreißen, das der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegt. Meine Intention ist es nicht, die Debatte zum Konzept Zivilgesellschaft gewissenhaft und erschöpfend wiederzugeben. Dies würde, wie der knapp 800 Seiten starke Band von Cohen & Arato (1992) beeindruckend klar macht, den Rahmen dieser Einführung weitaus sprengen. Außerdem liegen bereits mehrere Literaturberichte, Sammelbesprechungen und Sonderhefte zum Thema vor (vgl. u.a. Gransow 1990; Ely 1992, Sölter 1993, Tatur 1994, Zeitschrift Das Argument 1994, H. 4/5, Forschungsjournal NSB 1994, H.l), die eine systematische Übersicht der wichtigsten Diskussionsstränge anbieten. Ich beschränke mich auf eine selektive Darstellung von Autoren und Aspekten der Debatte, die für die Schilderung meines eigenen Untersuchungsinteresses relevant sind.

1.1 Begriffsgeschichtliche Hintergründe Der Terminus Societas civilis entstand ursprünglich als die lateinische Übersetzung des von Aristoteles geprägten Begriffes koinonia politike. Dabei entspricht der Zivilgesellschaft eine 'public ethical-political community' von Ebenbürtigen, deren Zusammenleben auf einem von allen Gesellschaftsmitgliedern geteilten Ethos basiert (vgl. Cohen & Arato 1992:84). Diese klassische Definition, in der Staat und Gesell-

20 schaft untrennbar gekoppelt sind, herrschte bis zum 18. Jahrhundert vor. Die Einheitlichkeit Staat/Gesellschaft wurde erst von A. Ferguson in seinem 'Essay on the History of Civil Society' (1767) bestritten: Durch sein Plädoyer für die Einführung von 'Bürgerverbindungen' (Jurys, Milizen usw.), welche die Gesellschaft gegen den Staat verteidigen können, macht Ferguson deutlich, daß der Staat keine unmittelbare Verlängerung der (Zivil)Gesellschaft ist (vgl. Gransow 1990). T. Paine geht in seiner Studie über die Menschenrechte (1791-2) über Fergusons Konzept hinaus, indem er zugunsten der Aufrechterhaltung der Zivilgesellschaft für die Einschränkung der Staatsgewalt eintritt (ebd.). Erst im Werk H e g e l s nimmt allerdings die Zivilgesellschaft - bei ihm 'bürgerliche Gesellschaft' - ein effektives theoretisches Gewicht an. Dabei wird sie als eine gesellschaftliche Ebene definiert, die mit dem Aufbruch der Moderne entstanden und zwischen den Familien und dem Staat angesiedelt ist (vgl. Freitag 1992:63ff; Inwood 1992:53). Die Hegeische bürgerliche Gesellschaft bezieht sich sowohl auf ein System der Bedürfnisse' (die Sphäre der Wirtschaft) als auch auf die 'Rechtspflege', den Verwaltungsapparat ('Polizey') und die 'Corporation' (vgl. Hegel 1974:639). Die Rechtspflege und die Verwaltung sollen den Markt regulieren und die soziale Ordnung aufrechterhalten (ebd.:653ff). Die Korporation stellt wiederum als 'sittliche Institution' ein Beziehungsgefüge dar, in dem die Individuen miteinander solidarisch verbunden sind ("eine zweite Familie"), so daß dem vom Markt beförderten Partikularismus entgegengewirkt wird (ebd.:687ff). Die Hegeische bürgerliche Gesellschaft weist somit eine Ambivalenz auf, die sich durch die simultane Beförderung einer "Sittlichkeit" bzw. "Gegensittlichkeit" übersetzen läßt (vgl. Arato 1994b): Einerseits umfaßt die bürgerliche Gesellschaft das System der Bedürfnisse, in dem Individuen ihren eigenen Interessen nachgehen, womit negative Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Gemeinwesens bzw. der gesellschaftssolidarischen Bindungen einhergehen. Gleichzeitig enthält die Hegeische bürgerliche Gesellschaft intermediäre Organisationen und Vereinigungen (Korporationen), als ein wichtiges Standbein einer 'neuen Sittlichkeit'1. In seinem Werk nimmt M a r x vom Idealismus Abschied, der ihm zufolge der deutschen Philosophie seiner Zeit, einschließlich des Hegeischen Ansatzes, innewohnt. Dem Idealismus setzt Marx den historischen Materialismus entgegen. Dabei 1

Mit 'neuer Sittlichkeit' wird hier der Unterschied zur antiken Sittlichkeit markiert, die der ersten Lösung Hegels zur Versöhnung der Dichotomie von Individuum und Gemeinwesen in der Moderne zugrunde liegt (vgl. Dellavalle 1994:191f, 1950- In dieser ersten Phase - die Berner Zeit - bezeichnete Hegel die griechische polis als ein noch tragfähiges Modell für die politische Erneuerung in der Neuzeit. Dellavalle (ebd.) zufolge erwies sich diese erste Antwort allerdings normativ als unbefriedigend, denn in diesem Muster wurden die Individualitäten unter die Totalität subsumiert. Später (d.h. während seines Aufenthalts in Heidelberg bzw. Berlin) formulierte Hegel die Konzeption einer 'neuen Sittlichkeit', die den Anforderungen der Moderne entsprechen sollte und auf drei Grundelementen basiert, nämlich, einer "Rechts- und Staatslehre", der "Idee einer bürgerlichen Gesellschaft" und "der Konzeption einer freien Subjektivität" (ebd.).

21 handelt es sich um einen Versuch, die Gesamtheit der bestehenden sozialen Prozesse durch ihre materielle Genese zu erklären. Sein Ansatz läuft darauf hinaus, daß die verschiedenen geschichtlichen Zeiten sich nicht durch die Darstellungen beschreiben lassen, die in diesen Zeiten lebende Menschen über sich und ihre Epochen zum Ausdruck bringen, sondern durch die konkret herrschenden materiellen Bedingungen bzw. Produktionsverhältnisse: "[...] es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt" (Marx & Engels 1962a:26). Nach diesem Konzept modelliert die materielle, ökonomische Basis sowohl die Religion, die Philosophie und die kulturellen Ausdrucksformen als auch die bestehenden Institutionen. Das in der kapitalistischen Ordnung existierende Sozialgefüge, das das Ensemble sozialer Organisationen und entsprechender Kulturformen ebenso wie die für diesen Gesellschaftsüberbau ausschlaggebende ökonomische Basis umfaßt, nennt Marx bürgerliche Gesellschaft. Mit der bürgerlichen Gesellschaft im Marxschen Sinne wird also keine Möglichkeit der Entstehung einer 'neuen Sittlichkeit' assoziiert. In der kapitalistischen Gesellschaft ist die bürgerliche Gesellschaft gleichzeitig Quelle und Ausdruck der Herrschaft der Bourgeoisie. Die intermediären Institutionen, die Hegel zufolge den vom Markt geförderten Partikularismus zum Vorteil des Gemeinwesens entgegenwirken könnten, stellen für Marx lediglich eine andere Erscheinungsform der von den Produktionsverhältnissen determinierten Unterwerfung der Arbeiterklasse dar (vgl. Marx & Engels 1962b:464f). Ebenfalls schreibt Marx dem 'modernen Staat' keine universalistische Bedeutung zu. Er bezeichnet den Staat als einen Gewaltapparat im Dienst der herrschenden Klasse, und der Staat ist daher - wie der gesamte Überbau - als eine unmittelbare Entfaltung der ungleichen Distribution der Produktionsmittel gefaßt, die in der Wirtschaftssphäre herrscht (Marx & Engels 1962a:61ff). Er kann einen universalistischen Charakter erst dann annehmen, wenn das Proletariat als Gemeinvertreter der Untertanen an die Macht gelangt, um den Übergang in die kommunistische Gesellschaft einzuleiten. In der kommunistischen herrschaftsfreien Ordnung werden dann durch die Abschaffung der Klassen das Partikuläre und das Universelle, die Individuen und das Gemeinwesen wieder versöhnt und der Staat - und damit das gesamte Institutionsgefüge der 'bürgerlichen Demokratie' - überflüssig (vgl. Marx 1962:28). G r am sei teilt die Kritik Marx' an der bürgerlichen Ordnung, entwickelt aber eine Politiktheorie, die vielen Marxschen Thesen entgegensteht oder - wenn man es so möchte - sie dialektisch erweitert. Die Sozialontologie Gramscis bleibt nicht der Behauptung der Bestimmung des politischen bzw. ideologischen Überbaus durch die

22 materielle Grundlage verhaftet. Dabei stellt der italienische Denker fest, daß die Beherrschung einer Klasse mehrdimensional fundiert ist: Sie hängt nicht lediglich mit einer ökonomischen Vormachtstellung und der darausfolgenden Kontrolle über die Staatsgewalt zusammen, die 'Hegemonie' wird auch und gerade auf der Kulturebene geschaffen. Sie drückt also die Fähigkeit einer Klasse aus, die gesamte Gesellschaft moralisch und intellektuell zu 'führen', um einen Konsens über ihr hegemoniales Projekt auszulösen. Gramscis Ansicht zufolge findet der zwischen den Klassen vorangetriebene Kampf um die Hegemonie überwiegend auf der Ebene der Zivilgesellschaft (società civile) statt (vgl. Gramsci 1980:219f u. 228f). Die dabei erlangte kulturelle Hegemonie vollzieht sich durch die Hegemoniegewinnung auf der Ebene der politischen Gesellschaft (Staat). Damit ergibt sich das Gramscische Drei-EbenenModell der Gesellschaft: Die im Marxschen Schema dargestellte ökonomische Basis bleibt aufrechterhalten; der Marxsche Überbau entfaltet sich bei Gramsci allerdings auf zwei Ebenen: der zivilen und der politischen Gesellschaft (vgl. Jehle 1994:513 und Bobbio 1988:75ff). In seinen politischen Schriften konturiert Gramsci eine Theorie des kollektiven Handelns, die einerseits die verschiedenen intermediären Organisationen nicht außer acht läßt, andererseits aber der Partei der Arbeiterklasse diesen gegenüber eine Führungsrolle zuschreibt: "Die Arbeiterklasse hat eine ganze Reihe anderer Organisationen, die ihr im Kampf gegen das Kapital unentbehrlich sind: Gewerkschaften, Genossenschaften, Betriebskomitees, Parlamentsfraktionen, Vereinigungen parteiloser Frauen, Presse, Vereine, Kulturorganisationen, Jugendverbände [etc.]. [...] Aber wie kann die einheitliche Führung in so unterschiedlichen Organisationen erreicht werden? [...] Welches ist die zentrale Organisation, die sich ausreichend bewährt hat, um diese generelle Linie auszuarbeiten, und die dank ihrer Autorität in der Lage ist, alle diese Organisationen auf diese Linie zu orientieren, die Einheit der Leitung zu erreichen und die Möglichkeit von unbesonnenen Handlungen auszuschalten? Diese Organisation ist die Partei des Proletariats" (Gramsci 1980:111). Darüber hinaus fungiert die Partei der Arbeiterklasse als kollektiver Intellektueller, der den kulturellen Prozeß der Erweiterung des Bewußtseins der Arbeiterschaft dirigieren und gleichzeitig das danach entstandene 'höhere Bewußtsein' verkörpern sollte. Da "man gewiß nicht von jedem Arbeiter aus der Masse verlangen kann, daß er eine vollständige Vorstellung von der Funktion hat, die seine Klasse im Entwicklungsprozeß der Menschheit zu erfüllen hat" (ebd.: 117), läge es an der Partei, die Masse darüber aufzuklären, um so die Überwindung korporatistischer Differenzen innerhalb der Arbeiterklasse aufzulösen und ein neues ethisch-politisches Moment herbeizuführen (vgl. Gramsci 1991:48f). Diese von der Partei initiierte ethische Reform fände auf der individuellen und auf der kollektiven Ebene statt. Individuell wird jedes Mitglied anhand seiner Handlung in der Partei dazu geführt, durch die Beschäftigung mit nationalen bzw. intemationa-

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len Angelegenheiten über seinen limitierten Alltagshorizont hinauszugehen (vgl. Coutinho 1980:1170- Überdies ermöglichte die Partei die Umwandlung der Quantität in Qualität (Gramsci 1991:45f): Indem die Massen sich auf das Hegemonieprojekt der Partei der Arbeiterklasse einlassen, kommen sie über ihren fragmentierten und amorphen Zustand hinweg, sie werden zu einem historischen kollektiven Akteur, der die Überwindung jeglichen Partikularismus vorantreibt, um im Rahmen der sozialistischen Gesellschaft eine neue politisch-ethische Grandezza zu etablieren. Dabei lösen sich die individuell-egoistischen Belange auf, und die Einzelnen werden - so eine Verweltlichung der "christlichen Vorstellung des Communio" - zu untrennbaren Bestandteilen der Ganzheit (vgl. Buttiglione 1988:228ff). Durchaus originell bei Gramsci ist ebenfalls seine Beschäftigung mit der Öffentlichkeit bzw. der öffentlichen Meinung als Faktor der Hegemoniegewinnung. Demzufolge stellt die öffentliche Meinung den "punto di contatto tra la 'società civile' e la società politica, tra il consenso e la forza" (Gramsci 1975:914f) dar. Und weiter: "L'opinione pubblica è il contenuto politico della volontà politica pubblica che potrebbe essere discorde: perciò esiste la lotta per il monopolio degli organi dell'opinione pubblica: giornali, partiti, parlamento, in modo che una sola forza modelli l'opinione e quindi la volontà politica nazionale, disponendo i discordi in un pulviscolo individuale e disorganico" (ebd.).

1.2 Das zeitgenössische Comeback des Konzepts der Zivilgesellschaft Politisch hängt die jüngste Renaissance der Debatte um die Zivilgesellschaft mit unterschiedlichen Ereignissen zusammen. Zuerst wurde das Konzept in Osteuropa - vor allem in Polen - in den 70er Jahren wiederentdeckt und reflektierte den Widerstand gegen den allmächtigen sozialistischen Staat, der der Gesellschaft keinen autonomen Handlungsraum zugestand. Ebenso in Lateinamerika wurde das Revival der Zivilgesellschaft mit der Resistenz gegen autoritäre Regimes assoziiert. Die Zivilgesellschaft wurde zu einem zentralen Selbstverständigungsbegriff der Akteure, die sich vom Militärstaat abgrenzen wollten (vgl. Cohen & Arato 1992:31ff). Die Wiederbelebung der Diskussion um die Zivilgesellschaft beschränkte sich aber nicht auf autoritäre politische Kontexte. In den demokratischen europäischen Industriegesellschaften wurde ebenfalls seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre auf das Konzept zurückgegriffen. Die Zivilgesellschaft wurde zunächst zu einer zentralen Kategorie der sog. 'deuxième gauche' in Frankreich, die solidarisch mit der Oppositionsbewegung in Osteuropa die politische Übergröße des einstigen real existierenden sozialistischen Staates verurteilte. Gleichzeitig machte die Zweite Linke darauf auf-

24 merksam, daß auch in den kapitalistischen Nationen die Zivilgesellschaft gefährdet ist. Es wurde gezeigt, daß "all autonomous social solidarity is destroyed under the impact of the administrative penetration of society by the (capitalist) welfare State" (ebd.:37). Darüber hinaus wird die im Westeuropa beobachtete Hervorhebung der Zivilgesellschaft allgemein als ein Symptom des Attraktivitätsverlustes des Wohlfahrtsstaates dargestellt. In den Wohlstandsgesellschaften wären die Bürgerinnen zu entmündigten Klienten der Behörden degradiert worden, die keine effektiven Teilnahmemöglichkeiten an der Politik mehr hätten. In diesem Kontext stellen die unkonventionellen Formen der politischen Manifestation, die auf der Ebene der Zivilgesellschaft entstehen (soziale Bewegungen, Protestaktionen usw.), einen Ausdruck bzw. Widerstand gegen die politische Bevormundung durch den Sozialstaat (vgl. Keane 1988a: Kap. I) 2 und ein Zeichen dafür dar, daß die klassischen Formen der politischen Beteiligung (Parteien usw.) dem Partizipationsideal breiter Bevölkerungsgruppen nicht mehr entspricht (vgl. Klein 1991:77ff). Machen die Fürsprecher der Zivilgesellschaft darauf aufmerksam, daß die fortschrittliche politische Einstellung sich nicht mehr darauf beschränken dürfte, den Sozialstaat unter allen Umständen zu unterstützen, so warnen sie mit gleicher Intensität vor den Risiken des Neokonservatismus (vgl. Sassoon 1991:28ff). Insbesondere in England wurde auf die konservative Offensive verwiesen, paradigmatisch verkörpert durch die ehemalige Regierungschefin Thatcher: Es wurde davon ausgegangen, daß sie insofern eine Gefahr für die Zivilgesellschaft darstellte, als sie die Gesellschaft als solche nicht anerkannte. Für sie sei Gesellschaft eine bloße Summe vereinzelter Individuen (vgl. Dahrendorf 1991:248). Auch in den USA wird auf die Grenzen der Liberaldemokratie verwiesen. Die Kritik läuft darauf hinaus, daß das dort bestehende liberale Demokratiemodell nicht imstande sei, das Minimum an Gemeinsinn zu stiften, das eine Liberalordnung für die Erhaltung ihrer Funktionsfähigkeit in einem stark fragmentierten gesellschaftlichen Kontext voraussetzt (vgl. van den Brink 1995: lOff). Dabei werden die in der Zivilgesellschaft angesiedelten Assoziationsformen (spontane kollektive Aktionen, freiwillige Vereinigungen usw.) als Ausweg bezeichnet, um die Bürger aus der engstirnigen Verteidigung der eigenen Interessen und der damit zusammenhängenden Flucht in die Privatsphäre umzulenken und somit neue Verbundenheiten zu schaffen, "die die traditionellen Formen gesellschaftlicher Solidarität ersetzen können" (ebd.: 12). Die theoretischen Bezugsrahmen, die mit der jüngsten Wiederaufnahme des Zivilgesellschaftskonzepts assoziiert sind, reproduzieren durchaus die mannigfaltige Kon2

Dubiel (1994:68) zeigt, wie das Projekt der Zivilgesellschaft aufgrund der autoritären Fehlleitung im bestehenden Staatssozialismus und der Entstehung neuer Problemlagen (Ökologie, Geschlechterprobleme usw.) einen zunehmend attraktiven Ersatz für die aufgegebene Utopie der revolutionären Eroberung des Staates wurde. Darüber hinaus trug das Paradigma der Zivilgesellschaft "mit sich das Versprechen, für die oft theoretisch blinde Praxis sozialer Bewegungen eine neue Erklärung zu liefern".

25 stellation, die auf der politischen Ebene die Renaissance des Begriffes bedingt. Diejenigen, die sich mit dem Konzept befassen: "presuppose something like the Gramscian tri-partite framework of civil society while preserving key aspects of the Marxian critique of bourgeois society. But they have also integrated the Claims of liberalism on behalf of individual rights, the stress of Hegel, Tocqueville and the pluralists on a plurality of societal associations and intermediations, the emphasis of Dürkheim on the component of social solidarity, and the defense of the public sphere and of political participalion stressed by Habermas and Arendt" (Cohen & Arato 1989:485, Herv. im Original). Die Autoren, die sich seit den 80er Jahren im englisch- bzw. deutschsprachigen Raum an der Auseinandersetzung um die Zivilgesellschaft beteiligten, lassen sich relativ eindeutig in zwei politisch-theoretische Stränge einordnen, die Sölter (1993) treffend als emphatische bzw. moderate Interpretationsvariante bezeichnet. Zu den Repräsentanten der emphatischen Version zählen u. a. John Keane, Cohen & Arato, Michael Walzer, Charles Taylor und hierzulande Jürgen Habermas sowie das Frankfurter Trio Rödel, Frankenberg und Dubiel, das mit seinem historischen Manuskript zur demokratischen Frage (1989) der deutschen Debatte über die Zivilgesellschaft erst ein reales Gewicht verliehen hat. Prominente Vertreter der gemäßigten Deutungsströmung sind E. Shils und R. Dahrendorf.

1.2.1 Die emphatische Variante Als paradigmatisch für einen im Rahmen der emphatischen Deutungsvariante bestimmten Definitionstypus von Zivilgesellschaft, nämlich einen kommunitaristischen, gilt die Begriffsbestimmung C h a r l e s T a y l o r s . Häufig zitiert wird seine Definition der Zivilgesellschaft als: "ein Netz selbständiger, vom Staat unabhängiger Vereinigungen, die die Bürger in gemeinsamen interessierten Dingen miteinander verbinden und die durch ihre bloße Existenz oder Aktivität Auswirkungen auf die Politik haben können" (Taylor 1991:52). Darüber hinaus geht Taylor auf die Begriffsgeschichte ein, um historisch zwei unterschiedliche Auslegungen des Verhältnisses Staat/Gesellschaft darzustellen: eine auf Locke (L-Orientierung) und eine auf Montesquieu (M-Orientierung) basierende Interpretation. Der L-Orientierung geht es darum, die Selbstbestimmung der 'Bourgeois' und ihre Ungebundenheit von politischen Institutionen zu behaupten, während die MOrientierung die Notwendigkeit eines Gemeinwesens hervorhebt, das die 'citoyens' gegen despotische Herrschaftsformen schützt. Nun versucht Taylor, das Konzept einer civil society zu skizzieren, das die Tugenden, die den Citoyen- bzw. BourgeoisRollen innewohnen, aufrechterhält und die Auswüchse entsprechend ausklammert. Danach wird dem Staat die korrektive Rolle zugeschrieben, die "destruktiven Ten-

26 denzen [bürgerlicher] Privatheit zu zügeln" (Brumlik 1991:991), wobei die Ökonomie und die Öffentlichkeit die staatliche Macht limitieren. Im Beitrag J o h n K e a n e s (1988a, 1988b) besteht die Originalität darin, daß der Autor anhand einer Kritik gleichzeitig am sozialistischen Staat, an den Neokonservatismus und am verselbständigten Sozialstaat ein Projekt für die Demokratisierung des Beziehungsgefüges Staat / (zivile) Gesellschaft entwirft. Keane geht es um Vorschläge für die simultane Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit in einer demokratischen Ordnung. Dem Autor zufolge kann sich die Suche nach Gleichheit nicht auf die konventionellen Distributionsmechanismen von Gütern - Markt im Kapitalismus, Staat im Sozialismus - beschränken. Nach der Gleichheitskonzeption des Autors soll die Gütererzeugung bzw. -Verteilung auf mehreren, komplexen Gerechtigkeitskriterien basieren. Was die Suche nach Freiheit anbelangt, sollten ebenfalls die interpersonellen Unterschiede und die Vielfalt der Einzelbedürfnisse mitberücksichtigt werden. Auf der institutionellen Ebene bedarf die Verwirklichung dieses differenzierten Demokratieideals eines Staates, der, sich auf eine klare rechtliche Grundlage berufend, das Zusammenleben mannigfaltiger Privatinteressen vermittelt und der Entstehung neuer Tyrannei- bzw. Ungerechtigkeitsformen vorbeugen sollte. Darüber hinaus sollen die Machtbefugnisse der zivilen Assoziationen so erweitert werden, daß der Zivilgesellschaft eine effektive Kontrolle über die politischen Amtsinhaber gesichert wird. Damit markiert er den grundlegenden Unterschied zwischen seinem Konzept von Zivilgesellschaft und dem von den Neokonservativen, für die "civil society could only ever be synonymous with a non-state, legally guaranteed sphere dominated by capitalist corporations and patriarchal families" (Keane 1988a: 14). Im Keaneschen Sinne verliert die Zivilgesellschaft jegliche 'natural innocence': Sie läßt sich von außen her nicht einschränken, im Gegenteil, sie entspricht einer politisch dynamischen Sphäre, die permanent die Demokratisierung der staatlichen Institutionen forciert. In ähnlicher Weise argumentiert M. W a l z e r (1991), wenn er die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines von der Zivilgesellschaft kontrollierten Staates erkennt, der wiederum die Existenz eines für die Reproduktion einer freiheitlichen politischen Kultur erforderlichen sozialen Gefüges garantiert. Auch in der Formulierung Walzers gehören das normativ-politische Projekt der Zivilgesellschaft und dessen analytischtheoretischer Bezugsrahmen untrennbar zusammen, d. h. die Idee einer Zivilgesellschaft verkörpert sowohl die analytischen Instrumente für eine Sozialkritik als auch eine normative Vorstellung des 'good life'. Doch Walzer zufolge schließt das Projekt der Zivilgesellschaft verschiedene Konzepte eines guten Lebens mit ein, nämlich: • die Marxsche Vorstellung, nach der das gute Leben mit kooperativen Produktionsformen assoziiert ist; • die kommunitaristische Konzeption, die das gute Leben mit dem Rousseauschen Ideal der Ziviltugend als Gegenstück moderner sozialer Fragmentierungstendenzen assoziiert;

27 • das kapitalistische Angebot, nach dem ein 'good life' das Resultat eines ausdifferenzierten Marktes ist, der möglichst viele Wahlmöglichkeiten offeriert und • das nationalistische Argument, nach dem das gute Leben damit zusammenhängt, durch geschichtliche, Loyalitäts- und Blutbindungen einer Menschengruppe anzugehören. Nach Walzer baut das Projekt der Zivilgesellschaft auf Gruppen von Menschen auf, die sich "not for the sake of any particular formation [...] but for the sake of sociability itself' herausbilden. Die damit zusammenhängenden "social beings" seien gleichzeitig "Citizens, producers, consumers, members of the nation, and much eise besides" (ebd.:298). Geht das Befürworten der Taktik einer 'dual politics' aus den Konzeptionen Keanes bzw. Walzers implizit hervor, so nimmt dieses Plädoyer für eine Strategie der Demokratisierung, die synchron auf den institutionellen (Parlament, staatliche Institutionen usw.) und unkonventionellen (soziale Bewegungen, Protestformen usw.) Arenen ablaufen soll, bei den Formulierungen von J . C o h e n und A . A r a t o akzentuierte Konturen an. Anhand einer Auseinandersetzung mit dem liberalen Theorieangebot seit dem 19. Jahrhundert erfassen die Autoren in dieser Denktradition zwei verschiedene Interpretationsschattierungen: Zum einen handelt es sich um die utilitaristische Variante, die die Integrität der Zivilgesellschaft unmittelbar an die Marktwirtschaft bzw. an die Garantie des Privateigentums knüpft. Der zweiten Strömung geht es um die Hervorhebung der aktiven Beteiligung der Bürger über ihre freiwilligen Zusammenschlüsse an den politischen Prozessen. Cohen & Arato zeigen, daß sich das emphatische Partizipationsideal dieser zweiten Strömung nicht nur in der ursprünglichen 'amerikanischen Demokratie' - wie Tocqueville andeutete (vgl. Arato & Cohen 1984: 271 ff) - sondern auch in der modernen Gesellschaft umsetzen läßt. Voraussetzung dafür seien sowohl klassische politische Akteure (Parteien, Gewerkschaften) und rechtsstaatliche Garantien als auch Basisbewegungen, die zwar das dynamische Element einer demokratischen Erneuerung moderner Gesellschaften darstellen, die aber alleine die liberaldemokratischen Errungenschaften nicht aufrechterhalten können. Theoretisch stützen Cohen & Arato ihre Darstellung einer dualen Politik der Zivilgesellschaft auf die Übernahme bzw. Umformung des von Habermas (1981) entwikkelten Gesellschaftsmodells Lebenswelt/System. Die beiden von Habermas erfaßten systemischen Sphären (Politik und Wirtschaft) stimmen generell mit der politischen Gesellschaft bzw. der Marktebene überein, die Cohen & Arato vom dreigegliederten Gramsci-Modell übernommen haben. L e b e n s w e l t u n d Z i v i l g e s e l l s c h a f t können aber nicht unmittelbar gleichgesetzt werden. 3 Wie Cohen & Arato (1989, 1992) prägnant ausführen, verkörpert die Lebenswelt ein gemeinsames Traditionsund Inhaltsrepertoire, auf das die Individuen im Rahmen ihrer täglichen Handlung 3

Diesen Fehler (beide Kategorien - Lebenswelt und Zivilgesellschaft - als dasselbe zu betrachten) begeht Keane (1988b: 18).

28 zurückgreifen. Zugleich umfaßt die Lebenswelt sozio-interaktive Prozesse, die die Bildung der eigenen Persönlichkeit bedingen. Die Reproduktion der Lebenswelt im Sinne der Aufrechterhaltung und Erneuerung der gemeinsamen Deutungsmuster und im Sinne der Generierung von intersubjektiven Interaktionen, "involves communicative processes of cultural transmission, social integration, and socialization. And this reproduction requires institutions whose task is the preservation and renewal of traditions, solidarities and identities. It is this institutional dimension of the lifeworld (as distinguished from its symbolic-linguistic dimension) that seems to best correspondent to our concept of civil society" (Cohen & Arato 1989:495, Herv. S.C.). Cohen & Arato (1992:523ff) trennen das sozio-kulturelle Handlungsfeld nicht scharf von der politischen Arena ab. Daher werden die sozialen Bewegungen (sowie die übrigen zivilgesellschaftlichen Akteure) selber als duale Akteure bezeichnet, die sowohl die politische Kultur als auch die politischen Institutionen erneuern können. Damit kritisieren sie die anti-institutionalistische Position, die H a b e r m a s (1981:575ff) in seiner Theorie des kommunikativen Handels noch vertritt. Nach seiner Darstellung sind die Handlungsmöglichkeiten der sozialen Bewegungen - mit Ausnahme der Frauenbewegung 4 - ausschließlich auf der Ebene der Lebenswelt anzusiedeln; wobei den Bewegungen lediglich eine defensive Funktion als Abwehr gegen die systemischen Kolonisierungsversuche beizumessen ist. In 'Faktizität und Geltung' übernimmt Habermas (1992c:448) weitgehend den Korrekturvorschlag von Cohen & Arato, um den zivilgesellschaftlichen Akteuren generell einen Doppelcharakter zuzuschreiben. Nun wird Zivilgesellschaft zugleich als der Generierungsort einer 'spontanen' (lebensweltlich verankerten) Meinungsbildung und als Ensemble von sozialen Akteuren definiert, welche die im Alltag kondensierten Kommunikationsimpulse in andere gesellschaftliche Sphären hineintragen können (siehe Kap. 2 der vorliegenden Arbeit). Darüber hinaus wird die Zivilgesellschaft zum lebendigen Bestandteil einer politischen Ordnung, deren rechtliche Grundlage als 'fehlbares und revisionsbedürftiges Unternehmen' sich kontinuierlich wandelt, um sich den dynamischen gesellschaftlichen Ansprüchen anzupassen und die Unstimmigkeit zwischen 'Faktizität und Geltung' zu entschärfen (vgl. Habermas 1992c:464).

Habermas (1981:578) bezeichnet anfangs nur die Frauenbewegung aufgrund ihres "Kampfes gegen patriarchalische Unterdrückung und für die Einlösung eines Versprechens, das in den universalistischen Grundlagen von Moral und Recht seit langem verankert ist" als eine "Emanzipationsbewegung" mit einem offensiven Charakter. Die übrigen Bewegungen seien "Widerstands- und Rückzugsmanifestationen".

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1.2.2 Die gemäßigte Deutungsrichtung Stellt das Erstarken der Zivilgesellschaft für die emphatische Variante den normativen Kern eines 'radikaldemokratischen' Politikprojektes dar, so ist Zivilgesellschaft nach der liberalkonservativen Vorstellung überwiegend als deskriptive Kategorie zu verstehen, die nicht ein erwünschtes, utopisches Gesellschaftsbild verkörpert, sondern einem bereits existierenden sozialen Arrangement entspricht, nämlich der in Nordamerika und Westeuropa bestehenden liberaldemokratischen Gesellschaft (vgl. Sölter 1993:168; Brumlik 1991:990). Mit seinem Beitrag zu den Castelgandolfo-Gesprächen liefert der amerikanische Soziologe E d w a r d S h i l s (1991) eine exemplarische Darstellung dieser 'sanften' Version der Zivilgesellschaft. Dem Autor zufolge verkörpert die Zivilgesellschaft ein Geflecht aus Institutionen und Aktivitäten, die den Bürgersinn, i.e. das "kollektive Bewußtsein einer gemeinsamen Teilhabe an der Gesellschaft" (ebd.:14f), zum Ausdruck bringen. Nach dieser Auslegung schließen sich in der Civil Society diejenigen zusammen, die "sich ihrer Gesellschaft verpflichtet fühlen und nicht wollen, daß diese durch einen zu weitgehenden individuellen oder kollektiven Egoismus gefährdet wird" (ebd.:21). So gefaßt, wird Civil Society zum optimalen gesellschaftlichen Substrat, in dem die liberale Demokratie wächst: Die im Rahmen der Zivilgesellschaft kultivierte Ziviltugend neutralisiert die desintegrativen Tendenzen, die in einer pluralistischen Gesellschaft zugelassene Konkurrenz divergierender Privatinteressen hervorrufen kann. Andererseits weist Shils zufolge die liberaldemokratische Ordnung die bestmöglichen institutionellen Voraussetzungen für die Civil Society auf, denn die optimale Entfaltung dieser Sphäre erfordert die Existenz des 'Marktes als Ordnungsprinzip' und liberale Institutionen wie ein funktionierendes Parlament, Parteienpluralismus, Freiheit der Meinungsäußerung usw. Die Schlußfolgerung Shils' läßt sich leicht antizipieren: Civil Society wird angesichts ihrer einseitig definierten Voraussetzungen zu einem exklusiv europäischen bzw. nordamerikanischen Phänomen. Aber auch in diesen geographisch vorgegebenen Kontexten, in denen angeblich die idealen Rahmenbedingungen vorhanden sind, kann die Civil Society nicht die Gesamtgesellschaft umfassen (ebd.: 16). Zur Civil Society gehören im Shilsschen Sinne de facto nur jene Gruppen, die die 'zivilen Traditionen' tragen, worum sie den Bürgersinn stiften. Damit wird Zivilgesellschaft zu einem hierarchisierten sozialen Integrationsbegriff: Die Träger der 'zivilen Traditionen' bilden das (ethnische?) 'homogene Zentrum' der Zivilgesellschaft heraus, während die 'peripheren Gruppen' sich nur delegierend an der eigentlichen Civil Society beteiligen können (ebd.: 17). Dahrendorf (1991:262) kritisiert - wenn auch nur en passant - den Shilsschen Ansatz und macht aus guten Gründen darauf aufmerksam, daß im Zivilgesellschaftskonzept des amerikanischen Autors eine ethnische Homogenität unterstellt wird. In Dahrendorfs Auslegung ist aber die Vorstellung einer Zivilgesellschaft (bei ihm Bürger-

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gesellschaft) ebenfalls untrennbar mit den liberaldemokratischen Institutionen verknüpft. Dahrendorfs Bürgergesellschaft weist nur noch eine ferne Verwandtschaft mit der Zivilgesellschaft auf, wie sie in der emphatischen Interpretationsvariante konzipiert wird, nämlich als 'Handlungszusammenhang' (Rödel 1992) von Akteuren, die von unten heraus die Politik erneuern (sollten). Dahrendorf zufolge sind die vom Staat 'autonomen Organisationen' zwar ein konstitutives Element der Zivilgesellschaft, doch der 'operationale Kern' seines Begriffes liegt nicht in den Handlungsmöglichkeiten dieser Akteure, sondern in den Bürgerrechten. Diese bilden, nach Dahrendorf, den einzig möglichen Schutz gegen die Gefahren für die Freiheit, die die Zugriffe einerseits des Staates, andererseits der korporatistischen intermediären Organisationen darstellen (ebd.).

1.3 Zur Fortführung der Debatte In Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Fürsprechern der beiden genannten Deutungsvarianten bzw. zwischen diesen und den Autoren, die dem Konzept der Zivilgesellschaft kritisch gegenüber stehen, wurde in den letzten Jahren eine beträchtliche Fülle von Arbeiten publiziert, die einige, unten dargestellte, a n a l y t i s c h e Unzulänglichkeiten des Begriffs entlarven. Des weiteren machen jüngste Entwicklungen, wie der Rückzug der Bürgerbewegungen im Osten, die langwierige Demokratisierung in Lateinamerika und die Transformationsprozesse der Protestszene in den Industriegesellschaften (Zunahme der Rechtsbewegungen, Professionalisierung des Protests usw.) deutlich, daß das Konzept der Zivilgesellschaft auch auf der p o l i t i s c h e n Anwendungsebene Unscharfen aufweist. Kurzum: Das Projekt hat augenfällig das Anpassungsgeschick der etablierten Akteure unterschätzt, die Tragfähigkeit der Zivilgesellschaft hingegen überbewertet. Eine erste grundsätzliche an das Konzept der Zivilgesellschaft gerichtete Kritik bezieht sich auf dessen analytisch schwammigen Charakter. Nach dieser Kritik wies der Begriff, der den osteuropäischen Dissidenten als zentrale Referenz für die Konstituierung eines politischen Transitionsprojekts gegolten hatte, im Kontext seines R e i m ports in die westlichen Industrienationen so viele Ambivalenzen auf, daß es nicht klar wird, wie der Rekurs auf das Konzept zur weiteren Demokratisierung der 'real existierenden' Demokratien überhaupt beitragen kann (vgl. Honneth 1992; Narr 1994). Heins (1992) vertieft die Kritik an der Plausibilität der Übertragung des Konzeptes der Zivilgesellschaft in die westlichen Demokratien, indem er anhand seiner Zeitdiagnose feststellt, daß die konkreten (zivil)gesellschaftlichen Rahmenbedingungen den normativen Erwartungen der Befürworter der Zivilgesellschaft nicht entsprechen. B e schreiben ihre Verteidiger die zivilgesellschaftliche Lebenswelt als Reservebestand solidarischer Interaktionen bzw. ziviler Tugend, so sind die primären Gesellschafts-

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ebenen vielmehr durch 'unzivile' Begebenheiten (Wohlstandschauvinismus, Kindesmißbrauch, wachsende 'Verwahrlosung der städtischen Armutsschichten' usw.) zu bezeichnen. Die operationale Achse des Zivilgesellschaftsdiskurses durchzieht gewiß nicht jene undifferenzierten primären Beziehungsgefüge, sondern die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen bzw. ihre Fähigkeit, neue Fragen öffentlich zu thematisieren. Doch das Konzept darf Heins (ebd.:241) folgend nicht "die materiellen Lebenschancen der gesellschaftlichen Gruppen und die daran geknüpfte Genese von Interessen systematisch vernachlässigen. Damit läuft der Ansatz Gefahr, zwar einer unbeschränkten Thematisierung aller Probleme das Wort zu reden, zugleich aber nur angeblich 'desinteressierten' Mittelschichtenangehörigen eine Konfliktlösungskompetenz zuzusprechen. Das Schicksal der euroamerikanischen Zivilgesellschaft entscheidet sich aber nicht an der Tabulosigkeit ihrer talkshows, sondern an der Frage des Umgangs der Mehrheitsgesellschaft mit den von elementarer Not geplagten Flüchtlingen, ethnischen Minderheiten und GhettoBewohnern." 5 Keine andere Kritik an der Zivilgesellschaft griff das Konzept aber so radikal an wie die selbstkritische Darstellung eines seiner wichtigsten Befürworter, und zwar Andrew Aratos. Mit anerkennenswerter intellektueller Bescheidenheit zählte Arato (1994a) anhand eines ebenso knappen wie einleuchtenden Aufsatzes verschiedene theoretische und analytische Probleme des Konzeptes auf, über das er zusammen mit Jean Cohen die bislang umfassendste Studie erst zwei Jahren zuvor veröffentlicht hatte (vgl. Cohen & Arato 1992). Zunächst zeigt der Autor eine grundsätzliche Unscharfe des Projektes der Zivilgesellschaft, nämlich die Annahme, daß "something that does not exist (civil society under totalitarianism) can nevertheless contribute to its own liberation" (Arato 1994a:2). Daraufhin stellt er fest, daß in den 'post-revolutionary transitions' politische Eliten, 'counter-elites' und politische Parteien statt der Zivilgesellschaft im Mittelpunkt des politischen Prozesses stehen. Ebenso erkennt Arato, daß sein Begriff auf der methodologischen Ebene Unzulänglichkeiten aufweist: Es fehlt der Zivilgesellschaft an einem einheitlichen Artikulationskern. Können Arato zufolge die anderen zwei Ebenen seines dreiteiligen Modells, die Wirtschaft und der Staat, relativ unproblematisch mit einem Steuerungsmittel, nämlich Geld bzw. Macht, assoziiert werden, so kann man der Zivilgesellschaft keine eindeutige Koordinierungslogik zuschreiben. Herrschaftsfreie Kommunikation als typisches Handlungsprinzip der Zivilgesellschaft zu bezeichnen, sei insofern keine befriedigende Lösung, als für die verschiedenartigen Akteure, die in den unterschiedlichen Ebenen der Zivilgesellschaft (informelle Grup5

Schmalz-Bruns (1992) reagiert auf die Kritik Heins' mit einem Plädoyer für eine reflexive Demokratie. Ihm gelang es m.E. allerdings nicht, den Verdacht zu entkräften, daß der Rezeption der Zivilgesellschaftsdebatte in den Industrienationen eine elitäre, "paternalistische" (Heins) Prämisse zugrunde liegt, nämlich: Den Bevölkerungsschichten, deren Botschaften "öffentlichkeitstauglich" sind, wird implizit die Rolle zugeschrieben, die breite Masse zu "zivilisieren".

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pen, freiwillige Organisationen, Expertenrunden etc.) angesiedelt sind, die Kommunikationsmittel einen äußerst differierenden Stellenwert enthalten. Für viele dieser Organisationen sind Macht und Geld ein unverzichtbares Durchsetzungsmittel. Außerdem sei verständigungsorientierte Kommunikation kein Monopol der Zivilgesellschaft, sie könne auch in den anderen Bereichen der Gesellschaft stattfinden. Deshalb bleibt die Ausgangsfrage offen, nämlich welches über die normative Perspektive hinweg das spezifische Referenzzentrum der Zivilgesellschaft ist (ebd.: 4f). Nach Arato beschränken sich die Probleme des Konzepts der Zivilgesellschaft nicht auf die methodologisch-analytischen Ungenauigkeiten. Die Transitionsprozesse in Osteuropa hätten gezeigt, daß auch die praktisch-politische Anwendung Probleme mit sich bringt. Das Konzept der Zivilgesellschaft erwies sich in der politischen Praxis als untauglich, um einen Konsens zwischen den verschiedenen sozialen Akteuren zu stiften. Dies führt Arato (ebd.:7) illustrativ anhand des Beispiels Polens an: "The civil society oriented program was too collectivist for the liberal economists, too cosmopolitan for the nationalists, too defensive for the revolutionaries, too liberal for the neo-Marxist advocates of class interests, too populistic for the Realpolitiker. " Damit schlägt Arato allerdings nicht den Abschied vom Konzept der Zivilgesellschaft vor: Werden einige begriffliche Unklarheiten berücksichtigt, dann könne das Konzept noch als hilfreiche analytische Kategorie und wichtiger politischer Orientierungspfad eingesetzt werden. Darauf zählt Arato sechs Untersuchungsaspekte auf, unter denen der Begriff verbessert und somit den gegenwärtigen soziopolitischen Rahmenbedingungen angepaßt werden könnte (ebd.:10ff). Dies wären im einzelnen: • Die Frage der politischen Legitimation: Hierbei werden Studien vermißt, die den Unterschied zwischen der in den rechtsstaatlichen Institutionen fundierten demokratischen Legitimierung und der Legitimationsform, die in der Öffentlichkeit bzw. in der politischen Mitwirkung vielfältiger gesellschaftlicher Akteure verankert ist, thematisieren. • Fragen des Konstitutionalismus: Dabei handelt es sich um die Untersuchung der Rolle der Zivilgesellschaft in der Formulierung, Stabilisierung und Korrektur von Verfassungen. • Institutionelle Aspekte der Demokratie: Hier geht es um die Analyse der Verhältnisse der Zivilgesellschaft zu den verschiedenen möglichen Aufbauformen einer Demokratie (Parlamentarismus, Präsidentialismus, Föderalismus usw.). • Verhältnis der zivilen zur politischen Gesellschaft: Untersucht werden sollten die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteure, die mit den unterschiedlichen parteipolitischen Konstellationen assoziiert sind. • Die Frage der Massenmedien: Hier geht es um die Diskussion der verschiedenen medialen Angebotsformen (staatliche oder private Anbieter usw.) und die Gewährleistung einer demokratischen öffentlichen Sphäre.

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• Problem der Globalisierung der Zivilgesellschaft: Hier stehen die Verhältnisse zwischen den de facto international gewordenen Akteuren, die 'basic parameters' der Zivilgesellschaft setzen (Menschenrechtsorganisationen usw.), und den nationalen bzw. lokalen gesellschaftlichen und kulturellen Lebensformen bzw. -Vorstellungen im Mittelpunkt. Die Forschungsaufgabe haben nun die Fürsprecher der Zivilgesellschaft vor sich.

1.4 Die brasilianische Rezeption Die Verbreitung des Begriffes Zivilgesellschaft (sociedade civil) in Brasilien fiel mit dem Widerstand gegen die Militärdiktatur zusammen und erfüllte in diesem Kontext mehr eine politisch-strategische als eine analytisch-theoretische Funktion. Dabei wurde das Wort 'civil' in seinem ursprünglichen Sinn - als nichtmilitärisch - verwendet, um eine Trennungslinie zwischen (Zivil-)Gesellschaft und (Militär-)Staat zu ziehen. Als politisches Konzept galt Zivilgesellschaft seit Anfang der 70er Jahren als ein unentbehrlicher Verankerungsboden für das Oppositionsprojekt. Deshalb mußte die Diskussion über die empirisch-analytische Plausibilität der Kategorie Zivilgesellschaft vor der gravierenden politischen Konstellation kapitulieren. Den einstigen Urhebern des Konzepts ging es nicht darum, zu untersuchen, ob in Brasilien eine Zivilgesellschaft existierte, sondern um die Schaffung eines begrifflichen Bezugsrahmens, der für die Organisierung des Widerstands gegen den allmächtigen Militärstaat tauglich sein könnte. Dies geht mit beeindruckender Klarheit aus den Worten des Sozialwissenschaftlers Wefforts ( 1 9 8 8 : 5 1 8 ) hervor, der zu den prominentesten intellektuellen Referenzen für die brasilianische Anti-Diktatur-Bewegung zählt: "Wir wollten eine Zivilgesellschaft, wir brauchten sie, um uns gegen den ungeheuren Staat vor uns zu verteidigen. Dies bedeutet, daß wir sie, wenn es sie nicht gegeben hätte, hätten erfinden müssen. Wenn sie klein gewesen wäre, hätten wir sie vergrößern müssen. Es gab keinen Raum für übertriebene Skepsis, denn dies hätte die Schwachen noch schwächer gemacht [...]. Kurzum wir mußten die Zivilgesellschaft aufbauen, weil wir die Freiheit wollten."6 Allerdings diente der Begriff 'sociedade civil' in seiner ursprünglichen Erscheinungsform nicht nur den Gegnern des Militärregimes. Als Mitte der 70er Jahre augenfällige Differenzen innerhalb des Militärblocks zum Vorschein kamen und die HardlinerGruppen versuchten, die anfängliche Demokratiebewegung mit Mitteln wie Bomben6

In der englischen Version des Aufsatzes Wefforts wurde die ausgewählte Passage in der Gegenwart formuliert, was sie hierfür irreführend gemacht hätte. Deshalb wurde dieser Abschnitt, im Gegensatz zu den anderen Passagen aus dem von Stepan (1989) herausgegebenen Sammelband nicht direkt aus der englischen Ausgabe zitiert, sondern von mir aus dem Portugiesischen ins Deutsche übersetzt.

34 attentaten, unzulässigen Durchsuchungen ziviler Organisationen usw. zu unterdrücken, griff eine moderate Fraktion innerhalb des Militärs auf den Legitimationsfundus der Zivilgesellschaft zurück, um ihrer Verurteilung der Verstöße gegen die Militärregeln Ausdruck zu verleihen: "Against these and other acts of unprecedented violence, even against 'elite' citizenry, the moderate military fraction remained intent on preserving both military discipline and their own continuity in office. They tacitily made alliances and reluctant concessions to the middle- and upper-class sectors of Brazilian society. By the mid-1970s these sectors began referring to themselves as 'civil society' [...]." (Delia Cava 1989:148). Eine radikale Deutungsvariante des Konzeptes der Zivilgesellschaft war auch zur Zeit der Militärregierung in Brasilien zu beobachten. Dabei handelt es sich um eine strikte Rezeption des Gramscischen Modells. Es wird davon ausgegangen, daß Gramsci zwar wahrnimmt, daß die Herrschaft einer Klasse nicht nur durch den Staatszwang, sondern auch durch die Eroberung der Hegemonie auf der Ebene der Zivilgesellschaft gesichert ist. Doch dieser brasilianischen Rezeptionsvariante zufolge bedeutet die Gramscische neue Begriffsbestimmung keineswegs die Zurückweisung der Marxschen zentralen Prämisse, nach welcher die materielle Grundlage die Gestaltung des gesamten gesellschaftlichen Überbaus, einschließlich der Zivilgesellschaft, determiniert. C.N. Coutinho, ehemaliger KP-Politologe und wichtigster Gramsci-Spezialist Brasiliens verkörpert(e) lapidar diese Auffassung: 7 "[Es ist verfehlt zu denken], daß die von Gramsci durchgeführte Erweiterung [der Manschen Staatstheorie] ihn dazu führt, der ökonomischen Basis diese ausschlaggebende, ontologisch-genetische Zentralität zu entziehen, um sie einem Element des Überbaus, nämlich der Zivilgesellschaft, zuzuschreiben. [...] Gramsci lehnt die wesentlichen Feststellungen Marx' weder ab noch kehrt er sie um, er verfeinert sie 'lediglich', erweitert und konkretisiert sie in einem vollkommenen Einklang mit der Methode des historischen Materialismus" (Coutinho 1980:88). Ausgehend von dieser Rezeption Gramscis artikuliert sich eine Interpretationsvariante der ersten Basisorganisationen, die noch unter den Militärs zustande kamen. Danach wird diesen 'aus der Zivilgesellschaft stammenden' Bewegungen die Rolle zugeschrieben, die 'Logik der Klassenverhältnisse' zu transformieren, d.h. die Klassen abzuschaffen. Voraussetzung dafür sei der "Anschluß der Bewegungen an die Parteiapparate bzw. die Organisationen, die in der Produktionswelt verankert sind, denn wir glauben nicht an ihre [der Bewegungen] Autonomie" (Gohn 1982:16 u. 32). Im Demokratisierungsprozeß bis etwa Ende der 80er Jahre wies das in Brasilien vielfach verwendete Konzept Zivilgesellschaft nur sehr diffuse begriffliche Konturen 7

Der besseren Lesbarkeit wegen werden die aus dem Portugiesischen bzw. Spanischen zitierten Abschnitte vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Anders als in der Dissertation, aus der dieses Buch hervorgeht, werden hier die Originalzitate nicht wiedergegeben.

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auf: Der Sammelterminus umfaßte sowohl die Basisorganisationen als auch die progressive katholische Kirche, die neue Gewerkschaftsbewegung (Novo Sindicalismo), die ihre Unabhängigkeit vom Staat betonte (vgl. Keck 1989), die 'fortschrittlichen' Sektoren der Unternehmerschaft (vgl. Cardoso 1986) und sogar die 'demokratischen' Politiker und Parteien. All diese Gruppen zählten zu den Protagonisten der Reetablierung der Demokratie, einer Regierungsform, die nach der Vorstellung der Demokratiebewegung den Antagonismus zwischen Regierenden und Regierten bzw. Zivilgesellschaft und Staat mildern würde (vgl. Coutinho 1984: Kap. 1). Mit dem Fortgang der Demokratisierung kamen jedoch die latenten Zersplitterungen im 'zivilgesellschaftlichen' Demokratieblock unvermeidlich zum Vorschein. Die einstigen Oppositionspolitiker, die am Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre, nachdem sie die prioritäre Berücksichtigung der "Vertretungsorganisationen von Basisinteressen" (Delgado & Arantes 1982:8) versprochen hatten, ein Amt als Bürgermeister oder Gouverneur erhielten, konnten die zahlreichen Basisorganisationen mit ihren widersprüchlichen Forderungsbündeln nicht zufrieden stellen (vgl. SchererWarren 1987:49f). Die frühere progressive Unternehmerschaft nahm wiederum nach der Reetablierung der grundlegenden liberalen Rechte (Meinungsfreiheit, Wahlrecht usw.) von ehemaligen demokratischen Bündnispartnern Abstand; für eine politische Zusammenarbeit bestehe nach ihrer Ansicht nun kein Anlaß mehr.8 Die neue Gewerkschaftsbewegung, die durch die Herausforderung des Streik- bzw. Demonstrationsverbotes zu Legitimationszersetzung der Militärregierung erheblich beigetragen hatte, befaßte sich immer mehr mit ihren spezifischen Aufgaben (Lohnverhandlungen usw.), die aufgrund der prekären Arbeitsverhältnisse breiter Bevölkerungsgruppen keinen Universalisierungsanspruch enthalten können.9 Auch innerhalb der Zivilgesellschaft im engeren Sinne (also als Sphäre definiert, die sich vom Markt und Staat unterscheidet) tauchen Differenzen auf, die darauf verweisen, daß diese Ebene kein homogenes Interaktionsfeld ausmacht. Mit der Ausdifferenzierung der Zivilgesellschaft wurde deutlich, daß sich die mannigfaltigen Belange der unterschiedlichen zi-

In einer umfassenden Studie über das politische Verhalten der brasilianischen Unternehmerschaft seit den 60er Jahren konstatiert Payne (1994), daß dieses gesellschaftliche Segment als ein "adaptive actor" bezeichnet werden kann, der nicht inhärent demokratisch oder nicht demokratisch ist. Nicht etwa die politische Gesinnung der Unternehmer, sondern ihre Wahrnehmung einer Gefahrdung des I n v e s t i t i o n s k l i m a s gab sowohl für die anfängliche Unterstützung der Militärs als auch für ihren späteren Einsatz gegen die Diktatur, so die Autorin, den Ausschlag. Ich würde den aktuellen Streit zwischen der brasilianischen Regierung und der Gewerkschaftsunion CUT, die den nicht mehr so neuen "Novo Sindicalismo" repräsentiert, um die Privatisierung staatlicher Betriebe (vgl. The Economist, 29. 4. 9 5 : 1 6 0 nicht als einen Beweis für eine Universalisierbarkeit der Belange der "authentischen" Gewerkschaftsbewegung bezeichnen. Das Engagement gegen die Privatisierung reflektiert eindeutig die korporatistischen Belange der Gewerkschaften, die die an den zu privatisierenden Betrieben tätigen Arbeiter vertreten, und die politische Interessen der Arbeiterpartei PT.

36 vilgesellschaftlichen Akteure wie die Frauen-, die Umweltschutz- oder die Schwarzenbewegung (movimento negro), nicht immer miteinander vereinbaren lassen. 10 Als Reflex dieser politischen Transformationen entstand der Versuch, den Begriff Zivilgesellschaft orientiert an der politischen Praxis neu zu definieren bzw. zu präzisieren. Vor allem wurden die Grenzen zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat bzw. dem politischen System deutlicher definiert und somit die Wunschvorstellung eines Staates, der die Bestrebungen der Zivilgesellschaft hinreichend inkorporieren kann, aufgegeben. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die zivilgesellschaftlichen Akteure darauf verzichteten, die innerhalb des Staates bestehenden Handlungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. F.H. Cardoso (FSP 18. 12. 94:6-5)" ist zuzustimmen in seiner Feststellung: Der brasilianische "Staat ist heute kein geschlossener Organismus, er ist von Sektoren der Zivilgesellschaft durchdrungen". Nur: Im Gegensatz zu den Partizipationsformen im klassischen Populismus wird die zivilgesellschaftliche Identität der Akteure durch ihre Beteiligung am Staat nicht mehr zwangsläufig aufgehoben. 12 Frauen-, Schwarzen- und andere Organisationen nehmen an verschiedenen Verwaltungsausschüssen und Bürgerräten teil und gehen auf Kompromisse mit regierenden Politikern ein, ohne allerdings ihr zivilgesellschaftliches Selbstverständnis notwendigerweise aufzugeben (vgl. R. Cardoso 1988:376). 13 Für diese jüngste Ausgrenzung der zivilgesellschaftlichen Akteure vom Staat und politischen System bilden besonders einige jüngste Entwicklungen den Hintergrund: • Die breite gesellschaftliche Akzeptanz der neoliberalen Kritik, die den Interventionsstaat in seiner ideologischen Basis trifft und dadurch seine Existenzberechtigung in Frage stellt. Nach der Kritik liegt die Ineffizienz des brasilianischen Staates nicht lediglich an der Besatzung des Staatsapparats, sondern an seiner Übergröße. 14 In der Politik ginge es also nicht mehr darum, die 'richtigen' regierenden Poli10

Die jüngste Auseinandersetzung zwischen einem prominenten Vertreter der Schwulenbewegung und Teilen der Schwarzenbewegung bietet ein interessantes Beispiel für die Differenzen innerhalb der Zivilgesellschaft. Um das Interesse der Öffentlichkeit auf die Diskriminierung der Homosexuellen zu lenken, stellte der Anthropologe Luiz Mott die polemische These auf, Zumbi, der größte Held der brasilianischen Schwarzenbewegung, sei homosexuell gewesen. Die Schwarzen, die gerade das 300. Todesjahr Zumbis feierten, reagierten empört auf den Verdacht: Sie beschädigten das Haus und den Wagen des Anthropologen (vgl. Mott 1995).

11

Die vollständigen Angaben zu den zitierten Zeitungen finden sich am Ende dieser Arbeit.

12

Laclau (1987) zeigt, wie die Identitätsbildung im Rahmen des lateinamerikanischen Populismus 'von oben' und anhand der Manipulation vager symbolischer Botschaften vorangetrieben wurde. Dabei wurde die (zivile) Gesellschaft unter die Idee der Nation und die Vielfalt der sozialen Akteure unter die Vorstellung von einem einheitlichen Volk subsumiert (vgl. auch Touraine 1994:361).

13

Dies ist eine allgemeine Bewertung der vorherrschenden Tendenzen im Beziehungsgefüge Zivilgesellschaft/Staat. Doch sind noch häufig klientelistische Verhältnisse zu beobachten, wie etwa im Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit gezeigt wird.

14

Für eine exemplarische Darstellung der brasilianischen Rezeption des Neoliberalismus vgl. Campos (1994:1256ff). Zur Kritik siehe Ribeiro (1995:255ff).

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tiker zu finden, sondern darum, die Erwartung zu desavouieren, daß der Staat (noch) der Vorantreiber der sozialen und ökonomischen Entwicklung ist. 15 • Das Aufblühen zahlreicher NRO (Organizaiöes näo goveraamentais), deren Wirken und Handeln alternativ zum Staat verstanden werden, fördert das Vertrauen auf die endogenen Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft (vgl. Scherer-Warren 1995; Vieira 1995). 16 • Die mit der etablierten Politik verbundenen Frustrationen, 17 die sich im Alltag in einer Enttäuschung über die Bestechlichkeit von Politikern und die Gesinnungslosigkeit der Parteien äußern, führt zur öffentlichen Anerkennung bis hin zur Sakralisierung der zivilgesellschaftlichen Akteure. Diese werden im Gegensatz zu den korrupten Politikern als Reservoir der Ziviltugend bezeichnet (vgl. dazu Silva 1993 und ihr narzißtisches Lob der NRO). Der praxisbezogenen Anstrengung, das Konzept der Zivilgesellschaft schärfer zu konturieren, entspricht eine akademisch-theoretische. Im Jahre 1990 erschien in Brasilien ein Aufsatz von L.A. Restrepo (1990), Mitarbeiter der kolumbianischen Universidad Nacional. Er versucht, die Begriffsgeschichte der Zivilgesellschaft ausgehend von den Konzeptionen Hegels, Lenins, Marx' und Gramscis zu rekonstruieren. Damit setzt der Autor ein Kategorienraster zusammen, um so die Handlung der sozialen Bewegungen in Lateinamerika in einem umfassenden theoretischen Bezugsrahmen zu kontextualisieren. Einen unmittelbaren Anschluß an die weltweit gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Zivilgesellschaftskonzept brachte allerdings erst die Übersetzung einer Arbeit A. Wolfes (1992), eines Autors, der die emphatische Interpretationsrichtung vertritt. Auf den Ansatz Wolfes stützen sich andere Arbeiten (Scherer-Warren 1994, 1995), die sich mit den brasilianischen NRO befassen. Sie bezeichnen die Zivilgesellschaft als Handlungsebene der NRO schlechthin und versuchen, die Spezifitäten dieser Sphäre im Unterschied zum Staat und Markt zu beschreiben.

15

Die Hervorhebung der neoliberalen Kritik zur Verdeutlichung der Grenzen des Staates soll nicht die negativen Auswirkungen der (neo)liberalen Ideen bzw. Politiken auf die Zivilgesellschaft ausblenden. Im liberalen Denken rückt der Bourgeois, der seinen eigenen Interessen nachgeht, in den Mittelpunkt und der aktive citoyen, der den Gemeinsinn und damit die Solidaritätsformen der Zivilgesellschaft befördert, entsprechend in den Hintergrund (vgl. van den Brink 1995:10 und Touraine 1994:351ff).

16

Ein mit Vertretern der brasilianischen NRO durchgeführter Survey (vgl. Fernandes & Carneiro 1991) zeigt, daß Zivilgesellschaft eine zentrale Orientierungskategorie für die NRO ist: 78,4 % der Befragten erklärten die Absicht, "ihre schöpferischen Anstrengungen in den 90er Jahre auf die Zivilgesellschaft zu konzentrieren" (S.18). Lediglich 1,96 % wollten hingegen ihren Austausch mit dem Staat vertiefen (S.17).

17

Nach der "democratic decade" - die 80er Jahre - redet man gegenwärtig bereits von einer "democratic disenchantment" (Munck 1993) in Lateinamerika bzw. einer "demokratischen Melancholie" (Fiori 1995) in Brasilien.

38 Andere Arbeiten suchen eine Annäherung zu den Darstellungen von Cohen und Arato bzw. Habermas (vgl. Olvera & Avritzer 1992; Avritzer 1993) und versuchen, jenen Ansatz im brasilianischen Kontext kritisch zu rezipieren (Costa 1994a; 1995a). Darüber hinaus organisierte L. Avritzer (1994) einen wichtigen Sammelband mit Beiträgen u. a. von Cohen & Arato, Arato und S. Benhabib sowie mit einem Interview mit A. Melucci. Fragwürdig bleibt, ob das Buch seinem in Vorwort deklarierten Ziel gerecht werden kann, nämlich als eine "allgemeine Einführung in die Theorie der Zivilgesellschaft zu dienen". Die Mehrzahl der ausgewählten und übersetzten Aufsätze sind bereits vor fünf oder sechs Jahren in Originalfassung erschienen und tragen so den jüngsten grundlegenden Reformierungen des Konzeptes keine Rechnung. Eine andere interessante kritische Auseinandersetzung mit dem Zivilgesellschaftskonzept bietet der brasilianische Politologe F.W. Reis (1994). Der Autor greift die Konzeption von Cohen & Arato (1992) scharf an, indem er behauptet, daß die normative Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft, Markt und Staat keine empirische Plausibilität aufweist. Reis zufolge ist der Versuch irreführend, die Zivilgesellschaft als Handlungsebene 'desinteressierter' Akteure zu sehen, da die zivilgesellschaftlichen Akteure durchaus ihren eigenen Interessen nachgehen. Er sieht keine empirischen Indizien, welche die analytische Unterscheidung zwischen diesen Akteuren und den Verbänden und Interessengruppen begründen könnten. Ferner wendet sich Reis gegen den normativen Kern des Projektes von Cohen & Arato, nach dem die identitätsstiftenden Solidaritätsideale der zivilgesellschaftlichen Akteure die Gesamtheit der sozialen Interaktionen einfärben sollten: "Was man will, ist nicht eine Gesellschaft, die durch kollektive psychologische Schwärmerei und die Verbindung gekennzeichnet ist, die einem Konsens bzw. einer gegen alles gefeiten Harmonie entspricht, sondern eine Gesellschaft, in der die Regelung des Zusammenlebens mit der Behauptung der individuellen Autonomie, den mannigfaltigen Interessen und mit dem Vorkommen entsprechender Meinungsverschiedenheiten in Einklang steht. Dabei soll die Stimmungslage nicht durch die potentiell explosive Behauptung kollektiver Identitäten, sondern durch pragmatisch orientierte Toleranz ausgemacht werden" (ebd.:341). Im normativen Gesellschaftsmuster von Reis geht es also um die Schaffung der Rahmenbedingungen, unter denen Staat und Markt optimal ihre Steuerungsfunktion erfüllen können. Das Marktprinzip, das Reis zufolge ein 'gleichmacherisches' und 'nonkonformistisches Element' enthält, sollte sich auf der Ebene der Politik uneingeschränkt entfalten, um den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen angemessene Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten. Der Staat soll wiederum nicht von der Zivilgesellschaft zurückgehalten, sondern erst aufgebaut werden, damit er als institutionelles Dach fungieren kann, das die Existenz unterschiedlicher Lebensformen sichert. In der Interpretation Reis' wird die Radikalität des Projektes von Cohen & Arato m.E. in einem falschen Sinne übersteigert. Cohen & Arato verzichten keinesfalls auf die staatliche bzw. Marktsteuerung, sie zeigen lediglich, daß es eine dritte Sphäre

39 gibt, deren Dynamik weder unter dem Markt noch unter dem Staat subsumiert werden kann. In dieser letzten Deutungsform scheint mir das Konzept in seiner Anwendung auf den brasilianischen Kontext immer noch hilfreich zu sein. Als analytische Kategorie bezieht sich Zivilgesellschaft auf eine Fülle von Akteuren, die sich nach der Zersplitterung des mehr oder weniger einheitlichen AntiMilitär-Blocks und der Reetablierung der liberaldemokratischen Ausdruckskanäle weder in die Parteistrukturen noch in den Staatsapparat einordnen lassen wollen. Darüber hinaus entstanden und verbreiteten sich aufgrund des postautoritären juristischen Bezugsrahmens und der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen neue Bewegungen und Gruppierungen (Umweltschutz-, Schwarzen-, Frauen-, Homosexuellenorganisationen usw.), die ebenfalls in der Zivilgesellschaft verankert sind (vgl. Pinheiro 1994:6). Politisch stellen sowohl die Existenz dieser Akteure als auch ihre zyklische Umformung eine permanente Herausforderung der demokratischen Repräsentationsmechanismen und der rechtsstaatlichen Institutionen dar. Damit wird allerdings nicht behauptet, daß die Logik der Zivilgesellschaft an die Stelle des universalistischen Anspruches des Rechtes und des Staates, der eine rechtliche Ordnung verkörpert, treten soll. Die zivilgesellschaftlichen Akteure fungieren 'lediglich' als Transformationsschubkräfte des demokratischen Institutionsgefüges, das sich permanent anpassen soll, um die Spannung zwischen Gesetz und Ordnung, Moralität und Legalität aufzulösen. Auf der normativ-politischen Ebene bestehen aber auch andere Begründungsfaktoren für eine Differenzierung zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft im brasilianischen Kontext. Es läßt sich beobachten, daß die gesellschaftlichen Interessen in der brasilianischen Geschichte nicht öffentlich von Akteuren vorgetragen wurden, die sich jenseits des Staats organisierten. Der Staat hat historisch die Interessenbildung selber koordiniert und damit die sozialen Akteure praktisch gegründet. 18 Die Bewegung gegen die Militärherrschaft stellt eine klare Umkehrung dieser historischen Tendenz dar, sie erwies sich als ein mehrheitsfähiges politisches Projekt, das außerhalb des Staates bzw. gegen diesen entstand. Das aktuelle Projekt der Zivilgesellschaft, das begrifflich durch eine scharfe Konturierung dieses Konzeptes zum Ausdruck kommt, entspricht der Fortsetzung dieser Loslösung der Zivilgesellschaft vom Staat. Damit wird dem Sachverhalt Ausdruck verliehen, daß die (zivil)gesellschaftlichen Akteure über Handlungsformen, -Spielräume und -motive verfügen, die mit denen des Staates bzw. des politischen Systems nicht übereinstimmen. Zudem fördert die Abkopplung vom Staat die Entstehung einer kritischen Sicht der Politik, aus der sowohl

18

E. Diniz (1992:37) untersucht diese eigentümliche Form der Interessenvermittlung und stellt fest, daß "sowohl die Unternehmerschaft als auch die Urbane Arbeiterschaft durch den Staat zu politischen Akteuren wurden".

40 die verdeckte Favorisierung partikulärer Interessen als auch die von Einzelgruppen vorangetriebene 'Feudalisierung' des Staates denunziert werden kann. Mit dieser positiven Darstellung der Zivilgesellschaft möchte ich ihre Grenzen im brasilianischen Kontext nicht vertuschen. Politisch stellt die Kluft zwischen Rechtmäßigkeit und dem de facto gültigen Verhaltenskodex, die O'Donnell (1993) als Maß der beschränkten Wirksamkeit der rechtlichen Ordnung bezeichnet, ein wichtiges Hindernis für die Konsolidierung 'einer politisch aktiven' Zivilgesellschaft dar: Einige Sektoren der Zivilgesellschaft leben außerhalb des rechtsstaatlichen Geltungsbereiches und bilden punktuelle Machtapparate heraus, in denen ad hoc und völlig vom politischen Prozeß abgetrennt Verhaltensregeln formuliert bzw. wehrlosen Bevölkerungsgruppen auferlegt werden. 19 Ein politisches Projekt, das den zivilgesellschaftlichen Akteuren mehr Entscheidungsbefugnis zuschreibt, würde die Einflußmöglichkeiten dieser 'unzivilen' Lebensformen entsprechend vergrößern. Analytisch weist die Kategorie Zivilgesellschaft in ihrer Anwendung in Brasilien auch Unschärfen auf. Die in der Genese der sozialen Akteure erwähnte historische Vormachtstellung des Staates führt oft dazu, daß sich die Trennungslinie zwischen Zivilgesellschaft und Staat bzw. politischen Akteuren nicht erkennen läßt. Hierfür bilden die Stadtteilorganisationen 20 einen exemplarischen Fall: Oft können sie zwar als legitime Vertreter der Zivilgesellschaft bezeichnet werden, die im Alltag erfaßte Probleme in die politische Arena hineinbringen, doch ebenso häufig werden sie zu bloßen Anhängseln des Staates, die lediglich die Interessen der regierenden Politiker reproduzieren (vgl. u.a. Costa 1992a 1992b, Cunha 1993 und Mainwaring 1989). Nach diesen einführenden Überlegungen kann nun das operationale Konzept von Zivilgesellschaft eingeleitet werden, auf das sich die vorliegende Untersuchung methodologisch stützt. Es umfaßt die Gesamtheit der Vereinigungen, Zusammenschlüsse und Gruppierungen, die sich von anderen organisierten Interessengruppen, die auf der politischen (Parteien, Lobbies usw.) bzw. ökonomischen Ebene (Gewerkschaften, Verbände etc.) handeln, vor allem in folgenden Aspekten unterscheiden: • Ressourcengrundlage: Verfügen die übrigen organisierten Gruppen über unmittelbare Machtinstrumente (verbindliche Kontakte zu den Eliten, finanzielle Ressour19

Eine von Peppe (1992) durchgeführte Fallstudie, die sich mit dem Einfluß des Drogenhandels auf die Stadtteilorganisationen Rio de Janeiros beschäftigt, dokumentiert prägnant den Sachverhalt, daß Gewaltbereitschaft und kriminelle Verhaltensformen in der Zivilgesellschaft tief verwurzelt sind (vgl. auch Fatheuer 1994).

20

Stadtteilorganisation (STO) ist in dieser Arbeit der Standardbegriff für Stadtteilvertretungen. Die in der Realität auftretenden Einwohnerorganisationen bekommen aber unterschiedliche Bezeichnungen, u.a.: Sociedade Pró-Melhoramentos do Bairro (Gesellschaft für Stadtteilverbesserungen), Associa9äo Comunitària do Bairro (Gemeinschaftlicher Zusammenschluß des Stadtteils), A s s o c i a l o de Moradores e Amigos do Bairro (Zusammenschluß der Stadtteileinwohner und -freunde) usw. Die abweichenden Benennungen entsprechen allerdings nicht unterschiedlichen Organisationsmustern bzw. -funktionen. Diese werden im Kapitel 4 erläutert.

41 cen usw.), so beruht das politische Einflußvermögen der zivilgesellschaftlichen Akteure überwiegend darauf, daß sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihre Belange lenken können. • Grundlage der Gruppenbildung: Können die übrigen organisierten Akteure durch ihre Ansiedlung in einem bestimmten 'Funktionsbereich' vorab eingestuft werden, so wird die Identität der zivilgesellschaftlichen Akteure anhand des kollektiven Handelns ad hoc konstituiert. • Mitgliedschaft: Basiert die Zugehörigkeit zu den übrigen organisierten Gruppen auf einer rechtlichen Verbindlichkeit, so sind die zivilgesellschaftlichen Gruppen m e i s t e n s durch ihre freiwillige und unbeständige Mitgliedschaft gekennzeichnet. • Beschaffenheit der vertretenen Interessen: Treten die übrigen Akteure für die Durchsetzung von Interessen auf, die sich innerhalb der politischen bzw. ökonomischen Sphäre konstituieren, so vertreten die zivilgesellschaftlichen Akteure Belange, die aus der Lebenswelt hervortreten. Daraus ergeben sich zwei Grundbedingungen für die Entstehung und Konsolidierung der Zivilgesellschaft. Zunächst setzt sie die Geltung rechtsstaatlicher Institutionen (Meinungs-, Organisationsfreiheit usw.) voraus, die für die Herausbildung von freiwilligen Vereinigungen entscheidend sind. Darüber hinaus hängt die Stärke der Zivilgesellschaft mit der Existenz einer mehr oder weniger durchlässigen Öffentlichkeit zusammen: Die Öffentlichkeit stellt zugleich die wichtigste Arena für die politische Durchsetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure und die Verbreitungsebene für die symbolischen Güter und ausdifferenzierten Weltanschauungen dar, welche die Herausbildung der unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Gruppenidentitäten speisen.

43

Kapitel 2 Öffentlichkeit und zeitgenössisches Demokratieverständnis: konzeptionelle Bezugsrahmen21 Es dürfte nicht umstritten sein, daß die demokratische Ordnung als verbindliche politische Herrschaft 'begründungspflichtig' und 'zustimmungsabhängig' (Sarcinelli 1992) ist. Dabei rückt Öffentlichkeit ins Zentrum der Legitimationsprozesse: Sie wird zu der Arena, in der einerseits die politische Willensbildung stattfindet und andererseits politische Entscheidungen gerechtfertigt werden. Innerhalb verschiedener Denktraditionen wurde die Rolle der Öffentlichkeit in den demokratischen Gesellschaften untersucht und entsprechend differenziert geschildert (vgl. für einen Überblick Benhabib 1992). Im folgenden möchte ich ein funktionalistisches und ein diskurstheoretisches Modell von Öffentlichkeit unter dem Aspekt der jeweiligen Rolle der 'Protestbewegungen' bzw. der 'zivilgesellschaftlichen Akteure' darstellen und anschließend vergleichen.

2.1 Die funktionalistische Konzeption Im dem in der vorliegenden Arbeit berücksichtigten funktionalistischen Modell wird Öffentlichkeit als ein intermediäres System aufgefaßt, "dessen politische Funktion in der Aufnahme (input) und Verarbeitung (throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinungen (output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht" (Gerhards & Neidhardt 1990:6). Aus dieser Definition läßt sich das Bild der Öffentlichkeit als ein Meinungsmarkt ableiten, auf dem die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure (Parteien, Verbände etc.) um die knappe Ressource 'öffentliche Aufmerksamkeit' konkurrieren. Dabei versuchen die Akteure, sich am Ge21

Eine geänderte Fassung dieses Kapitels ist in portugiesischer Sprache in der Zeitschrift Lua Nova (Costa 1995b) erschienen.

44 nerierungsprozeß der öffentlichen Meinung zu beteiligen, um Einfluß auf die Entscheidungsträger zu nehmen. 22 Nach diesem Konzept von Öffentlichkeit nimmt die durch Mitwirkung der verschiedenen sozialen Akteure gestaltete öffentliche Meinung nicht unmittelbar die Form von politischen Entscheidungen an. Die 'Konversion' erfolgt nach einem zweistufigen Modell des 'policy process'. Im ersten Stadium geht es um die öffentliche Formulierung eines Themas und von Positionen zu diesem Problem (Meinungsbildung). Erst wenn die thematisierte Frage vom politischen System aufgenommen worden ist (zweites Stadium), kann sie sich in eine konkrete Entscheidung umwandeln (vgl. Gerhards 1993:26). Beide Stadien entsprechen verschiedenen Entwicklungsphasen einer 'Karriere', die die Themen durchlaufen, während auf sie öffentliche Aufmerksamkeit gerichtet wird. Dabei hängen die Aussichten, daß ein Problem ein öffentliches Thema wird, weniger mit dessen inhaltlichem Gehalt zusammen, als mit praktisch-strategischen Faktoren. So haben Probleme, die sich mit einem attraktiven Etikett versehen lassen oder die von Akteuren gefördert werden, die über ausgiebige Kommunikationsressourcen verfügen, bessere Chancen thematisiert und darüber hinaus in die politische Agenda aufgenommen zu werden als etwa die Belange "alternativer Gruppen oder politischer Außenseiter" (Pfetsch 1994:16). Die Regierung versucht, Probleme aufzugreifen, deren Lösungen 'möglichst umfassende Akzeptanz' finden. Dabei fungiert die Exekutive sowohl als Adressat als auch als Mitgestalter von Öffentlichkeit, i.e. die Regierung kann durch Öffentlichkeitsarbeit entweder die Thematisierung von Problemen fördern, wenn es um konsensfähige Themen geht, oder die öffentliche Diskussion von Problemen verhindern, deren Behandlung die "etablierten Interessen bedrohen" oder die potentiell konfliktiv sind (ebd.: 15). Doch im institutionellen Rahmen der Parteienkonkurrenz bleibt die Regierung durchweg auf die Berücksichtigung der Meinungslage angewiesen. Die regierenden Parteien fungieren wie alle anderen Parteien als 'Akteure der Interessenaggregation', die gesellschaftliche Belange zu einem programmatischen Themenbund binden und sich damit periodisch dem Wählerpublikum stellen (Gerhards 1993:35ff). Die Vernachlässigung von Themen kann den künftigen Stimmenverlust von Wählergruppen bedeuten, die hinter diesen nicht weiterbearbeiteten Problemen stehen.

22

Obwohl dieses Öffentlichkeitskonzept vom systhemtheoretischen Einfluß geprägt wird, weisen ihre Vertreter - anders als Luhmann (vgl. Gerhards 1993:23) - dem politischen System eine Sonderstellung zu: Diesem wird "sowohl eine übergeordnete Stelle als Problemadressat als auch eine Sonderstellung als Problemlösungssystem" zugeschrieben (ebd.). D.h., daß das politische System noch seine Steuerungsfunktion aufrechterhält. Die Bezeichnung "funktionalistisch" wurde hier aus praktischem Grund gewählt, wird aber dem vorgestellten Modell nicht vollkommen gerecht, denn es handelt sich eigentlich um ein Mischkonzept, das Züge mehrerer theoretischer Ansätze trägt.

45 Im Gegensatz zu den parteipolitischen Akteuren der 'Interessenaggregation', die um Exekutivposten konkurrieren, werden - 'nicht trennscharf - die Akteure der 'Interessenaitikulation' unterschieden, die Einfluß auf die Exekutive nehmen wollen. Zu diesen Akteuren werden sowohl die Interessengruppen und Verbände als auch soziale Bewegungen, Protestgruppen und Bürgerinitiativen (sammelbegrifflich Protestakteure genannt) gezählt (ebd.). Hier wird einschränkend eingeräumt, daß die 'Protestakteure' im Vergleich zu den anderen Akteuren der 'Interessenartikulation' ein geringeres Organisationsniveau aufweisen und über eine andersartige Ressourcenbasis verfügen: Während den Verbänden und Interessengruppen verschiedene Mittel der Einflußnahme auf die Entscheidungsträger (Geld, Kontakte zu den Eliten, Organisationsmacht) zur Verfügung stehen, stellt die Mobilisierung der Öffentlichkeit für die Protestakteure den wichtigsten - häufig den einzigen - Weg dar, politische Entscheidungen zu beeinflussen (Gerhards & Neidhardt 1990:27, Anm. 18). Doch normativ wird den 'Protestakteuren' kein differenzierter Gehalt zugeschrieben. Sie zählen zu den strategisch handelnden 'Öffentlichkeitsakteuren', die ausgehend von ihren eigenen Interessen über die Medien versuchen, ein 'unterhaltungs- und orientierungsbedürftiges Publikum' zu erreichen (Neidhardt 1994:7). Dabei setzt man etwa die typischen Ausdrucksformen der Protestbewegungen (wie Protestaktionen und Kundgebungen) konzeptionell mit Instrumenten einer symbolischen Politik gleich, die Ereignisse für die Medien inszeniert. Beide Erscheinungen werden als Pseudoereignisse gekennzeichnet, die im Rahmen des 'news managements' u.a. durch ihren Schaueffekt einen Nachrichtenwert erzeugen sollen (Pfetsch 1994).

2.2 Die diskurstheoretische Ansicht In der von Habermas entwickelten diskurstheoretischen Konzeption wird das Bild einer restlos vermachteten Öffentlichkeit bestritten.23 Danach erfolgt in der politischen Öffentlichkeit neben der manipulativen Inanspruchnahme der Medienmacht zur Beschaffung von Massenloyalität, Nachfrage und 'compliance' gegenüber systemischen Imperativen ein kommunikativer Erzeugungsprozeß 'legitimer Macht' (Habermas 1990:45). Habermas geht also über den empirisch evidenten Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit hinaus, der im geschilderten funktionalistischen Modell als Öffent23

Hier beziehe ich mich nicht auf das klassisch gewordene Werk von Habermas "Strukturwandel der Öffentlichkeit", das den Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit beschreibt. Diese stellt für Habermas noch heute ein "lehrreiches", mittlerweile kontrafaktisches Muster für eine funktionierende Öffentlichkeit dar, die als "Kehrseite intakte Privatbereiche" hat (Habermas 1995a:81). Was Habermas in seinen jüngeren Beiträgen überwiegend beschäfigt, ist nicht der Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern die auf der Zivilgesellschaft basierenden Möglichkeiten der Aufrechterhaltung einer "politisch fungierenden Öffentlichkeit" (Habermas 1990, 1992c).

46 lichkeit schlechthin gilt, und recherchiert die Herkunft der 'Inputs', die in die Öffentlichkeit gelangen. Dabei stellt er fest, daß es hinter dem Kampf um Medienpräsenz eine profundere Ebene gibt, mit der die 'Erzeugung legitimer Macht' zusammenhängt. Die Habermassche Konzeption einer politischen Öffentlichkeit verweist auf die originelle Form, mit der der Autor die Frage aufarbeitet, wie gesellschaftliche Ordnung ohne 'Transzendenz und Tradition', also in einem säkularisierten Kontext, überhaupt möglich ist. In seiner Antwort erkennt Habermas die bindende Kraft der systemischen Steuerung, erfaßt jedoch auch einen zweiten Bereich, die Lebenswelt, die durch verständigungsorientierte Kommunikationsformen gekennzeichnet ist. 24 Daraus resultiert das Bild einer politischen Öffentlichkeit, die nicht zu einer bloßen Inszenierungsbühne strategisch handelnder Akteure degradiert wird, sondern "eine Mischung von systemischen Steuerungsversuchen einerseits u n d lebensweltlicher, autonomer Willensbildung mündiger Privatleute andererseits ist" (Rödel u.a. 1989:161). Mit anderen Worten, die Öffentlichkeit besteht nicht nur aus Diskursen, die lediglich den ökonomischen und administrativen Machtanspruch partikulärer Gruppen verdekken, sondern in sie fließen auch im Alltag kondensierte Kommunikationsströme, die gesamtgesellschaftlich relevante Fragen aufwerfen. In dem diskurstheoretischen Modell besteht der normative (emphatische) Gehalt der politischen Öffentlichkeit darin, als Vermittlungsinstanz zwischen diesen in der Lebenswelt generierten Impulsen und den Körperschaften, welche die politische Willensbildung institutionell artikulieren, zu fungieren. 25 Wenn die Kommunikationsströme, die aus den 'Mikrobereichen der Alltagspraxis' entstehen, die Grenzen der 'autonomen Öffentlichkeiten' 26 durchbrechen, können sie in die demokratisch verfaßten Beschlußgremien hineinfließen und die dort getroffenen Entscheidungen prägen. Die kommunikative Macht wird also 'im Modus der Belagerung' ausgeübt: "Sie wirkt auf die Prämissen der Urteils- und Entscheidungsprozesse des politischen Systems ohne Eroberungsabsicht ein" (Habermas 1992a: 208). 2 7 24

Nach Rödel u.a. ( 1 9 8 9 : 1 5 8 0 "entdämonisiert" Habermas mit dem dualen Modell Lebenswelt/ System die formale Rationalität. Ohne Rekurs auf kontrafaktische Potentiale kann man sich nun einen politischen Ausweg aus der Entfremdung vorstellen, die mit der Verbreitung formaler Rationalität zusammenhängt: E s gäbe noch eine Instanz, in der die formale Rationalität nicht vorherrscht, nämlich die Lebenswelt. Einer emanzipatorischen Politik geht es also nicht mehr wie bei der klassischen kritischen Theorie - um eine "Unterordnung der Zweckrationalität", sondern lediglich darum, einen institutionellen "Sicherheitszaun" zwischen System und Lebenswelt zu errichten.

25

Ich möchte hier auf einen in der Einleitung dieser Arbeit erwähnten Vorbehalt noch einmal hinweisen. Aufgrund meines Forschungsschwerpunktes wird in diesem Beitrag lediglich die Ö f f e n t l i c h k e i t als gesellschaftliche Vermittlungsinstanz dargestellt. Der andere Vermittlungsbereich, das R e c h t s s y s t e m , dem im diskurstheoretischen Demokratieverständnis eine zentrale Bedeutung (vgl. dazu Habermas 1995b) zukommt, wird hier am Rande berücksichtigt.

26

"Autonome Öffentlichkeiten" nennt Habermas ( 1 9 8 5 : 4 2 2 ) die, die nicht vom politischen S y -

27

Das Bild der Belagerung wird in "Faktizität und Geltung" (Habermas 1 9 9 2 c : 4 2 9 f f ) durch das

stem zu Zwecken der Legitimationsbeschaffung erzeugt und ausgehalten werden können."

47 Die demokratisch institutionalisierten Verfahren sollen dafür sorgen, daß die spontane Meinungsbildung auf den Entscheidungsebenen gewürdigt wird. Somit wird prozedural gesichert, daß die sozialintegrative Kraft der Solidarität, die den lebensweltlichen Kommunikationsimpulsen innewohnt, den anderen beiden (systemischen) Ressourcen, die den "Integrations- und Steuerurigsbedarf" (Habermas 1992b:23) moderner Gesellschaft befriedigen, nämlich Geld und administrativer Macht, entgegenwirkt. Stellen die rechtsstaatlichen Instrumente Garantien dafür dar, daß die Öffentlichkeit als Vermittlungsinstanz fungiert, über welche die im Rahmen von verständigungsorientierten Interaktionen generierten Kommunikationsströme in die Entscheidungsebene fließen, bleibt noch die Frage nach der gesellschaftlichen Basis einer solchen spontanen lebensweltlich verankerten Meinungsbildung offen. Hierbei rückt die Zivilgesellschaft in den Vordergrund. In diesem Kontext umfaßt die Kategorie unterschiedliche freiwillig organisierte Zusammenschlüsse (Vereine, Initiativen etc.), "die die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, k o n d e n s i e r e n und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit w e i t e r l e i t e n " (Habermas 1992c:443, Hervorhebung S.C.). Den zivilgesellschaftlichen Akteuren kommt also in diesem Konstrukt eine Doppelrolle zu, die ihren zweidimensionalen Charakter prägt. Die 'Kondensierung' der im Alltag auftretenden Problemlagen entspricht der d e f e n s i v e n Dimension dieser Akteure. Dabei handelt es sich um die Aufrechterhaltung und die Erweiterung der 'kommunikativen Infrastruktur der Lebenswelt' bzw. um die Herstellung von autonomen Öffentlichkeiten. Mit der 'Weiterleitung' der im Rahmen von alltäglichen Praktiken thematisierten Probleme schaltet sich die o f f e n s i v e Dimension zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Dabei geht es um den Versuch, "Beiträge zu Problemlösungen zu liefern, neue Informationen beizusteuern, Werte anders zu interpretieren, gute Gründe zu mobilisieren, schlechte zu denunzieren, um so einen breitenwirksamen Stimmungsumschwung herbeizuführen, die Parameter der verfaßten politischen Willensbildung zu verändern und zugunsten bestimmter Politiken Druck auf Parlamente, Gerichte und Regierungen auszuüben" (Habermas 1992c:448). Im Einklang mit Cohen & Arato (1989; Arato & Cohen 1984, 1988) weist Habermas an verschiedenen Stellen auf die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung einer solchen politischen Einflußnahme zivilgesellschaftlicher Akteure hin. Es handelt sich dabei um bestimmte Umstände (für Arato & Cohen 1988:55 'antinomies'), die eine radikal-demokratische Praxis' erschweren bzw. bedingen, und die drei Problembereiche erfassen: • Komplexitätsfrage: Um eine mehr oder weniger spontane Meinungsbildung zu fördern, dürfen die zivilgesellschaftlichen Organisationen die "Schwelle zur formalen, Schleusenmodell ersetzt bzw. präzisiert. Nach dieser Darstellung filtern sukzessive institutionelle Schleusen die Kommunikationsströme, die von der Pheripherie in die Entscheidungszentren hineinfließen.

48 zum System verselbständigten Organisation nicht überschreiten" (Habermas 1985: 423). Andernfalls kann der Komplexitätsgewinn die Einschaltung von 'Organisationsimperativen' und die daraus folgende Ablösung von der Basis hervorrufen. 28 • Machtfrage: Die zivilgesellschaftlichen Akteure besitzen keine unmittelbare politische Macht. Ihr Einfluß auf das politische Geschehen erfolgt durch kommunikative Impulse, die über die rechtsstaatlich institutionalisierten Mechanismen der Willensbildung die Entscheidungszentren erreichen. Damit will man die Vorstellung einer Zivilgesellschaft, die an die Stelle des Staates tritt, ausschließen. • Gesellschaftliche Strukturbedingungen: Eine Zivilgesellschaft, der die oben genannte Doppelrolle zukommt, ist nur in einem sozialen Kontext vorstellbar, der einerseits durch eine "freiheitliche politische Kultur" und andererseits durch eine "unversehrte Privatsphäre" charakterisiert ist. "Sonst entstehen populistische Bewegungen, die die verhärteten Traditionsbestände einer von kapitalistischer Modernisierung gefährdeten Lebenswelt blind verteidigen" (Habermas 1992c:449). Die Vorstellung einer sich in der oben genannten Form selbstbegrenzenden Zivilgesellschaft stellt aber keinen Konsens im Rahmen der Civil-Society-Debatte dar. Mehrere Autoren versuchen in diesem Kontext, das diskurstheoretische Demokratiekonzept zu erweitem. Ihnen zufolge kann sich eine 'radikal-demokratische Praxis' nicht auf die bereits etablierten Kanäle der politischen Willensbildung beschränken. Schmalz-Bruns (1994a) etwa akzentuiert das republikanische Moment der Demokratie und tritt für eine Horizontalisierung der Entscheidungsprozesse ein. Epple-Gass (1992:120ff) hält es für fragwürdig, daß die zivilgesellschaftliche Einflußnahme auf die Politik lediglich über die vorhandene Öffentlichkeit erfolgen kann, da diese Akteure heute "öffentlichkeitsuntauglich" geworden seien. Die Rekonstruktion einer politisch fungierenden Öffentlichkeit setze deshalb basisdemokratische Prozesse, die im lokalen Bereich "Erfahrungen von Macht vermitteln", voraus.

2.3 Vergleich der Modelle Vergleicht man die beiden kurz beschriebenen Konzepte von Öffentlichkeit und die damit verbundenen Darstellungen einer Zivilgesellschaft, so kommen einige grundlegende Unterschiede zum Vorschein. Das erste skizzierte Modell, das von einer vollständig vermachteten Öffentlichkeit ausgeht, stellt die Frage nach einer differenzierten politischen Rolle der Zivilgesellschaft nicht. Die rein empirische Definition von Öffentlichkeit berücksichtigt lediglich die marktähnliche Gestaltung dieser Sphäre, ohne den Entstehungsprozeß der 28

Das Spannungsfeld Komplexität/Basisnähe wird in der Literatur über die neuen sozialen Bewegungen oft durch die Dichotomie Bewegung/Institution beschrieben (vgl. Roth 1994a).

49 verschiedenen Inputs zu untersuchen, die in die Öffentlichkeit gelangen. Damit Öffentlichkeit hier noch eine legitimatorische Funktion für politische Herrschaft erfüllen kann, muß Legitimation als bloßes Resultat einer erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit begriffen werden, i.e. politische Legitimation wird allein eine Frage der Zugriffsmöglichkeit auf Kommunikationsressourcen. Nach dem funktionalistischen Muster konkurrieren auf dem Meinungsmarkt alle 'Öffentlichkeitsakteure' (Verbände, Parteien, Gewerkschaften, Protestbewegungen etc.) um die knappe Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit. Gleicherweise wie die übrigen Öffentlichkeitsakteure benutzen die 'Protestakteure' die Öffentlichkeit lediglich als Inszenierungsbühne, um politisch-publizistischen Einfluß zu erwerben. Somit wird etwa der Besuch von Präsident Clinton vor dem Brandenburger Tor mit den Lichterketten gegen die Ausländerfeindlichkeit gleichgesetzt (Pfetsch 1994:19). Beide Aktionen werden ausschließlich unter dem Aspekt der Erzeugung von Nachrichtenwerten interpretiert. Die Suche nach einer gesellschaftlichen Zustimmung für ihre Botschaften bzw. einer Veränderung der Meinungslage wird in diesem Modell bei den 'Protestakteuren' (wie den Lichterketten) explizit nicht erfaßt. Im diskurstheoretischen Modell der (politischen) Öffentlichkeit wird den zivilgesellschaftlichen Akteuren indessen ein differenzierter Gehalt zugeschrieben. Sie unterscheiden sich von den übrigen 'Öffentlichkeitsakteuren' vor allem auf drei Ebenen: • Inhaltlich: Während Verbände, Interessengruppen etc. auf der Öffentlichkeitsebene Belange partikulärer politischer und ökonomischer Gruppen vertreten, thematisieren zivilgesellschaftliche Akteure hingegen im Alltag (im Rahmen der Lebenswelt) auftretende Problemlagen und somit gesamtgesellschaftlich relevante Fragen. * Kommunikationsform: Geht es bei den übrigen Öffentlichkeitsakteuren ausschließlich um die strategische Besetzung von Öffentlichkeitsräumen, so versuchen zivilgesellschaftliche Akteure, die Öffentlichkeit als effektive Arena der diskursiven Argumentation zu gestalten, um die Gesellschaft von der Berechtigung ihrer Ansprüche zu überzeugen 29 . Die aus 'kommunikativen Anstrengungen' resultierende Macht beruht also auf der in der Gesellschaft gefundenen Zustimmung für die ver29

Die Unterteilung der öffentlichen Kommunikationsformen in drei mögliche Typen, die Neidhardt (1994:20) vornimmt, scheint das Spezifikum in den kommunikativen Praktiken zivilgesellschaftlicher Akteure zu beleuchten. Diese wären: • Verlautbarungsform: Dabei findet keine kommunikative Interaktion statt. Der Sprecher bezieht sich immer auf seine eigene Argumentation und Kategorien. Auch Fragen werden nach diesem monologischen Schema beantwortet. • Agitationsmodus: Die Gesprächspartner versuchen die Argumente der Gegner zu diskreditieren, ohne auf deren eigentlichen Inhalt einzugehen. • diskursive Form: Dabei bemühen sich die Gesprächspartner um eine verständigungsorientierte Kommunikation, die auch zu Revisionen der eigenen Ausgangspositionen führen kann. Während die übrigen "Öffentlichkeitsakteure" ausschließlich auf die ersten beiden öffentlichen Kommunikationsmodi zurückgreifen, stellt der diskursive Typus nach dem Habermasschen Modell die eigentümliche öffentliche Kommunikationsform zivilgesellschaftlicher Akteure dar.

50 mittelten Messages. Wie Rödel (1994:35) prägnant formuliert: "Auf Überzeugung beruhende, geteilte Argumente und Meinungen im öffentlichen Raum sind die Macht, über die zivilgesellschaftliche Assoziationen verfügen können und wollen". • Herangehensweise an die Öffentlichkeit: Da die zivilgesellschaftlichen Akteure über Mittel der Einflußnahme wie Geld, Kontakte etc. nicht verfügen (wie übrigens auch aus dem funktionalistischen Modell hervorgeht), sind sie auf die Öffentlichkeit angewiesen und somit besonders empfindlich für die Gefährdungen der öffentlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Deshalb geht es den zivilgesellschaftlichen Akteuren nicht nur um die bloße Benutzung der Öffentlichkeit, sondern auch um ihre Beteiligung an der Reproduktion und Vitalisierung dieser Sphäre, indem sie versuchen, die öffentlichen Kommunikationsstrukturen auszuschöpfen und sie durch Involvierung von neuen Randgruppen und Minderheiten sowie Benutzung neuer Kommunikationsmittel zu erweitern (vgl. Habermas 1992c:453ff). Werden die unterschiedlichen Inhalte und die differenzierten gesellschaftlichen Verwurzelungen verschiedener 'Öffentlichkeitsakteure' im funktionalistischen Modell verwischt, so weist die diskurstheoretische Definition auch einige Probleme in der Anwendung als theoretisches Ausgangsinstrumentarium für die Untersuchung der Dynamik moderner demokratischer Öffentlichkeiten auf. Wenn man etwa die diskurstheoretische Annahme ernst nimmt, daß der publizistische Einfluß zivilgesellschaftlicher Akteure ausschließlich auf den argumentativen Überzeugungsgehalt ihrer Botschaften zurückzuführen ist, so läßt sich kaum noch eine in der Öffentlichkeit de facto handelnde 'Protestbewegung' als zivilgesellschaftlicher Akteur bezeichnen. Denn neben argumentativer Überzeugung leisten die Protestakteure auch eine strategisch orientierte Öffentlichkeitsarbeit, die lediglich auf Medienpräsenz zielt. Dabei handelt es sich um eine Anpassung an die Strukturvoraussetzungen der Medien: Wie die übrigen Öffentlichkeitsakteure versuchen auch 'Protestakteure' im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit "Informationen von Nachrichtenwert anzubieten, die sich inhaltlich und terminlich an der journalistischen Produktionsweise und den institutionellen Bedingungen der Massenmedien orientieren" (Rossmann 1993:85, vgl. diesbezüglich auch Schmitt-Beck 1990). Diese 'realpolitische' Konzession bedeutet meines Erachtens nicht die Kapitulation des den zivilgesellschaftlichen Akteuren zugeschriebenen normativen Anspruches, im Alltag auftretende Problemlagen in die politische Öffentlichkeit zu liefern und dabei die Legitimationsgrundlage einer kommunikativ erzeugenden Macht mitzugestalten. Die Qualifizierung für die Erfüllung dieser Funktion hängt von akteurinternen Faktoren ab: Bleibt ein Protestakteur durchlässig für die aus der Basis kommenden Impulse, so ist dieser Akteur trotz einer eventuell tüchtigen Leistung von zweckorientierter Öffentlichkeitsarbeit noch in der Lage, die in der Lebenswelt wahrgenommenen Problemlagen zu kondensieren und in die Öffentlichkeit zu transportieren.

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Kapitel 3 Medien, Zivilgesellschaft und 'Kiez': Kontexte des (Wieder-)Aufbaus der politischen Öffentlichkeit in Brasilien30 Die Feststellung, daß in den zeitgenössischen Demokratien öffentliche Kommunikationsformen zu einem zentralen Instrument der politischen Legitimationsvermittlung wurden, ist mittlerweile trivial. Ebenfalls banal scheint die Behauptung zu sein, daß in der lateinamerikanischen Politiklandschaft klientelistisch geprägte Loyalitätsbindungen noch (vor)herrschen. Spannend ist jedoch eine Untersuchung, wie in den 'neuen Demokratien' Lateinamerikas traditionelle politische Praktiken und massenmediale Instrumente der Loyalitätsbeschaffung zusammenwirken und den Politikalltag zu einer Collage widersinniger Fragmente machen. Im vorliegenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden, diesem Fragenkomplex anhand des brasilianischen Beispieles ansatzweise nachzugehen. Dazu werden zunächst einige spezifische Eigenschaften des brasilianischen öffentlichen Raumes skizziert, wobei ich vornehmlich auf Beiträge zurückgreife, die eine zugespitzte Darstellung der undemokratischen Charakteristika der Politik- und der Medienlandschaft Brasiliens anbieten. Jüngste Entwicklungen, die zeigen, daß der Aufbau einer 'politisch fungierenden Öffentlichkeit' in Brasilien in den letzten Jahren auf dem Vormarsch ist, werden anschließend dargestellt. Dabei geht es um die Untersuchung neuerer Transformationsprozesse im Bereich der Massenmedien und der 'kleinen Öffentlichkeiten' und der damit zusammenhängenden veränderten Handlungsspielräume für die zivilgesellschaftlichen Akteure. Es wird die These vertreten, daß die Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit zwei Tendenzen entgegenwirkt: einerseits den öffentlichen Raum manipulativ zu beeinflussen, andererseits über klientelistische Netzwerke Politik abseits der öffentlichen Debatten zu betreiben.

30

Eine geänderte Fassung dieses Kapitels erscheint in der Zeitschrift Prokla (Costa 1996).

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3.1 Die Öffentlichkeit in Brasilien 3.1.1 Politische Aspekte Schon aus den klassischen Studien (vgl. Oliveira Vianna 1942; Freyre 1936), die bahnbrechend versuchten, die Konturen einer brasilianischen 'Sozialpsychologie' nachzuzeichnen, geht ein wesentliches Merkmal der brasilianischen Öffentlichkeit hervor. Sie betonten die übergroße Rolle des Privatbereichs, dessen Reichweite den öffentlichen Raum bedingt und begrenzt. Ipsissima verba: "Wir Brasilianer sind alle ungefähr so: das häusliche Leben nimmt uns [ . . . ] in d e m M a ß e in Anspruch, d a ß das öffentliche und soziale Leben vor dieser Vorherrschaft kapituliert und sich zurückzieht" (Oliveira Vianna 1942:34).

Viele zeitgenössischen Beiträge unterstützen diese klassische Diagnose. Sie legen dar, daß die Logik der Privatsphäre, ja der Familienbindungen, in den öffentlichen Raum eindringt und die Beziehungsmuster auf dieser Ebene prägt. In seiner bekannten Studie 'A Casa e a Rua' zeigt z. B. der Anthropologe DaMatta (1985) auf, wie die Vetternwirtschaft im weitesten Sinne nicht eine Entstellung, sondern einen konstitutiven Bestandteil der brasilianischen politischen Kultur verkörpert.31 Sie stellt das Gegenstück jenes politischen öffentlichen Diskurses dar, der den liberal-universalistischen Charakter der Politik betont, während die politische Praxis durch die differenzierte Behandlung der Freunde, die Privilegierung der Verwandten etc. charakterisiert wird. Dabei handelt es sich lediglich um eine Beziehungsloyalität (lealdade relacional), die keinerlei rechtliche oder ideologische Verankerung aufweist. Wie DaMatta in origineller Formulierung ausdrückt:

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Die Existenz einer Vetternwirtschaft in Brasilien findet ihre vielleicht früheste, aber bezeichnende Äußerung in dem Schreiben, in welchem der Expeditionsschreiber Caminha dem König Portugals die Entdeckung Brasiliens mitteilte. Nach einer rührenden Beschreibung der herrlichen tropischen Landschaft schließt Caminha den Brief mit der Bitte um einen Posten in der neuen Kolonie für seinen Schwiegersohn (vgl. DaMatta 1992:8ff). Zur Favorisierung von Freunden und Verwandten als eine noch herrschende Praktik in der brasilianischen Politik liefert die Presse täglich zahlreiche Beispiele. Etwa Ende 1994 sorgte der ehemalige Präsident Itamar Franco dafür, daß seine engsten Mitarbeiter nicht arbeitslos wurden, als er die Regierung verließ. Es sei auf drei Ernennungen hingewiesen, die besonders auf persönlichen Kriterien zu beruhen scheinen: Francos Rechtsberater José de Castro, ein Rechtsanwalt, wurde Präsident des staatlichen Telefonunternehmens TELERJ; der ehemalige Wirtschaftsminister wiederum, der dadurch bekannt wurde, daß er in einem aus technischem Versehen im Fernsehen live übertragenen Privatgespräch behauptete, keine politischen Skrupel zu haben, wurde brasilianischer Botschafter in Rom. Der ehemalige Justizminister, der Protagonist eines peinlichen öffentlichen Besäufnisses im Karneval in Rio gewesen war, erhielt einen lebenslänglichen Posten als Mitglied des angesehenen brasilianischen Bundesgerichtshofes (vgl. Veja, 2. 11. 94:43f).

53 "[Bei der Entscheidung] zwischen einem unpersönlichen Gesetz, das besagt: 'Verboten!' und einem guten Kumpel, der sagt: 'Ich will es!', stehen wir hinter dem Freund und stutzen das Gesetz zurecht" (DaMatta 1992:17). Ausgehend von diesen 'häuslichen' Mustern werden die öffentlichen Kontakte aufgenommen: Man versucht stets im öffentlichen Raum neue Loyalitäten zu gründen und neue Kompromisse zu schließen. Wenn Konflikte auftauchen, wird erwartet, daß diese nicht sachlich aufgrund bestimmter Rechte und Pflichten, sondern persönlich gelöst werden, also durch ein Ritual, das die fremde Gegenpartei in Freund (oder Feind) umwandelt: 32 "Man weiß, daß eine unpersönliche und universalistische Behandlung eine Form darstellt, ein Problem nicht zu lösen oder dessen Lösung zu erschweren" (ebd.:67). Die Implikationen dieser sozialen Dynamik für die Konsolidierung der Staatsbürgerschaft liegen auf der Hand. Der Staatsbürger ist nicht die letzte Einheit der politischen Gemeinschaft. Nicht über allgemein geltende Normen werden die Teilnehmer der politischen Gemeinschaft integriert, sondern über die Familien, die Freundschaftskreise etc., aufgrund deren der Vollgenuß der 'Staatsbürgerrechte' sich realisiert - oder eben nicht. Doch mit dieser politischen Integrationsform hängen offensichtlich Engpässe zusammen, die es erschweren, daß die Öffentlichkeit ihre sowohl in der diskurstheoretischen als auch in der funktionalistischen Perspektive zugeschriebene Funktion erfüllen kann, nämlich, als Arena zu fungieren, in der eine mehr oder weniger freie Willensbildung stattfindet, auf der die politische Legitimation der demokratischen Ordnung beruht. Hier zeigen sich mindestens drei miteinander zusammenhängende Fragenkomplexe: * Ungleiche politische Integrationsintensitäten: Es dürfte ersichtlich sein, daß in einem Kontext, in dem die Zugangsqualität zu öffentlichen Gütern (von staatlichen Leistungen bis hin zu der Gewährleistung der Verfassungsrechte durch den Justizund Polizeiapparat) von persönlichen Beziehungen abhängt, nur eine äußerst hierarchisierte Form der Staatsbürgerschaft entstehen kann. Diejenigen, die keine Beziehungen zu einflußreichen Personen haben, können nur partiell (qualitativ und quantitativ betrachtet) die geltenden Verfassungsrechte in Anspruch nehmen. Daraus ergibt sich die Entstehung von Bevölkerungsgruppen, die sich selbst nicht als Bürger, i.e. Mitglieder einer politischen Gemeinschaft, deren Kohäsion auf allge-

32

W.G. dos Santos (1993:102ff) belegt in einer umfassenden empirischen Studie, daß die Verheimlichung von Konflikten ein konstitutives Merkmal der brasilianischen Gesellschaft ist. In der Untersuchung erklärt nur ein kleiner Teil der brasilianischen Erwachsenen, sich an irgendeinem Konflikt (im Rahmen der Arbeit, der Ehe etc.) beteiligt zu haben. Die Mehrheit deijenigen, die die Teilnahme an einem Konflikt zugaben, löste die Angelegenheit mit ihren eigenen Mitteln - also ohne Rekurs auf institutionelle oder gerichtliche Wege. Dies belegt, so Santos, das wacklige gesellschaftliche Vertrauen auf institutionelle Mechanismen der Konfliktlösung.

54 mein geltenden Nonnen beruht, wahrnehmen, und darüber hinaus die Legitimität dieser Normen nicht anerkennen können. Dieses Segment lebt in einer, wie es Prandi (1992:84) nennt, "vorethischen Welt". Damit meint der Autor einen Kontext, in dem die rasante Urbanisierung zu einem Verlust traditionell tradierter Werte und Normen führte: Die religiösen Normen, die historisch als ethische Referenz für diese Bevölkerungsgruppen galten, hätten bereits ihre bindende Kraft verloren, ohne daß an deren Stelle sozial tragfahige säkularisierte Werte und ein entsprechender Normenkodex treten würden. 33 Diese Bevölkerungssegmente, die sich traditionell oft als sehr anfällig für die populistischen Versprechen erwiesen haben, gelten gegenwärtig als Rekrutierungsfeld der neokonservativen Sekten, die sich auf einem brisanten Vormarsch befinden. Solche Gesinnungsgemeinden stellen integrative Gemeinschaftskeimzellen dar, in denen die 'Waisenkinder' der Politik und der etablierten Religionen versuchen, die weltlichen Mißerfolge (sozialer Abstieg etc.) durch den moralischen Sieg über die Sünde und die Versuchung zu kompensieren (vgl. Rott 1991). 34 • Zerstörung der Legitimationsgrundlage der Verfassungsordnung: Werden die als universell geltenden Normen einer Logik der persönlichen Beziehungen untergeordnet, womit die Inanspruchnahme von Verfassungsrechten hierarchisiert wird, so fördert man eine Ungewißheit darüber, auf welcher Basis (die schriftlichen Normen oder die Logik der Beziehung) die sozialen Interaktionen überhaupt erfolgen sollen. Man muß bei jeder öffentlichen Kontaktaufnahme das zweckmäßige Verhalten finden, das nicht unbedingt mit den Vorschriften übereinstimmt. Dabei sind die Prämissen einer Verfassungsordnung gefährdet, und zwar der Glaube an die Effektivität des vorschriftsgemäßen Handelns und die Erwartung, daß sich die Gesamtheit der Gesellschaftsmitglieder an diese Normen halten. Santos (1993:108ff) zufolge entspricht der Zerfall der universellen Normen einem Entzug jeglicher positiver symbolischer Bedeutung, welche die Gesellschaft dem 33

Neben der vorethischen Welt erfaßt Prandi eine postethische Welt, für die ebenso die allgemein zu beachtenden Normen nicht gelten. Diese postethische Welt wird von den korrupten Eliten konstituiert, die über einen privilegierten Zugang zum Staat verfügen. Sie versuchen stets, den öffentlichen Raum bzw. die öffentlichen Güter privat zu eignen (Beispiele zu einer gesetzwidrigen Privatisierung des öffentlichen Raumes im wörtlichen Sinne, d.h. durch private Benutzung von Stränden und Straßen, liefert O'Donnell 1988). Die Frage des ungleichen Zugangs zu öffentlichen Gütern wird ebenfalls von Neves (1994) anhand der Stichworte der Über- bzw. Unterintegration thematisiert.

34

Mit dem Zuwachs der neokonservativen Kirchen - besonders der Pfmgstbewegung - in Brasilien beschäftigten sich bereits mehrere wissenschaftliche Studien. Mariano & Pierucci (1992) stellen fest, daß diese Sekten nicht nur eine erhebliche gesellschaftliche Kraft (ihre Gläubigen bilden nach diesen Autoren ca. zehn Prozent der Brasilianer), sondern auch eine einflußreiche inoffizielle Fraktion im Parlament darstellen (die "evangelische Fraktion" - bancada evangelica). Dabei spielen die Gläubigen eine untergeordnete Rolle, indem sie ihren geistigen Führern bzw. deren politischen Genossen - die Stimme geben, ohne jeglichen Einfluß auf das Wahlprogramm oder die parlamentarische bzw. administrative Betätigung dieser Führer zu nehmen.

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öffentlichen Raum zuschreibt. Dies kann zu einem Rückzug ins Private führen, aber auch die Entstehung kleiner sozialer Gruppierungen (Verbrecherbande, Korruptionsnetzwerke usw.) hervorrufen, die das Strafgesetzbuch völlig ignorieren und sich an ihren eigenen Ehrenkodizes orientieren. • Unausgewogenheit zwischen Partizipation und Repräsentation: In einer umfassenden Studie über "Politik und Gesellschaft in Lateinamerika" geht Alain Touraine (1989) auf die Bedeutung der Beziehungsloyalität für die Konstituierung des lateinamerikanischen öffentlichen Raumes ein. Hier werden einige Aspekte seiner Argumentation wiedergegeben, die meines Erachtens auf die brasilianische Realität zutreffen. Touraine zufolge läßt sich die Dynamik der politischen Öffentlichkeit in Lateinamerika nicht durch das europäische Muster einer Parteienkonkurrenz erklären, in der die parteipolitischen Akteure (Parteien, Fraktionen, Einzelpolitiker etc.) zwischen vororganisierten sozialen Interessen und einem Staat vermitteln, dessen politische Amtsinhaber periodisch neu gewählt werden. Ebensowenig eignet sich das amerikanische Demokratiemodell der 'interest groups', nach welchem Interessengruppen auf dem politischen Markt konkurrieren und sich somit gegenseitig limitieren. Für Lateinamerika zeigt sich eher, daß die mächtigen ökonomischen Gruppen kaum versuchen, über die Öffentlichkeit einen entsprechenden Einfluß auf die politischen Entscheidungen zu nehmen. Statt dessen werden die Interessen unmittelbar über Amtsinhaber innerhalb des Staatsapparates vertreten, indem die ökonomischen Gruppen Einzelpolitiker bestechen und Behörden 'feudalisieren', d.h. sie für die Umsetzung bestimmter Zwecke ausnutzen (O'Donnell 1993). Die Parteien weisen in diesem Kontext keine organischen Ideologieinhalte auf, auf die sich die parteilichen Diskurse und Handlungen beziehen. 35 Die politischen Akteure stützen sich vielmehr auf die Familien- und Freundschaftsnetzwerke, die an die Stelle der fragil organisierten sozialen Akteure treten. In einem solchen öffentlichen Raum, so Touraine, rücken Kategorien wie Ehrenloyalität, Verrat, affektive Präferenzen statt strategischer Koalitionen und politischen Kalküls ins Zentrum der politischen Sprache bzw. des politischen Handelns. Damit ist Politik also nicht nur eine Frage von "Interessen", sondern auch eine von "Leidenschaften". In diesem Politikverständnis gibt es keinen Raum für die "Kälte" und die "didaktischen Diskurse", die die europäische Politik kennzeichnen: Man redet eher von den im All-

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Kinzo ( 1 9 9 3 ) belegt die weichen programmatischen Konturen der brasilianischen Parteien: S i e stellt fest, daß den meisten der 19 verschiedenen Parteien, die 1 9 9 3 im Nationalkongreß vertreten waren, kein klares ideologisches Profil zugeschrieben werden könne. Dennoch weisen die jüngsten parlamentarischen Aktivitäten der Abgeordneten der wichtigsten Parteien, so die Autorin, eine positive Entwicklung auf: Diese Politiker tendieren allmählich dazu, Positionen zu vertreten, die sich kontinuierlich mehr in differenziert logische Zusammenhänge einordnen lassen. Dies spräche dafür, daß sich die brasilianische Parteienlandschaft mittelfristig konsolidieren könnte.

56 tag erlebten Härten und Beklemmungen, von Freude und Trauer, von konkre: existierenden Gemeinschaften und Menschen. Dieser expressiven Erscheinungsform der Politik, entspricht nach Touraine (1989: 178) ein Muster des kollektiven Handelns, das mit brisanten aber episodischen Massenmobilisierungen assoziiert wird, als ob "die Leidenschaften eher kurze und gewaltsame Dramen als langfristig organisiertes Handeln erzeugen könnten". Das politische Engagement, das nicht von Urteilen, die auf Reflexionen basieren, sondern lediglich von Betroffenheit, Empörung und diffusen gemeinschaftlichen Zugehörigkeitsgefühlen ausgeht, kann zwar in spektakuläre Massendemonstrationen münden, aber keine Dauerakteure entstehen lassen, die für eine sinnvolle Teilnahme am Willensbildungsprozeß geeignet sind. Somit kann die diffuse gesellschaftliche Solidarität, die bei diesen episodischen Mobilisierungsprozessen zum Ausdruck kommt, nicht k o n t i n u i e r l i c h auf die Domäne der Politik einwirken.

3.1.2 Die Medienlandschaft Nachdem der Hörfunk über mehrere Jahrzehnte seine Vormachtstellung als wichtigstes und verbreitetstes Massenmedium Brasiliens aufrechterhalten konnte, macht ihm das Fernsehen derzeit diese hegemoniale Position streitig. Inzwischen erreicht das Fernsehen - je nach Region - bis zu 92 % der Brasilianer. Die Rezeption und die Zeit, die beim Fernsehen verbracht wird, stehen in umgekehrter Proportion zu dem Einkommensniveau, je ärmer die Bevölkerungsgruppe ist, desto mehr und öfter wird ferngesehen (vgl. Miceli 1989:23). Im Bereich der Printmedien ist dagegen eine positive Wechselbeziehung zwischen Einkommen und Verbreitung von Zeitungen bzw. Zeitschriften zu beobachten: Wenn man die brasilianische Bevölkerung in fünf Einkommensklassen einstuft, so erreichen die Zeitungen 87 % der obersten und nur 16 % der untersten Bevölkerungsschicht. In dieser Unterteilung erreichen die Zeitschriften wiederum 88 % der obersten und nur noch 14 % der untersten Einkommensschicht (vgl. Wilke 1992:105). Die Leserdichte (Anzahl der Zeitungsexemplare pro 1000 Einwohner) liegt bei 57, ein im Vergleich mit Deutschland (350), den USA (268) aber auch Mexiko (120) oder Venezuela (186) bescheidener Koeffizient (ebd. 97). Besteht in der Zeitschriftenproduktion eine eindeutig besitzstrukturelle Konzentration (ein einziger Verlag gibt 9 der 10 auflagenstärksten Zeitschriften heraus (ebd.: 104)), so existieren auf dem Zeitungsmarkt mehrere wichtige Organe, die im Besitz verschiedener Unternehmergruppen sind und unterschiedliche Meinungslinien darstellen. Doch unter den überregionalen Zeitungen läßt sich eine Tendenz zur Oligopolbildung erkennen: Den vier größten Organen gehört über die Hälfte des Kapitals bzw. des Umsatzes der insgesamt etwa 300 brasilianischen Tageszeitungen (vgl. Silva 1986:41; Michahelles & Leite 1994:566).

57 Kein anderer Medienbereich weist aber die Machtballung auf, die im Fernsehsektor herrscht. Vier36 privatrechtlich organisierte Fernsehnetze kontrollieren fast den gesamten Markt, dabei erreicht Rede Globo, das mächtigste Medienunternehmen Brasiliens, und das viertgrößte der Welt, durchschnittlich Einschaltquoten von über 70 %. Der Einfluß von Rede Globo auf die Meinungsbildung in Brasilien wird gängig als 'gewaltig' (Michahelles & Leite 1994) bezeichnet: 80 % der Brasilianer halten (nach einer 1988 durchgeführten Umfrage) Rede Globo für die einflußreichste brasilianische Institution, noch vor dem Präsidenten, der Kirche und dem Nationalkongreß (vgl. Wilke 1992:125). Rede Globo ist sich seiner gesellschaftlichen Macht bewußt, es spielte und spielt weiterhin eine entsprechend bedeutende Rolle in der jüngsten brasilianischen Geschichte. In der Wahlzeit wählt das Medienunternehmen seine Kandidaten aus und favorisiert diese in seiner Berichterstattung. Das augenfälligste und meistzitierte Beispiel dazu stellt zweifelsohne die Unterstützung des Kandidaten Collor dar, der 1989 dank zahlreicher TV-Auftritte als "well-trained television performer" (Flynn 1993:357; vgl. auch Lima 1993 und Marques de Melo 1992) in wenigen Monaten den Aufstieg von einem unbedeutenden Provinzpolitiker zum Staatspräsidenten erreichte. Im Vergleich zum Fernsehwesen herrscht im Hörfunkbereich eine viel dezentralisiertere Besitzstruktur. Jedoch kann auch der Radiosektor nicht als ein freier Wettbewerbsmarkt bezeichnet werden, auf dem die politischen Favorisierungen keine wichtige Rolle spielen. Die Konzessionen für den Betrieb von Radiosendern (sowie Fernsehanstalten) werden von der Regierung meistens aufgrund politischer Kriterien erteilt. Der inhaltliche und technische Verdienst eines Lizenzantrages wird kaum berücksichtigt, maßgebend dabei bleibt die politische Loyalität gegenüber der Regierung, die die Antragsteller versprechen (vgl. Borin 1991:19).37 36

Die Privatnetze erhalten insgesamt 98 % der Einschaltquoten. Die Entstehung neuer TV-Formen - wie "community TV", "local relay stations" und "subscription TV" (Amaral & Guimaräes 1994:37) - trägt nicht erheblich dazu bei, die Machtballung im Fernesehbereich abzubauen, denn die neuen Anstalten "are offering the programs of the largest networks" bzw. werden von den großen Netzen betrieben (ebd.).

37

1 987 war Präsident Sarney Protagonist eines der skandalösesten Mißbräuche des Prärogativs der Exekutive, über die Konzession von Radio- bzw. Fernsehsendern zu entscheiden. Durch eine generöse Erteilung von Lizenzen, die vor allem die 'evangelische Fraktion' begünstigte, gelang es dem damaligen Präsidenten, eine positive Stellungnahme des Nationalkongresses für die Verlängerung seiner Amtszeit für ein weiteres Jahr zu erhalten. Von den 91 Parlamentariern (16,3 % der Parlamentsmitglieder!), die während der Regierung Sarney eine Betriebslizenz für eine Radio- bzw. TV-Anstalt erhielten, stimmten 82 für die Verlängerung der Amtszeit (vgl. Motter 1994:94ff). Die 1988 gebilligte Verfassung änderte zwar die bis dahin geltenden Lizenznormen, jedoch nicht grundsätzlich. Dem neuen Verfassungstext zufolge müssen die neuen Konzessionen bzw. ihre Verlängerung vom Nationalkongreß in Einklang mit einem aus "Vertretern der Zivilgesellschaft" zusammengesetzen Kommunikationsrat (Conselho de Comunicaf ä o Social), bestätigt werden. Dieser Kommission wird allerdings lediglich eine Beratungsfunktion und keine Beschlußkompetenz zugewiesen (vgl. Herscovici 1995:26 und Borin 1991:19ff).

58

3.2 Der Aufbau der Öffentlichkeit in Brasilien Das oben geschilderte Bild der brasilianischen Öffentlichkeit deutet auf einen Kontext hin, in dem Medienriesen verkehren und traditionell-populistische Formen der Loyalitätsbeschaffung mit medialen Manipulationsstrategien der politischen Massenpräferenzen zusammenspielen. Jedoch sollen in diesem Abschnitt Beobachtungen über jüngste Entwicklungen im Massenmedienbereich, in der Zivilgesellschaft und im Rahmen der 'kleinen Öffentlichkeiten' aufgezeigt werden, die die Entstehung einer 'politisch fungierenden' Öffentlichkeit begünstigen.

3.2.1 Jüngste Transformationen im Medienbereich Hintergrund für die zunehmende Bedeutung der Massenmedien im Rahmen des Aufbauprozesses der Öffentlichkeit in Brasilien sind zwei Entwicklungen: a) Etablierung

eines

neuen

Journalismuskonzeptes

In den 70er Jahren, als Vertreter des Militärregimes in den Redaktionen der großen Presseorgane saßen, ihre eiserne 'vorbeugende Zensur' (censura prèvia) übten und die Zeitungen zu einer 'Hofberichterstattung' zwangen, erlebte die sogenannte 'alternative Presse' ihre Blütezeit. Es entstanden zahlreiche Zeitungen (Movimento, Pasquim, De Fato, Coojornal, Em Tempo, Versus etc.), die in der Mehrzahl wöchentlich erschienen und in den Kiosken oder auch im Handverkauf vertrieben wurden. Eine neue Redaktionsstruktur - zumeist selbstverwaltete Kollektive von Journalisten - und vornehmlich ein neuer Journalismusstil kennzeichneten diese Organe. Diese Periodika brachten "eine andere Sprache und eine gewagte Thematisierung von Anklagen, Entmystifikation und neuen Vorschlägen" (Festa 1986:17) ein. Als Ende der 70er Jahre die 'demokratische Öffnung' begann, konnte allerdings kaum eines der alternativen Organe überleben. Sie starben allmählich aus finanziellen und organisatorischen Gründen aus. Ihre Darstellungsweise hatte jedoch Bestand, da sie die brasilianische Journalismuskultur nachhaltig geprägt hatte. Nach der Lockerung der Pressezensur wurde 1978 nicht nur das Personal der alternativen Blätter in die etablierten Organe aufgenommen, sondern seitens einiger dieser Zeitungen auch versucht, die kritische und denunziatorische Stilrichtung der 'Alternativen' fortzusetzen. 38 Die heute auflagenstärkste Zeitung Brasiliens Folha de Säo Paulo verkörpert am besten den Versuch, ein Journalismuskonzept unmittelbar in Einklang mit der gesell38

Eine entsprechende Wechselbeziehung wird auch in den konsolidierten Demokratien beobachtet. Hierzulande konstatiert Roth (1987:83), daß die alternative Presse als "Themenspender" und Rekrutierungsfeld der etablierten Massenmedien fungiert.

59 schaftlichen Forderang nach mehr Demokratie und Transparenz im politischen Prozeß zu bringen. Durch ihre Partizipation "mit Leib und Seele" an der Bewegung für Direktwahlen des Staatspräsidenten erwarb sich die Zeitung 1984 das Vertrauen der liberalen und linken Intellektuellen und konnte in wenigen Jahren ihre Auflage verdoppeln (Michahelles & Leite 1994:567). Nach der Erfolgsstory der Folha machten sich die anderen wichtigen Presseorgane auch auf die Suche nach offensiveren Kommunikationsformen. Dabei wurde neben der graphischen Umgestaltung ein journalistischer Stil gefördert, der nach dem Vorbild des amerikanischen Journalismus die eigenständigen Recherchen fördert (vgl. Silva 1991:Kap. IV). Damit wurde die Presse zu einem aktiven Öffentlichkeitsakteur, der Korruptionsaffären, verborgene Vereinbarungen und politische Machtmißbräuche aufdeckte und denunzierte.39 Derzeit lassen sich Züge dieses investigativen Journalismus eindeutig auch in den Wochennachrichtenmagazinen und nicht zuletzt im TVJournalismus erkennen. b) Heterogenität ideologischen

der über die Massenmedien Inhalte

vermittelten

Führt man sich die monopolisierte Besitzstruktur der brasilianischen Massenmedien besonders des Fernsehsektors - vor Augen, vermutet man eine unproblematische Durchsetzung der Machtansprüche der Medieninhaber. Man könnte dabei davon ausgehen, daß die massenmedialen Botschaften eine geradlinige Resultante der Konzeptbestimmung der Medieneigentümer und der Nachfragen ihres Zielpublikums sind. Doch die Dynamik der Kulturindustrie ist auch, so die These Micelis (1989:27ff), von der Polarisierung der "schulischen und kulturellen Kapitaldistribution" geprägt, die die hierarchisierte brasilianische Gesellschaft kennzeichnet. Danach fungiert eine überqualifizierte Elite von Intellektuellen (Publizisten, Politologen, Soziologen, Schriftsteller, Künstler etc.), die in ihrem spezifischen Berufszweig keine Beschäftigung finden, als Kulturproduzent und zwar in einem Mediensektor, der eine hochtechnisierte und professionalisierte Arbeitsgrundlage aufweist. Im Gegensatz zu dieser intellektuellen Auslese, die das Massenkulturangebot gestaltet, stehen die Konsumenten der Kulturindustrie, insbesondere der TV-Sendungen, die überwiegend eine geringe Schulqualifikation besitzen.

39

Jüngste Episoden beweisen den Zuwachs der politischen Einflußnahme der Medien. Bei dem Prozeß, der 1992 mit der Absetzung des brasilianischen Präsidenten Collor de Mello endete, trug die Presse nicht nur dazu bei, die Gesellschaft zu informieren und mit zu mobilisieren. Durch die Ermittlungen der Presse konnte der parlamentarische Untersuchungsausschuß auf Schlüsselzeugen bzw. -ereignisse zurückgreifen, die zur Verurteilung des damaligen Präsidenten führten (vgl. Alencastro 1992 und Krieger u.a. 1992). Ebenso kam Anfang 1994 bei der Aufdeckung der "Haushaltsmafia", einer aufsehenerregenden Korruptionsaffäre im Nationalkongreß, in die zahlreiche Parlamentarier involviert waren, der Presse eine entscheidende Funktion zu (vgl. Michahelles & Leite 1994).

60 Diese Kulturproduzenten weisen, so Miceli (ebd.), in der Regel ein linksorientiertes Profil auf, das für "die Intellektuellen und künstlerischen Karrieren in Brasilien" typisch ist. Danach sind p r o g r e s s i v e , s o z i a l e n g a g i e r t e u n d k o s m o p o l i t i s c h e Ansprüche konstitutive Elemente ihres Weltbildes, was sich notwendigerweise im Werk dieser Kulturproduzenten reflektiert. Die relative Autonomie dieser Intellektuellen in der jeweiligen Medienorganisation, also die Freiheit der Kulturproduzenten, das massenmediale Angebot mit ihrer Weltanschauung zu färben, führt Miceli (1989:31> 40 auf folgendes zurück: "[Sie] beherrschen die eigentümlichen Sprachen der elektronischen und Printmedien und kennen die erfolgversprechendsten Botschaften und Kulturgüter, wie beispielsweise die Soap Operas und Fernsehserien, und die inhaltlichen und graphischen Umgestaltungskonzepte der wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften. Bei ihren Arbeiten setzen diese Professionellen eine Diagnose der brasilianischen Gesellschaft um, die sich auf Akteure bezieht, die für eine bedeutende Fülle von sozialen Erfahrungen bezeichnend sind." Damit wird behauptet, daß in der brasilianischen Medienlandschaft eine originelle Personalkonstellation besteht: Riesenunternehmen müssen inhaltlich und ästhetisch fortschrittlichen Konzepten bzw. Kulturproduzenten gewisse Freiräume zugestehen, um die Qualität und Marktresonanz ihrer Produkte aufrechtzuerhalten. Die Größe dieser Spielräume ist jedoch inkonstant und wird anhand von finanziellen und ideologischen Verhandlungen bestimmt, die typisch für die Produktionsverhältnisse der 'Kulturindustrie' sind (Silva 1986:35). 41 40

Die Selbsteinschätzung der brasilianischen Journalisten entspricht weitgehend der Darstellung Micelis. Einer jüngsten, im brasilianischen Kontext innovativen Untersuchung zufolge (vgl. Cardoso 1995) behauptet nur ein im Vergleich mit ihren amerikanischen Berufskollegen kleiner Anteil der brasilianischen Journalisten, daß ihre Arbeit von den Vorgesetzten kontrolliert wird (S. 133). Ferner schreiben sie sich selbst dem Leser- bzw. Zuschauerpublikum gegenüber eine "Aufklärungsmission" zu: Sie meinen, sie sollen "ein Publikum ausbilden, das in der Tat nicht an Ausbildung interessiert ist. Das Publikum soll gut informiert werden, denn es handelt sich um ein manipulierbares Publikum" (S. 135). Darüber hinaus unterstützten 70 % der brasilianischen Journalisten im Jahre 1994, so ein anderer Survey, die Präsidentschaftskandidatur Lulas, was die Vermutung Micelis über ihr Linksprofil bestätigen könnte (vgl. Heuvel & Dennis 1995:109).

41

Ein zugespitztes Beispiel dazu, wie diese Verhandlungen in der Praxis Gestalt annehmen, führt Straubhaar (1989) an. Er zeigt auf, wie 1984 Rede Globo, die anfangs in ihrer Berichterstattung die Bewegung für direkte Präsidentschaftswahlen (Diretas-Jä-Bewegung) ignorierte bzw. negativ darstellte, allmählich zu einer positiven Schilderung, ja zu einer Ermutigung der Demonstranten kam. Diese Positionswende führt der Autor neben anderen Faktoren auf die "interne Kritik" zurück: "a number of TV Globo journalists were highly critical of the station's position and may even have threatened to strike if Globo did not begin to support the campaign elections" (ebd.: 146). Zu dieser politischen Positionswende von TV Globo trug ebenfalls die Befürchtung eines Legitimations- bzw. Marktverlustes bei: Die Demonstraten begannen bereits gegen die Einseitigkeit der Berichterstattung der Femsehanstalt zu protestieren. Einer ihrer liebsten Sprüche lautete: "Das Volk ist nicht doof, nieder mit der Rede Globo."

61 Man könnte somit sagen, daß sich die von den Massenmedien vermittelten Botschaften aus einem dreieckigen Spannungsfeld ergeben, in dessen Winkeln die Weltanschauung der Kulturproduzenten, die Nachfrage des Publikums (Einschaltquotenkriterien) und die Interessen der Medieneigentümer bzw. ihrer politischen Genossen stehen. Deshalb sind sie im Hinblick auf ihre inhaltlichen Eigenschaften ambivalent. Doch ein Teil dieser Produktion, auch im TV-Bereich, der das Publikum massenhaft erreicht, enthält eine wirklichkeitsnahe Darstellung der brasilianischen Gesellschaft und gilt durchaus als inhaltliche Grundlage für eine kritische Wahrnehmung und Reflexion ihrer gegenwärtigen Probleme. 42

3.2.2 Aufbau der Zivilgesellschaft Eine mittlerweile fast unüberschaubare Fülle von Beiträgen widmet sich bereits der Untersuchung der Rolle, welche die seit den 70er Jahren vermehrten sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteure im Demokratisierungsprozeß Brasiliens spielten bzw. spielen. 43 Bei diesen Beiträgen wird sowohl auf Schwierigkeiten hingewiesen, die die vorhandenen Politikstrukturen und Formen der Interessenvertretung den Bewegungen bereiten, als auch auf die Bedeutung der Bewegungen, um diese politische Konstellation zu transformieren. An dieser Stelle kann nicht auf die Darstellungen der Einzelstudien eingegangen werden. Hier wird lediglich versucht, von einigen im Zusammenhang mit dieser Debatte aufgeführten Argumenten und empirischen Befunden auszugehen bzw. über sie hinauszugehen, um die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure am Aufbau einer poröseren jedoch transparenten Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Die in den erwähnten Abhandlungen dargestellten Beiträge zivilgesellschaftlicher Akteure zum Wiederaufbau der Öffentlichkeit entfalten sich auf mindestens drei sich ergänzenden Ebenen:

42

Die hier aufgeführte gemäßigt optimistische Leistungsdarstellung der brasilianischen Massenmedien nimmt Abstand sowohl von der immer wiederkehrenden Bewertung jener Linken, die im Bildschirm und in den etablierten Printmedien nur Manipulation und Desinformation sieht, als auch von unrealistisch enthusiastischen Ansichten, wie der von Alain Touraine (1989:143). Diesem Autor zufolge entspricht das Fernsehen in Lateinamerika einem Instrument der Rückkehr in die Sozialrealität: Während in Europa das Femsehen angesichts der tradiert verfestigten Sozialstrukturen einen Raum für "Imagination und Antizipation" darstelle, "weist dieses Medium dagegen in Lateinamerika Pfade in einem Kontext, in dem unbeschränkte und sozial unbestimmte Aspirationen vorherrschen" (ebd.).

43

Um diesbezüglich unsystematisch einige Beispiele zu erwähnen: Alvarez 1989; Boschi 1987a und 1987b; R. Cardoso 1992; Durham 1984; Scherer-Warren 1993.

62 a) Erzeugung

von

Gegenöffentlichkeit44

Noch während der Militärherrschaft waren Organisationen zu beobachten, die sich darauf spezialisiert hatten, systematisch Informationen zu einem Sachgebiet auszuwerten und eine zu den offiziellen Angaben alternative Betrachtungsweise der gesellschaftlichen Realität hervorzubringen. Die katholische Kirche leistete verschiedenen Initiativen dieser Art Beistand. Der katholische Klerus und andere Institutionen waren beispielsweise die Initiatoren des bekannten Buchprojektes 'Tortura Nunca Mais' (Nie wieder Folter), das zu einer Bastion des Widerstandes gegen die Verletzung der Menschenrechte und der Aufdeckung der von Militärs verübten Verbrechen wurde (vgl. Eloysa 1987). 45 Ebenfalls innerhalb der Kirche bildeten sich Arbeitsgruppen heraus, wie der 1972 gegründete Rat der Indianermissionen (CIMI) und die 1975 gegründete Landespastoral (CPT), die durch ihren Kontakt mit den Indianern bzw. mit Gebieten, in denen unklare Landeigentumsverhältnisse vorherrschen, Informationen über verdeckte Konflikte (Indianer / Goldsucher, Landbesetzer / Großgrundbesitzer etc.) in die Öffentlichkeit bringen. Weder die Presse noch die Behörden hatten de facto bis zu der Entstehung dieser Gruppen ihre Aufmerksamkeit auf diese Regionen bzw. die dort lebenden Bevölkerungsgruppen und die dort herrschenden Konfliktfelder gerichtet (vgl. Deila Cava 1989:151ff). Ebenfalls dank der Unterstützung der katholischen Kirche entstand 1981 das IBASE (Brasilianisches Institut für soziale und wirtschaftliche Analysen), ein Institut, das statistische Daten und soziale Informationen zu bestimmten Sachfragen zusammenstellt. Darauf berufen sich verschiedene soziale Bewegungen, um ihre Forderungen und Argumentationsstrategien zu fundieren (vgl. etwa die Daten zu der Situation der Schwarzenbevölkerung, IBASE 1989). Abseits der Kirche stellen DIEESE (Übergewerkschaftliche Abteilung für soziale und wirtschaftliche Studien und Statistiken) und DIAP (Übergewerkschaftliche Abteilung für parlamentarische Beratung) Beispiele von Initiativen dar, die seit ihrem Entstehen eine wachsende öffentliche Bedeutung gewannen. Beide Initiativen wurden von einem Gewerkschaftenpool auf die Beine gestellt. DIEESE wertet Wirtschaftsstatistiken aus, die die Gewerkschaften ihren Lohnverhandlungen zugrunde legen. DIAP kontrolliert die parlamentarische Betätigung der Abgeordneten und unterstützt Gewerkschaften und soziale Bewegungen bei ihrem Umgang mit parlamentarischen Fragen. 44

Der Begriff Gegenöffentlichkeit (bzw. Gegendiagnose) wird hier wie bei Rucht (1988:291) im Sinne "einer über Einzelfragen hinausgehenden Opposition zu 'etablierten' Fachpositionen und Öffer.tlichkeitsstrukturen" verwendet.

45

Auch O'Donnell und Schmitter (1986:500 gehen - wenn auch nur en passant - auf die Rolle der Menschenrechtsorganisationen in den lateinamerikanischen Transitionen ein. Das beachtliche öffentliche Prestige, das diese Organisationen im Rahmen der Demokratisierung gewannen, übersetzen die Autoren durch die Unterstreichung ihrer "enormous moral authority" bzw. der "large audience for their eloquent critique of authoritarian regime".

63

Neben diesen landesweit repräsentativen Organisationen könnte man noch eine endlose Vielfalt kleinerer Nichtregierungsorganisationen aufzählen, denen auf der jeweiligen lokalen Ebene eine relevante Bedeutung zukommt. An dieser Stelle geht es allerdings lediglich darum, durch die aufgeführten Beispiele die inhärente Funktion dieser Organisationen für den Aufbau einer kritischen Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Ihr Verdienst scheint darin zu bestehen, Informationen und Standpunkte zu würdigen, die sonst verborgen bleiben würden. Darüber hinaus dienen die von den genannten Organisationen ausgewerteten Informationen auch der etablierten Presse, die auf Gegenöffentlichkeitsdaten sich berufend, offizielle Informationen, Positionen und Diagnosen überprüft. Durch ihren wachsenden publizistischen Einfluß erwerben diese Institutionen ein zunehmendes soziales Gewicht. Mit diesen Institutionen treten aber auch deren öffentliche Vertreter ins Licht der Öffentlichkeit: Sie werden zu prominenten Persönlichkeiten, auf die das Ansehen und die Reputation der Organisation übertragen werden. Ihnen gelingt es oft, neue Themen in die Öffentlichkeitsdebatte zu plazieren, da ihre Äußerungen häufig unmittelbar von der Presse aufgenommen werden, als würden sie per se einen 'Nachrichtenwert' 46 enthalten. b) E rweiterung Problembündels

des

in der

Öffentlichkeit

thematisierten

Die Herausbildung von kollektiven Akteuren entspricht allgemein einer Ausdehnung der thematischen Reichweite einer Öffentlichkeit, da die neuen Akteure die öffentliche Aufmerksamkeit auf neue Problemlagen lenken bzw. neue Ansichten über gesellschaftlich bereits erfaßte Probleme hervorbringen. Auch in der jüngsten brasilianischen Geschichte läßt sich feststellen, daß die Entstehung einiger Bewegungen eine breite öffentliche Diskussion von Angelegenheiten auslöste, die als gesellschaftlich relevante Fragen noch nicht problematisiert und wahrgenommen worden waren. Ferner führte die Behandlung dieser Themen in der Öffentlichkeit nicht selten zu politischen bzw. staatlichen Interventionen im betreffenden Bereich. Die Anliegen der Frauenbewegung stellen wahrscheinlich einen paradigmatischen Fall dazu dar, wie soziale Bewegungen neue Themenschwerpunkte in die Öffentlichkeit hineintragen. Fragen wie Gewalt gegen Frauen, Kindertagesstätten, Kontrazeption und Sexualität galten noch vor zwanzig Jahren als Privat- und damit als öffentliche Tabuprobleme. Anfang der 80er Jahre hingegen wurden diese Probleme bereits in Wahlprogramme zahlreicher Parteien und Kandidaten mit Nachdruck aufgenommen 46

In Anbetracht des deutschen bzw. amerikanischen Kontextes geht Peters (1994, vgl. auch Pfetsch 1994:17) auf solche Persönlichkeiten ein, die aufgrund ihres Prestiges die öffentliche Thematisierung von Problemen vorantreiben können. Habermas erkennt ebenfalls die Rolle dieser Persönlichkeiten als Förderer von Themen an (vgl. Habermas 1992c:440). Im brasilianischen Kontext verkörpert Betinho, Starsoziologe des IBASE, das deutlichste Beispiel für einen Vorantreiber zivilgesellschaftlicher Themen (vgl. Merz & Wernicke 1995:10).

64 und somit zu einem öffentlichen Problem (vgl. Alvarez 1989). Diese schnelle politische Wende ist, neben der zunehmenden öffentlichen Würdigung geschlechtsspezifischer Fragen auf der internationalen Ebene, dem öffentlichen Druck der brasilianischen Frauenbewegung zu verdanken (ebd.). Ebenfalls zeigt die Schwarzenbewegung, die in den 70er Jahren wiederauflebte, daß die Entstehung neuer sozialen Akteure die Aufnahme neuartiger Problemlagen in die Thematisierungsreichweite einer Öffentlichkeit befördern kann. Dies geht unmißverständlich aus der Untersuchung Andrews' (1993) hervor. In Anbetracht der jüngsten Geschichte der brasilianischen Schwarzenbewegung zeigt der Autor, wie diese "forced the issues of racial discrimination and inequality on to the national political agenda and p r o v o k e d

a society-wide

d e b a t e on how to deal with them"

(Andrews 1993:170, Herv. S.C.). Als drittes Beispiel läßt sich hierfür die Umweltschutzbewegung nennen, die ebenso Anfang der 70er Jahren entstand. Sie konnte im Hinblick auf die öffentliche Sensibilisierung für ihre Botschaften einige Erfolge verbuchen. Der in puncto Umweltschutz fortschrittliche Charakter der 1988 in Kraft getretenen Verfassung ist großenteils der Betätigung dieser Bewegung zu verdanken (vgl. Viola 1992 u. Viola & Nikkei 1994). Ferner versuchte sie seit den 80er Jahren auch die Unterschichten anzusprechen, indem sie im Rahmen eines Plädoyers für bessere Lebensqualität gleichermaßen für Forderungen wie Verbesserung der Wasserversorgung oder der Abwasserentsorgung, Minderung der Luftverschmutzung in den Industriestädten usw. eingetreten ist. Dabei entstand eine Zusammenarbeit mit Stadtteilorganisationen, Gewerkschaften etc., die das Rekrutierungsfeld der Umweltbewegung bzw. ihre soziale Resonanz erheblich erweiterten. 47 Die 1992 in Rio stattgefundene UNO-Umweltkonferenz trug auch enorm dazu bei, die brasilianische Umweltbewegung im Sinne ihrer öffentlichen Anerkennung in raschen - doch leider nicht 'nachhaltigen' - Vormarsch zu bringen (ebd.). Die landesweit organisierte Landlosenbewegung (Movimento dos Sem Terra) versucht ebenfalls, die Gesellschaft durch spektakuläre Aktionen (Landbesetzungen, Straßensperren usw.) von der Wichtigkeit ihres Protests bzw. der Richtigkeit ihrer Forderungen zu überzeugen und darüber hinaus Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben (vgl. Navarro 1994). Hier könnte man noch eine Vielfalt von lokal bedeutenden Akteuren aufzählen, die ihre Anliegen öffentlich vertreten und dabei die Grenzen der Öffentlichkeit forcieren und erweitern. An dieser Stelle geht es jedoch nicht darum, die immense Fülle an 47

Neben dem niedrigen Lebensstandard breiter Bevölkerungsgruppen stellt der irreführende Entwicklungsdiskurs ein weiteres Hindernis zu einer höheren Akzeptanz der Umweltbewegung dar. Es wird davon ausgegangen, daß der Entwicklung Brasiliens keine Zugangsbeschränkung zu den Naturressourcen zugemutet werden kann, denn die Aufnahme von Umweltkosten beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Exportgüter auf dem internationalen Markt (vgl. Leis 1993:84ff).

65 Bewegungen ausführlich zu beschreiben, sondern um den Beitrag dieser neuen Akteure bei der Ausdehnung des in der Öffentlichkeit thematisierten Problemspektrums. c) Förderung der in der Lebenswelt Kommunikationsmöglichkeiten

verankerten

Wahrscheinlich würden nur noch sehr wenige Sozialwissenschaftler die These vertreten, daß die sozialen Bewegungen Keimzellen sind, in denen horizontale Beziehungsmuster herrschen und postmaterialistische Lebensformen kultiviert werden. Dieser noch Anfang der 80er Jahre in Lateinamerika sehr verbreiteten Ansicht zufolge würden sich die in den Bewegungsmilieus geförderten Werte und Umgangsformen allmählich auf die gesamtgesellschaftlichen Beziehungen übertragen und somit die Fundamente der herrschenden autoritären politischen Kultur aufzehren (vgl. Evers 1984). Mehrere Untersuchungen zeigten indessen, daß die in Lateinamerika hervortretenden sozialen Bewegungen aufgrund ihrer zyklischen Dynamik lediglich in wenigen Phasen ihrer Biographie - wenn überhaupt - alternative Organisationsmuster aufweisen; im übrigen Zeitraum reproduzieren sie jene bürokratischen und hierarchisierten Umgangs- bzw. Organisationsformen, die in der Gesellschaft vorherrschen (vgl. Boschi 1987b:60). Außerdem - so diese Studien - umfassen diese Bewegungen ein so geringes Bevölkerungskontingent, daß es äußerst unrealistisch wäre, mit der Verallgemeinerung der bei diesen Gruppierungen angeblich kultivierten Sitten und Werte zu rechnen (vgl. Vigevani 1989:105). An dieser Stelle wird nicht versucht, die zuerst genannte enthusiastische These zu rehabilitieren. Es handelt sich lediglich darum, auf folgende empirische Evidenz aufmerksam zu machen: das Aufkommen neuer Assoziationsstrukturen (soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen, christliche Basisgemeinden, Mütterclubs etc.) entspricht Transformationen in der 'kommunikativen Infrastruktur der Lebenswelt'. Denn anhand von kollektiven Aktionen entstehen neue Treffpunkte und alternative Interaktionsräume, in denen die Teilnehmer sich über im Alltag auftretende Probleme kommunikativ austauschen können. Somit werden die Kommunikationsmöglichkeiten gefördert, die sich inhaltlich und räumlich auf die Lebenswelt beziehen. Tragen alle zivilgesellschaftlichen Assoziationen - wie im Kapitel 2 bereits erläutert - aufgrund ihrer defensiven Dimension zur Erweiterung der lebensweltlichen Kommunikationsmöglichkeiten bei, so tun sie es jedoch nicht alle im gleichen Ausmaß. Die Größe des Einzelbeitrages einer Vereinigung scheint von deren Organisationsmuster abzuhängen, d.h. in einer horizontal organisierten Gruppe dürften Äußerungen einer größeren Teilnehmeranzahl gewürdigt werden als in jenen hierarchisierten Vereinigungen, in denen in der Hand von Organisationsleitern eine Machtballung herrscht.

66

3.2.3 Aufrechterhaltung und Erweiterung der'kleinen' Öffentlichkeiten Gerhards & Neidhardt (1990:20ff) beschreiben im Anschluß an Goffman und Luhmann die "einfachen Interaktionssysteme", die der Öffentlichkeitsebene mit dem geringsten strukturellen Verfestigungsgrad entsprechen. Dabei handelt es sich um zufällige Zusammentreffen von Menschen, die im Lebensmittelgeschäft, Imbiß etc. "miteinander kommunizieren". Die Autoren behaupten, daß diesen Interaktionen aufgrund ihrer Voraussetzungslosigkeit eine "hohe Offenheit und Umweltsensibilität" innewohnen. Dennoch schreiben die Verfasser diesen nicht organisierten (oder kleinen) Öffentlichkeiten eine untergeordnete politische Rolle zu, denn die unsystematische Themensammlung und die Diskontinuität der Themenführung, die dabei herrschen, begünstigen nicht die Meinungsgenerierung auf dieser Ebene. Im brasilianischen Kontext scheint es allerdings, daß diesen kleinen Öffentlichkeiten eine relevante politische Bedeutung zukommt, wie aus mehreren Abhandlungen hervorgeht. Dabei handelt es sich vornehmlich um Fallstudien, die aus der urbananthropologischen Perspektive die Sozialisationsprozesse und die Organisationsmuster der städtischen Bevölkerung - vornehmlich der in Randbezirken lebenden Bevölkerungsgruppen - untersuchen (vgl. u.a. Caldeira 1984; Magnani 1984; Sader 1988). In seiner Studie über Freizeitgestaltung in der Peripherie Säo Paulos geht Magnani (1984) auf die geographisch ausgegrenzten Sozialräume ein, die sich in Rahmen der Wohnorte herausbilden und stellt fest, daß dabei nicht bloß zufällige und unstetige Interaktionen stattfinden, sondern Beziehungen, die sich in ein komplexes Sozialgefüge einordnen lassen. Diese Sozialräume, die Magnani 'peda£o' nennt - vergleichbar mit Kiez im Deutschen - fungieren als intermediäre Sphäre zwischen der Häuslichkeit und der Öffentlichkeit und sorgen für ein Minimum an festen gesellschaftlichen Bindungen in einem Kontext, der durch unbeständige Arbeitsverhältnisse und prekäre Existenzgrundlagen gekennzeichnet ist. Der Pedafo-Kern wird räumlich durch bestimmte Bezugspunkte definiert: "die öffentliche Telefonzelle, die Bäckerei, einige Kneipen und Geschäfte, die 'BüzioStelle'48, der Umbanda-Hof und die Kirche, der Fußballplatz und vielleicht ein Tanzsaal" (Magnani 1984:137). An diesen Orten werden Mitteilungen aufgehängt und Informationen und Meinungen ausgetauscht. Personen treffen sich, unterhalten sich und erkennen sich gegenseitig an. Die Peda?os stellen also eine Öffentlichkeitsebene dar, sie sind zwar keine herrschaftsfreien Kommunikationsräume, denn sie reproduzieren auch die in der Gesellschaft herrschenden asymmetrischen Machtverhältnisse; sie 48

Der zitierte Autor bezieht sich auf die Stuben, in denen Kaurimuscheln geworfen werden, um aus ihnen nach den Traditionen der afrobrasilianischen Kulturformen zu lesen, welcher Gottheit "die betreffende Person geweiht werden kann" (vgl. Oliveira Pinto 1986:165). Die Erwähnung des "Umbanda-Hofes" steht im gleichen religiös-kulturellen Zusammenhang.

67 können aber auch nicht als 'einfache Interaktionssysteme' beschrieben werden. Eher entsprechen sie Sphären, in denen ein regelmäßiger und systematischer Meinungsaustausch erfolgt, und können aus der Perspektive derjenigen, die zu einem Pedago gehören, durchaus als Zellen der allgemeinen (im Sinne einer nicht ausschließlich politischen) Meinungsbildung bezeichnet werden. Sader (1988:119ff) stellt fest, daß in diesen kleinen Öffentlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Wohnbereich entstehen, die massenmedialen Botschaften durch den persönlichen, unmittelbar kommunikativen Austausch umformuliert werden und neue Realitätsdarstellungen zustande kommen. Dem Autor zufolge stellen diese Öffentlichkeiten Widerstandsstrukturen dar, die in der Militärherrschaft nicht scheiterten, während fast alle anderen Institutionen des freien Meinungsaustausches (freie Presse, zivilgesellschaftliche Organisationen etc.) aufgehoben wurden. Deshalb wurden sie zu dem "Boden, aus dem die sozialen Bewegungen, die Mitte der 70er Jahren entstanden, aufkeimen" (ebd.:121). Ferner zeigt Sader auf, daß das herrschende urbane Wachstumsmodell die Aufrechterhaltung dieser kleinen Öffentlichkeiten permanent gefährdet, da Grün- und Freizeitanlagen (z.B. Sportplätze, Kneipen) vor neuen Straßen kapitulieren müssen. Dabei werden Slums geräumt und ganze Freundeskreise zerstreut. Nichtsdestotrotz zeigen die kleinen Öffentlichkeiten bislang eine herausragende Überlebensfähigkeit: Peda?os bilden sich immer wieder neu in der Urbanen Landschaft heraus. Andere Fallstudien, wie die von Alba Zaluar (1985) über Rio de Janeiro oder die von Vellasco (1989) über Belo Horizonte, zeigen, daß sich die Tendenz der Gefährdung bzw. Neukonstituierung von ' P e d a l s ' , die Sader anhand seiner in Säo Paulo durchgeführten Untersuchung konstatierte, auch anderswo beobachten läßt. In den Städten, die im Rahmen der vorliegenden Studie näher untersucht wurden, konnte ebenfalls - wie ich später darstelle - eine vergleichbare Dynamik beobachtet werden. Bevor aber im Kapitel 4 und 5 auf meine Fallstudie eingegangen wird, möchte ich ein vorläufiges Fazit ziehen, um einige Begriffe und Feststellungen, die Wege für die Behandlung des empirischen Materials weisen, noch einmal vor Augen zu führen. Im Kapitel 1 wurde ein operationales Konzept von Zivilgesellschaft eingeführt, das die Erfassung der Akteure, die mit dieser Sphäre zusammenhängen, methodologisch ermöglichen soll. Dabei wurde unterstellt, daß die Zivilgesellschaft die institutionelle Dimension der Lebenswelt darstellt. Somit vertreten die zivilgesellschaftlichen Akteure Interessen und stützen sich auf eine Ressourcengrundlage, Formen der Gruppenbildung, Mitgliedschaftskriterien, die sich von den Formen der Akteure, die im Markt bzw. politischen System angesiedelt sind (Parteien, Verbände etc), - wenn auch nicht immer trennscharf - unterscheiden. In beiden Modellen von Öffentlichkeit, die im Kapitel 2 skizziert wurden, werden die Spezifika der sozialen Akteure, die in der Zivilgesellschaft bzw. im Markt und im politischen System agieren, unterschiedlich gewürdigt und behandelt. Das dargestellte funktionalistische Konzept schreibt den zivilgesellschaftlichen Akteuren (hier Pro-

68 testakteure genannt) keinen differenzierten (normativen) Gehalt zu. Nach diesem Konzept unterscheiden sich diese von den übrigen 'Öffentlichkeitsakteuren' l e d i g l i c h durch ihre geringere Ressourcengrundlage bzw. ihr geringeres Organisationsniveau. Doch sie benutzten die Öffentlichkeit - wie die übrigen Akteure - ausschließlich als Inszenierungsbühne, um Einfluß auf die Entscheidungsträger zu nehmen. Dabei wird die Möglichkeit ausgeschlossen, daß die zivilgesellschaftlichen Akteure die Öffentlichkeit als kommunikative Arena auffassen, von der sie ausgehen, um die Gesamtgesellschaft von der Gerechtigkeit und Triftigkeit ihrer Anliegen und Argumente zu überzeugen. Davon leitet sich der eingeschränkte demokratisch-legitimatorische Anspruch ab, der der Öffentlichkeit in diesem Modell zugesprochen wird. Danach ist die Öffentlichkeit in der modernen Demokratie keineswegs als Ort zu definieren, an dem eine kollektive Bewußtseinsbildung und d i s k u r s i v e Kommunikationsprozesse, die zu Revisionen der Ausgangspositionen führen könnten, stattfinden. Der Öffentlichkeit kommt hier eine bloß funktionale Bedeutung zu: Sie soll als intermediäres System fungieren, das zwischen den Bürgern einerseits, sozialen Akteuren bzw. ihren vorkonstituierten Interessen und dem politischen System andererseits vermittelt. Das dargestellte diskurstheoretische Modell hingegen schreibt den zivilgesellschaftlichen Akteuren eine differenzierte Rolle zu. Diesem Modell zufolge tragen sie die in der Lebenswelt kristallisierten Kommunikationsströme in die Öffentlichkeit hinein und wirken damit Manipulationsversuchen dieser Sphäre durch die übrigen 'Öffentlichkeitsakteure' entgegen. Daraus ergibt sich der emphatische Gehalt, der der demokratischen Öffentlichkeit in diesem Modell zukommt: Sie stellt nicht eine bloße Inszenierungsbühne manipulativer Kommunikationsformen dar, in sie fließen auch lebensweltliche Kommunikationsausstrahlungen, auf denen der Erzeugungsprozeß 'legitimer kommunikativer Macht' beruht. Im vorliegenden Kapitel wurden nach einer knappen Diagnose der brasilianischen Öffentlichkeit jüngste gesellschaftliche Transformationen hervorgehoben, die darauf hindeuten, daß sich gegenwärtig in Brasilien eine - im diskurstheoretischen und im funktionalistischen Sinne - demokratische Öffentlichkeit formiert. Aus der funktionalistischen Perspektive heraus können die dargestellte Entstehung neuer 'Öffentlichkeitsakteure', die Ausdifferenzierung der Medien und die wachsende Durchlässigkeit der Öffentlichkeit als Indizien dafür herangezogen werden, daß die brasilianische Öffentlichkeit zunehmend ihrer Funktion als intermediäres Vermittlungssystem gerecht wird. Geht man von der diskurstheoretischen Konzeption aus, so sollen die Entstehung kritischer Massenmedien, die Ausdehnung der Zivilgesellschaft und die Aufrechterhaltung der kleinen Öffentlichkeiten als Hinweise interpretiert werden, daß die sich in Brasilien im Aufbau befindende Öffentlichkeit nicht lediglich das Handlungsfeld ökonomischer und politischer Manipulationsversuche darstellt; in sie fließen auch lebensweltliche Kommunikationsimpulse ein, die Fragen gesamtgesellschaftlicher Relevanz aufwerfen.

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Kapitel 4 Politische Partizipation auf der lokalen Ebene: empirische Befunde In den späten 70er Jahren ist eine deutliche Orientierungswende der politischen Herrschaftsstrategie der brasilianischen Militärregierung zu beobachten. Die massive Regierungspropaganda und die Mammutbauvorhaben, die während des brasilianischen Wirtschaftswunders - Anfang der 70er Jahre - als primärer Legitimationsmechanismus des Militärregimes gegolten hatten, wurden durch Versuche ersetzt, die breiten Bevölkerungsschichten, die bis dahin kaum vom rasanten ökonomischen Wachstum profitiert hatten, über Sozialpolitiken an die staatlichen Distributionsleistungen anzuschließen (vgl. Prates & Andrade 1985). Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais zeigt der III. PMDES (Plan für den ökonomischen und sozialen Fortgang Minas Gerais' 1979-83) die regierungspolitische Wende eindeutig. Im Plan tritt der Staat als Instrument zur Minderung sozialer und regionaler Ungleichheiten auf. Politisch wurde die Partizipation der Bevölkerung an den staatlichen Entscheidungsprozessen befürwortet: Dem Plan zufolge sollten institutionelle Mechanismen geschaffen werden, um die Teilnahme der armen Bevölkerungsschichten an dem Entwurf bzw. der Implementierung von Projekten ihres Interesses zu ermöglichen (vgl. Haddad 1983). Die neue Planungskonzeption des staatlichen Handelns, die als 'planejamento participativo', etwa 'partizipatives Planungsverfahren', bekannt wurde, versuchte also, im Rahmen der Implementierung von Sozialpolitiken neue Räume für politische Partizipation zu schaffen. Geht man von dem dreidimensionalen Charakter aus, der nach Marshall (1992: 40ff) die moderne Staatsbürgerschaft kennzeichnet, so kann das 'planejamento participativo' konzeptionell als ein Versuch angesehen werden, neben der laufenden Reetablierung der individuellen ( z i v i l e n ) Freiheitsrechte, die während des Militärregimes aufgehoben worden waren, s o z i a l e und p o l i t i s c h e Rechte neu einzuführen. Somit sollten die zivilen, politischen und sozialen Rechte, die nach dem Muster Marshalls in England in den letzten drei Jahrhunderten im liberalen, demokratischen bzw. Sozialstaat konsolidiert wurden, synchron in den letzten Jahren des brasilianischen Militärregimes (wieder) geltend gemacht werden.

70 Zu den auf dieser neuen Planungsmethodologie basierenden Projekten ist das PROECI (Landesprogramm für Mittelstädte) zu zählen. Das Programm wurde von der Weltbank mitfinanziert und sollte nach seiner ursprünglichen Konzeption 14 Städte im Bundesstaat Minas Gerais umfassen, zu denen zwei der in dieser Arbeit untersuchten drei Städte, nämlich Governador Valadares und Uberländia, gehören (vgl. Aires 1991:15ff). PROECI stellte eine Erweiterung eines anderen Bundesregierungsprogramms, des Programms für Mittelzentren (CPM) dar, das ebenso von der Weltbank unterstützt wurde und die dritte hier untersuchte Stadt, Juiz de Fora, mit umfaßte. Hauptzweck beider Programme war, durch öffentliche Investitionen urbane Funktionen zu verbessern. Der Status als regionale Zentren der berücksichtigten Städten sollte untermauert werden, um Auswanderer aus kleineren Städten bzw. vom Land abzufangen, die sich auf dem Weg in die Großstädte befanden (ebd.). Die Post-Facto-Gutachten zeigen zahlreiche Schwächen dieser beiden Programme und stellen fest, daß sie eine für autoritäre Planungsverfahren typische Fehlleistung aufwiesen: Es sei diesen Programmen nicht gelungen, "die öffentliche Meinung und die auf dem lokalen politischen Markt relevanten Akteure [in das Planungsverfahren] zu involvieren"(FJP 1992:4). Die institutionelle Schlagkraft beider Programme sowie anderer Aktionen, die im Rahmen des 'planejamento participativo' zustande kamen, wird jedoch nicht bestritten. In vielen Städten, zu denen die drei untersuchten Fälle gezählt werden können, lief die Implementierung des PROECI bzw. CPM mit der Gründung eines der Stadtverwaltung untergeordneten Planungsamtes 49 zusammen. Bis dahin hatte Stadtplanung nicht zu den Verwaltungstätigkeiten gehört, die regelmäßig durchgeführt wurden. Auf der parteipolitischen Ebene allerdings nahm der Diskurs der politischen Partizipation erst in den Wahlen im Jahre 1982 klare Konturen an. Die größte Oppositionspartei PMDB (früher MDB) der Militärregierung legte die Partizipationsparole ihrem Wahlkampf zugrunde. Über die technokratische Verkleidung hinaus, die ihre im Zusammenhang mit dem Militärregime nüchterne Erscheinung charakterisiert hatte, wurde die Aufforderung zur politischen Beteiligung zu einem bedeutenden Wahltrumpf.

49

Die brasilianischen Städte bzw. Munizipien werden von einem Bürgermeister (Prefeito) regiert, der für eine vierjährige (zwischen 1983 und 1988 ausnahmsweise eine sechsjährige) Amtszeit direkt gewählt wird. Außerdem verfügen die Städte über eine gesetzgebende Gewalt (das Stadtparlament oder den Stadtrat - Cämara Municipal), die in den hier untersuchten Städten aus 19 Stadtverordneten oder -raten (Vereadores) besteht. Die Stadtverwaltung wird in der Regel in "Ämter" (Secretarias) unterteilt, die für einen bestimmten Bereich (Gesundheit, Erziehung, Kultur etc.) zuständig sind. Die Leiter dieser "Ämter" (Secretärios) werden vom Bürgermeister ernannt. In der brasilianischen Föderation wird den Städten eine im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Ländern große Entscheidungsbefugnis zugewiesen. Dies ermöglicht es, politisch-institutionelle Innovationen auf der Stadtebene einzuführen (vgl. Nunes 1991:27).

71 Im Anschluß an den Gouverneurskandidaten in Minas Gerais, Tancredo Neves, der seinen Wahlkampf auf der Maxime "Laßt uns gemeinsam regieren" aufbaute, machten die Kandidaten um die Regierungsspitze vieler Städte des Bundesstaates intensiv von der Partizipationsrhetorik Gebrauch. In den drei untersuchten Städten äußerten PMDB-Bürgermeisterkandidaten die Absicht, ihre Stadt 'partizipativ' zu regieren, also den verschiedenen Organisationen der Bevölkerung Entscheidungsbefugnisse zuzugestehen. I n J u i z d e F o r a versprach der Kandidat Tarcisio Delgado: "eine 'partizipative Verwaltung'50 durchzuführen, bei der den kommunalen Vertretungsorganisationen ein effektives Mitspracherecht gesichert wird. Dies betrifft [...] sowohl die Entscheidung darüber, wie und wann öffentliche Ressourcen eingesetzt werden, als auch die Kontrolle und Bewertung der Tätigkeiten der Stadtverwaltung" (Delgado & Arantes 1982:3, Hervorhebung im Original). Der Bürgermeisterkandidat Ronaldo Perim aus Governador Valadares vertrat den gleichen Standpunkt, behauptete, daß seine Regierung 'demokratisch' sein werde und erklärte ferner: "Die Einwohnerorganisationen werden an der Entscheidungsfindung bzw. der Prioritätssetzung teilnehmen" (JC, 21. 11. 82:3). Die politische Sprache des PMDB-Kandidaten Zaire Resende aus U b e r l ä n d i a unterschied sich ebenfalls nicht von der Wahlparole seiner beiden genannten Parteifreunde. Er würde "mit dem Volk regieren. [Hierzu sollen] neue Kanäle geschaffen werden, um die Ideen und Belange der Bevölkerung über Vereinigungen wie Mütterclubs und Stadtteilorganisationen an die Stadtregierung weiterleiten zu können" (OT 19. 11. 82).

Doch traten Schwierigkeiten verschiedener Natur auf, als diese drei Politiker 1983 bis 1988 nach ihrem Wahlsieg an die Macht kamen und versuchten, ihre Programme umzusetzen. Einige der Probleme werden im folgenden Abschnitt, nach einem kurzem Exkurs zu dem jeweiligen historischen Kontext, behandelt. Anschließend weiden die jüngsten politischen Entwicklungen nach der Aufhebung der 'partizipativen Ver50

Die Begriffe administrafäo participativa (partizipative Verwaltung) und gestäo oder governo democrätico (demokratische Regierung) werden in Brasilien sowohl von den Politikern als auch in der Fachliteratur häufig verwendet und bezeichnen eine heterogene Palette von Erfahrungen bzw. Konzepten. Dabei handelt es sich um Versuche, mit verschiedener programmatischer Leistung und unterschiedlichem politischen Gehalt die Bürgerbeteiligung an der Stadtverwaltung über das Verfassungsstimmrecht hinaus zu erweitern. Hier werden den Bürgern Möglichkeiten geboten, Uber ihre Organisationen und Vereine an wichtigen Verwaltungsentscheidungen teilzunehmen. Die bahnbrechenden Erfahrungen im Sinne einer solchen lokalen politischen Beteiligung fanden bereits in den 70er Jahre in den Städten Lages, Piracicaba und Boa Esperanfa statt und wurden zu "quasi paradigmatic references in the Brazilian discussion of democratic municipal administration" (Assies 1993:45).

72 waltungen' vor Augen geführt. Im zweiten Abschnitt geht es darum, sich mit der Morphologie bzw. Dynamik der zivilgesellschaftlichen Akteure zu befassen, die in diesen Kontexten erschienen.

4.1 Kommunal verwaltung und politische Beteiligung 4.1.1 Lokale historische Hintergründe Die drei untersuchten 'partizipativen Verwaltungen' sind in Kontexten entstanden, die sich durch grundlegende sozio-ökonomische Merkmale voneinander unterscheiden. Uberländia In Uberländia war Anfang der 80er Jahre ein deutlicher und anhaltender Bevölkerungszuwachs zu beobachten. In dem vorhergehenden Jahrzehnt (1970-80) hatte sich die Einwohnerzahl knapp verdoppelt (siehe Tab. 4.1). Dieses Wachstum hängt mit dem lokalen Industrialisierungsprozeß zusammen. Seit den 60er Jahren war er als "Produkt des Kapitals, das im Rahmen der Handelstätigkeiten bzw. der Landwirtschaft akkumuliert worden war, und der dezidierten Intervention der 'lokalen politischen Macht"' in Gang gesetzt worden (Del Grossi 1993:77). In diesem Kontext werden die Gründung der Universität Uberländia bzw. des Industriegebietes (Distrito Industrial) 51 als wichtigste Triebkräfte der schnellen Ausbreitung des Stadtgebietes gesehen (siehe PMU 1993:2). Sozialpolitisch betrachtet war die Geschichte Uberländias aber durch die fehlende Bedeutung von Akteuren gekennzeichnet, die Belange der armen Schichten vertreten: "Sowohl die schriftliche als auch die mündlich überlieferte Geschichte der Stadt bestätigen die Abwesenheit der Arbeiter in der politischen Arena als Mitstreiter, die eine eigene Identität aufweisen. Die 'Volksklassen' traten nicht als Akteure auf, deren Identität auf bestimmten Interessen bzw. Zielen beruht. Sie haben weder gegen ihren Ausschluß noch für einen Wechsel gekämpft. Sie waren eine hinnehmende Bevölkerungsgruppe, die friedlich mit ihrem sozialen Ausschluß gelebt hat. Damit wurde die lokale Politik zu einer exklusiven Angelegenheit der herrschenden

51

Die Gründung des Industriegebiets verkörpert symbolisch den entschlossenen politischen Einsatz der lokalen Eliten, ihr Industrialisierungsprojekt unbeirrt auf die Beine zu stellen. Dabei kontaktierten die lokalen Führungsschichten potentielle Investoren in anderen brasilianischen Bundesstaaten, kümmerten sich um die geeignete Qualifizierung der Arbeitskraft und besorgten staatliche Subventionen für die neuen Industrieunternehmen, die in die "blühende" Stadt Uberländia investieren wollten (vgl. Oliveira 1992: bes. 52ff).

73 Klassen. Sie beschränkte sich auf die internen Gefechte, die innerhalb der Bourgeoisie zustande kamen" (Alvarenga 1988:73). Im Gegensatz dazu läßt sich eine effiziente Interessenartikulierung der Urbanen Unternehmerschaft und der lokalen Landwirte beobachten. Die Belange dieser Sektoren wurden in der Geschichte Uberländias effektiv durch ACIUB (Handels- und Industrieverband Uberländias) und den CDL (Verband der Ladeninhaber) bzw. den Sindicato Rural, also den Verband der Landbesitzer, vertreten (siehe Oliveira 1992). Auch parteipolitisch waren die Interessen der Unternehmer und Landbesitzer organisiert. Seit 1964 schließen sich diese Sektoren in verschiedene dem Militärregime loyale Gruppen zusammen und wechseln sich sukzessive bei der Kontrolle der Stadtverwaltung bzw. des Stadtparlaments ab. Die Vorteile, die die Kontrolle solcher Machtsphären mit sich brachte, liegen auf der Hand: "Dies sichert den Zugang zu den politischen Landes- bzw. Bundesebenen und ermöglicht die Berücksichtigung lokaler ökonomischer Interessen bei Entscheidungen, die in diesen Instanzen getroffen werden. Femer sorgt die Kontrolle der lokalen Gesetzgebung dafür, daß die etablierten Interessen nicht etwa von neuen, örtlich geltenden Steuerabzügen beeinträchtigt werden". (Alvarenga 1988:74). Geht man von den genannten politischen Verhältnissen aus, so läßt sich die soziale Erschütterung, die die 'partizipative Verwaltung 1 bzw. deren Diskussionsprozeß hervorrief, leicht absehen. Doch ein Regierungsprogramm, das auf zahlreichen Besprechungen mit der Bevölkerung basiert und überdies die Berücksichtigung der Belange der armen Schichten verspricht, setzt Parameter für das staatliche Handeln, die bislang in der Stadt unbekannt waren. Hier erscheint die Äußerung des damaligen Bürgermeisters zu seinem Regierungskonzept nicht übertrieben, wenn er behauptet: "Partizipative D e m o k r a t i e [ist] eine Alternative und ein politisches Projekt für eine Stadt, die vom Paternalismus der herrschenden Oligarchien gefangen ist" (Resende 1984:105, Hervorhebung im Original). TAB. 4.1: BEVÖLKERUNGSZUWACHS* Zuwachs** Stadt Zuwachs Zuwachs Zuwachs % 1970 % % Zeit / % 1950 1960 1980 1991 % J. de Fora 86 126 46,5 220 74,6 301 36,8 380 26,2 250,0 80,0 177 G. Valadares 20 70 126 40,5 208 17,5 Uberländia 71 102,8 111 56,3 231 108,1 358 55,0 35 Quelle: Volkszählungen - IBGE * Ausschließlich Urbane Bevölkerung. Angaben in 1000 Einwohner bzw. Prozent. ** Zuwachsrate im vorhergehenden Jahrzehnt bzw. innerhalb der letzten 11 Jahre (1980/91).

Juiz

de

Fora

Anfang der 80er Jahre hatte Juiz de Fora seine ökonomische Blütezeit bereits einige Jahrzehnte hinter sich. Diese hatte Mitte des vorigen Jahrhunderts begonnen, als die

74 Stadt ein wichtiges Regionalzentrum für Kaffeehandel wurde. Das dabei akkumulierte Kapital speiste einen verhältnismäßig frühen Industrialisiemngsprozeß, welcher der Stadt Anfang dieses Jahrhunderts die Bezeichnung 'Manchester von Minas Gerais' (Manchester Mineira) einbrachte (vgl. Görgen 1973:320). Das wirtschaftliche Gewicht von Juiz de Fora blieb bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts unberührt. Hier begann ein allmählicher, seitdem nicht veränderter ökonomischer Bedeutungsverlust. Der wirtschaftliche Niedergang wird dabei auf folgende Faktoren zurückgeführt: Verlegung des Kaffeeanbaus, Wachstum der Nachbarstadt Belo Horizonte (Landeshauptstadt und ökonomischer Rivale) und Konsolidierung Säo Paulos als polarisierendes Ballungsgebiet, das die geographische Verlagerung des industriellen Wachstums Brasiliens steuert (vgl. Delgado 1988:27). Die demographische Dynamik (vgl. Tab. 4.1) reflektiert hier den ökonomischen Bedeutungsverlust der Stadt kaum: Die Bevölkerungszahl stieg stetig von 86153 Einwohnern im Jahr 1950 auf 301.018 Einwohner im Jahr 1980 an. Dieses Wachstum ist primär durch die Einwanderer, die aus den Städten der Mikroregion (Zona da Mata) kontinuierlich nach Juiz de Fora kamen, zu erklären (vgl. PMJF 1992:7ff). In Juiz de Fora gab es frühe Organisationsversuche der städtischen Arbeiterschaft bereits im späten 19. Jahrhundert, genauer gesagt ab 1880, als erste politisch organisierte Arbeitergruppen zum Vorschein kamen (vgl. Giroletti 1988:69). Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs die Arbeiterbewegung in der Stadt kontinuierlich, sie wurde bereits in den 50er bzw. 60er Jahren zum Rekrutierungsfeld von führenden Gewerkschaftlern, die auch auf der nationalen Ebene Ansehen gewannen (vgl. Loyola 1980:73ff). Während des Militärregimes unterstützte die lokale Bevölkerung entschieden die Kandidaten der Opposition und auch in der härtesten Zeit der Diktatur, als Anfang der 70er Jahre innerhalb der Oppositionspartei - MDB - die These der Selbstauflösung152 ernsthaft vertreten wurde, gab "die Wählerschaft der Stadt der MDB [...] bei der Wahl ihrer Exekutive und Legislative t r a d i t i o n s g e m ä ß die Mehrheit" (Görgen 1973:326, Herv. S.C.). Was die Akteure der Zivilgesellschaft anbelangt, waren bereits Anfang der 80er Jahre - wie weiter unten detailliert beschrieben wird - zahlreiche Stadtteil-, Frauen52

Während der Militärherrschaft fanden weiterhin Direktwahlen für die Stadtregierungen (ausgenommen die Landeshauptstädte und die sog. strategische Zentren) sowie für das Stadt-, Landesund Bundesparlament mit der zugelassenen Regierungspartei (ARENA) und der Oppositionspartei (MDB) statt. Von 1969 bis 1971 allerdings wurden das Bundesparlament suspendiert und die Oppositionspartei stark unterdrückt. Damit hängt die These der Selbstauflösung der MDB zusammen. Die Wahlen im Rahmen des Militärregimes werden in der Literatur als politische "Dekompression", als Ventil für den Widerstand gegen die Militärs interpretiert (vgl. Lamounier 1989). Im November 1979 wurde das Mehrparteiensystem reetabliert. Es bildeten sich zunächst sechs Parteien heraus: PDS, Nachfolgepartei der ARENA, PMDB, Nachfolgepartei der MDB, die sozialdemokratische PDT, die linksorientierte Arbeiterpartei - PT - und die konservativen Oppositionsparteien PTB und PP' (vgl. Skidmore 1989:22f; ausführlicher: Kinzo 1993).

75 bzw. Schwarzenorganisationen in der Stadt vorhanden. Im Gegensatz zu Uberländia konnte das partizipative Verwaltungsangebot für Juiz de Foras also von kollektiven Akteuren ausgehen, die eine gewisse öffentliche Bedeutung aufwiesen und darauf spezialisiert waren, Interessen armer Bevölkerungsgruppen - wenn auch nur unzulänglich - zu vertreten. Governador

Valadares

Anfang der 80er Jahre war Governador Valadares von ökonomischer Stagnation bei drastischer Minderung des Bevölkerungszuwachses geprägt (vgl. Tab. 4.1). Die lokale Bevölkerung, die in den 60er Jahren im Mittel jährlich um 13 % angewachsen war, nahm in den 70er Jahren durchschnittlich 'nur' noch um jährlich 3,5 % zu. Der Rückgang des Bevölkerungszuwachses reflektiert den ökonomischen Bedeutungsverlust Governador Valadares', ein Prozeß, der hier jedoch anders als in Juiz de Fora von einer steigenden Abnahme der Attraktivität für die Migranten begleitet wird. Das ökonomische Wachstum der Region basierte überwiegend auf einer zerstörerischen Ausbeutung von Naturressourcen (Holz, Glimmer und andere Mineralien), deren Erschöpfung die Stagnation der lokalen Wirtschaft zur Folge hatte (vgl. Siman 1988: bes. 106ff). Ferner stellte die extensive Viehzucht, die in den 70er Jahren bereits die Grenzen ihrer Ausdehnung erreicht hatte, nur einen unerheblichen Attraktionsfaktor für Migrationsbewegungen dar, da es sich dabei um eine nicht arbeitsintensive Tätigkeit handelt (vgl. PMGV 1991:15ff). Die Industrie war auf die Herstellung traditioneller Verbrauchsgüter (Konfektion, Schuhmanufaktur, Milchverarbeitung etc.) in Kleinbetrieben beschränkt. Deren Konsum begrenzte aber die während des 'Wirtschaftswunders' herrschende Politik der Niedrighaltung der Grundlöhne. 53 Deshalb stellte Governador Valadares in den 80er Jahren ein dramatisches Beispiel für den Prozeß dar, "der durch eine dynamische Unzulänglichkeit der modernen Urbanen Sektoren - vor allem der Industrie - gekennzeichnet ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen" und der typisch für die brasilianische Wirtschaft in der Nachkriegszeit ist (Faria 1983:142). Im Jahre 1980 waren 20 % der Beschäftigten Governador Valadares' in der Industrie tätig, während der tertiäre Sektor mit 70 % der Beschäftigten die regionale Nachfrage zu "übersättigen" drohte (FJP 1980:134). Die politische Stadtgeschichte wurde bis Anfang der 80er Jahre in keiner Weise durch soziale Akteure aus den armen Schichten geprägt. Die ersten Versuche, die Urbanen Arbeiter zu organisieren, wurden zwar bereits ab 1932 durch die Gründung einer 'Arbeiterunion' (Uniäo Operäria) und effektiver ab Ende der 40er Jahre - nach der 53

Mit der ökonomischen Stagnation in den 80er Jahren ist das Phänomen der illegalen Massenauswanderung in die USA assoziiert. Nach den ersten wissenschaftlich fundierten Einschätzungen wohnen ca. 33400 Menschen aus Governador Valadares in den Vereinigten Staaten, das entspricht immerhin knapp 16 % der in Governador Valadares lebenden Bevölkerung (vgl. Veja 1994, Nr. 1356:76ff).

76 Aufhebung der Diktatur Vargas' 54 - unternommen. Doch die Arbeiterbewegung Governador Valadares' wurde erst in den 80er Jahren zu einem sichtbaren politischen Akteur, als der mit der Arbeiterpartei - PT - zusammenhängende Gewerkschaftsbund, CUT, zunehmenden Einfluß auf die lokale Gewerkschaftsbewegung gewann (vgl. Costa 1991:131ff). Institutionell verfügte die Stadtverwaltung bis zum Anfang der 80er Jahre über keinen Mechanismus, systematisch kollektive Anliegen aufzunehmen. Die Forderungen nach städtischen Verbesserungen bzw. staatlichen Leistungen wurden von Stadträten und sog. einflußreichen Personen artikuliert, die sich eventuell bereit erklärten, die Anliegen eines bestimmten Stadtteils zu vertreten. Im Gegensatz allerdings zu den anderen untersuchten Städten saß die Oppositionspartei (P)MDB bereits seit 1976 an der lokalen Macht, als die partizipative Verwaltung angekündigt wurde. Der 1982 gewählte Präfekt war bis dahin stellvertretender Bürgermeister und Leiter des Bauamtes. Innerhalb dieses Bauamts wurde Ende der 70er Jahre eine Planungsgruppe gegründet, deren primäre Aufgabe darin bestand, die lokale Implementierung des vorgenannten Landesprogramms für intermediäre Städte (PROECI) zu koordinieren. Im Rahmen dieser interdisziplinären Gruppe wurde das Projekt einer 'partizipativen Stadtverwaltung' diskutiert und entwickelt. Dabei stand der Gruppenleiter, der Soziologe und 1982 gewählter Stadtrat, Fassarela, im Vordergrund. Er verkörperte anfangs den wichtigsten politischen und sachlichen Rückhalt für die 'partizipative Verwaltung' und verschaffte sich enormes Ansehen innerhalb der lokalen Stadtteilbewegung.

4.1.2 Die 'partizipativen Verwaltungen' (1983 - 1988) Uberländia In Uberländia stellen die Förderung zur Gründung neuer Stadtteilorganisationen (im folgenden STO) durch die Stadtregierung und die politische Bereitschaft, diese Organisationen als legitime Vertreter der Bevölkerungsbelange zu behandeln, die Grundlage dar, auf der die 'partizipative Verwaltung' aufgebaut wurde (vgl. Tab. 4.2). Dem damaligen Bürgermeister zufolge herrschte während seiner Regierungszeit eine Faustregel: "Wer nicht organisiert war, durfte keine Forderung stellen" (Resende o.J.:29). 54

Der legendäre Präsident Getülio Vargas regierte Brasilien knapp 20 Jahre. Im November 1937 löste er die Parteien auf, setzte die gewählten Gouverneure ab, und hob die zivilen Rechte auf. Die Gewerkschaften sind mit der Erscheinung des "Pelego" zu einem in der Arbeiterbewegung verankerten Staatsanhängsel degradiert worden. Bei den "Pelegos" handelt sich um Staatsfunktionäre, die die Gewerkschaften infiltrierten, um die Regierungsinteressen zu vertreten (vgl. Igllsias 1993:246ff).

77 Ausgehend von der Erfahrung eines lokalen Verkehrsausschusses entstand 1984 durch die Initiave der Stadtverwaltung ein Bürgerrat, an dem Vertreter aller STO, Gewerkschaften, Studentenorganisationen und Kulturvereine sowie der Stadtverwaltung bzw. des Stadtparlaments (CEC 1984a) beteiligt waren. Die jeweiligen Vertreter der lokalen Organisationen im Bürgerrat wurden von diesen selbst designiert. Der Bürgerrat wurde nicht als Beschlußgremium, sondern - parallel zum verfassungsgemäß gesetzgebenden Stadtrat - als eine Beratungsinstanz konzipiert, in der Themen allgemeinen Interesses (Verkehr, Wasser, Gesundheit, Erziehung usw.) bzw. entsprechende kommunalpolitische Maßnahmen diskutiert wurden (Resende 1984:346). Seine Sitzungen wurden von einem fünfköpfigen, direkt gewählten Vorstand geleitet. Nach Alvarenga (1991:120) "konnte der Bürgerrat im Laufe seiner politischen Kämpfe zwar nur karge Erfolge zählen, seine Geschichte enthält allerdings Momente, in denen seine Betätigung über die bloße Anerkennung von Entscheidungen hinausgeht, die bereits von der Stadtverwaltung getroffen worden waren". Doch der Bürgerrat beteiligte sich regelmäßig und aktiv an den relevanten Verwaltungsentscheidungen, wie der Haushaltsdebatte, und bewies oft seine Eigenständigkeit, indem er die politische Haltung der Stadtverwaltung öffentlich in Frage stellte. Als etwa die Stadtverwaltung eine Erhöhung des Bustarifes bewilligte, warf der Bürgerrat dem Bürgermeister in einer Presseerklärung vor, daß er einer mit den STO bereits getroffenen Vereinbarung nicht Rechnung getragen habe, und daß dies "die Verbindung der Stadtverwaltung mit den lokalen mächtigen Wirtschaftsgruppen widerspiegelte, denn die neue Tariferhöhung ermöglichte den Unternehmern Gewinne, die weit die Inflationsrate übertreffen" (CEC 1984b). Illustrativ für die Suche der Bürgerräte nach einer Entkopplung von der Stadtverwaltung ist auch das Schreiben an den Bürgermeister, in dem die Bürgerräte 1987 den politischen Rückzug der partizipativen Verwaltung beklagen: "Die STO sind vom politischen Prozeß ausgeschlossen. Partizipative Demokratie ist eine bloße Werbefloskel in der Presse geworden, ist nicht mehr eine Regierung der Mitverantwortung, wie es zu sein schien" (CEC 1987). Hinsichtlich des institutionell-administrativen Aspektes beruhte das Konzept der Bürgerbeteiligung in Uberländia auf der Leistung der Verwaltungsabteilungen, die sich mit sozialen Fragen befassen: "Diese Abteilungen setzten ihr Personal aus Individuen zusammen, die persönlich mit den Kämpfen der Bevölkerung verbunden waren. Ihre Haltung war dadurch gekennzeichnet, daß sie sich in die Angelegenheiten der STO bzw. des Bürgerrates nicht einmischten" (Alvarenga 1991:120). Es handelt sich dabei vornehmlich um die Betätigung des Gesundheits-, Erziehungs-, Kultur- bzw. des Arbeits- und Wohlfahrtsamts, die in ihren 'täglichen Geschäftsgang' Mechanismen der Bürgerbeteiligung aufgenommen haben (vgl. Resende 1984:350).

78 Hier ist die Rolle des Arbeits- und Wohlfahrtsamts hervorzuheben: Diese Behörde entwickelte neben der lokalen Koordinierung des oben erwähnten PROECI (Landesprogramm für Mittelstädte) zahlreiche eigene Projekte, "welche die B ü r g e r b e t e i l i g u n g an der Kontrolle der öffentlichen Gewalt fördern sollen, um deren autoritäre bzw. elitäre Steuerung zu beenden" (SMTAS o.J.a:2, Hervorhebung im Original). Führt man sich die verschiedenen Diskussionsdokumente vor Augen, die im Rahmen des Arbeits- und Wohlfahrtsamtes verfaßt wurden, so entsteht der Eindruck, daß die Abteilung als 'ethischer Vorbehalt', als 'der tugendhafte Geist' der 'partizipativen Verwaltung' zu fungieren versuchte. So stellte das Amt die politische Haltung der Stadtverwaltung zur Diskussion (vgl. SMTAS, o.J. b), warnte vor der PopulismusGefahr und wies darauf hin, daß der widersprüchliche und dynamische Charakter der 'Basisbewegungen' in Rechnung gezogen werden müßte (SMTAS/DAC o.J.: 1). Aufgrund ihrer kritischen Attitüde ist das Arbeits- und Wohlfahrtsamt oft mit anderen Stadtbehörden in Kollision geraten, die die Betätigung in diesem Amt bzw. Aktivitäten seiner Leiterin als 'Konfliktstiftung' zwischen den Bezirksgemeinden und der Stadtverwaltung (ebd.) interpretierten. Es wurde davon ausgegangen, daß die Amtsleiterin lediglich Prestige unter den STO gewinnen wollte, um ihre eigenen Machtansprüche durchsetzen zu können. Die Amtsleiterin brach tatsächlich mit dem damaligen Bürgermeister und kandidierte als dessen Nachfolgerin. Dabei wurde sie von vielen STO unterstützt (Interview Gonfalves).

79 T A B . 4.2: INSTITUTIONELLE MECHANISMEN DER PARTIZIPATlONSPOLITIK VERGLEICHENDER ÜBERBLICK Juiz de Fora 1. Bürgerrat Leitung

Bürgermeister

Gov. Valadares

von Mitgliedern gewählter Vorsitzender Vertreter aller kollektiven Akteu- Vertreter aller Zusammensetzung re (einschl. Verbände), des Stadt- STO rats und der Stadtverwaltung

Uberländia von Mitgliedern gewählter Vorstand

Vertreter aller STO, Gewerkschaften, Kulturvereine, des Stadtrats und der Stadtverwaltung Regelmäßige Beratung über rele- Sporadische Bera- Regelmäßige Beratung Kompetenzbereich vante administrative Fragen, ein- tung über neben- über relevante adminischließlich der Haushaltsdebatte sächliche Fragen strative Fragen, einschließlich der Haushaltsdebatte 2. Betreuung der durch bei der Stadtverwaltung unsystematisch durch Fachkraft STO angestellte Führer der STO Besuch der Stadt- Besuch der Stadtteile 3. Andere Mecha- Besuch der Stadtteile durch den teile durch den durch den Bürgermeinismen Bürgermeister, öffentliche Sprechstunden, Solidaritätsgrup- Bürgermeister, öf- ster pen, Begegnungen mit Exponen- fentliche Sprechstunden ten der STO, Fachausschüsse, Wochenendaktionen (Mutiröes)

Juiz

de

Fora

Unter den untersuchten Bestrebungen, Mechanismen der Bürgerbeteiligung im Rahmen der Stadtverwaltung einzuführen, wiesen die Maßnahmen in J u i z d e F o r a zweifelsohne die am besten systematisierte theoretische Grundlage auf. Auch wenn die Initiatoren davon ausgingen, daß "den Partizipationsverfahren ein starker Versuchscharakter innewohnt und das Prozeßkonzept gegenüber einem starren und abgeschlossenen Vorschlag zu bevorzugen ist" (Salomäo Interview 55 ), wurden zu Beginn Kommunikationskanäle entworfen und plangemäß umgesetzt, um die kollektiven Anliegen aufzunehmen und zu bearbeiten. Die Gründung eines Bürgerrats (Conselho Municipal) stellte die wichtigste institutionelle Innovation dar, die im Rahmen der partizipativen Verwaltung in Juiz de Fora eingeführt wurde. Es ging dabei um ein Gremium, das sich aus ehrenamtlichen Vertretern aller ortsansässigen kollektiven Organisationen (STO, Gewerkschaften, Verbände, Studentenvertretungen etc.) zusammensetzte. Die Delegierten wurden von ihrer jeweiligen Vereinigung für ein zweijähriges Amt gewählt bzw. nominiert, wobei eine Wiederwahl bzw. ein Austausch der Delegierten durch die Organisation, die sie 55

Berufliche bzw. institutionelle Positionen der zitierten Interviewten werden am Ende dieser Arbeit aufgeführt.

80 vertraten, nicht ausgeschlossen war (vgl. Cämara Municipal de Juiz de Fora 1983: Art. 3, § 3). Ebenso Mitglied des Bürgerrats waren der Vorsitzende des Stadtrats, der Kommunalsekretär für politische Angelegenheiten (Secretärio de Governo) und der Bürgermeister, der dem Bürgerrat vorsaß. Dem Bürgerrat wurde lediglich eine Beratungsfunktion, also keine Entscheidungsmacht, zugebilligt: Die Kommunalverwaltung verpflichtete sich nicht, die Empfehlungen der Bürgerräte zu berücksichtigen. Dies geht unmißverständlich aus dem Gesetz hervor, aufgrund dessen der Bürgerrat gebildet wurde: "Aufgaben des Bürgerrats sind: • Stellung zu den kommunalen Regierungsrichtlinien zu nehmen; • sich zu Programmen und Projekten der Stadtverwaltung zu äußern; • der Verwaltung vorrangige Bauvorhaben und Leistungen zu empfehlen" (ebd.: Art. 2). Seit seiner Gründung im November 1983 und bis September 1984 fanden in unregelmäßigen Zeitabständen insgesamt drei Sitzungen des Bürgerrats statt. Von da an bis November 1988 trat der Bürgerrat in der Regel einmal monatlich zusammen, um über administrativ-politische Fragen - wie den Haushalt der Gemeinde, Bustarife, Bauvorhaben - zu beraten (vgl. CCM 1983-90). Die Gründung und die Aktivitäten des Bürgerrats wurden - trotz seiner fehlenden Entscheidungsbefugnisse - zum häufigen Gegenstand öffentlicher lokaler Diskussionen und zwar auch deshalb, weil die Presse regelmäßig über die damit zusammenhängenden Ereignisse berichtete. Der Bürgerrat wurde zu einem wichtigen F o r u m f ü r d i e T h e m a t i s i e r u n g l o k a l e r p o l i t i s c h e r P r o b l e m e , zu einem R e s o nanzboden öffentlicher Fragen bzw. politischer Entscheidungen, die andernfalls einseitig und bürokratisch vom Bürgermeister und seinen engsten Mitarbeitern oder bei den politisch inhaltsleeren Sitzungen des Stadtparlaments getroffen worden wären. Ferner fungierte der Bürgerrat als Enthüller gesellschaftsimmanenter Konflikte und verdeckter korporativistischer Anliegen, die - wie die folgende Aussage zeigt - auch innerhalb der örtlichen Arbeiterbewegung entstanden: "[Der Bürgerrat] spielt eine positive Rolle, ist ein Fortschritt und zwar nicht als Entscheidungsmechanismus, sondern im Sinne der Konfliktverdeutlichung. [...] Ich nenne ein Beispiel: den Bustarif. Es gab eine Diskussion, die Busfahrer drohten mit Streik, und die Unternehmer haben sich die Hände in Unschuld gewaschen: 'Wir geben, was ihr fordert, jedoch muß die Stadtverwaltung alles auf den Kostenplan übertragen.' Diese Diskussion - es gab eine ergiebige Diskussion -, so problematisch sie sein mag, ist eine echte Verdeutlichung der Konflikte, die zwischen den im Transportwesen tätigen und den übrigen Arbeitern bestehen." (Pestana Interview). Der Interviewte warnt jedoch davor, daß die Bürgerräte nicht über hinreichende Informationen verfügten, die eine sinnvolle Teilnahme an komplexen Entscheidungsprozessen voraussetzt:

81 "[Die Sitzungen des Bürgerrats] erfolgten ohne jegliche Vorbereitung. Eine grundlegende Frage ist die Frage der Information: Kommt eine Person zu einer Diskussion, muß dieser Fachwissen bereitgestellt werden und zwar Informationen, die in eine allgemein verständliche Form übersetzt sind. Sonst wird der Kerl zu einem 'achömetro' [jemand, der sich ohne Kenntnisse zu einer Sachfrage äußert]: Jemand trägt etwas vor und dann fängt die Schießerei an: Ich finde dies, ich finde das [...] Wer sich besser in einem gewissen Fachgebiet auskennt, drückt sich artikulierter aus und die anderen folgen [... ] der Musik" (ebd.). Aufgrund des geringen Informationsgrades der Bürgerräte und der Vorherrschaft des Bürgermeisters, zu dem sich die Bürgerräte überwiegend loyal verhielten, übernahm der Bürgerrat allmählich eine Legitimierungsfunktion jener politischen Entscheidungen, die zu einem Prestigeverlust des Bürgermeisters oder zu Zersplitterungen der regierenden politischen Gruppe führen konnten. Das geschah beispielsweise, als der Bürgermeister mit den Bürgerräten Themen besprach, zu denen eine Stellungnahme des Stadtrats bereits vorlag. Somit versuchte der Bürgermeister Entscheidungen, die seinen eigenen Interessen nicht entsprachen, die politische Legitimation zu entziehen. In diesen Fällen unterstrich die Stadtverwaltung die politischen Aspekte: Hier wurde auf die Kompetenz, Repräsentativität und den 'Basischarakter' des Bürgerrats hingewiesen. 56 Zugleich beriet die Stadtverwaltung regelmäßig mit den Bürgerräten über die Erhöhungen der Bustarife. Als der Bürgerrat allerdings den Tarifanstieg in Frage stellte, antwortete die Verwaltung mit der juristisch tadellosen Argumentation, daß der Bürgerrat ein bloßes Beratungsgremium ohne Entscheidungsbefugnisse sei (vgl. TT 23. 10. 84). Neben dem Bürgerrat wurden andere Ausschüsse gegründet, die aus Vertretern verschiedener Bürgerorganisationen bzw. der Stadtverwaltung bestanden. Diese Ausschüsse arbeiteten in der Regel mit einer der Verwaltungsabteilungen zusammen und berieten über Maßnahmen, die einen bestimmten administrativen Bereich - etwa das Gesundheits-, Erziehungs- bzw. Transportwesen - betrafen. Es wurden insgesamt elf Sachausschüsse gebildet, die allerdings auf keine große öffentliche Resonanz stießen (vgl. Viscardi 1990:61ff). Ein anderes im Rahmen der Partizipationsverwaltung häufig eingesetztes Instrument waren die Mutiröes, d.h. Wochenendaktionen zur Durchführung öffentlicher Bauvorhaben, wie des Baus von Abwassersystemen und Trinkwasserversorgung. Die Stadtverwaltung stellte Baustoffe und fachmännische Betreuung bereit, während die an den Aktionen beteiligten Bürger unentgeltlich ihre Arbeitskraft anboten. 56

Dies läßt sich etwa anhand einer Auseinandersetzung zwischen Regierungsmitgliedern und Stadtverordneten im Jahre 1985 eindeutig beobachten. Dabei wollte der Bürgermeister einen bereits vom Stadtparlament angenommenen Gesetzentwurf annullieren, nach dem die Nutzung einer bestimmten Grünanlage für den Aufbau von Rummelplätzen untersagt wird. Der Bürgermeister suchte bei den Bürgerräten politische Unterstützung, um "legitim" von seinem Vetorecht Gebrauch machen zu können (vgl. TM 19. 7. 85:3 und TM 27. 7. 85:7).

82 Der Stadtverwaltung zufolge stellten die Mutiröes eine mögliche Form dar, die Effizienz des Haushaltsmitteleinsatzes zu maximieren. Femer wurden sie als Katalysator von Solidaritätsbindungen, als Auslöser eines Prozesses dargestellt, bei dem den 'Bezirksgemeinschaften' ihre Grenzen und Möglichkeiten bewußt gemacht wurden: "[Das Mutiräo] führt die betreffende Gruppe dazu, über die gemeinschaftlichen Problemlösungsmöglichkeiten nachzudenken und ihre Anliegen und Bedürfnisse zu hierarchisieren. Nach dem Mutiräo fühlen sich die Teilnehmer unvermeidlich dafür verantwortlich, die nun durch die kollektive Arbeit erbaute Einrichtung aufrechtzuerhalten. Kurz: der Mutiräo eignet sich nicht nur dazu, Probleme zu lösen, die mit dem Mangel städtischer Infrastruktur bzw. Ausstattungen zusammenhängen. Es ist auch eine Praktik, die den Gemeinschaftsgeist fördert" (Delgado 1988:55). Die Kritiker der Mutiröes bezeichneten diese indessen als sozial ungerecht und politisch opportunistisch. Sozial entspräche die unentgeltliche Arbeitsleistung einer steuerlichen Doppelbelastung, die ausschließlich die armen Bevölkerungsgruppen betraf, denn die Oberschichten waren an den Aktionen nicht beteiligt. Politisch bezeichneten die Kritiker als problematisch, daß die Mutiröes im Grunde genommen nichts anderes wären als ein Rekrutierungsfeld für den Wahlkampf der regierenden Partei, denn die Organisatoren der Aktionen waren schließlich diejenigen, die für den Bürgermeister bzw. seine politische Gruppe parteipolitische Arbeit leisteten (vgl. TM 7. 4. 85:7). Bei den Mutiröes-Organisatoren handelt es sich um ursprüngliche Teilnehmer der Nachbarschaftsbewegungen, die bei der 'partizipativen' Stadtregierung im Rahmen der GAC (Gruppe gemeinschaftlichen Handelns) angestellt waren. Hauptaufgaben dieser Gruppe waren, neben der Koordinierung der Teilnahme der Bevölkerung an den Mutiröes, die Sonntagsbesuche vorzubereiten, die der Bürgermeister und seine engsten Berater den verschiedenen Bezirken machten. Anläßlich der Besuche fand vor Ort eine öffentliche Besprechung der lokalen Probleme statt, zu der zumeist zahlreiche Einwohner erschienen (Viscardi 1990:93). Im Jahre 1985 wurde die GAC dem nun neugegründeten AMAC (Stadtvereinigung gemeinschaftlichen Handels) zugeordnet. Diese als gemeinnütziger Verein eingetragene Organisation stellte de facto eine Abteilung der Stadtverwaltung dar, die nach und nach die Durchführung der Partizipationspolitik übernahm. Ebenso der AMAC zugeordnet waren die Solidaritätsgruppen (Grupos de Solidariedade), die den Versuch der Stadtverwaltung verkörperten, die lokalen Ober- bzw. Mittelschichten in die Wohlfahrtsmaßnahmen zugunsten bestimmter sozial benachteiligter Gruppen - Senioren, Obdachlose usw. - zu involvieren (vgl. Delgado 1984:185). Die Gründung des AMAC, dessen Leitung von einem Bruder des Bürgermeisters übernommen wurde, spiegelt den internen Machtkampf wider, der die 'partizipative Verwaltung' in Juiz de Fora charakterisierte. Innerhalb der Verwaltung bestanden z w e i p o l i t i s c h e S t r ö m u n g e n , die die administrativen Schlüsselpositionen kontrollierten: D i e e r s t e G r u p p e , aus jungen Linksintellektuellen und ehemali-

83 gen Teilnehmern der Studentenbewegung bestehend, verließ später die PMDB, um die PSDB (Partei der brasilianischen Sozialdemokratie) in der Stadt zu vertreten. "Die pragmatischer und klientelistisch orientierte z w e i t e G r u p p e verfügte über größeren Basiskontakt und blieb als Sieger [des Machtkampfes] bis zum Ende der Amtszeit in der Regierung" (Frank Interview). Die Gesamtheit der institutionellen Mechanismen (vgl. Tab. 4.2), die im Rahmen der 'partizipativen Verwaltung' in Juiz de Fora eingesetzt wurden, beweist zwar die Absicht der Stadtregierung, neben eindeutigen parteipolitischen Interessen eine politische Legitimationsverankerung in der Zivilgesellschaft zu finden. Die Gründung der GAC, deren Mitglieder gleichzeitig die Stadtteilbewegung und die Stadtverwaltung vertraten, und die über die Solidaritätsgruppen erfolgte Institutionalisierung des gesellschaftlichen Mitleids führten jedoch zur Herausbildung eines institutionellen Schattens, in dem die Grenzen zwischen Lokalregierung und Bevölkerung - also Staat und Zivilgesellschaft - verschwammen. Governador

Valadares

In Governador Valadares wies der politische Partizipationsversuch ein viel bescheideneres Mechanismenrepertoire bzw. einen geringeren politisch-institutionellen Rückhalt auf als in den beiden anderen Städten. Hier beschränkten sich die Partizipationsverfahren fast ausschließlich auf die Unterstützung zur Gründung neuer STO und die Bildung eines Bürgerrats (vgl. Tab. 4.2). Dieser Bürgerrat hat allerdings nie die politische Bedeutung gewonnen, die die entsprechenden Gremien in den anderen beiden untersuchten Städten kennzeichnen: Er blieb von bedeutsamen Diskussionen wie der Haushaltsdebatte ausgeschlossen (ausführlich dazu: Costa 1991:90ff). Innerhalb der Verwaltung selbst wurde Widerstand gegen einen einflußreichen Bürgerrat bzw. gegen die politische Stärkung der STO geleistet. Das Planungsamt (früher Planungsgruppe) war die einzige Verwaltungsinstanz, die sich de facto mit Projekten beschäftigte, die der Partizipationsphilosophie entsprachen. Die übrigen Verwaltungsstellen haben zwar als alltägliches Verfahren eingeführt, die STO dienstlich zu empfangen, doch wurde versucht, deren Anliegen den parteipolitischen Belangen der regierenden Politiker unterzuordnen (vgl. Costa 1992a:6ff). Ab 1986 wurde die wahlpolitische Instrumentalisierung der STO besonders deutlich, als der schon erwähnte Stadtverordnete Fassarela, für die jungen Experten des Planungsamts die wichtigste Bezugsperson, sich politisch von den PMDB-Regierungsmitgliedern entfernte, um als Landesabgeordneter über die Arbeiterpartei, PT, zu kandidieren. Seitdem (1986) wurde dem Planungsamt die politische und administrative Macht entzogen: Es verlor seine Funktion, das Bürgerbeteiligungsprojekt sachverständig zu diskutieren bzw. mitzugestalten. Mit wackligem politischen Rückhalt ausgestattet und ohne sachkundige Basis beschränkte sich die 'partizipative Verwaltung' in Governador Valadares dann darauf, die STO zu dulden bzw. mit deren Vertretern zu verhandeln. Dabei wurde die partei-

84 politische Einstellung das Hauptkriterium, nach dem entschieden wurde, ob die Anliegen einer STO aufgenommen bzw. bearbeitet werden sollten. Dies geht eindeutig aus der folgenden Aussage hervor: "Am Ende der Regierungszeit Ronaldos [Bürgermeister] wurden die STO, alle STO, nicht gut behandelt. [...] Er [Leiter des Bauamts] meinte, daß alle STO seine Kandidaten unterstützen müßten [bei den Wahlen im Jahre 1986], Von da an wurde er sauer mit den STO und hat sie fast alle erledigt. Nur diejenigen, die mit ihm sehr verbunden waren, hatten Zugang [zu der Stadtverwaltung]." (Zezinho Interview).

4.1.3 Jüngste Entwicklungen (1989 - 1994) Als 1988 die Amtszeit der 1982 gewählten Bürgermeister ablief, wurde die Weiterführung der Partizipationspolitik in allen drei untersuchten Städten in Frage gestellt. Uberländia In Uberländia wurde die Partizipationspolitik aufgehoben, als 1988 ein bekannter konservativer Politiker, Virgilio Galassi, der schon während des Militärregimes mehrfach die Stadt regierte, die Kommunalwahlen gewann. Dabei besiegte er sowohl den PMDB-Kandidaten als auch die PSDB-Kandidatin, die oben erwähnte ehemalige Leiterin des Arbeits- und Wohlfahrtsamts. Das Regierungsprogramm der unterlegenen Kandidatin befürwortete die Fortsetzung des Projektes der Bürgerbeteiligung und sprach von einer: "Verwaltung, die für die Einflußnahme der 'Volksbewegung' und die Teilnahme ihrer Organisationen an den Regierungsentscheidungen offen steht. Dabei sollen diese Organisationen nicht zu bloßen Machtanhängseln, sondern zu den geltenden und dauerhaften Gesprächspartnern werden, die eine demokratische Regierung unbedingt braucht" (PSDB 1988:8). Ironischerweise trat 1991 diese Kandidatin erneut als Leiterin des Arbeits- und Wohlfahrtsamts der Stadtregierung bei und wurde somit Mitglied des engsten Beraterkreises eines Bürgermeisters, der seine Einstellung gegenüber der Bürgerbeteiligung in eigentümlicher Weise geprägt hatte, als er behauptete: "Die Regierung muß wissen, was das Volk will. Sie braucht es nicht zu befragen" (vgl. Resende o.J.:21). Während der Amtszeit Galassis verlor das Arbeits- und Wohlfahrtsamt seine politische Bedeutung. Nach einer eigenen Bewertung beschäftigt sich die Behörde immer mehr mit "Aufträgen des sozialen Notbereiches" (SMTAS 1992:1.1), also konventioneller Wohlfahrtspolitik. Auch die STO bzw. der Bürgerrat wurden in den Hintergrund gedrängt, wie aus der folgenden Aussage klar hervorgeht:

85 "Als Virgflio Galassi Nachfolger von Zaire Resende wurde und die Regierung übernahm, folgte er einer Politik, die STO in Mißkredit zu bringen. Er wies die STO einfach ab. Wenn eine STO etwas fordern wollte, verhandelte er mit einem Parteifreund oder mit einem Wähler aus dem betreffenden Bezirk: Er bevorzugte also eine individuelle Vermittlung. Dies war seine Art, die STO zu schwächen" (Gon9alves Interview). Im Jahr 1992 fiel es Galassi nicht schwer, einem persönlichen Freund zum Sieg bei den Kommunalwahlen zu verhelfen. In der Regierung des dabei gewählten Bürgermeisters, der seinem populistischen Wahlkampf das Versprechen zugrunde legte, den verarmten Bevölkerungsgruppen subventionierte Lebensmittel bereitzustellen, wird den Bevölkerungsorganisationen weiterhin keine wichtige Rolle beigemessen. Juiz

de

Fora

Auch in Juiz de Fora traten die STO ab 1989 in den Hintergrund. 1988 wurde ein Neuling in der Politik, Alberto Bejani, zum Bürgermeister gewählt. Er hatte sich über seine Boulevard-Radiosendung bei den lokalen, armen Sozialschichten hohes Prestige verschafft und gründete seinen Wahlkampf auf politisch-programmatisch inhaltsleere populistische Auftritte: "Das Phänomen Bejani läßt sich wie folgt erklären: Er ist sehr intelligent, wenn auch nur wenig kultiviert, hatte einen Radiosender in seiner Hand und kam an die Orte, an die das Volk wollte, daß er kommt, um zu kritisieren. Und dabei sagte er die Worte, die das Volk hören wollte. Er kam beispielsweise um 5 Uhr morgens in die Warteschlange der Gesundheitsbehörde und sah alte Menschen anstehen und Leute, die einen Warteplatz in der Schlange verkauften. Er hat dies kritisiert" (Interview Morais). Obwohl einige wenige Vertreter der STO behaupten, daß sie 'eine gute Beziehung' zur Regierung Bejanis hätten, beschwert sich ihre Mehrheit über das Fehlen von Kommunikationskanälen, durch die ihre Forderungen an die Stadtverwaltung weitergeleitet werden könnten: "In der Regierung Bejanis gab es keine Kommunikation, seine Verwaltung war für unsere Organisation schrecklich" (Candanda Interview). "Wir haben unter Bejani keine Verbesserung gehabt. Als er an die Macht kam, genauer gesagt in seinem dritten Regierungsmonat, haben wir gemerkt, daß er uns nicht berücksichtigen würde, und dann haben wir ihn um nichts mehr gebeten" (Cändido Interview). Der Bürgerrat wurde auch nicht mehr von der Stadtverwaltung konsultiert. In der vier Jahre langen Amtszeit Bejanis wurden die Bürgerräte lediglich zu zwei Versammlungen zusammengerufen, die auf keine Resonanz stießen. Es läßt sich aber feststellen, daß zu dieser Zeit eine erhebliche Zahl von Organisationen bzw. informellen Einwohnergruppieningen ihre Unzufriedenheit mit der Stadt-

86 regierung öffentlich zum Ausdruck brachten. Hierzu gehören die Protestgruppen, die sich 1991 gegen die von der Stadtverwaltung eingeführten Änderungen der Busrouten formierten. Es handelt sich dabei um teils spontane, teils von der jeweiligen STO organisierte Aktionen, die darin bestanden, die Busse in verschiedenen Stadtgebieten vorübergehend zu 'beschlagnahmen' bzw. nicht weiterfahren zu lassen (vgl. TT 23. 05. 91:7; 5. 6. 91:7; 6. 6.91:7). Politisch-institutionell wurde die Ausschließung der STO in Juiz de Fora erst aufgehoben, als 1992 mit dezidierter Unterstützung der STO ein neuer Bürgermeister gewählt wurde (Barbosa Interview). Dabei handelt es sich um einen ehemaligen Exponenten der 'intellektuellen' PMDB-Strömung, die zusammen mit dem 'pragmatischen' Parteiflügel von 1983 bis 1988 die Stadt regierte. Er vertritt derzeit die PSDB und versucht, in seiner Regierungszeit (1993-1996) innovative Formen der Bürgerbeteiligung einzuführen. Es wurde eine Gruppe, die NAC (Arbeitskreis gemeinschaftlichen Handels), gegründet, die aus von der Stadtregierung angestellten Exponenten der Stadtteilbewegung und der Schwarzenbewegung besteht und die die verschiedenen freiwilligen Organisationen der Bevölkerung 'betreuen' soll. Darüber hinaus soll der Arbeitskreis als administrativ-politischer Filter fungieren, der die Forderungen der Organisationen vorsortiert bzw. an die verschiedenen Verwaltungsabteilungen weiterleitet, um die Anzahl der Anliegen zu reduzieren, die dann die politischen Entscheidungsspitzen (Bürgermeisteramt) erreichen (vgl. TT 28. 1. 93:8). Neben dem NAC wurden andere Fachausschüsse eingerichtet bzw. wieder zusammengerufen, an denen verschiedene Vereinigungen (STO, Umweltschutzbewegung usw.) teilnehmen und die administrative Maßnahmen in einem gewissen Sachbereich mitbestimmen. Governador

Valadares

Lediglich in Governador Valadares gelang es dem bis 1988 regierenden Bürgermeister, einen Parteifreund als seinen Nachfolger durchzusetzen. Dabei rechnete der aufgestellte Kandidat, Rui Moreira, Arzt und Neuling in der Politik, mit einer dezidierten Unterstützung der STO. Mit einem vielfältigen Repertoire machte die Mehrheit der STO den Wahlkampf des Kandidaten mit: Ihre Vorsitzenden beteiligten sich regelmäßig an den Wahlveranstaltungen und ihre Vollversammlungen wurden zu einer Bühne, auf der im Rahmen einer 'Wahlshow' zahlreiche vom Kandidaten spendierte Geschenke verlost wurden (vgl. Costa 1991:101ff). In seinem ersten Amtsjahr hielt Rui Moreira den persönlichen Beraterstab, den sein Amtsvorgänger zusammengestellt hatte, aufrecht. Zu dieser Zeit galten noch die Beziehungsmuster STO/Stadtverwaltung weiter, die in den letzten Jahren der vorigen Regierung geherrscht hatten. Nach seinem ersten Amtsjahr brach Moreira allerdings mit dem früheren Bürgermeister; die Berater wurden ausgetauscht und im Bereich der STO wurden neue Gesprächspartner gesucht:

87 "Man fing mit einem Versuch an, die Stadtteilfiihrer zu schwächen, die sich mit Ronaldo [Perim, voriger Bürgermeister] identifizierten und gleichzeitig die Exponenten zu unterstützen, die mit ihm weniger verbunden waren. Es gab lediglich einen Ersatz der Gesprächspartner" (Fassarela Interview). Mit der Distanzierung von seinem einstigen politischen Förderer bzw. dessen Genossen wurde dem Bürgermeister Moreira deutlich, daß er über keine stadtparlamentarische Basis verfugte. Deshalb kam der Bürgermeister den Stadträten entgegen, die die STO als politische Konkurrenzmacht empfanden. Darauf wurden die STO aufgefordert, ihre Anliegen an die Stadtverwaltung durch die Stadtverordneten (und zwar diejenigen, die den Bürgermeister unterstützten) vermitteln zu lassen (CM 1984-93:20). Die neue Regelung mißfiel den STO, die bereits mit der Langwierigkeit unzufrieden waren, mit der ihre Belange von der Stadtregierung schon bisher bearbeitet bzw. umgesetzt wurden. Somit begannen viele STO neue Handlungsformen einzusetzen, für die eine 'gute Beziehung' mit den regierenden Politikern nicht unbedingt Voraussetzung war. Ab dem zweiten Amtsjahr Moreiras, also ab 1990, brachten immer mehr STO ö f f e n t l i c h (über die lokale Presse, Kundgebungen etc.) ihre Unzufriedenheit mit der Ineffizienz der Stadtregierung zum Ausdruck (vgl. DRD 8. 3. 91:12; DRD 8. 6.91:3). Noch im Rahmen der Regierung Rui Moreiras wurden verschiedene Ausschüsse gegründet, in denen Vertreter von Behörden bzw. zivilgesellschaftlichen Organisationen administrative Richtlinien für einen bestimmten Verwaltungsbereich diskutierten. Beispielhaft soll hier die Erfahrung des Verkehrsausschusses hervorgehoben werden, in dem Repräsentanten der Stadtteilbewegung, Transportunternehmer und Experten des Stadtplanungsamts zusammentraten, um den lokalen Bustarif festzusetzen. Der Verkehrsausschuß wurde zwar bei jeder Tariferhöhung systematisch konsultiert, es läßt sich allerdings feststellen, daß die Kommission dazu tendierte, den vom Planungsamt vorgeschlagenen Fahrpreis zu bestätigen, der wiederholt ca. 30 % unter dem vom Transportunternehmen geforderten Preis lag. Dies illustrieren die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Beispiele:

88

TAB. 4.3: BUSTARIFE ZU AUSGEWÄHLTEN ZEITPUNKTEN IN GOVERNADOR VALADARES Forderung des Unternehmens (Cruzeiros) 33,00 30.10.90 34,00 29.11.90 41,00 20.12.90 80,00 24.04.91 Quelle: Conselho Comunitário - GV Datum

Vorschlag des Planungsamts (Cruzeiros) 21,60 24,50 31,00 53,55

Festgesetzter Tarif (Cruzeiros) 22,00 25,00 30,00 60,00

Die in der Tabelle aufgeführten Zahlen und die Protokolle der Kommissionssitzungen, auf denen die Tariferhöhungen diskutiert wurden, machen deutlich, daß die STO-Vertreter mit Fachinformationen konfrontiert wurden, die sie, aufgrund der fehlenden Fachkompetenz, nicht in Frage stellen konnten. Sie stimmten, ohne Einspruch zu erheben, dem vom Planungsamt vorgeschlagenen Tarif zu, wobei es wohl auch vorkam, daß die Teilnehmer sich von der Argumentation des Unternehmens überzeugen ließen und über den Vorschlag der Behörde hinausgingen. 1993 begann die Amtszeit eines neuen Bürgermeisters, der allerdings seinem politischen Hauptstrategen zufolge den STO keine bedeutende Rolle zuweist: "Wir beraten zwar mit den STO, das bedeutet jedoch nicht, daß sie politische Entscheidungsmacht besitzen. Diese wird dem jeweiligen lokalen Stadtverordneten vorbehalten. Die Prioritäten werden vom Stadtverordneten gesetzt, [wobei] nur die Regierungsfraktion konsultiert wird [...]. In den Stadtteilen, in denen es keinen Stadtverordneten aus der Regierungsfraktion gibt, werden die Forderungen der jeweiligen STO bevorzugt" (Simöes Interview).

4.2 Dynamik der lokalen Zivilgesellschaft Die Tabelle 4.4 gibt einen Einblick über die Zusammensetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich jüngst in den untersuchten Städten herausgebildet haben. Dabei werden die erfaßten Organisationen nach Entstehungszeit bzw. Zweck eingeteilt. Anschließend wird jede Organisationsgruppe erläutert.

89

T A B . 4 . 4 : ORGANISATIONEN NACH ENTSTEHUNGSZEIT BZW. ZWECK IN UBERLÄNDIA ( U ) , GOVERNADOR VALADARES ( G V ) UND JUIZ DE F O R A ( J F ) Stadtteilorganisationen Zusammenschluß von STO Organisationen der Schwarzen Umweltorganisationen Frauenorganisationen

o. A. 2 1 1

bis 80 1 1 38

1 2

2

3

2

81-82 3 17 4

83-84 18 9 4 1 1

85-86 17 U 5

87-88 17 6 20

89-90 6 27

91-92 4 1 8

93

8

1 1 1 1

5

1 1

1

1

U GV JF U GV JF U GV JF U GV JF U GV JF U GV JF

1 1 2 1 1 2 2 1 1 3 2 2 6 20 1 1 3 1 Andere 2 1 2 4 3 5 6 2 23 1 Quellen: Vereinsregister, Interviews, lokale Presse Abkürzungen: o. A. - ohne Angabe; STO - Stadtteilorganisationen Anmerkungen: • Stand: Oktober 93 • Bei den STO handelt es sich ausschließlich um Organisationen, die im Vereinsregister eingetragen sind. Die Angaben zu der Entstehungszeit beziehen sich auf das Anmeldungsdatum. • Bei den Frauengruppen wurden die Mütterclubs nicht mitgezählt. • In Juiz de Fora und Uberländia - im Gegensatz zu Governador Valadares - erteilte das jeweilige Vereinsregister nur wenig Auskunft über die in die Rubrik 'Andere' eingeordneten Gruppen. Dieser Umstand führt dazu, daß die Entstehungszeit vieler dieser Gruppen in den beiden Städten nicht ermittelt werden konnte. Stadtteilbewegungen D i e Z a h l e n in T a b e l l e 4 . 4 b e l e g e n den E i n f l u ß der Partizipationspolitik auf d a s Organisationsmuster der lokalen B e v ö l k e r u n g e n in den recherchierten Städten. 5 7 In U b e r l ä n d i a w u r d e n über 7 5 % der b e s t e h e n d e n S T O n e b e n d e m Bürgerrat z w i s c h e n 1 9 8 3 u n d 1 9 8 8 gegründet. D i e aktive R o l l e der K o m m u n a l v e r w a l t u n g bei der Entstehung neuer S T O in der Stadt geht eindeutig aus den Gründungsprotokollen dieser Organisationen hervor, w i e die f o l g e n d e P a s s a g e beispielhaft illustriert:

57

Das Aufblühen des Gemeinschaftswesens in den untersuchten Städten darf allerdings nicht ausschließlich auf die Einführung der Bürgerbeteiligung zurückgeführt werden. Wie die Studie Santos' (1993: bes. 8 4 0 zeigt, entsprach die Entstehung neuer Organisationen am Anfang der 80er Jahre einem von der Demokratisierung ausgelösten Nachholbedarf: Auch in anderen brasilianischen Städten, in denen keine Partizipationspolitik durch die Stadtverwaltung gefördert wurde, war die Verbreitung neuer Bevölkerungsorganisationen zu beobachten.

90 "[Es wurde] umfassend und vollständig über die Notwendigkeit der STO berichtet, die aufgrund des 'Regierungssystems', das der Herr Bürgermeister Zaire Resende etabliert hat, die Forderungen der Stadtviertel an die Stadtverwaltung vermitteln sollen. Anschließend bat der Sitzungsvorsitzende den Vertreter des Bürgermeisters [...], die Rolle der STO bei der Kommunalverwaltung zu erklären" (Associa?äo de Moradores Saraiva 1984). Die Entstehung neuer STO hing also nicht mit intern politisch-gesellschaftlichen Prozessen, die auf der Bezirksebene erlebt wurden, zusammen, sondern mit dem Verwaltungsprojekt einer gewissen politischen Gruppe. Dieser Umstand führte zu einer unerwünschten Weiterentwicklung: Die neu gegründeten STO versuchten, sich den Einwohnern gegenüber als deren legitime Interessenvertreter zu etablieren. Bei diesem 'Kampf um Anerkennung' bewegte sich der Organisationsvorstand agil von einer Behörde zu anderen, um dem jeweiligen Stadtteil Verbesserungen zu verschaffen. Doch auch wenn dabei Forderungen erfolgreich durchgesetzt wurden, distanzierten sich die Leiter der Organisationen von den Bevölkerungsgruppen, die sie repräsentieren sollten. Die STO wurde also von den Einwohnern als eine fremde Machtinstanz empfunden, zwar "eine ihnen nähere Machtinstanz, da sie sich in deren Stadtteil befindet, aber doch eine externe Macht" (Alvarenga 1991:106). Ab 1989 verloren die STO mit der Aufhebung der 'partizipativen Verwaltung' die legitimatorische Unterstüzung, die die bisherige Berücksichtigung ihrer Anliegen durch die Stadtverwaltung darstellte, was zur Auflösung des größten Teils dieser Organisationen führte. Einigen wenigen (vorwiegend mit der katholischen Kirche oder der Arbeiterpartei - PT - zusammenhängenden) STO ist gelungen, die Anliegen der Bevölkerung in einen Katalysator der internen Organisierung umzuwandeln: Vollversammlungen finden oft statt, die Einwohner werden aufgefordert, sich an den laufenden Kampagnen zu beteiligen, es bilden sich mehrere Arbeitsgruppen, welche die verschiedenen Aktionen durchführen, und die Mitglieder teilen die Leitungsaufgaben unter sich auf. Diese Organisationen bestanden meistens fort und erzielten einige politische Erfolge, zu denen die Wahl eines ihrer Exponenten in den Stadtrat gehört. Noch zu der Zeit der 'partizipativen Verwaltung' waren diese Gruppen durch eine aktive Teilnahme am Bürgerrat gekennzeichnet, sie übernahmen eine kritische Haltung gegenüber der Stadtverwaltung und bildeten 1987 einen zum Bürgerrat parallelen Zusammenschluß von zivilgesellschaftlichen Organisationen (FEP - Forum von Volksorganisationen), der allerdings nicht länger als zwei Jahre bestand (Aniceto Interview). I n G o v e r n a d o r V a l a d a r e s läßt sich feststellen, daß knapp 70 % der bestehenden STO zur Zeit der 'partizipativen Verwaltung' gebildet wurden. Hierbei unterscheidet sich der Gründungsprozeß dieser Organisationen kaum von jenem, der in Uberländia beobachtet wurde: Vertreter der Stadtverwaltung nahmen Kontakt mit bestehenden lokalen Führern und Gruppierungen - christlichen Basisgemeinden, Mütterclubs usw. - auf und berieten diese über den Charakter bzw. Aufgaben einer STO.

91 Ginige Stadträte bzw. zukünftige Kandidaten kamen der Stadtverwaltung zuvor und betreuten in ihren Einflußgebieten die Gründung einer STO (vgl. Costa 1992a:4). Aus dem Beziehungsgeflecht der Stadtregierung mit den in Governador Valadares neugegründeten STO läßt sich eine stillschweigende Vereinbarung herauslesen, die einen Verhaltenskodex für beide beteiligten Parteien andeutet. Nach diesem Abkommen waren die Aufgaben der regierenden Politiker: die STO zu empfangen bzw. sie vor Ort zu besuchen und ihre Forderungen umzusetzen, um deutlich zu machen, daß die STO Prestige bei der Verwaltung genießt. Die Regierung sollte also "dafüir sorgen, daß die STO ihre Forderung vermitteln bzw. mit Erfolg durchsetzen. Somit können die STO Glaubwürdigkeit und Ansehen bei der Gemeinschaft erlangen, die sie vertreten" (Interview Perim).

Von den STO wurde erwartet, daß sie die politische Legitimierung der Kommunalregierung auf der Bezirksebene sicherten. In diesem Kontext sollten Beschwerden gegen die lokalen Regierungsmitglieder vorsichtshalber nicht in die Öffentlichkeit gebracht werden (vgl. Costa 1991:84ff). Die verschiedenen Handlungsformen, die die STO seit den ersten Jahren der partizipativen Verwaltung in Governador Valadares aufwiesen, können in zwei unterschiedliche Bündel gruppiert werden. Einige Organisationen veranstalteten regelmäßige Vollversammlungen und teilten die Durchführungsaufgaben verschiedener Kampagnen unter mehreren Arbeitsgruppen auf. In anderen wurde die Leitung der Aktionen von einer kleinen Führungsgruppe zentralisiert, wie es in der folgenden Aussage zu erkennen ist: "Immer wenn wir etwas brauchen, ergreift Martinho [Vorsitzender einer STO] die Initiative. Dann gehen wir beide: für alles was wir benötigen, gehen nur wir beide, denn wir beiden allein tragen das Amt. Wir gehen hin, reden und erledigen." (Jülio Interview).

Die beiden unterschiedlichen Handlungsmuster entsprechen nicht unmittelbar parteipolitischen Meinungsverschiedenheiten. Diese kamen erst ab 1986 zum Vorschein, als eine kleine Gruppe von Bewegungsexponenten, unter ihnen der Vorsitzende des Bürgerrats, in Konflikt mit der Stadtregierung geriet und in die Arbeiterpartei - PT eintrat. Die Einflußnahme der PT auf die Stadtteilbewegung blieb bis zu den letzten Jahren der 'partizipativen Verwaltung' unerheblich. 58 Erst in den letzten fünf Jahren zeigte sich die oppositionelle PT in der Lage, aus den Frustrationen der Bevölkerung mit der Stadtregierung Vorteile zu ziehen. Damit konnte die Partei sich sukzessive in den 58

Die Beteiligung der PT-Mitglieder an der Stadtteilbewegung wurde zunächst von den Bewegungsteilnehmern nicht begrüßt, denn diese kannten die Schwierigkeiten, an staatliche Leistungen zu kommen, wenn man mit der PT in Verbindung gebracht wurde. Auch sind die Bemühungen der PT-Gruppe seit 1986 gescheitert, die politische Leitung des Bürgerrats aufrechtzuerhalten bzw. wieder zu übernehmen (Perucci Interview).

92 Vorstandswahlen vieler STO durchsetzen. Zur Zeit meiner Feldforschung (Anfang 1994) leiteten PT-Mitglieder schätzungsweise ein Viertel der bestehenden STO (Perucci Interview). Vergleicht man das Wahlverhalten der STO bzw. ihrer Vorstände in Governador Valadares bei den 1988 bzw. 1992 erfolgten Kommunalwahlen, so sind wichtige Unterschiede festzustellen. Im Jahre 1988 bewarben sich nur wenige STO-Leiter um einen Sitz im Stadtparlament. Dennoch erhielten vier Stadtangestellte, die aufgrund ihrer Posten in der 'partizipativen Verwaltung' oft mit den STO verhandelten, massive Unterstützung der STO und konnten Stadtverordnete werden. Im Jahre 1992 stellen sich hingegen die Exponenten der Stadtteilbewegung selber zur Stadtparlamentswahl: allein im Rahmen der 1990 gegründeten Föderation der STO (FAMOG) gaben elf Mitglieder ihre Kandidatur bekannt! (ebd.). I n J u i z d e F o r a erfolgte die Gründung der ersten STO schon in den 40er Jahren, und in den 50er Jahren hatte sich bereits ein Zusammenschluß von STO herausgebildet. Die ersten Versuche, die STO in die Kommunalverwaltung mit einzubeziehen, gehen bis in die 60er Jahre zurück, als sich der damalige Bürgermeister Itamar Franco, der die Stadt zunächst von 1967 bis 1970 regierte, regelmäßig mit den Führerschaften der Stadtteilbewegungen zusammentraf, um ihre Anliegen zur Kenntnis zu nehmen (Viscardi 1990:33ff)- Parallel kamen ein Wohlfahrts- und ein Erziehungsausschuß zustande, in denen Vertreter der STO und Behörden die Stadtpolitik für diese Bereiche gemeinsam bestimmten. Ab 1979 wurden im Rahmen des o. g. CPM (Programm für Mittelzentren) den STO neue politische Partizipationsmöglichkeiten geboten. Zu dieser Zeit blühten die STO in der Stadt schon auf (vgl. Tab. 4.4). Als 1983 die 'partizipative Verwaltung' begann, war so gut wie jeder Stadtteil durch eine STO vertreten. Ebenso waren bereits zwei Zusammenschlüsse von STO zugegen, die unterschiedliche parteipolitische Züge trugen. Daß schon zuvor eine dichte und pluralistische Stadtteilbewegung bestanden hatte, dürfte den Umstand erklären, daß in Juiz de Fora im Vergleich mit den anderen beiden untersuchten Städten nur wenige STO im Zusammenhang mit der 'partizipativen Verwaltung' neu gegründet wurden. Schwer zu entziffern bleibt allerdings die Tatsache, daß zahlreiche STO unmittelbar nach der Partizipationsphase entstanden sind, denn diese Zeit ist - wie zuvor erwähnt - durch eine Kommunalregierung gekennzeichnet, die die politische Beteiligung der STO abweist. Das Verzeichnis der während dieser Zeit gegründeten STO zeigt jedoch, daß es sich vorwiegend um Organisationen handelt, die mit anderem Namen in Stadtteilen entstehen, in denen eine STO bereits bestand. Dies gibt Anlaß zu vermuten, daß es sich dabei um den Versuch handelt, auf der Bezirksebene Führerschaften zu ersetzen, die sich bei den vorhergehenden Kommunalwahlen für die

93 vom damals regierenden Bürgermeister besiegten Kandidaten engagiert hatten. Die nachstehende Aussage unterstützt diese Sichtweise: "Es besteht in Juiz de Fora folgende Dynamik: Ist der Kerl in der Opposition, opfert er sich selbst. Er distanziert sich von der Bewegung mit folgender Begründung: 'Ich will meinen Stadtteil nicht benachteiligen, denn ich bin nachdrücklich in der Opposition'" (Pestana Interview). Schwarzenbewegung Sowohl in G o v e r n a d o r V a l a d a r e s als auch in U b e r l ä n d i a zeigt die Bewegung der Schwarzen eine geringe politische Relevanz bzw. öffentliche Sichtbarkeit. Es handelt sich dabei um kleine Gruppierungen, die sporadisch wenig beachtete Demonstrationen gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung veranstalten und vorkommende rassistische Einstellungen über die Presse anklagen. In J u i z d e F o r a dagegen gilt die Schwarzenbewegung als ein beachtlicher und gut organisierter sozialer Akteur, der versucht, sich systematisch an den politischen Entscheidungsfindungen zu beteiligen, die Belange der Schwarzen betreffen. Die organisierten Schwarzengruppierungen, die bis zum Ende der 70er Jahre in der Stadt entstanden, waren in der Regel keine politischen Vereinigungen, sondern Organisationen, die Zusammentreffen und Festlichkeiten veranstalteten, um Verbrüderung bzw. Solidarität bei den Schwarzen zu stiften (Mariano Interview). In den 80er Jahren kamen die ersten Gruppen zum Vorschein, die Diskussionsveranstaltungen über die Probleme der Schwarzen organisierten, zu denen die auf der Bundesebene bekannten Exponenten der Schwarzenbewegung gelegentlich eingeladen wurden. Im Jahr 1985 fand in Juiz de Fora die 'Nationale Begegnung mit der schwarzen Rasse' (Encontro Nacional da Rafa Negra) statt, in deren Rahmen die Forderung formuliert wurde, daß die Stadtverwaltung eine Dienststelle eröffnet, die die Schwarzenbewegung institutionell unterstützen sollte. Die Begegnung stellte einen wichtigen Wendepunkt für die lokale Schwarzenbewegung dar. Von diesem Zeitpunkt "an ersetzt die politische Handlung das Jammern bzw. den Argwohn", die die ersten Phasen der Bewegung charakterisiert hatten (vgl. TM 5. 12. 85, Heft B:2). Ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts begann die Schwarzenbewegung allerdings, neben Protestmärschen öffentliche Diskussionen mit Politikern zu veranstalten, um eine isonomia racial, also eine 'Rassengleichberechtigung' (TT 26. 9. 88:6) zu fordern. Das kulturelle Repertoire der Bewegung wurde ebenfalls um neue Ausdrucksformen erweitert. Neben den Organisationen, die das tradierte afro-brasilianische Kulturerbe zu bewahren suchten - etwa das 'Batuque Nelson Silva' - und die ersten Phasen der Bewegung charakterisierten, entstanden Gruppen wie die 'Nafäo Hip Hop', die versuchten, durch neue - teils von der amerikanischen Schwarzenbewegung

94 übernommene - Ausdrucksformen ihr Auftreten im Kulturbereich mit dem politischen Kampf gegen den Rassismus in Einklang zu bringen (Laureano Interview). Auch auf parteipolitischer Ebene macht sich die Schwarzenbewegung bemerkbar. Bei den Kommunalwahlen im Jahre 1988 konnten zwei ihrer Teilnehmer einen Sitz im Stadtparlament erlangen, wobei die verschiedenen Schwarzengruppierungen keine Konsenskandidaten gefunden hatten. Über die beiden Stadtverordneten legten Schwarzengruppen dem Stadtrat anläßlich der Formulierung eines neuen Munizipialgrundgesetzes (Lei Orgänica do Municipio) im Jahre 1989 verschiedene Gesetzentwürfe vor, die dazu beitragen sollten, rassische Diskriminierung zu beseitigen und das Kulturgut der Schwarzen aufrechtzuerhalten und zu fördern. Es handelt sich beispielsweise um einen Gesetzentwurf, der Bestrafungen für Geschäftsinhaber vorsah, die schwarze Bürgerinnen diskriminierten (TT 7.12. 89:5), sowie um Versuche, in der Grund- bzw. Sekundärschule Lehrfächer wie 'Geschichte Afrikas', 'Schwarze Kultur' etc. einzuführen und die Radio- bzw. TV-Sender zu verpflichten, 'erzieherische antirassistische' Sendungen auszustrahlen (TT 16. 12. 89:8). Nach diesem aktiven Engagement für die Aufnahme ihrer Anliegen in das neue Munizipialgrundgesetz hat sich die Schwarzenbewegung ein wenig aus der lokalen Politik zurückgezogen. Ihre Belange etablierten sich allerdings bereits als tägliches öffentliches Thema, das in den lokalen Diskussionsforen - Stadtparlament, Presse etc. - regelmäßig behandelt wird. Nach Auffassung eines ihrer Exponenten änderten sich in den letzten Jahren grundlegend die lokalen Reaktionen auf die Botschaften der Schwarzenbewegung. Machten sich früher viele über die Bewegung lustig oder disqualifizierten manche deren Forderungen als unrealistische Utopie, so wagt heute kein Mensch mehr, das politische Verdienst der Schwarzenbewegung öffentlich in Frage zu stellen (Mariano Interview). Umwelt

Schutzbewegung

Im Hinblick auf die jeweilige lokale Resonanz bestehen zwar erhebliche Unterschiede zwischen den in jeder untersuchten Stadt bestehenden Umweltschutzbewegungen, doch einige morphologische und herkunftsbezogene Gemeinsamkeiten lassen sich feststellen. Es handelt sich generell um kleine Gruppierungen (bis zu zehn Teilnehmern) von Umweltexperten (Universitätsdozenten, Sachverständigen etc.), denen es gelingt, anläßlich besonderer Ereignisse (lokale Umweltkatastrophen oder politische Maßnahmen, die zu Umweltschäden führen könnten) durch ihre Öffentlichkeitsarbeit zahlreiche Anhänger zur Teilnahme an ihren Protestaktionen und Kundgebungen zu motivieren. Die von den Umweltschutzbewegungen thematisierten Probleme werden in der Regel unmittelbar von der lokalen Presse aufgenommen. Auf der institutionellen Ebene verfügt jede Stadt über einen Umweltausschuß, der aus Mitgliedern staatlicher und nicht staatlicher Umweltorganisationen besteht und der die Richtlinien der lokalen Umweltpolitik bestimmt.

95 Die Umweltbewegung U b e r l ä n d i a s weist im Vergleich mit jener der anderen beiden Städten das geringste Organisationsniveau bzw. politische Gewicht auf. Die bescheidene Tragweite der lokalen Umweltbewegung kann vielleicht mit der verhältnismäßig frühen Gründung eines der Stadtverwaltung zugeordneten Umweltamts assoziiert werden. Die Stelle zentralisierte bereits seit 1985 die lokalen "Debatten und Maßnahmen, wenn es darum geht, dem Bürger Uberländias bessere Lebensqualität zu ermöglichen" (Resende, o.J.:104). I n G o v e r n a d o r V a l a d a r e s erlebte die Umweltschutzbewegung in den späten 80er Jahren einen ungeheuren Aufschwung. Dabei wurde sie zu einem deutlich sichtbaren öffentlichen Akteur, als es der Bewegung gelang, mit Kundgebungen, Protestaktionen und Rechtsmitteln einige bereits von der Stadtverwaltung begonnene Bauvorhaben einzustellen (vgl. Costa 1991:109ff). Beispielhaft für die ursprünglichen Handlungsformen der Bewegung war die Mobilisierung für die Erhaltung der Grünflächen der Stadt. Im Jahre 1989 legte der Bürgermeister dem Stadtparlament einen Gesetzentwurf vor, nach dem die leerstehenden Grünanlagen 59 veräußert werden sollten, um die roten Zahlen des Kommunalhaushalts auszugleichen. Die lokale Umweltbewegung wies anhand zahlreicher öffentlicher Aktionen den Vorschlag ab. Bei der Abstimmung über die Gesetzesvorlage im Stadtparlament erschienen zahlreiche Teilnehmer der Bewegung und warfen Geld in den Plenarsaal, um ihre Unzufriedenheit mit dem Vorhaben der Stadtverwaltung kundzutun, und damit gleichzeitig die Bestechlichkeit der Stadträte anzuprangern. Dessenungeachtet konnte das Gesetz die parlamentarische Hürde passieren. Nach Verabschiedung des Gesetzes hielten die Protestaktionen dennoch an: Ausdruck hierfür war die symbolische 'Beisetzung' des Gesetzes durch die Demonstranten. Die lokale Presse berichtete systematisch über die neuen Entwicklungen der Kampagne (DRD 15. 9. 89 u. 1. 11. 89). Zwei Monate nach seiner Annahme sah sich der Bürgermeister gezwungen, das Gesetz zu annullieren, und zwar aufgrund des: "nachdrücklichen Willens verschiedener Gesellschaftssektoren - darunter die Naturschützer und ihre Vertretungsorganisationen" (PMGV 1989). 1990 wurde innerhalb des Stadtkulturamts eine Umweltabteilung gegründet, deren Leitung ein bekannter Umweltexperte und Exponent der lokalen Umweltbewegung übernahm. Es sei betont, daß die Einrichtung dieser Dienststelle von den Umweltschützern nicht gefordert worden war. Sie ergab sich "aus dem Willen des Politikers [d.h. der regierenden Politiker], der die Notwendigkeit einsah, die Umweltfrage auf seiner Seite zu haben" (Lobo Interview). Die Entstehung der Abteilung scheint negative Folgen für die Mobilisierung der Umweltschützer ausgelöst zu haben. Gelang es 59

Es handelt sich dabei um die sog. "áreas verdes", also Gelände, auf denen öffentliche Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser usw.), Plätze und Parkanlagen entstehen sollten. Sie waren zum Teil von Unbefugten bereits okkupiert worden.

96 der Bewegung 1989, die Veräußerung der Grünanlage zu stoppen, so wurde 1992 eine ähnliche Gesetzesvorlage ohne jegliche öffentliche Auflehnung angenommen. Dem politischen Hauptstrategen der Stadtregierung zufolge sei die "friedliche Annahme des Gesetzes auf ein günstiges Gutachten einer Person zurückzuführen, die eng mit der Umweltbewegung verbunden ist", nämlich des Leiters der Umweltabteilung (Simöes Interview). I n J u i z d e F o r a zeigt sich die Umweltbewegung derzeit auch weniger aktiv als im vorigen Jahrzehnt, als große Kundgebungen, spektakuläre Aktionen - wie die 'Umarmung' eines vom Industrieabfall gefährdeten Flusses (TT 11.6. 88:6) - und Anklagen in der lokalen Presse regelmäßig zustande kamen (TM 16. 4. 84; TT 24. 5. 88:6; TT 3. 8. 88:6). Die sichtbarste in Juiz de Fora gegenwärtig bestehende Umweltschutzorganisation, die GEMA, ist eine wichtige lokale sachkundige Referenzgruppe geworden, die regelmäßig Behörden und Bürger über Umweltfragen berät. Im Jahr 1989 spielte die Gruppe bei der Formulierung eines neuen Munizipialgrundgesetzes (1989) eine zentrale Rolle: Sie versorgte die Stadtverordneten mit Fachinformationen und verfaßte das Umweltkapitel mit (Acäcio und Guedes Interview). Frauenbewegung Die Mütterclubs, die in den drei untersuchten Städten die weitverbreitetsten Frauengruppen darstellen, werden in der Tabelle 4.4 deshalb nicht dargestellt, weil ihr Handlungscharakter es erschwert, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Gruppenzahl bzw. deren Entstehungszeit, herauszufinden. Es handelt sich dabei um mit der katholischen Kirche zusammenhängende Gruppierungen, die in einigen Fällen seit 20 Jahren existieren und die in fast allen Stadtteilen der untersuchten Städte vorhanden sind. Sie bestehen durchweg aus 10 bis 30 Hausfrauen, die sich einmal wöchentlich treffen, um zusammen zu nähen und andere Handarbeiten anzufertigen aber vornehmlich, um ihre gemeinsamen Probleme und individuelle Schwierigkeiten zu besprechen. Darüber hinaus treiben einige Mütterclubs karitative Aktivitäten, die durch Wohltätigkeitsveranstaltungen (Basare, Festlichkeiten, usw.) finanziert werden (vgl. Costa 1991). Hin und wieder werden die Mütterclubs zu Vermittlern kollektiver Anliegen, die sich innerhalb des jeweiligen Stadtviertels herausbilden. Es soll allerdings hervorgehoben werden, daß es sich dabei überwiegend um Forderungen nach staatlichen Leistungen handelt, deren Mangel die traditionell tradierten Frauenfunktionen beeinträchtigt, d.h. die Mütterclubs bzw. deren Teilnehmerinnen treten erst in die breite Öffentlichkeit, die über die verschlossenen Sozialkreise der Vereine hinausgeht, wenn es beispielsweise um die Sanierung einer Schule (DRD 17. 6. 90:11), um die Trinkwasserversorgung (DRD 1. 8. 90:19) oder gleichartige Verbesserungen geht, ohne die die Rolle der beteiligten Frauen als 'verantwortliche' Mütter bzw. 'sorgfältige' Hausfrauen nicht 'ordnungsgemäß' gespielt werden kann.

97 Die Behauptung Rotts (1994:166) trifft daher sehr wohl auch auf die Mütterclubs zu, wenn sie in Anbetracht der Frauenbewegung Lateinamerikas feststellt: "Es ist also der Anspruch, den familialen Verpflichtungen gerecht zu werden, und nicht der auf ihre Rechte als Staatsbürgerin, der für viele Frauen ein legitimer Beweggrund wurde, die enge Welt ihrer Häuslichkeit zu verlassen und einen öffentlichen Raum zu betreten." I n U b e r l ä n d i a darf die Frauenbewegung nicht zu den wichtigen sozialen Akteuren gezählt werden. Außer den Mütterclubs wurden noch zwei Organisationen erfaßt, deren Aktivitäten allerdings auf Veranstaltungen (Vorträge usw.) beschränkt sind, die auf keine relevante Resonanz stoßen (vgl. OT 18. 6. 93). I n G o v e r n a d o r V a l a d a r e s erreichte die Frauenbewegung bereits ein etwas höheres Organisationsniveau, das dadurch charakterisiert ist, daß die Bewegung neben alltäglichen Problemen (Diskriminierung am Arbeitsplatz, Gewalt gegen Frauen) komplexere politische Ansprüche - wie die Forderung nach einem Frauenrat (vgl. DRD 3. 3. 90:3) - artikulierte. I n J u i z d e F o r a läßt sich die Frauenbewegung dagegen als ein beachtlicher politischer Akteur bezeichnen, der von der lokalen Bevölkerung, der Presse und den Entscheidungsträgern sehr wohl wahrgenommen wird. Die 1984 gegründete 'Föderation der Frauen Juiz de Foras' (Federa?äo da Mulher Juizforana) ist die einflußreichste Frauengruppe der Stadt. Die Betätigung der Gruppe wird von einer ihrer Leiterinnen als 'Ergebnisfeminismus' (feminismo de resultados) beschrieben, d.h. der Gruppe "geht es nicht nur darum, zu diskutieren und Fragen aufzuwerfen, sondern auch darum, für die von den Frauen festgestellten Probleme Lösungsversuche umzusetzen" (TT 7. 3. 89:6). Die Gruppe hat wohl im Laufe ihrer Geschichte die Bereitschaft bewiesen, neben der regelmäßigen Aufnahme und Weiterleitung von Gewalt- bzw. Diskriminierungsanklagen gegen Frauen (TT 25 und 26. 9. 93:11) ihre politischen Belange durchzusetzen. Anläßlich der Kommunal wahlen organisiert die Gruppe regelmäßig Diskussionsveranstaltungen, zu denen die Kandidatinnen eingeladen werden. Dabei wird versucht, die Kandidatinnen "mit der Vertretung der Fraueninteressen effektiv zu verbinden" (TT 21. 10. 88:3). Im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf im Jahre 1989 veranstaltete die Gruppe eine Frauentagung, in deren Rahmen Vorschläge und Forderungen formuliert und den Kandidaten übergeben wurden. Ferner organisierte die Föderation der Frauen Juiz de Foras Diskussionsveranstaltungen in verschiedenen Randbezirken, damit "die Frau politisch selbstbewußt wird und weder an dem hübschen Kandidaten hängt noch an dem, auf den der Ehemann hingewiesen hat" (TT 20. 8. 89:5). Eine zweite wichtige lokale Frauengruppe ist die seit 1954 bestehende Vereinigung der Hausfrauen Juiz de Foras (Associaiäo das Donas de Casa de Juiz de Fora). Diese Organisation tritt oft in die Öffentlichkeit und stellt Forderungen auf, welche die lo-

98 kale Gesamtbevölkerung betreffen: Sie protestiert gegen die Bustariferhöhungen (TM 23. 4. 84:9), beschwert sich über die "übermäßige Steigerung der Preise" (TT 3. 12. 88:4) und fordert gesetzliche Verbraucherschutzmittel (12. Ol. 89:5). Dennoch kann die Vereinigung ihre korporativistische Nuance nicht verleugnen: Wird die Organisation mit den Belangen der Hausangestellten (empregadas domésticas) konfrontiert, so stellt sich die Gruppe hemmungslos als 'Vereinigung der Arbeitgeberinnen' dar (associafäo das empregadoras) (TT 20. 8. 89:5). Bei den übrigen in Juiz de Fora erfaßten Frauengruppen handelt es sich um Gruppierungen, die auf der Stadtteilebene handeln. Sie erfüllen die Funktion, die umfassenderen Frauenkampagnen auf der Bezirksebene zu unterstützen und zu verbreiten; aufgrund ihrer punktuellen Handlungsräume sind sie jedoch öffentlich kaum sichtbar. Andere

Gruppen

Die Rubrik 'Andere Gruppen' (vgl. Tab. 4.4) umfaßt eine Vielfalt von Gruppierungen unterschiedlichster Natur - von Studentenvertretungen bis hin zu Kultur- und Verbrauchervereinen. Zu dieser mannigfaltigen Gruppenkategorie gehören Zusammenschlüsse von Behinderten, die ab 1989 in Juiz de Fora und seit etwa 1992 in Governador Valadares regelmäßig in die Öffentlichkeit treten, um die Interessen dieser Bevölkerungsgruppe zu vertreten bzw. um ihre Diskriminierung anzuklagen (vgl. DRD 4. 12. 92:12). Die Entstehung von Dienststellen, die sich innerhalb der jeweiligen Stadtverwaltung mit den Problemen der Behinderten befassen, wird als politischer Erfolg dieser Organisationen verbucht (vgl. DM 23. 2. 89:5 bzw. DRD 20. 4. 93:9). In die Rubrik 'Andere Gruppen' wurden noch drei Bewegungen eingestuft, die hier aufgrund ihrer politischen Relevanz und der Eigentümlichkeit ihrer Handlungsformen bzw. -zwecke näher behandelt werden sollen. Anfang 1993 entstand in U b e r l ä n d i a die Bewegung für die Moralisierung der öffentlichen Gewalt (Movimento pela Moralizaiäo do Poder Público), die ihren Hauptzweck in der Beaufsichtigung lokaler politischer Amtsinhaber sieht. In Zusammenarbeit mit STO und anderen Organisationen ist es der Bewegung gelungen, ausreichend viele Unterschriften zu sammeln, 60 um dem Stadtrat einen Abänderungsvorschlag zum Munizipialgrundgesetz vorzulegen, nach dem die Gehälter der Stadtverordneten bzw. des Bürgermeisters gekürzt werden sollten (OT 1. 6. 93). Aus den von Obdachlosen durchgeführten Besetzungen freistehender öffentlicher bzw. privater Gelände i s t l 9 9 1 i n G o v e r n a d o r V a l a d a r e s die Wohnungslosenbewegung (Movimento dos Sem Casa) zustande gekommen. Mit entschiedener Unterstützung der katholischen Kirche und der Arbeiterpartei - PT - konsolidierte sich 60

Nach der 1988 verabschiedeten brasilianischen Verfassung dürfen Bürger dem Stadtparlament Änderungen zum Munizipialgrundgesetz vorschlagen, "die im spezifischen Interesse des Munizips, der Stadt oder des Stadtbezirks liegen, bei einer Willenskundgabe von mindestens fünf Prozent der Wählerschaft" (brasilianische Verfassung nach der Übersetzung von Huf 1991:79).

99 die Bewegung als ein wichtiger sozialer Akteur, der mit seinem Handeln versucht, die lokale Gesellschaft 'gewissermaßen' in ihre Kampagnen 'mit einzubeziehen' (Miranda Interview). Im folgenden wird eine Kampagne dieser Bewegung kurz geschildert, die ihren Handlungsmodus paradigmatisch zu illustrieren erlaubt. Im Jahre 1992 begannen die Wohnungslosen Unterschriften für einen Gesetzentwurf zu sammeln, der die Gründung eines Wohnungsausschusses bzw. -fonds regeln sollte. Nach dem Entwurf sollte ein gewisser Prozentsatz des Haushalts dem Wohnungsbau für die Unterschichten zugewiesen werden. Der aus Vertretern der Wohnungslosenbewegung, der STO, einiger Gewerkschaften, der Stadtverwaltung und der evangelischen bzw. katholischen Kirche zusammengestellte Wohnungsausschuß sollte wiederum die Bauinvestitionen und allgemein die kommunale Wohnungspolitik steuern (vgl. Cämara Municipal de Governador Valadares 1993). Die Unterschriftensammlung hielt mehrere Monate bis Anfang 1993 an, als die Wohnungslosenbewegung mit einer großen Kundgebung das Erreichen der genügenden Anzahl von Unterschriften feierte. Anschließend "marschierten die Demonstranten friedlich und ordnungsgemäß zu dem Stadtrat und umarmten [mit einer Menschenkette] das Gebäude, um ihr Vertrauen zu den Stadtverordneten auszudrücken, die in einem Monat über den Entwurf abstimmen sollen" (DRD 14.4. 93:3). Der Gesetzentwurf wurde einmütig von den Stadtverordneten angenommen, der Bürgermeister machte allerdings von seinem Vetorecht Gebrauch und annullierte das Gesetz mit der Begründung: "Ein Wohnungsausschuß würde dem Bürgermeister politische Macht entziehen" (Simöes Interview). Im Jahr 1979 fand i n J u i z d e F o r a eine Begegnung verschiedener Jugendgruppen statt, die wenige Jahren zuvor in verschiedenen Stadtteilen im Zusammenhang mit der katholischen Kirche entstanden waren. Aus dem Erfahrungsaustausch dieser Gruppen ergaben sich verschiedene Vorschläge für eine Zusammenarbeit, zu denen die Gründung einer Zeitung gehörte. Zwei Monate später erschien die UnibairrosZeitung, die mit einer 3000 Exemplare großen Auflage über die Aktivitäten der Jugendgruppen in den jeweiligen Stadtteilen informierte. Neben der Anfertigung der etwa monatlich erscheinenden Zeitung beschäftigte sich die genannte UnibairrosGruppe mit Straßentheater und der Veranstaltung von Konzerten sowie der Vergabe von Lyrikpreisen. Allmählich distanzierte sich Unibairros von der Kirche und inkorporierte einen deutlich politischen Charakter. Die Gruppe begann, reguläre Begegnungen mit Exponenten der Stadtteilbewegung zu organisieren und versuchte in bezug auf die lokale bzw. brasilianische politische Lage, eine Position zu beziehen. Daraus folgend entstanden innerhalb der Bewegung verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit unterschiedlichen Problembereichen (Schwarzen-, Frauenfragen etc.) befassen. Als 1983 die 'partizipative Verwaltung' begann, hatte die Gruppe Unibairros keine Verbindung zur katholischen Kirche mehr, ihre Zeitung hatte sich bereits von den religiösen Zügen befreit, die sie ursprünglich getragen hatte. Das Organ wurde nun zu

100 "einem Gesprächskanal zwischen Führerschaften, Einwohnern und Einwohnerorganisationen. Ferner war es ein offener Raum, um Forderungen aufzustellen und Kritiken über deren Nichtbeachtung in die Öffentlichkeit zu bringen" (Viscardi 1990:123ff). Die Aufforderung zur Partizipation überraschte indessen die Gruppe, die zunächst nicht wußte, wie sie auf die Aufforderung zur politischen Beteiligung reagieren sollte: "Die ersten Zeiten unter Tarcisio [Bürgermeister während der 'partizipativen Verwaltung'] haben uns unvorbereitet erwischt. Wir haben Melo [den vorherigen Bürgermeister] in Frage gestellt, weil er uns keinen Partizipationsraum bot. Nun kommt der Tarcisio und lädt zur Partizipation ein? Welches Projekt hatten wir als Volksbewegung? Welches Projekt für die Stadtpolitik, welche Stadt wollten wir? Wir hatten dieses Projekt nicht" (Unibairros Interview). Die inhaltliche Auseinanderentwicklung zwischen der Partizipationsrhetorik und dessen praktischer Umsetzung schob allerdings die Gruppe Unibairros schnell in die Opposition. Sie begann nun, die Unzulänglichkeiten der Partizipationspolitik über ihre Zeitung und über die lokale Presse zu kritisieren. Parteipolitisch rückt sie seit dieser Zeit der Arbeiterpartei - PT - immer näher. Über diese Partei haben sich UnibairrosMitglieder bei den Kommunalwahlen von 1988 bzw. 1992 und den Landeswahlen von 1990 um verschiedene Ämter beworben (Biel Interview). Unibairros konnte nach der Aufhebung der Partizipationspolitik ihr politisches Gewicht aufrechterhalten. Sie führte und unterstützte verschiedene politische Kampagnen: Die Gruppe veranstaltete Umweltdemonstrationen mit (TT 22. 6. 89:6), förderte die Schwarzenbewegungen (TT 16. 12. 89:8) und spielte bei der Umformulierung des Munizipialgrundgesetzes (1989) eine entscheidende Rolle. Dabei legte die Gruppe dem Stadtparlament mehrere Abänderungsanträge vor und klagte die Stadtverordneten öffentlich an, die die von den 'Volksvertretungsorganisationen' getragenen Vorschläge nicht unterstützten (Unibairros Urgente 1990, Nr. 2). In jüngster Zeit entwickelt sich die Gruppe immer eindeutiger zu einer Instanz der intellektuellen Verarbeitung von Erfahrungen der lokalen sozialen Bewegungen. Derzeit versucht Unibairros, die in der Stadt durchgeführten Kampagnen dokumentarisch zu registrieren, Diskussionsveranstaltungen zu organisieren und neue Bewegungsführer 'auszubilden'. Auch dabei setzt Unibairros innovative, teils durch internationale Finanzierungen angeschaffte Arbeits- bzw. Kommunikationsmittel ein, wie computergestützte Arbeitsformen und Videoaufnahmen, über welche die übrigen lokalen kollektiven Organisationen nicht verfügen.

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Kapitel 5 Kommunale Öffentlichkeiten Die untersuchten Städte stellen kein Paradies herrschaftsfreier öffentlicher Kommunikationsformen dar. Es wurden vielmehr lokale Öffentlichkeiten beobachtet, in denen die generell in Brasilien herrschenden politischen Manipulationsversuche und die Inanspruchnahme bestehender Kommunikationsmöglichkeiten für die Umsetzung der Interessen mächtiger Gruppen auch deutliche Dimensionen annehmen. Dennoch lassen sich neuere Entwicklungen beobachten, die darauf hindeuten, daß wichtige Transformationsprozesse in den recherchierten Kontexten im Vormarsch sind. Im vorliegenden Kapitel sollen die Konturen bzw. die Dynamik der untersuchten Öffentlichkeiten nachgezeichnet und einige jüngste Veränderungen hervorgehoben werden. Dafür wird die jeweilige kommunale Öffentlichkeit in vier Bereiche unterteilt und zwar: massenmedienvermittelte, behördlich-parlamentarische, mit organisierten Gruppen zusammenhängende und 'kleine Öffentlichkeiten'. Besonders berücksichtigt werden dabei die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure sowie ihr Beitrag für die Vitalisierung lokaler Öffentlichkeiten.

5.1 Medien vermittelte Öffentlichkeit 5.1.1 Hörfunk und Fernsehen Die lokale Besitzstruktur in den Hörfunk- und Fernsehbereichen reproduziert in allen drei untersuchten Städten die Machtballung und die Favorisierung ökonomisch und politisch etablierter Gruppen, welche die brasilianische Medienlandschaft kennzeichnen. Es handelt sich überwiegend um Privatanstalten, die örtlichen mächtigen ökonomischen bzw. politischen Gruppen gehören. Die lokalen Fernsehanstalten strahlen in der Regel das Programm eines der drei größten brasilianischen Fernsehnetze (Globo, SBT und Bandeirantes) aus; nur ein kleiner Anteil der Werbespots und einige wenige journalistische Sendungen werden vor Ort zusammengestellt. Ebenfalls im Radiosektor wird der Berichterstattung über

102 lokale Ereignisse nur wenig Zeit gewidmet. Die UKW-Sender bevorzugen die musikalische Unterhaltung; dabei wird den Nachrichten ein geringer Stellenwert zugewiesen, sie entsprechen zeitlich und inhaltlich einem begrenzten Programmteil und beschränken sich auf die Wiedergabe von Zeitungsberichten und Meldungen der Nachrichtenagenturen (wenn überhaupt), ohne daß eine eigene redaktionelle Überarbeitung erfolgt. 61 Die Mittelwellensender übertragen mehrere örtlich zusammengestellte Unterhaltungssendungen und Talkshows, deren Schwerpunkt allerdings auf Klatschgeschichten (Höreranrufe, Geschenkverlosungen usw.) liegt. Journalistischen Rundfunkübertragungen wie Debatten über umstrittene lokale Probleme und Informationssendungen wird wenig Zeit gewidmet. In der Stadt G o v e r n a d o r V a l a d a r e s gibt es insgesamt drei UKW- und drei Mittelwellensender: Die Mittelwelle- bzw. UKW-Radiostation Por um Mundo Melhor vertritt Belange der katholischen Kirche, die beide Sender betreibt; das UKWRadio Alvorada und das Mittelwellen-Radio Educadora kamen dank der Intervention des einstigen Bürgermeisters bzw. Bundesabgeordneten Raimundo Rezende, der sich für den Lizenzantrag einsetzte, zustande. Derzeit unterstützen beide Privatradios allerdings einen der politischen Feinde des ursprünglichen Förderers, nämlich den jetzigen Bürgermeister. Der UKW-Sender Imparson und der Mittelwellensender Ibituruna gehören der mächtigsten lokalen Unternehmensgruppe, die parteipolitisch aber hinter der in der Stadt unbedeutenden PFL steht. Der Gruppe gehört auch die lokale Fernsehanstalt TV Leste, die örtlich das Programm des größten Fernsehnetzes Brasiliens, Rede Globo, ausstrahlt. Der zweite bestehende Fernsehsender, TV Rio Doce überträgt das Programm des staatlichen TV-Netzes Cultura und wird von einem bekannten lokalen Politiker kontrolliert, der wiederholt für das Bundesparlament kandidierte (Mendes Interview). I n U b e r l ä n d i a werden fünf UKW- und fünf Mittelwellen-Radiostationen betrieben. Die UKW- und Mittelwellensender Visäo sind mit dem landesweit verbreiteten und bekannten Radiounternehmen Transamérica assoziiert; der UKW-Sender Paranaiba und die Mittelwellen-Radiostation Educadora gehören einem Medienunternehmen, das auch den TV-Sender Paranaiba kontrolliert. Diese Radio- und TV-Sender unterstützen augenfällig in ihrer Berichterstattung die politischen Interessen eines seiner Mitbesitzer, nämlich die des im Kapitel 4 erwähnten Lokalpolitikers Galassi, der mehrmals Bürgermeister Uberländias war. Die Mittelwelle- und UKW-Radiostation Globo Cultura gehört der Fernsehanstalt Triángulo, die örtlich das Programm 61

Seit ihrer Popularisation in den 70er Jahren bieten die Mehrheit der brasilianischen UKW-Sender neben zahlreichen Werbungen nur noch musikalische Unterhaltung. Del Bianco (1993: 146) zufolge stellte die Einführung der UKW-Radioanstalten in Brasilien einen Versuch seitens der Militärs dar, dem Radio das verlorene Prestige wiederzugeben und dadurch die Produktion von Radioempfängern bzw. die Unterhaltungselektronikindustrie zu fördern. Ferner wurden "die Konzessionen für den Betrieb von UKW-Sendern von Militärs eindeutig als politisches Tauschbzw. Kooptationsmittel für die Schützlinge der Macht benutzt."

103 des TV-Netzes Globo ausstrahlt. Diese Stationen werden von einer lokalen Unternehmensgruppe kontrolliert und erreichen in ihrem jeweiligen Marktsegment die höchsten Einschaltquoten. Die Mittelwelle- und UKW-Radiostation Difusora wird ebenfalls von einer lokalen Gruppe betrieben und kann politisch nicht eindeutig eingeordnet werden. Das Mittelwellen-Radio Record gehört dem umstrittenen Oberhaupt der mächtigen Pfingstkirche Igreja Universal do Reino de Deus, Bispo Edir Macedo, und überträgt ein ausschließlich religiöses Programm. Tätig im Radiobereich ist noch der mit der lokalen Universität zusammenhängende Radio-Sender Universitäria, in dessen Berichterstattung die Nachrichten über die von der Universität organisierten Veranstaltungen und Aktivitäten überwiegen. Im Fernsehsektor ist noch TV Cancela zu erwähnen. Der Sender gehört einem in der Nachbarstadt Ituiutaba ansässigen Medienunternehmen und ist für die Übertragung des Programmes des zweitgrößten Femsehnetzes Brasiliens, SBT, zuständig. (Camilo; Quirino Interview). I n J u i z d e F o r a gibt es sechs UKW- und zwei Mittelwellensender. Hier läßt sich ebenfalls feststellen, daß die UKW-Sender sich fast ausschließlich der Unterhaltungsmusik widmen. Die Mittelwellen-Station Solar, die von einem örtlichen Radiounternehmen kontrolliert wird, und der Mittelwellen-Radiosender Nova Cidade, der dem - im Kapitel 4 erwähnten - umstrittenen ehemaligen Bürgermeister Bejani gehört, übertragen neben Unterhaltungssendungen Berichte und Diskussionsveranstaltungen über lokale Probleme. Im Fernsehbereich verfügt die Stadt über die TVAnstalten Globo Juiz de Fora und TV Tiradentes, die örtlich das Programm des Globo-Netzes bzw. des Bandeirantes-Netzes ausstrahlen. Der Berichterstattung der Globo-Anstalt über lokale Fragen wird zeitlich eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen; TV Tiradentes hingegen berichtet ein wenig gründlicher über das lokale Geschehen (Interview Pestana).

5.1.2 Printmedien In allen drei untersuchten Städten bestehen neben einigen auflagenschwachen Wochenpublikationen Tageszeitungen, die auf der lokalen Ebene ein bedeutendes Echo finden. Dabei handelt es sich überwiegend um Blätter, die von örtlichen Unternehmern betrieben werden und entsprechend vom Lokalanzeigenmarkt, von örtlichen Abonnenten und dem Einzelverkauf leben. Die Amtsmitteilungen der Stadtverwaltung machen in der Regel einen wichtigen Umsatzanteil dieser Blätter aus. Da diese Organe mit möglichst geringen Betriebskosten auskommen müssen, verzichten sie auf aufwendige Recherchen und eigenständige Informationsüberprüfungen. Die Auswahl der in der lokalen Berichterstattung berücksichtigten Themen beruht in erster Linie auf Radioberichten, Pressemitteilungen von Behörden und organisierten Gruppen sowie Telefongesprächen mit lokalen Amtsinhabern und anderen 'natürlichen Informationsquellen'. Diese 'natürlichen Informationsquellen' sind haupt-

104 sächlich Politiker und Lokalhonoratioren, die die Journalisten über die jüngsten Ereignisse in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich in Kenntnis setzen. Mit dieser journalistischen Produktionsstruktur hängen Engpässe für die lokalen Organe zusammen. Da beim Prozeß der Themenselektion nur eine geringe Anzahl von prominenten Informanten gehört wird, laufen die Zeitungen Gefahr, die nicht etablierten oder nicht organisierten Belange auszuschließen. Folglich werden die Blätter entweder zum Sprachrohr der Lokalhonoratioren oder leisten für Verbände und andere organisierte Gruppen, die die Zeitungen mit Informationen versorgen, 'unentgeltliche PR-Arbeit' (zu einem ähnlichen im deutschen Kontext beobachteten Dilemma vgl. Golombek 1992). Die Nähe zum Nachrichten- und Anzeigenmarkt stellt für die lokale Presse ein weiteres politisches Risiko dar - wie schließlich auch hierzulande in verschiedenen Einzelstudien festgestellt wurde (vgl. Naßmacher & Naßmacher 1979; Murck 1983; Helmke & Naßmacher 1976; Jarren 1994). Die unmittelbare 'Bewachung' durch die mächtigeren Inserenten führt die Zeitungen oft dazu, die Berichterstattung den Erwartungen dieser Anzeigenkunden anzupassen. Hierbei ist die Einflußnahme der Stadtverwaltung auf den Berichtston besonders spürbar, wie Journalisten aus Juiz de Fora bzw. Uberländia einräumen: "Was die Kommunikationsorgane anbelangt, haben wir immer gewußt: Wenn die Stadtverwaltung mit ihren Werbeausgaben großzügiger ist, gibt es logischerweise ein Entgegenkommen, es war immer so [...]. Es besteht also eine gewisse Gegenseitigkeit" (Cid Interview). "Wie gewinnt die Stadtverwaltung die Kommunikationsvehikel für sich? Durch die Verteilung von Werbemitteln, die mit Veröffentlichungen von Gesetzen, eigenen Mitteilungen, bzw. Beschlüssen ausgegeben werden. [...] Damit schafft die Stadtverwaltung eine sie begünstigende Berichterstattung" (Quirino Interview). Über den finanziellen Strukturzwang hinaus greifen Lokalpolitiker auf andere Druckmittel zurück, wenn sie eine günstige Berichterstattung zustande kommen lassen wollen. Dabei ist der Rekurs auf ihr persönliches Netzwerk ein effizientes Hilfsmittel: "Wenn den Politikern eine Darstellung nicht gefällt, rufen sie an und verlangen den Kopf des Journalisten. Sie gehen weder zu dem Journalisten, der den Bericht geschrieben hat, noch zum Chefredakteur, sie wenden sich unmittelbar an den Zeitungsinhaber, zu dem sie Beziehungen haben, die wir nicht durchschauen." (Quirino Interview). Die Politiker können aber auch sogenannte Hintergrundgespräche (mit dem Hinweis 'nicht zu publizieren') mit einzelnen Journalisten führen, um eine gegenseitige Vertrautheit hervorzurufen und somit eventuelle kritische Bereitschaft abzubauen. Diese Strategie, die hierzulande "Erzeugung von Beißhemmung" genannt wurde (Golombek 1992:96), weist verständlicherweise hohe Erfolgsquoten in den überschaubaren

105 untersuchten Kontexten auf. Da sich Freundschaftskreise von Politikern und Journalisten in den recherchierten Städten oft überschneiden, gerät der Lokalreporter sehr leicht in die Falle der moralischen Verpflichtungen und der Reziprozitätskulanz, die gewöhnlich zu einer konfliktscheuen Berichterstattung zwingt. Doch die in den untersuchten Städten bestehenden örtlichen Zeitungen enthalten auch Darstellungen, die die regierenden Politiker bzw. andere einflußreiche Lokalführer kritisieren. Allerdings gehen diese Kritiken oft von der Perspektive einer anderen Machtgruppe aus, deren Belange mit den Interessen des gerade kritisierten Amtsinhabers kollidieren. Es handelt sich also keineswegs um eine unparteiische Kritik von unten nach oben, die die Presse als 'Anwalt der Öffentlichkeit' übt, sondern um den Ausdruck eines Machtkampfes einflußreicher Gesellschaftssegmente. Unter den untersuchten Städten bietet Governador Valadares das bezeichnendste Beispiel für diese Form von scheinkritischer Presse. Die einzige regelmäßig erscheinende örtliche Tageszeitung, Diàrio do Rio Doce, besteht seit über 35 Jahren und wird mittlerweile von der Gemeinde "noch vor dem Kulturpalast" (wichtigste lokale staatliche Kultureinrichtung) als eine "öffentliche Institution" gesehen (Mendes Interview). Die Zeitung gehört einer politischen Gruppe - Fraktion der PMDB - , die fortdauernd Opposition gegen die regierenden Bürgermeister betreibt. Entsprechend kritisiert die Zeitung systematisch - manchmal unbegründet - die Stadtregierung und begrüßt bzw. veröffentlicht Beschwerden und Kritiken jeglicher Kontrahenten der Stadtverwaltung, die mit ihrer oppositionellen Stellungnahme die politische Position der Zeitungsinhaber unterstützen. Jüngst eröffneten die beiden größten überregionalen Zeitungen des Bundesstaates Minas Gerais, Hoje em Dia und Estado de Minas, Zweigstellen in Governador Valadares. Estado de Minas enthält einen wöchentlich und Hoje em Dia einen täglich erscheinenden Lokalteil, der ausführlich über das örtliche Geschehen informiert. Da diese Zeitungen weder von lokalen Inserenten noch von örtlichen politischen Gruppen abhängig sind, gelang ihnen im Bezug auf lokale Angelegenheiten bisher, wie aus den Aussagen Interviewter unterschiedlicher Weltanschauung hervorgeht, eine nicht tendenziöse Berichterstattung. In Juiz de Fora werden die beiden großen überregionalen Tageszeitungen Minas Gerais' ebenfalls durch eine Zweigstelle vertreten. Auch hier zeigt sich die unabhängige und unparteiische Berichterstattung, die die Lokalteile dieser Zeitungen in Governador Valadares kennzeichnen. Ferner verfugt Juiz de Fora über eine örtliche Tageszeitung, Tribuna de Minas, die als liberal-konservatives Organ gilt. Ihr Inhaber war 1992 Bürgermeisterkandidat, erhielt allerdings lediglich eine äußerst geringe Anzahl von Stimmen. Andere einstige Tageszeitungen, wie die Diàrio da Manhä und die Diàrio Mercantil, die seit über 70 Jahren bestand, wurden aus wirtschaftlichen Gründen in den letzten Jahren eingestellt. In Uberländia erscheinen zwei Tageszeitungen: O Correio do Triängulo, die einer in mehreren Wirtschaftsbranchen tätigen Unternehmensgruppe gehört und O Triàn-

106 gulo, die von einem Verlag verwaltet wird, der auch in anderen brasilianischen Städten Lokalzeitungen herausgibt. Politisch läßt sich feststellen, daß während O Correio versucht, einen unparteiischen Journalismus zu betreiben, O Triängulo diejenige politische Gruppe unterstützt, welche die Stadt derzeit regiert. Zur Zeit der partizipativen Verwaltung erschien in Uberländia ein drittes Tagesblatt, Jornal Primeira Hora, hinter dem der damalige Bürgermeister bzw. seine politische Gruppe stand.

5.1.3 Neue Entwicklungen Im Anschluß an landesweit jüngste Veränderungen, die, wie im Kapitel 3 geschildert wurde, die brasilianische Medienlandschaft kennzeichnen, lassen sich auch in den untersuchten Städten neue Entwicklungstendenzen beobachten. Dabei handelt es sich wesentlich um drei Transformationsbereiche: die Ausdehnung des berücksichtigten Themenspektrums, die zunehmende Professionalisierung der Medien und die Erweiterung des Konzepts von Dienstleistung. Erweiterung

des berücksichtigten

Themenspektrums

Werden die aktuellen Zeitungsausgaben der untersuchten Städte mit jenen der frühen 80er Jahre verglichen, so tritt in Hinblick auf die mitberücksichtigten Themen ein augenfälliger Unterschied hervor: In den jüngsten Auflagen wird immer öfter über neue soziale Akteure, wie Stadtteil-, Umwelt-, und Frauenorganisationen berichtet, die bis Mitte der 80er Jahre selten in die Lokalzeitungen gelangten. Dies reflektiert nicht unmittelbar eine quantitative oder administrativ-politische Bedeutungszunahme der neuen Akteure: Derzeit wird öfter und ausführlicher etwa über die STO berichtet als in den 80er Jahren, als ihnen im Rahmen der partizipativen Kommunalverwaltungen eine viel größere politische Entscheidungsbefugnis zukam. Doch die Akteure, die die Aufhebung der partizipativen Verwaltungen überlebten, greifen derzeit auf neue Durchsetzungsmittel zurück, die sie, als ihnen unmittelbarere Zugangswege zu den Entscheidungsträgern zur Verfügung standen, nicht hätten einsetzen müssen. 62 Sie versuchen nun, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren und eine effiziente Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, die den lokalen journalistischen Produktionsbedin62

Es wird festgestellt, daß einige untersuchte Bewegungen nach der Aufhebung der institutionalisierten Zugangsmöglichkeiten zu den Entscheidungsträgern, die im Rahmen der partizipativen Stadtverwaltungen bestanden hatten, auf Formen der politischen Einflußnahme zurückgreifen, die hierzulande als typisch für die sozialen Bewegungen gelten. Rucht (1994:347ff) und Schmitt-Beck (1990) zeigen auf, daß der Erfolg der neuen sozialen Bewegungen von Öffentlichkeits- und Medienachtsamkeit abhängen. Wenn das "Kapital" öffentliche Aufmerksamkeit nicht verfehlt wird, kann die Bewegung eine breite Zustimmung für ihre Kritik finden und darüber hinaus das Wählerverhalten "zumindest potentiell" beeinflußen. Über diesen indirekten Weg können die Bewegungen bei Politikern Reaktionen hervorrufen, denn diese sind aus einsichtigen Gründen für jede Androhung des Macht- bzw. Prestigeverlusts sehr empfindlich.

107 gungen entspricht. Zu jeder Veranstaltung werden Pressemitteilungen zusammengestellt und rechtzeitig an alle Redaktionen gereicht. Ferner scheint die Würdigung der neuen sozialen Akteure in der Lokalberichterstattung eine Konsequenz des landesweiten Zuwachses der sozialen Bewegungen und deren Darstellung in den brasilianischen Medien zu sein, d.h. Fragen wie Frauen- und Umweltprobleme bzw. deren Träger wurden landesweit zu Themen, die die Presse nicht mehr vernachlässigt, sie haben sich sozusagen journalistisch etabliert.63 Auch auf der Lokalebene sehen die Medienmanager zunehmend ein, daß diese neuen Akteure einen inhärenten Nachrichtenwert enthalten; sie werden also in den Prozeß der örtlichen journalistischen Themenauswahl eingeschlossen und jedes mit diesen Subjekten zusammenhängende Ereignis wird unmittelbar wahrgenommen. Zunehmende

Professionalisierung

der

Medien

Trotz der oben geschilderten Anfälligkeit der Lokalmedien gegenüber den örtlich etablierten Interessen und politisch motivierten Manipulationsversuchen wird jüngst in den untersuchten Städten eine deutliche Professionalisierung der journalistischen Produktionsformen beobachtet, die insbesondere bei den Printmedien hervortritt. Das zeigt sich durch die noch im Anfangsstadium befindliche - aber doch wachsende Entkopplung der Organe von den lokalen politischen Machtkämpfen. Man versucht mit immer größerem Erfolg, bei der Themenauswahl und der Berichterstattung ausschließlich von 'journalistischen Kriterien' auszugehen, wie es aus den Aussagen von Journalisten aus der Stadt Uberländia deutlich hervorgeht: "Die Politiker beschweren sich bei uns, aber wir bewerten die Fakten. Ein Fakt ist ein Fakt, wenn er Relevanz hat, veröffentlichen wir ihn. Hat er hingegen keine Bedeutung, wird kein Bericht darüber erstattet [...]. Unser Ziel ist keineswegs den Politikern, sondern dem Leser entgegenzukommen" (Camilo Interview). "Der Journalismus in Uberländia ist mittlerweile so professionell geworden, daß wir [Journalisten] gegen politischen Druck Widerstand leisten. Wir diskutieren mit dem Betriebsleiter und bringen ihn zu der Einsicht, daß wir keinen Journalismus machen dürfen, der [den Politikern] nur Milchkaffee und Butterbrote anbietet, ab und zu müssen die auch mal ein bitteres Likörchen probieren!" (Quirino Interview)

63

Die Etablierung solcher Themen scheint ein Beispiel von inter-media agenda setting darzustellen. Dabei nehmen fortschrittliche Mediensektoren eine "Funktion als 'Vorreiter' in einem schrittweisen Prozeß der Diffusion von Bewegungsthemen im gesamten Medienspektrum ein" (Schmitt-Beck 1990:653). In Brasilien spielen Medienorgane wie die linksliberale Tageszeitung Folha de Säo Paulo eindeutig die Rolle des Pioniers, der Themen in die Berichterstattung lanciert, die anschließend von anderen Organen bis hin zu den Lokalmedien aufgegriffen werden.

108 Erweiterung

des

Dienstleistungskonzepts

In jüngster Zeit versuchten örtliche Fernsehsender und Lokalzeitungen der untersuchten Städte, ihrem Zuschauer- bzw. Leserpublikum im Bereich der sog. Dienstleistung (Prestado de S e r v i a s ) neue Programmöglichkeiten anzubieten. Dabei handelt es sich um ein Angebotskonzept, mit dem der Hörfunk bereits vertraut ist. Es besteht darin, der Bevölkerung Kanäle zu eröffnen, über die sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren kann, sei es um sich zu beschweren, sei es um Veranstaltungen und Mitteilungen unterschiedlicher Art publik zu machen. Die Kolumne 'A Cidade Reclama' (Die Stadt beklagt sich) der Zeitung Correio do Triángulo und die von der Fernsehanstalt TV Triángulo ausgestrahlte TV-Sendung 'Triangulo Comunidade' stellen bezeichnende Beispiele für diese Form der Dienstleistung dar: Die Reporter stehen an einem angekündigten Ort und verzeichnen bzw. veröffentlichen jegliche Beschwerden, Anregungen und Meinungsäußerungen, die ihnen zur Kenntnis gebracht werden. Ergeben sich aus den Bekundungen Reaktionen von Behörden bzw. anderen angesprochenen Institutionen oder Personen, werden sie bei passender Gelegenheit ebenfalls ausgestrahlt (Quirino; Camilo Interview). Mit dem Dienstleistungskonzept zielen die Medien offenbar auf eine verbindliche Identifikation mit ihrem Publikum ab, die über die bloße Beziehung Konsument/Anbieter von Unterhaltungsgütern hinausgehen soll: Sie versuchen ein Image als 'quasi-öffentliche' Institutionen zu prägen, die ein Stück der jeweiligen Stadtidentität ausmachen. Die Kommunikationsmedien streben also an, als "veiculo da comunidade" (Camilo Interview), etwa "Sprachrohr der Gemeinde", anerkannt zu werden und somit bei ihrem Zielpublikum ein Loyalitätsempfinden auszulösen.

5.2 Parlamentarische und behördliche Öffentlichkeit Für die Erzeugung kommunaler Öffentlichkeit kommt in den untersuchten Städten den Behörden - insbesondere der Stadtverwaltung - eine bedeutende Rolle zu. Das Stadtparlament hingegen wird aufgrund bestimmter Strukturdefizite selten zu einem Diskussionsforum der brisanten Lokalfragen. Wie oben bereits geschildert wurde, weisen die brasilianischen Parteien nur sehr weiche ideologische Konturen auf. Ihre Fähigkeit, staatliche Leistungen effizient zu vermitteln, gilt oft als einziges Ausgangskriterium für die Präferenzbildung der Wählerschaft. Wie Souza (1989:376) prägnant darstellt: "The Brazilian party system is being consolidated on the basis of party machines sustained by State patronage. Unlike, however, the European and American systems, where party systems developed mostly around legislative assemblies, in

109 B r a z i l t h e p a r t y s y s t e m ' s c o n s o l i d a t i o n is b a s e d o n m u n i c i p a l State e x e c u t i v e s . " (Hervorhebung S. C.)

and

Die Strukturschwäche des brasilianischen Parteiensystems kommt auf der kommunalen Ebene dadurch zum Vorschein, daß die Stadtverordneten sich darauf beschränken, Einzelforderungen nach staatlichen Leistungen, die von Privatpersonen und organisierten Gruppen stammen, an die Stadtverwaltung zu vermitteln. Dabei vernachlässigen die Parlamentarier ihre Funktion als Mitglied der gesetzgebenden Gewalt (Für eine illustrative Fallstudie vgl. Somarriba & Afonso 1987). Folglich geben die Stadtverordneten dem unmittelbaren Kontakt mit der Exekutive und der Verhandlung über konkrete Anliegen den Vorzug. Sie fühlen sich politisch nicht dazu gezwungen, sich im Rahmen der Plenarsitzungen auf Erörterungen allgemeiner lokaler Fragen einzulassen, da sich aus diesen Diskussionen selten eine unmittelbare Favorisierung ihrer jeweiligen Wählergruppen ergibt. Der 'normale Geschäftsgang' der Stadtparlamente nimmt erst eine öffentliche Relevanz an, wenn die Lokalzeitungen über die regulären Sitzungen bzw. die dort besprochenen Themen oder Gesetzesvorschläge berichten. Deshalb versuchen die einzelnen Stadtverordneten unermüdlich, von der Presse aus der Anonymitätsschlucht erhoben zu werden: Es gibt Stadtverordnete [...], ich nenne ein konkretes Beispiel: Dieser taucht jeden Tag hier in der Redaktion auf, bringt eigene Gesetzentwürfe mit und kommt persönlich zu mir, um dabei zu versuchen, eine Berichterstattung Uber ihn aus mir herauszulocken. Andere gehen wie ein Schwarzmarkthändler in die Redaktionen und sagen: 'Ich habe dies und das gemacht, helfen Sie mir bitte![...]' (Cid Interview).

Doch anläßlich bestimmter Begebenheiten werden die Stadtparlamente zu einem effektiven örtlichen Diskussionsforum, das das Interesse eines zahlreichen außerparlamentarischen Publikums heranzieht. Abstimmungen von Gesetzesentwürfen, die organisierte Lokalgruppen betreffen, stellen exemplarische Anlässe dar, bei denen die Stadtparlamente per se - und nicht mittelbar über die Presse - eine öffentliche Gewichtigkeit annehmen. 64 64

Diesbezüglich möchte ich auf einige im Kapitel 4 geschilderte Episoden noch einmal verweisen: Die Verhandlung des Gesetzentwurfes, der in Governador Valadares zur Gründung des Wohnungsrat bzw. -fonds führen sollte, und die auch bereits dargestellte Besprechung des Gesetzes, das ebenfalls in Governador Valadares die Veräußerung von örtlichen Grünanlagen bestimmt, sowie die Erörterung des Munizipialgrundgesetzes in allen drei untersuchten Städten. Im Rahmen dieser Diskussionsprozesse gewannen die Stadtparlamente ein relevantes publizistisches Gewicht. Ebenso nennenswert sind die Sitzungen des Stadtparlaments Uberlandias, in deren Rahmen Bevölkerungsorganisationen bis zu zweimal wöchentlich jeweils für IS Minuten die Rednerbühne betreten dürfen, um ihre Belange und Meinungen kundzugeben. Zu der "Freien Aussprache" (Tribuna Livre) erscheinen in der Regel zahlreiche Mitglieder der betroffenen Organisation, deren Anwesenheit neue Impulse in die normalerweise schwunglosen Parlamentsversammlungen hineinbringt (Aniceto Interview).

110 Die mit der Bundes-, Landes- oder Stadtregierung zusammenhängenden staatlichen Einrichtungen machen aufgrund ihrer Kommunikationsbemühungen mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen erheblichen Teil lokaler Öffentlichkeit in den recherchierten Kontexten aus. Unter den unterschiedlichen behördlichen Kommunikationspraktiken kommt den Tätigkeiten der Stadtverwaltung eine dominante Rolle zu. Die Zusammenstellung von Pressemitteilungen und die entgeltlichen amtlichen Bekanntmachungen in der örtlichen Presse entsprechen der von den untersuchten Stadtverwaltungen geleisteten Öffentlichkeitsarbeit schlechthin. In der Regel konnte nur eine bescheidene Einsetzung neuer Kommunikationskonzepte durch die drei untersuchten Stadtverwaltungen im in der vorliegenden Studie berücksichtigten Zeitraum beobachtet werden. Doch die partizipativen Verwaltungen stellen hier einen Sonderfall dar: Von 1983 bis 1988 wurde in allen drei Städten massiv auf unkonventionelle Kommunikationsformen zurückgegriffen, um die Distanz zwischen Regierung und Bürger zu überbrücken und die politische Resistenz gegen das innovative Administrationskonzept abzubauen. 65 In G o v e r n a d o r V a l a d a r e s förderte die partizipative Verwaltung durch favorisierende Zuweisung von Werbegeldern die Gründung einer zweiten lokalen Privattageszeitung, Diàrio Valadarense, die der publizistischen Einflußnahme der bestehenden oppositionellen Lokalzeitung entgegenwirken sollte. Außerdem stellte die Stadtverwaltung täglich eine fünfzehnminütige Informationssendung zusammen, die alle Lokalradioanstalten gleichzeitig ausstrahlten (vgl. VC 1983-87). I n U b e r l ä n d i a entwickelte die partizipative Verwaltung das Konzept einer Öffentlichkeitsarbeit, die "nicht nur für die Verbreitung eines guten Regierungsimages sorgt", sondern überdies das "kollektive Kritikvermögen unterstützen" und "als Verbindungsstück zwischen der Regierung und der Gemeinde auftreten sollte" (Resende o.J.:49). In Einklang mit einem derartigen Anspruch gab die Pressestelle der Stadtverwaltung eine Zeitung heraus, Participagäo, die massiv kostenlos verteilt wurde und als aufgeschlossenes Organ für die Veröffentlichung von Belangen der lokalen organisierten Gruppen galt. Ferner versuchte die Verwaltung, die Bevölkerungsorga-

65

Sieht man einmal von den partizipativen Verwaltungen ab, so beschränkt sich die Kommunikationspolitik der Stadtverwaltungen auf die Abfassung von Pressemitteilungen und mehrere auflageschwache Amtsbulletins, die die Informationen einer bestimmten Verwaltungsabteilung veröffentlichen. Hierbei stellt die jetzige (1993-1996) Stadtregierung Juiz de Foras die einzige nennenswerte Ausnahme dar: Neben einer gründlichen Pressemitteilung, die täglich jedem Presseorgan bereitgestellt wird, und der monatlichen Informationszeitung, die von der Pressestelle zusammengestellt und breit verteilt wird, trifft der Bürgermeister systematisch mit den Herausgebern jedes Informationsmediums zusammen, um bei der Lokalpresse Freimütigkeit seinem Regierungskonzept gegenüber auszulösen. Es handelt sich um einen Versuch, "Uber die Überzeugung die alte Maxime zu brechen: 'Man erhält [eine faire Berichterstattung], indem man [Werbemittel] verteilt'" (Pestana Interview).

111 nisationen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu beraten und die Kontakte zwischen diesen und der lokalen Presse zu 'vermitteln' (ebd.). I n J u i z de F o r a brachte die partizipative Stadtverwaltung ebenfalls eine unregelmäßig erscheinende Zeitung zustande, Todos Juntos, die breit in der Stadt verteilt wurde und Berichte über die Regierungstätigkeit brachte. Abseits der Öffentlichkeitsarbeit stellt die im Kapitel 4 geschilderte Gründung von Verwaltungsausschüssen bzw. des Bürgerrates einen Weg zur Erzeugung neuer Öffentlichkeitsräume dar, da sich im Rahmen dieser Gremien Vertreter der Bevölkerungsorganisationen bzw. der Stadtverwaltung mit lokalen Problemen auseinandersetzten. Ebenfalls können die Diskussionsveranstaltungen, die die jeweiligen Bürgermeister und ihre Arbeitsgruppen in den Stadtbezirken aller drei Städte organisierten, und die öffentlichen Bürgermeistersprechstunden, die 1983 bis 1988 in Governador Valadares und Juiz de Fora stattfanden, als administrative Ereignisse mit gewisser publizistischer Relevanz bezeichnet werden. Geht man über die Rolle der Stadtverwaltung als Informationsproduzent hinweg und widmet man sich der Untersuchung der Informationsquellen, auf die sich die örtlichen Entscheidungsträger berufen, so ist in allen drei Städten eine wachsende Tendenz zu einer Professionalisierung der Informationsvermittlung zu beobachten. Galten noch in den späten 70er Jahren die persönlichen Kontakte und Hintergrundgespräche mit politischen Genossen als erstrangige - oft einzige - Bezugsquelle, die die regierenden Politiker berücksichtigten, wird derzeit der medialen Öffentlichkeit bzw. den von organisierten Gruppen eingesetzten öffentlichen Kommunikationsmitteln immer größere Beachtung zugewiesen. Die Stadtverwaltung Juiz de Foras beispielsweise führt eine systematische Dokumentation der Radio- bzw. Presseberichte durch und versucht, auf jede veröffentlichte Kritik oder Anregung zu reagieren (Pestana Interview). Die lokale Berichterstattung wurde für die Aktivitäten der Stadtverordneten ebenfalls zu einem gewichtigen Richtungsanzeiger: "Die Betätigung im Stadtparlament hat viel zu tun mit dem Schwerpunkt der Berichterstattung. Wenn sich die Zeitungen beispielsweise über die Dienstleistung der Gerichtsmedizin beschweren und darauf bestehen, daß es so nicht weitergeht, dann kommt es zu einer Reaktion: eine Empfehlung, ein Gesetzentwurf usw. Ich würde sagen, daß die Stadtverordneten zunächst die Präferenzen ihrer Bezirkswählerschaft berücksichtigen und gleich danach die lokale Resonanz [von Problemen] aufgrund der Berichterstattung. Stößt [ein Thema] in der Stadt auf Resonanz, weil die Zeitung oder die Radioanstalt darüber berichtet haben, so interessieren sich die Verordneten dafür"(Cid Interview).

112

5.3 Mit organisierten Gruppen zusammenhängende Öffentlichkeit Die organisierten Gruppen machen infolge ihrer Öffentlichkeitsarbeit, von ihnen organisierter öffentlicher Veranstaltungen und ihrer eigenen publizistischen Durchsetzungsmittel, einen beachtlichen Anteil der lokalen Öffentlichkeiten aus. Hier soll ein grundlegender Unterschied zwischen den örtlichen Interessenverbänden und den sozialen Bewegungen und anderen lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren expliziert werden. Die ressourcenmächtigen örtlichen Verbände und Interessengruppen, wie ACIUB (Handels- und Industrieverband), CDL (Verband der Ladeninhaber) und Sindicato Rural (Verband der Landbesitzer) in Uberländia; Associa9äo Comercial (Handelsverband) und Uniäo Ruralista (Union der Landbesitzer) in Govemador Valadares und Associafäo Comercial (Handelsverband) in Juiz de Fora, verfügen meist auf der lokalen Ebene über unmittelbare, persönliche Zugangskanäle zu den örtlichen politischen Amtsträgern und können ihre Ziele ohne Rekurs auf öffentliche Kommunikationsbemühungen durchsetzen. Daher reflektiert die starke Medienpräsenz dieser Akteure in den untersuchten Städten nicht unbedingt eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, sondern lediglich die oben geschilderten journalistischen Arbeitsweisen der lokalen Medien, die sich bei diesen Organisationen systematisch Informationen einholen bzw. sie regelmäßig publizieren (Mendes; Quirino; Cid Interview). Darüber hinaus sind die Verbände im Beziehungsgefüge der lokalen Eliten integriert, zu denen ebenfalls die örtlichen Medienunternehmen gehören: In der Regel genügt ein Anruf, um die örtliche Berichterstattung zu beeinflussen. Einige lokale zivilgesellschaftliche Akteure wurden in den letzten Jahren - wie oben erwähnt - bereits an den Informantenkreis der örtlichen Journalisten angeschlossen, deshalb werden ihre Botschaften in der Regel schnell von der Presse aufgenommen und ausgewertet. Andere lokale kollektive Akteure werden dagegen erst von den lokalen Medien wahrgenommen, wenn ein spezieller Anlaß vorliegt. Die verschiedenen Wege, die zur Berücksichtigung der untersuchten Bewegungen durch die lokalen Medien führen, können wie folgt schematisch nachgezeichnet werden: Bereitstellung Nachrichtenwert

von Fachinformationen, enthalten

die

einen

Die lokalen Medien haben strukturell - wie erwähnt - keine Möglichkeit, kostspielige eigenständige Recherchen durchzuführen. Deshalb sind sie auf fremde Beratung angewiesen, wenn es sich um schwer erfaßbare Nachrichten oder fachspezifische Angelegenheiten handelt. Die untersuchten lokalen Bewegungen - insbesondere Umweltschutzgruppen - nehmen dieses Strukturdefizit der Medien wahr und fungieren oft als unentgeltlicher Anbieter von solchen Fachnachrichten, die andernfalls mit einem hohen Beschaffungsaufwand für die Medien verbunden sind. Aufgrund ihrer

113 Fachkenntnisse werden Vertreter der lokalen Umweltschutzorganisationen - vor allem aus Juiz de Fora und Governador Valadares - regelmäßig interviewt und als Bezugsquelle der Lokalmedien zitiert (Acäcio und Guedes Interview). In Governador Valadares verfügte die Umweltbewegung sogar über eine Sonntagskolumne in der örtlichen Zeitung, in der Informationen über lokale und allgemeine Umweltprobleme zusammengestellt wurden (vgl. Costa 1991:111). Inanspruchnahme

des Dienstleistungsangebots

der

Medien

Die lokalen kollektiven Akteure nutzen das oben angesprochene Serviceangebot der Medien effektiv aus, um ihre Anliegen zu verbreiten. In den drei Städten - nachdrücklich in Juiz de Fora 66 - werden Mitteilungen von Stadtteil-, Frauen-, Umweltschutz- oder Schwarzenorganisationen in den örtlichen elektronischen und Printmedien publiziert. Dabei handelt es sich meistens um Einladungen zu internen Meetings und anderen kleinen Veranstaltungen, die lediglich im Rahmen des engsten Kreises der Bewegungsteilnehmer ein Echo finden. Es geht also um Informationen, die per se keinen erheblichen Nachrichtenwert enthalten und nur deswegen eine Erscheinungsmöglichkeit in den Massenmedien erhalten, weil diese lokal als öffentlicher Dienstleistungsträger anerkannt werden wollen. Veranstaltung

spektakulärer

Ereignisse

Kollektives Handeln einschließlich aufsehenerregender Demonstrationen und Veranstaltungen verkörpert komplexe verdeckte soziale Prozesse67 und soll m.E. nicht, wie es mehrere Autoren (vgl. u.a. Schmitt-Beck 1990 und Pfetsch 1994) tun, als bloße strategisch-orientierte symbolische Handlung bezeichnet werden, die lediglich dem Zweck dient, 'Medienpräsenz einzufangen'. Dennoch scheinen außergewöhnliche kollektive Aktionen auch in den untersuchten Kontexten einen großen Nachrichtenwert zu enthalten. Die lokalen Massenmedien informieren über jede Kundgebung, die die Alltagsnormalität bricht und eine merkliche Anzahl von Teilnehmern heranzieht. 66

72,2 % der in Juiz de Fora interviewten Organisationen behaupten, ihre Bekanntmachungen an die Bevölkerung auch über die lokalen Massenmedien - überwiegend über das Radio - zu verbreiten.

67

Kollektives Handeln ist ein immer wiederkehrendes soziologisches Problemfeld, dem sich unzählbare Sozialwissenschaftler, von Dürkheim bis Olson und Touraine widmeten. An dieser Stelle kann selbstverständlich nicht auf die Einzelheiten dieser Debatte eingegangen werden. Ich möchte dazu lediglich die Darstellung eines Autors erwähnen, nämlich B. Moore. In seiner Studie über die Entstehungsgriinde sozialer Proteste schildert der Sozialhistoriker prägnant die Vielfalt von Faktoren, die mit den kollektiven Aktionen zusammenhängen. Demzufolge drükken Protestbewegungen eine kollektive Empörung gegen die Verletzung eines moralisch konstruierten Rechtebündels aus. Dieser ergibt sich wiederum aus "so etwas wie einem immer wiederkehrenden, möglicherweise allgemein menschlichen Gefühl für Ungerechtigkeit [...], das den gemeinsamen Bedürfnissen der angeborenen menschlichen Natur und den Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Lebens entspringt" (Moore 1987:116).

114 Im recherchierten Zeitraum veranstalteten die Umweltbewegung (in Juiz de Fora und Governador Valadares), die Wohnungslosen (in Governador Valadares) und die Frauen- und Schwarzengruppen (in Juiz de Fora) aufsehenerregende Manifestationen, auf welche die lokalen Medien ihr Augenmerk richteten. Aber auch spontane Protestaktionen wie die im Kapitel 4 erwähnte 'Beschlagnahme' von Bussen in Juiz de Fora und Straßensperrungen in Governador Valadares und Juiz de Fora (vgl. DRD 19. 5. 89:11; TM 22 u. 23. 8. 93:14), hinter denen oft kein organisierter Akteur stand, konnten die Aufmerksamkeit der lokalen Journalisten erregen. Ausnutzung

der Interessenkonflikte

unter

den lokalen

Eliten

Oben wurde verdeutlicht, daß die Massenmedien (Femsehen und Hörfunk) sich auch aufgrund des in Brasilien herrschenden Konzessionsverfahrens überwiegend in der Hand einflußreicher ökonomischer und politischer Lokalgruppen befinden. Weichen die Interessen dieser Gruppierungen von denen der amtierenden Politiker ab, können sie von ihren Informationsorganen Gebrauch machen, um die regierenden Politiker in Mißkredit zu bringen. Daraus resultieren Veröffentlichungsmöglichkeiten für kritische Darstellungen der lokalen organisierten Akteure, welche die Handlungsfähigkeiten der Regierung herausfordern. Die o.g. Tageszeitung aus Governador Valadares, Diàrio do Rio Doce, stellt einen exemplarischen Fall für diese Form von Medienräumen dar, die den kollektiven Akteuren dank lokaler Machtkämpfe eröffnet werden. Von 1983 bis 1988 bewahrte die Zeitung eine unbeirrt oppositionelle Haltung gegenüber dem damaligen regierenden Bürgermeister, der versuchte, sich im Rahmen der partizipativen Verwaltung einen Namen als Schutzherr der neu gegründeten Stadtteilorganisationen zu machen. Deshalb publizierte und ermutigte das Blatt zu jener Zeit jegliche negative Äußerung der STO gegen die Stadtverwaltung. Dies geht deutlich aus der Aussage eines Vertreters einer solchen Organisation hervor: "Wenn es darum geht, die Stadtverwaltung oder den Bürgermeister Ronaldo Perim zu kritisieren, macht uns die Tageszeitung Mut. Wenn es sich hingegen darum handelt, die Stadtverwaltung zu unterstützen, da sieht alles ganz anders aus" (DV 17. 7. 87). Oft erwies sich jedoch die unkomplizierte Möglichkeit zur Veröffentlichung von Vorwürfen gegen die Stadtverwaltung als kontraproduktiv für die Stadtteilorganisationen, denn die öffentliche Kritik löste häufig die Sperrung anderer bestehender Zugangskanäle zu den Entscheidungsträgern aus, wie der folgende Interviewabschnitt zeigt: "Es ist folgendes passiert: Die Organisation, die in der Zeitung die Stadtregierung kritisiert oder sich beklagt hatte, wurde für vier, fünf oder sechs Monate nicht mehr berücksichtigt, d.h. daß ihre Forderungen [nach staatlichen Leistungen] nicht mehr erfüllt wurden. Wenn sie etwas beanspruchten, sagten die Verwaltungsvertreter: 'Geht zur Zeitung, beklagt euch dort [...]' Dies war die Strafe" (Fassarela Interview).

115

In der letzten Zeit reichen allerdings die Vergeltungsmaßnahmen der Stadtverwaltung gegen die 'bockbeinigen' Organisationen nicht mehr aus, um die öffentliche Kritik zum Verstummen zu bringen. Die Gegenangriffe seitens der Stadtverwaltung wurden ebenfalls in der Presse denunziert: "Die Einwohner des Bezirks Palmeiras sind alle enttäuscht von der gegenwärtigen Stadtregierung, auch wir [Vertreter der lokalen STO], die wir für sie im Wahlkampf gearbeitet haben. [...]. Nach unserer Klage in der Zeitung Didrio do Rio Doce läßt die Bauabteilung als Rache unseren Bezirk vom Abfall, der sich sammelt, und vom verfaulten Wasser, das aus der Kanalisation fließt, überschwemmen" (DRD 19. 5. 89). Die Bedeutung der untersuchten sozialen Bewegungen für die Konstituierung lokaler Öffentlichkeiten kann nicht allein auf Einflußnahme auf die Berichterstattung der örtlichen Massenmedien reduziert werden. Die Bewegungen stellen per se ein alternatives Diskussionsforum 68 dar, da in ihren regulären Meetings Probleme besprochen werden, die sonst in keiner anderen Thematisierungsarena auftreten. Darüber hinaus verfügen die Bewegungen über eine Vielfalt eigener Kommunikationsmittel, die ihren Belangen eine öffentliche Dimension verleihen können. Diese Verbreitungsmöglichkeiten von Informationen reichen von gemieteten Lautsprecherwagen bis hin zu mit politischen Botschaften versehenen T-Shirts und eigenen Printmedien. Für mehrere Bewegungen stellt die Kommunikationsausstattung der katholischen Kirche ein unverzichtbares Hilfsmittel dar. Es läßt sich feststellen, daß viele Stadtteilorganisationen nicht nur anfangs auf den Personal- bzw. Organisationsbestand der christlichen Basisgemeinden aufbauen, sie benutzen weiterhin für ihre Aktivitäten Räumlichkeiten der Kirchengemeinde und vor allem stützen sie sich für ihre Informationsübermittlung auf die Kontaktmöglichkeiten, die anhand der kirchlichen Veranstaltungen entstehen. Mitteilungen der Einwohnervertretungen werden oft in Rahmen des Gottesdienstes verbreitet, und sogar die Lautsprecheranlagen der jeweiligen Parochialkirche werden von den STO in Anspruch genommen. 69 68

Die Dimension der untersuchten Bewegungen als kommunikatives Forum kommt bei den Mütterclubs beispielhaft - wie aus den folgenden Interviewabschnitten hervorgeht - zum Vorschein: "Der Verein ist nicht nur für die Arbeit da. Er dient auch dazu, daß wir zum Gespräch kommen, uns unterhalten können, damit wir wissen, was wir von unserem Alltagsleben halten, von der Welt der Politik, von unserem Brasilien und davon, was gerade passiert. Ist alles in Ordnung, alles OK, oder doch nicht [...] zuhause, auf der Arbeit [...]? Alle sagen ihre Meinung und werden respektiert" (Odilia Interview). "Wenn wir [in den Club] kommen und Probleme haben, bringen wir sie hier ins Gespräch. Dann macht jede Teilnehmerin einen Vorschlag und wir fühlen uns erleichtert" (Dirce Interview).

69

Die Kommunikationsinfrastruktur der Kirche kommt nicht nur den STO zugute. Zu dem Mobilisierungserfolg anderer Bewegungen, wie etwa der Wohnungslosenbewegung aus Govemador Valadares, trugen die kirchlichen Kommunikationsmöglichkeiten ebenso bei. Die Zeit nach

116 Mehrere der untersuchten Organisationen verfügen auch über eigene Presseorgane, die teils kontinuierlich teils unregelmäßig erscheinen und unterschiedliche Elaborationsniveaus bzw. abweichende Druckqualität zeigen. Die einfachste Erscheinungsform der eigenen Presse ist die Wandzeitung. Sie wird meistens von einer Stadtteilorganisation zusammengestellt (Beispiel hierfür: STO Fätima aus Juiz de Fora) und an einem durch starken Einwohnerverkehr gekennzeichneten Standort (Bäckerei, Bushaltestelle, Telefonkabine etc.) aufgehängt. Regelmäßig versorgen die 'Herausgeber' die Wandzeitungen mit neuen Mitteilungen und Nachrichten. Danach folgen die Bezirkszeitungen - ebenfalls überwiegend durch STO herausgegeben. Diese Zeitungen weisen in der Regel einen bescheidenen Umfang (bis acht Seiten) bzw. eine geringe Auflage (nicht mehr als 300 Exemplare) auf und werden mit Hilfe eines Fotokopierers bzw. einfacher Vervielfältigungsapparate produziert (Beispiele hierfür: die Zeitung der STO Santa Cecflia aus Juiz de Fora, die der STO Santa Mönica und die der STO Luizote de Freitas aus Uberländia). Eine in einer Druckerei angefertigte Bezirkszeitung kommt nur noch selten im berücksichtigten Forschungsfeld zum Vorschein. Von einigen sporadisch erscheinenden Blättern abgesehen (vgl. etwa Pro Biker 1994) stellt hierfür die im Kapitel 4 genannte Monatszeitung Jornal Unibairros das einzige nennenswerte Beispiel dar: Die Zeitung erscheint seit Dezember 1980 - allerdings nicht alle Monate - mit einer Auflage von 3000 Exemplaren. Sie druckt Berichte sowohl über lokale Fragen als auch über Themen landesweiter Relevanz. 70 Die Aufgabe einer eigenen Presse scheint für die recherchierten Bewegungen über die bloße Übermittlung von Informationen hinauszugehen. Sie dient vor allem dem Zweck, an der Meinungsbildung eines Leserpublikums mitzuwirken, das ansonsten nur selten eine andere lokale oder überregionale Tageszeitung liest. Ferner erfüllen die Bewegungszeitungen eine wichtige Mobilisierungsfunktion: Mit suggestiven Comic strips und suggestiven Stimmungsmachemaximen 71 versuchen die Redakteure dem Sonntagsgottesdienst stellte eine begehrte Gelegenheit dar, bei der die Bewegungsorganisatoren die Gläubigen ansprachen, um Unterstützung und Zustimmung für ihre Belange zu erwerben (Miranda Interview). 70

Die Auswertung des Zeitungsmaterials ergab, daß in jeder Ausgabe neben Bezirksangelegenheiten mindestens auf ein Thema eingegangen wurde, das zu jener Zeit landesweit diskutiert wurde. An dieser Stelle folgt eine kleine Auswahl solcher umfassender Schwerpunkte: Nr. 1 - Dez. 1980: polizeiliche Gewalt Nr. 1 2 - A p r . 1982: Araguaia-Guerrilla Nr. 1 5 - S e p t . 1982: Wahlen Nr. 1 8 - M a i 1983: Arbeitslosigkeit Nr. 23 - Juni 1984: Freie Präsidentschaftswahlen Nr. 33 - O.A. 1987: Wohnungsnot Nr. 38 - Jul. 1988: Agrarreform Nr. 41 - Sept 1989: Umweltprobleme

71

Vgl. etwa die von Jornal Unibairros wiederholten Parolen: "Brasiliens Schicksal liegt in der Hand des Volkes" (Unibairros, Nr. 28), "Ein organisiertes Volk ist ein starkes Volk" (Unibair-

117 der Basiszeitungen, die Teilnehmer weiter zum Engagement für die laufenden Kampagnen zu ermutigen bzw. die Werbung neuer Anhänger zu fördern. Die Ermutigung der Bewegungsteilnehmer durch die eigene Presse wirkt sich positiv auf die Fortsetzung der Mobilisierung aus, da die Darstellung einer Aktion in einem Presseorgan (auch in einer kleinen alternativen Zeitung) von den Teilnehmern als eine legitimatorische Anerkennung ihrer Handlung aufgefaßt wird (Biel Interview). Die eigene Presse hängt also mit der internen Dynamik der untersuchten Bewegungen zusammen und hat nicht als primäres Ziel, die Entscheidungsträger oder andere soziale Akteure zu erreichen. Für diesen Zweck werden andere Zugangskanäle (Schreiben, persönliche Kontakte etc.) und nicht zuletzt die lokalen Medien bevorzugt. 72

5.4 Kleine Öffentlichkeiten In Anschluß an Auge (1992) beschreibt Martin Barbero (1994:41) städtische Lebensräume zweier entgegengesetzter Idealtypen als 'anthropologische Räume' bzw. 'Nichträume'. "Der anthropologische Raum stellt die von Geschichte beladene Domäne dar. Er ist von identitätsstiftenden Zeichen ausgefüllt, die von verschiedenen Generationen im Rahmen eines langsamen und weitreichenden Prozesses gesammelt wurden: das alte Dorf, der Stadtteil, der Platz, der Hinterhof, die Stammkneipe". Der Nichtraum hingegen ist "der Ort, in dem die Individuen von jeglicher auffordernder Identität 'befreit' sind. [...]. Dies entspricht dem, was der Käufer in einem Supermarkt oder der Passagier in einem Flughafen erlebt, wo Informations- bzw. Werbetexte ihn von einem Punkt bis zum anderen hinführen, ohne daß er für mehrere Stunden ein einziges Wort artikulieren muß." Versucht man von Martin Barberos Unterscheidung auszugehen, um die im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten städtischen Lebensräume zu charakterisieren, so ist festzustellen, daß diese nicht als idealtypische 'anthropologische Räume' bezeichnet werden können. 73 Diese Räume sind in allen drei Städten - wie im Kapitel ras, Nr. 25) oder "Auf zum Kampf, Leute!" (Unibairros, Nr. 34). Ihr Leitmotiv ist hierfür ebenfalls zitierenswert: "Die Hoffnung zu organisieren, das Unwetter zu führen, die Mauern der Nacht zu brechen, um, ohne um Erlaubnis zu bitten, eine Welt der Freiheit zu schaffen." (vgl. Viscardi 1990:118). 72

Es ist bezeichnend, daß nicht einmal die elaborierteste und umfangreichste der erfaßten Bewegungszeitungen, Jornal Unibairros aus Juiz de Fora, bei den örtlichen Medien (Cid Interview) oder den lokalen Politikern (Morais Interview) auf nennenswerte Resonanz stößt.

73

Elaborierte Aussagen über die Interaktionsmuster und Lebensformen der untersuchten Bevölkerungsgruppen setzen eine spezifische methodologische Herangehensweise voraus, die nur im Rahmen ethnologischer Fallstudien möglich ist. Für die vorliegende Arbeit werden die sich in den untersuchten Stadtteilen herausbildenden Lebensformen lediglich unter dem Aspekt der

118 4 dargestellt wurde - anhand einer rasanten und neuen Urbanisierung entstanden, die noch keine generationsübergreifende Überlieferung ortsbezogener Traditions- bzw. Wertebestände ermöglichte. Andererseits stellen die recherchierten Städte kein Konglomerat von 'Nichträumen' dar. Mit Ausnahme von einigen wenigen Orten (Hauptstraßen mit starkem Verkehr, große Einkaufszentren - die in Brasilien 'allgegenwärtigen' Shopping Centers - etc.), in denen anonyme Menschen aneinander gleichgültig vorbeilaufen, beobachtet man meistens Alltagssituationen, in denen eine effektive interpersonelle Kommunikation stattfindet. In den Wohngebieten außerhalb der Stadtmitte besteht meistens ein lebendiges Nachbarschaftszusammenleben, die Straßen werden zu einem intermediären Raum, der die häusliche und die außerhalb des Stadtteiles liegende Außenwelt verbindet. Sie entsprechen also keinem klassischen 'anthropologischen Raum', in dem ortsbezogene Sinngebung über Generationen überliefert wird, sondern einem anthropologischen Raum anderer Art. Dabei werden die zwischenmenschlichen Interaktionsmuster und die Verbundenheit zu der Umgebung nicht über ein überliefertes gemeinsames Traditionsreservoir definiert, sondern im städtischen Alltag neu konstituiert. Die Mehrzahl der Randbezirke in den untersuchten Städten bildete sich in den letzten vierzig Jahren aus Ansiedlungen von Migranten verschiedenster Herkunft heraus. Sie weisen unterschiedliche Lebensgeschichten und abweichende regionale Kulturprägungen auf, dennoch konstruieren sie alltäglich aus dem neuen Lebensraum ihren 'Peda9o', ihre neue lebensweltliche Heimat. In ihrer Untersuchung Uber die Peripherie Säo Paulos beschreibt Caldeira (1984:120) diesen Prozeß der Konstruktion neuer 'anthropologischer Räume', der auch in den von mir recherchierten Kontexten stattfindet: "Indem die Einwohner tagaus tagein ihren Stadtteil benutzen und ihn durchlaufen, eignen sie sich diesen Raum an und privatisieren ihn. Damit wird der Stadtteil zu einem familiären und differenzierten Raum, obwohl er weiterhin der häuslichen Privatsphäre gegenüber das Öffentliche bzw. Auswärtige darstellt.[...] Die Nachbarschafts-, die Verwandschafts- und Freundschaftsnetzwerke, die in einem Stadtrandviertel bestehen, bieten den Einwohnern andauernd eine Identität, eine Gruppenzugehörigkeit und eine 'Wir-Vorstellung' an". Diese am Wohnort verankerten interpersonellen Netzwerke können unterschiedliche Komplexitätsgrade aufweisen, die Kommunikationsformen unterschiedlicher Elaborierungsniveaus entsprechen. Die einfachste Interaktionsform stellt die oberflächliche Bekanntschaft zwischen Nachbarn dar, die sich auf der Straße, im Kaufladen oder an der Bushaltestelle begrüßen und eventuell unterhalten. Danach folgen Formen reziproker Unterstützung (gegenseitige Kinderbetreuung etc.) oder gemeinsamer FreiEntstehung neuer Kommunikationsmöglichkeiten ausschnittsweise betrachtet. Empirisch stütze ich mich auf bereits vorliegende Fallstudien (bes. Viscardi 1990; Alvarenga 1988 und Costa 1991) und unsystematische Beobachtungen, die ich an Hand von mehrjährigem Kontakt mit einigen der untersuchten Bevölkerungsgruppen durchführen konnte.

119 Zeitgestaltung (regelmäßige Hausbesuche, Plaudern am Grundstückszaun etc.)- Eine komplexere Organisationsstufe stellt die Herausbildung fester Gruppierungen dar, die sich regelmäßig treffen: Dabei handelt es sich beispielsweise um Männergruppen, die zusammen Fußball spielen oder in einer Stammkneipe gemeinsam trinken, Frauengruppen zur Selbsthilfe oder Jugendcliquen, die die bescheidene Stadtteildisco gemeinsam frequentieren. Darüber hinaus können sich Arbeitsgruppen formieren, die eine gewisse Institutionalisierung (reguläre verbindliche Meetings, Beachtung eines Statuts etc.) aufweisen und klare Aufgaben erfüllen. Diese komplexeren Organisationsformen reichen von den Basisgemeinden, Mütterclubs und anderen Gruppen, die im Rahmen der katholisch kirchlichen Aktivitäten entstehen, bis hin zu den Stadtteilorganisationen. In einigen Stadtteilen (Beispiele hierfür: Vitorino Braga und Santa Luzia in Juiz de Fora; Santa Mönica in Uberländia; Santa Helena und Säo Raimundo in Governador Valadares) erreicht die Bevölkerungsorganisierung eine höhere Konsistenz und Beständigkeit: Die jeweiligen Stadtteilvertretungen bringen immer wieder neue Forderungen ans Licht der Öffentlichkeit, und die neuen Kampagnen werden beharrlich und durch die Beteiligung vieler Teilnehmer vorangetrieben. Hinter der großen Mobilisierungsfähigkeit in diesen Bezirken stehen dichte und verwickelte Kommunikationsnetzwerke, über die Belange, Argumente und Erfahrungen der verschiedenen organisierten Gruppen reproduziert und verbreitet werden. Dabei fungieren Personengruppen als Bestandskern mehrerer Initiativen. Sie sorgen durch ihre mehrfache aktive Mitgliedschaft für einen kontinuierlichen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen und stellen somit die Keimzellen dar, aus denen die jeweilige aktive Bewegungsszene entsteht. Diese Personengruppen sind häufig an bezirksübergreifende Netzwerke angeschlossen und können dadurch die Entwicklungen und Erfahrungen der Akteure anderer Stadtteile verfolgen. Überdies stellen sie Bezugspersonen für Vertreter von nicht ortsbezogenen Bewegungen (Schwarzen-, Frauen-, Umweltschutzgruppen etc.) dar, an die sie sich wenden, wenn es um die Förderung bestimmter Kampagnen auf der Bezirksebene geht.

121

Schlußbetrachtung: Bilanz und Perspektiven Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit: Demokratie als Agenda-Setting? Jüngste Transformationen in der brasilianischen Gesellschaft deuten darauf hin, daß seit dem Zerfall des Militärregimes ein Prozeß der Herausbildung einer sowohl im funktionalistischen als auch im diskurstheoretisch emphatischen Sinne demokratischen Öffentlichkeit stattfindet. Was die funktionalistische Konzeption anbelangt, sollen die Ausbreitung und -differenzierung der Massenmedien neben der Multiplizierung der 'Öffentlichkeitsakteure' die Behauptung begründen, daß sich die brasilianische Öffentlichkeit immer mehr als ein intermediäres System konsolidiert, das Themen und Meinungen aufnimmt, verarbeitet und an die Bürger und an das politisches System weitervermittelt. Aus der diskurstheoretischen Perspektive heraus scheint die sich im Aufbau befindende brasilianische Öffentlichkeit zunehmend befähigt, dem ihr zugeschriebenen demokratischen Anspruch gerecht zu werden. Dieser läuft darauf hinaus, daß die Öffentlichkeit über die Manipulationsversuche hinweg als Resonanzboden fungiert, über den die an der Lebenswelt kondensierten Kommunikationsströme in die demokratisch verfaßten Beschlußgremien hineinfließen, um so die dabei getroffenen Entscheidungen zu beeinflussen. Hier sollen die Entstehung kritischer Massenmedien, die Ausdehnung der Zivilgesellschaft und die Aufrechterhaltung kleiner Öffentlichkeiten, innerhalb derer eine alternative Meinungsbildung stattfindet, als Begründung für die Behauptung herangezogen werden, daß die in Lebensbereichen wahrgenommenen Probleme de facto in die Öffentlichkeit getragen werden (können) und somit der bloßen Inanspruchnahme der Öffentlichkeit für politische Legitimationsbeschaffung etwas entgegensetzen. Auf der lokalen Ebene wurden diese 'demokratischen Transformationen' der Öffentlichkeit ebenfalls festgestellt. Im Bereich der lokalen Medien lassen sich diese Veränderungen an der Ausdehnung des in der Berichterstattung berücksichtigten Themenspektrums, der zunehmenden Suche nach mehr Sachlichkeit und Unparteilichkeit (Professionalisierung der Medien) sowie an der Zunahme der Veröffentlichungsmöglichkeiten für punktuelle Anliegen der Bevölkerung erfassen. Auf der Ebene der Zivilgesellschaft wurde eine Vermehrung und Ausdifferenzierung der lokalen Akteure konstatiert, die mit steigender Effizienz die Belange unterschiedlicher

122 Segmente der lokalen Bevölkerung (Frauen, Schwarze, Behinderte usw.) öffentlich thematisieren. Ferner konnten wir feststellen, daß die in den untersuchten Städten beobachtete rasante Urbanisierung einerseits die Zerstörung traditioneller Solidaritätsformen hervorruft, andererseits die Entstehung neuer Räume des Zusammenlebens fördert, in denen ein effektiver Kommunikationsaustausch stattfindet. Konfrontiert man aber diese für die Demokratie erfreulichen Feststellungen mit den parallelen wenig beruhigenden Entwicklungen in anderen Bereichen der brasilianischen Gesellschaft (alarmierende Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich, unbestraft bleibende Gewalttaten gegen wehrlose Bevölkerungsgruppen usw.), so muß die Plausibilität solcher demokratietheoretischer Ansätze, die die Qualität einer demokratischen Ordnung an die 'Tabulosigkeit' der Massenmedien und die Ausdifferenzierung der öffentlichen Agenda knüpfen, in ihrer Anwendung im brasilianischen Kontext in Zweifel gezogen werden. Insofern scheint die Kritik, die Heins (1992) an die Befürworter einer politisch aktiven Zivilgesellschaft richtet, auch in Anbetracht des in dieser Arbeit untersuchten Kontextes zutreffend zu sein. Nach dieser Kritik ist die Radikalität eines demokratischen Diskurses nicht nur eine Frage der 'thematischen Reichweite', sondern ebenfalls eine des 'Adressatenbezugs'. Für Brasilien übersetzt bedeutet also der Einwand Heins', daß neben dem berechtigten Begrüßen der qualitativen Ausdehnung der Öffentlichkeit und der begeisterten Feststellung ihrer wachsenden Durchlässigkeit für Belange spezifischer benachteiligter Gruppen danach gefragt werden muß, ob die Gesamtheit der Bevölkerung an die Öffentlichkeit effektiv angeschlossen ist und ob die Thematisierungschancen und vor allem die Suche nach Lösungsmöglichkeiten für dringende gesamtgesellschaftlich relevante Fragen (Armut, soziale Ungleichheit usw.) ebenfalls intensiviert wurden. Sollte dies nicht der Fall sein, so müssen wir die bittere Erkenntnis hinnehmen, daß die beobachteten Transformationen sowohl landesweit als auch in den untersuchten lokalen Kontexten einem äußerst selektiven Aufbauprozeß der Öffentlichkeit entsprechen. Doch neben der augenfälligen Zunahme der öffentlichen Diskussionschancen solcher Problemlagen, deren Behandlung keinem klaren politischen Adressaten zugewiesen werden kann oder die die materielle Grundlage der herrschenden Lebensstile nicht unmittelbar berühren, bleiben folgenschwere Probleme, deren Lösungsvorschläge von einer Veränderung der Grundstrukturen der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung ausgehen, unzureichend behandelt. 74 Wenn solche Themen überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen, werden sie schnell zum rhetorischen Bestandteil eines leeren populisti74

Internationale Vergleiche verdeutlichen die Ambiguitäten der neueren Transformationen der brasilianischen Gesellschaft: Nach Angabe der Weltbank rückte Brasilien jüngst vom 63. auf den 53. Platz im Länder-Ranking über die Lebensqualität der Frauen vor ( O E S P 18. 8. 95:1). Dafür nimmt das Land jetzt aber den 1. Platz in puncto Reichtumskonzentration ein, nachdem es vorher den 2. Platz belegt hatte (FSP 28. 8. 95:1 u. 1-5). Die politische (und wirtschaftliche) Liberalisierung, die neue R ä u m e für "Differenzen" eröffnet, scheint gleichzeitig auch die Ungleichheiten zu legitimieren.

123 sehen Diskurses, der keine effektiven Lösungsmöglichkeiten anbieten kann. Ob es nun an der immanenten Unmöglichkeit liegt, diese Fragen zur Öffentlichmachung mit 'einem attraktiven Etikett zu versehen', oder an den strukturellen Schwierigkeiten für die (zivil)gesellschaftlichen Akteure, solche Themen in die Agenda zu lancieren, Tatsache bleibt, daß sich viele für die Mehrheit gravierende Fragen trotz des eindeutigen Wiederaufbaus der brasilianischen Öffentlichkeit noch 'öffentlichkeitsuntauglich' zeigen.

Lokale Demokratie oder Instrumentalisierung der Partizipation? Mit einem unprätentiösen Verweis auf die Gefahr, die soziologische Dimension der sozialen Bewegungen zugunsten der politologischen Aspekte zu vernachlässigen, thematisiert der italienische Sozialwissenschaftler Melucci (1994) ein wohl zentrales Problem der Bewegungsforschung, das beim Versuch entsteht, diese Disziplin für die demokratietheoretische Debatte produktiv zu machen. Auf der Suche nach einem 'legitimen' Standbein - in der real existierenden sozialen Welt - für eine Erneuerung der Demokratie 'von unten' tragen die Wissenschaftler häufig nicht der Tatsache Rechnung, daß die politische Inanspruchnahme zivilgesellschaftlicher Akteure grundlegende interne Veränderungen (Institutionalisierung, Professionalisierung usw.) auslöst, die den Abschied von den ursprünglichen Spontanitäts- und Gleichheitsidealen der Bewegungen bedeuten können. In den in dieser Arbeit untersuchten Fällen erwies sich die Partizipationsrhetorik häufig als bloße Verdeckung der Instrumentalisierung freiwilliger Zusammenschlüsse für die politische Legitimationsbeschaffung: Die Partizipationskanäle wurden in der Regel ausgeschaltet, wenn die Interessen der Organisationen der Bevölkerung mit denen der lokalen Regierung nicht mehr übereinstimmten. Aber auch bei den beobachteten Versuchen, die realen Einflußmöglichkeiten lokaler Vereinigungen auszudehnen, konnten wir feststellen, daß interne Probleme zum Vorschein kamen, wenn zivilgesellschaftliche Akteure die Bühne der Politik betraten. Es handelt sich hier um die allgemein schwierige Anpassung zivilgesellschaftlicher Organisationen, deren Entstehung vorwiegend auf einem primären Beziehungsnetz Verwandschafts-, Nachbarschafts- und Freundschaftsverhältnis - beruht, an die strategische bzw. zweckorientierte Logik, die politischen Verhandlungen innewohnt. Im Kontext ihrer Unterordnung unter die 'imperativen' Vorbedingungen der Politik (Verhandlungsfahigkeit, Flexibilität der Prinzipien, Kompromißbereitschaft usw.) erlebten viele Akteure profunde Veränderungen ihres Organisationsmodells. Die informellen Beziehungsmuster und die langwierigen dialogischen Handlungsformen, die in den ursprünglichen Sozialketten bzw. Gruppierungen vorherrschten, wurden durch hier-

124 archisierte Interaktionen und einschränkende Rollenzuschreibungen ersetzt. Daraus ergab sich der Verlust an internen Kommunikationsmöglichkeiten und der Zerfall des basisdemokratischen Repräsentationsgehaltes 73 , die wir in zahlreichen Organisationen feststellen konnten. Die Vertikalisierung der Entscheidungsfindung zeigte sich im Hinblick auf die Stadtteilorganisationen als besonders problematisch. Diese Vereine sollten in allen drei untersuchten Städten im Zentrum der Partizipationsbemühungen stehen und somit als letzte Einheit der lokalen Interessenartikulierung und ihre Weitervermittlung an die Stadtregierung fungieren. Nur: Die Mehrzahl solcher Organisationen wies aufgrund ihrer von der lokalen Regierung initiierten Gründung ein chronisches Legitimationsmanko auf, das sie stets zu kompensieren suchte. Statt aber in den langfristigen internen Aufbau ihrer Organisationen zu investieren, ein Prozeß, der die aufwendige Diskussion von Prioritäten und Handlungsstrategien sowie das kontinuierliche Anwerben neuer Teilnehmer voraussetzt, wählten die Organisationsvorstände als bevorzugten Ausweg aus dem Anerkennungsdefizit die Vermittlung von staatlichen Leistungen, was sie mit ihrem unermüdlichen Kreuzzug durch die örtlichen Behörden zu erreichen suchten. Damit vertiefte sich der Kommunikationsgraben zwischen den Organisationen und den Bevölkerungssegmenten, die sie repräsentieren sollten, noch mehr: Auch wenn die Stadtteilorganisationen mit Erfolg Forderungen vermitteln konnten, wurden sie von der lokalen Bevölkerung als eine dem Stadtteil und seinen Einwohnern fremde Machtinstanz, ein Anhängsel des politischen Systems, angesehen. Nur wenige Organisationen wußten, ausgehend von den Forderungen nach Verbesserungen für ihre Stadtteile, die Bevölkerung zu einer aktiven politischen Teilnahme zu bewegen und somit die Durchführung offensiver, nach außen gerichteter Aufgaben - Vermittlung von Forderungen, Verhandlungen mit Politikern usw. - mit der Aufrechterhaltung ihrer defensiven Dimension - Erweiterung der bestehenden Kommunikationsmöglichkeiten und 'Assoziationsstrukturen' - zu kombinieren. Eine zusätzliche Schwierigkeit, die mit den politischen Partizipationserfahrungen zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Vorschein kam, stellt die Kompetenz dieser Akteure für die Mitbeteiligung an komplexen politischen Entscheidungen dar.76 Den meisten recherchierten Gruppen fehlten die Mittel für das aufwendige Informati75

Ein gleichartiges Phänomen wurde auch hierzulande von Roth (1994c:431f) beobachtet und suggestiv als Strukturwandel der Öffentlichkeit en Miniature bezeichnet.

76

Die Spannung zwischen den immer komplexeren Entscheidungsprozessen und der geringen Qualifizierung der Einzelbürger und ihrer Vereinigungen wird in den westlichen Demokratien oft von Autoren problematisiert, die für eine Erweiterung der existierenden politischen Partizipationsformen eintreten, aber andererseits die technische Qualität der getroffenen Entscheidungen nicht gefährdet sehen wollen. "Civic competence" bzw. Bürgerkompetenz (Dahl 1992; Kriesi 1992) und Bürgerqualifizierung durch "kollektive Lernprozesse" (Schmalz-Bruns 1994c) und "politische Alphabetisierung" (Epple-Gass 1993) gelten als gängige Stichworte in dieser Debatte.

125 onsmanagement (von der Informationsgewinnung bis hin zur Erstellung von Gegenexpertisen), von dem die öffentlichen Durchsetzungsmöglichkeiten ihrer Ansicht oft abhingen. Auch die einzelnen Bewegungsvertreter zeigten sich nur selten qualifiziert genug, um auf der Ebene der fachlichen Auseinandersetzung und gegenüber findigen Kontrahenten (Berufspolitiker, erfahrene Staatsfunktionäre, Verbandsvertreter usw.) die Interessen ihrer Organisationen geltend zu machen. Sie wurden oft zu manipulierbaren Mitläufern, die sich unbeständig an den gerade überzeugendsten Argumentationsstrang anschlössen und deren Meinung kaum noch die Belange der Bevölkerungssegmente reflektierten, die sie in den Entscheidungsarenen vertreten sollten.

Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit und lokale Partizipation in Brasilien: die unvollendete Demokratisierung Touraine (1994:361ff) stellt in seinem einzigartigen Lob - eigentlich 'Kritik' - der Moderne anhand einer tiefgreifenden Reflexion über die zeitgenössische Demokratie fest, daß die Auseinandersetzung mit dem Autoritarismus das 20. Jahrhundert wie kein anderes politisches Phänomen markiert hat. Als politische Aufgabe unserer Zeit bleibt allerdings die Herausforderung, aus der Erfahrung und vor allem von den Akteuren, die Widerstand gegen den Autoritarismus leiste(te)n, die Lektion für den kontinuierlichen Aufbau einer demokratischen Ordnung zu lernen. Diese sollte wiederum als politische Verkörperung der Moderne dem weitreichenden normativen Anspruch gerecht werden, eine optimale Entfaltung des 'menschlichen Subjektes' bei seiner Suche nach 'Selbstbestimmung und Independenz' zu ermöglichen. Aus diesem Ideal von Demokratie als einem nie vollendet umgesetzten politischen Projekt ergibt sich die Notwendigkeit einer fortdauernden Demokratisierung, die der zunehmenden "Autonomie der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure" dient (ebd.:364). Was die konkreten Demokratisierungsprozesse anbelangt, erfaßt Touraine allerdings die Gefahr, daß der legitime Appell für mehr Freiheit und Handlungsoptionen in den armen und/oder durch große soziale Ungleichheiten gekennzeichneten Regionen die Form einer bloßen Marktliberalisierung annimmt. Das würde zum Aufbau einer 'Zensus-Demokratie' führen, "die auf der sozialen Exklusion und der politischen Manipulation der Mehrheit beruht" (ebd.). Die Demokratisierung, ihre Akteure, ihre Fortsetzungsmöglichkeiten und -grenzen stehen im Zentrum der vorliegenden Studie. Es wurden einige Demokratisierungskontexte in Brasilien unter dem Aspekt der veränderlichen Tragfähigkeit und Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure untersucht. Ambivalent waren die Ergebnisse. In einigen Situationen konnten wir konstatieren, daß politische und ge-

126 seilschaftliche Räume geschaffen wurden, in denen über die tradierten Vorurteile und die Traditionsfesseln hinweg neue Ausdrucksformen und Entfaltungsmöglichkeiten für bislang unterdrückte Identitäten und Lebensoptionen entstanden. Andererseits wurden mehrere strukturelle Schwachstellen bei der öffentlichen Thematisierung komplexer gesamtgesellschaftlich relevanter Fragen festgestellt, sowie ernstzunehmende Schwierigkeiten der Zivilgesellschaft aufgezeigt, im Rahmen einer regulären Teilnahme an der Politik ihre Independenz zu behaupten. Diese Ambivalenzen schließen jegliche schlüssige Prognose aus: Die sich in Brasilien im Aufbau befindliche Demokratie ist etwas noch Unbestimmtes, das zwischen dem zwanglosen Regime, von dem Touraine träumt, und der ausschließenden politischen Ordnung liegt, vor der er nachdrücklich warnt.

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140 SMTAS/DAC (o.J.) Arbeits- und Wohlfahrtsamt: Dokument der Abteilung für gemeinschaftliche Unterstützung. Uberländia. SMTAS/DTOP (o.J.) Arbeits- und Wohlfahrtsamt: Dokument der Abteilung für Arbeit und Volksorganisierung. Uberländia.

Radiosendungen und Tageszeitungen (Abkürzungen) Überregionale

Tageszeitungen

FSP OESP

Folha de Säo Paulo O Estado de Säo Paulo

Lokale

Tageszeitungen

Governador DRD DV JC VC Juiz

Valadares

Diàrio do Rio Doce Diàrio Valadarense Jornal da Cidade A Voz da Cidade. Protokolle der täglichen Radiosendung. Prefeitura Municipal, 1983-1988. de

TM TT

Fora Tribuna de Minas Tribuna da Tarde

Uberländia CT OT

Correio do Triángulo O Triángulo

Andere zitierte Periodika Prö-Biker The Economist Unibairros

sporadisch erscheinende Zeitung des Fahrradvereins Clube do Pedal, Juiz de Fora. Wocheninformationsmagazin, London. unregelmäßig erscheinende Monatszeitung der Gruppe Unibairros, Juiz de Fora.

141 Unibairros Urgente zu besonderen Anlässen erscheinendes Informationsblatt der Gruppe Unibairros, Juiz de Fora. Veja Wocheninformationsmagazin, Säo Paulo.

Interviews Acâcio und Guedes* Aniceto* Barbosa* Biel* Camilo* Candanda* Cândido* Cid* Dirce* Fassarela* Frank** Gonçalves* Jülio*** Laureano* Lobo* Mariano* Mendes* Miranda* Morais* Odilia*** Perim****

Vorstandsmitglieder der Grupo de Estudos do Meio Ambiente (Umweltschutzgruppe) in Juiz de Fora. Stadtverordneter in Uberlândia seit 1993. Leiter des Bürgermeisteramts (Chefe do Gabinete do Prefeito), Juiz de Fora, 1983-86. Mitgründer und Teilnehmer der Unibairros-Gruppe, Juiz de Fora. Herausgeber der Zeitung Correio de Uberlândia. Vorstandsmitglied der Stadtteilorganisation Aurora, Juiz de Fora. Vorsitzender der Union der Stadteilorganisationen Juiz de Foras. Lokalherausgeber der Zeitung Hoje em Dia, Juiz de Fora. Vorstandsmitglied des Mütterclubs Säo Raimundo, Governador Valadares. Stadtverordneter in Governador Valadares seit 1983. Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Ingineurs M. Gérais', Juiz de Fora. Leiter des Bürgermeisteramts Uberlândia, 1983-88. Vorstandsmitglied der Stadtteilorganisation Vila Rica I, Governador Valadares. Vertreter der Naçâo Hip Hop (Schwarzenorganisation), Juiz de Fora. Leiter der Umweltabteilung, Governador Valadares. Exponent der Schwarzenbewegung in Juiz de Fora. Pressebeauftragter des Stadtparlaments in Governador Valadares. Koordinator der Wohnungslosenbewegung. Stadtverordnete in Juiz de Fora. Vorstandsmitglied des Mütterclubs Vera Cruz, Governador Valadares. Bürgermeister von Governador Valadares, 1983-88.

*

Zwischen Januar und März 1994 durchgeführte Interviews.

**

Von der in Juiz de Fora lebenden Historikerin C. Viscardi 1988/9 geführte Interviews.

***

Zwischen Februar und April 1989 durchgeführte Interviews.

**** Im Mai 1990 durchgeführte Interviews.

142

Perucci* Pestana* Quirino* Salomäo" Simöes* Unibairros* Zezinho***

Vorsitzender der Föderation der Stadtteilorganisationen, Governador Valadares. Kommunalsekretär für politische Angelegenheiten in Juiz de Fora, für mehrere Medien tätiger Journalist in Uberländia. Leiterin des Verwaltungs- bzw. Bürgermeisteramts, Juiz de Fora 1983-88. Kommunalsekretär für politische Angelegenheiten, Governador Valadares. Grupo Unibairros, kollektives Interview. Vorsitzender der Stadtteilorganisation Santa Helena, Governador Valadares.

143

Anhang Erläuterungen zum Aufbau der Feldforschung Die Erhebung bzw. Aufbereitung der empirischen Informationen, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen, erfolgte zwischen Oktober 1993 und April 1994 und umfaßte drei Arbeitschritte, die unten als 1., 2. bzw. 3. Phase dargestellt werden.

1. Phase: Materialsammlung von Sekundärquellen Hierbei handelt es sich um die in lokalen Archiven durchgeführte Erhebung von Daten, die sich aufgrund der Fragestellung als relevant für die vorliegende Untersuchung erwiesen. Ebenso ausgewertet wurden lokale Periodika (Tageszeitungen, Zeitschriften etc.). Die Erfassung und Selektion der zu berücksichtigenden Archive bzw. Publikationen beruhten auf mit lokalen Experten und Amtsinhabern geführten Vorgesprächen und eigenen Vorkenntnissen der lokalen Kontexte. Insgesamt wurden in den drei Städten dieser Studie die folgenden Sekundärquellen untersucht: Juiz

de

Fora

a) Periodika: Tribuna da Tarde bzw. Tribuna de Minas (Jan. 83 - Okt. 93), Jornal Unibairros (Jan. 81 - Juli 88), Boletim Unibairros (sporadische Erscheinungsweise), Todos Juntos (Sept. 83 - Feb. 88), Hoje em Dia - Lokalteil (Jan. - Okt. 93), Zeitschrift Cidades & Municipios (Sonderhefte über Juiz de Fora). b) Dokumentensammlungen: IPPLAN - Instituto de Pesquisa e Planejamento; Unibairros (Jahresberichte 1982-93), Universitätsbibliothek, Bürgerrat, Verkehrsausschuß, Stadtparlament, Vereinsregister (Cartório de Registro de Títulos e Documentos), Privatarchiv einer lokalen Historikerin. Governador

Valadares

a) Periodika: Diário do Rio Doce (Jan. 80 - Okt. 93), Jornal da Cidade (Jan. 83 Jan. 85), Diário Valadarense (1986-88), Texte der Radioinformationssendung A Voz da Cidade (1983-88), Jornal O Valadarense bzw. Jornal de Domingo (seit

144 1989 erscheinende Wochenzeitung), Jornal Hoje em Dia (Lokalteil, Jan. - Okt. 93)." b) Dokumentensammlungen: Planungsamt, Stadtbibliothek, Bürgerrat bzw. Föderation der Stadtteilorganisationen, Vereinsregister (Cartório de Registro de Títulos e Documentos). Uberlàndia a) Periodika: Correio de Uberlàndia bzw. Correio do Triángulo (Jan. 83 - Dez. 88), O Triángulo (Jan. 1989 - Okt. 93), Primeira Hora (1983-88), Zeitschrift Historia e Perspectivas (erscheint seit 1989 zweimal jährlich), Zeitschrift Cidade e Municipios (Sonderheft über Uberlàndia), Zeitschrift Tapa no Papo (sporadische Erscheinensweise). b) Dokumentensammlungen: Arbeits- und Wohlfahrtsamt, Universitätsbibliothek, Historisches Stadtarchiv, Bürgerrat, Vereinsregister (Cartório de Registro de Títulos e Documentos).

Aufbereitungsverfahren Die bei den sekundären Quellen gesammelten Daten wurden je nach ihrer Herkunft in folgender Weise aufgearbeitet: a) Periodika: Die als relevant erfaßten Berichte wurden fotokopiert, nach Städten geordnet und numeriert. Danach wurde mit Unterstützung eines Datenverwaltungsprogrammes ein Verzeichnis der einzelnen Berichte auf einem PC erstellt, so daß durch die Programmfunktion 'Suche' sämtliche Nachrichten zu einem bestimmten Thema schnell ermittelt werden können. Die umfassenderen Berichte (akademische Artikel, gründliche Zeitungskommentare etc.) wurden zusammengefaßt und gesondert katalogisiert. b) Bibliotheken und staatliche Archive: Hier bestand die Arbeit darin, die für die Untersuchung relevanten Bücher, Dokumente und Aufsätze zu erfassen bzw. zu kopieren, ggf. anzuschaffen, zu lesen, zusammenzufassen und zu katalogisieren. c) Bürgerrat und Verkehrsausschuß (Juiz de Fora): Nach der Lektüre aller Versammlungsprotokolle wurden Katalogkarten zu jeder Sitzung erstellt. Ferner wurden wichtige Dokumente (Statuten usw.) kopiert und katalogisiert. d) Stadtrat: Hier wurden die Versammlungsprotokolle der lokalen Parlamente gelesen. Die für die vorliegende Untersuchung relevanten Besprechungen wurden in Katalogkarten verzeichnet. 77

Die Periodika Govemador Valadares' für den Zeitraum 1980-88 waren im Rahmen einer früheren Forschungsarbeit bereits von mir ausgewertet worden (Costa 1989). Die folgenden Bände der Zeitung Diàrio do Rio Doce standen zur Zeit der vorliegenden Untersuchung nicht zur Verfügung: 1,3,6,7,9,12/89; 9,10/90; 6,7/91; 1,2,6,7,9/91; 1,2,6,7,9/92 e 9,10/93.

145 e) Vereinsregister: Es wurden Listen der gesamten dort eingetragenen Organisationen bzw. deren Gnindungsdaten zusammengestellt. f) Privatarchiv von Cläudia Viscardi: Die Lokalhistorikerin hatte bereits für den Zeitraum 1980-1988 im Rahmen einer Untersuchung der sozialen Bewegungen Juiz de Foras (vgl. Viscardi 1990) die lokalen Zeitungen, die Sitzungsprotokolle des örtlichen Parlaments, des Bürgerrats bzw. des Verkehrsausschusses gründlich ausgewertet. Ihr Material wurde übernommen bzw. fotokopiert und bis 1993 aktualisiert. Außerdem wertete ich die Interviews aus, die die Historikerin mit qualifizierten lokalen Informanten durchführte und später transkribierte.

2. Phase: Interviews mit Vertretern lokaler Gruppen (Stichprobenauswahl) Ausgehend von den in der ersten Phase erhobenen Informationen wurde ein Verzeichnis der lokalen organisierten Gruppen und Bewegungen erstellt. Hierbei wurden die bestehenden Gruppen nach ihrer Zielsetzung in die folgenden sechs Kategorien eingeteilt: 1. Stadtteilorganisationen, 2. Zusammenschlüsse von Stadtteilorganisationen, 3. Frauenorganisationen, 4. Umweltschutzorganisationen, 5. Schwarzenorganisationen, 6. Übrige. Anschließend wurde in jeder Stadt eine Stichprobe von ca. 10 % der erfaßten Organisationen nach folgendem Zufallsprinzip zusammengestellt: Die Gesamheit der in jeder Kategorie vorhandenen Gruppen wurden numeriert und einzelne anhand der Bestimmung von Zufallszahlen für ein Interview ausgewählt. Von den Kategorien, die weniger als 10 Organisationen umfaßten, wurde mindestens eine Gruppe ausgewählt. In der Regel benannten die Gruppen selbst den Vertreter / die Vertreterin für die Interviews. Auch einige Gruppeninterviews kamen zustande. Der beiliegende offene Interviewplan lag nach einem pretest der Durchführung der Gespräche zugrunde. Insgesamt wurden in dieser Phase in Juiz de Fora 14 und in Uberländia acht Gruppen 78 interviewt. In Governador Valadares war für diese Phase kein Interview vorgesehen, da ich vor wenigen Jahren eine umfassende Studie über die Organisationsmuster der lokalen Bevölkerung erarbeitet hatte (vgl. Costal989).

78

Aus verschiedenen Gründen (Schwierigkeiten, die ausgewählten Gruppen - einschließlich der in der Stichprobe als Ersatz bezeichneten Organisationen - zu lokalisieren, Interviewverweigerungen usw.) wurden in Uberländia nicht die vorgesehenen 10 %, sondern ca. 8 % der erfaßten Gruppen interviewt.

146

Aufbereitungsverfahren Die auf Tonträger aufgenommenen Interviews wurden zusammenfassend transkribiert, d.h. ausgehend von den Aussagen der Interviewten wurde versucht, das Profil jeder Gruppe nach dem folgenden Schema nachzuzeichnen: 1. Bezeichnung der Gruppe, 2. Interviewdatum, 3. Angaben zu der interviewten Person, 4. Allgemeine Beschreibung (siehe Interviewplan), 5. Beziehungen zur Außenwelt, 6. Interne Handlungs- bzw. Beziehungsmuster, 7. Wichtige Kampagnen (Chronologie), 8. Weitere Bemerkungen.

3. Phase: Interviews mit qualifizierten Informanten Hier wurden Personen interviewt, die aufgrund ihrer Betätigung in der Stadtverwaltung, im örtlichen Parlament, in den lokalen Medien oder in den örtlichen Bewegungen zu privilegierten Beobachtern bzw. Mitwirkenden der von der Untersuchung ins Auge gefaßten sozialen Prozesse wurden. Ausgehend von bereits in den ersten beiden Phasen gesammelten Informationen wurden die Leitfäden für die Gespräche mit den qualifizierten Informanten einzeln formuliert. In Juiz de Fora wurden insgesamt neun qualifizierte Informanten befragt. Dies waren im einzelnen: 1. der ehemalige Vize-Bürgermeister (1983-1988) bzw. jetzige Stadtrat; 2. ein ehemaliger Leiter des Bürgermeisteramts - Chefe do Gabinete do Prefeito (1983-86); 3. ein Mitbegründer der Gruppe Unibairros bzw. Politiker der Arbeiterpartei (PT); 4. der Vorsitzende der Union der Stadtteilorganisationen; 5. der Vorsitzende der Föderation der Stadtteilorganisationen; 6. eine Stadträtin der 'Fortschrittspartei' (PP"); 7. ein Exponent der Schwarzenbewegung; 8. ein politischer Journalist, Herausgeber der Zeitung 'Hoje em Dia' und 9. der jetzige Kommunalsekretär für politische Angelegenheiten. In Governador Valadares wurden folgende Personen interviewt: 1. ein ehemaliger Bürgermeister (1989-92); 2. der jetzige Kommunalsekretär für politische Angelegenheiten; 3. der Vorsitzende der Föderation der Stadtteilorganisationen; 4. eine Exponentin der Stadtteilbewegung bzw. Stadträtin der Christlich-Demokratischen Partei (PDC); 5. ein Stadtrat der Arbeiterpartei (PT) bzw. Vorsitzender des Stadtrats; 6. ein politischer Journalist, Pressebeauftragter des Stadtrats und 7. ein Exponent der Wohnungslosenbewegung.

147 In Uberländia wurden Gespräche mit sechs Informanten geführt: 1. ein ehemaliger Leiter des Bürgermeisteramts (1983-88); 2. ein politischer Journalist, Herausgeber der Zeitung Correio de Uberländia; 3. ein politischer Zeitungs- bzw. Radiojournalist; 4. ein ehemaliges Vorstandsmitglied des Bürgerrats (1983-88); 5. die Chefin der kommunalen Wohlfahrtsabteilung (seit 1983, mit Unterbrechungen) und 6. ein Exponent der Stadtteilbewegung, z. Z. Stadtrat der Arbeiterpartei (PT).

Aufbereitungsverfahren Die Interviews mit den qualifizierten Informanten wurden auf Tonband aufgenommen und nach der Methode des 'selektiven Protokolls' (Mayring 1993:73) transkribiert: Aussagen der interviewten Personen, die von meiner Fragestellung auffallend abwichen, wurden weggelassen.

Zur Teilnahme studentischer Hilfskräfte an der Feldforschung Die Unterstützung meines Forschungsvorhabens durch die Ausschreibung für Forschungsfördermittel Ford Foundation/ANPOCS (vgl. Costa 1994b) ermöglichte im Rahmen der Datenerhebung und -aufbereitung die Anstellung studentischer Hilfskräfte. Die jeweils zwei studentischen Mitarbeiterinnen, die sich im Hauptstudium befanden, wurden im Fachbereich für Soziologie (Governador Valadares und Juiz de Fora) bzw. für Geschichte (Uberländia) der örtlichen Universitäten rekrutiert. Sie beteiligten sich von November 1993 bis Januar 1994 halbtags an der Feldforschung und waren unter meiner Betreuung mit der Materialsammlung in der ersten und der Durchführung bzw. Transkription der Interviews mit den lokalen Organisationen in der zweiten Phase beschäftigt. Die Datenaufbereitung in der ersten Phase und die Durchführung und Transkription der Interviews mit qualifizierten Informanten (dritte Phase) führte ich alleine durch.

148

Leitfaden für die Interviews mit \fertretern lokaler Organisationen79 1. Allgemeine

Beschreibung

der

Organisation

• Organisationsart und Ziele. • Wann, wie und wieso entstand die Organisation? (ggf. genaue Angabe des Gründungsdatums). • Angaben zu den Mitgliedern (Alter, Geschlecht, Beruf, Herkunft, Wohnort usw.). • Angaben zum Vorstand (Alter, Geschlecht, Beruf, Herkunft, Wohnort usw.). • Organisationsform, ggf. rechtlicher Status. • Allgemeine Schilderung der Entwicklungsphasen. 2.

Außenverbindungen

• Beziehungen zu den Behörden (auf verschiedenen Ebenen). • Beziehungen zu anderen Bewegungen, Gruppen, Dachorganisationen usw. • Beziehungen zur Politik bzw. zu Politikern (persönliche Verbindungen einzelner Mitglieder werden auch berücksichtigt). • Beziehungen zur Kirche. • Verhältnis zu den lokalen Medien. 3. Organisationsinterne • • • •

Interaktion

Anzahl der Mitglieder, Anzahl der aktiven Teilnehmer, Beteiligungsquoten. Regelmäßige Tätigkeiten: Worin bestehen sie? Häufigkeit. Interne Differenzen: bestehende Fraktionen bzw. Sichtweisen. Eigene Kommunikationsformen: Kontakte, Zusammentreffen, Zeitungen, öffentliche Lautsprecher usw.

4. Wichtige

Kampagnen

oder

Aktionen

Jeweils aufführen: • Zweck (Forderungen usw.). • Sozialer Rückhalt, Unterstützungen. • Durchführungsstrategien. • Auswirkungen: auf der politischen Ebene, im Stadtbild usw. • Reaktionen: von der Exekutive, von anderen sozialen Akteuren etc. 79

In diesem Leitfaden wurden einige Gesprächsschwerpunkte berücksichtigt, die ursprünglich in einem von Castells ( 1 9 8 0 ) entworfenen Interviewplan enthalten sind.

149

Personenverzeichnis Acàcio 96; 113; 141

Boschi 61; 65; 128

Collor 57; 59 Costa 9ff; 17; 38;

Epple-Cass 48; 124;130

Afonso 109; 137

Braig 17

40; 43; 51; 76;

Aires 70; 127

Brumlik 26; 29;

83; 86; 91; 95f;

Evers 65; 130

113; 118; 128f;

Faria 75; 130;132

144f; 147

Fassarela 76; 87;

Alencastro 59; 127 Almeida 130 Alvarenga 73; 77; 90; 118; 127 Alvarez 61; 64; 127f Amarai 57; 127

128 Buttiglione 23; 128 Caldeira 66; 118; 128

Ferguson 20

Dahl 124; 129

Fernandes 37; 130

141 Campos 36; 128

129 Arantes, L. 17 Arato 19f; 23; 25; 27f; 31 f; 38; 47; 127; 128

Candanda 85; 141 Candido 85; 141 Cardoso, A.M. 60; 128 Cardoso, F.H. 35f; 128 Cardoso, R. 36; 61; 128

Dahrendorf 24f; 29f; 129

Flynn 57; 130

Del Bianco 102;

Franco 52; 92

129 Del Grossi 72; 129 Delgado 35; 71; 74; 82; 129 Della Cava 34; 62; 130

Carneiro 37; 130

Dellavalle 20; 130

Assies 71; 127

Carrion 134

Dennis 60; 132

Augé 117; 127

Castells 128; 148

Diniz 39; 130;

Avritzer 38; 127;

Castro 52 Cid 104; 109;

135 Dirce 115; 141

Barbosa 86; 141

11 If; 117; 136;

Dirmoser 130

Bejani 85; 103

141

Dubiel 24f; 130;

Benhabib 38; 43; 128

Clinton 49 Cohen, Je. 19; 23;

Festa 58; 130; 137 Fiori 37; 130

DaMatta 52f; 129

Arendt 25

133; 135

Ferdinand 17

Camilo 103; 107f; Caminha 52

Arantes, J. 35; 71;

Cruz 17

114; 141 Fatheuer 40; 130

Cunha 40; 129

Andrews 64; 127 141

129

Calhoun 128

Andrade 69; 135 Aniceto 90; 109;

Coutinho 23; 34f;

Escobar 128

136

Frank 83; 141 Frankenberg 25; 136 Freitag 15; 17; 20; 130f Freitag-Rouanet 17; 131 Siehe Freitag Frey 132 Freyre 52; 130 Galassi 84f; 102 Gerhards 43ff; 66; 130f Gerratana 131 Giroletti 74; 131

Durham 61; 130

Goffman 66

Betinho 63

25; 27f; 31; 38;

Durkheim 25; 113

Gohn 34; 131

Biel 100; 117; 141

47;127f

Eloysa 62; 130

Golombek 104;

Bobbio 22; 128 Bonn 57; 128

Cohen, Jo. 14; 128

Ely 19; 130 Engels 21; 133

131

150 Gonsalves 78; 85; 141

Kinzo 55; 74; 132 Klein 24; 75; 132

Görgen 74; 131

Krieger 59; 132

G r a m s c i 21ff;

Kriesi 124; 132

25; 27; 34; 37;

Krischke 136

128f; 131

Laclau 36; 132

Gransow 19f; 131 Greven 137 Guedes 96; 113; 141 Habermas 15; 25;

Lamounier 74; 132

Miceli 56; 59f; 133 Michahelles 56f; 59; 133 Michalski 129; 137f Miranda 99; 116; 141

Laureano 94; 141

Moore 113; 133

Leis 64; 133

Morais 85; 117;

Leite 56f; 59; 133

141

Olson 113 Olvera 38; 135 Paine 20 Payne 35;135 Peppe 40;135 Perim 71; 87; 91; 114;141 Perucci 9If; 142 Pestana 80; 93; 103; HOf; 142 Peters 63; 135

27f; 38; 45ff;

Lenin 37

Moreira 86f

63; 127; 128;

Lima 17; 57; 133

Mott 36; 134

130ff

Lobo 95;141

Motter 57; 134

Pierucci 54; 133

Loyola 74; 133;

Munck 37; 134

Pinheiro 17; 39;

Haddad 69; 131 H e g e l 20f; 25;

136

Münkler 131

Pfetsch 44f; 49; 63; 113;135

135;139

Luhmann 44; 66

Murck 104; 134

Prandi 54;135

Heins 30f; 122;

Lühr 17

Narr 30; 134

Prates 69; 135

132; 137

Luta 60

Naßmacher, H.

Przeworski 14;

37; 127; 130ff

Helmke 104; 132

Macedo 103

Hermann Neto

Magnani 66; 133

129;135

Mainwaring 14;

Herscovici 57; 132 Heuvel 60; 132 Honneth 17; 30; 128; 132 Hueck 17

40; 133 Mariano 54; 93f; 133; 141 Marques 17 Marques de Melo 57; 133

Huf 98; 132

Marshall 69; 133

Iglisias 76; 132

Martin Barbero

Ilting 131

117;133

104;134 Naßmacher, K.-H. 104; 132; 134

135 Quirino 103f; 107f; 112; 142

Navarro 64; 134

Reis 38; 128; 135

Neidhardt 43; 45;

Resende 71; 73;

49; 66; 130; 134ff

76f; 84f; 90; 95; 110;135

Neves 54; 71; 134

Restrepo 37; 135

Nickel 64; 138

Ribeiro 36; 135

Nohlen 14; 132;

Rincón 17

134 Novaes 132

Rodel 25; 30; 46; 50;135f

Inwood 20; 132

Martinho 91

Nunes 70; 134

Rogers 14; 128

Jarren 104; 132

Marx 20f; 25f; 32;

O'Donnell 14; 40;

Rossmann 50; 136

Jehle 22; 132

34; 37;133

54f; 62; 128;

Jülio 91; 141

Mayring 133; 147

Junker 132; 134;

Melo 100

Odilia 115; 141

Melucci 38; 123;

Oliveira 72f; 135

136 Keane 24ff; 128; 132 Kebir 132 Keck 35; 132

133 Mendes 102; 105; 112; 141 Merz 63; 133

133ff

Oliveira Pinto 66; 135 Oliveira Vianna 52;135

Roth 14; 17; 48; 58; 124; 132; 136 Rott 17; 54; 97; 136 Rouanet 17; 131 Rousseau 26

151 Rucht 62; 106; 136 Sader 66f; 136 Salomäo 79; 142 Sangmeister 132 Santos 17; 53f; 89; 136 Sarcinelli 43; 136 Samey 57; 134 Sassoon 24; 136 Scherer-WaiTen 35; 37; 61; 136 Schmalz-Bruns

Shils 25; 29; 137

Tatur 19; 138

Silva, A. 37; 137

Taylor 25; 138

Silva, C. 56; 59;

Thatcher 24

Siman 75; 137

Tocqueville 25

Weffoit 33; 138

Simdes 88; 96;

Touraine 36f;55f;

Wernicke 63; 133

99; 142 Skidmore 74; 133; 137 Sôlter 19; 25; 29; 137 Somarriba 17; 109; 137

134;137 Schneier-Madanes 132

61; 113; 125f; 138 Valenzuella 14; 133 van den Brink 24; 37;138 vanReijen 138

Whitehead 14; 134 Wichtmann 17 Wilke 56f; 138 Wirth 128 Wittkâmper 131; 136

Vargas 76

Wolfe 37; 138

Souza 108; 137

Veja 52; 75

Wollmann 132;

Stepan 14; 33;

Vellasco 67; 138

137

Schmitter 14; 62;

141; 145 Walzer 25ff; 138

Soij 130

106f; 113; 137

100; 117f; 138;

Thibaut 14; 134

60; 137

14; 31; 48; 124; Schmitt-Beck 50;

Viscardi 81f;92;

136

127; 130; 132f;

Vieira 37; 138

Zaluar 67; 138

137f

Vigevani 65; 138

Zamis 131

Viola 64; 136;

Zezinho 84; 142

Straubhaar 60; 138 Tarcisio 100

138

Zumbi 36