Die Zypressen der Villa d'Este: Schicksale im Spiegel der Landschaft [Reprint 2019 ed.] 9783486777451, 9783486777437

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Die Zypressen der Villa d'Este: Schicksale im Spiegel der Landschaft [Reprint 2019 ed.]
 9783486777451, 9783486777437

Table of contents :
Die Zypressen der Villa d'Este
Sein Sommernachtstraum
Ein Symposion in der Amalienburg
Wenn die Olympier sterben
Inhalt
Bildnachweis
Erklärung zu den Abbildungen

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Guthmann • L l e Zypressen der Vllla d' Sste

Johannes Guthmann

DIE ZYPRESSEN DER VILLA D'ESTE Schicksale

Im Spiegel der Landschaft

Leibniz Declag München bi'sherN.vldenbourgDerlag

Copyright 1949 by Leibniz Verlag (bisher R. Oldenbourg Verlag) München. Druck und Buchbinderarbeiten: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe GmbH., München.

jöie ^gprefsen dec Villa d'Sste

Dem Andenken Gornrab Ansorges

„Die Kunst ist nur Elegie/ Richard Wagner 1853, im Sommer ihrer Freundschaft, zu Liszt, der ihm ins Wort fällt: „9a, und der gekreuzigte Gott ist eine Wahrheit/

Oie Zgpressen der Billa ö'tEfte! Steilauf und wipfelspih zün­

geln sie gleich düstern Opferflammen, die in ihrem Himmels­

drange durch ein Zauberwort gebannt worden, empor, streng und starr und ewig gleich wie in der feierlichen Spannung eines Hochamts. Seit Jahrhunderten weih die Sage von ihnen nicht

mehr zu erzählen, dah sie jung gewesen seien. Oie Bögel kom­ men nicht, im wohlgeborgnen Schatten ihres Geästes Bester zu bauen, und Lachen und lustige Lieder verstummen hier unter der

pathetischen Wucht

einer

gleichsam

unauefühlbar

gedehnten

Pause. — Doch aber mag ee geschehen, dah die eine und die

andre der Musen durch die geheimnisschauernden Gänge dieses

Haines wandeln und von dem Kühlen Bah der hundert und tausend Fontänen und Brünnlein, die den Schattenbezirk des

ehrwürdigen Gartens kunstreich durchpulsen, in die hohle Hand schöpfen, um ihren Lieblingen unter den Wanderern, die der Weg hierher geführt, mit goldenem Finger auf Augen, Lippen­

paar oder Ohr zu tupfen, damit ihr Herz aufbrenne in wehvoller Lust und im Gleichnis der Kunst das Bnaussprechliche zu be­

kennen vermöge.

Gehaltenen Schrittes vor sich hin, bald stockend, bald umkeh­ rend und dasselbe Stückchen Weges in Gedanken achtlos wie­

derholend, war in dem verlassenen park die Gestalt eines jün­

geren Mannes zu bemerken. Gr schien nicht eigentlich ein Frem­ der zu sein, der lustwandelnd die berühmte Stätte zur Kenntnis

nimmt, als vielmehr ein Mensch, der dem Erlebnis seiner Augen lebt und ihre Beute in ein Phantasiebild seiner Vorstellungs­ welt vergeistigt. Lange hatte er sich dieser Art um den Ansatz der Rampenrundung bewegt, die zu Seiten der aus moostgem

Becken aufsprühenden Orachenfontäne empor- und weiterführt, offenbar

beschäftigt,

das

Naturgegebene

dem

künstlerischen

Traumgestcht seiner Einbildungskraft anzugleichen. Das Leben im Freien gehörte nicht zu den täglichen Bedürf­ nissen seiner Natur. Eine frische Rose im Wasserglas genügte

ihm, das Bewußtsein von der Allschönheit der weiten Welt in ihm lebendig zu erhalten. Es konnten ganze Wintermonate ver­

gehen, ohne daß er einen Schritt vor die Tore der Stadt getan hätte, ja ohne wohl nur die reisende Glut der Goldbälle im

Orangengärtchen vor seinem Atelierfenster gewahr zu werden. Oie Gärten des Alkinoos blühten auch ohnedies in der hoch­ gestimmten Welt seines Innern. Geschah es aber einmal, daß er zu kurzer Rast aus Rom entwich und drüben am Strande

von Nettuno oder hier in den tiburtinischen Schluchten und Schatten der Sabiner Berge seine einsamen Wege ging, dann füllten sich seine Augen unter dem unauoschöpflichen Andrange

der lebendigen Gegenwart und die Scheuern seiner Phantasie

wußten kaum wohin mit der reichen Ernte solcher Stunden. Indem er weiterschritt und langsam die Rampe hinauf, ließ er den Blick noch einmal über den weißen Gischt der hoch in

der Luft lautlos zerstäubenden Wasserkunst schweifen und hin­

auf zu dem steilen Wuchs eines Zgpressenstamms, der, nur in gleichsam strengem stilisiertem Linienzug, das Motiv eines emporschleßenden

Strahles

zu wiederholen schien

und

in

den

hohen Himmel hinein, der seidenweich heule über diesem Bilde hing. Er liebte nicht das oft so emailleharte Blau der südländi­ schen Luft und die starken Kontraste aller sich gegen sie absehen­

den Farben. Er suchte in der Natur die malerischen Stimmun­

gen, die sich auf einen feinfühligen Silberton bringen ließen und

hatte ee dabei in der aufmerksamen Erziehung seiner Augen zur Meisterschaft gebracht. Stehenbleibend schloß er die Lider,

wie um stch des Besitzes so vieler neuer Bildgedanken in seinem Innern recht zu vergewissern. Oer zuckende Hauch eines Lächelns,

das Widerspiel eines intellektuellen Glückegefühls, glitt über die wohl geschnittenen Züge eines Kopfes, der die alte Wahr­ heit zu bestätigen geeignet war, daß die Seele des Menschen es

ist, die sich das Antlitz formt nach ihrem Bilde. Schöne, adlig und untadlig gewachsene Gedanken

nur

konnten

stch

dieser

klaren Stirne über dem ausgeglichenen Schwünge der Augen­

knochen entwirken. Wie konnte es da anders sein, als daß nm den jungen Mund, der unter der energisch edlen Nase und dem

braunen Bärtchen voll, doch herbe mehr als sinnlich war, der Ausdruck

eines

tiefen, leidenschaftlichen Leidens

bereits mit

ahnungsvoller Bedeutsamkeit eingezeichnet war, unausbleiblich gepaart mit einer gewissen ironisch

trotzigen Betonung

des

Eigenwertes.

Ein feines, beseligtes Lächeln glitt über das Antlitz des Man­ nes, der sich in diesem Augenblicke glücklich im schönsten Sinne

fühlen mochte. Es lag etwas wie Weihe von Mustk über ihm.

And in der Tat war es wie aus einem Traum, daß er seht um sich sah, aufgestört irgendwie von der Welt da draußen: War das Gesang gewesen? — oder ferner Mandolinenklang? — oder

war drüben an der Morgenwand des Parkes in der steinernen Wasserorgel oder einer der vielen andern musikalischen Spie­

lereien der unendlichen Springyuellen und Wasser der Billa ein verspätetes Tönen noch einmal laut geworden, ein Geistergruß aus Tagen der Renaissancezeit mitten in dieses 19. Jahrhundert

herein? Aufhorchend war er stehengeblieben. Nichts regte sich

in dem weiten, dem Abendfrieden entgegendämmernden Prunk­ garten als das unnennbare plätschern und Nieseln und Tropfen

der Fontänen und Rinnsale seglicher Gestalt in Nähe und Weite, in Grotten und Nischen und Büschen ringsum, übertönt fern­

herüber von dem gedämpften Brausen der stürzenden Flut im

alten Wassertheater. Gr war allein hier. Sein eignes aufgereg­ tes Blut war es gewesen, das sich in seinen angespannten Ner­

ven so musikalisch gebärdete und den Geisterschritt seiner Visio­ nen melodisch begleitete. War nicht noch jedes seiner Werke aus

einer eigentlich musikalischen Sphäre geboren? And war nicht gerade ihr musikalischer Nrgehalt der Maßstab ihrer Bedeu­

tung für ihn? So nahm er denn auch seht diese melodische Emp­ findung als gutes Vorzeichen für die gestaltreichen Vorwürfe,

die sein Malerauge umdrängten und ihm für Monate und Jahre hinaus neue Arbeiten versprachen — indessen die vollendeten

noch unverkauft im deutschen Vaterlande die engen Räume seiner guten Stiefmutter überfüllten. Doch davon nichts! Mit

Entschiedenheit schüttelte er den Kopf und ließ mit einer un­ willkürlichen Bewegung, die ihm zur zweiten Natur geworden

schien, die schlank-nervige Hand über das nußbraune Haar gleiten, der ornamentenhaften Wohlgestalt der vollen Locken

nachzufühlen. Langsam weitersteigend, machte er an der Steinbrüstung einer

der sich breit am Berghang übereinander aufbauenden Terrassen halt. Das schwarzgrüne Laub der Lorbeer-, Mgrten- und Buchs­ bäume, von der Sonne eines langen Tages durchglutet, sandte

aromatisch herben Duft zu ihm herauf. Zwischen den schwarzen

Windungen der Zgpressen aber, deren tief von unten heraus schießende Säulen himmelhoch über ihm erst wipfelten, began­ nen sich Ausblicke aufzutun auf die ernsten Gebirgszüge im

Norden und auf die gegen Abend hin wie in einem perlmuttrigen Lichtstaub entschwindende römische Campagna. Oer junge

Maler verschränkte die Arme über der Brust- sein Kinn hob sich. Er fühlte im Anblick dieses Gartens zu seinen Füßen, der ihm sein Bestes geboten, den er in diesen Stunden sich künst­

lerisch zu eigen gemacht hatte, etwas wie Triumph. Seine ganze Haltung, indem er den im Verhältnis zu seinem schönen und beherrschenden Kopf etwas zu kleinen und zierlichen Körper

mit einer leicht gezwungenen Energie steigerte, bekam etwas, als wenn er in Gedanken vor diesem wahrhaft klassischen Hin­

tergründe zu einem Selbstbildnis posierte. In der plötzlichen Empfindung, beobachtet zu sein, zuckte er zu­

sammen. Sein Kopf fuhr herum: Zwei schwarze Gestalten vor ihm. Priester. — Lautlos. — Ein älterer — und ein junger,

sehr junger, schlank und streng wie ein Florett. Oer Maler, gereizt durch die unerwünschte Störung, spielte mit nervösen Fingerspitzen auf den Ärmeln seines Sammetjackets: Wae —

überhaupt — gingen die beiden ihn an? Jedoch er fühlte den Blick des Älteren, der mit der weltmännisch liebenswürdigen

Überlegenheit eines Diplomaten die entrückte würde des Prie­ sters verband, prüfend auf sich ruhen und verstand die leichte

Gebärde seiner Finger, die ihm wohlwollenden Gruß entbot, immerhin auch als Frage. Ihn verdroß das sichere Auftreten

der beiden ihm gegenüber und an dieser Stelle, in dieser Stundemochte der Alte immerhin ein Kirchenfürst von besonderer Gel­ tung sein: er, der Fremde, war doch auch jemand. Er hob den Kopf, als wollte er auf den Monsignore hinabblicken, und sah

ihn fest dabei an: „Ich bin Feuerbach — Anselm Feuerbach/" Ein leutseliges, aber doch nicht ganz erwärmendes Lächeln glitt über die feinen, von den Jahren geschnittenen Züge des Aristo-

kratenkopfes, indessen unter den sehr wohl gezeichneten Brauen

ein auffallend sensitiver Blick von den blauen Augen des Frem­ den vergleichend zu den seltsamen grauen seines jungen Freundes und Begleiters flog. „Oie Bücher von zwei Autoren dieses

Namens sind es"', begann er in einem Deutsch, das seine Mutter-

spräche verriet, obwohl es Wort zu Wort gesetzt war wie Latei­

nisch, Mt ich unter die Lieblingswerke meiner Bibliothek ge­ ordnet habe/

-Meines Großvaters und meines Vaters", nickte der Junge

mit Nachdruck. — -Ich bin der Waler." Oer Priester machte eine leichte Verneigung, so daß das von scharlachrot- und goldgewirkter Kordel über der Brust gehaltene elegante römische Mäntelchen sich ihm auf dem Rücken in schlan­

ken Falten straffte- trotzdem schien ihm von einem Künstler

dieser Familie nichts bekannt: „(E(n stolzer Name — der ver­ pflichtet."

-Jawohl! Das Publikum!" platzte der junge Meister heraus.

Ein unmerkliches Lächeln schwebte über das Gesicht des Men­

schenkenners, als freute er sich im Stillen der Jugend, der Jugend dieses geniebewußten Munnes und der Jugend des

Andern hier, des Sizilianers, seines gestrengen Herrn Erzengels,

wie er den Jungen in der verhaltenen Hochglut seiner religiösen Inbrunst wohl zuweilen scherzend titulierte. Es war ihm, als fühlte er dessen brennenden Blick jetzt fragend, ja fordernd auf

sich gespannt, welche Antwort er der unziemlichen Rede des Fremden erteilen werde. Gelassen wandte er dem State endlich

das Gesicht zu mit einem Nicken, wie richtig er ihn doch erraten hatte, einem beinahe zärtlichen Zunicken, als würbe er um eben diese Jugend, die ihm selber unwiederbringlich verloren war.

Es war eine wunderliche pause eiugetreten. Mit einem Male aber und unbegreiflich schien eine fremde Macht in das Schwei­

gen der drei einzugreifen. Das ganze Wesen des Prälaten, das bisher von einer gewissen zeremoniösen Haltung beherrscht ge­

wesen war, machte den Eindruck einer plötzlichen Wandlung von innen heraus. Er horchte, wie von einer überirdischen Stimme

gerufen, auf. Etwas wie ein holder Schrecken, wie ein sublimes Schmerz- oder Lustgefühl blühte mit schwärmerischem Leuchten

in dem blassen Gesicht auf. Ganz leise und behutsam, wie nach

einer heimlichen Stühe suchend, faßte er nach dem Arm seines

Begleiters und deutete mit der kaum erhobenen andern Hand nach oben. „(Et!* Es war geflüstert nur, aber es genügte, ein

vollkommenes Schweigen zu gebieten.

Bon dem unverständlichen Borgang betroffen, sah der Maler den seltsam ergriffenen Mann fragend an. Oer aber legte den

Finger bedeutungsvoll an den Mund: „Bleiben Sie nur — aber

still — ganz stille —/ And verschwunden wieder — lautlos wie er erschienen — die Heiligengestalt des mönchischen Recken mit ihm — war er im

Helldunkel des Parks, verfrühtem Nachtspuk gleich, aufgesogen vom späten Tagesglanz. Dem Künstler war, als habe er ge­

träumt. Er preßte beide Hände in die Augen, dann sah er wie­

der um sich: Er war doch allein hier, nicht wahr? wie feierlich der Abend sich ankündigte, mit einem Himmel

lichtdurchflutet, ein paar selige Wölkchen hinschmelzend an seiner Brust, wie von den Augen Llaude Lorrains geliebkost. Nnd

still war es, abgrundstill — wenn man den monotonen Chor der Brunnen fern und nah überhörte. Nnd doch nicht. Oa war — kein Zweifel mehr — Musik! Kein Singen, kein Saitenspiel,

in ihrer Bnbestimmbarkeit etwas wie Sphärenklang, wie der

Musik gewordene Lichttraum dieser Abendstunde. Meister An­ selm wußte nicht weshalb, aber ihm traten Tränen in die Augen,

vielleicht, weil er gedachte, daß er eine Stunde wie diese — wie

jede schönste und lehte Erhöhung seines Lebens — immer und immer in Einsamkeit erfahren mußte.

Wo aber kam diese Musik her? Oie Luft war unbestimmbar voll von ihr wie von einem bestrickenden Dufte. Ohne sich recht

bewußt zu werden, zog es ihn die Stufen langsam zur höheren Terrasse hinan, dem Schlosse mit den langgereihten Fenstern näher, aus deren einem die Klänge dringen mochten. Klavier­

spiel? Es wollte ihn unglaubhaft dünken, daß ein einzelnes Instrument — noch dazu das von ihm am geringsten geachtete

— so gleichsam die ganze Seele der Musik offenbaren könne.

Jetzt ließ sich auch etwas wie Melodie unterscheiden: Schubert? Wie das klang — das deutsche Lied — über den Zypressen die­

ser Villa! Aber es war wohl nicht Schubert, war weniger — oder mehr, war wie die Essenz eines Schubertschen Liedes, war wie ein Tropfen Schubertschen Herzblutes, das, dem blutenden

Wunder des Heiligen in Neapel gleich, im Augenblicke höch­ ster Weihe neu zu erglühen begann.

Erschüttert ließ Feuerbach sich auf den Stufen niedersinken, die Stirn in der aufgestühten Hand. Was alles war nicht mit die­

sen paar Schubertschen Tönen, diesen so ganz unerwarteten, wieder lebendig in ihm geworden! Oie ganze Kinderzeit, diese

in der Harmonie der elterlichen Lebensführung unvergleichliche

Zeit, der er am Ende doch wohl alles verdankte, was er war und wollte, jene Segnung des klassischen Geistes, ohne die das

Leben ihm niemals lebenswert erschienen wäre, und durch die

er sich bewußt von jeher und vor allen andern Künstlern ab­ zuheben getrachtet hatte! Jene durch so viel Kampf und Bitter­

nis der späteren Zetten für ihn vollends verklärten Kindheits­

tage, da er der lieben, guten Stiefmutter am Klavier gern zur Seite gesessen und ihren schönen Händen zugesehen, wenn sie

ihm Schubertsche Lieder spielten. Noch hörte er ihre sanfte Stimme dazu: „Dae ist Kunst, Anselm" und entsann sich des

ehrfürchtigen

Schauers, mit

dem

das

geheimnisreiche Wort

Kunst jedesmal in seiner ahnungsvollen Knabenbrust nachzit­

terte. „sumst!" War das Wort nicht immer wieder zur Dornen­

krone geworden, wo sehnsüchtig sein Haupt nach dem Lorbeer verlangte? Hatten die Götter nicht schon als Kind ihn zu ihrem Liebling bestimmt, und stand nicht trotzdem über sein ganzes

ferneres Leben das „Ecce homo" geschrieben?

Er merkte kaum noch auf das entrückte Spiel der Schubert­ schen Weise, und wie das schlichte Lied allmählich immer süßer und reicher in Wohllaut gehüllt und wie von Engelsfittichen

empor- und sortgetragen wurde, bis es ein Kindlein gleichsam

am Throne des Höchsten anlangie- er hörte nicht zu, wie im sgmphonischen Gegenspiel aus dem Baß andere und doch ver­

wandte Themen auftauchten, langsam und schwer und feierlich bemüht, den hohen Stimmen zu folgen und sich ihnen am Ende

anzugleichen, ein Lhor des Irdischen, der um den Segen des Lichtes fleht. Er sah vielmehr, der 2Halet, im Geiste die lange

Reihe seiner getanen Werke aufsteigen, diese Frauengestalten,

einzeln und in paaren, in ihrer Fülle und Hoheit anzuschauen wie die Inkarnation einer edlen Altstimme, die Frauen um Dante und Ariost, die Marien, Iphigenie und Eurgdike und dann

wieder und wieder, und in jedem Wandel und Wechsel sich selber

gleich

Augen innerung

in



der

an

ihm

selber

Hand,

daß

das

gleich:

sie

wundervolle

Rannal

schmerzten, Weib

wich

Lr

barg die

aber

die

Er­

nicht.

Er

sah

sie immer neu durch die Kühle Feierlichkeit seines Ateliers

dahinschreiten in den seidenen Gewändern und Goldspangen, die

er in der Überschwenglichkeit seines Schönheltöbedürfnisses mit

dem letzten, erguälten Gelde, das er zu beschaffen vermochte, an

sie verschwendet hatte, die er aus Armut und Armseligkeit zur Muse seiner Kunst erhoben und in unzähligen Werken Kraft seines

Genies für alle Zeiten vergöttert hatte. Sie, die sich selber doch erst ihm verdankte, der seine Seele erst ihr mitgeteilt hatte, daß sie so schön, so über alle andern Frauen schön geworden war. And

Tag für Tag erstand ihr Bild vor ihm in neuen Bildern- fast

schwand sein Körper manchmal in der Brunst des Schaffens

dahin. — And dann war es geschehen, daß sie zu ihm gebeten war, die volle weiche Hand auf sein Haar gelegt und zu ihm ge­

sprochen hatte: ^Warum wollen deine Landsleute nichts wissen von dir? Warum huldigen sie dir nicht alle? Warum bist du

immer allein? Hat dich denn niemand lieb — Anselmo?" — And da hatte er plötzlich aufgestöhnt vor Schmerz und Schluchzen und hatte ihre Hand fortgestoßen und sie hinausgedrängt aus dem

Melier, in heißer Scham, daß sie seine Tränen nicht gewahr werden sollte, und hatte dann nach seiner Mutter geschrien, unge­

bärdig wie ein verwöhnter Junge, nach der lieben, geliebten Stiefmutter daheim in Deutschland, die sich ihre armen Augen

krank und blind um ihn grämte! — Oes andern Tages aber war Nanna nicht wiedergekommen — er wartete, wartete — sie war

nie wieder gekommen. Oie Musik hatte aufgehört. Er hatte nicht mehr auf sie geachtet gehabt- aber indem sie schwieg, besann er sich auf sie und empfand

die Stille wie Alpdruck. Verstört richtete er sich auf und ordnete sein Kleid und Haar.

Lind da zum zweiten Male — Gespenster aus seinem eigenen fiebernden Blut gezeugt? — stand das Priesterpaar vor ihm: der Altere mit dem leuchtenden Goldkreuz auf der Brust und der

Zgpresienwüchsige neben ihm, der junge Streiter Gottes in seiner fast drohenden Schönheit. Feuerbach wich einen halben Schritt

zurück.

Aber der Priester kam aus ihn zu, mit der anmutigen Würde

eines Gebietenden und dabei doch bewegt, eindringlich, mit be­

fremdender Beredsamkeit: „Sein Spiel hat Sie erschüttert. Ich wußte das zuvor. Gs konnte nicht anders sein. Vie hat er sich so hingegeben wie heute, wo er Abschied nimmt von der Welt

— ja, Abschied nimmt von der Welt. — Seine Seele ist unruhig gewesen in ihm sein Leben lang. Aber die Heiligen haben ge­

wacht über ihr und sie vor Abwegen bewahrt. Vur diesen Abend noch — und diese Vacht. — Ich selbst erteile ihm morgen die Weihen/

Oer junge State hatte eine leichte Bewegung gemacht, des

Llnwillens, so schien es, daß so viel Worte verschwendet würden an einen Fremden von vielleicht sehr fragwürdigem Glauben.

Oer Ältere hatte es wohl bemerkt, aber selber ergriffen von der musikalischen Lebensbeichte jenes seines Schützlings, den er mit

Bedacht in der Einsamkeit des Schlosses sich selber überlassen

21 b b. 1: Feuerbach, Z y p r e s s c n st u d i e

jr ß

2lbb. 2: Ingres, Franz Liszt

hatte, vermochte, ja wünschte seine sympathetischen Effekten zu, gängliche Natur sich dem jungen Fremden gegenüber nicht zu­ rückzuhalten. Es würde ihm um das so edle Feuer, das in diesen

blauen Augen brannte, leid tun, wenn es in trübem Qualm

ersticken sollte. -Verzeihen Sie, junger Freund, dem älteren

Manne. Aber ich fand Sie ergriffen, erschüttert — Sie sind

Künstler — von dem Bekenntnis dieser Musik. — And — das

Schwerste im Leben liegt doch immer erst vor einem. Es ist gut, daran zu denken — und nicht verzweifeln zu müssen/

In diesem Augenblicke war es, daß die Musik von neuem anhub, in präludierenden Akkorden erst, doch sehr feierlich. Oer Priester

machte eine Bewegung, als wiese er den Weg des Heiles. Seine Haltung und Gebärde nahm eine Schönheit und Berklärtheit

an wie am Altar, wenn er sich bewußt wurde, daß vor den gläubigen Augen der Menge durch ihn das Wunder der Messe

sich vollziehe. Ekstase war es, von der Gewohnheit nicht abge­ stumpft, und er kostete jedesmal und mit Entzücken den absicht­ lich gedehnten Zustand der eigenen schönen Seligkeit.

Oer Frate hatte keinen Blick von seinem Herrn und Meister

gelassen. Seine grauen Augen, seltsam verstandeskalt und dabei

von unterdrückter Sinnlichkeit, durchbohrten ihn geradezu und verfolgten mit einer Art von verruchter Bewunderung den see­ lischen Borgang dieser mgstischen Selbstverbrennung.

And dann waren sie abermals vor ihm verschwunden, die beiden Schwarzen, schattenhaft in der rings heraufwachsenden Schatten­

welt des scheidenden Tages. Feuerbach, dem die rätselvolle Be­ gegnung den Atem benommen hatte, blieb ein paar Augenblicke

stehen wie festgewurzelt. Er hatte religiösen Bedenken nie viel nachgehangen, aber hier mit einem Male war es ihm gewesen, als griffen unheimliche Mächte nach der Freiheit seines Menschen­

tums, als verlange die Sphäre Roms jetzt plötzlich ihr Opfer

dafür, daß sie dem Fremden Heimatrechte verliehen hatte. Er

kam sich vor wie in einem Labgrinth gefangen: wo war er denn?

Wer waren jene beiden? Oer Ältere von fürstlicher Haltung, der ihm so gewinnend entgegengekommen war und dabei von

einer unbegreiflichen Bewegung durchzittert schien? Oie scharlach­ roten Äbzeichen an seinem schwarzen Gewand, das gebietende Auftreten hier: der Herr der Billa d"Este war es, muhte es sein,

der Kardinal Prinz Hohenlohe, der Freund und hingebende Ver­ ehrer Pius" IX. und sein Vertrauter in den Momenten mgstischer

Erhöhung des Papstes, von denen die Sage ging. — Oem Maler wirbelten die Sinne: Was denn konnte seine Person dem

Manne hier gelten, der zuvor doch keine Kunde von ihm gehabt zu haben schien? Oae Angewitter einer gewaltigen musikalischen Kadenz, von der Höhe des ragenden Schlosses herab in den abendlich geruh­

samen park, schlug die quälende Wirrnis der Halluzinationen in ihm wie mit ehernen Fittichen nieder: Nicht er war der Ge­

fährdete — um jenen dort war es der Kirche zu tun, in ihm, so schien es, kämpfte sie den letzten, entscheidenden Kampf wider die Dämonen. Franz Liszt war das! Er hatte ihn, der aus der

Öffentlichkeit längst zurückgetreten war, obwohl er doch nicht ohne sie sein konnte und ihr seine Kunst gern schenkte, wenn es

galt wohlzutun, niemals gehört. Aber wer denn sonst sollte es

sein? So Herrscherhaft konnte doch am Flügel nur ein Einziger sich geben, er, der schon bei Lebzeiten den Menschen zur mythischen Persönlichkeit geworden war von dem Tage an, da Beethoven

die Stirn des Knaben geküßt, gesegnet hatte, und dessen Lebens­ sabel, Legende halb, halb Wahrheit, von Mund zu Munde ging:

Franz Liszt, dem in der Stunde seiner Geburt bedeutungsvoll genug ein Komet geschienen und ihm, ihren künftigen Eroberer zu verkündigen, in der Welt vorangegangen war- der Liebling

aller- er, um dessen Hand sich zu erwirken, doch erst jüngst eine fürstlich hohe Frau nach Rom gekommen war, ein Machtwort des

Papstes zu erflehen gegen den Widerstand von Heimat, Familie und romantischen Intrigen- war er nicht bekannt auch als der

Freund des deutschen Kardinals? Ihn, den Leuchtenden, um­ schlich Gefahr)

Es zog den Maler an allen Nerven, hinaufzuspringen und ins

Schloß, den Anbekannten zu warnen, zu retten- noch gebot jener als ein Heroe im Königreiche seiner Kunst, morgen sollte er

Sklave werden, entselbstet im Fron einer überpersönlichen Idee. Aber eben seht breitete sich, im äußersten Gegensatz zu dem wild stürmenden Aufbegehren aller Gefühle und Leidenschaften, ein

süßer Frieden aus in sich verhaltener, reinster Harmonien, ein

Regenbogen vor dunkler Wolkenwand sich spiegelnd im fluten­ den Element seiner Kunst. Meister Anselm wagte nicht, sich zu rühren. Wehrte er, wenn er in seinem Atelier schaltete, nicht auch

jeder fremden Zudringlichkeit und ließ die Leute an die ver­ schlossene Tür pochen? Wer würde es wagen, ihm Pinsel und

Palette aus der Hand zu nehmen, wenn er am Werke war? Oer Genius jenes Mannes dort hielt furchtbar ernste Zwiesprache mit

seinem Gotte — und er sollte dreinreden? Gefesselt blieb er stehen, am Ende ganz dem Zuhören hingegeben,

dem Wunder, das vor seinem eigenen muflkgebürtigen Sinn

geschah. Eine Phantasie war es, die sich im wechselvollen Zuge weiterspann,

eine momentgeschaffene,

in welcher

altbekannte

Themen auftauchten und mit eigenen Motiven des Meisters, die

ihm bedeutungsvoll geworden sein mochten, sich verschlangen.

Niemals hätte Feuerbach einem Klavier einen so breiten, ein­ fachen Gesang langklingender gebundener Töne zugetraut, nie­

mals eine solche sgmphonische Allmacht. Dem Instrument, das nicht das beste schien, war dieses Klangwunder keineswegs zu danken- Liszt war es, dessen Senfltivität auf magische Weise den

spröden Mechanismus zu beseelen vermochte in dem einzigen Be­ dürfnis, dem Unaussprechlichen /einer Mannesbrust Stimme,

Ausdruck, Leben, Leben um jeden preis und sinnliche Gegen­ wart zu verleihen.

Ein Bekenntnis hatte der Kardinal diese Musik genannt. Wie

die Bässe in Oktaven langsam auf und nieder stiegen: sehr feier­ lich, sehr bedeutungsvoll! Oer Flügel schien zur Orgel zu werden,

über der sich geisterhaft die gotischen Vogen einer ehrwürdigen

Kathedrale wölbten. Deuteten sie das Verlangen junger Birtuosenjahre nach einer reinigenden Wiedergeburt an, nach einer Heiligung durch die Kirche, nach einem Wirken und Kämpfen für sie, ja, bis zum Martgrium für sie als Missionar? 2lber dem

ersehnten Oornenkranze entsproßten unmerklich Rosen, zu Rosen ward, was er berührte, Himmel und Erde ein einziges holdes,

von Engelstimmen begleitetes Rosenwunder, dem gleich, das einst Elisabeth zur liebenswertesten Heiligen verklärte.

In die Kontrapunktische Bewegung der Bässe und Soprane

kam Rnruhe, Dissonanzen tauchten auf und wurden als solche

betont. Reue Themen drangen mit fremden Rhgthmen leiden­ schaftlich hervor, heftig hingeworfene Rotenbüschel und Melodien­

reihen in Terzen jagten durch den ganzen, weltweiten Rmfang der Töne zwischen tiefstem Baß und Diskant. Wo war die innig

schlichte Pracht der Morgenfeier dieses Lebens hin? Was alles

stürmte auf es ein, zerriß es, drohte es zu verschlingen! Fernher wohl mahnte zuweilen noch Orgelton, ja Posaunenschall schien

sich ihm manchmal zu gesellen, um über die einander überstürzen­ den, hastenden, suchenden, immerfort suchenden Zwischenspiele des Irdischen hinweg in seinem Herzen sich Gehör zu verschaffen.

Was wollte werden? Was bereitete sich vor in dem ungeheuren Heraufbrausen und Mrollen dieses Ozeans von Tönen?

Eine Pause trat ein, ein 2lugenblick angstvoller Erwartung wie vor Blih und Untergang. — And da — einfältig fromm wie

ein Wiegenlied, schlichter fast noch als es ihnen einst die Mutter

vorgespielt und sie als Kinder, die Schwester und er, einander neckend es sich aus Hecken und Lauben des elterlichen Flieder­

gartens zugerufen, — leicht und unbeschwert kam es daher, das ^Reich mir die Hand, mein Leben", in seiner Anspruchslosigkeit

nur um so rührender und unwiderstehlicher. Eine Vnschuld, eine

Unversehrtheit der Empfindung sprach aus diesen paar Tönen,

die überwältigender war als das ganze Pathos eben zuvor. Aber man spürte auch, wie es dem Meister selber, sein Thema zärtlich

paraphrasierend, am Herzen lag, wie er es ängstlich behütete, wenn da oder dort ein ungezogener Laut es gleichsam am

Flügelchen zupfen und es verführen wollte. Aber es wuchs doch und entwuchs unmerklich der ängstlichen Hast- es wurde groß, es machte sich frei. Dem Knaben Euphorion

gleich schlang es sich scherzend durch Mädchenreihen ^Reich mir die Hand". Es warb, es gewann, es gefiel sich im Spiel: ^Kannst du noch widerstreben?" And weiter ging es, tändelnd, tanzend, stürmend hinaus in die offene Welt. An jeden schien es gerichtet,

aber nirgends verweilte es sich. Am Ende ward es sich seiner

Anwiderstehlichkeit selber bewußt, der liebkosende Reiz der Wer­

bung vermochte herrisch zu werden- aber sein Zauber gewann nur an zwingender Kraft. Das war Euphorion nicht mehr, nicht mehr der Don Juan Mozarts in all der ritterlichen Art und An­

art seines so selbstverständlichen Egoismus. Dieser hier schien ein

Dämon zu sein, der, von Engelespeise einst genährt, jedwedes Herz zu fassen wußte, wo es am reinsten empfand. ^Reich mir

die Hand!" Was ihm verfiel, verging an der Glut seiner Brust in Flammen. Rote Flammen hinter ihm her bezeichneten die

Spur seiner Schritte. Ein Flammenmeer bald ringsum die Welt!

And überall fast gleichzeitig das immer unbefriedigte, das immer rasendere VReid) mir die Hand! Reich mir die Hand!" Ver­

gebens, daß sonorer Orgelklang noch ein paarmal das Gedenken früherer Zeiten heraufbeschwor: er wurde verschlungen von dem

mänadischen Blutrausch der Sinne.

Feuerbach war vor der wilden Jagd entfesselter Disharmonien wie vor einem körperlichen Angriff zurückgewichen. Mit Mühe nur hielten seine anklammernden Hände sich am moosigen Stein

der verwitterten Treppenbrüstung hinter ihm. War das dort am Klavier derselbe Mensch, der eben noch mit Kinderlauten ihn bis

ins Herz getroffen, und diesen Wahnwitz nun heraufbeschwor? Wohl hatte er, als die Sehnsucht jenes Mannes nach Reinheit

der Empfindung und Gestalt in Widerstreit mit der Welt kam und fein Schönheitswille im fgmphonifchen Ringen immer härter

bedroht schien, voll Spannung und Mitgefühl der Ballade dieses Lebens zugehört. Aber der hemmungslose Triumph des Sinn­

lichen war feiner Art im Tiefsten fremd. Mehr noch: er fühlte sich herausgefordert, als gälte dies freche -Reich mir die Hand" auch ihm, ihm ganz persönlich. Es klang ihm wie Hohn auf die Einsamkeiten seines Lebens. Was wollte der da von ihm? Warum umtanzte gerade ihn der toll gewordene Reigen wie eine

Indianerhorde ihr wehrloses Opfer?

Wehrlos! Das war's! Er ballte feine Hände zu kraftlosen

Fäusten, er spürte, daß er im Kampfe, Mann gegen Mann, unter­ liegen würde. — Aber andere Waffen waren es, mit denen er

stritt, aus die er sich verlaffen konnte! Er warf den Kopf empor

wider den imaginären Feind mit einem Blick, in ^welchem all das jugendliche Selbstbewußtsein seiner Ideale lag und alles

Verantwortungsgefühl gegen sie, das ihm von der Welt so oft als Selbstüberhebung und Hochmut eines überzüchteten Epigonen­ tums gebeutet wurde. Wäre doch jetzt das Gorgonenhaupt in feiner Hand, daß er es, dem leuchtenden Lebensführer feines

Vaters, dem Vatikanischen Apollo gleich, dem Anwesen jenes Gezüchts entgegenhalten

könnte,

daß

es

vor

ihm zunichte

würde! Mit einer unwillkürlichen Gebärde des Schauders, als gälte es die schamlosen Angriffe solcher Verführung von dem

lichtgezeugten Geschlecht seiner eigenen künstlerischen Phantasie

fernezuhalten, stieß er mit seiner rechten Hand in die leere Lust

gegen den Hexensabbath der Schemen jener Ankunst. Umsonst! Der Spuk wollte nicht weichen, das unersättliche

-Reich mir die Hand" nicht stille werden. And gräßlicher als alles dies: Der Maler fühlte plötzlich etwas wie Widerwillen

gegen die heilig gehütete Schar feiner eigenen Werke, als würden

jle ihm selber mit einem Male fremd und wendeten sich feindselig

von ihm ab. Oie hehre Keuschheit ihrer Gebärden und Blicke, in deren Gestaltung sein unbeirrter Idealismus höchste Wonne

empfunden hatte, sie war es, die sie ihm zum Borwurf zu machen und gegen einen einzigen Tropfen jenes bacchantischen Sinnen­ rausches herzugeben bereit schienen. Das Widerspiel der verhaßten

Glut entstellte sie alle ihm zu Lemuren. And mit ihnen unrettbar auch sie — auch sie englitt ihm, Nanna, die durch die Hoheit seiner Visionen der Liebe ihm entrückte Geliebte! Gr sah mit

einem Male ihren Blick, den er damals, ihre Hand auf seinen

Locken, nur unbestimmt gefühlt gehabt, er sah ihn jetzt so deut­ lich, den fragenden, traurig langen Blick und hörte noch einmal ihr -Anselmo —V, die seltsam vibrierende Stimme, die seinem

Namen liebzutun gedacht und der er selber Schweigen geboten hatte. Laut auf schluchzte er und leidenschaftlicher noch als da­

zumal. Er fühlte, wie er sie zum zweiten Male hier verlor und

unwiederbringlich nun; wie es sein Herzblut war, das aus un­ heilbarer Wunde ihr nachfloß, und erkannte, über alles höllische

Blendwerk des Augenblicks hinweg, seinen Lebensweg und wie

er sich in immer fahlere Einsamkeiten wie in herbstkühle Nebel

bohrte. Er riß den Kopf hoch und starrte mit Augen eines Ansinnigen

um sich: Nacht war geworden, mondscheinbleiche Nacht über den Terraffen und schwarz ragenden Zgpresienwipfeln, die gleich

düstern Opferflammen, durch ein Zauberwort gebannt, des un­

gewissen Augenblicks der Lösung und Erlösung harrten, park und Nacht in drangvoll feierlicher Spannung. Ein kühler Luft­ strom

aus

der sibyllinischen Anterwelt der Wasserschluchten

Tivolis fern herübergeführt, ging sanften Zuges wie eine Hand,

die über schwere Seide fährt, an dem schlanken Leib der ver­ zauberten Stämme hoch. And die schwarzen Wipfel erschauerten

wie im Traume und regten sich und wanden sich in ahnungs­ voller Lust.

Anselm Feuerbach ward es zumute, als schwankten die ewigen Säulen der Welt, als höbe der Boden sich unter seinen Füßen

um dieses alles im Sturze zu zerschmettern, dem unersättlichen Moloch der Töne dort zum Triumph. Da packte es ihn und er

enfloh, die Götter, seine heiligen Götter von ihren bedrohten

Altären mit sich in der Einsamkeiten letzte zu retten. Er hörte nicht, wie das durch die Welt rundum süchtige „Retef)

mir die Hand" plötzlich aus Traumgual aufschreckte und die paar Töne, gleichsam in einen Abgrund völliger Stille unter­ sinkend, ihres Alleinseins mit einem Male gewahr zu werden schienen und, eine Kinderstimme verloren in der Nacht, ine bange

Leere riefen. Er hörte nicht mehr, wie, nach einer kaum noch zu ertragenden, in ihrer brünstig hinsterbenden Länge furchtbar be­ redten Pause wiedergeboren, sener dort am Klavier, ein anderer

und doch sich gleich, noch einmal begann und aus Orgelklängen

der Bässe in immer grandioser ausgreifenden Akkorden sich seinen Heiland am Kreuz auferbaute, Zuflucht und Trost der ihm

sonst unerträglichen Einsamkeit seines Genius- hörte nicht mehr, wie er vor dem Bild und Ebenbild seiner Sehnsucht hinsank, des einzigen Augenblicks angstvoll gewärtig, daß der am Kreuz

in ihm sich erkennen und zu ihm neigen werde und sprechen: „Reich mir die Hand — mein Leben."

Eine geraume Weile war vergangen. Oie Terrasse lag leer da

wie eine Bühne, auf der ein Trauerspiel zu Ende gegangen ist.

Doch aber regte sichre noch. Aue dem Hintergründe trat die Ge­ stalt des Kardinals hervor. Schleppenden Schrittes, den Rücken

unter dem fein gefälteten Liniensptel des von scharlachrot- und goldener Kordel gehaltenen römischen Mäntelchens gebeugt wie

von der fühlbar gewordenen Last der Jahrzehnte, wankte er über

die von Mondenlicht und Schatten gestreifte Fläche des Altans, die sich wie ein Parkett von Elfenbein und Ebenholz unter seine Füße breitete, in Llnrast erschöpft dahin. Schwer drückte seine

Hand die eingesunkene Brust, vielmehr umklammerten die blaffen

Singet das goldene Kreuz, das, seinem Herzen nah, ihn auf die Knie zwingen zu wollen schien. Lautlos sein Schatten folgte ihm der junge State, festen Süßes und Nackens sein Wächter ehet

als sein Knappe. »llnö darf ich es denn? —", begann der Kardinal wie im

Selbstgespräch. „— Ihn zum Priester weihen? — zum Entsagen­

den? — den Künstler —?" -Oie Kirche hat entschieden", ließ der State sich vernehmen. Oer Ton der unverlangten Antwort machte den Alten aufhorchen. Anter den gespannten Lidern musterte ein langer Blick den un­

durchdringlichen Ausdruck des formenstrengen jungen Antlitzes.

Seiner Seinde in der Kurie und ihrer Intrigen wohl bewußt: Wem dient der? — wem gehorcht der? schoß ihm die Stage durch den vielerfahrenen Sinn. Er hatte sich aufgerichtet, war wieder ganz Kardinal, ganz der Sürst geworden, und von seiner viel­

gerühmten anschmiegenden Liebenswürdigkeit war nicht mehr zu spüren, als sie der Noblesse seines Wesens unverlierbar war:

-Soll ich von deiner jungen Weisheit, Monflgnorino, Menschen­ tum lernen und Menschenpflicht?"

-Ich weiß nur von den Geboten der Kirche, Eminenz." Auch

des Jünglings asketische Heldengestalt hatte sich aufgereckt.

-And- wenn die Kirche diesmal Gründe hätte, die Ausführung ihrer Befehle nicht übereilt zu wünschen?" gab ihm der Kardinal

zurück, den Dialog damit zu endigen. -Dann wird der fahrende Musikant eben doch fürstliche Hochzeit

halten und die durchlauchtigste Prinzessin Hohenlohe in ihm den neuen Gatten ihrer Mutter zu ehren haben", kam es kalt von

den Lippen des Sizilianers.

Oer Kardinal zuckte zusammen- ein Augenblick verstrich und

noch einer, häßlich und wirr. — -Ou bist grausam, mein Junge—

grausam wie ihr Italiener alle." — Er wußte nicht, wie es kam, aber die Mühsal einsamen Alterns übermochte ihn mit einem

Male, als habe ihm einer aus der Hand sein Schicksal gedeutet.

Er mußte daran denken, wie man ihm, dem Gegner der Jesuiten, dem stete vor ihrem Gift besorgten, diesen ihren Zögling nahe­ gebracht und seine eigene weiche, schwärmerische 2lrt sich zu der

herben Jugend des Anbekannten sgmpathisch hingezogen gefühlt

und er ihn in sein. Haus ausgenommen und zum allzu Vertrauten gemacht hatte.

Oer Junge hatte den Blick des Herrn, bis er ins Weite sich

verlor, fest ausgehalten: auf seinem Wege, er fühlte es, war ein

Schritt vorwärts getan. Jetzt löste sich die dunkle Spannung in einer unerwartet anmutigen Bewegung, mit der er an den Kardinal herantrat und ihm beflissen das Mäntelchen über beide

Schultern zusammenzog: „(Es wird kühl. Eminenz sollten den Garten verlassen/

Oer Fürst sah in die grauen Augen unter dem schwarzen Locken­ haar, wie sie ihm kaum merkbar zulächelten, und ein warmer Hauch von Jugend flog über sein fröstelndes Herz.

,Ich will beten, daß mir morgen die Kraft werde. — Deinen Arm, Fratino, wir wollen gehen/

Oie letzten Lichter in den Fenstern waren erloschen, eine ver-

baltene Stille lastete über her Billa d'Este. Draußen aber senseits der Mauer des Parks, der sich gegen das

Städtchen lehnt, herrschte in den Gaffen noch Leben und Be­ wegung der erwünschtesten Mondnacht. Aus den gleichgültigen Geräuschen friedlicher Geschäftigkeit drangen ein paar schüchterne

Mandolinenlaute hervor. Ein Kind schien mit unsicheren Fin­ gern auf dem Saitenspiel sich eine Melodie zusammenzusuchen,

die ihm gefallen haben mochte. Aber das Instrument wurde ihm offenbar genommen- es gab einen kurzen Wortwechsel — dann

klangen die Saiten wieder, nun aber von nervigen Fingern kraft­ voll gerührt: ein paar Griffe, Akkorde, ein Summen dazu, ein

probieren, ein Treffen: und klar und seiner selber froh erhob ein

Bursche seinen wohllautenden Tenor, das -Reich mir die Hand,

mein Leben", das er vorhin wohl vom Schlosse her vernommen hatte, in die schöne Nacht hinauszuschmettern. Seinem Mando­

linenspiel gesellten sich unversehens Gitarren, und die Stimmen andrer Jungen fanden sich zum rasch improvisierten Lhorgesang.

Der Tert war ihnen fremd wie die Melodie, aber aus dem all­ gemeinen fröhlichen Tra lala la la la la gestaltete sich bald genug Begriff und Wort heraus und der „bei amore* ward in

immer neuen Varianten angerufen. Man blieb dabei nicht auf dem Fleck stehen, man setzte sich in marschmässige Bewegung mit

unbestimmtem Wanderziel, vielmehr es ging durch die ganze

Stadt vom Fenster der einen Schönen hin zur nächsten und so fort und weiter in der gesegneten Nacht. Wer aber das Lied so

durch die steinernen Gänge der Nacht verhallen hörte, der konnte meinen, die Kohorten der ewigen Jugend seien es, wie sie geraden Weges stürmend in die eigens für sie breit geöffneten Pforten des

Paradieses drangen.

Sein Sommernachtstcaum ($ f n Preußisches KönigsblId

Oie Rückkehr von Ferch Oie unbestrittene Sonne eines rechten Hochsommertages hatte

fast allzu hell auf die leicht gewellte Weite des Schwielowfees

geschienen und die stillen, melancholischen Reize seiner märkischen

Weltabgelegenheit eingeschläfert. Es war zwischen Mittag und

Abend die Stunde, da Farben und Leben der aufatmenden Natur wiederzukehren beginnen, um sich dann langsam zu verklären,

zu vertiefen und wie in Gold zu vollenden. Ein in seiner unbe­

rührten Anspruchslosigkeit großartiges, sa nahezu feierliches Bild

war es, das vor den Blicken der erlesenen Gesellschaft ausgebrei­

tet lag, die auf dem mit Erlen, Eichen und jungen Akazien be­ standenen kleinen Hügel inmitten des unter seinen Obstbäumen

lauschig versteckten Dorfes Ferch hart oberhalb des Schilfufers versammelt war, um diese von dem gepflegten künstlerischen

Sinne des neuen Königs bevorzugte Aussicht zu genießen. Das wie mit einem spitzen Bleistift hingezeichnete Landschaftsbild,

der Knappe Schwung dieser langgestreckten Linien kaum unter­ brochener dunkler Kiefernforsten und Höhenzüge und der frisch­

grün und seidig wechselnden Schilfbuchten längs der metallisch blauenden Wasierbreite ließen gewiß nicht an die beliebte Ro­ mantik der Rheingegenden denken und noch weniger an die üppige Mannigfaltigkeit oberitalienischer Seen, die etlichen vom

königlichen Gefolge dort auf dem Fercher Sandhügel bekannt

waren. And dennoch durste diese stille Havellandschast in ihrer

urtümlichen Gelassenheit und herben Anmut neben solchen Gr,

innerungen wohl bestehen. Vielleicht war es das Gefühl, mitten aus dem Getriebe der großen Welt sich wie mit einem Zauberschlage in diesen frieden­

vollen Winkel versehen und dabei doch ihr ferner Zuschauer und Meister bleiben zu können, was Friedrich Wilhelm IV. mit tie­

ferer Absicht und Befriedigung heute zum ersten Male seit seiner Thronbesteigung an seinen alten Lieblingsplah geführt hatte.

Man merkte seinen aufmerksam diese wie mit einer zitternden Hand hingeschriebenen Umrisse der waldigen Höhenreihen ab­ tastenden Blicken an, daß sie trotz ihrer Kurzsichtigkeit in dieser

Landschaft Bescheid wußten und nach immer wiederholten Gän­ gen zwischen Llfer und Äser, dort wo der Wildpark die Ferne

abriegelt, nach einem neuen Ausweg ins Weite suchten, wie das Auge selbst aus der schönsten Meeresbucht immer wieder zum

freien Horizonte hinaus verlangt. Seine Gesichtszüge, die unter

der breiten Wölbung des bei schwindendem Haarwuchs geschickt

frisierten Schädels etwas kleinlich zusammengezogen wirkten, die von kräftigerer Wurzel spitz herausfahrende kleine Vase mit den

merkwürdig sensitiven Nüstern — die Vase der Königin Luise — über dem fein gezeichneten Munde, der so gut zu reden und

zu spotten verstand, das runde, selbstgefällige Kinn, diese Züge,

denen bei einer leise beginnenden, unverkennbaren Gedunsen­ heit noch etwas anmutig Jugendliches, fa etwas vielleicht sogar bewußt Gefälliges eigen war, nahmen fetzt eben den Ausdruck

der Spannung an, als wenn er der Lösung des gestellten Rätsels

auf der Spur sei, einer Spannung, nicht ohne ironische Vberlegenheit, die plötzlich wie in einem Rausche enthusiastisch auf­ schnellte.

„Sehen Sie, was da fehlt, polte Gerlach? Oder Sie, Thile?

Oder Sie, Gröben?" Oie Blicke der Angeredeten gehorchten etwas verdutzt der befehlend in die Ferne deutenden Hand des

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Abb. 3 : Schinkel Entwurf zur Nikolaikirche in Potsdam

2lbb.

4:

Friedrich w ild e lm I V, S chloß entw urf

Königs und verfolgten dann einen Fischreiher, der soeben, von der Wasserfläche mit starken Schlägen aufsteigend, in stolzem

Fluge himmelan über der Llnermeßlichkeit seines Reviers ent­ schwand.

„Nec soll cedit“, spottete der Herrscher, der sich von seinen Ge­

treuen wieder einmal nicht verstanden wußte. Dann plötzlich

ernst werdend und fast im Tone des Bedauerns, wiederholte er: „Nec soll cedo. Jawohl, so steht"s auf der Wetterfahne oben auf

dem Turme unserer Garnisonkirche, der sich dort mit allen seinen

militärischen Zeichen und Trophäen so derb gegen den Himmel

aufreckt. ,Oer Soldatenkönig hat mich erbauen lassen/ — Seht

ihr es nun, was daneben fehlt?"

Aller Augen richteten sich in die fernste Ferne hinaus, wo die Umrisse der Höhen und der Waldungen sich von beiden Seiten

nach der Mitte zu senkten und streckten und weit draußen am

ebenen Horizont, vom idgllisch entrückten Ferch aus gesehen, gleich einer Fata Morgana des realen Lebens, das feine Stadt­ bild des königlichen Potsdam stand. »Jcf) werde es euch auf die Lippen legen: links also ist die Garnisonkirche", belehrte der Monarch die aufmerksame Gesellschaft,

»etwas darunter das zierliche Säulentempelchen des Militär­ waisenhauses, nach rechts hin — nichts, gar nichts — dann die

Heiligegeistkirche und, daß ich es nicht vergesse, der Schornstein

der Iacobgschen Zuckersiederei, der erste Industrie-Obelisk, um

mit Freund Schinkel zu sprechen, der von dergleichen in England ja Wunderdinge zu erzählen weiß, in unserem Potsdam/ Oie

Bestimmtheit, mit welcher der König die einzelnen Punkte mit

dem Lorgnon bezeichnete, bewies, wie völlig er sich auf seine Borstellungsgabe verlassen konnte, und wie sein geistiges Auge

sich dem immerwährenden Genuß ihrer wechselnden Bilder hin­ zugeben gewöhnt war. »Was fehlt also dort, damit das Bild von Potsdam, damit dieses ganze wundervolle Landschaftebild seinen idealen Mittelpunkt bekommt? — Oie kuppel fehlt aus

der Nikolaikirche! So, wie der sparsame Sinn meines unvergeß­

lichen Vaters dies von Schinkel wohlgedachte Predigthaus vor drei Jahren notdürftig hat sertigstellen lassen, ist es ein Torso, ein heroischer Rumpf, dem das göttliche Haupt fehlt, ein An­

blick, der mir täglich Schmerz schafft, mich unglücklich macht!" Oer König, der mit starker Betonung, jedes Wort gewissermaßen

unterstrichen, wie er es liebte, gesprochen hatte, fuhr plötzlich mit einer scharfen Bewegung seines etwas fülligen Leibes herum: ^Wo ist Schinkel? Ja, wo steckt er denn? Er ist doch vor zwei

Tagen aus Meran zurückgekommen, und ich denke, die Mol­

kenkur hat ihn völlig wiederhergestellt. Ich habe ihn zu diesem Ausflug heute ausdrücklich bestellt- ja, ich mache diese ganze

Fahrt eigentlich nur seinetwegen — und er verseht mich! Ja, was heißt denn bas?!* Oie sich jäh steigernde Erregung, die

einer Explosion zuzutreiben drohte und mit Hemmungslosigkeit

eigentlich kaum noch völlig zu erklären war, befriedete sich unter einem langen Blicke der Königin, die plaudernd seitab gestan­

den und den kleinen Vorfall beobachtet hatte, ebenso rasch wie­ der, und mit vollkommener Beherrschung sah Friedrich Wilhelm

einen vom

Gefolge

nach

dem

andern

an:

„Wo

ist

also

Schinkel?"

Fürst Wittgenstein, der alte, noch im Amte verbliebene Haus­

minister des verstorbenen Königs, dessen kalte, berechnende,

etwas nach der Regierungsmethode seines österreichischen Kol­ legen Metternich geartete Behandlungsweise höfischer wie poli­

tischer Oinge, die zu der religiös so überaus gesteigerten Lebens­ führung des neuen Herrschers und seiner Männer sich nicht recht schickte, der alte Fürst fing den fragenden Blick des Herrschers

nicht auf und schien sich lediglich der schönen Ratur zu freuen.

Generalmajor Graf Gröben hingegen, auf jede Gebärde des in

der Tiefe seines alten Preußenherzens treu verehrten Herrn auf­

merksam, stammelte in seiner nie versagenden, wahrhaftigen Lie­ benswürdigkeit einige Worte, die den abwesenden Künstler ent#

schuldigen sollten, wandte sich aber, da er ja doch von nichts wußte, weiter an den General von Thile, dessen Ernennung zum

Kabinettsminister in den nächsten Tagen zu erwarten war, und der daher für alles Rat zu schaffen hatte. Dem kleinen, unschein­ baren Mann kam diese doppelte Aufforderung zu einer Erklä­

rung offenbar unangenehm, aber peinlich gewissenhaft, wie er nun einmal war, mußte er wohl tapfer stillehalten und sagen,

was er wußte oder doch vermuten zu müssen meinte. ,5cf) bitte

um Vergebung, wenn ich irre. Aber vielleicht erinnern sich Ew. Majestät der Worte, die Sie an den Herrn Oberlandes­

baudirektor Schinkel bei der einzigen Audienz, die Sie ihm seit der Thronbesteigung gewährt haben, richteten. Herr Schinkel,

damals vielleicht schon erholungsbedürftig, war ohne Urlaub verreist gewesen, als Sie unmittelbar nach dem Hingang wei­

land Seiner Majestät des verstorbenen Königs nach ihm ge­ schickt hatten. Es waren, Verzeihung, wie man mir sagte, harte Worte, die Herr Schinkel von seinem neuen Könige zu hören

bekommen hat. Vielleicht, daß der empfindliche Mann —/

^Meinen Sie, Liebster?" Friedrich Wilhelm, der mit der ihm

eigenen wahrhaft königlichen Noblesse gegen die Kante der Mooshütte hinter ihm gelehnt stand, die Beine gekreuzt, die

Hände mit Lorgnon und Taschentuch nachlässig übereinander

gelegt, hatte zngehört, die Augen etwas verschwommen leicht

über den Redenden hinweg ine Weite verloren. Run schnitt er ihm das Wort ab. "Sie irren! Ich brauche Schinkeln Erklä­ rungen meines Mißfallens nicht in einem samtenen Einband

et dore en tranches übermitteln zu lassen. Wir sprechen teutsch

miteinander und verstehen uns, ich und Schinkel!"' Er stockte

einen Augenblick. Ein unbeschreiblicher Ausdruck, ein gewin­ nendes, ja hinreißendes Lächeln, fast noch wie eines Knaben,

der eben fchmosste und nun um etwas bittet, flog über fein ner­

vöses Gesicht, als er fortfuhr: »Kein Fürst noch hat mit seinem Architekten so gestanden wie ich mit Schinkeln. Wie oft nicht

habe ich ihm, wenn er in Verzweiflung darüber untergehen

wollte, daß alle seine herrlichen Projekte Papier und Zeichnung bleiben müßten, zugerufen: ,Kopf oben, Schinkell Wir wollen

einst zusammen bauen!' Vor diesem Zauberwort schwand alle Trübsal. Was der Kronprinz von Preußen versprochen hat, wird der König nun halten. Schinkel ist ein Teil meines Selbst, vielleicht mein reinstes, mein glücklichstes — ich bin ein Teil von ihm, vielleicht sein Leben, seine Zuversicht. Seht doch unser

kleines Sommerhäuechen an: wer will entscheiden, was er dazu getan hat, was ich? Oer eine sprach ein Wort aus, der

andere fand den Reim dazu — und so fort Jahr um Jahr, so­

weit das Taschengeld reichte, bis am Ende das Sonett ,Char-

lottenhosi fertig dastand/ General von Gerlach wandte sich unauffällig zu dem neben ihm

stehenden Generaldirektor der Museen von Olfers und flüsterte

ihm ins Ohr: »Tla, wenn dem Manne heute die Ohren nicht klingen —x. Friedrich Wilhelm hielt inne. Er hatte sich in Ergriffenheit ge­

redet. Roch einmal glitten seine Blicke über die glimmernde

Wasserbahn nach der Ferne, nach Potsdam. Seine Gedanken

bauten offenbar an der unvollendeten Kuppel des Freundes. ^Herrlich! Herrlich!" Sinnend hob er den Kopf empor. Oa

waren es die graziösen Büschel hellgrünen Akazienlaubes, die

sich ihm von phantastischem Geäste entgegenneigten, daß er sie liebkosend umfassen mußte — war es doch unter allen sein Lieblingebaum —: ^Ach, die Akazien! Sie blühten und welkten dies

Jahr unbeachtet dahin, als mein unvergeßlicher Vater und König zu seiner Ruhe einging/ Oie Stimme versagte ihm, als er von

dem teuren Toten sprach. Königin Elisabeth, auf den Stand der Sonne deutend, mahnte

sacht zum Aufbruch, paarweie und einzeln trat man zwischen den Stämmen den Rückweg von der kleinen Anhöhe gegen das Oorf und den Landungsplatz des königlichen Dampfschiffes an.

Oer branstige Kieferngeruch heißer Sommertage lag mit schwe­

rem Aroma über dem in seine Obstgärten unter uralten Wetter-

eichen geduckten Ferch. Anter ihren tief herniederhängenden be­ moosten Strohdächern blinzelten die alten, wie mit verwässerter Milch oder wohl auch Waschblau oder schimmligem Grün an-

gestrichenen Häuschen über den verwilderten, etwas stickigen Flor ihrer mit Phlox, Georginen, Malven und reifenden Hage-

buttensträuchern

überfüllten Vorgärten nach

den

vornehmen

Gästen, die mühsam in dem lockeren Sande unter den früchte­

schweren Ästen der Birnbäume und dem erschlafften Laube der

allzu üppigen Holunderbüsche dahinstapften. Oer Gemeindevorsteher, der das Königspaar bereits bei seiner Ankunft mit einer mühsamen Begrüßung gelangweilt hatte, glaubte sein Völkchen auch zum Abschied würdevoll vertreten

zu müssen und hielt sich dicht auf der Fährte des Monarchen, während die Oorfsugend, lauter Flacheköpfe mit roten Backen und Vasen, nebenher schwärmte und der geduldig zugreisenden

schönen Königin zerdrückte Blumensträußchen in die Hand

steckte.

Anter dem Eindruck der eigentümlichen Atmosphäre dieser ge­

deihlich-schläfrigen Natur des Ortes wandte sich Friedrich Wil­ helm am Afer plötzlich gegen den unentrinnbaren Mann und

schlug ihm, seiner gefürchteten Ansprache zuvorkommend, kräftig auf die Schulter: -Mit Wasser, Fleiß und Rindermist Wird märkischer Sand zum Paradies! —

Dixi et salvavi animam meam/ Damit ließ er, indem er über den Laufsteg an Bord ging, den Armen in völliger Verwirrung

stehen. «Ce ne sont pas les beaut^s de la Seine, madame, que je puisse vous presenter», richtete er nun auf dem Schiff das Wort an

die Generalin von Luck, eine geborene Französin und vollkom-

mene Vertreterin des royalistischen Hochadels vom Faubourg St. Germain, an deren geistreicher und beweglicher Konver­ sation er einen besonderen Reiz fand, zum heimlichen Verdrusse Alexander von Humboldts, der die Domäne /Paris' bei Hofe für sich allein beanspruchen zu dürfen glaubte- auch mochte der König sich in seiner eleganten Beherrschung der fremden Sprache gefallen. «Au lieu de Meudon, de St. Cloud et de St-Germain ce sont le Kietz, le Küssel, le Kiewitt et voici le Wietkieken qui se miroitent dans les tristes vagues de la Havel. Mais patience, madame, et nous nous promenerons ici dans les jardins d’Armide, nous deux qui gardons le secret de ne pas vieillir, nest-ce pas? Le coeur et les yeux toujours ouverts et prets a s’emparer en chaque moment de la felicite.» «Ah, les splendeurs et les beautes de ma pauvre France!» gab die weltkundige Frau mit anmutigem Ernste zurück. «Elles se fanent, Sire, depuis qu’un esprit sublime ne les ranime plus. C’est ici que dans tout ce qui subsiste ou va naitre je sens la main benigne d’un roi et d’un pere.» Friedrich Wilhelm machte lächelnd eine Bewegung, als wollte er ihr den Vortritt auf den Stufen, die zum kleinen Oberdeck führten, lasten- aber Frau von Luck deutete mit einer reizenden Neigung des Kopfes auf die Königin, die die Damen im Son­ nenzelt um sich versammelte. Auch mochten all die schönen Frauen, obschon sie noch das Schwarz der Hoftrauer trugen, vor dem ängstlichen Moment, wo die Maschine einsehen und einen abscheulichen Sprühregen von Ruß und Anrat auefauchen würde, im geheimen zittern. Es war dem Könige wohl auch lieber, denn so konnte er das Glück dieser freien Stunden im engeren Kreise vertrauter Männer mit gedankenreichem und schöpferischem Ge­ spräch verbringen. Fühlte er doch ohnehin seine Seele heute über­ voll und nach Bekenntnissen drängend. „Merkwürdig, diese Französinn en \” warf der Herrscher hin, als er die erhöhte Plattform über den beiden Wellenrädern betreten

batte. »Die Luck hat doch immer die richtige Witterung! 2lls

ob sie dabei gewesen wäre, wie ich neulich meinem Gartenbau­ direktor, dem Lenne, sein Arbeitsprogramm für die nächsten

zwanzig Jahre auseinandergeseht habe. Ich bin dabei vom alten

Herzog Leopold von Dessau ausgegangen, der sein Land in einen einzigen Garten umgewandelt hat. Das können wir Preu­ ßen ja nun wohl nicht. Aber man muß eine Sache da anfassen,

wo sie einen Henkel hat: Berlin und Potsdam, das Havelland

um die Schlösser unserer Krone, das soll zu einem gewaltigen parke werden, der sich, einer unendlichen Girlande gleich, in weit

und immer weiteren Kreisen um den historischen Hügel von Sanssouci schlingt. Was meine Vorfahren geschaffen haben, ist

gut, aber es ist Stückwerk. Heut reichen die Gärten von Pots­ dam nicht weiter als der Schall des Glockenspiels der Garnison­

kirche: in zwanzig Jahren aber, sage ich, soll ein Eden sein, soweit die Kuppel der Vikolaikirche, die ich wölben werde, herrscht. Oer »wüste Berg', so hieß die Stätte, die Friedrich der Große in ,ma vigne de Sanssouci' umzauberte. Vnd der Glie­

nicker Berg, war er denn etwas gar so anderes, ehe mein Bruder Karl seine reizende Villa dort anlegte — und Babelsberg, bis der Prinz von Preußen es aus dem Staube aufhob? Nun, man

soll sehen! Lenne wird seine Pläne auearbeiten, und ich stehe de grand coeur neben ihm!"

Niemand entgegnete ihm, als er geendet hatte, oder pflichtete

ihm bei, denn was zu sagen war, pflegte er meistens selber zu sagen, und Beifall würde auf ihn, der sich seines Künstlertums so völlig bewußt war, leicht armselig oder als platte Schmeichelei

gewirkt haben.

Friedrich Wilhelm war an das Geländer vorgetreten. Das Schiff fuhr mit dem Lichte der sich langsam gegen Abend senkenden

Sonne, eine breit aufgeriffene Furche glühendgelben Goldes

hinter sich lassend. Oie Landschaft schien weiträumiger geworden zu sein. Oie Wolken wurden glänzender, mächtiger von Gestalt,

sie hoben sich höher, ehe sie vollends (m Lichten vergingen. Im­ mer freier, leichter, unirdifcher überwölbte der gewaltige Himmelsdom das geruhsame Bild. Unwillkürlich mochte man tiefer

Atem holen. Eine Schar weißer Möwen, die wie verwehte Blu­ menblätter auf der braunrosa und lichtblauen Wasserfläche sich

hatte treiben lassen, stieg in anmutigem Gedränge durcheinan­ derwirbelnd auf, sich dann in ferneren Kreisen über die stillen Ufer zu verbreiten. Nichts schien der Welt um diese Stunde zu ihrer Glückseligkeit zu fehlen.

-Menschenfrieden — Gotteefrieden", kam es halblaut mit seiner

wohlklingenden Stimme von Friedrich Wilhelms Lippen und ,2lmenr etwas gesättigter hinderdrein aus dem Mund D. Gglerts, des evangelischen Bischofs und kirchlichen Ratgebers des verstorbenen Königs, wie ihm denn jede Form des Frommfeins glatt von Herz und Händen ging. Ihn überhörend setzte der

König ein: -Fühlt ihr's nicht auch wie Musik über eure Augen

kommen? Diese Linien der Llfer, der Höhen, sind sie nicht Sing­ stimmen gleich in diesem abendlichen Bilde, von dem feinen Spiel der Wolken, wie sie wechseln, ziehen, entschweben, geister­

haft begleitet? Schwelgt nicht die Luft gleichsam in überirdischem

Glockenklang?" Seiner Schwärmerei gesellte sich Erinnerung,

und mit dem Ausdruck eines unbeschreiblichen Glücksempfindens fuhr er plötzlich auf: -So war es, als ich zum ersten Male nach

Florenz kam! Roch lag mir das Bild der schönen Stadt nicht klar vor Augen. Aber die Luft war angefüllt von einem ein­

zigen, feierlichen Dröhnen, als gälte es, in alle Welt hinaus das

Ave zu läuten: es war die Mandragola von Giottos hohem Campanile, die ganz Toskana das Abendgebet vorsang. Mit

welchen Wonnetränen ich da Brunellescos hehre Oomkuppel

begrüßt habe! So vertraut — so neu war mir dies himmelhoch gewölbte Mal! — And doch sollte ich noch Herrlicheres schauen. Rom war mein Gedanke, Jahr um Jahr vergebens ersehnt,

Rom mein Ziel! Wie soll ich euch die unsäglichen Gefühle schil-

beut, die mich bei der Annäherung an die Ewige Stadt über­ mannten? Bunsen, mein Josias Bunsen, der die ganze Reise unvergleichlich bis ins kleinste vorbereitet hatte — wir kamen die Straße von Siena her über Viterbo und Ronciglione —

hatte in aller Morgenfrühe — es war der gesegnete 23. Oktober

anno Domini 1828 — von Rom aus leichte Wagen mit den schnellsten, völlig ausgeruhten Pferden nach La Storta bestellt. Das war eine Fahrt auf den schlechten Lampagna-Straßen!

Kaum, daß die Betturini mit den anderen zu folgen vermochtenl

And nun gar die päpstlichen Garden, die mir der vielleicht nicht

mit Anrecht besorgte Kardinalstaatesekretär trotz meines Inko­ gnitos entgegengeschickt hatte! Das ging hopp, hopp! And wie sie

geschimpft haben, diese ausgestopften Goldfasanen! Ich hätte

mich totlachen können — wenn mir die Augen nicht immerfort vor heiliger Ergriffenheit übergegangen wären. Denn bei jedem

Hügel, den unser Weg überwand, bei seder überraschenden Bie­

gung stieg höher und höher, anfangs geisterhaft wie ein Traum der Sehnsucht, dann aber heranwachsend zu immer majestätische­ rer Wirklichkeit, der Stein und Erz gewordene höchste Gedanke

eines Menschenhauptes: Michelangelos Kuppel von St. Peter — in blauer Ferne der Zug der Berge von Albano hinter ihr. — And dann der letzte, überwältigende Moment, als plötzlich von der Höhe des Monte Mario herab, wohin wir weislich geleitet

waren, das Bild des ganzen Rom, aus hundert alten Stichen

mir vertraut wie eine andere Heimat, in erschütternder Gegen­

wart zu meinen Füßen lag?*

Oer König schwieg in großer Ergriffenheit, aber nur für einen Augenblick.

Dann setzte seine

Erzählung neu

ein, und

in

sprudelnder Hast berichtete er weiter, wie er vom Monte Mario zu Fuß nach St. Peter gewallfahrtet, ganz wie ein Pilgrim, dem Kunst und Religion verschwistert im gläubigen Herzen bei­ sammen wohnen- und weiter dann, wie Bunsen ihn so, den

Reisestaub noch auf den Kleidern, fort zu den wichtigsten Sehens-

Würdigkeiten geführt habe, und wie die Straßen alle und die Kirchen, an denen sie vorüberkamen, und die vielen, vielen Paläste gehießen hätten. Oie oft bewunderte Schärfe feines Gedächt­ nisses und die Anzüglichkeit feines Ortssinnes zeigten sich dabei

wiederum auf das verblüffendste. Friedrich Wilhelm wußte das-

er liebte es sogar in solchen Augenblicken, seinem Gedächtnis die ausgefallensten Einzelheiten abzuzwingen, ja geradezu mit

ihm vor seiner staunenden Umgebung zu jonglieren. Das gelang ihm auch heute wiederum, denn wenn man ihn früher schon den

geistreichsten Prinzen Europas genannt hatte, so wirkte der glitzernde Reichtum seiner Gedanken und seiner Rede nun, da er König geworden, auf einen Hof, der die Einsilbigkeit und Be­

scheidenheit Friedrich Wilhelms III. gewohnt gewesen war, doch

immer noch aufs neue mit der Stärke einer Offenbarung, einer mgstischen Verheißung. Man glaubte und glaubte es nur zu gern,

daß die in der Geschichte des Hauses Brandenburg so bedeutungs­

volle Zahl 40, nachdem sie zuletzt den Großen Kurfürsten und

Friedrich den Großen auf den Thron geführt, nun abermals eine Schicksalswende für Preußen, für Deutschland bezeichnen werde. Mochte ein Mann vom alten Regime, wie etwa der Fürst Witt­

genstein, sich bei solchen und manchen ähnlichen Gelegenheiten still sein Teil denken, so war der schließlich überlebt und im

Grunde abgetan, aber auch er würde gewiß nicht bestritten haben, daß Friedrich Wilhelm IV., auch wenn er kein König

gewesen wäre, immerhin als eine ganz ungewöhnliche und be­ deutende Persönlichkeit hätte anerkannt werden müssen, als eine

Persönlichkeit, in deren, trotz allen Mitteilungsbedürfnisses und Zurfchaustellens innerlichster Gefühle, doch unerforschlichen Ar­

gründen dämonische Kräfte — es war nicht ganz klar, ob nur zum Guten und ob überhaupt zu seinem Glück — auf ihre Stunde lauerten.

„(ßrobenT rief der König seinen Generaladjutanten, der um

Haupteslänge das andere Gefolge überragte, an: ^Sie sind hier

mein einziger Zeuge. Gestehen Sie: schwärme ich, wie unser

Freund Verlach annimmt, \ ce qu’il parait; oder bleiben meine Worte nicht völlig ungenügend hinter der goldbrokatenen Pracht jenes Tages zurück?"

/3d) erlebte jene unvergleichlichen Stunden soeben zum zweiten Wale, Ew. Majestät. Mehr vermag ich nicht zu sagen", ant­ wortete Graf Gröben mit einer Aufrichtigkeit, die gut zu seiner

ritterlichen Erscheinung stimmte, während Leopold von Gerlach, unbefangen lächelnd, als habe er für ein Zeichen Allerhöchsten Vertrauens zu danken, sich leichthin verneigte.

-Versteht ihr nun", fuhr der Herrscher mit einer gewissen Be­ harrlichkeit fort, -daß mir das schöne Gemälde der Peterskirche

bei Sonnenuntergang, das in meinem Berliner Arbeitszimmer hängt, mehr ist als ein Stück Natur, verewigt von der Kunst? Versteht ihr, daß ich seitdem viel grausamer noch, ja manchmal

das Herz vor Sehnen wund, an der Nomsucht leide und das Ewige ROM nicht anders als mit großen Lettern schreiben mag? Ja, daß ich oft genug meine, nie wieder völlig glücklich werden zu können, als bis ich abermals von den Fenstern meines

Palastes Caffarelli aus den Wunderdom über den Gräbern der

Apostel schauen darf?" Es war Olfere, der lange genug in Italien gelebt hatte und die

Gefühle des Königs auf seine Weise mitzuempfinden vermochte, der halblaut mit einigen Worten, wohl auch im Namen der

anderen, beipflichtete.

-Haltet mich aber darum nicht für einen elegischen Genießer

unwiederbringlich vergangener Tage des Glanzes und der Schön­ heit." Friedrich Wilhelm reckte seine Figur bis aufs letzte in

dieHöhe, sein gerötetes Gestcht wirkte beinahe jugendlich schlank, die taubenfarbenen Augen blickten verkündigungsfroh. -Man betet an da, wo der Verstand nicht mehr begreift- aber man liebt nur, wo man zu schaffen vermag. And schaffen will ich, dieser meiner Liebe zum Zeichen! An den Formen und Linien

der klassischen Landschaft Roms, Toskanas und des ganzen

bei paese habe ich mein 2luge erzogen, so daß ich in jedem Stück Tlatur das Gotteswerk des großen Landschaftsmalers droben

im Himmel ehrfürchtig zu erkennen vermag. Habe ich nicht die Linien der Fercher Berge vorhin, des Krähenberges über Caputh, des großen Entenfängers im Wildpark und so fort und fort mit

einer Melodie verglichen, mit einer himmelsüßen Kantilene?

Man muß nur alle seine Sinne offen haben und verstehen, was der Augenblick ihnen eingibt. Ich sage euch, dies Havelland ist

herrlich — herrlich wie die Campagna!" Er schwieg, aber man fühlte der Beredtheit dieses Schweigens an, wie jenes sehnsüchtige Bach-Italien-Begehren die melancho­ lische Stille der märkischen Seenlandschaft in diesem Augenblick

mit den Visionen seiner schönheitstrunkenen Träume erfüllte. -Herrlich! Herrlich — diese Natur!" sprach Bischof Eglert in salbungsvollem Ton dem König nach, sein glattes Gesicht dem Widerglanz des lichterfüllten Himmels entgegenhaltend.

-Nicht doch, Hochwürden!" fuhr der Monarch scharf heraus. In

der Intimität seiner Empfindung durch die unerwünschte Zu­ stimmung eines andern verletzt, widerrief er mit feindseligem

Humor sein eigenstes Bekenntnis. „,D(e Natur ist eine Gans«, hat Goethe einmal einem Freunde zugerufen, ,man muß fle erst

zu etwas machen!« So ist es! Man muß die Liniensprache einer Landschaft recht verstehen, das heißt sie, wo sie etwa stammeln

sollte, zu phrasieren, zu skandieren wissen. Da drüben z. B. nach Petzow, wo sich die neuen Leninschen Parkanlagen so glücklich

dem umgebauten Hof des Herrn von Kähne anschließen, ge­ hört auf die Höhe eine Kirche mit einem abseits gerückten, die

Stelle scharf betonenden Campanile. Llnd weiter: Welcher er­ fahrene Blick empfände nicht dort über Baumgartenbrück hin­ weg, die Havel abwärts gegen den Werder zu ein Loch? Auch

da fehlt als sprechendes Zeichen Kirche und Turm, ebenso drüben in Caputh. Llnd nun gar" — Friedrich Wilhelm, ganz wieder

bei Stimmung und von seinen Lieblingsprosekten erfüllt, machte

eine Pause, wie wenn er ein besonders kostbares Juwel fun­ kelnd emporhöbe — -denkt an den Havelknick da, wo sich plötz­ lich wie mit hellen Fanfaren und Schalmeien, stolz und lieblich

zugleich, jenseits der blauen Wasser Potsdam ankündigt, denkt

an Sacrow, das da klein ist wie Bethlehem, und dem ich ein

besonderes Denkmal meiner Liebe zu unserem verachteten mär­

kischen Lande bestimmt habe/ Es war in der Tat überraschend, mit einem wie sicheren Ver­

ständnis für den Charakter der Havellandschast er die Stellen herauegrlff, wo eine gewisse Monotonie und Traurigkeit durch

einen architektonischen Akzent zu Anmut, ja zu sonorer Feier­ lichkeit verklärt werden konnten. -And schließlich, entsinnt ihr

euch, wie ich in Ferch fragte, was dem Stadtbilde von Potsdam

heute noch fehlt?" fuhr der König fort. -Fühlt ihr nun selber, wie diese Fermate der Landschaftemuflk gleichsam nach dem

gewaltigen Orgeleinsah eines Kuppelbaus verlangt- daß Pots­ dam, daß Strom und Land bis hin zum weit entlegenen Ferch

einen bildlichen und geistigen Mittelpunkt haben muß, muß und

zum dritten Male muß?!" Wieder war es Ignaz von Olfers mit seinem ebenso scharfen

Blick für künstlerische Fragen wie für ihre praktische Lösung, der den kühnen Gedankenflug des Herrschers, wenigstens von

dem sicheren Boden seiner eigenen Kunstanschauung aus, zu verfolgen und die überraschende Gleichsetzung der römischen

Campagna mit dem Havellande und dem noch ungewölbten Kuppelrund über Potsdams zentralem Kirchenbau anzuerken­

nen vermochte. -And habe ich, wenn ich \ vue d’olseau die Zeit und ihre Män­

ner überschaue, nicht auch den Einzigen zur Hand, der meine

Gedanken in die Tat umsetzen wird? Es ist Schinkel! Friedrich der Große hat keinen Architekten gehabt wie ihn, geschweige

denn jener gottlose Tgrann, der in Paris und halb Europa

heute noch für einen Großen gilt, obwohl sein Reich, sein Glück,

sein Haus längst wie eine Seifenblase zerplatzt sind. Schinkel wird meinen Gedanken Zungen geben, daß die Welt noch nach

Jahrhunderten sie verstehen wird/ Friedrich Wilhelms Haltung atmete eine sehr königliche Selbstsicherheit, sein junges Herr-

schertum, von keinen Enttäuschungen noch angefochten, fühlte

gleichsam die Samenkörner der Zukunft in seiner grifffrohen Hand. ^Wer Schinkels Entwürfe für den Palast auf dem ge­

heiligten Felsen der Akropolis kennt, oder neuerdings seine un­ säglich schönen Pläne für das Schloß Orianda meines Schwa­

gers von Rußland, oder seine idealen Phantasien über die Residenz eines gewaltigen Herrschers in südlichem Lande, der

weiß, was die Welt zu erwarten hat, wenn ich ihm ein Land wie dieses und solche Aufgaben zur Verfügung stelle. Er hätte

wohl auch das Zeug zum größten Landschaftsmaler, ein anderer Llaude Lorrain- aber ihn drängt es mehr, dem Kunstgedanken der Menschheit im Raume Ausdruck zu geben und dauernde

Gestalt. Er ist der Mann für die Aufgaben eines Königs, der Mann Gottes! Sein Wesen ist Musik. Das Geschick hat unserm armen, in harten Prüfungen freudlos gebliebenen Preußenlande

in ihm zum ersten, vielleicht zum einzigen Male einen wahrhaft klasflschen Geist geschenkt: es ist nicht abzusehen, was dieser

Sinn für Maß und Harmonie auf seine Zeit, auf unser ganzes Volk, auf uns, uns alle wirken mag/

Friedrich Wilhelm hatte mit einer sich mehr und mehr steigern­ den Innigkeit gesprochen, ja geradezu mit einer an ihm unge­ wohnten Bescheidenheit und persönlichen Hintansetzung. Es war,

als ob er in dieses bewunderten Künstlers Wesen, in diesem im

Preußenlande so schmerzlich von ihm entbehrten Sinn für klas­ sische Harmonie und Vollendung, das im eigenen tiefsten Innern vielleicht doch als unerreichbar ahnungsvoll erkannte Vorbild seines romantischen, unsteten und grenzenlosen Sehnens und Wäh-

nens verehren müßte, in Schinkeln das verehren, was gerade

ihm selbst im Tiefsten fehlte.

General von Thile, der seine bevorzugte Stellung keineswegs

einer schmeichelnden Unterwürfigkeit zu

verdanken,

sondern

dem geliebten Monarchen ein Gewissensrat zu sein strebte, er­ schrak, trotz seiner tiefen Religiosität, doch vor dieser Perspek­

tive neuer Kirchengründungen und wer weiß, welch

guter und schöner, aber kostspieliger

anderer

Stiftungen königlichen

Hochsinns und meinte, in aller Ehrerbietung bei Zeiten eine

leise Warnung aussprechen zu müssen:

Majestät erwähn­

ten soeben die harte Zucht, die Preußen durchgemacht, man darf wohl sagen: die es groß gemacht hat. Das preußische Volk ist es einfach und prunklos gewöhnt. Man wird es daher vorsichtig,

nur Schritt vor Schritt, mit den Segnungen vertraut machen dürfen, die Gw. Majestät ihm zudenken/ Oer König warf, nicht ohne eine etwas gezwungene Behendig­

keit, seinen Oberkörper herum und sah über seine gerundete Schulter hinweg mit einem unendlich feinen, lächelnden, zu­

stimmenden und im Grunde doch ganz unzufriedenen Ausdruck nach dem Redner: „J, sehn Sie mal an, Thile!" — Es war im reinsten Berliner Tonfall gesprochen, dann nach einer klei­

nen, wohlbedachten Pause schloß er seine wortlose Entgegnung rezitierend ab:

»,Ich zimmere bei wege, des muß ich manegen meister Han/ —'

Wie ein Gewitter noch nicht Sommers Ende zu sein braucht,

so schwand auch diese aus dem vulkanischen Untergründe seiner

sonst so bestrickenden Lebensformen verräterisch emporzüngelnde Flamme wieder spurlos dahin. Es war auch fraglich, ob der

schlichte und arglos geartete General, der in der Bibel bester zu Hause war als in Kunst und Poesie, den geistigen Hochmut seines Königs überhaupt verstanden hatte, jenes Gefühl unbe-

dingter Überlegenheit, das genialischen Naturen, die entweder

einsiedlerisch veranlagt oder so redebegabt sind, daß kein Wider­

spruch der Welt an sie herankommt, oft eigen ist. -Was wird man erst sagen", rief der Herrscher ane, »wenn ich nicht nur die Wafferkünste von Sanssouci, die der große Fried­

rich sein Leben lang nicht steigen zu sehen vermocht hat, spielen lasten werde, sondern wenn von der Schwelle, von der aus der einsame Spötter und Weltverächter einst seinen bronzenen 2ldo,

Tanten und die Gräber seiner Windspiele betreut hat, ein neues,

ein ganz anderes neues, innerliches Leben auegehen wird! Es ist Bedeutungsvolleres als eine Liebhaberei, die mich sogleich

nach meiner Thronbesteigung den scheu gemiedenen Hügel durch

meinen Einzug wieder zum historischen machen lieh- — und

mit dem Geiste Voltaires, falls er in seinen Zimmern noch

spuken sollte, wird Alexander von Humboldt wohl fertig werden. — Sagen Sie mir, bester Fürst", die Frage galt dem greisen

Hauöminister, »welches ist Ihre Meinung, der Sie unter meines teuren Vaters Masestät doch manches Jahrzehnt den Lauf der

Dinge verfolgt haben: Geschah sein Regierungsantritt unter schwierigeren Verhältnissen oder der meinige? Ich glaube doch wohl der seinige, nicht, Liebster?" Es war eine sener scheinbar ohne jeden Zusammenhang gestell­ ten Fragen, die einen mit Friedrich Wilhelms IV. Art Llnver-

trauten leicht verwirren konnten, weil es nicht klar war, was

der König mit ihnen beabsichtigte, sa, ob seine Gedanken sie nicht schon längst überholt hatten- mancher bekam dann wohl den Eindruck, dah des Monarchen Auge nicht bei der Sache

bliebe und verschwimme. Fürst Wittgenstein hatte den Kronprinzen gekannt, er kannte

auch den König und wußte, daß Antworten auf Fragen der­

artiger Launen nur langweilen oder gar Mißverständnisse Her­ vorrufen konnten. Dennoch verlangte die Gegenwart der neuen

Männer um den Herrn, die alle so viel Ehrenhaftigkeit und

Gottvertrauen in ihre Stellungen mitbrachten und die seinen eigenen politischen Gepflogenheiten mißtrauen mochten, ein

tunlichst offenes Bekenntnis von ihm, und mit einer Schlichtheit-

die in dem Munde des Greises etwas Rührendes hatte, gestand er: »Ich sehe die Augen der ganzen Welt erwartungsvoll auf Gw. Majestät gerichtet. Mir selber jedoch fehlt jede geniale Phantasie. Ich habe nur einen ganz untergeordneten praktischen

Geist: der ist für die jetzigen Verhältnisse nicht passend und hin­ reichend/

Friedrich Wilhelm horchte auf: das war die Sprache der Erge­

benheit gegen ihn und sein Haus. Mit rascher Wendung trat er auf ihn zu und reichte dem Vertrauten seines Vaters dankbar

die Hand, die jener nicht ohne Bewegung küßte, denn er fühlte fein Amt gerettet auf Jahre hinaus.

»Oie Erwartungen, von denen Sie, liebster Fürst, sprechen, sol­

len nicht enttäuscht werden. Mein Volk, dieses in Freiheit und

Lm Gehorsam geborene Volk, wird seinen Glauben in mich be­ währt finden. Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen. Von Ihm trage ich meine Krone zu Lehen, Ihm bin ich Rechen­ schaft schuldig. Diese Gewährleistung gilt mehr als alle Eide

auf papierne Verfassungen, denn sie strömt aus dem Leben und

wurzelt im Glauben. Darum muß das Volk auch unter der Zucht und Lehre der christlichen Kirche stehen und mir gehorsam sein,

wenn ich der Zügellosigkeit der Zeit — es sind arge Zeilen, denen

zu steuern ich berufen ward — nicht mit menschlicher Feinheit und Falschheit, die den Merklugen vielleicht bester dünken, noch

mit roher Willkür abgetaner, finsterer Epochen entgegentreten werde, sondern mit Recht, mit Freiheit und mit dem wahren

Glauben. Preußen soll, wie Teutschland in den goldensten Tagen seiner herrlichen Vergangenheit, wieder ein christlich-germanischer

Staat sein, auf Religion und alle Menschheit und Menschlich­

keit umfastende Lehren gegründet. Treue um Treue muß es wieder gelten, Treue zwischen Fürst und Volk! Das ist das neue

Evangelium, das von dem historischen Hügel von Sanssouci

auegehen soll/ Es war eine Pause eingeireten. Alle hatten den Eindruck, daß diese am Vorabende der Huldigungen in Königsberg und Berlin

gesprochenen Worte mehr waren als ein persönliches Bekennt­ nis, daß sie das politische Programm des neuen Herrschers ver­

künden sollten.

,£Me Aufrichtung einer altfürstlichen und — ich darf wohl an­

nehmen — ständischen Monarchie, wie sie Ew. Masestät vor­ schwebt, wird nur möglich sein, wenn das Volk dafür empfäng­

lich gemacht wird durch Gewährung einer freien presse, Beseiti­

gung der kirchlichen Wirren, vor allem aber durch Belebung des nationalen Gedankens und glanzvolle Aufrichtung des Deut­

schen Bundes. Oer Geist der Nation selbst muß der beste Alli­ ierte des Königs werden/

Aller Augen gingen nach dem Hintergründe, von woher diese

mit einer bronzenen Ruhe, von einem seltsam liefen, beherr­

schenden Organ gesprochenen Worte gekommen waren. Es war der Oberst von Radowitz, der Militärkommiffarius Preußens beim Deutschen Bunde in Frankfurt, der, die Arme, die er über

der Brust verschränkt gehabt, lösend, einen kleinen Schritt in

den vor ihm frei gewordenen Raum vortat. Es war wohl der einzige, dem Friedrich Wilhelm in diesem Augenblicke das Wort gelassen hätte, vielmehr es war das von angespanntester Energie

beherrschte Pathos dieses ernsten Mannes mit der edlen Stirn

über den tiefliegenden, wunderbar glühenden Augen, das stch in jedem Augenblicke, wo er es für nötig erkannte, Gehör er­ zwang.

-Vom Westen her droht wiederum Gefahr, aber in

Ew. Majestät Landwehrzeughäusern hört man nur, daß Rost,

Motten und Lederwurm der zu bekämpfende Feind sei. Verkün­

den Ew. Majestät jetzt den nationalen Gedanken, so wird stch

alles, was unsere Sprache spricht, freudig zu einem preußen-

reich deutscher Nation bekennen, und der Thron des Königs steht festgegründet gegen innere wie äußere Gefahr/

vorgetreten, so war Joseph von Radowih wie­ der hinter den Amstehenden verschwunden. Gin Ziel mit der ganzen Würde eines Propheten weisen, war ihm Bedürfnis-

darüber hernach streiten und markten war seine Sache nicht. Oie Sicherheit seines Auftretens, die die meisten zu entwaffnen

pflegte, selbst wenn sie seine Gegner waren, brachte aber auch manchen gegen den vornehmen Doktrinär auf. Leopold von

Gerlach hatte seinen Anwillen bei den Worten des Mannes, der ihn selber gelegentlich wohl seinen politischen Lehrer zu nennen

pflegte, mühsam hinter einem immer fataler werdenden Feier-

tagsgestcht verborgen- die Gegenwart des Monarchen hielt ihn nicht ab, seine Aberzeugnng nun laut zu äußern: -Es kommt

in diesen sich immer unchristlicher erdreistenden Zeiten vor allem darauf an, das Gottesgnadentum zu betonen: Jeder König wird

unfähig zu regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden hält. ,Seid Antertan euren ßennf,

heißt es in der Bibel, ,auch den wunderlichen* —V schloß der General, der sein Gewissen rein geredet hatte, schmunzelnd gegen

den Herrscher nickend, wie mit

einem ihm wohl

erlaubten

Trumpf.

Friedrich Wilhelm lachte, dem Freunde mit dem Finger drohenddann rief er mit leichtem Spotte, und dabei doch nicht ohne sich

unwillkürlich zu verraten, aus: »Da hat man" nun seine Rat­ geber! And seine Minister dazu! Oer eine rät dies, der andere

das — und recht haben sie alle! 2lm Ende übersieht man selber die Dinge doch bester und muß sich selbst zu raten wissen/

„2lbet Gw. Masestät können doch nun einmal nicht ohne Ihre

Minister regieren/ erwiderte Gerlach rasch und, während er zu scherzen schien, dem Könige ins Tiefste zielend.

Das Dampfschiff hatte indessen den Schwielowsee durchfahren und näherte sich dem Laputher Gemünde, fener Havelenge, wo

die Seen und Breiten des trägen Stromes sich mit einem Male

schlauchartig fast zur Dürftigkeit eines Rinnsals zusammenzie­ hen. Die Räder schaufelten langsamer, Kommandorufe ertönten,

es gab ein Laufen an Bord und Manövrieren, das von der königlichen Gesellschaft aufmerksam verfolgt wurde. Wie zu

erwarten, hatten die Laputher diesen Augenblick abgepaßt, das Königspaar bei seiner Rückfahrt nach Potsdam abermals zu grüßen und zu feiern. Auf dem Treidelweg am Rfer unter den alten Obstbäumen, die fernher von dem bewaldeten runden

Rücken des Krähenberges überblaut wurden, standen die Dörf­

ler erwartungsvoll in Gruppen- es stand dort aber auch der hagere Schulmeister mit seiner festlich gekleideten Kinderschar bereit, dem guten König und seiner Königin mit fröhlichen Lie­

dern zu huldigen. Als das Schiff eine vorherbestimmte Stelle erreicht hatte, setzte der Gesang der Hellen Stimmen sudelnd ein,

zur sichtbaren Freude der hohen Herrschaften, die immer wieder

grüßten und mit den Taschentüchern winkten. Ja, die Königin

gab sogar Befehl, von dem Konfekt, das auf einem Tischchen

in ihrem Zelte stand, zu nehmen und es auf möglichst geschickte

weise an Land zu befördern. Hatte das bereits die Aufmerk­ samkeit der kleinen Sänger aufs peinlichste gefährdet, so brachte

der vorher nicht im Anschläge berechnete Amstand, daß das Schiff sa ohne Aufenthalt weiterfuhr, neue Verwirrung über den Sangesmeister und seinen munteren Chor. Reugier und Ungeduld der Kleinen, die das schöne Schiff mit seinen vorneh­ men Gästen von dannen gleiten sahen, achteten bald gar nicht

mehr auf den Einsatz und Takt gebietenden Armschwung des sich

erregenden Magisters. Rmsonst, daß der geängstete Mann laut und lauter selber mitsang, wie er es beim Unterricht in der Schule

wohl zu tun pflegte: das fragwürdige Gerüst seiner Kunst­ produktion war in ein solches Schwanken geraten, daß es jeden

Augenblick auseinanderzupurzeln drohte. Mit einem Entschluß der Verzweiflung gab er endlich das Zeichen, sich in Marsch zu

sehen, aus dem sich leider nur zu bald ein leichter Trab, bei einigen bösen Buben, die obendrein über die kräftigsten Stimmen verfügten, gar ein heilloser Galopp entwickelte. Bon Gesang war

da nicht mehr viel zu reden- er gab es auf, seine Schäfchen bei­ sammenzuhalten und zog sich im gegebenen Moment unauffällig

zurück, nicht ohne die sehr feste Absicht, seine Autorität morgen

gründlich wiederherzustellen. An Bord hatte man wegen des Stampfens der Maschine nicht

allzuviel von dem Singsang vernommen. Wohl aber war dem

Auge des Königs, das bei aller Kurzsichtigkeit von Natur mit einem überaus dankbaren Sinn für solche Entgleisungen und

segliche vis comica des täglichen Lebens begabt war, diese Quelle reinster Heiterkeit nicht entgangen, und unbekümmert um seiner

braven Caputher Not wies er seden einzelnen der Umgebung mit einer wahrhaft sungenhaften Schadenfreude auf alle Etap­ pen der unausbleiblichen Katastrophe hin.

Aber Laputh sollte ihm noch weitere Belustigung gewähren. Anter den zahlreichen Kähnen und Booten, über die dieser be­ herrschende Knotenpunkt der Havel verfügte, und die in mut­

willigem Gedränge das stolze Dampfschiff umkreisten, fiel dem König ein grüner Fischernachen auf, der an hoher Stange be­

festigt eine — obwohl ee noch keineswegs Abend war — an­

gezündete Papierlaterne zeigte mit der schwarzen Aufschrift: „F. W. IV. — Langeweile" auf den Seiten vermutlich zu er­

gänzen »unter — uns". Keine Ehrenpforte und -sungfrau hätte sein landesväterliches Herz mehr erfreuen können als der treue

Stumpfsinn dieses Grußes. Er war schier außer sich vor Ver­ gnügen darüber, daß ihm, justament ihm, dem, wie sein Ehrgeiz wähnte, rastlosesten unter allen Hohenzollern, der Volkemund

das Prädikat »der Langweilige", verliehe. And eine Fülle von Bemerkungen, die den eingewurzelten Glauben der Berliner,

daß jeder gute Wih, der in dec anspruchsvollen Stadt umlief, von ihrem Kronprinzen und nun Könige herrühren müsse, zu

bestätigen geeignet war, sprudelte über seine Lippen. «O pes-

cator dell’ onda-------- », trällerte er die Melodie einer venezia­

nischen Barcarole, die in den Tagen seines ersten Aufenthaltes in der Lagunenstadt beliebt gewesen war, mit theatralischer

Gebärde zu dem verdutzt innehaltenden Schiffer hinüber. And

da der Mann den königlichen Gruß nicht zu würdigen schien,

rief er plötzlich gegen das untere Verdeck gebeugt: -Hagen!

Hagen! Wo ist Hagen?" Oer Befohlene tauchte die Treppenstufen auf: der Leibmohr,

eine prachtgestalt in langer, hemdartiger Gewandung mit roten Schuhen, rotem Gurt und Fez, seinen Herrn mit blanken Augen

und Zähnen anstrahlend. -Hagen! Oer Mann dort unten nimmt mich nicht für voll. Ou bist plus apprete als ich. Mach du ihm

eine Reverenz, das imponiert ihm vielleicht mehr. Haben dich doch neulich erst die Treuenbriezener Kinder für den König ge­

halten. Warum auch nicht? Im Süden haben sie sogar die

Madonna zur Mohrenmutter gemacht und finden Trost und Labsal dabei!"

Oer König hatte gescherzt, gelacht, getollt- fetzt hielt er erhitzt inne und rief den Kammerdiener: -Sie!" Es war sener scharfe,

allen Besuchern des Hofes wohlbekannte, herrische Laut, dem nicht anzumerken war, daß er aus dem Munde, der als der

liebenswürdigste galt, kam. Ohne seine Wünsche geäußert zu haben, war er verstanden worden. Hastig griff er nach dem dar­ gereichten kalten Wasser und stürzte zwei oder drei Gläser her­

unter. Königin Elisabeth, die den Gemahl gern unter ihrer liebevollen Obacht behielt, winkte mahnend, er möge sich nicht

leichtsinnig der abendlichen Zugluft aussetzen und zu ihr in das

Zelt kommen. Er schüttelte den Kopf: -Es ist zu schwül, Elise.

Laß mich noch." Es lag eine Wärme in dem Ausdruck, mit

dem er zu ihr sprach, die man diesem Proteus der Gefühle kaum

hätte Zutrauen mögen. -Wie du willst, Fritz", kam es von unten zurück.

-Elises rief er noch einmal hinunter, -sage doch dem kleinen

Haacke dort, er soll seine Mühe gerade sehen, dann wird sogleich ein kühles Windchen kommen."

-Was meinst du, Frih?" lachte die Königin herauf. Friedrich Wilhelm deutete auf einen jungen Offizier, der einer der Damen unverkennbar den Hof machte und dabei seine Mühe

in einer bisher in der preußischen Armee nicht üblichen Weise keck gegen das eine Ohr gerückt trug. -Er denkt auch", spaßte

der König, an eines der Grimmschen Märchen erinnernd, -seh"

ich meinen Hut gerad, so kommt ein gewaltiger Frost, und die Bögel unter dem Himmel erfrieren und fallen tot zur Erde —

und alle seine lustigen Amoretten mit." Oer Monarch war wieder vom Geländer zurückgetreten und streifte den kreis derer, die seine Schnurre mitangehört haben

mußten, mit einem halben Blick: Lauter Gesichter vorschrifts­ mäßig wie bei der Parade im Potsdamer Lustgarten — die

Königin war doch sogleich im Bilde gewesen und hatte ihm,

belustigt bis in ihre großen, baumelnden Locken, mit dem Fächer abgewinkt gehabt. And jene alle glaubten, weil er ihnen sein Vertrauen geschenkt, sich zu Ratschlägen berechtigt, ste, die seine

Gedanken nicht einmal verstanden, wenn sie flch im Alltäglichen ergingen! Nervös knipste er ein paarmal mit den Fingern und

machte einige Schritte auf und ab. Dann blieb er wieder stehen und sah über See und Land und zum Himmel auf. Oer Tag war zu Ende. Ee wollte Abend werden. Aber noch leuchteten

Nähe und Ferne blank und klar wie Glas. Oie Bäume am

Afer standen mit ihren Füßen gleichsam wie gebannt im regungs­ losen Schilf. Oer krißelige Amriß der Wölkchenkronen der Kiefern glättete sich zu großen, zusammenfafsenden Linien fern

hin. Langsam begannen die Waldungen von innen her zu erdunkeln. Hellauf nur blinkten einige Birkenstämme da und dort

am Rande. Oie Weihe der Stunde, die der Nacht voraufgeht, teilte sich dem empfänglichen Sinn Friedrich Wilhelms sichtbar

mit. Sein geistiges Auge schien alle die schlanken Campaniles neben den Gotteshäusern, die er plante, sich bereits in der silbern

treibenden Flut der Havel spiegeln zu sehen. Es war stille ge­ worden um ihn her, wie wenn der König betete und niemand es wagte, ihn zu stören.

»3d) will mit meinem Volk in Frieden tebeiT, spann der Herr­ scher seinen Monolog da, wo seine religiösen Bekenntnisse vor­

hin unterbrochen worden waren, fort. »Die kirchlichen Wirren, die den frommen Sinn meines guten Vaters in seinen letzten Lebensjahren bekümmert haben, müssen befriedet werden. Oer

Papst kann das Wort der Versöhnung, das Graf Brühl in

meinem Namen zu ihm sprechen wird, nicht unerwidert lassen. — Ach, Radowih, warum sind nicht Sie, wie ich gewünscht

hatte, nach Nom gegangen? Sie kennen mich, Sie wissen, wie

es mir ums Herz ist — und Ihr Glaube hätte Sie dem Heiligen Vater genehm gemacht, dass Sie sich ihm zutraulich hätten auf­

schließen dürfenl — Aber, nicht wahr? der römische Papst kann

doch die Hand, wmn ihm ein König und Mensch, der Christum bekennt, sie ihm zu Frieden und Versöhnung bietet, nicht aus­

schlagen? In seiner großen Weisheit und Güte — wie könnte er sonst so vielen Millionen ein Vater sein — wird er doch

nimmermehr dem Brudersinn verschiedener Bekenntnisse, der innegeworden, daß sie eines sind in dem einigen, göttlichen

Haupte, Widerstreiten mögen und die christlichen Kirchen und Konfessionen alle, so sie nur Gott im Herzen tragen, als gleich­

berechtigt anerkennen müssen! Wie Paulus an die Epheser schreibt: ,Ein Leib und Ein Geist, Ein Herr, Ein Glaube, Eine

Taufe, Ein Gott und Vater unser aller, dsr da ist über euch allen, und durch euch alle und in euch allen!'Man lege nur nicht zu

oft die bessernde Hand an die Seelen, wo sie am zartesten sind, und glaube doch an das Gute im Menschen und lasse die Kirchen

sich durch sich selbst gestalten/ -Ew. königliche Majestät veranschlagen die Sünde nicht genug

In Ihrem Kalkül", erlaubte sich der ^Bibel-Thile", wie man den

frommen General wohl zu nennen pflegte, kopfschüttelnd einzu­ wenden. Friedrich Wilhelm sah ihn lächelnd an, oder vielmehr sein Blick,

der für das Irdische geschloffen schien, ging über ihn hinweg in ein Fernes, Jenseitiges. Sein Herz, seines Glaubens gewiß, trieb

draußen weit, weit auf dem Ozean seiner mystischen Glückselig­ keit, es war dem Zuruf aus dieser Welt zu fern. ,2Inö was ist

meines Amtes hier?" fuhr er fort. ,(Eüi Fürst soll das Steuer

am Schiff der Landeskirche halten und die anderen steuernden Brüder führen, deren Gesamtheit in dieser Zeitlichkeit Gottes Geschwader bildet. Dann darf er seines Glaubens im Bekenntnis

der brennendsten Liebe gegen alle Menschen froh sein. Oie Liebe flegtl Oie abgedroschene Phrase: »die Wahrheit siegt', ist grund­

falsch! Ich sage euch: Oie Liebe siegt!" — Nach einer langen Pause, stch gleichsam ermunternd und zum Bewußtsein der Ge­ genwart zurückkehrend, schloß er, die Hände, wie fle dem Heiland

einst durchbohrt worden, flach ausstreckend, mit einem weltfrem­ den, beseligten Lächeln: -Mein Sommernachtstraum — da habt

ihr ihn." Oie ganze Zeit über hatte Fürst Wittgenstein den sein Herz offen­ barenden König unauffällig beobachtet- er hatte kein Auge von

ihm gelassen. Gr war Zeuge, so mancher innigen Aufwallungen

Friedrich Wilhelms III. gewesen, er war alt und hatte vieles erlebt, vieles erfahren: aber dieses hier ging über sein Verständnis und widerstrebte sedem Oeutungsversuch. Still trat er an die Schiffstreppe und ging hinab zu der andern Gesellschaft. Ge

hatte ihn ein Grauen angewandelt — er wußte nicht, aus was für verborgenen Tiefen.

Bischof Ggler seinerseits, in der Deutung und Aufhellung tiefster göttlicher Geheimnisse sozusagen von Amte wegen geschickt, fand dem Bekenntnisse seines königlichen Meisters nichts hinzuzufügen

als den offiziellen Stempel eines: »Das walte Gott!", gestattete

sich aber dann doch noch zu bemerken, daß kein Geistlicher von Beruf diese Dinge lichter und erbaulicher hätte behandeln können.

Friedrich Wilhelm, von Beifall, wenn er ausgesprochen wurde,

leicht angewidert, obwohl er im Tiefsten seiner Seele danach lechzte, sah den Kirchengewaltigen der mit seinem Vater dahingeaangenen Epoche auffallend freundlich an: „3d) habe schon

manchmal gewünscht, ein Prediger des Evangeliums zu sein/ Froh, der nicht unbedenklichen Situation, in die er sich etwas unbesonnen vorgewagt hatte, enthoben zu sein, beeilte sich D. Eglert,

in die Mgrten seines wohlaufgenommenen Preises noch unver-

welkliche Rosen aus Anschuldeland zu flechten- „Die Kind lein würden die ersten sein, die sich fromm um diesen Prediger scharten.

Ich darf daran erinnern, wie Ew. Majestät kürzlich dem Unter­ richt in einer Dorfschule beiznwohnen beschlossen und unange­

meldet, nur von einem Diener mit Körben voll Obstes gefolgt, in die Klaffe der Jüngsten eintraten, und wie Sie bald selbst den

Lehrer machten, ein Geldstück zeigten und fragten: ,3u welches

Reich gehört wohl dies?' »Ins Mineralreich!' erscholl die Ant­ wort. »And das?' forschten Ew. Majestät weiter und hoben eine Birne hoch. »Ins Pflanzenreich!' riefen sie alle wie aus einem Munde. »Run aber, Kinderchen, in welches Reich gehöre denn ich?' Da wurden alle die Gerneklug so stille. Rur ein ganz kleines Mädchen hob den Finger hoch- sie wußte es: »Ins

Himmelreich!'" Dem König trat eine Träne ins Auge- aber es war wohl weniger

die Erinnerung an jenes Kinderwort, die ihn weich gemacht hätte,

als vielmehr eine tiefe Ergriffenheit, die nach seiner eigenen Rede von vorhin sich nun aufs neue kundtat, so wie Rosen spät wohl ein zweites Mal blühen. In dem Gefühle eines Glaubens, der stark ist, Berge zu versehen, reckte er sich plötzlich hoch und deutete auf den dunkelnden Strom hinaus, auf dem einige der in diesen

Gegenden wohlbekannten langen, platten, kühnmastigen Last­

kähne sich anschickten, den Wetterumschlag, der sich im Auf­ SS

springen einer schärferen Brise ans Südwest angekündigt hatte,

zur Weiterfahrt rasch auezunuhen.

ihr sie wandern, wan­

dern, in unaufhaltsamem Zuge wandern bei Tag und bei Bacht auf mein Geheiß?" Seine Stimme zitterte, wie übermannt von der Größe der Vision. ^Oie Ziegelsteine aus der pehower Grelle,

aus Glindow und Werder sind es, aus denen meine Kirchen und

Türme, aus denen Potsdam und Berlin nach meinem Plan erstehen werden. And sie sind nur ein Gleichnis dessen, was da

in Preußen, ja in dem ganzen Werdelust atmenden Teutschland zutage drängt. Ich will diese Zeit zu meiner Zeit machen, meine

Sprache soll sie sprechen! Mich locken nicht die Trophäen des

großen Friedrich, mit dessen vorgeblicher Ähnlichkeit mir, als ich

noch ein halber Knabe war, der bleiche Bonaparte schmeicheln zu können wähnte, um mich für seine Scheinwelt zu gewinnen. Nicht den Gott versuchenden Namen Sanssouci, dieses weltlich negierende ,Ohne Sorgen', möchte ich dereinst der Stätte geben,

wo ich mir Nuhe wünsche- sondern Frieden ist es, der geistlich

positive Frieden, den ich mir ersehne und meinem Volk!"

Oer hohe Flug seiner Begeisterung und Worte hatte das ganze Wesen des Königs mitgeriffen, er stand in großer, majestätischer

Haltung da, durchdrnngen von dem Bewußtsein: «EcceRex!»—

Lautlos war der Kammerdiener hinter ihn getreten, ihm den

großen Nniformmantel umzulegen. Friedrich zuckte zusammen,

ein Blick aufflammenden Jähzorns wollte den Störenfried ver­

nichten. Oer Diener stand wie aus Erz: ,2luf Befehl Ihrer Majestät." Oer Monarch sah sich verstört um. Er sah am abend­

lichen, mittlerweile dunkel gewordenen Himmel Wolkendünste und Schleier hastig durcheinanderfahren und spürte die Nnruhe und Bewegung in der Luft. Er mußte dem Wunsche der Königin wohl nachgeben. Aber die schwere Kleidung war ihm sichtbar zu­

wider, denn sie behinderte ihn, seine Worte durch die geistreiche 2luedruckefähigkeit seiner Gebärden zu steigern. Er war kein

Schauspieler, ja nicht einmal im eigentlichen Sinne eitel. Er

fühlte jedoch in solchen erhöhten Momenten aller Augen, die

Augen der ganzen Welt auf sich gerichtet und wurde so gleichsam sein eigener Zuschauer, der sich an sich selber freute und berauschte.

Aber auch Gott sah ihn, dessen war er sich bewußt. Das machte ihn wahrhaftig und seine Beredsamkeit so überzeugend und mit­

reißend. ^And sie kommen, sie verstehen mich alle", hob der König noch

einmal an. ,Oie edelsten Geister sind die ersten, die sich um mich drängen als den, der sie führen soll, und die ich um mich scharen

will. Da schreibt Cornelius in überschwenglicher Erwartung.

Er will fort von München. Wie vermöchte auch ein dem Irdi­ schen so verbundener Monarch wie mein Schwager von Bagern

einen Künstler, der nur Geist, nur heilige Begeisterung ist, auf die Dauer zu halten? Zu mir strebt Cornelius. Mich bittet er

um Arbeit, um eine Arbeit, wo er aus ganzem Holze schneiden kann. And da ist Mendelssohn, der für mich eine Musik zur Anti­ gone schreibt und sie mir selber bringen und bei mir bleiben will.

And da ist Rauch. Was brauche ich die frostige Walhalla über Regensburg und ihre verstaubte Schädelstätte? Rauch macht uns

aus ganz Berlin ein einziges Pantheon preußischer, nein teut­ scher Geschichte, in deren immerwährenden, anfeuernden Gegen­

wart ihrer Heroen zu leben, zu wirken wie siel And Rückert

kommt und mancher andere mehr. Auch Schelling — aber das ist noch Geheimnis — auch Schelling will meinem Rufe folgen. Wenige Abende erst ist es her, daß ich mir seine Rede über Ratur und Kunst wieder habe vorlesen lasten. Ich habe sie wie

Gesang genossen. Was werden wir zu erwarten haben, wenn er,

der große Lehrer der Zeit, erst zu unseren Berliner Studenten sprechen wird! — And schließlich Alexander von Humboldt! Wo in der Welt wäre heute seinesgleichen? Wenn ich mit ihm zu­ sammen bin, glaube ich wahrlich den Kosmos in ihm personi­

fiziert zu finden: wo es mir an Wissen gebricht, schenkt er ver­ schwenderisch- wo ich ohne Rates bin, ist er weise wie ein Bater-

wo mir das Wesen der Welt dunkel und trübe erscheint, schafft er mir Licht. — Spürt ihr nun, meine Freunde, etwas von

jenem andern Reich, vom Geislesreich, das ich dort um die Kup­ pel der Nikolaikirche wie um einen magnetischen Kernpunkt

versammeln werde?" Gr wies hinaus in die Dunkelheit, aus deren rasch unsichtiger werdenden Trübe man dennoch die Mauern und Gärten von Potsdam näherkommen sah, über denen sich ihm, hoch über alles Menschenwerk, ein gewaltiger Dom in

Nacht und Unendlichkeit emporzuwölben schien, ein mgstisches Denkmal seiner nach Harmonie und Liebe süchtigen Seele.

Oer Gang der Maschine wurde langsamer. Man näherte sich der Landungsstelle im Ingelheimschen Garten. Alle Laternen

und Lichter waren angezündet, und wunderlich brach sich das

auf den Kopf gestellte Spiegelbild des glanzvollen Königsschiffes im dunkeln Strome. Einige Havelschwäne mit ihrer flaumigen Vrut entwichen unwillig ins Schattenrevier- sie zogen nicht

davon- sie hielten sich abseits im unbestimmten Kreis, weihe

Zeichen schreibend, Zeichen auf dem schwarzen, glasigen Grunde und wie lauernd bereit, zum Unheil verkündenden Fluge auf­ zusteigen in die ungewisse Nacht.

Am Nfer standen Lakaien in ihren neuen Livreen mit den schwarzen Adlern auf breiter Silberborte und wiesen mit Wind­ lichtern den Weg zu den entfernter haltenden Wagen. Am Ende des Landungssteges stand auch der Kabinettssekretär des Königs

und erwartete die Rückkehr des Monarchen. Seine offizielle Miene mißfiel dem König, und er herrschte ihn an: -Nun? Was

gibt's?" „(Ew. Majestät gestatten, daß ich Grund und Entschuldigung

für das auffallende Fernbleiben des Herrn Schinkel am heutigen Nachmittag melde: Herr Schinkel ist erkrankt/

Dem Herrscher schoß die Bemerkung des Generals von Thile über eine mögliche Verstimmung des Künstlers durch den Kopf,

er wippte ungeduldig mit der Fußspitze und sah mit einem un-

aussprechlich ironischen Lächeln auf seinen Sekretär wie auf

einen leeren Schwäher hinab: „Unser allerungnädigster Ober­ landesbaudirektor haben sich in diesen heißen Tagen vermutlich durch den allzu reichlichen Genuß geeisten Sorbettos bei Steheli verdorben?" „Verzeihung, Ew. Majestät: Herr Schinkel ist schwer erkrankt/

„Wae ist mit Schinkel? !" Es kam plötzlich wie ein Urlaut aus der Brust Friedrich Wilhelms. „Ich will es wissen! Ich will

alles wissen!"

„Eine Ohnmacht — ein Versagen des Bewußtseins — die Ärzte geben die Hoffnung auf Genesung, nicht die auf Erhaltung des

Lebens auf/ Friedrich Wilhelm hing mit dem Ausdruck namenloser Ängst

wie vor etwas Unmöglichem, nie Erwartetem, nie Gekanntem an den Lippen des Sprechenden.

Er schien noch mehr des

Grauenhaften erfahren zu wollen. Oer Sekretär fuhr behutsamer fort: „Oie letzten Worte des

großen Künstlers, ehe er für immer in die Nacht seines Un­

bewußtseins versank, galten den unausgeführten Wandmale­ reien in der Säulenhalle des Berliner Museums, die er für

Ew. Majestät entworfen hatte/ Tiefes Schweigen ringsum hielt alle gebannt. Man wartete auf

das Wort des Königs. Äber er regte stch nicht. Nur im auf­ zuckenden fahlen Schimmer des ersten Wetterleuchtens fernher

vom düstern Horizonte schien es, als feien seine Züge verzerrt

bei dem grauenhaften Gesicht des Wahnsinns, in das er geschaut hatte. Es war ihm noch immer, als sähen die Äugen Schinkels, diese dunklen Äugen mit ihrem seelenvollen Feuer, nun hilflos

in ihrer Irre, zu ihm her, daß er sie verstehen solle und für das

Leben erhalten, was eben noch unsterblich geschienen. Eine Er­ schütterung bebte kurz durch Friedrich Wilhelme ganze Gestalt.

„Fritz! Fritz!" flüsterte die Königin und legte beruhigend ihre

sanfte Hand auf seinen Ärm.

Oer König tat einige Schritte vorwärts, aber ungewiß, kraftlos und wie hilfsbedürftig und selber krank, als traute der Fuß dem

Boden nicht mehr, auf den er trat, und nicht mehr dem Gefühl, das sich selbst verloren zu haben schien. Gr sah sich im Kreise

umher, aber fein Blick erkannte offenbar keinen. „233fr wollen zu Alexander von Humboldt: er wartet unser wohl schon lange

auf dem historischen Hügel/

Finale Oer gewohnte Nachmittagsvortrag war gehalten, der letzte in der ununterbrochenen Tagekette eines langen, schweren Jahres,

die heute, wohl für immer, ihren schmerzlichen Abschluß finden sollte. Es galt seht für den Jüngeren, Abschied zu nehmen von

dem verehrten Greise, der müde, den fülligen, etwas eingesun­ kenen Körper in die weiche Rundung eines breiten Lehnstuhls

gebettet, die ganze Zeit über unbeweglich wie teilnahmslos da­

gesessen hatte, die gepflegte Linke auf den kostbaren Lederein­ band einer neuen italienischen Oante-Ausgabe gestützt, deren Vorzüge von dem Vortragenden soeben behandelt worden waren, indessen der Zeigefinger der rechten Hand, wie wenn er während

des Zuhörens in die Luft gezeichnet und dann erschöpft hin­

gesunken wäre, noch ausgespreizt im Schoße lag. Es war still in dem Raume- nur zu dem weitgeöffneten Fenster, das gegen

Westen sah, drang das entfernte Lärmen des volkreichen Vier­

tels tief unten um Piazza Montanara am Fuße des Kapitols herauf zum Palazzo Caffarelli. Oie zur Rüste gehende, noch

einmal prachtvoll aufflammende Aprilsonne hatte den ängstlich um den Krankenstuhl bereiteten Schatten längst zur Seite ge­

drückt und lag voll und barmherzig auf dem abgehärmten, ver­

runzelten Antlitz, dessen leicht gebräunte Farben nicht über die

Hoffnungslosigkeit der langsam weitecschreitenden Krankheit

hinwegtäuschen konnten.

Das Schweigen wurde beklemmend, und der jüngere der beiden

Männer, dessen gewählte, ja anspruchsvoll elegante Kleidung und höfisch gemessene Haltung seltsam dem langen, beseelten Blicke widersprachen, mit dem er, fast wie ein Arzt oder ein

guter Sohn, die Züge seines teuern Herrn sich heut zum Ab­ schied noch einmal innigst einzuprägen suchte, regte sich, an seine

Gegenwart zu erinnern. Oer Alte öffnete die Lider nicht, die schwer über dem erloschenen Blicke hingen, mit dem er hinaus auf den unermeßlichen, steinernen Pomp der abendlichen Stadt

zu starren schien, und mühsam nur und etwas heiser kam es von seinen sich kräuselnden Lippen: -Stille — Rom will schlafen/

Aber der Zeigefinger der rechten Hand, der ausgeruht haben mochte, hob sich wieder, deutete halb hinaus auf das Stadtbild

draußen und mit lässiger Bestimmtheit auf dies und das der weiten Aussicht, hielt inne, gleichsam betonend und unterstrei­ chend, und dann weiter, und so fort, immer fort. Oie Lippen regten sich dazu, stammelnd und als suchten sie die Worte- nur der feierliche Ausdruck, der seine Mienen langsam verklärte,

verriet es, daß vor seiner geistigen Schau — das leibliche Auge war nahezu erblindet — das wundervolle Bild der Stadt mit

viflonärer Deutlichkeit emporstieg, nicht das Bild dieses Tages

und unseligen Jahres

1859, vielmehr jenes ferne Bild der

Ewigen, das er in seine jugendliche Seele eingesogen hatte, als es ihm Bunsen einst am Abend nach der Ankunft hier auf ge­

heiligtem Boden aus eben diesen Fenstern des preußischen Ge-

sandtschaftepalastes gewiesen hatte: Oa lag, wie damals, aus

dem Gewirr der Gaffen zu ihren Füßen auftauchend, der in die

schwarzen

Arkadentrümmer

des

antiken

Marcellus-Theaters

eingebaute Palazzo Savelli-Orflni und dort inmitten des win­

keligen Ghetto der ragende Bau der Lenci, und weiter mehr

rechte hin um das Brünnchen mit den bronzenen Knaben und den Schildkröten der weitläufige Komplex des Palazzo Mattei.

Oer Finger des kranken tupfte mit Bedacht in die leere Luft

vor ihm, und ein Lächeln irrte flüchtig durch das tausendfältig zerknitterte, unleserlich gewordene Linienspiel seines Antlitzes,

als freute sich fein im Lichte dort traumwandelnder Geist der weisen Sparsamkeit jener alten Meister, die mit so wenigen

Tropfen Wassers eine solche Fülle von Phantasie und glitzernder

Fröhlichkeit hervorzuzaubern vermocht. And weiter ging die wegeesichere Wanderung: zur spitzen Kuppel von S. Larlo ai

Latinari und zur statuengeschmückten Fasiade des Palazzo Spada

alla Regola und hin zum Prachtpalast, den der jüngere Sangallo und am Ende gar Michelangelo selber für Paul III.» den

kunstverwöhnten Farnese-Papst, errichtet hatten. And nun zur

Linken, drüben am verwahrlosten Afer des Tiber, die grünen­

den Gärten der lieblichen Farneflna und daneben der festliche Reichtum des Lorsini-Palastes und weiter fort am langgestreck­ ten Hange des daniculus — o Stern des Trostes dem sturm­ verschlagenen Schiffer! — S. Onofrios schlichtes Kloster, wo

Tassos tragisches Leben die letzte Zuflucht und den ewigen Frie­ den gefunden. Oer Alte hielt inne, schloss das Auge völlig und nickte vor sich hin, als ruhte er von anstrengender Wanderung

ein wenig aus: ^Herrlich! Herrlich!" Es war das einzige, was die ermüdenden Lippen zu hauchen vermochten. Oer andere schwieg. Ein überaus feines Verständnis, halb sen­

sitives Zartgefühl, halb angespanntester Scharfsinn, das er in

dem langen vertrauten Umgang mit seinem

dahinsiechenden

Könige für dessen wandelbare und schwer zu verfolgende Stim­ mungen und Gedankengänge in sich ausgebildet hatte, und das selbst, wo sie stammelte und stockte, die Seele Friedrich Wil­ helms IV. verstand, machte Alfred von Reumont auch jetzt wie­

der zum imaginären Weggenossen des Alten, der da in wunder­ licher Ooppelexistenz jenen fernen, vielleicht schönsten Tag seines

wechselreichen Lebens ahnungsvoll in die ihm fremdere Gegen­

wart wirkend, für ein paar Augenblicke eine schmerzliche Glück­

seligkeit genoss. Reumont, der in den Oiplomatensalons und

kultiviertesten Zirkeln der europäischen Großstädte Ausgewach­ sene hatte seine geistigen und seelischen Zähigkeiten nur dank

der vorbildlichen Ökonomie aller seiner Kräfte zu einer, wie er sich selber nicht verhehlte, unvergleichlichen Universalität,

Selbstbeherrschung und schriftstellerischen Fruchtbarkeit erzogen.

Jetzt aber fühlte er, wie der Abschied von seinem Könige, wenn er ihn noch länger hinauszögerte, seine Nerven am Ende doch

übermannen könnte. Oer Gedanke, dieses Meisterwerk seiner

Kunst, mit Menschen umzugehen, heute verlassen und höherer

politischer Notwendigkeit, die setzt seines bewährten Nberblicks über die verwirrten italienischen Verhältnisse bedurfte, aufopfern zu müssen, zeigte ihm plötzlich in dramatischer Zuspitzung seine

bisherige Entwicklung, seine Karriere, sein ganzes Leben am Scheidewege angelangt. Denn war es nicht ein Meisterwerk,

diesen Greis, dessen Geist erloschen und hilflos schien, wenn man ihn so an der Abendsonne hindämmern sah, wieder zum

königlichen Bewußtsein seiner reichen Gaben und Interessen

ausrufen zu können? Wer außer ihm — was Königin und Kam­ merdiener an dem Kranken vermochten, war eine Sache für sich — wer verstand es, wenn das Namensgedächtnis ausfetzte und

sich verwirrte, wenn dem einstmals redebegabtestenManne dieWorte versagten und er stumm und stummer wurde und unaussprechlich

traurig, wer verstand es, die disjecta membra der geistigen Per­

sönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. immer wieder zusammen­ zufügen, wer sozusagen den Vers, den das trotz allem noch so

empfänglich

vibrierende Innenleben

des

Kranken immerfort

unausgesprochen aus den Lippen zu tragen schien, ihm vom Munde zu lesen, wer außer ihm? Vielleicht war es nur eine Galvanisierungskunst, wie Reumont sich wohl manchmal im

Selbstgefühl seiner Menschenkunde sagen möchte, immerhin und

um so mehr war es eine Kunst und er ihr Meister. Oer König schlug die Augen auf und sah blicklos gegen die

Sonne hin, die goldenrot im Begriffe war, zwischen den beiden,

wie von violettem Staube umflimmerten Schattenmaffen der Peterskuppel und der Engelsburg niederzugehen. Oie verwun­ derliche Treue seines bildlichen Erinnerungsvermögens für das einstmals Erlebte liest ihn die Gegenwart mitempfinden, und

neue Gedanken und Pläne schwirrten wieder hinaus in die Welt.

Oer König wollte etwas sagen, sich mitteilen- aber es wurde

nur ein Stammeln daraus. Llnruhe überkam ihn. Seine Augen sahen hilflos umher, er suchte nach einem Bmweg, sich verständ­

lich zu machen. Reumont, der ihn scharf beobachtet hatte, war

doch noch nicht im Bilde, er beugte sich mit dem Ausdruck will­ fährigsten Entgegenkommens hinab, unwillkürlich dabei bemüht,

den schönen Lederband, den er dem König vorhin überlassen,

aus den sich nervös darin einkrallenden Fingern des Kranken zu befreien, denn er liebte seine Bücher, und sie mußten ebenso

korrekt gehalten werden

wie seine eigene, wohlgewählte Klei­

dung. Oie Erregung des alten Mannes wuchs: .Wie heißt er denn? — Sie wissen doch — der arme Kerl — er — ich — ich

bin's sa selbst — bin er — sa! sa! — Bur der Barne — der Bame, Liebster!" Tränen stiegen ihm hoch. „5d) sage nie wieder ein Wort, wenn Sie nicht einmal mehr —/ Beumonts Allwissenheit fühlte sich aus die Folter gespannt- er

hatte gar keine Handhabe, dem Bnglücklichen zu Hilfe zu kom­

men.

Oie Angst des Kranken schlug plötzlich in Zorn um:

.Scheren Sie sich fort, Sie sind zu öuninr?* schrie er den Mini, sterresidenten an, der unangefochten aufrecht vor ihm stehen­

blieb, keine Falte im knapp geschnittenen Rock: am Schwanen, gefieder seiner intellektuellen Wesenheit konnte, dessen war er

sich gewiß, nichts haften bleiben. Oer König war in sich zusammengesunken- schwer atmend flü­

sterte er einmal um das andere ein .Heiliger Gott! — Barm­ herziger Gott!" und tastete gewohnheitsmäßig nach seinem puls.

Dann beide Hände mit einer Bewegung der Ohnmacht an seine Stirn legend, stöhnte er auf: .Hier — hier — alles tot! Ich

bin lebendig begraben! — Ein dickee Tuch liegt mir auf dem

Verstände, und nur dann und wann — durch eine Ritze — Reumontl Mein lieber Reumont!" Friedrich Wilhelm hielt die beiden Hände einen Augenblick unschlüssig, als wenn sie erst

das Buchstabieren lernen müßten, vor sich hin, dann fühlten sie

flch mit einer gewissen kranken Anmut an den Getreuen heran, den seine unverbesserliche

Launenhaftigkeit

gekränkt

haben

mußte, und mit jenem Liebreiz im Ausdruck, der dem Greise

aus seinen Knabentagen unverloren geblieben war, wandte er

flch fast schmeichelnd ihm zu: ^Teuerster! Bester!" Seine Hände hatten dabei die Rechte des andern genommen und liebkosten fle mit einer Zartheit, wie wenn sie Lippen wären: ,Siel —

wissen — Sie, Reumont, müssen doch alles wissen!" Reumonts Eitelkeit genoß mit beherrschtem Wohlgefühl dies

Wort einer nicht unberechtigten Anerkennung: wie oft nicht hatte er Friedrich Wilhelm in den Tagen seines Glanzes an der Tafelrunde von Sanssouci so oder ähnlich zu seinem Voltaire,

zu Alexander von Humboldt, sprechen hören. And er empfand es wie einen leisen Triumph, jenen Alten vom Berge, der immer

noch nicht sterben mochte und nach wie vor im nordischen Berlin die Huldigungen des ganzen Erdballs einsammelte, hier nm

solche letzte Gunstbezeigung ihres gemeinsamen Königs gebracht zu haben. Mochte er nur weiter hämisch den Kopf mit Herrn von Barnhagen zusammenstecken und Boshaftigkeiten über ihn

tuscheln und über die Fülle des gelehrten Kleinwesens, mit dem er der Art des Monarchen angenehm entgegenzukommen wußte,

spötteln — oh, man durchschaute den unheimlichen Greis, wenn man es sich auch nicht merken ließ —, er hier, Alfred von Renmont, würde der letzte Geistesgenosse Friedrich Wilhelms IV. vor

der Geschichte bleiben.

»3d) werde immer dummer — helfen Sie mir doch, Liebster", flehte der Kranke und stach mit dem Finger, auf seinen unaus­

gesprochenen Gedanken von vorhin offenbar zurückkommend,

in die Luft gegen das Fenster, wo vor dem aufblickenden Ge­ sandten das Bild der Stadt, die er heute nacht noch verlassen mußte, um schnellstens auf seinen Florentiner Posten zurückzu­ kehren, im letzten Purpur noch einmal aufglühte, das Bild Roms, d^s ewigen, überkrönt vom sgmbolhaftesten aller seiner Werke, der Kuppel von St. peterl Ein Blitz schoß durch Reumonts Kopf, er kannte die Ideenverbindungen in der chaotisch ringenden Borstellungswelt seines Herren: Leichthin wandte er sich gegen ihn und sagte wie beiläufig: „Ew. Majestät wollten vorhin von Schinkel —/ „Der! Ja der!" rief der König lebhaft aus, mit der Hand rasch zugreifend, als könnte der Gesuchte ihm wieder entschlüpfennur der Name wollte ihm noch nicht über die Zähne. ,2ttmer Kerl! — Sie wissen —/ Den Finger vor den Mund legend, machte er dabei eine Bewegung, als wenn er sagen wollte: davon spricht man nicht. „Aber sein Genie lebt — lebt in ntft", fuhr er eifriger werdend fort. „Potsdam, nicht wahr? And Berlin —* „Die vielen schönen Bauten, die unter Ew. Majestät Regierung ausgeführt worden sind —", fiel der Hofmann ein. „Richt doch. Teuerster! Ich! — Ich bin's! Die Gedanken von — dem armen Kerl — wer andere als ich — wer denn? Ra? Aber Berkennung, Berkennung überall. — Aber noch bin ich da!" Die Erregung über die Möglichkeit, daß sein eigenes Künstlertum immer noch unterschätzt werden könnte, und das Bedürfnis, zu überreden, machte seine Worte flüssiger. „Als wir jung waren — er und ich — bauten wir ein Luftschloß mitein­ ander. Mein sparsamer Bater — nun ja! — Das kostete doch nichts. — Ein antikisches Lustschloß auf dem Potsdamer Tor­ now — so schön! So schön!! ,Bel Riguardo< sollte es heißen. — Ich weiß noch alles. And jung waren wir! — Aber der arme Kerl, Sie wissen ja —." And wieder legte er den Finger vor den Mund, wie um Häßliches zu vertuschen. „Run baue ich allein — ich! — aber nicht mehr Luftschlösser: Tempel für den

Allerhöchsten? — And Hallen, weite Säulenhallen für — Ein

König braucht Hintergrund — ich muß Raum haben um mich?"'

And mit versagendem Pathos, das doch zu echt war, um komisch zu wirken, beschrieb er einen abwehrenden kreis um seinen

krankenstuhl. Seiner Anbeholfenheit dabei gewahr werdend,

rief er plötzlich aus: »Aber ich habe Eile, begreifen Sie, Bester? Eile? Ich muß fertig werden, solange es Tag ist, ganz fertig —

mit allem! — Es ist da sonst einer — der mich auslacht!"

Friedrich Wilhelm vermied es, den Ramen dessen zu nennen, den er offenbar wie einen Feind auf sein Tun lauern spürte,aber die kurze ornamentale Linie, die sein Zeigefinger in die

Luft schnellte, wirkte in ihrer wahrhaft genialen Einzigkeit ver­ blüffend, des Alten Fritzen dämonisches Wesen war es, das,

obschon zerbrochen und tausendfach gehemmt, mit atavistischer Grundgewalt stch da als das gleiche Blut, die gleiche Rasse kund­

tat. Es war einer sener für die nähere Umgebung peinvollen

Momente, die es immer wieder fraglich erscheinen ließen, ob Friedrich Wilhelm IV. überhaupt zu Recht von seinem Behufe

ferngehalten werden dürfe. »Ich habe Eile — glauben Sie mir, Liebster — große Eile?"

Wieder griff seine Rechte an den puls- eine nicht verhehlte Angst sprach aus seinen Mienen und Gebärden. »Ich habe nicht fort­

gewollt aus meinem Lande — aber die Ärzte — und — Ich bin ja nicht mehr frei — verstehen Sie das denn nicht?" Er machte eine Bewegung, als feien ihm beide Handgelenke ge­

fesselt. Oer Gesandte neigte sich höfisch und zu wiederholten Malen

und sprach von dem wohltätigen Einfluß dieser italienischen Reise auf das allgemeine Befinden seiner Majestät und von

der täglich sich erneuenden freudigen Empfänglichkeit für Natur und Kunst. »Jawohl — ein König in der Fremde?" Friedrich Wilhelm

sprach eo bitter, warf sich ungezogen in den Stuhl zurück und

drehte die Daumen umeinander. Dann wieder still werdend sah er mit einem langen Blicke, dessen deutlich erkennbare Blindheit etwas Visionäres hatte, starr vor sich hin. — -Potsdam —7 Es zuckte seltsam ironisch um seinen Mund, als er, das altüberlie­ ferte Schmerzenewort rezitierend, murmelte: «Quand je serai la, je serai sans souci —.» plötzlich jedoch, wie von den bösen Geistern seiner Krankheit aufgeschreckt, bäumte er sich von seinem Stuhl empor und riß mit beiden Händen den 2lrm des Freundes an sich: -Ich will nach Potsdam zurück, Teuerster, Liebster! Ich will zurück! Ich muh! Ich muß!* -Ew. Majestät werden ja auch in wenigen Tagen die Heim­ fahrt antreten", erwiderte Reumortt mit dem beruhigenden Tone des zuverlässig Unterrichteten. -Die Reise durch Oberitalien wird freilich unmöglich sein, da, wie ich soeben erfahre, die ersten blutigen Zusammenstöße zwischen Österreich und Sardinien be­ reits erfolgt sind. Aber die russische Fregatte, die der Zar weiter zur Verfügung gestellt hat, ist bereite nach Ancona unterwegs und wird Ew. Majestät in aller Sicherheit nach Triest bringen. Triest — und dann Wien — und Dresden — Überall ist für einen behaglichen Aufenthalt vorgesorgt. Und am Ende ist es gar lieblich, die kuppel der Rikolaikirche wieder in der maienumgrünten Havel sich spiegeln zu sehen, selbst wenn man aus Nom kommt/ Der König hatte aufmerksam zugehört- nun füllten sich seine Augen langsam mit Tränen, und er sprach leise für sich: -Rom — Ich werde es nie Wiedersehen. Mein Herz bleibt hier — war immer hier. Hier — aus diesen Fenstern: Rom — Rom!"' Schluchzen übermannte ihn. Alfred von Reumvnt trat mit dem ihm eigenen Takt leise und ohne ein Wort zu sagen einen halben Schritt näher. Aber die kaum bemerkbare Bewegung genügte, das etregte Gefühl des Leidenden an weitere Kümmernis zu gemahnen: -Und Sie gehen auch von mir! Warum wird mir das angetan!"

Alfred von Reumont sah auf seinen armen König, einen Augen­

blick in eigene Erinnerungen verloren, hinab: 30 Jahre waren es seht her, daß sein Fuß zum ersten Male Florenz betreten

hatte: ein Menschenalter in Italien voll Arbeit am Schreib­ tisch, in Palästen, in Bibliotheken, in Museen, voll Arbeit und voll Erfolg! And der Gesandtenposten in Toskana konnte doch

nur ein Sprungbrett sein. In Italien gingen neue Dinge vor

sich. Es war klar, daß man des größten Kenners des Landes

setzt bedurfte. Er, der sich rühmen durfte, jedes Gras wachsen zu hören, der stolz darauf hielt, für den feinsten Vermittler zwi­

schen deutschem und italienischem Geistesleben zu gelten — war er denn dem König, der seinen Verlust so schmerzlich empfand,

da überhaupt ein Wort der Erklärung schuldig? Oie Zeit ver­ langte Opfer, auch von ihm, daß er seinen alten kranken Herrn im Stiche lassen mußte, um sich der neuen Zeit zur Verfügung

zu halten. -Es ist Krieg, Ew. Majestät", gab er schließlich mit einer gewissen Kälte dem an dieser Zeitlichkeit Verzweifelnden zur Antwort.

Friedrich Wilhelme feiner Menschensinn schien einen Augenblick

auf den Untertan dieser Erwiderung zu horchen, aber er schwieg.

Erst nach einer kurzen Pause seufzte er auf: „6(e haben recht — es ist Krieg. — Arme Völker! — Ach, mein Volk! Mein Volk! — Was bin ich ihm noch?" -Oas Volk betet für Ew. Majestät", suchte Reumont abzu­

lenken. -Ja, es ist gut, dies Volk. Aber, was kann ich ihm noch sein?

— Liebster, wenn Sie wüßten — nachts — die langen, langen Nächte — Schrecklich! Schrecklich!" Oer König strich sich schau­

dernd über die Stirn. Neumont, der spürte, wie eine neue Welle quälender Anruhe

in dem Anglücklichen aufstieg, griff zu dem von ihm ost genug

bewährt befundenen biblischen Mittel, den kranken König zu

beschwichtigen, zum süßen Balsam klingender Rhythmen. Fried-

rich Wilhelms verwöhntes Ohr lauschte gern auf den Wohllaut

seiner gepflegten Rezitationskunst, und so hörte er ihm auch

heute willig zu, als der belesene Mann anhub, ihm die eigenen Gedanken zu verführen, indem er sie in des Dichters Worte um­

zusehen sich unterfing: Mm Mitternacht kämpft" ich die Schlacht, O Menschheit, deiner LeidenNicht könnt" ich sie entscheiden Mit meiner Macht Am Mitternacht.

Am Mitternacht £)db" ich die Macht In deine Hand gegeben; Herr über Tod und Leben, Du hältst die wacht Am Mitternacht/ Mer die Traurigkeit wich diesmal nicht von dem Könige. Er

nickte nur obenhin, wie man Belangloses abtnt, indessen seine Gedanken wie in einer 2lrt von Selbstgespräch laut wurden: -Ich habe mich meinem Volke hingeschenkt! —/ Friedrich Wil­ helm, der nach seiner Brust gedeutet hatte, machte eine Gebärde,

als wollte er sich dem Pelikan vergleichen, dem es bestimmt sei, sein Herzblut wieder und wieder auszuspenden. -Aber nun sind

meine Hände leer — alles leer! Womit habe ich das verdient? — Gott hatte mich begnadet, ihn in jedes Augenblickes Reiz und wechselnder Gestalt zu erleben. Bin ich darum schuldig? —

Ich wollte Preußen glücklich machen. Schöner, froher: — Ita­ lien!"" Mit einer in all ihrer Kraftlosigkeit großen Gebärde wies er hinaus auf das Landschaftsbild draußen im Abendsonnen­

rot. -Ich fühlte das Schöne in mir. Hier — mein Herz! Oer Weg ins Paradies geht durch mein Herz! — Aber das Volk haßt mich — darum!"" Friedrich Wilhelm hatte schneller gespro-

chen, vielleicht aus Angst, der Faden seiner Worte möchte stch

wieder verwirren, ehe er noch Letztes bekannt haben würde. Aberwältigt sedoch hielt er nun inne. Er war tief in den Sessel

eingesunken, das Kinn auf die schwerer und schwerer atmende

Brust gepreßt. Oie Hände begannen in fiebernder Hast die Leh­

nen zu umklammern und zu reiben. Grauenhaftes schien auf ihn einzudringen. Reumont, der einen Anfall befürchtete, trat nahe

herbei, dem Kranken Wort und Wunsch von den Lippen zu lesen.

Aber das Auge Friedrich Wilhelms in all seiner Ankraft zeugte

von klarem Bewußtsein- nicht der Dämon seines Siechtums war es, der ihn eben jetzt wieder übermochte- die unentrinnbaren Ge­

spenster seines eigenen gelebten Lebens waren es, gegen die er in tragischer Verkennung seiner selbst vergebens aufstöhnte. Hohl und geisterhaft wie aus längst verschütteten Artiefen klang sein vorwurfsvolles Wort: »Es haßt mich — And ich habe an sein

,3a‘ geglaubt!"

Reumont, so vielerfahren er war, fühlte, wie es ihm kalt den

Rücken hinaufstieg. Vor seinen Gedanken stand plötzlich sener

in der Geschichte aller Könige einzige Augenblick, wo ein ganzes Volk freiwillig seinem neuen Herrscher bei der Huldigung sein

Gelöbnis und Jawort laut aufjubelnd zurückgab und Friedrich Wilhelm IV., strahlend im Morgensonnenglanze seiner jungen Königsschaft, dieses »Ja" der Hunderttausende in heiliger Begei­

sterung aufgriff: »Dies ,9a‘ war für mich — das ist mein Eigen — das lass" ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in gegen­

seitiger Liebe und Treue — das werde ich in meiner Todesstunde

nicht vergessen!" — And gleichzeitig stand vor Reumont das fürchterliche Bild jenes anderen Augenblicks, als dieses selbe

Volk im blutigen Aufruhr von 48 diesen selben König, der jedem

einzelnen gleichsam sein Himmelreich verhießen, dem jeder einzelne

geglaubt und gern geschworen hatte, heraus aus dem ehrwürdigen Schlosse seiner Väter zu sich auf die Straßen Berlins zwang und ihm im langen Leichenzuge die grausigen Opfer wies, die

sein hohes Wort verführt, die ihm ergeben gewesen und nun von

ihm enttäuscht, sich verkannt und von der Unbeständigkeit des

königlichen Liebeswrrbens verraten wähnend, ein sammervolles Ende gefunden hatten. And der König, entblößten Hauptes vor

der heulenden Menge, gedemütigt und zerbrochen, nicht mehr der Herold und Hohepriester seiner Krone, vielmehr ihr Märtgrer,

der erfahren muß, daß am Ende von allem das «Ecce homo» steht. Reumonat sah erschüttert auf den alten Mann herunter, der da

hilflos nach Klarheit rang, aber er schwieg. Ihm, dem gläubigen Christen und Katholiken, kam es nicht zu, als Mittler einer

Seele beistehen zu wollen, die sich in der erhabenen Einsamkeit ihres Gotteegnadentums mit ihrem Heiland selber abzufinden

hatte. Eine lange Pause war zu Ende, als Friedrich Wilhelm, seinen stummen Monolog beendend, noch einmal leise wiederholte: „3cf)

habe an sein ,Ia" geglaubt — Ich glaube noch daran — Hatte er innerlich überwunden, fühlte er sich gerechtfertigt und wieder frei? Der Alp begann offenbar von seiner Brust zu

weichen,- der Kranke erinnerte sich der Gegenwart des Staats­ mannes. Mit einem merkwürdig prüfenden Blicke sah er zu ihm

auf: „wird Er — dieses Bolk glücklich machen?" „Ew. Majestät meinen Seine Königliche Hoheit den Prinzen von Preußen?" Alfred von Reumonts Haltung und Wesen

schienen sich zu dem ihm eingeborenen Ideal von Korrektheit zu

vollenden- nur war irgendein Etwas dabei, das kaum zu be­ zeichnen gewesen wäre, das den geistvollen Mann in diesem Augenblick ein ganz klein wenig wie eine Karikatur seiner selbst erscheinen ließ.

Oer König nickte bekräftigend: „Sagen Sie nur,den Regenten!""

„Oer Prinz wird treu zu seiner Pflicht stehen, Majestät", ant­ wortete der Gesandte fest.

„Treu — treu —." Oer Ausdruck schien nicht ganz den über­

schwenglichen Anforderungen zu genügen, die Friedrich Wilhelm

selber an die Eigenschaften seines Stellvertreters und künftigen Nachfolgers machen zu dürfen sich berechtigt glaubte. -Treu — ist auch ein Feldwebel seinem Hauptmann. — Aber vielleicht

haben Sie recht: Pflicht—Arbeit—viel Arbeit — Soldaten—."

Oer König, der die Augen geschloffen hatte, die von der 23op

stellung so vieler nüchterner, wenn auch guter Oinge, wie er sie hier beieinander sah, ermüdet sein mochten, hielt inne, um dann

rasch mit graziösem Spott ein I-Tüpfelchen daraufzusehen: „—und

dann und wann, Liebster — eine Kornblume!" Aber er geriet über dies Bild in neue plötzliche Erregung, „llnö ich? Und

ich? War das alles denn nichts? Kränze — immerfort bunte Kränze — sie wuchsen mir sa in die Hände, wo ich sie aus­

streckte! And doch verhaßt! — Aber vielleicht haben Sie recht:

»treu zu seiner Pflicht stehen'—."Oer König lehnte sich angegriffen zurück. Sein Blick war wieder seltsam leer und glasig geworden,

als er Reumont bedeutete, näher heranzutreten, ganz nahe: -Bin ich ein König? War ich es einmal? Ich weiß es oft selbst nicht

mehr. So dämelig kann ein Mensch werden." Eine Träne tropfte ihm auf die Hand, er ließ sie, doch als Reumont stille ein Taschentuch nahm, sie fortzuwischen, faßte er seine Hand, drückte

sie und zog sie wortlos an sein Herz. Es war das einzige Oankund Liebeszeichen, über das er noch verfügte. Sie sprachen nichts, aber beide schienen zu fühlen, wie einer Vision gleich ein Neues,

Namenloses ernst und strenge herangetreten war und groß, riesen, groß über die zuckenden Schultern dieses müden Greises empor-

wuchs. Eine lange pause war vergangen, als Friedrich Wilhelm auf­ horchend den Finger hob: Fern draußen hatte eine Glocke ange­ schlagen, eine zweite und dritte folgte. Es war, indem er ihren

Klang lauschend verfolgte, als kennte er ihrer jede bei Namen, wie sie nun, in breitem und breiterem Chor über die ganze Stadt

hin anschwellend, das Ave läuteten Eine Stimme noch hatte ihm gefehlt, nun setzte auch sie ein, und man vernahm von rechte

unten herauf das sonore Drohnen der Glocke des Gest. Der Kranke sog den feierlichen Rundgefcmg mit einer gewissen Gier ein, als fühlte er eine belebende Kraft in ihm. „60 viel — so viel —", flüsterte er, »nur um uns ,Gute Nacht' zu sagen. — So sollte man vielmehr Sterbende rufen. — Der Stern dort über S. Pietros Kuppeldom, der Abendstern, Liebster, ist er noch da? Was glänzte er damals! Was glänzte et mit zum Gruß! — Sie läuten — sie läuten. — So sollte man Sterbende rufen, daß sie den letzten dunklen Weg finden/ Reumont sah in wachsender Besorgnis auf seinen Herrn. Er kannte solche Todestraurigkeit an ihm- aber so verinnerlicht und verklärt hatte seine Stimme ihm noch kaum jemals geklungen. „Darf ich Gw. Majestät nicht nach einmal die Worte des Jesajas hersagea, wie der Herr ihn zu König Hiskia sandte, ihm sein Ende anzukündigen, und wie Hiskia zum Herrn betet und der Herr ihm weitere 15 Jahre gibt?" Reumont wußte, welche Be­ deutung Friedrich Wilhelm dieser Bibelstelle im geheimen beimaß. „Ich weiß, Liebster — ich weiß", wehrte jener ab, als wollte er nicht aufgehalten fein. „Es wird Nacht — Sie müssen fort/ Reumont erschrak, nun er Öen letzten Augenblick des Abschieds gekommen sah- ihm war, als dürfe er seinen armen Herrn in der Not seiner letzten Erdenzeit nicht verlassen und müsse treu als Mensch und Diener bis ans Ende bei dem verharren, der ihm sein Leben lang ein gnädiger Fürst gewesen war. „Der Reise­ wagen ist nach nicht vor der Tür — und wär' er's auch — Maje­ stät, ich wünschte —/ „pst — pst", unterbrach ihn der König leise, und eine Hand­ bewegung warnte, als hätten die Wände Ohren. „Man bedarf Ihrer — Sie müssen fort", drängte er mit sichtbarer Energie. Reumont fühlte, was in dem Könige vorging, er fühlte, daß es die Augst des Schwerkranken war vor der Gegenwart: nur weiter, irgendeiner Zukunft zu, als wenn von ihr noch anderes zu erwarten wäre. Tiefes Mitleid überkam ihn, und eine innere

Stimme, lauter als der eitle Wahn seiner intellektuellen Oberheblichkeit, schien ihm plötzlich ein „Bleibe" zuzurufen: ,Oie neue Zeit — weißt du denn auch gewiß, ob du ihr Mann sein wirst?'

Ergriffen machte er eine Bewegung, als wollte er sich dem Könige zu Füßen werfen: „Herr! — Mein lieber Herr —V „Gehen Sie, Teuerster! Eilen Sie", mahnte der. „Hier ist nur

Platz für einen noch nach Ihnen/ Llnd seine erhobene Hand

deutete auf den Glockenschall, der feierlich über der Stadt aus­ klang. „Aber einen Reisesegen wird mir mein gütiger Fürst nicht ver­ sagen", bat der Scheidende mit einer zuvor niemals bekannten

Innigkeit.

„Ich —? Was könnte ich noch?" fragte Friedrich Wilhelm verloren. „Bergessen Sie mich nicht, Liebster." Es klang rührend,

fast wie die Bitte um ein letztes Almosen für den, der einstmals Pläne und Gedanken bewegt, als werde er hundert Jahre König sein, und der nun der Vergänglichkeit alles dieses innewerden mochte.

Reumont neigte sich tief hinab und führte die Hand des Königs mit Inbrunst an seine Lippen.

Friedrich Wilhelm entzog sie ihm sacht. Dann machte er eine unendlich zarte Bewegung auf Reumonts Brust und Geflcht zu,

eine liebkosende, und wies ihn stille fort. Oer Gesandte ging, sich aber- und abermals verneigend, die Blicke auf seinen König geheftet, hinaus.

„Vergessen Sie mich nicht, Alfred Reumont", kam es beschwö­

rend noch einmal von den Lippen des Königs, dann aber, im plötzlichen Bewußtsein der Ode rings um ihn her, aufschreckend:

„Reumont!" und zuletzt fast schreiend: „Reumont! Reumont!" Oer König hatte mit äußerster Anspannung aller Kräfte sich aus

dem Sessel gehoben, nun stand er da, zitternd in großer Einsam­

keit: Oer da von ihm gegangen, es war der letzte Zeuge aus

jener Welt gewesen, die er geliebt, der er gelebt, die seine ge­ wesen war. Und dieses war das Ende!

Fernher aus einem der Vorzimmer kam ein Geräusch. Friedrich Wilhelm erkannte mit einem leisen Aufslöhnen der Erleichterung dieses Anfassen der klinken, dieses knistern des Kleides- mit unsäglicher Spannung wartete er dem kommen der Königin

entgegen, wie der kranke, der seiner Balsam bringenden Pfle­ gerin harrt.

Königin Elisabeth trat herein, die Lampe sorglich vor stch

tragend. Betroffen sand sie den Gemahl in Zimmers Mitten und allein. ^Liebchen, bist du nicht wohl?" Nasch stellte sie die Lampe auf den runden Sofatisch ab und eilte, dem Schwer­

atmenden den bleiernen Schweiß von der Stirne zu wischen.

-Liebchen — aber Liebchen!" Friedrich Wilhelm warf ihr einen Blick aufquellender Dank­

barkeit zu- er wollte sprechen, aber erschüttert vermochte er nur

noch auf das Fenster zu deuten, in dessen offenem Rahmen das Bild der abendlichen Landschaft mit dem Augenblicke, wo Licht

ins Zimmer gebracht worden, in blauer Rächt erloschen war.

-Bete! Bete für mich! Ich will es auch tun!" And er sank der treuen Hüterin an die Brust. Oie schweigende Frau schien zu verstehen, was ihn so tief be­

wegte, und was ste etwa nicht verstand, fühlte ihre Liebe ihm

nach. Den schweren Körper des kranken mit Arm und Schulter stützend, geleitete ste ihn Schritt für Schritt, fürsorglich kleine

Pausen beachtend, an den Tisch und bis zum Sofa, wo sie ihm behutsam an ihrer Seite den Platz bereitete. Das Gesangbuch

war ihr zur Hand, sie schlug es auf und hielt es dem Gatten ins Lampenlicht hin: -komm, Liebchen, laß uns unser Abendlied singen." And sie begannen zu zweit ihr altgewohntes -Ach bleib" mit deiner Gnade", die anspruchslose Stimme der vorzeitig ge­

alterten Frau noch immer voll und rein, die des Königs jedoch brüchig, mühsam und verbraucht. Draußen die Stadt lag stille

und der ganze Palast wie ausgestorben. Es war, als sei auf der weiten Welt nur mehr dies alte, vergessene paar auf, das feine Einsamkeit und Zuversicht Gott sang. 2lber die Stimme Friedrich Wilhelms, die schon' des öfteren gestockt hatte, versagte am Ende vollends. Ein unterdrückter Schrei, ein Schluchzen tief herauf — und der Kopf des Königs sank auf die Tischplatte nieder, die strömenden Tränen in beiden Händen zu bergen. Auch der Gesang der Königin hörte auf. Kummervoll sah fle auf das arme Haupt des Kranken nieder, dessen spärlich graues Haar ihre linde Hand ihm liebreich aus der Schläfe strich.

Sin Symposion in der Amalienburg 2t u 6 den Tragen

der VNdungsromantlk

Auch der Abend schien die erhoffte Kühle nicht bringen zu wollen. Anter den breiten Laubkronen des Rgmphenburger Parks mit

seinem dichten Anterholz stand die hochsommerliche Glut wie mit

Händen anzufühlen gebannt und unbeweglich, und auch der seidenblaue hohe Himmel, der langsam in ein venezianisches

Silbergrau abzublassen begann, verhieß keinerlei Frische für die

Rächt. Gin paar leichte Ounststreifen nur zogen in unmeßbaren Hohen fern vorüber. Vor den rosafarbenen Marmorstufen, die zu dem silbernen Spie­

gelsaal der Amalienburg hinaufsühren, und den der Gäste des Königs harrenden Lakaien schritten in der grünen, ein klein

wenig an Freischütz-Romantik erinnernden Tracht, die für das nächste Gefolge Maximilians II. auf seinen Jagden im Hoch­

gebirge vorgeschrieben war, die ersten zwei der zur Tafel Ge­

ladenen plaudernd auf und nieder. ^Sie sollten Ihre einzigartigen jägerlichen Beobachtungen nieder­

schreiben, Graf Ricciardelli. Eine solche Fülle von Erfahrung

und Erleben der Ratur darf nicht verlorengehen/ »Richt schreiben, caro amico, und wenn schon schreiben, nichts veröffentlichen", erwiderte der Andere, dessen schlanker, südländi­ scher Roblesse das nordische Jägerkleid verwunderlich gut stand.

»Aber bedenken Sie doch, welche Freude es dem König macht, ein Stück Wissen gesichert zu sehen und es rubriziert und etikettiert

in seine Bibliothek einordnen zu können", drängte jener mehr

aus amtlicher Gewohnheit weiter.

Dafür sorgen Andere schon genug, lieber Oönniges — da kommt ein Gast —", lenkte der Jägersmann ab, auf ein Geräusch im

Schattendunkel der Bäume horchend: »Tapp — Tapp — Tapp — Tapp —: Das ist Niehl/

Mit dem gleichmäßigen Schritt eines Mannes, der feine sechs

Kilometer in der Stunde zu gehen gewohnt ist, näherte sich der

angekündigte Gelehrte. »Unser Kulturwanderer/ rief Oönniges ihm entgegen. »Und die

offenen Augen und Gedanken im Gehen gewiß wieder um tau­

send kleine Kulturphänomena bereichert!^

»Getroffen, Oonniges! Wie könnte es auch anders fein, wenn

man so mitten durch das schöngereihte Niesenspielzeug unserer lieben alten Ngmphenburger Schloßbauten mit all ihren Er­

innerungen an Ferdinand Maria und Max Emanuel und durch

den französischen park Girards und Effners und die neumodi­ scheren englischen Anlagen Skells wandelt — und hierher zur Amalienburg Karl Alberts/

»Schreibtafel her — oder bester Kollegheft/ schrie Oonniges in seiner leicht burschikosen Art dem mit Niehls £jut und Stock

sich entfernenden Lakaien nach, »damit ich nur keinen der

Namen vergesse: Barelli und Biscardi und Luvilli^s und Zimmermann! War's nicht so, Herr Professor? — Aber ernstlich,

Niehl: Ich beneide Sie um diese Gabe: immerfort sehen, lernen und sofort produzieren und lehren zu können '

»Wer wollte den Herrn Ministerialrat und Bibliothekar Sr.Masestät etwas Neues lehren?" gab Niehl lachend zurück.

»Wer? — Oer da kommt z. B., aber notabene nur der Eine/ Ourch seine scharfen Brillengläser hatte Oönniges aus der Tiefe des Gartens zwei in Frack und schwarzer Binde sorgfältig gekleidete Gestalten näherkommen sehen. Bewillkommnend schritt

er auf die Gäste seines Königs zu: »Ich senke meine Stirn in Ehrfurcht vor Justus von Liebig als dem olgmpischen Haupte

unserer Akademie der Wissenschaften! — Salem aleikum, Baron",

wandte er sich dann neckend an den Freiherrn von Schack: »2lber

was sehe ich? Falten auf der Stirn? Was für Sorgen dürfen es wagen, unfern Mäcenas auf das Flachland des Irdischen herabzudrücken?"

»Sie scherzen, verehrter Rat", erwiderte der, ohne auf den Scherz einzugehen. »Aber es wird nachgerade doch zu arg, was alles

man mir zur Strafe dafür, daß ich mich nm die neue deutsche

Kunst bemühe, zumutet/ »3, das wäre!" bezeugte Dönniges mit seinem herausfordernd

norddeutschen Organ seine Teilnahme. »Daß mich, ausgerechnet mich die gesamte Talentlosigkeit der Gegenwart mit ihren Anliegen belästigt, bin ich sa gewohnt",

ereiferte sich Schack. »Aber hören Sie nur, wie absurd: Da schreibt mir heute eine junge Schauspielerin: ich möge die von ihr benötigte neue Garderobe für sie bezahlen, damit sie das ihr

irgendwo angebotene Engagement als erste Liebhaberin, für die sie doch so ausgesprochenes Talent besitze, annehmen könne.

Ihrer schrankenlosen Dankbarkeit dürfe ich mich versichert halten!" -fiat die Dame dem sgmpathischen Schreiben ein Lichtbild bei­

gefügt?" fragte Dönniges trocken.

»Wieso? Was meinen Sie?" »Die Frage ist doch nicht so unberechtigt", schmunzelte Liebig, während Riehls breite Lippen ein unverhohlenes Lachen zeigten.

Schacks zarte Fingerspitzen machten eine nervöse Bewegung,

als würde er sich wieder einmal seines Unvermögens bewußt, das lautere Gold seiner hochgetriebenen Intellektualität auch in der

Scheidemünze des Witzes auszugeben.

Dem im Grunde seines fierzens gutmütigen Dönniges tat die

Verlegenheit des trefflichen mecklenburgischen Granden leidaber der Schalk in ihm war nun einmal größer als der Takt,

und er konnte es sich nicht versagen, der heimlichen Ruhmsucht des sich immer verkannt Fühlenden ein wenig einzuheizen: »Kein

Zweifel, meine fierren, daß wir in unserm Schack den Mann zu

bewundern haben, der mehr Sprachen noch beherrscht als selbst

Rückert, und uns Deutschen so viele west-östliche Provinzen der Weltliteratur erobert hat wie kein anderer. Schade nur, daß der ehrsame Junggeselle bisher verschmäht hat, vom Munde etwa elner Analphabetin gelegentlich auch die Langue d’amour zu

lernen/ Schack tat wohl oder übel so, wie wenn er lachte, indessen die

andern finden mochten, daß Oönniges seine Witzelei wieder ein­

mal zu breit träte, und Ricciardelli folgten, der auf die Förster­ gestalt Franz von Kobells in der Ferne aufmerksam machte. Für

den ersten Eindruck etwas struppig und in dem abgetragenen Jagdanzug gar zu bequem, sah der untersetzte, kraftvolle Mann,

der im Schreiten gelegentlich anhielt und mit dem Stocke for­

schend in die Erde fühlte oder mit seinen großen Kugelaugen in

die dämmernden Baumwipfel spähte, nicht eigentlich wie ein Mann aus, der zu seinem König geladen war. Als er die Blicke

der ihn Erwartenden gewahr wurde, schwang er sein Hütchen mit der Spielhahnfeder und sandte einen fröhlichen Jodler hinüber­

ader. wie wenn er durch den Anblick der Lakaien vor der schimmernden prachtfassade des Jagdschlößchens sich vermahnt

fühlte, schloß er sich selbst sofort mit der breiten Rechten den Mund: -Jessae, mei! Franzl! Oöe wann dei Kinni hören f6t!" .Dann würde er wähnen, auf der Wimbach-Alm zu sein und Sie

nach der Zither und Ihren neuesten Schnadahüpfeln fragen", lachte Oönniges. „60, so! Oie norddeutschen Herren hier meinen, daß der Bager

bei seinem König Narrenfreiheit hat", brummte Kobell, wie wenn er eingeschnappt wäre- doch seine blauen Augen zwinkerten lustig

dabei, und man fühlte, daß der kernhafte Mann den Fremden, die das unbeirrbare Bedürfnis Maximilians nach dem beleben­ den und bedeutungsvollen Umgang mit berühmten Männern der Wissenschaft und Poesie nach München berufen und um sich ge­ sammelt hatte, nicht feindlich gesonnen sei. plötzlich jedoch mit

einem Ruck sich zusammenreihend nahm er eine salutierende Haltung ein, nicht mehr der Förster oder Raturbursche, sondern völlig ein Kavalier, mit der Front gegen das Portal des Spiegel­

salons. Alle glaubten, der König möchte erschienen sein. „Meine Reverenz der Dcnnc!" Riemand war da, die Türöffnung leer. Man sah sich an, sah kobell an.

„Franzl, du spinnst?" klopfte Ricciardelli ihm auf die Schulter, kobell sah ihm schlau in die Augen. Dann faßte er das braune

Handgelenk des Italieners und zwang ihn, eine breite, grüßende

Gebärde gegen die Tür mitzumachen, aus deren weißem Giebel­ rund die anmutsvollste Stukkatur des Rokokos, Diana zwischen ihren Hunden und Jägerbuben, mit jeglicher Huld der Göttin

und Frau auf ihre zwei Getreuesten herniedersah und mit der

Fingerspitze vor allem Volk aus sie deutete.

„Ich nehme alles zurück", sagte nach einem kurzen Schweigen

Liebig, der stch an dem stimmungsvollen Bilde geweidet hatte, halblaut zu Schack: „Oer kobell ist doch ein Dichter/ —

„Du, Ricci", begann kobell, Arm in Arm mit dem Kameraden und wieder den Anwesenden zugekehrt, in seiner drolligen Ernst­ haftigkeit. „Ich mag ja wohl ein sehr berühmter Mineraloge sein,

aber ein schlechter Professor bin ich gewiß. Denk dir, wie da heut früh der königliche Lakai meldet: Se. Majestät beföhlen in

Anbetracht der ungewöhnlichen Hitze das Souper aus der uns stattfam vertrauten Grünen Galerie der Residenz hinaus in die Amalienburg und Se. Majestät stellten anheim, den unbequemen Frack mit unserm Jagdrock zu vertauschen — du, Ricci: er stellte

anheim? — da hab" ich meinen Stutzen hervorgeholt und ihn

geputzt und geölt und so von Herzen lieb gehabt, als wenn mein König befohlen hätte: ,Heut ist Herbst und wir gehen ins Berch­ tesgadener Revier/— And wie ich beiläufig auf dieAhrfchau—*

„O weh, Franzl", lachte Ricciardelli, „ich kann"s mir denken'

»Deine alte Ahr!'" And er begann kobells launige Verse im Dialekt — sie waren ja in aller Munde — zu rezitieren.

»Geh, sei stad! — Aber recht hast du doch: die Kollegzeit war vorbei, und die Herren Studiosi saßen im Hofbräu. — Da hab'

ich mich halt zu ihnen gesetzt. And das war wohlgetan!" — Alle lachten. Ihn kobell, abspringend, tat plötzlich einen rechten Stoßseufzer: „Mein armer König! Sind's denn der Fräcke noch

nicht genug!" und wies auf Geibel hin, der im schwarzen Anzug, gravitätisch anzuschauen, näher kam. „Suum cuique“, replizierte Liebig, den Vorwurf des alten Basu-

varen auch auf sich beziehend, mit feiner Ironie. And in der Tat,

es wäre unmöglich gewesen, sich Justus von Liebigs Erscheinung,

die idealste Verkörperung in jedem Sinne, den der Tgpus des

Gelehrten in jenem goldenen Zeitalter der Humanität gefunden, in der grünen Jägertracht des Bagernkönigs vorzustellen. „Gegrüßt, Emanuel und Dichterfürst!" Mit pathetischem Arm-

schwunge ging Oönniges auf den gefeierten Lyriker zu, dessen selbstbewußte Haltung, frei von jeder verletzenden Pose, nur der

natürliche Ausdruck eines nahezu priesterlichen Hochgefühls einer edlen Seele war. Das markante Profil mit den tief und schön

liegenden feurigen Augen wandte sich grüßend ringsum- sonor und kraftvoll entsprach das Organ dem würdevollen Gepräge

seines Wesens. „Gegrüßt auch Sie, Anwiderstehlichster aller Herzensbrecher!"

Der also Empfangene war seinem Vordermanne sozusagen auf

dem Fuße durch den park gefolgt, dabei bemüht, ihn ja nicht

einzuholen. Aber war Geibel gemessen vor sich hin gewandelt und hatte bei seinem Auftreten eine prächtige Figur gemacht, so

kam nun Friedrich Badenstedt etwas überhastet und erhitzt heran und nicht recht zur erwünschten Geltung. Zwar präsentierte auch er und mit einer gewissen naiven Absichtlichkeit sein ä. la Geibel

zurechtgestutztes Profil yach allen Seiten- aber wo der Rosateint

seiner für das, was sie ausdrückten, zu groß geschnittenen Ge-

sichteformen auftauchte uud der allzeit redselige Mund zu er­ zählen ansing, trat in dem Kreise der hier versammelten Männer

leicht eine Stockung ein. Er merkte es nicht, es kränkte ihn also auch nicht, es sei denn, daß Geibel — und das doch nur

aus heimlichem Oichterneide — ihm gelegentlich einfach das

Wort abschnitt. Während er die niedlichen Halbedelsteine seiner

plauderweise der Reihe nach an Liebig und Schack, an Riehl und so fort verschenkte, waren seine bebrillten Augen mit wach­

sender Rnruhe an der Fassade des Schlößchens hin und her gefahren, plötzlich faßte er Oönniges am Arm: »Oie Türen und

Fenster — es zieht! — werden doch nachher geschlossen, nicht

wahr?" »Wenn von des Kasbeks Schneegefilden die kühle Rächt her­ niedertaute, hat sich Mirza Schaffg dann unter seine Bettdecke

verkrochen?" parodierte Oönniges. »Ich denke doch nicht an mich, sondern an die delikate Gesund­ heit Sr. Majestät."

»Könige bekommen keinen Schnupfen/ »Sie haben gut reden mit Ihrer Bärennatur, Oönniges", seufzte der Dichter, tastete in seine Westentasche und drehte sich ein

Wattekügelchen, das er zur Vorsicht in das hinter den ergrauen­ den Locken verborgene fleischige Ohr drückte. »Roch eins: Hat

denn Se. Majestät kein Programm für den Abend festgesetzt, ich meine: kein Thema zur Erörterung gestellt, wie er es sonst

pflegt?"

»Sie möchten ein paar Verse ad hoc bereithalten, deren —

Improvisation den hohen Herrn überraschen soll? Ist'ö nicht so,

Bodenstedt?" »Er liebt doch die Grazie solcher unvermuteten Reimspiele, ge­ rade weil ihm selber manchmal das Wort auf den Lippen stockt."

»Richt auf den Lippen, Badenstedt! In der Seele, in der allzu bedächtigen, allzu gewissenhaften!"

»Brav gesprochen! So mag ich Sie leiden!" Es war Kobell, der

im Vorbeigehen Oönniges einen wohlmeinenden Schlag auf die

Schulter gab.

Badenstedt, der sich neben dem Adler Geibel immerhin für die

Nachtigall am Hofe Maximilians halten mochte, zuckte gleich­ mütig die Achseln und suchte anderweitige Unterhaltung, wäh­ rend Oönniges sich der Gruppe um Ricciardelli gesellte, der in

seiner etwas fremden und doch drastischen Sprache von merk­ würdigen Naturerscheinungen berichtete, die er im Hochgebirge

beobachtet hatte. Aufmerksam hörte ihm Liebig zu: im Gegen­ satz zu Schack, der für diese Dinge nur ein halbes Ohr zu haben schien und sich nun an den Bibliothekar des Königs wandte: etwas Wahres an dem Gerücht, mein Herr Ministerialrat, daß der König in seinem Sanktuarium unter den Bildnissen und Zitaten der von ihm verehrten Geisteshelden neuerdings seinen

Sarg hat aufstellen lassen?"

»Das Sanktuarium: das ist des Königs Geheimnis", antwortete Oönniges, leicht offiziell werdend. .-Verzeihen Sie, Baron, ich weist Sie frei von jeder Neugierde. Aber gerade wir Norddeut­

schen und in diesem Land leider immer noch Fremde, die das Volk

haßt, weil es glaubt, daß wir die empfängliche und anlehnungs­ bedürftige Natur seines Königs mißleiten, wir müssen die unge­ schriebenen Gesetze, die das eigentliche Eigen unseres hohen Herrn sind, doppelt respektieren." , 3 i m m c t m n n n (5p i cg c I gnlcti c 21 m n Iien bur g

Man spürt von außen schon, wie jeder in seinem Zimmer ver­ einzelt haust und darin vornehm tut, wie die Familienbande sich gelöst haben und es Gemeinsamkeit nur noch im Salon gibt,

d. h. mit Fremden, für Fremde. Muß solch Haus nicht innerlich windschief sein? wo kein Herz mehr schlägt, bildet sich auch kein

rechtes Gesicht aus. Das neue Haus hat feine Nummer, das alte organisch gewachsene trug seinen Namen, seinen historisch anerlebten. Wohin sind die breiten Flure, die Vorplätze der Höfe, der behagliche Nberfluß an Naum, der dem Hauswesen als

Gesamtheit, der Familie im Ganzen zugute kam? Wohin ist

der Erker, der einst dem Bedürfnis nach zeitweiliger Abson­

derung genügte und doch ein Glied des ganzen Hauses war und allen gehörte? — Werden wir wieder Menschen, Menschen, wie

unsere Vorfahren es gewesen, und haben wir den Mut der Ent­ sagung oder vielmehr den Mut des Selbstbewußtseins, unserer

Familie anzugehören, nichts mehr sein zu wollen als eben Familie.

Ich habe meine Jugend in enger Tallandschaft verbracht- mag

sein, daß ich daher mich gewöhnt habe, die Dinge und die Welt

aus der Nähe anzusehen und gewissermaßen von unten her. And so würde ich auch dem, der etwa unser Musikleben reformieren

wollte, um schließlich einen Beethoven heranzubilden, den ein­

zigen Nat geben: Fang bei dem Postillon an, dem jungen Bur­ schen in den weißen Lederhosen und dem bagrischen Jäckchen, und achte darauf, daß die Weisen, die der so lustig über Täler und Berge schmettert, dem Ohr und Herzen des Volkes gemäß und wahre Musik seien. Nnd so auch wollen wir bauen, von

innen nach außen, jeder sein Haus, jede Familie ihr eigenes Hans

und Selbstbekenntnis. Dann eines Tages wird der neue Stil

da sein. Aber wir sind dann nicht zu ihm gekommen, sondern er zu uns. Nnd er gehört uns an, nicht mehr wie ein geborgtes Gewand, das uns willkürlich umdrapiert ward, sondern wie

Siegfried sein hörnernes kleid gehörte. Ceterum censeo: Ohne

die Familie kein Staat, ohne die Familie keine Baukunst, ja

überhaupt keine neue ßunft!" .Wie Riehl es versieht, einem den Spießbürger sgmpathisch 311 machen", warf Liebig hin.

»2116 ob es kein höheres Ideal

weiter gäbe."

Rede und Widerrede wurde rund um den Tisch allgemein und Riehl mit Fragen bedrängt. Rur Ricciardelli wandte sich nm

und winkte den inzwischen wieder eingetretenen Lakaien zu sich: .Run?"

«Mille grazie della parte della signorina», richtete Rannt aus. .And?"

«Dice ehe Paria sia da un capolavoro nuovo del Maestro

Riccardo Wagner.» .Wagner?" fragte Kobell herüber, die Hand am Ohr, als habe er nicht recht gehört.

Oer Graf, unbekümmert, faßte Ranni beim Kopfe: .Weiter nichts?"

«Ma sicuro: ,Una felicissima notte al Signor conte!’» .Basta", lächelte der Graf und wandle sich Kobell zu: .Ja,

Wagner, warum nicht?"

.Wagnerl" Oem Graubart schlug die Zunge fast aus dem auf­ gerissenen Wund, er kratzte sich langsam hinter dem Ohr, dann brach er in ein so homerisches Gelächter aus, daß alle herum­

fuhren. .Das nenne ich einen Schuß, Herr Kollegei Sie zielen auf den Bock und treffen den Treiber ins Kamifol!"

.Was denn? Wer? Wer? Wagner?" schwirrten die Stimmen durcheinander, als wäre der Kronleuchter vom Plafond gefallen. .Meine Herren — ich bitte — ich bitte doch febr!" Maximilian mußte die Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen. Oer

Lärm ließ nach- aber es waren da immer noch einige Augen­

paare auf ihn gerichtet, die ihn ansahen, als ob nur mehr seine

königliche Autorität dem Unfug dort draußen in der Welt

steuern könne. .Was kümmert uns denn Wagner? Oas ist ja

doch Musik/ Er sprach das Wort mit der Nichtbeachtung des tief Anmusikalischen aus, wie wenn er dabei an eine Kinder­

trompete dächte. -Wir aber diskutieren über die neue Kunst.

Bitte! Ich bitte sehr! Es ist mir sehr ernst damit, meine Herren!* — Oer König war bleich geworden, eine nervöse Bewegung, fast ein Zittern ging durch den ganzen, angestrafften schmalen Körper

und seine Hand strich ein paarmal hastig über die Stirn. So­

gleich aber wieder gefaßt, fuhr er halblaut fort: ,„£ebe nicht, wie wenn du Tausende von Jahren zu leben hättest', sagt Mark

Aurel. ,Oer Tod schwebt über dir. Solange du noch lebst, so­ lange es noch Tag ist: tue das Rechte.' Oas gilt jedem Men­

schen, wieviel mehr nicht mir. — Ich sehe, was dieser Zeit fehlt,

ich habe die Macht zu helfen, und ich soll still sein in Geduld und warten, am Ende gar auf den Zufall warten, bis es zu spät (ft?* Ls herrschte ein betretenes Schweigen, und der König fühlte

selber wohl am tiefsten, daß er einen Ton angeschlagen habe, auf den es ein Echo eigentlich kaum gab. Fast verstohlen sah er

sich nach Hilfe um, und seine Augen fielen auf Kobell, seinen

alten Kobell. Oer mochte die stumme Aufforderung verstanden haben. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her und forschte in komischer Anschlüssigkeit die Saaldecke entlang, als wenn ihm

von dort eine glückliche Eingebung kommen müsse. Dann holte er tief Atem.

-Nummer acht!* seufzte Oönniges mit einem Blick auf Geibels sich recht auswachsendes Protokoll. -Oas wird morgen Arbeit geben.*

-Nichts da von Arbeit! Bei so viel Schützen darf einer einen Freischuß tun", winkte Kobell ab. Aber er begann noch immer

nicht. Schelmisch blinzelnd zeigte er mit dem Finger zur Decke empor, auf die silberne Gestalt einer Jägerin mit Hund und

Speer, die da ein Bögelchen im Gebüsch gewahr wird, und weiter auf die schöne Fischerin, die ihre Muschelschähe zur kost-

baren

Girlande flicht, und immer weiter auf die muntern

Amoretten mit den Prunkgefäßen voll von Götterwein: „Wie

das lebt! Wie das nach hundertundfoundfo viel Jahren alles noch lebt und lacht! Ich weiß wohl, meine Herren, daß das ja lauter

unmodernes Zeug ist, Rokoko. Aber ich kann mir nicht helfen, ich gäbe alle meine Schnadahüpfln und Verse und meine Mine­

ralogie obendrein für den kleinen Finger jener Orgade hin, wenn sie heute nacht, sobald wir nur fort sind und das unterbro­

chene Fest da oben weitergeht, mich bei der Hand nähme, und ich dabei sein könnte, wenn um Schlag zwölf mit den klängen

des graziösesten Geistermenuetts Larl Albert Höchstselber wie­ der eintritt, um den erstaunten großen Augen Maria Amalias

all die Herrlichkeit zu zeigen, die er für sie hier ine Leben gerufen hat/

ZRa, na, Sie Meister der Jägeranekdote, fälschen Sie uns hier nicht Geschichte!" unterbrach Oönnigee, der alleewissende Histo­

riker, den unbesorgten Erzähler. „Sie werden uns doch nicht

Larl Albert, von dessen blauen Augen und charmanter Art die Frankfurterinnen noch Jahrzehnte nach seiner Kaiserkrönung zu

schwärmen wußten, und die bigotte Habsburgerin zum Muster

eines Liebespaares machen wollen?" kobell zuckte die Achseln. „Männerkleider hat sie'angehabt, ein Jagdkostüm, als die junge Kaisertochter mit ihren zahllosen

Hunden zum erstenmal die bagrische Grenze überschritt, die Gemahlin unseres Kurfürsten. Fromm ist sie gewesen, gewiß- sie

kannte es ja nicht anders. And eine große Jägerin! Richt nur auf Hasen und Hühner, die dazumal bei uns noch selten waren,

pirschte die hohe Frau. Auch den Auerhahn, der doch dem Hirsch gleichgeachtet war, wußte sie zu erlegen und jagte wilde Schweine

und Enten und was weiß ich noch für Wild. Vichts verdroß sie, wenn's zur Jagd ging. And wenn auch der Kutscher — sie

war gesegneten Leibes — sie mit dem wagen zweimal umwarf, tat nichts: nach dem Halali bekam der Mann doch seine

2 M'ard'or. Das war eine Jägerin! — And sie wußte es auch, daß es Lari Albert recht so war. Maskierte Jagden sann der

für sie aus- und von dem großen Spektakelstück einer kunstvoll

am Ammersee inszenierten Wildschweinhah reden heute noch

Bücher. And eine Fasanerie legte er ihr im Ngmphenburger Park an, hier bei der Schleuse, just an dieser Stelle und befahl

dem Meister Luvilliee, dies Schlößchen dabei zu errichten, mit

Fontänen und Blumen, Blumen, deren Namen schon eitel Poesie ist, recht so ein Spielzeug für ein Kaiserkind darin zu träumen,

wenn der Ehegemahl fern von ihr in der Stadt, in der Welt war. Denn Männer haben doch zu tun, nicht wahr? Sie aber

pflegte ihre schonen Fasanen und hegte sie und wartete — auch viel gebetet mag sie haben —, wartete in Hoffen und Geduld,

bis er dann kam, so gegen Nachmittag, gegen Abend. Dann ging"s hinauf hier auf das runde Belvedere über diesem Saal, mit dem schönen Geländer, worin das L und A so kunstvoll

verschlungen sind, und hielten Ausschau nach dem goldbraunen Bogelvolk, das, durch den aromatischen Nauch eines mit gar

köstlichen Ingredienzien geschwängerten Strohfeuers herbeige­ lockt, unvorsichtig lärmend aus dem Boskett hervorkam. piff!

Paff! Piff! paff! ging das und bis es dunkel wurde. Hernach tafelten sie, zu zweit, hier oben auf der Plattform. War es aber völlig Nacht geworden, eine blaue Sommernacht, vielleicht wie

heute, mit Grillenzirpen und abgebrochenen bauten heimlicher Musik, dann klatschten wohl Se. Kurfürstliche Gnaden dreimal

laut in die Hände, und ein Feuerwerk begann, nicht derb und sinnlos wie unsere heuzutage, nein, ein kleines, feines Feuer-

werkchen, graziös wie alle Spielerei der Zeit, und prickelnd, bis

alle Flammen und Funken am Ende sich kunstvoll zu dem einen Buchstaben A vereinigten: Amalia, und auf Geheiß des Fürsten

gleichsam die Nacht selber seiner Frau zu huldigen kam. Ein Kuß auf ihre Finger, und er führte sie hinab in diesen runden Spiegelsaal. Der venezianische Lüster leuchtete wie heute, Musik

erklang und Carl Albert trat mit Amalia an zum zierlichsten

Menuett, das jene liebeekundige Welt nur je gesehen haben

mag. So ging die Zeit dahin, das Fest dahin und mit ihm Carl Albert fort in seine Welt. Amalia aber hatte wieder Zeit zu

träumen von seinem Kuh auf ihre Fingerspitzen, von dem Tanz an seiner Seite und von der chevalreeken Art, wie er mit so viel Schönheit sie zu beschenken wußte/ -And die Quintessenz von all dem?" fragte der König. Ange­

duld, soweit seine Haltung dergleichen sichtbar werden ließ, hatte

bei kobelle Abschweifungen längst ihm seinen Zeitverlust fühl­ bar gemacht. -Ja, die Quintessenz? Oder hat auch Ihr Märchen zu guter Letzt nichts weiter zu sagen als das ,And wenn sie nicht

gestorben sind, dann leben sie heute noch?'" ,3a, Majestät! So ungefähr. And leben heute noch!" Mit

einer breiten Gebärde warf kobell beide Arme empor zu den

silbernen Jagdgründen seiner historischen Reminiszenzen oben am Rund der Oeckenkehlung und sah dabei den König scharf aus seinen klugen Jägeraugen an.

Oie unfruchtbare Erörterung abbrechend, begann der Fürst die

von ihm gestellte Frage und die mannigfachen Ausweichungen der Antworten noch einmal herzuzählen und von seinem Stand­

punkt aus zu widerlegen. Gelang ihm das im einzelnen auch keineswegs, so spürte man dem von allzu ernster Gewissen­ haftigkeit oft unentschlossenen Manne diesmal an, daß für ihn das Thema, der Lieblingsgedanke vieler Jahrzehnte, mit dem

Augenblick, wo er es der Öffentlichkeit bekanntgab, auch schon

entschieden war. Mochten die gelehrten Freunde immerhin in Worten ihre Zweifel äußern, die Welt würde sich gewiß in Taten zu ihm bekennen. So fühlte er sich von vornherein als

Sieger heute abend und führte das Rückzugsgefecht des Wort­ streites mehr äußerlich und mit einer gewissen Eintönigkeit dee Ausdrucks.

Aber die Aufmerksamkeit der Tafelrunde schien erschöpft zu sein>

und der königliche Redner fand weder Beifall noch Widerspruch. Kobell, der alte Hexenmeister, hatte eigentlich ganz recht gehabt,

sich mit dem Schnörkelkram da oben so liebevoll zu unterhalten. Was es da nicht alles im einzelnen zu sehen gab! Oie Figür­ chen mit den weichen, wohligen Gliedern und den zierlich ab­

gespreizten Fingern, mit den schelmischen Blicken schräg aus den Augenwinkeln heraus und dem hellen Silberlachen sensitiver Lippen. Dazwischen die Faunsköpfe mit ihrer derberen Sinnlich­

keit! And die Prachtstücke all der toten Jagdbeute ringsherum!

Aber sie war ja gar nicht tot, sie schlief ja nur, und träumend aus halboffenen Lidern liebäugelte sie noch mit dem süßen Leben.

And wenn eine Kerze des Kronleuchters einmal heller auf­

flackerte, wie dann der ganze Elfenspuk in ein Wiegen und Schaukeln, Tänzeln und Kichern geriet, Lhampagnerlaune! Ein Sommernachtstraum dies alles, von Ort und Stunde, Himmel

und Erde selbst gedichtet. Wie jung man doch im Herzen blieb! And der König sprach immer noch, das geistige Auge gewisser­ maßen in sein Inneres gerichtet auf- die abstrakte Idealgestalt der wahren Kunst, und mit dem melancholischen Wohlgefühl

einer erhabenen Entrücktheit. Eine kräftigere Bewegung Geibels, mit der er sein Manuskript abgeschlossen von sich schob, mahnte den König an die Gegenwart.

Er warf einen Blick auf das Protokoll. Oie wuchtigen Züge der Handschrift bannten ihn. Er stutzte, er las:

-Märchen dämmern herauf, Reizende Märchen —/ Einen Blick auf den Dichter, der unbeweglich dasaß, als wenn

ec sein Bergehen wohl zu vertreten gesonnen sei, dann las der Fürst weiter: -Kennst du die Sage? Durchs Blau der Mondnacht Wolkenvorüber Rauscht der Greif.

Schwebend trägt er Oie Sultanskinder, Trägt sie gebettet Anter den mächtigen Schwingen Aber das Meer, Ferne, ferne hinaus Zu seligen Inseln. Beide, Geliebte, Aeide sie nicht, Oie Sultanskinder! Trägt nicht uns beide Auf Greifenflügeln Hoch hinauf Oer Geist der Dichtung? Anten versinken In silberner Dämmerung Land und Meer, Schwinden im Aebel Schranken und Sorgen, Wir aber ruhen Anter dem weichgefiederten Fittich Sicher gebettet, Aug' in Auge, Arm in Arm, Einsam selig. Märchen leben wir, Reizende Märchen/

Den König faßte Ergriffenheit- aber sie wandelte sich ihm in Verwirrung. Er fühlte, daß dieses Kunst sei, die höchste Kunst seines verehrten Dichters- aber er empfand es im selben Augen­ blick als eine stumme Abkehr von sich, als eine Verneinung

seiner eigenen, so inbrünstig hochgestimmten Wesensart. Er sah sich um im Kreise seiner Freunde: ein Schauer von Einsamkeit

rieselte durch seine Adern. Bodenstedt, der durch seine Brillengläser Geibels Treiben lange

schon beobachtet gehabt und sofort zum lgrischen Zweikampf

gerüstet hatte, unterdrückte, wiewohl mit Verdruß, sein eigenes Poem. Oer Moment war verpaßt.

Oer König brach auf, rasch, etwas verlegen, wie es schien, jedoch

mit einem liebenswürdigen Wort und Dank für jeden einzelnen

seiner Gäste.

Man trat auf die Marmorterrasse hinaus, wo die Lakaien mit den Windlichtern für die Majestät standen. Oer König grüßte

freundlich, aber sein Ausdruck war müde: sein Kopfschmerz schien quälend geworden zu sein. Er verabschiedete sich und ging,

schlank und aufrecht mit der Energie der Gewöhnung und doch unscheinbar neben von der Tann, der seinen Herrn und Freund

zurückgeleitete und in die Privatgemächer, wo die schöne Königin

Marie ihrer wohl lange schon geharrt haben mochte. Jn gemessenem Abstand folgten die andern, etwas eiliger und

vorweg Vodenstedt, den daheim noch Gäste erwarteten, Litera­

ten, unter denen er auf seine Kosten zu kommen gedachte. Aus der Tiefe der Nacht schoß plötzlich eine Sternschnuppe her­ nieder, Kobell und Ricciardelli nahezu vor die Füße. „(SUt das mir oder dir?" stutzte der Graubart.

„Wenn du fragst — mir? Felicissima notte, Franzl", lachte der Italiener und schlenderte seitab ins Waldrevier des Parks.

„Wie denn, Kobell: abergläubisch oder neidisch?" fragte Liebig, der einen wunderlichen Ausdruck in dem alten Weidmanns­

gesicht wahrzunehmen glaubte.

Aber ehe noch eine Antwort erfolgen konnte, sank ein zweiter Stern langsam und feierlich auf seiner Himmelsbahn yuer über die Wipfelriesen von Agmphenburg dem Horizonte zu. „Eine

Dublette?" jubelte das Jägerherz. „Oas gilt mir? Diesmal gtlfe mir?"

„Warum just Ihnen?" neckte Liebig, dem solches Wesen fremd war, nicht ohne einige Ironie. „Warum denn nicht dem König, dem doch Schloß und park und alles hier gehört?"

Betroffen blieb Kobell stehen: „Sie haben recht. And ihm gönnte ich es auch. — Aber ich fürchte, mein armer Herr wüßte nichte anzufangen damit."

Menn die Olympier sterben

(Carlino — oder wie man den munteren Burschen, nachdem er den Knabenhosen entwachsen war und seine Streiche den Lharakter der Drolligkeit mehr und mehr verloren hatten, seht leider vielfach nennen hörte: Larluccio hatte sich schon zu wiederholten Malen weit aus dem Zensier gebeugt, um die feiertäglich lang­ weilige Straße zu überblicken. Er schien auf jemanden zu war­ ten, ja mit einer frechen Angeduld, die doch nicht ohne eine ge­ wisse beklommene Spannung war, auf ihn zu lauern. Pfeifend und türeuschlagend hatte der mit der Kunstfertigkeit des Lärmmachens, die dem Südländer eignet, wohlbegabte Junge sich zwischendurch im ganzen Hause herumgetriebeu und stand nun vor dem Portal des von der Mutier mit gemächlichem Eifer und Biedersinn geführten Fremdenheims auf der Straße. Die Bia Sistiua, wie sie sich vom Piucio zum Platz der Barberini senkt und am Pruukgeläuder ihres Palastes vorbei in schnurgerader Länge zu dem vom Palazzo Albano überhöhten Bierbrurmeneck hebt und am fernen Ende vom (Campanile von S. Maria Maggiore ihren Schlußakzeut erhält, reckte sich vor ihm in nichts­ sagender Abersichtlichkeit aus. Nur, daß man hier noch oder da einen der vielen Ausländer, die Rom zur Osterzeit in feinem dazumal beliebtesten Zremdeuviertel zu beherbergen pflegte, von einer kirchlichen Feier hocherbaut und hungrig zu seinem Mittag­ essen streben sah. plötzlich blitzten die Augen des Knaben auf; im nämlichen Mo­ ment zog er sich in den Torbogen zurück, einem kleinen Raubtier gleich, das seiner Beute sicher ist: Bon der Piazza Barberini her,

ln deren Hintergründe gereiht seine Werkstätten lagen, hatte er den Meister in die Sistinische Straße einbiegen sehen. Gemessen

schritt der daher, wie es so seine 2lrt war, sehr breit und seiner

natürlichen Würde voll, der berühmte Mann, dabei doch schlicht wie andere Sterbliche. Im lammfellgefütterten, von dem Kreis­ lauf der Jahre mitgenommenen, unersetzlichen Kattunrock, das

schlohweiße, herrliche Haar wie eine sanft schimmernde Aureole um das Haupt, schritt die historische Erscheinung des Alten

daher, Kind und Kindeskindern seit Jahrzehnten bekannt, und dabei immer noch umfangen von einem im einzelnen kaum zu be­

zeichnenden Hauch von Fremdheit in der Atmosphäre Roms. Oie klaren, nordisch blauen Augen, mit denen er aufmerksam um sich sah, zeugten von dem wohlgeordneten Haushalt seines Geistes und Wesens. In Wirklichkeit freilich schien seine Auf­

merksamkeit gar nicht bei diesen unwillkürlich beobachtenden Blicken zu sein, sondern, innerer Gestaltung voll, noch bei dem Bildwerk im Atelier zu weilery dem die Arbeit dieses ungestör­

ten Karfreitagmorgens gegolten hatte, und an dem seine Finger,

ein Tonklümpchen drehend, weiter zu modellieren meinen mochten. Oie Wege des Meisters, welche er auch ging, führten, man spürte

es, alle zum Olymp: Wer wäre gewesen, dem der lichtäugige

Greis nicht Ehrfurcht eingeflößt hätte?

Carlino indessen in seinem Hinterhalt hatte die Minuten, ja in Gedanken jeden einzelnen der Schritte des Alten gezählt- nun

stürzte er sich ihm, dem Hunde gleich, der seinem heimkehrenden Herrn entgegenspringt, mutwillig in den Weg. „Oas ist schön,

Cavaliere, daß Ihr heut so pünktlich zum Esten kommt! Es gibt Fettuccine! Oie Mamma hat den Teig selber gerührt, gewalzt und geschnitten. Fettuccine alla parmigiana! Oie eßt Ihr doch so gern, Cavaliere Alberto! Ihr wißt doch!"

„Bravo, Carlino, bravissimo", nickte der Alte gütig und fuhr dem Knaben mit seiner vom Ton noch feuchten Hand durch die schwarzen Locken, die heute, wenn auch ungern genug, der Ge
,Tevertno — Teverino —?* Als er hörte, wie der Hund

vor seinem Bett, den Boden fröhlich mit dem Schwänze schla­

gend, Antwort gab, atmete er leichter. Dann, nach einer gerau­ men Weile, während der er sich allerhand Gedanken gemacht haben mochte, murmelte er, für sich selbst mehr als für den Hund: „Povera bestia“ — und es lag eine Zärtlichkeit darin, wie sie wohl keiner noch der immer so gleichmäßig gütigen, der unper­

sönlichen MildeThorwaldsens zugetraut hätte: „Povera bestia—,

was wäre aus dir geworden, wenn ich gestorben wäre —?*

Inhalt

Seite

Oie Zypressen der Villa d'Este..............................................

Sein Sommernachtstraum

...................

Ein Symposion in der Amalienburg

5

29

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Wenn die Olympier sterben

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Erklärung zu den Abbildungen

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Vildnachweis Graphische Sammlung, Berlin: Abb. 1. Nach Kania, Schinkel, Potsdam: Abb. 3. Verwaltung bayerischer Schlösser und Gärten, Nymphenburg: Abb. 5, 6. Münchener Verlag, bisher F. Bruckmann, München: Abb. 7. Nationalgalerie, Berlin: Abb. 8. Vom Verfasser: Abb. 2, 4.

Erklärung zu den Abbildungen Abb. 1: Anselm Feuerbach: Zgpressenstudie aus der Billa ö'(Eftc in Tivoli. Nationalgalerie. Photo: Lichtbilderwerkstatt

der Nationalgalerie. Abb. 2: Jean Augusts Dominique Ingres: Franz Liszt, 26jShrig. Bleistift-Zeichnung. Wahnfried. Aus dem Besitz der

Gräfin D'Agoult übergegangen in den ihrer Tochter Cosima Wagner. Abb. 3: Karl Friedrich Schinkel: Entwurfzeichnung zur Nikolai­

kirche in Potsdam. Schinkel-Museum, Berlin.

Abb. 4: Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV): Entwurf für ein auf der Halbinsel Tornow in der Havel bei Potsdam ge­

plantes Schloß Belriguardo. Federzeichnung. Schloß­

bibliothek in Berlin. Photo: Verwaltung der Staatl. Schlösser und Gärten, Berlin.

Abb. 5: Johann Baptist Zimmermann: Diana mit Amoretten.

Türbekrönung über dem Eingang zur Amalienburg.

Ngmphenburg. Aufnahme der Bagr. Verwaltung der Staatl. Schlösser und Gärten, München.

Abb. 6: Jean Franyois Luvillies d. Alt. und I. B. Zimmer­ mann: Spiegelsaal der Amalienburg. Ngmphenburg. Aufnahme der Bagr. Verwaltung der Staatl. Schlösser

und Gärten, München. Abb. 7: Jakob Asmus Carstens: Oie Nacht mit ihren Kindern

Schlaf und Tod. Karton, kopiert von Bettel Thor-

waldsen. Kopenhagen. Thorwaldsen-Museum. Abb. 6: Bertel Thorwaldsen: Selbstbildnis,

auf

das Modell

seiner Statue der Hoffnung gestützt, die er in vergrößer­

tem Maßstab im Auftrag von Caroline von Humboldt für die Familiengrabstätte im park von Tegel schuf. In

Marmor ausgeführt von H. B. Bissen. Kopenhagen,

Thorwaldsen-Museum.