Die Wissenschaft vom Guten und Bösen: Interpretationen zu Platons ’Charmides’ [reprint 2011 ed.] 3110832356, 9783110832358

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Die Wissenschaft vom Guten und Bösen: Interpretationen zu Platons ’Charmides’ [reprint 2011 ed.]
 3110832356,  9783110832358

Table of contents :
Interpretation der Interpretationen..............1
Sophrosyne Geltung und Verfall der Grundlagen der Poliskultur..............10
Drei Definitionen der Sophrosyne Ruhe Scheu das Seine tun..............25
Der Rahmen Realität und dramatische Gestaltung..............40
Die Sokratische Widerlegung Inhaltliche und formale Bedeutung..............64
Die Gefährdung der formalen Definition..............77
Der Sokratische Wendepunkt..............85

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Witte Die Wissenschaft vom Guten und Bösen

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte

Herausgegeben von Heinrich Dörrie und Paul Moraux

Band 5

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970

Die Wissenschaft vom Guten und Bösen Interpretationen zu Platons 'Charm.ides'

von Bernd Witte

Walter de Gruyter & Co.

Berlin 1970

D6 Archiv-Nr. 36 96 703 @ 1970 by Walter de Gruyter & Co., TOfflJllsG. J. Glllchen'scbe Verlagsbaadlang - J. Guttentag, Verlagsbuc:hbmdluag - G-ir Reimer- Karl J. TrllbaerVeit & Comp., Berlin 30, Geatbiller Stnße 13 (Printed in Germany) Alle R«hte, imbescmclaedu der Obcnetzuag in fremde Sptachen, vorbehaltco. Olme msdrUcldlcheGenebmiguag des Verlages iBtes auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile dmaus auf photomechonische W9 (Photokopie, Mikrokopie),... venicllilrigen. Satz UDdDtuck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

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olµa1 µev, -ljv 5' fycl>,i\Tfpeivµe· Oµ('A)S T6 ye ,rpocpa1v6µe110V avayKaiOV Ol(omiV Kai µ,; elKij ,rap16va1,ef Tfs ye aü-roü Kal aµ1Kpov 1q,poavVT\ist also das auf der Kenntnis des Guten und Bäsen beruhende zarte Pflichtgefühl (S. 28)", J. Kohm (1902). 1 Nach Schleiermachers späterer theoretischer Formulierung: .,Aber die Einheit des Werkes, das Thema wird hier angesehen als das den Schreiber bewegende Prinzip, und die Grundzüge der Composition als seine in jeder Bewegung sich offenbarende eigenthümliche Natur." (Fr. Schleierm.acher, Hermeneutik, hrsg. von H. Kimmerle, Abb. Heidelb. Ak., Phil. Hist. Kl., 1969, 2, S.107). Dazu H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, S. 172ff. • Zehn Jahre vor dem Erscheinen von Schleiermachers Übersetzung noch einmal zusammengefaßt im „System der Platonischen Philosophie" von W. G. Tenne-mann, 4 Bände, Leipzig 1792-1795. 7 Schleiermacher ist sich dieses hermeneutischen Zirkels durchaus bewußt: .,Vor der Anwendung der Kunst muß hergehen, daß man sich auf der objectiven und subjectiven Seite dem Urheber gleichstellt ... Beides kann aber erst vollkommen durch die Auslegung selbst gewonnen werden. Denn nur aus den Schriften eines jeden kann man seinen Sprachschatz kennenlernen, und ebenso seinen Charakter und seine Umstände." (Hermeneutik, S. 88). 1 1

Interpretation

der Interpretationen

3

zum methodischen Prinzip der Deutung gemacht wurde, hat nach ihm durch die beständige Beziehung auf das Werk inhaltliche Erfüllung gewonnen. Um der Schwierigkeit zu entgehen, die untereinander widersprüchlichen Dialoge zu einem einheitlichen System ordnen zu müssen, kann Fr. Ast (1816) daher die Ideenlehre als Maßstab dessen ansehen, was „platonisch" ist: ,,Der Platonismus ist folglich nicht als ein System zu betrachten ... , sondern, erhaben über jede endliche und zeitliche Besonderheit, lebt er in der Aetherregion der Idee, lebt er im Lichtglanze der Philosophie selbst" 8• Diese vorgefaßte Bestimmung findet ihr klassizistisch verengtes Platonbild nur in den Dialogen der mittleren Epoche bestätigt und scheidet folgerichtig alle frühen Werke und unter den späten die „Nomoi" und die „Epinomis" als unecht aus 9 • So beurteilt Ast auch den Gesprächsverlauf des „Charmides" unter ausdrücklicher Ablehnung der Ergebnisse Schleiermachers als „sophistisch-dialektisch, also eigentlich eristisch" und daher als ,.unplatonisch" 10 , zumal auch die Charaktere der Gesprächspartner nach ihm - eines Platon unwürdig sind 11 • Indem die Athetese den Dialog aus jedem biographischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhang herausreißt, stellt sie die Interpreten vor eine neue Aufgabe. Man sucht nun nicht mehr die Bedeutung des Dialoges zu bestimmen, sondern ihn in einen neuen historischen Kontext einzufügen, der ihn erst wieder verständlich machen könnte. So wird er in der Nachfolge Asts einem unbekannten hellenistischen Platoniker zugesprochen, in dessen Denken auch aristotelische Einflüsse zu finden seien111• 8 Fr. Ast, Platon's Leben und Schriften, Leipzig 1816, S. 6. • Ast, 1. c., S. 10: .,Der einzige Weg, den man bei der Kritik der Platonischen Schriften einschlagen kann, um zu einem sichern Ziele zu gelangen, kann ja nur dieser sein, daß man in den größeren Werken des Platon, deren Echtheit nicht in Zweifel gezogen werden kann, den eigentiimlichen Geist dieses Denkers erforscht . . . und daß man dann diesen ... als den Maßstab betrachtet, nach welchem die anderen Werke beurteilt werden müssen." 10 Ast, 1. c., S. 424. 11 Ast, I. c., S. 426: .. Wie erscheint Sokrates? Nicht als der metaphysische Erotiker, wie ihn Platon schildert, sondern als empirischer und lnsterner Päderast, der ilberdies mit sich selbst in Widerspruch ist ... " 18 C. Schaarschmidt (1866) und K. Troost (1889) schließen aus Parallelen zum späten Platon, zu Xenophon und zu Aristoteles, diese Autoren seien von dem Kompilator als Quellen benutzt worden. Auf Grund dieses Vorverständnisses werden an sich richtig gesehene Zusammenhänge in ihrer Bezugsrichtung mißdeutet: ,.Dieser Gedanke [einer hrtcrnil1Tt hr1crni1111s) wird daher, da wir unserem Verfasser den Erfindungsgeist, ihn selbst produziert zu haben, schwerlich zutrauen dilrfen, auf die aristotelische v611a1svoriaeoosbezogen werden milssen ... " (C. Schaarschmidt, Die Sammlung der platonischen Schriften zur Scheidung der echten von den unechten untersucht ... , Bonn 1866, S. 431). Filr unecht erklärt den Charmides auch E. Zeller in der ersten Auflage der „Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung", Stuttgart 1864.

I•

4

Einleitung

Die Aporie, in die Schleiennachers Unternehmen einer einheitlichen Interpretation des Gesamtwerks durch die Athetese eines Großteils der Dialoge geraten war, wird von der philologischen Interpretation durch die Annahme einer Entwicklung des Philosophen zu lösen versucht. Dabei geht sie grundsätzlich nicht über den hermeneutischen Ansatz Schleiennachers hinaus. So gilt auch ihr als Verstehenseinheit das Gesamtwerk, dessen innere Gegensätze jedoch, da sie nicht mehr in ein System zu ordnen sind, direkt aus dem biographischen Zusammenhang als aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen erklärt werden. Dieses Verfahren rückt die frühen Dialoge, zu denen auch der „Charmides" gerechnet wird, in unmittelbare Nähe zum historischen Sokrates und erkennt ihnen daher nur elenktische Funktion zu. Indem es jede Negation als eine absolute und die Schlußaporie als Ratlosigkeit des Philosophen selbst auffaßt, verkennt es das Gesetz des dialektischen Fortschreitens, nach dem jede Setzung in einer höheren wieder aufgehoben werden muß. So kann Th. Becker (1879) unter Berufung auf Bonitz 18 das „Resultat" des „Charmides" darin sehen, ,,nachzuweisen, daß ein Begriff, den man bisher unbefangen als geltend gebraucht hatte, undenkbar sei". In der Sache selbst freilich müsse „Plato in edler Offenheit seine Unfähigkeit, die ihm aufstoßenden Schwierigkeiten zu lösen, eingestehen" 14 • Die Bedeutung der aporetischen Tugenddialoge wird damit auf die beispielhafte Darstellung des ,,sokratischen Nichtwissens'' eingeschränkt. Die Interpretationsmethode der historischen Schule, die in den großen Biographien zu Beginn des Jahrhunderts ihren Höhepunkt findet, zielt auf eine noch engere Verknüpfung von Werk und Leben. Dieser Versuch setzt eine genaue Analyse des sozialen und geistesgeschichtlichen Hintergrundes voraus 15 , wie sie M. Pohlenz in seinem Buch über „Platos Werdezeit" (1913) für den Rahmen und die ersten Definitionen des „Charmides" geleistet hat. Andererseits führt sie jedoch dazu, die philosophische Bemühung um die Wahrheit als „Kritik an fremden Ansichten" mißzuverstehen, so daß für Pohlenz die „Wissenschaft der Wissenschaft" zu einem Begriff wird, mit dem ein gegnerischer Sokratiker Leben und Wirken des verstorbenen Meisters zu interpretieren versucht, während Platon selbst das Tun seines Lehrers durch die „Wissenschaft des Guten" deute. Damit wird H. Bonitz, Platonische Studien, Berlin 11886, S. 243ff.: Bemerkungen zu dem Abschnitt des Dialogs Charmides p. 166---172. 1& Th. Becker, Plato's Charmides inhaltlich erläutert, Halle 1879, S.105. In ähnlicher Weise sehen E. Schönborn (1884) und A. Knauer (1889) das Ergebnis in dem Abbau falscher Vormeinungen. 11 In jüngster Zeit hat M.Buccellato, Studisul dialogo platonico, Riv. Cr. di Storia d. Filosofia 18, 1963, 540---560 diesen Aspekt noch stärker herausgearbeitet. 13

Interpretation

der Interpretationen

5

der im Dialog nicht vermittelte Gegensatz zwischen den beiden zentralen Begriffen als Ausdruck historischer Meinungsverschiedenheiten neutralisiert 18 , obwohl gerade sein Bestehen als bedeutend für Platons Denken zu interpretieren wäre. Noch konsequenter wird das Verfahren, angebliche innere Unstimmigkeiten des Dialoges durch biographische Ausdeutung zu erklären, von U. v. Wilamowitz (1919) gehandhabt. Nach ihm bringt die Epistemediskussion in das Werk „eine Zwiespältigkeit herein, deren der Verfasser noch nicht Herr geworden ist" 17 • Diese Unzulänglichkeit ist nun aber nicht mehr, wie bei Pohlenz, auf äußere Einwirkungen zurückzuführen, sie liegt in der mangelnden Reife Platons selbst, der sich noch nicht zu seiner eigenen Philosophie durchgerungen hat, sondern nur „den Eindruck wiedergeben" will, ,,den ihm der lebende Sokrates machte" 18 • Indem der Philologe sein historisierendes Verfahren in das interpretierte Werk hineinträgt, findet er bei Platon die eigene Methode des Verstehens wieder. Dieser Zirkel führt zu einer von undeutlichen Naturbildern bestimmten Fehleinschätzung der frühen Dialoge: .,So weit ist er; er ist sich im Gefühle bewußt, was das wahre Ziel der Philosophie, des Strebens nach Weisheit sein muß; aber es ist noch Gefühl, Ahnen, Fragen. Er ringt; aber er hat sich noch nicht durchgerungen ... Vor Sonnenaufgang wallen die Nebel, ziehen die Dünste; hier und da zuckt ein Lichtstrahl; wo er herkommt, werden wir erst erkennen, wenn die Sonne erschienen ist. Noch ist sie unter dem Horizonte; aber sie ist im Aufstiege, und die Strahlen kommen von ihr" 19 • Erst P. Friedländer (1930) durchbricht denZwang, das Werk ausschließlich unter genetischem Aspekt zu betrachten. Eine genaue Analyse des Dialogaufbaus 110 und die Heranziehung von Parallelen aus anderen Platonischen Werken, mit deren Hilfe er die innere Gestalt des einzelnen Gesprächs nachzuzeichnen sucht, führen ihn für den ,.Charmides" zu der Erkenntnis, daß der Dialog sich in einem hypothetischen „Gipfel" erfüllt, der schon auf den vollkommenen Staat der „Politeia" verweist 111• M. Pohlenz, Aus Platos Werdezeit, Berlin 1913, (Charmides, S. 40 bis S. 67) S. 48. U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Platon, Bd. 1, Berlin 1 1919, S. 186. 18 Wilamowitz, l. c., S. 94; vgl. S.123: ,. ... über eigene Wissenschaft verftlgte er noch nicht." 11 Wilamowitz, l. c., S. 200. 80 Ähnlich A. van Bilsen, Plato's Charmides en de Sophrosyne, Philologische Studien 8, 1936/37, 190-206 und 9, 1937 /38, 172-181. 11 P. Friedländer, Platon, Bd. 2, Die Platonischen Schriften, Berlin 1930, S. 76. Zu demselben Ergebnis kommt 0. Wichmann, Platon. Ideelle Gesamtdarstellung und Studienwerk, Darmstadt 1966, S. 67: ,. Wir hören so zum erstenmal den Grundakkord der Platonischen Philosophie, die Idee des unbedingten Wertes, 11

17

6

Einleitung

Außerhalb der vorherrschenden Tradition der historischen Schule stehen die Deutungen, die, in der Mehrzahl neukantianisch, ein fremdes System als Schlüssel für das Verständnis der Platonischen Philosophie benutzen. Ihr bedeutendster Vertreter, P. Natorp (1903), scheint zwar zunächst mit seiner Untersuchung des Verhältnisses von „Wissenschaft der Wissenschaft" und „Wissenschaft des Guten" ein wesentliches Strukturelement des Dialogs erkannt zu haben. Indem er jedoch diesen Gegensatz als den von reiner und praktischer Vernunft faßt, wird deutlich, daß es ihm nicht um die Eigenart der Fragestellung zu tun ist, sondern daß er nur den kantischen Satz, ,,daß ganz allgemein die Form der Erkenntnis es ist, welche den Inhalt bestimmt", im ,,Charmides" bestätigt sehen will 88• Die Abwertung der frühen Dialoge durch Wilamowitz hat lange nachgewirkt. Noch die 1961 erschienene Monographie von T. G. Tuckey steht methodisch unter ihrem Einfluß, wenn sie von vorneherein jegliche philosophische Diskussion in einem Jugendwerk wie dem „Charmides" ausschließt und die Heranziehung von Parallelen aus späteren Schriften für unzulässig erklärt 83 : ,,No interpretation of the dialogue is likely to succeed which does not disregard for the moment all later theories of ,epistemology', and indeed all conceptions of ,metaphysics'. For instance ... it is generally agreed that the dialogue belongs to Plato's early period, before he had elaborated the Theory of ldeas" 84 • Ausgehend von dem, worüber man sich „allgemein einig" ist, bleibt diesem, wie sein Autor meint, ,,streng historischen Interpretationsversuch" schließlich nichts anderes übrig, als die Argumente Platons an den Regeln der Logik und des common sense auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. anklingen." Allerdings bleibt die Methode des Dialoges, von Wichmann als „Verfahren der gesteigert unbegrtlndeten Zugeständnisse" bezeichnet (S. 66), völlig unverstanden. 11 P. Natorp, Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus, Leipzig 1903, S. 27.-J.Boersma, Wijsgeerige Studie over Plato's Charmides, Diss. Utrecht 1929 erkennt zwar eine der Grundfragen des Charmides richtig, bleibt aber auch in kantischen Denkformen befangen: .,De vraag is naar de eenheid der vele kennis. Dit is nu trouwens de nooit rostende vraag von alle kritische ,philosophie' (S. 46)." - Ähnlich G. M. Sciacca, 11 Carmide e la ricerca d'un oggetto per la filosofia, Riv. Cr. di Storia d. Filosofia 6, 1960, 103-123. - C. Schirlitz, Der Begriff des Wissens vom Wissen in Platons Charmides, Jahrb. f. class. Philologie 43, 1897, 461-476; 613-637 nimmt den Charmides zum Anlaß einer von Fichte beeinflußten Untersuchung über die Identität von Subjekt und Objekt. 18 Wilamowitz hatte sich gegen die „Erklärer" gewandt, die die spätere „Erläuterung und Erleuchtung . . . zwischen den Zeilen lesen . . . W ober weiß denn ein solcher Erklärer, daß Platon wenige Jahre nach dem Tode des Sokrates wußte, was er soviel später als Schulleiter aussprechen sollte?" (1. c., S. 199). H T. G. Tuckey, Plato's Charmides, Cambridge 1961, S. l.

Interpretation

der Interpretationen

7

Dagegen gewinnt A. Pinilla in seinem Buch „Sofrosine: Ciencia de la Ciencia" (1959) gerade durch die Beachtung der Parallelen zum „Theaitet" und zur Aristotelischen Philosophie eine erste Einsicht in die Struktur des Dialoges, dessen Begriffsstufung für ihn verschiedene Ebenen der Wahrheitsfindung darstellt. Er unterscheidet drei Auffassungen der Besonnenheit: ,,a) der volkstümliche Begriff: ethisch-ästhetische Bedeutung; b) der sokratische Begriff: ethischpsychologische Bedeutung; c) der platonische Begriff: noetischmoralische Bedeutung"H. In diesem statischen System bleibt jedoch, wie schon der Titel des Buches zeigt, kein Platz für die Wissenschaft des Guten und damit für die ontologischen Probleme des Dialoges, obwohl ihre Untersuchung, wie M. Untersteiners „Studi Platonici" (1965) beweisen, durch die Vergleiche zu Aristoteles' Metaphysik und Tleplq,1Aoaoq,fasnahegelegt wird. Untersteiners Arbeitshypothese, der „Charmides" müsse von der Ideenlehre her verstanden werden, wie sie den Inhalt der esoterischen Lehre Platons ausmache 118, führt ihn dazu, in dem Dialog, den er für ein Werk des „reifen Platon" hält, 17 nur Belegstellen für die aus dem Alterswerk und späteren Testimonia rekonstruierte „ungeschriebene Lehre" zu suchen 118• Diesem historischen Interesse bleibt der Dialog merkwürdig als Ausdruck von Platons Suche nach der Methode der Dialektik 19 , den dialektischen Gang, in dem sich Platons Denken bewegt, vermag er jedoch nicht nachzuvollziehen. Demgegenüber hat R. Dieterle in seinen „Untersuchungen zur elenktisch-aporetischen Struktur der platonischen Frühdialoge" wenigstens theoretisch richtig erkannt, daß „die Untersuchung . . . nur in der Gesamtinterpretation eines oder mehrerer Dialoge sich bewähren" kann, ,,wenn der im einzelnen fragwürdige Teil seinen erhellenden Platz im Ganzen gefunden hat" 80 • Doch Dieterle kann den inneren Zusammenhang des Einzelwerkes nur herstellen, indem er die isoliert betrachteten Teile auf das vorgewußte Ergebnis bezieht, daß die BePinilla, Sofrosine, Ciencia de la Ciencia, Madrid 1969, S. 179f.: Recuente de las definiciones. 11 M. Untersteiner, Studi Platonici. II ,Carmide', ACME 18, 1966, 19-67; S. 43: „Cosf si trascende dalla scienza della scienza, presupposto gnoseologico di ogni ricerca, alla scienza dell' idea, idea ehe nel nostro dialogo 6, se non presente, un postulato." 17 Untersteiner, l. c., S. 60. 18 Untersteiner verweist ausdrftcklich auf die Rekonstruktionen bei H~ J. Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, Heidelberg 1969 und K. Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre, Stuttgart 1963 (1. c., S. 20, N. 9 und S. 23, N. 22). lt Untersteiner, 1. c., S. 66f. 80 R. Dieterle, Platons Laches und Charmides. Untersuchungen zur elenktisch-aporetischen Struktur der platonischen Frühdialoge, Diss. Freiburg 1966; S. 21. 115 A.

8

Einleitung

sonnenheit etwas Gutes ist. Dieses Vorwissen, von Dieterle als „Wertkonstante" bezeichnet, 31 erweist sich in allen Definitionsversuchen als gegenwärtig, so daß sie sich trotz ihres negativen Ausgangs als inhaltlich richtig herausstellen, so etwa die dritte Definition: ,,Es kommt bei der ac..>q>oavVTl jedenfalls nicht auf das Tun als solches an, sondern allein auf dessen Wert: es muß ,schön und nützlich' erfolgen! Das ist in der Tat der entscheidende Gesichtspunkt, den Kritias hier vorbringt, aber auf welch seltsam verschlungenen Wegen" 38 ! Der Satz ist kennzeichnend für die Methode Dieterles, der hinter den scheinbaren Sophismen eine inhaltliche Wahrheit festzustellen sucht, ohne jedoch die einzelnen Schritte des dialektischen Aufstiegs, die auf sie hinführen, als notwendig sichtbar machen zu können. Deshalb findet er auch am Schluß seiner Untersuchung trotz Platons ausdrücklicher Trennung von Wissenschaft der Wissenschaft und Wissenschaft des Guten die Lösung in deren „platonisierend" 33 vollzogener Einheit: „Die Wert-Bedingung, eine scheinbar zusätzliche Aussage, die sich an die Bestimmung der Sache selbst anschließt, enthüllt sich ... als das zentrale Wesen der gesuchten Sache""· Der Dialog aber findet seinen Sinn allein im „Dialoggeschehen"H, in dem sich nach dem Vorbild des Sokratischen Lebens „das Wissen des Nichtwissens" und damit die Besonnenheit vollzieht „im suchenden Gespräch, in ständiger Prüfung seiner selbst wie auch anderer" 38 • Nach dieser Interpretation werden Inhalt und Form des Werkes von ihrer je eigenen Wahrheit bestimmt; die von Dieterle theoretisch als notwendig erkannte Sinneinheit des Ganzen wird von ihm nicht einsichtig gemacht. Die Bemühung um Verstehen, die am Anfang von Platons Dialog steht, ist an ihm selbst erneut zu leisten. Wie die Ironie, mit der Sokrates die alltägliche Rede zum Bewußtsein ihrer selbst bringt, der erste Schritt zum Denken der Wahrheit ist, so erweist die hermeneutische Analyse dadurch, daß sie die historische Bedingtheit der früheren Interpretationen sichtbar macht, die Notwendigkeit, die in der philologischen Tradition zum bloßen Wissensstoff gewordene Wahrheit des Platonischen Philosophierens neu zu denken. Indem sie darüber hinaus die verschiedenen Verstehensmodelle als Ausdruck des Bemühens begreift, in der Vielfalt des Gesamtwerks die Einheit darzustellen, die von Schleiermacher mit Recht als Voraussetzung Dieterle, Dieterle, II Dieterle, H Dieterle, • Dieterle, 11 Dieterle, 11

II

1. c., S. 168f. l. c., S. 198. 1. c., S. 218. 1. c., S. 298. 1. c., S. 810. 1. c., S. 300.

Interpretation

der Interpretationen

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jeder Deutung bestimmt worden war, gibt sie zugleich einem neuen Versuch zu verstehen seine methodischen Grundkategorien. Auch von diesem ist gefordert, in einer Vielfalt von Erscheinungen die sinnvolle Einheit aufzuweisen. Diese Bemühung ist jedoch im Unterschied zu Schleiermacher zunächst für den einzelnen Dialog zu leisten, da allein er durch seine ihm von Platon gegebene Form den Anspruch stellt, ein in sich geschlossenes Sinnganzes zu sein. Im Gegensatz zur historischen Methode geht es dabei weniger darum, die einzelnen Elemente durch Rückführung auf ihre psychologischen, biographischen oder geistesgeschichtlichen Ursachen zu Kausalketten zu verknüpfen und sie so zu „erklären", als vielmehr ihre Beziehung aufeinander und ihre Funktion im Zusammenhang des Werkes zu bestimmen. Indem so der Versuch unternommen wird, die Ganzheit des Systems wiederzufinden, das der einzelne Dialog darstellt, vollzieht sich in eben dem Maße Verstehen, als die Ordnung der Einzelaspekte in sich schlüssig und als von Platon intendierte einsichtig wird. Das Nachdenken des Platonischen Gedankens wird zu Ergebnissen kommen, die in ähnlicher Weise für alle „Tugenddialoge" (,,Euthyphron", ,.Laches", ,.Lysis", .,Protagoras", ,.Gorgias") gelten: 1. Der „Charmides" geht von einer historisch und sozial scharf eingrenzbaren Situation aus. Er zielt jedoch über die Tugenddefinition hinaus nicht nur auf eine Neubegründung der Ethik, sondern auf eine Neubegründung der Philosophie überhaupt. 2. Es geht in ihm also schon um das eigenste Anliegen der Platonischen Philosophie. Die behauptete Nähe zu Sokrates erweist sich sowohl sachlich als auch historisch, von der Abfassungszeit des Dialoges her, als falsch. Trotzdem ist der Tugenddialog ganz und gar sokratisch durch seine dialektische Methode. 3. Als Frühdialog endet der „Charmides" in der Aporie. Doch diese Aporie ist weder auf das „sokratische Nichtwissen" noch auf das des jungen Platon zurückzuführen. Sie ist vielmehr Ausdruck des einen Grundproblems, das die Platonische Philosophie in all ihren Phasen beherrscht. Die von Schleiermacher geforderte Einheit des Gesamtwerks ist so durch seine einheitliche Problemstellung gesichert. Sie wird sich darin bestätigen, daß Platon auch im Alter noch seine „Tugenddialoge" als vollgültige und notwendige Grundübung des philosophischen Denkens anerkennt.

1. Kapitel Sophrosyne Geltung und Verfall der Grundlagen der Poliskultur Gesundes Denken

„Der Krieg aber, der das Wohlergehen des alltäglichen Lebens aufhebt, ist ein gewaltsamer Lehrer und stimmt die Leidenschaften der Menge nach der jeweiligen Lage. So herrschte nun Aufrnhr in den Städten und die später Gekommenen trieben auf die Kunde des bereits Geschehenen hin die Ausschweifung im Umsturz der Gesinnungen noch weiter durch ausgeklügelte Erfindung von Anschlägen und durch die Ungeheuerlichkeit ihrer Rache. Und die gewohnte Geltung der Worte änderten sie um gemäß ihren Taten mit willkürlichem Urteil. Unvernünftigster Wagemut nämlich wurde für kameradschaftliche Tapferkeit gehalten, vorsorgliches Zögern aber für beschönigte Feigheit, Besonnenheit galt als Vorwand der Unmännlichkeit und kluges Verhalten bei jeder Sache als Untätigkeit bei allem" 1• Thukydides stellt diese Sätze dem Exkurs voran, in dem er die Verwilderung der politischen Sitten während des Peloponnesischen Krieges beschreibt. Der Historiker macht die Krise, in der sich die griechische Welt gegen Ende des fünften Jahrhunderts befindet, am Bedeutungswandel der Worte sichtbar, die bislang die grundlegenden Normen politischen Handelns darstellten•. Unter ihnen zeichnet sich die „Besonnenheit" (o-oocppoov"Tl) durch ihre zentrale Stellung im traditionellen Wertsystem aus. Der Gebrauch des Wortes, einer abstrakten Sekundärbildung zu dem aus der o-Stufe der Wurzel von phren (Zwerchfell, Sinn) und saos, sös (gesund) gebildeten Adjektiv saophron 3 , war im Epos auf wenige charakteristische Situationen eingeschränkt. Wie die Variation mit anderen Zusammen1 1

Thukydides 3. 82, 2ff. Den „Verfall" der Sophrosyne gegen Ende des fünften Jhdts. analysiert H. North. A Peri.od of Opposition to Sophrosyne, Trans. and Proc. oftheAmer. Phil. Ass. 78,

1

Vgl. U. Wyss, Die Wörter auf-avV71 in ihrer historischen Entwicklung, Diss. Zürich, Aarau 1954., S. 20f.

1947, 1-17.

Besonnenheit in der Polis

11

setzungen der gleichen Wurzel beweist•, ist es dabei der etymologischen Grundbedeutung sehr nahe geblieben. Es bezeichnet für Homer die „ Gesundheit des Denkens", die der junge Mann durch angemessene Zurückhaltung gegenüber dem älteren 6, die Dienerin durch gebührenden Anstand gegenüber der Herrin zum Ausdruck bringt•. Während Besonnenheit in diesem Sinne das persönliche, durch die Kenntnis der eigenen Grenzen bestimmte Verhalten gegenüber einem Höhergestellten ist und damit der „Scheu" (al6oos)untergeordnet bleibt 7, die das soziale Verhalten der homerischen Helden in seiner Gesamtheit regelt, tritt das Wort bei Theognis in Gegensatz zur Hybris, dem „gewalttätigen Übermut", und damit in einen vorwiegend politischen Zusammenhang 8• Es bedeutet nun Anerkennung der staatlichen Autorität und Unterordnung unter das herrschende Gesellschaftssystem9. Die Kontinuität mit dem homerischen Begriff bleibt jedoch gewahrt; denn auch in diesem neuen Sinnbereich sind es die sozial Abhängigen, ,,die Bürger", die durch ihre Zurückhaltung Besonnenheit beweisen. Besonnenheit in der Polis

Erst zur Zeit der Blüte der Polis erweitert sich das Begriffsfeld über die soziale Bedeutung hinaus und schließt die Beziehung der Menschen zu den Göttern mit ein 10 • Auch dabei bleibt seine Grundstruktur unverändert. Wie der Mensch vorher seinen „gesunden Sinn" bewies und sich „rettete", indem er sich der gesellschaftlichen Ordnung fügte, so jetzt dadurch, daß er die Wirklichkeit des Göttlichen anerkennt und sich so seiner eigenen Grenzen bewußt wird. In beiden 12f.: &cppova- rnlcppova - xcv.1cppoveoVTCX - aaocppoauvrisCl>462: Apollon hält sich vom Kampf gegen seinen Onkel Poseidon zurück (vgl. Cl>468f.); 6 158: Telemach verstummt gegenüber Menelaos; ljl 30 setzt dieselbe Haltung indirekt voraus: Telemach hält „mit heilsamem Sinn ... die Anschläge des Vaters verborgen". (Übersetzung Schadewaldts). 6 ljl 13: Eurykleia Penelope. 7 Über aa6cppc.,v bei Homer und seine Beziehung zu atSwssiehe auch S. 33. 8 Vgl. H. North, Sophrosyne. Self-Knowledge and Self-Restraint in Greek Literature, Comell Studies in Classical Philology 36, 1966, S. 17ff. • Theognis, Eleg. 1, V. 39-42: ,.Kymos, diese Stadt liegt in Wehen, und ich fürchte, sie wird einen Mann gebären, den Strafer unseres schlechten Übermuts (l((XKfjs 0l3p105). Denn die Bürger (6aTol) sind noch besonnen (aa6cppo~). die Führer jedoch sind großer Schlechtigkeit verfallen." Eine ähnliche Bedeutung kommt dem Wort in der Neuinterpretation des Hesiodeischen Mythos vom eisernen Zeitalter zu, bei der atSwsdurch ac.>cppoauvriersetzt wird (V. 1136-1140). 10 Eine Sammlung der Belegstellen für ac.,cppoauvri in der klassischen Literatur gibt en Grec Classique, Mnemosyne 11, 1943, 81-101. Vgl. G. J. de Vries, ac.>cppoauVl'I auch A. Kollmann, Sophrosyne, Wiener Studien 69, 1941, 12-34. 4

5

ljl

12

Sophrosyne

Fällen definiert er seine Rolle von einem Abhängigkeitsverhältnis her und beschränkt sich auf Grund seiner Einsicht in seinem Handeln gegenüber dem Höhergestellten. Während jedoch die Besonnenheit bei Homer und Theognis rechtes Selbstverständnis nur in der individuellen Situation des jungen Mannes oder der gesellschaftlichen des Bürgers fordert, ist sie in der Tragödie zum Ausdruck einer neuen Erfahrung der Existenz geworden. Im gleichen Maße wie der Mensch nicht mehr von der gesellschaftlichen Bindung, sondern vom individuellen Bewußtsein gelenkt wird, erfährt er die Überlegenheit des Göttlichen und die Notwendigkeit, dessen Wirken anzuerkennen, um ,,gesunden Sinn" zu beweisen. Der Grund zu einer solchen Entfaltung der im Begriff zwar angelegten, aber anfangs nicht aktualisierten Möglichkeiten kann nicht allein in der Veränderung der sozialen und ökonomischen Bedingungen gefunden werden, etwa in der Beschränkung, die dem heroischen Individuum durch den sozialen Zwang der Polis auferlegt wird, oder dem Kampf der aufsteigenden Mittelklasse gegen die Adelsherrschaft 11• Die Analyse der literarischen Zeugnisse beweist im Gegenteil, daß es gerade die konservativen Vertreter jener alten Adelsherrschaft sind (Theognis, Pindar), bei denen sich die neue, in der Tragödie gültige Bedeutung vorbereitet, während andererseits Solon, der die theoretischen und politischen Grundlagen der Polis und der neuen Mittelklasse schafft, das Wort in den überlieferten Fragmenten gar nicht kennt 11• 11

11

Diese Erklärung der Veränderung aus äußeren Ursachen gibt H. North in ihrer Monographie (S. 12ff. u. S. 32f.), deren historische Methode sie im Vorwort definiert: .,My aim throughout has been to identify all the nuances of sophrosyne as they occur, to trace their development, and to suggest, where evidence is available, the reasons for such changes as seem explicable in the light of altered political, social, religious or economic conditions, or the special interests of a given author (S. VIII)." Wie die Untersuchung, die in Form einer Ideengeschichte einen umfassenden Oberblick tlber die gesamte Literatur bis zum Ausgang der Antike gibt, mit aller Klarheit zeigt, kann Sophrosyne die verschiedensten individuellen, sozialen und religiösen Verhaltensweisen bezeichnen; fiir Euripides reicht die Bedeutungsskala nach N. (S. 68ff.) z.B. von weiblicher Keuschheit iiber Mäßigung des Ehrgeizes bis hin zu göttlicher Raserei. Da der jeweilige Sinn des Wortes allein vom Kontext abhängt, wäre es Aufgabe des Interpreten, jeweils die Struktur des Wortfeldes und dessen Platz im Ganzen des Werkes zu bestimmen. Angesichts dieses unerfüllbaren Anspruchs beschränkt sich N. darauf, die verschiedenen Bedeutungsnuancen aneinanderzureihen und aus den obengenannten Bedingungen abzuleiten. Damit werden die Bedeutungsänderungen des Wortes zu einer Funktion äußerer Faktoren, und seine Geschichte, die als notwendige Entwicklung von diesen bestimmt wird, verliert ihre eigenständige Erkenntnisfunktion. Da die Frage nach dem Grund des Bedeutungswandels, solange sie als Frage nach dessen Kausalursachen verstanden wird, keine zureichende Antwort finden kann, muß sich die Begriffsuntersuchung darauf beschränken, dem an sich disparat vorfindlichen Material eine Ordnung zu geben, indem sie aus jedem einzelnen Fall

Besonnenheit in der Polis

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Die existentielle Gefährdung des Menschen durch den Verlust des „gesunden Denkens" macht als erster Aischylos in den Persern (472 v. Chr.) zur Grundlage des dramatischen Konflikts, indem er die Unsinnigkeit des Xerxeszuges als Gegenbild besonnenen Verhaltens deutet und dadurch dem athenischen Sieg bei Salamis einen religiösen Sinn gibt. Wenn der Chor der persischen Greise das Handeln des Xerxes „unverständig" (6vacpp6voos)nennt 13 und Dareios dieses Urteil bestätigt: ,,Noch jung, versteht er auch Jugendliches nur," 14, so ist damit eine erste Ursache des Un(... veas tcl>vveacppovei.) glücks in der mangelnden menschlichen Reife des Königs selbst gefunden. Denn: ,,Ohne Wissen brachte er dies zu Ende mit jugendlichem Übermut." (... Ta6' ov 1atv)und die mit ihr verwandte Furcht (q,6ßcs)das Unrecht bändigen tags und auch bei Nacht ... Den Bürgern, die eine nicht anarchische und auch nicht knechtische Herrschaft verteidigen, rate ich, Ehrfurcht zu haben und das Schreckliche (w 6e1v6v)nicht ganz aus der Stadt zu entfernen. Denn wer von den Sterblichen, wenn er nichts fürchtet, wird gerecht bleiben ?" 81 Der Areopag wird damit als Hüter des „Schrecklichen" eingesetzt, das dadurch, daß es die Bürger in Schranken hält, ein staatliches Zusammenleben erst ermöglicht. Diese aitiologische Rede steht in engem Zusammenhang mit dem Chorlied, in dem die Erinnyen ihr Wirken preisen: ,,Manchmal ist das Furchtbare (To6e1v6v)gut, und es muß als Aufseher der Sinne (q,pevoov tnfoxoirov) bestehen bleiben. Es bringt Nutzen, durch Leiden besonnen zu sein (~µq,epe1aooq,poveivwo a-reve1)"88 • Die rächende Macht der Götter gibt den Menschen den rechten Sinn, macht sie besonnen. Dadurch aber erlangen sie zugleich die richtige politische Ordnung. Indem die Furcht vor der göttlichen Strafe als Mittleres zwischen die Anerkennung der Göttter und die menschliche Selbsterkenntnis tritt, ist die Grundlage einer mittleren, ,,nicht anarchischen und nicht knechtischen Lebensform" gefunden 88 , deren Gedeihen sich auf das gesunde Denken aller Bürger gründet. ,,Aus der Gesundheit der Sinne aber (k 6' öy1efcxsq,pevoov)kommt der von allen geliebte und viel erflehte Segen""· Wie die Parallele zwischen den Worten der Athene und denen der Erinnyen andeutet, übernimmt der Areopag die Funktion der altertümlichen Gottheiten, die Menschen durch die Furcht zur Besonnenheit zu führen. Die Institution, die als oberste Instanz über die Polis wacht, ist damit auf göttliches Recht gegründet, die von ihr geforderte Ordnung göttlicher Natur. Auflösung der Einheit

Eine ähnliche Beziehung zwischen Furcht und Besonnenheit stellt Sophokles zwanzig Jahre später im „Aias" her, zu einer Zeit, als der Areopag durch die demokratischen Reformen schon seine ursprüngliche Machtstellung eingebüßt hatte. Menelaos verlangt von einem „Mann des Volkes", er solle seinen Vorgesetzten gehorchen 86 ; denn Eumeniden, V. Eumeniden, V. 18 Eumeniden, V. H Eumeniden, V. " Aias, V. 1071f. 81 81

690-692; 617-621. 626f. 534ff.

V. 696-699.

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Auflösung der Einheit

nur die Furcht erhalte die Gesetze einer Stadt, ,,und auch ein Heer möchte wohl nicht besonnen gelenkt werden, wenn es den Schutzwall des Schreckens und der Scheu nicht kennt" 86 • Obwohl Menelaos die gleichen Worte gebraucht wie Athene in den ,.Eumeniden", ist die Bedeutung seiner Rede doch eine ganz andere. Für ihn, der aus eigenen Gnaden und ohne göttlichen Auftrag spricht, ist die Furcht zu einem rein sozialen Phänomen geworden, zur Tugend, welche das Verhalten des einfachen Bürgers dem Staat gegenüber regelt. Wie getreu Sophokles in diesem Punkt das demokratische Bewußtsein im Athen seiner Zeit wiedergibt, läßt der parallele Gedankengang erkennen, den Thukydides Perikles bei seiner Totenrede in den Mund legt: ,,Obwohl wir im privaten Bereich so freizügig miteinander verkehren, so ist es im öffentlichen Leben vor allem die Furcht, die uns nicht widergesetzlich handeln läßt, im Gehorsam gegen die jeweiligen Beamten und die Gesetze" 87 • In diesen Worten ist unter dem Einfluß der Sophisten die Furcht vor den Göttern durch die vor den Gesetzen und ihren Strafandrohungen ersetzt. Auch die Besonnenheit wird daher nur als soziales Phänomen begriffen. Am deutlichsten geht diese Anschauung aus der Theorie des Sophisten Antiphon hervor, der die Besonnenheit ganz auf der Furcht vor der Vergeltung durch den Geschädigten gründen will: ,.Wer aber, wenn er gegen seinen Nächsten vorgeht, um ihm Böses zu tun, fürchtet, daß er durch einen Fehlschlag dessen, was er tun will, das davonträgt, was er nicht will, der ist besonnener. Denn während er fürchtet, zögert er, und während er zögert, hat häufig die inzwischen verstrichene Zeit seinen Sinn von seinen Plänen abgebracht" 88 • Dieser säkularisierte Sophrosynebegriff, der wieder auf den schon bei Theognis erreichten Bedeutungsumfang eingeschränkt ist, nimmt bei Sophokles jedoch nur geringen Einfluß auf den Fortgang des Stückes. Nur Menelaos gebraucht ihn in seiner Kampfrede gegen Teukros, wobei er völlig ungerechtfertigt den adeligen Helden Aias einen „Mann des Volkes" nennt. Der Sinn der tragischen Handlung dagegen wird getragen von dem Erwachen des Aias aus der „ völligen geistigen Umnachtung" (6vaÄ6y1crros),in der er im Prolog gezeigt 19

IT 19

Aias, V. 1073ff. Thukydides 2. 37, 3. Antiphon 87 B 68 (D.-Kr.). Dieser relativen Besonnenheit stellt Antiphon als deren höchste Vollendung die Selbstbeherrschung gegenüber (... aOTostavTOv fi8v111'16T1 a0Tosmv-rov, l. c.) und definiert damit zum ersten Mal KpcrnlvTE 1povaApposition zu Tavbccrrov.Vgl. auch V. 329, wo die Verehrung des Gottes ebenfalls als Besonnenheit bezeichnet wird: Ttµc.:>vTE

17

Bakchen, V. 1340ft.

(S. 467).

Bp6µ10vac.,q,povelsµfya118&6v.

Verlust der Tradition

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Verlust der Tradition Das Drama des Euripides ist Symptom für den Verlust der überlieferten Wahrheit, der gegen Ende des Peloponnesischen Krieges in Athen das Verständnis von Sophrosyne kennzeichnet. Der Begriff hat in der alltäglichen Rede seine religiöse Fundierung verloren und ist zum Ausdruck einer sozialen Konvention geworden. Als solcher vermag er sich gegenüber dem Ideal der freien Entfaltung des Individuums, wie es von der jüngeren Sophistik vertreten wird, nicht mehr zu behaupten. Platons Auseinandersetzung mit den Sophisten gibt eine scharfsinnige Analyse dieser Situation. Im „Gorgias" zitiert Sokrates das Verständnis von Sophrosyne, das ihm das allgemein vorherrschende zu sein scheint: .,Ich meine nichts Großartiges, sondern was alle Welt meint, nämlich daß der Besonnene auch der sich selbst Beherrschende ist, indem er über die Lüste und Begierden in sich herrscht" 88 • Zwar ist hier der restriktive Aspekt der Besonnenheit auf eine rationale Formel gebracht, zugleich aber wird damit auch ein äußerstes Maß an Säkularisierung erreicht 89 • Der nur noch konventionell beglaubigte Begriff fällt, wie Platon zeigt, mit unerbittlicher Folgerichtigkeit der rationalen Kritik der jüngeren Sophisten zum Opfer. Ihr Sprecher Kallikles fordert die Befreiung des Menschen von allen Kräften, die ihn unterdrücken könnten: ,,Denn wie könnte wohl ein Mensch glücklich werden, der irgend jemandem dient" 70 ? ,.Das Schöne und Gerechte gemäß der Natur" besteht nach Kallikles vielmehr darin, ,,seine Begierden freizulassen, damit sie möglichst groß sind, und sie nicht zu zügeln, ihnen aber . . . durch Tapferkeit und Verstand zu dienen ... " 71 Die völlige Freiheit des Menschen, die allein sein Glück verbürgt, erfordert vor allem die Beseitigung der sozialen Zwänge, deren stärkster und zugleich subtilster, weil verinnerlichter, die als Selbstbeherrschung verstandene Sophrosyne ist. Indem die Sophisten sie als bloße Konvention (Nomos) entlarven 78, erfunden von den einfältigen Toren, um „ihre Ohnmacht zu verbergen"78, und gelobt von der großen Menge „wegen ihrer eigenen Unmännlichkeit"", glauben sie das Individuum über seine wahre Natur •• Gorgias 491 d. Diese Sfll,IOTIKT) ac.,q,poovVl'l ist für Platon das Musterbeispiel einer unreflektierten, nur konventionell gesicherten Tugend; vgl. Phaidon 82b; Symposion 196c; Politeia 364a; Nomoi 710a. 19 Schon Antiphon 87 B 68 (D.-Kr.) hatte die Sophrosyne in dieser Weise definiert. Siehe S. 17 N. 88. 70 Gorgias 491 e. 71 Gorgias 491 e-492 a. 71 Gorgias 492b. 71 Gorgias 492a. "Gorgias 492b; Platon selbst übernimmt im Phaidon (68c-69a) und in der Politeia (430e) diese Argumente der Sophisten, um zu zeigen, daß die unreflektierte

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Sophrosyne

aufklären und die alte Gesellschaftsordnung durch die Schaffung eines neuen Bewußtseins ändern zu können. Mit den Argumenten des Kallikles referiert Platon die philosophischen Theorien, die zu der von Thukydides beschriebenen Zerstörung der griechischen Politik geführt hatten. Für den Historiker war der Verfall der bisher geltenden gesellschaftlichen Ordnung die Ursache der Sprachverwirrung gewesen, der Philosoph weist mit der Darstellung der Machtideologie der jüngeren Sophisten auf die Revolution im Denken hin, die beiden Phänomenen zugrunde liegt. Thukydides' Analyse findet sich fast wörtlich in der „Politeia" wieder, wo sie in der Theorie vom Wechsel der Staatsformen den Übergang vom oligarchischen zum demokratischen Staat charakterisiert. Die „lügenhaften und schmeichlerischen Worte" 76 , die die Seele des demokratischen Mannes besetzt halten, ,.nennen die Scheu Einfältigkeit und verstoßen sie ehrlos als Flüchtling, die Besonnenheit heißen sie Unmännlichkeit, schmähen sie und werfen sie hinaus, Maß aber und geordnete Lebensführung geben sie als bäurisches und unedles Wesen aus und treiben sie über die Grenze mit ihren vielen und unnützen Begierden" 76 • In diesem bitteren Urteil spricht sich, zu geschichtsphilosophischer Systematik abstrahiert, die Erfahrung aus, die Platon selbst nach der Vertreibung der Oligarchen und der Wiederherstellung der Demokratie in Athen gemacht hat, als ihm durch die Verurteilung des Sokrates die Korruption dieses Systems bewußt geworden ist. Der Historiker und der Philosoph sind sich in ihrem Urteil darüber einig, daß die Besonnenheit gegen Ende des fünften Jahrhunderts ihre Vorrangstellung als soziale und ethische Norm verloren hat. Für die Praktiker der Macht wie für ihre Ideologen ist sie zur bloßen Konvention geworden, die im Namen des Naturgesetzes überwunden werden muß. Den Einsichtigen jedoch erscheint dieser Verfall als bedrohliches Symptom für die Gefährdung des gesellschaftlichen Ordnungssystems in seiner Ganzheit. Sophrosyne in sich widerspruchsvoll ist. .,Denn nur weil sie fürchten, anderer Lüste beraubt zu werden, und weil sie diese begehren, enthalten sie sich der einen, beherrscht von den anderen." (Phaidon 68e). 71 Politeia 560 c. 71 Politeia 560d.

2. Kapitel Drei Definitionen der Sophrosyne Ruhe -

Scheu - das Seine tun

Aristokratische Pädagogik

Charmides, von Sokrates eindringlich nach einer Definition der Besonnenheit gefragt, gibt zunächst nur zögernd 1 Auskunft: ., ... Ihm scheine Besonnenheit zu sein, geordnet alles zu tun und ruhig, über die Straße gehen und sich unterhalten, und alles andere ebenso zu machen" 2• Die Bedeutung, die das Adverb „ruhig" in dieser Bestimmung durch seine betonte Stellung am Ende des ersten Infinitivsatzes gewinnt, wird von Charmides noch unterstrichen, wenn er das Gesagte in einem abstrakten Substantiv zusammenfaßt: ,,Und mir scheint, ... kurz gesagt, eine gewisse Ruhigkeit das zu sein, wonach du fragst" 3 • Die zurückhaltende Art, in der diese Aussage gemacht wird 4 , erweckt den Eindruck, daß der junge Mann nur seine persönliche, unverbindliche Meinung wiedergibt 6 • Ein Vergleich mit anderen Außerungen über die Bedeutung der Ruhe als Verhaltensnorm der athenischen Jugend zeigt jedoch, daß die wenigen Sätze ein fest umrissenes Erziehungsprogramm enthalten. In den „Wolken" des Aristophanes tritt als Anwalt der pädagogischen und sozialen Forderungen einer konservativen Oberschicht die „Gerechte Rede" auf: .,Nun will ich euch sagen, wie es um die althergebrachte Erziehung bestellt war, als ich, Verkünder des Gerechten, in Blüte stand und die Besonnenheit für Gesetz galt. Da durfte kein unziemlicher Laut von des Knaben Stimme gehört werden; da gingen sie auf den Straßen in wohlgeordneten Reihen zum Musiklehrer ... " 6• Die Erinnerung an die alte Zeit, in der eine gute Erziehung sich vor allem in dem zurückhaltenden Auftreten der jungen Leute bewährte, wird von AristophaCharm. 159 b lf.: .,Und er zögerte zuerst und wollte gar nicht antworten Charm. 159 b 2-5. 1 Charm. 159 b 5f. ' Beide Male fängt Charmides seinen Satz mit 1,10150KElan. 11 R. Dieterle, 1. c .• S. 164: ., ... vollkommen persönlich geprägt ... ". • Aristophanes, Wolken, V. 961ff. 1 1

... ".

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Drei Definitionen der Sophrosyne

nes mit den Neuerungen der Sophisten kontrastiert, als deren typischer Vertreter ihm Sokrates gilt, der dem Inhalt der traditionellen Lebensform verständnislos gegenübersteht und sie dadurch bei der Jugend in Mißkredit bringt. Außer in der eigenen Vergangenheit fand die athenische Aristokratie der Jahrhundertwende auch in Sparta ein Vorbild für die von ihr geforderte Erziehung. In der geschlossenen Gesellschaft des Kriegerstaates hatten sich die überlieferten Verhaltensnormen bis ins vierte Jahrhundert hinein lebendig erhalten, so daß Xenophon seinen athenischen Lesern die spartanische Jugend als Ideal vor Augen führen kann: ,,Außerdem wollte man· ihnen zurückhaltende Scheu nachdrücklich einpflanzen und befahl ihnen daher, auch auf der Straße die Hände im Mantel zu halten, schweigend zu gehen und nirgendwo umherzuschauen, sondern nur vor sich zu sehen. Daran ist auch wohl deutlich geworden, daß das männliche Geschlecht befähigter ist, besonnen zu sein als die weibliche Natur" 7 • Die Vorliebe für die spartanischen Lebens- und Umgangsformen war auch in der unmittelbaren Umgebung des jungen Charmides milieubestimmend, wie die Schriften seines nur wenig älteren Vetters Kritias erkennen lassen. In dem e~egischen Gedicht „Staat der Lakedaimonier" lobt der spätere Tyrann die spartanische Enthaltsamkeit, weil sie die jungen Männer zur Besonnenheit führe 8• Zur Bestätigung der von ihm vertretenen Maßethik zitiert er einen Spruch, den er dem Lakedaimonier Chilon, einem der Sieben Weisen, zuschreibt: ,,Nichts im Übermaß. Im rechten Augenblick ist alles Schöne zugegen" 9 • Andere unter dessen Namen überlieferte Sentenzen sprechen das von Aristophanes und Xenophon bewunderte Erziehungsideal noch deutlicher aus: ,,Wenn du trinkst, rede nicht viel, denn du wirst Fehler machen". ,,Auf der Straße eile nicht hastig vorwärts". ,,Bewege auch nicht die Hand; denn das ist unbesonnen" 10 • Der konservativen Pädagogik, die in diesen Regeln zu Wort kommt, gelten Ruhe und Ordnung im öffentlichen Auftreten, Mäßigung beim Symposion und Zurückhaltung im Reden als höchstes Ideal, da diese äußeren Verhaltensweisen als Ausdrucksform und Garanten für die Haupttugend des Menschen stehen, die zwar mit dem Wort „Besonnenheit" bezeichnet, aber in ihrer inneren Wirklichkeit nicht beschrieben werden kann 11• Wenn Charmides sagt, Besonnenheit sei Xenophon, Staat der Lakedaimonier 3, 4. Kritias 88 B 6, 15ff. (D.-Kr.). 11 Kritias 88 B 7, 2 (D.-Kr.). 1 Chilon 10 A 8 y, 2, 17, 18 (D.-Kr.). n Das heißt aber nicht, daß damit nicht eine Haltung des ganzen Menschen gemeint ist. Wenn manche Interpreten darin nur ein „äußerliches" Verhalten sehen (z.B. 7 8

°

Das goldene Zeitalter und die aristokratische

Staatsform

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„geordnet alles tun und ruhig", dann vollzieht er ausdrücklich diese von den anderen vorausgesetzte Gleichung und bekennt sich damit zu den Werten, die er in seiner Erziehung als junger athenischer Aristokrat als verpflichtend erfahren hat. So ist auch die zurückhaltende Art seiner Antworten im Lichte der eigenen Definition nicht so sehr als individuelles Charaktennerkmal zu verstehen, sondern als augenfälliges Zeichen dafür, daß er die Besonnenheit, von der er spricht, auch selber besitzt. Das goldene Zeitalter untl die aristokratische Staatsform

Das Ideal des „besonnenen Jünglings" steht in einem umfassenderen politischen und religiösen Zusammenhang, innerhalb dessen die ,.Ruhe", mythisch überhöht, als Privileg eines glücklicheren Menschengeschlechts erscheint. Bei Hesiod zeichnen sich die Menschen der goldenen Rasse dadurch aus, daß sie „ruhig ihre Werke verrichten" 11 • In dem durch seine Stellung am Versanfang hervorgehobenen Adjektiv faßt der Dichter die Vorzüge des besten Zeitalters zusammen: Die Menschen brauchen sich nicht für ihren Lebensunterhalt abzumühen, denn der fruchtbare Acker trägt ihnen „reichlich von selbst" 13 ; und sie führen keinen Krieg, da sie sich ganz von der Dike leiten lassen. Gerade dadurch unterscheiden sie sich aber vom silbernen Geschlecht, das „von wahnsinniger Hybris gegeneinander sich nicht enthalten konnte" 1' und von der ehernen Rasse der Giganten 16 , ,.denen nur die seufzerreichen Werke des Ares im Sinne liegen und die Werke der Hybris" 18 und die sich darum gegenseitig hinmetzeln 17 • Friedländer, l. c., Bd. 2, S. 71), entgeht ihnen die Tiefendimension dieses pädagogischen Ideals. Sie nehmen unbewußt den beschränkten Standpunkt ein, den Sokrates in seiner Widerlegung absichtlich um seines dialektischen Zieles willen wählt. 11 Werke und Tage, V. 119: ~O'V){Ol fpy' bi11ovro ... 11 Werke und Tage, V. 117f. Ein solches „Paradies" verspricht noch die „Gerechte Rede" in Aristophanes' Wolken dem Jüngling, der ihr Erziehungsideal annimmt: ,.Im Hain des Akademos wirst du wandeln, ... mit schimmerndem Laub bekränzt, an der Seite des besonnenen Freundes, nach Eibe duftend und müßiger Ruhe ... " (V. 1005ff.). H Werke und Tage, V. 134f. J. P. Vernant, Le Mythe Hesiodique des Races, Essai d' Analyse Structurale, in Mythe et Pensee chez les Grecs, Paris 1965, S. 19-4 7 sieht den Unterschied zwischen den Zeitaltern in dem jeweiligen Vorherrschen von Dike oder Hybris. 11 J. P. Vernant identifiziert die Giganten mit der bronzenen Rasse (1. c., S. 3lff.). Giganten wie Bronzemenschen stammen von Eschen ab (h< l,leÄtäv, Werke und Tage, V. 145), beide betreiben nichts anderes als Krieg, beide bringen sich gegenseitig um. Sie sind das ganz von der Hybris regierte Geschlecht. 11 Werke und Tage, V. 145f. 17 Werke und Tage, V. 152ff.

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Drei Definitionen der Sophrosyne

Die Menschen der goldenen Rasse werden nach ihrem Tode zu guten überirdischen Dämonen. Diese Gunst gewährt ihnen Zeus als „königliches Ehrengeschenk" 18 • Sie sind daher, wenn man den Mythos unter seinem sozialen Aspekt betrachtet, Vorbilder der gerechten Richter und Könige. So kann Hesiod seinen Richtern und seinem Bruder Perseus das Bild einer von gerechten Königen gelenkten Gesellschaft vor Augen halten, die der des goldenen Zeitalters in allen wesentlichen Zügen gleicht: ,,Die aber gerades Recht sprechen Fremden und Einheimischen und das Gerechte nicht überschreiten, denen gedeiht die Stadt, und die Bevölkerung blüht auf in ihr. Frieden, Jugend nährender, ist über derErde, und nicht teilt ihnen schmerzvollen Krieg zu der weitblickende Zeus. Auch kommt die gerecht richtenden Männer niemals Hunger an noch Unglück ... ihnen trägt die Erde reichlichen Lebensunterhalt" 19 • Das Ideal einer gerechten Gesellschaftsordnung im Zeichen der Hesychia ist auch nach Hesiod lebendig geblieben. Pindar sieht in der „Ruhe" eine der Grundlagen des gerecht regierten Staates, für deren Verwirklichung der adelige Herrscher zu sorgen hat. Daher betet er bei der Neugründung der Stadt Aitnai für ihren Gründer Hieron zu Zeus: ,,Mit deiner Hilfe mag der fürstliche Mann ... das Volk ehren und es zuwenden einträchtiger Ruhe" 20 • Er lobt den adeligen Herrscher von Kamarina, weil „er sich der städteliebenden Ruhe mit reiner Gesinnung zugewandt"habe 81, und seine thebanischen Mitbürger bittet er, .,der hochgemuten Ruhe glänzendes Licht" zu suchen und „Bürgerkrieg" zu meiden 88 • In seiner spätesten uns erhaltenen Ode, der achten Pythischen aus dem Jahre 446 v. Chr., ruft Pindar im Prooemium die Hesychia als Göttin an 83 • Ihre in traditioneller Form gegebene Aretalogie zeichnet ein vollständiges Bild ihres göttlichen Wirkens, das in wesentlichen Zügen dem des goldenen Zeitalters gleicht. Sie wird angerufen als „städtevergrößernde Tochter des Rechts", der die Entscheidung über Krieg und Frieden zukommt 84, sie weiß „Mildes" zu wirken und zu leiden. Dem Haß begegnet sie, indem sie den Über18 19

IO

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Werke und Tage, V. 126: ... ye~ !3acr1i\ii1011 ••• Werke und Tage, V. 225ff. Pindar, Pyth. 1, 69ff. Pindar, Olymp. 4, 16f. fr. 109 (Snell). Vgl. auch Nem. 9, 48: Hesychia beim Symposion. Pyth. 9, 22ff.: Die Nymphe Kyrene, die ihren Herden „ruhigen Frieden" gibt, wird von Apollon zur Stadtgöttin gemacht. Die früheste Personifizierung der Hesychia findet sich in einem Fragment Epicharms (fr. 101 K.), wohl aus der Komödie „Odysseus der Deserteur": ,.Die Ruhe ist eine angenehme Frau / und der Besonnenheit nahe wohnt sie". Schon bei Epicharm stehen also Hesychia und Sophrosyne in unmittelbarem Zusammenhang. Pindar, Pyth. 8, lff.

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Ruhe als politisches Programm

mut, nach Pindars drastischen Worten, ,,ins Jauchewasser taucht". Dieser Eingang gewinnt vom Schluß der Ode her eine aktuelle politische Bedeutung als Mahnung an Ägina, innere Ruhe und Frieden zu wahren 26 und sich von der Oberherrschaft des demokratischen Athen zu befreien. Wie der politische Kontext erhellt, ist die Ruhe, in Fortsetzung der mythischen Tradition, zum Kennzeichen der aristokratischen Staatsform geworden. Zu ihr bekennt sich Pindar auch persönlich, wenn er in seiner „Selbstverteidigung" der Tyrannei einerseits und dem Neid der Menge andererseits eine „mittlere" Lebensform gegenüberstellt: ,,Wenn jemand das Höchste ergreift und es ruhig verwaltet, dann ist er dem verderblichen Übermut entgangen" 118• Die wiederholte Gegenüberstellung mit der Hybris beweist, daß der Ruhe in der von Pindar gepriesenen vollendeten Aristokratie dieselbe zentrale Funktion zukommt, die in der Poliskonzeption des Aischylos die Sophrosyne einnimmt. Charmides hat also auch in diesem umfassenderen Sinne recht, wenn er die Besonnenheit als Ruhe definiert. Ruhe als politisches Programm

Gegen Ende des Jahrhunderts siedelt Aristophanes die Ruhe in seiner Stadt der Vögel an; in „Wolkenkuckucksheim" sollen „Weis16

So R. W. B. Burton, Pindar's Pythian

Odes, Oxford 1968, S. 176. cp60111:pol 6' äµvvovr' 6./Tq_• d TlS 6.KpovEJ.c.>v ... zu lesen. Erst damit wird die Struktur des Abschnitts völlig durchsichtig. Das „Mittlere", das „mit reicherem Segen prangt", wird von Pindar auch syntaktisch zwischen Tyrannei und Neid der Menge gestellt. Es ist zugleich der Gipfel (6.Kpov);denn die „gemeinsamen Tugenden", nach denen der Dichter strebt, werden in dem folgenden partizipialen Konditionalsatz näher bestimmt: .,Wenn man das Höchste [in der Stadt, d. h. die Regierung „gemeinsam" mit anderen) erlangt und es ruhig verwaltet", so hat das zwiefaches Glück zur Folge: In diesem

81Pyth. 11, 58ff. V. 54f. ist das überlieferte

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Drei Definitionen der Sophrosyne

heit, Sehnsucht, Unsterblichkeit, Chariten und das heitere Antlitz der mildsinnigen Hesychia" herrschen 87 • Die ironische Resignation solcher Worte läßt erkennen, wie sehr das ursprüngliche Ideal an Kraft verloren hat. In den euripideischen Dramen findet es sich als Gegensatz zum Ehrgeiz der Demokraten und den von ihnen vemrsachten Wirren des Peloponnesischen Krieges zu einem bescheidenen Lebensentwurf ohne tätigen Ehrgeiz gemäßigt: ,,Wenn ich, strebend nach dem ersten Sitz der Stadt, suche wer zu sein, werde ich von den Unvermögenden gehaßt; denn leidig ist das Stärkere. Die aber schweigen, obwohl sie edel sind und weise zu sein vermögen, und sich nicht um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern, bei denen werde ich Gelächter ernten und den Ruf der Torheit, wenn ich nicht Ruhe halte in der Stadt voll Furcht" 18 • Euripides läßt mit diesen Worten seinen Helden Ion aus dem Mythos heraus zu der politischen Wirklichkeit Athens Stellung nehmen, um die beiden einflußreichsten politischen Strömungen seiner Vaterstadt zu tadeln, die Demokraten wegen ihres hemmungslosen Kampfes um die Ämter und die vermögende, gebildete Oberschicht wegen ihrer Untätigkeit. Derselbe Gegensatz, der die innenpolitischen Verhältnisse Athens beherrscht, wirkt sich auch in den Beziehungen der griechischen Staaten untereinander aus. Die Spartaner gelten als die traditionellen Verfechter einer „ruhigen" und zurückhaltenden Außenpolitik, weshalb ihnen von ihren Bundesgenossen der Vorwurf der Feigheit und Untätigkeit gemacht wird: ,,Ihr allein von allen Griechen haltet Ruhe, Lakedaimonier ... ", werfen ihnen die Korinther nach der Schlacht bei Potidaia vorBD.Die demokratischen Athener aber „mühen sich für all dieses unter Arbeiten und Gefahren ihr ganzes Leben lang ab, und sie genießen möglichst wenig von dem Vorhandenen, um immer zu erwerben. Nichts anderes halten sie für ein Fest, als das Notwendige zu tun, und die untätige Ruhe ist für sie ein nicht geringeres Übel als mühselige Arbeit. Wenn daher jemand zusammenfassend sagte, sie seien von Natur so beschaffen, selbst nicht Ruhe zu halten noch andere Menschen in Ruhe zu lassen, dann würde er wohl wahr sprechen " 30 • In seiner Erwidemng stellt der Spartanerkönig Archidamos das kritisierte Verhalten als eigentlichen Vorzug der Lakedaimonier hin; denn Leben entgeht man der Hybris, der die Tyrannen verfallen, und nach dem Tode hinterläßt man seinen Kindern einen guten Namen, während die Menge zwar „das Verhängnis abwehrt" (... 6:µvvovr' lrr!jt, V. 53f.), dafilr aber namenlos bleibt. 17 Aristophanes, Vögel, V. 1320ff. (414 v. Chr.). Vgl. auch Lysistrata, V. 1287ff. (411 v. Chr.). 11 Euripides, Ion, V. 695ff. (nach 412 v. Chr.). •• Thukydides 1. 69, 4. 80 Thukydides 1. 70, Bf.

Die Aidos des homerischen Helden

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nach ihm ist das „Langsame und Zögernde" ,,vernünftige Besonnenheit", die vor der Hybris bewahrt und die staatliche Ordnung erhält 81. Eine Stellungnahme für oder gegen die Ruhe schließt demnach zur Zeit des Channides die politische Entscheidung für oder gegen Sparta mit ein, und so ist die Definition des athenischen Aristokraten, ,,Besonnenheit sei Ruhe", auch als Zeichen seiner konservativen, spartafreundlichen Haltung zu verstehen.

Die A idos des homerischen Helden

Channides versucht ein zweites Mal, die Sophrosyne zu definieren : „Es scheint mir nun, sagte er, daß die Besonnenheit bewirkt, daß der Mensch sich schämt und scheu zurückhaltend ist, und die Besonnenheit scheint also etwas wie Scheu zu sein" 81 • Mit dem Wort „Scheu" (al6cl,s) ist eine der ältesten Formen griechischen Wertverstehens in den Dialog eingeführt 83 • Sie bestimmt im Epos als sittlicher Schwerpunkt Leben und Handeln des Helden 84. Als Rektor im Bewußtsein der Todesgefahr aus Troja fortgeht, um sich Achill im Kampf zu stellen, begründet er sein Tun sich selbst gegenüber mit der Scheu vor den Troern und dem schlechten Ruf, den ihm ein Ausweichen einbringen würde 86. Ähnlich hatte er schon vorher der weinenden Gattin And.romache auf ihre Klagen geantwortet: „Auch mir liegt das alles am Herzen, Frau. Aber gar sehr scheue ich die Troer und langgewandeten Troerinnen, wenn ich wie ein Schlechter von fern den Kampf vermeide. Und auch mein eigener Mut rät es mir nicht, da ich lernte, immer edel zu sein und unter den ersten der Troer zu kämpfen, um des Vaters hohen Ruhm zu wahren und meinen eigenen"86. Unmittelbar wirksam wird die Scheu, wenn der Einzelne sich vor den Augen der Anderen zu bewähren hat. So kann Agamemnon durch Mahnung zur Aidos die fliehenden Krieger zu neuem Kampf aufrufen: ,.Ihr Lieben, seid Männer, nehmt euch ein tapferes Herz und scheut einander in den gewaltigen Kämpfen. Von Männern, die Thukydides 1. 84, lf. n Charm. 160e 3-6. • C. E. von Erffa, AIS~ und verwandte Begriffe in ihrer Entwicklung von Homer bis Demokrit, Phil. Suppl. 30, 1937. Für das 4. Jh. als Materialsammlung noch zu benutzen: R. Schultz, AIS~ (Diss. Rostock 1909), 1910. H Über Aidos bei Homer: G. Murray, The Rise of the Greec Epic, Oxford 1 1924, S. 83; U. v. Wilamowitz, Der Glaube der Hellenen, Berlin 1931, Bd. 1, S. 363f.; W. J. Verdenius, AISC.:,s bei Homer, Mnemosyne 12, 1944, 47ff. 11 X lOöf.: alstopcn Tp&;asKalTpr.i,aSasO.KE.ovs, 111'1l'ffl TtS dfflJO't KaKclnepos 6>.Aosl1,1eio. • Z 441ff. 11

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Drei Definitionen der Sophrosyne

Scheu haben, werden die meisten gerettet, Fliehenden aber wird weder Ruhm noch Kraft zuteil" 37 • Die Aidos als Rücksichtnahme auf den eigenen „Ruhm" und die mit ihm verbundene Erwartungshaltung der Gesellschaft bestimmen so als aktiver Handlungsantrieb das Leben des Helden. Dieser Normcharakter, der ihr einzig durch das gesellschaftliche System zukommt, wird auch als verpflichtend empfunden, wenn der soziale Zwang, wie in der persönlichen Entscheidung über Leben und Tod, nicht unmittelbar wirksam ist. Komplementär hierzu bedeutet Aidos im passiven Sinne die Ehrfurcht, die Rücksichtnahme auf die gesellschaftliche Stellung des anderen. In diesem Sinne „scheuen" die Herolde den König38, Telemach „scheut" seine Mutter 39 • Gastfreunden'°, Schutzflehenden 41 und Sängern' 8 ist die ihnen zukommende „Scheu" und Achtung entgegenzubringen. Die homerischen Epen spiegeln das Bild einer Kultur, in der sowohl das persönliche Handeln wie das Verhalten in der Gesellschaft durch die Anerkennung der eigenen sozialen Verpflichtung und die Rücksichtnahme auf die Stellung des anderen gelenkt wird. Während so in der „shame-culture"" die Aidos als einzige Verhaltensnorm wirksam ist, hat sie schon bei Hesiod diese beherrschende Stellung eingebüßt. Für ihn rückt die Gerechtigkeit, Dike, als soziale Tugend in den Mittelpunkt. Sie ist das Kennzeichen eines wahren Königs, regelt, von Zeus' Auge bewacht, die Beziehungen der Menschen untereinander und gilt als das „bei weitem höchste Gut""· Aidos und Nemesis dagegen haben den Menschen seiner Entartung wegen im eisernen Zeitalter „verlassen", um in den Olymp zurückzukehrenH. Indem Hesiod so die historische Tatsache, daß die Aidos ihre ursprüngliche Bedeutung eingebüßt hat, in den Mythos von den fünf Zeitaltern übernimmt, gibt er dem Wort noch einmal, wenn auch unter negativem Vorzeichen, seinen homerischen Sinn' 8 • In der Poliskultur geht die ursprüngliche Einheit eines von der sozialen Norm der Aidos gelenkten Handelns vollends verloren. Bei E 629ff. A 331. 31 v 343; vgl. X 82. 40 1 639f. u Cl>74. a 9 479f. a E. R. Dodds, The Greeks and the Irrational, Berkeley/Los Angeles 1961, S. 17f. 11 Hesiod, Werke und Tage, V. 279. 11 Hesiod, Werke und Tage, V. 199f. • In diesem zeitkritischen Zusammenhang lebt die Klage tlber mangelnde Aidos bei den Tragikern weiter: Sophokles, Aias, V. 1074ft.; Euripides, Medea, V. 439ff.: Nachahmung des hesiodeischen Bildes von der fortfliegenden Aidos.

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Die Scheu des jungen Mannes

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den Tragikern ist, wie schon bei Hesiod, die Gerechtigkeit der vorrangige gesellschaftliche Ordnungsbegriff, während zum Ideal des persönlichen Lebens nunmehr die Besonnenheit aufsteigt und im ethischen Begriffsfeld ungefähr die Stelle einnimmt, die auf einer früheren Kulturstufe die Aidos innegehabt hatte. Diese lebt nun nur noch in ihrem passiven Aspekt weiter als „Ehrfurcht" vor Gastfreunden47, Schutzflehenden 48 und Verwandten 49 und als „Scheu" vor dem Eid 60 und gehört als solche zu den Eigenschaften, die von einem ,.besonnenen" Mann erwartet werden. Symptomatisch für diese Entwicklung ist die Verdrängung des Verbs alSeio8ai „sich scheuen", durch alaxvveo8ai, ,.sich schämen", das von „vorneherein durch die Beziehung auf das alaxp6v etwas Negatives" hat 61• Während alaxvveo8ai in der Ilias noch gar nicht und in der Odyssee nur dreimal vorkommt, zeigt der Befund bei Aristophanes, daß alSeio8ai und das dazugehörige Substantiv gänzlich aus der attischen Alltagssprache verschwunden sind 111• Die Scheu des jungen Mannes

Wenn Aristophanes das nach Homer nicht mehr geläufige Wort dennoch gebraucht, so nur in einem speziellen, eng umgrenzten Zusammenhang. Die „Gerechte Rede", in der er sein Erziehungsideal entwirft, fordert von dem Jüngling auch, er solle „sich des Schändlichen schämen", bei Scherzen „erröten", vor älteren Leuten aufstehen und seine Eltern ehren. So solle er sich „zu einem Götterbild der Scheu ausbilden" 68 • Die Scheu gilt hier, wie die Ruhe, als Verhaltensnorm, die besonders die Jugend auszeichnet. In diesem engeren Sinne verwendet schon Homer das Wort. Als Apollon im Götterkampf seinem Onkel Poseidon begegnet, weicht er vor ihm zurück und sagt: ., ,Erderschütterer, nicht dürftest du mich wohl besonnen nennen, wenn ich mit dir der schlechten Sterblichen wegen kämpfte ... • So sprach er und wandte sich um; denn er scheute sich, mit seinem "Aischylos, Agamemnon, V. 362f.; Euripides, lphigenie auf Tauris, V. 949. • Aischylos, Hiketiden, V. 478ff.; Sophokles, Ödipus auf Kolonos, V. 244ff. Euripides, Herakliden, V. lOlff. 18 Aischylos, Choephoren, V. 896ff.; Sophokles, Aias, V. 606ff.; Euripides, Alkestis, V. 668ff. 60 Aischylos, Eumeniden, V. 679f. Diese Bedeutung von al6t:)s ist hier zum erstenmal nachweisbar. Sophokles, König Ödipus, V. 646ff.; Euripides, Medea, V. 439f. lil C. E. von Erffa, 1. c., S. 22. 61 Wolken, V. 1468: KC1TCX16eto9cn als Tragikerzitat (Schol.); Wespen, V. 446f. und Wolken, V. 996. 61Wolken, V. 996: ... Tfisal6oüs .•. T!yaÄ1,1' 6:vcm1'crrre1v. W i t te, Wis-.cbaft

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Drei Definitionen der Sophrosyne

Vatersbmder handgemein zu werden""· Apollons Worte stellen die früheste Bezeugung des Wortes aa6cppoovin der griechischen Literatur dar 116• Die Verbindung Sophrosyne-Aidos, die im Epos die scheue Zurückhaltung des jungen Mannes kennzeichnet, hat trotz der gegensätzlichen Verändemngen der beiden Wortfelder ihre homerische Bedeutung bis hin zu Euripides bewahrt, dessen Hippolytos „mit jungfräulicher Seele" 68 Besonnenheit und Scheu als höchsten Maßstab seines Tuns anerkennt 17• Wenn also der junge Charmides, ,.auf sich selbst schauend" 18 , die Besonnenheit als Scheu definiert, dann meint er damit jene von Homer her überlieferte Tugend der „jugendlichen Scheu". Die Formel, mit der er seine Definition umschreibt, bestätigt diesen Befund: ,. ... sich schämen mache die Besonnenheit und scheu den Menschen" 69 • Außer dem von vorneherein auf den passiven Aspekt beschränkten Verb alaxvvea8cn gebraucht er das späte, künstlich gebildete Adjektiv alaxvVl'TIA6s,das sich außer im „Channides" auch in der „Nikomachischen Ethik" findet, wo es von Aristoteles ausdrücklich auf die jugendliche Zurückhaltung bezogen wird 8°. A idos in der Philosophie des fünften Jahrhunderts

Neben dieser althergebrachten und sehr speziellen Bedeutung des Begriffs wird in der Philosophie des späten fünften Jahrhunderts der Versuch unternommen, die allgemeine Bedeutung der Aidos zu erneuern. Demokrit macht die „Scheu" zu einer der Grundlagen seiner Ethik, indem er sie, den veränderten gesellschaftlichen Umständen gemäß, völlig aus der sozialen Bezogenheit löst und auf das sittliche Bewußtsein des Einzelnen gründet: ,,Nicht soll man die Menschen mehr scheuen als sich selbst und nicht mehr Böses tun, wenn es niemand wissen wird, als wenn es alle Menschen wissen werden; sondern man Cl>462ff. Daß diese Tugend nur f1lr den jungen Mann gilt, geht aus y 14ff. hervor, wo Athene in Gestalt Mentors dem Telemach vorwirft, daß er noch immer seine ,.scheue Zurückhaltung" bewahrt, obwohl er doch jetzt erwachsen sei. "Auch die drei anderen Belege f1lr aa6cppc.,v bei Homer (6 168; \f' 18; \f' 30) stehen dieser Bedeutung sehr nahe; siehe oben S. 11. 11 Hippolytos, V. 78ff.; V. 1003-1006; siehe oben S. 20. "Ähnlich Euripides, Iphigenie auf Aulis, V. 821f. 11 Charm. 160 d 6. 61 Charm. 160 e 3f.: ... alaxvvea9a1 iroteiv fi O'c.>cppoavllTJ Kal alO)(VIITT'JAOV Tbv &v&pc.>irov. 80 Aristoteles, E. N. IV, 9, 1128 b 18ff.: .,Wir loben unter den Jünglingen die zurückhaltenden (alBftµovas), einen Älteren aber dürfte wohl niemand loben, daß er scheu (alaxVIITT'JMS)ist". H

Aidos in der Philosophie des fünften Jahrhunderts

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soll sich selbst am meisten scheuen-und dies der Seele als Gesetz geben, so daß sie nichts Unziemliches tut" 81 • Ungefähr gleichzeitig mit dem Versuch Demokrits, die Aidos als Grundbegriff einer eigenverantwortlichen Sittlichkeit neu zur Geltung zu bringen, ist die Bemühung des Protagoras anzusetzen, ihr in der neuen demokratischen Gesellschaft eine soziale Funktion zu geben. In dem von Platon überlieferten Mythos von der Entstehung des Menschengeschlechts 88 behauptet Protagoras, den Menschen sei erst dadurch, daß Zeus ihnen Aidos und Dike schickte, die politische Technik und danii.t die Möglichkeit, Städte zu gründen, zuteil geworden. Diese Erzählung ist in vielen Zügen als ausdrückliche Entgegnung auf Hesiods Mythos zu verstehen, im eisernen Zeitalter seien Aidos und Dike abhanden gekommen. Unter dem mythischen Gewand, das im Vergleich zu der individualistischen Konzeption Demokrits archaisch anmutet, verbirgt sich jedoch eine philosophische Grundlegung der Perikleischen Demokratie. Protagoras betont mit besonderem Nachdruck 83 , daß Zeus Dike und Aidos allen Menschen zuteilen ließ, damit auch alle an der politischen Technik teilhaben. Diese allgemeine Verbreitung, durch die sich das Geschenk des Zeus vor den anderen, jeweils nur von Spezialisten ausgeübten Techniken auszeichnet, sieht Protagoras darin bestätigt, daß sie im alltäglichen Vollzug der Demokratie stillschweigend vorausgesetzt wird: Die Athener suchen sich für jedes Geschäft den entsprechenden Fachmann. ,,Wenn sie aber an die Beratung über die politische Tüchtigkeit gehen, die doch ganz und gar durch Gerechtigkeit und Besonnenheit sich verwirklicht, so dulden sie mit Recht jeden Mann, wie es auch jedem zukommt, an diesem Vermögen teilzuhaben, oder Städte können nicht sein"H. Die Perikleische Demokratie hat sich mit diesem Mythos eine ideologische Rechtfertigung geschaffen, welche die athenische Form der Verfassung in der politischen Anlage des Menschen begründet und zugleich in einem raffinierten Zirkel ihren Wahrheitsbeweis aus der demokratischen Verfahrensweise selbst schöpft. Bezeichnend dabei ist, daß Protagoras, als seine Rede aus der mythischen Wirklichkeit zu der des athenischen Alltags überwechselt, die alten Begriffe Aidos und Dike durch die zu seiner Zeit gültigen Sophrosyne und Dikaiosyne ersetzt. Indem er so der Besonnenheit durch die Wiedereinführung der „demokratisierten" Scheu eine mythische 11 11

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H

Demokrit 68 B 264; vgl. auch 68 B 244 und 68 B 84 (D.-Kr.). Platon, Protagoras 320 cff. Ob der Mythos tatsächlich in dieser Form von Protagoras stammt, ist in unserem Zusammenhang nicht von .Bedeutung. Er gibt jedenfalls Protagoras' Lehre so wieder, wie sie Platon verstanden wissen wollte. Protagoras 322d: .,An alle, sagte Zeus, und alle sollen daran teilhaben". Protagoras 322e-323a.

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Drei Definitionen der Sophrosyne

Grundlage gibt, macht er sie zur Bedingung der Möglichkeit der demokratischen Staatsform. Rätselhaftigkeit der Formel ,das Seine tun'

Zu den beiden ersten Definitionsversuchen hatte Channides sich nur auf das eindringliche Fragen des Sokrates hin bereitgefunden 86 • Als sie jedoch gescheitert sind, macht er selbst einen spontanen Vorschlag: ,,Schau aber noch Folgendes, was es dir für die Besonnenheit zu bedeuten scheint. Gerade fällt mir nämlich noch ein, was ich schon mal jemanden habe sagen hören, die Besonnenheit sei ,das Seine tun"' 66 • Mit diesen Worten beweist Channides, daß er bereits von Sokrates gelernt hat; es geht ihm jetzt nicht mehr um seine eigene Besonnenheit, sondern um die Sache selbst. Auch da, wo seine eigene Weisheit am Ende ist, versucht er noch durch die Erinnerung an einen fremden Ausspruch weiterzuhelfen. Als Kritias sich unmittelbar darauf mit Sokrates über die Urheberschaft der angeführten Definition auseinandersetzt, stellt Charmides seinen guten Willen noch einmal unter Beweis, indem er bemerkt, daß diese Frage für die philosophische Untersuchung gar nicht von Belang istn. Sokrates muß ihm zustimmen; ja, er wird später selbst dieses methodische Argument übernehmen, um die unwilligen Ausbruchsversuche des Kritias zu erwidern 88. Charmides ist zwar in der dialektischen Diskussion an die Grenzen seiner Möglichkeiten gekommen, aber seine neu errungene „sokratische" Haltung zeugt von dem fortwirkenden Einfluß des Gesprächs mit dem Weisen. Bei der inhaltlichen Untersuchung des Ausdrucks „das Seine tun" stellt sich heraus, daß auch Sokrates zunächst nicht weiß, was mit ihm gemeint sein könnte. Die Worte gleichen „nämlich einem Rätsel"89. Diese Schwierigkeit hatte es bei den beiden anderen Definitionen nicht gegeben. Charmides hatte nur über die Sophrosyne zu sprechen brauchen, die er selbst zu besitzen glaubte: ,,Es ist doch klar, daß du, wenn du die Besonnenheit besitzt, auch eine Meinung über sie hast". Und dieser Meinung mußte er auch Ausdruck verleihen können, da 111 Charm.

169 a 9f.: ., ... sage nun, ... was meinst du, sei die Besonnenheit .. ". und 160 d 8-e 1: ..... sage brav und tapfer, was sie dir zu sein scheint". " Charm. 161 b 4-6. 17 Charm. 161 c 3 f. : .,Aber was macht das schon, Sokrates, bemerkte Charmides, von wem ich es gehört habe." 18 Charm. 161 c 6f.: .,Nichts, sagte ich; denn ganz und gar nicht muß man darauf schauen, wer es gesagt hat, sondern ob es wahr gesagt ist oder nicht". Vgl. dazu 166 b 5ff. und 166 c 7-e 3. 11 Charm. 161 c 9.

Vielgeschäftigkeit

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er ja „die griechische Sprache richtig zu sprechen versteht" 70 • .Ähnlich wurde der zweite Definitionsversuch eingeleitet: ,,So strenge denn, Charmides, ... noch einmal stärker deine Aufmerksamkeit an und scha,u auf dich selbst, und wenn du erkannt hast, wozu dich die Besonnenheit macht durch ihre Anwesenheit, ... sage brav und tapfer, was sie dir zu sein scheint" 71• Noch einmal geht es um den gleichen Bereich wie in der ersten Definition, um die Besonnenheit, die Charmides selbst zu besitzen glaubt7 1. Damit war der Bezugshorizont der ersten beiden Definitionen von vomeherein festgelegt, während er bei der Formel, die nun untersucht werden soll, zunächst offenbleibt. ,,Denn der, welcher sagte, Besonnenheit sei das Seine tun, hat es doch wohl nicht so gemeint, wie er es in Worte gefaßt hat" 78• Die Definition ist dem allgemeinen Verstehen nicht mehr ohne weiteres einsichtig; sie spricht ein formales Prinzip aus und bedarf daher zu ihrem Verständnis der Interpretation.

Vielgeschäftigkeit Obwohl sich der Ausdruck „das Seine tun" vor Platon nicht belegen läßt 7', scheint er schon in der philosophischen Literatur der zweiten Jahrhunderthälfte geprägt worden zu sein. Darauf weist zunächst die Aussage des Charmides hin, er habe das Wort von einem anderen gehört 76 • Weiter läßt sich das Verb „vielgeschäftig sein"

°

7 Charm. 168 e 7-169 a 7. IA1t:r111(l;e111 bedeutet das richtige Beherrschen der griechischen Sprache. Aristoteles, Rhetorik, r 6, 1407 a 19-b 10 zählt fünf Bedingungen des fil11vfl;e111auf: 1. die richtige Verbindung der Sätze; 2. treffende Wortwahl; 3. Vermeidung von Doppeldeutigkeiten; 4. die Wabl des rechten Genus und 6. die Wabl des rechten Numerus der Worte. 71 Charm. 160 d 6-e 1. 71 Darauf deutet schon das einleitende ~111 TO(w11hin. Mit 1'ac.>cppoau1111 ,rapoüaa ist eindeutig das et ao1 irapecrrt11ac.>cppoav1111 der ersten Definition wieder aufgenommen. Bislang hat man den Unterschied zwischen den beiden Definitionen in seinen dem Fortschritt sehen wollen vom Äußeren ('fiavx(a), das im D.A1111Cl;et11 Ausdruck findet, zum Inneren (al6~). das durch das Elsaeavro11 ttrro~M\j,as gefunden wird (so Friedländer, 1. c., Bd. 2, S. 71; ihm folgt F. Muthmann, Untersuchungen zur Einkleidung einiger platonischer Dialoge, Diss. Bonn 1961, S. 17). Durch diese mißverstandene „Innerlichkeit" ist sogar eine falsche Lesart in den Text eingedrungen. Bumet ändert die Lesart der Handschriften ttrro~M\j,as (T W; ä-rreµ~A6\yasB) in f~A6'yas. Aber Platon will hier nicht sagen: ,.Schau in dich" (so E. Salin in seiner Übersetzung, S. 109; Schleiermacher, Platons Werke, Neuaufl. Hamburg 1957, Bd. 1, S. 136: ,,Schaue in dich selbst"), sondern: ,.Schau dich selber an." 71 Charm. 161 d lf. "Unsignifikativer Gebrauch: Sophokles, Elektra, V. 678. 71 Mit einer ganz ähnlichen Formel (iroAAa1cn11, &ÄÄa 'Ta iavTOÜ ,rparre111~~ol. 'l')O'V)(Uffll'Ta 'T'ii11 'TOVTOV, O'Ttoö IIVII Sei aöw11 •~a(Et11 e[ IT Lysias 26, 5: irpcs St 'T'ii11 aw-,pc.,11 m(11, Ö'r' aö"To11OÖK !~O'Ttll cmv.ya(11Et11, fiAA' mi110v 'TOiixp611011 aKOffliV, 111cT>6~0116mmpc.,s l~ouM"To(fj11et'Ano irapall6pc.,s iro1'1-rev6f\11a1. 18 So übereinstimmend Fr. Blaß, Attische Beredsamkeit I, 1868, S. 472: .,Demnach haben wir für diese Rede die genaueste Zeitbestimmung: sie ist gehalten am vorletzten Tage des Jahres 99, 2; 382", Kirchner, in RE, VI, 1, 1909, Sp. 842, s. v. Euandros und M. Bizos in der Einleitung zu dieser Rede in der Edition Bud~. Paris 1925. vol. 2, S. 128. 111 Die Möglichkeit, daß die Passagen unabhängig voneinander allgemein bekannte politische Schlagworte in ihre Argumentation miteinbeziehen, scheint durch die Präzision der Anspielung, vor allem durch den in beiden Texten auftretenden Neologismus „Ruhigkeit" ('l')O'V)(ICffTlS) ausgeschlossen.

Datierung

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Ablauf seines Dialogs eingeordnet. Damit wäre das Jahr 382 terminus post quem für den Charmides. Eine in sich schlüssigere Deutung der Fakten ergibt sich, wenn man den „Charmides" als das frühere Werk betrachtet. Dann hat Platon als erster die verschiedenen Aspekte der „aristokratischen" Sophrosyne in systematischen Zusammenhang gebracht, und Lysias nimmt darauf Bezug, um diese profilierte Auffassung dem oligarchischen Angeklagten als mögliche Verteidigung unterzuschieben. Damit findet seine Erklärung aus auch das ungewöhnliche Substantiv -fiavx16Tr1s dem funktionalen Zusammenhang des Platonischen Werkes. Innerhalb des Dialogs ist die Neubildung als genau festgelegte, durch kein anderes Wort ersetzbare Stufe im Fortschreiten der philosophischen Untersuchung gefordert, während sie in der Rede des Lysias willkürlich wäre. Nach dieser Hypothese erwiese sich das Jahr 382 als terminus ante quem für den „Charmides". Bei der Präzision der Bezugnahme kann der zeitliche Abstand zwischen den beiden Werken nicht allzu groß gewesen sein, so daß sich als Datum der Veröffentlichung des „Charmides" die Zeitspanne zwischen den Jahren 388 (Rückkehr von der ersten sizilischen Reise) und 382 anbietet 30 • Die drei Dialoge „Lysis" - ,,Laches" - .,Charmides" werden in der relativen Chronologie Platons zu den frühesten Werken des Philosophen gezählt 31 • Wenn sie erst nach der ersten sizilischen Reise entstanden sind, ist ihre Abfassung und damit der Beginn der Schriftlichkeit der Platonischen Philosophie überhaupt in engem Zusammenhang mit der Gründung der Akademie (388 v. Chr.) zu sehen. Platon hatte also bereits die Vierzig erreicht, ehe er die ersten Dialoge veröffentlichte. Da eine unmittelbare Beziehung der „Frühwerke" auf Sokrates hierdurch ausgeschlossen scheint, müssen sie auch historisch als Ausdruck von Platons eigenständigem philosophischen Denken verstanden werden 31 • 111 Gründe 81

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für das Jahr 392 als terminus post quem siehe unten S. 82. Vgl. H. v. Amim, Sprachliche Forschungen zur Chronologie der Platonischen Dialoge, Wien 1912, der auf Grund formaler Kriterien zu dieser Folge kommt: Ion - Protagoras- Laches -Politeia 1- Lysis-Charmides- Euthyphron-Euthydem-Gorgias -Menon - Hippias 11-Kratylos (S. 230-234). H. Flashar, Der Dialog Ion als Zeugnis platonischer Philosophie, Akad. d. Wiss. Berlin, Sehr. Sekt. f. Alt.wiss. 14, Berlin 1958, S. 104 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: ,.Wenn nun der Ion nicht vor 394 geschrieben ist und wenn die sachlich ihm nahestehenden Dialoge nicht im Sinne einer zeitlichen Priorität dem Ion voraufgehen, ... darf daraus wohl geschlossen werden, daß Platon weder vor noch unmittelbar nach 399 überhaupt Dialoge geschrieben hat. Damit wird dann der Ansicht, Platons erste Dialoge seien Dichtungen von nur literarischem Wert ohne philosophischen Gehalt, auch historisch die Grundlage entzogen. Zugleich wird ... die Auffassung von der ,sokratischen Periode' Platons ... überaus fraglich.

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Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

Der „Gorgias" ist auf Grund seines Zusammenhanges mit dem Menexenos auf die Zeit zwischen 387 und 386 v. Chr. datiert worden88 • In ihm hatte Platon der konventionellen Sophrosynevorstellung" und ihrer Kritik durch die jüngere Sophistik seine Definition der Besonnenheit als Harmonie der Seele gegenübergestellt. Das auffällige Verschweigen dieser Bestimmungen im „Charmides" erklärt sich daraus, daß die beiden Dialoge etwa gleichzeitig entstanden und von Platon als gegenseitige Ergänzung geplant sind. Im „Gorgias" setzt er sich mit dem „volkstümlichen" und sophistischen Begriff der Besonnenheit auseinander, während er im „Charmides" ausschließlich von den konservativen Anschauungen des eigenen sozialen Milieus ausgeht.

Personen Diese thematische Begrenzung steht im Einklang mit der Wahl der im Dialog auftretenden Personen. Die Gegenspieler des Sokrates, Kritias und Charmides, gehören beide zum mütterlichen Zweig der Platonischen Familie. Kritias, der uns durch die Fragmente seiner eigenen Schriften und durch zahlreiche antike Zeugnisse bekannt ist 81 , war ein Vetter von Platons Mutter Periktione, gehörte also zu einem der vornehmsten Geschlechter Athens; sein Vorfahre Dropides war ein Freund, vielleicht sogar ein Bruder des Solon86 • Kritias wurde etwa um 460 v. Chr. geboren87 • In seiner Jugend nahm er an dem in seinen Kreisen üblichen Unterricht bei den So-

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Es liegt vielmehr die Auffassung nahe, daß Platon von Anfang an sein eigenes Anliegen entwickelt habe ... " E. R. Dodds, Plato: Gorgias, A Revised Text with Introduction and Commentary, H Siehe oben S. 23. Oxford 1969, S. 24f. Kritias 88 A 1-23; B 1-73 (D.-Kr.). Platon, Timaios 20 e und Proclus, Comm. ad l. (1, 81f.); vgl. Aristoteles, Rhetorik A 16, 1376 b 32ff. Nach Timaios 20 e und Diogenes Laertios 3, 1 wäre Dropides der Urgroßvater des Kritias. Die Folge von nur vier Generationen (DropidesKritias-Kallaischros-Kritias der Tyrann) genügt jedoch nicht, um den zeitlichen Abstand zu Solon (geb. etwa 640 v. Chr.) zu tiberbrficken. Wahrscheinlich läßt diese Zählung eine Generationsfolge (Dropides-Kritias) aus. Vgl. zu diesem Problem und der reichen Diskussion darfiber, zuletzt: T. G. Rosenmeyer, The Family of Critias, Amer. Joum. of Philol. 70, 1949, 404-410. R. weist nach, daß der Kritias des Timaios und der des Charmides identisch sind, was J. Bumet, Greek Philosophy, Part I, London 1914, S. 338, note bestritten hatte. Dieser Näherungswert ergibt sich einerseits aus der Notiz Xenophons (Hell. 2. 4, 19), Kritias sei bei Munichia im Kampf gefallen - also kann er damals noch kein allzu hohes Alter gehabt haben-, andererseits aus der Angabe des Timaios 21 af., er sei 80 Jahre jtinger gewesen als sein Großvater, der um 640 v. Chr. geboren ist (T. G. Rosenmeyer, l. c.).

Personen

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phisten teil 88 • Später gehörte er dem Kreis um Sokrates an, wofür sowohl Platon wie auch die spätantike Biographie zeugen89 • Am deutlichsten wird diese Tatsache jedoch durch den Versuch Xenophons bestätigt, Sokrates wegen seines Umgangs mit dem späteren Tyrannen zu verteidigen'°. Die überlieferten Fragmente aus Kritias' Schriften stammen zum größten Teil aus den „Staatsverfassungen" (TT0Ä1nla1),darunter mehrere Bruchstücke einer großen Elegie auf Sparta, worin die Lakedaimonier wegen ihres Maßhaltens und ihrer Besonnenheitci gepriesen werdenH. Diese lakonisierende Tendenz wird von der antiken Geschichtsschreibung_als der wesentliche Zug der politischen Anschauungen des Kritias bestätigt. So läßt ihn Xenophon in einer Rede gegen Theramenes sagen: ,,Der allerschönste Staat ist doch wohl, glaube Kritias 88 A 1 (D.-Kr., II, S. 371, 14ff.)

= Philostratos, = Philostratos,

Vita Soph. 1, 16. Vita Soph. 1, 16. '° Kritias 88 A 4 (D.-Kr.) = Xenophon, Memorab. 1. 2, 12ff. '1 Die gleiche Verherrlichung spartanischer Einrichtungen und Sitten lassen die Fragmente aus einer „ Staatsverfasssung der Lakedaimonier" in Prosa erkennen (Kritias 88 B 32-37, D.-Kr.). • Kritias88B6-9 (D.-Kr.); siehe S. 26und S.86f. Wie die„Politeia der Lakedaimonier" in Prosa nahelegt, fllr die eine Erwähnung des „in Milet gefertigten Lagers "ausdrilcklich bezeugt wird (88 B 36; vgl. 88 B 2, 6f.), ist auch das Fragment 88 B 2, das die ursprOngliche Herkunft von Sitten und Gerätschaften erklärt und das von D.-Kr. unter dem Titel Kp1-rlou•e.eyEla als eigenstindiges Gedicht aufgefOhrt wird, der Elegie „Politeia der Lakedaimonier" zuzurechnen. Die Verse mit ihrer Aufzählung luxuriöser Gegenstände gingen als Kontrast dem Preis des rechten Maßes voraus, das zuerst in Sparta gefunden wurde. Diese Struktur läßt sich aus dem Fragment B 6 selbst ablesen, dessen erster Teil (V. 6-14) der Erfindung der „großen Trinkgefäße" durch die Lyder gewidmet ist (B 6, 6: cfyyea Av61'!xelp EÖp''Ao,a-royevfis; vgl. B 2, 10-16: Cl>olvtKES 6' EÖpov•..• 8{)!311 6' ... O'\NE'TTTj~O ,rp~ ... , EÖpev... ft ... KCX'Tacrn')aaaa),während der zweite Teil in scharfem St K6p01••• , St an dritter Stelle des Gegensatz dazu (V. 16: ol AaKESaw.ovfoov Satzes, wie in V. 26) die Trinksitten der Spartaner preist. Hieran schließen sich ohne Schwierigkeit die von Athenaios isoliert an die Spitze sein~s Zitats gestellten Verse (B 6, 1--4) an, da sie eine vorhergehende Erwähnung spartanischer Gebräuche voraussetzen (B 6, 1: ,.Und auch diese Sitte - Kai T66' (90s - und Übung ist in Sparta verwurzelt ... "). Das in ihnen dargestellte Verbot des Zutrunks (B 6, 3 ,rpo,roe71s)findet in den von Athenaios am Schluß seines Zitats angeschlossenen Versen (B 6, 23-28) seine sinnvolle Ermit l9is 'TE 1rcu.1vcp11afv gänzung. (Vgl. V. 23: al yap Oirtp -ro l,lhpov KVAlKoov ,rpo,r6a&1s... ). Damit ergibt sich folgende Gliederung der erhaltenen BruchstOcke der Elegie: 1. die kulturellen Errungenschaften und Erfindungen anderer Völker und Städte: B 2, 1-3, 6-16; B 6, 6-14, 2. die „Erfindungen" der Spartaner: B 6, 16-22: Besonnenheit, B 6, 1-4, 23-24: kein unmäßiges Zutrinken (wie in Athen). B 6, 26-28: Maßhalten. 88

n Kritias 88 A 1 (D.-Kr., II, S. 371, 17ff.)

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Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

ich, der Staat der Lakedaimonier" 43• Doch die Beschäftigung mit dem ,,allerschönsten Staat" geht bei Kritias über das tagespolitische Interesse hinaus. Unter den Fragmenten findet sich eines, in dem die Untersuchung des Staates „von der Entstehung des Menschen an begonnen" wird". Kritias stellt die Frage: ,,Wie könnte der Körper wohl am besten und kräffigsten werden ?" und gibt darauf die Antwort: ,,Wenn der Erzeuger Sport triebe, tüchtig äße und den Körper abhärtete und dieMutter des künftigen Kindes körperlich kräftigwäre und Gymnastik triebe". Die Frage gehört in den Zusammenhang des Problems, wie die Gesellschaft möglichst vollkommen einzurichten sei. Als Politiker glaubte Kritias, diese Gesellschaftsform in einem zum Idealbild überhöhten Sparta gefunden zu haben. Die theoretische Fragestellung jedoch, wie der beste Staat auszusehen habe, ist von ungleich größerer Bedeutung als die von persönlichen und historischen Faktoren determinierte Antwort. Noch der späte Platon erkennt ihren Einfluß an, wenn er Kritias dadurch ehrt, daß er ihn im „Timaios" und im „Kritias" die Mythen von der „schönsten Staatsform" 46 erzählen läßt, die sich für ihn in Urathen verkörpert. Die aktive Teilnahme des Kritias an der athenischen Politik gewinnt vor allem gegen Ende des Peloponnesischen Krieges an Bedeutung. Im Jahre 411 v. Chr. stellte er in der Volksversammlung den Antrag auf Straffreiheit und Rückberufung des Alkibiades, dessen er sich in der an diesen adressierten Elegie rühmt 48 • Da Alkibiades jedoch im Jahre 407/406 v. Chr. wieder gestürzt wurde, mußte auch Kritias nach Thessalien in die Verbannung gehen°. Als die Athenische Demokratie kurze Zeit später vor der Niederlage stand, kehrte er nach Athen zurück, nahm maßgeblich an der Herrschaft der Dreißig Tyrannen teil und richtete unter dem Schutz der spartanischen Besatzung „die von den Vätern ererbten Gesetze" wieder ein48 • Im Rahmen dieser 43 Xenophon, Hellenika 2. 3, 34. (88B32) und M. Untersteiner, Sofisti 4, S. 320ff. stellen das Fragment auf "D.-Kr. Grund der Parallelen zu Xenophon, Staat der Lakedaimonier 1, 4 und Plutarch, Lykurg 14 an den Anfang der TT0i1nla i\CXKE6a111011lc.,11. Dabei wird aber dem potentialen Charakter der Sätze Gewalt angetan (den D.-Kr. in ihrer Übersetzung dann auch übergehen). Alle Fragmente, die wir sonst aus der TloAtTElai\CXKE6a1kennen, dienen der Feststellung von Tatsachen und stehen daher im Ind. µ011(c.,11 Praes. oder Aorist (so auch die Parallelen bei Xenophon und Plutarch). Ein vergleichbarer Potentialis findet sich unter den Fragmenten des Kritias nur noch in dem einzigen sicher bezeugten Satz aus den •0µ1Afa1 (88 B 40). Die Zuweisung von 88 B 32 zu den „Gesprächen" bestätigt sich darin, daß der Abschnitt in Frage und Antwort aufgeteilt ist. Damit wäre eine theoretische Reflexion über die Grundprobleme des Staatsaufbaus für die •Qµt).{ai gesichert. 15 Timaios 23 c. " Kritias 88 B 4 und 6 (D.-Kr.). 17 Kritias 88 A 1 (D.-Kr., II, S. 371, 19ff.) und 88 A 4. 18 Xenophon, Hellenika 2. 3, 2 f.

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Personen

allgemeinen Restauration ist auch ein Gesetz wie das Verbot sophistischer Lehrtätigkeit zu verstehen, das Xenophon auf Grund persönlicher Feindschaft des Kritias zu Sokrates erklären will0 . Allerdings bezeugt auch Platon, daß sich die Wege des Philosophen und des Oligarchen getrennt hatten 60 • Als Sokrates in die Bluttaten der Dreißig verwickelt werden soll, mißachtet er den Befehl und geht nach Hause. Für Platon war dieses Ereignis, wie er im Siebten Brief bezeugt, der Anstoß, sich von den Oligarchen abzuwenden, mit denen er anfänglich sympathisiert hatte 11• Kritias' Herrschaft hatte keinen Bestand. Als im Jahre 403 v. Chr. die Tyrannen gestürzt wurden und Thrasybulos in Athen die Demokratie wiederherstellte, fiel er im Kampf gegen die Demokraten bei Munichia 111• Wenn Platon im „Charmides" etwa zwanzig Jahre nach diesen Ereignissen Sokrates in freundschaftlichem Gespräch mit dem von ihm moralisch verurteilten Kritias zeigt, so wird das zunächst nur dadurch ermöglicht, daß der fiktive Zeitpunkt des Gespräches in das Jahr 432 zurückverlegt ist. Damals konnte der junge Sokrates den etwa gleichaltrigen Kritias noch mit der ausgesuchten Höflichkeit behandeln, die er ihm im Platonischen Dialog erweist. Er grüßt als erster 63 ; später macht er ihm ein Kompliment über seine Familie und geht auf seinen Vorschlag ein, sich als Arzt auszugeben". Mit diesen nur eben angedeuteten Gesten bringt Platon seine Ehrerbietung vor seinem Vorfahren zum Ausdruck und versucht dadurch, die öffentliche Meinung Athens über den Mann zu korrigieren, von dem Xenophon behauptet, er „sei der betrügerischste, gewalttätigste und mörderischste von allen Oligarchen gewesen" 56 • Auf diese idealisierende Tendenz läßt auch der Anfang des Werkes schließen. Sokrates wird von Chairephon in die Gesellschaft eingeführt, die in der Palaistra ihren Tag verbringt. Chairephon aus dem Demos Sphettos war einer der frühesten Anhänger und Freunde des Sokrates 68 • Die Komödie verspottet ihn des öfteren wegen seiner Armut 67 • Da er sich politisch zu den Demokraten bekannte, mußte er " Xenophon, Memorab. 1. 2, 31. Apologie 32 c-d. 11 Siebter Brief 324 d-325 a. 11 Xenophon, Hellenika 2. 4, 19. Aus der Tatsache, daß in der Schlacht gegen Thrasybulos von den 30 Tyrannen und den 10 Befehlshabern des Piräus außer Hippomachos nur Kritias und Charmides umgekommen sind, kann man einerseits auf ein starkes persönliches Engagement, andererseits auf eine enge Freundschaft 11 Charm. 153 c 8. rlP.rbeiden schließen. H Charm. 155 a 2-b 7. H Xenophon, Memorab. 1. 2, 12 (Text nach AB). 11 Platon, Apologie 21 a; Aristophanes, Wolken, V. 156. 57 Kratinos in der Pytine (frg. 202 K.); vgl. Aristophanes, Wolken, V. 104. 18

Wittc,

Wisscmcbaft

4

so

Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

mit ihnen unter der Herrschaft der Oligarchen das Land verlassen und kehrte erst nach deren Sturz nach Athen zurück. Sokrates versäumt es nicht, auf diese Tatsache hinzuweisen, als er ihn, der im Jahre 399 schon tot ist, vor seinen demokratischen Richtern als Zeugen anruft 68 • Ähnlichen Zeugnischarakter besitzt auch die symbolische Geste des Geleits, die ihn Platon im „Charmides" ausführen läßt: ,,Und damit führte er [Chairephon] mich zu Kritias, dem Sohn des Kallaischros, und ließ mich Platz nehmen. Ich setzte mich nun dazu, begrüßte Kritias und die anderen und erzählte ihnen ... " 69 • Indem Chairephon, der selbst unter dem Regime der Oligarchen gelitten hat, Sokrates und Kritias einander zuführt, erscheint er nicht als Gegner des Tyrannen, der er in Wirklichkeit war, sondern wird durch sein Verhalten zum Vermittler zwischen diesem und Sokrates. Kritias macht Sokrates mit seinem jüngeren Vetter Charmides bekannt 80 • Der Jüngling, der zum fiktiven Zeitpunkt des Dialogs gerade dem Kindesalter entwachsen ist 81, gehört auf Grund seines Herkommens zu dem Kreis kultivierter junger Leute aus gutem Hause, die sich in ihrer Muße mit Philosophie beschäftigen. So zeigt ihn der „Protagoras" zusammen mit dem reichen Kallias und den beiden Söhnen des Perikles im Gespräch mit dem berühmten Sophisten 88• In dem nach ihm benannten Dialog hat Platon ein liebevolles Bild seiner persönlichen Erscheinung gezeichnet. Charakteristisch für ihn ist seine Schönheit 88, die bei seinem Eintreten alle Anwesenden in Verwirrung stürzt". Während er von ihnen wie ein „Götterbild" ange&ycx86s) staunt wird 86, nennt ihn sein Vetter „schön und gut" (KCXAQSKal und bringt damit zum Ausdruck, daß er in ihm das Ideal der alten Adelstugend verkörpert sieht. Zu diesem Bild des vollkommenen Menschen gehört auch die dichterische und philosophische Begabung, die er nach Kritias' lobenden Worten in besonderem Maße besitzt 88 • Als Sokrates den Jüngling nach der Bedeutung des Wortes Sophrosyne fragt, errötet er, was ihn einerseits noch schöner macht, zugleich aber beweist, daß er, wie Sokrates ausdrücklich bemerkt, ,,die seinem Alter angemessene Tugend, die Scham" besitzt 87 • Indem Charmides sich 68 69

Platon, Apologie 21 a. Charm. 153 c 6-9. Charm. 155 a-b. Charm. 164 b 4f .... 1,1ElpaKl011 ••• sein. Protagoras 315 a. Charm. 164 a 5. Charm. 164 c 3 und 155 b 9-c 4. Charm. 164 c 8. Charm. 154 e 4; 154 e 8-155 a 1. Charm. 158 c 6. Vgl. Lysis 204 b.

•° 11

11 18

H 16 11 87

Demnach muß er gegen 450 v. Chr. geboren

51

Die Familie Platons

im Gegensatz zu der Erregtheit seiner Liebhaber ruhig verhält und auf die Frage des .Älteren hin schamvoll errötet, wird er schon zu Beginn des Dialoges im Besitz der Tugenden gezeigt, die er später im dialektischen Gespräch als Definitionen der Besonnenheit anführen wird. Die Familie Platons

Das Bild des jungen Charmides weist Züge auf, die auch dem jungen Platon eigen sein könnten. So weiß die antike Biographie von Platon zu berichten, ,,daß er als Jüngling so scheu (al61'1µoov) und ordentlich (K6C11J1as) gewesen sei, daß man ihn niemals allzusehr habe lachen sehen" 88 • Wie Charmides ist Platon in seiner Jugend als Dichter hervorgetreten, und wenn Charmides als Hörer des Sokrates gezeigt wird, so ist das ein Zug, der unmittelbar von Platons eigenem Verhältnis zu seinem Lehrer auf ihn übertragen sein könnte. Die Typologie des „guten und schönen" jungen Adeligen fordert den Hinweis·auf die Abstammung aus einer der alten Familien Athens. Daher wird das Lob, das Kritias der adeligen Natur des Charmides gespendet hat, gegen Ende der einleitenden Erzählung von Sokrates zu einer Aristie seiner Herkunft erweitert: ,,Das ist doch auch recht, Charmides, ... daß du dich vor den anderen auszeichnest in all diesen Dingen. Denn ich glaube nicht, daß irgendeiner von den Anwesenden leichthin darlegen könnte, welche beiden Häuser in Athen bei ihrer Vereinigung mit Wahrscheinlichkeit einen schöneren und besseren {K )Nachkommen erzeugen würden als die, aus denen du stammst. Denn eure väterliche Familie, -die des Kritias, des Sohnes des Dropides, -ist sowohl von Anakreon als auch von Solon und vielen anderen Dichtern gefeiert worden und uns aus der Überlieferung bekannt, daß sie sich auszeichnet durch Schönheit und Tugend und alles, was man 'Glück nennt. Und die mütterliche Familie ebenso; denn von Pyrilampes, deinem Onkel, sagt man, daß niemand auf dem Kontinent für größer und schöner gehalten wurde, so oft er zum Großkönig oder zu sonst jemand auf dem Kontinent als Gesandter kam, und auch sonst ist diese Familie der anderen in nichts unterlegen. Wenn du von solchen Vorfahren abstammst, ist es natürlich, daß du in allem der erste bist" 88 • Das Lob der Familie ist ein traditioneller Topos und macht in der hymnischen Dichtung zu Ehren der Wettkampfsieger einen festen •8

Diogenes Laertios 3, 26.

19

Charm. 157 d 9-158 a 7.

4•

52

Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

Programmpunkt aus 70 • Denn der Erfolg im athletischen Wettkampf gilt als Bestätigung der früheren Taten des Geschlechts, wie Pindar in der achten Pythie zu Ehren des Knaben Aristomenos von Agina feststellt : ,.Im Ringkampf nämlich, den Spuren folgend deiner Mutterbrüder, hast du zu Olympia Theognetos nicht widerlegt noch des Kleitomachos Sieg auf dem lsthmos, den starkgliedrigen. Vermehrend das Vatergeschlecht der Meidyliden, den Spruch bringst du zur Geltung, den einst des Oikleos Sohn ... rätselhaft sprach ... : An Art der edle zeichnet sich aus von den Vätern her unter den Knaben der Sinn!" 71 Was hier im Mythos, eingeleitet von einer Anrufung der Göttin Hesychia 78 , besungen wird, ist auch bei Platon gegenwärtig. Auch bei ihm bilden Ringschule, Lob des väterlichen und des mütterlichen Geschlechts, Erinnerung an Schönheit, Taten und Glück der Vorfahren den traditionellen Rahmen beim Preis des geliebten Knaben. Wie sehr er sich dabei der literarischen Anlehnung bewußt ist, zeigt der „Lysis", wo Hippothales, der Liebhaber des Jungen, verspottet wird, weil er den anderen die Ohren vollbläst mit diesem „uralten Zeug" 73 • Während dort die leere Nachahmung der Form des Siegesliedes und des von ihr geforderten Lobes der Ahnen ironisiert wird, gibt Platon ihm hier einen neuen Sinn. Charmides' edle Natur erbringt im vorhinein die Gewähr dafür, daß er dem Kampf des dialektischen Gesprächs gewachsen und zur Philosophie berufen ist. Die Aristie, durch welche die Gestalt des Charmides in ein so helles Licht gerückt wird, gilt auch für Platon selbst. Die berühmte Familie des Kritias ist durch Periktione, die Schwester des Charmides, auch Platons Familie, und der mit besonderem Nachdruck hervorgehobene Pyrilampes ist als zweiter Mann der Periktione Platons Stiefvater 7'. Platon weist, wie einzelne Parallelen gezeigt hatten, in 70

71

71 71

H

Vgl. W. Schadewaldt, Der Aufbau des Pindarischen Epinikion, Halle 1928, S. 28lff. Pyth. 8, 36ff. Siehe oben S. 28. Lysis 206 c: .,Was die ganze Stadt singt über Demokratos und Lysis, den Großvater des Knaben, und über all seine Vorfahren, Reichtümer und Pferdezucht und Siege in Pytho, auf dem Isthmos und zu Nemea mit dem Dreigespann und dem Rennpferd, das dichtet und rezitiert er und dazu noch Altväterlicheres als das". Diese Parallele verdeutlicht den ironischen Unterton, mit dem Sokrates nat1lrlich auch im Charmides spricht. Plutarch, De genio Socr. 11, 681 D; Perikles 13. Vgl. zu folgendem Stammbaum:

53

Die philosophisch Liebenden

der Gestalt des Charmides auf sich selber hin, preist in dessen Familie die Verdienste und den alteingesessenen athenischen Adel seiner eigenen Familie. Dieses Selbstlob erscheint verständlich, wenn man sich die Situation vergegenwärtigt, in der sich der Philosoph nach seiner Rückkehr aus Sizilien befand. Wie die etwa gleichzeitige Rede des Lysias gegen Euandros beweist, waren die ehemaligen Anhänger der Oligarchen noch immer Angriffen von Seiten der Demokraten ausgesetzt. Platon, der selbst als junger Mann mit den Tyrannen sympathisiert hatte 76 , tritt dieser feindlichen Stimmung mit einem idealisierten Bild ihrer beiden bekanntesten und berüchtigtsten Vertreter entgegen. Die versöhnliche Darstellung der im damaligen Athen verfemten Politiker muß auch als Ehrenrettung für seine Familie und deren politische Vergangenheit verstanden werden. Die philosophisch Liebenden

Im Mittelpunkt des Geschehens in der Palaistra steht Sokrates. Soeben aus dem Ausland in die Stadt zurückgekommen, wird er von seinen Freunden mit überschwenglicher Herzlichkeit empfangen 78 •

J. Kirchner,

Prosopographia

Attica, Berlin 1903, Stemma zu Nr. 11855: Platon.

Solon - - Dropides (geb . .....,540 v. Chr.) (Tim. 20 E)

1 1 1 1

Kritias (Tim. 21 A; geb. 540 v. Chr.)

1

1 Kallaischros

1

Kritias (460-403)

....., X

, -----.a-----., ...

Chtwmitles (450-403)

1

71

1

Glaukon

Adeimantos 76

Antiphon

2

Pyrilampes 1 ....., Ariston r,,j

Pmldione

1 1

Glaukon

Platon

1

Potone

(427-347) Siebter Brief 324 cf. Charm. 153 b lff. Chairephon „faßt ihn an der Hand". Diese Art der Begrüßung war im Altertum durchaus unüblich. Von Euripides wird sie als übertriebene Zärtlichkeit getadelt (Orest, V. 1047f.; Iphigenie A., V. 833f.). Auch damit beweist Chairephon seinen „stürmischen" Charakter und steht im Kontrast zu dem ruhig-besonnenen Sokrates.

54

Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

Seine Rolle ist so einerseits die des großen Weisen, der wie Protagoras oder Gorgias aus der Fremde in die Stadt kommt, um die Jugend zu unterrichten. Während Protagoras jedoch stets „ein Fremder" bleibt 77 und Hippokrates, der ihm „seine Seele zuwenden will", sich deshalb den Tadel gefallen lassen muß, er hätte besser getan, sich vorher mit Vater, Brüdern oder Freunden über sein Unternehmen zu beraten 78 , kommt Sokrates als Bürger in seine Vaterstadt zurück und wird als alter Bekannter von dem Vetter und Vormund des Charmides begrüßt. Die „Gefahren" des Umgangs mit den Sophisten, auf die der Jüngling im „Protagoras" eigens durch das initiierende Gespräch im kleinen Hof vorbereitet werden muß 79 , bestehen hier also nicht. Wenn Sokrates danach fragt, was es Neues unter den Jünglingen oder in der Philosophie gebe 80 , kümmert er sich nicht um fremder Leute Angelegenheiten, sondern „tut das Seine", er philosophiert. Durch die Vermittlung des Kritias begegnet Sokrates Charmides, dem „schönsten aller Jungen Männer von heute" 81, der alle Anwesenden verwirrt und zugleich magisch anzieht. Ein Chor von „Vorläufern und Verehrern" umgibt den Vielgeliebten und verursacht bei seinem Eintritt Streit und Gedränge! an der Tür. Auch die Männer, die Sokrates und Kritias umgeben, scheinen alle „in Charmides verliebt zu sein, so erschreckt und verwirrt waren sie" 81 • Noch der „kleinste Knabe" 83 wird in den Bann des Liebeszaubers gezogen, und der ,,stürmische" Chairephon spricht nur offen aus, was alle anderen denken, wenn er Sokrates auf die „gesichtslose" Schönheit des nackten Jünglings hinweist, vor der sogar dessen „schönes Gesicht" verblassen würde 84• Sokrates reagiert zunächst kühl und läßt sich nicht aus der Distanz des Beobachters herauslocken; er sei kein Fachmann für die Schönen, wie er ironisch reflektiert, obwohl auch ihm Charmides „bewundernswert an Größe und Schönheit" erscheintH. Doch während alle anderen den Jüngling anstarren „wie ein Götterbild"H, bewahrt er seinen kritischen Verstand und „richtet seine Aufmerksamkeit" auf die Reaktion der anderen, so daß er später dem unbekannten Freund, an Protagoras 818 b. Protagoras 818 af. " Protagoras 818 a. 80 Charm. 168 d 8f.; vgl. Theaitet 148 d, wo die Verbindung der beiden Themen noch enger ist. 81 Charm. 164 a of. 81 Charm. 154 c 2f. 11 Charm. 154 c 7. 14 Charm. 154 d 2-6: Wortspiel EV11'p6ac.mos-6:rrp6ac.rnc,s. 11 Charm. 164 c lf. • Charm. 164 c 8. 17

78

Die philosophisch Liebenden

ss

den er sich im Dialog richtet, davon erzählen kann 8 7• Als ihn schließlich Chairephon unverhüllt zur Stellungnahme zwingt, wendet er dessen Bemerkung ins Geistige. Er fragt, ,,ob Channides auch an der Seele schön gewachsen ist", eine Frage, die nur durch das 6lcxMyea6cn,das philosophische Gespräch, geprüft werden kann 88 • Die erotische Situation schlägt so unter dem Einfluß des Sokrates unmittelbar in eine erzieherische um. Der Gegensatz zwischen dem Verhalten des Sokrates und dem seiner Umgebung gewinnt über das vordergründige Geschehen hinaus an Bedeutung, wenn man ihn in Parallele zu der „Physiologie der liebenden Seele" 89 setzt, die Platon im Mythos des „Phaidros" darstellt. Dort wird der Kampf, der sich im Innern des Menschen abspielt, durch das Bild vom Wagenlenker und seinem Gespann anschaulich gemacht. Als der Liebhaber zum erstenmal den Geliebten sieht, zieht das bösartige, unedle Pferd mit aller Gewalt dazu hin, ,,den Geliebten anzuspringen", während sich das edle Pferd, ,,von Scheu bezwungen", zurückhält. Der Wagenlenker jedoch, der die beiden Pferde regiert, wie der noetische Seelenteil die beiden niederen, erblickt „das Angesicht des geliebten Knaben" und wird von der „Erinnerung zur Wesensnatur der Schönheit emporgetragen; und er sieht sie wiederum mit der Besonnenheit zusammen auf dem ehrwürdigen Sitz thronen" 90 • Während hier das Drama in der Seele durch ein als solches unmittelbar erkennbares Bild dargestellt wird, bleibt es im „Channides" sehr viel versteckter, weil unter der Oberfläche einer auch vordergründig verstehbaren Erzählung sozialer Vorgänge verborgen. Die Struktur des Vorgangs ist jedoch dieselbe: Der Kampf und das Gedränge! der Liebhaber ist sichtbarer Ausdruck für das ungestüme Drängen des unedlen Pferdes, während Sokrates' Ruhe und Zurückhaltung von seiner Scheu zeugen. Wie der Wagenlenker, wenn er das Gesicht des Schönen sieht, zur Schönheit und Besonnenheit selbst geführt wird, so versteht es Sokrates die Liebe zum schönen Körper, der nach Chairephons Worten kein Gesicht hat, in eine Prüfung der geliebten Seele zu verwandeln, die sich in der gemeinsamen Suche nach der Besonnenheit vollzieht. Als schließlich Charmides, von Kritias herbeigerufen, näherkommt, verursacht er von neuem Verwirrung unter seinen Verehrern; sie drängeln einander von der Bank, um möglichst nahe bei dem Schönen 154 c 6. Charm. 164 e 1, e 7; 155 a of. Damit wird auch der innere Zusammenhang der Frage verständlich, mit der Sokrates zugleich nach den J1lnglingen und der Philosophie fragt. J. Bollack, Komm. zur Phaidrosttbersetzung, Frankfurt 1968, S. 102. Phaidros 254 a-b.

11'1Charm. 88

19 80

56

Der Rahmen. Realität und dramatische Gestaltung

zu sein. Doch auch hier verhält sich Sokrates wieder genau entgegengesetzt; während die Liebhaber sich dem Jungen möglichst zu nähern suchen, so daß schließlich „alle in der Palaistra gänzlich im Kreis die beiden umstehen" 91, verliert der Philosoph bei der Annäherung des Schönen den Mut: ,,Da nun freilich, guter Freund, war ich schon in Verlegenheit, und meine frühere Dreistigkeit war mir ausgetrieben, mit der ich vermeinte, ich werde mich völlig unbeschwert mit ihm unterhalten"911. Noch einmal erweist sich Sokrates so als der besonnene Liebhaber, der, wie der Wagenlenker, die Rosse noch schärfer zügelt und das böse, das weiterhin „mit Unverschämtheit ziehtippoavVf1; 169 a 10: ... -rl elvai awippoavVflv.. .

11 Politeia

W I t t e, Wissensebaft

ö

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66

Die Sokratische Widerlegung

Athen wie in Sparta als Göttin verehrt worden 5• Dieser kultischen Funktion entspricht es, daß Hesiod in seinem Mythos von den Weltaltern die Aidos als personhafte Macht darstellt, worin ihm sowohl Protagoras wie auch die Tragiker folgen•. Durch diese Personifizierung wird es möglich, ethische Werte unabhängig von ihrer konkreten Erscheinung im Handeln des Menschen, gleichsam abstrakt, zu bedenken, da sie nun in einem selbständigen System voneinander abgegrenzt werden, dessen genealogische oder räumliche Beziehungen Ausdruck sachlicher Zusammenp.ängesind. So wird in einem Epigramm aus dem vierten Jahrhundert 7 „die göttliche Besonnenheit Tochter der hochherzigen Scheu" genannt. Hinter dieser mythologischen Redeweise steht das Wissen darum, daß die Besonnenheit in dem neuen ethischen System den Platz einnimmt, der früher der Scheu zukam. In ähnlicher Weise spricht Kritias in der „Politeia der Lakedaimonier" von der Besonnenheit als „Nachbarin der Frömmigkeit", um damit die beiden Tugenden einander gleichzustellen und ihnen komplementäre Funktionen zuzuordnen. Aber auch dieser personifizierte Begriff läßt sich noch nicht dem Schema der Frage „Was ist Besonnenheit?" unterwerfen. Denn wenn die ursprüngliche genealogische oder räumliche Beziehung auf eine abstrakte, logische Gleichung reduziert wird, kann es lediglich zur leeren Identifizierung zweier Namen kommen, die zur gegenseitigen inhaltlichen Bestimmung nichts beiträgt. Erst die dritte Antwort des Charmides, die dieser „ von Kritias oder einem der Sophisten" gehört haben will8 , steht in formaler Hinsicht auf einer Stufe mit der Frage des Sokrates. Die Bestimmung, Besonnenheit sei „das Seine tun", umschreibt mit Hilfe eines verbalen Ausdrucks eine inhaltlich nicht fixierte Norm des sozialen Verhaltens. Eine solche Formel kann zwar auch Fehldeutungen ausgesetzt sein, aber diese sind nicht Zeichen ihrer Unzulänglichkeit vor dem prüfenden Anspruch des Verstandes. Im Gegenteil, die Definition beweist ihre Formalität und rationale Struktur gerade dadurch, daß sie der Auslegung bedarf und nicht von vornherein mit einem festen Inhalt verbunden ist, daß sie „einem Rätsel gleicht", wie Sokrates bemerkt 9 • Vgl. 1iber Kult und Altar der Aidos in Athen Pausanias 1. 17, 1 und Demosthenes 26, 36; in Sparta Pausanias 3. 20, 10 und Xenophon, Symposion 8, 35f. 1 Siebe oben S. 32. ' G. Kaibel, Epigrammata Graeca, Berlin 1878, Nr. 34: irarvta Ir.>ippocn'n1r1, 8vya1

AISoüs. TEPPEYaMippovos 8 8

Charm. 161 b 8f. Charm. 161 c 9.

Die unzutreffenden Widerlegungen

67

Die unzutreffendenWiderlegungen Während die ersten drei Definitionen, solange man sie nur auf ihren Inhalt hin betrachtet, völlig willkürlich aneinandergereiht erscheinen, läßt ihre Form das Prinzip erkennen, nach dem sie von Platon geordnet sind. Von der bildlich konkreten über die mythisch personifizierende bis zur begrifflich abstrakten Bestimmung zitiert Channides exemplarisch die Denkformen, in denen das Verständnis der Besonnenheit bis dahin seinen Ausdruck gefunden hat. Die von Platon gefundene Ordnung ist jedoch keine historische, mit der die geschichtliche Aufeinanderfolge nachgezeichnet werden soll, sondern eine systematische, die erst durch die Gegenüberstellung mit den stets gleichbleibenden Fragen des Sokrates ihre Funktion im Ganzen des Dialogs erhält. Die Widerlegungen des Sokrates halten sich vordergründig an den Wortlaut des Gesagten, ohne jedoch die Eigenart von dessen Form zu berücksichtigen. Channides selbst liefert bei der ersten Definition den Ansatzpunkt zur Fehlinterpretation seiner Aussage, indem er sie in dem unzureichenden Abstraktum „Ruhigkeit" zusammenzufassen versucht. Sokrates erkennt diese Definition zunächst an und führt als sekundäre Prämisse, die ihm von seinem Partner als selbstverständlich zugestanden wird 10 , den Satz ein, daß „die Besonnenheit zu den schönen Dingen gehört 11". Indem er so das eine Glied der Gleichung (Besonnenheit) mit einem übergeordneten Begriff (schön) identifiziert, der das Gegenteil des anderen Gliedes (Ruhigkeit) miteinbegreift, gewinnt er die Möglichkeit, an Hand einzelner Fälle aufzuweisen, daß nicht die „Gelassenheit", sondern deren Gegenteil, die „Schnelligkeit" oder „Heftigkeit", das Schöne ist und daß also auch die Ruhigkeit nicht Besonnenheit sein kann: ,,Selbst wenn nun, mein Lieber, in keiner Weise weniger ruhige Handlungen schöner sind als die heftigen und schnellen, dann dürfte Besonnenheit doch wohl in keiner Weise eher das ruhig Handeln als das schnell und heftig Handeln sein, weder beim Gehen noch beim Sprechen noch irgendwo anders, und auch dürfte die ruhige geordnete Lebensart wohl nicht besonnener sein als die nicht ruhige, da wir ja in unserem Beweis vorausgesetzt haben 18, daß die Besonnenheit zu den schönen Dingen gehöre, als 10

11

Auf diese in den sokratischen Dialogen häufig wiederkehrende Form der Widerlegung macht R. Robinson, Plato's Earlier Dialectic, 11941, Oxford 11963, S. 7ff. 11 Charm. 169 c 1. aufmerksam. VTIOT[6Ea6a1 meint hier, eine Behauptung in den Dialog einf1lhren, ohne sie näher zu begründen, weil sie vom Partner als evident zugestanden wird. Vgl. R. Robinson, 1. c., S. 96.

68

Die Sokratische Widerlegung

schön aber das Schnelle sich nicht weniger erwiesen hat als das Ruhige 13 ." Diese Zusammenfassung trägt mit ihrer umständlichen Ausführlichkeit der Unerfahrenheit des jungen Gesprächspartners Rechnung und hält durch vorsichtige und zurückhaltende Formulierung das Gespräch offen. Obwohl Sokrates damit seinen guten Willen zeigt und scheinbar genau auf die Definition des Charmides eingeht, indem er sogar dessen Beispiele wieder aufnimmt, verfehlt er in Wirklichkeit den Sinn des Gesagten. Sein logisch-abstraktes Argument weist nach, daß bei einigen Betätigungen - schreiben, lesen, Zither spielen, ringen, laufen, springen und lernen, lehren, sich erinnern, begreifen werden genannt - Schnelligkeit angemessen ist. Dabei ist es nicht ohne Bedeutung, daß er seine Beispiele gerade aus dem Bereich der Fähigkeiten wählt, die für die gute Erziehung eines jungen athenischen Adeligen unerläßlich sind; trotzdem trifft seine Kritik in keiner Weise das von Charmides gemeinte Erziehungsideal, das die Ruhe als geistigen Habitus versteht, der in den nur beispielhaft aufgezählten Handlungen - gehen und sich unterhalten - seinen Ausdruck findet. Noch deutlicher ist diese Unstimmigkeit zwischen These und Widerlegung an der zweiten Definition zu beobachten. Nachdem Sokrates als sekundäre Prämisse eingeführt hat, ,,Besonnenheit sei etwas GutesH", fertigt er die Hypothese des Charmides, ,,Besonnenheit sei Scheu", kurz mit einem Homerzitat ab: ,,Scheu ist nicht gut einem bedürftigen Mann, daß er sie habe 16 ". Scheu, so folgert Sokrates, kann also etwas Gutes, aber, wie Homer beweist, auch etwas nicht Gutes sein. Da aber Besonnenheit immer etwas Gutes ist, können Scheu und Besonnenheit nicht identisch sein18 • Dieses eristische Kunststück schließt sich dem Verständnis erst auf, wenn man es als Argument gegen die Lehre des Protagoras begreift, die Aidos sei von Zeus allen Menschen gegeben worden 17 • Sokrates wendet dagegen mit Homer ein, daß Aidos nicht jedermann zukomme, jedenfalls nicht dem „bedürftigen Manne". Damit ist die These des Protagoras von der Allgemeinheit der politischen Befähigung in Zweifel gezogen. Seine theoretische Begründung der Perikleischen Demokratie muß sich als unrichtig erweisen, wenn der einfache Mann 2ff. In 160 C 7 kann die Lesart der Manuskripte 6 ficruxtos f3(os 1l,IEV, li>J,,,' & av Afy&ts viiv.

6. Kapitel Der Sokratische Wendepunkt Widerlegende Ironie

Die terminologische Bestimmung des Kritias, nur „das schön und nützlich (C::,cpeÄlµCA>S) Gemachte" als „Werk" anzuerkennen 1, wird von Sokrates beiseite geschoben. Er verwendet die Verben „machen" (1r01eiv)und „tun" (irpcrrruv) und die zugehörigen Substantive unterschiedslos•, um dadurch zu betonen, daß für ihn einzig das, .,worauf sich das Wort" bezieht 8 , das heißt, die nähere Bestimmung des Tuns, von Bedeutung ist. Daher bringt er Kritias dazu, ihm diese noch einmal in aller Ausführlichkeit zu bestätigen: .,Denn daß das Tun des Guten Besonnenheit ist, definiere ich dir eindeutig'." Sokrates geht in seiner Widerlegung auf die Mehrdeutigkeit des von Kritias verwandten Begriffs des Guten gleich Nützlichen ein. Zunächst antwortet er mit einer ironischen Zustimmung, die in ihrer Vielschichtigkeit vorwegnehmend die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffs schon ahnen läßt: .,Und es steht dem vielleicht nichts entgegen, daß du die Wahrheit sprichst 11." Dieser Satz, der vordergründig Kritias zu bestätigen scheint, erweist sich bald als trügerisch, da er selbst die Widerlegung des als richtig Zugegebenen einleitet. Für das eigentliche Verstehen aber bleibt er schließlich doch im Recht ; denn am Ende des Dialoges zeigt sich, daß die Definition in ihrem Wortlaut richtig war. Sokrates behält den ironischen Grundton bei, indem er unterstellt, Kritias habe behauptet, ,,besonnene Menschen wüßten nicht, daß sie besonnen sind" 6 , obwohl dieser in Wahrheit niemals von Wissen oder Nichtwissen gesprochen hat. Ohne auf den Protest seines Gesprächspartners einzugehen, erinnert er schließlich an eine Aussage des 1

Charm. 163 c 3.

11Charm. 163 e 4: ... 6 TexKCXKCX "ITpaT"Tc.)V ••• Nach Kritias' Definition kann man "ITpmeiv). nur „Gutes tun" (cfya6c'x

• Charm. 163 d 6f.: ... lt' 6-n &v ftPT,\sTOOvo1,1a 6T1 &v My!Js. • Charm. 163 e lOf. 1 Charm. 164 a 1. • Charm. 164 a 1-3.

86

Der Sokratische Wendepunkt

Kritias, mit der dieser die Unterscheidung zwischen „tun" und ,.machen" eingeleitet hatte 7 : .,Hast du nicht eben erst behauptet, ... es steht dem nichts im Wege, daß auch die Fachleute, die anderer Leute Dinge machen, besonnen seien 8 ?" In drei Sätzen, der Definition der Besonnenheit als Tun des Guten, dem Zitat von Kritias' früherer Behauptung über die Besonnenheit der Fachleute und einem mittleren, von dem Sokrates unterstellt, er sei in Kritias' Worten enthalten gewesen, hat er sich so die Elemente seiner Widerlegung bereitgestellt. Der mittlere Satz wird die Verbindung zwischen den beiden äußeren herstellen und damit ihren verborgenen Widerspruch aufdecken. Kritias jedoch sieht den Zusammenhang noch nicht; - .,Was hat das damit zu tun?" fragt er 9, worauf ihm Sokrates ebenso ironisch wie vorher mit einem „Nichts" antwortet. Auch diese Ironie beruht auf der Vereinigung dreier entgegengesetzter Sinnmöglichkeiten in Sokrates' Antwort. Zunächst hat der letzte Satz tatsächlich keine Beziehung zu den vorhergehenden, das „Nichts" ist also richtig. Sokrates' Beweisführung ist jedoch darauf gerichtet, einen bislang verborgenen Zusammenhang zwischen den Ecksätzen sichtbar zu machen, das „Nichts" ist also falsch. Gerade dadurch aber zeigt sich, daß das früher Zugestandene tatsächlich mit dem „Gutes tun", wie Kritias es versteht, nichts zu tun hat. Dieses Spiel von Satz und Gegensatz ist nur möglich auf Grund der verschiedenen Sinnstufen der Sprache. Ihre Aktivierung durch Sokrates verweist mit ironischer Vorwegnahme auf die Sinnhierarchie, die im Dialog erst aufgebaut wird. Dessen volles Verständnis kann sich daher nur dem nochmaligen Lesen erschließen, das den Sinn des Ganzen schon kennt. Nützlichkeit bei den Sophisten

Kritias, der das Gute als das für ihn selbst Nützliche versteht 10 , wird von Platon durch diese Definition als Sophist gekennzeichnet. Schon der historische Kritias hatte in seiner Schrift „Staat der Lakedaimonier" mit Hilfe desselben Begriffs die traditionellen Tugenden neu interpretiert: ,.Dieses [mäßige] Trinken ist dem Körper nützlich (oocpEA1µos), dem Geist und dem Besitz. Schön ... fügt es sieb ... zu ihr, die die erfreulichste ist von den Göttern den Sterblichen, der Gesundheit, und zu der Frömmigkeit Nachbarin, der Besonnenheit 11." 7

Charm. 163 a 4f.

• Charm. 164 a 5---7. • Charm. 164 a 8: &Ua Tf TOÜTo; 10 Siehe oben S. 83f. 11 Kritias 88 B 6, 18-22 (D.-Kr.).

Nützlichkeit bei den Sophisten

87

Kritias sieht. die Mäßigung der Spartaner, die im Gegensatz zu der lydischen Ausschweifung steht, noch im Rahmen einer als göttlich verstandenen Ordnung, für die die traditionellen Namen „Gesundheit", „Frömmigkeit", ,,Besonnenheit" stehen. Der Vorzug jedoch, den er dieser Lebensweise gibt, wird völlig rationalistisch darin begründet, daß sie dem Menschen in der Gesamtheit seiner Lebensbereiche nützlich ist 18 • Während so für Kritias göttliche Ordnung und persönlicher Nutzen als zwei Seiten derselben Wirklichkeit zusammengefügt bleiben (i\pµoOTat, V. 20), beziehen andere Sophisten das Nützliche ausschließlich auf das persönliche Interesse des Individuums. Für Antiphon, den Zeitgenossen des Protagoras, der als einer der ersten Athener die neue sophistische Kunst ausübte, besteht das Gerechte darin, ,,kein Unrecht zu tun und selber auch kein Unrecht zu erleiden" 18 ; solches Verhalten nämlich würde allen Menschen großen Nutzen bringen. Dieselbe Formel führt Glaukon in der „Politeia" als Lehre der Sophisten an 1'. Diese erklären die Entstehung des Staates daraus, daß es den Menschen „nützlich zu sein schien, einen Vertrag zu schließen untereinander, weder Unrecht zu tun noch es zu erleiden". Da sich so der Nutzen als Grundlage jeder politischen Ordnung erweist 16 , kann auch das Gerechte und Ungerechte nicht von Natur aus gegeben sein, sondern besteht, wie Protagoras formuliert, in der Übereinkunft der Bürger einer jeden Stadt über das, ,,was ihr zuträglich und was ihr nicht zuträglich" zu sein scheint 18 • Die Definition des „Vaters der Sophisten" wird von Antiphon wörtlich und in ihrer vollen Bedeutung für gültig anerkannt 17 • Er mißt an ihr die bestehenden Gesetze der Stadt und erfüllt damit die Aufgabe, die Protagoras „den Weisen und guten Rednern" zuschreibt, nämlich „zu bewirken, daß den Städten das Nützliche "an Stelle des Schädlichen als gerecht erscheint" 18• Seine Kritik der Gesetze besteht Die drei Bereiche, Körper, Geist, Besitz, finden ihre Entsprechung in der Darstellung der Lyder: cro>l,la"TI - aooµ6:T' 6:µauparepo11 "TI!V){OVa111 (lOf.) y11CA>l,l1J - ll0ÜS8l ,rapiaq,aba1 (13) 1m1ae1- hre1airf,m;1 8' ol1COTp1~-tis 8air6:1111 (14). 11 Antiphon 87 B 44, Col. II, 19ff.; siehe auch Col. I, 12ff. (D.-Kr.). 1& Politeia 369 a. lli Protagoras 322 b. 11 Theaitet 172 a. 17 Der Theaitet (172 b) bestätigt, daß nicht nur Protagoras, sondern auch andere, nicht namentlich genannte Philosophen die Gerechtigkeit in derselben Weise aus der Vbereinkunft aller erklärten: ,.Und auch die, welche nicht gänzlich die Lehre des Protagoras lehren, ftlhren ungefähr in dieser Weise die philosophische Unter11 Theaitet 167 c. suchung." 12

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Der Sokratische Wendepunkt

also gerade darin, daß er sie an ihrem eigenen Anspruch mißt, und nicht darin, daß er sie der Natur gegenüber abwertet 19 • In der Stadt „wird das Bezeugen der Wahrheit gegeneinander für gerecht gehalten (6{1WtS auch von Antiphon gebraucht (wobei jedoch die q,va1s als umgreifender Zusammenhang immer mitgedacht ist). Er stellt den inneren Gegensatz heraus, der fiir Protagoras' Gesetzesbegriff kennzeichnend ist. Das Gerechte als das, was einer jeden Stadt jeweils nützlich erscheint, muß nicht notwendig auch dem Einzelnen, von dem Protagoras' Oberlegungen ausgegangen waren, nützlich erscheinen. (Eine Übertragung dieses individuellen Niitzlichkeitsbegriffs aus der medizinischen Theorie, wie sie H., l. c., S. 127f. annimmt, erscheint durchaus möglich, steht aber in keinem Zusammenhang mit dem eigentlichen Problem.) Die Gesetze sind daher nach Antiphon die „Fesseln der (individuellen) Natur". Dieser Satz ist vor allem eine soziologische Feststellung, aber kein Werturteil, wie es nach H.s Interpretation (.,Folglich sind die v61101naturwidrig", 1. c., S. 136) scheinen könnte. Dementsprechend kann es auch keinen „ Unterschied zwischen övfV11at11" (1. c., dem, was ffir den Menschen ~µq,epov ist, und dem, was -riivq>va111 S. 137), geben, sondern beides ist dasselbe und steht im Gegensatz zu den Gesetzen, die den Nutzen der Gesamtheit zu vertreten beanspruchen. Die Prüfung dieses von Protagoras an die Gesetze gestellten Anspruchs scheint der Ausgangspunkt der in B 44 gefiihrten Untersuchung Antiphons zu sein, nicht aber eine „neuerkannte Gesetzmäßigkeit aller Naturvorgänge", fiir die auch H. in der gleichzeitigen Literatur keine Parallele finden kann (l. c., S. 130f.). IIO Antiphon 87 B 44, Col. I, 3-9 (D.-Kr.). 11

Nützlichkeit bei den Sophisten

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angeblichen Nutzen, indem er nachweist, daß es im Gegenteil Schaden bringt, gegen jemanden auszusagen; denn erstens richtet man dadurch jemanden zugrunde, der einem vorher niemals Unrecht getan hat, zweitens muß man aber auch Unrecht erleiden, weil der Beschuldigte einem feind wird und sich zu rächen sucht 81• Das Gesetz widerspricht also beiden Bedingungen des Gerechten, da jeder, der ihm gehorcht, anderen und sich selbst Schaden zufügt 22 • Aber auch das für die athenische Demokratie charakteristische Amt des Richters erscheint, an diesem Maßstab gemessen, als fragwürdig, da er notwendig eine der beiden Parteien verurteilen muß und ihr dadurch Schaden zufügt. „Denn das, was den einen Nutzen bringt, schädigt die anderen, und hierin erleiden die, denen genutzt wird, kein Unrecht, die, denen geschadet wird, aber erleiden Unrecht ... 118" Die radikale Gleichsetzung des Gerechten mit dem Nützlichen führt so zum Widerspruch mit dem anderen aus Protagoras' Lehre abgeleiteten Grundsatz, der annahm, daß „die Gerechtigkeit" darin besteht, ,,die gesetzlichen Vorschriften der Stadt, in der man Bürger ist, nicht zu übertreten"M. Der Gegensatz löst sich jedoch zunächst dadurch auf, daß Antiphon in erster Linie nicht danach fragt, was das Gerechte ist, sondern seiner Definition gemäß, wie „der Mensch die Gerechtigkeit am zuträglichsten für sich (µCIA1crratau-rq, 91µcpep6vTCtJS) gebrauchen könne" 16 • Dieser Betrachtungsweise nach müssen die Gesetze, die auf sozialem Zwang (trr(8ETa)und Übereinkunft (öµo?l.oyri8evra)beruhen, vor Zeugen geachtet werden, um Schande und Strafe zu entgehen 26 • Damit ist zugleich gesagt, daß die positiven Gebote, die Gesetze, die ein Handeln vorschreiben, ohne durch Sanktionen gesichert zu sein, keine Geltung haben, soweit sie dem persönlichen Nutzen entgegenstehen. Die negative Bedingung der Straffreiheit scheint demnach für den Menschen, der in der Gesellschaft lebt, Vorrang vor dem der Natur nach Nützlichen zu besitzen. Erst wenn er allein ist und damit von seinen sozialen Verpflichtungen entbunden, darf er die Gesetze der Natur hochachten 87 • Diese treten ihm jedoch, da sie „notwendig zwingend" (&vayi 6-rav 'TE t:>cpeA(µc.,s lä-rat Kal o-rav µt\; - OTCXV kann wohl nicht einen indirekten Fragesatz einleiten (,. ... wann er niltzlich heilt ... "), wie die meisten Übersetzer meinen (Schleiermacher, 1. c., S.138; E. Salin, S. 116; A. Croiset, S. 66). Vielmehr steht der o-rav-Satz hier statt eines mit 6n oder oos eingeleiteten Substantivsatzes, weil „der Inhalt des

Das Nützliche und die Erkenntnis

93

„Nutzen für einen selbst" der Erkenntnisakt verborgen bleibt, weil solcher Nutzen im Handeln schon spontan deutlich zu werden scheint, wird seine Notwendigkeit unabdingbar bei der Beziehung auf einen anderen. Durch die Schwierigkeit, den Nutzen des anderen zu erkennen, wird aber zugleich die Möglichkeit in Frage gestellt, sich selbst als Handelnden zu erkennen. Damit ist auch die scheinbar selbstverständliche Grundvoraussetzung der sophistischen Theorie des Nützlichen in Zweifel gezogen: ,,Und [muß] jeder Fachmann [notwendig erkennen], wenn er einen Nutzen haben wird von dem Werk, das er tut, und wenn nicht 48 ?" Indem Kritias auch diese Frage verneinen muß, erweist sich das Verständnis des Sophisten als ungenügend. Statt dessen wird die Notwendigkeit unabweisbar, über den Standpunkt jedes einzelnen hinausgehend, einen gemeinsamen Maßstab für das Nützliche zu suchen. Sokrates' Besinnung auf den vollen Bezug des Nützlichen entdeckt so die Notwendigkeit der Erkenntnis und deren neuen Gegenstand zugleich. Derselbe Zusammenhang stellt sich im „Laches" nicht zufällig wieder am Beispiel des Arztes ein 49 • Nach Nikias' Meinung wäre es falsch zu glauben, ,,daß die Ärzte irgend etwas mehr wissen (el6e11a1) über die Kranken als zu bestimmen, was das Kranke und was das Gesunde ist". Diese negative Bestimmung läßt das Wissen der Ärzte von der Nützlichkeit ihres Tuns überhaupt fraglich erscheinen. ,,Die aber wissen doch nur so viel. Ob aber jemandem das Gesundsein eher etwas Furchtbares ist als das Kranksein, glaubst du, Laches, daß die Ärzte das wissen? Oder glaubst du nicht, daß es für viele besser ist, nicht von der Krankheit aufzustehen als aufzustehen ? Denn sag' mir doch dies: Glaubst du, daß es für alle besser sei zu leben, und ist es nicht für viele richtiger zu sterben? - Das glaube ich gewiß. - Denen es nun nützlich ist (Avm-reA.Ei) zu sterben, glaubst du, daß die dasselbe zu fürchten haben wie die, denen es nützlich ist zu leben?" Die Frage ist hier durch den direkten Bezug auf Tod und Leben noch paradoxer zugespitzt als im „Charmides". Doch erweist sich hier wie dort, sobald das Nützliche nicht mehr unter der Perspektive des Handelnden, sondern unter der des Behandelten gesehen wird, das reine Fachwissen als unzureichend. Ein höheres Wissen scheint notwendig, dessen Gegenstand die übergreifende Norm ist, von der sogar das Leben, das höchste Gut des unmittelbaren Weltverständnisses, relativiert wird. Nebensatzes nicht bloß als der Inhalt (das Objekt)" des Verbs yt~tv, .,sondern vielmehr als ein Zeitereignis bezeichnet werden soll" (Kühner-Gerth, Gr. d. gr. Spr., 8 1904, 1966, II, 2, S. 368f.). ärav bedeutete also zugleich „daß" und „jedesmal wenn". 411Charm. 164 b 8f. " Laches 196 cf.

94

Der Sokratische Wendepunkt

Den Grund dieses Denkens deutet Platon im „ Gorgias" an. Dort dient als Beispiel die Technik des Steuermanns, ,.die nicht nur das Leben rettet 60 , sondern auch den Leib und das Vermögen aus äußersten Gefahren" 61 • Trotz dieser Verdienste bleibt der Steuermann bescheiden. ,.Er versteht nämlich ... zu berechnen, daß ihm verborgen ist, welchen seiner Fahrgäste er genützt (oocpiA,iKEv) und welchen er geschadet hat, als er sie nicht untergehen ließ, und er weiß, daß er sie um nichts besser ausgeschifft hat, als sie eingestiegen sind, weder am Körper noch an der Seele62 ." Der Steuermann tut landläufigem Verständnis nach durch Ausübung seiner Kunst etwas Nützliches. Dessen Bedeutung wird jedoch durch eine höhere Ordnung außer Kraft gesetzt, die sich am Ende des Dialogs als eschatologische erweist. Dort bestimmt Sokrates das als nützlich, was dazu verhilft, .,möglichst gut zu leben" 63 , das heißt für ihn, als Philosoph zu leben und seine Seele zu retten, wie es der abschließende Mythos vom Leben nach dem Tode darstellt. Der Steuermann besitzt, wie der Arzt im „Charmides", dieses höhere Wissen nicht. Der Elenchos des Sokrates und die Selbsterkenntnis

Sokrates' Widerlegung soll einen inneren Widerspruch in den Behauptungen des Kritias aufdecken. Wenn der Sophist definiert hatte, der Besonnene tue das Gute, dann hatte er damit den „Nutzen für sich" gemeint, der dem Handelnden im Handeln selbst evident erscheint. Indem Sokrates unter Anspielung auf eine frühere These des Kritias am Beispiel des Arztes darstellt, daß der Nutzen sich auch auf andere beziehen kann, weist er nach, daß der Arzt nicht notwendig wissen muß, ob er nützlich heilt oder nicht. Das zuvor als besonnen beschriebene Tun des Arztes ist also nicht notwendig mit dem Wissen um die Nützlichkeit und damit um die Besonnenheit seines Tuns verbunden: .,Manchmal . . . handelt der Arzt demnach nützlich oder schädlich und erkennt sich selbs-t nicht, wie er gehandelt hat. Nützlich handelnd, hat er jedoch, nach deiner Definition, besonnen gehandelt. Oder hast du nicht so gesagt? - Doch. - Er handelt also, wie es scheint, manchmal nützlich und handelt damit besonnen und ist besonnen, kennt aber sich selbst nicht, daß er besonnen ist 64 ." In Verbindung mit der rein technischen Nützlichkeit verwendet Platon 'INXtl noch im alten epischen Sinn von „Leben", während der neue Begriff von Nutzen auf die bezogen ist. im platonischen Sinne als „Seele" verstandene lf'VXTJ lil Gorgias oll d. H Gorgias oll e. 1i8 Gorgias 512 e: ... 0056p10'Ta ~10h1... H Charm. 164 b ll-c 6. 60

Der Elenchos des Sokrates und die Selbsterkenntnis

95

Mit diesem Schlußsatz des Elenchos wird der Evidenzcharakter, den das Nützliche für Kritias hatte, zerstört und die Notwendigkeit eines Erkenntnisaktes zu seiner Bestimmung aufgewiesen. Zugleich aber zwingt die Untersuchung Kritias dazu, die in seinem Begriff des Nützlichen implizierte Vormeinung, daß der nützlich, das heißt besonnen, Handelnde sich immer schon kennt, ausdrücklich zu formulieren. Die Widerlegung führt damit neuerlich zu einem Widerspruch; denn nach Sokrates' Analyse kann der Nutzen nur bestimmt werden mit Bezug auf etwas, das über den beiden möglichen Nutznießenden steht. Erst dessen Erkenntnis macht auch die Selbsterkenntnis des Handelnden als eines Nützenden möglich. Zwar stellt der Elenktiker Sokrates nur das Fehlen eines solchen Wissens fest, der Kontrast zum ärztlichen Fachwissen macht jedoch deutlich, daß es sich nicht um eine Einzelwissenschaft handeln kann, sondern daß das Wissen um eine höhere Ordnung gemeint ist, die den Einzelwissenschaften erst ihren Nutzen zuweist. Die Suche nach dieser Norm wird von Platon in der Apologie als die tiefere Bestimmung des Sokratischen Lebens gedeutet. Sich selbst interpretierend, nennt Sokrates dort die ·suche nach „der Weisheit" als „sein eigentliches Geschäft" 66 • Beunruhigt vom Spruch des delphischen Gottes, ,,niemand sei weiser" als er, geht er zu denen, die im Rufe stehen, weise zu sein, um an ihnen die Worte Apollons zu prüfen. So kommt er zu den Politikern 68, zu den Dichtem 67 und zu den Handwerkern68, wird aber von allen enttäuscht. Nicht, daß sie nicht ein bestimmtes Fachwissen besäßen; von den Handwerkern wird dies sogar ausdrücklich lobend hervorgehoben: ,,Von diesen aber wußte ich, daß ich sie antreffen würde, vielerlei Schönes verstehend (tmcrraµevovs).Und hierin wurde ich nicht enttäuscht, sondern sie verstanden, was ich nicht verstand, und waren in diesem Punkte weiser als ich 69 ." Ihr Fachverstand verdeckt ihnen jedoch den Blick auf das Umfassendere: ,,Weil sie ihre Technik ausgezeichnet auszuüben verstanden, hielt sich jeder auch in anderem, und zwar in den höchsten Dingen (Ta µfy1crra), für sehr weise, und diese ihre Fehleinschätzung verbarg ihnen jene Weisheit• 0 ." Wie Sokrates in der „Apologie" von sich sagt, daß der Gott ihn deshalb als den „weisesten" bezeichnet habe, weil er erkannt habe, daß „er nichts wert ist in Wahrheit hinsichtlich der Weisheit" 61 , Apologie 20 cf. 21 cf. 11,Apologie 22 af. H Apologie 22 cf. 51 Apologie 22 d. 18 Apologie 22 d. D

111 Apologie

11

Apologie 23 b.

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Der Sokratische Wendepunkt

so tritt auch im „Charmides" das neue Wissen zunächst nur in der Feststellung seines Fehlens auf. Aber gerade das ist als Indiz des höheren Anspruchs zu werten, der an es gestellt werden wird. Das negative Vorzeichen der widerlegenden Funktion wird so zum Hinweis darauf, daß Platon weiß, daß die neue Wissenschaft, sobald sie zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung wird, auch an jenem Maßstab rationaler Verifizierbarkeit zu messen ist, mit dem Sokrates die drei ersten Definitionen geprüft hatte. Kritias verkennt die Bedeutung des von Sokrates nur Angedeuteten. Zwar gibt er unvermittelt die bisher von ihm verteidigte Definition auf 82, um Sokrates' Formulierung vom Arzt, .,der sich selber Acnn6v), zu üb~mehmen und, sie ins nicht erkennt" (ov yiyvoocnce1 Positive umsetzend, daraus seine neue Definition der Besonnenheit zu machen: ,,Fast möchte ich behaupten, daß eben dies die Besonnenheit 83 • Aber Acnn6v) sei, das ,Erkenne dich selbst!' ... " (To y1yvoocnce1v diese Bestimmung läßt einen Teil dessen, was Sokrates gesagt hatte, unbeachtet. Bei ihm hatten beide Sätze, in denen vom Wissen die Rede war, auch einen Objektsatz bei sich. Zunächst hatte Sokrates gefragt, ob es möglich sei, daß besonnene Menschen „nicht wissen, daß sie besonnen sind"••. Am Beispiel des Arztes hatte er den Begriff des Besonnenseins, von dem im Nebensatz die Rede war, noch einmal zerlegt: .,Der Arzt erkennt sich selbst nicht, wie er gehandelt hat 65 ." Der Erkenntnis werden hier ausdrücklich zwei Objekte zugeschrieben, das Subjekt des Handelns (Acnn6v)und dieses Handeln selbst (oosrnpa~ev). Kritias übergeht das zweite; es bleibt als Gegenstand der Erkenntnis nur das Subjekt 86 • Damit erweist sich, daß Kritias' Definition, weit davon entfernt, eine neue Bestimmung der Besonnenheit zu geben, nichts anderes ist als eine Verengung des im Sokratischen Elenchos schon Angelegten. Wie der sophistische Begriff des Nützlichen ist sie charakterisiert durch die Beschränkung auf das ., Selbst". Charm. 164 d 1 f. : ..... und ich würde mich nicht schämen zuzugeben, nicht richtig gesprochen zu haben, eher als daß ich jemals eingestehen würde, daß ein Mensch, der sich selbst nicht kennt, besonnen sei." 88 Charm. 164 d 3ff. "Charm. 164 a 3: ... dcyvoeivÖTt O'(,)cppovoüow. brrov ~ frrpa9:v. Vgl. 164 c 6. •• Charm. 164 c 1: ... 6 lcrrpbs oö ytyVC:,C11CE1 • Schon bei der 'Ubernahme des sokratischen Satzes ... i, ffl>'T1! O"VY)(c.)PTIO'atll'&v dcyvoovvra cwrov mvTc!>vcb&pc.nrov crc.:,cppoveiv(164 d 2f.) hat das dcyvoeiv nur noch cwrov !CXUTOv als Objekt bei sich, während o-c..,cppovetv zum Verbum des Infinitivsatzes wird. In der eigentlichen Definition stehen O'(,)cppoa(,1111 und yiyVC:,C11CE1v als Prädikatsnomen bzw. Apposition auf einer Stufe: ... cwrc!>TOÜ'ro cp111,11 Elvcn crc.:,cppoavV'llv, TO y1yVC:,C11CE1v knrr6v (164 d 4). 11

Kritias' Interpretation

97

des ,Erkenne dich selbst!'

K,itias' I nterp,etation des ,Erkenne dich selbst!' Der Sophist beruft sich für seine Definition auf die Delphischen Weisheitssprüche: ,,Fast möchte ich behaupten, daß eben dies die Besonnenheit sei, das ,Erkenne dich selbst!', und ich stimme mit dem überein, der diesen Spruch in Delphi aufgestellt hat 67 ." Aus diesem Hinweis auf die apollinische Herkunft gewinnt er die Erläuterung dessen, was er mit seiner Definition meint. Die Maxime ist für ihn „eine Anrede des Gottes an die Eintretenden an Stelle des ,Laß dir's gut gehnl'" 68 , eine Interpretation, durch die das yvoo81aau-r6v vor den beiden anderen ebenfalls zitierten Delphischen Sprüchen „Nichts im Übermaß!" und „Bürgschaft nah dem Verderben." 89 hervorgehoben werden soll. Letztere sind „später aufgestellt", nur „nützliche Ratschläge" der Menschen. Dieselbe Deutung der Delphischen Maximen begegnet auch sonst bei Platon: Der „Protagoras" nennt sie „eine Erstlingsgabe der Weisheit", welche die Sieben Weisen „dem Apollon im Tempel zu Delphi aufstellten" 70 • Die Sprüche waren wahrscheinlich zu Platons Zeiten in der Vorhalle des Apollontempels zu lesen. Der Umstand, daß Platon das ,Erkenne dich selbst!' als Gruß des Gottes hervorheben kann, scheint darauf hinzudeuten, daß dieser Spruch als erster dem in den Tempel Eintretenden sichtbar wurde 71 • Kritias' Rede von der „Anrede des Gottes" gewinnt ihre volle Bedeutung jedoch erst innerhalb des philosophischen Zusammen., Charm. 164 d 3ff. 88 Charm. 164 d 7. Die Interpretation des yvcij91O'CXVTOV als „Anrede des Gottes" ist in der antiken Literatur nach Platon sehr verbreitet. Aristoteles bezieht sich auf im Zusammenhang seiner „Entwicklungsgeschichte" der sie in TTeplcpv.OO'ocp(as menschlichen „Weisheit" (cf. Fr. 8, Ross). Auch er hält den Spruch fiir eine „Anrede" des Gottes (Fr. 3, Ross) und sagt von ihm, er habe dem Sokrates „den Beginn seiner Fragestellung und Suche" eingegeben (Fr. 1, Ross). Vgl. auch Plutarchs Interpretation des delphischen E (TTeplTOÜEI TOÜb &Acpols,Kap. 17, 392 A) und Dion Chrysostomos, or. 67, 2f. 11 Charm. 166 a 3f. 70 Protagoras 343 af.; vgl. Alkibiades I 124 a, 129 a, 133 c. Das Platonische Zeugnis ist das friiheste, das wir über die Delphischen Maximen besitzen. Ihre geschichtliche Herkunft ist noch nicht eindeutig geklärt. H. W. Parke, D. E. W. Wormell, The Delphic Oracle, vol. I, The History, Oxford 1966, S. 389: .,The actual authorship of the three maxims set up on the Delphian temple may be left uncertain. Most likely they were popular proverbs, which tended later to be attributed to particular sages." Vgl. auch J. Defradas, Les Thf:mes de la Propagande Delphique, Paris 1964, S. 274. Unter den Dikta der Sieben Weisen sind sie in die Tradition eingegangen (D.-Kr., Bd. 1, S. 61ff.). Wie die einander widersprechenden Aussagen „Anrede des Gottes" und „Weihegeschenk der Weisen" zu vereinbaren sind, wird nicht voll ersichtlich. Offenbar spricht der Gott durch die Stimme der Weisen. 71 So W. H. Rascher, Die Bedeutung des E zu Delphi und die übrigen ypaµl,ICXTCX &Acp11 ~d ... , worauf die Bestimmung der „reinen Lust" folgt (585d bis 586 a). Vgl. Philebos 66 d. Charm. 167 b 1-4. • Charm. 167 b lf. Zweimal wiederholt 167 b 10f.: ... irav-ra -rav-r' ä:v d11, EI (CJ"T1v 6mp av vuv6'1'i EÄeyES.

Die Epagoge der Relationsbegrüfe

115

jedoch durch eine Untersuchung des kategorialen Sachverhalts zu finden, ob etwas „sein eigenes Vermögen {-n'tvAcnrr6>v6vvaµ1v) auf sich selbst richten" kann 8 • Die Analyse des Begriffs soll also die logische Möglichkeit und die Seinsmöglichkeit der neuen Definition in einem beweisen. Um seine Verlegenheit vor der Frage nach der Möglichkeit deutlich zu machen 7 , stellt Sokrates die Wissenschaft in eine Reihe mit anderen funktional ähnlichen Begriffen. Durch diesen induktiven Beweis, den Aristoteles unter dem Namen „Epagoge" als typische Methode des Sokrates charakterisiert 8, versucht er darzustellen, daß ein Selbstbezug, wie er in „Wissenschaft der Wissenschaft" vorausgesetzt wird, nicht möglich ist. Daher ordnet er den Begriffen, die er aufzählt, jeweils ein Objekt zu, das notwendig auf den zuerst genannten aktiven Begriff bezogen ist. So ist das Sehen immer Sehen der Farbe, das Hören Hören des Lautes, die Sinneswahrnehmung Sinneswahrnehmung dessen, was man wahrnimmt; die Begierde Begierde der Lust, das Wollen Wollen des Guten, die Liebe Liebe des Schönen, die Furcht Furcht des Schrecklichen 9 • In welcher Weise dieser Bezug zwischen dem aktiven Begriff und dem von ihm abhängigen Genitivobjekt zu denken ist, zeigt die ausführliche Untersuchung desselben Phänomens in der „Politeia". Um die logische Notwendigkeit mehrerer Seelenteile abzuleiten, geht Platon dort von dem Satz aus, daß entgegengesetzte Strebungen und Wirkungen in der Seele nicht von demselben herrühren können 10 • Dasselbe kann nicht zugleich Sitz der Begierde und Sitz von deren Gegenteil sein. Zur genaueren kategorialen Bestimmung dieser Aussage untersucht Platon an Hand der Beispiele Durst und Hunger, worauf die Begierde an sich (aü-ni ye,; eir18vµ{a)unter Absehen von allem Akzidentellen {irpoay1yv6µeva) von Natur aus bezogen sei 11• Die Antwort, ,,der Durst an sich" ist von Natur aus auf (mcpV1cppoavllT'I äM' -ljs (B T: äM' secl. Madvig, Schanz, Croiset) !pyov mlv -ro C:,cpwlvfiµäs. ov yap lmcrnwoov ye (B T: TE Heindorf, Croiset) Kal Ql/E'lt'IO"TT}l.l()O'Vvci'>V ,'i ffllCJ'TT\l.l11 lO"T(V, äAAa äyaeoü TE Kal KaKOÜ.OOC7'TE el CXV'TT) (B T: aOTt) Schleiermacher, Schanz, Bumet, 6J,.Ao-rt ckvei111'iwcpeAl1,111 (B: EfTtwcpeAlµT'l Croiset) mtv wcpihtµos1'iO"c..>cppoav\lT'I, T: EfTtii wcpeA(µT'l Schleiermacher: EiTtMadvig, Burnet, Croiset) fiµtv. 1111 Charm. 174 d 4f.: ovyap hnO"TT}µci'>v ... hTtCJ'TT\l.l11 !O"Tiv,aA"'Aa äya8oü ••. 119 Charm. 174 d 3-7:

Aporie

137

des Richtigenm den Gegensatz zwischen der Besonnenheit und der ,.nützlichen« Wissenschaft aus. Die Gegenüberstellung macht die Aporie in ihrem ganzen Ausmaß sichtbar: Die Wissenschaft, die den als höchstes Gut erkannten vollkommenen Staat ermöglicht, ist nicht mit der Definition der Besonnenheit identisch. Wissenschaft der Wissenschaft und Wissenschaft des Guten bleiben unvermittelt. Diese letzte und größte Schwierigkeit könnte nur überwunden werden, wenn die kategoriale Seinsanalyse, die im ersten Teil des Dialogs vollzogen wird, und die axiologische, wie sie eine Wissenschaft des Guten fordert, in einem System aufgehoben würden, das die verschiedenen Aspekte des Seins nach einem einheitlichen Prinzip ordnet und in dem auch die Besonnenheit den ihr zukommenden Platz finden würde. Bislang war die gesamte Un~ersuchung durch das ungeprüft hingenommene Vorwissen geleitet worden, daß die Besonnenheit nützlich ist. Nachdem sich jedoch erwiesen hat, daß der Nutzen von einer anderen Wissenschaft hervorgebracht wird, soll auch diese „Ahnung«m noch ausdrücklich widerlegt werden. Sokrates formuliert sie in einem Konditionalsatz - ,.wenn selbst die Besonnenheit nützlich ist" -, um dieser Hypothese im Hauptsatz die durch die Untersuchung bewiesene Tatsache gegenüberzustellen, daß die „nützliche" Wissenschaft118 etwas anderes ist als die Besonnenheit 114. Der Hauptsatz 111 Charm. 174 C 1f.: o06! avµ,racro>v T6>V /!iÄAc,lv ffltaT1'1116)V, @v.cx l,ltäs

oOcn,sTCXV-

'TTIS... 111 Charm. 169 b 4: ... C:,cpD.11,16v Tt Kal drycx9ovl,ICXVTNOl,lal Elvaa. 113 Damit erst bekommt die Gegenüberstellung der femininen Form des zweiendigen Adjektivs cru-n'i . . . C:,cpO.tµosmit der äußerst seltenen Form C:,cpe1dµTt(nach L.-S.-J ., s. v. nur noch Politeia 607 d) einen Sinn. tJC:,cpeAll,lTt bezeichnet in Angleichung an Bildungen wie fJlaTpn8T\s) aus der Schlacht 8 ?" Schließlich bleibt er auch, nachdem er wider Erwarten ins Leben zurückgekehrt ist, in der unmittelbaren Sphäre des Todes, wenn er sich als Überbringer der Weisheit bezeichnet, die er von den Schülern des Thrakergottes Zalmoxis gelernt hat. Zalmoxis, dem Herodot in seinem Getenexkurs eine längere Episode gewidmet hat', steht im Bewußtsein der Griechen des fünften Jahrhunderts in enger Beziehung zum Leben in der Unterwelt. Der ionische Historiker weiß von zwei ausdrücklich voneinander geschiedenen Überlieferungen zu berichten. Die Geten selbst halten Zalmoxis für den einzigen Gott 6 und „schicken Boten von sich" zu ihm hin 8 , um über wichtige Fragen von ihm Auskunft zu erhalten. Ober diese Darstellung des Volksglaubens hinaus gibt Herodot dessen rationalistische Deutung durch die am Schwarzen Meer wohnenden Griechen: Zalmoxis sei der Sklave des Pythagoras gewesen, und als er freigelassen in sein Vaterland zurückgekehrt war, habe er den Thrakem den Unsterblichkeitsglauben gebracht. Dann habe er sich nach vorgetäuschtem Tod drei Jahre in einem unterirdischen Haus aufgehalten, 1

Siehe zum Ort des Charmides, oben S. 40 f.

1 Charm. 168 b 1: ... l~ ärrpoC76oiaiTOV •••

Charm. 168 b 4. • Herodot 4, 94-96. 5 Herodot 4. 94, 4. 1 Herodot 4. 94, 2. 8

140

Der eschatologische Mythos des Rahmens

um im vierten Jahre wiederzuerscheinen und dadurch seine Landsleute in ihrem Glauben an ein Fortleben nach dem Tode zu bestärken 7. Indem Herodot dieselbe Geschichte auf zwei Ebenen erzählt, macht er den Versuch einer religionsgeschichtlichen Erklärung. Er spricht zunächst von den Praktiken und Vorstellungen des primitiven Schamanentums. Für dieses ist Zalmoxis der Herrscher der Unterwelt, in dessen Reich die Schamanen hinabsteigen können und wohin sie auch die Seelen der Verstorbenen mit Zaubergesängen geleiten 8• Diese ursprüngliche Gestalt des Gottes wird reinterpretiert im Sinne der sophistischen Theorien, wonach die Religion die Erfindung „eines gedankenreichen und weisen Mannes" ist, um die Menschen zu bessern9. Hierist es der Weise selbst, der sich als Gott ausgibt und dadurch die Menschen in ihren religiösen Vorstellungen zu bestärken sucht, ein Unternehmen, wie es in einer von Herodot unabhängigen Überlieferung auch dem Pythagoras zugeschrieben wurde 10 • In diesen Geschichten kündigt sich der Versuch an, traditionelle religiöse Verhaltensweisen von einem philosophischen Lebensideal her neu zu deuten. An die Stelle des Gottes tritt das im Menschen selbst gefundene ,,Göttliche", das sich in der Gestalt des „Weisen" manifestiert. Auf dieser ersten Stufe der Reinterpretation wird die Geschichte von Zalmoxis und Pythagoras auch von Sophokles zu Beginn seiner „Elektra" erzählt. Orest läßt im Hause des Aigisth die Nachricht seines Todes verbreiten, um seine Verwandten zu täuschen. Diese List müßte nach griechischem Glauben für ihn ein schlechtes Vorzeichen bedeuten. Aber er setzt sich über diesen Skrupel hinweg, indem er sich auf ähnliche, ihm bekannte Beispiele besinnt: .,Denn was kann mir das schon anhaben, wenn ich dem Wort nach zwar tot, in Wahrheit aber gerettet (aoo&w)bin und Ruhm davontrage? ... Denn häufig schon sah ich auch die Weisen dem Worte nach angeblich sterben; dann aber, wenn sie wieder nach Hause zurückkamen, standen sie in um so höherem Ansehen 11." Sophokles zitiert die „WeiHerodot 4. 96. Diese Vorstellungen lassen sich aus dem Bericht Herodots noch deutlich ablesen, wenn er von den ·Boten berichtet, welche die Geten zu Zalmoxis schicken. Aber auch in der rationalistischen Umdeutung der Griechen ist hinter der unterirdischen Behausung unschwer die Hadesfahrt der Schamanen wiederzuerkennen. Die ganze Frage wird ausführlich untersucht von K. Meuli, Scythica, Hermes 1936; vgl. S. 136: .,Zalmoxis selbst ist augenscheinlich ... Schamane oder wohl eher mythisches Urbild eines Schamanen." • Euripides, Sisyphos; von Dr.-Kr. als Fragment des Kritias gegeben, 88 B 26, 12: ... 1TVKv6sTIS ml aocpasyll&>l,lflVävi')p ... 18 Hermipp bei Diogenes Laertios 8, 41. Das Verhältnis der beiden Überlieferungen diskutiert W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft, Niimberg 1962, S. 137ff. 11 Sophokles, Elektra V. 69 ff. 7

8

Der Gott als Verkünder wahrer Besonnenheit

141

sen", mit denen offensichtlich auf Gestalten wie Pythagoras und Zalmoxis angespielt wird 18 als Beispiele für den Gewinn, den ein solcher angeblicher Tod mit sich bringt. Er kann das kurz und ohne Namensnennung tun, da er bei seinen Zuschauern eine Kenntnis des Gegenstandes voraussetzen darf. Auch Platon bringt Zalmo:xis ohne weitere Erklärung mit Sokrates in Verbindung. Bei ihm stützen die Motive sich gegenseitig. Sokrates selbst, der aus tödlicher Schlacht „gerettet" wird 18 - man vergleiche das „in Wahrheit gerettet" des Orest - und in die Nähe der chthonischen Gottheiten zurückkehrt, ist aus einem angeblichen Tode wiedererstanden; er selbst trägt die Züge des „Weisen", der nach seiner Rückkehr aus dem Tode in um so höherem Ansehen steht. Zugleich aber weist er sich aus als Abgesandter des mythischen Urbildes dieser Weisen, als Abgesandter des Gottes Zalmo:xis. Er spricht nämlich nicht aus eigener Vollmacht, sondern er vermittelt die Wahrheit, die ihn der Priester des thrakischen Gottes gelehrt hat . .,Behandelt aber werde die Seele, so führte er aus, du Glücklicher, durch gewisse Besingungen. Diese Besingungen seien die schönen Reden; durch solche Reden entstehe in den Seelen Besonnenheit .. .w' Hier, wo zum erstenmal im Dialog das Wort „Besonnenheit" auftritt, betont Sokrates nachdrücklich, daß er nicht seine eigene Weisheit lehrt, sondern die des Gottes. Der Go# als V erkünrler wahrer Besonnenheit

Mit der Annahme eines göttlichen Auftrags durch Zalmo:xis knüpft Platon die Geschichte auf einer zweiten Stufe der Reinterpretation an die mythische Tradition der Tragödie an. Die Besonnenheit als die auf Gott bezogene Ordnung des sozialen wie des privaten Lebens wird in ihr stets durch einen Gott verkündet, wobei der Gott zugleich seine Macht und sein Wesen offenbart. So enthüllt Athene im Prolog des ,,Aias" die Verworfenheit der Hybris und führt Odysseus dadurch, daß sie ihm das Besonnensein schenkt, zur Anerkennung ihrer eigenen Macht. Ähnlich bestätigt Dionysos in den „Bakchen", indem er die Menschen in ihre Grenzen zurückweist, seine göttliche Natur: .,Dies verkündige ich, nicht vom sterblichen Vater geboren, ich Dionysos, sondern von Zeus; wenn ihr aber besonnen zu sein erkannt hättet, damals, als ihr nicht wolltet, dann hättet ihr, mit dem Sohn des Zeus 11

Bei Herodot (4. 96, 2) ist Pythagoras Weisen''.

13

Charm. 168 b 4. Charm. 167 a 8-6.

H

„nicht der schwächste unter den griechischen

142

Der eschatologische Mythos des Rahmens

als Bundesgenossen, die Glückseligkeit erreicht 16 ." Solange Besonnenheit auf den Wesensunterschied zwischen Gott und Mensch bezogen ist, kann der Mensch nur dadurch, daß der Gott sich selbst offenbart, das eigene Wesen erkennen, erkennen, daß er sterblich ist. Die Rolle des Verkünders der Besonnenheit kann auch schon im Drama von einem vergöttlichten Menschen übernommen werden. So wird der König Dareios in den „Persern" durch die Ältesten seines Volkes von jenseits des Grabes zurückgerufen, weil nur von ihm ein Ausweg aus der Niederlage erhofft werden kann. Zwar muß er sich über die faktischen irdischen Ereignisse Auskunft von den Menschen erbitten 16 , aber kraft des göttlichen Wissens, das er, der „Daimon", der als „Gott" auf die Welt zurückgekehrte „Herrscher in der Unterwelt" besitzt 17, ist er in der Lage, die jenseitigen Ursachen des Geschehens aufzudecken. Er allein durchschaut die Hybris des Zuges gegen die Griechen und kann daher Xerxes zur wahren Besonnenheit ermahnen. Von diesem traditionellen Typos her muß die Gestalt des Sokrates im „Charmides" ebenfalls verstanden werden. Wie im Drama des Aischylos der aus dem Grabe heraufbeschworene Dareios zum Verkünder der wahren Besonnenheit wird, so läßt auch Platon in seinem „philosophischen Drama" den aus dem Tod zurückgekehrten Sokrates über die Besonnenheit sprechen. Die Vergöttlichung des Sokrates, die sich in diesem Bezug auf den traditionellen Mythos andeutet, ist bei Platon mit dem Anspruch übermenschlicher Weisheit verbunden, wie er von Pythagoras und Zalmoxis vertreten wird, die als Ärzte, Wahrsager und Schamanen selber göttliche Kräfte besitzen und deren über menschliches Vermögen hinausgehendes Wirken ihren Anspruch bestätigt18. Durch die Verschmelzung dieses neuen Typos des „Weisen" mit dem traditionellen des göttlichen Verkünders der Besonnenheit schafft Platon in Sokrates die Gestalt des mit überirdischem Wissen begabten Lehrers, der, da er die Göttlichkeit des Verstandes in sich erkannt hat 19, die Besonnenheit als die vollkommene, den Menschen rettende Tugend verkünden kann. Die mythische Struktur des Kon16 11 11

18 11

Euripides, Bakchen V. 1340-1343. Aischylos, Perser V. 693. Aischylos, Perser V. 620f.; V. 641ff.; V. 691f. Vgl. Empedokles in den Katharmen 31 B 146 (D.-Kr.). In diesem Sinne wird nunmehr die Formel „Erkenne dich selbst" gedeutet. (Phaidros 229 e-230 a; Alkibiades I, 133 c). Vgl. auch die „Etymologisierung" im Kratylos 411 e, was sowohl „Retvon aooq,poavvri als ac.>TTJpfa... cppOIIT)O'EOOS tung durch den Verstand" als auch „Rettung des Verstandes" heißt; in diesem Sinne versteht es Aristoteles, Nikomachische Ethik VI, 5, 1140 b llf. In den Nomoi (716 c, d) ist „der Besonnene dem Gott Freund, denn er ist ihm ähnlich" (Kal KCXTCX TOÜTOV 617TOVi\6yov O µev a&>cppc.,v riµwv ee~ cpl1.oS, ÖµOloSyap •.. ) .

Der Gott als Verkünder wahrer Besonnenheit

143

textes gibt dem Wort „Besonnenheit" so von Anfang an den Sinn, den der dialektische Aufstieg erst am Ende des Dialoges mit dem Begriff einer Wissenschaft vom Guten und Bösen erreicht. Die Übereinstimmung zwischen philosophischem und dramatischem Mythos geht bis ins Detail. Wie Dareios nach seiner Rückkehr aus dem Hades zunächst fragen muß, welches „neue, schwere Übel" die Perser befallen habe, so muß auch Sokrates nach seiner Rückkehr aus der Schlacht sich zunächst Auskunft über die Neuigkeiten in der „Philosophie und über die Jünglinge" einholenso. Der aus dem Leben Abgeschiedene besitzt keine Kenntnis der faktischen Vorgänge des irdischen Lebens. Dafür aber vermag er, nicht verwirrt durch die Bedingungen der körperlichen Existenz, mit größerer Scharfsicht die Wahrheit zu erblicken. Kraft dieser Befreiung kann auch Sokrates die wahre Sophrosyne verkünden und dadurch sichtbar machen, daß die von Kritias gepriesene Besonnenheit des Charmides unzulänglich ist. Im Mythos der Rahmenerzählung ist wie im Drama des Aischylos die Erkenntnis präfiguriert, daß nur die Befreiung vom irdischen Leben, daß nur das Sterben die Wahrheit zugänglich zu machen vermag. Erst im „Phaidon", dessen dramatische Situation der des „Charmides" eng verwandt ist, hat dieser Satz seine volle philosophische Erhellung erfahren. Auch dort erscheint die Gestalt des Sokrates in unmittelbare Nähe zum Tode gerückt und erhält von daher ihren tieferen Ernst und ihre philosophische Glaubwürdigkeit. Unter Hinweis auf sein bevorstehendes Ende vergleicht Sokrates seine Rede über das Leben der Seele nach dem Tode mit dem Gesang der Schwäne, die „weil sie Apollon zugehören, die Fähigkeit von Sehern besitzen und das Gute im Hades vorherwissend singen ... 21 " Mit den Erzählungen über das Leben auf den Inseln der Seligen müsse man „sich selbst besingen" (rn~Sen,)22 und daraus müsse „derjenige in Hinsicht auf seine Seele Mut schöpfen, der . . . seine Seele nicht mit fremdem, sondern mit deren eigenem Schmuck ordnet, mit der Besonnenheit, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, der Freiheit und der Wahrheit ... 23 ". Alle Elemente, die die Eigenart der eschatologischen Erzählung im „Charmides" ausmachen, finden sich hier wieder, die Berufung auf die Entrückung durch den Tod, um den göttlichen Ursprung der Rede glaubhaft zu machen, der Hinweis auf ein glückliches Leben nach dem Tode, die Abhängigkeit dieser Glückseligkeit von der Ordnung der Seele, der Besonnenheit, und schließlich die Besingung als Parainese 80

Charm. 153 d 3f. (vgl. Theaitet 143 d) -

n Phaidon 85 b. 11

II

Phaidon 114 d. Phaidon 114 d-115

a.

Aischylos, Perser, V. 693.

144

Der eschatologische Mythos des Rahmens

und Hinführung zu einem besonnenen Leben. Doch im „Phaidon" wird das, was der Mythos andeutet, zugleich im philosophischen Gespräch thematisiert. Dabei wird dem leiblichen Tod durch das „Vorlaufen in den Tod" 84 sein Sinn gegeben, indem Sokrates die freiwillige und bewußte Loslösung von allem Irdischen als die einzig mögliche philosophische Lebenshaltung definiert.

Unsterblichkeitsglaube Dem Gott Zalmoxis wird von Sokrates eine eschatologisch wirksame Kraft zugeschrieben; er vermag „unsterblich zu machen" (6:rra8avcrri~e1v).Das Verb findet sich zum ersten Male bei Herodot im Getenexkurs. Dort werden die Thraker äeavcrrf~ovres genannt, „Menschen, die sich für unsterblich halten" 16 • ,.Sie haben aber folgende Vorstellung von der Unsterblichkeit. Sie glauben nicht, daß sie sterben, sondern daß der Abgeschiedene zu dem Daimon Zalmoxis geht 18 ." Indem Herodot die Vorstellung der Geten vom Leben nach dem Tode in Gegensatz stellt zu dem ihm geläufigen Wissen um den Tod, bringt er zum Ausdruck, daß die Geten an ein unverändertes und glückliches Weiterleben nach dem Tode glauben, das unterschieden ist von dem schattenhaften Dahindämmern der Seelen im Hades, wie es im elften Gesang der Odyssee beschrieben wird 87 • ,. ••• Sie werden zu diesem Ort kommen, wo sie immer weiterlebend alles Gute besitzen werden 18." Platon verwendet, offensichtlich angeregt durch Herodot, das Verb in demselben Kontext. Doch hat es bei ihm, verstärkt durch die Vorsilbe 6:rr-,aktiven Charakter angenommen 89 • Ich lernte, so berichtet Sokrates, die Besingung „dort beim Heer von einem der thrakischen Formulierung nach M. Heidegger, Sein und Zeit, 9 1960, S. 260ff. Herodot 4. 93. So nach L.-S.-J., s. v.; E. Rohde, Psyche, 7 , 8 1921, Bd. 2, S. 28 übersetzt: die Geten, .,deren Glauben ,die Menschen unsterblich machte'''. Beide Übersetzungen stimmen darin überein, daß hier nicht von einer religiösen Praktik, sondern von dem „Glauben" der Geten die Rede ist, was Herodot durch die Gleichsetzung von ä6ava-rl(ovC11und 110µl(ovcn (4. 94, 1) ausdrücklich bestätigt. z• Herodot 4. 94, 1. 17 Darauf weist schon E. Rohde, 1. c., Bd. 2, S. 28ff. bei seiner ausführlichen Besprechung des Zalmoxismythos hin. 18 Herodot 4. 95, 3. 29 Das Verb scheint von Herodot neu gebildet zu sein als Denominativum von dem geläufigen Adjektiv äea\lQ'ToS.(Vgl. E. Schwyzer, Gr. Gramm., Bd. l, S. 736f.) Platon verstärkt durch das Präfix ärr- den Wert des a-privativum. Die Zugehörigkeit des Verbs zur Gruppe äeavaToS, äeavaaia unterstreicht seinen eschatologischen Charakter. äeava-ras und äeavaa{a sind von Homer bis Platon (vgl. Nomoi 721 b; Tim. 90 c) immer das kennzeichnende Attribut der Götter und ihres glücklichen Lebens. 26

25

145

Unsterblichkeitsglaube

Ärzte des Zalmoxis, von denen auch gesagt wird, sie machten unsterblich80." Der Übergang zur aktiven Bedeutung findet seine Begründung in der platonischen Umdeutung des Mythos. Nicht mehr von dem Glauben eines ganzen Volkes an die Unsterblichkeit ist die Rede, sondern von der speziellen Fähigkeit einer esoterischen Gruppe der Priester des Zalmoxis -, das ewige Leben zu vermitteln. Die Akzentverschiebung ist funktionell zu verstehen. Sie gibt Platon die Möglichkeit, Sokrates als den Eingeweihten auftreten zu lassen, der an dem Heilswissen einer kleinen Gruppe von Weisen teilhat und durch seinen Eid an diese gebunden ist 81 • In dieser Beschränkung der wahren Erkenntnis auf die Wenigen erscheint die archaische Priestergemeinschaft als mythische Präfiguration des esoterischen Zirkels der Akademie und ihrer Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Das Verb &eavarl,e1v findet sich noch einmal in signifikativem Zusammenhang in Aristoteles' Nikomachischer Ethik. Auch hier hat es aktive Bedeutung. Im Zusammenhang seiner Lehre von der „vollkommenen Glückseligkeit" führt Aristoteles aus, daß ein derartiges Leben „über menschliches Maß hinausgeht" 811• Doch muß der Mensch danach streben, ,,dem Göttlichen" in ihm, dem Nous, möglichst ähnlich zu werden, um dadurch an der Glückseligkeit teilzuhaben. Diesen Prozeß der Angleichung an das Göttliche, mit dem die platonische Lehre von der öµofCA>015 8e4> wiederaufgenommen ist, faßt Aristoteles in dem Verb &8avaT{,e111 zusammen. ,,Man darf aber nicht denen folgen, die raten, als Menschen menschlich und als Sterbliche sterblich zu denken, sondern man muß, soweit das möglich ist, sich unsterblich machen und alles tun, um dem Höchsten in sich gemäß zu leben 88 ." Der Zusammenhang der Passagen bei Herodot, Platon und Aristoteles ist offensichtlichac. Zwischen dem von Herodot berichteten Mythos, der auf Anschauungen des primitiven Schamanentums zurückgeht, und der philosophischen Spekulation des Aristoteles über die Göttlichkeit des Nous nimmt Platon eine Mittelstellung ein. Wenn 1111Charm.

156 d 4-6. Charm. 157 c 1: 61,KA>l,IOKv01v).(Angeführt Hermias' Menschennatur zu „vergöttlichen" (ä8a\lCXTll;&1v bei F. Dirlmeier, Kommentar zur Übersetzung der N. E., Darmstadt 1964, s. 592f.) " Anders F. Dirlmeier, l. c., S. 592: .,Das [Herodots Darstellung des Unsterblichkeitsglaubens der Geten] hat mit Ar. nichts zu tun." Dagegen spricht schon, daß das Verb in der klassischen griechischen Literatur nur an den genannten drei Stellen vorkommt. 81

W itte,

Wisoemcboft

10

146

Der eschatologische Mythos des Rahmens

Sokrates den Charmides mit der Lehre eines Mannes bekannt macht, der „unsterblich zu machen" versteht, dann will er damit andeuten, daß seine eigene Unterredung sich darin erfüllt, den jungen Mann zur Unsterblichkeit zu führen. Die sokratische Protreptik wird so von Platon interpretiert als philosophische Hinführung zu einem glücklichen Leben nach dem Tode, das nach dem Volksglauben nur Göttern und Heroen zuteil wird. Sie zielt auf die gleiche Heilsrealität, wie sie sich in der Utopie als Eudaimonie des vollkommenen Staates andeutete. Erst auf dieser platonischen Grundlage ist der metaphorische Gebrauch des Verbs in der Nousspekulation des Aristoteles sinnvoll und verständlich. Kunstmythos Die mythische Komponente, die dem Rahmen des „Charmides" seine eschatologische Bedeutung gibt, ist aus den verschiedenartigsten Elementen der Tradition zusammengesetzt. Platon bringt den Mythos der Tragödie, daß die verletzte Weltordnung nur von einem Gott oder seinem Stellvertreter wiederhergestellt werden kann, in Verbindung zu der Erzählung vom Unsterblichkeitsglauben der Thraker. Aber auch diese Überlieferung formt er weiter um, indem er ein Mittelglied, die Arztpriester des Zalmoxis, einführt, von denen bei Herodot noch gar nicht die Rede war. Die neugeschaffene mythische Struktur läßt Sokrates selbst als göttlichen Weisen erscheinen, der die Besonnenheit verkündet und sie den Menschen durch die ursprünglich schamanische, als „schöne Rede" reinterpretierte „Besingung'' mitteilt 36 • Diese Neudeutung traditioneller Mythen erfüllt eine doppelte Funktion: Einmal wird der philosophischen Aussage durch den Hinweis auf ihre göttliche Herkunft eine höhere Autorität gegeben, und zum anderen wird auf ein vollkommen glückliches Leben hingewiesen, das der rationalen Untersuchung unzugänglich bleiben muß. Im Unterschied zum klassischen Mythos jedoch kann sich Platon nicht mehr auf ein allgemein anerkanntes Weltverständnis beziehen, in dem Wirken und Notwendigkeit der göttlichen Weltordnung ihren unbezweifelten Platz haben. Dieses geschlossene Weltbild hat sich zu seiner Zeit schon aufgelöst, so daß der neue „Mythos" nur noch private Geltung haben kann. Er wendet sich an den Kreis derer, die seine traditionellen 86

Außerdem erlaubt die fiktive Gestalt des Zalmoxisarztes eine Stellungnahme gegen die sich „positivistisch" verstehende griechische Medizin (vgl. z. B. TTeplapxal11s l'llTPHcnte1v 108ff. 6vvaT6s 114f. hr(crraoOco 109 hr1cm')1.111106ft.

fpyov 79f., 81, 103 ftC1V)(1cm,s 43f. µavmiea6a1 127 ,rapa6~ea6at 77 1rpoc7Ka6opäv 132 0Wq>pco>OV"1'1 10 ff. öir0Tl8&a6a1 67 ~tl.lOS 86ff. ~EÄll,l1'J 137

Sachindex Aristokraten - als Verächter des Handwerks 83 - als Adressaten des „Charmides" 39 Ruhe als Ideal der 28f. Untätigkeit der 38f. Arzt 66f., 61, 92ff. Autarkie, falsche 69f., 100 Basile, Heiligtum der 40f., 139 Bedeutungswandel der Begriffe 12f. 73, 79f. Begriffsunterscheidungen Besingung 57ff. Besonnenheit 10 Etymologie des Begriffs - als gesundes Denken 11, 13f., 16, 18 - als Unterordnung unter den sozial Höherstehenden 11, 17 - als Zurückhaltung gegenüber den Göttern 11 ff., 18, 22 - als Zurückhaltung gegenüber einem einzelnen Gott Athene 18 Artemis 20f. Aphrodite 21 Dionysos 21f. - als Unterordnung der niederen Seelenteile unter den noetischen 15, 55,59 - als Anerkennung der eigenen Begrenztheit 14

- als Prinzip politischen Handelns 11, 15f., 18f., 42 - als soziale Konvention 23f. - als Selbstbeherrschung 23, 39, 74, 77, 98 - als Keuschheit 20 - als Ruhe 19, 64f., 74 - als Unmännlichkeit 10, 13, 24 - der Hybris entgegengesetzt 11, 14, 18. 21 - der Lust entgegengesetzt 98 - durch Furcht vor den Göttern 16f. - durch Furcht vor den Gesetzen 17 - durch Furcht vor Vergeltung 17 - vom Gott verkündet 13ff., 22, 141ff. - von den Sophisten bekämpft 23f. - von der Wissenschaft des Guten 136ff., 148 unterschieden Charmides Haus des 41 Besonnenheit des Chairephon 49f.

27, 36f.

Datierung des Dialogs terminus post quem 82 terminus ante quem 43ff. Verhältnis zum „Gorgias" 46 Definitionen Unterschiede der 64ff.

153

Sachindex Anordnung der 67 Delphische Sprüche 97 Dihärese 120, 12Sf. Einheit - des Dialoges 1, 6, 7ff. - des Gesamtwerks als didaktisches System 2 durch die unveränderte Problemstellung 9, 149f. konstruiert durch Athetese S durch Annahme einer Entwicklung 4ff. Eros Mff., 61f. Eschatologie 94, 14Bff. Esoterische Lehre 12Sf. Gerechtigkeit - als Nützlichkeit 87ff. - durch Arbeitsteilung 71 - in ihrer Beziehung zur Besonnenheit 36, 71 Glückseligkeit 108, 130 Götterbild 64, 62f. Gute - als das einem selbst Nützliche 88f., 86f. - als Ergebnis der Wissenschaft 108 - als Prinzip des vollkommenen Staates 134, löOf. - als Grund der Wahrheit der Phänomene 149ff. - als das allen Gemeinsame 112f. heuristische Funktion des 181, 149 Tundes82 Wissenschaft des 184ff., 148ff. - jenseits der Wissenschaft 160f. Ironie Kritias

86f. 26, 46ff., 88

Methode, doppelte im „Charmides" 184f., 149f. Methodendiskussion 86, lllf. Möglichkeit logische und ontologische 114f. - des Nutzens 134 Mythos -von Sokrates 61f., 142ff. - künstlich geschaffen 146f.

Nutzen - für einen selbst 89ff. - für den anderen 92ff. - des Stärkeren 91f. - vom richtigen Gebrauch bedingt 89,107 - von der Erkenntnis bedingt 92ff. - der WiS&enschaft 127 - der Besonnenheit 187f. -als Grundlage der Stadt 87ff. Inhalt des 128ff. absoluter 186f. Oligarchen

48f., 48f.

Platon - seine Familie 61f. - und die Oligarchen 68 - später Beginn seiner Lehrtätigkeit 46 - auf eigene Lehrtätigkeit hinweisend 60f., 123f., 138 Polykrates Blf. Potidaia 41f. Prodikos 73f., 79f. Protreptik 69f. Rationalisierung ethischer Begrüfe 72ff., 149 Rätsel 86, 66, 98 Relationsbegrüf - als Bezug an sich 115f. - als Selbstbezug 117 ff. in der Wissenschaft 119 im Denken 122 in der Bewegung 120ff. Rhetor lOlf., 103 Ruhe - als aristokratisches Erziehungsideal 25 - als Prinzip der aristokratischen Staatsform 28f. - als Besonnenheit 26f., 29, 71 - als Untätigkeit 80 - im goldenen Zeitalter 27 - in Sparta 26, 80f. - der Hybris entgegengesetzt 27, 29 Scheu - als personhafte Macht 82, 35, 66 - als umfassende soziale Norm 11, 31f.

154

Register

Scheu - als Prinzip individueller Ethik 34 - als Besonnenheit 20, 34, 35 - als Rücksichtnahme 32f. - des jungen Mannes 33f. Seele Definition der 120ff. 55 Teile der Symphonie der 59 Heilung der 57f. Selbsterkenntnis 97 Selbstbewegung 120f. Sokrates Anklage gegen 81f. 95 Weisheit des neue Methode des 72f., 75f. Sophisten - deren Verhältnis zur Politik lO0f. - Definition des Gerechten 87 ff. - Abwertung der Gesetze 91f. - UmwertungethischerSysteme 72ff. - Konzeption der Überwissenschaft 99ff. Stadt die vollkommene 128ff. die technisch perfekte 133f. Syllogismus 72, 75f. Traum, elenktisch

132ff.

Vielgeschäftigkeit

37ff.

Wechsel der Gesprächspartner 77f. Widerlegungen Form der 71f., 80f. Sokratische 67ff., 85f., 94f. Wissenschaft gesuchte 101, 109f. Objekt der 99, 101, 109f., 125f. - ihr eigenes Objekt 116f., 119, 122, 127 ausgezeichnetes Objekt der 111, 135 - vom Guten und Bösen 134ff., 148ff. - als Fachwissen 95, 104ff., 107 - als Wissenschaft der Wissenschaft 111, 114ff., 119, 126f., 131f., 136ff. - als Überwissenschaft 99ff., 104, 108,129 - als oberstes Leitendes 92ff., 104, 106ff., 131, 135 Stufung der 110 inhärenter Gegensatz der 111 Ergebnis der 103, 109, 138 Worte, Flucht in die 112f. Zalmoxis 139ff. Zeitpunkt, fiktiver des Dialogs Zeus Soter 114

41, 49

A neike Autoren Die mit einem • bezeichneten Passagen des „Charmides" werden grammatisch oder textkritisch erörtert. Aischylos Agamemnon 174ff. 15 362f. 33 Choephoren 896ff. 33 1073 114 Eumeniden 517:ff. 16 526f. 16 534:ff. 16 679f. 33 690:ff. 16 Hiketiden 478:ff. 33 Perser 553 13 620 13, 142

641f. 13,142 691ff. 142f. 725 14 744 13 749ft. 14 753ff. 13 767ff. 15 782 13 800f. 13 820:ff. 14 825 14 827f. 14 829ff. 14f. Fr. (Mette) 67 114 Antiphon 87 A2 17 87 B44, I, II; A, B

90

155

Antike Autoren

87 B 44, 1, 3ff. 88 87 B 44, I, 12ff. 87 87 B 44, I, 16ff. 89 87 B 44, II, 19ff. 87 87 B 44, II, 30ff. 89 87 B 44, A 1, 6ff. 89 87 B 44, A 2, 21ff. 90 87 B 44, A 2, 33ff. 92 87 B 44, A 3, 19ff. 90 87 B 44, A 3, 28ff. 91 87 B 44, A 4, 6f. 91 87 B 44, A 4, 8ft. 90 87 B 44, A 4, 32:ff. 91 87 B 44, A 6, 17ft. 91 87 B68 17, 23 Aristophanes Frösche

1369 83 Lysistrata

1287ft. 30 Ritter

129 83 864 83 Vögel

14 83 1320ft. 30 Wespen 4461. 33 Wolken

104 49 166 49 961:ff. 26 996 33 1006ft. 27 1468 33 Aristoteles Nikomachische Ethik

IV, 9, 1128b 18:ff. 34 VI, 6, 1140b 11ft. 142 X, 7, 1177b 26ff. 146 Metaphysik A 6, 987b 1ft. 76 /\ 7, 1072a 26 122 /\ 7, 1072b 19ft. 122 /\ 9, 1074b 16 122 /\ 9, 1074b 36ft. 122 M 4, 1078b 23ft. 76 M 4, 1078b 28 116

Rhetorik A 16, 1376b 32ff. 46 Soph. Widerlegungen

1.2, 166b 7f. 72 mp\ cp1iocrocplas Fr. 1 (Ross) 97 Fr. 3 (Ross) 97 Fr. 8 (Ross) 97 Fr. 646 (Rose) 146 Bakchylides

10, 36ff. 106 Chilon 10 A 3 y, 2 10 AS y, 12 10 A 3 y, 17 10 A 3 Y, 18

26, 64 64 26, 64 26, 64

Demokrit

68B 3 68B 80 68B 84 68 B244 68 B 264

38 38 36 36 36

Demosthenes

26, 36 66 Diogenes Laertios

3, 1 46 3, 26 61 8, 41 140 Dion Chrysostomos

67, 2f.

97

Empedokles

31 B 146 142 Epicharm Fr. 101 (K.)

28

Euripides Alkestis

668ft. 33 Antiope Fr. 187 (N.) 39 Fr. 194 (N.) 39 Fr. 200 (N.) 39 Bakchen

329 22 396ft. 21 997ft. 22 1340ft. 22, 142

156

Register

126 28 134f. 27 146f. 27 162ft. 27 199f. 32 226ff. 28 279 32 311 79

Herakliden

10111. 33 Hippolytos

6 21 13 21 21 21 49ft. 21 61ft. 20 78:fl. 20, 34 108ft. 20 113 21 208ft. 20 228ft. 20 241 20 246 20 386ft. 21 642f. 21 730f. 21 996 20 1003ft. 20,34 1100 20 1366 20 1402 21

Hippokrates

mpl 6p)(af'l}Sl'l}TptKij~ 20 146 Homer

A 331 32 B 188ff. 69 r8 66 d 412 66 d 431 66 E 69ff. 106 E 629ff. 32 Z 208f. 62 Z 441ff. 31 l 639f. 32 /\ 784 62 ! 92 106 Cl>74 82 Cl>462ff. 11, 34 Cl>468f. 11 X 82 32 X 106f. 31 y 14ff. 34 6168 11, 34 6 479f. 32 p 347 68 T 640ff. 133 V 343 32 1f112f. 11, 34 lf' 30 11, 34

Ion

696ft. 30, 39 Iphigenie A.

821f. 34 833f. 63 I phigenie T.

949 33 Medea

439ft. 32f. Orest

1047f. 63 Gorgias

82B 11, § 9f. Herodot

4.93 144 4.94ft. 139 4.94, 1 144 4.96 140 4.96, 2 141 4.96, 3 144 8.89, 2 106 Hesiod Werke und Tage

117ft. 27

68

Inschriften I G 11, 94, 30ft. 40 Epigr. gr. (Kaibel)

34 66 822, 9 40 Isokrates X, 1 106 Kratinos Pytine Fr. 202 (K.) Kritias 88 A 1 47f.

49

157

Antike Autoren

88 A 4 47f. 88 B 2 47 88B4 48 88B6 48 88 B 6 47 88 B 6, 10ft. 87 88 B 6, 15ft. 26 88 B 6, 18ft. 86 88 B 7, 2 26 88 B 25, 12 140 88 B 32 47f. 88 B 36 47 88 B40 48 88 B 41a 39, 77 88B67 83 88 B 70 83 Libanios Apologie des Sokrates

86 87 88f. 160

81 82 69 82

Lukian Parasit

43 61 Lysias

26, 3ff.

43f.

Pausanias

1.17, 1 66 3.20, 10 66 Pindar Olymp. 4, 161. 28 Pyth. 1, 69ft. 28 Pyth. 8, lff. 28 Pyth. 8, 35ft. 62 Pyth. 9, 22ft. 28

Pyth.11, 52ft. 291. Nem. 9, 48 28 lsth. 6, 7ft. 114 lsth. 8, 26 16 Fr. 109 (Snell) 28 Platon Alkibiades I

116b 124a 129a 133c

130 97 97 97,142

Apologie

20cf. 95, 102 21a 49f. 21clf. 96 22d 96, 106 23b 95 23c 127 24c 127 28e 42, 127 29a 125 32cf. 49 Charmides 163a 1f. 41

a 3ft.

40

blff. 63,139 b 4 139,141

b6 41 b 9ft. 42 C 6ft. 60 C 8 49 d 3f. 64,143 154a 6 60, 54 b 41. 60 C 62 C lff. 54 C 3 60 C 6 66 C 7 54 C 8 60, 64 d 2ft. 54 e 1 56 e 4 50 e 7 66 e 8ft. 60 166af. 50 a 2ft. 49 a 51. 56 b 9ft. 60 C 5ft. 66 d 2f. 66 e 4 56 166a 6ft. 66 bf. 67 d 1ft. 66 d 2f. 57 d 4ft. 146 e 6ft. 67 167a 3f. 58 a 3ft. 141 a 4ft. 69 C 58 C 1 146

158

Register

d 6 59 d 9fl. 51 158a 62 a

6 60

2ff. 60 C 6 60 e 1f. 60 e 7ft. 37 169a 3 66 a 9f. 36 a 10 66 b lff. 25 b 5f. 25 160b 4f. 71 C 2ff. 68 •c 7 68 d 5ff. 37 d6 34, 69 d 8f. 36 e f. 127 e 3ft. 31, 34 e 9 69 e 13 68 161a 4 68 a llff. 68 b 5f. 77 b 8f. 66 C 3ff. 36 C 9 36, 66, 69 d 1f. 37 d6:ff. 69 dll 38 e 6:ff. 79 e 10ft. 69f. 162a 1f. 79 c lff. 77 d lff. 77 d 7ff. 78 e 2ff. 77 e 8f. 79 163a lf. 79 a 4 79 b 1:ff. 79 b 7f. 79, 134 C 3f. 80, 85 C 4f. 83 d 73 d 3ff. 81 d 6f. 85 e 4 85 e 6f. 84 e lüf. 82, 85, 135 C

164a 1 126 a 1:ff. 85 a 3 96 a 4f. 86 b 1f. 92 *b 7f. 92 b 8f. 93 bllff. 94 C 1 96 C 6 96, 125 dlff. 96f. d 7 97 e 1f. 98 e 6 98 165a 3f. 97 b 5ff. 36 b 8f. 112 C 4 108 C 8 109 d lff. 109 e 3ft. 110 166a 3ft. 110 b 5f. 110 C 2f. 111 C ofl. 112 C 7ff. 36 d 2ff. 112 d 4ff. 112, 150 d 8ff. 112 C 7 124 167a lfi. 124f. •a 4 124 a 9 114 b lff. 114, 131 *b 2f. 125f. b 7f. 115 b lOf. 114 c:ff. 115 168a 3ff. 116 b 2f. 118f. b 5ff. 118 C 4ff. 118 *d lff. 118 d 2 122 d 3ff. 119 e 5 115 e 5fl. 120 169a lff. 123 •a4 123f. a 8 123 b 4f. 127, 137

Anüke Autoren

*b 7f. 131 C 3ft. 124 e 6ft. 126 *170a 1 126 •a 8f. 126 a 7f. 127 •a 10ft. 126 b 7f. 119 d lff. 125, 127 e lff. 127 e 9 119,128 171b 7ff. 128 C 8 127 d 2ft. 128 d4 125 d 6ft. 130 d 8 128 d 9ft. 129 e 3 128 e 5ff. 129 e 7ff. 130 172a 8ff. 131 b 5f. 132 C 2 181 •c 6ft. 181 e 4ft. 132 178a 7f. 183 a 8ff. 184 b 7ft. 134 C 8ft. 184 d lf. 183 d 8ft. 184 d 8ft. 185 d 9 184 e 7 184 •e 8ft. 185 174a 7f. 184 b 10ft. 185 C lf. 187 C 2f. 186 C 8ft. 185 d 1 186 *d 8ft. 186, 138 *d 61. 1871. d 8ff. 138 175a 8ft. 188 b 2f. 188 e 2ft. 60 e 5ft. 138 176a 1f. 60 b lff. 60

Euthydem

271a 41 271c 70, 99 271cff. 100 276aff. 72 277bf. 109 277eff. 73 279a 107 281af. 107 281b 108 281d 107 282d 107 Gorgias

447c f. 99 448bff. 99 449b 101 449df. 101, 108 461af. 103 462aff. 108 468b 108 455b 104 456af. 102 459aff. 104 464aff. 57 464bff. 108 467cff. 116 482e 91 488b 92 488e 58 484b 82, 92 49ldff. 28, 74 492a 28, 74, 98 492c 74 494c 98 508dff. 57 506a 112 506cff. 181 507aff. 180 olle 105 5lldf. 94 512e 94 528b 130 526bf. 180 Hippias maior

295ft. 108 297e 98 Hippias minor

868b 100 368bff. 70

159

160 Kratylos 411b 112 411e 142 432bf. 121

Register

77ef. 58 82b 23 86b 143 98bff. 112 114dff. 58, 143

Laches 178a 41 18leff. 78 186b 104 194d 37 195cf. 93,148 196e 134 197d 73 198e 134 199aff. 148

Phaidros 229ef. 142 237d 116 245cf. 120 253cff. 15 264af. 66 254e 56 266af. 57 267d 68

Lysis 203aff. 41 204b 50 205c 52 21laff. 78 22ldf. 83

Pbilebos lld 98 16cff. 123 55dff. 105 66d 114 67b 98

Menon 76e 73 80a 68 87bff. 76 87 eff. 108

Politeia 338ef. 91 339c 131 363a 103 363eff. 130 368eff. 75 359a 87 364a 23 369b 71 387bf. 121 389df. 65 401d 59 403dff. 57 420cff. 131 430e 23 433a 38, 71 435d 124 436b 115, 118 437e, 115 438aff. 115ff. 438d 105 442cf. 69 473d 104 476dff. 109 477e 131 478a 109 500e 131 608eff. 161 560cf. 24 560df. 70

Nomoi 659df. 58 664b 59 666c 58 699c 70 710a 23 713c 77 716cf. 142 721b 144 730df. 123 812bf. 68 837e 58 887d 58 893b 122 894df. 120 895df. 120 896ef. 121 897af. 120f. 909bf. 58 933d 68 960d 149 965bf. 149f. Phaidon 68cff. 23f.

161

Antike Autoren

683b 114 686dfi. 114 686e 83 607d 137 607ef. 68 616afi. 130 Politikos 306ef. 104 306cf. 71 3llbf. 71 Protagoras 312e 99, 103 313afi. 64 316a 60 316e 80 817bfi. 99 318efi. 99f., 129 819a 101 319cfi. 104 820C :ff. 36, 101 322b 72, 87 822dfi. 86 828a 72 829b 118 387a 78 340afi. 80 340ef. 79f. 842ef. 98 348b 64 349aff. 148 352bf. 106 852c 109, 148 Siebter Brief 824cfi. 49, 53 844b 151 Symposion

177b 73 196c 23 215afi. 61:ff. 219e 42 220df. 62 22lcfi. 62f. Theaitet 143d 64,148 149cf. 68 166c 77 166c 116 167c 87 172af. 87 197b 109 W I tte,

Winenochaft

Timaios 20a 78 20e 46 23c 48 23d 77 90c 144 Plutarch Perikles 13 52 Lykurg

14 48 De E apud Delphos 17,392 A 97

De gen. Socr. 11, 681D 52 Pollux Onomastikon VII, 197 83 Proklos

Comm. ad Tim. l,8U. 46 Prodikos

84 B 2 78f. 84 B 5 78 Sophokles Aias

40 18 51f. 18 69f. 18 1271. 18 132f. 18 606ft. 33 776f. 18 10711. 16 1073:ff. 17 1074:ff. 32 Elektra

69ft. 140 678 37 König Ödipus

646ft. 33 Ödipus auf K.

244ft. 33 Philoktet

1067 105 11

162

Register

Fr. 310 (N.) 40

6.89, 5 19 7.63, 3 105 8.24, 4 19 8.53, 3 10 8.68, 1 89

Theognis

Eleg. l 39:11. 11 1135:11. 11

Xenophon Hellenika 2.3, 2f 48 2.3, 34 48 2.4, 19 46, 49

Thukydides 1.49, 3 105 1.56 41 1.61:11. 42 1.67:11. 42 1.68, 1 19 1.69, 4 30 1.70, 8f. 30, 38 1.84, lf. 19, 31 1.84, 3 19 1.121, 4 105 2.37, 3 17 2.40, 2 38 2.63, 2f. 38 2.87, 4 105 3.82, 2ff. 10 6.87, 3 38

Memorabilien 1.2, 12:11. 47, 49 1.2, 31 49 1.2, 56f. 82 1.2, 58f. 69 2.1, 21:11. 73f. Staat der Lakedaimonier 1,4 48 3,4 26 Symposion 8, 35f. 66

Moderne A uloren Arnim, H. v.

Ast, F. 3 Aubenque, P.

45 100

Becker, T. 4 Bilsen, A. van 5 Bizos, M. 44 Blaß, F. 44 Boersma, J. 6 Bollack, J. 55 Bonitz, H. 4, 117, 126 Boßhardt, E. 40 Boyanc6, P. 58 Brink, C. 0. 83 Broadhead, H. D. 13f. Buccellato, M. 4 Burkert, W. 140 Bumet, J. 37, 46, 124, 126, 131, 135, 136,137 Burton, R. W. B. 29 Comarius 126 Croiset, A. 92, 124, 126, 131, 135, 136, 137

Defradas, J. 97 Deichgräber, K. 22 Diels-Kranz 39, 47, 48, 90, 140 Dieterle, R. 7, 8, 25, 132, 133 Diller, H. 22 Dirlmeier, F. 146 Dodds, E. R. 32, 46 Dörrie, H. 15 Ehrenberg, V. 19, 38, 39, 83 Erffa, C. E. v. 31, 33 Fiehn 41 Flashar, H. 46 Fränkel, E. 15 Friedländer, P. 5, 27, 37, 41 Frisk, H. 40 Fritz, K. v. 73 Gadamer, H. G. 2 Gaiser, K. 7, 59, 123Gauss, H. 117 Gebhardt, E. 81 f. Gigon, 0. 73 f., 81

163

Modeme Autoren Robinson, R. 67, 76 Robde, E. 144 Roscher, W. H. 97 Rosenmeyer, T. G. 46 Ross, W. D. 76

Goethe, J. W. v. 104 Goldbacher, A. 124 Gould, J. 105 91 Grenfell-Hunt Heidegger, M. 144 Heindorf 68, 131, 136 Heinimann, F. 88 Heusde 131 Hoenebeek Hissink 126 Judeich, W.

Salin, E. 37, 48, 92 Sauer, A. 2 Schaarschmidt, C. 3 Schadewaldt, W. 11, 18, 52 Schaerer, R. 106 Schanz, M. 125f., 131, 136 Schirlitz, C. 6 Scbleiermacher, F. lf., 4, 8f., 37, 92,

40f.

Kaibel, G. 40, 66 Kern 40 Kirchner, J. 44, 62 Knauer, A. 4 Kollmann, A. 11 Krämer, H. J. 7, 122f. Kimmerlc, H. 2 Kohm, J. 2 Kühn, J. H. 82 Kühner-Gerth 93, 124, 126, 131 Lain-Entralgo, P. Lesky, A. 43 Lidell-Scott-Jones

124, 135ff. Schneider, K. 41 Schönborn, E. 4 Schultz, R. 31 Schwyzer, E. 144 Schwyzer, H. R. 98, 122 Sciacca, G. M. 6, 117 Snell, B. 21, 106 Spielmann, A. 2 Stallbaum, G. 138 Strycker, E. de 110

68 14, 43, 77, 132, 137,

144 Madvig 136 f. Makkink, A. D. J. 41 Mazon, P. 14 Meuli, K. 140 Murray, G. 14, 31 Muthmann, F. 37 Mutschmann, H. 48

128 Usener, H.

40

Verdenius, W. Vernant, J. P. Vries, G. J. de

J. 2 117

Parke, H. W. - Wormell, D. E. W. Pawlitschek, A. 2 Pinilla, A. 7 Poblenz, M. 4f., 43, 82, 128

M. 7, 39, 43, 48, 61, 124,

Untersteiner,

Natorp, P. 6 Nestle, W. 39 North, H. lOff. Ochmann, Oehler, K.

Taylor, A. E. 117 Tennemann, W. G. 2 Treves, P. 82 Troost, K. 3 Tuckey, T. G. 6, 98, 110, 117, 128 Tugendhat, E. 117

97

J.

31

27 11

Wade-Gery, H. T. 39 Wichmann, 0. 6 Wilamowitz-Moellendorff, 39, 43, 98, 117 Wyss, U. 10 Zeller, E.

3

U. v.

5f., 31,

Bibliographie 1. Ausgaben Platonis opera omniarec. etcomm. instr. G. Stallbaum, vol. V, 1: Laches, Charmides, Alcibiades, Gothae et Erfordiae 1834 Platonis opera quae feruntur omnia ed. M. Schanz, vol. VI, 2: Charmides, Laches, Lysis, Lipsiae 1883 Platonis opera rec. J. Bumet, tom. 3: Theages, Charmides, Laches, Lysis ... , Oxonii 1 1903, repr. 1961 (Zitate nach dieser Ausgabe) Platon, Oeuvres Compl~tes, tom. 2: Hippias maj., Charmide, Lach~s. Lysis, texte etabli et traduit par A. Croiset, Paris '1966 Carmide, testo critico, introd. et comm. di G. Ammendola, Napoli 1930 2. Deutsche Übersetzungen Platons Werke, Ubers. von Fr. Schleiermacher, Teil 1, 2, Berlin 11806, Neuauflage Hamburg 1967 Platons Werke, Ubers. von H. Müller mit Einleitungen von K. Steinhardt, Bd. 1, Leipzig 1860 Platons Dialoge, übers. und erläutert von 0. Apelt, Bd. 3, Leipzig 11922 Platon, Euthyphron, Laches, Charmides, Lysis, Ubertr. und eingeleitet von E. Salin, Basel 1960 Platon, Frühdialoge, eingeleitet von 0. Gigon, übertr. von R. Rufener, Zilrich 1960

3. Einzelabhandlungen Ochmann, J., Charmides Platonis qui fertur dialogus num sit genuinus quaeritur, Diss. Vratislaviae 1827 Spielmann, A., Die Echtheit des platonischen Dialoges Charmides mit Beziehung auf die „Platonische Frage" und mit besonderer Rtlcksicht auf Schaarschmidt's Athetese, Innsbruck 1876 Wolff, E., Platons Charmides filr den philosophisch-propaideutischen Unterricht skizziert, Prgr. d. Andreanums Hildesheim 1876 Becker, Th., Plato's Charmides inhaltlich erläutert, Halle 1879 Pawlitschek, A., Über die ac.>q,poav171"1 in Platon'sCharmides, Gymn.-prgr. Czemowitz

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