Die Wahl des Versammlungsortes: Grundrechtliche Probleme der Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken [1 ed.] 9783428540624, 9783428140626

Die Versammlungsfreiheit ist ein Freiheitsrecht mit einem spezifischen räumlichen Bezug. Mit den privaten öffentlichen R

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Die Wahl des Versammlungsortes: Grundrechtliche Probleme der Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken [1 ed.]
 9783428540624, 9783428140626

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 91

Die Wahl des Versammlungsortes Grundrechtliche Probleme der Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken

Von Martin Prothmann

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN PROTHMANN

Die Wahl des Versammlungsortes

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f V i t z t hu m in Gemeinschaft mit J o c h e n v o n B e r n s t o r f f , M a r t i n He c k e l K a r l -He r m a n n K ä s t n e r, F e r d i n a n d K i r c h h o f H a n s v o n M a n g o l d t , M a r t i n Ne t t e s h e i m T h o m a s O p p e r m a n n , G ü nt e r P ü t t n e r Ba rba ra Remmer t, Michael Ronel lenf itsch Christia n Sei ler sämtlich in Tübingen

Band 91

Die Wahl des Versammlungsortes Grundrechtliche Probleme der Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken

Von Martin Prothmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2012/2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-14062-6 (Print) ISBN 978-3-428-54062-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84062-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Juris­ tischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation ange­ nommen. Mein besonders herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Seine wertvollen Anregungen bei der Erstellung der Arbeit sowie seine ständige Un­ terstützung haben zum Gelingen dieser Dissertation maßgebend beigetragen. Be­ danken möchte ich mich auch bei seinem Lehrstuhl, an dem ich während meiner bisherigen juristischen Ausbildung tätig war, für eine äußerst lehrreiche Zeit und nicht zuletzt auch für die Korrektur des Manuskripts. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich ferner Herrn Prof. Dr. Michael Eichberger, Richter des Bundesverfassungsgerichts. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum gilt mein Dank für die Unterstützung bei der Veröffentlichung der Arbeit in dieser Schriftenreihe. Schließlich bedanke ich mich besonders bei meinen Eltern, die mich während des Studiums und der Promotionszeit stets unterstützt haben. Tübingen, im Februar 2013

Martin Prothmann

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Die Problemstellung: Räumlicher Strukturwandel als Gefahr für die Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I.

Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG . . . . . 20 1. Begriff, Einordnung und Typologie der Grundrechtsvoraussetzungen . . . . . 20 2. Der Begriff des „öffentlichen Raums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Begriffsannäherung und Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 aa) Historische Betrachtungsweise und negativer Ansatz . . . . . . . . . . . . 25 bb) Allgemeine öffentliche Zugänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 cc) Öffentlichkeit des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 dd) Die Geltung des öffentlichen Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Zwischenergebnis: Der Arbeitsbegriff des „öffentlichen Raums“ . . . . . . 29 3. Der öffentliche Raum als reale Ausübungsvoraussetzung des Art. 8 GG . . . 29 a) Die räumliche Komponente der Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Öffentlicher Raum als traditioneller Ort der Versammlungsfreiheit . . . . 32

II.

Der (qualitative) Wandel des öffentlichen Raums: Die Entstehung „privater öf­ fentlicher Räume“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Der räumliche Strukturwandel – Die Festlegung des Untersuchungsgegen­ stands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Ursachen der Entstehung privater öffentlicher Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Errichtung riesiger privater Immobilienareale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Die Privatisierung öffentlicher Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Das sog. „Straßenpachtmodell“ als Entstehungsgrund privater öffent­ licher Räume? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Das Interesse der Demonstranten an privaten öffentlichen Räumen . . . . . . 40 2. Die Rechtslage bei Demonstrationen im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . 42 3. Das Fehlen einfachrechtlicher Nutzungsrechte und die Geltung des privaten Hausrechts in privaten öffentlichen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Rechtfertigung des Untersuchungsgegenstands und Präzisierung der grundrechtlichen Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

10

Inhaltsverzeichnis

D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts . 50 I.

Schutzzweck der Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Politisch-demokratische Traditionslinie: Die Versammlungsfreiheit als „aktivdemokratisches Teilhaberecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Individualfreiheitliche liberale Traditionslinie: Die Versammlungsfreiheit als „klassisches Abwehrrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

II.

Versammlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Die Teilnehmerzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Abgrenzung zur reinen Ansammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Die Anforderungen an den gemeinsamen Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Ablehnung des sog. weiten Versammlungsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Erfordernis der gemeinsamen Meinungsbildung oder -kundgabe . . . . . . 63 c) Bezug zur öffentlichen Meinungsbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

III. „Demonstrationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Begriff der Demonstration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Einbeziehung in den Schutzbereich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 IV. Die Wahrung der „Friedlichkeit“ bei Inanspruchnahme fremder Räume? . . . . 70 V.

Die Wahl des Versammlungsorts als Element der Selbstbestimmung der De­ monstranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Die notwendige Begrenztheit der Wahl des Versammlungsorts . . . . . . . . . . 72 2. Schrankensystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 E. Das private Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

II.

Dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Notwendigkeit einer präzisen dogmatischen Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Ablehnung des § 123 StGB als dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Herleitung aus dem Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Eigentum als dogmatische Grundlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Besitz als dogmatische Grundlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Eigentum und/oder Besitz als dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Stellungnahme: Das Hausrecht als bloßer Sammelbegriff . . . . . . . . . . . . . . 86

III. Hausrechtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Räumliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Inhaltsverzeichnis V.

11

Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Negative und positive Dimensionen des Hausrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Grundsatz der freien Ausgestaltung und Ausübung als Ausdruck der Privat­ autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Hausordnungen als Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Beeinträchtigung des Hausrechts durch eine Demonstration im privaten öf­ fentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) „Hausrechtliche“ Abwehransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Anspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Ansprüche des Besitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Hausverweis und Hausverbot als Mittel des Hausrechts . . . . . . . . . . . . . 95 5. „Grenzen des Hausrechts“: Die Frage nach der Rechtswidrigkeit bzw. Wider­ rechtlichkeit der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Einwilligung – Die bloße Gestattung des Zutritts zum privaten öffent­ lichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Hausrechtsverzicht durch die Öffnung des Raums für die Allgemein­ heit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Modifikation der Hausrechtsausübung: Die Notwendigkeit eines sach­ lichen Grundes bei Öffnung des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 d) Der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens i. S. d. § 242 BGB . . . . . 99

VI. Ergebnis und weiterer Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I.

Art. 13 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Schutzzweck und Einbeziehung von Betriebs- und Geschäftsräumen in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Schutz privater öffentlicher Räume? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

II.

Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

III. Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 IV. Weitere denkbare Grundrechtpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V.

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privatrechts bei Beteiligung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I.

Die Problemstellung: Der Dualismus von Staat und Gesellschaft als grund­ legender Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

II.

Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Be­ teiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Art. 1 Abs. 3 GG als Ausgangspunkt und die Grundrechtsbindung öffent­ licher Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Unzulänglichkeiten der bloßen Grundrechtsbindung der öffentlichen An­ teilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Die Begrenztheit des Einflusses der öffentlichen Hand als Anteilseigner 115 b) Konsequenz: Die Frage der Grundrechtsbindung des Unternehmens selbst sowie der Einwand aus dem Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Eigengesellschaften der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Gemischtwirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Begriff und Wesen des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens . . . . . . 122 b) Untersuchung der Tragfähigkeit der angebotenen Begründungsansätze . 123 aa) Der Grundrechtsgewährleistungsansatz: Die These von der Schutz­ bedürftigkeit privater Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Untauglichkeit funktionaler Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 cc) Vorzugswürdigkeit und nähere Konturen des Beherrschungskriteri­ ums: Die Maßgeblichkeit der Entscheidungsherrschaft . . . . . . . . . . 127 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Grundrechtsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Ergebnis und weiterer Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum im Falle einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I.

Einführung: Das grundrechtsdogmatische Problem eines grundrechtsunmittel­ baren Nutzungsrechts am fremden privaten öffentlichen Raum zu Versamm­ lungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

II.

Abwehrrechtliche oder leistungsrechtliche Konstruktion eines grundrechtsun­ mittelbaren Nutzungsanspruchs aus Art. 8 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Die Nutzung fremder Räume zwischen Freiheit und Leistung . . . . . . . . . . . 138 2. Die Abwehrfunktion der Grundrechte und dessen Vorrang vor anderen Grundrechtsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Die Unbeachtlichkeit der äußeren Form des beanspruchten Verhaltens für die Frage nach der einschlägigen Grundrechtsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Der Grundrechtseingriff als entscheidendes Kriterium des grundrechtlichen Abwehranspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Ausübung „natürlicher“ Freiheit trotz (staatlicher) Bereitstellung eines Sachsubstrats? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Unterlassen der Demonstrationsgewährung als Grundrechtseingriff? . . 151 c) Die Zulassung der Demonstration als abwehrrechtlich gebotene Besei­ tigung des vorausgegangenen Nutzungsverbots (Verbot mit Erlaubnis­ vorbehalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Zwischenergebnis: Die Tragfähigkeit dieses Lösungsansatzes und der weitere Fortgang der Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Inhaltsverzeichnis

13

5. Zur Frage eines (originären) grundrechtlichen Leistungsanspruchs aus Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die Einordnung als originärer Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Die Verneinung eines originären Leistungsanspruchs aus Art. 8 GG . . . 160 6. Ergebnis und Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG bei Inanspruchnahme fremder Räume – Die Frage nach der Begrenzung des Schutzbereichs durch die recht­ liche Güterzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Die Einordnung der Fragestellung in die Diskussion zwischen der engen und der weiten Schutzbereichstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Der grundrechtliche Schutzbereich – Zur Unterscheidung von prima facie und definitivem Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Die Lehre vom Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Die „Theorie der sachlichen Reichweite“ von Friedrich Müller . . . . . . . 167 b) Darstellung der Lehre vom Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Anwendung der Lehre vom Gewährleistungsgehalt auf die vorliegende Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Wortlaut von Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Historisch-genetische Auslegung des Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 173 cc) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Stellungnahme: Die nur beschränkte Aussagekraft der Lehre vom Ge­ währleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Ablehnung der generellen engen Schutzbereichstheorien in Bezug auf die Inanspruchnahme fremder Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Der Vorbehalt der allgemeinen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Gegenläufige Verfassungswerte Dritter als schutzbereichsimmanente Grenze der Grundrechtsausübung (insb. das „Neminem-laedere-Gebot“) 180 aa) Der Fall des „Sprayers von Zürich“ und dessen (stillschweigende) Übertragung auf Art. 8 GG durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 181 bb) Begründungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Stellungnahme: Die Unvermeidbarkeit der Abwägung und deren Be­ arbeitung auf Rechtfertigungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Die Vorzugswürdigkeit der weiten Schutzbereichstheorie . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Die Argumente der weiten Schutzbereichstheorie und die Würdigung der Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Konsequenz: Prima-facie-Recht auf Nutzung fremder privater öffent­ licher Räume zu Versammlungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Zwischenergebnis: Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts im Fraport-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

14

Inhaltsverzeichnis 6. Zusammenfassung der Ergebnisse der Problematik der Nutzung fremder Räume zu Versammlungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn . 193 1. Das private Hausrecht als Schranke im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG . . . . . . 193 2. Die Verfassungsmäßigkeit der Hausrechtsausübung – Der Ausgleich der In­ teressen von Hausherrn und Demonstranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Die Abwägung als Ausgleichsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Einzelne Abwägungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die demokratische Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Art und Ausmaß der Öffnung des Raumes für die Allgemeinheit . . 195 cc) Quantität der Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume . . . . . . 197 dd) Nexus von Ort und Versammlungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 ee) Die Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Ortes 198 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum bei fehlender unmittelbarer Grundrechtsbindung des Hausherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. II.

Der völlig veränderte grundrechtsdogmatische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 200 Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Begriff und Aktualität der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Die Entwicklung der Idee einer Einwirkung der Grundrechte in das Privat­ recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Gewährleistung von Freiheit als „Sinnmitte“ der Grundrechte . . . . . . . . 203 b) Die Ergänzungsbedürftigkeit der Abwehrfunktion der Grundrechte . . . . 204 c) Das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Entdeckung und Entfaltung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte . . . . . . . . . 205 3. Dogmatische Lösungsansätze (das „Wie“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Lehre von der mittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Herkömmliche Begründung: Die Ausstrahlungswirkung . . . . . . . . . 210 bb) Weitere Ansichten der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Die Ansicht von Schwabe: Die Drittwirkung als bloßes „Schein­ problem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Die Ansicht von Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Neuerdings: Schutzrechtliche Konstruktion der Drittwirkungsproble­ matik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Bedeutungslosigkeit der Frage nach der unmittelbaren Grundrechtsbin­ dung? – Die Reichweite der Wirkkraft mittelbarer Grundrechtswirkungen . 219 a) Die Auffangfunktion der mittelbaren Grundrechtswirkungen . . . . . . . . . 219

Inhaltsverzeichnis

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b) Die Unterschiede von mittelbarer und unmittelbarer Grundrechtsbindung 221 c) Die Berücksichtigung einer etwaigen staatlichen Beteiligung im Rahmen der mittelbaren Grundrechtsbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Ergebnis und weiterer Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Das Problem der Inanspruchnahme fremder Räume in dieser Konstellation . . 225 IV. Ausnahmsweise unmittelbare Bindung an Art. 8 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Funktionaler Ansatz: Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die De­ mokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Die (Bedeutungs-)Zunahme privater öffentlicher Räume . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Gefahr der Minderung des Grundrechtsschutzes infolge Privatisierung . . . 228 V.

Grundpflicht aus Art. 14 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion – Die Drittwirkung von Grundrechten im privaten öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Die Grundrechtswirkungen des Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Möglicher Ansatzpunkt einer mittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Die These von der gesteigerten Drittwirkung von Grundrechten im privaten öffentlichen Raum v. a. unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Privatisie­ rungsfolgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts: Die Notwendigkeit des Ausgleichs des Spannungsverhältnisses durch den einfachen (Landes-)Gesetzgeber . . . . . 236 1. Begründung der Notwendigkeit der gesetzlichen Umsetzung . . . . . . . . . . . 236 a) Gesetzgeber als primärer Adressat der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Aspekt der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Wesentlichkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Gesetzgebungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 K. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

A. Einleitung „Als Abwehrrecht […] gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung […].“ Dieser Satz entstammt dem als „Lehrbuch der Versammlungsfreiheit“ be­ zeichneten1 Brokdorf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 und ist seitdem ständige Rechtsprechung.2 Dieses Datum stellt insgesamt für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit die „Geburtsstunde“ der verfassungsge­ richtlichen Rechtsprechung dar.3 Thematisch geht es in Literatur und Recht­ sprechung seitdem insbesondere um Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Demonstrationen,4 den Versammlungsbegriff5 sowie um die Problematik rechts­ extremer Versammlungen.6 Das Recht auf freie Ortswahl dagegen stand nur sel­ ten im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses.7 Lediglich einzelne Fra­ gen im Zusammenhang mit der Nutzung öffentlicher Straßen, Wege, Plätze und Parks wurden teilweise, wenn auch unter weitgehender Vernachlässigung grund­ rechtlicher Aspekte, diskutiert.8 Erst in den letzten Jahren beschäftigt sich die Li­ teratur zunehmend mit Gesichtspunkten der Wahl des Versammlungsorts und entwickelt ein gewisses Problembewusstsein für diesen lange Zeit vernachlässig­ 1 So der Titel des Aufsatzes von Gusy, JuS 1986, S. 608 sowie S. 614; ähnlich HoffmannRiem, in: FS Simon, 1987, S. 379: „Magna Charta der Versammlungsfreiheit“. 2 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343; sowie etwa BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 = BVerfGE 73, 206, 249; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 108; zuletzt: BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251. 3 So spricht das BVerfG im Brokdorf Beschluss selbst davon, dass sich die verfassungs­ gerichtliche Rechtsprechung „bislang mit der Versammlungsfreiheit noch nicht befasst hat“ (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 344). 4 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 359 ff.; BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 = BVerfGE 73, 206, 247 ff.; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 105 f.; aus dem Schrifttum z. B. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 40 ff. m. w. N. 5 Vgl. dazu D.II. 6 Dazu siehe etwa aus der umfangreichen Literatur: Schneider, in Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 8 Rn. 55 ff. m. w. N.; Hoffmann-Riem, NJW 2004, S. 2777 und insb. Battis/Grigoleit, NJW 2001, S. 2051 m. w. N. zum „in der bundes­ deutschen Rechtsgeschichte beispielslosen Konflikt“ der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG und dem OVG Münster. 7 Eine Ausnahme bildet lediglich Burgi, DÖV 1993, S. 633 ff. 8 Vgl. etwa Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985; Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in inner­ städtischen Ballungsbereichen, 1988.

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A. Einleitung

ten Aspekt des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Grund für diesen Bedeu­ tungszuwachs sind zwei unterschiedliche (gesellschaftliche) Entwicklungen im Umfeld des Art. 8 GG: Zum einen haben die an Provokation immer weiter zuneh­ menden rechtsextremen Versammlungen und der als unbefriedigend empfundene behördliche und gerichtliche Umgang hiermit zu erregten politischen Diskussio­ nen geführt und letztlich den Gesetzgeber zur Verschärfung des Versammlungs­ gesetzes in Form der Normierung genereller demonstrationsfreier Zonen um be­ sonders symbolträchtige Orte veranlasst.9 Zum anderen sind nicht zuletzt infolge der Privatisierung von Staatsaufgaben und Staatsunternehmen in großem Umfang riesige öffentliche Räume in privater Trägerschaft entstanden, die die innerörtli­ chen Straßen und Plätze als traditionelle Orte der Begegnung und Kommunika­ tion ergänzt oder gar abgelöst haben und deshalb zunehmend im Interesse der auf Aufmerksamkeit zielenden Demonstranten stehen.10 Indem nun die Hausordnun­ gen dieser unter dem privaten Hausrecht stehenden Räume in der Regel Demons­ trationen verbieten oder von einer Zustimmung des Hausrechtsinhabers abhängig machen, wird befürchtet, dass das Hausrecht in den Rang eines „alles zermalmen­ den Metagrundrecht“ gehoben wird, das alle Grundrechte und speziell das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit „verschluckt“ bzw. aushöhlt.11 Beide Aspekte haben Literatur und Rechtsprechung für die zentrale Bedeutung der Wahl des Versammlungsorts für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sensibilisiert und dazu veranlasst, eine „Zunahme demonstrationsfreier Zonen“12 bzw. einen „Trend zu raumbezogenen Beschränkungen“13 zu beklagen. In der Tat scheint es, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, das historisch betrach­ tet immer wieder auf neue Art und Weise gefährdet war,14 neuerdings insbeson­ dere im Hinblick auf die Wahl des Versammlungsorts unter Druck gerät und vor neue Herausforderungen gestellt wird. Aus diesem Grund ist es das Anliegen der vorliegenden Arbeit sich mit dem bislang vernachlässigten Aspekt der Wahl des Versammlungsorts zu befassen. Im Mittelpunkt sollen dabei die privaten öffentli­ chen Räume und ihr Verhältnis zu Art. 8 GG stehen, eine Thematik, die von einer 9

Konkreter Auslöser waren Pläne von Rechtsextremisten am 8.5.2005, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, am Brandenburger Tor zu demonstrieren. Zur Vorgeschichte etwa Battis/ Grigoleit, NJW 2001, S. 2051; dies., NJW 2001, S. 121. Zur Ergänzung des § 15 des Versamm­ lungsgesetzes des Bundes um einen neuen zweiten Absatz im Frühjahr 2005 zum Schutz von Gedenkstätten an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft (BGBl. I S. 969) aus der um­ fangreichen Literatur statt vieler: Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 161 sowie Enders/Lange, JZ 2006, S. 105; verfassungsrechtlich ak­ zeptiert von BVerfG, Beschl. v. 6.5.2005, 1 BvR 961/05 = NVwZ 2005, S. 1055, 1056. 10 Hierzu etwa Mikesic, NVwZ 2004, S. 788 ff.; Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S.  1393 ff.; Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127 ff.; Holznagel, VVDStRL 68 (2008), S. 381, 390; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100 ff. 11 Fischer-Lescano, Grundrechte-Report 2007, S. 149. 12 So Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 68; Richter, in: FS Steinberger, 2002, S. 899 ff. 13 Lehmann, Versammlungsfreie Zonen, 2010, S. 4. 14 Hoffmann/Riem, NJW 2004, S. 2777, 2782.

A. Einleitung

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großen Anzahl an grundrechtsdogmatischen Problemen geprägt ist, die eine nä­ here wissenschaftliche Untersuchung verlangen. In diesem Zusammenhang stellt sich die grundlegende Frage, ob die bestehende Grundrechtsdogmatik in der Lage ist, die Herausforderung für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aufgrund der zunehmenden Entstehung und Bedeutung der öffentlichen Räume im Eigen­ tum einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts dogmatisch über­ zeugend zu bewältigen.15 Hierzu soll das vor kurzem ergangene sog. FraportUrteil des Bundesverfassungsgerichts,16 das Anlass der vorliegenden Arbeit ist, einer kritischen, grundrechtsdogmatischen Würdigung unterzogen werden. Wei­ terhin soll aber auch der noch nicht näher behandelten Frage nach der Zulässig­ keit von Demonstrationen in jenen privat(isiert)en öffentlichen Räumen nachge­ gangen werden, die im Eigentum einer nicht unmittelbar grundrechtsgebundenen natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts stehen, die sich ihrerseits auf Grundrechte berufen kann.

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Vgl. allgemein zu Begriff und Funktion der Dogmatik sowie deren Variabilität aufgrund externer Ursachen wie Veränderungen des gesellschaftlichen Umfelds Volkmann, JZ 2005, S. 261, 262 f. 16 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226 ff.

B. Die Problemstellung: Räumlicher Strukturwandel als Gefahr für die Versammlungsfreiheit Die eingehende wissenschaftliche Untersuchung einer Thematik setzt zu Be­ ginn die präzise Diagnose der konkreten Problematik voraus. Dies soll im Folgen­ den erbracht werden. Hierbei wird im Ausgangspunkt dargestellt, dass der sog. öf­ fentliche Raum eine Grundrechtsvoraussetzung der Versammlungsfreiheit ist. Im Anschluss wird gezeigt, wie der räumliche Strukturwandel, oft auch als Wandel des öffentlichen Raums bezeichnet, zu Gefahren für die Ausübung dieses Grund­ rechts führt.

I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG 1. Begriff, Einordnung und Typologie der Grundrechtsvoraussetzungen Unter Grundrechtsvoraussetzungen versteht man „Faktoren rechtlicher oder re­ aler Art, von denen die effektive Geltung der Grundrechtsnormen oder die Mög­ lichkeit ihrer praktischen Wahrnehmung abhängt“.1 Es geht um die Bedingungen die gegeben sein müssen, damit der Grundrechtsberechtigte von dem Freiheitsan­ gebot tatsächlich Gebrauch machen kann und so das Grundrecht zur Wirksam­ keit, das heißt zur „praktischen Einlösung“ gelangt.2 Die Thematik der Grund­ rechtsvoraussetzungen ist damit nicht auf die außer Frage stehende normative Geltung der Grundrechte bezogen, sondern sie beschäftigt sich mit der davon zu trennenden Frage der (realen) Wirksamkeit der Grundrechte.3 Dabei geht es ihr im Kern nicht um die praktische Wirksamkeit der Grundrechte im Gesamten, son­ dern vielmehr um die des jeweiligen Grundrechts. Denn Grundrechtsvorausset­ 1

Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 49; ähnlich P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 21 Rn. 7 sowie Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S.  57 ff. 2 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 49, 59, 70. 3 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 57 ff. m. w. N. zum Unterschied von (realer) Wirksamkeit einer Norm und ihrer (normativen) Geltung.

I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG 

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zungen lassen sich nicht pauschal für alle Grundrechte gemeinsam formulieren, sondern sie sind differenzierend mit Blick auf das jeweilige Grundrecht und ihre spezifische Thematik herauszuarbeiten.4 Möchte man die Kategorie der Grundrechtsvoraussetzungen ins verfassungs­ dogmatische Umfeld einordnen, so muss man sie zum einen von der allgemeine­ ren Kategorie der „Verfassungsvoraussetzungen“ abgrenzen, die sich im Gegen­ satz zu Ersterer nicht nur auf die Grundrechte, sondern auf die Verfassung im Ganzen bezieht.5 Zum anderen ist sie aber auch von der mit ihr verwandten Ka­ tegorie der „Verfassungserwartungen“ zu trennen. Hierunter versteht man „die nicht rechtlich gebotenen und erzwingbaren Erwartungen an die Grundrechts­ träger dahin, dass sie ihre grundrechtliche Freiheit alles in allem gemeindienlich wahrnehmen.“6 Im Unterschied zu den hier interessierenden Grundrechtsvoraus­ setzungen, die vom Grundrechtsträger aus auf das staatlich-gesellschaftliche Um­ feld blicken, geht die Perspektive der Grundrechtserwartungen in umgekehrter Richtung vom Gemeinwohl hin zum einzelnen Grundrechtsträger.7 Ausgangspunkt der Theorie der Grundrechtsvoraussetzungen ist die Erkennt­ nis der fehlenden Autarkie der Grundrechte, das heißt der Abhängigkeit der je­ weiligen Freiheitsverbürgung von Faktoren, die außerhalb ihres Gewährleistungs­ bereichs liegen und von deren Vorliegen das „Funktionieren“ eines Grundrechts abhängt.8 Es geht ihr um die Betrachtung der „Umwelt“ einer Grundrechts­ norm, das heißt sowohl des rechtlichen als auch des tatsächlichen Rahmens in der das jeweilige Grundrecht existiert und mit der es in „Symbiose“ lebt.9 Sie verknüpft damit den grundrechtlichen mit dem außergrundrechtlichen Bereich.10 Beispiele für solche „Verflechtungen mit außergrundrechtlichen Faktoren“11 gibt 4

Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 50, 61 und 68 ff. 5 Vgl. dazu Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 50; zu den Verfassungsvoraussetzungen erstmals und grundlegend Krüger, in: FS Scheuner, 1973, S. 285 ff. 6 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 53 sowie Rn. 204 ff., 282 ff.; vgl. dazu grundlegend Krüger, in: FS Scheuner, 1973, S. 285, 302 f. 7 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 53. 8 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 52, 84; Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S.  62 f. 9 Vgl. Krüger, in: FS Scheuner, 1973, S. 285, 286, der die Formulierung von der „Umwelt“ einer Norm prägte, aber auch den Vergleich mit der „bürgerlich rechtlichen Geschäftsgrund­ lage“ anstellte; siehe auch Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 51. 10 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 51. 11 So die Formulierung von Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 55.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

es zuhauf:12 So setzt etwa die Pressefreiheit eine privatwirtschaftliche Infrastruk­ tur von Verlag und Redaktion voraus, die Koalitionsfreiheit verlangt funktionsfä­ hige Tarifparteien, die Verfassungsgarantie des Religionsunterrichts an öffentli­ chen Schulen braucht geeignete Lehrer sowie Religionsgemeinschaften oder wer etwa das Grundrecht der Ehe und Familie in Anspruch nehmen will, braucht einen Partner und ein Kind. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Grundrechte nicht im „luftleeren Raum“ existieren, sondern stets in einem Umfeld wirken, also ab­ hängig sind von der realen Welt und deren Veränderungen. Deshalb entstehen durch Wandlungen in der grundrechtsrelevanten Wirklichkeit häufig neue Her­ ausforderungen oder „Anfragen“ an das jeweilige Grundrecht, wie etwa die tech­ nischen Entwicklungen im Bereich der elektronischen Medien eindrucksvoll il­ lustrieren.13 Stets geht es dabei um die entscheidende Frage, wie das jeweilige Grundrecht „in einer veränderten Umwelt zur Wirkung gebracht werden“ kann.14 Versucht man die Grundrechtsvoraussetzungen zu kategorisieren, so bietet sich der Ansatz Isensees15 an,16 der zwischen Wirksamkeits- und Ausübungsvorausset­ zungen, strukturellen und situativen, rechtlichen und realen sowie regulierbaren und unregulierbaren Voraussetzungen unterscheidet. Auf diese einzelnen Katego­ rien soll hier nicht näher eingegangen werden, da diese zum einen für die vorlie­ gende Thematik von keiner gesteigerten Relevanz sind und zum anderen sich hie­ raus auch keinerlei Erkenntnisgewinn ergibt. 2. Der Begriff des „öffentlichen Raums“ Neben der wissenschaftlich oft wenig beachteten Figur der Grundrechtsvor­ aussetzungen bedarf auch der schillernde Begriff des „öffentlichen Raums“ einer näheren Betrachtung. Eine vertiefte Auseinandersetzung hiermit ist gerade des­ halb von Nöten, da die Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands der vor­ liegenden Arbeit, der „private öffentliche Raum“, maßgeblich durch die Krite­ rien zur Bestimmung des öffentlichen Raums gesteuert wird. Ganz im Sinne der auf den Kontext einer Grundrechtsnorm gerichteten Betrachtungsweise der Theo­ rie der Grundrechtsvoraussetzungen bedarf es dabei einer Öffnung des Blicks auf 12 Zu diesen und weiteren Beispielen: Krüger, in: FS Scheuner, S. 285, 286; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 68, 71 ff., 99 m. w. N.; P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. I, § 21 Rn. 1 u. Rn. 30. 13 Vgl. P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 21 Rn. 39. 14 P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 21 Rn. 40. 15 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 70 ff. 16 Einen anderen Ansatz wählt P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 21 Rn. 7 ff., der zwischen Entstehens-, Geltungs-, Erkenntnis-, Wir­ kungs- und Wahrnehmungsvoraussetzungen der Grundrechte unterscheidet.

I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG 

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die Erkenntnisse verschiedenster Nachbarwissenschaften, wie der Politik-, Sozialund Kulturwissenschaften, da es sich bei dem Terminus des „öffentlichen Raums“ um einen interdisziplinären Begriff handelt. a) Einführung Der wohl aus der Alltagssprache bzw. dem (raum-)soziologischen Schrifttum entstammende Begriff des „öffentlichen Raums“ hat in den verschiedensten wis­ senschaftlichen Disziplinen in den vergangenen Jahren eine hohe Aufmerksam­ keit erfahren.17 Grund hierfür ist neben der Renaissance des eine „hohe Bedeu­ tungsvariabilität“ aufweisenden Begriffs des „Raums“, die generelle Tendenz zur Verräumlichung von Problemstellungen in etlichen Wissenschaften.18 Deshalb verwundert es nicht, dass diese Bezeichnung auch in das juristische Schrifttum und in die Rechtsprechung in den letzten Jahren Einzug gefunden hat.19 Sogar der (landesrechtliche) Gesetzgeber hat diesen Begriff vereinzelt verwendet.20 Ver­ sucht man nun sich dem eine Vielzahl von Assoziationen hervorrufenden Begriff des „öffentlichen Raums“ wissenschaftlich zu nähern,21 so zeigt sich ein diffuses, unscharfes und verworrenes Meinungsbild. Dieser Befund gilt insbesondere für das (raum- bzw. stadt-)soziologische Schrifttum, in dem es inzwischen eine kaum noch zu überblickende Anzahl an Definitionsversuchen gibt.22 Aber auch im ju­ ristischen Schrifttum zeigt sich eine allgemeine Verunsicherung mit dem Begriff des „öffentlichen Raums“, deren Ursache letztlich darin liegt, dass es sich hierbei 17 Vgl. statt vieler jeweils m. w. N.: Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 44 f.; Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 11 sowie Klamt, Verortete Nor­ men, 2007, S. 19, der dem Begriff des öffentlichen Raums inzwischen sogar eine „gewisse Floskelhaftigkeit“ bescheinigt (S. 29). 18 Klamt, Verortete Normen, 2007, S. 27 ff.; Schroer, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 35 ff. sowie Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79 jeweils m. w. N. Vgl. zum Denken in räumlichen Kategorien speziell in Bezug auf die Grundrechte und dessen Kri­ tik aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 26 ff. m. w. N. 19 Statt vieler Gusy, VerwArch. 92 (2001), S. 344; ders. JZ 2009, S. 217; Zscherpe, in: Tae­ ger/Dabel, Kommentar zum BDSG, 2010, § 6 b Rn. 35; Mohrdieck, Privatisierung im Be­ reich öffentlicher Verkehrsräume, 2004, S. 57 ff. sowie Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 44 ff. m. w. N. zur Verwendung des Begriffs des „öffentlichen Raums“ im rechtswis­ senschaftlichen Schrifttum. 20 Vgl. Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 81 f. mit Hinweisen auf das SchleswigHolsteinische Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum vom 13. Dezember 2003 (GVOBl. SH, S. 481), § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen vom 31. März 1999 (SächsGVBl., S. 161) sowie §§ 4, 8 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (HmbGVBl., S. 187). 21 Vgl. zu den Assoziationen die dieser Begriff hervorruft Klamt, Verortete Normen, 2007, S. 38: „Agora, Diskurs, Treffpunkt, Platz, Piazza, Popkonzert, nicht privat, zugänglich, ur­ ban, Spiegel der Gesellschaft“. 22 Vgl. dazu näher Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 17 ff. so­ wie Klamt, Verortete Normen, 2007, S. 40 ff. jeweils m. w. N.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

um keinen Rechtsbegriff handelt. Hinzu kommt, dass er vielfach, nicht zuletzt so­ gar auch vom Gesetzgeber,23 ohne nähere Reflexion als „Schlagwort“ verwendet wird.24 Selbst bei denjenigen, die sich mit diesem Begriff näher auseinanderset­ zen, bestehen höchst unterschiedliche Vorstellungen, was ein öffentlicher Raum ist bzw. was einen solchen kennzeichnet.25 So werden teilweise hierunter aus­ schließlich die öffentlichen Straßen, Wege und Plätze gefasst.26 Andere dagegen sprechen davon, dass diese lediglich den „Großteil“ des öffentlichen Raums aus­ machen.27 Was dann aber sonst noch von dem „öffentlichen Raum“ umfasst sein soll, bleibt in der Regel unklar. Bereits diese kurzen Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass es bisher nicht gelungen ist, den Begriff einer präzisen, überzeugenden und allgemein aner­ kannten Begriffsdefinition zu unterziehen. Letztlich führt die Beschäftigung mit dem „öffentlichen Raum“ zur Erkenntnis, dass eine solche „harte“ Begriffsdefini­ tion auch wenig Aussicht auf Erfolg verspricht, sondern allenfalls eine Begriffsan­ näherung möglich ist.28 Eine solche soll auch im Folgenden versucht werden. Hier­ bei wird „Raum“ in einem räumlich-gegenständlichen Sinne verstanden.29

23 Vgl. § 8 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei, der in der amtlichen Überschrift von „Datenerhebung im öffentlichen Raum und an besonders gefähr­ deten Objekten“ spricht, dann jedoch in Abs. 3 die Formulierung „öffentlich zugängliche Orte“ und in den Abs. 5 und 6 „öffentlichen Verkehrsraum“ verwendet, d. h. gerade nicht den Begriff des „öffentlichen Raums“. 24 Symptomatisch hierfür statt vieler: Zscherpe, in: Taeger/Dabel (Hrsg.), Kommentar zum BDSG, 2010, § 6 b Rn. 31 ff., der im Rahmen der Kommentierung des Begriffs des „öffentlich zugänglichen Raums“ auf einmal in Rn. 35 stattdessen vom „öffentlichen Raum“ und vom „nicht-öffentlichen Raum“ spricht, ohne diese Begrifflichkeiten näher zu erläutern; vgl. auch Martini, DÖV 2008, S. 10, der vielfach vom „öffentlichen Raum“ spricht, ihn aber nie defi­ niert oder auch nur näher umschreibt. 25 Vgl. Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79 Fn. 3. 26 Z. B. Rixen, DVBl. 2007, S. 221, 224 („Gelände, das dem straßenrechtlichen Gemein­ gebrauch unterliegt“); wohl auch Wehrheim, Die überwachte Stadt, 2002, S. 48 f. 27 So etwa Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S. 3, nach dem öffentlicher Raum „neben wenigen Ausnahmen nur noch aus Straßen besteht“, wobei offen bleibt, was die „Ausnahmen“ sind; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 44 und S. 227 spricht da­ von, dass die öffentlichen Straßen, Wege und Plätze den „wesentlichen Teil“ des öffentlichen Raums neben Park- und Grünanlagen sowie Anlagen der kommunalen Verkehrsbetriebe aus­ machen; Gusy, VerwArch. 92 (2001), S. 344, 349 („Denn öffentlicher Raum mit seinen Plät­ zen, Parks und Wäldern ist mehr als der ausschließlich oder überwiegend verkehrszentrierte Straßenraum“). 28 So auch Klamt, Verortete Normen, 2007, S. 39; skeptisch bzgl. der Begrifflichkeit des „öffentlichen Raums“ Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 2/3, S. 160, 161 („unscharfe und damit fragwürdige Beschreibungskatego­ rie“). 29 Zu den verschiedenen Raumbegriffen bzw. Raumkonzepten ausführlich jeweils m. w. N.: Klamt, Verortete Normen, 2007, S. 27 ff.; Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 82 f. so­ wie Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 17 ff.

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b) Begriffsannäherung und Kriterien aa) Historische Betrachtungsweise und negativer Ansatz Versucht man eine solche Annäherung an den Begriff des „öffentlichen Raums“, so bietet sich im Ausgangspunkt eine negative Begriffsumschreibung an. Dem­ nach ist der öffentliche Raum derjenige Raum, der „nicht den oder dem Privaten vorbehalten ist.“30 Auch wenn ein solch rein negativer Ansatz regelmäßig wenig zum Verständnis eines Begriffes beiträgt, so zeigt er doch, dass der „öffentliche Raum“ der idealtypische Gegensatz zum „privaten Raum“ ist.31 Diese Dichoto­ mie beider Raumtypen hat eine lange Tradition:32 Während der Marktplatz als der Mittelpunkt des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens bereits seit der grie­ chischen Antike (Agora) das typische Beispiel für den „öffentlichen Raum“ dar­ stellt, war die Wohnung als Ort der Privatheit oder Privatsphäre seit jeher der ty­ pische „private Raum“. Diese raumkategorische Unterteilung wurzelt letztlich in der historisch grundlegenden Unterscheidung zwischen „öffentlich“ und „privat“, die ihren Ursprung ebenfalls bereits im antiken Griechenland hat. Hier wurde die (öffentliche) Sphäre der allen freien Bürgern gemeinsamen polis von der Sphäre des oikos, dem Privaten, getrennt.33 Trotz eines permanenten Bedeutungswandels und unterschiedlichen Verständnisses, was man genau unter „öffentlich“ und „pri­ vat“ zu verstehen habe und wo die jeweiligen Grenzen verlaufen, hat diese Dicho­ tomie und damit auch die Raumunterteilung in privaten und öffentlichen Raum eine lange Tradition. bb) Allgemeine öffentliche Zugänglichkeit Sucht man nun neben dieser rein negativen Bestimmung nach positiven Kri­ terien des öffentlichen Raums, so ist ein solches erstes Kriterium die allgemeine Zugänglichkeit, die diesen Raumtypus in Abgrenzung zum privaten Raum kenn­ zeichnet.34 Zur näheren Bestimmung was sich hierunter verbirgt kann an das da­ tenschutzrechtliche Schrifttum zu § 6 b BDSG angeknüpft werden, da dort im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Videoüberwachung vom „öffentlich zu­ 30

Gusy, JZ 2009, S. 217. Statt vieler Gusy, JZ 2009, S. 217; Mohrdieck, Privatisierung im Bereich öffentlicher Ver­ kehrsräume, 2004, S. 57, 59; Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 83 sowie aus dem so­ ziologischen Schrifttum Schroer, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 35, 46 ff. 32 Näher zu den historischen Wurzeln des öffentlichen Raums Ernst, in: FS Schmidt-­ Jortzig, 2011, S. 79, 85 ff. sowie Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S.  25 ff. jeweils m. w. N. 33 Näher zur historischen Entwicklung Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 56 f. 34 Vgl. Gusy, JZ 2009, S. 217; Mohrdieck, Privatisierung im Bereich öffentlicher Verkehrs­ räume, 2004, S. 57; Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 87. 31

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

gänglichen Raum“ die Rede ist. Gemeinhin wird hierunter ein Raum verstanden, der dazu bestimmt ist von einer unbestimmten Anzahl von Personen betreten zu werden, bei dem also der Zutritt gerade nicht auf einen individuellen Personen­ kreis beschränkt ist.35 Die hierauf gerichtete Zweckbestimmung kann sich da­ bei entweder aus einer öffentlich-rechtlichen Widmung oder aus dem ausdrück­ lichen oder konkludenten Willen des (Hausrechts-)Berechtigten ergeben.36 Für die Einordnung als „öffentlich zugänglicher Raum“ unerheblich ist eine zeitli­ che Beschränkung der Öffnung, wie es typischerweise etwa bei Kaufhäusern („Öffnungszeiten nur von 10 bis 20 Uhr“) oder Restaurants der Fall ist.37 Eben­ falls keine Rolle spielt es, ob der Zutritt faktisch möglich ist. Denn entscheidend ist allein, ob der Raum dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist oder „nach dem erkennbaren Willen des Berechtigten von jedermann genutzt oder betreten wer­ den“ kann.38 Daher gilt auch ein offener, unbewachter Eingang zu einem Firmen­ gelände bei dem keine Kontrolle an der Pforte stattfindet, als nicht öffentlich zu­ gänglich, obwohl jeder faktisch das Gelände betreten kann. Denn der Wille des Berechtigten geht dahin, den Zugang nur für Personen zu gestatten, die bei ihm arbeiten oder sonst in einer geschäftlichen Beziehung zu ihm stehen.39 Gleiches gilt für andere faktisch zugängliche Räume, deren Nichtöffentlichkeit durch Ver­ botsschilder oder den Kontext der Umgebung erkennbar ist.40 Demnach sind Bei­ spiele für öffentlich zugängliche Räume die Verkaufsräume eines Warenhauses, die Schalterhallen der Post bzw. der Bahn, U- und S-Bahnstationen, Einkaufszen­ tren (ausgenommen aber Lager- oder Personalräume u. ä.) sowie die Einkaufspas­ sagen.41 Aber auch öffentliche Straßen, Wege und Plätze sowie Parkanlagen sind öffentlich zugängliche Räume. Nicht öffentlich zugängliche Räume sind demge­ genüber neben den bereits erwähnten Firmengeländen vor allem die durch Art. 13 GG grundrechtlich geschützten Wohnungen. Denn diese hat „der Berechtigte der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen“ und zur Stätte seiner räumlichen Privat­ sphäre gemacht.42 Aber auch Theater, Museen, Stadien, Busse, Flugzeuge und Schwimmbäder usw. sind – abgesehen von den Eingangsbereichen – nicht öffent­ 35

Scheja/Haag, in: Leupold/Glossner (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht, 2011, Teil 4, Datenschutzrecht, Rn. 225; Scholz, in: Simitis (Hrsg.), Bundesdatenschutzge­ setz, 2011, § 6 b Rn. 42. 36 Scholz, in: Simitis (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, 2011, § 6 b Rn. 42. 37 Wedde, in: Däubler/Klebe u. a. (Hrsg.), Kompaktkommentar zum BDSG, 2010, § 6 b Rn. 20. 38 Gola/Schomerus, in: dies. (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, Kommentar, 2012, § 6 b Rn. 8; Zscherpe, in: Taeger/Dabel, Kommentar zum BDSG, 2010, § 6 b Rn. 32. 39 Gola/Schomerus, in: dies. (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, Kommentar, 2012, § 6 b Rn. 9. 40 Wedde, in: Däubler/Klebe u. a. (Hrsg.), Kompaktkommentar zum BDSG, 2010, § 6 b Rn. 22. Man denke etwa an ein Wohnhaus bei dem die Eingangstür geöffnet wird um den frisch geputzten Fußboden trocknen zu lassen. 41 Vgl. dazu Bergmann/Möhrle/Herb, in: dies. (Hrsg.), Datenschutzrecht, Kommentar, § 6 b Rn. 25 ff. 42 Christoph, Das Hausrecht in der Verwaltung, 1996, S. 7 f.

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lich zugänglich. Grund ist, dass der Berechtigte hier gerade nicht den Raum je­ dermann und voraussetzungslos öffnet, sondern eine individuelle Eingangskont­ rolle stattfindet, da nur diejenigen den Raum betreten dürfen, die ein Ticket bzw. eine Eintrittskarte haben.43 Diesen Räumen fehlt es damit an der den öffentlich zu­ gänglichen Raum charakterisierenden allgemeinen und voraussetzungslosen Zu­ gänglichkeit. cc) Öffentlichkeit des Raumes Damit nun dieser so umschriebene öffentlich zugängliche Raum zum „öffentli­ chen Raum“ wird, bedarf es eines zusätzlichen Elements, da andernfalls auf die­ sen Begriff verzichtet werden könnte. Dieses qualifizierende Element ist die sog. Öffentlichkeit des Raumes.44 Hierbei handelt es sich um einen vielschichtigen und äußerst komplexen Begriff, auf den hier nicht einmal auch nur ansatzweise einge­ gangen werden kann. Wie soeben dargelegt, geht es dem Kriterium der öffentlichen Zugänglichkeit um das jedermann voraussetzungslos gewährte Recht, den Raum zu betreten. Dies reicht jedoch noch nicht aus, um einen Raum als „öffentlich“ zu qualifizieren. Vielmehr bedarf es einer über die reine Betretungsbefugnis hinausgehenden all­ gemeinen und freien Nutzbarkeit dieses Raumtypus.45 Hierunter versteht man zum einen, dass neben dem Zutritt auch die daran anschließende Nutzung keiner per­ sonellen Beschränkung unterworfen ist, und zum anderen, dass der Raum in sach­ licher Hinsicht für die verschiedensten Nutzungsformen offen steht und auch tat­ sächlich von den Interessenten zu ganz unterschiedlichen Zwecken genutzt wird. Demnach ist ein Kennzeichen des „öffentlichen“ Raums, dass er nicht ganz be­ stimmten, fest umgrenzten Zwecken dient, wie es etwa bei einem Theater, einem Sportplatz oder einem Restaurant der Fall ist, sondern dass hier Menschen zusam­ menkommen um nach freiem Belieben den verschiedensten Tätigkeiten nachkom­ men zu können.46 In diesem Sinne wird ein „öffentlicher Raum“ als Ort der Kom­ munikation, der Begegnung, des kulturellen und sozialen Lebens, der politischen Aktionen und des menschlichen Aufeinandertreffens verstanden.47 Ein markan­ 43 Anders dagegen Bergmann/Möhrle/Herb, in: dies. (Hrsg.), Datenschutzrecht, Kommen­ tar, § 6 b Rn. 22 sowie Scholz, in: Simitis (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, 2011, § 6 b Rn. 45 f., die auch Stadien, Museen, Theater und öffentliche Verkehrsmittel vom Begriff des „öffentlich zugänglichen Raum“ umfasst sehen, sofern nur jede beliebige Person die Zutritts­ voraussetzungen (Zahlung eines Entgelts bzw. Erwerb einer Eintrittskarte) erfüllen kann. 44 So wohl auch Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 87. 45 Vgl. zum Verhältnis des Begriffs der „Benutzung“ als Oberbegriff zum Begriff des „Be­ tretens“ auch Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 75. 46 Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S. 21. 47 Vgl. etwa Mohrdieck, Privatisierung im Bereich öffentlicher Verkehrsräume, 2004, S. 57 f. sowie zur demokratischen Bedeutung des öffentlichen Raums Ernst, in: FS SchmidtJortzig, 2011, S. 79, 87 ff.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

tes Beispiel für einen solchen „öffentlichen“ Raum ist die Fußgängerzone oder all­ gemein die innerstädtische Straße, die weit mehr sind als ein Ort der Fortbewe­ gung.48 Hier begegnen sich Menschen, treten miteinander in Kontakt oder aber verweilen einfach nur in einem Café oder auf einer Parkbank. Ein solcher Ort steht den vielfältigsten Nutzungsformen offen und ist somit ein klassischer Ort der „Öffentlichkeit“. dd) Die Geltung des öffentlichen Sachenrechts Als drittes Kriterium eines öffentlichen Raums ist nach der hier vertretenen Auffassung das Bestehen öffentlich-rechtlicher Bindungen, insbesondere die Gel­ tung des öffentlichen Sachenrechts zu nennen.49 Hierfür spricht, dass unter dem Begriff des „öffentlichen Raums“ seit jeher solche Flächen thematisiert werden, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie infolge öffentlicher Zweckbestim­ mung dem öffentlichen Sachenrecht und dessen besonderen rechtlichen Wirkun­ gen unterliegen (z. B. Marktplätze, Fußgängerzonen etc.). Neben diesem histo­ risch-faktischen Argument ermöglicht dieses Kriterium aber auch eine sinnvolle Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands der vorliegenden Arbeit, das heißt des privaten öffentlichen Raums. Denn würde man zur Charakterisierung des öf­ fentlichen Raums maßgebend auf die Eigentumsverhältnisse abstellen, dann wür­ den jene Straßen, Parks und andere Flächen, die im Eigentum einer Person des Privatrechts stehen, auch dann nicht zum öffentlichen Raum gehören, wenn sie zu einer öffentlichen Sache gewidmet sind. Dass eine solche Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem öffentlichen Raum anhand der Eigentumslage wenig sinnvoll ist, ergibt sich daraus, dass es für die Rechtslage, wie die weiteren Aus­ führungen zeigen werden, weniger darauf ankommt, wer der jeweilige Eigentü­ mer der Fläche ist, sondern es vielmehr entscheidend ist, ob diese zur öffentlichen Sache gewidmet und daher den spezifisch sachenrechtlichen Nutzungs- und Herr­ schaftsverhältnissen unterliegt. Denn in diesem Fall wird das bürgerlich-rechtli­ che Eigentum zu einer bloß „formalen Position“ zurückgedrängt und durch die Be­ gründung einer öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft überlagert.50 Das Verhältnis zwischen Nutzungsinteressent und Sacheigentümer unterliegt dann nicht dem rein privatrechtlichen Nutzungs- und Herrschaftsrecht, sondern mit dem öffentlichen Sachenrecht einem spezifisch öffentlich-rechtlichen Regime.

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Vgl. hierzu und zur Diskussion um den „kommunikativen Gemeingebrauch“ z. B. Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 108 ff. 49 So auch Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Be­ gründung zu § 21 Ziff. I. 1. 50 Vgl. dazu m. w. N. Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 52, 59 f.

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c) Zwischenergebnis: Der Arbeitsbegriff des „öffentlichen Raums“ Die vorangegangenen Ausführungen waren ein Versuch der Annäherung an den äußerst komplexen Begriff des „öffentlichen Raums“. Nach der hier vertre­ tenen Auffassung wird dieser durch drei Kriterien gekennzeichnet, die kumula­ tiv vorliegen müssen, damit von einem „öffentlichen Raum“ gesprochen werden kann. Aus diesem Grund wird wenn in der vorliegenden Arbeit vom „öffentlichen Raum“ die Rede ist, ein öffentlich-zugänglicher Raum verstanden, der ein Ort von Öffentlichkeit ist und der aufgrund öffentlich-rechtlicher Sachherrschaft den spe­ zifischen Herrschafts- und Nutzungsverhältnissen des öffentlichen Sachenrechts unterliegt.51 Angesichts dieses Verständnisses des öffentlichen Raums fallen dar­ unter vor allem innerstädtische Straßen, Fußgängerzonen und Marktplätze. 3. Der öffentliche Raum als reale Ausübungsvoraussetzung des Art. 8 GG Nachdem geklärt wurde, was sich hinter der Kategorie der Grundrechtsvoraus­ setzungen verbirgt und im Anschluss daran der Begriff des öffentlichen Raums näher untersucht wurde, stellt sich nun die Frage, ob letzterer eine solche Grund­ rechtsvoraussetzung in Bezug auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar­ stellt. Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst der Blick auf den grund­ sätzlichen Zusammenhang zwischen der Versammlungsfreiheit und dem „Raum“ bzw. der Fläche gerichtet werden. Angesprochen ist damit die räumliche Kom­ ponente der Versammlungsfreiheit. a) Die räumliche Komponente der Versammlungsfreiheit Die Versammlungsfreiheit ist ein Freiheitsrecht mit einem spezifischen räum­ lichen Bezug.52 Dies wird deutlich wenn man sich drei Aspekte vergegenwärtigt: Zunächst benötigen Personen um sich versammeln zu können einen Raum bzw. eine Fläche als Ausübungsgrundlage. Denn nach allgemeiner Ansicht verlangt die Qualifizierung als „Versammlung“ im Sinne von Art. 8 GG das räumliche Zu­ sammensein der Teilnehmer, erfordert also deren körperliche Anwesenheit an einer bestimmten Örtlichkeit.53 Aus diesem Grund ist die Ausübung der Ver­ 51

Ähnlich wie hier Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 2/3, S. 160 ff. 52 Vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 265 („spezifischem Raumbezug“). 53 Aus diesem Grund werden die sog. „virtuellen Versammlungen“ nicht von Art. 8 GG erfasst. Dazu für die ganz h. M. Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 45; a. A. Pötters/Werkmeister, ZJS 2011, S. 222, 226.

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sammlungsfreiheit notwendigerweise auf die Inanspruchnahme von Grund und Boden als Versammlungsfläche angewiesen.54 Ohne zur Verfügung stehenden Raum bzw. Fläche ist die Durchführung einer Versammlung nicht möglich; diese sind also für die Ausübung der Versammlungsfreiheit unverzichtbar.55 In diesem Sinne spricht nun das Bundesverfassungsgericht sogar von einem „besonderen Raumbedarf“ der Versammlungsfreiheit.56 Hintergrund ist das Wesen der Ver­ sammlungsfreiheit als ein Kollektivgrundrecht,57 das aufgrund der regelmäßig großen Anzahl an Demonstranten eines „besonderen“ Raumes bedarf, der Kapa­ zitäten für eine solche Menschenmasse aufweist. Nun kommt ein zweiter Aspekt hinzu, der nicht nur die räumliche Kompo­ nente der Versammlungsfreiheit sondern auch deren „besonderen Raumbedarf“ näher verdeutlicht. Es reicht nämlich nicht aus, dass den Demonstranten irgend­ ein Raum zur Verfügung steht, etwa eine Fläche am Stadtrand weit entfernt von bewohnten Gebieten („auf der grünen Wiese“). Denn eine Demonstration „ge­ nügt sich nicht selbst“,58 sondern zielt stets auf größtmögliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zur Verwirklichung des kommunikativen Anliegens. Wer sich versammelt bzw. demonstriert und auf ein bestimmtes Anliegen aufmerksam ma­ chen möchte, dem geht es in erster Linie um Außenwirkung, darum wahrgenom­ men zu werden.59 Es macht gerade das Spezifikum einer Demonstration aus die Aufmerksamkeit Außenstehender auf das jeweilige Versammlungsthema zu len­ ken.60 Aus diesem Grund gehört zum Wesen einer solchen Demonstration die sog. Versammlungsöffentlichkeit.61 Um Dritte zu erreichen mit ihrem Demonstrati­ onsanliegen finden Versammlungen deshalb in der Regel an Orten statt, an de­ nen ein gesellschaftliches und öffentliches Leben herrscht wie es etwa in Fußgän­ gerzonen, auf Markplätzen oder in anderen innerstädtischen Bereichen seit jeher der Fall ist. Denn hier besteht mit den Passanten (Fußgängern), Radfahrern oder auch Insassen von Autos und Bussen etc. ein großes unmittelbar erreichbares Pu­ blikum, auf das im Sinne des jeweiligen Demonstrationsthemas eingewirkt wer­ den kann.62 Insofern bedeutet Versammlungsöffentlichkeit primär und unmittel­ bar Straßenöffentlichkeit. 54 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 15 Rn. 76 und 196. 55 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 15 Rn. 196; Gallwas, JA 1986, S. 484, 491; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, 1990, S. 44. 56 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 265. 57 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 265. 58 So ähnlich Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 7. 59 Vgl. Jenssen, Die versammlungsrechtliche Auflage, 2009, S. 19; Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstädtischen Ballungsbereichen, 1988, S. 29 f. („Recht auf Öffentlichkeit“). 60 Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. IX. 61 Zu diesem Begriff etwa Holznagel, VVDStRL 68 (2008), S. 381, 385. 62 Vgl. Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstädtischen Ballungs­ bereichen, 1988, S. 29 f.

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Neben dieser notwendigen Publikumswirksamkeit des Versammlungsorts ist schließlich, drittens, die Wahl eines bestimmten, spezifischen Versammlungs­ orts oftmals auch für den Erfolg der Demonstration insgesamt von zentraler Be­ deutung. Denn zum einen wählen Demonstranten eine spezifische Örtlichkeit um dort einen bestimmter Protestadressaten zu erreichen (z. B. einen bestimm­ ten Staatsgast).63 Zum anderen ist häufig die Wahl eines bestimmten Orts aber auch untrennbar mit dem Demonstrationsanliegen, das heißt mit dem Versamm­ lungsinhalt oder -gegenstand verbunden und geht mit diesem eine Wirkungsein­ heit ein.64 So finden etwa Demonstrationen gegen den Bau eines Bahnhofs (z. B. gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21) sinnvollerweise entweder vor dem Bahnhof oder vor dem Rathaus bzw. Landtag statt. Oder wer gegen den G8-Gipfel in Heili­ gendamm demonstrieren möchte, versammelt sich zweckmäßigerweise möglichst nahe an dem Tagungsort des Gipfels. In beiden Fällen kommt es den Demons­ tranten also gerade darauf an, an diesem bestimmten symbolträchtigen Ort zu de­ monstrieren. Der Demonstrationszweck würde daher vereitelt und das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit in seinem Kern betroffen, wenn eine Verlagerung an einen anderen Ort stattfindet, da Versammlungsinhalt und Ort untrennbar miteinander verwoben sind. Nun kommt der Wahl des Versammlungsorts aber nicht nur aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Versammlungsinhalt beson­ dere Bedeutung zu, sondern die Auswahl einer bestimmten Örtlichkeit ist auch und gerade bei Demonstrationen mit einem überlokal orientierten Anliegen von zentraler Bedeutung. Denn diese sind besonders auf die durch Massenmedien ver­ mittelte Öffentlichkeit angewiesen, erreichen sie doch erst durch die mediale Ver­ breitung in Fernsehen, Radio, überregionalen Zeitungen etc. eine über das reine Straßenpublikum hinausgehende Öffentlichkeit und können so eine Vervielfälti­ gung ihrer Wirkungen erzielen.65 Für solche Demonstrationen bedeutet Versamm­ lungsöffentlichkeit daher weniger (unmittelbare) Straßenöffentlichkeit als viel­ mehr (mittelbare) Medienöffentlichkeit.66 Die Wahl einer besonderen Örtlichkeit (Parlament, Atomkraftwerk etc.) und deren Kulisse ist für diese Versammlungen damit die entscheidende Voraussetzung dafür, in der heutigen Medienlandschaft überhaupt noch wahrgenommen zu werden und die „Aufmerksamkeitsschwelle der Massenmedien zu überwinden“.67 So ist heute anstelle von Straßendemons­ trationen mit einer großen Anzahl an Demonstranten („Massendemonstration“) 63 Jenssen, Die versammlungsrechtliche Auflage, 2009, S. 123 ff.; vgl. zu einer solchen Fallkonstellation: VG München, Urt. v. 21.1.1999, M 17 K 96.3548 = NVwZ 2000, 461, 463 f. 64 So auch Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 47; Schwerdtfeger, Die Grenzen des De­ monstrationsrechts in innerstädtischen Ballungsbereichen, 1988, S. 27 ff. 65 Vgl. Gusy, JuS 1986, S. 608, 609. 66 Vgl. auch Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. I, Art. 8 Rn. 9, nach dem gegenwärtig Versammlungsöffentlichkeit wesentlich Medienöffentlichkeit ist, sowie Bosshart, Demonstrationen auf öffentlichem Grund, 1973, S. 1, der zwischen „unmittelbarer Appell­wirkung“ und „mittelbarer Breitenwirkung“ unterscheidet. 67 Hoffmann-Riem, in Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 8; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 50.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

durchaus eine gewandelte Demonstrationskultur in dem Sinne festzustellen, dass es weniger auf Masse, sondern auf erkennbare Symbolgehalte, auf möglichst pub­ likumswirksame Aktionen an symbolträchtigen Orten ankommt.68 Diese kurzen Ausführungen haben damit deutlich werden lassen, dass und in­ wiefern das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein Grundrecht mit einer star­ ken räumlichen Komponente ist. Offen geblieben ist bisher jedoch der Zusam­ menhang zwischen der Versammlungsfreiheit und dem sog. öffentlichen Raum. b) Öffentlicher Raum als traditioneller Ort der Versammlungsfreiheit Der öffentliche Raum, insbesondere mit seinen öffentliche Straßen, Wegen, Plätzen und Parkanlagen, ist derjenige Raum, dessen Existenz und Nutzbarkeit eine Vielzahl grundrechtlicher Freiheitsausübungen überhaupt erst ermöglicht oder jedenfalls erleichtert.69 Er wird deshalb als ein „unverzichtbares Medium für die Realisierung demokratischer und sozialer Grundrechte“70 oder aber all­ gemeiner als „Raum der Freiheit“ bezeichnet.71 Dies gilt sowohl für einzelne Er­ scheinungsformen der Kunstfreiheit (sog. „Straßenkunst“)72 sowie der Meinungs­ freiheit (Verteilen von Flugblättern)73, als auch angesichts der oben dargelegten Aspekte für das hier interessierende Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Denn die öffentlichen Straßen, Plätze und Parkanlagen stellen zum einen in vielen Städ­ ten die einzigen geeigneten Flächen dar, um eine große Demonstration durch­ zuführen und den Andrang einer großen Anzahl von Menschen zu bewältigen. Zum anderen sind sie aber auch der klassische Ort der Öffentlichkeit, in dem sich die demokratische und kommunikative Funktion der auf Aufmerksamkeit ausge­ richteten und angewiesenen Versammlungsfreiheit in besonderer Weise erfüllt.74 68 So bedarf auch nach Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 6, eine Versammlung „nicht mehr notwendig der Masse, um publizistische und politische Aufmerksamkeit zu erlangen“. Ebenso Mikesic, NVwZ 2004, 788, der ein „ge­ wandeltes Szenario der Demonstrationskultur“ ausmacht und nach dem Demonstrieren heute weniger Masse bedeutet, sondern „Aktion, scharf, originell, mit spektakulären Knalleffekten, angewiesen auf erkennbare Symbolgehalte.“ 69 Gusy, VerwArch. 92 (2001), S. 344, 349; ders., JZ 2009, S. 217; vgl. auch Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 72 ff., S. 125 f. 70 Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 2/3, S. 160, 163. 71 Gusy, JZ 2009, S. 217, 218. 72 Dazu etwa BVerwG, Urt. v. 9.11.1989, 7 C 81/88 = BVerwGE 84, 71; vgl. auch die Recht­ sprechungsübersicht bei Laubinger, VerwArch 81 (1990), S. 583, 586 ff. 73 Vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 18.10.1991, 1 BvR 1377/91 = NVwZ 1992, S. 53 ff. 74 Vgl. Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Be­ gründung zu § 21 Ziff. I. 1.; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Stra­ ßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 153 sowie Jenssen, Die versammlungsrechtliche Auflage, 2009, S. 19 f.

I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG I. Der sog. öffentliche Raum als Grundrechtsvoraussetzung des Art. 8 GG 

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Denn gerade Fußgängerzonen und Marktplätze sind Orte der Begegnung, der Auseinandersetzung und der Kommunikation und damit ein besonders öffentlich­ keitswirksames Podium, um unmittelbar vor Ort – auch ohne mediale Vermitt­ lung – allein durch physische Präsenz Aufmerksamkeit für ein Demonstrationsan­ liegen zu erreichen. Diese Öffentlichkeit, die an einem solchen Ort besteht, wird vielfach auch als sog. Straßenöffentlichkeit bezeichnet.75 Allein die Wahl dieser traditionellen Orte des öffentlichen Lebens für die Ausführung einer Demonstra­ tion ermöglicht es, eine breite Masse zu erreichen und für das jeweilige Thema zu sensibilisieren. Hinzu kommt, dass zahlreiche öffentliche Straßen und Plätze von großer historischer Bedeutung sind (wie etwa das Brandenburger Tor) und sich so als Kulisse hervorragend eignen, um zusätzlich auch eine massenmediale Bericht­ erstattung über die jeweilige Demonstration zu erzielen. Ganz in dieser Linie bezeichnete das Bundesverfassungsgericht jüngst im sog. Fraport-Urteil den öffentlichen Straßenraum als „das natürliche und geschicht­ lich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können.“ 76 Denn die innerörtlichen Straßen und Plätze und im Besonderen die Fußgängerzo­ nen und verkehrsberuhigten Bereiche seien „Stätten des Informations- und Mei­ nungsaustausch sowie der Pflege menschlicher Kontakte“, weshalb öffentliche Versammlungen hier die Bedingungen fänden, „um Forderungen einem allgemei­ nen Publikum zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich ‚auf die Straße zu tragen‘.“ Aus all diesen Gründen finden Demonstrationen daher in tatsächlicher Hin­ sicht im Regelfall im öffentlichen Raum statt, weshalb dieser auch häufig als tra­ ditioneller Ort für Versammlungen und Demonstrationen bezeichnet wird.77 Die Existenz und Nutzbarkeit des öffentlichen Raums ist daher eine Grundvorausset­ zung für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, ohne die die grundrechtliche Gewährleistung zur „realitätsfernen Leerformel“ würde.78 Versucht man nun den öffentlichen Raum in die oben angedeutete Kategorisierung Isensees einzuord­ nen, so bietet es sich an, diesen als reale räumliche Ausübungsvoraussetzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu bezeichnen. 75 Vgl. nur Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 8. 76 BVerfG, Urt. v. 22 2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251. 77 So Kersten/Meinel, JZ 2007, 1127, 1131; von Mutius, Jura 2008, S. 79, 87; Brohm, JZ 1985, S. 501, 507; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 3 („Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel fin­ den in aller Regel auf öffentlichen Straßen und Plätzen statt“); Jenssen, Die versammlungs­ rechtliche Auflage, 2009, S. 19 ff. („Soll die Versammlung Mittel zur Artikulation sein, so verlangt dies nach der Inanspruchnahme des öffentlichen Raums“); sowie für das schweizeri­ sche Recht Bosshart, Demonstrationen auf öffentlichem Grund, 1973, S. 1 f. 78 So bzgl. der Kunstfreiheit Würkner, NJW 1987, S. 1793, 1795 sowie bzgl. Art. 8 GG Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 252.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

II. Der (qualitative) Wandel des öffentlichen Raums: Die Entstehung „privater öffentlicher Räume“ Der öffentliche Raum ist wie die soeben getroffenen Ausführungen ergeben ha­ ben eine reale Ausübungsvoraussetzung des Grundrechts der Versammlungsfrei­ heit. Die vielfach – im rechtswissenschaftlichen79 vor allem aber auch im (raum-) soziologischen Schrifttum80 – beschriebene und im Folgenden näher zu untersu­ chende Diagnose der „Veränderung des öffentlichen Raumes“ und somit des Sub­ strats des Art. 8 GG bleibt daher nicht ohne Auswirkungen auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und speziell auf den Aspekt der Wahl des Versamm­ lungsortes. Dieser Gesichtspunkt bedarf deshalb der näheren Erörterung, in des­ sen Rahmen der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, der sog. pri­ vate öffentliche Raum, näher beschrieben und festgelegt wird. 1. Der räumliche Strukturwandel – Die Festlegung des Untersuchungsgegenstands Während – wie bereits dargelegt – traditionell zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum kategorisch unterschieden wurde, wird in den letzten Jah­ ren vermehrt ein räumlicher Strukturwandel, das heißt eine Veränderung in der grundrechtsrelevanten Umwelt des Art. 8 GG festgestellt. So habe die über Jahr­ hunderte geltende zweigeteilte räumliche Struktur eine Veränderung erfahren, es seien zahlreiche „Verschränkungen, Übergangs- bzw. Mischformen“ entstan­ den, weshalb diese klassische Dichotomie brüchig geworden sei.81 Wie diese For­ mulierungen bereits nahelegen, geht es dabei nicht um einen – auch empirisch nicht nachweisbaren – quantitativen „Schwund“ des öffentlichen Raums.82 Viel­ mehr ist es ein qualitativer Wandel des öffentlichen Raums der diese Entwicklung prägt und die unter dem Schlagwort der „Entstehung öffentlicher Räume im pri­ vaten Eigentum“ zusammengefasst werden kann.83 Hintergrund ist die vor allem in den vergangenen Jahren zunehmende Verbreitung und gewachsene Bedeutung von Räumen, die zwar alle Bestimmungsmerkmale des öffentlichen Raums auf­ 79 Vgl. etwa Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127 („die räumliche Struktur der Öffentlichkeit verändert sich“); Gericke, FoR 2002, S. 85 („Umstrukturierung öffentlicher Räume“) sowie Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 51 („struktureller Wandel des öffentlichen Raums“). 80 Vgl. Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 11; Wehrheim, Die überwachte Stadt, 2002, S. 25 (Verbreitung „neuer Raumtypen“); Schroer, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 35, 47; Siebel, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S.  77 ff. 81 Gusy, JZ 2009, S. 217; ähnlich Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127 („Hybridisierung öf­ fentlicher und privater Räume“). 82 So Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 11 sowie Berding/ Perenthaler/Selle, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 95, 97. 83 Vgl. Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100.

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weisen, die jedoch im Gegensatz zu diesem mangels öffentlicher Zweckbestim­ mung nicht dem öffentlichen Sachenrecht, sondern mit dem privaten Hausrecht einem rein privatrechtlichen Regime unterliegen. Die für diesen Raumtypus hier gewählte Bezeichnung des „privaten öffentli­ chen Raums“84 scheint auf den ersten Eindruck ein Widerspruch in sich zu sein,85 symbolisiert aber gerade dessen charakteristische „Zwitterstellung“. Denn diese Räume stehen auf der einen Seite vergleichbar mit der Wohnung als Idealtypus des privaten Raums im Eigentum oder Besitz einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts und unterliegen mit dem privaten Hausrecht ausschließ­ lich privatrechtlichen Herrschafts- und Nutzungsrechten. Auf der anderen Seite sind sie jedoch gerade keine klassischen Orte der Privatheit und damit auch keine (rein) „privaten Räume“. Denn im Gegensatz zu diesen zielen sie nicht auf eine Abschottung nach außen, sondern sind für die Allgemeinheit öffentlich zugäng­ lich gemacht und darauf ausgerichtet von einer großen Anzahl von Personen be­ treten zu werden. Auch wenn es diese Art von privaten öffentlich zugänglichen Räumen bereits seit jeher gab (man denke etwa an Supermärkte, Restaurants, Postfilialen etc.), so haben diese doch in den vergangenen Jahren eine ganz neue Dimension bzw. Qualität erreicht, die eine Qualifizierung als privater ‚öffentli­ cher‘ Raum rechtfertigt. Denn es sind – wie sogleich noch näher dargestellt wird – in großem Umfang riesige private Immobilienkomplexe wie Einkaufszentren oder Bahnhöfe entstanden, die sämtliche Funktionen einer Innenstadt aufweisen und in denen ein gesellschaftliches und öffentliches Leben herrscht, wie es bisher nur auf Marktplätzen oder Fußgängerzonen und damit im sog. klassischen öffentli­ chen Raum der Fall war.86 Diese Öffentlichkeitsfunktion, die diese „öffentlich zugänglichen“ Räume zum „öffentlichen“ Raum macht, kommt zum Ausdruck, wenn diese als „moderne Marktplätze“87 oder als „neuzeitliche Form der Agora“88 bezeichnet werden. Damit hat sich also in den vergangenen Jahren ein neuer Ty­ pus von öffentlichem Raum herausgebildet, dessen Charakteristikum die Am­ bivalenz von privatem Hausrecht und damit privatem Nutzungsregime auf der einen Seite und faktischer allgemeiner Zugänglichkeit samt urbanen Flairs auf der

84 Ähnlich Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Begründung zu § 21 Ziff. I. 2: „öffentlicher Raum in privater Trägerschaft“; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100 ff.: „öffentlicher Raum in privatem Eigentum“. Alternativ angebo­ tene Bezeichnungen aus dem Schrifttum für diesen neuen Raumtypus sind „halböffentlicher Raum“ (so etwa Panne, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, J VII Rn. 12) bzw. „semi-öffentlicher Raum“ (so Gusy, VerwArch. 92 (2001), S. 344, 364; ders., JZ 2007, S. 217, 219; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 48 ff.; Mohrdieck, Privatisierung im Bereich öffentlicher Verkehrsräume, 2004, S. 57 ff.; Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127). 85 So auch Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100. 86 Vgl. hierzu etwa Siebel, in: Wehrheim (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 77, 89. 87 So Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1395. 88 Martini, DÖV 2008, S. 10, 11.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

anderen Seite ist.89 Dieser „private öffentliche Raum“, der neben dem „privaten“ und dem „öffentlichen“ den dritten Raumtypus darstellt, ist der Untersuchungs­ gegenstand der vorliegenden Arbeit und zwar in Bezug auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. 2. Ursachen der Entstehung privater öffentlicher Räume Die Entstehung der privaten öffentlichen Räume hat verschiedene Ursachen. Häufig wird dabei lediglich auf die „Privatisierung öffentlicher Räume“ abge­ stellt.90 Dies ist jedoch unvollständig, da die Privatisierung nur einen Teil der Ent­ stehung privater öffentlicher Räume erklären kann. Denn wie sogleich näher ge­ zeigt wird, werden dadurch jene privaten öffentlichen Räume ausgeklammert, die eben nicht im Wege der Privatisierung von Staatsaufgaben, sondern schlicht durch Öffnung eines privaten Raums für die Allgemeinheit entstanden sind. Im Ein­ zelnen lassen sich drei verschiedene Gründe für die (Bedeutungs-)Zunahme pri­ vater öffentlicher Räume feststellen, die im Folgenden kurz angedeutet werden sollen.91 a) Errichtung riesiger privater Immobilienareale Zunächst sind in den vergangenen Jahren in großem Umfang riesige private Im­ mobilienareale entstanden, die dem allgemeinen Publikum geöffnet haben und sich einer großen Beliebtheit erfreuen. Exemplarisch hierfür sind die sich im­ mer weiter verbreitenden und an Größe zunehmenden Einkaufszentren („Shop­ ping-Centers“) sowie Einkaufspassagen zu nennen.92 Diese vormals häufig „auf der grünen Wiese“ errichteten Komplexe werden zunehmend auch in den Stadt­ zentren eröffnet und bieten eine große Vielfalt an unterschiedlichen Nutzungs­ möglichkeiten.93 So finden sich hier neben den klassischen Einkaufsgeschäften auch zahlreiche Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung wie Kinos, Gastronomie, 89

Gusy, VerwArch. 92 (2001), S. 344, 364; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 48; Mohrdieck, Privatisierung im Bereich öffentlicher Verkehrsräume, 2004, S. 61. 90 So etwa Enders, JZ 2011, S. 577, 578; Fischer-Lescano, Grundrechte-Report 2007, S. 149; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100; wohl auch Glasze, Privatisierung öffent­ licher Räume, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 2/3, S. 160. 91 Vgl. hierzu auch Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Begründung zu § 21 Ziff. I. 2. sowie Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127. 92 Dazu ausführlich aus dem soziologischen Schrifttum Wehrheim, Die überwachte Stadt, 2002, S. 119 ff. sowie v. a. die Beiträge in dem Sammelband von Wehrheim, Shopping Malls, 2007. Vgl. auch die Statistik des EHI Retail Instituts zur Anzahl der Shopping Center in Deutschland (abrufbar unter: www.handelsdaten.de), wonach im Jahre 2012 444 ShoppingCenter in der BRD existieren im Vergleich zu 93 im Jahre 1990. 93 Wehrheim, Die überwachte Stadt, 2002, S. 123; ders., in: ders. (Hrsg.), Shopping Malls, 2007, S. 7, 9.

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Bars oder Diskotheken. Aber auch Büchereien, Sparkassen, Behörden, Ärzte etc. lassen sich vermehrt in diesen Räumen nieder. Insgesamt zielen Angebote und Architektur dieser ganz auf den Konsum ausgerichteter Räume auf die Schaffung einer „Wohlfühlatmosphäre“, um die Besucher zum Flanieren und zum Verweilen anzuregen und so einen möglichst langen Aufenthalt der Kunden zu erreichen.94 Neben den Einkaufszentren und Einkaufspassagen sind in jüngster Zeit aber auch ganze private Städte oder Stadtviertel entstanden. Beispiele hierfür sind neben dem Gelände am Potsdamer Platz in Berlin vor allem die neuerdings in großem Maße öffnenden sog. Outlet-Shopping-Villages wie beispielsweise in Wertheim bei Frankfurt am Main. Hierbei handelt es sich um künstlich errichtete Städte im Eigentum einer juristischen Person des Privatrechts, die sich von „gewöhnlichen“ Städten kaum noch unterscheiden und eine diesen vergleichbare Infrastruktur auf­ weisen. So finden sich hier etwa Straßen und Plätze mit entsprechenden Namen wie „Hauptstraße“ oder „Marktplatz“, hunderten von Geschäften, Freizeiteinrich­ tungen, Gastronomie und vielem mehr. b) Die Privatisierung öffentlicher Räume Als weiterer Entstehungsgrund privater öffentlicher Räume wird häufig, wie bereits angedeutet, die sog. Privatisierung öffentlicher Räume genannt. Ohne hier auf die Privatisierungsdiskussion und deren Streitpunkte im Einzelnen nä­ her eingehen zu wollen, wird im Folgenden unter dem Begriff der Privatisie­ rung „die Verlagerung von (Verwaltungs-)Angelegenheiten, die bisher von Stel­ len der öffentlichen Hand wahrgenommen worden sind, in das Rechtsregime des Privatrechts bzw. den privaten Sektor“ verstanden.95 Man differenziert dabei ge­ wöhnlich zwischen drei verschiedenen Privatisierungsformen: die formelle Pri­ vatisierung bzw. Organisationsprivatisierung, bei der die Aufgaben- bzw. Erfül­ lungsverantwortung beim öffentlichen Aufgabenträger verbleibt, der diese jedoch in privatrechtlicher Organisationsform wahrnimmt; die materielle Privatisierung bzw. (echte) Aufgabenprivatisierung, dessen Kennzeichen der vollständige staat­ liche Rückzug aus der öffentlichen Aufgabenverantwortung ist; und schließlich die funktionale Privatisierung, bei der (bloß) die Aufgabenwahrnehmung einem Privatrechtssubjekt übertragen wird.96 94 Vgl. Wehrheim, Die überwachte Stadt, 2002, S. 123 sowie Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 102 f. 95 So etwa Schoch, Jura 2008, S. 672, 676; ähnlich Ronellenfitsch, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, § 98 Rn. 44; enger Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 36 ff. 96 Zur Typologie aus der umfangreichen Literatur mit Unterschieden im Einzelnen z. B. Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 16 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042 ff.; Ronellenfitsch, in: Isen­ see/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, § 98 Rn. 44; Gersdorf, JZ 2008, S. 831 f.; Schoch, Jura 2008, S. 672, 676 ff.; G. Kirchhof, AöR 132 (2007), S. 215, 224 ff.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

Wenn nun im Zusammenhang mit dem räumlichen Strukturwandel von „Priva­ tisierung öffentlicher Räume“ gesprochen wird, dann meint man im Regelfall die zahlreichen Privatisierungen öffentlicher Aufgaben und Unternehmen in den ver­ gangenen Jahren und Jahrzehnten in deren Folge zwangsläufig vormals in öffent­ licher Trägerschaft stehende Räume ins privatrechtliche Eigentum überführt wor­ den sind.97 Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die Privatisierung des Eisenbahnwesens, in deren Folge heute zahlreiche Bahnhöfe, Bahnhofshallen und Bahnhofsvorplätze im Eigentum der Deutschen Bahn AG stehen, an die Priva­ tisierung von Flughäfen (z. B. Fraport AG), städtischer Parkanlagen u. ä. Auch diesen sog. privatisierten öffentlich-zugänglichen Räumen kommt zuneh­ mend eine Innenstadt ähnliche Funktion zu, die deren Qualifizierung als ‚öffentli­ cher‘ Raum rechtfertigt.98 So sind etwa Bahnhöfe oder auch Flughäfen heute nicht mehr nur Orte mit reinen Verkehrsfunktionen, sondern diese wurden in den ver­ gangenen Jahren zu kommerziellen Shopping-Meilen umgebaut, die auch NichtReisende zum Konsum und zum Flanieren einladen sollen. Der Frankfurter Flug­ hafen zum Beispiel verwandelte sich im Zuge der Privatisierung zu einer sog. „Airport City“ mit „Verkehrs- und Erlebniswelten“, in denen über 50 Restaurants, 100 Läden, Banken, Friseure etc. angesiedelt sind, und die so ein öffentliches Le­ ben generieren wie es in mittelgroßen Städten herrscht.99 c) Das sog. „Straßenpachtmodell“ als Entstehungsgrund privater öffentlicher Räume? Schließlich kommt als Entstehungsgrund privater öffentlicher Räume die unter dem Stichwort des „Straßenpachtmodells“ diskutierten Bestrebungen nach einer Privatisierung von Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen in Betracht.100 Ausgangs­ punkt derartiger Überlegungen waren Forderungen von Vertretern des Einzelhan­ dels nach einer Verpachtung dieser Straßen an angrenzende Geschäftsleute, um so in den Genuss des privaten Hausrechts samt seines „flexible[n] Instrumenta­ rium[s] von Hausordnungen und Hausverboten“ zu kommen.101 Denn der Ein­ 97 Eine Übersicht über die zahlreichen Privatisierungsmaßnahmen bei Bund, Ländern und Kommunen findet sich etwa bei Schoch, Jura 2008, S. 672 ff.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 226, S. 282 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042 ff. 98 Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127. 99 Vgl. Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127; Fischer-Lescano, Grundrechte-Report 2007, S.  149 f.; Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1395 jeweils mit Hinweis auf die Eigen­werbung der Fraport AG; vgl. auch die Feststellungen des BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 228, 254. 100 Vgl. zum „Straßenpachtmodell“ eingehend Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Hand­ buch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn. 4, 32 ff.; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 278 ff.; Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953 ff. 101 Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127; vgl. auch Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953 m. w. N. zu den Forderungen von Seiten des Einzelhandels.

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zelhandel sah in der „Verwahrlosung“ der Innenstädte und der allgegenwärtigen Präsenz von herumlungernden missliebigen sozialen Randgruppen vor den Ge­ schäften zunehmend eine Gefahr für die Einkaufsatmosphäre in den Innenstädten und damit letztlich für deren Umsatz. Insbesondere angesichts der zunehmenden Konkurrenz von Shopping-Malls und Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“, in denen seit jeher das private Hausrecht gilt, stelle die Gemeingebräuchlichkeit von Geschäftsstraßen und Fußgängerzonen zunehmend einen Konkurrenznach­ teil dar.102 Durch die Verpachtung und des damit einhergehenden Erhalts des pri­ vaten Hausrechts wollte sich der innerstädtische Handel mit den nötigen Mitteln ausstatten, um gegen den die Geschäftsinteressen störenden Anblick von Armut und Verwahrlosung vor den Geschäften mittels der Erteilung von Hausverboten etc. vorgehen zu können.103 Gegen ein solches „Straßenpachtmodell“ bestehen aber beträchtliche rechtliche Einwände, weshalb es als Entstehungsvoraussetzung privater öffentlicher Räume ausscheidet.104 Ohne auf die im Schrifttum bereits ausführlich dargelegten verfas­ sungsrechtlichen Bedenken hiergegen eingehen zu wollen,105 scheitert das „Stra­ ßenpachtmodell“ bereits daran, dass diese rechtliche Konstruktion das Ziel des in­ nerstädtischen Einzelhandels, gegen unliebsame Personen mittels des Hausrechts weitgehend frei von rechtlichen Bindungen vorgehen zu können, gar nicht errei­ chen kann. Hintergrund ist die den öffentlichen Sachen und damit auch den öf­ fentlichen Straßen zugrundliegende dualistische, privatrechtlich öffentlich-recht­ liche Grundkonzeption.106 Demnach ist die Verpachtung einer öffentlichen Straße durch privates Rechtsgeschäft zwar durchaus möglich, da an öffentlichen Sachen „normales“ zivilrechtliches Eigentum i. S. v. § 903 BGB besteht, das auch die Be­ fugnis enthält eine öffentliche Straße zum Gegenstand eines Pachtvertrages zu machen.107 Doch führt die Widmung der öffentlichen Straße zu einer öffentlichrechtlichen Überlagerung der aus dem zivilrechtlichen Eigentum fließenden Be­ fugnisse (Theorie des modifizierten Privateigentums), so dass der Eigentümer Nutzungen im Rahmen der Zweckbestimmung zu dulden hat.108 Eben diese öffent­ lich-rechtliche Beschränkung des Eigentums kann der Eigentümer weder einseitig aufheben noch durch den Abschluss von dinglichen oder schuldrechtlichen Ver­ trägen beseitigen.109 Aus diesem Grund erlangen die Einzelhändler im Wege des 102

Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953. Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn. 33. 104 Vgl. hierzu und zum Folgenden eingehend Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S.  278 ff.; Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn.  34 ff.; Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953 ff. 105 Vgl. hierzu ausführlich Krölls, NVwZ 1999, 233 ff. 106 Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 954; vgl. ausführlich zu dieser dualistischen Kon­ struktion Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 9 ff. 107 Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn. 34; Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 954 f. 108 Statt aller Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 9 ff. 109 Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn. 34. 103

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

Pachtvertrages auch nur ein durch die Widmung beschränktes oder überlagertes Nutzungsrecht an der öffentlichen Straße.110 Deshalb haben sie nicht die Möglich­ keit, andere Personen die sich im Rahmen der Widmung bewegen, mittels eines Hausverbots von der Straße zu verweisen, so dass also das „Straßenpachtmodell“ das angestrebte Ziel des Einzelhandels gar nicht erreichen kann. Dieses wäre le­ diglich dann erreichbar, wenn man die öffentlich-rechtliche Beschränkung und damit den Gemeingebrauch an der Straße aufhebt, das heißt die öffentliche Sa­ che entwidmet bzw. die Straße „einzieht“.111 Eine solche Einziehung einer Straße ist jedoch nur unter ganz engen Voraussetzungen möglich, die in diesem Falle er­ sichtlich nicht vorliegen.112 Damit scheidet das „Straßenpachtmodell“ als Ent­ stehungsvoraussetzung des privaten öffentlichen Raums aus.

III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit Nachdem damit der räumliche Strukturwandel einschließlich der Ursachen der Entstehung privater öffentlicher Räume ausführlich dargestellt wurde, muss im Folgenden näher erläutert werden, aus welchen Gründen diese Entwicklung zu einer Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit führt. 1. Das Interesse der Demonstranten an privaten öffentlichen Räumen Jahrhundertelang bestand eine Kongruenz von politischer Öffentlichkeit und öffentlichen Räumen.113 Wer demonstrieren wollte übte sein Freiheitsrecht tradi­ tionell auf den Marktplätzen bzw. in den Fußgängerzonen aus, da er hier ein Pu­ blikum fand auf das er im Sinne seines jeweiligen Demonstrationsthemas einwir­ ken konnte. Räume im Privateigentum dagegen waren für Demonstranten von vornherein uninteressant.114 Denn zum einen waren diese nicht geeignet einer gro­ ßen Anzahl von Demonstranten Raum für ihre Freiheitsausübung zu bieten. Zum anderen konnten sie in diesen Räumen nicht die Aufmerksamkeit erreichen, die 110

Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, F III Rn. 34; vgl. Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 955 f. auch zur anderen Ansicht, nach der das Rechts­ geschäft, das die widmungsgemäße Zweckbestimmung tangiert bereits gemäß § 134 BGB nichtig sein soll. 111 Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 279 f.; Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 956; vgl. zur „Entwidmung“ bzw. „Einziehung“ näher Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 55 ff. 112 Vgl. näher dazu Pielow, in: Stober/Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerbe­ rechts, F III Rn. 36; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 279 f. sowie Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 956. 113 Huning, Politisches Handeln in öffentlichen Räumen, 2006, S. 16. 114 Aufgrund dieser geringen tatsächlichen Bedeutung privater Räume für Demonstrationen hat sich auch die Literatur mit diesem Aspekt kaum beschäftigt. Vgl. etwa besonders deutlich Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. XIII.

III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit

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sie für den Erfolg ihrer Demonstration brauchten. Diese Selbstverständlichkeit besteht heute aufgrund der zunehmenden Entstehung privater öffentlicher Räume nicht mehr. So wurde bereits mehrfach angedeutet, dass viele der in privatem Eigentum stehenden Räume inzwischen Zentren des sozialen und öffentlichen Le­ bens darstellen und ihnen eine dem Marktplatz ähnliche Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund verwundert es nicht, wenn diese (Kommunikations-)Räume vermehrt im Interesse der Demonstranten liegen, denn diese wollen ja in der Re­ gel Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erreichen. So haben gerade in kleineren Städten die Einkaufszentren und Shopping-Malls vielfach den öffentlichen Raum mit seinen öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen als Ort der Öffentlichkeit ab­ gelöst oder jedenfalls entwertet, so dass diese zunehmend an Attraktivität für die Demonstranten verlieren.115 Es besteht also – freilich etwas zugespitzt formu­ liert – ein Trend zur Verlagerung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens weg vom klassischen öffentlichen Raum, hin zu den privaten öffentlichen Räu­ men. Man kann insofern auch von einem Bedeutungsverlust der Stadtzentren spre­ chen.116 Vorangetrieben wurde dieser Bedeutungsverlust der Stadtzentren vor al­ lem durch den „Umzug“ zahlreicher Geschäfte großer Einzelhandelsunternehmen in die Einkaufszentren und Einkaufspassagen „auf der grünen Wiese“, was wie­ derum Auswirkungen auf die Interessenlage der Demonstranten hat. Denn wäh­ rend diese vormals, wenn sie gegen die Politik eines bestimmten Unternehmens demonstrieren wollten, dies vor dem Eingang des jeweiligen Geschäfts in der Fußgängerzone oder auf anderen innerstädtischen Flächen machen konnten (z. B. Tierschützer gegen den Verkauf von Pelzen), sind sie heute geradezu zwangsläu­ fig auf die Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume angewiesen. Eben diese zunehmende Konnexität von privaten öffentlichen Räumen und dem jeweiligen Versammlungsthema unterstreicht die besondere Bedeutung privater öffentlicher Räume für die Demonstranten in heutiger Zeit. All dies zeigt, dass Demonstra­ tionen nicht mehr zwingend in den klassischen öffentlichen Räumen stattfinden, sondern private öffentliche Räume zunehmend an Attraktivität für die Demons­ tranten gewinnen. Aus diesem Grund kommt den mit dieser Veränderung einher­ gehenden rechtlichen Fragestellungen gesteigerte rechtspraktische Bedeutung zu, was nicht zuletzt die eingehende wissenschaftliche Untersuchung der Thematik rechtfertigt.

115

Wie hier Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100. Zweifelnd an dieser Diagnose hingegen die abweichende Meinung des Richters Schlucke­ biers in der sog. Fraport-Entscheidung (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 126, 226, 269 ff.), der keine empirischen Belege für eine Ergänzung der Kommunikations­ funktion des öffentlichen Raums durch die privaten öffentlichen Räume sieht. Diese Auf­ fassung verkennt die oben ausführlich dargelegten nachbarwissenschaftlichen Belege für den räumlichen Strukturwandel und die kommunikative Bedeutung privater öffentlicher Räume. 116

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

2. Die Rechtslage bei Demonstrationen im öffentlichen Raum Um die Gefahr dieses räumlichen Strukturwandels für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nun präzise erfassen zu können, muss zunächst Klarheit über die Rechtslage bezüglich Demonstrationen im öffentlichen Raum herrschen. Demonstrationen unterliegen hier, wie an jedem anderen Ort auch, grundsätz­ lich117 der Anmeldepflicht des § 14 VersG.118 Fraglich ist dagegen, ob die Durch­ führung einer Demonstration der privatrechtlichen Zustimmung des Eigentümers bzw. einer Erlaubnis der zuständigen Straßenbehörde bedarf. Beides – so viel kann vorweggenommen werden – wird zwar im Ergebnis verneint, bedarf jedoch deshalb einer näheren Betrachtung, da sich so die Unterschiede von Demonstra­ tionen im öffentlichen und im privaten öffentlichen Raum besser erkennen lassen. Blickt man daher auf die im Mittelpunkt des öffentlichen Raums stehenden öf­ fentlichen Straßen, Wege und Plätze, so gilt es zunächst festzuhalten, dass es sich hierbei um sog. öffentliche Sachen im Gemeingebrauch handelt.119 Diese wer­ den dadurch beschrieben, dass sie von jedermann ohne besondere Zulassung im Rahmen der Widmung und der gesetzlichen Vorschriften genutzt werden kön­ nen.120 Dadurch sind bereits die beiden zentralen Aspekte angesprochen, näm­ lich zum einen die Einräumung einer Nutzungsberechtigung sowie zum anderen die entscheidende Bedeutung der Widmung. Zunächst vermittelt der Gemein­ gebrauch den Nutzungsinteressenten ein einfachrechtliches öffentlich-rechtliches Nutzungsrecht. Diesem Nutzungsrecht korrespondiert auf Seiten des Sacheigen­ tümers (in der Regel der Bund, das Land oder die Gemeinde) angesichts der öf­ fentlich-rechtlichen Überlagerung der zivilrechtlichen Befugnisse spiegelbildlich eine Duldungspflicht, so dass Abwehransprüche des Eigentümers oder Besitzers (§§ 1004, 862 BGB) und damit auch eine privatrechtliche Zustimmungspflicht ausgeschlossen sind.121 Das Verhältnis zwischen Nutzungsinteressenten und Sach­ eigentümer ist so ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur, bei dem ersteren eine einfachrechtliche, gleichsam dingliche Berechtigung zukommt, diese für sie 117 Zur Ausnahme bei Eil- und Spontanversammlungen: BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 349 ff.; dazu aus der Literatur Enders, Jura 2003, S. 103. 118 Die Anmeldepflicht soll als Art präventives Konfliktregelungsinstrument die zuständi­ gen Behörden in die Lage versetzen, im Vorfeld einer Versammlung Vorkehrungen zur Auf­ rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu treffen. Aus diesem Grund trifft den Veranstalter trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung in § 14 VersG auch die Pflicht mitzuteilen, wo die Versammlung stattfinden soll (vgl. etwa Messer, Die Sondernutzung öf­ fentlicher Straßen, 1990, S. 238 Fn. 167 u. S. 241 insb. Fn. 174). 119 Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 77 ff. 120 BVerfG, Urt. v. 10.12.1975, 1 BvR 118/71 = NJW 1976, 559; Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 61; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 77 ff. 121 Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 59 ff.; Fritzsche, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 903 Rn. 44; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 77 ff.

III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit

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fremde Sache zu nutzen. Der privatrechtliche Eigentümer bleibt dabei angesichts der öffentlich-rechtlichen Überlagerung seines bürgerlich-rechtlichen Eigentums selbst dann unberücksichtigt, wenn man der Auffassung sein sollte, dass sich die Durchführung einer Demonstration außerhalb der straßenrechtlichen Widmung bewegt, das heißt eine Sondernutzung darstellt.122 Nachdem damit also klar ist, dass für die Durchführung einer Demonstration im öffentlichen Raum unabhängig von der straßenrechtlichen Einordnung in kei­ nem Fall eine privatrechtliche Zustimmung nötig ist, scheint eben diese Einord­ nung von entscheidender Relevanz für die Frage zu sein, ob eine Demonstration neben der Anmeldung bei der Versammlungsbehörde einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnis der Straßenbehörde bedarf. So ist es seit langem heftig umstritten,123 ob sich Demonstrationen im Rahmen der Widmung bewegen und damit eine gemein­ gebräuchliche Straßennutzung darstellen,124 oder ob es sich nicht doch um eine (erlaubnispflichtige) Sondernutzung125 oder aber um die schlichte Ausübung der Versammlungsfreiheit handelt.126 Trotz der anhaltenden Diskussion dieser Fra­ gestellung ist man sich (inzwischen) im Ergebnis aufgrund der verfassungsrecht­ lich verbürgten Erlaubnisfreiheit der Versammlungsfreiheit sowie der „Konzent­ rationswirkung“ der spezielleren versammlungsbehördlichen Entscheidung nach §§ 14, 15 VersG einig, dass Demonstrationen auf öffentlichen Straßen keiner stra­ ßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis bedürfen, das heißt eine Bewilligung durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde nicht nötig ist.127

122 So Fritzsche, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 903 Rn. 48; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 77 f. („Auch Straßennutzungen über den Gemeingebrauch hinaus […] unterliegen der Duldungspflicht des Eigentümers“). 123 Ausführlich zum Meinungsstand Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 8 ff., 28 ff. 124 So etwa Kanther, NVwZ 2001, S. 1239, 1241; VGH Kassel, Beschl. v. 29.12.1987, 3 TH 4068/87 = NJW 1988, S. 2125 f.; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 45; Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 76. 125 Vgl. Enders, Jura 2003, S. 34, 41; Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), S. 585, 611 f.; Brohm, JZ 1985, S. 501, 506; Deger, VBlBW 1995, S. 303, 304; Samper, BayVBl. 1969, S. 77, 79; Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 236. 126 So Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rn. 51; Frowein, NJW 1969, S. 1081,1084; Scheidler, DAR 2009, S. 380, 382; Kniesel, NJW 2000, S. 2857, 2860; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 38; Gallwas, JA 1986, S. 484, 491 sowie Burgi, DÖV 1993, S. 633, 638 stets unter Bezugnahme auf BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 =BVerfGE 73, 206, 249. 127 Unterstellt wird dabei freilich, dass der Schutzbereich des Art. 8 GG die Inanspruch­ nahme öffentlicher Straßen umfasst (vgl. dazu ausführlich H. I., II. und III.). Die mit den Straßengesetzen verfolgten Zwecke werden von der Versammlungsbehörde (nachträglich) im Rahmen des § 15 VersG berücksichtigt. Siehe etwa: Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 611 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rn. 51; Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 1 Rn. 43 und 57 ff. Kritisch Brohm, JZ 1985, S. 501, 507 f. Zur Konzentrationswirkung: Waechter, VerwArch. 99 (2008), S. 73, 77 f.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

Damit bleibt als Ergebnis für die Rechtslage im öffentlichen Raum festzu­ halten: Die Demonstranten haben hier ein einfachrechtliches Recht auf Durch­ führung einer Demonstration und bedürfen dabei weder einer Zustimmung des Eigen­tümers noch der Straßenverkehrsbehörde. Sie können damit freigestellt von besonderen Anmelde- oder Erlaubnisanforderungen von ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit unter Inanspruchnahme des öffentlichen Raums Gebrauch machen. 3. Das Fehlen einfachrechtlicher Nutzungsrechte und die Geltung des privaten Hausrechts in privaten öffentlichen Räumen Ganz anders stellt sich nun die Situation bezüglich der privaten öffentlichen Räume dar. Die Nutzungs- und Herrschaftsbefugnisse unterliegen hier ­mangels Widmung nicht dem öffentlichen Sachenrecht, sondern mit dem „privaten Haus­ recht“ ausschließlich der Privatrechtsordnung. Konsequenz dieses Nichteingrei­ fens des öffentlichen Sachenrechts ist, dass keine einfachrechtlichen, quasi-dingli­ chen Nutzungsrechte der Demonstranten am privaten öffentlichen Raum bestehen und dem korrespondierend den Hausherrn auch keine Duldungspflichten tref­ fen. Die Demonstranten sind stattdessen – vorbehaltlich eines etwaigen grund­ rechtlichen Nutzungsrechts – auf die Einräumung eines privatrechtlichen Nut­ zungsrechts, das heißt letztlich auf die Herstellung eines Einvernehmens mit dem Hausherrn angewiesen, wenn sie in dessen Raum demonstrieren wollen. Eine Be­ rechtigung zur Demonstration in den privaten öffentlichen Räumen kann sich da­ mit nur entweder kraft Vertrages oder kraft ausdrücklicher oder konkludenter Ge­ stattung des Hausrechtsinhabers ergeben. Das Problem besteht darin, dass im Gegensatz zum öffentlichen Raum Nut­ zungsbeschränkungen hier nicht den spezifisch öffentlich-rechtlichen Bindungen und Begrenzungen des öffentlichen Sachenrechts unterliegen, sondern der Haus­ herr grundsätzlich nach freiem Belieben und nach subjektiven Präferenzen die Nutzung in zeitlicher, räumlicher, personeller oder sachlicher Hinsicht regulie­ ren kann. Damit weichen die spezifisch öffentlich-rechtlichen Beschränkungen im öffentlichen Raum dem flexiblen und weitgehend unbegrenzten Instrumenta­ rium von Hausordnungen und Hausverboten.128 Blickt man angesichts dieser freien Entscheidungsmacht auf den Hausherrn, so zeigt sich, dass dessen Interesse ange­ sichts der primären Ausrichtung der privaten öffentlichen Räume auf Konsum und „Shopping“ darauf gerichtet ist, alles, was die Einkaufsatmosphäre und damit letzt­ lich die Umsatzinteressen gefährden könnte, zu untersagen. Dieses Interesse des Hausherrn manifestiert sich in Hausordnungen, in denen im Regelfall neben zahl­ reichen anderen Verhaltensweisen insbesondere auch das Demonstrieren verbo­

128

Vgl. Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127.

III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit III. Die Gefahr für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit

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ten oder von der letztlich nicht gewährten Zustimmung abhängig gemacht wird.129 Damit ergibt sich letztlich ein Spannungsverhältnis zwischen Versammlungs­ freiheit und Hausrecht, das heißt zwischen dem oben dargelegten Verlangen der Demonstranten in dem privaten öffentlichen Raum zu demonstrieren und dem diesem diametral entgegengesetzten Interesse des Hausherrn, dieses gerade zu unter­binden. Bei dieser Konfliktlage drängen sich eine Vielzahl von Fragen auf: So ist zu­ nächst klärungsbedürftig, was sich hinter dem Begriff des „Hausrechts“ über­ haupt verbirgt und ob der Erlass einer solchen Hausordnung eine aus einfach­ rechtlicher Sicht zulässige Rechtsausübung darstellt. Sollte dies einfachrechtlich nicht zu beanstanden sein, so rücken die Grundrechte und speziell das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit in den Mittelpunkt der Überlegungen. Es stellt sich die Frage, wie sich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu einem sol­ chen weitgehenden Ausübungsverbot verhält und ob sich hieraus eventuell ge­ wisse Beschränkungen des Hausrechts ergeben. Dem vergleichbar geht es aber auch, wenn nicht sogar im Kern, um die Frage, ob vielleicht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit unmittelbar selbst, auch gegen den Willen und das Haus­ recht des Eigen­tümers, ein Recht auf Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Versammlungszwecken gewährt. Dieser Fragenkatalog zeigt die Vielschichtigkeit der hier untersuchten Pro­ blematik, die in grundrechtlicher Sicht eine Verschärfung dadurch erfährt, dass der private Hausherr häufig nicht unmittelbar an das Grundrecht des Art. 8 GG gebunden ist, sondern sich vielmehr sogar noch auf seine eigene Grundrechts­ positionen gegen diese unliebsamen Demonstrationen in seinem Raum berufen kann. Klar ist: Gewährt man dem Hausherrn ein (unbegrenztes) Recht, Demons­ trationen in seinem Raum zu verbieten und verneint man dementsprechend ein grundrechtsunmittelbares Demonstrationsrecht in privaten öffentlichen Räumen, so droht letztlich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Folge dieser zu­ nehmenden Verlagerung des Zentrums des sozialen und gesellschaftlichen Lebens von öffentlichen Markplätzen und Fußgängerzonen hin zu privaten öffentlichen Räumen an praktischer Wirksamkeit zu verlieren, weil es dann an der Ausübungs­ voraussetzung eines öffentliche Aufmerksamkeit bietenden Raumes fehlt, in dem demonstriert werden darf.130 Konsequenz des „Rückzugs“ des klassischen öffent­ lichen Raums wäre dann ein Auseinanderklaffen von Versammlungsfreiheit und Versammlungsmöglichkeit und letztlich ein Leerlaufen des Grundrechts der Ver­ sammlungsfreiheit mangels Chance, das Grundrecht tatsächlich wirksam ausüben zu können.131 Gerade in den Fällen, in denen vormals in öffentlicher Trägerschaft 129 Mangels rechtlicher Problematik soll in der weiteren Bearbeitung die Konstellation der Demonstration in privaten öffentlichen Räumen mit Einverständnis des Hausrechtsinhabers ausgeblendet werden. 130 So auch die Befürchtung von Enders, JZ 2011, S. 577, 578. 131 Vgl. Gusy, JZ 2011, S. 563, 565.

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B. Die Problemstellung B. Die Problemstellung

stehende Räume wie Bahnhöfe oder Flughäfen durch Privatisierung in solche in privater Trägerschaft transformiert wurden, droht diese Privatisierung letztlich zu Lasten des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu gehen und dieses auszu­ höhlen.132 Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit steht also vor der Herausfor­ derung nicht in Zukunft „zum toten Buchstaben“ zu verkommen, sondern auch im 21. Jahrhundert seiner Bedeutung für eine lebendige, offene und tolerante Demo­ kratie gerecht werden zu können.

132

Hierauf weist v. a. Fischer-Lescano, Grundrechte-Report 2007, S. 149 hin.

C. Rechtfertigung des Untersuchungsgegenstands und Präzisierung der grundrechtlichen Problematik Die soeben angerissenen Problemstellungen bedürfen im Folgenden nicht nur einer näheren Präzisierung und Einordnung, sondern die Arbeit insgesamt unter­ liegt – wie jegliche grundrechtliche Untersuchung – angesichts des bereits vor Jahrzehnten festgestellten „Irrsinnsaustoß[es] der Fachliteratur“1 einer gewissen Rechtfertigungslast.2 Als Argument für die Notwendigkeit einer näheren wissenschaftlichen Bearbei­ tung der vorliegenden Problematik lässt sich zunächst das Bestehen einer „literari­ schen Lücke“ anführen.3 Denn während die Ausübung der Versammlungs­freiheit auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen und Parks (das heißt im öffentlichen Raum) sowohl Rechtsprechung4 als auch Literatur5 seit vielen Jahren – wenn auch vorrangig unter Berücksichtigung einfachrechtlicher Gesichtspunkte – beschäf­ tigt, gibt es bisher keine eingehende wissenschaftliche Untersuchung, die sich die­ ser Problematik bezüglich privater öffentlicher Räume annimmt. Diese Vernach­ lässigung der Thematik in der Literatur ist besonders deshalb misslich, weil sich die in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragen im Konfliktfeld von Versammlungs­ freiheit und privatem Hausrecht angesichts der zu erwartenden (Bedeutungs-)Zu­ nahme privater öffentlicher Räume in Zukunft rein tatsächlich vermehrt stellen werden. Des Weiteren spricht für die Notwendigkeit einer eingehenden Beschäf­ tigung mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand, dass es sich bei den sich hier stellenden grundrechtlichen Problemen nicht um spezifische, allein auf die vorliegende Thematik beschränkte Fragestellungen handelt, sondern diese viel­ mehr grundrechtsübergreifende, allgemeine Probleme der Grundrechtsdogmatik darstellen, die teilweise gerade in jüngster Zeit erheblich an Brisanz gewonnen ha­ ben. So stellen sich etwa einige der in der vorliegenden Arbeit aufgeworfen Fra­ gen in ähnlicher Weise bei der – hier nicht behandelten – Thematik der Nutzung öffentlicher Straßen, Wege und Plätze zu Versammlungszwecken oder – noch 1

Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 351, 382. So auch Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 8. 3 Formulierung von Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers ge­ genüber dem Staat, 1992, S. 28 zu einer anderen Thematik. 4 Z. B. BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, 7 C 34/91 = BVerwGE 91, 135 ff.; VGH Kassel, Beschl. v. 29.12.1987, 3 TH 4068/87 = NJW 1988, 2125 f.; BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 = BVerfGE 73, 206, 249. 5 Z. B. Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Stra­ ßenverkehrsrecht, 1985; Schwerdtfeger, in: GS Martens, 1987, S. 445; Ossenbühl, Öffentliche und private Nutzung der Bonner Hofgartenwiese, 1984. 2

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C. Rechtfertigung des Untersuchungsgegenstands

allgemeiner – zur Grundrechtsausübung. Erstaunlicherweise werden diese grund­ rechtlichen Probleme dort aber äußerst selten behandelt,6 so dass sich die in die­ ser Arbeit getroffenen Aussagen eventuell auch für diesen Bereich nutzbar machen lassen. Denn Gemeinsamkeit beider Konstellationen ist, dass die Versammlun­ gen in Räumen bzw. auf Flächen stattfinden, die nicht im Eigentum der De­ monstranten stehen und diesen auch nicht auf andere Weise rechtlich zugeordnet sind, sondern sie gerade einem Dritten gehören.7 Dieser Dritte ist bei öffent­ lichen Straßen im Regelfall die öffentliche Hand, bei den hier im Mittelpunkt stehenden privaten öffentlichen Räumen eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts. In beiden Fällen stellt sich daher die Frage, ob und gegebe­ nenfalls unter welchen Voraussetzungen die Versammlungsteilnehmer berechtigt sind zur Nutzung dieser fremden Räume. Diesen versammlungs- bzw. demons­ trationsrechtlichen „Normalfall“ der den Demonstranten in der Regel fehlenden Sachherrschaft über den Versammlungsort stellt – wie schon Burgi 1993 fest­ stellte – eine „Herausforderung für die Grundrechtsdogmatik“ dar.8 Hieran hat sich auch angesichts der nur unzureichenden wissenschaftlichen Bearbeitung die­ ser Problematik im Rahmen der Nutzung öffentlicher Straßen zu Versammlungs­ zwecken bis heute nichts geändert. Im Gegenteil haben die grundrechtsdogmati­ schen Probleme durch die zunehmende Entstehung und gewachsene Bedeutung der privaten öffentlichen Räume noch zugenommen. So geht es heute und in der vorliegenden Arbeit zusätzlich noch um das (Spannungs-)Verhältnis von Haus­ recht und Versammlungsfreiheit sowie um Fragen der Grundrechtsbindung, der sog. Drittwirkung der Grundrechte sowie der Schutzpflichten des Staates. Auch die grundlegende Frage nach den Konsequenzen der Privatisierung von Staats­ aufgaben für Geltungsbereich, Schutz und Wirkweise der Grundrechte muss be­ handelt werden.9 Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den grundrechtlichen Problemen der Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken. Im Kern geht es dabei um zwei Fragen, die jeweils das gleiche Problem betreffen, sich diesem je­ doch aus unterschiedlicher Perspektive annehmen: Zunächst geht es um die sich aus der Sicht der Demonstranten stellende Frage, ob diese mangels bestehen­ der einfachrechtlicher Nutzungsrechte unmittelbar aus dem Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit berechtigt sind im (fremden) privaten öffentlichen Raum zu demonstrieren. Dem entspricht aus der entgegengesetzten Perspektive des Haus­

6 Eine Ausnahme bildet auch hier wieder Burgi, DÖV 1993, S. 633, der zumindest einige der sich in diesem Zusammenhang stellenden verfassungsrechtlichen Probleme anspricht. 7 Ausgeklammert werden soll im Folgenden die rechtspraktisch wohl kaum vorkommende und rechtlich unproblematische Konstellation der „Demonstration auf eigenem Grund“. 8 Burgi, DÖV 1993, S. 633; vgl. auch ders., Erholung in freier Natur, 1993, zu der struk­ turell ähnlich gelagerten Problematik der Inanspruchnahme fremder Grundflächen zu Er­ holungszwecken. 9 Payandeh, JR 2011, S. 421.

C. Rechtfertigung des Untersuchungsgegenstands

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rechtsinhabers die Frage, ob dieser verpflichtet ist Demonstrationen in seinem Raum zu dulden, oder ob und inwieweit er befugt ist, das Demonstrieren zu ver­ bieten bzw. von seiner Genehmigung abhängig zu machen. Diese beiden Frage­ stellungen bestimmen den Rahmen der in der vorliegenden Untersuchung zu be­ handelnden Problematik.

D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts Bevor näher auf die spezifische verfassungsrechtliche Problematik der Nut­ zung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken eingegangen wird, sollen zunächst einige für die weitere Bearbeitung interessierende Aspekte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit näher untersucht werden. So wird neben dem Schutzzweck des Art. 8 GG und dem Versammlungsbegriff insbesondere der Frage nachgegangen, ob die Demonstrationsfreiheit vom Schutzbereich erfasst ist. Aber auch die Gewährleistung der Wahl des Versammlungsorts und die verein­ zelt im älteren Schrifttum vertretene Auffassung, wonach die Durchführung einer Versammlung gegen den Willen des privaten Hausherrn aufgrund dessen Unfried­ lichkeit von vornherein aus dem Schutzbereich herausfallen soll, werden einer nä­ heren Betrachtung unterzogen. Von Bedeutung für den weiteren Fortgang der Untersuchung sind diese Fragen deshalb, weil etwa die Frage nach dem Versamm­ lungsbegriff entscheidend dafür ist, in welchem Umfang das Spannungs­verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Hausrecht überhaupt besteht. Denn je wei­ ter man den Versammlungsbegriff versteht und etwa Unterhaltungen mehrerer Personen über private Angelegenheiten auf einer Sitzbank im Einkaufszentrum, das „Geburtstagsständchen“ am Flughafen beim Empfang der verreisten Großel­ tern oder aber das „Kaffeekränzchen“ im Café davon erfasst sieht, desto häufiger kommt es zu Konflikten mit dem Hausrecht des Hausherrn. Da insoweit auf eine recht umfangreiche Literatur verwiesen werden kann, sollen die nachfolgenden Ausführungen in der gebotenen Kürze erfolgen.

I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit Der vor allem historisch zu verstehende1 Schutzzweck des Art. 8 GG prägt in besonderem Maße die Diskussion um den jeweils vertretenen Versammlungs­ begriff.2 Aus diesem Grund bildet dieser den Ausgangspunkt der Überlegungen zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Unterschieden werden müssen hier 1 Zur historischen Entwicklung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit eingehend: Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 30 ff.; Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 7 ff. sowie Ridder, in: ders. u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, Geschichtliche Einleitung. 2 Mit dem Schutzzweck wird vor allem im Rahmen der teleologischen Auslegung des Be­ griffs „versammeln“ argumentiert. Vgl. zur Bedeutung des Schutzzwecks für die Grund­ rechtsinterpretation Enders, Jura 2003, S. 34, 37.

I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit

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zwei verschiedene Traditionslinien, die politisch-demokratische sowie die indi­ vidualfreiheitliche (liberale).3 Beide Linien zeigen die doppelte Ausrichtung der Versammlungsfreiheit und finden sich auch im Brokdorf-Beschluss des Bundes­ verfassungsgerichts wieder. Entscheidend ist, dass die mehr oder weniger starke Betonung des jeweiligen Aspektes in erheblichem Maße die Interpretation und Auslegung des Grundrechts des Art. 8 GG bestimmt.4 Insofern kommt der Frage nach dem Schutzzweck entscheidende Bedeutung zu für das weitere Verständnis dieses Grundrechts. 1. Politisch-demokratische Traditionslinie: Die Versammlungsfreiheit als „aktiv-demokratisches Teilhaberecht“ Die politisch-demokratische Traditionslinie der Versammlungsfreiheit ent­ stammt dem anglo-amerikanischen Rechtskreis der zweiten Hälfte des 18. Jahr­ hunderts in England und Nordamerika, wo sich die Versammlungsfreiheit in engem Zusammenhang mit dem Petitionsrecht als ein politisches Recht entwickel­ te.5 Versammlungen, als Mittel zur Beratung von Petitionen, wurden als „Aus­ druck der Volkssouveränität und demgemäß als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess“ verstanden.6 Es war gerade diese Ge­ währleistung der Teilhabefunktion am politischen Prozess im Sinne eines status activus, die die Versammlungsfreiheit prägte. Der hierdurch angedeutete politi­ sche Bezug der Versammlungsfreiheit zeigt sich auch in der Geschichte der Ent­ wicklung der Versammlungsfreiheit in Deutschland. So wurde hier die Versamm­ lungsfreiheit unter dem Eindruck der politischen Unruhen in Nordamerika und der französischen Revolution im Laufe des 19. Jahrhunderts im Kampf gegen eine Staatsgewalt erstritten, die lange Zeit erbittert versuchte diese zu unter­drücken

3 Der Sache nach wie hier, aber mit unterschiedlicher Terminologie: Ladeur, in: ­R idder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, Art. 8 Rn. 1 unterscheidet zwischen dem nordamerikani­ schen Entwicklungsstrang und der französischen Revolutionsgeschichte; Gusy, in: v. Man­ goldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 9 ff. differenziert zwischen der „li­ beral-menschenrechtlichen“ sowie der „demokratischen“ Grundrechtsauslegung; vgl. auch Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 264 ff., die nicht nach „Traditionslinien“, sondern nach „Funktionen von Versammlungen im System des Grundrechtsschutzes“ dif­ferenzieren. 4 So auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 1. 5 Vgl. zu diesem Zusammenhang jeweils m.w.N: Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 1; Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 37 ff. u. v. a. S. 40: Versammlungsrecht als „Hilfsrecht zur Ausübung des Petitionsrechts“; Ladeur, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, Art. 8 Rn. 1; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 1183. 6 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343 f. unter Verweis auf Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 36 ff. sowie Schwäble, Das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 17 ff.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

(vgl. etwa die Karlsbader Beschlüsse von 18197).8 Hintergrund dieser politischen Kämpfe jener Zeit waren Forderungen nach einer Einräumung politischer Frei­ heitsrechte, nach einer aktiven Teilhabe des Bürgers an öffentlichen Angelegen­ heiten, aber auch nach einer Neugestaltung der politischen Ordnung insgesamt, weg von den überkommenen feudalen gesellschaftlichen und staatlichen Struk­ turen.9 Aufgrund der zahlreichen staatlichen Repressionsversuche (insbesondere im Anschluss an das Hambacher Fest von 183210) gelangte die Versammlungs­ freiheit erst in der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 zum Durchbruch und fand erstmals positivrechtliche Anerkennung. Die Frankfurter Nationalver­ sammlung knüpfte dabei an die Tradition des „aktiv-bürgerschaftlichen Petitions­ rechts“ an,11 was sich in der systematischen Verortung in Art. VIII § 161 zwischen der Vereinigungsfreiheit (§ 162) und der Petitionsfreiheit (§ 159) zeigt.12 Diese his­ torische Entwicklung einschließlich der Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Sturz des DDR-Regimes im Herbst 1989 sowie die tatsächliche Ausübung des Freiheitsrechts in den letzten Jahren unterstreichen die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie. Ganz in diesem Sinne ist dann auch die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im Brokdorf-Beschluss zu sehen, wenn es die Versammlungsfreiheit in Parallele zur Meinungsfreiheit13 ebenfalls zu den „unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokra­ tischen Gemeinwesens“ zählt, der gerade in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem eine große Bedeutung zukommt, da sich hier der Bürger an­ gesichts geringer plebiszitärer Mitwirkungsrechte zwischen den Wahlen „eher als ohnmächtig erlebt“.14 Die Versammlungsfreiheit enthalte hier „ein Stück ur­ sprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“.15

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Text abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 100 ff. 8 Vgl. Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 2; Depenheuer, in: Herzog/ Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 16 ff.; Quilisch, Die demokrati­ sche Versammlung, 1970, S. 47 ff. 9 Hoffmann-Riem, NJW 2004, S. 2777, 2778; ders., in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 1 ff. 10 Vgl. v. a. die Bundesbeschlüsse vom 18.6. und 5.7.1832 (Text abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 132 ff.). 11 Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 7. 12 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 2; Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 23. 13 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 208; BVerfG, Beschl. v. 25.1.1961, 1 BvR 9/57 = BVerfGE 12, 113, 125; BVerfG, Urt. v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65 = BVerfGE 20, 56, 97 f.; BVerfG, Beschl. v. 11.5.1976, 1 BvR 163/72 = BVerfGE 42, 163, 169. 14 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 345 ff. 15 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 404, zitiert von BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 347; kritisch hiergegen Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 12 ff.

I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit

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In der Tat steht die Versammlungsfreiheit in engem Zusammenhang mit dem Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung und ist so ein Mittel der Bürgerinnen und Bürger an dem Prozess aktiv teilzunehmen.16 Demonstratio­ nen sind eine Möglichkeit sich außerhalb etablierter Entscheidungsvorgänge oder einer organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden politisch zu artikulie­ ren, der Unzufriedenheit mit bestimmten Punkten Ausdruck zu verleihen und auf Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen, die im parlamentarischen Ent­ scheidungssystem vernachlässigt worden sind.17 Deshalb sind sie „ein wesent­ liches Element demokratischer Offenheit […], das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.“18 Die Versamm­ lungsfreiheit wirkt als eine Art „politisches Frühwarnsystem“, das Störpotentiale anzeigt, Integrationsdefizite sichtbar macht und damit auch Kurskorrekturen er­ möglicht19 auf der einen Seite integrativ und „systemstabilisierend“, auf der ande­ ren Seite wohnt ihr aber auch ein revolutionäres Element inne, das sich auch gegen die Demokratie wenden kann.20 Vor diesem Hintergrund ist die enge Verknüpfung der Versammlungsfreiheit mit der Demokratie unbestreitbar. Problematisch wird es jedoch, wenn diese Traditionslinie zu stark betont wird und demgegenüber die individualfreiheitliche (liberale) Ausprägung vernachläs­ sigt wird.21 Diese Gefahr besteht insbesondere, wenn die Versammlungsfreiheit als „politisches“ oder „demokratisches Grundrecht“ bezeichnet wird,22 da eine solche Begriffswahl vielfach eine Privilegierung politischer Freiheitsbetätigung bzw. speziell auf Art. 8 gemünzt eine Verengung des Schutzbereichs auf politisch

16 Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 104; Hoffmann-Riem, NJW 2004, S. 2777, 2778 („Mittel demokratischer Teilhabe“) sowie bereits Quilisch, Die demokratische Ver­ sammlung, 1970, S. 147 f. 17 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 345 ff. 18 So Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 404; vgl. auch Brenneisen, DÖV 2000, S. 275 („Ventilfunktion“). 19 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 347. 20 Zu dieser „Janusköpfigkeit“ eingehend Alberts, NVwZ 1992, S. 38, 39 sowie Benda, in: Dolzer/Vogel u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 3 ff. 21 Kritisch zu einer Überbetonung der politisch-demokratischen Funktion auch Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 5 ff.; Schneider, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 8 Rn. 1 („Versammlungsfreiheit ist mehr als ein de­ mokratisches Funktionsrecht“); Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 33 ff.; vgl. auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 14, der von einer „pro­ blematischen Disqualifizierung des Privaten“ spricht. Zum Zurücktreten der individualrecht­ lichen staatsabwehrenden Linie zugunsten aktiv demokratischer Aspekte bereits Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 103 ff. und 108 ff. 22 So etwa Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 104 m.w.N; Benda, in: Dolzer/Vogel u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 4; Kniesel, NJW 1992, S. 857, 861; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungs­ recht, 1990, S. 101 f.; Deger, NJW 1997, S. 923, 924; Ossenbühl, Der Staat 10 (1971), S. 53, 55, 62 f.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

meinungsbildende Zusammenkünfte mit sich bringt. Grundlage hierfür ist ein funktional-demokratisches Grundrechtsverständnis, das die Grundrechte von ih­ rer öffentlichen und politischen Funktion her versteht und ihnen die Aufgabe zuschreibt, die Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses zu gewährleis­ ten.23 Versuche einer solchen „Indienstnahme“ oder Funktionalisierung einzelner Freiheitsgrundrechte (v. a. der Meinungs- und Versammlungsfreiheit) für Belange des Gemeinwohls sind ebenso alt wie die Kritik hieran.24 Haupteinwand gegen ein solches (einseitiges) Grundrechtsverständnis ist, dass nach dem den Grund­ rechten zugrundeliegenden formalen Freiheitsprinzip, grundrechtliche Freiheit gerade auf kein Ziel oder Zweck gerichtet ist, sondern im Sinne einer Freiheit „schlechthin“ allein um ihrer selbst Willen existiert.25 Die mit der funktionalen Ausrichtung einhergehende Materialisierung des Freiheitsgebrauchs birgt dabei die Gefahr in sich, dass die ursprüngliche Freiheit im Wege eines „interpretato­ rischen Dreisprungs“ zum Amt und schließlich zur Pflicht mutiert und so letzt­ lich die formale Freiheit verspielt wird.26 Hinzu kommt, dass Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit primär freiheitsgewährleistende Funktion zukommt, sie also als Freiheit „im Sinne einer zum Staat wegführenden Selbstherrlich­ keit“ und gerade nicht im „Sinne einer zum Staat hinführenden Freiheit“ verstan­ den werden.27 Grundrechte auf eine „Hilfsfunktion für das Funktionieren der De­ mokratie zu reduzieren“ würde diesem liberalen Geist widersprechen und wäre eine nicht tragbare „Uminterpretation von Freiheitsrechten zu Zielvorgaben“.28 Trotz dieser gewichtigen und an anderer Stelle wiederaufzugreifenden Beden­ ken ist aber der politisch-demokratischen Traditionslinie insofern zuzustimmen, als es sich bei den politischen und demokratischen Elementen der Versamm­ lungsfreiheit um einen äußerst bedeutsamen Aspekt handelt. Gleichwohl muss aber beachtet werden, dass sich – wie im Folgenden näher gezeigt wird – hierin

23 Grundlegend zu dieser Grundrechtstheorie Böckenförde, NJW 1974, S. 1529, 1534 f. Ins­ gesamt zur Gefahr der „demokratischen Funktionalisierung“ des Art. 8 GG: Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 30 ff.; Kraujuttis, Ver­ sammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, v. a. S. 162 ff.; Möllers, NJW 2005, S. 1973, 1976. 24 So Rupp, JZ 2001, S. 271, 273 mit Hinweis auf „das Aufgehen grundrechtlicher Freiheit im Dienste des Politischen“ im Kontext der Integrationslehre Rudolf Smends. Grundlegend kritisch zu einer solchen „Indienstnahme“ etwa Burmeister, FS Stern, 1997, S. 835 ff. 25 So v. a. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 54 ff., 64 f.; vgl. auch Böckenförde, NJW 1975, S. 1529, 1530 f. 26 Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 58, 62; Merten, VerwArch 73 (1982), S. 103 ff., 112, 116 f. 27 Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 61; Kraujuttis, Versammlungsfrei­ heit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 163 f.; so auch v. a. die Zweckfreiheit betonend Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 12. 28 Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 174; Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 12.

I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit I. Schutzzweck der Versammlungsfreiheit

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das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht erschöpft.29 Es basiert viel­ mehr noch auf einem zweiten Legitimationsstrang, dem individualfreiheitlichen staatsab­wehrenden. 2. Individualfreiheitliche liberale Traditionslinie: Die Versammlungsfreiheit als „klassisches Abwehrrecht“ Die individualfreiheitliche (liberale) Linie entstammt der französischen Ent­ wicklung in der Folge der französischen Revolution, in der die Versammlungs­ freiheit von dem Petitionsrecht entkoppelt wurde und so die politisch-demokra­ tischen Aspekte insgesamt in den Hintergrund traten.30 Nicht mehr der Aspekt der aktiven Teilnahme am politischen Prozess, sondern die liberale Tradition der Ab­ wehr staatlicher Freiheitsbeschränkungen rückte in den Vordergrund. Die Ver­ sammlungsfreiheit war nicht mehr ein primär politisches Recht, sondern eher ein Recht unpolitischer Privatleute.31 Diese Entpolitisierung ging einher mit einer Ableitung der Versammlungsfreiheit aus der Meinungsfreiheit und einem Ver­ ständnis als individualistisches Menschenrecht.32 Es ist gerade dieser Kontext mit der Meinungsfreiheit, die ja vom Bundesverfassungsgericht als „unmittel­ barster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehms­ ten Menschenrechte überhaupt“ bezeichnet wird,33 der diese zweite, völlig an­ ders geartete Traditionslinie der Versammlungsfreiheit sichtbar werden lässt. Der Versammlungsfreiheit kommt damit nicht nur und ausschließlich eine politische bzw. demokratische Funktion zu, sondern sie ist zumindest auch „Ausdruck und Bedingung der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde.“34 In diesem Sinne dient die Versammlungsfreiheit dem Grundbedürfnis des Men­ schen als soziales Wesen und soll es ihm ermöglichen, „gemeinsame Anliegen in physischer Nähe zu anderen Grundrechtsträgern auszudrücken und geistige 29 So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 22; Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 264 ff.; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 13; Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 12. 30 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 2; Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 42 und S. 45 sowie Kloepfer, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 5. 31 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 45; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 1. 32 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 5; Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 1; Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 42 und S. 45. 33 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 344, seitdem st. Rspr. 34 Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 9.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

Gemeinschaft zu erfahren.“35 Diesem Verlangen des Menschen nach Gemein­ samkeit entspricht es, wenn die Versammlungsfreiheit als „Grundrecht auf Gesel­ ligkeit“ bzw. „Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform“ bezeichnet wird.36 Es geht der Versammlungsfreiheit also um die Gewährleistung kollektiven Handelns, um die Fortsetzung individueller Freiheit in Gemeinsamkeit mit anderen.37 Hin­ tergrund dieser Auffassung ist letztlich das dem Grundgesetz zugrunde­liegende Menschenbild, das den Bürger nicht als isoliertes, souveränes, „robinsonartiges“ Individuum, sondern als gemeinschaftsbezogene und -gebundene Person betrach­ tet.38 Insofern schützt die Versammlungsfreiheit den Einzelnen vor sozialer Iso­ lation, Vereinzelung und Vereinsamung durch den Staat und ermöglicht ihm die kollektive Freiheitsbetätigung.39 Ebenso wie die politisch-demokratische Tradi­ tionslinie findet sich auch dieses Verständnis im Brokdorf-Beschluss des Bun­ desverfassungsgerichts wieder, indem das Gericht die Versammlungsfreiheit „als Ausdruck gemeinschaftlicher auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ und Be­ standteil der ungehinderten Persönlichkeitsentfaltung bezeichnet.40 So sei die Ver­ sammlungsfreiheit „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und […] eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“.41 Diese Interpreta­ tionslinie sieht die Versammlungsfreiheit als „kollektive Fortsetzung individuel­ ler Freiheit und ihrer Betätigung“.42

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Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 1; vgl. dazu auch Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 1, der die „Verwiesenheit des Einzelnen auf Soziali­ tät“ sogar als „primärer Gegenstand des Grundrechts der Versammlungsfreiheit“ bezeichnet. 36 Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 15; Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 13; Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 266 („Grundrecht auf Sozialität, das alle Formen gemeinschaftlichen Handelns und Erlebens umfasst“). 37 Vgl. Gusy, JuS 1986, S. 608 f. sowie ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grund­ gesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 9 f., der gleichzeitig unter Betonung sozialpsychologischer Aspekte auch auf die Eigenheiten kollektiven Handelns hinweist. Auch nach Kniesel/Poscher, in: Lis­ ken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 39, ist die Versammlungs­ freiheit „mehr als ein bloßer Modus individueller Freiheitsausübung“, da die kollektive Wahr­ nehmung der Freiheitsausübung „eine andere Qualität“ vermittelt. 38 So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 15; Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 8 un­ ter Bezugnahme auf BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54 = BVerfGE 4, 7, 15 f. und seitdem st. Rspr. 39 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 1; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 42. 40 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343. 41 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 344. 42 So Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. I, Art. 8 Rn. 9.

II. Versammlungsbegriff II. Versammlungsbegriff

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II. Versammlungsbegriff Vor dem Hintergrund dieses doppelten Schutzzweckes des Art. 8 GG ist die da­ mit eng verknüpfte Frage nach dem Versammlungsbegriff zu sehen. Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes des Art. 8 Abs. 1 GG ist die „Versammlung“. Was hierunter zu verstehen ist, ist weder im Grundgesetz noch im Versammlungsge­ setz definiert oder näher umschrieben, so dass es nicht verwunderlich ist, dass der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff seit Jahrzehnten heftig umstrit­ ten ist.43 Die Diskussion hat gerade aufgrund neuer Veranstaltungsformen wie der „Love Parade“ oder der „Fuckparade“ in den letzten Jahren erheblich an Brisanz gewonnen und zu einer ausführlichen wissenschaftlichen Bearbeitung geführt.44 1. Die Teilnehmerzahl Eine Versammlung setzt das räumliche Zusammensein, die körperliche An­ wesenheit der Teilnehmer an einem Ort voraus.45 Problematisch ist bereits man­ gels ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Festlegung die für die Einordnung als Versammlung notwendige Teilnehmerzahl.46 Angesichts des Wortlauts des Art. 8 Abs. 1 GG und des Schutzes kollektiven Handelns durch das Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit ist man sich noch weitgehend einig, dass eine Zusammen­ kunft mehrerer Personen nötig ist, so dass es eine „Ein-Mann-Versammlung“ nicht gibt.47 Denn „versammeln“ kann man sich naturgemäß nur mit anderen, 43 Die Versammlungsgesetze der Länder Bayern und Niedersachsen enthalten neuerdings erstmals eine ausdrückliche und (nahezu) wortgleiche Legaldefinition des Begriffs der Ver­ sammlung: vgl. Art. 2 Abs. 1 BayVersG sowie § 2 NVersG. Danach ist eine Versammlung „eine Zusammenkunft von mindestens 2 Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung“. 44 Da es zuvor in der Rechtspraxis nur um klassische politische Versammlungen ging, die unstreitig unter den Versammlungsbegriff fallen, war der Streit lange Zeit rein akademischer Natur und ohne praktische Relevanz (vgl. Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen libera­ ler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 72). Eingehend zur rechtlichen und wirtschaft­ lichen Bedeutung der Frage des Versammlungsbegriffs Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 610 ff. 45 Statt aller Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 45 sowie Seidel, DÖV 2002, S. 283, 285. Deshalb stellt ein virtuelles Treffen im Chatroom oder eine telefonische Konferenzschaltung keine Versammlung i. S. d. Art. 8 GG dar. 46 Eine maximale Teilnehmeranzahl für die Qualifizierung als Versammlung gibt es nicht, d. h. auch Massenveranstaltungen können Versammlungen sein. Die Diskussion geht also um die Frage einer „minimalen Grenze“. 47 Statt vieler Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 16 sowie Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 12 f. Eine Ein-Mann-Versammlung wird lediglich über die Freiheit der Meinungs­ äußerung geschützt, was angesichts der unterschiedlichen Schranken zu Unterschieden führen kann (vgl. Götz, DVBl. 1985, S. 1347, 1348, a. A. offenbar Gusy, JuS 1986, S. 608, 610 Fn. 28).

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

nicht aber mit sich selber.48 Diskutiert wird aber, ob zwei, drei oder gar sieben Per­ sonen zu verlangen sind. Die wohl herrschende Meinung lässt aus Gründen der Freiheitsoptimierung zwei Personen ausreichen,49 wohingegen das Bundesverfas­ sungsgericht sich bezüglich einer genauen Zahl nicht festlegt, sondern schlicht da­ von spricht, dass „mehrere Personen“ für eine Versammlung nötig sind.50 Dafür, dass bereits zwei Personen ausreichen, wird geltend gemacht, dass bereits solche Zusammenkünfte schutzbedürftig seien, da die „systematische Isolierung eines Menschen […] vor der Isolierung vom letzten Freund nicht halt“ mache.51 Hier­ gegen spricht jedoch, dass solche Treffen zweier Personen bereits durch Art. 5 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG hinreichend geschützt werden, so dass es vom Schutz­ zweck gar nicht geboten und mit Rücksicht auf die typischen versammlungsrecht­ lichen Schranken (z. B. Anmeldepflicht) vielfach auch gar nicht sinnvoll ist, diese als Versammlung einzuordnen.52 Auch der Wortlaut mit Blick auf den natürli­ chen Sprachgebrauch spricht auf den ersten Blick dafür, einen größeren Personen­ kreis als zwei Personen vorauszusetzen.53 Andererseits weist Herzog aber zu Recht darauf hin, dass im Art. 8 GG nicht von „Versammlung“, sondern von „sich ver­ sammeln“ die Rede ist und dieses Verbum gerade nicht den „Beigeschmack der größeren Zahl“ hat.54 Der Wortlaut steht also einer Mindestteilnehmerzahl von 48 Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 1 Rn. 29; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 117 bezeichnet die nur in Sozialität denkbare Ver­ sammlungsfreiheit deshalb als „sozialgeprägte“ Freiheit. 49 So jetzt auch Art. 2 Abs. 1 BayVersG; für 2 Personen: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 25.4.2007, 1 S 2828/06 = VBlBW 2008, S. 60; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Dennin­ ger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 46; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 9; Zeitler, Versammlungsrecht, S. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 23; Ladeur, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versamm­ lungsrecht, Art. 8 Rn. 17; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 16; Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 16 m. w. N.; für 3 Personen dagegen: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.9.1998, Ss Z 225–98 (106–98) = NStZ-RR 1999, S. 119; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 3; Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 18; Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungs­ recht, § 1 Rn. 28; für 7 Personen: v. Münch, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 3. Aufl., Art. 8 Rn. 9. 50 So z. B. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 104. 51 Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 47 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 23. Diese Ansicht ist vor allem vor deren Verständnis des Grundrechts der Versammlungsfreiheit als Schutz der Persönlichkeitsentfaltung in Gemeinschaft mit anderen zu sehen. 52 Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 18; Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 44: „Es wäre lebensfremd und auch nicht frei von komischen Aspekten, für ein Zwiegespräch gem. §§ 18, 7 VersG einen Versammlungsleiter zu fordern.“ 53 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 18; Enders, Jura 2003, S. 34, 36; Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 615. 54 Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 48.

II. Versammlungsbegriff II. Versammlungsbegriff

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zwei Personen nicht entgegen. Schließlich stehen Vertreter einer größeren Teil­ nehmerzahl als zwei Personen vor dem Problem, im Interesse der Rechtssicher­ heit eine präzise Mindestteilnehmerzahl angeben zu müssen. Eine solche stellt aber stets eine verfassungsrechtlich kaum begründbare, willkürliche Beschrän­ kung des grundrechtlichen Schutzes dar. Insbesondere Versuche eine Mindestan­ zahl von sieben Personen zu begründen sind abzulehnen. Denn die Anknüpfung an das Vereinsrecht (§§ 56, 73 BGB) verbietet sich zum einen aus normhierarchi­ schen Gründen und zum anderen weist eine Versammlung als vorübergehende Er­ scheinung keinerlei Parallelen zu einem Verein auf.55 Aus diesem Grund dürfte letztlich für die Anerkennung als Versammlung eine Mindestzahl von zwei Per­ sonen ausreichen, sofern diese Frage jemals praktische Relevanz erlangen sollte.56 2. Abgrenzung zur reinen Ansammlung In Rechtsprechung und Literatur ist man sich einig, dass nicht jedes Zusam­ menkommen oder Zusammensein von Menschen an einem Ort für die Qualifi­ zierung als Versammlung ausreichend ist. Vielmehr bedarf es einer gewissen in­ neren Verbindung der Personen, so dass bloße Ansammlungen wie etwa eine Warteschlange vor der Personenkontrolle am Flughafen oder das „Menschenge­ wimmel“ in einem Einkaufszentrum nicht geschützt werden.57 Denn hier stehen die Personen rein zufällig beieinander, ohne dass es dem Einzelnen darauf an­ kommt, dass auch andere da sind, deren Anwesenheit ihm vielmehr häufig so­ gar höchst unerwünscht ist (z. B. an der Kasse im Supermarkt).58 Als notwen­ diges Element der Versammlung in Abgrenzung zu einer bloßen Ansammlung wird neben dem Kriterium der inneren Verbindung der Teilnehmer auch die Ver­ folgung eines gemeinsamen verbindenden Zweckes der Anwesenden,59 der Wille zur Gemeinsamkeit,60 oder aber das Bestehen einer verbindenden Struktur der 55

Vgl. Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 63 Rn. 5; Geis, Fälle zum Polizei- und Ord­ nungsrecht, 2011, Rn. 838. 56 Skeptisch Benda, in: Dolzer/Vogel u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 21, der von einem „eher müßigen Streit“ ohne praktische Relevanz spricht sowie Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 615 („Streit um des Kaisers Bart“). 57 Vgl. nur BVerwG, Urt.v. 21.4.1989, BVerwG 7 C 50.88 = BVerwGE 82, 34, 38 f.; Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 17 und Rn. 22; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 14. 58 Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 149 f.; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 19. 59 So für die h. M. statt vieler Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 16 sowie Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 63 Rn. 6 f. 60 Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 49 („ge­ meinsame Wunsch beieinander zu sein und beieinander zu bleiben“). Ihm folgend: Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 10; Wiefelspütz, DÖV 2001, S. 21 f.; Zeitler, Ver­ sammlungsrecht, S. 3; Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 269 („Gemeinschaftlichkeit der Teilnahme“); Gallwas, JA 1986, S. 484, 486.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

Versammelten genannt.61 Hierbei handelt es sich um jeweils anders lautende For­ mulierungen, die aber in der Sache weitgehend übereinstimmen. Ausgehend von diesen Kriterien können daher gesellschaftliche Zusammenkünfte wie etwa das Treffen zweier Schulkameraden im Café durchaus eine Versammlung darstel­ len, da zwischen beiden eine innere Verbindung, ein Wille bzw. ein Wunsch zur Gemeinsamkeit besteht.62 Gleiches gilt auch für eine Wandergruppe, Teilnehmer einer Geburtstags- oder Hochzeitsfeier oder aber für die Mitglieder eines Streich­ quartetts.63 Wie die eingangs angeführten Beispiele verdeutlicht haben reicht hin­ gegen die gleichzeitige, parallele Verfolgung desselben Zwecks für die Qualifizie­ rung als Versammlung nicht aus.64 Denn gerade das Beispiel des Streichquartetts zeigt besonders augenfällig, dass es für die Annahme einer Versammlung im Ge­ gensatz zur bloßen Ansammlung einer gemeinsamen Zweckverfolgung bedarf, das heißt die einzelnen Teilnehmer müssen zur Erreichung des gemeinsam ver­ folgten Zwecks im Sinne einer gegenseitigen Abhängigkeit aufeinander angewie­ sen sein.65 Ebenfalls fehlt es in der Regel an einer solchen inneren Verbindung durch gemeinsame Zweckverfolgung bei den Zuschauern einer Film- und Thea­ tervorführung bzw. einer Sport- oder Musikveranstaltung (sog. Zuschauerveran­ staltungen), da der bloße passive und individuelle Konsum nicht ausreichend ist, um eine Personenansammlung als Versammlung zu qualifizieren.66 3. Die Anforderungen an den gemeinsamen Zweck Während man sich also im Grundsatz bei allen für die Praxis verbleibenden Ab­ grenzungsproblemen im Einzelnen noch weitgehend einig ist, dass es für die Qua­ lifizierung als Versammlung einer gewissen inneren Verbindung der Teilnehmer bedarf, ist der Bezugspunkt des die Personen verbindenden gemeinsamen Zwecks bzw. Willens in höchstem Maße umstritten.67 Es geht im Kern um die Frage, ob 61 Ipsen, Staatsrecht II, 2011, Rn. 562; vgl. auch LG Freiburg, Beschl. v. 6.5.1976, VI Qs 193/76 = NJW 1976, 2175, wonach sich die Teilnehmer als Einheit begreifen bzw. ein „WirGefühl“ entwickeln müssten. 62 Vgl. Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisie­ rung, 2005, S. 150. 63 Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 617. 64 So Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 269; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Dennin­ ger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 47. 65 Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 63 Rn. 7. 66 Vgl. dazu Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 19 sowie Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 51, nach denen bereits aus diesem Grund einer „Spaßveranstaltung“ wie der Love Parade keine Versammlungsqualität zukommt. Anders dagegen wenn die Teilnehmer als Akteure in Erscheinung treten (vgl. Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 16) bzw. an der Zweckverfolgung „innerlich beteiligt sind“ (Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 25). 67 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 11.

II. Versammlungsbegriff II. Versammlungsbegriff

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und inwieweit bestimmte materielle Anforderungen an den Inhalt der von den „Versammlungsteilnehmern“ verfolgten Zwecke zu stellen sind.68 a) Ablehnung des sog. weiten Versammlungsbegriffes Angesichts der Komplexität der Thematik und der mittlerweile festzustellen­ den Unüberschaubarkeit der Literatur bietet es sich an, sich im Ausgangspunkt auf das Einfachste, das Nächstliegendste, das heißt auf den Wortlaut der Norm zu besinnen. Blickt man insofern auf Art. 8 GG, so zeigt sich, dass dieser schlicht davon spricht, dass alle Deutschen das Recht haben sich friedlich und ohne Waf­ fen zu versammeln. Hinweise auf bestimmte materielle Anforderungen bezüg­ lich des gemeinsamen Zwecks der Teilnehmer enthält die Vorschrift nicht. Dem­ entsprechend wollen es Vertreter des sog. weiten Versammlungsbegriffs bei dem Vorliegen eines gemeinsamen, verbindenden Zwecks der Teilnehmer bewenden lassen, verlangen daher keine wie auch immer gearteten zusätzlichen materiel­ len Anforderungen.69 Hierzu berufen sie sich neben dem Wortlaut auch auf den Schutzzweck der Persönlichkeitsentfaltung in Gemeinschaft mit anderen, dem das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ausschließlich bzw. jedenfalls primär diene, und der eine Erstreckung der Versammlungsfreiheit auf jede Zusammen­ kunft erfordere. Nach dieser Ansicht reicht also jeder beliebige Zweck gemein­ samen Beisammenseins aus, gleich ob er politischer, religiöser, privater, wirt­ schaftlicher, kultureller oder unterhaltender Art ist („Zweckoffenheit“).70 Eine bestimmte inhaltliche Ausfüllung des Versammlungszwecks ist nicht nötig, wo­ durch sich letztlich auch unnötige Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden las­ sen.71 Es bedarf nicht einmal einer Ausrichtung auf die gemeinsame Meinungs­ bildung bzw. -äußerung. Der Versammlungsbegriff ist vielmehr durch seine „thematische und gegenständliche Offenheit“ geprägt.72 Dieses dem grundrecht­

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So ausdrücklich Schneider, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommen­ tar GG, Art. 8 Rn. 6; eingehend zu dieser Problematik aus jüngster Zeit: Kraujuttis, Ver­ sammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005; zur Recht­ sprechung mit zahlreichen Nachweisen: Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 617 ff. 69 Diese Ansicht vertreten etwa Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 48 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kom­ mentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 26; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 11 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 750 ff.; Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 13 ff. und 50 f.; Michael/Morlok, Grundrechte, 2012, Rn. 272, 274; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 17 f.; Wiefels­ pütz, DÖV 2001, S. 21, 22; Geck, DVBl. 1980, S. 797 ff. 70 Volkmann, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 13 Rn. 27. 71 Geis, Fälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, 2011, Rn. 840; Wiefelspütz, DÖV 2001, S. 21, 22. 72 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 11.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

lichen Freiheitsbegriff entsprechende Verständnis73 liegt ganz in der individual­ freiheitlichen Traditionslinie, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als „Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform“ versteht und eine Isolierung des Ein­ zelnen verhindern will. Gegen ein solches extrem weites („uferloses“) Verständnis des Versammlungs­ begriffs sprechen jedoch eine Vielzahl von Argumenten. Zum einen sind dem­ nach sogar gemeinsames Singen, Beten, Essen und Trinken sowie andere gesel­ lige Zusammenkünfte vom Versammlungsbegriff erfasst, sofern nur der Wille zur Gemeinsamkeit besteht.74 Das heißt das „Geburtstagsständchen“ der Familien­ angehörigen für die aus dem Urlaub zurückkehrende Großmutter am Flug­hafen stellt ebenso eine Versammlung dar, wie das „Kaffeekränzchen“ in einem Café auf dem Marktplatz oder in einem Einkaufszentrum. Schon diese Beispiele zei­ gen, dass ein solches Begriffsverständnis mit dem allgemeinen Sprachgefühl kaum vereinbar ist.75 Hinzu kommt, dass auch die Anwendung der versammlungs­ rechtlichen Privilegierungen sowie Beschränkungen für solche Zusammenkünfte unangemes­sen ist. Es käme nämlich zum einen zu massiven Wertungswidersprü­ chen, da nicht einzusehen wäre, warum kollidierende Rechte Dritter (z. B. von An­ wohnern, Verkehrsteilnehmern, Gewerbetreibenden etc.) gegenüber solchen Ver­ anstaltungen in so erheblichem Maße zurückstehen sollten.76 Gerade die hohen, grundgesetzlich gebotenen Anforderungen an Eingriffe nach dem Versammlungs­ gesetz (Vorliegen einer „unmittelbaren“ Gefahr im Rahmen des § 15 VersG) ver­ lieren bei einem solch weiten Verständnis ihre innere Rechtfertigung.77 Zum an­ deren würde dann jegliches Zusammentreffen von mehr als zwei Personen unter freiem Himmel der Anmeldepflicht des § 14 VersG unterliegen, was aber für eine Wander- oder Jogginggruppe bzw. für das gemeinsame Fußballspielen auf dem „Bolzplatz“ offensichtlich keinerlei Sinn macht.78 Schließlich spricht gegen einen 73 Gemeint ist grundrechtliche Freiheit im Sinne eines freien Beliebens des Grundrechts­ trägers (sog. „Zweckfreiheit“); vgl. zu diesem Argument Volkmann, Staatsrecht II – Grund­ rechte, 2011, § 13 Rn. 27 sowie Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 12, 14. 74 So Gallwas, JA 1986, 484, 486. 75 Ebenso Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 621; Volkmann, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 13 Rn. 30. Zudem wird die Gefahr gesehen, „dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge“ bei einem solch weiten Begriffsverständnis (OVG Berlin, Beschl. v. 6.7.2001, 1 SN 54.01). 76 Geis, Fälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, 2011, Rn. 844, 846 mit Verweis auf das hohe „Schutzniveau“ der Versammlungsfreiheit; so auch BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 1 BvQ 30/01 = NJW 2001, S. 2459, 2460. 77 Zeitler, Versammlungsrecht, S. 6. 78 So Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 622, vorausgesetzt natürlich es handelt sich um eine „öffentliche Versammlung“ i. S. d. Versammlungsgesetzes, d. h. die Be­ teiligung am Wandern, Joggen oder Fußballspielen muss allen offenstehen. Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. J Rn. 55 wollen eine An­ meldepflicht in solchen Fällen mittels einer verfassungskonformen Reduktion des Anmelde­ erfordernisses vermeiden. Unabhängig von den Bedenken hiergegen, bleibt dann aber das für solche Fälle offensichtlich unsinnige Anwesenheitsrecht der Polizei nach §§ 12, 18 VersG.

II. Versammlungsbegriff II. Versammlungsbegriff

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weiten Versammlungsbegriff, dass solche Veranstaltungen eines solchen beson­ deren, privilegierenden Schutzes durch Art. 8 GG auch gar nicht bedürfen. Denn diese sind entweder durch andere Spezialgrundrechte wie Art. 4 GG oder Art. 5 GG ausreichend geschützt, oder aber es greift die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ein, so dass solche nicht unter den Versammlungsbegriff fallende Veranstaltungen nicht in ein „grundrechtliches schwarzes Loch“ fallen.79 Aus all diesen Gründen ist der sog. weite Versamm­ lungsbegriff daher abzulehnen. b) Erfordernis der gemeinsamen Meinungsbildung oder -kundgabe Andere dagegen verlangen für das Vorliegen einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG, dass der gemeinsame Zweck der Zusammenkunft gerade in einer kol­ lektiven Meinungsbildung oder Meinungsäußerung bestehen müsse (sog. erwei­ terter Versammlungsbegriff).80 Auch wenn der Begriff der Kommunikation nicht zu eng ausgelegt werden dürfe,81 soll die reine Ausrichtung der Veranstaltung aufs Amüsement bzw. auf Gewinnerzielung für die Einordnung als Versammlung nicht ausreichen (wenn es nicht bereits an einer gemeinsamen Zweckverfolgung der Teilnehmer fehlt) 82, da hier Kundgabezwecke überlagert oder weitgehend in den Hintergrund treten.83 Begründet wird dieses Erfordernis mit der engen Verwandt­ schaft der Versammlungsfreiheit mit der Gewährleistung der Meinungsfreiheit.84 79

Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 610; in dieser Richtung auch Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 16; kritisch da­ gegen Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 14. 80 So etwa Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 14; Zeitler, Versammlungsrecht, S. 7; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 3; Frowein, NJW 1969, S. 1081 f.; Hesse, Grund­ züge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 404 f.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 97 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 63 Rn. 8; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, § 164 Rn. 25 ff.; Benda, in: Dolzer/Vogel u. a. (Hrsg.), Bonner Kom­ mentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 28 ff. 81 Zu weit jedoch Deutelmoser, NVwZ 1999, S. 240, 241 f. 82 Siehe D. II. 2. 83 Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 623; Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 21 mit den Beispielen „Kegel­ abende, Stadtläufe, Skat-Runden, Feiern“, die „rein unterhaltenden Charakter“ haben und da­ mit nicht unter Art. 8 GG fallen; Vgl. hierzu aus der Rechtsprechung v. a. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 = NJW 2001, S. 2459, 2460 f., wonach das „Gesamtgepräge“ einer Veranstaltung für die Frage maßgebend ist, ob der Spaß-, Tanz- oder Unterhaltungszweck eindeutig im Vordergrund steht oder das Element der Meinungskundgabe; daran anknüpfend BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 6 C 23/06 = NVwZ 2007, S. 1431 ff. 84 So bereits Frowein, NJW 1969, S. 1081 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 404; Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 41 („Kopplung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit“) sowie S. 156.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

So seien Versammlungen „als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ eine Form und ein Mittel der Meinungsfreiheit, die diese nach der kollektiven Seite ergänzen.85 Denn Versammlungen können die Wir­ kung einfacher Meinungsäußerungen durch Zusammenwirken potenzieren und stellen so ein wirksames politisches Kampf- und Druckmittel dar.86 Ebenso wie der Schutz der Meinungsfreiheit keine Beschränkung auf bestimmte öffentliche Zwecke kennt, genüge für das Vorliegen einer Versammlung jeder beliebige Ge­ genstand der betreffenden Meinung, so dass auch private, unpolitische Angelegen­ heiten ohne jeden Öffentlichkeitsbezug ausreichen.87 c) Bezug zur öffentlichen Meinungsbildung? Gegen diese Einbeziehung privater, unpolitischer Angelegenheiten wendet sich eine dritte Meinungsgruppe vor allem unter Hinweis auf die historische Entwick­ lung und Bedeutung der Versammlungsfreiheit als ein „auf den Prozess öffent­ licher Willensbildung bezogenen Freiheitsrechts“.88 Zusammenkünfte mehrerer seien daher gerade dann besonders schutzwürdig und schutzbedürftig und deshalb von Art. 8 GG als „Privileg“ erfasst, wenn die Meinungsbildung oder -kundgabe im Zusammenhang mit dem öffentlichen bzw. politischen Meinungsbildungs­ prozess steht, nicht jedoch bei einem Bezug auf nur private Angelegenheiten wie bei einem Kaffeekränzchen.89 Letztere unterliegen zum einen keinem gesteiger­ ten Risiko von politischen Instanzen unterdrückt zu werden und zum anderen werden sie bereits durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG hinreichend geschützt.90 Diese auch als „enger Versammlungsbegriff“ bezeichnete und in ver­ schiedenen Nuancen vertretene91 Ansicht betont in besonderem Maße die oben 85

BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, S. 315, 343. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 404. 87 Kraujuttis, Versammlungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 156. 88 So v. a. Hoffmann-Riem, in Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 14, 16; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Ver­ fassungsrecht, 1990, S. 98 ff. sowie aus der Rspr. etwa BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 6 C 23/06 = NVwZ 2007, S. 1431, 1432. Kritisch zu dieser Deutung der versammlungsrechtlichen Ge­ schichte Geck, DVBl. 1980, 797, 801 f. sowie Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 1203. 89 Hoffmann-Riem, in Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 16; Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 1 Rn. 16; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, 1990, S. 98 ff. m. w. N. 90 Deger, NJW 1997, S. 923, 924. 91 Vgl. dazu Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 624 f. v. a. zur noch engeren Variante, die eine Zusammenkunft zum Zweck kollektiver Meinungsbildung und -äußerung in „öffentlichen Angelegenheiten“ verlangt (so vertreten v. a. im älteren Schrifttum von Samper, BayVBl. 1969, S. 77, 78; Hofmann, BayVBl. 1987, S. 97, 104 f. sowie vom LG Freiburg, Beschl. v. 6.5.1976, VI Qs 193/76 = NJW 1976, 2175). 86

II. Versammlungsbegriff II. Versammlungsbegriff

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dargelegte politisch-demokratische Traditionslinie und versteht unter einer Ver­ sammlung nur eine Zusammenkunft „zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“92 Dem hat sich nun auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.93 d) Stellungnahme Nachdem bereits der weite Versammlungsbegriff abgelehnt worden ist, be­ schränkt sich die im Folgenden zu klärende Frage darauf, ob der weiteren Unter­ suchung der sog. erweiterte oder der sog. enge Versammlungsbegriff zugrunde zulegen ist. Vorzugswürdig ist nach der hier vertretenen Auffassung der erwei­ terte Versammlungsbegriff. Denn gegen eine inhaltliche „Aufladung“ des Ver­ sammlungsbegriffs im Sinne der engen Konzeption wie sie auch vom Bun­ desverfassungsgericht vertreten wird sprechen zunächst die bereits im Rahmen des Schutzzwecks angedeuteten grundsätzlichen Bedenken gegen eine politische Funktionalisierung des Versammlungsbegriffs. Wenn das Bundesverfassungsge­ richt nur solche Zwecke dem Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG unter­ stellt, die von „Bedeutung für den Prozess öffentlicher Meinungsbildung in der freiheitlich demokratischen Ordnung“ sind,94 dann ist dies „Ausdruck einer de­ mokratisch-funktionalen Missdeutung der Grundrechte im Allgemeinen wie der Versammlungsfreiheit im Besonderen.“95 Zwar ist, wie bereits im Rahmen der Ausführungen zum Schutzzweck dargelegt, das politisch-demokratische Element der Versammlungsfreiheit von besonderer Bedeutung, doch ist das kein Grund für eine Privilegierung dieser Form von Freiheitsgebrauch und damit für eine Re­ duzierung des Schutzbereichs auf Versammlungen mit einer solchen Zielrich­ tung.96 Indem das Bundesverfassungsgericht solche Versammlungen als beson­ ders schutzwürdig qualifiziert, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, geht es von einer über den reinen Selbstzweck der Ermöglichung der Freiheit des Einzelnen hinausgehenden Funktion der Freiheitsgewähr aus.97 Ein solches Frei­ heitsverständnis widerspricht nun nicht nur dem Grundgesetz zugrundeliegenden 92

So Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a. (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 1 Rn. 12; Manssen, Staatsrecht II – Grundrechte, 2012, Rn. 483; Seidel, DÖV 2002, S. 283, 284 f.; Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 625; Volkmann, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 13 Rn. 30. So jetzt auch Art. 2 Abs. 1 BayVersG: „Eine Versammlung ist eine Zusam­ menkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teil­ habe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ 93 Erstmals angedeutet in BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 16/01 = NVwZ-RR 2001, 442 f.; deutlicher dann BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 1 BvQ 30/01 = NJW 2001, S. 2459 f.; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 104; zuletzt BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 250. 94 BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 104. 95 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 13 m. w. N. 96 So auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 1207. 97 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 179.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

formellen Freiheitsprinzip, nach dem grundrechtliche Freiheit gerade auf kein Ziel gerichtet ist, sondern allein um ihrer selbst Willen existiert.98 Ein solcher Versuch der materiellen Bewertung des Freiheitsgebrauchs und der Prämierung des „richtigen“ Grundrechtsgebrauchs in Form der Gewährung von Grundrechts­ schutz für Versammlungen mit einer Ausrichtung auf die öffentliche Meinungsbil­ dung würde auch „den Rechtstaat in seinem Kern treffen“.99 Denn es macht gerade die Freiheitlichkeit des modernen Verfassungsstaates aus, dass dieser sowohl dar­ auf verzichtet den „richtigen“ Gebrauch der Freiheit vorzugeben, als auch dass er sich enthält zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Freiheitsgebrauch eine wertende Unterscheidung zu treffen.100 Hätte der Verfassungsgeber tatsächlich eine Bindung der Garantie der Versammlungsfreiheit an bestimmte Zwecke gewollt – wofür nicht sehr viel spricht101 –, dann hätte er es im Verfassungstext ausdrücklich kennt­ lichgemacht oder er hätte die Versammlungsfreiheit nicht in den Grundrechtsteil aufgenommen, sondern im Anschluss an Art. 20 GG (ähnlich wie Art. 21 GG) geregelt.102 Hinzu kommt, dass eine solche Engführung des Schutzbereichs im Namen der Demokratie auch aus grundrechtsystematischer Sicht abzulehnen ist. Denn wenn man mit der herrschenden Meinung im Schrifttum und der Recht­ sprechung des Bundesverfassungsgerichts beim mit der Versammlungsfreiheit eng verwandten Grundrecht der Meinungsfreiheit eine Beschränkung des Schutz­ bereichs auf die Erörterung von Gemeinwohlbelangen ablehnt und so auch pri­ vate und „bloß unterhaltende“ Äußerungen in den Schutzbereich miteinbezieht,103 so lässt sich kaum begründen, warum dies beim (Komplementär-)Grundrecht der Versammlungsfreiheit anders sein soll. Und schließlich erscheint der enge Ver­ sammlungsbegriff auch mit Blick auf die verfassungsrechtlich gebotene und vom Bundesverfassungsgericht zunehmend auch im Rahmen des Art. 8 GG „im In­ teresse der Offenheit kommunikativer Prozesse“ eingeforderte politische Neu­ tralität aller staatlicher Instanzen äußerst bedenklich.104 Denn diese Inhaltsneu­ tralität, das heißt das strikte Verbot einer inhaltlichen Bewertung des jeweiligen 98

Vgl. die Nachweise in Fn. 25. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 65; ähnlich Ossenbühl, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 51. 100 P. Kirchhof, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 21 Rn. 45; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. IX, § 190 Rn. 226. 101 Zur Entstehungsgeschichte Matz, JöR 1 (1951), S. 113 ff. sowie Kraujuttis, Versamm­ lungsfreiheit zwischen liberaler Tradition und Funktionalisierung, 2005, S. 150 ff. 102 Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 12. 103 Vgl. etwa Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 52; Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 5 Rn. 2 ff., 8; BVerfG, Urt. v. 16.6.1981, 1 BvL 89/87 = BVerfGE 57, 295, 319 sowie BVerfG, Urt. v. 12.12.2000, 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 = BVerfGE 102, 347, 359 ff., wo das BVerfG selbst kommerzielle Werbeaussagen als Meinung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ansieht. 104 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010, 1 BvR 2636/04 = NVwZ-RR 2010, 625, 626; BVerfG, Beschl. v. 1.9.2000, 1 BvQ 24/00 = NVwZ 2000, S. 1406, 1407; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 109 f.; aus der Literatur hierzu etwa Papier, BayVBl. 2010, S. 225, 231. 99

III. „Demonstrationen“ III. „Demonstrationen“

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kommunikativen Anliegens einer Versammlung, ist in erheblichem Maße gefähr­ det, wenn das Gericht den Schutzbereich des Art. 8 GG auf solche Zusammen­ künfte beschränkt, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ge­ richtet sind, da das unbestimmte Kriterium der „öffentlichen Meinungsbildung“ und deren Abgrenzung zu einer (nur) privaten Ansicht in erheblichem Maße Raum lässt für eine solche unzulässige inhaltliche Bewertung der Zusammenkunft.105 In­ sofern besteht die Gefahr, dass der Staat missliebigen Demonstrationen die Ver­ sammlungseigenschaft abspricht und sie so aus dem Grundrechtsschutz des Art. 8 „herausdefiniert“. Damit ist aus all diesen Gründen der auf dem demokratischfunktionalen Grundrechtsverständnis beruhende enge Versammlungsbegriff als Fremdkörper im „primär abwehrrechtlich ausgerichteten Grundrechtskatalog des Grundgesetzes“106 abzulehnen. Vorzugswürdig ist demgegenüber der erweiterte Versammlungsbegriff, dem es insbesondere gelingt, die beiden im Rahmen des Schutzzwecks dargelegten Traditionslinien ausreichend zu berücksichtigen. 4. Ergebnis Die vorangehenden Ausführungen haben damit ergeben, dass der erweiterte Versammlungsbegriff vorzugswürdig ist. Im Folgenden wird daher unter einer Versammlung eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen verstanden, deren gemeinsamer Zweck in der kollektiven Meinungsbildung oder Meinungs­ äußerung besteht.

III. „Demonstrationen“ Nachdem nun sowohl der Schutzzweck als auch der Versammlungsbegriff nä­ her untersucht wurden geht es im Folgenden um die Frage, ob die „Demonstra­ tionsfreiheit“ vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst ist. Denn bisher war von „Demonstrationen“ stets synonym zum Begriff der Versammlung die Rede. Diese Frage stellt sich deshalb, weil Art. 8 GG den Begriff „sich versammeln“ verwen­ det, nirgends jedoch – auch nicht im einfachen Recht – von „Demonstrationen“ die Rede ist.

105 Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 18; Linnemeyer, Techno-Paraden, Skater-Läufe, Chaos-Tage – neue Handlungsformen im Schutz­ bereich der Versammlungsfreiheit?, 2003, S. 91 ff. sowie bereits Frowein, NJW 1969, S. 1081, 1082. 106 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 1207 f.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

1. Begriff der Demonstration Da es sich bei dem Begriff der „Demonstration“ somit um keinen Rechtsbegriff handelt,107 ist zunächst zu klären, was hierunter zu verstehen ist, bevor der Frage nachgegangen wird, ob der Schutzbereich des Art. 8 GG diese umfasst. Der Begriff der „Demonstration“ kommt vom lateinischen „demonstrare“ und heißt zeigen, hinweisen, nachweisen.108 Es handelt sich um eine im rechtswissen­ schaftlichen Schrifttum, aber vor allem auch im allgemeinen Sprachgebrauch vielfach verwendete Bezeichnung, die meist synonym zum Rechtsbegriff der „Versammlung“ benutzt wird und diesen „neutraleren“ Ausdruck in der Alltags­ sprache inzwischen nahezu verdrängt hat.109 Denn im Gegensatz zum Begriff der Versammlung, der auf die schlichte Tätigkeit des „Sich-Versammelns“ ab­ stellt, betont die Bezeichnung „Demonstration“ den Zweck des Verhaltens, das Sichtbarmachen und Hinweisen auf einen bestimmten Umstand („demonstrativer Protest“).110 Gerade in dieser Außenwirkung oder Hinweisfunktion liegt das Spe­ zifikum einer Demonstration, was letztlich auch zu einer Vielzahl an Kollisionen mit der Freiheitssphäre Dritter führt.111 In diesem Sinne definierte das Bundesver­ fassungsgericht Demonstrationen als „die gemeinsame körperliche Sichtbarma­ chung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugung erfahren und andererseits nach außen […] im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.“112 Nicht zum Ausdruck kommt in dieser Definition ein zweites, neben der Erzeugung von Aufsehen bzw. Aufmerksamkeit bestehendes und in der Literatur anerkanntes Charakteristikum von Demonstrationen, nämlich die besonders intensive politische Zielrichtung der Versammlung.113 Aus diesem Grund wird hier wenn von einer Demonstration die Rede ist eine Versammlung 107

So auch Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 12, der (in Fn. 63) zu Recht darauf hinweist, dass der Begriff der Demonstration aber nicht selten wie ein Rechtsbegriff verwendet wird. 108 Brockhaus, Die Enzyklopädie, Bd. 5, 1996, S. 213 f. 109 Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. IX; vgl. zur „Ineinsset­ zung“ von Demonstrations- und Versammlungsfreiheit auch Gusy, JuS 1986, S. 608 m. w. N. 110 Vgl. Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. IX sowie Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 63 Rn. 30 nach dem der „Hauptzweck“ von Demonstrationen „in der plakativen und Aufsehen erregenden Meinungskundgabe durch physische Präsenz in der Öffentlichkeit“ liegt. 111 Vgl. Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. IX, X. 112 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 345; zuletzt BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 250. 113 Vgl. etwa Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 27; Ress, in: Mosler (Hrsg.), Demonstration und Straßenverkehr, S. XII f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 12. Kein eigenständi­ ges Merkmal einer Demonstration ist nach der hier vertretenen Auffassung die Fortbewegung, da diese nur der besonderen Sichtbarmachung und Steigerung der Aufmerksamkeit dient (so wohl auch Stöcker, DÖV 1983, S. 993, 997).

III. „Demonstrationen“ III. „Demonstrationen“

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verstanden, deren Zweck darauf gerichtet ist, durch physische Präsenz auf einen bestimmten politischen Aspekt äußerlich sichtbar hinzuweisen. Vor dem Hin­ tergrund dieses Begriffsverständnisses erscheint die Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG gerade in historischer Perspektive mit Blick auf die Auseinander­ setzungen der sechziger Jahre aber auch bei Betrachtung der jüngeren Versamm­ lungsgeschichte („Hartz IV“, „Stuttgart 21“ u. v. m.) im Kern als Demonstrations­ freiheit.114 2. Einbeziehung in den Schutzbereich? Nach inzwischen (wohl) allgemeiner Ansicht kommt der im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnten Demonstrationsfreiheit Grundrechtsqualität zu.115 Dis­ kutiert wird jedoch die Frage der präzisen verfassungsrechtlichen Verortung.116 Während die inzwischen absolut herrschende Meinung die Demonstrationsfrei­ heit als Unterfall oder Teilaspekt der Versammlungsfreiheit versteht,117 betrach­ ten andere sie als Kombinationsprodukt von Elementen der Meinungs- und Ver­ sammlungsfreiheit118 oder aber führen sie im Kern auf Art. 2 Abs. 1 GG zurück.119 Richtigerweise handelt es sich bei der Demonstrationsfreiheit in Übereinstim­ mung mit der herrschenden Meinung um einen Unterfall bzw. Teilaspekt der Ver­ sammlungsfreiheit. Denn unter den Versammlungsbegriff fallen, wie oben dar­ gelegt, nicht nur jene Zusammenkünfte, die auf eine Meinungskundgabe in einer politischen Angelegenheit zielen. Vielmehr schützt Art. 8 GG jedes Zusammen­ kommen oder Zusammensein, das auf eine gemeinsame Meinungsäußerung oder auch Meinungsbildung gerichtet ist, unabhängig davon, ob es sich um eine poli­ tische oder unpolitische Angelegenheit handelt. Da also nicht jede Versammlung eine Demonstration, aber jede Demonstration eine Versammlung ist, handelt es sich bei der Demonstrationsfreiheit um einen Teilaspekt oder Unterfall des Grund­ 114

So auch Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn.2, wonach „in der Demonstrationsfreiheit der eigentliche Anwendungsfall des Art. 8 Abs. 1 GG liegt“. 115 Vgl. statt vieler jeweils m. w. N.: Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 24 f.; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 18. Gegen ein Grundrecht der Demonstra­ tionsfreiheit aus dem früheren Schrifttum: Samper, BayVBl. 1969, S. 77 f.; sowie Stöcker, DÖV 1983, S. 993 ff. („ochlokratische Fehlinterpretation“); einschränkend aus jüngerer Zeit: ­Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 59 f. 116 Hierzu ausführlich Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 22 ff. 117 Vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 12 („Unterfall“); Gusy, JuS 1993, S. 555 („Ausprägung der Versammlungsfreiheit“); Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 18 („Unterfall“ bzw. „Aus­ prägung“); Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 Rn. 27. 118 So BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 345; Gallwas, JA 1986, S. 484; Schneider, DÖV 1985, S. 783; Brohm, JZ 1985, S. 501, 506; Kniesel, NJW 1992, S. 857, 858. 119 Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 13, 16.

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rechts der Versammlungsfreiheit. Demonstrationen sind lediglich eine bestimmte Form („Versammlung mit Demonstrationscharakter“) bzw. ein bestimmter Ty­ pus der von Art. 8 GG erfassten Versammlungen. Deshalb besteht kein Grund, ein eigenständiges Grundrecht der Demonstrationsfreiheit zu erfinden, sei es aus Art. 8 GG oder aus einer Gesamtschau der Art. 5 und Art. 8 GG.120

IV. Die Wahrung der „Friedlichkeit“ bei Inanspruchnahme fremder Räume? Fraglich ist, ob die Durchführung einer Demonstration im privaten öffent­lichen Raum von vornherein aus dem Schutzbereich ausgenommen ist, da diese – freilich unter dem Vorbehalt fehlender Einwilligung des Grundstückseigentümers oder sonstigen Verfügungsberechtigten – als „unfriedlich“ i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG zu qualifizieren ist.121 Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgebend davon ab, was unter „Unfriedlichkeit“ zu verstehen ist. Hierbei bedarf es nicht der näheren Auseinandersetzung mit der gesamten dazu vertretenen Rechtsprechung und Li­ teratur, sondern es genügt die Feststellung, dass dies in jedem Fall eine Gewalt­ tätigkeit, das heißt ein körperlich aggressives Vorgehen gegen Personen oder Sa­ chen verlangt.122 Ein solches liegt bei der bloßen (ungenehmigten) Durch­führung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum nicht vor, so dass sich diese unterhalb der „Schwelle“ der Unfriedlichkeit bewegt und damit nicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG liegt. Ob hingegen Demonstrationen im privaten öffentlichen Raum aus anderen (ungeschriebenen) Gründen aus dem Schutzbereich herausgenommen werden müssen, soll an dieser Stelle noch nicht näher behandelt werden, sondern ist Gegenstand eines eigenen Abschnitts der vor­ liegenden Arbeit.123

120 Ganz h. M.: vgl. nur Geis, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grund­ gesetz, Art. 8 Rn. 27; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 12; a. A.: Kniesel, NJW 1992, S. 857, 858 f.; kritisch zur h. M. auch Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 58, der die von der h. M. vertretene Auffassung als „dogmatisch […] wenig überzeugend“ und rechtstheoretisch nicht ohne Alternative bezeichnet. 121 Eine solche Auffassung findet sich etwa bei Samper, BayVBl. 1969, S. 77, 78. 122 So BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 = BVerfGE 73, 206, 248; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 106; stellvertretend für die Literatur Enders, Jura 2003, S. 34, 37 sowie Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 26 ff. 123 Vgl. H. III.

V. Die Wahl des Versammlungsorts V. Die Wahl des Versammlungsorts

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V. Die Wahl des Versammlungsorts als Element der Selbstbestimmung der Demonstranten Zum Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gehört als wesentliches Element das Recht, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu entschei­ den.124 Diese Befugnis selbst zu entscheiden, auf welche Art und Weise man von seiner grundrechtlichen Freiheit Gebrauch machen will, ist von kaum zu über­ schätzender Bedeutung für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sowie die Freiheitsgrundrechte im Gesamten. Der grundrechtliche Schutz dieser Selbst­ bestimmung ist nicht nur eine zentrale Sicherung gegen die Ausübung „staatli­ cher Vormundschaft“, sondern die Möglichkeit zwischen den verschiedenen Mo­ dalitäten frei und beliebig wählen zu können macht auch „einen guten Teil der Würde und Autonomie des Menschen aus“.125 Dem Grundgesetz zugrundeliegen­ den Freiheitsverständnisses und dessen Bild eines im Grunde freien Menschen widerspräche es, wenn dieser nur über das „ob“ der Grundrechtsausübung ent­ scheiden könnte, bezüglich des „wie“ jedoch zu einer bestimmten Ausübungs­ form gezwungen wäre.126 All dies gilt angesichts der oben bereits dargelegten127 zentralen Bedeutung des Versammlungsorts für die Durchführung einer Demons­ tration im besonderen Maße für die Wahl des Versammlungsorts. Hierunter wird die Befugnis der Bürger verstanden, selbst zu entscheiden, „wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch im Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtun­ gen – am wirksamsten zur Geltung bringen können.“128 Diese Gestaltungsfreiheit beinhaltet insbesondere auch das Recht des Veranstalters „auf Darstellung seiner Intention in der Öffentlichkeit“.129 Die Chance, die Öffentlichkeit bzw. bestimmte Personen (z. B. Staatsgäste) mit einer Demonstration zu erreichen, ist für die effek­ tive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit von zentraler Bedeutung.130 Des­ halb schützt Art. 8 GG in seiner Gewährleistung der Ortswahl auch das Interesse des Veranstalters an einem Beachtungserfolg durch eine möglichst große Nähe zu einem symbolhaltigen Ort, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Be­ schluss bezüglich der Demonstrationen am Sicherheitszaun des G8-Gipfels in Heiligendamm feststellte.131 Dem hierin zum Ausdruck kommenden Gedanken der Selbstbestimmung entsprechend obliegt es demnach also den Demonstranten darüber zu entscheiden, an welchem Ort von dem Grundrecht der Versammlungs­ 124 St. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343; zuletzt BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 250 f. 125 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 161; ähnlich Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 285 sowie Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 178 ff. 126 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 75 f. 127 B. I. 3. 128 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251. 129 Kniesel, NJW 2000, S. 2857, 2858. 130 Vgl. zu einer solchen Fallkonstellation VG München, Urt. v. 21.1.1999, M 17 K 96.3548 = NVwZ 2000, 461 ff. 131 BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07 = NJW 2007, S. 2167, 2169.

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freiheit Gebrauch gemacht wird. Da häufig die Wahl des Versammlungsorts für die Identität der Demonstration und letztlich auch für ihren Erfolg insgesamt von wesentlicher Bedeutung ist, wäre eine staatliche Einmischung und Bevormundung gerade hier äußerst bedenklich. So könnte der Staat einer Demonstration durch entsprechende Platzzuweisung nicht nur ein gänzlich anderes Gepräge geben, son­ dern sie auch dadurch faktisch verhindern, das er sie in ein abgelegenes Gebiet am Stadtrand verlagert, wo keinerlei Publikum besteht auf das im Sinne des jeweili­ gen Versammlungsthemas eingewirkt werden kann. Aufgrund dieser elementa­ ren Bedeutung der Wahl des Versammlungsorts und der besonderen Gefahr das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durch staatliche Einflussnahme insgesamt faktisch leerlaufen zu lassen, gehört die Freiheit der Wahl des Versammlungs­ orts nach einhelliger Ansicht von Rechtsprechung und Literatur zum sachlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Unterwerfung von Beeinträchtigungen dieser Selbstbestimmung unter eine besondere Rechtfertigungspflicht sichert den Grundrechtsträger wirkungsvoll vor einer Fremdbestimmung durch den Staat.132

VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts 1. Die notwendige Begrenztheit der Wahl des Versammlungsorts Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und insbesondere auch die Wahl des Versammlungsorts sind aber ebenso wie jedes andere Freiheitsrecht nicht gren­ zenlos gewährleistet.133 Diese notwendige Begrenztheit134 leuchtet zum einen un­ mittelbar ein, wenn man berücksichtigt, dass eine Versammlung nicht an jedem beliebigen Ort durchgeführt werden kann.135 Man denke etwa nur an die Durch­ führung einer Demonstration in einem Atomkraftwerk, auf dem Gelände eines Gefängnisses bzw. einer Kaserne oder aber in einer privaten Wohnung.136 Würde 132 Selbst bei der Erteilung einer Auflage bezüglich des konkret gewählten Versammlungs­ orts ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters dadurch zu wahren, dass nicht allein die Einschätzung der Versammlungsbehörde bzw. des Gerichts maßgeblich ist, sondern dass dem Leiter im Rahmen eines Kooperationsgesprächs die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Vor­ stellungen bezüglich des Versammlungsorts einzubringen (vgl. Papier, BayVBl. 2010, S. 225, 230; Hofmann-Riem, in: FS Simon, 1987, S. 379, 382: „Sicherung größtmöglicher Selbst­ bestimmung“ durch Kooperation). 133 Vgl. zu den Gründen der „Unmöglichkeit unbegrenzter Freiheitsrechte“ ausführlich Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 1 ff. m. w. N. 134 In Übereinstimmung mit Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 1 Fn. 4, soll hier zunächst der Begriff „Begrenzen“ „als Oberbegriff für alle Freiheitsverkürzungen verstanden werden, gleich in welcher Form und auf welcher Ebene der Grundrechtsprüfung sie den Freiheitsrechten entgegenzusetzen sind“. 135 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, BVerwG 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138 f.: „Das Recht der freien Ortswahl umfasst […] nicht das Recht, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen.“ 136 Vgl. zu diesen Beispielen Richter, in: FS Steinberger, 2002, S. 899, 933, 979 mit Verweis auf das „nonpublic forum nach US-amerikanischem Recht“.

VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts

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man an solchen Orten Demonstrationen zulassen, dann wäre nicht nur die stö­ rungsfreie Erfüllung zahlreicher öffentlicher Aufgaben nicht mehr möglich, son­ dern auch ein funktionierendes Gemeinwesen insgesamt wäre letztlich in Ge­ fahr. Zum anderen, als gewissermaßen nachgelagerte Problematik, setzt sich ein spezifisches Ortsinteresse auch nicht stets und ohne Weiteres gegenüber Belan­ gen Dritter durch.137 Das Recht der Selbstbestimmung des Versammlungsorts fin­ det vielmehr seine Grenzen in kollidierenden Rechten Dritter sowie anderen ge­ wichtigen öffentlichen Sicherheitsbelangen.138 Denn gerade Versammlungen unter freiem Himmel weisen durch ihre physische räumliche Präsenz große Berührun­ gen mit der Außenwelt auf und führen so zwangsläufig zu besonderen Belastun­ gen Dritter. Man denke nur an die Belange anderer Verkehrsteilnehmer im Falle einer Blockade von Verkehrswegen, an die Passanten bei einer Demonstration in der Fußgängerzone oder aber an die wirtschaftlichen Interessen der Gewerbetrei­ benden, denen Umsatzeinbußen drohen im Falle einer Demonstration vor ihren Geschäften.139 All dies zeigt, dass die Wahl des Versammlungsorts ebenso wie jede andere grundrechtliche Freiheitsverbürgung und -betätigung rechtlich nicht grenzenlos gewährleistet werden kann. Auch wenn diese Einsicht der Unmöglichkeit gren­ zenloser Freiheit durchaus als „lapidar“ bezeichnet werden kann140 und die Lö­ sung zahlreicher Konflikte im Ergebnis vielfach unstreitig sein dürfte, so ist doch die nähere dogmatische Konstruktion, wie später ausführlich dargelegt wird, im Einzelnen äußerst problematisch. Dabei wird näher gezeigt werden, dass gerade der von der Rechtsprechung und der herrschende Lehre in Bezug auf die Wahl des Versammlungsorts eingeschlagene Weg aus methodischer und dogmatischer Sicht äußerst bedenklich und daher abzulehnen ist. Da es an dieser Stelle aber lediglich um die Grundlagen, also gewissermaßen um die „Vorarbeiten“ geht, sollen nach­ dem bisher einige Aspekte des Schutzbereichs des Grundrechts der Versamm­ lungsfreiheit näher untersucht wurden, im Folgenden noch dessen „Schranken“ einer kurzen Betrachtung unterzogen werden.

137 Vgl. etwa Richter, in: FS Steinberger, 2002 S. 899, 902; Wiefelspütz, DÖV 2001, S. 21, 22; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 1 Rn. 50 spricht davon, dass es für den Veranstalter „kein Selbstbestimmungsrecht i. S. einer absoluten Verfügungsbefugnis über Ort und Zeit“ gibt. 138 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 85; VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008, 6 B 1629/08 = NJW 2009, S. 312, 313; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 = BVerfGE 104, 92, 108. 139 Vgl. Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstädtischen Ballungs­ bereichen, 1988, S. 1; Jenssen, Die versammlungsrechtliche Auflage, 2009, S. 21 f. 140 So Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 4.

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D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts D. Grundlagen der Versammlungsfreiheit, insb. die Wahl des Versammlungsorts 

2. Schrankensystematik Blickt man daher auf die Grundrechtsnorm des Art. 8 GG, so ergibt sich be­ züglich der Schranken ein disparates Bild. So können nach Art. 8 Abs. 2 GG le­ diglich Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Für andere Versammlungen, das heißt für Versammlungen in geschlossenen Räumen, benennt Art. 8 GG dagegen keine Beschränkungsmög­ lichkeiten. Auch wenn diese daher ausweislich des Normtextes „vorbehaltlos“ ge­ währleistet sind, rechtfertigt diese formelle Grenzenlosigkeit jedoch nicht die An­ nahme einer absoluten, totalen Freiheit, sondern auch diese erfahren nach heute absolut herrschender Meinung einer Begrenzung, die sich jedoch nur aus kolli­ dierendem Verfassungsrecht, das heißt aus Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten ergeben kann.141 Aufgrund dieser unterschiedlichen „Schrankensystematik“ ergibt sich, dass der Frage, wann eine Versammlung „unter freiem Himmel“ stattfindet, entscheidende Bedeutung zukommt. Diese Frage ist für den weiteren Fortgang der Untersuchung deshalb von großer Relevanz, weil Versammlungen in privaten öffentlichen Räu­ men (man denke etwa an Shoppingmalls oder Flughäfen) bei schlichter Wortlaut­ betrachtung vielfach nicht „unter freiem Himmel“ stattfänden, da diese Räume häufig überdacht sind. Man ist sich jedoch in Literatur und Rechtsprechung weit­ gehend einig, dass es trotz des Wortlauts auf eine Überdachung nicht maßgebend ankommt.142 Entscheidend ist vielmehr eine am Normzweck orientierte Ausle­ gung unter Betrachtung der (wohl) dem Verfassungsgeber vorgeschwebten Leit­ bilder der jeweiligen Versammlungsformen: Während „Normalfall“ einer Ver­ sammlung unter freiem Himmel eine solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist, „steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abge­ schiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber.“143 Diese (idealtypische) Gegenüberstellung offenbart den Grund der SchrankenDifferenzierung zwischen den beiden Versammlungstypen: Während Versamm­ lungen in geschlossenen Räumen typischerweise „von der Allgemeinheit abge­ schirmt“ stattfinden und so Konflikte von vornherein weniger wahrscheinlich sind, besteht bei Versammlungen „unter freiem Himmel“ durch ihr hohes Maß 141 St. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970, 1 BvR 83, 244 und 345/69 = BVerfGE 28, 243, 261; grundlegend auch BVerfG, Beschl. v. 24.2.1971, 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173, 193. Vgl. aus der Literatur auch zu den nach wie vor ungeklärten Einzelfragen statt vieler: Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 139 ff. sowie Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 208 ff. jeweils m. w. N. Speziell zur Versammlungsfreiheit etwa Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 132. 142 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 255. Aus der Litera­ tur etwa Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 55 sowie Seidel, DÖV 2002, S. 283, 284, der diesbezüglich den Wortlaut des Art. 8 GG als „ausgesprochen irreführend“ bezeichnet. 143 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 255.

VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts VI. Beschränkungen insb. der Wahl des Versammlungsorts

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an „Berührung mit der Außenwelt“ ein größeres, weniger beherrschbares Gefähr­ dungspotential für Rechtsgüter Dritter.144 Hier drohen aufgrund der fehlenden Ab­ grenzung der Versammlung von der allgemeinen Öffentlichkeit und dem damit verbundenen „unmittelbaren Aufeinandertreffen von besonderer Versammlungsund allgemeiner Publikumsöffentlichkeit“ besondere Gefahren, die eine Regulie­ rung durch den Gesetzgeber und damit den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG verlangen.145 Entscheidendes Kriterium für die Einordnung als Versamm­ lung „unter freiem Himmel“ ist damit letztlich das Fehlen seitlicher Begrenzun­ gen von der Umgebung bzw. die freie Zugänglichkeit des Versammlungsorts für die Öffentlichkeit.146 Vor diesem Hintergrund sind Demonstrationen in privaten öffentlichen Räumen wie etwa in Einkaufszentren oder in den Abflughallen eines Flug­hafens, die von jedermann voraussetzungslos betreten werden können, solche „unter freiem Himmel“. Denn hier greift die ratio des Art. 8 Abs. 2 GG „aufgrund der räumlichen Verdichtung“ bzw. Enge sogar in besonderem Maße.147 Damit kann festgehalten werden, dass Versammlungen in privaten öffentlichen Räumen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG unterliegen.

144 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 256; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 55; Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dü­ rig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 133. 145 Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Begründung zu § 21 Ziff. III. 3. 146 Vgl. Gusy, JuS 1993, S. 555, 556 („Grad an Offenheit und Öffentlichkeit“); HoffmannRiem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 56; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 8 Rn. 65. 147 Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Begründung zu § 21 Ziff. III. 3.

E. Das private Hausrecht Da – wie bereits eingangs dargelegt – keine einfachgesetzlichen Vorschriften bestehen, die sich mit der Nutzung des (fremden) privaten öffentlichen Raums zu Versammlungszwecken befassen, hängt das Recht der Demonstranten sich in die­ sen Räumen zu versammeln – vorbehaltlich hier noch nicht getroffener grund­ rechtlicher Erwägungen – weitgehend von der Einräumung eines privatrecht­lichen Nutzungsrechts bzw. von der Bestimmungsmacht der Beteiligten ab.1 Als maß­ gebend hierfür wird gewöhnlich neben dem mangels rechtsgeschäftlichen Nut­ zungsverhältnisses im vorliegenden Zusammenhang in der Regel irrelevanten Vertragsrechts vor allem das sog. Hausrecht einschließlich des damit verbunde­ nen Instrumentariums von Hausordnungen und Hausverboten genannt.2 Aus die­ sem Grund wird daher im Folgenden näher das Rechtsinstitut des Hausrechts un­ tersucht, freilich unter Fokussierung und Beschränkung auf diejenigen Aspekte, die für die vorliegende Arbeit von Interesse sind. Hierbei soll nochmals betont werden, dass an dieser Stelle grundrechtliche Aspekte (noch) ausgeblendet wer­ den sollen.

I. Einführung Bei dem Begriff des „Hausrechts“ handelt es sich um eine im allgemeinen Sprachgebrauch häufig verwendete Formulierung.3 Gemeinhin wird das Haus­ recht dabei in Übereinstimmung mit der historischen Entwicklung als räumliches Abwehrrecht des Hausherrn gegenüber unberechtigtem Zutritt und unberechtigten Handlungen verstanden.4 In historischer Sicht war das Hausrecht von Anfang eng 1

Vgl. Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 16. Ein vertragliches Nutzungsrecht der Demonstranten am fremden privaten öffentlichen Raum besteht in der Regel nicht. Denkbar wäre ein solcher Vertragsschluss allenfalls dann, wenn der Hausrechtsrechtsinhaber zur entgeltlichen Zurverfügungstellung seines Raumes für Demonstrationen bereit wäre. Da der Haurechtsinhaber des privaten öffentlichen Raums aber in der Regel Demonstrationen gänzlich unterbinden möchte, wird dies nur selten vorkommen und bleibt daher im Folgenden außer Betracht. 3 So auch Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 22; vgl. auch Christoph, Das Hausrecht in der Verwaltung, 1996, S. 4, der den Begriff als in der „Verwaltungssprache […] fest integriert“ bezeichnet, sowie Dudenbostel, Hausrecht, Lei­ tungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversammlung, 1978, S. 78, nach dem es sich hierbei um „einen in seinen Konturen völlig unscharfen Begriff“ handelt. 4 Vgl. hierzu und zur historischen Entwicklung des Hausrechts insgesamt Wegner, Kom­ munikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 14 f. sowie Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 30 f. 2

I. Einführung I. Einführung

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verknüpft mit dem Notwehrrecht, wie insbesondere die systematische Ver­ortung des Hausrechts im strafrechtlichen Teil des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) von 1794 im Anschluss an die Notwehrvorschriften verdeutlicht.5 Das Hausrecht wird deshalb auch als „spezielles, auf die Verteidigung des Hausfrie­ densbezirks zugeschnittenes Notwehrrecht“ bezeichnet.6 Sucht man nach einer zusammenhängenden, ausführlichen Regelung des „Haus­ rechts“ im BGB oder in einem anderen Rechtsgebiet so wird man enttäuscht.7 Selbst im Inhaltsverzeichnis geläufiger Kommentare und Lehrbücher, etwa des Bürgerlichen Gesetzbuches, ist das „Hausrecht“ als Stichwort zum Teil nicht ein­ mal angeführt. Deshalb wird man zu der Vermutung gelangen, dass es sich hierbei um gar keinen Rechtsbegriff, sondern um einen Begriff der Alltagssprache han­ delt. Blickt man nun jedoch in die Rechtsordnung, so zeigt sich, dass das „Haus­ recht“ punktuell auch in der Gesetzessprache auftaucht. So wird es zum Beispiel in Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG, § 7 Abs. 2 S. 1 GOBT, § 34 a Abs. 1 S. 4 Nr. 1 Alt. 2 GewO, § 6 b Abs. 1 Nr. 2 BDSG sowie § 15 Abs. 2 Nr. 1 HeimG genannt. In die­ sen (zumeist öffentlich-rechtlichen) Vorschriften wird aber weder der Begriff des Hausrechts definiert, noch ergeben sich aus diesen Bestimmungen nähere Hin­ weise auf dessen Inhalt und dessen Reichweite.8 Deshalb kann man sagen, dass die Rechtsordnung das Hausrecht zwar kennt, es aber lediglich voraussetzt ohne es näher zu bestimmen.9 Neben diesem von Höfling daher zu Recht bezeich­ neten „dürftigen normativen Befund“10 haben auch Rechtsprechung und Lehre sich „in aller Regel nur oberflächlich“ mit dem Hausrecht auseinandergesetzt.11 Dies gilt vor allem für das hier interessierende private Hausrecht.12 Denn dieses 5 §§ 525 ff. 2. Teil 20. Titel PrALR im Anschluss an §§ 517 ff. 2. Teil 20. Titel PrALR. Vgl. dazu Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 14; Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 30 ff. 6 So Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 33. 7 Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 230; Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 16. 8 Ebenso Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 13 und S.15. 9 So auch Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 230 f.; Wegner, Kom­ munikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 13; skep­ tisch dagegen Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 16, nach dem das Hausrecht von der Rechtsordnung in Wirklichkeit nicht vorgegeben ist. 10 Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 24. 11 So Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 124 sowie Wegner, Kommu­ nikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 13. Eine ver­ stärkte Betrachtung erfährt das Hausrecht dagegen in jüngster Zeit in seiner Ausprägung als „virtuelles Hausrecht“: Vgl. dazu Schmidl, K&R 2006, S. 563; Kohl, Die Haftung der Betrei­ ber von Kommunikationsforen im Internet und virtuelles Hausrecht, 2007, S. 198; Maume, MMR 2007, S. 620; aus der Rspr.: OLG Köln, Beschl. v. 25.8.2000, 19 U 2/00 = MMR 2001, S. 52; LG Bonn, Urt. v. 16.11.1999, 10 O 457/99 = MMR 2000, S. 109. 12 Nicht behandelt wird im Folgenden das vom privaten Hausrecht streng zu unterschei­ dende öffentlich-rechtliche Hausrecht. Denn die vorliegende Arbeit befasst sich mit den privaten öffentlichen Räumen, d. h. solchen die im Eigentum einer natürlichen oder juristischen

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

findet, wie bereits angedeutet, in den Kommentaren und Lehrbüchern zum Bür­ gerlichen Recht regelmäßig keinerlei Erwähnung. Lediglich die strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung befasst sich im Rahmen des Straftatbestandes des Hausfriedensbruches (§ 123 StGB) in gewissem Maße mit dem Hausrecht.13 Dies mag zunächst verwundern, da hier im Gesetzestext gar nicht vom „Hausrecht“ die Rede ist.14 Doch sieht die im Strafrecht herrschende Meinung im Hausrecht das von § 123 StGB geschützte Rechtsgut,15 ohne sich in diesem Zusammenhang je­ doch mit diesem Rechtsinstitut und den damit zusammenhängenden Fragen aus­ reichend zu befassen. Insbesondere zivilrechtliche Aspekte bleiben hier zumeist unberücksichtigt. Aufgrund dieser nur oberflächlichen Befassung mit dem Haus­ recht war schon früh für das Strafrecht von einem „diffusem Umgang“ sowie von einer „dogmatischer Rumpelkammer“ die Rede.16 Konsequenz dieser Vernach­ lässigung des privaten Hausrechts in der zivilrechtlichen aber auch in der straf­ rechtlichen Literatur ist es, dass bis heute erhebliche Unklarheiten im Umgang mit diesem Rechtsinstitut bestehen. Insbesondere dogmatische Grundlage, sachlicher Inhalt und räumliche Reichweite aber auch die Grenzen der Gestaltungsbefugnis und Hausrechtsausübung lassen viele Zweifelsfragen offen und sind Gegenstand der folgenden Ausführungen, soweit sie für den vorliegenden Untersuchungs­ zusammenhang von Interesse sind.

II. Dogmatische Grundlage Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis und die Bewältigung der Probleme um das private Hausrecht ist die Frage nach deren dogmatischen Grund­ lage.17 Denn von deren Klärung hängen sowohl sachlicher Inhalt und räum­liche Reichweite des Hausrechts ab, als auch wer dessen Inhaber und damit zur Aus­ übung der Hausrechtsbefugnisse berechtigt ist. Damit handelt es sich bei der dogmatischen Grundlage des Hausrechts um die „Schlüsselfrage“ des privaten

Person des Privatrechts stehen. Hierfür gilt stets das private Hausrecht. Vgl. zur Diskussion um das öffentliche Hausrecht: Knemeyer, DÖV 1971, S. 303; Beaucamp, JA 2003, S. 231; Klenke, NWVBl. 2006, S. 84 sowie Christoph, Das Hausrecht in der Verwaltung, 1996 m. w. N. 13 Vgl. statt vieler Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989 sowie Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, § 123 Rn.  1 ff. 14 So auch Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 16; Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversamm­ lung, 1978, S. 68. 15 Vgl. zur h. M. statt vieler Lilie, in: Laufhütte/Rissing-van Saan u. a. (Hrsg.), Leipziger Kommentar zum StGB, § 123 Rn. 1 ff. sowie umfassend zur Rechtsgutsbestimmung Amelung, ZStW 98 (1986), S. 355 ff. 16 Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 16 f. m. w. N. 17 Alternativ ist auch von „dogmatischer Herleitung“, „materiell-rechtlicher Grundlage“, „rechtlicher Grundlage“ oder „Rechtsnatur“ die Rede.

II. Dogmatische Grundlage II. Dogmatische Grundlage

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Hausrechts. Diese ist sehr umstritten, da es – wie oben dargelegt – an einem aus­ drücklichen gesetzlichen Anknüpfungspunkt des Hausrechts fehlt.18 Gerade hier zeigt sich nun die mangelhafte wissenschaftliche Bearbeitung und Durchdrin­ gung des privaten Hausrechts. Denn diejenigen, die sich mit der dogmatischen Grundlage überhaupt befassen, verzichten nicht selten auf eine nähere Auseinan­ dersetzung mit den hierzu vertretenen Ansichten oder zitieren ohne nähere Refle­ xion die jeweils vertretene Position der Rechtsprechung. Diese mangelhafte, meist nur oberflächliche Befassung mit der dogmatischen Grundlage des Hausrechts ist die Ursache dafür, dass es dann auch bei den Folgefragen zu „Ungereimtheiten“ kommt und das Rechtsinstitut des privaten Hausrechts insgesamt als völlig unklar und unscharf erscheint.19 1. Notwendigkeit einer präzisen dogmatischen Herleitung Die Verunsicherung mit der dogmatischen Grundlage des Hausrechts zeigt sich vor allem in den Versuchen das Hausrecht „aus der Rechtsordnung“ herzuleiten.20 Damit wird das Hausrecht nicht präzise aus einzelnen Bestimmungen abgeleitet,21 sondern im Wege einer Art Gesamtbetrachtung aus der Rechtsordnung insge­ samt gewonnen. Dies erscheint gewissermaßen als „Kapitulation“ vor einer ein­ deutigen klaren dogmatischen Herleitung mit all den angedeuteten Folgeproble­ men im Umgang mit den Einzelfragen des Hausrechts. Denn ein solcher Verzicht auf eine klare dogmatische Fundierung läuft in Gefahr, dass zur Lösung der Ein­ zelprobleme an den Begriff des „Hausrechts“ angeknüpft wird und gerade nicht an die diesem zugrundeliegenden und zur Problemlösung maßgebenden Rechts­ vorschriften. Folge sind rechtliche Konstruktionen und Begriffsbildungen, die juristisch kaum noch erklärt werden können, da sie ausschließlich aus allgemei­ nen Überlegungen resultieren und ohne jeglichen normativen Anknüpfungspunkt

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Zum Streit ausführlich Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 16 ff. m. w. N. 19 Vgl. dazu Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 16 und S. 21., nach dem „die Fülle der Varianten, die im Hinblick auf die Inhaberschaft des Hausrechts vertreten werden“ eine Konsequenz der nicht feststehenden materiell rechtlichen Basis des Hausrechts ist. Weiterhin seien die gewählten unterschiedlichen Konstruktionen „zur Rechtfertigung der Ausübung des Hausrechts durch andere Personen als den Hausherrn“ Auswüchse einer „von der materiellen Basis des Hausrechts losgelöste[n] Argumentations­ weise“ (S. 23). 20 So die Formulierung von Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 16 unter Bezugnahme auf Klenke, NWVBl. 2006, S. 84, 85 („Ableitung aus allgemeinen Rechtsinstituten“). Vertreten wird dies wohl von Gerhardt, BayVBl. 1980, S. 723, 724 f., der in diesem Zusammenhang sogar Hinweise für einen „­Gewohnheitsrechtssatz“ sieht. 21 Gegen die Notwendigkeit einer präzisen dogmatischen Herleitung wenig überzeugend Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 125, 128.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

sind.22 Aus diesem Grund ist eine solche pauschale Herleitung „aus der Rechtsord­ nung“ abzulehnen. 2. Ablehnung des § 123 StGB als dogmatische Grundlage Eine präzise normative Verankerung bestünde dagegen, wenn man § 123 StGB aufgrund der eingangs dargelegten historisch engen Verknüpfung des Hausrechts mit dem allgemeinen Notwehrrecht als dogmatische Grundlage ansehe.23 Hierfür spricht auch die schwerpunktmäßige wissenschaftliche Befassung mit dem priva­ ten Hausrecht im Rahmen der Strafvorschrift des § 123 StGB. Doch auch wenn es gewiss zutreffend ist, dass das Hausrecht „historisch gesehen einen strafrecht­ lichen Charakter hat“24 und § 123 StGB eine „Wurzel des Hausrechts“ ist,25 so handelt es sich bei dieser Strafvorschrift richtigerweise nicht um die dogmatische Grundlage des Hausrechts. Denn § 123 schützt als Strafvorschrift „nur einen Aus­ schnitt des privaten Hausrechts“, nämlich das Hausrecht bezüglich „befriedeter“ Räume.26 Hintergrund ist der Charakter des Strafrechts als ultima ratio, wonach nur besonders sozialschädliche Verhaltensweisen strafrechtlich geschützt werden sollen.27 Bei § 123 StGB liegt das besonders sozialschädliche und damit straf­ würdige in der Missachtung besonderer Schutzvorkehrungen, im Überwinden physischer Schranken und daher nicht in der bloßen Verletzung des Hausrechts.28 Erst die besondere Einfriedung eines Grundstücks rechtfertigt den besonderen strafrechtlichen Schutz des Hausrechts im Gegensatz zu den rein zivilrechtli­ chen Befugnissen, die unterhalb dieser strafrechtsrelevanten Schwelle bestehen.29 Dadurch, dass der strafrechtliche Schutz also nur einen Teilbereich des priva­ ten Hausrechts erfasst, kann § 123 StGB richtigerweise nicht die dogmatische

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So Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebs­ versammlung, 1978, S. 66 f. mit Beispielen für solche Begriffsbildungen und Konstruktionen sowie S. 77 f. 23 So noch die Auffassung von BGH, Urt. v. 28.11.1961, I ZR 56/60 = BGHZ 36, 171, 177; wohl auch Kübler, Massenmedien und öffentliche Veranstaltungen, 1978, S. 62 sowie Krause, Hörfunk-Berichterstattung aus Sportstadien, 2006, S. 75, 84, 101; vgl. dazu auch Klenke, NWVBl. 2006, S. 84, 85. 24 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 17; ähnlich Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 234 („Der Be­ griff des Hausrechts ist […] dem Strafrecht entlehnt“). 25 Krause, Hörfunk-Berichterstattung aus Sportstadien, 2006, S. 75, 84, 101. 26 Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 239; Wegner, Kommunika­ tionsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 17. 27 Vgl. nur Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2011, § 1 I 2 Rn. 9. 28 Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 239; Wegner, Kommunika­ tionsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 17; Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 39 f. 29 Vgl. dazu auch Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S.  41 f.

II. Dogmatische Grundlage II. Dogmatische Grundlage

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Grundlage sein. Vielmehr knüpft diese Strafvorschrift an das aus zivilrechtlichen Vorschriften hergeleitete private Hausrecht an und unterstellt einen Ausschnitt dem strafrechtlichen Schutz. 3. Herleitung aus dem Zivilrecht Nachdem geklärt wurde, dass eine Herleitung „aus der Rechtsordnung“ ebenso ausscheidet wie eine dogmatische Grundlage des Hausrechts in § 123 StGB, ver­ bleiben nur die zivilrechtlichen Vorschriften als materiell rechtliche Basis. Es geht im Folgenden also um die Frage, auf welchen konkreten zivilrechtlichen Vor­ schriften das Hausrecht dogmatisch beruht. Hierbei dreht sich der Streit im Kern darum, ob das Eigentum oder der Besitz oder gar beides die dogmatische Grund­ lage des Hausrechts ist. a) Eigentum als dogmatische Grundlage? Teilweise wird ausschließlich das Eigentum und damit die Vorschriften der §§ 903, 1004 BGB als dogmatische Grundlage angesehen.30 Diese Ansicht wurde früher auch von der Rechtsprechung vertreten31 und wird zum Teil sogar heute noch als herrschende Meinung bezeichnet.32 Das Hausrecht ist demnach Aus­ fluss bzw. „besondere Erscheinungsform“33 des sich aus § 903 BGB ergeben­ den und mit Hilfe des § 1004 BGB durchsetzbaren Rechts des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszu­ schließen. Das alleinige Abstellen auf das Eigentum als dogmatische Grundlage des Haus­ rechts erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als äußerst problematisch und ist daher abzulehnen. Denn diese Ansicht gerät in erhebliche dogmatische Schwie­ rigkeiten in den Fällen der Vermietung oder Verpachtung eines Raumes (§§ 535, 581 BGB), wie es etwa in den Einkaufszentren häufig der Fall ist, in denen ein­ zelne „Shops“ an Private zum Gebrauch überlassen werden. Grund ist, dass die Vertreter dieser Ansicht auch hier richtigerweise die Notwendigkeit sehen, dem 30 So Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 24; Emmerich, JuS 1994, S. 434, 435; Sickor, Jura 2008, S. 14, 15; Kageler, Die gemeinsame und beschränkte zivilrechtliche Inhaberschaft des Hausrechts unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmung des Rechtsguts des § 123 StGB, 1973, S. 159; Enders JZ, 2011, S. 577, 579; wohl auch Schnekenburger, Rechtsstellung und Aufgaben des Privaten Sicherheitsgewerbes, 1999, S. 126. 31 BGH, Urt. v. 26.10.1960, V ZR 122/59 = BGHZ 33, 230 ff.; BGH, Urt. v. 6.6.1967, VI ZR 214/65 = NJW 1967, S. 1911, 1912; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.3.1993, 4 U 172/91 = ­NJW-RR 1993, S. 788; BayObLG, Urt. v. 14.9.1976, 3 St 99/76 = JZ 1977, S. 311. 32 So etwa von Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 125 sowie Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, 1999, S. 69. 33 Emmerich, JuS 1994, S. 434, 435.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

Mieter oder Pächter das Hausrecht zuzugestehen.34 Da dieser aber nicht der Eigen­ tümer, sondern nur der Besitzer ist, bedarf diese Ansicht eines „Kunstgriffes“35 um das Hausrecht des Mieters oder Pächters erklären zu können. Demnach liege in dem schuldrechtlichen Miet- oder Pachtvertrag, gegebenenfalls sogar konklu­ dent, eine Übertragung des sich aus §§ 903, 1004 BGB ergebenden und dem Eigentümer zustehenden Hausrechts auf den Mieter oder Pächter des Grund­ stücks.36 Der Umfang dieses „Hausrechtsübergangs“ bestimme sich dabei danach, was die Parteien im Miet- oder Pachtvertrag miteinander vereinbart haben, gege­ benenfalls sogar im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB.37 Dem Mieter oder Pächter steht damit kein ursprüngliches, originäres Hausrecht zu, sondern er leitet seine Befugnisse vielmehr von dem Hausrecht des Vermie­ ters ab.38 Diese Konstruktion der Übertragung oder Delegierung einzelner Be­ fugnisse aus §§ 903, 1004 BGB durch den Mietvertrag wird zu Recht heftig kri­ tisiert. Vorgebracht wird insbesondere, dass das Hausrecht kein vom Eigentum abspaltbares selbständiges, eigenständiges Recht sei.39 Dieser Einwand ist so for­ muliert jedoch unpräzise, wenn er wohl auch in der Sache das Richtige meint. Denn das Hausrecht selbst ist – wie später noch näher gezeigt wird – für sich ge­ nommen gar keine eigenständige Rechtsposition, die abgetreten oder übertragen werden kann.40 Das „Hausrecht“ ist vielmehr eine reine Sammelbezeichnung bzw. Umschreibung für die sich unter anderem aus den §§ 903, 1004 BGB ergebenden und dem Hausrechtsinhaber zustehenden Befugnisse. Um die konkludente Über­ tragung dieser Befugnisse auf den Mieter oder Pächter im Wege des obligatori­ schen Vertrages geht es den Vertretern der Eigentumsthese wohl in der Sache, wenn sie ebenfalls unpräzise vom „Hausrechtsübergang“ sprechen. Gegen diese Übertragung der sich aus §§ 903, 1004 BGB ergebenden Befugnisse spricht nun jedoch entscheidend, dass nach allgemeiner Auffassung der dingliche Abwehran­ spruch aus § 1004 BGB nicht ohne das Eigentum selbständig abtretbar ist, son­ dern vielmehr mit dem Eigentumsrecht untrennbar verbunden ist.41 Indem da­ mit die Übertragung einzelner aus dem Eigentum entspringender Befugnisse an Dritte rechtlich nicht zulässig ist, fällt die von den Vertretern der Eigentumsthese vorgenommene Konstruktion des derivativen Erwerbs des Hausrechts durch den 34

Vgl. dazu Sickor, Jura 2008, S. 14, 15, nach dem „das Recht zur Nutzung einer Räum­ lichkeit […] in vielen Fällen entwertet [wäre], wenn der Nutzungsberechtigte kein exklusives Nutzungsrecht genösse, also nicht zugleich Dritte und […] auch den Eigentümer von einem Betreten ausschließen könnte“. 35 Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 90. 36 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.3.1993, 4 U 172/91 = NJW-RR 1993, S. 788; Emmerich, JuS 1994, S. 434, 435; OLG Braunschweig, Urt. v. 15.10.1965, Ss 138/65 = NJW 1966, S. 263; Sickor, Jura 2008, S. 14, 15; Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 954. 37 OLG Braunschweig, Urt. v. 15.10.1965, Ss 138/65 = NJW 1966, S. 263. 38 OLG Braunschweig, Urt. v. 15.10.1965, Ss 138/65 = NJW 1966, S. 263. 39 So Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, 1999, S. 69. 40 Zweifelnd auch Dubischar, NJW 1989, S. 3241, 3243 f. 41 BGH, Urt. v. 23.2.1973, V ZR 109/71 = BGHZ 60, 235, 240; Berger, in: Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 1004 Rn. 1.

II. Dogmatische Grundlage II. Dogmatische Grundlage

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Pächter oder Mieter in sich zusammen und kann damit das unstreitig bestehende Hausrecht des Besitzers nicht erklären.42 Aber auch selbst wenn man die Über­ tragung bzw. Abtretung der Befugnisse aus §§ 903, 1004 BGB entgegen der all­ gemeinen Ansicht zulassen würde, kämen dem Mieter oder dem Pächter letztlich gar nicht die Ansprüche aus § 1004 BGB zu. Denn als bloß schuldrechtlich Be­ rechtigte können diese richtigerweise gar nicht Gläubiger eines dinglichen An­ spruchs wie § 1004 BGB sein.43 Festzuhalten bleibt damit also, dass das alleinige Abstellen auf das Eigentum als dogmatische Grundlage des Hausrechts nicht zu überzeugen vermag. b) Besitz als dogmatische Grundlage? Das Hausrecht des obligatorisch Berechtigten unproblematisch erklären kön­ nen dagegen diejenigen, die im unmittelbaren Besitz an dem Grundstück oder Ge­ bäude die alleinige dogmatische Grundlage sehen.44 Denn nach diesen erwirbt der Mieter oder Pächter kraft Gesetzes mit dem Besitzerwerb ein eigenes, originä­ res auf §§ 858 ff. BGB beruhendes Hausrecht mit den sich aus den § 859 BGB und § 862 BGB ergebenden Befugnissen.45 Neben diesem Vorteil der dogmatischen Konsistenz im Vergleich zum alleinigen Abstellen auf das Eigentum sprechen auch historische Erwägungen für den Besitz als die dogmatische Grundlage des Hausrechts. Denn wie Engeln nachgewiesen hat, tauchte in den §§ 525, 526 PrALR von 1794 der Begriff „Besitzer“ im Zusammenhang mit der strafrecht­lichen Sank­ tionierung der Verletzung des Hausrechts auf.46 Dieser war der Träger des Haus­ rechts und von dessen Willen hing es ab, ob eine Verletzung des Hausrechts vor­ lag. Auch die an das PrALR anknüpfenden Entwürfe in Preußen von 1828 und 42 In dieser Richtung auch Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 126, der die Zulässigkeit einer Abspaltung einzelner Befugnisse aus dem Eigentum als „zweifel­ haft“ bezeichnet sowie Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S.  90 f. 43 Vgl. Baldus, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. VI, § 1004 Rn. 19; Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstal­ tungen, 2008, S. 90, der zu Recht auch eine „ausnahmsweise“ Anwendung des § 1004 BGB angesichts des eindeutigen Wortlauts ablehnt. 44 Vertreten wird dies v. a. von Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Aus­ übung, 1989, S. 43, S. 39; Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversammlung, 1978, S. 80 ff.; Christoph, Das Hausrecht in der Verwaltung, 1996, S.  32 ff.; Fikentscher, SpuRt 2002, S. 186, 187; Laier, Die Berichterstattung über Sportereig­ nisse, 2007, S. 231. 45 So auch Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 18. 46 Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 32 und S. 39. Auch wenn diese historischen Erwägungen primär für den Straftatbestand des § 123 StGB und die Frage, wer „Berechtigter“ im Sinne dieser Vorschrift ist, bedeutsam sind, so sind diese Überlegungen aufgrund der strafrechtlichen historischen Wurzel des Hausrechts auch für das private, aus zivilrechtlichen Vorschriften hergeleitete, Hausrecht zu berücksichtigen.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

1830 sahen das „substantielle Element des Hausrechts“ in dem „Recht zum ruhi­ gen Besitz“, die Verletzung im „Eingriff in das freie Besitzrecht“.47 Trotz des Ver­ zichts der nachfolgenden Kodifizierungen auf eine ausdrückliche Erwähnung des Besitzers, sprechen doch diese historischen Aspekte für eine Grundlage des Haus­ rechts im Besitz. Daneben wird für den Besitz als alleiniges dogma­tisches Funda­ ment angeführt, dass die Existenz des Hausrechts ohne eine Sachherrschaft nicht denkbar sei.48 Aber auch die Ausgestaltung des Besitzschutzes in den §§ 858 ff. BGB im Vergleich zum Eigentumsschutz spreche für diese Auffassung, da der Be­ sitzer sich im Konfliktfalle gegenüber dem Eigentümer – zunächst – durchsetze.49 Dieses Privileg des Besitzschutzes soll dann auch bei der dogmatischen Einord­ nung des Hausrechts von Bedeutung sein. Gegen die ausschließliche dogmatische Herleitung des Hausrechts aus dem un­ mittelbaren Besitz spricht jedoch zunächst, dass dem Eigentümer im Falle der Vermietung oder Verpachtung nach zum Teil vertretener, aber umstrittener An­ sicht ein sogenanntes „Resthausrecht“ verbleiben soll.50 Auch wenn er dieses ge­ genüber dem berechtigten Besitzer in der Regel nicht ausüben dürfe, da er auf­ grund des dinglichen oder schuldrechtlichen Vertrages zur Duldung verpflichtet sei, so soll dem Eigentümer doch als „Restbestand“ seines ursprünglichen Haus­ rechts die Befugnis verbleiben, allen Personen (z. B. Besuchern des Mieters) das Betreten seines Hauses zu verbieten, deren Aufenthalt im Hause ihm nicht zu­ zumuten sei, da sie das Gebäude (z. B. das Treppenhaus) beschädigen, strafbare Handlungen vorbereiten oder andere Bewohner erheblich belästigen.51 Folgt man dieser Auffassung, dann vermag das alleinige Abstellen auf den unmittelbaren Besitz als dogmatische Grundlage des Hausrechts nicht zu überzeugen, da sich damit das verbleibende Eigentümer-Hausrecht nicht erklären lässt.52 Außerdem ist das alleinige Abstellen auf den Besitz auch deshalb problematisch, weil dem Hausrecht neben der unstrittig und historisch primär bestehenden Abwehrfunk­ tion inzwischen auch von der herrschenden Auffassung eine positive Dimension zugesprochen wird, die jedoch mit den §§ 858 ff. BGB nicht begründet werden

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Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 32 m. w. N. zu den Motiven der Entwürfe von 1828 und 1830. 48 So Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 43. 49 Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 43; Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversammlung, 1978, S. 81. 50 Vgl. zum „Resthausrecht“ ausführlich Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 107 ff. m. w. N. sowie Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefugnis in der Betriebsversammlung, 1978, S. 70 f. 51 Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 109 m. w. N.; vgl. hierzu auch Lilie, in: Laufhütte/Rissing-van Saan u. a. (Hrsg.), Leipziger Kommentar zum StGB, § 123 Rn. 29. 52 So auch Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 18.

II. Dogmatische Grundlage II. Dogmatische Grundlage

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kann.53 Denn im Gegensatz zu § 903 BGB, der unstrittig neben der negativen auch eine positive Dimension umfasst, beschränken sich die Besitzschutzvorschriften der §§ 858 ff. BGB auf die rein abwehrrechtliche Komponente. Damit kann also auch der Besitz nicht die alleinige dogmatische Grundlage des Hausrechts sein. c) Eigentum und/oder Besitz als dogmatische Grundlage Nachdem also eine dogmatische Grundlage des Hausrechts ausschließlich im Besitz oder ausschließlich im Grundstückseigentum abgelehnt wurde, bleibt der Frage nachzugehen, ob das Hausrecht möglicherweise sowohl in den §§ 858 ff. BGB als auch in den §§ 903, 1004 BGB seine Grundlage findet. Anhänger die­ ser sog. „Kombinationslösung“ verstehen diese doppelte dogmatische Grundlage („Bivalenz“)54 teilweise in einer alternativen („Grundstückseigentum oder -besitz“)55 oder aber in einer kumulativen Sichtweise („Grundstückseigentum und Besitz“)56. Gemeinsam ist beiden Ansätzen die Überzeugung, dass sich das Hausrecht nur in einem „Zusammenspiel“ der Eigentums- und Besitzrechtsvorschriften erklä­ ren lasse.57 Für diese mittlerweile wohl herrschende Auffassung von der doppelten dogma­ tischen Grundlage des Hausrechts spricht, dass auf diese Weise die Vorzüge bei­ der zivilrechtlichen Wurzeln unter gleichzeitiger Vernachlässigung deren Schwä­ chen nutzbar gemacht werden können. Denn so gelingt es nicht nur das Hausrecht des Eigentümers, sondern auch das des Besitzers dogmatisch einwandfrei und ohne „juristische Kunststücke“ zu erklären. Aber auch die neuerdings anerkann­ ten positiven Dimensionen des Hausrechts lassen sich so in sich stimmig begrün­ den. Schließlich sprechen auch historische Gründe für diese Auffassung. Denn indem das Hausrecht seit jeher auf die Abwehr von Störungen des Hausherrn in seinem räumlich geschützten Bereich ausgerichtet war, ist es nur konsequent, wenn sowohl die §§ 858 ff. BGB mit ihrem Schutzanspruch des § 862 BGB, als auch die §§ 903, 1004 BGB mit dem Abwehranspruch des § 1004 BGB zur dog­ 53

Vgl. zu den positiven Dimensionen näher E. V. 1. sowie Strauß, Hörfunkrechte des Sport­ veranstalters, 2006, S. 127. 54 So die Formulierung von Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, 1999, S. 70. 55 BGH, Urt. v. 8.11.1005, KZR 37/03 = BGHZ 165, 62, 69; BAG, Urt. v. 22.9.2009, 1 AZR 972/08 = NZA 2009, S. 1347, 1354; BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054; BGH, Urt. v. 30.10.2009, V ZR 253/08 = NJW 2010, S. 534, 535; BGH, Urt. v. 9.3.2012, V ZR 115/11 = NJW 2012, S. 1725; sowie aus der Literatur: Hoeren/Schröder, MMR 2008, S. 551, 554; Maume, MMR 2007, S. 620, 622; Reichert, ZWE 2009, S. 289. 56 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 18; Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 246; so wohl auch Strauß, Hör­ funkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 128 sowie OLG Brandenburg, Urt. v. 18.4.2011, 1 U 4/10 = NJW-RR 2011, S. 890; Breucker, JR 2005, S. 133. 57 Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 93.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

matischen Herleitung herangezogen werden.58 Im Ergebnis kann sich also der Hausrechtsinhaber zur Verhinderung von Demonstrationen in seinen Räumlich­ keiten prinzipiell sowohl auf die Besitzschutzvorschriften der §§ 858 ff. BGB als auch auf die Eigentumsvorschrift des § 1004 BGB berufen. 4. Stellungnahme: Das Hausrecht als bloßer Sammelbegriff Das Hausrecht hat wie die bisherigen Ausführungen ergeben haben also eine doppelte dogmatische Grundlage. Für ein korrektes dogmatisches Verständnis des Hausrechts ist es nun unerlässlich sich klarzumachen, dass das Hausrecht selbst keinerlei Befugnisse zu irgendetwas verleiht.59 Vielmehr ist es lediglich eine „Umschreibung“60 bzw. ein „Sammelbegriff“61 für die sich aus den §§ 858 ff. BGB sowie §§ 903, 1004 BGB ergebenden Rechte, auf denen es basiert. Die Be­ fugnisse des Hausherrn ergeben sich damit also richtigerweise nicht unmittelbar aus dem Hausrecht, sondern aus den eigentums- oder besitzrechtlichen Vorschrif­ ten des BGB. Eine Berufung des Hausrechtsinhabers auf sein „Hausrecht“ ist des­ halb unpräzise. Vielmehr sind die Abwehrrechte der §§ 858 ff., 1004 BGB Rechtsund Handlungsgrundlage.62 Diese Vorschriften sind es auch, die den Umfang und den Inhalt des Hausrechts bestimmen. Da das Hausrecht also nur eine Umschrei­ bung dieser sich hieraus ergebenden Befugnisse darstellt, ist es auch zutreffend, wenn davon gesprochen wird, dass das Hausrecht selbst „kein Recht eigener Art“63 bzw. „kein Rechtsgut im Sinne eines absoluten Rechts ist“.64 Viele Unklarhei­ ten im Anwendungsbereich dieses Rechtsinstituts konnten nur deshalb entstehen, weil eben nicht hinreichend beachtet wurde, dass sich aus dem „Hausrecht“ selbst gar nichts ergibt oder ableiten lässt. So finden sich zahlreiche Versuche, die zur Lösung von Einzelfragen statt an die das Hausrecht konstituierenden Vorschrif­ ten, unmittelbar an den rechtlich nicht feststehenden Begriff des Hausrechts an­ 58 So Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 17. 59 So auch Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 128; Armah, Die Radio­ berichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 95 sowie Breucker, NJW 2006, S. 1233, 1235. 60 Löwisch/Rieble, NJW 1994, S. 2596; Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 128; ähnlich auch Emmerich, JuS 1994, S. 434, 435. 61 So Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 11 freilich in einem anderen Kontext. 62 Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 128 f. Dies verkennt vielfach die Rechtsprechung, wenn sie das Hausrecht als Rechtsgrundlage ansieht, so etwa OLG Ham­ burg, Urt. v. 12.6.2003, 5 U 67/02 = NJW-RR 2003, S. 1485. 63 Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 94 ff. 64 Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 128; Löwisch/Rieble, NJW 1994, S. 2596; für eine Qualifizierung als Rechtsgut dagegen: Ramm, DVBl. 2011, S. 1506, 1507 f.; AG Hadamar, Urt. v. 20.12.1994, 3 C 420/94 = NJW 1995, S. 968, 969: „Das Hausrecht stellt als ‚ein Stück lokalisierter Freiheitssphäre‘ ein persönliches Rechtsgut besonderer Art dar.“

III. Hausrechtsinhaber III. Hausrechtsinhaber

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knüpfen. Konsequenz dieser verfehlten Vorgehensweise sind freischwebende und juristisch kaum noch nachvollziehbare Argumentationen und Konstruktionen.65 Als Ergebnis der Überlegungen zur Herleitung des Hausrechts bleibt damit festzu­ halten, dass sowohl der Besitz als auch das Eigentum die dogmatischen Grundla­ gen des Hausrechts sind. Das Hausrecht selbst ist dabei lediglich ein „Sammelbe­ griff“ für die sich aus den §§ 858 ff., 903, 1004 BGB ergebenden Befugnisse und Rechte. Diese Vorschriften sind es daher, die den normativen Ausgangspunkt für die im Folgenden näher zu untersuchenden Fragen darstellen.

III. Hausrechtsinhaber Offen geblieben ist bisher die Frage, wer konkret der Inhaber des Hausrechts im privaten öffentlichen Raum ist. Vor dem Hintergrund der soeben dargelegten doppelten dogmatischen Grundlage des Hausrechts liegt die Beantwortung dieser Frage auf der Hand: Hausrechtsinhaber ist derjenige, dem aufgrund seiner Stel­ lung als Eigentümer oder Besitzer des privaten öffentlichen Raums die aus den §§ 858 ff., 903, 1004 BGB resultierenden Rechte zustehen. Entscheidend ist also die dingliche oder besitzrechtliche Beziehung zum jeweiligen Ort.66 In Bezug auf die privaten öffentlichen Räume ergeben sich nun jedoch zwei Besonderheiten, die daraus resultieren, dass diese in den allermeisten Fällen im Eigentum oder Besitz einer juristischen Person des Privatrechts stehen (etwa der Fraport AG oder der Deutschen Bahn AG). Zunächst stellt sich Frage, ob die Besitzschutzvorschriften denn auf eine juristische Person überhaupt Anwendung finden können, das heißt ob eine juristische Person selbst Besitzerin des privaten öffentlichen Raums und damit Hausrechtsinhaberin sein kann. Zweifel daran werden in Bezug auf die da­ für erforderliche tatsächliche Sachherrschaft sowie den Besitzwillen angemeldet. Nach Maßgabe der Figur des Organbesitzes67 kann jedoch eine juristische Person durchaus Besitzerin (des privaten öffentlichen Raums) sein. Die hierfür erforder­ liche tatsächliche Sachherrschaft und der Besitzwille werden von den satzungs­ mäßigen Organen ausgeübt und der juristischen Person dann zugerechnet. Die Or­ gane selbst sind dabei trotz tatsächlicher Sachherrschaft nicht Besitzer und damit auch nicht die Inhaber der Ansprüche aus §§ 858 ff., 1004 BGB. Vielmehr ist es die juristische Person selbst, der diese Ansprüche zustehen und die damit Träge­ rin des Hausrechts im privaten öffentlichen Raum ist. Ausgeübt werden diese An­ sprüche dann freilich durch die dafür zuständigen Organe.

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Siehe E. II. 1. sowie v. a. Dudenbostel, Hausrecht, Leitungsmacht und Teilnahmebefug­ nis in der Betriebsversammlung, 1978, S. 66, 78. 66 Vgl. Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 129 f. 67 Vgl. hierzu und zum Folgenden K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 10 III, S. 266 ff. sowie in Bezug auf das Hausrecht Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 145 m. w. N.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

Daneben stellt sich als zweites die Frage, wie denn dem Interesse der juristi­ schen Person, dass nicht nur ihre Organmitglieder, sondern auch Dritte (im Regel­ fall Angehörige eines Sicherheitsunternehmens) die hausrechtlichen Befugnisse wie etwa den Erlass eines Hausverweises oder eines Hausverbotes ausüben kön­ nen, Rechnung getragen werden kann. Vor dem Hintergrund der faktischen Not­ wendigkeit einer solchen „Ausübung des Hausrechts durch Dritte“68 stellt sich die Frage, wie eine solche rechtlich konstruiert werden kann. Auszugehen ist auch hier wieder von den hausrechtlichen Vorschriften der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich des eigentumsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist klar, dass privatrechtliche Ordnungskräfte nach § 185 BGB ermächtigt werden können, die­ sen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen.69 Etwas schwieriger stellt sich die Situation aber bezüglich des Anspruchs aus § 862 Abs. 1 BGB dar. Denn dieser possessorische Besitzschutz steht an sich nur dem unmittelbaren bzw. mit­ telbaren Besitzer (§ 869 BGB) zu. Private Ordnungskräfte sind dagegen im Re­ gelfall Besitzdiener im Sinne von § 855 BGB, so dass sie den Anspruch nicht ohne Weiteres geltend machen können (arg. § 860 BGB). Auch wenn die Besitz­ dienerschaft als „besitzrechtliche Form des Handelns für andere“ und als „stell­ vertretungsähnlich“ bezeichnet wird,70 sprechen doch aufgrund des faktischen Charakters des Besitzes die besseren Argumente gegen eine (analoge) Heranzie­ hung der auf rechtsgeschäftliche Willenserklärungen zugeschnittenen §§ 164 ff. BGB.71 Vielmehr können die privaten Ordnungskräfte nach § 185 BGB (analog) zur Ausübung der auf § 862 BGB gestützten hausrechtlichen Befugnisse wie etwa den Erlass eines Hausverweises oder Hausverbotes ermächtigt werden.72

IV. Räumliche Reichweite Nähere Betrachtung bedarf des Weiteren die räumliche Reichweite des Haus­ rechts. Hintergrund sind Ansätze in der Literatur, die räumliche Reichweite u­ nter Hinweis auf den Begriff des „Hausrechts“ auf den innerhäuslichen Bereich der Wohnung zu beschränken und damit Betriebs- und Geschäftsräume bzw. die hier interessierenden privaten öffentlichen Räume mit seinen Einkaufszentren, Flug­ 68

So die Formulierung von Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Aus­ übung, 1989, S. 57 ff., der sich mit dieser Problematik ausführlich beschäftigt. 69 Fritzsche, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 1004 Rn. 11; Berger, in: Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 1004 Rn. 1. 70 Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 146; Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 62 jeweils m. w. N. 71 So auch Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 59 ff.; a. A. wohl Löwisch, NZA 2010, S. 209, 210 („Bevollmächtigten“) sowie Schulze, Jura 2011, S. 481, 486 f. 72 So auch Engeln, Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung, 1989, S. 68 ff., 113 f.; Breucker, JR 2005, S. 133, 134; Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, 1999, S. 74.

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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häfen etc. auszuklammern.73 Eine solche Auffassung ist jedoch abzulehnen. Denn diese würde gerade der oben dargelegten Gefahr erliegen, den Begriff des „Haus­ rechts“ zum Ausgangspunkt zur Lösung einzelner Probleme zu machen. Richti­ gerweise ist aber von den §§ 903, 1004, 858 ff. BGB auszugehen. Diese geben für eine räumliche Begrenzung auf den innerhäuslichen Bereich aber keinerlei An­ haltspunkte, so dass das Hausrecht auch im „außerhäuslichen“ Bereich und damit in den privaten öffentlichen Räumen gilt. Aus den gleichen Gründen abzulehnen ist der vereinzelt in der Literatur anzutreffende Versuch, das Hausrecht in räum­ licher Hinsicht auf diejenigen Flächen zu beschränken, die umfriedet, das heißt durch physische Barrieren (Einzäunung etc.) eingegrenzt sind.74 Denn die zivil­ rechtlichen Vorschriften der §§ 858 ff., 1004 BGB kennen im Gegensatz zur straf­ rechtlichen Vorschrift des § 123 StGB eine solche Einschränkung des Schutzes auf befriedete Bereiche eben gerade nicht. Damit bleibt es also trotz dieser räum­ lichen Einschränkungsversuchen dabei, dass die das Hausrecht konstituierenden eigentums- und besitzrechtlichen Vorschriften dessen räumliche Reichweite be­ gründen und begrenzen.75 Das Hausrecht erstreckt sich also auf all diejenigen Flächen, aber eben auch nur auf diejenigen, die vom Eigentum bzw. Besitz der natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts umfasst werden.76

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen Nachdem Inhaberschaft und räumliche Reichweite des Hausrechts im privaten öffentlichen Raum geklärt wurden, geht es im Folgenden nun um den sachlichen Inhalt des Hausrechts und dessen Grenzen. Da Demonstrationen in privaten öf­ fentlichen Räumen im Regelfall mittels Hausordnungen untersagt oder unter Ge­ nehmigungsvorbehalt gestellt werden, steht dabei die Frage im Mittelpunkt, ob und inwieweit der Hausherr zum Erlass solcher Nutzungsbeschränkungen denn überhaupt befugt ist. 1. Negative und positive Dimensionen des Hausrechts Geht man in Übereinstimmung mit der historischen Entwicklung von der pri­ mären Funktion des Hausrechts als strafbewehrtes räumliches Abwehrrecht aus, so könnte man an einer solchen Befugnis zweifeln. Denn danach hat der Haus­ herr genau genommen nur das Recht, Personen den Zutritt des Raumes zu unter­ 73

Vgl. Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953, 954. Lerche/Ulmer, Kurzberichterstattung im Fernsehen, 1989, S. 97. 75 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 19. 76 Wie hier Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, 1999, S. 71; Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007 S. 239; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 19. 74

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

sagen.77 Die Aufstellung bestimmter Zutritts- oder Nutzungsregelungen78 lässt sich mit einem solchen rein negativen, abwehrrechtlichen Verständnis des Haus­ rechts ebenso wenig begründen, wie das Verbot einer – dem Zutritt quasi nach­ gelagerten – Nutzung des Raumes wie etwa zu Demonstrationszwecken. Schon früh ging aber die Rechtsprechung über dieses rein negative Verständnis des Hausrechts hinaus, wenn es etwa bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1961 heißt, dass das Hausrecht das Recht des Hausherrn beinhalte darüber zu ent­ scheiden, welche Personen er in seine Räume hineinlasse, wem er also den Zu­ tritt gewähre.79 Dies bedeutete die Anerkennung einer positiven Dimension des Hausrechts und einer Interpretation „als eine Art Leistungsrecht“.80 In dieser Li­ nie liegen dann auch die Entscheidungen in der Folgezeit, in dem etwa dem Haus­ herrn die Befugnis zugesprochen wurde, die generelle Erlaubnis zum Betreten sei­ ner Geschäftsräume an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zu knüpfen81 oder aber „den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben oder rechtswirk­ sam von Bedingungen wie der Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen“.82 Ih­ ren Höhepunkt erreichte diese „Funktionserweiterung“83 in der (zweifelhaften) Anerkennung einer verwertungsrechtlichen Dimension des Hausrechts im Zu­ sammenhang mit der Diskussion um die Hörfunkrechte des Sportveranstalters.84 Damit ist heute also klar, dass der Hausherr nicht nur über das „Ob“ des Zutritts, sondern auch über das „Wie“ der Nutzung entscheiden darf und dem Hausrecht so eine „Regelungsfunktion“ zukommt, in dem es die Steuerung des Verhaltens im Raum umfasst.85 In diesem Sinne kann daher auch die Auferlegung bestimm­ ter Verhaltensgebote und -verbote (wie z. B. ein Demonstrationsverbot oder dessen Erlaubnispflicht) vom Hausrecht umfasst sein.

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Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 15, 22. 78 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 368 spricht diesbzgl. von „positive[n] Ver­ haltensbefehle[n]“. 79 Vgl. BGH, Urt. v. 28.11.1961, I ZR 56/60 = BGHZ 36, 171, 177 sowie hierzu Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 22. 80 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 22 f. Dies muss freilich von der an anderer Stelle thematisierten grundrechtlichen Diskussion um die eingriffs- oder leistungsrechtliche Konstruktion strikt getrennt werden. 81 BGH, Urt. v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93 = BGHZ 124, 39, 43. 82 BGH, Urt. v. 8.11.2005, KZR 37/03 = BGHZ 165, 62, 70; siehe auch BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054. 83 So die Formulierung von Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Frei­ heit der Massenmedien?, 2010, S. 22. 84 OLG Hamburg, Urt. v. 12.6.2003, 5 U 67/02 = NJW-RR 2003, S. 1485, 1486; BGH, Urt. v. 8.11.1005, KZR 37/03 = BGHZ 165, 62 ff.; kritisch hiergegen Mailänder, ZUM 2003, S. 820, 823; Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 96; Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 152; sowie zum Ganzen Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 22 ff. 85 Vgl. Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 22 f.

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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Letztlich lässt sich diese positive Dimension des Hausrechts aber auch hier wie­ der unproblematisch aus dem Gesetz begründen, wenn man statt vom (Sammel-) Begriff des „Hausrechts“ von den diesen konstituierenden Normen ausgeht.86 So sprechen zwar die §§ 862, 1004 BGB für ein abwehrrechtliches Verständnis des Hausrechts, doch ist, wie oben dargelegt, die Vorschrift des § 903 BGB eine wei­ tere Grundlage des Hausrechts. Demnach darf der Eigentümer nicht nur (nega­ tiv) andere von jeder Einwirkung auf die Sache ausschließen, sondern er kann auch (positiv) mit der Sache grundsätzlich „nach Belieben verfahren“. Eben letz­ teres enthält die Befugnis des Hausrechtsinhabers nicht nur im Einzelfall eine be­ stimmte Nutzung des Raumes zu verbieten, zu gestatten oder aber von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen, sondern auch das Recht im privaten öffent­ lichen Raum abstrakt-generelle Zugangs- und Nutzungsregeln mittels einer Haus­ ordnung aufzustellen.87 Damit ist also ein in Bezug auf eine konkret geplante Versammlung ausgesprochenes Demonstrationsverbot in privaten öffentlichen Räumen grundsätzlich ebenso zulässig, wie die generelle Festlegung von Ein­ schränkungen hinsichtlich der Durchführung einer Demonstration mittels Haus­ ordnungen. Weiter untersucht werden muss nun jedoch, ob der Hausherr eine be­ stimmte Raumnutzung (wie zum Beispiel zu Demonstrationszwecken) grundlos, das heißt nach freiem Belieben verbieten darf, oder aber ob er insoweit einer ge­ wissen Rechtfertigungspflicht unterliegt. 2. Grundsatz der freien Ausgestaltung und Ausübung als Ausdruck der Privatautonomie Das private Hausrecht ist in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der Pri­ vatautonomie zu sehen. Hierbei handelt es sich um ein verfassungsrechtlich abge­ sichertes88 Grundprinzip der Privatrechtsordnung, das allen Privatrechtsubjekten die Befugnis einräumt, ihre Angelegenheiten selbständig und eigenverantwort­ lich zu gestalten.89 Aus dieser Verbindung des privaten Hausrechts mit der Privat­ autonomie ergibt sich der auch in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz der freien Ausgestaltung und Ausübung des Hausrechts.90 Demnach kann der Haus­ 86 So letztlich auch Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 24. 87 BGH, Urt. v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93 = BGHZ 124, 39, 43; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 366 ff.; Fritzsche, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher OnlineKommentar BGB, § 903 Rn. 16 ff. 88 Der Grundsatz der Privatautonomie wird verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. etwa BVerfG, Bechl. v. 4.6.1985, 1 BvL 12/84 = BVerfGE 70, 115, 123 so­ wie BVerfG, Urt. v. 8.4.1997, 1 BvR 48/94 = BVerfGE 95, 267, 303; näher dazu Ruffert, Vor­ rang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 53 ff. sowie Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 133 ff.). 89 Schulze, in: ders. (Hrsg), Hk-BGB, 2012, Vorb. zu §§ 311–319 Rn. 6. 90 Vgl. LG Duisburg, Urt. v. 22.07.2005, 7 S 63/05 = BeckRS 2005, 09099; OLG Branden­ burg, Urt. v. 18.4.2011, 1 U 4/10 = NJW-RR 2011, S. 890.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

herr nach freiem Belieben bestimmen, „wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit ge­ stattet und wem er ihn verwehrt“.91 Dies enthält wie gezeigt auch die Befugnis, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben, oder aber die Zutrittsberech­ tigung an die Erfüllung bestimmter Bedingungen, wie etwa an die Zahlung eines Eintrittspreises oder aber an die vorherige Genehmigung, zu knüpfen.92 In Aus­ übung und Ausgestaltung des Hausrechts ist der Hausrechtsinhaber frei, das heißt er unterliegt hierbei keiner Rechtfertigungspflicht und kann damit ohne sachli­ chen Grund, das heißt letztlich sogar willkürlich, jemandem den Zutritt verwei­ gern oder eine bestimmte Nutzung untersagen.93 Dementsprechend ist also das Verbot der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum ebenso wie die Auferlegung einer Erlaubnispflicht vom Grundsatz der freien Aus­ übung des Hausrechts umfasst. 3. Hausordnungen als Gestaltungsmittel Da im Zusammenhang mit der Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum von der Hausordnung als dem zentralen Ordnungs- und Ge­ staltungsmittel im privaten öffentlichen Raum die Rede ist,94 soll abschließend noch dieses Instrument einer kurzen Betrachtung unterzogen werden.95 Die Haus­ ordnung ermöglicht es dem Hausherrn in freier Beliebigkeit bestimmte Nutzungs­ bedingungen oder Verhaltensregeln in generalisierter Form festzuschreiben.96 Er kann darin die der Allgemeinheit generell eingeräumte Betretungs- und Nut­ zungsbefugnis des jeweiligen Raumes näher konkretisieren oder aber beschrän­ ken. Die Hausordnung ist ein Mittel des Hausrechts, ihr Erlass ist Ausübung bzw. Betätigung der unter dem Begriff des Hausrechts zusammengefassten sachen­ 91 BGH, Urt. v. 8.11.1005, KZR 37/03 = BGHZ 165, 62, 70; BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054; zuletzt OLG Brandenburg, Urt. v. 18.4.2011, 1 U 4/10 = ­NJW-RR 2011, S. 890. 92 BGH, Urt. v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93 = BGHZ 124, 39, 43; BGH, Urt. v. 8.11.1005, KZR 37/03 = BGHZ 165, 62, 69 f.; BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054. 93 Zur Willkürfreiheit der Hausrechtsausübung vgl. Sickor, Jura 2008, S. 14, 16 f. 94 Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127,1132 f. 95 Hierzu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 366 ff. sowie aus der Rspr. etwa OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.3.1993, 4 U 172/91 = NJW-RR 1993, S. 788 ff. Alternativ ist häufig auch von „Nutzungsordnungen“, „Beförderungsbedingungen“, „Nutzungsvorschriften“ bzw. „Flughafenbenutzungsordnungen“ die Rede. 96 Das Spektrum hier denkbarer Ausübungsregeln zeigt sich beispielshaft an der Haus­ ordnung der Deutschen Bahn AG (abrufbar unter www.bahnhof.de, Stand: 06. 2011). So ist auf deren Gelände neben vielen anderen Verhaltensweisen das Sitzen auf dem Boden, auf Treppen und auf Zugängen, das Ballspielen, das Durchsuchen von Abfallbehältern sowie das Betteln und Belästigen von Personen untersagt. Weiter sind das Verteilen von Flugblättern, das Anbringen von Plakaten und die Durchführung von Demonstrationen auf dem gesam­ ten Gelände der Deutschen Bahn AG nur nach vorheriger Genehmigung durch das Bahnhof­ management gestattet.

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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rechtlichen Herrschaftsrechte.97 Eine Wirksamkeitskontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB kommt in Bezug auf die Durchführung einer Demonstration im privaten öf­ fentlichen Raum in der Regel nicht in Betracht, da die Hausordnungen mangels vertraglicher Rechtsbeziehungen zwischen dem Hausherrn und den Demonstran­ ten keine Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen. Deshalb finden sie ihre rechtliche Grundlage auch nicht in einer (konkludenten) vertraglichen Vereinba­ rung, sondern in den das Hausrecht konstituierenden Vorschriften der §§ 858 ff., 1004, 903 BGB. Ihre generelle Bindungswirkung gegenüber allen, die den Raum betreten und sich darin aufhalten, beruht darauf, dass es sich bei dem Eigentum um ein absolutes, gegenüber jedermann geltendes Herrschaftsrecht handelt.98 An­ gesichts dieser abstrakt-generellen Bindungswirkung wird der Erlass einer Haus­ ordnung auch als eine „weiche Form der Rechtsetzung“ bezeichnet.99 Ob der pri­ vaten Hausordnung hingegen tatsächlich die Qualität einer (privaten) Rechtsnorm zukommt, ist zweifelhaft, bedarf hier jedoch mangels Relevanz keiner näheren Klärung.100 Festzuhalten ist für den hier interessierenden Zusammenhang ledig­ lich, dass Hausordnungen ein zulässiges und vor allem wirksames Ordnungs- und Gestaltungsmittel im privaten öffentlichen Raum sind. 4. Beeinträchtigung des Hausrechts durch eine Demonstration im privaten öffentlichen Raum Bisher wurde herausgearbeitet, dass der Hausherr grundsätzlich nach freiem Belieben die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum verbieten kann, sei es im Einzelfall (gewissermaßen „ad hoc“), sei es generell im Wege der Hausordnung. Ebenso steht es ihm frei diese unter den Vorbehalt vorheriger Genehmigung zu stellen. Wird nun jedoch entgegen diesen Vorga­ ben demonstriert, so stellt sich die Frage, welche zivilrechtlichen Konsequenzen dies hat.101 Da dabei die das Hausrecht konstituierenden Vorschriften der §§ 1004 Abs. 1 BGB, 862 Abs. 1 BGB im Mittelpunkt stehen sollen, bleiben etwaige de­ liktsrechtliche Ansprüche im Folgenden ausgeblendet.

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F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 367. Vgl. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 367 sowie OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.3.1993, 4 U 172/91 = NJW-RR 1993, S. 788, 789. 99 Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127, 1132. 100 Vgl. hierzu ausführlich F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, insb. S. 366 ff. sowie Bachmann, Private Ordnung, 2006, insb. S. 95 ff. 101 Ausgeklammert werden soll eine etwaige Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB). 98

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

a) „Hausrechtliche“ Abwehransprüche Zu unterscheiden gilt es zwischen dem Anspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB und den Ansprüchen des Besitzers. aa) Anspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB Ist der Hausrechtsinhaber Eigentümer des privaten öffentlichen Raums, so kann er aus § 1004 Abs. 1 BGB gegen die Demonstranten vorgehen. Dieser Anspruch ist gerichtet auf Beseitigung (Satz 1) oder auf Unterlassung (Satz 2). Vorausset­ zung ist in jedem Fall eine Beeinträchtigung des Eigentums. Hierunter versteht man jeden dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechenden Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers.102 Eine Ein­ wirkung auf die Sachsubstanz ist nicht nötig, so dass schon das bloße Be­treten eines Grundstücks eine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen kann.103 In der vor­ liegenden Konstellation kann jedoch im reinen Betreten des privaten öffentlichen Raums durch die Demonstranten keine solche Beeinträchtigung des Eigentums gesehen werden, da der private öffentliche Raum ja gerade dadurch gekennzeich­ net ist, dass er jedermann öffentlich zugänglich ist und der Eigentümer so mit der Öffnung seines Raumes eine konkludente Einwilligung auch in Bezug auf den Zutritt der Demonstranten erteilt.104 Fraglich ist aber, ob in der nicht gestatteten Durchführung einer Demonstration eine solche Eigentumsbeeinträchtigung lie­ gen kann. Hintergrund ist das zum Eigentum des § 903 BGB gehörende Recht mit der Sache nach Belieben zu verfahren, das – wie dargelegt – auch das Recht des Eigentümers beinhaltet zu entscheiden, ob in seinem Raum eine Demons­ tration stattfinden darf oder nicht. Entscheidet er sich in der Hausordnung aus­ drücklich gegen eine solche Demonstrationsbefugnis, so stellt eine Durchführung gegen seinen Willen eine Beeinträchtigung der von § 903 BGB geschützten Eigen­ tümerbefugnis dar. Damit kann der Eigentümer von den Demonstranten als sog. Handlungsstörer die Unterlassung der Demonstration verlangen, sofern er nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung dieser Nutzung verpflichtet ist, die Beein­ trächtigung also rechtswidrig ist.105 Letztere Frage wird sogleich näher behan­ delt. Zunächst sollen jedoch die Ansprüche des Besitzers sowie die Möglichkeiten des Hausherrn gegen die unliebsamen Demonstranten mittels Hausverweises und Hausverbots vorzugehen dargestellt werden. 102 BGH, Urt. v. 4.2.2005, V ZR 142/04 = NJW 2005, S. 1366, 1367; Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 148. 103 Baldus, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­ buch, Bd. VI, § 1004 Rn. 43. 104 Näher dazu E. V. 5. a). 105 Zum Zusammenhang von Duldungspflicht und Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 1004 BGB Baldus, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­ buch, Bd. VI, § 1004 Rn. 90.

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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bb) Ansprüche des Besitzers Ist der Hausrechtsinhaber nicht oder nicht nur Eigentümer des privaten öffent­ lichen Raums sondern (auch) dessen Besitzer, so kann er sich zunächst mit den Besitzschutzvorschriften der §§ 859, 861, 862 BGB gegen die unliebsamen De­ monstranten zu Wehr setzen. Die für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand wesentliche Vorschrift hiervon ist § 862 Abs. 1 BGB. Demnach kann der unmit­ telbare Besitzer gegen die widerrechtliche Störung seines Besitzes einen Besei­ tigungs- (Satz 1) bzw. Unterlassungsanspruch (Satz 2) geltend machen. Da der Begriff der Besitzstörung im Wesentlichen deckungsgleich mit dem der Eigen­ tumsbeeinträchtigung in § 1004 BGB ist,106 kann diesbezüglich auf das eben Ge­ sagte verwiesen werden. Die Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Ver­ sammlungszwecken stellt damit also prinzipiell eine Besitzstörung dar. Ob das weitere Merkmal der Widerrechtlichkeit gegeben ist hängt nach § 858 Abs. 1 BGB davon ab, ob die Demonstration ohne den Willen des Berechtigten und ohne ge­ setzliche Gestattung erfolgt. Dies wird wie bereits im Rahmen des Anspruchs des Eigentümers angedeutet, im Anschluss an die hausrechtlichen Mittel des Haus­ verweises und des Hausverbots näher untersucht. Als weiterer Anspruch steht dem Besitzer aber auch der sog. quasi-negatorische Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB zu, da es sich anerkanntermaßen bei dem berechtigten Besitz um ein „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB handelt.107 Dieser Anspruch hat den Vorteil gegenüber dem possessorischen Anspruch aus § 862 BGB, dass er nicht der zeit­ lichen Begrenzung des § 864 BGB unterliegt. b) Hausverweis und Hausverbot als Mittel des Hausrechts Neben diesen besitz- und eigentumsrechtlichen Ansprüchen werden häufig als weitere Handlungsmöglichkeiten des Hausherrn der Erlass eines sog. Hausverwei­ ses bzw. Hausverbots genannt. Richtigerweise handelt es sich bei beiden aber nicht um besondere Mittel die in dem Hausrecht ihre Rechtsgrundlage finden, sondern lediglich um spezifische Bezeichnungen für die sich aus den das Hausrecht konsti­ tuierenden Vorschriften der §§ 858 ff., 1004 BGB ergebenden (gewöhnlichen) An­ sprüche.108 Auch hier zeigt sich also wieder, dass aus dem Hausrecht selbst nichts

106 Baldus, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­ buch, Bd. VI, § 1004 Rn. 43. 107 Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 2012, § 823 Rn. 13. 108 Unzutreffend daher BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054 sowie BGH, Urt. v. 30.10.2009, V ZR 253/08 = NJW 2010, S. 534, wonach die Befugnis ein Haus­ verbot auszusprechen aus dem Hausrecht folgen soll. So auch zahlreiche Stimmen aus der Li­ teratur, vgl. etwa Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse, 2007, S. 232.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

abgeleitet werden darf, es sich dabei vielmehr um einen Sammelbegriff für die sich aus den §§ 858 ff., 1004 BGB ergebenden Befugnisse handelt. In der Sache unterscheiden sich Hausverweis und Hausverbot wie folgt: Der Hausverweis dient dazu, eine gegenwärtige Verletzung des Eigentums oder des Besitzes zu beenden und wird auf die §§ 862 Abs. 1 S. 1, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gestützt.109 Der Haus­ herr bringt hierin dem Störer zum Ausdruck, dass er seine weitere Anwesenheit nicht dulde und er daher den Raum zu verlassen habe. Während der Hausverweis also eher repressive Wirkung entfaltet, hat der Ausspruch eines Hausverbots prä­ ventiven Charakter. Er dient dem Zweck künftige Verletzungen des Hausrechts zu verhindern und beruht deshalb auf dem Unterlassungsanspruch des §§ 861 Abs. 1 S. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB.110 Aufgrund dieser Zukunftsgerichtetheit verlangt die Wirksamkeit des Hausverbots, dass weitere Verstöße gegen das Hausrecht zu besorgen sind, wobei hieran „keine überhöhten Anforderungen“ von der Recht­ sprechung gestellt werden.111 Möglich ist ebenfalls eine Befristung des Hausver­ bots sowie eine räumliche Beschränkung auf nur spezifische Orte. 5. „Grenzen des Hausrechts“: Die Frage nach der Rechtswidrigkeit bzw. Widerrechtlichkeit der Beeinträchtigung Nachdem nun geklärt wurde, dass eine Demonstration im privaten öffent­lichen Raum sowohl eine Beeinträchtigung des Eigentums als auch des Besitzes zur Folge haben kann und so die Demonstranten den zivilrechtlichen Ansprüchen aus §§ 1004, 858 ff. BGB ausgesetzt sein können, muss nun der Frage nachgegan­ gen werden, ob eventuell die Rechtswidrigkeit bzw. Widerrechtlichkeit dieser Be­ einträchtigung entfallen könnte. Damit sind die Grenzen des Hausrechts ange­ sprochen.112 Mangels einfachgesetzlicher Nutzungsrechte am privaten öffentlichen Raum zu Versammlungszwecken bleiben im Folgenden gesetzliche Duldungs­ pflichten ebenso ausgeblendet wie Duldungspflichten aufgrund rechtsgeschäft­ licher Nutzungsvereinbarung.113 In Betracht könnte aber eine Duldungspflicht des

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BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054, 1055. BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054, 1055; BGH, Urt. v. 30.10.2009, V ZR 253/08 = NJW 2010, S. 534, 535. 111 So BGH, Urt. v. 30.10.2009, V ZR 253/08 = NJW 2010, S. 534, 535; vgl. dazu und zum Unterschied von Hausverweis und Hausverbot Schulze, Jura 2011, S. 481, 486. 112 Dass das Hausrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist, ergibt sich bereits aus § 903 BGB, wonach dem Eigentümer die positiven und negativen Befugnisse nur mit der Einschrän­ kung zustehen, „soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen“. 113 Hierzu ausführlich Baldus, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. VI, § 1004 Rn. 93 ff. sowie Strauß, Hörfunkrechte des Sport­ veranstalters, 2006, S. 140 f. Mangels Relevanz für die vorliegende Problematik werden im Folgenden auch die Diskriminierungsverbote des AGG als „Grenzen“ des Hausrechts nicht näher betrachtet (hierzu näher Schulze, Jura 2011, S. 481, 485). 110

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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Hausrechtsinhabers kraft Einwilligung bzw. eine Einschränkung der Hausrechts­ ausübung durch die Öffnung des Raumes kommen. Grundrechtliche Erwägungen sollen auch hierbei zunächst noch ausgeblendet werden. a) Einwilligung – Die bloße Gestattung des Zutritts zum privaten öffentlichen Raum Die Einwilligung ist der „Oberbegriff für die Gestattung von Eingriffen in die vom Hausrecht geschützte Rechtsposition“ und begründet in Abhängigkeit von ih­ rer Reichweite eine Duldungspflicht für den Hausherrn (§ 1004 Abs. 2 BGB).114 Denkbarer Ansatzpunkt für eine solche Duldungspflicht des Hausrechtsinha­ bers hinsichtlich der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum könnte die Tatsache sein, dass dieser den Raum der Allgemeinheit öffnet und so jedermann voraussetzungslos, das heißt unter Verzicht auf eine Prüfung im Einzelfall, Zugang und Zutritt gewährt.115 Denn durch diese Öffnung des Rau­ mes, die Ausfluss der oben dargelegten privaten Dispositionsbefugnis des Haus­ herrn ist, willigt dieser (konkludent) in die Beeinträchtigung seines Eigentums oder Besitzes durch das Betreten des privaten öffentlichen Raums ein, so dass die Rechtswidrigkeit bzw. Widerrechtlichkeit insoweit entfällt. So richtig dies ist, so muss doch wie bereits angedeutet beachtet werden, dass sich diese konkludente und jederzeit (grundlos) widerrufbare Einwilligung nur auf den Zugang bzw. Zu­ tritt zu dem Raum einschließlich der „normalen“ Nutzung bezieht. Hinsichtlich der Durchführung einer Versammlung gibt der Hausherr im Regelfall durch seine Hausordnung jedoch unmissverständlich zu erkennen, dass sich diese Einwilli­ gung gerade nicht auf eine solche Raumnutzung beziehen soll.116 Denn eine sol­ che möchte er ja im Normalfall um jeden Preis verhindern, da eine Demonstra­ tion im privaten öffentlichen Raum die Einkaufsatmosphäre und damit letztlich den Umsatz in erheblichem Maße beeinträchtigen kann. Daher liegt die Durch­ führung einer Demonstration außerhalb der von dem Hausherrn „freigegebenen Nutzungszwecke“ und stellt damit eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung i. S. d. § 1004 BGB bzw. eine widerrechtliche Beeinträchtigung des Besitzes i. S. d. § 862 Abs. 1 BGB dar.117

114 Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 139 m. w. N. auch zur (umstrit­ tenen) Rechtsnatur der Einwilligung. Zur Einwilligung insgesamt Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, 2002. 115 So auch BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054. 116 So auch BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054. 117 Vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

b) Hausrechtsverzicht durch die Öffnung des Raums für die Allgemeinheit? Eng verknüpft mit dem Aspekt der Einwilligung sind verschiedene, zwar ur­ sprünglich für andere Konstellationen entwickelte, aber auf vorliegende Konstel­ lation eventuell übertragbare Ansätze in Rechtsprechung und Literatur, deren Ge­ meinsamkeit es ist, dass sie alle an die Öffnung des Raumes für den allgemeinen Publikumsverkehr gewisse nachteilige Konsequenzen hinsichtlich der Befugnisse des Hausherrn knüpfen.118 So sieht etwa der erste im Folgenden nun zu untersuchende Ansatz, der anfangs auch vom BGH vertreten wurde,119 in der Öffnung des Raumes einen Verzicht des Hausherrn auf das Hausrecht bzw. auf dessen Geltendmachung („Ausübungs­ verzicht“). Demnach könnte der Hausrechtsinhaber gegen die Durchführung einer ungenehmigten Demonstration nicht mittels Erlass eines Hausverweises oder eines Hausverbots vorgehen, da er sich durch die Öffnung des Raumes dieser Möglich­ keit gerade begeben hätte. Hiergegen spricht jedoch, dass die hohen Anforderun­ gen, die an eine solche Verzichtskonstruktion zu stellen sind, im Regelfall nicht vorliegen. So wird man nur selten von einem Verzichtswillen des Hausherrn durch bloße Öffnung des Raumes ausgehen können, da es trotz einer generellen Öffnung des Raumes durchaus gute Gründe geben kann, grundsätzlich willkommene Kun­ den des Raumes zu verweisen bzw. von einem Betreten abzuhalten (zum Beispiel im Falle randalierender Gäste bzw. drohender Überfüllung des Raumes), das heißt die einmal erteilte Einwilligung im Einzelfall ganz oder teilweise wieder zurück zu nehmen.120 Dies gilt insbesondere für die vorliegende Konstellation. Denn in­ dem der Hausherr die allgemeine Zutritts- und Nutzungsbefugnis durch die Haus­ ordnung konkretisiert bzw. beschränkt (Verbot von Demonstrationen), gibt er aus­ drücklich zu erkennen, dass er sich durch die bloße Öffnung des Raumes seines Hausrechts nicht völlig begeben möchte. Dementsprechend geht auch die neuere Rechtsprechung davon aus, dass in der Öffnung der Räumlichkeit kein Verzicht auf das Hausrecht zu sehen ist, diese vielmehr eine Modifikation der Hausrechts­ ausübung zur Folge haben soll.121

118 Vgl. zu diesem Problemkreis insgesamt Christensen, JuS 1996, S. 873, 874 f.; Sickor, Jura 2008, S. 14, 16 f. sowie Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 162 ff. 119 BGH, Urt. v. 18.5.1966, I b ZR 60/64 = NJW 1966, S. 1558, 1559; BGH, Urt. v. 13.7.1979, I ZR 138/77 = NJW 1980, S. 700, 701; aus der Literatur etwa Emmerich, JuS 1994, S. 434, 435 120 So Sickor, Jura 2008, S. 14, 16 f. 121 BGH, Urt. v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93 = BGHZ 124, 39, 42 f.; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.3.1993, 4 U 172/91 = NJW-RR 1993, S. 788, 789; OLG Brandenburg, Urt. v. 18.4.2011, 1 U 4/10 = NJW-RR 2011, S. 890.

V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen V. Sachlicher Inhalt des Hausrechts und seine Grenzen

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c) Modifikation der Hausrechtsausübung: Die Notwendigkeit eines sachlichen Grundes bei Öffnung des Raumes Die unter dem Begriff der „Modifikation“ bezeichnete Einschränkung der Hausrechtsausübung infolge der Öffnung des Raumes soll nach Ansicht der neue­ ren Rechtsprechung darin bestehen, dass der Eigentümer aus den §§ 858 ff., 1004 BGB gegen die Demonstranten nur noch aus sachlichen Gründen vorgehen darf, ihm also die ansonsten zulässige willkürliche Ausübung des Hausrechts unter­ sagt ist.122 Als ein solcher sachlicher Grund gilt neben der Überschreitung der zu­gelassenen Nutzungszwecke insbesondere die Störung des Betriebsablaufs.123 Da die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum die vom Hausherrn im Regelfall zugelassene Raumnutzung überschreitet, besteht ein solcher sachlicher Grund, so dass auch die Ansicht von der Modifikation der Hausrechtsrechtsausübung infolge der Raumöffnung den Ansprüchen der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nicht entgegensteht.124 d) Der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens i. S. d. § 242 BGB Schließlich müssen auch Versuche, die hausrechtlichen Abwehransprüche der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB aufgrund des Vorwurfs widersprüchlichen Ver­ haltens zu verneinen, abgelehnt werden. Ansatzpunkt für ein solches venire con­ tra factum proprium ist die Zugänglichmachung des Ortes für die Allgemeinheit auf der einen Seite und das Verbot von Demonstrationen auf der anderen Seite. Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, dass ein solches Vorgehen des Haus­ herrn, wie oben dargelegt, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Privat­ autonomie steht und so kaum als widersprüchlich angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass die Annahme eines widersprüchlichen Verhaltens in jedem Falle ein berechtigtes Vertrauen auf Seiten der Nutzungsinteressenten verlangt, das be­ reits durch die ausdrückliche Festlegung des Demonstrationsverbots in der Haus­ ordnung nicht bestehen kann.125 122 BGH, Urt. v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93 = BGHZ 124, 39, 43; zuletzt OLG Branden­ burg, Urt. v. 18.4.2011, 1 U 4/10 = NJW-RR 2011, S. 890; vgl. auch Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 163. Begründet wird dies z. T. auch mit grundrechtlichen Er­ wägungen, v. a. mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Gleichheitsrechten, die im Wege der mittelbaren Drittwirkung dem Hausrecht Schranken setzen sollen (vgl. etwa Gurlit, NZG 2012, S. 698, 699). 123 Vgl. neben den zuvor genannten insb. auch BGH, Urt. v. 20.1.2006, V ZR 134/05 = NJW 2006, S. 1054. 124 Die von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage, ob in der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum eine Betriebsstörung liegt, bedarf deshalb kei­ ner näheren Betrachtung. 125 Vgl. hierzu Christensen, JuS 1996, S. 873, 874 f.; Maume, MMR 2007, S. 620, 624 f.; Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, 2006, S. 164.

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E. Das private Hausrecht E. Das private Hausrecht

VI. Ergebnis und weiterer Gang der Untersuchung Die vorangegangen Ausführungen haben damit gezeigt, dass der Hausherr auf­ grund seines Hausrechts grundsätzlich nach freiem Belieben Versammlungen in seinem Raum verbieten kann, sei es im Einzelfall, sei es in generalisierter Weise kraft Hausordnung. Darüber hinaus kann er aber auch die Durchführung einer Demonstration von bestimmten Bedingungen wie der vorherigen Genehmigung abhängig machen. All dies gilt trotz der Öffnung des Ortes für die Allgemeinheit auch im privaten öffentlichen Raum. Die in diesem Zusammenhang vertretenen und denkbaren Ansätze für eine einfachrechtliche Einschränkung der hausrecht­ lichen Befugnisse wurden als nicht tragfähig abgelehnt. Damit stellt sich die die weitere Bearbeitung dominierende Frage, ob dieses einfachrechtliche Ergebnis aus grundrechtlichen Erwägungen eine Modifikation erfährt. Denn bisher wur­ den grundrechtliche Aspekte bewusst ausgeklammert. Konkret geht es um den Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen dem Verlangen der Demonstran­ ten an der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum und dem diesem entgegengesetzten Interesse des Hausherrn.

F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn Nachdem bereits das Grundrecht der Demonstranten aus Art. 8 GG näher untersucht wurde, soll im Folgenden der Blick auf die dem entgegenstehenden Grundrechtspositionen des Hausherrn gerichtet werden.1 Hierbei kommt insbe­ sondere der Frage nach der grundrechtlichen Absicherung des privaten Hausrechts des Hausherrn entscheidende Bedeutung zu. Stets muss dabei betrachtet werden, wie sich die Öffnung des Raumes für die Allgemeinheit auf die jeweilige Grund­ rechtsposition auswirkt.

I. Art. 13 GG 1. Schutzzweck und Einbeziehung von Betriebs- und Geschäftsräumen in den Schutzbereich Als den Hausherrn schützende Grundrechtsposition kommt zunächst Art. 13 GG in Betracht. Dieses Grundrecht gewährleistet dem Einzelnen einen „elemen­ taren Lebensraum“2 bzw. eine „räumlicher Privatsphäre“3, in der er das Recht hat, „in Ruhe gelassen zu werden“4. Vor dem Hintergrund dieses Schutzanliegens und den geschichtlichen Erfahrungen ist es allgemein anerkannt, dass der Schutz­ bereich des Art. 13 GG grundsätzlich weit auszulegen ist.5 Problematisch ist im vorliegenden Zusammenhang, ob und inwieweit das Grundrecht der Unverletz­ lichkeit der Wohnung auch die privaten öffentlichen Räume erfasst. Die Schwie­ rigkeiten ergeben sich aus dem Dilemma zwischen dem Wortlaut des Art. 13 GG einerseits und der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen historischen 1 Ausgeblendet werden die Grundrechtspositionen anderer Besucher des privaten öffent­ lichen Raums, da es in der vorliegenden Arbeit nur um das Spannungsverhältnis zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn geht. Vgl. zu den Grundrechtspositionen des Hausherrn und zum Folgenden auch Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 151 ff. 2 BVerfG, Beschl. v. 26.5.1976, 2 BvR 294/76 = BVerfGE 42, 212, 219; BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979, 1 BvR 994, 76 = BVerfGE 51, 97, 110; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GGKommen­tar, Art. 13 Rn. 1; näher zum Schutzzweck des Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundge­ setz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 12 ff. 3 BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66 = BVerfGE 32, 54, 72; BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 = BVerfGE 65, 1, 40. 4 BVerfG, Urt. v. 20.2.2001, 2 BvR 1440/00 = BVerfGE 103, 142, 150; BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66 = BVerfGE 32, 54, 75. 5 BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66 = BVerfGE 32, 54, 70 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 10.

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F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn

und teleologischen Auslegung andererseits.6 Geht man von dem für den Wortlaut maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch aus, dann handelt es sich bei einer ‚Wohnung‘ um eine „in sich abgeschlossene Einheit innerhalb eines Wohnhau­ ses oder auf mehrere Geschosse verteilt, mit Küche (Kochnische) und eigenem Zugang“.7 Belässt man es hierbei, dann wären die privaten öffentlichen Räume (Shopping Malls, Abflughallen eines Flughafens etc.) von vornherein nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst, da diese weder zu Wohnzwecken die­ nen noch – mangels räumlicher Abschottung – eine in sich abgeschlossene Ein­ heit bilden. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch schon früh den Begriff der „Wohnung“ ausgedehnt und die „Geschäfts- und Betriebsräume“ in den Schutz­ bereich mit einbezogen.8 Neben historischen und rechtsvergleichenden Erwägun­ gen stützte das Gericht seine Auffassung vor allem auf die teleologische Überle­ gung, dass die „ungestörte Berufsarbeit“ in der heutigen modernen Arbeitswelt ein „wesentliches Stück der Persönlichkeitsentfaltung“ ausmacht und daher „der räumliche Bereich, in dem sich diese Arbeit vorwiegend vollzieht“ entsprechend geschützt werden müsse.9 In der Literatur, die dieser Rechtsprechung mehrheit­ lich gefolgt ist,10 finden sich nur vereinzelt kritische Stellungnahmen. Einge­ wandt wurde etwa, dass Art. 13 GG in seinem Wortlaut hierfür keinerlei Anhalts­ punkte biete und dass das Bundesverfassungsgericht daher mit der Ausweitung des Wohnungsbegriffs letztlich ein neues Grundrecht kreiert habe.11 Zudem heißt es, „die regelmäßig gegebene Teilöffentlichkeit“, die in solchen Räumen bestehe, schließe Art. 13 GG typischerweise aus.12 Trotz dieser Bedenken ist mit Blick auf den Schutzzweck und der Bedeutung von Arbeit und Beruf für die Selbst­ verwirklichung des Menschen13 mit der herrschenden Meinung von einer Einbe­ ziehung der Betriebs- und Geschäftsräume in den Schutzbereich des Art. 13 GG auszugehen.

6 So Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 151. 7 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 152 m. w. N. 8 Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66 = BVerfGE 32, 54, 69 ff.; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 26.5.1976, 2 BvR 294/76 = BVerfGE 42, 212, 219; BVerfG, Beschl. v. 24.5.1977, 2 BvR 988/75 = BVerfGE 44, 353, 371; BVerfG, Beschl. v. 16.6.1987, 1 BvR 1202/84 = BVerfGE 76, 83, 88. 9 BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66 = BVerfGE 32, 54, 70 f. 10 Vgl. nur Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 13 Rn. 5; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 11; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 949; Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grund­ gesetz, Art. 13 Rn. 13. 11 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 27; vgl. auch Schoch, Jura 2010, S. 22, 23. 12 Kühne, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 13 Rn. 4. 13 Vgl. Voßkuhle, DVBl. 1994, S. 611, 612, wonach das Private der häuslichen Sphäre „in einem anderen Kontext fortgesetzt“ werde.

I. Art. 13 GG I. Art. 13 GG

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2. Schutz privater öffentlicher Räume? Noch nicht beantwortet ist damit aber, ob auch die privaten öffentlichen Räume (z. B. Einkauszentren, Einkaufspassagen) grundrechtlichen Schutz durch Art. 13 GG genießen. Denn diese unterscheiden sich, wie an anderer bereits Stelle dar­ gelegt,14 von den gewöhnlichen Betriebs- und Geschäftsräumen (z. B. Büroge­ bäude, Fabrik) dadurch, dass sie einer unbeschränkten Öffentlichkeit allgemein und voraussetzungslos zugänglich gemacht sind. Die Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts in Bezug auf diese Fragestellung ist widersprüchlich15 und auch die Meinungen in der Literatur hierzu sind geteilt.16 So wollen manche die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Räume in den Schutzbereich einbezie­ hen,17 wohingegen andere dies ablehnen18 oder aber danach differenzieren, ob es sich um einen „kontrollierten“ oder „unkontrollierten“ Zutritt zu den Betriebsoder Geschäftsräumen handelt.19 Richtigerweise umfasst der Schutzbereich des Art. 13 GG die privaten öffent­ lichen Räume nicht. Zwar beinhaltet Art. 13 GG auch den Schutz gegen Eingriffe in die „Entscheidung über das Zutrittsrecht im einzelnen und über die Zweck­ bestimmung des Aufenthalts“.20 Doch sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Schutzzweck des Art. 13 GG gegen eine Einbeziehung der auf „unkontrollier­ ten Zutritt“ angelegten privaten öffentlichen Räume in den Schutzbereich.21 Denn wenn bereits die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf Betriebs- und Ge­ schäftsräume den Wortlaut in beträchtlichem Maße ausdehnt, so würde diesem „Gewalt angetan“, wollte man vom Begriff der „Wohnung“ auch private öffent­ liche Räume wie Einkaufszentren, Bahnhöfe etc. erfasst sehen. Zudem bezweckt Art. 13 GG den Schutz der Privatsphäre und schützt daher in seinem Kern die Wohnung als den typischen Rückzugsort des Einzelnen und „Kernbereich priva­ ter Lebensgestaltung“22. Mag eine Erstreckung auf Betriebs- und Geschäftsräume angesichts der zunehmend verschwindenden Grenze zwischen „beruflich“ und

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B. I. 2. b). Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.2.1998, 1 BvF 1/91 = BVerfGE 97, 228, 265 einerseits und BVerfG, Beschl. v. 28.4.2003, 2 BvR 358/03 = NJW 2003, S. 2669 andererseits. 16 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 153. 17 Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 11; Mittag, NVwZ 2005, S. 649, 650; Voßkuhle, DVBl. 1994, S. 611, 612 f.; wohl auch Schoch, Jura 2010, S. 22, 23. 18 Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 13 Rn. 5; wohl auch Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 10 ff., v. a. Rn. 14. 19 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 950; hierzu auch Schoch, Jura 2010, S. 22, 23. 20 So BVerfG, Urt. v. 17.2.1998, 1 BvF 1/91 = BVerfGE 97, 228, 265 sowie Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 13 Rn. 12. 21 So auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 950. 22 BVerfG, Urt. v. 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, 1084/99 = BVerfGE 109, 279, 313; Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 10 ff. 15

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F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn

„privat“ mit Blick auf den Schutzzweck geboten sein,23 so gilt dies nicht für die privaten öffentlichen Räume. Denn diese zielen nicht auf eine Privatsphäre, auf ein Recht „in Ruhe gelassen zu werden“, sondern vielmehr auf allgemeine Zu­ gänglichkeit, auf die Schaffung einer Öffentlichkeit des Ortes wie sie bisher nur in Fußgängerzonen und auf Marktplätzen existierte. Damit kann sich also der Haus­ herr privater öffentlicher Räume nach der hier vertretenenen Auffassung nicht auf den grundrechtlichen Schutz des Art. 13 GG berufen.

II. Art. 14 GG In Betracht könnte aber die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG als mög­ liche Grundrechtsposition des Hausherrn kommen. Diese bezweckt „dem Trä­ ger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu si­ chern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen“.24 Sie steht in engem inneren Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit25 und wird vielfach als ein „elementares Grundrecht“ bezeichnet.26 Vom Eigentumsschutz des Art. 14 GG erfasst sind nach allgemeiner Auffas­ sung alle konkreten vermögenswerten Rechte des Privatrechts, die dem Einzelnen zur privaten Nutzung sowie zu deren Verfügung zugeordnet sind.27 Ohne Zwei­ fel fällt darunter das Grund- und sonstige Sacheigentum im Sinne des BGB, das gewissermaßen als das „Leitbild“ einer solchen vermögenswerten Rechtsposi­ tion bezeichnet werden kann.28 Demnach ist auch die zivilrechtlich in den §§ 903, 1004 BGB ausgeformte Befugnis des Hausherrn Zutritt und Nutzung des privaten öffentlichen Raums nach freiem Belieben zu gestalten verfassungsrechtlich von Art. 14 GG geschützt. Dies gilt nicht nur im Falle der Eigentümerstellung, sondern auch sofern der Hausherr bloßer Besitzer ist. Denn nach heute absolut herrschen­ 23 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 153. 24 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78 = BVerfGE 50, 290, 339; BVerfG, Beschl. v. 16.2.2000, 1 BvR 242/91, 315/99 = BVerfGE 102, 1, 15; näher zum Schutzzweck des Art. 14 GG Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 1 ff. 25 BVerfG, Urt. v. 18.12.1968, 1 BvR 638, 673/64 u. 200, 238, 249/65 = BVerfGE 24, 367, 389; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 971. 26 BVerfG, Urt. v. 7.8.1962, 1 BvL 16/60 = BVerfGE 14, 263, 277; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 1; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 4. 27 Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 12; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 159; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 981; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GGKommentar, Art. 14 Rn. 18. 28 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 39; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 159; BVerfG, Beschl. v. 8.4.1998, 1 BvR 1680/93, 183, 1580/94 = BVerfGE 98, 17, 35; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 979.

III. Art. 12 GG III. Art. 12 GG

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der Meinung ist das Besitzrecht eines Mieters oder Pächters eine vermögenswerte Rechtsposition und genießt damit ebenfalls den Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.29 Damit kann festgehalten werden, dass das in den §§ 903, 1004, 858 ff. BGB wurzelnde Hausrecht durch Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützt ist und so der Hausherr dem Demonstrationsverlangen in seinem Raum diese Grundrechts­ position entgegensetzen kann, vorausgesetzt freilich, dass er grundrechtsberech­ tigt ist.30 Träger des Grundrechts kann dabei neben einer natürlichen auch eine juristische Person des Privatrechts sein, da Art. 14 GG „wesensmäßig“ auch und gerade auf juristische Personen anwendbar ist (Art. 19 Abs. 3 GG).31

III. Art. 12 GG Der Hausherr des privaten öffentlichen Raums betreibt im Regelfall ein Ein­ kaufszentrum, einen Flughafen oder einen Bahnhof, übt also eine unternehmeri­ sche Tätigkeit aus, so dass er sich neben Art. 14 GG auch auf das Berufsgrund­ recht des Art. 12 GG berufen kann. Die hier gewährleistete Berufsfreiheit umfasst dabei insbesondere auch die Abwehr störender Einflüsse Dritter, das heißt Be­ einträchtigungen des Hausherrn durch die Durchführung einer Demonstration gegen seinen Willen.32 Im Gegensatz zu Art. 14 GG, der bloße Chancen, Erwar­ tungen oder Aussichten nicht umfasst,33 bezieht sich Art. 12 GG auch auf den „Erwerb“, das heißt auf die etwaigen Umsatzeinbußen des Hausherrn in Folge der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum. Entschei­ dend für die Abgrenzung zwischen den Schutzbereichen der Berufsfreiheit und der Eigentums­gewährleistung ist, „ob eher die Freiheit der individuellen Erwerbsund Leistungstätigkeit oder die Innehabung […] vorhandener Vermögensgüter […] betroffen ist“.34 Wie bei Art. 14 GG kann auch der Schutz dieses Grundrechts nicht nur natürlichen, sondern auch juristischen Personen des Privatrechts (Art. 19 Abs. 3 GG) zukommen.35 29 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 26.5.1993, 1 BvR 208/93 = BVerfGE 89, 1, 5 ff.; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 9; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 15; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 32. 30 Für einen Schutz des Hausrechts durch Art. 14 GG auch: Joite, Bucerius Law Journal, 2011, S. 100, 104; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Mas­ senmedien?, 2010, S. 160 ff.; Armah, Die Radioberichterstattung über Sportveranstaltungen, 2008, S. 173; Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 50. 31 Vgl. statt aller Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 27; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 168. 32 Höfling, Hausrecht in Heimen, 2004, S. 51. 33 BVerfG, Beschl. v. 18.3.1970, 2 BvO 1/65 = BVerfGE 28, 119, 142. 34 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 183; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 12 Rn. 3. 35 Statt aller Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 12 Rn. 13.

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F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn F. Mögliche Grundrechtspositionen des Hausherrn

IV. Weitere denkbare Grundrechtpositionen Weitere den Hausherrn schützende Grundrechte sind das allgemeine Persön­ lichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG),36 die negative Meinungs­ freiheit, die nach umstrittener aber herrschender Ansicht von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst ist,37 sowie als subsidiäres Auffanggrundrecht Art. 2 Abs. 1 GG. Auf all diese Grundrechte, die hier nur der Vollständigkeit halber angesprochen wer­ den sollen, kann sich grundsätzlich auch eine juristische Person des Privatrechts berufen.

V. Ergebnis Die Ausführungen zu den Grundrechtspositionen des Hausherrn haben damit ergeben, dass sich dieser gegen die Durchführung einer Demonstration im pri­ vaten öffentlichen Raum vor allem auf die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG so­ wie die Berufsfreiheit des Art. 12 GG berufen kann. Ein grundrechtlicher Schutz des Hausherrn durch Art. 13 GG scheidet hingegen aus. Weiterhin wurde gezeigt, dass das in den §§ 903, 1004, 858 ff. BGB einfachrechtlich konstituierte Haus­ recht grundrechtlich durch Art. 14 GG abgesichert ist. Ob das Hausrecht daneben auch durch Art. 13 GG grundrechtlich geschützt ist,38 kann offen bleiben, da nach der hier vertretenen Auffassung private öffentliche Räume vom Schutzbereich des Art. 13 GG nicht umfasst sind. Die in diesem Abschnitt dargestellten Grund­ rechtspositionen des Hausherrn treten dabei dem Demonstrationsverlangen ent­ gegen und müssen in eine Interessenabwägung einfließen.

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Vgl. hierzu näher Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 171 ff. 37 Ausführlich dazu Lindner, NVwZ 2002, S. 37. 38 Vgl. hierzu näher Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 174 ff.

G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privatrechts bei Beteiligung der öffentlichen Hand Nachdem nun die möglichen Grundrechtspositionen des Hausherrn näher dar­ gestellt wurden, ist es für den weiteren Fortgang von entscheidender Weichen­ stellung, ob dieser unmittelbar1 an Art. 8 GG gebunden ist oder sich sogar sei­ nerseits auf die dargelegten Grundrechtspositionen berufen kann. Denn das Spannungsverhältnis zwischen Demonstranten und Hausrechtsinhaber hängt ent­ scheidend davon ab, ob letzterer die Hausrechtsausübung an den Grundrechten messen lassen muss oder seinerseits grundrechtlich legitimiert ist.

I. Die Problemstellung: Der Dualismus von Staat und Gesellschaft als grundlegender Hintergrund Die privaten öffentlichen Räume stehen im Regelfall im Eigentum einer ju­ ristischen Person des Privatrechts, vornehmlich einer AG oder GmbH.2 Ange­ sichts der privatrechtlichen Organisationsform liegt es zunächst nahe, an einer un­ mittelbaren Grundrechtsbindung3 zu zweifeln.4 Denn nach dem dem Grund­gesetz zugrundeliegenden „dualistischen Sphärenmodell“, das heißt der strikten Alter­ nativität von grundrechtsgebundener Staatsgewalt einerseits und grundrechtsge­ schützter Gesellschaft andererseits, handeln private Unternehmen in Ausübung grundrechtlich geschützter individueller Freiheit, der Staat hingegen in Wahrneh­ 1

Im Folgenden ist i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG bei der Frage nach der Grundrechtsbindung stets die unmittelbare, d. h. ohne Vermittlung durch Gesetz wirkende Grundrechtsgeltung ge­ meint (vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 43), auch wenn aus Gründen der Leserlichkeit auf einen ausdrücklichen Hinweis hierauf verzichtet wer­ den sollte. Zur Frage der sog. mittelbaren Grundrechtsbindung ausführlich Kapitel J. II. 2 Vgl. nur die Konstellation in BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226 ff. 3 Synonym ist auch von „Grundrechtsverpflichtung“ die Rede. 4 Vgl. zu dieser „Vermutungsregel“ auch BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35, 356, 794/82 = BVerfGE 68, 193, 206; BVerfG, Beschl. v. 20.2.1986, 1 BvR 859, 937/81 = NJW 1987, 2501, 2502; Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 43; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 90; Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 3, 37 ff., 54 f. sowie zuletzt Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 73 ff., 75.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

mung rechtlich zugewiesener Kompetenzen.5 Nur letzterer ist unmittelbar an die Grundrechte gebunden, die für ihn eine negative Kompetenzschranke bilden. An­ ders, schwieriger gestaltet sich die Situation hingegen, wenn der Staat an den pri­ vatrechtlichen Unternehmen in irgendeiner Form beteiligt ist, wie es gerade bei den häufig durch Privatisierung entstandenen privaten öffentlichen Räumen der Fall ist. Die sich hier stellende Problematik der Grundrechtsbindung (und der Grundrechtsberechtigung als deren „Kehrseite“) 6 wird schon seit langem in der Rechtswissenschaft diskutiert, ohne dass sich ein Konsens abzeichnet.7 Die Posi­ tionen reichen hier „von der Ansicht, selbst Eigengesellschaften seien nie grund­ rechtsgebunden, über die Annahme, Eigengesellschaften seien grundrechtsgebun­ den, gemischtwirtschaftliche Unternehmen aber nicht, bis hin zur Bejahung der Grundrechtsbindung auch der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, wobei zum Teil nach der Art der durch sie erfüllten Aufgaben differenziert wird“.8 Aktuelle Bedeutung hat diese Problematik jüngst durch das sog. Fraport-Urteil des Bun­ desverfassungsgerichts erhalten.9 Hier ging es um die Frage, ob die Fraport AG, an welcher zum Zeitpunkt des ergangenen Flughafenverbots die öffentliche Hand siebzig Prozent der Aktien hielt – aufgeteilt zwischen dem Land Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und der Bundesrepublik Deutschland –, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt.10 Diese Aktualität der Fragestellung und der Umstand, dass nahezu jede denk­ bare Ansicht zur Frage der Grundrechtsbindung privatrechtlicher Unternehmen bei staatlicher Beteiligung vertreten wird, machen es erforderlich, sich dieser Thematik im Ausgangspunkt in einem grundlegenden Sinne zu nähern. So er­ weist sich bei näherer Betrachtung als Wurzel der Problematik die bereits an­ gesprochene und dem Grundgesetz (konstitutiv) zugrundeliegende Vorstellung einer strikten Alternativität von grundrechtsgebundener Staatsgewalt einerseits

5 Gurlit, NZG 2012, S. 249; Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 31 Rn. 29 ff., 32 f.; Möstl, Grundrechts­ bindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 6, 44 ff., 133; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 2.5.1967, 1 BvR 578/63 = BVerfGE 21, 362, 370 f. sowie BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982, 2 BvR 1187/80 = BVerfGE 61, 82, 101. 6 Die Problematik wird meist bzgl. der Frage der Grundrechtsberechtigung diskutiert. Die in diesem Zusammenhang angeführten Argumente und Überlegungen können jedoch auf die hier im Zentrum stehende Grundrechtsbindung übertragen werden (vgl. zu den Gründen näher G. III.). 7 So auch Barden, Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, 2002, S. 3 sowie Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 1 und S. 2. Zu der Problematik zuletzt monographisch Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaft­ licher Unternehmen, 2006. 8 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 1 m. w. N. 9 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226 ff. 10 So die Feststellungen des BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 227 f. Gegenwärtig halten das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main 52 % der Aktien. Die übrigen Anteile befinden sich im privaten Streubesitz.

I. Die Problemstellung I. Die Problemstellung

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und grundrechtsgeschützter Gesellschaft andererseits.11 Wenn auch diese Unter­ scheidung als zum traditionellen Kernbestand der Grundrechtsdogmatik unter dem Grundgesetz gehörend bezeichnet werden kann, so ist doch dieser Dualismus von Staat und Gesellschaft seit jeher Angriffen aus verschiedensten Richtungen ausgesetzt.12 Für den hier interessierenden Zusammenhang werden Zweifel inso­ fern angemeldet, als dass diese Unterscheidung der modernen Staatswirklichkeit mit seinen zahlreichen Verflechtungen (Stichwort: „public private partnership“)13 und gleitenden Übergängen von Staat und Gesellschaft nur noch bedingt gerecht werde.14 Ein besonders anschauliches Beispiel einer solchen „institutionelle[n] Verschränkung von Staat und Gesellschaft“ ist neben der „Vergesellschaftung“ des Staates wenn er in das Gewand einer privatrechtlichen Organisationsform schlüpft, vor allem die wirtschaftliche Kooperation zwischen der öffentlichen Hand und Privaten bei den gemischtwirtschaftlichen Unternehmen.15 Angesichts dieser Wirklichkeit mit seinen fließenden Übergängen von staatlicher und ge­ sellschaftlicher Sphäre und seiner „wechselseitigen Verwobenheit“16 von Staat und Gesellschaft gerade im Bereich der Wirtschaft, scheint es auf den ersten Blick in der Tat wenig angemessen und stark vergröbernd zu sein, wenn über die Grundrechtsbindung in einem dichotomischen „alles-oder-nichts“ bzw. einem „ent­weder-oder“ Raster entschieden wird.17 Vorgeschlagen wurde daher schon vor eini­ger Zeit vor allem von Seiten der Verwaltungswissenschaft, die zum Teil für eine Überwindung der „Zwei-Reiche-Lehren“ zugunsten der Konstruktion „dritter

11 Hierauf weisen besonders deutlich Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 19 Abs. 3 Rn. 51 sowie Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 37 hin. Allgemein und grundlegend zu dieser Unterscheidung von Staat und Gesellschaft jeweils m. w. N.: Böckenförde, Staat und Gesellschaft, 1976; Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. II, § 31; Möllers, Staat als Argument, 2011, S. 297 ff.; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 6, 10, 45; Kahl, Jura 2002, S.  721 ff.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 144 ff. 12 Vgl. jeweils m. w. N. Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 31 Rn. 1; Kahl, Jura 2002, S. 721, 722 sowie Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 525 ff.; zuletzt grundlegend gegen diese Unterscheidung Möllers, Staat als Argument, 2011, S. 297 ff. 13 Vgl. zu diesem überstrapazierten und konturlosen Begriff Merten, in: FS Krejci, 2001, S. 2003, 2006; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 56 ff.; Schoch, Jura 2008, S. 672, 677. 14 Zu dieser Kritik näher und jeweils m. w. N. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 6, 44; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 15 f., 525 ff.; ders., DVBl. 2008, S. 1005 ff., der von „Hybridisierung“ und „Bastardisierung“ spricht; vgl. auch Mehde, VerwArch 91 (2000), S. 540, 541 ff. mit empirischen Befunden zu dem „Verwischen der Unterschiede von Staat und Gesellschaft“. 15 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 10, 44; sinngemäß auch von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442 („Wechsel des Gewandes“); vgl. mit weiteren Nach­ weisen hierzu und zu anderen Metaphern Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 21. 16 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 146. 17 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 44 f.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

Wege“ plädiert,18 als Alternative eine gleitende Skala mit den beiden Endpunk­ ten „private Vereinigung“ und „staatliche Organisation“, in die dann die jeweilige Organisation anhand einer Einzelfallprüfung eingeordnet werden soll.19 Gegen solche auch im grundrechtlichen Schrifttum anzutreffenden Überlegungen einer „Skalierung“,20 das heißt der Vorstellung eines fließenden und gleitenden Über­ gangs in die Grundrechtsbindung bzw. Grundrechtsträgerschaft, sprechen jedoch zwei Gründe.21 Zum einen ist jeder offene oder auch wie hier versteckt stattfindende Versuch, die dem Grundgesetz fundamental zugrundeliegende strikte Unterscheidung von grundrechtsgebundenem Staat und grundrechtsberechtigter Gesellschaft aufzuge­ ben oder zu nivellieren, trotz aller Annäherungen beider Sphären in der Rechts­ wirklichkeit zurückzuweisen. Denn die Grundrechte beruhen sowohl mit Blick auf ihre liberal-rechtsstaatlichen Wurzeln als auch ausweislich zahlreicher ver­ fassungsrechtlicher Normen auf dieser strikten Alternativität und können letztlich auch nur auf dieser Basis verstanden werden.22 Die Distinktion von Staat und Ge­ sellschaft ist nicht nur für das staatstheoretische Gesamtverständnis des Grund­ gesetzes unverzichtbar, sondern ihr kommt auch eine die Freiheit des Einzelnen sichernde Funktion zu.23 Aus diesem Grund führt gerade auch um der Rechts­ klarheit und Rechtssicherheit willen kein Weg daran vorbei, trotz der vielfach glei­ tenden Übergänge tragfähige Kriterien zu entwickeln, die eine klare Zuordnung der juristischen Personen des Privatrechts bei Beteiligung der öffentlichen Hand zu der Sphäre des unmittelbar grundrechtsgebundenen Staates bzw. zu der un­

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So Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 301, 318 ff.; Schuppert, Die Verwaltung 28 (1995), S. 137 ff. sowie v. a. Mehde, VerwArch 91 (2000), S. 540, 544 f. m. w. N. zur verwaltungswissenschaft­ lichen Literatur, die der Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft ein „massives Komple­ xitätsdefizit“ vorwirft. 19 Näher zu diesem Vorschlag Schuppert, Die Erfüllung von Verwaltungseinheiten durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 78, 92 ff., 150 ff. 20 Solche Ansätze finden sich etwa bei Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisio­ nen, 1977, S. 66 Fn. 142; Müller-Dehn, DÖV 1996, S. 863, 867, nach dem die Deutsche Post AG „allmählich fließend in eine Grundrechtsträgerschaft“ gleite; in dieser Richtung auch Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 243 ff., 245, 254 sowie Gusy, JA 1995, S. 166, 171. 21 Vgl. zum Folgenden Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 45 f. Kritisch auch von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 451; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grund­ gesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 72 Fn. 270; Berger, Staatseigenschaft gemischt­ wirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 25, 247. 22 So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 6, 45; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 139 ff. sowie Gersdorf, Öffentliche Unterneh­ men im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 39 f. jeweils m. w. N. zu dieser ganz überwiegenden Ansicht. Auch das Staatsrecht basiert consti­ tutione lata auf dieser dualistischen Grundstruktur (vgl. hierzu Kahl, Jura 2002, S. 721, 723). Anders dagegen Möllers, Staat als Argument, 2011, S. 297 ff. 23 Vgl. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 37 ff. m. w. N.

I. Die Problemstellung I. Die Problemstellung

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mittelbar grundrechtsberechtigten Gesellschaft erlauben.24 Die Frage der Grund­ rechtsbindung ist daher nur mit einem pauschalen „ja“ oder „nein“ beantwort­ bar und nicht im Sinne eines graduellen „stärker“ oder „schwächer“.25 Es gilt für die Frage der Grundrechtsbindung und -berechtigung, dass „tertium non datur“.26 Zum anderen spricht gegen eine solche zu der bewährten Grundrechtsdogma­ tik quer stehenden Skalierung auch, dass eine solche Konstruktion zumindest mit Blick auf den Freiheitsschutz Dritter wie später noch näher gezeigt wird auch gar nicht nötig ist. Denn wo „das unweigerlich plötzliche Umschlagen in Bin­ dungslosigkeit und Grundrechtsberechtigung dem Sinn der Grundrechte, Freiheit wirksam zu gewährleisten, nicht gerecht wird, können die neueren Grundrechts­ funktionen doch einen insgesamt abgestuften und gleitenden und so der Wirklich­ keit angemessenen Übergang von Grundrechtsbindung zu Grundrechtsberechti­ gung bewerkstelligen“.27 Diese hier unbegründet angeführte These wird später28 aus grundrechtsdogmatischer Sicht näher untersucht und – so viel kann vorweg­ genommen werden – sich bestätigen lassen. Aus diesen beiden Gründen wird in dem hier vorliegenden Grenzbereich von privatrechtlicher (gesellschaftlicher) und staatlicher Sphäre29 an der strikten Zwei­ teilung von Staat und Gesellschaft festgehalten30 und es gilt im Folgenden nach Kriterien zu suchen, die eine eindeutige, verlässliche und um der Rechtsklar­ heit und Rechtssicherheit willen klare Zuordnung zur grundrechtsgebunden staat­ lichen Sphäre bzw. zur grundrechtsberechtigten gesellschaftlichen Sphäre erklä­ ren können. Unterschieden wird im Folgenden zwischen der Grundrechtsbindung und der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privatrechts bei staat­ licher Beteiligung.

24 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 6, 10, 45; Gurlit, NZG 2012, S. 249, 250; so auch Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressa­ ten staatlicher Sonderbindungen, 1997, S. 20. 25 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 72; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 45. 26 Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161, 168; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirt­ schaftstätigkeit, 1999, S. 6; Kahl, Jura 2002, S. 721, 723. 27 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 46 und S. 43, 51; so auch Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 571 f. 28 Vgl. hierzu J. II. 4. 29 Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 14. 30 So auch wiederum Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 51 sowie Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 378 Fn. 4; Gersdorf, Öffentliche Un­ ternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S.  37 ff.; Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 25.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung 1. Art. 1 Abs. 3 GG als Ausgangspunkt und die Grundrechtsbindung öffentlicher Anteilseigner Die Untersuchung der Frage der unmittelbaren Grundrechtsbindung juristi­ scher Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung hat ihren Ausgangs­ punkt in der Schlüssel-31 und Leitnorm32 des Art. 1 Abs. 3 GG zu nehmen.33 Hiernach sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. In diesem „schlichten“ aber zentralen Satz verbirgt sich neben der Art der Bindung („unmittelbar gel­ tendes Recht“)34 vor allem die hier interessierende Frage nach dem Grundrechts­ adressaten. Zweck dieser Vorschrift ist eine umfassende und lückenlose Bindung der gesamten staatlichen Gewalt.35 Art. 1 Abs. 3 GG lässt kein grundrechtsfreies Handeln außerhalb der drei genannten Staatsgewalten zu; jegliches staatliches Wirken muss sich einer der in Art. 1 Abs. 3 GG genannten drei Gewalten zu­ ordnen lassen können.36 Dabei bedeutet vor allem die umfassende Grundrechts­ bindung des Gesetzgebers eine „weitreichende Innovation“ im Vergleich zur Wei­ marer Republik.37 Betrachtet man den Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG nun genauer, so stellt sich die im vorliegenden Zusammenhang praktisch bedeutsame Frage, ob die hier auf­ geführten Begriffe („Gesetzgebung“, „vollziehende Gewalt“, „Rechtsprechung“) in einem formell-organisatorischen Sinne die typischen Organe und Träger der jeweiligen Staatsfunktionen (d. h. Parlament, Verwaltung und Gerichte) oder aber 31 Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 72 I 1, S. 1178. 32 BVerfG, Beschl. v. 4.5.1971, 1 BvR 636/68 = BVerfGE 31, 58, 72. 33 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 42 f., 71. 34 Diese unmittelbare Bindungswirkung stellt eine Reaktion auf den Charakter der Grund­ rechte als bloße politische Programmsätze in der Weimarer Verfassung dar (näher dazu Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 72 II, S.  1191 ff.). 35 In diesem Sinne BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 244 so­ wie aus der Literatur statt aller Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 2. Aufgrund ihrer Wirkung gegen die gesamte Staatsgewalt werden die Grundrechte als „absolute Rechte“ (vgl. dazu Roth, Fak­ tische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 71) bzw. die Bundesrepublik Deutschland als „Grundrechtsrepublik“, „Grundrechtsstaat“ sowie „Grundrechtsdemokratie“ bezeichnet (vgl. hierzu jüngst kritisch Merten, in: FS Stern, 2012, S. 483 m. w. N.). 36 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 79; so auch Erichsen/Ebber, Jura 1999, S. 373, 377. 37 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 160; ähnlich Gellermann, Grund­ rechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 1 („deutliche Trendwende“); näher zur Ent­ stehungsgeschichte des Art. 1 Abs. 3 GG Merten, in: FS Stern, 2012, S. 483, 484 ff.

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts 

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in einem materiell-funktionalen Sinne eher die Funktionen (Rechtsetzen, Verwal­ ten, Rechtsprechen) meinen.38 Denn von deren Beantwortung hängt es ab, ob die öffentliche Hand auch in ihrem erwerbswirtschaftlichen bzw. wirtschaftsunter­ nehmerischen Tätigwerden als Anteilseigner grundrechtsgebunden ist, was bei einer materiell-funktionalen Betrachtungsweise konsequenterweise verneint wer­ den müsste.39 Richtigerweise und in Übereinstimmung mit der herrschenden Mei­ nung ist diese Frage in dem erstgenannten, das heißt formell-organisatorischen Sinne zu beantworten, da – um nur ein Argument zu nennen – Art. 1 Abs. 3 GG im Zusammenhang mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu sehen ist, wo ausdrücklich von bestimmten Organen und eben gerade nicht von Tätigkeiten oder Funktio­ nen die Rede ist.40 Aus diesem organisatorischen Verständnis des Art. 1 Abs. 3 GG folgt, dass alle Träger öffentlicher Gewalt durchwegs und damit unabhän­ gig davon grundrechtsgebunden sind, zur Verfolgung welcher Zwecke und Auf­ gaben und in welcher Rechtsform sie handeln.41 In Bezug auf die hier interessie­ rende vollziehende Gewalt bedeutet dies in Übereinstimmung mit der Lehre von der umfassenden Fiskalgeltung der Grundrechte die umfassende Grundrechts­ bindung jeglichen Handelns der Verwaltung im organisatorischen Sinne, auch bei ihrem fiskalischen bzw. erwerbswirtschaftlichen Tätigwerden.42 Damit ist un­ abhängig von der schwierigen Frage der Grundrechtsbindung juristischer Perso­ nen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung bereits an dieser Stelle klar, dass jedenfalls eine Gebietskörperschaft oder sonstige juristische Person des öffent­ lichen Rechts als Anteilseigner einer juristischen Person des Privatrechts in ihrem

38 Näher zu dieser Auslegungsfrage Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 54 Rn. 23 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 53; Höfling, JA 1995, S. 431, 432 f. sowie v. a. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 71 ff. 39 Auf diesen Zusammenhang weisen v. a. Höfling, JA 1995, S. 431, 432 f. sowie Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 71 ff. hin. 40 Statt vieler und mit weiteren Argumenten: Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirt­ schaftstätigkeit, 1999, S. 72; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 53; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 1 Abs. 3 Rn. 101; Schnapp, JuS 1989, S. 1 f.; auf historische Gründe hinweisend bereits Nipperdey, RdA 1950, S. 121, 123; ähnlich Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 54 Rn. 24 sowie Höfling, JA 1995, S. 431, 432 f., nach denen Art. 1 Abs. 3 GG „auch-orga­ nisatorisch“ zu verstehen ist. 41 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 72 f.; Höfling, JA 1995, S. 431, 432 f., 436; jüngst auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = NJW 2011, S. 1201, 1202. 42 Siehe nur Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 71 ff., 76 ff.; v. Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 439 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommen­ tar, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 65 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kom­ mentar, Bd. 1, Art. 1 Rn. 60; Höfling, JA 1995, S. 431, 433, 435 f.; Gurlit, NZG 2012, S. 249, 252; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 77; Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 54 Rn. 55.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

Tätigwerden als Anteilseigner und in der Ausübung der damit zusammenhängen­ den Befugnisse grundrechtsgebunden ist.43 Vor diesem Hintergrund lässt sich die konkrete Fragestellung der Unter­suchung dahingehend formulieren, ob und wann eine juristische Person des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung als „vollziehende Gewalt“44 im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG qualifiziert werden kann und damit selbst (das heißt nicht nur der Staat als Anteilseigner) einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt. Oder anders formuliert: Wann ist ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen bei staat­licher Beteiligung dem organisatorischen Bereich der Verwaltung und damit der staat­ lichen Sphäre zuzurechnen und wann der gesellschaftlichen Sphäre?45 Dabei gilt es mit Blick auf die Zwecksetzung des Art. 1 Abs. 3 den Begriff der „vollziehen­ den Gewalt“ ebenso wie den der staatlichen Gewalt insgesamt weit zu verstehen.46 2. Die Unzulänglichkeiten der bloßen Grundrechtsbindung der öffentlichen Anteilseigner Die Formulierung der Fragestellung offenbart bereits die Prämisse der folgenden Ausführungen, nämlich die Unzulänglichkeit der bloßen Grundrechtsbindung der öffentlichen Anteilseigner und ihrer gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsbefug­ nisse für die Wahrung der (Grund-)Rechte Dritter. Diese These von der Lücke im Grundrechtsschutz Dritter bedarf der näheren Erläuterung. Da diese jedoch inzwi­ schen in Rechtsprechung und Literatur (so weit ersichtlich) allseits konsentiert ist47

43 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 75 f.; so auch stell­ vertretend für die weitere Literatur Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 53 Rn. 59, Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 404, 406; R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 225 sowie von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 444; implizit auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 245 f. Zur Ingerenz- oder Einwirkungs­ pflicht der staatlichen Beteiligten z. B. Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 77 ff. m. w. N.; Spannowsky, ZGR 1996, 400, 412 ff. 44 Der Ausdruck „vollziehende Gewalt“ ist durch die GG-Änderung vom 19.3.1956 (BGBl. I S. 111) anstelle des ursprünglich verwendeten Begriffs „Verwaltung“ in das Grundgesetz aufgenommen worden. Dieser Begriffstausch geschah zur Klarstellung, dass auch die Wehr­ verwaltung der Grundrechtsbindung unterliegen soll, ohne dass damit eine weitergehende Be­ deutungsveränderung beabsichtigt war (Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschafts­ tätigkeit, 1999, S. 44). 45 So die präzise Fragestellung von Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschafts­ tätigkeit, 1999, S. 90; ähnlich Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 15 sowie Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 28. 46 Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 54 Rn. 37. 47 Gurlit, NZG 2012, S. 249, 252; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 81; von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 444; Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 410. Anders noch Püttner, Die öffentlichen Un­ ternehmen, 1985, S. 120.

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts 

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und auch vom Bundesverfassungsgericht jüngst vertreten wurde48 können die Aus­ führungen gestrafft werden. a) Die Begrenztheit des Einflusses der öffentlichen Hand als Anteilseigner Die Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand als Anteilseigner auf das pri­ vatrechtlich organisierte Unternehmen bemessen sich angesichts des weitgehen­ den Fehlens von Sonderregelungen nach den gewöhnlichen gesellschaftlichen Regelungen (sog. Vorrang des Gesellschaftsrechts).49 Das Gesellschaftsrecht ist damit eine für den Fall der Beteiligung der öffentlichen Hand „abschließende und ausschließliche Regelungsmaterie“.50 Da die privaten öffentlichen Räume wie bereits dargelegt im Regelfall im Eigentum einer als AG ausgestalteten juristi­ schen Person des Privatrechts stehen, sind die nachfolgenden Ausführungen auf diese Organisationsform beschränkt.51 Die hier vertretene These von der Unzu­ länglichkeit der rechtlichen Einflussnahmemöglichkeiten der öffentlichen Hand für die Wahrung der Grundrechtspositionen Dritter stützt sich maßgebend auf drei Gesichtspunkte:52 Zunächst gilt für Aktiengesellschaften als maßgeblicher Grundsatz das Prin­ zip der Fremdorganschaft mit seiner strikten Trennung zwischen den Kapitalan­ legern und dem geschäftsführenden Management.53 Zwar hat die öffentliche Hand im Falle einer Mehrheitsbeteiligung angesichts der damit regelmäßig einherge­ henden Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung (§§ 134 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 1 S. 1 AktG) einen maßgeblichen Einfluss auf die Bestimmung der Mitglie­ der des Aufsichtsrats (§§ 101 Abs. 1 S. 1, 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG) und mittelbar 48

BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 246. Zur „These vom Vorrang des Gesellschaftsrechts“: Kämmerer, Privatisierung, 2001, S.  232 ff.; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 14 ff., 25 ff.; BGH, Urt. v. 13.10.1977, II ZR 123/76 = BGHZ 69, 334, 340; Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 422 ff.; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 234 f.; 275 f.; Habersack, ZGR 1996, S. 544, 555. A. A. die Lehre vom Verwaltungsgesellschaftsrecht: hierfür v. a. von Danwitz, AöR 120 (1995), S. 595, 622 ff. sowie zuvor Stober, NJW 1984, S. 449, 455 (hiergegen aber zu Recht Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 234 ff.). 50 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 15; ähnlich Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 235 f. 51 In Bezug auf die ebenfalls praktisch relevante Rechtsform der GmbH sind die Einflussnah­ memöglichkeiten dagegen deutlich besser (vgl. hierzu etwa Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 245 ff.; Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 43 ff.). 52 Vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 15 ff.; von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442 ff.; Berger, Staats­ eigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 36 ff.; Gersdorf, Öffentliche Un­ ternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S.  267 ff. 53 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 14 II, S. 409 ff. 49

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

des Vorstandes (§ 84 Abs. 1 AktG), doch ist diese Einflussnahmemöglichkeit auf den Zeitpunkt der Hauptversammlung und auf die Personalentscheidung als sol­ che begrenzt. In Bezug auf die Leitung des Unternehmens zwischen den jewei­ ligen Hauptversammlungsterminen ist der öffentliche Anteilseigner dagegen re­ lativ machtlos. Denn hier gilt, zweitens, das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG). Danach hat der Vorstand die Gesellschaft un­ ter eigener Verantwortung zu leiten, wobei ihm dabei ein sehr weitgehender Ent­ scheidungs- und Ermessensspielraum zusteht.54 Unvereinbar hiermit und damit untersagt ist ein Weisungsrecht der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats und damit letztlich auch eine Einflussnahme des öffentlichen Anteilseigners in Fra­ gen der laufenden Geschäftsführung und der Unternehmensleitung.55 Ähnlich be­ grenzt sind drittens auch die rechtlichen Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand auf die Aktiengesellschaften über den Aufsichtsrat. Denn dieser ist zum einen ein bloßes Überwachungsorgan, dem keine Aufgaben der Geschäftsführung übertragen werden können (§ 111 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 AktG), und zum anderen ist auch ein Aufsichtsratsmitglied nach einhelliger Ansicht nicht an Weisungen gebunden (§ 111 Abs. 5 bzw. §§ 116 S. 1, 93 AktG), so dass letztlich also auch in­ sofern keine rechtlich durchsetzbaren inhaltlichen Steuerungsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand bestehen.56 Aus all dem ergibt sich damit, dass die gesellschaftsrechtlichen Einwirkungs­ möglichkeiten der grundrechtsgebundenen öffentlichen Hand auf die privatrecht­ lichen Unternehmen zur Wahrung und Gewährleistung der Rechtmäßigkeit deren Handlungen unzureichend sind. Der öffentliche Anteilseigner hat selbst im Falle einer Mehrheitsbeteiligung keine unmittelbaren, rechtlich durchsetzbaren Inge­ renzrechte, um ein Gesellschaftsorgan im Einzelfall zu einer bestimmten Vorge­ hensweise (z. B. zur Änderung der Hausordnung bzw. zum Absehen von dem Er­ lass eines Hausverbots gegen missliebige Demonstranten) zwingen zu können.57 Damit lässt sich also durch die bloße Grundrechtsbindung des öffentlichen (Mehr­ heits-)Eigentümers ein ausreichender und effizienter Schutz der Grundrechtspo­ sitionen unternehmensfremder Dritter nicht wirksam erreichen. Der „Umweg“ über die Einwirkungsrechte der öffentlichen Anteilseigner ist angesichts der 54

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 28 II, S. 804 ff. Dazu Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 43 so­ wie Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 16 f. m. w. N., der auch darauf hinweist, dass auch etwaige gemeindliche, dienstvertragliche oder beamtenrecht­ liche Weisungsrechte aufgrund des Verstoßes gegen die eindeutigen und abschließenden Wer­ tungen des Aktienrechts zur Organstellung des Vorstands abzulehnen sind. 56 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 17. Nach über­ wiegender Auffassung ist auch hier die gesellschaftsvertragliche Einräumung eines Wei­ sungsrechts unzulässig, was aus dem Sinn und Zweck der §§ 116, 93 Abs. 1 AktG bzw. aus dem höchstpersönlichen Charakter des Aufsichtsratsmandats (§ 111 Abs. 5 AktG) abgeleitet wird (vgl. dazu Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 40 sowie Pauly/Schüler, DÖV 2012, S. 339, 340 f. jeweils m. w. N.). 57 So auch Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 30 f. 55

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts 

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gesellschaftsrechtlichen Strukturen zudem „vom Verfahren und Zeitaufwand her zu schwerfällig, um einen effektiven Grundrechtsschutz sicherzustellen“.58 b) Konsequenz: Die Frage der Grundrechtsbindung des Unternehmens selbst sowie der Einwand aus dem Demokratieprinzip Als naheliegender Ausweg aus dieser Schutzlücke ist die im Folgenden zu unter­suchende Frage der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Unternehmens selbst zu nennen.59 Bevor jedoch näher auf die Kriterien eingegangen wird, die zur Bestimmung der Frage angeboten werden, wann ein privatrechtlich organisier­ tes Unternehmen im Falle der staatlichen Beteiligung der staatlichen und wann der gesellschaftlichen Sphäre zugerechnet werden kann, muss ein grundsätzlicher Einwand näher betrachtet werden, der sich der bisherigen Argumentation entge­ genhalten lässt. Dieser Einwand knüpft an die soeben dargelegte Erkenntnis der unzulänglichen rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand an und sieht hierin ein Problem mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), das eine durchgehende, ununterbrochene Legitimationskette jeglichen staatlichen Handelns verlangt und so auch die Tätigkeit von privatrechtlich organisierten Unternehmen bei öffentlicher Beteiligung einschließt, sofern diese als unmittel­ bar grundrechtsgebunden eingeordnet werden sollten.60 Das heißt, wertet man ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen bei staatlicher Beteiligung als „voll­ ziehende Gewalt“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG und begründet man die Notwen­ digkeit dieser unmittelbaren Grundrechtsbindung des Unternehmens selbst mit den begrenzten rechtlichen Einflussnahmemöglichkeiten der öffentlichen Hand, so liegt ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip durchaus auf der Hand, in dessen Konsequenz die konkret gewählte gesellschaftsrechtliche Organisations­

58 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 246; ähnlich bereits von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 444 („ineffektiv oder aber allzu umständlich“) sowie Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 410. 59 So auch von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 445. Die Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das öffentliche Recht nach Maßgabe der Lehre vom Gesellschaftsrecht als anderer denkbarer Ausweg ist abzulehnen (vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 49). 60 Dieser Einwand findet sich so oder so ähnlich bei Ehlers, Verwaltung in Privatrechts­ form, 1984, S. 124 ff.; v. Danwitz, AöR 120 (1995), S. 595, 606 ff.; Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 412. Zu diesem Problemkreis und v. a. zur Konnexität von unmittelbarer Grundrechts­ bindung und dem Erfordernis demokratischer Legitimation ausführlich Gersdorf, Öffentli­ che Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 29, 97 ff.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 191 ff.; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S.  55 ff., 253 ff.; Mehde, VerwArch 91 (2000), S. 540, 545 ff. Zum Prinzip der demokra­ tischen Legitimation etwa: BVerfG, Beschl. v. 24.5.1995, 2 BvF 1/92 = BVerfGE 93, 37, 66 ff.; BVerfG, Urt. v. 31.10.1990, 2 BvF 3/89 = BVerfGE 83, 60, 71 ff.; BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987, 2 BvR 1178, 1179, 1191/86 = BVerfGE 77, 1, 40 st. Rspr; vgl. dazu auch Pieroth, in: Jarass/ Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 9 ff.

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form bzw. staatliche Beteiligung unzulässig ist.61 Diese Argumentation findet sich jüngst auch im Sondervotum Schluckebiers zum Fraport Urteil.62 Hiergegen spricht jedoch, dass überwiegend aus dem allgemein gefassten Demo­ kratieprinzip keine so konkreten und hohen Einwirkungsrechte abgeleitet werden, als dass die bloß beschränkten gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten, ins­ besondere die fehlenden Weisungsrechte gegenüber den Gesellschafts­organen im Einzelfall, als Verstoß hiergegen gewürdigt werden könnten.63 Es entspricht nicht nur dem Wesen und der Struktur solcher verselbständigten privatrechtlichen Ge­ sellschaften, „dass sie dem Demokratieprinzip tendenziell weniger Raum geben als in der Hierarchie eingepasste Behörden“64, sondern „ein Verlust an Einfluss ist […] grundsätzlich [auch] gewollt und kein unerwünschter Neben­effekt formeller Privatisierung“.65 Würde man die Legitimationserfordernisse des Demokratieprin­ zips in Bezug auf diese privatrechtlich organisierten Unternehmen überdehnen, so würden „die mit der Rechtsformwahlfreiheit verbundenen Optimierungsvorteile durch überzogene Rückbindungsanforderungen wieder zunichte“ gemacht ma­ chen.66 Da insofern also großzügigere Maßstäbe an die Anforderungen des Demo­ kratieprinzips anzulegen sind, reicht es aus, wenn die öffentliche Hand als Anteils­ eigner auf die grundlegenden Unternehmensentscheidungen Einfluss nehmen kann. Eine solche Einflussnahme gelingt ihr über die oftmals vernachlässigten und unter­ schätzten mittelbar-faktischen Steuerungs­potentiale, insbesondere über die Perso­ nalpolitik.67 Besitzt die öffentliche Hand die Kapital­mehrheit an dem Unternehmen in Privatrechtsform, dann hat sie zwar wie gezeigt keine rechtlich durchsetzbaren 61 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die kommunalrechtlichen Bestimmungen wie z. B. § 103 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW, wonach den Gemeinden die Gründung und Beteiligung an einem Unternehmen in Privatrechtsform nur unter der Maßgabe erlaubt ist, dass sich diese einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat oder einem entsprechenden Gremium der Ge­ sellschaft verschaffen (zu diesem Problemkreis jüngst Pauly/Schüler, DÖV 2012, S. 339 ff. sowie zuvor zum Demokratieprinzip als Privatisierungsschranke Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 191 ff.). 62 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 269 ff., 272. 63 Wie hier die Argumentationsweise bei Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirt­ schaftstätigkeit, 1999, S. 26, 97 ff.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 191 ff.; Ehlers, Ver­ waltung in Privatrechtsform, 1984, S. 124 ff.; ders., JZ 1987, S. 218, 224 sowie Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 573, 586. 64 Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 192. 65 Schmidt, ZGR 1996, S. 345, 350; ähnlich Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirt­ schaftstätigkeit, 1999, S. 98 f.; Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 232. Vgl. auch die kommu­ nalrechtlichen Bestimmungen, in denen nur von einem „angemessenen Einfluss“ die Rede ist, den sich eine Gemeinde verschaffen muss (vgl. etwa § 103 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW). 66 So die Formulierung von Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 256 in Bezug auf die Ansicht von Benz, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beleihung einer Aktiengesellschaft mit Dienstherrenbefugnissen, 1995, S. 143, der jedoch dieser Auffassung kritisch gegenüber steht (vgl. S. 256 ff.). 67 Vgl. hierzu und zum Folgenden v. a. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschafts­ tätigkeit, 1999, S. 15, 19, 28 f., 98 f.; Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 239 ff., 243; Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 39, 41 f., 59 ff. m. w. N.

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Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Gesellschaftsorganen um die Rechtmäßigkeit des Handelns in jedem Einzelfall sicherzustellen, doch kann sie ihr zugeneigte Vertreter in den Aufsichtsrat oder – mittelbar – in den Vorstand be­ stellen bzw. entsenden. Wenn diese auch nicht rechtlich weisungsunterworfen sind, so sind sie es doch in einem faktisch-tatsächlichen Sinne, da die öffentliche Hand die von ihr Entsandten abberufen, sie durch andere Personen ersetzen oder gegen weisungswidrig handelnde Beamte sogar disziplinarisch vorgehen kann.68 Faktisch werden sich die von der öffentlichen Hand berufenen Organmitglieder daher zu­ mindest in den grundlegenden Unternehmensentscheidungen von den Interessen der öffentlichen Hand leiten lassen. Auf diese Weise hat der staatliche Anteilseig­ ner über diese personalpolitische Schiene ein effektives Instrument zur Steuerung und Kontrolle der grundlegenden Unternehmensführung.69 Diese oftmals nicht hin­ reichend beachtete und vernachlässigte personelle Legitimationskomponente ist es damit, die den wesensbedingt geringeren Anforderungen des Demokratieprinzips gerecht wird und so ein hinreichendes Niveau an demokratischer Legitimation ver­ mitteln kann.70 Damit greifen also letztlich die angedeuteten Bedenken aus dem Demokratieprinzip gegen die bisherigen Überlegungen nicht durch. Es gilt daher im Folgenden nach Kriterien zu suchen, die eine Grenzziehung er­ möglichen, von wo wann ein privatrechtliches Unternehmen bei öffentlicher Betei­ ligung zum Bereich des Staatlichen oder des Gesellschaftlichen gehört. Mit Blick auf die in Bezug auf die privaten öffentlichen Räume denkbaren unterschied­lichen Beteiligungsformen der öffentlichen Hand bedarf es dabei einer differenzierten Betrachtung zwischen Eigengesellschaften und gemischtöffent­lichen Unterneh­ men einerseits und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen an­dererseits.71 3. Eigengesellschaften der öffentlichen Hand Unter den zunächst im Fokus stehenden Eigengesellschaften der öffentlichen Hand versteht man jene privatrechtlichen Unternehmen, deren Anteile sich voll­ ständig und ausschließlich in öffentlicher Hand befinden, wobei es keine Rolle spielt, ob die Anteile von einer oder mehreren, verschiedenen juristischen Per­ sonen des öffentlichen Rechts gehalten werden.72 Bezüglich dieser hundertprozen­ 68 So BGH, Urt. v. 29.1.1962, II ZR 1/61 = BGHZ 36, 296, 303 f.; vgl. dazu auch Pauly/ Schüler, DÖV 2012, S. 339, 341; Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 243. 69 Vgl. Pauly/Schüler, DÖV 2012, S. 339, 340. 70 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 98; Brenner, AöR 127 (2002), S. 222, 239 f.; vgl. auch Ehlers, JZ 1987, S. 218, 224 ff., 226. 71 So auch die Unterscheidung bei Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 69. 72 Im zuletzt genannten Fall spricht man auch von „gemischtöffentlichen Unternehmen“ (vgl. statt vieler Püttner, Die Öffentliche Unternehmen, 1985, S. 26, 62). Vgl. näher zur Termi­ nologie: Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­republik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 79 sowie Barden, Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaft­ licher Unternehmen, 2002, S. 33 f.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

tigen „Staatstochter“ ist heute allgemein anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den Träger des Unternehmens (die Mutterkörperschaft) trifft, sondern stets auch die Eigengesellschaft selbst.73 Die früher gelegentlich vertretene Auf­ fassung, wonach privatrechtlich verfasste Unternehmen schlechthin74 oder we­ nigstens die gemischtwirtschaftlichen Unternehmen allein schon aufgrund ihrer privatrechtlichen Organisationsform nicht mehr zu der grundrechtsgebundenen Verwaltung gerechnet werden können75 wird heute zu Recht kaum noch vertre­ ten.76 Zwar stellt in der Tat die Eigengesellschaft aufgrund ihrer eigenen Rechtsfä­ higkeit eine von der Mutterkörperschaft verselbständigte und zu ihr in einer natür­ lichen Distanz stehende juristische Person des Privatrechts mit eigenem Interesse dar,77 doch läge in der Konsequenz dieses „Rechtsformansatzes“78, dass die öffent­ liche Hand durch einen bloßen Rechtsformaustausch – etwa der Umwandlung einer Anstalt des öffentlichen Rechts in eine GmbH oder AG – die Grundrechtsbindung abstreifen könnte.79 Dass eine solche Abhängigkeit der Frage der Grundrechtsbin­ 73 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 245 f.; BVerwG, Urt. v. 18.3.1998, 1 D 88.97 = BVerwGE 113, 208, 211; BGH, Urt. v. 5.4.1984, III ZR 12/83 = BGHZ 91, 84, 96 f. Aus der Literatur beispielshaft Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 80; Remmert, in: Her­ zog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 57 f.; Herdegen, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 3 Rn. 51; Erichsen/Ebber, Jura 1999, S. 373, 375 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 70; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 134 f. Im Ergebnis zwar wie hier, jedoch auf funkti­ onale Erwägungen abstellend: BVerfG, Beschl. v. 7.6.1977, 1 BvR 108, 424/73 und 226/74 = BVerfGE 45, 63, 78 ff.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35, 356, 794/82 = BVerfGE 68, 193, 212 f.; BVerfG, Beschl. v. 2.10.1995, 1 BvR 1357/94 = NJW 1996, S. 584; Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 53 f. 74 So Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 119 ff.; wohl auch Stober, NJW 1984, S. 449, 453 f. 75 So etwa Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 85, 246 ff.; Pieroth, NWVBl. 1992, S. 85, 88, der v. a. auf die Vorteile „der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sowie Prak­ tikabilität“ verweist; im Ergebnis auch R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 220 ff., 232; für den Regelfall auch Schmidt-Aßmann, in: FS Niederländer, 1991, S. 383, 393 ff. 76 Vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 14 sowie aus­ führlich zu diesem „Rechtsformkriterium“: Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaft­ licher Unternehmen, 2006, S. 68 ff.; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 239 ff. sowie Möllers, Staat als Argument, 2011, S. 309 ff. 77 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 90 f.; ähnlich von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442 sowie Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 408. 78 So etwa die Bezeichnung von Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69; ähnlich Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 381: „rechtsformaler Ansatz“. 79 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 7.6.1977, 1 BvR 108, 424/73 und 226/74 = BVerfGE 45, 63, 80; BVerfG, Beschl. v. 18.5.2009, 1 BvR 1731/05 = NVwZ 2009, S. 1282, 1283. Stellver­ tretend für die Literatur statt vieler: Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 98 ff., 135; Gurlit, NZG 2012, S. 249, 252; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 70; von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442; zur Problematik auch Barden, Grundrechtsfähigkeit ge­ mischt-wirtschaftlicher Unternehmen, 2002, S. 35 f., 63 f.

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dung von der jeweiligen Organisationsform angesichts der der Verwaltung dabei zukommenden Wahlfreiheit80 missbrauchsanfällig und daher offensichtlich we­ nig sachgerecht ist, hat jüngst das Bundesverfassungsgericht (erneut) betont, wenn es darauf hinweist, dass sich die staatliche Gewalt nicht von ihrer gemäß Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Grundrechtsbindung mittels der Nutzung zivilrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen entledigen darf.81 Eine solche „Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht“ soll dem Staat nicht gestattet werden.82 Die Eigengesellschaft ist bloß „verlängerter Arm des Staates“,83 „eine konstruktiv andere Erscheinungsform staatlichen Handelns“84 und damit richti­ gerweise als „vollziehende Gewalt“ im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG stets und un­ mittelbar grundrechtsgebunden. Daher bleibt festzuhalten, dass der Gebrauch privatrechtlicher Organisations­ formen nicht das entscheidende Kriterium für die abschließende Bestimmung der Grundrechtsbindung liefern kann, sondern der Rechtsform allenfalls die Bedeu­ tung einer Indizwirkung zukommt, bei der die Vermutung, dass eine juristische Person des Privatrechts in der Regel keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt, wie hier in Bezug auf die Eigengesellschaften gezeigt wurde, im Ein­ zelfall widerlegt werden kann.85 4. Gemischtwirtschaftliche Unternehmen Nachdem also festgestellt wurde, dass allein die rechtliche Verselbständigung als privatrechtliche Organisationsform nicht dazu führt, dass die juristische Per­ son des Privatrechts der gesellschaftlichen Sphäre zuzurechnen ist, gilt es im Fol­ genden nach Kriterien zu suchen, mit denen bestimmt werden kann, wann ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen zum Bereich des Staatlichen oder des Ge­ sellschaftlichen gehört. Auszugehen ist hierbei zunächst von dem Begriff und dem spezifischen Wesen der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. 80

Vgl. zur Organisations- bzw. Formenfreiheit der Verwaltung statt vieler Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 57; von Danwitz, AöR 120 (1995), S. 595, 599 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 74 ff.; 113 ff.; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 39 ff. jeweils m. w. N. 81 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 245; so auch bereits BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35, 356, 794/82 = BVerfGE 68, 193, 212 f. sowie aus der Literatur statt vieler: Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 71. 82 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 245; zuvor auch BGH, Urt. v. 5.4.1984, III ZR 12/83 = BGHZ 91, 84, 96 f. Die Formel von der „Flucht ins Privat­ recht“ stammt von Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 326. 83 So Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 12; der Begriff stammt von Dürig, in: FS Apelt, 1958, S. 13, 37. 84 Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 38; ähn­ lich Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 53. 85 Vgl. näher zu dieser „Indizfunktion“ oder „Vermutungswirkung“ die Nachweise in Fn. 4.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

a) Begriff und Wesen des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens Unter gemischtwirtschaftlichen Unternehmen86 werden herkömmlicherweise jene privatrechtlichen juristischen Personen verstanden, an denen sowohl die öf­ fentliche Hand wie auch Privatpersonen (natürliche oder juristische Personen) Anteile halten, unabhängig davon, ob die öffentliche Hand über eine Mehrheitsoder eine bloße Minderheitsbeteiligung verfügt.87 Diese Gemengelage privater und öffentlicher Anteilseigner, privater und öffentlicher Interessen in einem pri­ vatrechtlich organisierten Rechtssubjekt ist das prägende Kennzeichen dieser als „Zwitterwesen“ bezeichneten Unternehmen.88 Im Gegensatz zu den Eigengesell­ schaften ist die Frage der Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unter­ nehmen deshalb besonders umstritten, da hier neben der bloßen Auswechslung der Rechtsform ein weiterer Aspekt hinzukommt, nämlich die Beteiligung Priva­ ter.89 Diese Beteiligung Privater und das damit einhergehende Zusammenwirken privater und öffentlicher Anteilseigner, die jeweils grundverschiedenen Funkti­ onsbedingungen und -gesetzen unterliegen, ist letztlich die entscheidende Ursache dafür, dass eine eindeutige Zuordnung dieser „hybriden“ Unternehmen zum Be­ reich von Staat und Gesellschaft große Schwierigkeiten bereitet und ein die Lite­ ratur und Rechtsprechung schon seit langem beschäftigendes und bis heute nicht abschließend geklärtes Problem darstellt.90 Insgesamt werden ganz unterschiedli­ che Begründungsansätze angeboten, die im Folgenden auf deren Tragfähigkeit zu untersuchen sind. Da zum Teil die verschiedensten Nuancen und Verästelungen

86 Kritisch gegen diese Bezeichnung und für den Begriff des „Mischunternehmens“ Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 5 f. im Anschluss an Merten, in: FS Krejci, 2001, S. 2003, 2004 ff. Zu weiteren Begriffsvorschlägen näher Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 65 Fn. 2, von denen sich freilich bis heute keiner durchsetzen konnte. 87 Z. B. Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69; ders., MMR 2009, S. 223, 225; in diesem Sinne auch Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 65; Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 378 Fn. 2. Ein bestimmter Beteiligungsum­ fang der öffentlichen Hand wurde früher von Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentli­ chen Unternehmen, 1969, S. 58 ff. vertreten. Diese Auffassung ist heute überholt (so Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 5 Fn. 11). 88 Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 10; Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 35, 55; ähnlich Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 378 („Zwitterstellung“). 89 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 100. 90 Vgl. zu den völlig unterschiedlichen Funktionsbedingungen und -gesetzen Gersdorf, Öf­ fentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeits­ prinzip, 2000, S. 136, 157 f. und zu dem spezifischen Wesen gemischtwirtschaftlicher Un­ ternehmen besonders deutlich S. 160: „Während der Rekurs auf die Anteile Privater einen grundrechtlichen Schutz des betreffenden gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens geboten erscheinen lässt, drängt sich beim Blick auf die Anteile der öffentlichen Hand das gegenteilige Ergebnis auf.“ Vgl. auch in Bezug auf die Grundrechtsberechtigung Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377 f.; ähnlich Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 72.

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bestehen, beschränkt sich die folgende Untersuchung auf die jeweiligen Leitge­ danken der Auffassungen. b) Untersuchung der Tragfähigkeit der angebotenen Begründungsansätze aa) Der Grundrechtsgewährleistungsansatz: Die These von der Schutzbedürftigkeit privater Anteilseigner Wenn es also wie gezeigt nicht allein die privatrechtliche Organisationsstruk­ tur des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens ist, die zu einem Versagen der Grundrechtsbindung führt, so sehen manche Stimmen der Literatur in der Tatsa­ che privater Beteiligung den entscheidenden Grund, diese Unternehmen wie rein Private zu behandeln.91 Nach dieser als „Grundrechtsgewährleistungsansatz“ be­ zeichneten Auffassung92 gilt es auf die grundrechtlichen Positionen der privaten Anteilseigner Rücksicht zu nehmen, die nur dann wirklich gewährleistet seien, wenn das Unternehmen selbst grundrechtsberechtigt, das heißt umgekehrt keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung unterworfen wird.93 Diese Argumentation greift jedoch in seiner Pauschalität insofern ins Leere, als sie nicht hinreichend beachtet, dass die grundrechtlichen Positionen der pri­ vaten Anteilseigner (v. a. Art. 14 GG und Art. 12 GG) 94 selbstverständlich auch im Falle einer Grundrechtsbindung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens gegenüber Beeinträchtigungen der öffentlichen Gewalt und des öffentlichen An­ teilseigners ins Feld geführt werden können, da diese ja hierdurch ihre Rechts­ 91 So etwa Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 73 (der damit den Beherrschungsansatz „er­ gänzen“ will, dessen Ansicht faktisch jedoch zu einer generellen Versagung der Grundrechts­ bindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen führt); Tettinger, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 51 Rn. 59 (verlangt aber eine „substantielle private Be­ teiligungsquote“, d. h. jedenfalls mehr als 5 %); Herdegen, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 3 Rn. 51 (Ausnahme jedoch, falls die Verfolgung öf­ fentlicher Aufgaben zum Gründungszweck gehört); Erichsen/Ebber, Jura 1999, S. 373, 376 f. mit Bedenken v. a. bzgl. des nachträglichen Eintritts des Staates; Höfling, JA 1995, S. 431, 436; Jarass, DÖV 2002, S. 489, 495 f.; Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekom­ munikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 151 ff.; Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 572; G. Kirchhof, AöR 132 (2007), S. 215, 244; Kühne, JZ 1990, S. 335 f.; Wirth, Grundrechts­ berechtigung und Grundrechtsverpflichtung öffentlicher und gemischtwirtschaftlicher Unter­ nehmen, 2000, S. 69 ff.; Merten, in: FS Krejci, 2001, S. 2003, 2014, 2021; v. Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 450 f.; Koppensteiner, NJW 1990, S. 3105, 3114; R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 225 ff. 92 So die Bezeichnung von Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 70; vgl. hierzu ausführ­ lich Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirt­ schaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 147 ff. 93 Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 70, 73. 94 Vgl. zum Eigentumsschutz des Anteilseigentums BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78 u. 1 BvL 21/78 = BVerfGE 50, 290, 339 ff.; R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 225 ff.; sowie zuletzt BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

stellung als Grundrechtsträger nicht verlieren.95 Wenn also der Hinweis auf die Wahrung der Rechte der privater Anteilseigner bereits insofern einen Teil sei­ ner Schlagkraft einbüßt, so verdient doch die von den Anhängern dieses Ansat­ zes eröffnete zweite Argumentationslinie einer näheren Betrachtung. Demnach soll eine unmittelbare Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unterneh­ men deshalb abzulehnen sein, da private Anteilseigner andernfalls zu mittelbaren Opfern der Grundrechtsbindung des Unternehmens gegenüber Dritten werden, da diese zum Teil erhebliche Auswirkungen auf den Wert der Gesellschaftsanteile und damit auf die grundrechtlich gesicherten Interessen der privaten Gesellschaf­ ter haben kann.96 Doch vermag auch diese Überlegung nicht zu überzeugen: Zum einen sieht sich diese einseitig auf die privaten Anleger abstellende Argumenta­ tion dem Einwand ausgesetzt, dass es mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit der (Grund-)Rechtspositionen Dritter (z. B. der Kunden, Konkurrenten oder anderer Außenstehender wie etwa hier der Demonstranten) durchaus geboten sein kann, ein staatlich beherrschtes gemischtwirtschaftliches Unternehmen unmittelbar an die Grundrechte zu binden.97 Diese Interessen werden aber bei einer solchen ein­ seitig die Belange der privaten Anteilseigner in den Blick nehmenden Sichtweise völlig ausgeblendet. Zum anderen spricht gegen diese Auffassung aber vor allem, dass diese nicht hinreichend beachtet, dass es sich bei der Beteiligung Privater an einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen um ein „um eigener Vorteile wil­ len autonom eingegangenes Engagement“ handelt, so dass die Schutzwürdigkeit der privaten Anleger zumindest stark eingeschränkt ist.98 Denn wer sich im vollen Bewusstsein freiwillig für eine Beteiligung an einem solchen Unternehmen ent­ 95 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247; vgl. auch Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 13 und Gurlit, NZG 2012, S. 249, 254. Insbesondere können sich die privaten Anteilseigner auch dann wirksam auf ihre Grundrechte berufen und sind daher ausreichend geschützt, wenn dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen vom Gesetzgeber gesellschaftsrechtliche Bindungen auferlegt werden, gegen die sich das Unternehmen selbst mangels eigener Grundrechtsfähigkeit nicht auf Grundrechte berufen kann (so Gersdorf, Öf­ fentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprin­ zip, 2000, S. 149 f. mit Verweis auf deren mittelbare Betroffenheit; a. A. dagegen Schmidt-Aßmann, in: FS Niederländer, 1991, S. 383, 395 f.; zweifelnd auch Jarass, DÖV 2002, S. 489, 496). 96 Vgl. zu diesem Zusammenhang Gurlit, NZG 2012, S. 249, 254; Remmert, in: Herzog/ Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 36; hierzu auch Erichsen/Ebber, Jura 1999, S. 373, 377, die allerdings – zumindest terminologisch fragwürdig – von einer über eine unmittelbare Bindung der privatrechtlichen juristischen Person vermittel­ ten mittelbaren Grundrechtsbindung der privaten Anteilseigner sprechen. 97 Vgl. dazu Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 390 ff.; P. M. Huber, in: v. Man­ goldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 289. Zwar wurde be­ reits darauf hingewiesen, dass im Falle des Verneinens einer unmittelbaren Grundrechtsbin­ dung nach Art. 1 Abs. 3 GG den „neueren“ Grundrechtsfunktionen eine Auffangwirkung zukommt, doch entfalten diese zumindest im Regelfall eine schwächere Schutzwirkung (vgl. dazu ausführlich J. IV. 4.). 98 Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 66; Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 72; dies konstatieren auch Erichsen/Ebber, Jura 1999, S. 373, 377.

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts 

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scheidet, hat „an den Chancen und Risiken, die sich aus den Handlungsbedingun­ gen der öffentlichen Hand ergeben, gleichermaßen teil“.99 Profitiert man auf der einen Seite von der wirtschaftlichen Solvenz und der damit einhergehenden Be­ ständigkeit der öffentlichen Hand als Anteilseigner einschließlich aller anderen Vorzüge, dann ist es auf der anderen Seite auch zumutbar, die mit dieser staatlichen Beteiligung gegebenenfalls verbundene Grundrechtsbindung ertragen zu müs­ sen.100 Dies gilt insbesondere auch im Falle einer nachträglichen Beteiligung des Staates an einem Unternehmen, da es hier in der freien Entscheidung eines jeden privaten Anteilseigners liegt, hierauf zu reagieren und gegebenenfalls aus dem Unternehmen auszusteigen.101 Damit ist festzuhalten, dass die bloße Beteiligung privater Aktionäre allein noch nicht zu der Ablehnung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des ge­ mischtwirtschaftlichen Unternehmens führen kann. Der Grundrechtsgewährleis­ tungsansatz ist daher abzulehnen. bb) Untauglichkeit funktionaler Kriterien Nach weiten Teilen der Rechtsprechung102 und der Literatur103 ist – trotz aller Unterschiede und Nuancen im Einzelnen – alleinige oder jedenfalls primäre Vor­ 99

BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247; ähnlich Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 14 („sie wissen, worauf sie sich eingelassen haben“); P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 291; kritisch zu diesem „take-it-or-leave-it-Argument“ hingegen: Pfeiffer, LMK 2011, 322526; Schaefer, Der Staat 51 (2012), S. 251, 259 f. 100 So Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127, 1129. 101 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247; a. A. Erichsen/ Ebber, Jura 1999, S. 373, 377 sowie R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 227 f., der den Übertragungsakt von Gesellschaftsanteilen eines Gesellschafters an den Staat als „Grund­ rechtsvertrag zu Lasten Dritter bezeichnet“; kritisch auch Pfeiffer, LMK 2011, 322526. 102 Vgl. BGH, Urt. v. 23.9.1969, VI ZR 19/68 = BGHZ 52, 325, 327 f.; BGH, Urt. v. 5.4.1984, III ZR 12/83 = BGHZ 91, 84, 97 f. (abgestellt wird auch auf die Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand); BGH, Urt. v. 24.9.1987, III ZR 91/86 = NVwZ-RR 1989, S. 388, 389; BGH, Urt. v. 11.3.2003, XI ZR 403/01 = BGHZ 154, 146, 150. In Bezug auf die Grundrechts­ berechtigung: BVerwG, Urt. v. 25.4.2001, 6 C 6.00 = BVerwGE 114, 160, 189; BVerfG, Be­ schl. v. 16.5.1989, 1 BvR 705/88 = NJW 1990, S. 1783 (vertreten kombiniert mit dem Beherr­ schungsansatz); zuvor bereits in Bezug auf Eigengesellschaften: BVerfG, Beschl. v. 7.6.1977, 1 BvR 108, 424/73 und 226/74 = BVerfGE 45, 63, 79 f.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35, 356, 794/82 = BVerfGE 68, 193, 212 f.; BVerfG, Beschl. v. 2.10.1995, 1 BvR 1357/94 = NJW 1996, S. 584. 103 So z. B. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 103 ff. kombiniert mit dem Beherrschungskriterium; Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 56; Lang, NJW 2004, S. 3601, 3603; Kämmerer, Privati­ sierung, 2001, S. 469; Gogos, Verselbständige Verwaltungseinheiten als Adressaten staat­ licher Sonderbindungen, 1997, S. 187 ff. wohl kombiniert mit dem Beherrschungskriterium; ­Spannowsky, ZGR 1996, S. 400, 408 ff.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

aussetzung für die Annahme einer Grundrechtsbindung des gemischtwirtschaft­ lichen Unternehmens, dass sie „öffentliche“ bzw. „staatliche“ Aufgaben (der Da­ seinsvorsorge) wahrnimmt.104 Nach diesem aufgabenbezogenen (funktionalen) Ansatz wäre der Hausherr immer dann grundrechtsgebunden, wenn er in Aus­ übung materieller Verwaltungsaufgaben handelt, nicht aber wenn er eine allein privatwirtschaftliche, also gewinnorientierte Tätigkeit erbringt. Gegen eine solche Differenzierung nach der Art der Unternehmenstätigkeit spricht jedoch zunächst, dass die angebotenen Parameter – öffentliche Aufgabe und/oder Daseinsvorsorge – viel zu unsicher und unscharf sind, um gerade in Grenzbereichen über die schwierigen Fragen der Grundrechtsbindung zu entschei­ den.105 So ist es bis heute trotz zahlreicher Versuche nicht nur nicht gelungen diese Begriffe zu präzisieren und sie einer der Rechtspraxis handhabbaren Anwendung zugänglich zu machen, sondern gerade die fortwährenden Privatisierungen der vergangenen Jahre haben auch gezeigt, dass die Vorstellung, was von den Begrif­ fen der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Aufgabe im modernen Staat über­ haupt noch erfasst sein soll, umfassenden Wandlungen und Veränderungen unter­ liegt.106 Während etwa – um ein Beispiel von der Bundesebene anzuführen – die Post- und Telekommunikationsdienstleistungen früher eine klassische hoheitli­ che Aufgabe waren, werden sie heute nach den umfassenden Privatisierungsmaß­ nahmen privatwirtschaftlich erfüllt und daher nicht mehr als öffentliche Aufgabe des Bundes betrachtet.107 Gleiches gilt für zahlreiche Bereiche auf kommunaler Ebene. Diese bereits so bestehende und kaum aufzulösende Unsicherheit funk­ tionaler Kriterien erfährt darüber hinaus von den Anhängern dieses Ansatzes noch dadurch eine Verstärkung, dass bei diesen zumeist unklar bleibt, ob es auf die konkrete Betätigung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens, „die übli­ che Betätigung, die nach Unternehmenssparten differenzierte Betätigung oder die mit dem Unternehmensgegenstand ausgedrückte Betätigung“ für die Abgrenzung ankommt.108 Schließlich lässt sich diesem Ansatz noch in grundlegender Hinsicht entgegenhalten, dass sich den Wertungen des Grundgesetzes auch gar nicht ent­ nehmen lässt, dass öffentliche Aufgaben und solche der Daseinsvorsorge – was auch immer man darunter verstehen vermag – stets und ausschließlich von staat­

104 Vgl. zu diesem Kriterium ausführlich Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaft­ licher Unternehmen, 2006, S. 81 ff. 105 Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 13; vgl. zur Untauglichkeit dieser Kriterien auch ­Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 71; Barden, Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaft­ licher Unternehmen, 2002, S. 43 f.; 55 f.; Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 394; Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 141. 106 Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 12; ­Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 71. 107 Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 71. 108 So zu Recht Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 12.

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lichen Organen wahrzunehmen sind109 und deren Ausübung von gemischtwirt­ schaftlichen Unternehmen insofern zwangsläufig zu einer Zuordnung zum Be­ reich staatlicher Organisation und damit zu deren Grundrechtsbindung führen muss.110 So gibt es heutzutage nicht zuletzt infolge der Privatisierungswelle der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zahlreiche rein private Unternehmen, die tra­ ditionelle bzw. typische öffentliche Aufgaben oder solche der Daseinsvorsorge (z. B. Wasser- und Energieversorgung, Abfallwirtschaft u. ä.)111 wahrnehmen, und bei denen kaum jemand auf die Idee käme, diese einer unmittelbaren Grund­ rechtsbindung zu unterwerfen.112 Aus all diesen Gründen ist die vom gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wahrgenommene Funktion kein klares und brauchbares Beurteilungskriterium für die Frage, wann ein solches privatrechtsförmiges Unternehmen der privaten und wann der staatlichen Sphäre zuzuordnen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb im Fraport-Urteil konsequent auf die Anwendung eines solchen funk­ tionalen Kriteriums verzichtet.113 cc) Vorzugswürdigkeit und nähere Konturen des Beherrschungskriteriums: Die Maßgeblichkeit der Entscheidungsherrschaft Damit bleibt als letztes und nach der hier vertretenen Auffassung vorzugswür­ diges Kriterium die Frage nach dem dominierenden bzw. beherrschenden Einfluss der öffentlichen Hand.114 Nach diesem jüngst auch vom Bundesverfassungsgericht 109 Die Ansicht, wonach es einen „Kernbestand“ ausschließlich dem Staat zugewiesener und damit privatisierungsunfähiger Aufgaben und Funktionen gebe, wird verbreitet als „Auf­ gabentheorie“ bezeichnet (vgl. zur Begrifflichkeit und zum Ganzen m. w. N. Kämmerer, Pri­ vatisierung, 2001, S. 157 ff.). Die zahlreich unternommenen Versuche, einen Katalog solcher „natürlicher“ Staatsaufgaben aufzustellen bzw. eine einheitliche Staatsaufgabenlehre zu ent­ wickeln, können als gescheitert bezeichnet werden (vgl. hierzu m. w. N. Berger, Staatseigen­ schaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 85 f.). 110 Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53 Rn. 13. 111 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 16.5.1989, 1 BvR 705/88 = NJW 1990, S. 1783, wonach „die Durchführung der Wasser- und Energieversorgung zu den typischen, die Daseinsvorsorge be­ treffenden Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften“ gehöre. 112 So bzgl. der Grundrechtsberechtigung Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 71, der v. a. auf die Presseunternehmen verweist, die nach ausdrücklicher Aussage der Pressegesetze eine öf­ fentliche Aufgabe erfüllen. Vgl. zu diesem Argument auch Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 44 sowie Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 89 ff. 113 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247 („unabhängig von ih­ rem Zweck oder Inhalt“). 114 Vertreten wird das von Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 48 Rn. 55; von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442, 445 f.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 73, 77; Jarass, in: FS Sell­ ner, 2010, S. 69, 72 f. (ergänzt durch den Grundrechtsgewährleistungsansatz); Möstl, Grund­ rechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 92 ff., 103 ff., neben funktionalen

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

vertretenen Ansatz115 ist ein privatrechtliches Unternehmen dann „vollziehende Gewalt“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG und damit Teil der unmittelbar grund­ rechtsgebundenen Staatsgewalt, wenn es dem beherrschenden Einfluss eines Hoheitsträgers unterliegt. Das gemischtwirtschaftliche Unternehmen erscheint in diesem Fall als ein „verlängerter Arm“ des Hoheitsträgers und ist daher kon­ sequenterweise unmittelbar an die Grundrechte gebunden.116 Damit es sich hierbei um keinen leeren, substanzlosen Begriff handelt, ist ent­ scheidend, was als Kriterium bzw. Maßstab eines beherrschenden Einflusses an­ zusehen ist. Hierfür kann an die zivilrechtlichen Wertungen (vgl. §§ 16, 17 AktG, Art. 2 Abs. 1 lit. f. Richtlinie 2004/109/EG) angeknüpft werden.117 Dementspre­ chend erachtet ein Großteil der Literatur und neuerdings auch das Bundesverfas­ sungsgericht für eine Beherrschung „in der Regel“ die Anteilsmehrheit der öffent­ lichen Hand als maßgeblich.118 In diesen Fällen könne von „staatlichen Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten“ gesprochen werden“.119 Entscheidend ist für das Gericht wie die getroffene Formulierung („in der Regel“) deutlich zeigt letzt­ lich aber nicht allein die Beteiligungsquote, sondern die „Gesamtverantwortung“ bzw. die sich in der konkreten gesellschaftlichen Gestaltung widerspiegelnden tat­ sächlich bestehenden „Machtverhältnisse“ innerhalb eines Unternehmens.120 Da es für die Annahme einer staatlichen Beherrschung damit richtigerweise zwar

­K riterien; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 157 ff., 163 f.; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 46 ff., 88; 243 ff.; Betghe, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 14; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 284 ff. Vgl. aus der Rspr.: BGH, Urt. v. 5.4.1984, III ZR 12/83 = BGHZ 91, 84, 97 f. (kombiniert mit dem funktionalen Krite­ rium); BVerfG, Beschl. v. 16.5.1989, 1 BvR 705/88 = NJW 1990, S. 1783 (freilich zur Grund­ rechtsberechtigung und ebenfalls kumulativ zum funktionalen Kriterium vertreten); neu­ erdings BVerfG, Beschl. v. 14.3.2006, 1 BvR 2087, 2111/03 = BVerfGE 115, 205, 227 f. zur Grundrechtsberechtigung der Deutschen Telekom. 115 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 244 ff. 116 Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 72. Vgl. zu ähnlichen Begriffsbildern Berger, Staats­ eigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 31 f. m. w. N. 117 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247. 118 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 246 f. Maßgeblich ab­ stellend auf die Beteiligungsquote etwa von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 445 f. (verlangt eine staatliche Beteiligung von 75 %); Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 77; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 189 ff.; Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilsrechtsfähige Verbände, 1964, S. 158 ff. (geht ab einer Staatsbeteiligung von 25 % von einer Grundrechtsbindung aus). 119 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247. 120 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247; so auch bereits Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 147 f.; Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 570 f.; ähnlich Gersdorf, Öffentli­ che Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 160 f.

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auch, aber nicht allein auf die Beteiligungsverhältnisse ankommt,121 ist die maß­ gebliche und präzise Frage damit nicht die nach den Beteiligungsquoten, sondern ob die dem Staat zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten die Ent­ scheidungsfreiheit des Unternehmens insoweit überlagern, dass von einer staat­ lichen „Entscheidungsherrschaft“ gesprochen werden kann.122 Dabei kann es aber angesichts der organisatorischen Verselbständigung des privatrechtlich organi­ sierten Unternehmens und der bereits dargelegten nur beschränkten rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten nicht um eine „umfassende staatliche Entscheidungs­ herrschaft“ gehen, sondern nur darum, ob ein solches „Mindestmaß an staatlicher Einflussnahme auf den unternehmerischen Entscheidungsprozess existiert“, das eine Einbeziehung in die staatliche Sphäre gerechtfertigt ist.123 Welche Schwelle hierfür konkret veranschlagt werden muss und wann die Annahme eines solchen Mindestmaßes in Betracht kommt, ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren. Auch wenn die primäre Frage nach dem hier vertretenen Ansatz nicht die nach der Höhe des staatlichen Kapitalanteils ist, so kommt doch der staatlichen Beteili­ gungsquote auch bei der Ermittlung der staatlichen Entscheidungsherrschaft eine zentrale Bedeutung zu. Zwar bestehen im Falle einer staatlichen Anteilsmehrheit im Regelfall keine oder jedenfalls nur schwache unmittelbare, rechtlich durchsetz­ bare Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand auf das Handeln des Unterneh­ mens im konkreten Einzelfall, doch existieren wie bereits dargelegt nicht zu un­ terschätzende mittelbar-faktische Steuerungspotentiale124 auf die grund­legenden inhaltlichen Unternehmensentscheidungen über das Instrument der Personalaus­ wahl der Aufsichtsratsmitglieder oder des Vorstands.125 Dass die personelle Beset­ zung der Gesellschaftsorgane und der damit einhergehende (faktisch-mittelbare) 121 Vgl. neben den zuvor genannten auch Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 396 f.; von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 442; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 77; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grund­ gesetz, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 284. Kritisch zum (alleinigen) Kriterium der Beteiligungs­ verhältnisse: R. Scholz, in: FS Lorenz, 1991, S. 213, 219, 221; Merten, in: FS Krejci, 2001, S. 2003, 2020 f.; Barden, Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, 2002, S. 72; Schmidt-Aßmann, in: FS Niederländer, 1991, S. 383, 393 f.; Koppensteiner, NJW 1990, S. 3105, 3109; Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 396 („Labyrinth von Beteili­ gungsquoten“). 122 Vgl. so ähnlich Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 396. Zum Gesichtspunkt der Entscheidungsherrschaft als Zuordnungsansatz Berger, Staatseigenschaft gemischtwirt­ schaftlicher Unternehmen, 2006, S. 28 ff., 32 ff. 123 Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 34. 124 Vgl. näher dazu Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 19, 28 f. sowie Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 59 ff., die v. a. darauf hinweist, dass es entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur für die Frage der staatlichen Entscheidungsherrschaft auf alle rechtlichen und tatsächlichen Mög­ lichkeiten der Einflussnahme ankommt, d. h. auch auf sog. faktische oder informelle Steue­ rungsinstrumente. 125 Hierauf weisen vor allem Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 15, 19, 28 f., sowie Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 39 ff., 65 m. w. N., hin. Vgl. zuletzt auch Pauly/Schüler, DÖV 2012, S. 339, 340.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

Einfluss auf die grundlegende Ausrichtung des Unternehmens einen steuernden bzw. beherrschenden Einfluss der öffentlichen Hand auf das Unternehmen und damit eine staatliche Entscheidungsherrschaft vermitteln können, ist eine Er­ kenntnis, von der offenbar auch der Gesetzgeber ausgeht, wie es zahlreiche Vor­ schriften belegen.126 Aus diesem Grund kann der staatlichen Mehrheitsbeteiligung eine Indizwirkung für die Annahme eines solchen Mindestmaßes staatlicher Ent­ scheidungsherrschaft zugesprochen werden.127 Zentraler und entscheidender Vorzug des hier vorgeschlagenen Ansatzes ist nun, dass die staatlichen Anteilsmehrheit im Gegensatz zu denjenigen Ansätzen, die ausschließlich auf die Beteiligungsverhältnisse abstellen, lediglich eine Ver­ mutungswirkung begründet, somit also durch das Vorliegen bestimmter Umstände widerlegt werden kann. Denn die Eigentumsverhältnisse spiegeln nicht zwangs­ läufig die in einem Unternehmen tatsächlich bestehenden Herrschaftsverhältnisse wider.128 So kann einerseits ein staatliches Steuerungspotential auch im Falle einer bloßen Minderheitsbeteiligung bestehen, sofern die öffentliche Hand durch ent­ sprechende Verträge (z. B. einen Beherrschungsvertrag gemäß § 291 AktG), die Verteilung von Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 1 AktG) oder durch die Einräumung anderweitiger Sonderrechte und Instrumente auf die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens Einfluss nehmen kann.129 Andererseits, dem entgegengesetzt, kann eine staatliche Entscheidungsherrschaft und damit eine Beherrschung aber auch trotz ggf. bestehender Anteilsmehrheit abgelehnt werden, sofern gesetzliche Regelungen wie etwa die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG bzw. Art. 87 f Abs. 2 S. 1 GG bestehen, die den Hoheitsträger zur Ach­ tung der Entscheidungsautonomie des Unternehmens verpflichten und damit ge­ rade einen bestimmenden oder steuernden staatlichen Einfluss verbieten.130 126

Näher dazu Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demo­ kratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 163; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S.  47 f. 127 So auch Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 65, 248 f.; Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 149; wohl auch BVerfG, Beschl. v. 16.5.1989, 1 BvR 705/88 = NJW 1990, S. 1783. 128 Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 46. 129 Vgl. Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 55; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 46 f. sowie v. a. Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 58 zu den insofern möglichen einzelvertrag­ lich vereinbarten Steuerungsinstrumenten sowie S. 35 m. w. N. dazu, dass eine Einflussnahme auf die wesentlichen Entscheidungen ausreicht. Vgl. auch BGH, Beschl. v. 17.3.1997, II ZB 3/96 = BGHZ 135, 107, 113 ff., wo der BGH dem Land Niedersachsen aufgrund bestimmter Sonderrechte und anderer Umstände trotz einer bloß 20 %igen Beteiligung einen beherrschen­ den Einfluss zugesprochen hat. 130 So Jarass, in: FS Sellner, 2010, S. 69, 72 f., 74; ders., MMR 2009, S. 223, 224; Herde­ gen, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 3 Rn. 97; Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 397 f.; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, Art. 10 Rn. 49; Lang, NJW 2004, S. 3601, 3604 f. Vgl. aus der Rechtspre­ chung: BVerwG, Urt. v. 25.4.2001, 6 C 6.00 = BVerwGE 114, 160, 168 f., 189 (zur Deutschen

II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts II. Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts 

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Dieser Ansatz, der hier nur angerissen werden konnte, zeigt, dass es bezüglich der Frage, ob ein Mindestmaß an staatlicher Einflussnahme besteht um eine staat­ liche Entscheidungsherrschaft und damit eine Beherrschung des gemischtwirt­ schaftlichen Unternehmens durch die öffentliche Hand annehmen zu können, auf eine wertende Gesamtbetrachtung einer Vielzahl von Faktoren ankommt.131 Zuge­ gebenermaßen sieht sich die hier vertretene Auffassung dem Einwand ausgesetzt, dass sie im Gegensatz zum Rechtsformansatz oder zum reinen Abstellen auf die Beteiligungsquote keine pauschale Antwort und Lösung anbieten kann,132 doch ist dieser vordergründige Nachteil in Wahrheit gerade der entscheidende Vorzug die­ ses Ansatzes. Denn indem er neben den Beteiligungsverhältnissen auch noch an­ dere Gesichtspunkte miteinbezieht, wird er nicht nur der „Zwitterstellung“ des ge­ mischtwirtschaftlichen Unternehmens gerecht, sondern er ist auch hinreichend offen und flexibel um den vielfältigen Erscheinungsformen und Gestaltungsmög­ lichkeiten gemischtwirtschaftlicher Unternehmen gerecht zu werden. Dabei wird dem berechtigten Interesse der Rechtspraxis an Rechtssicherheit und Rechtsklar­ heit dadurch Rechnung getragen, dass der staatlichen Anteilsmehrheit eine zwar widerlegbare, aber doch für den Regelfall eingreifende Vermutungs- bzw. Indiz­ wirkung für das Bestehen eines Mindestmaß an staatlicher Entscheidungsherr­ schaft und damit für eine die Grundrechtsbindung auslösende Beherrschung zu­ gesprochen wird. Insofern gelingt eine eindeutige, voraussehbare und transparente Grenzziehung zwischen grundrechtsgebundener staatlicher Sphäre und grund­ rechtsberechtigter gesellschaftlicher Sphäre. c) Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben ergeben, dass der Beherrschungsansatz das vorzugswürdige Kriterium ist, das in diesem Grenzbereich zwischen Staat und Gesellschaft über die Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unter­ nehmen entscheidet. Eine Beherrschung liegt dann vor, wenn eine staatliche Ent­ scheidungsherrschaft, das heißt ein Mindestmaß an staatlicher Einflussnahme Telekom AG); BVerfG, Beschl. v. 14.3.2006, 1 BvR 2087, 2111/03 = BVerfGE 115, 205, 227 f. (ebenfalls zur Deutschen Telekom); sowie BVerwG, Beschl. v. 15.8.2003, 20 F 3.03 = ­BVerwGE 118, 352, 359 (zur Deutschen Post). Für eine Grundrechtsbindung der im Eigentum des Bundes stehenden Bahnunternehmen dagegen: Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 59; Jochum, NVwZ 2005, S. 779, 781 jeweils m. w. N. 131 So auch Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 149; Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch ver­ selbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 188 f. sowie Berger, Staatseigenschaft gemischt­ wirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 35. 132 In diese Richtung geht die Kritik von Cannivé, Infrastrukturgewährleistung in der Tele­ kommunikation zwischen Staat und Markt, 2000, S. 149; Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 571 sowie Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, 2006, S. 65, 94, die diesen Ansatz daher ablehnen.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

auf den unternehmerischen Entscheidungsprozess, existiert. Dies ist im Regelfall dann gegeben, wenn die öffentliche Hand die Mehrheit der Anteile hält. Denn in diesem Fall gelingt eine über die Personalauswahl vermittelte mittelbar-faktische Einflussnahme auf die grundlegenden inhaltlichen Unternehmensentscheidungen. Da es sich dabei allerdings nur um eine Regelvermutung handelt, kann diese durch das Vorliegen bestimmter rechtlicher oder auch tatsächlicher Faktoren im Einzel­ fall widerlegt werden. Die hier im Wege einer Gesamtbetrachtung einzustellenden Kriterien konnten hier nur angedeutet werden.

III. Grundrechtsberechtigung Nachdem damit also die Problematik der Grundrechtsbindung juristischer Per­ sonen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung geklärt wurde, stellt sich die Frage der Grundrechtsberechtigung.133 Nach der hier geltenden Zentralnorm des Art. 19 Abs. 3 GG sind neben natürlichen Personen auch inländische juristische Personen Grundrechtsträger, sofern die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Trotz aller Unklarheiten in Bezug auf diese Grundrechtsvor­ schrift und deren einzelnen Tatbestandselemente134 kann es heute als gesichert gelten, dass entgegen dem insofern offenen Wortlaut Art. 19 Abs. 3 GG grund­ sätzlich nur eine Ausdehnung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Per­ sonen des Privatrechts anordnet, nicht aber auf juristische Personen des öffent­ lichen Rechts.135 Hintergrund ist auch hier die schon mehrfach angesprochene, dem Grundgesetz zugrundeliegende strikte Polarität von grundrechtlicher Frei­ heitsausübung des Bürgers einerseits und staatlicher Funktions- und Kompetenz­

133 Synonym ist auch von Grundrechtsfähigkeit, Grundrechtssubjektivität oder Grund­ rechtsträgerschaft die Rede (vgl. hierzu Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 1 sowie Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kom­ mentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 109 jeweils m. w. N.). Insgesamt zur Grundrechtsberech­ tigung insbesondere von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen: Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 53; Tettinger, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. II, § 51 sowie jüngst Tonikidis, Jura 2012, S. 517 ff. 134 So v. a. Schoch, Jura 2001, S. 201, 206 sowie Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 63 („dichtes Gestrüpp divergierender Meinungen“). 135 So schon früh BVerfG, Beschl. v. 2.5.1967, 1 BvR 578/63= BVerfGE 21, 362, 369 f. so­ wie BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982, 2 BvR 1187/80 = BVerfGE 61, 82, 100 ff. Zum Normzweck des Art. 19 Abs. 3 als „Grundrechtserstreckungsnorm“: Tettinger, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 51 Rn. 26 f. sowie Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn 26. Zur Grundrechtsberechtigung ju­ ristischer Personen des öffentlichen Rechts und zur sog. Ausnahmetrias: Schnapp, in: Mer­ ten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 52; Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 28 ff.; Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 49 ff.

III. Grundrechtsberechtigung III. Grundrechtsberechtigung

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wahrnehmung andererseits, kurz: von Freiheit und Staatsgewalt.136 Dieser grund­ legende Unterschied im Tätigwerden der beiden Sphären führt nicht nur zu dem altbekannten, schlagwortartigen Obersatz, wonach der Staat grundrechtsgebun­ den, nicht aber grundrechtsberechtigt ist,137 sondern auch zu der damit eng ver­ knüpften Formel, nach der ein Grundrechtsverpflichteter in derselben Hinsicht nicht zugleich ein Grundrechtsberechtigter sein kann.138 Zwar mag sich die­ ser Grundsatz der Alternativität von Grundrechtsfähigkeit oder -bindung nicht zwangsläufig aus dem zweifelhaften und als „nicht rechtslogisch zwingend“ be­ zeichneten klassischen Konfusionsargument ergeben,139 doch wurzelt er ebenso wie der prinzipielle Ausschluss juristischer Personen des öffentlichen Rechts vom Grundrechtsschutz nach inzwischen überwiegender Auffassung angesichts der grundlegenden Unterscheidung von grundrechtlicher Freiheitswahrnehmung und staatlicher Kompetenzausübung ohne Weiteres in der „Wesensklausel“ des Art. 19 Abs. 3 GG,140 die ja „zur Besinnung auf die grundsätzlichen Schutzgehalte der Grundrechte zwingt“.141 Da dieser Vorschrift dementsprechend ebenso wie Art. 1 Abs. 3 GG die Vorstellung einer strikten Trennung von Staat und Gesellschaft zu­ grunde liegt142 und so von einer Alternativität von Grundrechtsfähigkeit oder -bin­ dung auszugehen ist, erscheint die Frage der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung als „Kehrseite“ der (bereits

136 So Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3; vgl. auch Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 10; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kom­ mentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 57. 137 Vgl. nur Bethge, in: FS Schnapp, 2008, S. 3, 4 sowie Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 10. 138 Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 10; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 188 f. sowie v. a. BVerfG, Beschl. v. 2.5.1967, 1 BvR 578/63= BVerfGE 21, 362, 369 f. 139 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 131. Zur Kritik am Konfusionsargument siehe nur Schnapp, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 52 Rn. 27 sowie Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 58. 140 So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 131 f. sowie v. a. BVerfG, Beschl. v. 2.5.1967, 1 BvR 578/63= BVerfGE 21, 362, 369 f. Aus dem weite­ ren Schrifttum Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Rn. 47; Tettinger, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 51 Rn. 9; Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 10. 141 So Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Rn. 31; vgl. auch stellvertretend für die ganz h. M. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommen­ tar, Bd. 1, Art. 19 Abs. 3 Rn. 29 sowie Remmert, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 28 ff. m. w. N., die zutreffend darauf hinweisen, dass es bei dem Verweis dieser „Vorbehaltsklausel“ auf das „Wesen“ der Grundrechte nicht nur um das im jeweiligen Einzelfall relevante Grundrecht geht, sondern darüber hinaus übergreifend auch um das gemeinsame „Wesen“ der Grundrechte generell, d. h. um „das Wesen der Grund­ rechte in der Rechtsordnung schlechthin“. 142 Vgl. Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 388; Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161, 167.

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G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung G. Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung

geklärten) Frage nach ihrer Grundrechtsbindung.143 Da beide Aspekte gleichsam „zwei Seiten einer Medaille“144 sind, kann bezüglich der Frage wann ein privat­ rechtlich organisiertes Unternehmen der gesellschaftlichen und wann der staat­ lichen Sphäre zugehörig erscheint auf die oben dargelegten Kriterien verwiesen werden, so dass sich weitere Ausführungen an dieser Stelle erübrigen.145

IV. Ergebnis und weiterer Fortgang der Untersuchung Ausgehend von dieser dogmatischen Vorarbeit gilt es im Folgenden zwischen zwei verschiedenen Konstellationen zu differenzieren: Zum einen geht es um das Problemfeld der Durchführung einer Demonstration in einem privaten öffent­ lichen Raum bei dem der Hausherr einer unmittelbaren Grundrechtsbindung un­ terliegt, und zum anderen bedarf vor allem auch diejenige Konstellation einer näheren Betrachtung, bei der der Hausherr keiner unmittelbaren Grundrechts­ bindung unterliegt, sondern vielmehr selbst grundrechtsberechtigt ist, das heißt sich auf oben dargelegte Grundrechtspositionen berufen kann. Die Unterschei­ dung dieser beiden Fallkonstellationen ist deshalb von Nöten, da sich das Span­ nungsverhältnis zwischen Art. 8 GG und dem privaten Hausrecht in jeder dieser Situationen vor einem grundlegend anderen grundrechtsdogmatischen Hinter­ grund abspielt.

143 So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 131 f.; Schae­ fer, Der Staat 51 (2012), S. 251, 257; Bethge, in: FS Schnapp 2008, S. 3, 10 f. spricht von ­A ktivund Passivseite; so jetzt auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 247, 248 f. Anders dagegen von Arnauld, DÖV 1998, S. 437, 445. 144 Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 378. 145 So auch Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 131 f.; Barden, Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, 2002, S. 64; vgl. auch Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 378, der darauf hinweist, dass der „schillernde Wesensbegriff“ den „Nährboden“ bildet, „auf dem die verschiedenen Argumentationslinien wuchern“.

H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum im Falle einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn Die erste nun zu untersuchende Konstellation betrifft – wie soeben angedeutet – den Fall, dass Demonstranten in einem formell privatisierten öffentlichen Raum demonstrieren wollen, bei dem die natürliche oder juristische Person des Privat­ rechts einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt und sich deshalb nicht selbst auf eigene Grundrechte berufen kann. Eine solche Konstellation lag dem vom Bundesverfassungsgericht jüngst entschiedenen Fraport-Urteil zugrunde:1 Hier ging es darum, dass eine Gruppe von sechs Aktivisten in den Terminals des im Eigentum der Fraport AG stehenden Frankfurter Flughafens gegen die Abschiebung von Ausländern protestierte, die unter Mitwirkung privater Flug­ gesellschaften erfolgte. Diese Demonstration wurde sodann von Mitarbeitern der Fraport AG sowie Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes beendet. Den Teil­ nehmern des Protests wurde schriftlich von Seiten der Fraport AG ein Hausver­ bot erteilt, mit dem Hinweis auf die Flughafenbenutzungsordnung, wonach das Verteilen von Flugblättern einer Genehmigung bedürfe und „nicht abgestimmte Demonstrationen […] grundsätzlich nicht“ geduldet würden. Gegen die dieses Hausverbot bestätigenden zivilgerichtlichen Entscheidungen wandten sich die De­ monstranten dann erfolgreich mit ihrer Verfassungsbeschwerde. In den das Urteil tragenden Entscheidungsgründen wiederholte das Bundes­ verfassungsgericht im Anschluss an die Ausführungen zur Grundrechtsbindung der Fraport AG zunächst die in ständiger Rechtsprechung vertretene Sentenz, wonach Art. 8 Abs. 1 GG als Abwehrrecht ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet.2 Dieser umfas­ sende Ausgangspunkt erfährt dann aber sogleich, das heißt ebenfalls unter dem Prüfungspunkt des Schutzbereichs, eine weitgehende Einschränkung, wenn es heißt, dass das Versammlungsrecht „allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten“ verschaffen soll. Diese Aussage vermag zwar beim juristischen Laien ins­ besondere angesichts der aufgeführten Beispiele (Verwaltungsgebäude, öffentli­ ches Schwimmbad, Krankenhaus) allgemeines Kopfnicken auslösen, der juris­ tisch vorgebildete Leser staunt jedoch angesichts dieser (nicht näher begründeten) tatbestandlichen Einengung der Versammlungsfreiheit im Rahmen des Schutzbe­ reichs. Wenn es dann wenige Sätze später heißt, dass eben dieser Ausschluss des Schutzbereichs für solche Orte aber nicht gelten solle, „wo ein allgemeiner öffent­ 1

BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226 ff. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251 ff.

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H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum 

licher Verkehr eröffnet ist“, entsteht der Eindruck der Widersprüchlichkeit und der mangelnden Stimmigkeit. Diesen Zweifeln nachzugehen und sie grundrechts­ dogmatisch fassbar zu machen ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Dabei wird sich zeigen, ob sich die Zweifel widerlegen oder bestätigen lassen.

I. Einführung: Das grundrechtsdogmatische Problem eines grundrechtsunmittelbaren Nutzungsrechts am fremden privaten öffentlichen Raum zu Versammlungszwecken Versammlungen finden – wie bereits dargelegt und durch das Fraport-Urteil un­ terstrichen wird – mit dem öffentlichen und dem privaten öffentlichen Raum ganz überwiegend in Räumen bzw. auf Flächen statt, die den Demonstranten nicht ge­ hören und ihnen auch sonst nicht rechtlich zugeordnet sind. Sie beabsichtigen also einen für sie fremden Raum für die Ausübung des ihnen zustehenden Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu nutzen. Die sich hier stellende Problematik des Übergriffs in die Rechtssphäre Dritter bzw. spezieller des Zugriffs auf fremdes Eigentum zur Grundrechtsausübung ist nicht isoliert zu sehen, sondern stellt sich auch bei vielen anderen Grundrechten:3 Man denke nur an den Straßenkünst­ ler, der sein Graffiti an eine fremde Hauswand sprüht (Sprayer von Zürich),4 den Forscher der vom Staat den Zugriff auf bestimmte Informationen begehrt,5 oder an den Reiter, der auf fremden privaten Waldwegen seinem Hobby nachgehen möchte (Reiten im Walde).6 Aber auch ein Pressevertreter beansprucht für seine Grundrechtsausübung fremdes Eigentum, wenn er etwa einen Gerichtssaal oder ein Fußballstadion gegen den Willen des Berechtigten zur Presseberichterstattung (Hörfunk- bzw. Fernsehübertragung) betreten möchte.7 All diese Fälle zeigen, dass es sich bei der Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungszwecken um ein generelles Problem der allgemeinen Grundrechts­ lehren handelt. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig wissenschaftliches Problem­ bewusstsein für die sich hier stellenden Fragen existiert.8 Dies gilt vor allem für die Grundrechtsausübung im öffentlichen Straßenraum als „Paradefall“ der In­ anspruchnahme fremden Eigentums. Denn gerade hier findet sich eine Fülle an Rechtsprechung und Literatur, die im Rahmen der Einordnung einzelner Straßen­ 3

So auch Burgi, DÖV 1993, S. 633 f. BVerfG Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 19.3.1984, 2 BvR 1/84 = NJW 1984, S. 1293 ff. 5 Siehe hierzu Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegen­ über dem Staat, 1992 sowie Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, 1992. 6 BVerfG, Beschl. v. 6.6.1989, 1 BvR 921/85 = BVerfGE 80, 137 ff. 7 Z. B. BVerfG, Urt. v. 24.1.2001, 1 BvR 2623/95, 622/99 = BVerfGE 103, 44, 59 ff. 8 So auch Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 246 ff., S. 254 im Zusammenhang mit der parallel gelagerten Problematik der Inanspruchnahme fremder Sachen zum Zwecke der Erholung in freier Natur. 4

I. Einführung I. Einführung

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nutzungen in die Kategorien des „Gemeingebrauchs“ und der „Sondernutzung“ die Grundrechte in Stellung bringt, ohne auch nur ansatzweise die sich dabei stel­ lenden grundrechtlichen Probleme zu thematisieren.9 Letztlich wird dabei viel­ fach eine grundrechtsunmittelbare, eingriffsabwehrrechtlich geschützte Befug­ nis zur Nutzung fremder Räume unausgesprochen dem jeweiligen Grundrecht entnommen, freilich aber ohne jegliche Sensibilität für die Vielzahl der sich da­ bei stellenden Fragen.10 Diese hier stattfindende einseitige Fokussierung auf das einfache Recht lässt eine ganze Reihe grundrechtsdogmatischer Probleme unbe­ antwortet: Gibt es ein allgemeines abwehrrechtlich geschütztes Recht auf Durch­ führung einer Versammlung im fremden, in privater Trägerschaft stehenden öf­ fentlichen Raum? Oder handelt es sich bei näherer Betrachtung nicht vielmehr um eine Frage der Leistungsdimension der Grundrechte? Und falls ja, kennen denn die Grundrechte im Allgemeinen und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Speziellen überhaupt eine solche leistungsrechtliche Komponente? Weiterhin stellt sich eng verknüpft mit diesem Problem der grundrechtsdogmatischen Ver­ ortung die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 GG überhaupt die Inanspruch­ nahme fremder Räume umfasst, oder ob das fremde Eigentum nicht vielmehr eine (ungeschriebene) Begrenzung des Schutzbereichs darstellt? Von der Beant­ wortung letzterer Frage wiederum hängt es ab, ob das hausrechtliche Demons­ trationsverbot überhaupt einen Grundrechtseingriff darstellen kann, der dement­ sprechend zu rechtfertigen ist. Denn fällt die Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungszwecken schon gar nicht in den Schutzbereich, dann liegt in dem vom Hausrechtsinhaber ausgesprochenen Demonstrationsverbot gar kein (zu rechtfertigender) Eingriff in Art. 8 GG. Diesen hier kurz angedeuteten Problemen soll im Folgenden nachgegangen werden. Dabei wird sich zeigen, dass die beiden zentralen Fragen, das heißt die Frage wie weit der Schutzbereich in diesen Fällen reicht und ob eine leistungsoder eingriffsabwehrrechtliche Konstruktion zu wählen ist, miteinander eng ver­ zahnt, aufeinander bezogen und voneinander abhängig sind.11

9 Vgl. beispielshaft statt vieler VGH Mannheim, Urt. v. 17.8.1988, 14 S 689/87 = NJW 1989, S. 1299, 1300; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 102 sowie Lorenz, JuS 1993, S. 375 ff. und Laubinger, VerwArch 81 (1990), S. 583, 620 ff m. w. N. zu solchen Ansätzen in der Literatur. 10 So etwa BVerwG, Urt. v. 9.11.1989, 7 C 81/88 = BVerwGE 84, 71 ff. sowie zuvor ­BVerwG, Beschl. v. 19.12.1986, 7 B 144/86 = NJW 1987, S. 1836 f. So auch die Kritik von Burgi, Erho­ lung in freier Natur, 1993, S. 250 f. sowie Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S.  51 ff. jeweils m. w. N. 11 Vgl. zu dem Zusammenhang beider Fragen wenn auch nicht explizit Murswiek, in: Isen­ see/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 1, der seine Ausführungen zur Abgrenzung von Freiheit und Leistung mit dem Stan­ dardbeispiel zur Reichweite des Schutzbereichs, dem „Sprayer von Zürich“ – Fall, beginnt.

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II. Abwehrrechtliche oder leistungsrechtliche Konstruktion eines grundrechtsunmittelbaren Nutzungsanspruchs aus Art. 8 GG? II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

1. Die Nutzung fremder Räume zwischen Freiheit und Leistung Die erste sich bei der Inanspruchnahme fremder privater Räume stellende Frage ist, ob das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hier in seiner Funktion12 als Ab­ wehrrecht zum Einsatz kommt, oder ob hier nicht vielmehr die leistungs- bzw. teilhaberechtliche Dimension zu beachten ist. Fällt das Demonstrieren im privaten öffentlichen Raum in den Schutzbereich des Art. 8 GG,13 so genießt es als Bestandteil der Versammlungsfreiheit automa­ tisch abwehrrechtlichen Schutz gegen jegliche Form von staatlicher Beeinträchti­ gung. Gegen diese verfassungsrechtliche Konsequenz wird vielfach von Seiten der Literatur in Bezug auf den Parallelfall der Nutzung öffentlicher Räume Kritik ge­ übt mit dem Argument, dass es in Konstellationen der Inanspruchnahme fremder öffentlicher Räume (zu Versammlungszwecken) gar nicht um die Abwehrfunk­ tion, sondern um die Leistungsdimension, das heißt um einen Anspruch auf Zulas­ sung zur Grundrechtsausübung bzw. um die Teilhabe an Staatsleistungen gehe.14 Wenn diese ablehnende Haltung gegenüber einer abwehrrechtlichen Konstruktion überhaupt begründet wird, so erfolgt dies meist mit Argumenten, die sich auch auf die ähnlich gelagerte Nutzung privater öffentlicher Räume übertragen lassen. Denn die Möglichkeit in privaten öffentlichen Räumen (wie etwa in einem Flug­ hafen oder einem Einkaufszentrum) zu demonstrieren setzt ebenfalls voraus, dass diese bereitgestellt, das heißt errichtet und für die Allgemeinheit geöffnet werden, so dass deren Inanspruchnahme auf den ersten Blick nur schwerlich als „Aus­ fluss der natürlichen, gesetzlich anerkannten Freiheit des Einzelnen“ bezeichnet werden kann.15 Während zum Beispiel Wälder und Wiesen von Natur aus exis­ 12 Vgl. zur zweifachen Bedeutung der Kategorie der „Funktion“ in der Grundrechtsdog­ matik Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 1 (Fn. 1). Während es in den Ausführungen zum Versamm­ lungsbegriff um die „Funktion“ der Versammlungsfreiheit für die Demokratie ging („Funk­ tionalisierung“), meint der Begriff „Funktion“ im vorliegenden Zusammenhang den in den verschiedenen Grundrechten ausgeformten Zustand des Einzelnen gegenüber dem Staat (so die Bezeichnung von Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 75). 13 Vgl. hierzu ausführlich H. III. 14 Vgl. etwa Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1973, S. 392 („spezielle Konkretisierung des allgemeinen Rechts auf Teilhabe an den Staatsleistungen“); Huber, DÖV 1955, S. 129, 130 („er [der Gemeingebrauch] gehört nicht zu den vor- und überstaatlichen Freiheitsrech­ ten der Person“; „Der Gemeingebrauch ist ganz und gar ein staatlich geschaffenes und staat­ lich verliehenes Recht“); Krebs, VerwArch. 67 (1976), S. 329, 332 f. („Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung“); Steinberg, NJW 1978, S. 1898, 1899 f.; Messer, Die Sondernut­ zung öffentlicher Straßen, 1990, S. 192 ff.; Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S.  51 ff. 15 So aber die Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts bzgl. öffentlicher Straßen BVerwG, Urt. v. 14.3.1957, I C 16.55 = BVerwGE 4, 342, 346.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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tieren und so eine „natürliche“ und faktisch verfügbare Betätigungsmöglichkeit dar­stellen, handelt es sich bei den privaten öffentlichen Räumen im Regelfall um „etwas von Menschen Geschaffenes, Gestaltetes bzw. Unterhaltenes“,16 das heißt um künstlich errichte Flächen. Die Nutzung solcher Räume erscheint aus dieser Sicht weniger als eine ursprüngliche, „vorstaatliche“ Freiheit, sondern vielmehr als (staatlich) eröffnete und ermöglichte „Freiheit“.17 Hierin zeigen sich deutliche leistungsrechtliche Elemente bzw. eine intuitive Nähe der Inanspruchnahme pri­ vater öffentlicher Räume zu der leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte. Diese hier anklingende Frage nach der einschlägigen Grundrechtsfunktion ist angesichts der grundlegend unterschiedlichen Regelungsstruktur von entschei­ dender Weichenstellung für alle weiteren Überlegungen und wird deshalb vor der nicht minder problematischen und eng damit verknüpften Reichweite des Schutz­ bereichs behandelt.18 Geht man von einer eingriffsabwehrrechtlichen Konstruk­ tion der Demonstration in privaten öffentlichen Räumen aus, dann ist die Durch­ führung einer Versammlung an diesem Ort Ausübung „natürlicher Freiheit“. Sie ist als Ausdruck der prinzipiell unbegrenzt verstandenen und dem Staat voraus­ liegenden Freiheit die Regel, während die Einschränkung der Nutzung durch den Hausherrn die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme ist.19 Anders, gewisserma­ ßen umgekehrt ist dieses Prinzip hingegen wenn man einen leistungsrechtlichen Ansatz wählt.20 Denn angesichts des Ausnahmecharakters der grundrechtlichen Leistungsrechte trägt hier derjenige die Begründungslast, der solche Ansprüche im konkreten Fall für sich behauptet, das heißt in der vorliegenden Konstella­ tion die Demonstranten. Die Durchführung einer Demonstration im privaten öf­ fentlichen Raum ist dann nicht mehr die Regel, sondern die „begründungsbe­ dürftige Ausnahme“. Die Nutzungsberechtigung erscheint so als „Privileg“, als „freiheitserweiternde Gewährung“.21 Das Demonstrationsverbot seinerseits wie­ derum ist dann keine „Beschränkung“ der Versammlungsfreiheit mehr, sondern schlicht die Versagung einer freiwilligen Leistung bzw. die „Vorenthaltung einer ursprünglich nicht existierenden und durch staatliches Handeln erst ermöglich­ ten Grundrechtsausübung“.22 Diese gänzlich unterschiedliche Regelungsstruktur 16 So Lange, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, 1983, S. 162 f., 168 bzgl. öffentlicher Einrichtungen. 17 Vgl. Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S. 161 f. sowie Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S. 55 und S. 72 f. 18 Vgl. hierzu und zum Folgenden Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 68 ff. sowie Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 3. 19 Vgl. zum rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip begriffsprägend C. Schmitt, Verfassungs­ lehre, 1928, S. 126, 158, 164 sowie aus heutiger Zeit exemplarisch Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 9. 20 Murswiek, DVBl. 1994, S. 77, 82 sowie ders., Der Staat 45 (2006), S. 473, 497 Fn. 65. 21 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 69 m. w. N. 22 Zehelein, Kommunikativer Straßenverkehr, 2004, S. 55 f.; vgl. auch Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 103.

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zeigt, dass der jeweils gewählte Ansatz folgenreich ist, da sich mit ihm ein völlig anders verlaufender gedanklicher Ablauf verbindet. 2. Die Abwehrfunktion der Grundrechte und dessen Vorrang vor anderen Grundrechtsdimensionen Hinzu kommt ein Weiteres, das bei den folgenden Überlegungen stets be­achtet werden muss und deshalb „vor die Klammer“ gezogen werden soll: der Vorrang der Abwehrfunktion vor anderen Grundrechtsdimensionen. Diese, wenn auch nicht neue, aber doch oftmals nicht beherzigte These bedarf der näheren Erläuterung. Bei der Abwehrdimension der Grundrechte handelt es sich um die „klassi­ sche“23, in Rechtsprechung24 und Literatur25 allgemein anerkannte Funktion der Grundrechte. In dieser Bedeutung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat liegt ihre „Sinnmitte“26, ihre „traditionell am stärksten betonte Wirkungs­ weise“, ja ihr „unverlierbarer Kern“.27 Diese bis heute dominierende Grundrechts­ funktion ergibt sich nicht nur aus dem „abwehrrechtlichen Duktus“ der unter dem Eindruck des totalitären Staates getroffenen Formulierungen der einzel­ nen Grundrechtsnormen,28 sondern sie zeigt sich insbesondere auch in der ideenund rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechte, in der sich deutliche „Spuren“ dieser Wirkungsweise der Grundrechte finden lassen.29 Danach haben 23 Vgl. nur Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepu­ blik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 17. Zweifelnd an dem Klassitäts-Attribut unter rechtsver­ gleichender und historischer Beachtung allerdings Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 223 ff. sowie Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 85 und Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203, 206, 211. Kritisch auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 19, S. 47. 24 Erstmals BVerfG, Urt. v. 15.01.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205; daran an­ knüpfend etwa: BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = B ­ VerfGE 50, 290, 337; BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982, 2 BvR 1187/80 = BVerfGE 61, 82, 100 f.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35, 356, 794/82 = BVerfGE 68, 193, 205. 25 Vgl. exemplarisch jeweils m. w. N.: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 174 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 287; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. IX, § 191; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003; Sachs, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 39 Rn. 1 ff. 26 BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982, 2 BvR 1187/80 = BVerfGE 61, 82, 101; ähnlich Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 84: „Systemmitte der Grundrechtsdogmatik“. 27 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 82. 28 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 29, 32. 29 Vgl. hierzu Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 15 ff., 18 ff., S. 47, der als Ergebnis seiner „Spurensuche“ v. a. darauf hinweist, dass es das Abwehrrecht in seiner heu­ tigen Gestalt nicht immer schon gegeben hat, sondern sich erst im 20. Jahrhundert unter dem prägenden Einfluss des Bundesverfassungsgerichts zu seiner heutigen Form entwickelte.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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Grundrechte traditionell vor allem die Funktion, einen Bereich individueller Frei­ heit vor dem (verfassungsrechtlich nicht legitimierten) Eindringen der öffent­ lichen Gewalt zu schützen. Diese Ausrichtung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Einwirkungen entspricht der liberalen (bürgerlich-rechtsstaat­ lichen) Grundrechtstheorie30 und wurde von Georg Jellinek in seinem System der subjektiven-öffentlichen Rechte der Kategorie des status negativus zugeord­ net.31 Das Abwehrrecht gewährleistet in seiner Grundstruktur dem Bürger Freiheit von staatlicher Ingerenz, stellt staatliche Beschränkungen (das heißt „Eingriffe“) des in den grundrechtlichen Schutzbereichen enthaltenen Freiheitspotentials un­ ter Rechtfertigungszwang und knüpft deren Zulässigkeit an formelle und materi­ elle Voraussetzungen.32 Maßgeblicher Anteil an dieser heute allseits konsentierten dogmatischen Grundstruktur des Abwehrrechts kommt dem Bundesverfassungs­ gericht zu.33 So hat das Gericht die Abwehrfunktion der Grundrechte schon früh betont und ihr ebenfalls einen „klassischen Rang“ zugeschrieben, indem es klar­ stellte, dass „die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt [sind], die Freiheits­ sphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern“.34 Trotz der Herausbildung immer neuerer Grundrechtsfunktionen und -gehalte im Laufe der Jahrzehnte hält das Gericht bis heute unmissverständlich daran fest, dass es sich bei der Eingriffsabwehr um die primäre und herausragende Grundrechts­ funktion handelt. Auch wenn die Geltung der Abwehrfunktion der Grundrechte daher über je­ den Zweifel erhaben ist und keiner näheren dogmatischen Begründung bedarf, so entbindet das nicht davon dessen inhaltliche Reichweite und Konturen zu prä­ zisieren.35 Da dies in besonderem Maße für den vorliegenden Untersuchungs­ gegenstand gilt, soll den weiteren Überlegungen eine Begriffsbestimmung des Abwehrrechts vorangestellt werden. So werden unter Abwehrrechten in der vorlie­ genden Arbeit durch Grundrechtsbestimmungen geschützte subjektive Rechtspo­ sitionen verstanden, deren Verletzung der staatlichen Gewalt verboten ist und die durch negatorische Ansprüche des Berechtigten hiergegen gesichert sind.36 Eine solche subjektive Rechtsposition als Gegenstand des abwehrrechtlichen Grund­

30 Vgl. näher die Beschreibung bei Böckenförde, NJW 1974, S. 1529, 1530 ff. sowie Enders, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, vor Art. 1 Rn. 43 ff. 31 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 94 ff. 32 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 2. 33 Hierauf weist v. a. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 47 hin. 34 BVerfG, Urt. v. 15.01.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205 und seitdem st. Rspr. 35 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 43; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 67 ff. 36 So Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 66 I 2, S. 621 sowie aus jüngerer Zeit ders., in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 39 Rn. 7.

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rechtsschutzes ist hier die Verhaltensfreiheit des „Sich-Versammelns“,37 eventuell aber auch – was im Einzelnen noch näher untersucht werden muss – die Nutzung fremder privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken. Diese Defini­ tion des Abwehrrechts hat den für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Vorteil,38 dass sie mit dem grundrechtlichen Schutzbereich und dem Grundrechts­ eingriff nicht nur die beiden zentralen Elemente betont, die über den Anwendungs­ bereich des Abwehrrechts entscheiden,39 sondern dass sie auch die den Schutzge­ genstand des einzelnen Grundrechts sichernden negatorischen Ansprüche, die sich strukturell in den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aufspalten las­ sen, mit in die Betrachtung einbezieht. Auf alle drei Elemente des Abwehrrechts wird noch näher einzugehen sein, im Rahmen dieser „Vorüberlegungen“ genügt hinsichtlich der auch als „Hilfsrechte“ des Abwehrrechts bezeichneten Unterlas­ sungs- und Beseitigungsansprüche40 der Hinweis, dass diese sich dadurch unter­ scheiden, dass ersterer auf die Unterlassung bevorstehender, letzterer hingegen auf die Beseitigung bereits eingetretener Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Freiheitraum gerichtet ist.41 Bereits diese kurzen Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass die Ab­ wehrfunktion in den vergangenen Jahrzehnten trotz aller offenen Fragen in Be­ zug auf einzelne Elemente „eine dogmatische Ausarbeitung erfahren hat, von der die übrigen Grundrechts-Konzeptionen weit entfernt sind.“42 Dies gilt vor al­ lem für die hier in Frage stehende Leistungsdimension der Grundrechte.43 Deren

37 Näher zur Gliederung der abwehrrechtlichen Schutzgegenstände und zum Aspekt der Verhaltensfreiheit Sachs, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 39 Rn. 17 ff. sowie Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 174 ff., 274. 38 Ein weiterer entscheidender Vorteil dieser Definition des Abwehrrechts ist es, dass sie „nicht ein Recht auf Unterlassung von Beeinträchtigung, sondern ein Recht auf Ausübung der geschützten Freiheit als Inhalt des subjektiv-grundrechtlichen Abwehrrechts ansieht“ und so eine „Verkürzung des Sinngehalts“ des Abwehrrechts vermeidet (so Koch, Der Grundrechts­ schutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 81 ff.). 39 Vgl. hierzu Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 163. Schutzbereich und Grundrechtseingriff bilden nach der herrschenden Außentheorie den sog. Grundrechtstat­ bestand (vgl. hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 273 ff. sowie Meister, Das Sys­ tem des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 29 ff.). 40 So Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 66 III 1, S. 671. 41 Vgl. zum Störungsbeseitigungsanspruch nur Schwabe, Probleme der Grundrechtsdog­ matik, 1977, S. 196 ff.; Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 66 III 1 a, S. 671 ff.; § 67 II 1, S. 697; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 71 f., 78 ff. 42 Burgi, DÖV 1993, S. 633, 635. 43 Vgl. hierzu ausführlich Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67, S. 690 ff.; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192; Rüfner, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 40 sowie Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 11 Rn.  24 ff.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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„Entdeckung“ und Entwicklung unter dem Grundgesetz44 entstammt der Diskus­ sion zu Beginn der 70er Jahre um soziale Grundrechte, die ihren Ausgangspunkt in der kaum zu bestreitenden Erkenntnis nahm, dass es mit der Absicherung grundrechtlich verbürgter Freiheit gegen staatliche Einwirkung nicht getan ist, wenn diese Freiheit zur „realen Freiheitsposition“ möglichst vieler Bürger erstar­ ken soll.45 So nützt etwa – um nur ein plastisches Beispiel zu nennen – die von Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistete Unverletzlichkeit der Wohnung demjenigen we­ nig, der auf der Straße lebt.46 Das damit angesprochene Problemfeld der „Grund­ rechte im Leistungsstaat“47, das heißt konkret die Frage, ob die Grundrechte den Staat dazu verpflichten, die tatsächlichen Voraussetzungen zur Grundrechtsaus­ übung zu schaffen und ob die Grundrechtsträger auch entsprechende Rechte auf freiheitsfördernde staatliche Leistungen haben,48 wurde von Beginn an vehement diskutiert und gehört bis heute zu den umstrittensten Fragen der Grundrechts­ dogmatik ohne dass sich gefestigte dogmatische Strukturen entwickelt haben.49 Grund hierfür ist vor allem, dass die Leistungsfunktion der Grundrechte im Text des Grundgesetzes nur vereinzelt Ausdruck gefunden hat und so bereits nicht so offen zu Tage liegt, wie es bei dem Abwehrrecht der Fall ist.50 Aus dieser – freilich sehr kurzen – Gegenüberstellung der beiden Grundrechts­ funktionen folgt, dass die bei weitem unproblematischere, „in einer 200 Jahre alten Tradition gewachsene und anerkannte, allen Geltungszweifeln entrückte“ Abwehr­ funktion der Grundrechte nicht vorschnell verlassen werden darf.51 Es gilt die sich hinter dem Etikett der „Rekonstruktion“ der Abwehrfunktion der Grundrechte52 44 Vgl. zur historischen Entwicklung des Gedankens der „realen Freiheit“ in der Weimarer Zeit Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 31 ff. 45 So Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 243 f.; vgl. auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 55 sowie. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 228 ff. Zum Vorwurf der „sozialen Blindheit“ des liberalen Abwehr­ rechts Böckenförde, NJW 1974, S. 1529, 1531 f. 46 Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 244 mit weiteren Beispielen. Vgl. auch Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 5 Rn. 8. 47 So der Titel der Referate von Martens und Häberle auf der Staatsrechtslehrertagung 1972 (vgl. VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 43 ff.). 48 Krebs, Jura 1988, S. 617, 624. 49 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 395 u. S. 401 f. zu den Gründen dieses „hartnäckigen“ und erbitterten Streits sowie Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffs­ abwehrrechte, 1988, S. 22 („Krisengebiet“). 50 Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 69. 51 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 17. So auch Burgi, DÖV 1993, S. 633, 635 sowie Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 111. 52 Vgl. hierzu erstmals Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 465 sowie Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 202, 228, 242 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffs­ abwehrrechte, 1988, S. 21 ff., 305 ff.; aus jüngerer Zeit ausführlich Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, der das Abwehrrecht zur Grundlage der gesamten Grundrechtsdogma­ tik machen will, sowie Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 66 ff. Gegen eine Einengung der Leistungsfunktion dagegen Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 245 ff.

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verbergende Erkenntnis zu beherzigen, wonach das feste, dogmatisch wesentlich weiter entwickelte Terrain der Abwehrrechte erst ausgeschöpft werden muss, be­ vor man „zu neuen Ufern aufbricht“ und sich etwa den Grundrechten in ihrer Leis­ tungsdimension zuwendet.53 Diese Vorrangstellung der abwehrrecht­lichen Grund­ rechtsfunktion, dessen Potential oftmals unterschätzt wird,54 gilt es im Folgenden stets zu beachten. Darin liegt auch die Rechtfertigung der hier gewählten Vorge­ hensweise, nämlich der primären Suche einer Lösung der Pro­blematik anhand der Abwehrfunktion der Grundrechte. Erst wenn sich diese als ungeeignet erweisen sollte, rücken die Grundrechte in ihrer Leistungsdimension in den Blickpunkt.55 3. Die Unbeachtlichkeit der äußeren Form des beanspruchten Verhaltens für die Frage nach der einschlägigen Grundrechtsfunktion Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Überlegungen könnte man zunächst auf die Idee kommen, eine leistungsrechtliche Konstruktion deshalb anzunehmen, weil die Durchführung einer Demonstration im fremden privaten öffentlichen Raum im Wege der Hausordnung im Regelfall einer Erlaubnispflicht unterworfen wird. Denn bei unbefangener Sicht beanspruchen die Demonstranten die Geneh­ migung der Durchführung einer Demonstration, das heißt äußerlich betrachtet ein positives Handeln und damit eine staatliche Leistung. Ansätze einer solchen Be­ trachtungsweise gibt es etwa bezüglich der Grundrechtsausübung auf öffent­lichen Straßen. So soll hier die Grundrechtsausübung dann eine Inanspruchnahme frei­ heitserweiternder Leistung sein, wenn sie den Gemeingebrauch überschreitet und in die Kategorie der erlaubnispflichtigen Sondernutzung fällt.56 Gleiches wird auch für öffentliche Einrichtungen vertreten, deren Nutzung aufgrund der gemein­ derechtlichen Erlaubnispflichtigkeit (etwa § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW) stets leis­ tungsrechtlich zu verstehen sein soll.57

53 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 17. Vgl. auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 66, 69, der diesen Vorrang des Abwehrrechts auch mit dem Primat der grammatischen Auslegung be­ gründet. 54 So Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 95 ff. 55 Vgl. zu diesem „Regel-Ausnahme-Prinzip“ Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 2, S. 96 ff. 56 So etwa Wagner, NJW 1976, S. 1083; Steinberg, NJW 1978, S. 1898, 1900; vgl. auch Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 71, der die Auffassung, wonach die Nutzung öffentlicher Sa­ chen und Einrichtungen im Falle der Zulassungspflichtigkeit leistungs- bzw. teilhaberechtlich zu verstehen sei, – zu Unrecht – als h. M. bezeichnet. 57 Vgl. aus der Rspr. etwa VGH München, Urt. v. 13.2.1985, 4 N 84 A. 545 = NJW 1985, S. 1663 f. sowie aus dem Schrifttum etwa Salzwedel, DÖV 1963, S. 241, 242 sowie Greifeld, DÖV 1981, S. 906, 907.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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Gegen eine solche – rein oberflächliche – Betrachtung sprechen jedoch zwei Gesichtspunkte: Zunächst ist diese Auferlegung einer Erlaubnispflicht Ausprä­ gung des nur einfachrechtlich gewährleisteten Hausrechts58 und kann insofern be­ reits aus normhierarchischen Gründen für das grundrechtliche Konstruktions­ modell nicht entscheidend sein. So ist es etwa für den Bereich der Durchführung einer Demonstration auf öffentlichen Straßen schon früh als „widersinnig“ be­ zeichnet worden, wenn der „umstrittene und fließende Grenzverlauf zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung die Eingriffsverwaltung von der Leistungs­ verwaltung trennen soll“.59 Ebenso wenig wie auf den Inhalt des einfachrechtlichen Widmungsakts für die Frage der grundrechtsdogmatische Verortung abgestellt werden darf,60 kann die Auferlegung einer Erlaubnispflicht für die Durchfüh­ rung einer Demonstration im Wege der Hausordnung entscheidend sein. Denn es gilt zwischen der einfachen Gesetzeslage und der „reinen Grundrechtslage“ zu unterscheiden,61 so dass bereits aus diesem Grund das Faktum der hausrechtlichen Erlaubnispflicht für die Einordnung nicht entscheidend sein kann. Hinzu kommt als zweiter Einwand, dass auch aus der bloßen äußeren Form des beanspruchten Verhaltens nicht auf das Eingreifen der abwehrrechtlichen oder leistungsrechtlichen Konstruktion geschlossen werden kann. Dass die traditio­ nelle Unterscheidung von Leistungsrechten als Ansprüche auf ein positives Tun des Staates und Abwehrrechten als Ansprüche auf staatliches Unterlassen62 über­ holt ist, zeigt bereits das Beispiel der Erteilung einer Baugenehmigung.63 Denn diese ist nach völlig unstrittiger Auffassung Folge der abwehrrechtlichen Seite der Grundrechte, obwohl sie rechtskonstruktiv als staatliche Leistung geformt ist und die Erteilung der Genehmigung auch rein äußerlich als ein positives Tun erscheint. Gleiches gilt für den ebenfalls unstreitig vom Abwehranspruch erfassten grund­ rechtlichen Beseitigungsanspruch.64 Geht man auch hier von einer äußer­lichen Betrachtung und einem Verständnis des Abwehranspruchs als reinen Unterlas­ sungsanspruchs aus, so müsste dieser auf positives Handeln des Staates gerich­ tete Beseitigungsanspruch der Kategorie der Leistungsrechte zugeordnet werden. Dass dieser Schluss aber dennoch nicht gezogen wird, zeigt, dass die Frage nach 58

Da in der hier untersuchten Konstellation der Hausrechtsinhaber nicht grundrechts­ berechtigt ist und sich daher nicht auf die in Abschnitt F. dargelegten Grundrechtspositionen berufen kann, ist das Hausrecht nur einfachrechtlich gewährleistet. 59 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 245 Fn. 15. 60 Vgl. Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Be­ gründung zu § 21 Ziff. I. 3. 61 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 45 f. Fn. 114. 62 So etwa Friauf, DVBl. 1971, S. 674, 675; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 402 f. 63 Vgl. hierzu und zum Folgenden jeweils m. w. N.: Manegold, Archivrecht, 2002, S. 97; Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 67 f., 115 sowie Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 202, 242 ff. 64 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 41 sowie Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 77 f.; dazu auch Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 2007, S. 165 ff., 173.

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der einschlägigen Grundrechtsfunktion nicht von der äußeren Form des begehrten staatlichen Verhaltens abhängig sein kann. Damit bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass die (einfachrechtliche) Genehmi­ gungspflichtigkeit der Durchführung einer Demonstration im privaten öffent­ lichen Raum einer eingriffsabwehrrechtlichen Konstruktion nicht entgegensteht. Wenn es also die äußere Form des beanspruchten staatlichen Verhaltens nicht ist, die Eingriffs- und Leistungssituation voneinander trennt, dann stellt sich die Frage was dann das entscheidende Kriterium ist. Zur Beantwortung dieser Frage kann auf gewisse Vorarbeiten in der Literatur zu einer anderen Thematik zurückgegrif­ fen werden, die daraufhin zu untersuchen sind, ob sie für die vorliegende, ähn­liche gelagerte Problematik nutzbar gemacht werden können.65 4. Der Grundrechtseingriff als entscheidendes Kriterium des grundrechtlichen Abwehranspruchs Entscheidendes Kriterium für das Entstehen des prinzipiellen66 grundrecht­ lichen Abwehranspruchs ist vor dem Hintergrund des hier vertretenen (Begriffs-) Verständnisses des Abwehrrechts neben dem später67 ausführlich zu untersuchen­ den Vorliegen einer eingriffsfähigen Rechtsposition, das heißt dem sog. Schutz­ bereich als das „Objektfeld möglicher Grundrechtseingriffe“,68 das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs.69 Diese Eingriffssituation ist nicht nur das gemein­ same Merkmal des abwehrrechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs, sondern unterscheidet diese auch strukturell vom grundrechtlichen Leistungsan­ spruch.70 Daraus ergibt sich, dass wenn man die Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Versammlungszwecken abwehrrechtlich begründen möchte, zwingend 65

Vgl. zu den „Vorarbeiten“ und daher zum Folgenden v. a. Mayen, Der grundrechtliche In­ formationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 115 ff. 66 Vgl. Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 116 ff., der unter Hinweis auf die Unterscheidung von Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung zu Recht betont, dass es dabei zunächst nur um die Frage eines „prin­ zipiellen“, eines „Prima-facie“-Abwehranspruchs geht, der von dem „definitiven“ Abwehr­ anspruch zu trennen ist, welcher sich erst als Folge einer tatsächlichen Grundrechtsverletzung ergibt. 67 H. III. 68 So die Formulierung von Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 45. 69 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 115. Vgl. zur „Schlüsselfunktion“ des Eingriffs für das Abwehrrecht Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn.  106 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 136 sowie Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26. 70 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 116; andeutungsweise auch Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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der Nachweis gelingen muss, dass in dem Verbot der Durchführung einer Ver­ sammlung durch den Hausherrn ein Grundrechtseingriff liegt. Ohne auf den Eingriffsbegriff in seinen Einzelheiten näher eingehen zu kön­ nen und zu wollen,71 wird im Folgenden hierunter in Übereinstimmung mit dem klassischen Eingriffsbegriff eine positive imperative Maßnahme verstanden, die final und unmittelbar durch Rechtsakt zu einer Verkürzung grundrechtlicher na­ türlicher Freiheit führt.72 Ausgehend von dieser Definition wirft das Vorliegen eines Eingriffs im vorliegenden Zusammenhang in zweierlei Hinsicht Zweifel auf: Zum einen stellt sich die Frage, ob das Verbot der Durchführung einer Versamm­ lung überhaupt eine Verkürzung „natürlicher“ Freiheit darstellen kann,73 mit der das Abwehrrecht trotz aller Diskussionen um das diesem zugrunde liegende Frei­ heitsverständnis immer noch vielfach in Verbindung gebracht wird.74 Denn es ist gerade das Vorliegen einer solchen „natürliche Freiheit“, das den Hauptangriffs­ punkt derjenigen darstellt, die ein Eingreifen der abwehrrechtlichen Konstruktion im Parallelfall der Nutzung öffentlicher Räume bestreiten. Zum anderen ist eben­ falls problematisch, ob die Untersagung der Durchführung einer Demonstration durch den Hausherrn nicht eventuell als eine bloße Leistungsverweigerung, das heißt als ein reines Unterlassen einzustufen ist, worin nach allgemeiner Ansicht kein Grundrechtseingriff liegen kann.75 Diesen Bedenken soll im Folgenden näher nachgegangen werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass eine abwehrrecht­liche Begründung der Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Versammlungszwe­ cken es zwingend verlangt, dass beide Zweifel überwunden werden können. 71 Vgl. hierzu ausführlich jeweils m.w.N: Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 105 ff.; Eckhoff, Der Grund­ rechtseingriff, 1992 sowie Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 136 ff. 72 So oder so ähnlich Epping, Grundrechte, 2012, Rn. 392; BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002, 1 BvR 670/91 = BVerfGE 105, 279, 299 f.; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, S. 313. 73 Vgl. zu dieser immer wieder genannten Voraussetzung für das Vorliegen eines Grund­ rechtseingriffs z. B. Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegen­ über dem Staat, 1992, S. 121 sowie Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 43, 45, 273, die auf S. 47 mangels größerer Relevanz offen lässt, ob man das Merkmal der Verkürzung „natürlicher“ Freiheit als ein gesondertes Merkmal des traditionellen Eingriffs­ begriffs behandelt oder ob man es in den Begriff der imperativen Regelung mit aufnimmt. 74 Näher zur Diskussion um das dem Abwehrrecht zugrundeliegende Freiheitsverständnis Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 109 ff. sowie S. 17, wonach die Vorstellung einer natürlichen Freiheit, die es gegen staatliche Eingriffe zu verteidigen gelte, der ideenge­ schichtlichen Referenz des Abwehrrechts an den Naturzustand entstammt. Zur natürlichen Freiheit als grundrechtliches Schutzgut des Abwehrrechts auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 75 ff. 75 Vgl. zu dieser (vielfach auch unausgesprochen – etwa im Begriff des „Handelns“ – mit­ gedachten) Voraussetzung des Eingriffsbegriffs z. B. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Ein­ griffsabwehrrechte, 1988, S. 33 f.; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26; Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 278 ff.; Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 235, 238; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 102 f. sowie Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegen­ über dem Staat, 1992, S. 121 f.

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a) Ausübung „natürlicher“ Freiheit trotz (staatlicher) Bereitstellung eines Sachsubstrats? Hintergrund der Bedenken gegen das Vorliegen einer „natürlichen“ Freiheit ist wie bereits angesprochen, dass es sich bei den privaten öffentlichen Räumen um künstlich errichtete Gebilde handelt.76 Deren Nutzung ist den Demonstran­ ten nicht aus eigenem Antrieb möglich, sondern sie ist zwingend davon abhän­ gig, dass der private öffentliche Raum zuvor „ins Leben gerufen“ worden ist.77 Aus diesem Grund erscheint die Durchführung einer Versammlung hier nicht als eine staatsunabhängige, bereits vorhandene „natürliche“ Verhaltensmöglichkeit der Grundrechtsträger, sondern vielmehr als eine staatlich verliehene „konstitu­ ierte“ Rechtsposition.78 Versteht man den Begriff der „natürlichen“ Freiheit in diesem (engen) Sinne als eine „von fremder, namentlich von staatlicher Vorleis­ tung unabhängige Freiheit“,79 dann kann die Durchführung einer Demonstration an diesem Ort nicht als eine solche bezeichnet werden. Konsequenz wäre dann, dass das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs mangels Verkürzung „natürlicher“ Freiheit verneint werden müsste, so dass die abwehrrechtliche Konstruktion ins­ gesamt ausscheiden würde. Ein solches überzogen wörtliches Verständnis des mit dem Abwehrrecht ver­ bundenen Begriffs der „natürlichen Freiheit“ ist jedoch abzulehnen. Hiergegen spricht bereits, dass nicht zuletzt unter den Bedingungen der heutigen modernen (Industrie-)Gesellschaft eine „voraussetzungslose Freiheit“, das heißt eine Sphäre, in der der Einzelne in völliger Unabhängigkeit jeglicher Vorleistungen von drit­ ter Seite seine Freiheit auslebt, kaum mehr vorstellbar, ja höchst unrealistisch ist.80 Verstünde man „natürliche“ Freiheit tatsächlich in diesem Sinne, so müsste 76 Das Vorliegen einer „natürlichen“ Freiheit kann nicht aufgrund der in der Hausordnung festgelegten einfachrechtlichen Erlaubnispflicht angezweifelt werden, da wie oben dargelegt (H. II. 3.) zwischen der einfachen Gesetzeslage und der „reinen Grundrechtslage“ unterschie­ den werden muss. 77 Vgl. hierzu wiederum Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 157 ff., wenn auch bzgl. öffentlichen Einrichtungen und ­Sachen. 78 Vgl. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 45 f. Fn. 114 so­ wie v. a. Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 155 ff. Zum Unterschied von „natürlicher“ und „staatlich konstituierter“ Frei­ heit auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 89 ff. 79 So die Bezeichnung von Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des For­ schers gegenüber dem Staat, 1992, S. 157 für solche Tendenzen bei Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 232 sowie bei Lange, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommu­ nalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, 1983, S. 162 f., 168 bzgl. öffentlicher Einrichtungen. 80 So auch Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 157 sowie Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 84, S. 45 (Fn. 111) und S. 82 ff., die unter Hinweis auf die Philosophie Hegels und die „grundlegenden freiheitsermöglichenden Ordnungsleistungen des Staates“ darauf hinweist, das in einem bestimmten Sinne alle Freiheit vom Staat abhängig ist. Vgl. auch Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 232, 237.

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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der Begriff wohl in der Tat „als eine ungeschichtliche Abstraktion“ aufgegeben werden.81 Denn individuelle Freiheit gewinnt Gestalt und Realität erst in der Ein­ bettung in die Lebenswirklichkeit und in die rechtsstaatliche Gesamtordnung, ist also niemals „von Natur aus“, das heißt unabhängig von staatlicher Gewährleis­ tung, Sicherung und Normierung gegeben.82 Dies zeigen nicht nur Grundrechte wie etwa die Rundfunkfreiheit oder Handlungsweisen wie etwa das Autofah­ ren, das „Bummeln“ durch die Fußgängerzone oder der Besuch einer Schule bzw. einer Universität, die weitgehend geprägt sind von staatlich geschaffenen Voraus­ setzungen und dem von ihm gesetzten Recht.83 Sondern letztlich wäre bei die­ sem Verständnis auch nahezu jedes menschliche Verhalten als „unnatürlich“ und „staatsabhängig“ zu bezeichnen, da menschliches Handeln stets durch die kon­ krete soziale Wirklichkeit beeinflusst und auf sie bezogen ist und eben diese so­ ziale Realität stets auch von staatlicher Einflussnahme geprägt ist.84 Bereits diese Ausführungen legen also nahe, dass die Formulierung von der „natürlichen“ bzw. „vorstaatlichen“85 Freiheit auf etwas ganz anderes abzielt. Sie meint nicht eine ein­ same „Sphäre […] in der der Einzelne ursprünglich und am besten ohne Staat lebt“,86 sondern sie ist im Zusammenhang mit dem rechtstaatlichen Verteilungs­ prinzip und dem darin zum Ausdruck kommenden Regel-Ausnahme-Verhältnis von Freiheit und Beschränkung zu sehen.87 „Natürlich“ oder „vorstaatlich“ ist die individuelle Freiheit insofern, als dem Einzelnen verschiedene Handlungsalter­ nativen zustehen88 zwischen denen er frei und ohne dass er hierbei einer Recht­ 81

So Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 282; Skeptisch auch Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 1962, S. 8 ff., 145 ff. sowie Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 78. 82 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 282; vgl. auch Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. II, § 31 Rn. 20 sowie Krebs, Jura 1988, S. 617, 623. 83 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 78. 84 Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 90 f.; so auch Hoffmann-Riem, in: Bäuerle u. a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht, 2003, S. 53, 55 f. („Recht wirkt in die Realität und wird durch die Realität beeinflusst“). 85 Vgl. zur synonymen Verwendung beider Begriffe nur Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 75; Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S. 166; zur „Vorstaatlichkeit“ der Grundrechte Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kom­ mentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 70. 86 Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 467. 87 So auch besonders deutlich Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 70 sowie Böckenförde, NJW 1974, S. 1529, 1530. Zum rechtstaatlichen Verteilungsprinzip C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 126, 158, 164. 88 Zum Verständnis von „natürlicher“ Freiheit als das Vorhandensein von Verhaltensalter­ nativen: Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 66 II 2 b, S. 628 ff., v. a. S. 634; daran anknüpfend Mayen, Der grundrechtliche Informa­ tionsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 158 ff. sowie jüngst Ipsen, in: FS Stern, 2012, S. 369, 370 f. und Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 52 f. („Freiheitsgegenstand ist eine Handlungsalternative“).

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fertigungspflicht unterliegt wählen kann.89 Die Bezeichnung von der „natürlichen“ Freiheit steht also für den im Grundsatz freien Urzustand des Bürgers hinsichtlich des Gebrauchs seiner Freiheit, die erst nachträglich und von außen vom Staat unter Berücksichtigung der Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen eingeschränkt wird.90 Der Staat, dem diese Freiheit als bereits vorhandene Größe vorgelagert ist,91 hat diese zu respektieren, ist bei Beschränkungen an gewisse Vorgaben ge­ bunden und unterliegt dabei stets einer Rechtfertigungspflicht. Letztlich steckt also hinter der Formulierung von der „natürlichen“ oder „vorstaatlichen“ Freiheit nicht das Bild eines isolierten, keinerlei Voraussetzungen bedürftigen „robinson­ artigen“ Individuums, sondern das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip. Versteht man den Begriff der „natürlichen“ Freiheit richtigerweise in diesem Sinne, das heißt gerade nicht als „voraussetzungslose Freiheit“, so kann auch die Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum als natürliche Freiheitsausübung bezeichnet werden, obwohl deren Ausübung zwingend „die vorherige Schaffung eines entsprechenden räumlichen Substrats“ verlangt.92 „Al­ lein die Abhängigkeit der Freiheitsausübung von vorheriger staatlicher Tätigkeit […] macht sie noch nicht zu einer vom Staat ‚verliehenen‘ Freiheit“.93 Vielmehr liegt dem Ganzen eine gewisse Zweistufigkeit zugrunde wie es auch in Bezug auf die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und Sachen von Teilen der Literatur unter den Schlagworten der „Freiheit auf der Basis von Teilhabe“ bzw. den „ge­ stuften Teilhabe- und Freiheitsverhältnissen“ vertreten wird.94 Es gilt zwischen der Entstehung des privaten öffentlichen Raums auf der einen Seite (dem „Ob“) und der hier im Mittelpunkt stehenden Frage ihrer Benutzung (dem „Wie“) auf der anderen Seite strikt zu unterscheiden. Hinsichtlich der ersten Stufe, das heißt der Schaffung und Errichtung des privaten öffentlichen Raums, gewähren die Grundrechte allenfalls bei Existenz einer leistungsrechtlichen Dimension einen Anspruch, wobei deren (engen) Voraussetzungen kaum einmal vorliegen dürfen. Diese Stufe ist also ohne Zweifel staatliche Leistungsverwaltung. Sobald dann aber diese Vorleistung einmal erbracht ist, das heißt sobald der private öffentliche Raum „ins Leben gerufen“ wurde, „ist das Feld für die Entfaltung der natürlichen 89

Vgl. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 467. Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 54. 91 Vgl. dazu Enders, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, vor Art. 1 Rn. 34, nach dem der Verfassungsgeber „die Grundrechte als ‚vorverfassungs­ mäßige Rechte‘ verstehen wollte, die vom Staat nicht nach Art einer Leistung gewährt, son­ dern nur gewährleistet werden können“. 92 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 158. 93 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 158. 94 So Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 86 ff.; sowie ders., in: FS Doehring, 1989, S. 647 ff., der aber im Gegensatz zur hier vertretenen Auffassung, die zweite (abwehrrechtliche) Stufe erst nach erfolgter Zulassung einsetzen lässt. Wie hier hingegen Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 158 ff. 90

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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Freiheit auf der zweiten Stufe eröffnet“.95 Ist die Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Versammlungszwecken auf dieser zweiten Stufe vom Schutzbereich des Art. 8 GG umfasst – was an anderer Stelle näher untersucht und im Ergebnis be­ jaht wird –, so muss der Staat diese Freiheitsausübung als „vorstaatlich“ respek­ tieren. Untersagt oder erschwert er dem Grundrechtsträger hier die Durchführung einer Demonstration, so kann dies eine Beeinträchtigung „natürlicher“ Freiheit und damit einen Grundrechtseingriff darstellen, so dass die Abwehrfunktion der Grundrechte zum Einsatz käme. Als Fazit dieser Überlegungen bleibt damit festzuhalten: Verlangt man für das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs die Verkürzung „natürlicher“ Freiheit, wie es immer wieder vertreten wird, so wird mit der Anerkennung dieser Zweistufig­ keit eine abwehrrechtliche Konstruktion vorstellbar. Die für die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum zwingend erforderliche vor­ herige Errichtung und Öffnung des privaten Raums, auf die grundrechtlich im Regelfall mangels leistungsrechtlichen Gehalts kein Anspruch besteht, steht einer abwehrrechtlichen Einordnung der zweiten Stufe nicht entgegen. Vorausgesetzt ist aber nicht nur, dass die Nutzung des privaten öffentlichen Raums zu Versamm­ lungszwecken vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst ist, sondern auch, dass das Verbot der Durchführung einer Demonstration auf dieser zweiten Stufe tatsäch­ lich als Grundrechtseingriff qualifiziert werden kann. b) Unterlassen der Demonstrationsgewährung als Grundrechtseingriff? Dieses Vorliegen eines Grundrechtseingriffs auf der zweiten Stufe ist es, das von Seiten der Literatur teilweise mit dem Argument angezweifelt wird, dass das Verbot der Durchführung einer Demonstration durch den Hausherrn in Wahrheit nichts anderes sei als die bloße Verweigerung einer Leistung, die Beschränkung einer staatlichen Leistung ihrem Umfang nach.96 Sieht man in diesem Sinne in dem Demonstrationsverbot die Versagung einer Leistung, das heißt ein reines Un­ terlassen, dann müsste nach herkömmlicher Auffassung ein Grundrechts­eingriff verneint werden und damit letztlich auch eine abwehrrechtliche Konstruktion insgesamt. Doch gibt es gerade bei den Vertretern einer „Rekonstruktion“ der Abwehr­ rechte, denen ja die These gemeinsam ist, dass auch im Bereich staatlicher Leis­ tungen die Eingriffsabwehrdogmatik zum Einsatz kommen kann, inzwischen zahlreiche Versuche, den traditionell auf positives Tun beschränkten Eingriffs­ 95 So Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 159 f. 96 So etwa Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 194: „Eine Nutzungs­ beschränkung bedeutet […] nur, dass die in der Gebrauchsgewährung zu sehende staatliche Leistung ihrem Umfang nach begrenzt ist.“

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begriff97 auch auf ein Unterlassen auszudehnen („Eingriff kraft Unterlassen“).98 Hiervon ausgehend könnte dann auch in der Verweigerung der Durchführung einer Demonstration, das heißt genauer in dem Unterlassen der Nutzungsgewäh­ rung, ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit liegen, der dann prinzipiell zu unterlassen wäre.99 Der positive grundrechtliche Nutzungsanspruch in Bezug auf private öffentliche Räume „würde sich dann gewissermaßen im Wege doppelter Negation […] schon aus dem abwehrrechtlichen Unterlassungs­ anspruch, d. h. als Anspruch auf Unterlassung des Unterlassens“ der begehrten Durchführung einer Demonstration ergeben.100 Bereits diese „holprige“ Formulie­ rung zeigt, dass eine solche Vorgehensweise unter gesteigertem Erklärungszwang steht. Das Unbehagen, das die Uminterpretation einer Leistungsverweigerung, das heißt einer bloßen Nichtleistung in einen Grundrechtseingriff intuitiv erzeugt, hat dieser Vorgehensweise den Vorwurf eingebracht, sie habe „einen Beigeschmack von Trick und Sophisterei – etwa so, als machte sich die Betriebs­wirtschaft Ge­ danken über die Frage, ob und wie Gewinne sich als Verluste deuten lassen oder umgekehrt“.101 Betrachtet man diesen Ansatz jedoch genauer, so relativiert sich nicht nur die­ ser auf den ersten Blick berechtigte Vorwurf, sondern es zeigt sich auch, dass hinter dieser Konstruktion der Einordnung einer Nichtleistung als Grundrechts­ eingriff letztlich nicht nur eine Ausweitung des traditionellen Eingriffsbegriffs steht, sondern sie vielmehr auch eine Erweiterung des grundrechtlichen Schutz­ bereichs zum Anliegen hat.102 Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Ein 97 Vgl. die Nachweise in Fn. 75. In diesem Zusammenhang weist Mayen, Der grundrecht­ liche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 121 Fn. 36 zu Recht darauf hin, dass dies „nicht mit der oben zurückgewiesenen These verwechselt werden [darf], die Erscheinung einer staatlichen Maßnahme als positives Tun oder Unterlassen bestimme über die einschlägige Grundrechtsfunktion. [Denn] während es dort um staatliches Tun/ Unter­lassen als Ziel des betreffenden Anspruchs ging, handelt es sich hier um die Frage, ob staat­liches Tun Voraussetzung für das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs sein kann.“ Die­ sen Unterschied verkennt Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 139 f. 98 Vgl. hierzu v. a. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 23, 34, 226 f. Solche Überlegungen finden sich etwa bei Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 688; Burgi, Er­ holung in freier Natur, 1993, S. 266; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 136 ff.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 265 f.; Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S. 316 f. sowie Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 200 Rn. 81 f. 99 Vgl. hierzu etwa die Überschrift „Die Versagung einer Leistung als Grundrechts­ eingriff?“ bei Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 194. 100 So Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 125. 101 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 205. 102 So auch die Einschätzung von Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Ge­ wande, 2000, S. 246. Dies ist deutlich sichtbar bei Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 194 f. („Als Verbot könnte die Verweigerung der Sondernutzungserlaubnis erst dann aufgefasst werden, wenn die Grundrechte bereits ihrem Inhalt nach das Recht um­ fassen, zur Betätigung der Freiheit auch die öffentlichen Straßen in Anspruch zu nehmen.“);

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Grundrechtseingriff verlangt unstreitig die Verkürzung grundrechtlich geschütz­ ter Freiheit;103 wenn das nun aber so ist, so stellt sich die Frage, wie denn ein Un­ terlassen im Sinne bloßer Untätigkeit eine schon vorhandene Freiheit überhaupt verkürzen kann. Dies wäre nur dann möglich, wenn man hier die vom Grund­ rechtsträger beanspruchte Durchführung einer Demonstration im privaten öffent­ lichen Raum in den Schutzbereich mit einbezieht und so gewissermaßen die „Nor­ malebene grundrechtlich unangreifbaren staatlichen Verhaltens“ anhebt.104 Von dieser so konzipierten Normalebene aus wäre jede Unterschreitung des so „ermit­ telten Prima-facie-Anspruchsniveaus“ eine prinzipielle rechtfertigungsbedürftige Verkürzung grundrechtlicher geschützter Freiheit. Die vormals als Nicht­leistung und Unterlassen erscheinende Nichtgenehmigung der Durchführung einer De­ monstration im privaten öffentlichen Raum würde auf diese Weise durch „Ver­ schiebung der Normalebene des Verhaltens“ zu einem positiven Tun und letztlich zu einem Grundrechtseingriff transformiert.105 Wenn dieser „Operation“ vorgeworfen wird, sie bewege sich „nur noch nomi­ nell, der Sache nach aber gerade nicht mehr im Rahmen des Verständnisses der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte“106, dann verbirgt sich dahinter eine Kri­ tik an einer Ausweitung des Schutzbereichs. Ohne hier der später ausführlich un­ tersuchten Frage der Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche vorgreifen zu wollen, ist dieser Kritik insofern zuzustimmen, als dass es sicherlich nicht sein kann im Wege einer extrem extensiven Art und Weise den gesamten Bereich bisher grundrechtsrelevanter Leistungen in den Schutzbereich mit einzubeziehen und auf diese Weise jedes Unterlassen zu einem Grundrechtseingriff zu trans­ formieren.107 Eine solche Überzeichnung würde nicht nur die engen Vorausset­ zungen der grundrechtlichen Leistungsrechtsrechte unterlaufen, sondern letztlich auch die Abwehrfunktion insgesamt verwässern. Die etwaige Einbeziehung der Durch­führung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum in den Schutz­ bereich der Versammlungsfreiheit ist von dieser Kritik aber bereits insofern nicht erfasst, als es sich hierbei lediglich um eine teilweise, gewissermaßen marginale „Schutzbereichsausweitung“ in einem nicht als „klassischen Leistungsfall“ zu Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 688 sowie bei Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehr­ rechte, 1988, S. 226 ff. 103 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 129; vgl. auch H. II. 4. a). 104 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 226 f. (auch Fn. 60); Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 124 spricht diesbezüglich von der Erweiterung der natürlichen Freiheit in Richtung auf eine „gesollte“ Freiheit. 105 So Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 226 f. (v. a. Fn. 60). 106 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 34. 107 Eine solche Vorgehensweise würde letztlich die strikte Unterscheidung von Abwehr- und Leistungsanspruch aufgeben. Vgl. zu einem solchen Verständnis und deren „absurden“ Fol­ gen Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 228 f. Kritisch auch Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 246 f. sowie Kopp, NJW 1994, S. 1753, 1755 f.

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bezeichnenden Bereich handeln würde.108 Für den vorliegenden Zusammenhang genügt damit die Feststellung, dass die hier vorgestellte Konstruktion zwar durch­ aus ein juristisch konstruierbarer und gangbarer Weg ist.109 Da aber der traditio­ nelle Eingriffsbegriff eine bedenkliche Ausweitung auf das Unterlassen erfährt und insgesamt auch der Eindruck eines gewissen „Taschenspielertricks“ bleibt, soll noch nach einem anderen, weniger „trickhaften“ Begründungsansatz gesucht werden. c) Die Zulassung der Demonstration als abwehrrechtlich gebotene Beseitigung des vorausgegangenen Nutzungsverbots (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) Ein solcher dogmatisch überzeugenderer Begründungsversuch ist die im Fol­ genden näher dargestellte Konstruktion des Nutzungsanspruchs als ein Fall des abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsanspruchs.110 Auch er knüpft daran an, dass der Nutzungsanspruch der Demonstranten auf ein positives Handeln gerich­ tet ist, sieht jedoch im Gegensatz zum vorangegangenen Ansatz in der Zulassung bzw. Genehmigung der Demonstration keine „echte“ Leistung,111 deren Verwei­ gerung ein Unterlassen und damit nach herkömmlicher Ansicht keinen Grund­ rechtseingriff darstellen kann. Vielmehr zeigt er einen Weg, wie auch ein begehr­ tes positives Tun abwehrrechtlich konstruiert werden kann. Insofern knüpft er an die oben dargelegte Erkenntnis an, dass die äußere Form des beanspruchten Ver­ haltens nicht über die einschlägige Grundrechtsfunktion entscheiden kann. Entscheidender Ansatzpunkt dieses Konzeptes ist es, die von den Demonstran­ ten begehrte Genehmigung bzw. Zulassung der Demonstration durch den Haus­ herrn, obwohl äußerlich ein positives Tun, nicht als eine „richtige“ Leistung i. S. d. leistungsrechtlichen Dogmatik, sondern vielmehr als eine Beseitigung des voran­ gegangen, in dem in der Hausordnung festgelegten Demonstrationsverbot liegen­ den Eingriffs in die natürliche Handlungsmöglichkeit der Demonstranten zu ver­ stehen. Die als „Leistung“ erscheinende Zulassung oder Genehmigung ist so in Wahrheit nur die Wiederherstellung der Möglichkeit zur Durchführung einer De­ monstration im privaten öffentlichen Raum.

108 Vgl. auch Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 231 sowie Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 247, die eine „teilweise“ Einbeziehung staatlicher Leistungen in den Schutzbereich der Grundrechte für unbedenklich halten. 109 Anders Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 130. 110 Dem Ganzen liegt die Vorstellung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zugrunde (vgl. hierzu näher Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 141 ff.). 111 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 218.

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Diese für den Bereich der Nutzung öffentlicher Einrichtungen und Sachen an­ gedeutete,112 aber erst im Zusammenhang mit dem grundrechtlichen Informa­ tionsanspruchs des Forschers gegen den Staat näher entwickelte Konstruktion113 hat bis heute nicht die ihm gebührende Beachtung gefunden und soll, indem sie auf die vorliegende Thematik übertragen wird, aus ihrem „Schattendasein“ ge­ führt werden.114 Grund hierfür ist wohl das immer noch vielfach anzutreffende einseitige Verständnis der Abwehransprüche als reine Unterlassungsansprüche,115 so dass der ebenfalls unstreitig aus dem Abwehranspruch entspringende (Stö­ rungs-)Beseitigungsanspruch, der im Gegensatz zu jenem nicht die Unterlassung bevorstehender, sondern die Beseitigung bereits eingetretener Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Freiheitsraum zum Thema hat, aus dem Blick gerät.116 Bereits diese Umschreibung des Beseitigungsanspruchs weist auf den Ausgangs­ punkt, ja vielmehr auf die – später noch näher zu untersuchende – Prämisse die­ ses Ansatzes hin: Das Verständnis der Durchführung einer Demonstration im pri­ vaten öffentlichen Raum als eine vom grundrechtlichen Schutzbereich erfasste Handlungsmöglichkeit.117 Geht man hiervon aus, dann ist jede Regelung des Haus­ herrn, wonach die Durchführung einer Demonstration verboten oder auch nur von einer Genehmigung abhängig ist, grundrechtsdogmatisch eine Untersagung na­ türlicher Freiheitsausübung.118 Da es sich insofern um eine positive, imperative Maßnahme des Staates handelt, bedarf es hierfür keiner wie auch immer gear­ teten Erweiterung des klassischen Eingriffsbegriffs. Konsequenz dieses Grund­ rechtseingriffs ist dann die prinzipielle119 „Aktivierung“ des abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsanspruchs. Dieser zielt auf die Beseitigung bzw. Rückgän­

112 Vgl. Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1 c α, S. 701 ff. wohl in Anlehnung an Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 242 ff. sowie Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 45 f. (v. a. Fn. 114). 113 Vgl. auch zum Folgenden Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des For­ schers gegenüber dem Staat, 1992, S. 126 ff., 134 ff. 114 Diese Nichtberücksichtigung überrascht v. a. hinsichtlich der Grundrechtsausübung in öffentlichen Räumen. Denn die ersten, über Einzelfälle hinausgreifenden Ansätze dieser Kon­ struktion finden sich bei Sachs und Schwabe (Fn. 112) gerade in Bezug auf die Nutzung öf­ fentlicher Einrichtungen und Sachen. Diese Überlegungen haben im dazu ergangenen Schrift­ tum erstaunlicherweise bis heute keinerlei Beachtung gefunden. 115 So etwa Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 19 ff., 40 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 173 ff., 395; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffs­ abwehrrechte, 1988, S. 33 f. 116 Vgl. zum abwehrrechtlichen Beseitigungsanspruch H. II. 2.  117 Hierzu und zum Folgenden Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des For­ schers gegenüber dem Staat, 1992, S. 126 f., 134 ff. sowie Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staats­ recht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1 c α, S. 701 ff. 118 Vgl. allgemein zur Eingriffsqualität eines Genehmigungsvorbehalts etwa BVerfG, Be­ schl. v. 10.7.1958, 1 BvF 1/58 = BVerfGE 8, 71, 76; BVerfG, Urt. v. 5.8.1966, 1 BvF 1/61 = BVerfGE 20, 150, 155; Schwabe, JuS 1973, S. 133, 135. 119 Vgl. Fn. 66 zum Unterschied zwischen prinzipiellem und definitivem Abwehranspruch.

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gigmachung des vorausgegangenen Eingriffs, das heißt letztlich auf die Widerher­ stellung der ursprünglichen natürlichen Handlungsfreiheit, des status quo ante.120 In diesem Sinne ist dann auch die Zulassung bzw. Genehmigung der Demonstra­ tion nicht eine Art „Leistung“, sondern nichts anderes als die Beseitigung des vor­ angegangen Grundrechtseingriffs und so Folge der abwehrrechtlichen Seite der Grundrechte. Wichtig ist jedoch, dass diese Konsequenz, das heißt die abwehrrechtliche Ein­ ordnung des Zulassungsanspruchs, nur dann denkbar ist, wenn die Grundrechts­ ausübung allein „durch bloßes Tätigwerden des handelnden Bürgers“ möglich ist und sie neben der bloßen (Wieder-)Herstellung der Handlungsmöglichkeiten keiner besonderen staatlichen Mitwirkung im Sinne einer Dienstleistungsaktivi­ tät oder anderer zusätzlicher staatlicher Aktivitäten bedarf. Denn nur in diesem Fall ist das Verhalten der öffentlichen Gewalt neben der Zulassung materiell auf bloßes Dulden, auf ein Gewährenlassen, also auf einen Sonderfall der Unterlas­ sung beschränkt.121 Dieser letzte Aspekt ist es, der letztlich die Grenzlinie zwi­ schen abwehrrechtlicher und leistungsrechtlicher Ebene markiert und erklären kann, warum Fälle, wie etwa der Besuch eines Theaters, einer Universität oder einer Schule aus der abwehrrechtlichen Konstruktion herausfallen. Denn hier geht es nicht wie bei der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum um eine selbständige, von staatlichen Handlungen unabhängige Sachnut­ zung, die der Eigentümer bloß zu dulden hat, sondern es bedarf hier neben der bloßen (Nutzungs-)Zulassung zusätzlicher staatlicher (Dienst-)Leistungen, wie etwa Unterrichts-, Betreuungs- und Prüfungsleistungen.122 Dass die Durchfüh­ rung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum eine solche von staat­ lichen Handlungen unabhängige Sachnutzung darstellt, ergibt sich aus der oben dargelegten Zweistufigkeit, die zwischen der Errichtung des Nutzungssubstrats auf der einen Seite (dem „ob“) und der hier interessierenden und keiner staat­lichen Mitwirkung bedürftigen natürlichen Freiheitausübung auf der zweiten Stufe (dem „wie“) unterscheidet.

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Vgl. zur Charakterisierung des Beseitigungsanspruchs auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 202 („der Freiheit wieder Spielraum zu geben“) und S. 242 („staatlich errichtete Hindernisse wegzuräumen“) sowie Hillgruber, in: Isensee/Kirch­ hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 200 Rn. 111. 121 So Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1 c α, S. 701 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 15, 244 ff.; Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 261 ff., 263; vgl. auch Grimm, Die Zukunft der Ver­ fassung, 1991, S. 221, 235 ff., 237. 122 Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1 c α, S. 704. So auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 244, 247 („status positivus […] bei der Nutzung durch Entgegennahme einer Leistung“) sowie in Be­ zug auf das Schulverhältnis Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 45 f. (v. a. auch Fn. 114).

II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG II. Grundrechtsunmittelbarer Nutzungsanspruch aus Art. 8 GG

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Als Ergebnis dieser Überlegungen bleibt damit festzuhalten, dass dieser in sei­ ner Konstruktion nicht neue Begründungsansatz123 durchaus in der Lage ist, ein grundrechtsunmittelbares Recht auf Durchführung einer Demonstration im priva­ ten öffentlichen Raum abwehrrechtlich dogmatisch überzeugend zu erklären. Für diesen Ansatz spricht nicht nur, dass er im Gegensatz zum vorangegangenen Er­ klärungsversuch ohne „Tricks“ auskommt, sondern auch, dass er sich insgesamt im „normalen“, wenn auch teilweise aus dem Blick geratenen, abwehrrechtlichen „Fahrwasser“ bewegt. Dies zeigt sich etwa daran, dass dieses Konzept keiner Aus­ weitung des klassischen Eingriffsbegriffs auf ein Unterlassen bedarf. d) Zwischenergebnis: Die Tragfähigkeit dieses Lösungsansatzes und der weitere Fortgang der Überlegungen Mit der Konstruktion des grundrechtsunmittelbaren Nutzungsanspruchs als ein Fall des abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsanspruchs wurde gezeigt, dass eine abwehrrechtliche Begründung möglich ist. Der eigentliche „Gewinn“ dieser Ausführungen besteht nicht nur darin, dass ein „verborgener“ Ansatz aufgegrif­ fen, fortentwickelt und auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand über­tragen wird, sondern auch darin, dass mit ihm ein Weg aufzeigt wird, mit dem sich sämt­ liche Grundrechtsausübungen im (privaten) öffentlichen Raum abwehrrechtlich erklären lassen. Insofern kommt diesem Konzept eine über den vorliegenden Un­ tersuchungsgegenstand hinausgreifende Bedeutung zu. Entscheidende Voraussetzung dieses Ansatzes ist jedoch, dass die diesem zu­ grundeliegende Prämisse zutrifft, das heißt dass die Grundrechtsausübung vom Schutzbereich des jeweils in Betracht kommenden Grundrechts erfasst wird.124 Speziell in Bezug auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand stellt sich da­ her die Frage, ob die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentli­ chen Raum vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erfasst ist. Bevor dies näher untersucht werden soll, muss jedoch der Frage nachgegangen werden, was denn die Konsequenz wäre, falls diese Ausgangsthese widerlegt wird, das heißt falls sich herausstellen sollte, dass der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit die Inanspruchnahme fremder privater öffentlicher Räume nicht umfasst. Klar ist, dass dann die soeben dargestellte Konstruktion nicht greift. Denn in diesem Fall wäre das hausordnungsrechtliche Verbot der Durchführung einer Demons­ 123

Vgl. neben den in Fn. 112 und 113 genannten auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 141 ff.; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 102 f. (Fn. 60) sowie zu der vergleichbaren Konstruktion bei der als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausge­ stalteten Baugenehmigung Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 202, 242 sowie jüngst Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 200 Rn. 81 f. 124 Zum Zusammenhang zwischen dem hier vertretenen abwehrrechtlichen Begründungs­ ansatz und dessen Prämisse wiederum Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 145 f.

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tration kein Grundrechtseingriff, so dass dementsprechend dessen Aufhebung auch nicht als Wiederherstellung natürlicher, grundrechtlich geschützter Betäti­ gungsmöglichkeiten begriffen werden könnte. Die Zulassung der Demonstration wäre dann nicht mehr abwehrrechtlich geforderte Reaktion des Hausherrn, son­ dern sie wäre „echte Leistung“, das heißt Rechtsbegründung bzw. die grundrecht­ liche Freiheit der Demonstranten erweiternde staatliche Leistung.125 Insofern stellt sich die Frage, ob die dann als „atypische Inanspruchnahme eines Privilegs“126 er­ scheinende Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum leistungsrechtlichen Schutz genießt, oder ob ihr dann letztlich ein „grundrecht­ liches schwarzes Loch“127 droht. 5. Zur Frage eines (originären) grundrechtlichen Leistungsanspruchs aus Art. 8 GG Diese Überlegungen führen also zu der grundsätzlichen Frage, ob aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit überhaupt ein Leistungsanspruch abgeleitet werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist die Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken grundrechtlich dann nicht geschützt, wenn sich herausstellen sollte, dass die Durchführung einer Demonstration im privaten öf­ fentlichen Raum nicht Teil des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit ist.128 a) Terminologie Die Terminologie im Rahmen der leistungsrechtlichen Dogmatik ist verwirrend und uneinheitlich.129 Diese begriffliche Unsicherheit ist nicht zuletzt Ausdruck der bestehenden erheblichen dogmatischen Divergenzen. Dies zeigt sich insbe­ sondere an der nicht „klar konturierte[n] Kategorie“130 des Teilhaberechts, unter der jeder Autor etwas anderes versteht und die – um nur zwei Beispiele zu nen­ nen – teilweise synonym zu den derivativen Leistungsrechten, teilweise aber auch als Oberbegriff der Leistungsrechte insgesamt verstanden wird.131 Um die im Zu­ 125

Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 146. 126 Hufen, DÖV 1983, S. 353, 354, 356. 127 Formulierung von Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 92 (2001), S. 585, 610 im Zusam­ menhang mit dem Versammlungsbegriff. 128 So auch Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 124 f. 129 Ausführlich zur Terminologie Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 5 ff., der selbst wenig zur Klärung der Begrifflichkeiten beiträgt. 130 Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 5, 360 ff. 131 Ausführlich zu dem unterschiedlichen Verständnis des Terminus der „Teilhaberechte“ Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 6 ff. m. w. N.

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sammenhang mit diesem Begriff bestehenden und für den vorliegenden Zusam­ menhang nicht entscheidenden Kontroversen ausklammern zu können, soll der Begriff des Teilhaberechts im Folgenden bewusst vermieden werden, so dass nur von derivativen und originären Leistungsansprüchen die Rede sein wird.132 Dabei werden vor dem Hintergrund, dass Leistungs- und Abwehransprüche zwei einan­ der ausschließende Gegensätze sind133 und auch der Abwehranspruch – wie oben gezeigt – auf ein positives staatliches Handeln gerichtet sein kann,134 Leistungs­ ansprüche hier als auf positives Tun gerichtete Ansprüche nicht-negatorischer Art definiert.135 Diese Definition hat nicht zuletzt den Vorteil, dass auch darin wieder der oben dargelegte Vorrang der Abwehrfunktion zum Ausdruck kommt. b) Die Einordnung als originärer Leistungsanspruch Ausgehend von diesem Begriffsverständnis stellt sich zunächst die Frage, ob die Nutzung privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken eher den de­ rivativen oder eher den originären Leistungsansprüchen zuzuordnen ist.136 Ver­ steht man mit der ganz herrschenden Meinung derivative Leistungsrechte als An­ sprüche auf gleiche Teilhabe am bestehenden Leistungssystem,137 das heißt als einen Fall eines Leistungsanspruchs aus Gleichheitsrechten,138 dann könnte man den Nutzungsanspruch der Demonstranten im privaten öffentlichen Raum auf den ersten Blick hiervon erfasst sehen. Denn indem der Hausherr den privaten öffent­ lichen Raum einer unbeschränkten Allgemeinheit zur freien Nutzung öffnet, die Durchführung einer Demonstration an diesem Ort jedoch untersagt, könnte eine Ungleichbehandlung bestehen, die zu einem derivativen Leistungsanspruch der Demonstranten aus Art. 3 Abs. 1 GG führt. Gegen diese Überlegung spricht je­ 132 Ebenso für den Begriff des „Leistungsrechts“ als Oberbegriff hinsichtlich beider An­ spruchsarten Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1, S. 700 Fn. 31 sowie dem folgend Mayen, Der grundrechtliche Informa­ tionsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 218 Fn. 1. 133 Statt aller Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 5. 134 H. II. 3. und H. II. 4. c). 135 Wie hier Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 218 f. sowie Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 67 II 1, S. 697. 136 Diese Unterscheidung geht auf Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 21 ff. zurück, der aber von derivativen „Teilhaberechten“ spricht. 137 So etwa Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 361 m.w.N; Hesse, Grundzüge des Ver­ fassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 289; Lübbe-Wolff, Die Grund­ rechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 17 f. 138 Es geht um einen Fall der Selbstbindung der Verwaltung. Vgl. zum Zusammenhang von derivativen Leistungsansprüchen und dem Gleichheitssatz Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 73 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 17 f. sowie Cremer, Frei­ heitsgrundrechte, 2003, S. 361 f.

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doch, dass es dem derivativen Leistungsanspruch entsprechend seiner Definition um die gleiche Teilhabe am „bestehenden Leistungssystem“ geht. Zu diesem be­ stehenden Leistungssystem gehört aber die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum gerade nicht. Denn diese bewegt sich nicht innerhalb des vom Hausherrn vorgegebenen zulässigen Nutzungsrahmens, so dass es den Demonstranten nicht um die Gleichbehandlung innerhalb eines bestehenden Leis­ tungssystems, sondern um dessen Erweiterung geht, womit der Anwendungsbe­ reich des derivativen Leistungsbereichs verlassen ist. Die Einräumung eines Nut­ zungsrechts zu Versammlungszwecken könnte daher allenfalls Gegenstand eines originären Leistungsrechts sein. Dies setzt jedoch voraus, dass die Grundrechte im Allgemeinen und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Besonderen überhaupt solche Leistungsrechte verbürgen. c) Die Verneinung eines originären Leistungsanspruchs aus Art. 8 GG Ohne hier auf die Diskussion um die Anerkennung originärer Leistungsrechte im Einzelnen näher eingehen zu können,139 ist festzuhalten, dass abgesehen von den Fällen ausdrücklicher Verbürgung grundrechtlicher Leistungsrechte140 bis heute allgemeine Skepsis und Zurückhaltung in der Anerkennung solcher origi­ närer grundrechtlicher Leistungsrechte besteht.141 Dies gilt insbesondere auch für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit.142 Zwar hat das Bundesverfassungsge­ richt in der berühmt gewordenen ersten numerus-clausus-Entscheidung143 erwo­ gen, „ob aus den grundrechtlichen Wertentscheidungen und der Inanspruchnahme des Ausbildungsmonopols ein objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten […] folgt“ und „ob sich aus diesem Verfassungsauftrag […] ein einklagbarer Individualanspruch des Staats­ bürgers auf Schaffung von Studienplätzen herleiten ließe.“ Doch hat es in der Fol­ gezeit nur ganz vereinzelt in Ausnahme- bzw. Extremfällen Leistungsansprüche gewährt, und zwar unter zwei (alternativen) eng gefassten Voraussetzungen:144 zum einen bei Fehlen der elementaren Voraussetzungen für die generelle Ver­

139 Vgl. hierzu ausführlich m. w. N. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 192 Rn. 91 ff.; Rüfner, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 40, v. a. Rn. 11 ff. sowie Cremer, Frei­ heitsgrundrechte, 2003, S. 364 ff. 140 Vgl. Art. 6 Abs. 4 und Abs. 5, Art. 7 Abs. 4 S. 3 und Art. 104 Abs. 4 GG (vgl. hierzu näher Rüfner, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 40 Rn.  25 ff.). 141 So etwa statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 90 sowie jüngst Mayen, in: FS Stern, 2012, S. 1451, 1452. 142 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 40. 143 BVerfG, Urt. v. 18.7.1972, 1 BvL 32/70 und 25/71 = BVerfGE 33, 303, 333. 144 Hierzu m. w. N. Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 268 f.

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wirklichung grundrechtlicher Freiheit,145 zum anderen dann, wenn im Falle des Unterbleibens der Leistung die „Lahmlegung“, der Bedeutungsverlust eines be­ stimmten Freiheitsrechts (hier: der Versammlungsfreiheit) drohen würde.146 Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Zusammenhang derzeit nicht vor. Denn indem der klassische öffentliche Raum mit seinen Straßen, Wegen, Plätzen und Parks immer noch den weit überwiegenden Teil der demonstrationsgeeigneten Flächen darstellt, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Versagung der Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum zur „Lahm­ legung“ bzw. zum Leerlaufen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit führt. Auch wenn die Attraktivität öffentlicher Räume angesichts der zunehmenden Ver­ lagerung des Mittelpunkts des öffentlichen Lebens in private öffentliche Räume schwindet, so dürfte dies angesichts der extrem hohen Hürden für die Anerken­ nung eines originären Leistungsanspruchs nicht ausreichen, um einen solchen Anspruch bejahen zu können. Damit ist klar, dass die Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken mangels leistungsrechtlichen Nut­ zungsanspruchs grundrechtlich dann nicht geschützt ist, wenn diese vom Schutz­ bereich des Art. 8 GG nicht umfasst sein sollte. 6. Ergebnis und Fortgang der Untersuchung Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, dass nur die Eingriffsabwehrdog­ matik in der Lage ist ein grundrechtsunmittelbares Recht auf Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum zu erklären. Voraussetzung hier­ für ist jedoch, dass deren Prämisse zutrifft, das heißt dass die Inanspruchnahme fremder privater öffentlicher Räume vom Schutzbereich des Grundrechts der Ver­ sammlungsfreiheit umfasst ist. Sollte dieser Nachweis nicht gelingen, so hilft auch die Leistungsdogmatik nicht weiter, da ein originärer Leistungsanspruch insofern nicht in Betracht kommt.147 Das Ergebnis wäre dann, dass kein grundrechtliches Nutzungsrecht der Demonstranten am privaten öffentlichen Raum besteht und dementsprechend der Hausherr bei seiner Hausrechtsausübung das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht beachten muss. 145 Bejaht wurde z. B. jüngst ein Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urt. v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09 u. 1 BvL 3/09 u. 1 BvL 4/09 = NJW 2010, S. 505 ff.) oder die Möglichkeit eines Anspruchs auf Impfung aus Art. 2 Abs. 2 GG (BVerwG, Urt. v. 14.7.1959, I C 170.56 = BVerwGE 9, 78, 80 f.). 146 Vgl. BVerfG, Urt. v. 8.4.1987, 1 BvL 8, 16/84 = BVerfGE 75, 40, 62 ff. („wenn andernfalls der Bestand des Ersatzschulwesens als Institution generell gefährdet wäre“) sowie BVerfG, Beschl. v. 9.3.1994, 1 BvR 682/88 und 712/88 = BVerfGE 90, 107, 114 f.; ähnlich bereits BVerwG, Urt. v. 22.9.1967, 7 C 71.66 = BVerwGE 27, 360, 363. Vgl. auch Rüfner, in: Mer­ ten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 40 Rn. 56 ff., der von „notleidenden Grundrechten“ spricht. 147 Zum gleichen Fazit gelangt Burgi, Erholung in freier Natur, 1993, S. 269 f. bzgl. der Parallel­problematik der Erholung in freier Natur.

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III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG bei Inanspruchnahme fremder Räume – Die Frage nach der Begrenzung des Schutzbereichs durch die rechtliche Güterzuordnung 1. Die Einordnung der Fragestellung in die Diskussion zwischen der engen und der weiten Schutzbereichstheorie Es rückt daher an dieser Stelle nochmals der Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in den Mittelpunkt der Betrachtungen, nun aber un­ ter einem anderen Aspekt. Während es bislang vor allem darum ging, was un­ ter dem Begriff der Versammlung zu verstehen ist, gilt es nun zu klären, ob das vom grundrechtlichen Schutzbereich umfasste Selbstbestimmungsrecht hinsicht­ lich der Wahl des Versammlungsorts148 auch die Inanspruchnahme fremder, pri­ vater öffentlicher Räume umfasst. M.a.W: Gibt es ein grundrechtlich verbürgtes Recht auf Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum ohne Rücksicht auf die rechtliche Güterzuordnung oder sind vielleicht dem Schutzbe­ reich insoweit von vornherein bestimmte Grenzen gezogen?149 Diese Frage ist eingebunden in eine viel allgemeinere grundrechtsdogmatische Problematik, nämlich in die Diskussion um die Reichweite des Schutzbereichs der Freiheitsgrundrechte. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Problem150 der Grundrechtsdogmatik, um das neuerdings wieder ein erbitterter Streit geführt wird.151 Auslöser der Debatte sind in neueren Entscheidungen des Bundesverfas­ sungsgerichts152 festgestellte Ansätze, die Prüfung des Schutzbereichs methodisch zu intensivieren und im Ergebnis zu verengen.153 Hieran anknüpfend fordern zahl­ 148

Vgl. D. V. Zu diesem Gedankengang Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des For­ schers gegenüber dem Staat, 1992, S. 146 f. 150 Ähnlich Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 7 („zeitloses Problem“); Möllers, NJW 2005, S. 1973 („neues altes Problem“). 151 Vgl. vor allem die Kontroverse zwischen Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff., und Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203 ff.; zuvor bereits Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S.  165 ff.; Höfling, in: FS Rüfner, 2003, S. 329 ff.; Hoffmann-Riem, in: Bäuerle u. a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht, 2003, S. 53 ff., sowie jüngst und monographisch: Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011. 152 Verwiesen wird insbesondere auf BVerfG, 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 1 BvQ 30/01 = NJW 2459, 2560; BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002, 1 BvR 558/91 u. 1428/91 = BVerfGE 105, 252.; BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002, 1 BvR 670/91 = BVerfGE 105, 279 sowie auf BVerfG Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 19.3.1984, 2 BvR 1/84= NJW 1984, S. 1293 ff. 153 So Möllers, NJW 2005, S. 1973; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 9 („erste Anzeichen eines Umdenkens zu erkennen“) u. S. 77 ff. Vgl. hierzu auch mit teilweiser ausführlicher Rechtsprechungsanalyse Volkmann, JZ 2005, S. 261, 266; Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 169 ff. Zu Recht kritisch Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 65 ff. 149

III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG 

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reiche Beiträge in Abkehr von der bisher herrschenden weiten Schutzbereichs­ theorie154 eine engere Bestimmung grundrechtlicher Schutzbereiche, durch die die Grundrechte wieder an Konturenschärfe und Substanz gewinnen sollen.155 Die von diesen Autoren geübte Kritik an der weiten Schutzbereichstheorie und des da­ mit verbundenen „Werte- und Abwägungsdenken[s]“156 geht teilweise sogar so weit, dass eine grundlegende Veränderung der Grundrechtsdogmatik157 gefordert wird und zwar eine Modifikation des klassischen abwehrrechtlichen Prüfungs­ programms: Die traditionelle dreistufige Prüfung von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung158 leide inzwischen unter „Abnutzungserscheinungen“.159 Grund hierfür sei die bedenkliche Ausweitung der grundrechtlichen Schutzbereiche die zusammen mit der Erweiterung des Eingriffsbegriffs zu einer immer weiter zu­ nehmenden Verlagerung der Entscheidung auf die Ebene der Rechtfertigung ge­ führt habe, wo traditionell die Rationalisierungs- und Strukturierungsleistung der Grundrechtsdogmatik besonders schwach sei.160 Abhilfe verschaffen könne hier die Ergänzung des Prüfungsprogramms um eine weitere Stufe, den sog. Gewährleis­ tungsgehalt, was zu einer „schärferen Konturierung der jeweiligen Schutz­bereiche“ und damit zu einer Verringerung der Zahl an Grundrechtskollisionen führe.161 Ob diese „neue“162 Lehre vom Gewährleistungsgehalt tatsächlich das erfüllt was deren Vertreter sich von ihr erhoffen, oder ob es sich dabei nicht doch um einen 154

Im Folgenden wird im Zusammenhang mit der hier in Frage stehenden Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche von der Verwendung des geläufigeren Begriffs der „Tatbe­ standstheorie“ abgesehen, da sich nach der überzeugenderen Außentheorie (vgl. zum Streit zwischen Innen- und Außentheorie z. B. Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S.  49 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 250 ff.) der Grundrechtstatbestand aus Schutzbereich und Eingriff zusammensetzt, so dass präziser von „Schutzbereichstheorien“ und „Eingriffstheorien“, die jeweils „weit“ oder „eng“ sein können, gesprochen werden sollte (vgl. hierzu Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 33 sowie zu dem hier entgegengesetzten Verständnis des Begriffs des „Tatbestandes“ Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, § 77 I, II, S. 1 ff.). 155 Vgl. nur Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165, 174, 191; Volkmann, JZ 2005, S. 261, 265 f. („schärfere Konturierung“) sowie Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsge­ halt, 2009, passim („stärkeren Konturierung grundrechtlicher Schutzbereiche“). 156 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 8, 50 ff. 157 Volkmann, JZ 2005, S. 261 („Neujustierung der Dogmatik“, „grundlegende Neuaus­r ichtung“). 158 Vgl. nur Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorb. vor Art. 1 Rn. 14 sowie Höfling, Jura 1994, S. 169, 170 ff. Für eine zweistufige Prüfung (Eingriff in den Schutzbereich und Eingriffsrechtfertigung) hingegen: Hellermann, in: FS Wahl, 2011, S. 323, 335; Enders, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, vor Art. 1 Rn. 94 ff. 159 Volkmann, JZ 2005, S. 261, 263. 160 Volkmann, JZ 2005, S. 261, 264; Hoffmann-Riem, in: Bäuerle u. a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht, 2003, S. 53 ff.; Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473, 474 ff. 161 Volkmann, JZ 2005, S. 261, 265. 162 Vgl. im Ansatz bereits Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, Freiburger Universitätsblätter 95 (1987), S. 19, 29 ff. sowie ders., UTR 1991, S. 7, 33 ff., dessen Vorschlag lange Zeit unbeachtet blieb. Zu Nachweisen von Versuchen einer präzisen Schutzbereichsbe­ stimmung bei Behandlung der jeweiligen Einzelgrundrechte vgl. Rusteberg, Der grundrecht­ liche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 5 Fn. 9.

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„Irrweg“163 bzw. eine „kopernikanische Wende rückwärts“164 handelt, ist unter an­ derem Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen. Vorweg soll darauf hinge­ wiesen werden, dass hier keine erschöpfende Darstellung des Streitstands zwi­ schen den engen und der weiten Schutzbereichstheorie(n) geleistet werden kann.165 Vielmehr erfolgt im Folgenden lediglich eine Auseinandersetzung mit denjenigen Ansichten, die für die Problematik des Übergriffs auf Rechtsgüter Dritter bei der Grundrechtsausübung relevant sind. Dabei soll, wie bereits angedeutet, insbeson­ dere die neuerdings starken Zuspruch findende Lehre vom Gewährleistungsgehalt einer näheren Betrachtung unterzogen werden. 2. Der grundrechtliche Schutzbereich – Zur Unterscheidung von prima facie und definitivem Schutz Bevor jedoch eine nähere Auseinandersetzung mit den einzelnen für den vor­ liegenden Zusammenhang relevanten engen Schutzbereichskonzepten erfolgt, be­ darf es einiger Vorbemerkungen hinsichtlich der Funktion und der Bedeutung des grundrechtlichen Schutzbereichs für die Grundrechtsprüfung. Dies ist insbeson­ dere deshalb von Nöten, da sich so einige immer wieder auftauchende Missver­ ständnisse in der Diskussion über die Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche ausräumen lassen. Herkömmlicherweise versteht man unter dem Schutzbereich166 den Ausschnitt der Lebenswirklichkeit167, in dem das Grundrecht seine Wirkung entfaltet.168 Er 163

Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 202. Höfling, in: FS Rüfner, 2003, S. 329, 330 sowie S. 333 („Bruch mit einer analytischen Grundrechtsdogmatik“). 165 Hierzu jüngst unter Gegenüberstellung der jeweiligen Argumente Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, insb. S. 113 ff., 147 ff. 166 Vgl. zu der kaum noch zu überblickenden Vielfalt an „vollsynonymer, teilsynonymer und pseudosynonymer Wörter, die mit dem Terminus ‚Schutzbereich‘ konkurrieren“: Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 1; Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 23 ff., 32 ff. sowie Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 16 ff., 23 ff. Zur Kritik an räumlichem Bereichsdenken etwa: Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 244 f.; Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 67 f. Gegen diese Bedenken zu Recht statt vieler Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 26 ff. m. w. N. Jüngst für eine Aufgabe des Schutzbereichsbegriffs Hoffmann-Riem, in: Bäuerle u. a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht, 2003, S. 53, 57, der den umfassenderen Be­ griff des „Gewährleistungsgehalt“ für vorzugswürdig hält, ihn jedoch anders als die Lehre vom Gewährleistungsgehalt versteht. 167 Synonym ist auch von „Lebensbereich“ oder „Sachbereich“ die Rede (vgl. Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 23, 37 ff. m. w. N.). Zum teils ebenfalls synonym verwendeten Begriff des „Regelungsbereichs“ Merten, in: ders./­ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 39 f. 168 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 143 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 212. 164

III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG 

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ist als „Eingangstor“ zur Grundrechtsprüfung von entscheidender Weichenstel­ lung,169 da mit der Feststellung, dass eine bestimmte Verhaltensweise vom Schutz­ bereich nicht erfasst ist, die Grundrechtprüfung bereits auf erster Stufe endet, ohne dass die weiteren Prüfungsstufen beschritten werden. Seine dogmatische Leistung besteht zunächst darin, eine bestimmte Verhaltensweise, ein Rechtsgut oder ein Schutzgut einem bestimmten Grundrecht zuzuordnen.170 Diese von der einzelnen Grundrechtsnorm spezifisch in Bezug genommene Lebenswirklichkeit stellt auf der Schutzbereichsebene das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der jewei­ ligen Norm dar und ermöglicht so eine abschließende Zuordnung des Sachver­ halts zu einer Grundrechtsnorm (sog. Zuordnungsfunktion des Schutzbereichs).171 Während diese Zuordnung im vorliegenden Zusammenhang weniger Probleme bereitet, bedarf das zweite Element dieser Definition, die durch das Eingreifen des Schutzbereichs ausgelöste Wirkung, einer näheren Betrachtung. Denn vielfach wird im Rahmen der Diskussion um die Reichweite des grundrechtlichen Schutz­ bereichs mit immer wiederkehrenden und sich gegenseitig überbietenden Extrem­ beispielen argumentiert, wenn etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – der weiten Schutzbereichstheorie entgegengehalten wird, es könne doch wohl kein „Grund­ recht auf Töten, auf Stehlen und Hehlen“ geben.172 Eine solche Argumentationsweise nach dem Muster „Das-kann-doch-nichtsein“173 verkennt jedoch die grundlegende Unterscheidung zwischen prima facie und definitivem Grundrechtsschutz.174 Die Eröffnung des grundrechtlichen Schutz­ bereichs ist nicht identisch mit dem endgültigen und effektiven Abwehrschutz, sondern markiert lediglich den „Bereich potentiellen Grundrechtsschutzes“.175 Das heißt mit der Aussage, dass ein bestimmtes Verhalten des Grundrechtsträgers vom Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts umfasst ist, ist noch nicht gesagt, dass diesem auch definitiver Schutz zukommt. Vielmehr besteht bei Vorliegen 169

So Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 1, 4. Volkmann, JZ 2005, S. 261, 265. 171 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 144, der darauf hin­ weist, dass „der jeweiligen Formulierung des Ausspruchs der Freiheitsgewähr („unverletzlich“, „sind frei“, „haben das Recht“ etc.) keinerlei Differenzierungspotential beigemessen wird“. 172 So der Vorwurf von Starck, JuS 1981, S. 237, 245 f. Eine solche Argumentation findet sich etwa bei Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 460, der zahlreiche solcher Schulbeispiele – wie etwa das auf F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 54 (Fn. 31) und S. 99 (Fn. 121) zurückgehende Beispiel des Totschlags auf der Bühne – anführt. 173 So die Formulierung von Lerche, in: Lukes/Scholz (Hrsg.), Rechtsfragen der Gentechno­ logie, 1986, S. 88, 91. 174 Vgl. hierzu bereits Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 152 sowie Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 144 ff. und Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 85. Die hier verwendete Terminologie entspricht Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 87 ff., 251 ff., 272 ff. Andere unterscheiden ohne Differenz in der Sache zwischen grundrechtlichem Schutzbereich und effektivem Garantiebereich (so etwa Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 25 ff., 87 ff.). 175 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 152; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 56. 170

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eines Eingriffs in den Schutzbereich nur ein grundrechtlicher Prima-facie-Schutz, der erst in dem Moment zum definitiven grundrechtlichen Schutz erstarkt, in dem feststeht, dass der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann. Daraus ergibt sich, dass die Diskussion zwischen enger und weiter Schutzbe­ reichstheorie nur die Reichweite des grundrechtlichen Prima-facie-Schutzes be­ trifft, sie aber gerade keine Diskussion um den definitiven Grundrechtsschutz darstellt, da es auch nach den Vertretern der weiten Schutzbereichstheorie im Ergebnis ohne Zweifel kein Grundrecht zu morden, zu stehlen etc. gibt.176 Auch wenn die Beachtung dieser Unterscheidung die Diskussion „entdrama­ tisiert“177 und beide Ansätze, das heißt sowohl die enge als auch die weite Schutz­ bereichstheorie, in vielen Fällen zu den gleichen Ergebnissen führen dürften, so ist doch die Frage der Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche nicht nur von rein theoretischer Bedeutung.178 Denn das Eingreifen grundrechtlichen Prima-facieSchutzes löst eine Rechtfertigungsprozedur aus, die zeigt, dass mit der Eröff­ nung des Schutzbereichs nicht nur „potentielle“, sondern vielmehr „spezifisch aktuelle“ Schutzwirkungen verbunden sind:179 Man denke dabei nur an das Vor­ liegen eines Gesetzesvorbehalts und das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) als formelle Voraussetzungen für die Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs, oder aber an die sich im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wiederfindenden spezi­ fischen Begründungs- und Argumentationslasten für den Staat, wenn er in diese prima facie geschützte Freiheit eingreifen will. Da all diese grundrechtlichen Si­ cherungsmechanismen ausfallen, wenn für das beurteilende Verhalten bereits der Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts verneint wird, ist bei der Ausgrenzung bestimmter Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich Zurückhaltung geboten.180 Dabei zeigt gerade diese von den engen Schutzbereichstheorien beabsichtigte oder jedenfalls billigend in Kauf genommene Vermeidung der Rechtfertigungsprüfung und der damit einhergehenden Relativierung des Gesetzesvorbehalts,181 dass die Frage nach der Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche von grundlegender Bedeutung für die Grundrechtsprüfung und den Freiheitsschutz des Einzelnen ist.

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So auch Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 66 sowie zum Ganzen Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 150 f. 177 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 86. 178 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 6. 179 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 117 f.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 14, 26 ff., 87. Vgl. allgemein zu den Anforderungen an die Eingriffsrechtfertigung Hillgruber, in: Isen­ see/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 200 Rn.  102 ff. 180 So Muckel, in: FS Schiedermair, 2001, S. 347, 352; vgl. auch Stemmler, Das „Neminemlaedere-Gebot“, 2005, S. 6; Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 12 Rn. 14 ff. 181 Kahl, AöR 131 (2006), S. 579, 605 ff.

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3. Die Lehre vom Gewährleistungsgehalt Vor diesem Hintergrund sollen von den engen Schutzbereichstheorien zunächst die derzeit im Fokus stehende Lehre vom Gewährleistungsgehalt sowie deren Vorläufer,182 die „Theorie der sachlichen Reichweite“ Friedrich Müllers,183 einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Gemeinsamer Grundgedanke ist, dass nach ihnen die primäre dogmatische Frage nicht lautet, wie ein Grundrecht auf Schutzbereichsebene anhand allgemeiner Kriterien eingeschränkt werden kann, sondern vielmehr, „wie weit sein aus der Analyse des Normbereichs […] und ih­ rer Vermittlung mit dem grundrechtlichen Normprogramm zu entwickelnder Gel­ tungsbereich reicht“.184 Damit denken sie also im Gegensatz zu den zahlreich ver­ tretenen generellen engen Schutzbereichstheorien nicht von einer Begrenzung des Grundrechts her, sondern ihnen geht es primär darum, für jedes einzelne Grund­ recht herauszuarbeiten, was positiv von ihm gewährleistet wird.185 a) Die „Theorie der sachlichen Reichweite“ von Friedrich Müller Nach der der Lehre vom Gewährleistungsgehalt jedenfalls in ihrem Grundan­ satz zugrunde liegenden „Theorie der sachlichen Reichweite“ von F. Müller ist maßgebendes Kriterium zur Bestimmung des positiven Gehalts der Grundrechte, ob eine Verhaltensweise zu dem „typischen oder typisch werden könnenden sach­ spezifisch geschützten Normbereich“ gehört oder nicht.186 Geschützt werden sol­ len jeweils nur „sachspezifische“187 bzw. „grundrechtsspezifische“188 Verhaltens­ weisen, nicht dagegen „unspezifische Modalitäten der Grundrechtsausübung“189. „Spezifisch“ in diesem Sinne soll eine Ausübungsform dann sein, wenn sie zu dem „für den sachgeprägten Normbereich strukturell Notwendigen, Wesentlichen“ ge­ hört.190 Nicht geschützt, weil „unspezifisch“ ist eine Verhaltensweise hingegen dann, wenn sie „nur als Modalität ‚bei Gelegenheit‘ einer Grundrechtsaktualisie­ rung anzusehen ist“.191 Kriterium ist also der Maßstab der Austauschbarkeit: Ver­ haltensweisen sind dann nicht typisch, wenn „gleichwertige, austauschbare und insofern zwar in ihrem Nebeneinander, nicht aber in ihrem „So-und-nicht-anders“ 182 Vgl. zur „unmittelbaren Relevanz“ des Ansatzes von F. Müller für das Gewährleistungs­ modell Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 40 ff. 183 Dazu grundlegend F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990. 184 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 87; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 42. 185 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 42 f.; so in Bezug auf Art. 8 GG bereits Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 16, 130 ff. 186 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 94, 98. 187 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 74. 188 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 64. 189 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 88. 190 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 99. 191 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 38.

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spezifische Möglichkeiten aus dem Normbereich offen bleiben“.192 So soll bei­ spielsweise das Malen auf Straßenkreuzungen für künstlerisches Schaffen nicht strukturell notwendig sein,193 weshalb ein Verbot auch keine für das Grundrecht der Kunstfreiheit spezifischen Aktionsmöglichkeiten verletze.194 M.a.W.: „Schon die Möglichkeit anderweitiger gleichwertiger Grundrechtsausübung – an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit oder auf eine andere Art und Weise – soll je­ denfalls dem Prinzip nach zur Ausgrenzung einer konkreten („unspezifischen“) Freiheitsbetätigung aus dem grundrechtlichen Schutzbereich führen“.195 Dieser Ansatz von F. Müller findet sich in leicht abgewandelter Form auch in der freilich spärlich gesäten Literatur zur parallel der vorliegenden Thematik lie­ genden Problematik der Grundrechtsausübung in öffentlichen Räumen.196 Hier wird zur Beantwortung der Frage, ob vom Schutzbereich des jeweiligen Grund­ rechts die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums erfasst ist, auf das Kriterium der unmittelbaren oder mittelbaren Straßenbezogenheit der Grundrechtsausübung abgestellt.197 Die Straßennutzung falle demnach dann in den Schutzbereich der je­ weiligen Freiheitsverbürgung, sofern sie „unerlässlich“ ist für die Grundrechtsaus­ übung, das heißt die Ausübung „gerade auf der Straße“ notwendig ist.198 Dies sei dann nicht der Fall, wenn die Nutzung öffentlicher Straßen für das in Rede ste­ hende Freiheitsrecht nur eine „beliebige Spielart“ oder „Modalität“ der Verwirk­ lichung des grundrechtlichen Freiheitspotentials sei.199 Die Theorie der sachlichen Reichweite und deren Ausprägung in Bezug auf die Grundrechtsausübung in öffentlichen Räumen waren von Beginn an heftiger Kri­ tik ausgesetzt.200 Gegen diese Ansicht spricht bereits in methodischer Hinsicht, 192

F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 101. F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 99. 194 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1990, S. 73. 195 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 175. 196 Vgl. Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Stra­ ßenverkehrsrecht, 1985, S. 135 ff.; Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S.  164 ff.; Lorenz, JuS 1993, S. 375, 376 sowie Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Stra­ ßen, 1990, S. 202 ff. 197 So erstmals Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 135 ff. 198 Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßen­ verkehrsrecht, 1985, S. 137. 199 So Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S. 167; vgl. auch Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 137 f. („nicht erfasste Modalität gelegentlich der Grundrechtsausübung“, „genügend andere Möglichkeiten […] vorhanden“, „viele andere Möglichkeiten hatte und hat“) sowie Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 202 ff. („lediglich bei Gelegenheit“, „eben­ sogut auf privaten Grundstücksflächen verwirklichen lässt“, „setzt die Inanspruchnahme der öffentlichen Straße nicht notwendig voraus“). 200 Vgl. zur Kritik näher Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 159 ff.; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 173 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 193

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dass das Kriterium des „Sachspezifischen“ in höchstem Maße unpräzise ist und so keine rationalen Maßstäbe dafür liefert, zu ermitteln, was sachspezifisch ist und daher dem Schutz eines Grundrechts unterfällt.201 Hinzu kommt in viel grundsätz­ licherer Sicht, dass dem Grundrechtsträger durch das Kriterium der Austausch­ barkeit stets der Einwand entgegengehalten werden kann, „es geht ebenso gut auch anders“.202 Denn fast immer lässt sich eine bestimmte grundrechtliche Be­ tätigungsform ebenso gut auch auf andere Weise, an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit vornehmen. Die gewählte Modalität dürfte sich also fast nie als „strukturell notwendig“ für die Freiheitsausübung erweisen.203 So könnte auf Ba­ sis dieser Lehre etwa die Durchführung einer Demonstration an einem bestimm­ ten nicht genehmen Ort mit dem Argument aus dem Schutzbereich ausgegrenzt werden, dass das Demonstrieren „gerade“ an diesem Ort nicht zwingend nötig sei, da dies „ebenso gut“ auch an einem anderen Ort vorgenommen werden könne. Eine solche Auffassung widerspricht jedoch fundamental dem dem Grundgesetz zugrundeliegenden Freiheitsprinzip. Freiheit besteht – wie bereits erwähnt – im Kern aus der Möglichkeit zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten zu wählen.204 Die freie Wahl zwischen unterschiedlichen Modalitäten, das Recht selbst zu bestimmen auf welche Art und Weise man von seiner grundrechtlichen Freiheit Gebrauch machen möchte, macht einen wesentlichen Teil der Würde und Autonomie des Menschen, seiner Selbstbestimmung aus.205 Im freiheitlichen Staat obliegt es gerade nicht dem Staat, sondern den Individuen selbst, zu entscheiden, ob, wie, wann und wo sie ihre Freiheit ausüben.206 Insofern stellt dieser Ansatz in der Tat „ein unerhörter Akt der Freiheitsverkürzung“ dar.207 Dies gilt insbesondere für das hier im Mittelpunkt stehende Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Denn der Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht darin, dass über­ haupt Versammlungen unter freiem Himmel stattfinden können, sondern umfasst vielmehr als ein zentrales Element auch das Recht den Versammlungsort frei zu wählen. Nach dieser Selbstbestimmung, die auch vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung betont wird,208 liegt es in der Entscheidungsfreiheit der Demonstranten – und eben nicht des Staates – darüber zu bestimmen, wo sie von ihrem Grundrecht Gebrauch machen wollen. Diesem Kernelement der grund­ 1994, S. 283 ff.; Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehalt­ loser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 256 ff.; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schran­ ken, 1999, S. 57 ff., 75 ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 179 f. 201 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 161; Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 278 f. 202 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 159. 203 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 76. 204 Vgl. H. II. 2 und H. II. 4. a). 205 So auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 161; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 179 f. 206 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 71. 207 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 161. 208 Siehe D. V.

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rechtlichen Freiheit und des Schutzes der Versammlungsfreiheit widerspricht die Theorie der sachlichen Reichweite F. Müllers und ist daher mit der herrschenden Meinung abzulehnen. b) Darstellung der Lehre vom Gewährleistungsgehalt Auch wenn die Theorie der sachlichen Reichweite, der „unmittelbare Relevanz“ für die Lehre vom Gewährleistungsgehalt zugesprochen wird,209 soeben abge­ lehnt wurde, so spricht dies nicht von vornherein gegen diese „wohl aktuellste und meistbeachtete enge Schutzbereichstheorie“210. Denn die Lehre vom Gewährleis­ tungsgehalt teilt mit dem Ansatz Müllers nur den grundsätzlichen methodischen Ansatzpunkt, „das Grundrecht […] wieder verstärkt in den Vordergrund [zu] rücken“ und den „Blick darauf zu richten, welche Reichweite jede einzelne Grund­ rechtsgewährleistung für sich selbst besitzt“.211 Da sie also mit dieser nicht iden­ tisch ist, bedarf es einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der Lehre vom Gewährleistungsgehalt. Ausgangspunkt der Lehre vom Gewährleistungsgehalt212 ist wie bereits ein­ gangs angedeutet eine Kritik an der extensiven Schutzbereichsauslegung. Diese führe zusammen mit einem weiten Eingriffsbegriff zu einer Verlagerung des Schwerpunkts der Grundrechtsprüfung auf die Rechtfertigungsebene und damit zu dem als größtem Übel der gegenwärtigen Grundrechtsdogmatik empfunde­ nen „Kollisions- und Abwägungsdenken“.213 Die Ausrichtung der gegenwärtigen Praxis der Grundrechtsanwendung auf die Einzelfallabwägung „mit all seinen Unwägbarkeiten, seiner mangelnden Vorhersehbarkeit und seinen Einbußen an Rationalität des Entscheidens“ habe sich als eine „Sackgasse der Grundrechtsdog­ matik“ erwiesen.214 Um den Konsequenzen dieser „unreflektierten Ausdehnung des grundrechtlichen Schutzumfangs“215 entgegenzuwirken, fordern die Anhän­ ger der Lehre vom Gewährleistungsgehalt eine präzisere und restriktivere Schutz­ bereichsbestimmung. Statt auf Abwägung sei wieder vermehrt auf die Auslegung 209

So Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 40. Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 60. 211 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 42, 76. 212 Erstmals Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, Freiburger Universitäts­ blätter 95 (1987), S. 19, 29 ff. sowie ders., UTR 1991, S. 7, 33. Hieran anknüpfend etwa Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 ff.; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungs­ gehalt, 2009 sowie jüngst Hellermann, in: FS Wahl, 2011, S. 323 ff. 213 Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203, 209, 229; Volkmann, JZ 2005, S. 261, 263 f.; Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473, 474 ff. Zur (alten) Kritik an der herrschen­ den Abwägungsdogmatik grundlegend Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997, v. a. S. 114 ff.; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976 sowie zuletzt Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 50 ff. 214 Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, Freiburger Universitätsblätter 95 (1987), S. 19, 29 f. 215 Hellermann, in: FS Wahl, 2011, S. 323, 332. 210

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zu setzen,216 weshalb es nicht genüge, „danach zu fragen, ob ein Verhalten dem Schutzbereich eines Grundrechts unterfällt, sondern es sei darüber hinaus geboten zu untersuchen, […] was denn der Gewährleistungsinhalt und -umfang des Grund­ rechts ist“.217 Zur dogmatischen Umsetzung dieser Forderung plädieren sie weit­ gehend übereinstimmend für eine Modifikation der klassischen Grundrechtsprü­ fung.218 Der bislang „einheitlich gedachte grundrechtliche Schutzbereich“ soll in einen Sach- und Lebensbereich und einen Gewährleistungsgehalt „aufgespalten“ werden.219 Während der Sach- und Lebensbereich den gegenständlichen Sachund Lebensbereich des Grundrechts beschreibe,220 bezeichne der Begriff des Ge­ währleistungsgehalts die „genaue Art des innerhalb dieses Bereiches gewährten Schutzes“.221 Dieser Gewährleistungsgehalt, dem die Funktion einer Art „Feinjus­ tierung“ zukomme,222 „sei für jedes Grundrecht eigenständig anhand der klassi­ schen Auslegungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung der historisch-ge­ netischen Auslegung zu bestimmen“.223 Auf diese Weise würden die bislang weit ausgreifenden, extensiv ausgelegten Schutzbereiche wieder an „Umgrenzung und Profil“ gewinnen.224 Von dieser „Neuorientierung der Grundrechtsdogmatik“ ver­ sprechen sich deren Vertreter neben einer präziseren Schutzbereichsbestimmung vor allem einen Gewinn an Rechtssicherheit durch eine Verringerung der Zahl von Abwägungen, die ja seit jeher als „Einfallstor für subjektive Wertungen“, „will­ kürlich“, „unkalkulierbar“, „intuitiv“ und „irrational“ kritisiert wird.225

216

Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 76. Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, Freiburger Universitätsblätter 95 (1987), S. 19, 32 f. 218 Ein Unterschied zwischen den einzelnen Ansätzen liegt zum einen im Aufbau (für einen dreigliedrigen Aufbau aus „Sach- und Lebensbereich – Gewährleistungsinhalt – Eingriff und Schranken“ etwa Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165, 174; für eine vierstufige Prüfung aus Sach- und Lebensbereich – Gewährleistungsgehalt – Eingriff – Rechtfertigung hin­gegen etwa Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203, 215 f. Fn. 46) und zum anderen auch im Vorverständnis der Grundrechte und der Verfassung (vgl. hierzu Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 62 Fn. 24 m. w. N.). 219 Statt vieler Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 3, 171 ff., so­ wie zur rechtlichen Zulässigkeit des Entwurfs eines Grundrechtsmodells, S. 113 ff. 220 Hier geht es etwa um die in D. II. näher bearbeitete Frage: „Was ist eine Versammlung?“ (so Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 172). 221 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 3, 171 ff. Zu Recht kri­ tisch zur Wahl des bereits „besetzten“ Begriffs des „Gewährleistungsgehalts“ Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 34, 48. 222 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 233. 223 Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 63; vgl. zu den Kri­ terien der Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts eingehend Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 173 ff. 224 Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165, 191. 225 So Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 180 m. w. N. 217

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c) Anwendung der Lehre vom Gewährleistungsgehalt auf die vorliegende Fragestellung Im Folgenden soll die Lehre vom Gewährleistungsgehalt auf die vorliegende Fragestellung, das heißt auf die Frage, ob vom Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auch die Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum umfasst ist, angewandt werden. Es gilt also anhand der klas­ sischen und auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Auslegungsmetho­ den den spezifischen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts der Versammlungs­ freiheit in Bezug auf diese Fragestellung herauszuarbeiten.226 Als Ergebnis dieses „Praxistests“ kann vorweggenommen werden, dass die Lehre vom Gewährleis­ tungsgehalt diesen Tauglichkeitsnachweis nicht besteht. aa) Wortlaut von Art. 8 GG Blickt man zunächst auf den Wortlaut des Grundrechts der Versammlungsfrei­ heit, so zeigt sich, dass dieser weder für, noch gegen ein Recht zur Inanspruch­ nahme fremder privater öffentlicher Räume spricht. Denn dieser garantiert allen Deutschen nur das Recht sich überhaupt zu versammeln. Über den Ort an dem dies geschehen darf schweigt der Wortlaut ebenso wie zu der Frage, ob Art. 8 GG ein Recht auf Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum gibt.227 Die Wortlautbetrachtung ist insofern unergiebig, als von ihm beide Inter­ pretationsmöglichkeiten, das heißt sowohl eine Einbeziehung als auch eine Ver­ sagung der Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume, abgedeckt wäre. Diese mangelnde Aussagekraft des Wortlauts in vielen Fällen haben auch die Vertreter der Lehre vom Gewährleistungsgehalt eingeräumt, indem sie dem Wortlautargu­ ment für die Bestimmung des Gewährleistungsgehalts generell eine „eher unter­ geordnete Rolle“ zusprechen.228

226 Allgemein zur Grundrechtsauslegung: z. B. BVerfG, Urt. v. 21.5.1952, 2 BvH 2/52 = BVerfGE 1, 299, 312; BVerfG, Urt. v. 16.1.2003, 2 BvR 716/01 = BVerfGE 107, 104, 123 ff.; aus der Literatur etwa Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 8 sowie Ossenbühl, in: Merten/­ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 6 ff. 227 Vgl. in Bezug auf öffentliche Straßen Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungs­ freiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 145 ff. sowie Messer, Die Son­ dernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 240. 228 So Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 174 f. („bietet dieser doch nahezu keinerlei Anhaltspunkte, welchen Inhalt die jeweilige Gewährleistung besitzt“).

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bb) Historisch-genetische Auslegung des Art. 8 GG Neben dem Wortlaut des Art. 8 GG hilft auch die historisch-genetische Aus­ legung zur Beantwortung der Frage, ob die Nutzung privater öffentlicher Räume in den Gewährleistungsgehalt fällt, nicht weiter. Denn blickt man auf die „histori­ schen Wurzeln“ und auf die „historische Gefährdungslage, aus der das Grund­ recht entstanden ist“,229 so spricht dies zwar lediglich für eine Einbeziehung öffentlicher Räume in den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts der Versamm­ lungsfreiheit,230 doch stellt dies kein Hindernis dar, auch private öffentliche Räume miteinzubeziehen. Denn auch nach Ansicht der Vertreter der Lehre vom Gewähr­ leistungsgehalt ergibt diese Auslegungsmethode nur „ein erstes Bild“, „eine Rich­ tung des Grundrechtsschutzes“, „eine Ausgangsposition, auf deren Grundlage wei­ ter diskutiert werden kann“, da der historische Verfassungsgeber ebenso wenig wie er die Existenz des Phänomens „Internet“ im Blick hatte, die heutige Bedeutung privater öffentlicher Räume vorhergesehen haben dürfte.231 Angesichts der Be­ grenztheit dieser Auslegungsmethode ist mit ihr für neu aufkommende Fragen wie hier nur in den seltensten Fällen ein Erkenntnisgewinn verbunden.232 cc) Teleologische Auslegung Da auch die systematische Auslegung nichts zur Bestimmung der Reichweite des Gewährleistungsgehalts in Bezug auf die vorliegende Fragestellung beitra­ gen kann,233 bleibt als letzte Auslegungsmethode die teleologische Auslegung, das heißt die Ermittlung des (objektiven) Sinn und Zwecks des Grundrechts der Ver­ sammlungsfreiheit. Indem der in diesem Zusammenhang vielfach vorgebrachte Ansatz F. Müllers und dessen Variante in Bezug auf die Grundrechtsausübung in öffentlichen Räumen bereits abgelehnt wurden, ließe sich die Einbeziehung der 229

Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 175. Vgl. Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Stra­ ßenverkehrsrecht, 1985, S. 148 ff. m. w. N., v. a. unter Hinweis auf die tatsächliche Bedeutung öffentlicher Räume für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in der Geschichte sowie der herrschenden Lehre zu Art. 123 WRV, nach der ein Straßennutzungsrecht aus Art. 123 WRV bestand, eine Vorschrift, deren Inhalt nach Vorstellung der Väter des Grundgesetzes von Art. 8 GG übernommen werden sollte. Vgl. auch Messer, Die Sondernutzung öffentlicher Straßen, 1990, S. 244 ff. sowie Kopp, NJW 1994, S. 1753, 1755. 231 So die Argumentation bei Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 175 f. Vgl. zur Kritik an der „Historisierung der Grundrechte“ Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165, 186 ff. 232 So auch Weiß, AöR 134 (2009), S. 619, 622. 233 Ausgeblendet werden sollen hier die Versuche von Rusteberg, Der grundrechtliche Ge­ währleistungsgehalt, 2009, S. 189 ff., im Rahmen der systematischen Auslegung einzelne ge­ nerelle enge Schutzbereichstheorien „einzubauen“, um so bestimmte Handlungsweisen aus dem Gewährleistungsgehalt „abstrakt herauszunehmen“. Zu deren mangelnden Tauglichkeit siehe H. III. 4. 230

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Nutzung privater öffentlicher Räume in den Gewährleistungsgehalt allenfalls mit der Begründung rechtfertigen, dass angesichts des räumlichen Struktur­wandels erst die grundrechtlich gesicherte Möglichkeit der Durchführung einer Demons­ tration an diesem Ort das Versammlungsrecht sinnvoll und praktisch wirksam werden lässt. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. So zei­ gen bereits die Unsicherheiten im Fraport-Urteil234 in Bezug auf die Diagnose der Ersetzung bzw. Ergänzung des klassischen öffentlichen Raums durch die pri­ vaten öffentlichen Räume sowie hinsichtlich der Qualifizierung jener Räume, die als „öffentlich“ anzusehen sind, dass hier erhebliche Wertungsspielräume be­ stehen und so der der Lehre vom Gewährleistungsgehalt vorgeworfene Bereich der „Auslegungsmystik“235 beginnt. Gerade die (raum-)soziologischen Befunde in diesem Zusammenhang erweisen sich – unabhängig von der nicht geklärten methodologischen Zulässigkeit und Reichweite ihrer Verwertbarkeit236 – als sehr unklar und vage, weshalb sich auf deren Basis keine eindeutigen Ergebnisse er­ zielen lassen. Jeder Versuch im Rahmen der teleologischen Auslegung für oder gegen die Einbeziehung der Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken zu argumentieren, ist dem Vorwurf der mangelnden Ra­ tionalität, der Ergebnisorientierung, der Willkür sowie der Subjektivität ausgelie­ fert237 und damit all jenen Kritikpunkten, die die Lehre vom Gewährleistungsge­ halt ihrerseits dem herrschenden „Kollisions- und Abwägungsdenken“ vorwirft. Vor diesem Hintergrund vermag auch die teleologische Auslegung keine ratio­ nal begründbare und methodisch einwandfreie Antwort auf die Frage geben, ob der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts der Versammlungsfreiheit die In­ anspruchnahme privater öffentlicher Räume umfasst. d) Stellungnahme: Die nur beschränkte Aussagekraft der Lehre vom Gewährleistungsgehalt Die Anwendung der Lehre vom Gewährleistungsgehalt auf vorliegende Frage­ stellung hat gezeigt, dass diese zwar „auf der theoretischen Ebene durchaus eine in sich geschlossene Konstruktion“ darstellt, sie aber keine überzeugenden Me­ thoden bzw. Kriterien zur Ermittlung des vom grundrechtlichen Schutzbereich zu unterscheidenden Gewährleistungsgehalts bereitstellen kann.238 Ins­besondere die letztlich allein entscheidende teleologische Auslegung ist ein „Einfallstor“ für das Einfließen subjektiver Wertungen und hat so keinerlei Vorteile gegen­

234

BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 250 ff. Formulierung von Hufen, NJW 1999, S. 1504, 1508. 236 Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 200 sowie Hoffmann-Riem, in: Bäuerle u. a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht, 2003, S. 53, 68 m. w. N. zur Problematik. 237 Vgl. zu dieser Kritik Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 190 f. 238 So auch Weiß, AöR, 134 (2009), S. 619, 621 sowie bereits Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 234. 235

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über einer Bewältigung der Thematik auf der Abwägungsebene. So werden die Wertungsprobleme und die mit dem Abwägungsdenken verbundenen Rechtsun­ sicherheiten nicht aufgelöst, sondern schlicht in die Bestimmung des Gewähr­ leistungsgehalts verlagert.239 Insofern erweist sich die von der Lehre vom Gewähr­ leistungsgehalt geübte Kritik am „herrschenden Werte- und Abwägungsdenken“ als „Bumerang“.240 Dass das angebotene theoretische Modell für die Lösung praktischer Probleme wenig tauglich ist, haben auch deren Anhänger erkannt, wenn sie von ihrem selbst gewählten Ausgangspunkt – der Absage an pauschale, allgemeine Grenzen der Grundrechte – insofern Abstand nehmen, als sie sich im Rahmen der syste­ matischen Auslegung gezwungen sehen, wieder auf die generellen engen Schutz­ bereichstheorien zurückzugreifen, um so einzelne Handlungsweisen aus dem Gewährleistungsgehalt „abstrakt herauszunehmen“.241 Angesichts dieses Selbst­ widerspruchs bleibt bei genauer Betrachtung von der Lehre vom Gewährleis­ tungsgehalt neben der Forderung nach einer Rückbesinnung auf die „Selbst­ verständlichkeit“,242 dass am Anfang jeder Grundrechtsprüfung eine präzise und methodengerechte Auslegung der jeweiligen Schutzgüter und Tatbestandsmerk­ male zu stehen hat,243 nicht viel übrig. Der Hinweis darauf, die Auslegung wieder ernster zunehmen, kann zwar nur begrüßt werden, doch widerspricht die mit die­ sem Ansatz vielfach verbundene Hoffnung, Abwägungen dadurch völlig elimi­ nieren zu können, der Eigenart grundrechtlicher Fallkonstellationen. Damit gilt also nicht das von den Anhängern der Lehre vom Gewährleistungsgehalt vielfach ausgerufene Motto der „Auslegung statt Abwägung“, sondern die Grundrechts­ dogmatik sollte vielmehr dem Prinzip folgen „Auslegung plus Abwägung“, bei dem der Auslegung der Vorrang vor der subsidiären und als „Notbehelf“244 ver­ standen Abwägung zukommt.245 Aufgrund dieser letztlich nur beschränkten Aus­

239

Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 192. Das die von der Lehre vom Gewährleistungsgehalt geübte Kritik an dem Abwägungs­ denken auch gegen sie selbst gewendet werden kann, zeigt sich insbesondere auch an der „De­ monstration des Gewährleistungsmodells am Beispiel der Kunstfreiheit“ von Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 234 ff. Der von ihm geübte Vorwurf an der gegenwärtigen Dogmatik, dass deren Ergebnisse „insofern beliebig“ seien, „als mit der glei­ chen Argumentation die Entscheidung auch genauso gut andersherum hätte ausgehen kön­ nen“ (S. 245), trifft gleichermaßen das von ihm propagierte Gewährleistungsmodell und sei­ ner Rückbesinnung auf die Auslegung. 241 Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 189 ff. sowie Wahl, UTR 1991, S. 7, 34 f. 242 So Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473, 482. 243 Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167. 244 Muckel, in: FS Schiedermair, 2001, S. 347, 351. 245 So auch Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 90; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 95 f. („Nicht mehr Abwägung als unbedingt nötig“); tendenziell auch Merten, in: ders./­ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 80. 240

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sagekraft der als „Lehre“ vom Gewährleistungsgehalt bezeichneten Ansicht, ist es in der Tat „überzogen“, wenn in diesem Zusammenhang von einer „grundlegenden Neuausrichtung“246 oder von einem „qualitativ Neue[m]“247 gesprochen wird.248 4. Ablehnung der generellen engen Schutzbereichstheorien in Bezug auf die Inanspruchnahme fremder Räume Nachdem sich die Lehre vom Gewährleistungsgehalt sowie die Theorie der sachlichen Reichweite zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung als nicht überzeugend erwiesen haben und daher abgelehnt wurden, soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob unbenannte, im grundrechtlichen Tatbestand kei­ nerlei Anhaltspunkte findende Grenzen des Schutzbereichs in Bezug auf die In­ anspruchnahme fremder privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken bestehen.249 Es geht also nicht um die hier als nicht weiterführend erkannte Aus­ legung und Interpretation von geschriebenen Tatbestandsmerkmalen, sondern um „grundrechtsübergreifende Freiheitsgrenzen, aufgrund derer möglicherweise vom geschützten Bereich der Freiheitsrechte dasjenige Verhalten auszuschließen ist, das zwar begrifflich innerhalb eines Schutzbereichs der Grundrechte liegt, aber als per se nicht schützenswerte Freiheitsbetätigung anzusehen und deshalb quasi teleologisch aus dem Grundrechtsschutz auszugrenzen ist“.250 Darin kommt be­ reits der übereinstimmende Ausgangspunkt aller Bemühungen um die Anerken­ nung ungeschriebener Grundrechtsbegrenzungen zum Ausdruck, nämlich die Auffassung, dass „allein mit den im Grundrechtsteil der Verfassung vorhande­ nen expliziten Gesetzesvorbehalten keineswegs allen wirklichen (oder vermeint­ lichen) Begrenzungsnotwendigkeiten Rechnung getragen werden kann“.251 Die Bedeutung der sich zum Teil argumentativ überschneidenden engen Schutz­ bereichstheorien für die Frage nach der abwehrrechtlichen Begründbarkeit eines Rechts auf Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum 246

Volkmann, JZ 2005, S. 261. Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 176. 248 So Herdegen, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 3 Rn. 34 sowie tendenziell auch Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 78. 249 Vgl. die Unterscheidung von Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grund­gesetz, 2011, S. 35 ff. zwischen engen Schutzbereichstheorien „auf Wortlautbasis“ und engen Schutz­ bereichstheorien „auf Basis ungeschriebener Kriterien“. Vielfach ist in diesem Zusammen­ hang auch von „(verfassungs-)immanenten Schranken“ bzw. treffender von „schutzbereichs­ immanenten Grenzen“ die Rede (vgl. hierzu Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 40 ff. sowie Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehalt­ loser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 77 ff.). Zur terminologischen Unterscheidung von „Gren­ zen“ und „Schranken“ Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 16 ff., 29 ff. sowie ­Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 60 Rn. 1 ff. 250 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 68. 251 Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 207. 247

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liegt auf der Hand und soll nochmals kurz in Erinnerung gerufen werden: Sollten die nachfolgenden Erörterungen zu dem Ergebnis kommen, dass es eine solche absolute schutzbereichsimmanente Grenze in Bezug auf die Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungszwecken gibt, dann wäre die Durchführung einer Demonstration im fremden privaten öffentlichen Raum nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 8 GG umfasst. Folge dieser Nichteröffnung des grund­ rechtlichen Schutzbereichs wäre dann, dass das hausordnungsrechtliche Demons­ trationsverbot durch den Hausherrn auch kein Grundrechtseingriff darstellen würde und so die oben dargelegte abwehrrechtliche Konstruktion insgesamt in sich zusammenfiele. Vor diesem Hintergrund soll vorweg noch darauf hingewie­ sen werden, dass von den zahlreich vertretenen engen Schutzbereichstheorien252 nur diejenigen einer näheren Betrachtung unterzogen werden, die für den vorlie­ genden Zusammenhang von Interesse sind. Da die einzelnen Ansätze schon viel­ fach Gegenstand kritischer wissenschaftlicher Untersuchungen waren, ohne dass sich auch nur einer von ihnen in Wissenschaft und Praxis durchsetzen konnte, können die nachfolgenden Erörterungen in der gebotenen Kürze erfolgen. a) Der Vorbehalt der allgemeinen Gesetze Hinter der ersten im vorliegenden Zusammenhang relevanten Kategorie gene­ reller enger Schutzbereichsgrenzen verbergen sich verschiedene dogmatische An­ sätze, deren Gemeinsamkeit es ist, dass nach ihnen der grundrechtliche Schutzbe­ reich durch die allgemeinen Gesetze bzw. die allgemeine Rechtsordnung begrenzt ist.253 Diese Konzeption geht davon aus, dass „die Berufung auf ein Grundrecht keine Privilegierung von der allgemeinen Rechtsordnung“ bedeute, vielmehr die allgemeinen Gesetze auch bei der Schutzbereichsbestimmung eines Grundrechts zu beachten seien.254 Auch im Rahmen des Grundrechts der Versammlungs­ freiheit gibt es die verschiedensten Tendenzen in dieser Richtung, wenn es etwa heißt, Art. 8 GG begründe „kein Benutzungsrecht, das nicht schon nach allgemei­ 252 Eine Übersicht über die zahlreich vertretenen generellen Grenzen grundrechtlicher Schutzbereiche findet sich etwa bei Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränk­ barkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 77 ff., 229 ff.; von Arnauld, Die Frei­ heitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 67 ff.; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleis­ tungsgehalt, 2009, S. 43 ff. sowie zuletzt bei Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 79 ff. 253 So etwa Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 457 ff. („allgemeine Gesetze“); Scheuner, DÖV 1971, S. 505, 510 f. („allgemeine Rechtsordnung“); Kriele, JA 1984, S. 629, 632 ff. („Vorbehalt des Bürgerlichen Rechts“); Murswiek, DVB. 1994, S. 77, 80 („Freiheits­ ausübung im Rahmen der bürgerlichen Rechtsordnung“); Bettermann, Grenzen der Grund­ rechte, 1976, S. 21 ff., 27 f.; wohl auch Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 156 ff.; vgl. zu älteren Ansätzen in dieser Richtung Schwabe, Probleme der Grund­ rechtsdogmatik, 1977, S. 165 ff. 254 Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 457; Kriele, JA 1984, S. 629, 633; ­L erche, in: Lukes/Scholz (Hrsg.), Rechtsfragen der Gentechnologie, 1986, S. 88, 91 ff.

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H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum 

nen Rechtsgrundsätzen besteht“255, oder aber wenn die Reichweite des Schutz­ bereichs von der straßenrechtlichen Widmung oder allgemeiner von dem öffent­ lichen Sachenrecht abhängig gemacht wird256 und so etwa die Durchführung einer (Fußgänger-)Demonstration auf einer Autobahn nicht mehr als vom grundrecht­ lichen Schutzbereich umfasst angesehen wird.257 Übertragen auf die vorliegende Konstellation würde ein solcher Vorbehalt der allgemeinen Gesetze oder der ein­ fachrechtlichen Güterzuordnung bedeuten, dass die das private Hausrecht kon­ stituierenden Vorschriften der §§ 903, 1004, 858 ff. BGB über die Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit entscheiden würden. Das heißt im Falle der einfachrechtlich zulässigen Versagung der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum befänden sich die Demons­ tranten automatisch auch außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs, so dass sie sich hiergegen nicht auf das Grundrecht des Art. 8 GG berufen könnten. Eine solche Abhängigkeit der Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche von den allgemeinen Gesetzen ist unabhängig von der Frage, was unter „allgemeinen Gesetzen“ zu verstehen ist,258 abzulehnen.259 Sie steht zunächst im Widerspruch 255

BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, BVerwG 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138 f. im Anschluss an Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 78; so auch Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 33. Vgl. auch bereits Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 157 („Versammlungs­ freiheit erlaubt kollektives Handeln grundsätzlich nur dort, wohin nach allgemeinen Grundsät­ zen […] Zutritt besteht, und erweitert nicht das räumliche Aktionsfeld für privates Tätigsein“). 256 Besonders deutlich Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 172 („Insofern wird man grundsätzlich sagen können, dass die Widmung den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG begrenze.“) sowie Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 33; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 45; Frowein, NJW 1969, S. 1081, 1084; Deger, VBlBW 1995, S. 303, 304. Hiergegen etwa zu Recht Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S. 97 ff., 101. Vgl. auch Richter, in: FS Steinberger, 2002, S. 899, 930 ff. u. v. a. S. 981, der besonders plas­ tisch von sog. „demonstrationsfreien Zonen kraft Widmung“ spricht. 257 OVG Lüneburg, Urt. v. 18.5.1995, 13 L 1978/92 = NZV 1995, 332; Frowein, NJW 1969, S. 1081, 1084; Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstädtischen Bal­ lungsbereichen, 1988, S. 55; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 172; jetzt aber VGH Kassel, Beschl. v. 31.7.2008, 6 B 1629/08 = NJW 2009, 312 f. mit dem Hinweis, dass Autobahnen schon nach den einfachgesetzlichen Bestimmungen des Bundes­ fernstraßengesetzes dem Grundsatz nach auch für die Durchführung von Versammlungen zur Verfügung stehen. Vgl. zur Problematik insgesamt Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Ver­ sammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, 1985, S. 212 ff. sowie jüngst Scheidler, DAR 2009, S. 380, 384 f. 258 Vgl. nur Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 458, der „allgemeine Ge­ setze“ im Sinne der zu Art. 5 Abs. 2 GG vertretenen Sonderrechtslehre als nicht speziell ge­ gen grundrechtliche Schutzgüter gerichtete Regelungen versteht. Hiergegen zu Recht Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 286 ff.; Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 167 ff. sowie Stemmler, Das „Neminem-laedereGebot“, 2005, S. 166 f. 259 Statt vieler Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 87 ff.; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 165 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte,

III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG 

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zu Art. 5 Abs. 2 GG. Denn hier wird der Begriff der „allgemeinen Gesetze“ aus­ drücklich als Schranke verwendet, was zeigt, dass die Verfassung offenbar selbst davon ausgeht, dass es sich bei den allgemeinen Gesetzen um rechtfertigungs­ bedürftige Eingriffe und nicht um Grenzen des Schutzbereichs handelt.260 Hinzu kommt als entscheidendes Argument, dass ein solcher Vorbehalt der allgemei­ nen Gesetze bzw. der allgemeinen Rechtsordnung letztlich darauf hinausläuft, dass die Grundrechte nur noch nach Maßgabe der Gesetze gelten.261 Dies aber wi­ derspricht fundamental der zentralen Regelung des Art. 1 Abs. 3 GG sowie der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Denn nachdem die Weimarer Situa­ tion noch treffend mit der Formel von den „Grundrechten nur im Rahmen der Gesetze“262 gekennzeichnet werden konnte, sollten die Grundrechtsbestimmun­ gen des Grundgesetzes in bewusster Abkehr hiervon und in Reaktion auf das nationalsozialistische Unrechtsregime eine erhebliche Aufwertung erfahren.263 Dementsprechend wurde mit der Normierung des Art. 1 Abs. 3 GG zum Aus­ druck gebracht, dass „die Grundrechtsnormen der höchsten Stufe des staatlichen Normensystems angehören“ und nunmehr auch vom Gesetzgeber als unmittel­ bar geltendes Recht zu beachten sind (sog. Vorrang der Verfassung).264 In diesem Sinne hat sich dann auch der parlamentarische Rat bewusst gegen die Übernahme der Regelung des Art. 21 Abs. 3 HChE entschieden, nach dem die Grundrechte unter den Vorbehalt der allgemeinen Rechtsordnung gestellt werden sollten.265 Für das Grundgesetz ist daher „das Verhältnis von Grundrechten und Gesetzge­ bung […] als ein solches der Über- und Unterordnung zu charakterisieren“, bei dem das einfache Recht an den Grundrechten gemessen werden soll, den einfach­ rechtlichen Normen ihrerseits jedoch angesichts der Höherrangigkeit der Grund­ 1994, S. 286 ff.; Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehalt­ loser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 98 ff. 260 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 165; gegen diesen Einwand wenig überzeugend Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 452, 457. 261 So Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 167 sowie Mayen, Der grund­ rechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 168. 262 Krüger, DVBl. 1950, S. 625, 626. 263 Vgl. Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 1 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 5; Höfling, JA 1995, S.  431 f. 264 Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 1 f. Diese man­ gelnde grundrechtliche Inpflichtnahme des Gesetzgebers war der wesentliche Grund, warum den Grundrechten der Weimarer Republik eine „aktuelle Bedeutung“ abgesprochen und sie sogar als „leerlaufend und überflüssig“ bezeichnet wurden (vgl. hierzu Krebs, Jura 1988, S. 619 m. w. N.). Zum Vorrang der Verfassung auch in historischer Sicht Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 1 ff. sowie Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff. 265 Vgl. zu Art. 21 Abs. 3 HChEntw. („Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem In­ halt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen.“): Matz, JöR 1 (1951), S. 113 ff.; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 167 (Fn. 1016); ­Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrund­ rechte, 1999, S. 98.

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H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum 

rechte keine Maßstabskraft zukommt.266 Es gilt daher im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung heute: „Gesetze nur im Rahmen der Grundrechte“.267 Ange­ sichts dieser klaren Aussage des Grundgesetzes ergibt sich für den vorliegenden Zusammenhang, dass zivilrechtliche Vorschriften, wie etwa die das private Hausrecht konstituierenden §§ 903, 1004, 858 BGB, aus Gründen der Normen­ hierarchie keinen Einfluss auf die Schutzbereichsbestimmung von Grundrechten nehmen können. b) Gegenläufige Verfassungswerte Dritter als schutzbereichsimmanente Grenze der Grundrechtsausübung (insb. das „Neminem-laedere-Gebot“) Dies führt zur zweiten im vorliegenden Zusammenhang relevanten und im Einklang mit der Normenhierarchie stehenden Gruppe von engen Schutzbe­ reichstheorien, die solche Handlungen von vornherein aus dem Schutzbereich der Grundrechte herausnehmen wollen, die mit gegenläufigen Verfassungswer­ ten, insbesondere mit Grundrechten Dritter in Konflikt geraten.268 Von den zahl­ reichen Varianten die in diesem Kontext diskutiert werden269 sollen im Folgenden vor allem die unter dem Schlagwort „Neminem-laedere-Gebot“270 im Vordringen befindlichen Ansätze271 näher betrachtet werden, nach denen (bestimmte) Ver­ haltensweisen, die in die „Rechte anderer“ übergreifen,272 vom Schutzbereich der Grundrechte generell und abstrakt, das heißt unter Verzicht auf eine Abwägung

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Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 3. Krüger, DVBl. 1950, S. 625, 626. 268 So die Beschreibung dieser Meinungsgruppe von Meister, Das System des Freiheits­ schutzes im Grundgesetz, 2011, S. 94. 269 Vgl. Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 177 ff. ausführlich zu den hier nicht weiter untersuchten Vorschlägen von Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 132 ff.; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 207 ff. sowie Bam­ berger, Verfassungswerte als Schranken vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 52 ff., die aufgrund einer Abwägung zur Versagung des Schutzbereichs gelangen wollen. Diese An­ sätze werden hier ausgeblendet, da nach der hier vertretenen und sogleich näher dargelegten Ansicht Abwägungen der Rechtfertigungsebene vorbehalten werden sollen. 270 Vgl. näher zum „Neminem-laedere-Gebot“ Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 8 ff. 271 So bereits Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehalt­ loser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 238 f., wobei seitdem noch die Arbeiten von Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005 sowie von Muckel, in: FS Schiedermair, 2001, S. 347, 356 ff. hinzugekommen sind. 272 In diesem Zusammenhang ist vielfach auch von „Verstoß gegen Rechte anderer“, „An­maßung fremder Rechtspositionen“ oder aber von „Beeinträchtigung“, „Benutzung“, „Missach­tung“, „Instrumentalisierung“, „Beanspruchung“ bzw. „Inanspruchnahme“ fremder Rechte die Rede (vgl. hierzu m. w. N. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränk­ barkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 241 f.). 267

III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG III. Die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 8 GG 

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im Einzelfall, ausgenommen werden sollen.273 Um das Postulat zu wahren, dass die Grenzen der Grundrechte nur aus der Verfassung selbst zu bestimmen sind, werden unter „Rechte anderer“ im Folgenden nur solche von Verfassungsrang ver­ standen.274 aa) Der Fall des „Sprayers von Zürich“ und dessen (stillschweigende) Übertragung auf Art. 8 GG durch die Rechtsprechung Anknüpfungspunkt all dieser Auffassungen, die den Übergriff in die Rechts­ sphäre Dritter vom Schutzbereich des jeweils ausgeübten Grundrechts nicht mehr erfasst sehen, ist der sog. Sprayer-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.275 Dieser wird von den Befürwortern dieser engen Schutzbereichskonzeption als höchstrichterliche Bestätigung für ihre Ansicht in Anspruch genommen: Hier hatte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde des als „Sprayer von Zürich“ bekannten Künstlers Naegeli gegen die bevorstehende Aus­ lieferung an die Schweiz zu entscheiden, in der sich Naegeli, der in der Schweiz mehr als 180 Bauwerke mit Graffiti besprüht hatte und deshalb wegen Sach­ beschädigung unter anderem zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Var. 1 GG berief. Dazu hatte das Bundesver­ fassungsgericht, das die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Erfolgs­ aussichten nicht zur Entscheidungen angenommen hatte, ausgeführt, die Reich­ weite der Kunstfreiheit erstrecke sich „von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung“. Während diese kurze und nicht näher begründete Formulierung von Beginn an neben vereinzelter Zustimmung überwiegend erhebliche Kritik von Seiten der Litera­tur erfahren hat,276 sind vergleichbare Aussagen im Zusammenhang mit dem hier im Mittelpunkt stehenden Grundrecht der Versammlungsfreiheit bis heute 273

Lorenz, in: FS Lerche, 1993, S. 267 ff.; Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 60 Rn. 39 ff.; Muckel, in: FS Schiedermair, 2001, S. 347, 356 ff.; ders., Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 220 ff.; Stemmler, Das „­Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 210 ff., 228 ff.; Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473, 496 ff.; unklar Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 98 ff. 274 In diesem Zusammenhang ist der Hinweis erforderlich, dass sich der Hausherr in der vorliegenden Konstellation mangels Grundrechtsberechtigung nicht auf das Eigentumsgrund­ recht berufen kann, so dass als schutzbereichsimmanente Grenzen nur andere verfassungs­ rechtlich geschützte Rechtspositionen in Betracht kommen. 275 BVerfG Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 19.3.1984, 2 BvR 1/84= NJW 1984, S. 1293 ff.; anders jedoch BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 184/54 = BVerfGE 7, 230, 234. 276 Vgl. hierzu Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 228 ff., 232 f. sowie Kahl, AöR 131 (2006), S. 579, 608 jeweils umfassend m. w. N.

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erstaunlicherweise widerspruchlos geblieben. So heißt es hier in (unausgesproche­ ner) Übertragung des Sprayer-Beschlusses häufig und stets ohne nähere Begrün­ dung, Art. 8 GG beinhalte von vornherein nicht das Recht, sich an Orten zu ver­ sammeln, die nicht der Dispositions- bzw. Verfügungsbefugnis der Veranstalter unterliegen oder aber – dem vergleichbar – „das Recht der freien Ortswahl um­ fasst […] nicht das Recht, fremdes Grundeigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen“.277 Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt im Fraport-Urteil im Ausgangspunkt als zentrale These die Behauptung, das Grundrecht der Versamm­ lungsfreiheit verschaffe „kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten“.278 Ob es sich hierbei um „grundrechtsdogmatisch folgerichtige“ oder aber um „ausbrechende“ Entscheidungen und Stellungnahmen handelt,279 soll im Folgen­ den ebenso näher untersucht werden wie die einzelnen auf den „Sprayer-Be­ schluss“ Bezug nehmenden Ansätze in der Literatur. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen den „Rechten ande­ rer“ die Funktion einer allgemeinen, das heißt grundrechtsübergreifenden Grenze grundrechtlicher Freiheitsgewährleistungen zukommt.280

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BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, BVerwG 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138 f. im An­ schluss an Herzog, in: ders./Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 78; so auch Depenheuer, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 63; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 43. 278 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251. 279 So die Fragestellung von Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 60 Rn. 44, der sie im zuerst genannten Sinne beantwortet; ablehnend dagegen Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 120, insb. Fn. 502 sowie besonders deutlich Winkler, Kollisionen verfassungsrechtlicher Schutz­normen, 2000, S. 240 f. („Ausrutscher“). Vgl. zu Ansätzen in der Rechtsprechung in bewusster Ab­ kehr von der „Sprayer von Zürich“ – Konstruktion: OLG Jena, Urt. v. 13.1.2006, 1 Ss 296/05 = NJW 2006, S. 1892 ff. (Abwägung zwischen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG); OLG Dresden, Urt. v. 7.4.2005, 9 U 263/05= NJW 2005, S. 1871 ff. (Abwägung zwi­ schen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 S. 1) sowie jüngst BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1783/05 = BVerfGE 119, 1, 23 ff. Demgegenüber ist der „Sprayer-Beschluss“ auch vereinzelt von einigen Gerichten aufgegriffen worden: BVerwG, Beschl. v. 13.4.1995, 4 B 70/95 = NJW 1995, S. 2648 f.; OLG Köln, Urt. v. 26.5.1997, 8 U 107 – 96 = NJW 1998, S. 1405. 280 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang bei Betrachtung der Literatur, dass sich zahlreiche Autoren auf die schlichte Behauptung beschränken, ein Grundrecht gestatte von vornherein nicht den Zugriff auf fremde Rechtspositionen, ohne dass sie auch nur den geringsten Versuch einer Begründung für diese Schutzbereichsbegrenzung unternehmen (vgl. symptomatisch für viele etwa Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. III, § 60 Rn. 39 ff.). Aus diesem Grund werden im Folgenden nur diejenigen Ansätze näher untersucht, die wenigstens den Versuch einer dogmatischen Erklärung unter­ nehmen.

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bb) Begründungsansätze in der Literatur Gemeinsame Grundlage all jener meist unter dem Begriff „Neminem-­laedereGebot“ diskutierten Ansätze ist wie bereits angedeutet, dass sich nach ­ihnen ein Verhalten, das in die Rechte Dritter übergreift, außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs bewegen soll. Sie sehen also in den „Rechten anderer“ ein un­ geschriebenes Element, eine Ausnahmeklausel, die in die Grundrechte hinein­ gelesen werden müsse. Betrachtet man die in der Literatur in diesem Zusammenhang vertretenen Auf­ fassungen genauer, so stellt man fest, dass deren in ihrem Ausgangspunkt aus­ gesprochenen These, wonach grundrechtliche Freiheiten immer schon durch die Grundrechte Dritter in ihrem Schutzbereich begrenzt werden, letztlich in dieser Absolutheit nicht vertreten wird und auch nicht vertretenen werden kann.281 Viel­ mehr sind sich die Anhänger dieses Ansatzes weitgehend einig darin,282 dass nicht schon bei jeder Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter der grundrechtliche Schutz­ bereich verlassen sein soll.283 Ausgehend von dieser Erkenntnis machen sich die einzelnen Ansätze auf die Suche nach Kriterien, mit denen sich bestimmen lässt, wann und unter welchen Voraussetzungen die Beeinträchtigung fremder Rechts­ positionen zu einem generellen Schutzbereichsausschluss führt. Da sie den „pro­ blematischen Weg der Abwägung“ vermeiden wollen, geht es ihnen um die Be­ stimmung abstrakter Kriterien, die den Grundrechtsausschluss „ab­wägungsfrei“ und einzelfallunabhängig rechtfertigen können.284 Die erste in diesem Zusammenhang genannte Möglichkeit, den Schutzbereichs­ ausschluss auf solche „eindeutigen Fälle“ zu begrenzen, in denen eine Abwägung aufgrund des klaren Ergebnisses völlig überflüssig sein soll (wie etwa im vielfach

281 Zur Begründung hierfür wird neben dem Beispiel des Notwegerechts vor allem auf das Immissionsschutzrecht verwiesen (vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 247; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 233 f.). Vgl. auch Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 171 f., der als weiteren Grund das Beispiel der Notwehr anführt und die rhetorische Frage stellt, ob denn „die zur Rettung des eigenen Lebens vorgenommene Notwehrhandlung wegen ihrer drittschädigenden Wirkung per se nicht mehr als Ausübung grundrechtlicher Freiheit an­ zusehen“ sei? 282 Ohne Begrenzung jedoch wohl Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. III, § 60 Rn. 39 ff. sowie Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 665 ff., die un­ ter Bezugnahme auf den „Sprayer-Beschluss“ jeden Übergriff in die Rechtssphäre Dritter aus dem Schutzbereich ausgrenzen. 283 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 233 f.; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 221 mit Verweis auf den Konflikt von Meinungs­ freiheit und Ehrenschutz; Lorenz, in: FS Lerche, 1993, S. 267, 270 f.; so zuletzt auch in Distan­ zierung vom „Sprayer-Beschluss“ BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1783/05 = BVerfGE 119, 1 ff. 284 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 186, 235, 237.

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bemühten Schulfall des Totschlags auf der Bühne),285 wurde bereits vielfach von Seiten der Literatur als wenig hilfreich und zu unpräzise abgelehnt und wird da­ her hier nicht weiter untersucht.286 Hingewiesen werden soll diesbezüglich ledig­ lich darauf, dass auch das Evidenzkriterium bei genauer Betrachtung kein abwä­ gungsfreies Kriterium darstellt, da auch in diesen eindeutigen Fällen letztlich eine Abwägung stattfindet, die nur deshalb nicht auffällt, weil das Ergebnis unproble­ matisch ist.287 Nähere Betrachtung verdient hingegen der jüngst unterbreitete Vorschlag einer Unterscheidung von „Beeinträchtigung“ und „Inanspruchnahme“ fremder Rechts­ güter.288 Während wie oben bereits dargelegt nicht jede Beeinträchtigung frem­ der Rechte zu einer Versagung des Schutzbereichs führen kann, soll diesem Ansatz zufolge derjenige, der fremde Rechtsgüter in Anspruch nimmt bzw. in­ strumentalisiert, stets, das heißt ohne dass es einer Abwägung im Einzelfall be­ darf, außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs handeln. Das Kriterium der Inanspruch­nahme bzw. Instrumentalisierung fremder Rechtsgüter soll danach darüber entscheiden, ob Rechten Dritter die Funktion einer schutzbereichsimma­ nenten Grenze zukommt oder nicht.289 Zur Verdeutlichung des Unterschieds zwi­ schen Inanspruchnahme und Beeinträchtigung wird insbesondere auf den oben dargestellten „Sprayer-Fall“ sowie auf das Schulbeispiel des Einbetonierens eines fremden Autos als Kunstwerk abgestellt,290 wobei in beiden Fällen eine „eigen­ mächtige Instrumentalisierung fremder Rechtsstellungen für eigene Interessen­ verfolgung“ vorliegen soll und damit eine nicht mehr vom jeweiligen Schutz­ bereich umfasste Inanspruchnahme fremden Eigentums.291 Außerhalb dieser eher seltenen Fälle der „physischen Nutzbarmachung“ frem­ den Eigentums erweist sich jedoch die nur beschränkte Abgrenzungskraft die­ 285 Vgl. hierzu und zu anderen angeführten „offensichtlich sozialschädlichen“ Handlungen und Beispielsfällen Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 96 m. w. N. 286 Gegen „Evidenzkriterien“ bzw. „Evidenzvorbehalte“ etwa Alexy, Theorie der Grund­ rechte, 1994, S. 289 f.; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 95 ff., 114 sowie Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 187 ff. 287 So besonders deutlich Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 110 („Dies ist indes gerade kein abwägungsfreies Kriterium, denn auch der Hinweis auf den evi­ denten Vorrang einer Position ist eine Form der Rechtfertigung durch Abwägung, nicht die Begründung ihrer Entbehrlichkeit.“). Vgl. auch Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 187 f. 288 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 233 ff. in Anknüpfung an Lorenz, in: FS Lerche, 1993, S. 267, 270 ff., der zwischen der Verletzung und der bloßen Benutzung bzw. Beeinträchtigung von Rechten Dritter unterscheiden. Zustimmend auch Muckel, in: FS Schiedermair, 2001, S. 347, 359 f. sowie ders., Religiöse Freiheit und staatliche Letztentschei­ dung, 1997, S. 221 f. 289 So Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 235 f. 290 Letzteres Beispiel stammt von Kriele, JA 1984, S. 629, 634. 291 Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 238; vgl. zu diesem Verständnis von „Inanspruchnahme“ Lorenz, in: FS Lerche, 1993, S. 267, 273.

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ses Kriteriums.292 Gerade in Fällen, in denen Rechtsgüter Dritter nicht beschädigt bzw. verbraucht sondern nur genutzt werden wie in der vorliegenden Konstellation der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum, lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob eine „Beeinträchtigung“ oder aber eine „Instrumen­ talisierung“ fremden Eigentums vorliegt. Ursache hierfür ist letztlich, dass der Begriff der „Inanspruchnahme“ zu unbestimmt ist, um im Einzelfall präzise sa­ gen zu können, wo die Grenze zwischen Beeinträchtigung und Inanspruchnahme verläuft. Hinzu kommt, dass der Unterschied beider wohl weniger abstrakt-ge­ nereller, sondern vielmehr gradueller Natur ist und sich so nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls bestimmen lässt, wann die Beeinträchtigung frem­ der Rechtspositionen in eine Inanspruchnahme umschlägt.293 Die Tatsache, dass das Kriterium der Inanspruchnahme bzw. Instrumentalisierung fremder Rechts­ güter letztlich also wenig geeignet ist, um einzelne Fälle eindeutig zuordnen zu können, haben wohl auch die Vertreter dieser Ansicht selbst erkannt. So stel­ len sie in Zweifelsfällen, wie etwa in dem Parallelfall der Durchführung einer Versammlung im öffentlichen Raum, zur Unterscheidung zwischen Inanspruch­ nahme und Beeinträchtigung und damit zur Frage, ob Rechte Dritter zu einem Schutzbereichsausschluss führen, letztlich darauf ab, ob eine Einzelfallabwägung auf Rechtfertigungsebene „notwendig“ oder aber „gefährlich“ ist, bzw. fragen, ob eine enge Schutzbereichskonzeption „Sinn macht“.294 Wird aber zur Einordnung einer Verhaltensweise auf solche offenkundig wenig rationalen „Hilfskriterien“ abgestellt, dann ist die Frage, wann ein Übergriff in die Rechtssphäre Dritter zu einem Schutzbereichsausschluss führt, weniger das Ergebnis eines klaren abstrak­ ten Kriteriums, sondern vielmehr einzelfallabhängig und das Resultat einer ver­ deckt stattfindenden Abwägung und Wertung. Damit wurde gezeigt, dass das vorgeschlagene Kriterium der Inanspruchnahme fremder Rechte kein hinreichend klarer Maßstab dafür ist, wann Rechten Dritter die Funktion einer schutzbereichsimmanenten Grenze zukommt und wann dies nicht der Fall sein soll. Es handelt sich hierbei nur um ein scheinbar abwägungs­ freies Kriterium. Da sich neben dem Kriterium der „Evidenz“ somit auch das der Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter als untauglich erwiesen hat, ist die Suche nach einem geeigneten Kriterium, mit dem sich abwägungsfrei und einzelfallun­ abhängig bestimmen lässt, wann ein Übergriff in die Rechtssphäre Dritter vom Schutzbereich nicht mehr erfasst ist, gescheitert. Damit ist also auch diese enge Schutzbereichstheorie abzulehnen.

292 Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheits­ grundrechte, 1999, S. 249. 293 Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheits­ grundrechte, 1999, S. 249 f. 294 So Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 239 f., 244.

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c) Stellungnahme: Die Unvermeidbarkeit der Abwägung und deren Bearbeitung auf Rechtfertigungsebene Die bisherigen Ausführungen haben damit gezeigt, dass bisher kein über­ zeugendes Kriterium gefunden worden ist, mit dem sich abstrakt, das heißt ohne Abwägung im Einzelfall, bestimmen lässt, wann ein Übergriff auf die Rechts­ güter Dritter zum Schutzbereichsausschluss führt und wann dies nicht der Fall sein soll. Auch wenn das Bemühen eine Alternative zur Abwägungsmethodik zu finden angesichts der Schwächen die jede Abwägung mit sich bringt begrüßens­ wert ist, so sind doch die von den zahlreich vertretenen engen Schutzbereichs­ theorien unterbreiteten Vorschläge wenig überzeugend.295 Zum einen sind die an­ gebotenen Kriterien vielfach viel zu unpräzise und unbestimmt und damit wenig praxistauglich wie etwa das Kriterium der Evidenz oder der Inanspruchnahme ge­ zeigt haben. Zum anderen besteht die entscheidende Schwäche aller engen Schutz­ bereichstheorien darin, dass sie nur scheinbar abwägungsfrei sind.296 So nehmen zwar alle angebotenen schutzbereichsimmanenten Grenzen für sich in Anspruch auf eine Abwägung verzichten zu können,297 doch haben die hier untersuchten An­ sätze gezeigt, dass diese gerade in Zweifelsfällen doch wieder gezwungen sind auf eine Abwägung zurückzugreifen. Gegen eine solche Vorgehensweise spricht nun nicht nur der sogleich näher dargelegte Einwand, dass Abwägungen richtiger­ weise auf der Schutzbereichsebene nichts zu suchen haben, sondern auch, dass die hier vorgenommenen Wertungen im Verborgenen stattfinden und damit zu Lasten der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Argumentationsprozesses gehen.298 Dies gilt im besonderen Maße für die von der Lehre vom Gewährleistungsge­ halt sowie der Theorie der sachlichen Reichweite unternommenen Versuche, Ab­ wägungen in die teleologische Auslegung zu integrieren. Beide soeben dargelegten grundsätzlichen Einwände gegen enge Schutzbe­ reichstheorien zeigen sich symptomatisch an der Rechtsprechung und der die­ ser folgenden herrschenden Lehre zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit. So wurde hier ursprünglich, wie oben bereits dargelegt, in unausgesprochener An­ knüpfung an den „Sprayer-Beschluss“ strikt die These vertreten, dass Art. 8 GG nicht das Recht umfasse, fremdes Eigentum nach Belieben in Anspruch zu neh­ men, es vielmehr die rechtliche Verfügungsbefugnis über den Versammlungsort 295 Eine ausführliche Übersicht über die generellen Argumente gegen die engen Schutz­ bereichstheorien findet sich bei Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 113 ff. 296 So auch Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 113; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 290; Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 192; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 79 f. 297 Vgl. die Beschreibung der engen Schutzbereichstheorien von Alexy, Theorie der Grund­ rechte, 1994, S. 290: „der abwägungsfreie Schutzbereichsausschluss ist ihr Programm“. 298 Kahl, AöR 131 (2006), S. 579, 606 Fn. 157, 610 f., sowie ders., Der Staat 43 (2004), S. 167, 190 ff.; ähnlich Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 172 („nebulöse Zusammenschau und Bewertung dessen, was grundrechtlich geschützt ist oder nicht“).

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als (ungeschriebene) Voraussetzung voraussetze.299 In der logischen Konsequenz dieser Auffassung würde es nun liegen, dass sich sowohl die Durchführung einer Versammlung auf öffentlichen Straßen, wie überhaupt jede Grundrechtsausübung auf fremden Flächen, stets außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs be­ wegen würde. Geschützt wäre nur die Durchführung einer Versammlung auf dem eigenen privaten Grund. Um dieses ersichtlich absurde Ergebnis und letztlich weitgehende Leerlaufen grundrechtlichen Schutzes zu vermeiden, rückte dann die Rechtsprechung unter einhelliger Billigung der Literatur zunächst bezüglich öffentlicher Straßen300 und neuerdings auch mit Blick auf die hier untersuchten privaten öffentlichen Räume301 von diesem strikten Ausgangspunkt ab und be­ handelt beide als Ausnahmen von dieser selbst (ohne Not) aufgestellten schutzbe­ reichsimmanenten Grenze. Dass ein solches Vorgehen dogmatisch wenig stimmig und überzeugend ist, liegt auf der Hand. Es bestätigt die oben bereits angedeutete These, dass es letztlich unmöglich ist eine geeignete, allgemeingültige schutzbe­ reichsimmanente Grenze zu entwickeln. Jede abstrakt-generelle Schutzbereichs­ grenze ist letztlich viel zu grob und unflexibel und daher in ihrer Konsequenz nicht durchzuhalten.302 Wie das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eindrucks­ voll zeigt, provoziert die Aufstellung einer generellen Schutzbereichsgrenze mit der Zeit die Herausbildung von Ausnahmen und Gegenausnahmen und damit Widersprüche, die sich vom selbst gewählten Ausgangspunkt nur schwerlich er­ klären lassen und damit die Praktikabilität des Ansatzes insgesamt in Zweifel zie­ hen. Gerade das Fraport-Urteil zeigt, dass jede schutzbereichsimmanente Grenze in Einzelfällen doch nicht auf eine Abwägung verzichten kann. Dass diese Ab­ wägungen aber gerade aus methodischen Gründen nichts auf der Schutzbereichs­ ebene zu suchen haben, sondern vielmehr auf der Schrankenebene vorzunehmen sind, wurde schon vielfach in der Literatur dargelegt.303 So haben Abwägungen auf Rechtfertigungsebene den methodischen Vorzug, dass hier die widerstrei­tenden Interessen und die zur Rechtsfindung führenden Prämissen offengelegt werden, 299 Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, BVerwG 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138 f.; vgl. auch Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 103: „Der Versammlungsschutz nach Art. 8 I GG wurde […] in der Vergangenheit grundsätzlich von den dinglichen Rechten An­ derer begrenzt.“ 300 BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 u. 333, 248, 306, 497/85 = BVerfGE 73, 206, 249. 301 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251 ff. 302 So letztlich auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 290 sowie Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 193 f. mit dem Hinweis, dass abstrakt-generelle Schutzbereichsgrenzen zu einer „Schematisierung und Starrheit“ des Rechts führen und letztlich auch zu einem Verlust an Einzelfallgerechtigkeit und Sachadäquanz. 303 Vgl. auch zum Folgenden Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränk­barkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 229 ff.; Meister, Das System des Freiheitsschut­ zes im Grundgesetz, 2011, S. 100, 115 f.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 68 („Abwägungsresistenz des Grundrechtstatbestandes“). Anders jedoch wenig überzeugend Volkmann, JZ 2005, S. 261, 267 sowie Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 138.

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wodurch die Abwägung nicht nur nachvollziehbar und berechenbar wird, son­ dern auch kontrollierbar.304 Demgegenüber haben die bisherigen Ausführungen gezeigt, dass sowohl die angeblich abwägungsfreie Lehre vom Gewährleistungs­ gehalt als auch die engen Schutzbereichstheorien in Gefahr laufen, „Wertungen zu verdecken und Abwägungsergebnisse als solche der Auslegung grundrecht­ licher Schutzbereiche zu präsentieren“.305 Dadurch werden nicht nur Auslegung und Abwägung aus methodischer Sicht in bedenklicher Weise miteinander ver­ mengt, sondern das Vorgehen insgesamt ist wenig transparent und entzieht sich so der (gerichtlichen) Kontrolle. Schließlich haben Abwägungen auf Schutzbereiche auch zur Folge, dass grundrechtliche Schutzbereiche jegliche Konturen ver­lieren, „da ihre Reichweite nicht mehr generell, sondern nur noch im Einzelfall nach Maßgabe der konkret kollidierenden Rechtspositionen bestimmt werden kann“.306 Indem grundrechtliche Schutzbereiche so von einer konstanten zu einer variablen Größe werden, verliert die Grundrechtsprüfung in erheblichem Maße an Rechts­ sicherheit. Aus all dem ergibt sich, dass Abwägungen auf Schrankenebene vorzu­ nehmen sind und die zahlreichen Versuche der ausdrücklichen oder stillschwei­ genden Verlagerung von Abwägungsgesichtspunkten auf die Schutzbereichsebene zurückzuweisen sind. Damit bleibt festzuhalten, dass nicht nur die derzeit vertretenen generel­ len schutzbereichsimmanenten Grenzen abzulehnen sind, sondern auch, dass es aufgrund der stets nötigen Abwägung im Einzelfall schlichtweg unmöglich ist, eine geeignete, allgemeingültige schutzbereichsimmanente Grenze zu entwickeln. Darüber hinaus haben die Ausführungen ergeben, dass der vom Bundesverfas­ sungsgericht und der herrschenden Lehre in Bezug auf das Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit gewählte dogmatische Ansatz nicht zu überzeugen vermag und daher abzulehnen ist.

304 Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheits­ grundrechte, 1999, S. 229; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S.  55 f. m. w. N. 305 Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheits­ grundrechte, 1999, S. 229. 306 Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheits­ grundrechte, 1999, S. 232.

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5. Die Vorzugswürdigkeit der weiten Schutzbereichstheorie a) Die Argumente der weiten Schutzbereichstheorie und die Würdigung der Einwände Vorzugswürdig ist angesichts all dieser methodischen, dogmatischen und theo­ retischen Mängel der engen Schutzbereichsansätze die weite Schutzbereichs­ theorie.307 Kennzeichnend für sie ist, dass sie keine Begrenzungen des Schutzbe­ reichs anhand ungeschriebener Elemente kennt. Um den Grundrechtsdiskurs an seinem Anfang völlig offen zu halten und auch die entfernteste Möglichkeit einer Schutzlücke auszuschließen, lehnt sie die zahlreichen Versuche ab, bestimmte Verhaltensweisen von vornherein („apriorisch“) aus dem Schutzbereich herauszu­ nehmen.308 Vielmehr sind ihrer Auffassung nach die der freiheitlichen Betätigung entgegenstehenden Interessen Dritter und des Gemeinwohls stets und ausnahms­ los auf der Ebene der Schranken im Wege der Abwägung zu berücksichtigen. Da­ mit werden also Inhalt und Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche unab­ hängig davon bestimmt, ob sich eine Verhaltensweise beeinträchtigend auf die Rechtssphäre Dritter auswirkt.309 Diese Vorgehensweise hat den eingangs bereits angesprochenen entscheidenden grundrechtssichernden Vorteil, dass der staatli­ che Eingriff auf diese Weise der abwehrrechtlichen Rechtfertigungsprozedur un­ terzogen wird und so den formellen und materiellen Kautelen der Verfassung, den sog. Schranken-Schranken, unterworfen ist.310 Auch wenn diese Ansicht zahlreichen, zum Teil auch durchaus berechtigten Einwänden ausgeliefert ist,311 so ist doch keine vorzugswürdige Alternative zu dieser als reiner Konstruktionstheorie verstandenen weiten Schutzbereichstheo­ rie ersichtlich.312 So haben die Ausführungen ergeben, dass alle angebotenen Al­ ternativvorschläge letztlich nicht ohne die von ihnen scharf kritisierte Abwägung auskommen, sie aber zusätzlich noch mit weiteren Nachteilen (Widersprüchlich­ 307 Statt vieler und m. w. N. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 278 ff.; Schwabe, Pro­ bleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 33 f., 152 ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinter­ pretation, 1987, S. 175 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S.  87 ff.; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 84 ff., 87; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 120. 308 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 84. 309 Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 216. 310 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 52; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grund­ gesetz, 2011, S. 118 f. 311 Eine ausführliche Übersicht über die Argumente gegen die weite Schutzbereichstheo­ rie findet sich bei Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 148 ff.; Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 89 ff. sowie Höfling, Offene Grundrechts­ interpretation, 1987, S. 180 ff. 312 Zum Unterschied von reiner Konstruktionstheorie und ergebnisbezogener normativer Theorie Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 279.

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keit, Unbestimmtheit der Kriterien usw.) verbunden sind. Es wurde insbesondere gezeigt, dass Abwägungen auf Schutzbereichsebene neben grundsätzlichen me­ thodischen Bedenken den Nachteil der mangelnden Transparenz haben, indem sie Wertungen und Abwägungen verdeckt und unstrukturiert in ihre scheinbar „ab­ wägungsfreien“ Ansätze einfließen lassen.313 Demgegenüber bietet die hier vertre­ tene weite Schutzbereichstheorie den Vorteil, dass bei ihr im Rahmen der Verhält­ nismäßigkeitsprüfung alle (Abwägungs-)Gesichtspunkte offen, nachvollziehbar und nachprüfbar berücksichtigt werden. Diese Strukturierung und Abschichtung der Probleme im Rahmen des traditionellen Prüfungsschemas auf Basis eines „Spiel[s] von Grund und Gegengrund“314 ermöglicht nicht nur ein erhöhtes Maß an Disziplinierung und Kontrollierbarkeit des Argumentationsprozesses, sondern ist auch aufgrund ihrer größeren Flexibilität den zu „Schematisierung und Starr­ heit“ neigenden engen Schutzbereichstheorien vorzuziehen.315 So ermöglicht ge­ rade die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine rational nachvollziehbare und hinrei­ chend flexible Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Entwicklungen wie etwa auf die Veränderung des räumlichen Umfelds des Grundrechts der Versamm­ lungsfreiheit und ist so den engen Schutzbereichskonzepten überlegen.316 b) Konsequenz: Prima-facie-Recht auf Nutzung fremder privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken Übertragen auf vorliegenden Untersuchungsgegenstand bedeutet diese Vor­ zugswürdigkeit der weiten Schutzbereichstheorie, dass die Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum, das heißt die Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungszwecken, vom Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit umfasst ist.317 Allgemein gesprochen liegt in der Konse­ quenz der hier vertretenen weiten Schutzbereichstheorie – freilich verstanden als reine Konstruktionstheorie –, dass auch der Übergriff in fremde Rechts­sphären wie etwa in das Eigentum Dritter vom Schutzbereich des jeweiligen Freiheits­ rechts erfasst ist und damit an den Sicherungen des Abwehrrechts teilhat.318 Wes­ 313

Vgl. zu diesem Vorwurf näher Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grund­ gesetz, 2011, S. 117 f., 153. 314 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 289 f. 315 Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167, 189 f., 193 f.; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 116 f., 153; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 173 ff. 316 Vgl. Kahl, AöR 131 (2006), S. 579, 618 f. 317 So im Ergebnis auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 250 ff. 318 In dieser Allgemeinheit wird dies jedoch ausdrücklich nur von Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 246 f. sowie in neuerer Zeit von Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 120 vertreten, liegt aber in der Kon­ sequenz zahlreicher anderer Stellungnahmen der Literatur und auch des Bundesverfassungs­ gerichts (vgl. etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 290 ff.; Höfling, Offene Grund­ rechtsinterpretation, 1987, S. 175 ff.; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 64 f. sowie BVerfG, Beschl. v. 6.6.1989, 1 BvR 921/85 = BVerfGE 80, 137, 152 ff.).

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halb der grundrechtliche Schutzbereich am fremden Eigentum enden soll, wie es vielfach in Literatur und Rechtsprechung behauptet wird, lässt sich – wie dar­ gelegt – grundrechtsdogmatisch nicht überzeugend erklären.319 Diese – oft nicht ausgesprochene – Konsequenz der hier vertretenen weiten Schutzbereichstheorie „entdramatisiert“ sich, wenn man berücksichtigt, dass es – wie oben dargelegt – bei der weiten Bestimmung des Schutzbereichs nur um eine Prima-facie-Ver­ mutung, eine hypothetische Basis bzw. ein Eingangsstatement eines methodi­ schen Verfahrens mit offenem Ergebnis handelt.320 M.aW.: Die Demonstranten haben nur ein prima facie unbegrenztes Recht auf Durchführung einer Demons­ tration im privaten öffentlichen Raum. Ob die Demonstranten tatsächlich von ih­ rem Grundrecht im privaten öffentlichen Raum Gebrauch machen können, ihnen also ein „definitorisches Recht“ zukommt, steht erst nach Abwägung mit Grund­ rechten Dritter bzw. mit anderen von den Schranken des Grundrechts der Ver­ sammlungsfreiheit erfassten Positionen unter Beachtung aller Umstände des Ein­ zelfalls fest. c) Zwischenergebnis: Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Fraport-Urteil Damit haben die Ausführungen das eingangs dargelegte Unbehagen an den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts im Fraport-Urteil bestätigt. Die von der Rechtsprechung unternommene Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 8 GG in Bezug auf die Wahl des Versammlungsorts, der sich auch die herrschende Lehre ohne jegliches Problembewusstsein angeschlossen hat, unterläuft nicht nur die rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen der Schrankenebene, sondern sie ist auch – wie gezeigt – in dogmatischer und methodischer Hinsicht fragwürdig. Die­ sem herrschenden Ansatz wurde hier die These entgegengesetzt, dass der Schutz­ bereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus konstruktiven Gründen stets die Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungszwecken umfasst. 319

So auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 246 f. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 86. Dabei wird eingeräumt, dass eine solche weite Schutz­ bereichstheorie in Extremfällen bedenklich werden kann mit Blick auf die materiell-recht­ liche Aussage, die mit der Einbeziehung einer bestimmten Verhaltensweise in den Schutz­ bereich einhergeht. Denn ein solches, ggf. gemeinschädliches Handeln wird nach der hier vertretenen Konstruktionsmethode in den Gegenstand von Freiheit im Rechtssinne einbezo­ gen und erfährt so prima facie „Schutz“. Angesichts der Vorteile der hier vertretenen weiten Schutzbereichstheorie in den viel häufigeren „Zweifelsfällen“, wie etwa der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum, und der Tatsache, dass nur ein extrem „wirklichkeitsfremder“ Bürger etwa sein (vermeintliches) Grundrecht auf künstlerisch moti­ vierte Tötung eines anderen einklagen wird, ist dies aber hinzunehmen und ggf. mit verfah­ rensrechtlichen Möglichkeiten (z. B. § 93 a BVerfGG) zu begegnen (hierzu Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 2005, S. 96 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 297 f. sowie von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 64 ff.). 320

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Dadurch unterliegen Beeinträchtigungen der Wahl des Versammlungsorts nicht nur der rechtsstaatlichen Bändigung, sondern eine solche Vorgehensweise ent­ spricht auch der bewährten und überkommenen grundrechtlichen Argumenta­ tionsstruktur. 6. Zusammenfassung der Ergebnisse der Problematik der Nutzung fremder Räume zu Versammlungszwecken Nach alldem kann als Ergebnis der Ausführungen zur Problematik der Nut­ zung fremder privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken festgehalten werden, dass sich die oben dargelegte Konstruktion des grundrechtsunmittel­baren Nutzungsanspruchs als ein Fall des abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsan­ spruchs als tragfähig erwiesen hat. Neben der bereits dargelegten dogmatischen Überzeugungskraft dieses Ansatzes hat sich auch die diesem zugrundeliegende Prämisse, das heißt die These, dass die Inanspruchnahme fremder privater öf­ fentlicher Räume vom Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit erfasst ist, als zutreffend herausgestellt. Strukturelles Kennzeichen dieser einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vergleichbaren Konzeption ist es, dass die begehrte Genehmigung der Durchführung einer Demonstration nicht als eine „echte“ staat­ liche Leistung, sondern vielmehr als eine abwehrrechtlich gebotene Beseitigung des vorherigen hausordnungsrechtlichen Verbots der Nutzung privater öffent­licher Räume zu Versammlungszwecken verstanden wird. Indem die Durch­führung einer Demonstration an diesem Ort vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst ist, stellt das in der Hausordnung geregelte Verbot mit Genehmigungsvorbehalt einen (klassischen) Grundrechtseingriff dar, der vom Hausherrn durch Erteilung der Genehmigung wieder beseitigt werden muss, wodurch die natürliche Freiheit der Demonstranten sich an diesem Ort zu versammeln wieder hergestellt wird. Abschließend soll jedoch nochmals darauf hingewiesen werden, dass dieses abwehrrechtliche Nutzungsrecht der Demonstranten nur prinzipieller Natur ist, das heißt es besteht nur „an sich“, prima facie und vorbehaltlich etwaiger Gegen­ gründe.321 Da es also im Einzelfall bei Eingreifen der Schranken des Grundrechts der Versammlungsfreiheit durchaus nicht zum endgültigen, das heißt definitiven Nutzungsrecht erstarken kann, sollen im Folgenden einige Kriterien zur Bewäl­ tigung des Konflikts zwischen den Interessen der Demonstranten und jenen des Hausherrn dargestellt werden.

321

Hierauf weist besonders deutlich Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat, 1992, S. 180 hin; ähnlich Höfling, Offene Grundrechtsinter­ pretation, 1987, S. 177: „Damit ist indes lediglich die erste Etappe des Argumentationsweges zurückgelegt.“

IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn 193

IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn Angesprochen ist damit die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn. Bevor im Folgenden einzelne (abwägungslenkende) Kri­ terien zur Lösung der Kollision zwischen privatrechtlichem Hausrecht und Ver­ sammlungsfreiheit aufgeführt werden, an denen sich die Gerichte oder – allgemei­ ner – die Rechtsanwender in der Praxis orientieren können, muss geklärt werden, ob die das Hausrecht konstituierenden Vorschriften der §§ 903, 1004, 858 ff. BGB eine taugliche Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG sind. 1. Das private Hausrecht als Schranke im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG Als verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt wurde bereits klargestellt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Demonstranten in Bezug auf den Versammlungsort ebenso wie jede andere Freiheitsverbürgung nicht grenzenlos gewährleistet ist. Die zwingend notwendige Begrenzung erfolgt dabei entsprechend der hier vertre­ tenen weiten Schutzbereichstheorie nicht auf der Ebene des Schutzbereichs, son­ dern vielmehr (ausschließlich) auf der Ebene der Schranken. Es wurde ebenfalls bereits gezeigt, dass die Durchführung einer Demonstration im privaten öffent­ lichen Raum der Schrankenregelung des Art. 8 Abs. 2 GG unterliegt, da sie wer­ tungsmäßig eine Versammlung unter freiem Himmel darstellt. Fraglich ist jedoch, ob das private Hausrecht bzw. präziser die diese konstituierenden privatrecht­ lichen Vorschriften der §§ 903, 1004, 858 ff. BGB eine taugliche Schranke i. S. d. Art. 8 Abs. 2 GG darstellen. Bedenken hiergegen könnten sich daraus ergeben, dass es sich bei diesen um keine versammlungsbezogenen Vorschriften handelt und sie insofern auch nicht den Anforderungen des Zitiergebots des Art. 19 Abs. 1 S. 2 gerecht werden.322 Diese Zweifel überzeugen jedoch nicht. So hat das Bundesverfassungsgericht im Fraport Urteil zu Recht festgehalten, dass in Bezug auf diese „allgemeine Vor­ schriften des Zivilrechts […] die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden An­ forderungen zurückgenommen“ sind, weshalb auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG keine Anwendung findet, da es die in ihm liegende Warnfunktion nicht erfüllen kann.323 Dementsprechend ist es auch in der Literatur seit jeher an­ erkannt, dass auch allgemeine (privatrechtliche) Vorschriften als Beschränkun­ gen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in Betracht kommen.324 Verwie­ 322

Solche Bedenken finden sich etwa bei Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungs­ freiheit, 1975, S. 136 f.; Gurlit, NZG 2012, S. 249, 254 (Fn. 79); Enders, JZ 2011, S. 577, 580. 323 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 258. 324 Vgl. statt vieler Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV, § 106 Rn. 98 m. w. N.

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sen wird zwar im Regelfall vor allem auf bau-, feuer- oder gesundheitspolizeiliche Regelungen der allgemeinen Rechtsordnung, doch gilt gleiches für die das pri­ vate Hausrecht konstituierenden privatrechtlichen Vorschriften der §§ 903, 1004, 858 ff. BGB. Damit stellen diese eine taugliche Schranke des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG dar. 2. Die Verfassungsmäßigkeit der Hausrechtsausübung – Der Ausgleich der Interessen von Hausherrn und Demonstranten Im Folgenden gilt es nun einige Kriterien und Maßstäbe anzubieten, an denen sich die Rechtsprechung bzw. der Rechtsanwender bei der Lösung des Konflikts zwischen dem Interesse der Demonstranten im privaten öffentlichen Raum zu de­ monstrieren und dem diesem entgegengesetzten Interesse des Hausherrn orien­ tieren können. a) Die Abwägung als Ausgleichsinstrument Das maßgebliche Instrument zum Ausgleich dieses Spannungsverhältnisses stellt dabei die Abwägung dar.325 Hier geht es darum die konfligierenden Rechts­ positionen nach Maßgabe des Prinzips der praktischen Konkordanz „zu opti­ maler Wirksamkeit gelangen zu lassen“.326 Dieser Ausgleich erfolgt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips, an dem die Hausrechtsausübung des Hausherrn zu messen ist.327 Da dem Grundrechtskatalog keine Rangordnungen, Hierarchien oder Rangabstufungen zwischen den einzelnen Grundrechten zu entnehmen sind, an denen man sich im Konfliktfalle orientieren kann, lässt sich eine Güterabwä­ gung nicht auf abstrakt-genereller Ebene vornehmen.328 Vielmehr bedeutet Ab­ wägung stets Einzelfallabwägung, bedarf also einer Betrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls.329 Auch wenn sich damit allgemeine Aussagen zum Spannungsverhältnis vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem pri­

325 Vgl. zum Instrument der Güterabwägung etwa Ossenbühl, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 28 ff. sowie Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997. 326 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 72 u. 318; vgl. zur praktischen Konkordanz auch Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 465 ff. 327 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 249, 259 ff. 328 Ossenbühl, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 28; ge­ gen das Bestehen einer Wertrangordnung der Grundrechte auch Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 461 f., 465; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 52 f., 59 ff. sowie Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 52 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 329 Statt vieler Ossenbühl, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 28.

IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn 195

vaten Hausrecht kaum treffen lassen, so finden sich doch einige Kriterien, die gewissermaßen als Fixpunkte im Konflikt zwischen Demonstranten und Haus­ herrn Geltung beanspruchen können. b) Einzelne Abwägungsgesichtspunkte aa) Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die demokratische Grundordnung Angesichts der soeben dargelegten abstrakten Ranggleichheit aller Grund­ rechte des Grundgesetzes sind zunächst die zahlreich anzutreffenden Versuche, dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit einen abwägungsrelevanten „Bonus“ aufgrund deren im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugespro­ chenen besonderen Bedeutung für die demokratische Grundordnung zukommen zu lassen,330 abzulehnen.331 Denn eine solche Vorrangstellung einzelner Grund­ rechte würde nicht nur die Abwägung verengen und in eine bestimmte Richtung zwingen,332 sondern sie lässt sich insbesondere auch dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes nicht entnehmen. bb) Art und Ausmaß der Öffnung des Raumes für die Allgemeinheit Ein maßgeblicher abwägungsleitender Gesichtspunkt ist dagegen die Art und das Ausmaß der Öffnung des Raumes für die Allgemeinheit. So ist zunächst ohne Weiteres klar, dass in Bezug auf rein private Räume (wie z. B. Wohnungen) so­ wie andere nicht für die Allgemeinheit uneingeschränkt und voraussetzungslos bestimmte Flächen (z. B. der Abflugbereich der Flughafenhalle hinter der Sicher­ heitsschleuse, der Mitarbeiterbereich eines Einkaufszentrums, der Kinosaal u. ä.), grundsätzlich kein anerkennenswertes Interesse der Demonstranten besteht, ge­ rade hier eine Versammlung vornehmen zu dürfen. Vielmehr setzt sich in diesen Fällen regelmäßig das private Hausrecht durch. 330 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343 spricht von einem „besonderen Rang“ des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem freiheitlichen Staatswesen. Solche Versuche finden sich etwa bei Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 608; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 104; Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 20 m. w. N.; aber auch bei BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 259 f. 331 So auch besonders deutlich Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommen­ tar, Bd. 1, Art. 5 Rn. 2; Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 56 Rn. 52 m. w. N. sowie Di Fabio, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 46 Rn. 13. 332 Di Fabio, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 46 Rn. 13.

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H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum H. Versammlungen im formell privatisierten öffentlichen Raum 

Gleiches gilt auch für die sog. öffentlich zugänglichen Räume. Diese sind zwar im Gegensatz zu den privaten Räumen der Allgemeinheit öffentlich zugänglich gemacht, ohne dass im Einzelfall eine Zugangs- bzw. Einlasskontrolle stattfindet (z. B. Supermärkte, Restaurants u. ä.). Doch fehlt es diesen „nur zu ganz bestimm­ ten Zwecken“333 (wie etwa zum Einkaufen oder zum Essen) zur Verfügung ste­ henden Flächen im Gegensatz zu den privaten ‚öffentlichen‘ Räumen, dem Unter­ suchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, an der sog. „Öffentlichkeits-“ bzw. „Kommunikationsfunktion“ als wesentliches Charakteristikum eines privaten ‚öffentlichen‘ Raums. Wann im Einzelnen ein solcher ‚öffentlicher‘ Raum bzw. „Ort der allgemeinen Kommunikation“334 vorliegt, bestimmt sich ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Anlehnung an die nordameri­ kanische Rechtsprechung nach dem Leitbild des öffentlichen Forums.335 Dieses zeichnet sich dadurch aus, „dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätig­ keiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und of­ fenes Kommunikationsgeflecht entsteht.“ Dieses „Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen“ schafft einen „Raum des Flanierens […], des Verweilens und der Begegnung“ und ist das Abgrenzungskriterium zum sog. öf­ fentlich zugänglichen Raum. Typische solcher privater öffentlicher Räume sind wie bereits an anderer Stelle angesprochen etwa die frei zugänglichen (Verkehrs-) Flächen in Einkaufszentren, die „Landseite“ der Abflughalle eines Flughafen oder aber die Straßen und Wege einer privaten Outlet-City. Die weitgehende Öffnung dieser Räume für ein Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen führt nach zu­ treffender Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dazu, dass der Hausherr „auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen“ nicht ohne Weiteres aus diesen Räumlichkeiten heraus­ halten darf.336 Vielmehr bedarf der Hausherr gewichtiger Gründe, wenn er hier eine Demonstration untersagen will, da er sich andernfalls „in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen“ würde.337 Diese gesteigerten Anfor­ derungen an das Vorbringen des Hausherrn gilt es im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, so dass also dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit im pri­ vaten öffentlichen Raum ein besonderes Gewicht zukommt.

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BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 253. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 252. 335 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 253 f. m. w. N. zur Rspr. des Supreme Court of Canada und des Supreme Court of the United States. Vgl. zur nordame­ rikanischen Rechtsprechung auch Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 607 f. sowie Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100 f. 336 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 253 f.; zuvor bereits ­Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1395. 337 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 252. 334

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cc) Quantität der Inanspruchnahme privater öffentlicher Räume Als ein weiterer Abwägungsgesichtspunkt ist die Qualität der Inanspruch­ nahme privater öffentlicher Räume zu nennen. Hierunter verbergen sich diverse Aspekte wie etwa die Art der Versammlung, deren Dauer, Größe oder Intensität sowie die Frage, ob eine vorherige Bekanntgabe stattgefunden hat oder ob es sich vielmehr um eine „Spontandemonstration“ handelt.338 So führt etwa eine Massen­ demonstration mit einigen tausend Teilnehmern nicht zuletzt im Falle einer räum­ lichen Beengtheit des Versammlungsorts zu größeren Beeinträchtigungen des Hausherrn als eine Demonstration einiger weniger. Aber auch den zu erwarteten Lärmpegel in Folge von Lautsprechern, Trillerpfeifen, Trommeln u. ä. gilt es im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Schließlich spielt auch der Zeitpunkt der Veranstaltung eine Rolle. So führt etwa eine Demonstration an einem Sams­ tag in der Vorweihnachtszeit in einem Einkaufszentrum zu erheblicheren Umsatz­ einbußen als an einem heißen Sommertag unter der Woche. dd) Nexus von Ort und Versammlungsgegenstand Zur Bestimmung der für die Abwägung maßgebenden Eingriffsintensität eines Verbots der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum bietet sich die aus anderen Zusammenhängen bekannte Argumentationsfigur des „Kernbereichs“ an.339 Hiernach gilt es innerhalb eines Grundrechts zwischen ver­ schieden stark geschützten Positionen zu unterscheiden und diese mit den Be­ griffen des „Kernbereichs“ bzw. „Randbereichs“ zu versehen. So kann etwa ein bestimmter Versammlungsort für das jeweilige Demonstrationsthema von so ele­ mentarer Bedeutung sein, dass jede alternativ in Betracht kommende Versamm­ lungsfläche diese in ihrem Kernbereich treffen würde. Man denke etwa an die im Fraport-Urteil streitgegenständliche Durchführung einer Demonstration in den Terminals des Frankfurter Flughafens gegen die Abschiebung von Flüchtlingen unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften oder aber an die Demonstration gegen die Geschäftspolitik eines bestimmten Unternehmens in einem Einkaufs­ zentrum vor dem dort ansässigen Laden. In beiden beispielshaft angeführten Fäl­ len sind Versammlungsort und Versammlungsgegenstand in so besonderem Maße aufeinander bezogen, dass ein Ausweichen an einen anderen Ort die Demonstra­ tion in ihrem Wesen verändern würde. Andererseits gibt es aber auch Versamm­ lungen, die nicht in so erheblichem Maße auf den privaten öffentlichen Raum 338 Zu diesen Kriterien etwa Scheidler, DAR 2009, S. 380, 383; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 105. 339 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa H ­ ufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 6 Rn. 16 m. w. N. zur Rspr.; für eine Argumentation mit dem „Kernbereich“ als Auslegungsrichtlinie bereits Rüfner, in: Festgabe BVerfG, Bd. II, 1976, S. 453, 465 f. sowie v. a. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, 1999, S. 218 ff. m. w. N.

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als Demonstrationsfläche angewiesen sind, so dass ein Ausübungsverbot an die­ sem Ort diese lediglich in ihrem „Randbereich“ betrifft. Vor diesem Hintergrund lässt sich als abwägungsleitendes Kriterium ein sog. „Je-desto-Maßstab“ anfüh­ ren: Je stärker die Versammlung auf den spezifischen Versammlungsort angewie­ sen ist, desto schwerer wiegt ein hausordnungsrechtliches Demonstrationsverbot und umso höher müssen die Gründe des Hausherrn sein, warum an diesem spezi­ fischen Ort die Versammlung nicht stattfinden darf.340 ee) Die Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Ortes Auch wenn, wie oben dargelegt, dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit im privaten öffentlichen Raum grundsätzlich ein höheres Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommt, so besagt das noch nicht, dass sich die Versammlungs­ freiheit in jedem Fall gegenüber den Interessen des Hausherrn durchsetzt. Viel­ mehr kann sich dieser auf die „Betriebsstörung“ als Grenze der Inanspruchnahme seines Raumes berufen. Im Fraport-Urteil etwa begründete die Betreiberin des Frankfurter Flughafens das Demonstrationsverbot damit, dass sie „aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufs und der Sicherheit“ mit ihr nicht abgestimmte Demonstrationen nicht dulde.341 Die Funktionsfähigkeit des Flughafens als Ver­ kehrsknotenpunkt für Güter- und Personenströme verlange die Verhinderung kon­ kret drohender Betriebsstörungen. So könnten etwa bei einer unübersichtlichen Menschenmenge stehengelassene Gepäckstücke nicht mehr kontrolliert werden, weshalb die Gefahr von Terroranschlägen zunehme. Dem ist insofern zuzustimmen, als die Festlegung bestimmter örtlicher Ver­ botszonen, etwa der Flächen rund um die Not- und Rettungswege und anderer ähnlich sicherheitssensibler Bereiche regelmäßig vor dem Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit gerechtfertigt ist.342 Zu beachten ist jedoch, dass ein pauschaler Verweis auf die „Betriebsstörung“ oder die Funktionsfähigkeit des Ortes, wie sie in dem Hinweis auf die zunehmende Gefahr von Terroranschlägen zum Ausdruck kommt, nicht ausreicht. Es bedarf stets einer hinreichend substantiierte Gefahren­ prognose.343 „Bloße Vermutungen ohne das Vorliegen hinreichender tatsäch­licher Anhaltspunkte genügen nicht“.344 Im Rahmen der Bewertung einer etwaigen Be­ triebsstörung gilt es dann die Größe der Versammlung, die Art und Weise der 340

So tendenziell auch Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 105; Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 608 sowie bereits Schwerdtfeger, Die Grenzen des Demonstrationsrechts in innerstäd­ tischen Ballungsbereichen, 1988, S. 27 ff. 341 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 229 f., 238 ff. 342 So auch Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 608; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 105. 343 VGH München, Beschl. v. 5.8.2011, 10 CS 11.1839 = NVwZ-RR 2012, S. 66 in Anknüp­ fung an BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 261. Vgl. auch FischerLescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1396. 344 VGH München, Beschl. v. 5.8.2011, 10 CS 11.1839 = NVwZ-RR 2012, S. 66.

IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn IV. Die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch den Hausherrn 199

Durchführung einer Demonstration (Lärmpegel) sowie vor allem die jeweils kon­ kret begehrte Demonstrationsfläche in den Blick zu nehmen und im Rahmen der Abwägung gegenüber dem Demonstrationsinteresse zum Ausgleich zu bringen.345 3. Ergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben damit gezeigt, dass die Abwägung im Einzelfall durchaus dazu führen kann, dass die Demonstranten gegen den Wil­ len des unmittelbar grundrechtsgebundenen Hausherrn im privaten öffentlichen Raum eine Demonstration durchführen können und so der prima facie bestehende Nutzungsanspruch zu einem endgültigen, das heißt definitiven Nutzungsrecht er­ starkt. Angesichts der allgemeinen Verkehrseröffnung des privaten öffentlichen Raumes muss der Hausherr hinreichend substantiierte Gegengründe vorbringen, wenn er im Einzelfall eine Demonstration verbieten möchte. Die Anforderungen an die Einwände des Hausherrn sind dabei umso höher, je enger die Verbindung des Versammlungsorts zum jeweiligen Versammlungsgegenstand ist. Insgesamt wurde damit deutlich, dass das Verfahren der Abwägung den engen Schutzbereichskonzepten der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre zu Art. 8 GG insofern methodisch überlegen ist, als es ihr gelingt auf die Verände­ rung des räumlichen Umfelds des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinrei­ chend flexibel und vor allem widerspruchsfrei zu reagieren. Als weiterer bereits genannter Vorzug der mit der hier vertretenen weiten Schutzbereichstheorie ver­ bundenen Abwägungsmethode gilt insbesondere deren Maß an Transparenz in Bezug auf die hinter dem Abwägungsergebnis stehenden Wertungen. Damit ist also das Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wenn auch im Ergebnis zutreffend, in methodischer und dogmatischer Hinsicht abzulehnen.

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BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 261 f.

J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum bei fehlender unmittelbarer Grundrechtsbindung des Hausherrn I. Der völlig veränderte grundrechtsdogmatische Hintergrund Während sich die bisherige Untersuchung vornehmlich auf das „vertikale“ (Über-/Unterordnungs-)Verhältnis von grundrechtsberechtigtem Bürger und grund­ rechtsgebundenem Staat bezog, stellt sich das Problem der Demonstration im pri­ vaten öffentlichen Raum in der im Folgenden nun zu untersuchenden Konstella­ tion vor einem ganz anderen grundrechtsdogmatischen Hintergrund. Denn war dem Hausrechtsinhaber bisher eine Berufung auf eigene Grundrechte versagt, so kann er hier dem Grundrecht der Demonstranten aus Art. 8 GG die oben ausführ­ lich dargelegten Grundrechtspositionen entgegenhalten mit der Konsequenz, dass sich zwei grundrechtsberechtigte Private gegenüberstehen. Damit rückt also die „horizontale“ Ebene in den Mittelpunkt der Untersuchung. Es geht im Folgenden um die Frage, ob und welche Bedeutung die Grundrechte im Verhältnis der priva­ ten Rechtssubjekte untereinander haben, ob also der grundrechtsberechtigte Haus­ rechtsinhaber bei der Ausübung seiner hausrechtlichen Befugnisse das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit beachten muss, und falls ja, auf welche Weise und in welchem Umfang. Die Problematik der Nutzung fremder privater öffent­ licher Räume zu Versammlungszwecken erscheint hier also vorrangig als „Dritt­ wirkungsfrage“, weshalb zunächst geklärt werden muss, was sich hinter diesem „Etikett“ verbirgt.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte 1. Begriff und Aktualität der Fragestellung Die Problematik um die Drittwirkung der Grundrechte beschäftigt Literatur und Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten,1 ohne dass diese bis heute in allen Detailaspekten als geklärt bezeichnet werden kann.2 Wenn auch die wesent­lichen Argumente schon vielfach ausgetauscht und von verschiedenen Seiten beleuch­ tet wurden,3 so zeigen doch die fortwährenden wissenschaftlichen Veröffent­ lichungen zu diesem klassischen Problem der allgemeinen Grundrechtslehren die Virulenz der Thematik auch in heutiger Zeit.4 Zuletzt hat dieser „dogmatische Grundlagenstreit“5 im sog. Fraport-Urteil Aktualität erreicht, in dem das Bun­ desverfassungsgericht im Wege eines obiter dictum angedeutet hat, dass die mit­ telbare Grundrechtsbindung Privater „je nach Gewährleistungsgehalt und Fall­ gestaltung […] einer Grundrechtsbindung des Staates […] nahe oder auch gleich kommen“ könne.6 Abzugrenzen gilt es diese als Drittwirkung der Grundrechte bezeichnete Pro­ blematik von der bereits oben angesprochenen Grundrechtsbindung.7 Während es dort nämlich schlicht um die Frage nach dem Grundrechtsadressaten ging, das heißt um „die Frage, wen eine grundrechtliche Pflicht trifft“, geht es hier um „die Frage nach der Schutzdimension, also die Frage, in welchem Verhältnis das 1 Eine ausführliche Übersicht über die kaum noch zu überblickende Fülle an Literatur findet sich bei Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 1 (Fn. 1) sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 4 Fn. 33, 34, S. 1518 f., der sich auch mit der Genese der Problematik befasst (§ 76 I 3 S. 1515 ff.). Vgl. auch zur Diskussion vor Inkrafttreten des Grundgesetzes Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 84, 98 ff. 2 Schnapp/Kaltenborn, JuS 2000, S. 937, 939; Hermes, NJW 1990, S. 1764, 1765 („wesent­ liche Fragen […] immer noch offen“); Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223 („in den grundsätzlichen Punkten ist die Diskussion jedoch nicht beendet“); sehr kritisch die Einschät­ zung von Rupp, JZ 2001, S. 271, 275, nach dem die Bemühungen, den Grundrechten in der horizontalen Ebene Geltung zu verschaffen, „trotz fortlaufender literarischer Behandlung seit der Untersuchung Günter Dürigs aus dem Jahr 1956“ nicht wesentlich weiter gediehen sind. 3 So auch Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 530. 4 Als Beispiel seien nur genannt die Beiträge von Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S.  223 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001; Christensen/Fischer-Lescano, Das Ganze des Rechts, 2007, sowie Calliess, JZ 2006, S. 321. 5 Oldiges, in: FS Friauf, 1996, S. 281. 6 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 249. 7 Hierauf weist besonders deutlich Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschafts­ tätigkeit, 1999, S. 42 („strikt auseinanderzuhalten“) hin; vgl. auch De Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 739; Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 1, S. 1512 und III 1, S. 1551; Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 9 sowie Wegner, Kommunikationsherrschaft des Haus­ herrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 131.

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J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum 

Grundrecht letztlich Schutz entfaltet“, die sich in dem hier gegebenen Ausmaß nur stellt, wenn sich zwei Privatrechtssubjekte gegenüberstehen.8 Die Beachtung die­ ser Unterscheidung ist gerade deshalb zentral, da zum Teil verkannt wird, dass auch hinsichtlich der Grundrechtswirkung im Privatrecht Grundrechtsadressat al­ lein die staatliche Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG ist, nicht jedoch der ein­ zelne Bürger.9 Vor diesem Hintergrund ist die im Rahmen der Drittwirkung allein zu diskutierende Frage, ob die unmittelbar grundrechtsgebundene öffentliche Ge­ walt in der Anwendung des den Inhalts der Entscheidung bestimmenden materi­ ellen Rechts auf einen Konflikt zweier Privatpersonen auch die Grundrechte zu beachten hat.10 Dieser so präzisierte Problemkreis der „Wirkung der Grundrechte für die privaten Rechtssubjekte untereinander“11 ist bis heute nicht restlos ge­ klärt, weil die Verfassung selbst, abgesehen von der speziellen verfassungsrecht­ lich geregelten Ausnahme des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, keine explizite Aussage dazu enthält. In den folgenden Ausführungen soll trotz aller (berechtigten) Kritik an dem Begriff der Drittwirkung festgehalten werden, da er immer noch am ge­ bräuchlichsten ist und sich inzwischen eingebürgert hat.12 2. Die Entwicklung der Idee einer Einwirkung der Grundrechte in das Privatrecht Um die Drittwirkungsdebatte nachvollziehen zu können, sind zunächst ein­ mal einige zum Teil grundsätzliche verfassungsrechtliche Überlegungen erfor­ derlich. Dabei bedarf insbesondere die Frage, wie die Bestrebungen einer Einwir­ kung der Grundrechte in die Privatrechtsordnung entstanden sind, einer näheren Be­trachtung.

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Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 42. Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 89 f., 97. 10 Dieser Unterschied zwischen der Frage der Grundrechtsgebundenheit und der sich bei der Drittwirkungsproblematik stellenden Frage nach dem anzuwendenden materiellen Recht, das den Inhalt der richterlichen Entscheidung bestimmt, zeigt sich besonders deutlich an der Formel von Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., 1984, S. 209: „Das Gericht hat Grundrechte zu beachten, soweit sie gelten; nicht etwa gelten sie, weil ein Gericht entscheidet.“ Vgl. hierzu Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenstän­ digkeit des Privatrechts, 2001, S. 122 ff. sowie zuletzt Merten, in: FS Stern, 2012, S. 483, 498 ff. 11 So Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 224; ähnlich Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 1, S. 1512 („Wirkung der Grundrechte in der Privatrechtsordnung“). 12 Näher zur Terminologie Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 1; Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 233 f.; sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 2, S. 1513 ff. jeweils mit einer Übersicht über die angebotenen Alternativbezeichnungen. 9

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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a) Gewährleistung von Freiheit als „Sinnmitte“ der Grundrechte Die Behandlung der Problematik der Drittwirkung der Grundrechte betrifft Grundfragen der Wirkungsweise und Bedeutung der Grundrechte. Daher bietet es sich an, sich im Ausgangspunkt den tragenden Sinn der Grundrechte zu ver­ gegenwärtigen, nämlich die Sicherung und Gewährleistung der Freiheit des Ein­ zelnen.13 Hierbei handelt es sich gerade angesichts der zahlreichen Unsicherheiten in Bezug auf die Vielfalt der inzwischen anerkannten Dimensionen und Funk­ tionen der Grundrechte um eine Art „kleinster gemeinsamer Nenner“.14 Es wäre somit vor dem Hintergrund der Gefährdung grundrechtlicher Freiheit aus den ver­ schiedensten Richtungen in der modernen (Industrie-)Gesellschaft in der Tat eine „Blickverengung […], die Grundrechte allein in ihrer Funktion zu sehen, eine in­ dividuelle Freiheitssphäre gegen den Staat zu verteidigen“.15 Vielmehr stellen die Grundrechte bestimmte Freiheitsräume beziehungsweise Rechtsgüter schlechthin unter ihren Schutz und entfalten „je nachdem, in welcher Weise und von welcher Seite diesen Freiheitsräumen […] Gefahr droht, auch in unterschiedlicher Weise schützende und gewährleistende Kraft“.16 Ohne an dieser Stelle eine Aussage tref­ fen zu können und zu wollen, ob die Grundrechte tatsächlich in sämtliche der von der Literatur angebotenen Richtungen wirken, zeigt jedenfalls „die schlichte Wortlautexegese“17 des Art. 1 Abs. 2 S. 2 GG („zu achten zu schützen“), dass die Grundrechte nicht ein-, sondern mehrdimensional ausgerichtet sind.18 In diesem Sinne kann es heute als allgemein anerkannt gelten, dass es eines Zusammenspiels höchst unterschiedlicher Wirkungsweisen bedarf, um grundrechtliche Freiheit zu sichern und zu gewährleisten und so die Zielvorstellung eines umfassenden Freiheitsschutzes wirksam werden zu lassen.19 13

So v. a. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 39 sowie Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 19 Rn. 43; ders., Jura 1988, S. 617; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 67 ff.; Dreier, Jura 1994, S. 505, 513; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427, 430. 14 So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 39. 15 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 39; so auch Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 32 sowie bereits Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 1 ff., 30 ff. sowie besonders prägnant S. 312. 16 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 39 f.; Roth, Fak­ tische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 73. Zu der Idee des absoluten Rechts­ güterschutzes etwa Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 IV 5, S. 1575 m. w. N.; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Ge­ wande, 2000, S. 38 („rechtsgutsbezogener Rundumschutz“). 17 Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 38. 18 Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 73; ähnlich Krings, in: FS Stern, 2012, S. 425, 435 ff. 19 So v. a. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 39 f. und Krebs, Jura 1988, S. 617, 623. Während diese „Mehrdimensionalität“ der Grundrechte mitt­ lerweile wohl außer Streit stehen dürfte, gilt dies nicht für Herleitung, Inhalt und andere Ein­ zelfragen in Bezug auf die jeweilige Grundrechtsfunktion und v. a. auch für das Verhältnis der Grundrechtsfunktionen untereinander.

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J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum 

b) Die Ergänzungsbedürftigkeit der Abwehrfunktion der Grundrechte Vor dem Hintergrund dieses umfassenden freiheitssichernden Anspruchs ist auch die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte zu sehen. Hierbei handelt es sich wie oben bereits ausführlich dargelegt, um die „klassische“, sich aus der Entstehung und Entwicklung der Grundrechte ergebene primäre Grundrechts­ dimension. Die Funktion der Grundrechte den Bürger vor staatlichen Eingriffen zu schützen war lange Zeit auch unter dem Grundgesetz die dominante und un­ angefochtene Grundrechtsdimension. Dies änderte sich jedoch ab Mitte der fünf­ ziger Jahre des 20. Jahrhunderts, von wo an das Abwehrrecht zunehmend Kritik aus den verschiedensten Richtungen ausgesetzt war.20 Ausgangspunkt dieser An­ griffe war die Erkenntnis, dass angesichts des Wandels der sozialen Wirklichkeit in der heutigen modernen (Industrie-)Gesellschaft ein Freisein von staatlichen Eingriffen allein nicht mehr ausreicht, um grundrechtliche Freiheit tatsächlich und effektiv zu gewährleisten.21 Denn zum einen bedarf der Bürger zahlreicher tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen damit die grundrechtlich verbürgte Freiheit auch reale Freiheit ist. Und zum anderen stieg das Bewusstsein dafür, dass sich der Bürger zunehmend auch Gefährdungen durch nicht-staatliche Mächte, wie etwa dem Arbeitgeber, dem Vermieter oder allgemeiner riesigen Großunter­ nehmen, Banken oder Verbänden gegenüber sieht.22 Da der Einzelne diesen sog. sozialen Gewalten23 ähnlich ausgeliefert sein kann wie dem Staat, entbrannte eine Diskussion um die Frage, ob und inwieweit Grundrechte auch im Verhältnis der Privatpersonen untereinander gelten.24 Um eine faktische Entwertung der Grund­ rechte zu vermeiden, wurde deshalb von Seiten der Literatur bereits 1950 vorge­ schlagen, die Grundrechte auch in diesem Rechtsverhältnis (unmittelbar) anzu­ wenden.25 Gegen dieses Anliegen den Grundrechten auch im Privatrecht Geltung zu verschaffen regte sich jedoch schnell Widerstand, da hierin nicht nur ein An­ griff auf die Eigenständigkeit des Zivilrechts und die Fundamente der Privat­ autonomie gesehen wurde, sondern auch insgesamt eine Gefährdung der darin 20

Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 48 ff. So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 41 und v. a. Hesse, EuGRZ 1978, S. 427, 430; vgl. auch Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 37 f., 243 f. 22 Vgl. hierzu v. a. Nipperdey, RdA 1950, S. 121, 125; Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 4 sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 4, S. 1529 ff. und § 76 IV 8, S. 1586 ff. je­ weils m. w. N. 23 Zu diesem Begriff Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 IV 8, S. 1586 ff. 24 Näher hierzu Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 48 ff. 25 So maßgebend vertreten und entwickelt von Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, 1961; ders., RdA 1950, S. 121, 124 ff.: „Die Durchsetzung grundrechtlicher Bestimmungen, also der Normen höchsten Grades, ist nur dann voll gewährleistet, wenn nicht nur die gesetz­ gebenden Körperschaften, die Verwaltungsbeamten und die Richter, sondern auch die einzel­ nen Rechtsgenossen, die Staatsbürger an sie gebunden sind.“ 21

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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angelegten Balance der Rechte und Pflichten der Privatrechtssubjekte befürchtet wurde.26 Diesen so entstandenen „gordischen Knoten“ zwischen Vertretern einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht und Anhängern der These von der Grundrechtsfreiheit des Privatrechts durchschlug Dürig in einem vielbeachteten Aufsatz27 mit der von ihm näher entwickelten Lehre von der mit­ telbaren Drittwirkung der Grundrechte.28 Demnach sind die Grundrechte auch im Privatrechtsverkehr zu berücksichtigen, doch eben nicht unmittelbar, sondern vielmehr mittelbar, abwägungsgesteuert und einzelfallbezogen.29 Während so eine „dogmatische Entschärfung“30 der Problematik von Seiten der Literatur angebo­ ten wurde, schwieg das Bundesverfassungsgericht zu dieser Thematik lange Zeit im Gegensatz zu den Obergerichten.31 c) Das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Entdeckung und Entfaltung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte Ein Paukenschlag für diese Diskussion um die Drittwirkung sowie die Grund­ rechtsdogmatik insgesamt war dann das Lüth-Urteil aus dem Jahre 1957.32 Aus­ gehend von einer Vergewisserung der Funktion der Grundrechte als Abwehr­ rechte des Bürgers gegenüber dem Staat, dem das Gericht primäre und zentrale Bedeutung zusprach, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass sich hierin die Grundrechte nicht erschöpfen. Es betonte, „daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will, in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine ob­ jektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt. Dieses 26 Vgl. dazu näher Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 I 4, S. 1530 und II 2, S. 1547 sowie Poscher, Grundrechte als Abwehr­ rechte, 2003, S. 49, jeweils m. w. N. 27 Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 ff. 28 So Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 50; ähnlich Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 3, S. 1556. 29 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 50. 30 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 51. 31 Früher dagegen positionierten sich der Bundesgerichtshof im Sinne der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (vgl. BGH, Urt. v. 2.4.1957, VI ZR 9/56 = BGHZ 24, 72, 76 f.; BGH, Urt. v. 20.5.1958, VI ZR 104/57 = BGHZ 27, 284, 285; BGH, Urt. v. 6.4.1960, IV ZR 276/59 = BGHZ 33, 145, 149 ff. sowie BGH, Urt. v. 20.3.1968, I ZR 44/66 = BGHZ 50, 133 ff.) sowie das Bundesarbeitsgericht im Sinne der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung (z. B. BAG, Urt. v. 3.12.1954, 1 AZR 150/54 = BAGE 1, 185, 193 ff.; anders jedoch, d. h. im Sinne der mittelbaren Drittwirkung, dann aber BAG, Urt. v. 20.12.1984, 2 AZR 436/83 = BAGE 47, 363, 373 f.). Vgl. hierzu mit einer zum Teil anderen Rechtsprechungsanalyse Classen, AöR 122 (1997), S. 65, 66 ff. 32 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198 ff.; vgl. auch Poscher, Grund­ rechte als Abwehrrechte, 2003, S. 234, der das Urteil als eine „Zäsur“ bezeichnet und in ein „Davor“ und ein „Danach“ unterscheidet.

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J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum 

Wertsystem […] muss als verfassungsrechtliche Grundrechtsentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung emp­ fangen von ihm Richtlinien und Impulse.“33 Als objektive Wertordnung beein­ flusst sie demnach „selbstverständlich“ auch die Auslegung und Anwendung des bürgerlichen Rechts. „Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muss in seinem Geiste ausgelegt werden“. „Einbruchstellen“ seien vor allem die Generalklauseln, wie etwa der Begriff der „guten Sitten“ in § 826 BGB.34 Damit hat das Bundesverfassungsgericht in der Diskussion um die Grund­ rechtsgeltung im Privatrechtsverkehr in zweifacher Hinsicht Stellung bezogen:35 Zum einen stellte es mit der schon damals herrschenden Meinung fest, dass zwi­ schen dem Privatrecht und den Grundrechtsvorschriften keine Beziehungslosig­ keit besteht, sondern die Grundrechte in die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse einwirken (das „Ob“). Zum anderen urteilte es aber auch, dass diese Einwirkung der Grundrechte nicht unmittelbar, sondern vielmehr mittelbar im Wege der Aus­ strahlungswirkung erfolgt (das „Wie“). Grundlage dieser mittelbaren Einwirkung der Grundrechte auf die Privatrechtsbeziehungen ist die vom Bundesverfassungs­ gericht vorgenommene Qualifizierung der Grundrechte als Grundlegung einer „objektiven Wertordnung“ bzw. – begrifflich heute vorzugswürdiger36 – als „Ele­ mente objektiver Ordnung“, „verfassungsrechtliche Grundentscheidungen“ oder schlicht als „objektive Prinzipien“37, eine Kategorie, die insgesamt von grund­ legender und weittragender Bedeutung für die weitere Grundrechtsentwicklung war und bis heute ist.38 So werden im Zusammenhang mit den objektiv-recht­ lichen Grundrechtsgehalten39 mittlerweile eine breite Vielfalt recht heterogener Grundrechtsfunktionen oder Dimensionen diskutiert, wie etwa Schutzpflichten, 33

BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205; hieran anknüpfend Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = BVerfGE 50, 290, 337. 34 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205. 35 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 126 f. 36 Der Begriff der „Wertordnung“ wird scharf kritisiert: vgl. nur Di Fabio, in: FS Herzog, 2009, S. 35 ff.; ders., in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 46, v. a. Rn. 8 ff. sowie Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 117 ff. 37 Vgl. die umfassenden Rechtsprechungsnachweise hierzu bei Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 37 Fn. 34 sowie Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 196. 38 Vgl. etwa Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 159: „Die ‚objektive Wertordnung‘ bildet den her­ meneutischen Urschleim, aus dem immer neue Funktionen entsprießen“; siehe auch Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 37. 39 Diese Bezeichnung hat sich mittlerweile jedenfalls im Schrifttum durchgesetzt (vgl. zur Terminologie näher Stern, in: ders. (Hrsg.), Staatsrecht, Bd. III/1, § 69 II 4, S. 918 ff.). Zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten eingehend Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 191 ff.; Jarass, in: FG BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 35 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 94 ff. sowie v. a. Dolderer, Objektive Grundrechts­ gehalte, 2000.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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Organisations- und Verfahrensrechte, Instituts- und Einrichtungsgarantien, aber auch die Teilhabe- und Leistungsfunktion sowie die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte werden in diesem Zusammenhang genannt, wobei Terminologie und Inhalt im Einzelnen ebenso stark variieren wie die präzise dogmatische Her­ leitung der jeweiligen Grundrechtsfunktion.40 Wenn auch dieses Bündel von aus objektiven Grundrechtsgehalten entspringenden Funktionen einen geringen Grad an Homogenität und Systematisierung aufweist, so ist gemeinsamer Ausgangs­ punkt aller unterschiedlichen Konzepte die Vorstellung, dass das abwehrrecht­ liche Grundrechtsverständnis nicht ausreichend ist, um auf die Vielzahl grund­ rechtlicher Fragen eine Antwort geben zu können.41 Sie bezwecken also nicht die primäre staatsgerichtete Abwehrfunktion der Grundrechte zu schmälern oder zu ersetzen, sondern sie sehen „die Anerkennung objektiv-rechtlicher Grundrechts­ gehalte als unausweichlich, wenn der Anspruch aufrechterhalten werden soll, dass die Grundrechte in umfassender und allseitiger Weise die Freiheit der Per­ son zu sichern und zu gewährleisten haben.“42 Insofern stellen sie eine Verstär­ kung, Ergänzung oder Erweiterung der tradierten subjektiv-rechtlichen Abwehr­ dimension dar.43 Auch wenn das Lüth-Urteil bis heute von grundlegender Bedeutung für die Frage der Einwirkung der Grundrechte auf die Lösung privatrechtlicher Kon­ flikte ist, so war doch mit dieser Positionierung des Bundesverfassungsgerichts die Diskussion nicht beendet.44 Denn nicht nur im Detail, sondern auch im Grund­ sätzlichen beschäftigt diese immer noch nicht restlos geklärte Thematik die ver­ fassungsrechtliche Diskussion bis in die heutige Zeit. Im Folgenden sollen einige für die vorliegende Untersuchung relevanten Aspekte näher betrachtet werden, um so das theoretische Fundament für die weitere Argumentation zu bereiten auf das immer wieder zurückgegriffen werden kann. Dabei sind von den objektiven Grundrechtsgehalten vor allem die sog. Ausstrahlungswirkung und die grund­ rechtliche Schutzpflicht von Bedeutung.

40

So Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 69. So etwa Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 41, 43 ff. Kritisch zu diesem als „zirkulär“ bezeichneten „negativen Legitimationszusammenhangs“ Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 52, 85 ff. 42 Dreier, Jura 1994, S. 505, 513; ähnlich Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 234 sowie Hesse, EuGRZ 1978, S. 427, 431. 43 Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 127 f.; zu der „Verstärkungsthese“: BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205; BVerfG, Beschl. v. 3.3.1993, 1 BvR 757, 1551/88 = BVerfGE 88, 129, 137. 44 Wie hier Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 238; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 1. 41

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3. Dogmatische Lösungsansätze (das „Wie“) Nachdem es also seit dem Lüth-Urteil als geklärt bezeichnet werden kann, dass die Grundrechte auf die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander Ein­ fluss haben,45 verlagerte sich in der Folgezeit die Diskussion von diesem „Ob“ der Grundrechtsgeltung46 zu dem „Wie“, das heißt zu der Frage, in welcher Weise die Grundrechte in den privatrechtlich geordneten Beziehungen der Privatrechts­ subjekte untereinander konstruktiv verwirklicht werden können.47 Hierüber strei­ ten seit den fünfziger Jahren im Kern zwei Positionen, die sog. unmittelbare und die mittelbare Drittwirkung, die im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neu in den Blick genommen und zum Teil auch um neue Ansätze bereichert wurden. Dabei können im Folgenden nur die grundlegenden dogmatischen Leitlinien auf­gezeigt werden, unter Vernachlässigung jeder Verästelung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zu dieser Thematik herausgebildet hat. a) Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung Einen ersten, bereits angerissenen Erklärungsansatz bietet die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte an, die in den 50er und 60er Jahren im Schrifttum48 und anfänglich vor allem auch vom Bundesarbeitsgericht49 ver­ treten wurde. Die mit Blick auf den „Bedeutungswandel der Grundrechte“ als er­ forderlich angesehene unmittelbare Wirkung von Grundrechten wurde hier da­ hingehend umschrieben, „dass zwar nicht alle, aber doch eine Reihe bedeut­samer Grundrechte der Verfassung nicht nur Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt garantieren, vielmehr Ordnungssätze für das soziale Leben sind, die in einem aus dem Grundrecht näher zu entwickelnden Umfang unmittelbare Bedeutung auch für den privaten Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben“.50 Im Mittelpunkt 45 So auch Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 4, S. 1530; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 132. 46 Ausdruck von Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 306. 47 So auch Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1157; Möstl, Grundrechtsbindung öffent­licher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 11 f.; Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepu­ blik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 4, S. 1531 sowie Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 480, der diese Frage als „Konstruktionsproblem“ bezeichnet. 48 Siehe v. a. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, 1961; ders., RdA 1950, 121, 124 ff., der diese Lehre begründete sowie Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 285 ff. Zum Ganzen umfassend Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privat­ rechts, 2001 sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 II 1, S. 1540 ff. jeweils m. w. N. 49 BAG, Urt. v. 3.12.1954, 1 AZR 150/54 = BAGE 1, 185, 193 ff.; siehe auch BAG, Urt. v. 10.5.1957, 1 AZR 249/57 = BAGE 4, 274, 276 ff.; BAG, Urt. v. 23.2.1959, 3 AZR 583/57 = BAGE 7, 256, 260; BAG, Urt. v. 29.6.1961, 1 AZR 343/61 = BAGE 13, 168, 174 f. 50 BAG, Urt. v. 10.5.1957, 1 AZR 249/57 = BAGE 4, 274, 276; vgl. auch BAG, Urt. v. 3.12.1954, 1 AZR 150/54 = BAGE 1, 185, 193 ff. und BAG, Urt. v. 28.9.1972, 2 AZR 469/71 = BAGE 24, 438, 441.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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steht also die These, dass Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat begründen, sondern sie eine „absolute Wirkung“ haben und so – zumindest einige von ihnen – auch Privatpersonen unmittelbar, das heißt „nicht nur [als] ‚Leit­ sätze‘ oder ‚Auslegungsregeln‘“, binden.51 Zur konstruktiven Umsetzung dieser unmittelbaren Rechtswirkung der Grundrechte für das Privatrecht bedarf es kei­ nes ‚Mediums‘, keiner ‚Einbruchstellen‘ und auch keiner wie auch immer gearte­ ten interpretativen Zwischenschritte,52 vielmehr ergänzen, überlagern und modifi­ zieren dieser Auffassung zufolge die Grundrechte die Normen des Privatrechts.53 Konkret sind nach dieser Ansicht die Grundrechte nicht nur „sonstige Rechte“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB sowie Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB, sondern sie stellen auch gesetzliche Verbote im Sinne des § 134 BGB dar und können selbst unmittelbar Anspruchsgrundlagen sein.54 Gegen diese Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung wandten sich aber zu Recht bereits früh zahlreiche Autoren, die zwar das Anliegen, den Grundrech­ ten auch im Privatrechtsverkehr Geltung zu verschaffen teilten, nach deren Auf­ fassung jedoch die Konstruktion der unmittelbaren Drittwirkung „über das Ziel hinausgeschossen“ sei.55 Denn hiergegen spricht bereits der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, wo Privatpersonen nicht genannt werden, weshalb im Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass die Grundrechte Private eben nicht unmittelbar ver­ pflichten wollen.56 Auch andere Vorschriften sowie die historische Bedeutung und Entstehungsgeschichte der Grundrechte des Grundgesetzes als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat legen es nahe, dass den Grundrechten keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten zukommt.57 Insbesondere die punktuell und explizit angeordnete unmittelbare Wirkung der Koalitionsfreiheit zwischen Privaten nach

51

Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, 1961, S. 14 f.; vgl. näher zur dogmatischen Be­ gründung ders., RdA 1950, S. 121, 125. 52 Nipperdey, DVBl. 1958, 445, 447; ders., Grundrechte und Privatrecht, 1961, S. 17. 53 So BGH, Urt. v. 5.4.1984, III ZR 12/83 = BGHZ 91, 84, 96 in Anknüpfung an Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, 1961, S. 15, 17 f.; vgl. auch Möstl, Grundrechtsbindung öffent­ licher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 57 ff. 54 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, 1961, S. 15; ders., RdA 1950, S. 121, 125; dazu v. a. auch Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 12; Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 II 1, S.  1539 f. 55 So Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 2, S. 1553 ff. Vgl. neben diesem ausführlich zu den folgenden Einwänden: Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 16 ff.; Schnapp/Kaltenborn, JuS 2000, S. 937, 940; Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1153; de Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 736 sowie v. a. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 417 ff. 56 Eine an sich denkbare analoge Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG auf Private scheitert angesichts der bewussten Entscheidung des Verfassungsgebers für eine ausschließliche un­ mittelbare Bindung der staatlichen Gewalten bereits an einer planwidrigen Regelungslücke (so etwa Lücke, JZ 1999, S. 377). 57 Vgl. hierzu näher Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 I 4 S. 1520 f. m. w. N.

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Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG zeigt besonders deutlich, dass im Regelfall eben keine der­ artige unmittelbare Drittwirkung gewollt ist (systematisches Argument). Hinzu kommt als entscheidendes (teleologisches) Argument gegen diese Lehre, dass die von den Verfassungsvätern intendierte Freiheitssicherung und das dem Grund­ gesetz zugrundeliegende rechtsstaatliche Verteilungsprinzip auf diese Weise in ihr Gegenteil verkehrt würden, da die Grundrechte zu Rechtspflichten des Bür­ gers mutierten und ein solcher Ansatz daher insgesamt als nicht mit den materi­ ellen Grundprinzipien der freiheitlichen Verfassung vereinbar abgelehnt werden müsse.58 Schließlich lässt sich die Lehre von der unmittelbaren Grundrechtsgel­ tung auch kaum mit dem der Privatrechtsordnung elementar zugrundeliegenden Prinzip der Privatautonomie vereinbaren, da der Einzelne dann nicht mehr nach seinem Belieben und in privater Willkür über seine rechtlichen Be­ziehungen ent­ scheiden könnte.59 Aus all diesen Gründen ist daher eine unmittelbare Grundrechtsbindung Priva­ ter abzulehnen und wird auch heute in dieser Form – insbesondere auch vom Bun­ desarbeitsgericht60 – nicht mehr vertreten.61 Als alternativer Lösungsansatz für dieses Problem wurde schon früh die Lehre von der nur mittelbaren Dritt­wirkung angeboten. b) Lehre von der mittelbaren Drittwirkung aa) Herkömmliche Begründung: Die Ausstrahlungswirkung Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung wurde von Günther Dürig62 als Antwort auf die These Nipperdeys von der unmittelbaren Drittwirkung ent­ wickelt, vom Bundesverfassungsgericht wie bereits dargelegt im Lüth-Urteil aufgegriffen63 und seither in zahlreichen Entscheidungen bestätigt und konkre­ 58

Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 228 ff.; so auch bereits Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 78 f. 59 Zu diesem Kritikpunkt näher Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 227; De Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 736; Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1153; Cremer, Freiheits­ grundrechte, 2003, S. 420 f. 60 BAG, Urt. v. 20.12.1984, 2 AZR 436/83 = BAGE 47, 363, 373 f.; BAG, Urt. v. 27.2.1985, GS 1/84 = BAGE 48, 122, 138 f.; sowie BAG, Beschl. v. 19.9.2006, 1 ABR 2/06 = BAGE 119, 275, 278. 61 Einen erneuten Begründungsversuch einer unmittelbaren Drittwirkung unternehmen je­ doch Hager, JZ 1994, S. 373 ff., 383; Christensen/Fischer-Lescano, Das Ganze des Rechts, 2007, S. 260 ff., v. a. S. 265, 275, sowie zuvor Bleckmann, DVBl. 1988, S. 938 ff., 943, de­ ren Ansätze jedoch mit der herkömmlichen unmittelbaren Drittwirkung nicht viel gemein haben. 62 Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157, 176 ff.; zu Ansätzen in dieser Richtung bei sei­ nen Vorgängern Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 II 2, S. 1543 f. 63 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 204 ff.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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tisiert.64 Demnach sind einzelne Grundrechtsbestimmungen auch im Privatrechts­ verkehr fraglos zu berücksichtigen,65 doch unterliegt das Verhältnis der Bür­ ger untereinander mit dem Bürgerlichen Recht primär einem privatrechtlichen Sonderregime,66 so dass „die ‚absolute Wirkung‘ der Grundrechte […] zuguns­ ten der Individualautonomie und der Eigenverantwortung relativiert ist“.67 Nur im Wege der Aus­strahlungswirkung68 über die Medien69 der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe des Privatrechts sind die Grundrechte bei der Aus­ legung und Anwendung des Zivilrechts zu beachten. „Der Weg über ihre An­ wendung wahrt einerseits die nach grundrechtlicher Anerkennung der privaten Dispositionsfreiheit im Drittrechtsverkehr rechtslogisch und rechtssystematisch notwendig gewordene Eigenständigkeit des Privatrechts und wahrt andererseits die selbstverständlich nötige Einheit des Gesamtrechts in der Rechtsmoral“.70 Zu den wertausfüllungsfähigen und wertausfüllungsbedürftigen Begriffen und Gene­ ralklauseln, die als „Einbruchstellen“71 grundrechtlicher Wertungen in Betracht kommen, gehören insbesondere die §§ 138, 242, 826 BGB, wobei nicht nur diese, sondern richtigerweise prinzipiell jede auslegungsfähige Norm als eine solche „Brückennorm“ in Betracht kommt.72 Indem die zivilrechtlichen Rechtsverhält­ nisse auf diese Weise Richtlinien und Impulse von den Grundrechten empfangen, 64 Dazu Graf Vitzthum, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 48 Rn. 8; Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 23; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 133 f. Vgl. aus der Rechtsprechung z. B. BVerfG, Urt. v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84 = BVerfGE 81, 242, 256; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567/89 u. 1 BvR 1044/89 = BVerfGE 89, 214 ff.; BVerfG, Urt. v. 6.2.2001, 1 BvR 12/92 = BVerfGE 103, 89 ff. Vgl. im Übrigen die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Classen, AöR 122 (1997), S. 65 ff.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 234 ff.; und Hager, JZ 1994, S. 373 ff. Sehr kritisch zu dieser Rechtsprechung Diederichsen, Jura 1997, S. 57 ff. Umfassende Darstellung zur mit­ telbaren Drittwirkung m. w. N. bei Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 II 2, S. 1543 ff. sowie Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigen­ ständigkeit des Privatrechts, 2001. 65 Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 2, S. 1552 f. bezeichnet es als einen großen Verdienst der Lehre von der unmittelba­ ren Drittwirkung, „die Eindimensionalität des Grundrechtsverständnisses durchbrochen zu haben“. 66 Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157, 176; so auch BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205 („bleibt materiell und prozessual ein bürgerlicher Rechtstreit“). 67 Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157, 176. 68 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 207; BVerfG, Urt. v. 23.4.1986, 2 BvR 487/80 = BVerfGE 73, 261, 269; BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, 2 BvR 478, 962/86 = BVerfGE 76, 143, 161. 69 Vgl. zur Kategorie des „Mediums“: BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205. 70 Dürig, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157, 176 f. 71 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 206. 72 Vgl. dazu näher Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 III 3, S. 1557; Rüfner, in: GS Martens, 1987, S. 215, 225; de Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 737.

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werden die Teilnehmer am Privatrechtsverkehr mittelbar über das Medium des Privatrechts an die Grundrechte gebunden.73 Dabei stellt die grundrechtskonforme bzw. grundrechtsorientierte Auslegung des einfachen Rechts durch die rechtsan­ wendenden Staatsorgane in methodischer Hinsicht ein Akt der Anwendung und Fortbildung des allgemeinen Zivilrechts dar.74 Diese Lehre von der mittelbaren Drittwirkung entspricht mittlerweile der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung,75 wenn auch die Ausstrahlungswirkung als deren dogmatisches Fundament, wie sogleich näher gezeigt wird, zunehmend in Frage gestellt wird und mittlerweile überholt sein dürfte. bb) Weitere Ansichten der Literatur Bevor jedoch näher auf diesen sich in den vergangenen Jahren vollzogenen „dogmatische[n] Paradigmenwechsel“76 in der Drittwirkungsdiskussion eingegan­ gen wird, sollen noch zwei weitere Ansätze einer Betrachtung unterzogen werden, die die Diskussion um die Geltung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr in den vergangenen Jahrzehnten bereichert haben. Da diese alternativ angebotenen Be­ gründungsversuche überwiegend auf Kritik gestoßen sind, sollen diese im Folgen­ den in der gebotenen Kürze dargestellt werden.77 (1) Die Ansicht von Schwabe: Die Drittwirkung als bloßes „Scheinproblem“ Einen von den herkömmlichen Begründungsansätzen abweichenden Erklä­ rungsversuch verfolgt zunächst Schwabe,78 nach dem es sich bei der Drittwir­ kungsdiskussion um ein “Scheinproblem“79 handele, dem der „offizielle Toten­ schein auszustellen“ sei.80 Denn bei Lichte betrachtet, so seine zentrale These, gehe jeder Grundrechtseingriff durch Private letztlich von der öffentlichen Ge­ walt aus, gegenüber der die Grundrechte auf Grund des Art. 1 Abs. 3 GG ohne

73

Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 47 f. Vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 57; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 279 ff. 75 Vgl. die Nachweise in Fn. 64. 76 Oldiges, in: FS Friauf, 1996, S. 281 f. 77 Ausführlich hierzu Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 II 3, S. 1548 ff. 78 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971; ders., AcP 185 (1985), S. 1 ff.; ähnlich Murswiek, WuV 1986, S. 179, 182 f.; ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 88 ff., 107. 79 Schwabe, AöR 100 (1975), S. 442, 470; ders., DVBl. 1971, S. 689, 690 (Drittwirkung von Grundrechten als „Phantom“). 80 Schwabe, DVBl. 1971, S. 689, 690. 74

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Weiteres in ihrer Abwehrfunktion anwendbar seien.81 In einem Rechtsstaat sei jede von einem Privatrechtssubjekt herrührende Freiheitsbeeinträchtigung von der Rechtsordnung getragen, das heißt stelle „staatlich legitimierte oder doch we­ nigstens gebilligte Gewalt“ dar, und könne dem Staat zugerechnet werden, weil er „sich durch rechtliche Regelung, gerichtlichen Ausspruch und vollstreckenden Zugriff an dem Verletzungsvorgang beteiligt“.82 Eine wie auch immer geartete „Drittwirkungskonstruktion“ der Grundrechte sei daher überflüssig, da die Pro­ blematik schon mit der klassischen Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat er­ klärt werden kann. Gegen diese umfassende Zurechnung privatautonomen Handelns an die öffent­ liche Gewalt spricht jedoch,83 dass sie die Rolle des Staates und speziell des Ge­ setzgebers überspannt und ihm einen Einfluss zuspricht, der ihm in diesem Aus­ maß nicht zukommt.84 So handeln vor allem im rechtsgeschäftlichen Verkehr Privatpersonen nicht auf Grund gesetzlicher Ermächtigung, „sondern kraft auto­ nomer Entschließung, die vom Gesetzgeber nur anerkannt und letztlich grund­ rechtlich abgesichert ist“.85 Das hausordnungsrechtliche Verbot der Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum durch den Hausherrn etwa ist Ausfluss dessen privatautonomer Willensentscheidung und nicht unmittelbare Folge der staatlichen Normierung der §§ 858 ff., 903, 1004 BGB als dogmati­ sches Fundament des Hausrechts. Eben dieses Beispiel zeigt, dass die „eigentliche Quelle“ des Eingriffs der handelnde Private ist und gerade nicht der Staat.86 Die von dem Einzelnen vorgenommenen Handlungen und Aktivitäten liegen entspre­ chend dem klassisch liberalen Freiheitsverständnis dem Staat voraus, bedürfen also – zumindest im Regelfall – keines Aktes staatlicher Gewährung.87 Schließ­ lich widerspricht auch die Vorstellung, dass jegliches privatautonome Handeln 81 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, z. B. S. 14 ff., 154 ff.; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. 82 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff.; vgl. auch v. a. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, passim, sowie besonders deutlich S. 59: „Sobald nun insoweit eine der beiden Sphären durch eine ihrer Freiheit entgegengesetzten Be­ fugnis aus der anderen Sphäre beeinträchtigt wird, ist das zugleich auch eine Beeinträchti­ gung der Grundrechtssphäre durch die staatliche Rechtsmacht“; ders., Probleme der Grund­ rechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. 83 Gegen diesen Ansatz etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 416 ff.; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 233 ff.; Cremer, Freiheits­ grundrechte, 2003, S. 167 ff.; Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1152; Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 240 ff. 84 Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 6; vgl. auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 17, nach dem dieser Ansicht die zeitgeistbedingte Vorstellung von der „Allgegenwärtigkeit, Allmacht und insbesondere Allverantwortung des Staates“ zugrunde liegt. 85 Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 1, S. 1551. 86 Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 236. 87 Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 236.

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durch Erlaubnis oder jedenfalls durch das Nicht-Verbot des Staates vorgezeichnet ist, dem in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten Menschenbild, da der einzelne dann „nur noch Marionette in der Hand des alles reglementierenden Staates“ wä­ re.88 Aus all diesen Gründen konnte sich daher der Ansatz Schwabes nicht durch­ setzen und wird auch nach der hier vertretenen Auffassung abgelehnt. (2) Die Ansicht von Lücke Einen völlig andersartigen Begründungsansatz verfolgt Lücke, nach dessen An­ sicht Art. 19 Abs. 3 GG nicht nur eine Grundrechtsberechtigungs-, sondern auch eine Grundrechtsverpflichtungsnorm darstelle.89 Dies folge aus dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG wo von „Geltung“ und nicht ausschließlich von „Berechti­ gung“ die Rede sei, so dass vom Wortlaut jedenfalls auch eine Interpretation des Wortes „gelten“ im Sinne von „berechtigen“ oder „verpflichten“ gedeckt sei.90 Wenn damit also inländische juristische Personen des Privatrechts als grund­ rechtsverpflichtet angesehen werden könnten, so lasse sich im Wege eines erstRecht-Schlusses (argumentum a fortiori) auch die Grundrechtsbindung ausländi­ scher juristischer Personen begründen, was letztlich notwendig sei, um eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung zu vermeiden.91 Vor diesem Hintergrund und angesichts des Tatbestandsmerkmals „auch“ sei dann ebenfalls eine unmittelbare Grundrechtsbindung natürlicher Personen zu bejahen.92 Gegen diese sehr gewagte Lesart des Art. 19 Abs. 3 GG spricht bereits dessen Wortlaut, da die Präposition „für“ eher ein Hinweis auf den ausschließlichen Berechtigungscharakter dieser Grundrechtsnorm darstellt.93 Hinzu kommt, dass die Frage, wer durch die Grund­ rechte verpflichtet wird, in Art. 1 Abs. 3 GG abschließend geregelt ist. „Hätte der Verfassungsgeber wirklich eine umfassende Grundrechtsbindung aller Privatper­ sonen anordnen wollen, hätte er dies bei Art. 1 Abs. 3 GG und nicht erst am Ende des Abschnitts über die Grundrechte […] getan“.94 Denn Art. 19 Abs. 3 GG hat ein ganz anderes „Thema“, nämlich die Grundrechtsberechtigung juristischer Per­ sonen.95 Daher ist diese in der Literatur zu Recht vereinzelt gebliebene Auffas­ sung abzulehnen.

88

Erichsen, Jura 1996, S. 527, 529; dem folgend Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1152. Lücke, JZ 1999, S. 377. 90 Lücke, JZ 1999, S. 377, 378. 91 Lücke, JZ 1999, S. 377, 378. 92 Lücke, JZ 1999, S. 377, 378 f. 93 Schnapp/Kaltenborn, JuS 2000, S. 937, 940; vgl. auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grund­ gesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 1 19 Abs. 3 Rn. 27, nach dem diese Auffassung „weder mit his­ torischen noch systematischen oder teleologischen Deutungen“ übereinstimmt. 94 Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1153. 95 de Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 736. 89

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cc) Neuerdings: Schutzrechtliche Konstruktion der Drittwirkungsproblematik Bei weitem erfolgsversprechender als die beiden soeben dargestellten alterna­ tiven Ansätze ist die bereits angedeutete, zunehmend feststellbare Tendenz, das Problem der Auswirkung der Grundrechte auf das Privatrecht nicht mehr un­ ter den (stark kritisierten) Begriffen der Drittwirkung und der Ausstrahlungswir­ kung zu behandeln, sondern mit den grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates in Zusammenhang zu bringen.96 Ausgangspunkt solcher Ansätze diese beiden Aspekte zusammenzuführen ist die Erkenntnis, dass es sich bei der Frage der Wirkung der Grundrechte für Privatrechtsbeziehungen ebenso wie bei den grund­ rechtlichen Schutzpflichten um ein mehrpoliges Rechtsverhältnis, das heißt ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat und zwei Grundrechtsträgern mit gegen­ sätzlichen Interessen handelt.97 Dogmatische Grundlage der heute allgemein anerkannten Schutzpflichten­ funktion ist nach umstrittener,98 aber hier vertretener Auffassung, die sich aus den Grundrechten ergebende objektive Wertentscheidung bzw. – unter Vermei­ dung dieses stark kritisierten Terminus – die objektiv-rechtlichen Grundrechts­ gehalte.99 Demnach ist die Rolle des Staates nicht darauf beschränkt, Eingriffe in Grundrechte (prinzipiell) zu unterlassen, sondern er ist ebenfalls verpflich­ tet durch positive staatliche Maßnahmen die grundrechtlich geschützten Rechts­ güter gegen Verletzungen und Gefährdungen von nicht-staatlicher Seite in Schutz

96 Als bedeutsamster Vertreter dieser Ansicht ist Canaris, AcP 184 (1984), S. 201, 225 ff.; ders., JuS 1989, S. 161, 163 zu nennen; vgl. auch Calliess, JZ 2006, S. 321 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn.  251 ff.; Hermes, NJW 1990, 1764, 1765 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363, 379; Klein, NJW 1989, S. 1633, 1639 f.; Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. II, § 55 Rn. 10 ff.; Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1155 f.; Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 242 ff.; skeptisch hingegen Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 93. 97 So etwa Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepu­ blik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 4 ff. sowie Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44 Rn. 18. 98 Näher zu den diskutierten unterschiedlichen Begründungsansätzen jeweils m. w. N. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 158 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 228 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 152 ff. 99 Wie hier (Ableitung aus den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten): BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, 1 BvF 1–6/74 = BVerfGE 39, 1, 41; BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89, 140 ff.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979, 1 BvR 385/77 = BVerfGE 53, 30, 57 ff.; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1997, 1 BvR 409/90 = BVerfGE 96, 56, 64; BVerfG, Urt. v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84 = BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG, Urt. v. 10.1.1995, 1 BvF 1/90, 1 BvR 342, 348/90 = BVerfGE 92, 26, 46; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Ge­ wande, 2000, S. 236 f.; Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 IV 5, S. 1572.

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zu nehmen.100 Das ist – jedenfalls im Grundsatz – spätestens seit dem ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch des Bundesverfassungsgerichts ständige Recht­ sprechung.101 Auch wenn die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates primär im Zusam­ menhang mit Konstellationen der Gefährdung des Rechts auf Leben und Ge­ sundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) thematisiert und entwickelt wurde,102 bezieht sie sich heute anerkanntermaßen auf alle grundrechtlich geschützten Rechtsgüter.103 Da­ mit kommt ihr eine bedeutende Rolle zu: Die grundrechtliche Schutzpflicht ist neben der Abwehrfunktion die zweite zentrale Grundrechtsfunktion,104 die diese ergänzt und sich zu dieser komplementär verhält. Denn Abwehrrecht und Schutz­ pflicht sichern beide das identische grundrechtliche Gut, ersteres gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt, letzteres gegen Gefahren von nicht-staatlicher, vor allem privater Seite. Adressat ist beide Male der Staat, einmal geht es um den Schutz vor dem Staat (status negativus105), einmal um den Schutz durch den Staat (status positivus106). Dem Staat kommt daher sowohl die Rolle des notwendigen Garanten als auch die des potentiellen Widersachers der Grundrechte zu. Gemeinsam geht es beiden Schutzrichtungen um die Wahrung und Gewährleistung grundrecht­ licher Freiheit.107 Auch wenn beide Grundrechtsfunktionen damit aufs Engste 100 Zu den Schutzpflichten insgesamt Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 v. a. Rn. 146 ff.; Klein, NJW 1989, S. 1633 ff.; Calliess, JZ 2006, S. 321 ff.; ders., in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, alle m. w. N. 101 BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, 1 BvF 1–6/74 = BVerfGE 39, 1 ff.; zuvor war bereits von grundrechtlichen Schutzpflichten die Rede in BVerfG, Beschl. v. 19.12.1951, 1 BvR 220/51 = BVerfGE 1, 97, 104; BVerfG, Urt. v. 29.5.1973, 1 BvR 424/71, 325/72 = BVerfGE 35, 79, 114; BVerfG, Urt. v. 5.6.1973, 1 BvR 536/72 = BVerfGE 35, 202, 221. 102 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979, 1 BvR 385/77 = BVerfGE 53, 30, 57 ff.; BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, 1 BvQ 5/77 = BVerfGE 46, 160, 164; BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89, 140 ff. Zur Schutzpflicht des Staates gegen Gesundheitsgefährdungen, die aus dem Rauchen entstehen vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, 1 BvR 2362/07, 402, 906/08 = BVerfGE 121, 317, 356. 103 So etwa Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 48; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 239; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 410. 104 Damit wird aber nicht ein dualistisches Grundrechtsverständnis, nach dem alle Grund­ rechtsfunktion auf das Abwehrrecht und die Schutzpflicht zurückzuführen sind, vertreten (so aber Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221, 234; Enders, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, vor Art. 1 Rn. 64, 68 ff.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1, 12; vgl. hiergegen zu Recht Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 84, der diesem Dualismus einen „funktionalen Pluralismus“ entgegensetzt). 105 Kategorie nach Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 94 ff. 106 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 114 ff. 107 Zum Ganzen: Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 1 ff.; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 48 sowie Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44 Rn. 18.

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miteinander verbunden sind und so gleichsam als zwei Seiten einer Medaille erscheinen,108 bestehen doch beträchtliche Unterschiede in ihrer näheren dogma­ tischen Struktur109: Während das bilateral konzipierte Abwehrrecht den Bürger unmittelbar berechtigt und den Staat unmittelbar verpflichtet, ohne dass es einer gesetzlichen Vermittlung bedarf, stehen sich bei der schwieriger organisierten Schutzpflicht zwei Grundrechtsberechtigte mit divergierenden Interessen gegen­ über: Auf der einen Seite die Interessen desjenigen, gegen den sich der private Übergriff richtet (auch „Opfer“ genannt) und dem ein grundrechtlicher status po­ sitivus in Form eines Rechts auf Schutz zukommt, und auf der anderen Seite die Interessen desjenigen, von dem der Übergriff ausgeht (auch „Störer“ genannt) und dem ein status negativus in Form eines Rechts auf Eingriffsabwehr zusteht.110 Diesen Ausgleich zwischen den beiden gegenläufigen Grundrechtspositionen zu leisten ist „in erster Linie“ Aufgabe des Gesetzgebers, der primärer Adressat der Schutzpflicht ist und dem dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestal­ tungsspielraum zusteht.111 Da die Schutzpflichten sich in Bezug auf die zur Ziel­ erreichung einzusetzender Mittel im Grunde neutral verhalten, ihrem Inhalt nach also unbestimmt sind,112 und der Vorbehalt des Gesetzes auch hier eingreift, ist die Schutzpflicht nach herrschender Auffassung nicht „self-executing“, sondern bedarf der Vermittlung und Konkretisierung durch das einfache Recht, ist also notwendig gesetzesmediatisiert.113 Dabei ist der (Privatrechts-)Gesetzgeber in der Umsetzung seines Schutzauftrags auch beim Erlass privatrechtlicher Vorschriften nach heute allgemeiner Ansicht ohne Weiteres gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittel­ bar an die Grundrechte gebunden.114

108 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 194. 109 Vgl. zum Folgenden ausführlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 v. a. Rn. 217 ff. 110 So Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 5; Calliess, JZ 2006, S. 321, 326; ders., in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44 Rn. 18; Möstl, Grundrechtsbindung öffent­ licher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 48. 111 BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, 1 BvF 1–6/74 = BVerfGE 39, 1, 44; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1997, 1 BvR 409/90 = BVerfGE 96, 56, 64; BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, 1 BvR 2362/07, 402, 906/08 = BVerfGE 121, 317, 356. 112 Hierauf weist v. a. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 420 f. hin; vgl. auch beson­ ders deutlich Klein, NJW 1989, S. 1633, 1638: „der Schutzanspruch determiniert das Ziel, aber nicht den Weg“. 113 So Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 281 ff.; vgl. auch Gellermann, Grundrechte im einfachge­ setzlichem Gewande, 2000, S. 237 ff.; Klein, DVBl. 1994, S. 489, 491, 495; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1 GG Rn. 102. 114 Zu der früheren Diskussion um die unmittelbare oder bloß mittelbare Grundrechts­ bindung des Privatrechtsgesetzgebers etwa Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 IV 2, 1565 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 425 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 89 ff.

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J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum J. Versammlungen im materiell privat(isiert)en öffentlichen Raum 

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die eingangs angesprochene „Wesensver­ wandtschaft“ der Schutzpflicht mit der älteren Figur der Ausstrahlungswirkung,115 ein Zusammenhang den auch das Bundesverfassungsgericht seit den 1990er Jah­ ren zunehmend und in gewisser Regelmäßigkeit betont.116 Denn wenn es auch wie soeben dargelegt in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist, den einen Bürger vor dem Verhalten eines anderen Bürgers in Schutz zu nehmen, so sind doch alle drei Staatsgewalten (Art. 1 Abs. 3 GG) und damit auch die Recht­ sprechung verpflichtet, dieser Schutzpflicht nachzukommen.117 Verhilft daher der Richter im konkreten Fall bei der Auslegung der vom Gesetzgeber bereitgestell­ ten zivilrechtlichen Normen den Grundrechten zwischen den Bürgern zur Wir­ kung, dann handelt es sich bei dieser herkömmlich als „mittelbare Drittwirkung“ oder „Ausstrahlungswirkung“ bezeichneten Vorgehensweise bei genauer Betrach­ tung um nichts anderes als einen klassischen Anwendungsfall der grundrecht­ lichen Schutzpflicht.118 Der Richter schützt die grundrechtlich geschützten Güter des einen Bürgers gegenüber den Übergriffen von dritter, privater Seite. Insofern ist die Ausstrahlungswirkung eine „rechtsprechungsspezifische Figur“119, ein An­ wendungs- bzw. Unterfall der Schutzpflicht.120 Denn während die herkömmlich als mittelbare Drittwirkung bezeichnete Ausstrahlungswirkung nur die Grund­ rechtsbindung der rechtsprechenden Gewalt im Bereich des Privatrechts verdeut­ lichen soll,121 geht die Theorie der Schutzpflichten darüber hinaus, indem sie auch die materielle Grundrechtsbindung des Zivilrechtsgebers erklären kann. Sie ist damit „ein verfahrensmäßiges Dach über der materiellen Grundrechtsbindung des Zivilrechtsgebers und der mittelbaren Drittwirkung“.122 Indem die Schutz­ 115

Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 49. Vgl. vor allem BVerfG, Urt. v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84 = BVerfGE 81, 242, 256 in An­ knüpfung an Ansätze in BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969, 1 BvR 619/63 = BVerfGE 25, 256, 268 u. BVerfG, Urt. v. 5.6.1973, 1 BvR 536/72 = BVerfGE 35, 202, 218 ff., 228; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567/89 u. 1 BvR 1044/89 = BVerfGE 89, 214, 232 ff.; BVerfG, Urt. v. 6.2.2001, 1 BvR 12/92 = BVerfGE 103, 89, 100 sowie jüngst BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 249. Anders dagegen Poscher, Grundrechte als Ab­ wehrrechte, 2003, S. 266 nach dem die Schutzpflicht „keine prominente Rolle in der Dritt­ wirkungsrechtsprechung“ spiele. 117 Statt aller Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 219, 277 ff. 118 de Wall/Wagner, JA 2011, S. 734, 737; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 254; so auch besonders deutlich Oldiges, in: FS Friauf, 1996, S. 281, 303. 119 Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1156. 120 Gurlit, NZG, S. 249, 251 („Teilausschnitt“); Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 49 („Anwendungsfall“); Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staats­ recht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 4, S. 1560 („Unterfall“); Jarass, in: FG BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 35, 40 („Unterfall“); Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 263, 264 („Unter- bzw. Anwendungsfall“). Näher zum Verhältnis der Schutzpflichtenlehre zur Dritt­ wirkungsproblematik Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 144 f. m. w. N. v. a. auch zu anderen Konzeptionen. 121 Zu diesem eingeschränkten Anwendungsbereich Poscher, Grundrechte als Abwehr­ rechte, 2003, S. 230, 253 f. 122 Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 10. 116

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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pflichtenlehre so allgemein die Auswirkungen der Grundrechte auf das Privat­ recht zu beschreiben vermag, ist sie in der Tat der „dogmatisch ‚sauberste‘ An­ satzpunkt“ grundrechtliche Vorgaben im privatrechtlichen Verhältnis der Bürger untereinander wirksam werden zu lassen.123 Sie kommt ohne die metaphorischen Formeln des traditionellen Verständnisses der Drittwirkungslehre aus,124 ist im Gegensatz zu der über den Wertordnungsgedanken der Grundrechte sehr vage konstruierten Ausstrahlungswirkung eine dogmatisch zunehmend gefestigte Fi­ gur und hat den später noch näher zu zeigenden Vorteil, dass sie die Rolle des Gesetzgebers im Verhältnis zum Richter wieder verstärkt betont.125 Daher ist die bisher als mittelbare Drittwirkung bzw. Ausstrahlungswirkung bezeichnete The­ matik der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik zuzuordnen und wird daher als eigen­stände Kategorie entbehrlich.126 4. Bedeutungslosigkeit der Frage nach der unmittelbaren Grundrechtsbindung? – Die Reichweite der Wirkkraft mittelbarer Grundrechtswirkungen Bisher wurde geklärt, dass und wie den Grundrechten in Privatrechtsbeziehun­ gen Geltungskraft zukommt. Es wurde aber noch nicht gesagt, welche effektive Wirkkraft sie zu entfalten vermögen. Damit ist die Problematik angesprochen, wie weit bzw. in welchem Umfang die Grundrechte Schutzwirkung in den privatrecht­ lichen Rechtsbeziehungen auslösen.127 Dies interessiert im vorliegenden Zusam­ menhang in mehrfacher Hinsicht. a) Die Auffangfunktion der mittelbaren Grundrechtswirkungen Zunächst ist auf die im Zusammenhang mit der Problematik um die Grund­ rechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung noch nicht näher begründete These zurückzukommen, wonach an der strikten 123

So Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 IV 5., S. 1572; ähnlich Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privat­ rechts, 2001, S. 252 f.; Oldiges, in: FS Friauf, 1996, S. 281, 300. Vgl. auch Canaris, JuS 1989, S. 161, 163, wonach die Schutzpflichtenfunktion das „missing link“ sei, um die mittelbare Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht auf ein festeres theoretisches Fundament zu stellen. 124 So Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 67 m. w. N.; ähnlich Ruffert, Vor­ rang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 253. 125 So auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 29. 126 Wie hier Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S.  252 f. 127 Vgl. zum Folgenden Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 50 ff., dessen Überlegungen hier weitgehend gefolgt wird.

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Trennung von grundrechtsgebundenem Staat und grundrechtsberechtigter Gesell­ schaft mit seinem groben „entweder-oder“ Raster trotz der zunehmend fließenden Übergängen beider Sphären festgehalten werden kann, da die „neueren“ Grund­ rechtswirkungen in der Lage sind, einen der Schutzbedürftigkeit Dritter Rechnung tragenden „abgestuften und gleitenden […] Übergang von Grund­rechtsbindung zu Grundrechtsberechtigung“ zu bewirken.128 Diese These lässt sich nach den bis­ herigen Ausführungen bestätigen. So wurde gezeigt, dass den Grundrechten ne­ ben ihrer Funktion als Abwehrrechte gegenüber dem Staat weitere Schutzwir­ kungen zukommen. Insbesondere entfalten sie zwischen den sich auf der Ebene der Gleichordnung begegnenden Rechtssubjekten eine über die Figur der grund­ rechtlichen Schutzplichten vermittelte (mittelbare) Wirkung. Indem die Grund­ rechte so Einfluss auch auf die Privatrechtsbeziehungen haben, steht fest, dass die Frage nach der (unmittelbaren) Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung „nicht mehr über ein Alles-oder-nichts an Grundrechtsgeltung entscheidet“.129 Vielmehr können die mit der Funktion der grundrechtlichen Schutzpflichten dogmatisch erklärbaren mittelbaren Grund­ rechtswirkungen „Auffangfunktionen wahrnehmen, wo im Grenzbereich von Staat und Gesellschaft öffentliche Wirtschaftstätigkeit aus der unmittelbaren Grundrechtsbindung herausfällt, und so einen den gleitenden Übergängen ange­ messenen abgestuften Grundrechtsschutz sicherstellen“.130 Sie schließen damit die in der Privatisierungsdiskussion vielfach beklagte Schutzlücke,131 die durch das Entfallen der unmittelbaren Grundrechtsbindung für die grundrechtlichen Positio­ nen Dritter droht, deren Schutzbedürftigkeit ja auch in dem privatisierten Umfeld vielfach unverändert fortbesteht, wie etwa das Grundrecht der Versammlungs­ freiheit im privatisierten öffentlichen Raum unterstreicht.132 Erst diese Gesamt­ 128

So Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 46, 51 f.; vgl. auch Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 3 Abs. 1 Rn. 511, wonach die „mittelbare Grundrechtsgeltung […] in zahllosen Abstufungen“ auftritt, wobei die „Skala, von (im Ergebnis) weitgehender Annäherung an die volle Grundrechtsbindung […] bis zur unteren Grenze, wo die mittelbare Grundrechtsbindung sich praktisch kaum mehr auswirkt“ reicht. 129 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 50; so auch Spannowsky, ZHR 160 (1996), S. 560, 571 f. 130 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 50 u. 46; diese Auffangfunktion der Ausstrahlungswirkung bzw. der grundrechtlichen Schutzpflichten wird v. a. im Zusammenhang mit Art. 10 GG bzw. generell in Bezug auf den privatisierungsbe­ dingten Wandel der Grundrechte relevant und diskutiert: vgl. dazu Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 10 Rn. 48 ff.; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 10 Rn. 35 ff., 61 ff,; Groß, JZ 1990, S. 326 ff.; Müller-Dehn, DÖV 1996, S. 863 ff.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 449 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042, 1048 ff. sowie ausführlich J. IV. 3. und J. VI. 3. 131 Dies gilt angesichts der gesteigerten Drittwirkung der Grundrechte infolge der Privati­ sierungsfolgenverantwortung des Staates (vgl. hierzu J. VI. 3.) auch trotz der für den Regelfall bestehenden schwächeren Schutzwirkung der mittelbaren Drittwirkung (vgl. dazu sogleich). 132 Vgl. zu der Gefahr einer Schutzlücke infolge der Privatisierung etwa Windthorst, ­VerwArch. 95 (2004), S. 377, 390 f.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 6, 449 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042, 1049 f.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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betrachtung der – im dogmatischen Ausgangspunkt klar zu trennenden – Pro­ blematik um die Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung und der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte macht die oben vertretene These von der Notwendigkeit einer strikten Grenzlinie, jen­ seits derer die Grundrechtsbindung zu verneinen ist, mit Blick auf den Grund­ rechtsschutz Dritter überhaupt erst akzeptabel und ergibt so insgesamt ein auch für die Praxis „befriedigendes Bild“.133 b) Die Unterschiede von mittelbarer und unmittelbarer Grundrechtsbindung Die soeben getroffenen Aussagen zur Auffangfunktion mittelbarer Grundrechts­ wirkungen mögen zu der Fehlvorstellung führen, dass nicht nur die Frage nach der unmittelbaren Grundrechtsbindung juristischer Personen des Privatrechts bei staatlicher Beteiligung, sondern letztlich auch die Frage nach der unmittelbaren oder mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte völlig bedeutungslos ist, da die über die Schutzpflichtenfunktion vermittelte (mittelbare) Drittwirkung im Ergeb­ nis zu einem gleichen Schutzniveau führt wie die unmittelbare.134 In der Tat wur­ den im Laufe der Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte immer wie­ der Stimmen in dieser Richtung laut, wenn es etwa heißt, dass beide Formen der Grundrechtsgeltung (mittelbare und unmittelbare) vielfach zu den gleichen Er­ gebnissen kommen135 oder aber wenn festgestellt wird, dass es sich dabei über­ haupt nur noch um ein „Formulierungsproblem“ handele.136 Zuletzt kamen sol­ che Tendenzen im Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, in dem das Gericht im Wege eines obiter dictum feststellte, dass sich mittelbare und unmittelbare Grundrechtsbindung in ihrem Umfang nahe- oder auch gleich­ kommen können.137 133

So auch Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 43, 46. Vgl. zu diesem möglichen „Fehlschluß“ wiederum sehr präzise Möstl, Grundrechts­ bindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 42, 52. Eine solche (Fehl-)Vorstellung fin­ det sich etwa bei Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, 11. Aufl. (Vorauflage), Art. 1 Rn. 40, 58 sowie Kämmerer, DVBl. 2008, S. 1005, 1010. 135 Zu dieser These von der „Ergebnisäquivalenz“ der verschiedenen Drittwirkungskonstruk­ tionen: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 483 f.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1, 10; Starck, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn.  307 f.; Christensen/Fischer-Lescano, Das Ganze des Rechts, 2007, S. 17 sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 I 4, S. 1531 und S. 1550. 136 So Säcker, in: ders./Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 6. Aufl., 2012, Einl. Rn. 66. 137 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248 f. Zuvor bereits wur­ den Ansätze in dieser Richtung bei BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166, 182 f., gesehen (so Durner, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 10 Rn. 112). 134

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Diese – freilich zugespitzt bezeichnete – „These von der Entbehrlichkeit un­ mittelbarer Grundrechtsbindung“138 verkennt jedoch nicht nur den prinzipiellen Vorrang der Abwehrfunktion der Grundrechte vor allen anderen Grundrechts­ dimensionen,139 sondern auch die substantiellen Unterschiede beider Aspekte der Grundrechtswirkung:140 Während die grundrechtlichen Schutzpflichten und die Ausstrahlungswirkung wie bereits dargelegt notwendig gesetzesmediatisiert sind und daher eine gesetzgeberische Regelung zur Ausgleichung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen fordern, wirkt das abwehrrechtliche Ein­ griffsverbot verfassungsunmittelbar und erst ein den Anforderungen des Geset­ zesvorbehalts gerecht werdendes Gesetz erlaubt den Eingriff in die jeweils grund­ rechtsgeschützte Sphäre. Neben dieser grundlegend unterschiedlichen Rolle des Gesetzes unterscheiden sich beide Formen der Grundrechtsbindung vor allem aber auch in der unterschiedlichen Intensität und Wirkkraft des Grundrechts­ schutzes, den sie gewährleisten: Denn wenn sich auch mit der mittelbaren Grund­ rechtsbindung im Einzelfall unter bestimmten Umständen ein der unmittel­baren Grundrechtsbindung vergleichbares Schutzniveau erreichen lässt,141 so kommt ihr doch zumindest für den Regelfall wesensbedingt eine schwächere Wirkkraft zu.142 Grund ist, dass der Gesetzgeber oder aber (subsidiär) der Gesetzesanwender im Rahmen seiner Schutzpflicht einen Ausgleich zwischen zwei sich auf der Ebene der Gleichordnung begegnender Privatpersonen herstellen muss, von denen sich jede auf sie schützende Grundrechte sowie auf den Grundsatz der Privatauto­ nomie berufen kann. Diese Kollision zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen zweier grundrechtsberechtigter Beteiligter verlangt nicht nur die schon mehrfach angesprochene Gesetzesmediatisierung, sondern sie bringt typischer­ weise auch ein niedrigeres Schutzniveau mit sich als im Falle einer unmittel­ baren, absolut wirkenden Geltung der Grundrechte wie sie in der bipolaren StaatBürger-Beziehung besteht. Schließlich folgt auch aus dem bereits dargestellten weiten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Erfüllung der primär ihm ob­liegenden Schutzpflicht ein begrenztes Maß an Justiziabilität und damit 138

So die Bezeichnung von Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 62 Fn. 139. 139 Hierzu H. II. 2. 140 Hierauf weisen etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 415 f.; Rüfner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 103 ff., 108 sowie Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. III/1, § 76 III 3, S. 1556 hin; vgl. aber auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 249 sowie zum Folgenden abermals Möstl, Grundrechtsbindung öffent­ licher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 52 ff. 141 Vgl. hierzu näher J. VI. 3. 142 So z. B. Stern, in: ders. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, § 76 III 2, S. 1553 f.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 3 Abs. 1 Rn. 512 sowie v. a. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 52 f. Ebenfalls für eine im Regelfall schwächere Wirkkraft mittelbarer Grundrechtsbin­ dungen: Windthorst, VerwArch. 95 (2004), S. 377, 391 f.; Kämmerer, Privatisierung, 2001, S.  449 ff., 453 f.; ders., JZ 1996, S. 1042, 1049.

II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte II. Vorüberlegung: Die Drittwirkung der Grundrechte

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eine Durchsetzungsschwäche der Wirkkraft grundrechtlicher Schutzfunktionen im Ver­gleich zum Abwehrrecht.143 Angesichts dieser „kategorialen Verschiedenheit“144 ist an der Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Grundrechtsbindung ebenso wie an der Diffe­ renzierung von mittelbarer und unmittelbarer Drittwirkung trotz der sich im Ein­ zelfall durchaus nahekommen könnenden Grundrechtswirkungen festzuhalten. c) Die Berücksichtigung einer etwaigen staatlichen Beteiligung im Rahmen der mittelbaren Grundrechtsbindung? Im Zusammenhang mit dem Umfang bzw. der Reichweite der Wirkkraft mittel­ barer Grundrechtswirkungen ist noch auf einen letzten Aspekt einzugehen, näm­ lich auf die Frage, ob es besonders zu berücksichtigen ist, wenn an einer nicht un­ mittelbar grundrechtsgebundenen juristischen Person des Privatrechts der Staat beteiligt ist. Insofern müsste im Folgenden weiter differenziert werden zwischen jenen privaten öffentlichen Räumen, die im Eigentum einer juristischen Person des Privatrechts stehen an denen nur private Rechtssubjekte beteiligt sind (sog. materiell privater öffentlicher Raum), und jenen, die im Eigentum eines gemischt­ wirtschaftlichen Unternehmens stehen, wobei mangels staatlicher Entscheidungs­ herrschaft aber keine unmittelbare Grundrechtsbindung angenommen werden kann (sog. materiell privatisierter öffentlicher Raum). Ansätze für eine solche differenzierte Behandlung finden sich bei Dürig so­ wie in der älteren Rechtsprechung, wonach es bei der Auslegung der General­ klauseln des Zivilrechts besonders zu berücksichtigen sei, dass nicht irgendein „normaler“ Privatmann, sondern gerade die öffentliche Hand handele bzw. betei­ ligt sei, die insofern weniger frei sei und einer gesteigerten Pflichtenbindung un­ terliege.145 Gegen diese Auffassung wurde aber bereits zu Recht eingewandt, dass wenn man eine juristische Person bei staatlicher Beteiligung der nicht unmittelbar grundrechtsgebundenen privaten Sphäre zuordnet, diese dann auch konsequen­ terweise wirklich wie einen Privaten zu behandeln habe.146 Eine besondere Be­ rücksichtigung der Beteiligung der öffentlichen Hand im Rahmen der mittelbaren Grundrechtsbindung wäre insofern widersprüchlich und würde die oben darge­ legte strikte Trennung von Staat und Gesellschaft in bedenklicher Weise ver­ wässern. Zwar ist wie noch näher gezeigt wird bei der Auslegung der zivilrecht­ lichen Normen im Einzelfall durchaus eine besondere wirtschaftliche oder soziale Machtstellung der Beteiligten (etwa des Hausrechtsinhabers) zu berücksichtigen, 143

So statt vieler Callies, JZ 2006, S. 321, 324 sowie Kämmerer, JZ 1996, S. 1042, 1049. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 52. 145 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 3 Abs. 1 Rn. 475 ff., v. a. 500 f., 512; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.1980, U (Kart) 8/79 = DÖV 1981, S. 537 ff.; in dieser Rich­ tung wohl auch aus jüngerer Zeit Mikesic, NVwZ 2004, S. 788, 791. 146 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 54. 144

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doch ist dieser Aspekt nicht abhängig davon, ob die öffentliche Hand an dem je­ weiligen Unternehmen beteiligt ist oder nicht. Daher ist eine besondere Berück­ sichtigung der staatlichen Beteiligung an einer juristischen Person des Privat­ rechts abzulehnen.147 5. Ergebnis und weiterer Fortgang der Untersuchung Die Ausführungen haben gezeigt, dass den Grundrechten auch im Verhält­ nis der Bürger untereinander eine Wirkung zukommt. Diese Wirkung ist nach absolut herrschender Meinung eine mittelbare, das heißt eine über die Begriffe und Generalklauseln des Zivilrechts vermittelte Bindung an die grundrechtli­ chen Wertungen. Während dies lange Zeit mit der sog. Ausstrahlungswirkung be­ gründet wurde, lässt sich dies nach der hier vertretenen Auffassung dogmatisch über­zeugender mit der Figur der grundrechtlichen Schutzpflicht erklären. Das Bestehen dieser mittelbaren Grundrechtswirkungen macht die Frage nach der un­ mittelbaren Grundrechtsbindung privatrechtlich organisierter Unternehmen bei staatlicher Beteiligung ebenso wie die Abgrenzung von mittelbarer und unmit­ telbarer Drittwirkung nicht sinnlos und überflüssig, da diese „in Wirkungsweise und Wirkkraft hinter der andersartigen unmittelbaren Bindung“ zurückbleibt.148 Eine besondere Berücksichtigung der Beteiligung der öffentlichen Hand an einem privatrechtlichen Unternehmen im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung wurde abgelehnt. Vor diesem grundrechtsdogmatischen Hintergrund geht es im Folgenden kon­ kret um die Frage, ob und wie ein effektiver Schutz des Grundrechts der Ver­ sammlungsfreiheit trotz Fehlens einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn in dieser Konstellation erreicht werden kann. Führt das Entfallen der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn zu einem Verlust des Grund­ rechtsschutzes der Demonstranten oder jedenfalls zu einer merklichen Einbuße an grundrechtlicher Wirkkraft oder lässt sich vielleicht der Schutzbedürftigkeit der Demonstranten auch in dieser Konstellation dogmatisch überzeugend Rech­ nung tragen? Zurückzuweisen sind zunächst etwaige prinzipiell vorstellbare Versuche die Problematik dadurch zu entschärfen, dass man bereits die Entstehung privater öf­ fentlicher Räume vermeidet, indem man ein Verbot der materiellen Privatisierung solcher für Demonstranten besonders relevanter Räume kreiert.149 Ebenso falsch wäre es, die Schutzlücke durch eine sehr weitgehende Interpretation der unmittel­ 147

Wie hier Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 54 f. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 55. 149 In dieser Richtung etwa Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 89. Gegen ein Privati­ sierungsverbot aus Grundrechten dagegen statt vieler Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 266, 293 Fn. 107. 148

III. Das Problem der Inanspruchnahme fremder Räume in dieser Konstellation III. Das Problem der Inanspruchnahme fremder Räume in dieser Konstellation

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baren Grundrechtsbindung i. S. v. Art. 1 Abs. 3 GG schließen zu wollen. So wurde gezeigt, dass lediglich im Falle einer Beherrschung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens durch die öffentliche Hand ein so enger Bezug zur Verwaltung be­ steht, dass eine unmittelbare Grundrechtsbindung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG angenommen werden kann. Eine Ausdehnung der Grundrechtsbindung etwa auf alle privatrechtlich organisierten Unternehmen an denen der Staat in irgendeiner Weise beteiligt ist würde zwar die Schutzlücke des Art. 8 GG verringern, doch wäre diese nicht mit den oben dargelegten Grundlagen der Grundrechtsbindung zu vereinbaren. Vielmehr ist die Frage der Grundrechtsbindung nach den allge­ meinen Kriterien der Grundrechtsdogmatik zu lösen, ohne eine Sonderbereichs­ dogmatik für einzelne Grundrechte oder Problemkreise zu kreieren. Näherer Betrachtung verdienen jedoch Versuche Art. 8 GG in diesen Fällen ausnahmsweise eine unmittelbare Drittwirkung zuzusprechen bzw. die Annahme einer den Hausherrn treffenden Grundpflicht aus Art. 14 Abs. 2 GG. Gleiches gilt für die im Falle der Verneinung beider vorgenannter Ansätze in Betracht kom­ mende mittelbare Drittwirkung, der ja wie gezeigt gerade eine Auffangfunktion in den Fällen zukommt, in denen eine unmittelbare Grundrechtsbindung entfällt.

III. Das Problem der Inanspruchnahme fremder Räume in dieser Konstellation Bevor daran gegangen werden soll, die in dieser Konstellation sich anbietenden Schutzmöglichkeiten des Grundrechts der Versammlungsfreiheit näher zu unter­ suchen, muss kurz ein Blick darauf gerichtet werden, ob die oben ausführlich dar­ gelegte Problematik der Inanspruchnahme fremder Räume zu Versammlungs­ zwecken in dieser Konstellation eine abweichende Bewertung verlangt. Angesichts des völlig veränderten grundrechtsdogmatischen Hintergrunds der vorliegenden Konstellation und des damit einhergehenden Nichteingreifens der Grundrechte als Abwehrrechte stellt sich diese Frage von vornherein nur im Hinblick auf die Reichweite des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit bei Inanspruchnahme fremder Räume. Anlass für eine erneute und gegebenfalls veränderte Betrachtung der Problema­ tik könnte allein die Tatsache bieten, dass es hier um die Inanspruchnahme von Grundflächen geht, die im ihrerseits grundrechtlich geschützten Privateigentum Dritter stehen, es sich mit anderen Worten um eine „echte“ Grundrechtskollision handelt.150 Doch rechtfertigt dieser Umstand keine abweichende Stellungnahme. Die Ausführungen im Zusammenhang mit der Problematik um die Reichweite des Schutzbereichs des Grundrechts der Versammlungsfreiheit haben ergeben, dass der als reinen Konstruktionstheorie verstandenen weiten Schutzbereichstheorie 150 Vgl. zur Unterscheidung von „echter“ und „unechter“ Grundrechtskollision Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 212.

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der Vorzug vor allen Versuchen eines einengenden Schutzbereichsverständnisses zukommt. Da die hierfür angeführten Gründe unabhängig davon gelten, ob sich der Hausrechtsinhaber auf seine eigene Grundrechtspositionen berufen kann, das heißt ob es sich um eine „echte“ oder eine „unechte“ Grundrechtskollision han­ delt, gewährt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch in dieser Konstel­ lation ein prima facie geschütztes Recht auf Inanspruchnahme fremder Räume. Damit stellt sich die Problematik hier nicht vor einem anderen Licht, so dass sich eine erneute Betrachtung erübrigt. Im Folgenden kann nun daher das Augenmerk auf die Schutzmöglichkeiten des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in die­ ser Kollision zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn gerichtet werden.

IV. Ausnahmsweise unmittelbare Bindung an Art. 8 GG? Nach dem traditionellen Verständnis entfalten die Grundrechte im Allgemei­ nen,151 aber auch Art. 8 GG im Speziellen grundsätzlich keine unmittelbare Dritt­ wirkung.152 Denkbar wäre jedoch im vorliegenden Zusammenhang die Anerken­ nung einer Ausnahme von dieser Absage einer unmittelbaren Drittwirkung, wobei es dabei nicht um eine geschriebene (vgl. etwa Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG), sondern um eine auf anderen Gründen beruhende Ausnahme handelt. 1. Funktionaler Ansatz: Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie Grundlage eines (ausnahmsweisen) grundrechtsunmittelbaren Anspruchs aus Art. 8 GG gegenüber rein Privaten könnte zunächst eine funktionale Betrachtung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit sein. Angesichts der insbesondere vom Bundesverfassungsgericht betonten überragenden Bedeutung der Versammlungs­ freiheit in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen153 könnte man die These vertreten, dass erst die Anerkennung einer unmittelbaren Drittwirkung die Demonstranten in die Lage versetzt, dieser ihr zugedachten Rolle gerecht zu wer­ den.154 Hiergegen spricht jedoch neben den an anderer Stelle bereits dargelegten 151

Näher hierzu J. II. 3. a). So etwa Gallwas, JA 1986, S. 484, 485; Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV, § 106 Rn. 83 sowie Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Bd. I, Art. 8 Rn. 43. 153 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343 ff. 154 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979, 2 BvR 154/78 = BVerfGE 50, 234, 240 sowie BVerfG, Urt. v. 24.1.2001, 1 BvR 2623/95, 622/99 = BVerfGE 103, 44, 59, wo ein solcher Ansatz an­ klingt, der dann von der Literatur aufgegriffen und für Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG näher disku­ tiert wird (vgl. Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 209 ff. m.w.N). Diese Überlegungen erinnern stark an die Aussagen von Nipper­dey, RdA 1950, S. 121, 124. 152

IV. Ausnahmsweise unmittelbare Bindung an Art. 8 GG? IV. Ausnahmsweise unmittelbare Bindung an Art. 8 GG?

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grundsätzlichen Bedenken gegen eine Funktionalisierung der Grundrechte,155 die ambivalente (Ideen-)Geschichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit,156 die jede einseitige Betrachtung zweifelhaft erscheinen lässt. Zudem verbleiben die allgemeinen Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Eine ausnahmsweise unmittelbare Grundrechtsbindung würde nicht nur quer zur allgemeinen Grundrechtsdogmatik stehen, nach der eine unmittelbare Grund­ rechtsbindung eben gerade nicht vorgesehen ist. Sondern sie wäre auch mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar, da sich Art. 8 GG primär als Abwehrrecht gegen den Staat wendet, den Gedanken einer unmittelbaren Ein­ wirkung auf die privatrechtliche Beziehungen hingegen nicht enthält. Damit kann also allein der Umstand, dass Demonstrationen – was auch hier nicht bestritten wird – von elementarer Bedeutung für die Demokratie sind, nichts an diesem aus grundrechtsdogmatischen Gründen bestehenden Ergebnis ändern und zu einer unmittelbaren Drittwirkung führen. Schließlich würde eine solche Argumenta­ tion auch zwei verschiedene Aspekte miteinander vermengen, nämlich die Bedeu­ tung oder Funktion des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und die den De­ monstranten zustehenden Rechte.157 Ein Schluss von der Funktion auf das Recht verkennt nicht nur, dass sich Rechte gegenüber Privaten nicht unmittelbar aus den Grundrechten ergeben, sondern ist auch ähnlichen Einwänden ausgesetzt, wie das aus dem Verwaltungsrecht bekannte Verbot eines Schlusses von der Aufgabe auf die Kompetenz. Damit ist dieser Ansatz einer ausnahmsweisen unmittelbaren Drittwirkung abzulehnen. 2. Die (Bedeutungs-)Zunahme privater öffentlicher Räume Als weiterer Grund für die Annahme einer ausnahmsweisen unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn wird die (Bedeutungs-)Zunahme privater öffentlicher Räume genannt.158 So habe diese Entwicklung zu solchen Risiken für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geführt, dass die von den privaten Hausrechtsinhabern herbeigeführten Gefährdungen jenen im Staat-Bürger-Ver­ hältnis glichen, so dass qua „Strukturanalogie“ von privater und staatlicher Macht eine unmittelbare Grundrechtsbindung an Art. 8 GG anzunehmen sei. Begrün­ det werden solche Versuche im Wege einer „rechtsvergleichenden Plausibilitäts­ kontrolle“ mit Überlegungen im US-amerikanischen Verfassungsrecht, private

155

D. I. 1. und D. II. 3. d). D. I. 157 So auch Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massen­ medien?, 2010, S. 212 bzgl. des Vorschlags einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. 158 Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1394 f. („Die Grundrechte können […] auch im Privatrechtsverkehr unmittelbare subjektive Rechte gegenüber anderen Privatperso­ nen vermitteln“). 156

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Betreiber von Shopping Malls, Flugverkehrsanlagen etc. unter bestimmten Vor­ aussetzungen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung zu unterwerfen.159 Gegen solche zu Recht vereinzelt gebliebene Tendenzen in der Literatur spre­ chen aber nicht nur die bereits mehrfach dargelegten grundsätzlichen Einwände gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte, sondern auch, dass es nach der hier vertretenen Auffassung einer solchen unmittelbaren Grundrechts­ bindung des Hausherrn gar nicht bedarf, um den sich aus dieser Entwicklung er­ gebenden Gefährdungen für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu be­ gegnen. Denn wie bereits angedeutet160 und an anderer Stelle ausführlich gezeigt werden wird,161 bilden die mittelbare Drittwirkung bzw. die Konzeption staat­ licher Schutzpflichten „einen geeigneten Hebel […], um den Grundrechten in den Rechtsbeziehungen Privater Geltung zu verschaffen“.162 Die grundrechtliche Schutzbedürftigkeit bzw. die besondere wirtschaftliche oder soziale Macht des privatrechtlichen Rechtssubjekts allein sind daher kein Argument für die An­ erkennung einer zur allgemeinen Grundrechtsdogmatik quer stehenden unmittel­ baren Drittwirkung mit all seinen Folgeproblemen.163 3. Gefahr der Minderung des Grundrechtsschutzes infolge Privatisierung Eine letzte, vereinzelt gebliebene Ansicht einer ausnahmsweisen unmittel­baren Grundrechtsbindung, die einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll, knüpft an die zahlreichen Privatisierungen von Staatsaufgaben in den vergan­ genen Jahren an, wodurch die Drittwirkungsproblematik eine „neue Dimension“ erhalten habe.164 Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben habe dazu geführt, dass die unmittelbare Grundrechtsverpflichtung der öffentlichen Hand nach Art. 1 Abs. 3 GG stark geschrumpft sei, was in der Folge einen Verlust des Grundrechts­ schutzes der Bürger mit sich gebracht habe, dem man mit einer (ausnahms­weisen) „Aufrechterhaltung der unmittelbaren Grundrechtsbindung“ begegnen müsse.165 Der Bürger müsse sich gegenüber solchen privaten Trägern unmittelbar auf die Grundrechte berufen können, da ansonsten seine Rechte und Interessen nicht aus­ reichend geschützt werden könnten.

159

Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, S. 1393, 1394 f. (insb. Fn. 17); vgl. dazu auch Gurlit, NZG 2012, S. 249, 250 m. w. N. zur Rechtsprechung des Supreme Courts. 160 Vgl. J. II. 4. a). 161 Vgl. J. VI. 3. 162 So Gurlit, NZG 2012, S. 249, 250. 163 So auch z. B. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 50, der diesen Aspekt aber im Rahmen der „Ausstrahlungswirkung“ berücksichtigen will (vgl. Rn. 58). 164 Skouris, in: FG Tsatsos, 2000, S. 91 ff., 92. 165 Skouris, in: FG Tsatsos, 2000, S. 91, 93 f.

V. Grundpflicht aus Art. 14 GG? V. Grundpflicht aus Art. 14 GG?

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Diesem Ansatz ist zunächst sicherlich insofern zuzustimmen, als dass die um­ fassenden Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte eine spezifische Betrach­ tung der Drittwirkungsdiskussion verlangen, da diese Entwicklung dazu geführt hat, dass Grundrechtsgefährdungen dadurch in (noch) zunehmendem Maße von pri­ vaten Rechtssubjekten ausgehen.166 Die an diese (zutreffende) Diagnose geknüpfte Konsequenz einer ausnahmsweisen unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte vermag dagegen nicht zu überzeugen. Denn diese Ansicht geht ebenso wie der vo­ rangehende Erklärungsversuch davon aus, dass die „mittelbare Drittwirkung nicht immer angemessene Lösungen garantiert“,167 das heißt defizitär und nicht ausrei­ chend ist, um die auch nach der Privatisierung verbliebene Schutz­bedürftigkeit des jeweiligen Grundrechtsträgers zu garantieren. Dass die mittelbare Drittwirkung bzw. die Figur der grundrechtlichen Schutzpflichten durchaus in der Lage ist, einen effektiven Schutz der Versammlungsfreiheit trotz privatisierungsbedingten Entfal­ lens der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn zu gewährleisten, wurde bereits angedeutet und wird auch an anderer Stelle168 ausführlich weiter ausgeführt. Festzuhalten ist an dieser Stelle daher, dass auch die in Folge der Privatisierung drohende Minderung des Grundrechtsschutzes keine mit der allgemeinen Grund­ rechtsdogmatik brechende unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte verlangt. Die Ausführungen haben damit insgesamt gezeigt, dass dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Einklang mit der allgemeinen Grundrechtsdogmatik auch in der vorliegenden Konstellation keine unmittelbare Wirkung zukommt, auch nicht ausnahmsweise.

V. Grundpflicht aus Art. 14 GG? Ein etwaiges unmittelbares Recht auf Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum könnte sich jedoch aus der Sozialbindung des Eigen­ tums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG ergeben. Hier heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Die Vorstel­ lung, dass den Hausherrn angesichts seiner Öffnung des Raumes für die All­ gemeinheit eine Pflicht trifft Demonstrationen zu dulden, könnte grundrechts­ dogmatisch aus dem Gesichtspunkt einer Grundpflicht resultieren.169 166 So auch Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 450, 459, der ebenfalls von einer privatisie­ rungsbedingten gewandelten Dimension privaten grundrechtswesentlichen Handelns spricht und insofern eine modifizierte Betrachtung der Drittwirkungsfrage fordert. 167 Skouris, in: FG Tsatsos, 2000, S. 91, 98. 168 Vgl. J. VI. 3. 169 Dieser Ansatz wird bei Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 214 f. im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG diskutiert. Zu den Grundpflichten insgesamt: Starck, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grund­ gesetz, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 197; Hofmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 195; Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 305 ff.

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Hiergegen spricht jedoch, dass das Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung in der Anerkennung von Grundpflichten sehr zurückhaltend ist. Der rechtsstaatlichen Verfassung des Grundgesetzes ist es, wie die Ausfüh­ rungen im Rahmen der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gezeigt ha­ ben, fremd, Privaten unmittelbar Rechtspflichten aufzuerlegen. Vielmehr bedarf es hierfür eines hinreichend bestimmten parlamentarischen Gesetzes.170 Dies gilt insbesondere auch für die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG trotz der in Abs. 2 ge­ regelten Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Die zunächst auch vom Bundesverfas­ sungsgericht vertretene Auffassung, wonach Art. 14 Abs. 2 GG eine Grundpflicht sei, die den Eigentümer „unmittelbar“, das heißt auch ohne spezialgesetzliche Re­ gelung bzw. Konkretisierung verpflichte, wird heute zu Recht überwiegend kaum noch vertreten.171 Denn zum einen fehlt es der Norm des Art. 14 Abs. 2 GG an der Befehlsklarheit, da sie nicht zu erkennen gibt, wozu das Eigentum den Adres­ saten denn im Einzelfall konkret verpflichtet und zum anderen würde eine sol­ che unmittelbare Inpflichtnahme des Bürgers zu einer „Ausschaltung der Legis­ lative“ und damit des parlamentarischen Verfahrens einschließlich des Vorbehalts des Gesetzes führen.172 Daher betont mittlerweile auch das Bundesverfassungs­ gericht im Einklang mit der herrschenden Meinung, dass sich Art. 14 Abs. 2 GG an den Gesetzgeber wendet, dessen Aufgabe es ist, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums „in operationable Rechtspflichten für den Bürger“ umzusetzen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG).173 Art. 14 Abs. 2 GG ist dementsprechend lediglich „Prototyp einer Verfassungserwartung“174, ein „moralischer Appell“ an die Grundrechts­ träger175 und scheidet daher als Grundlage einer Duldungspflicht des Hausherrn

170 Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 5 Rn. 24 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 Abs. 3 Rn. 197. 171 So BVerfG, Beschl. v. 17.11.1966, 1 BvL 10/61 = BVerfGE 20, 351, 361 sowie aus der heutigen Literatur Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 66 ff. Für die mittlerweile herrschende Ablehnung einer Grundpflicht aus Art. 14 GG jeweils m. w. N.: Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 212 ff.; Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 214 f.; Axer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 14 Rn. 25; Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 305 ff.; Kopp, NJW 1994, S. 1753, 1756. 172 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 214; Papier, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 305 f. 173 So die treffende Formulierung von Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 216; BVerfG, Urt. v. 10.3.1981, 1 BvR 92/71 = BVerfGE 56, 249, 260; BVerfG, Beschl. v. 15.10.1996, 1 BvL 44, 48/92 = BVerfGE 95, 64, 84. 174 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 204 ff., 212 ff. 175 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. I, Art. 14 Rn. 199, 201; ähnlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 190 Rn. 217.

VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion

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aus. Damit besteht also kein grundrechtsunmittelbares Recht auf Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum aus der Sozialbindung des Eigen­tums unter dem Gesichtspunkt einer Grundpflicht.

VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion – Die Drittwirkung von Grundrechten im privaten öffentlichen Raum Nachdem weder eine unmittelbare Drittwirkung noch eine etwaige Grund­ pflicht aus Art. 14 Abs. 2 GG ein grundrechtsunmittelbares Nutzungsrecht ge­ genüber dem rein privaten Hausherrn begründen können, stellt sich die Frage, ob und falls ja, in welchem Umfang ein solches Recht auf der Grundlage der Theo­ rie von der mittelbaren Drittwirkung bzw. aus dem Gedanken einer entsprechen­ den staatlichen Schutzpflicht gewährt werden kann. Zur Beantwortung dieser bis­ her noch nicht näher wissenschaftlich untersuchten Fragestellung176 muss zunächst geklärt werden, welche Schutzwirkungen das Grundrecht der Versammlungsfrei­ heit überhaupt entfaltet bevor der mögliche Ansatzpunkt einer über die Figur der grundrechtlichen Schutzpflicht vermittelten mittelbaren Grundrechtswirkung un­ tersucht werden kann. Schließlich stellt sich auch die (schwierige) Frage nach der Intensität der Drittwirkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit im priva­ ten öffentlichen Raum. 1. Die Grundrechtswirkungen des Art. 8 GG Betrachtet man also zunächst Art. 8 GG mit Blick auf die ihm zukommen­ den Grundrechtsdimensionen, so gilt es im Ausgangspunkt festzuhalten, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Übereinstimmung mit den anderen Frei­ heitsgrundrechten ein klassisches liberales Abwehrrecht ist, das in dieser Stoß­ richtung auf den Schutz gegen Beeinträchtigungen von Seiten der öffentlichen Gewalt gerichtet ist.177 Neben dieser (primären) Abwehrfunktion ist Art. 8 GG aber auch eine objektive Grundsatznorm, der objektive Grundrechtsgehalte zu­ kommen.178 Hieraus folgt insbesondere die Verpflichtung aller grundrechtsgebun­ 176 Andeutungsweise und kaum über die Wiedergabe der Rspr. des BVerfG im FraportUrteil hinausgehend Wendt, NVwZ 2012, 606 ff. sowie Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 102 ff. 177 BVerwG, Urt. v. 29.10.1992, BVerwG 7 C 34.91 = BVerwGE 91, 135, 138; BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 251; aus der Literatur statt aller Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 37 sowie Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV, § 106 Rn. 27 ff. 178 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 43; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233, 341/81 = BVerfGE 69, 315, 343; ferner z. B. Kniesel, NJW 1992, S. 857, 861 sowie Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 37.

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denen staatlichen Gewalt, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gegenüber Beeinträchtigungen nichtstaatlicher Dritter zu schützen. Diese grundrechtliche Schutzpflicht ist heute auch für Art. 8 GG allgemein anerkannt.179 Damit kommt dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit eine über die Schutzpflichtenfunk­ tion vermittelte Bedeutung für die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten zu, wie es das Bundesverfassungsgericht auch im Fraport-Urteil angedeutet hat.180 Inso­ fern zeigt sich also auch hier wieder das an anderer Stelle bereits dargelegte Kom­ plementärverhältnis von Abwehrrecht und Schutzpflicht: Während sich die Ver­ sammlungsfreiheit als klassisches Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen von Seiten des Staates richtet, entfaltet sie als objektives Prinzip Schutzwirkungen im Verhältnis zwischen nicht unmittelbar grundrechtsgebundenen Privatrechts­ subjekten. Erst das Zusammenspiel dieser beiden Grundrechtsfunktionen bewirkt einen umfassenden und allseitigen Schutz der Versammlungsfreiheit. 2. Möglicher Ansatzpunkt einer mittelbaren Drittwirkung Indem damit eine über die Schutzpflichtenfunktion dogmatisch erklärbare mit­ telbare Drittwirkung der Grundrechte auch bei dem Grundrecht der Versamm­ lungsfreiheit allgemein anerkannt ist, stellt sich die Frage nach dem Ansatzpunkt der grundrechtskonformen bzw. grundrechtsorientierten Auslegung des einfachen Rechts im vorliegenden Zusammenhang. Hierfür bietet sich in Parallele zur Blink­ füer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts181 das Merkmal der Rechtmä­ ßigkeit des § 1004 Abs. 2 BGB an.182 Dies beruht auf folgenden Gründen: Wie an anderer Stelle ausführlich dargelegt, kann sich der Hausherr gegen die nicht ab­ gestimmte Durchführung einer Demonstration im privaten öffentlichen Raum auf sein „Hausrecht“ berufen. Dogmatische Grundlage des privaten Hausrechts sind die §§ 858 ff., 903, 1004 BGB. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Abwehranspruch des Eigentümers aus § 1004 BGB zu. Dieser Anspruch ist nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung der Be­ einträchtigung verpflichtet ist. Dies hängt wie gezeigt in erster Linie davon ab, 179

Vgl. nur Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 8 Rn. 41; Gallwas, JA 1986, S. 484, 491; Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV, § 106 Rn. 33 ff. sowie Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, 2011, § 30 Rn. 30. 180 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248 ff.; Payandeh, JR 2011, S. 421, 423 f.; Wendt, NVwZ 2012, S. 606 ff; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 103 ff.; zuvor bereits Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 8 Rn. 40. Gegen eine Drittwirkung der Versammlungsfreiheit noch Samper, BayVBl. 1969, S. 77, 78 f. 181 BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969, 1 BvR 619/63 = BVerfGE 25, 256, 263. 182 Gleiches gilt für das Merkmal der „Widerrechtlichkeit“ im Rahmen des Anspruchs aus § 862 Abs. 1 BGB. Für § 1004 Abs. 2 BGB als „Einfallstor“ der Grundrechte auch Wendt, NVwZ 2012, 606; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 103 sowie in anderem Zusammen­ hang OLG Dresden, Urt. v. 7.4.2005, 9 U 263/05= NJW 2005, S. 1871 ff. und Gurlit, NZG 2012, S. 698, 699; anders, für § 903 BGB als Ansatzpunkt dagegen Mäsch, JuS 2012, S. 556, 557.

VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion

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ob die jeweilige Eigentumsbeeinträchtigung rechtmäßig ist. Eben dieses Merk­ mal der Rechtmäßigkeit ist hinreichend offen formuliert und daher als wertungs­ ausfüllungsfähiger und -bedürftiger Rechtsbegriff die „Einbruchstelle“ bzw. das „Medium“ für die grundrechtlichen Wertungen des Art. 8 GG einerseits und des Art. 14 GG andererseits. Es bietet damit den Ansatzpunkt für einen verhältnis­ mäßigen Ausgleich der konfligierenden Grundrechtspositionen durch den schutz­ pflichtverpflichteten Richter bzw. sonstigen Rechtsanwender im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zu entscheidenden Falles. 3. Die These von der gesteigerten Drittwirkung von Grundrechten im privaten öffentlichen Raum v. a. unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Privatisierungsfolgenverantwortung Nachdem nun der denkbare Ansatzpunkt einer mittelbaren Grundrechtswirkung geklärt wurde, stellt sich die Frage nach der Wirkkraft der aus Art. 8 GG entsprin­ genden Schutzpflicht, das heißt die Frage nach der Reichweite und Intensität der mittelbaren Grundrechtswirkung in der vorliegenden Konstellation. Wenn auch im Rahmen der abstrakten Überlegungen bereits festgehalten wurde, dass den durch die Funktion der Schutzpflicht vermittelten mittelbaren Grundrechtswirkungen wesensbedingt im Regelfall eine im Vergleich zur unmittelbaren Grundrechtsbin­ dung verminderte Schutzintensität zukommt, bedarf dieser Gesichtspunkt an die­ ser Stelle vor dem Hintergrund zahlreicher Vorschläge von Seiten der Literatur183 und der jüngst auch vom BVerfG obiter dictu vorgenommener Überlegungen,184 im Falle der privaten öffentlichen Räume eventuell eine gesteigerte Drittwir­ kung anzunehmen, nochmaliger Betrachtung. Es stellt sich daher die Frage, ob im Einzelfall eine solche gesteigerte, der unmittelbaren Grundrechtsbindung gleich- oder nahekommende Grundrechtswirkung angenommen werden kann, und falls ja, unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen Konstellationen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine solche gesteigerte Grundrechts­ wirkung abweichend von dem im Normalfall schwächeren Grundrechtsschutz in zwei Konstellationen anzunehmen, nämlich zum einen im Falle einer dem Staat vergleichbaren wirtschaftlichen und sozialen Mächtigkeit des Privatrechts­ subjekts, und zum anderen im Zusammenhang mit der den Staat in Folge der (materiel­len) Privatisierung treffenden Privatisierungsfolgenverantwortung. In Bezug auf eine gesteigerte Drittwirkung im Falle einer besonderen, dem Staat vergleichbaren wirtschaftlichen oder sozialen Machtstellung des Privat­ 183

So etwa Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 58 und Art. 8 Rn. 1, 16; wohl auch Kersten/Meinel, JZ 2007, S. 1127, 1131; Joite, Bucerius Law Journal 2011, S. 100, 102 ff., 105. 184 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248 f.

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rechtssubjekts befindet sich diese Ansicht im Einklang mit der wohl herrschen­ den Meinung im Schrifttum185 sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts.186 Demnach ist der Tatsache, dass von einem Privaten im Einzelfall eine ähnliche Gefahr ausgeht wie von der öffentlichen Gewalt, im Rahmen der grund­ rechtskonformen bzw. -orientierten Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Zivilrechts unter Abwägung der kollidierenden Grundrechten Rechnung zu tragen. Denn für den Bürger etwa, der Opfer von Lärmimmissionen ist, macht es keinen Unterschied, ob der Flugplatz, von dem sie ausgehen, sich in privater oder öffentlicher Hand befindet.187 Das Schutzbedürfnis ist in beiden Fällen gleich, weshalb sich mit der grundrechtlichen Schutzpflicht im Endeffekt ein dem Ab­ wehrrecht vergleichbares Schutzniveau erzielen lassen muss. Aber auch die zweite Ausnahme von der im Regelfall schwächeren Wirkkraft mittelbarer Grundrechtswirkungen kann an bereits bestehende Überlegungen in der Literatur188 sowie vor allem an die Stellungnahme des Bundesverfassungs­ gerichts im Fraport Urteil189 anknüpfen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Verflachung des Grundrechtsschutzes infolge der Privatisierung nicht im Wege einer ausnahmsweisen unmittelbaren Grundrechtsbindung190 aber auch nicht mit­ tels eines Privatisierungsverbots begegnet werden kann191, ist der Fokus auf das sog. Privatisierungsfolgenrecht bzw. die sog. Privatisierungsfolgenverantwortung des Staates zu richten.192 Demnach ist der Staat wenn er sich für eine Privatisie­ 185 Vgl. etwa Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 50, 196 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Vorauflage, Art. 3 Abs. 1 Rn. 511; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn. 357; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 249; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, § 197 Rn. 116. 186 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567/89 u. 1 BvR 1044/89 = BVerfGE 89, 214, 231 ff., 233 f.; BVerfG, Urt. v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84 = BVerfGE 81, 242, 256; wohl auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248, wonach „möglicherweise Private – etwa im Wege der mittelbaren Drittwirkung – […] ähnlich oder auch genauso weit durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditio­ nell der Staat“. 187 Beispiel nach Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IX, § 191 Rn. 249. 188 Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 198 ff.; Ernst, in: FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 79, 89; vgl. auch Gusy, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 10 Rn. 63, sowie Durner, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 10 Rn. 116 m. w. N., der jedoch im Ergebnis eine gesteigerte Drittwirkung ablehnt. 189 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248 f. 190 Vgl. J. IV. 3.  191 Vgl. J. II. 5. 192 Vgl. ausführlich zu der Figur des Privatisierungsfolgenrechts Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 423 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042, 1047 ff.; Burgi, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hand­ buch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, § 75 Rn. 26 ff. sowie Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 266 ff., v. a. S. 296.

VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion VI. Mittelbare Grundrechtswirkung als Auffangfunktion

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rung entscheidet auch nach dessen Vollendung in besonderem Maße verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass auch in dem neuen Umfeld die Grundrechtspositio­ nen ausreichend gewährleistet werden.193 Angesichts dieser fortwirkenden Garan­ ten- und Pflichtenstellung des Staates194 hat dieser bei der Auslegung und Anwen­ dung des Privatrechts im besonderen Maße die von der Privatisierung nachteilig betroffenen Grundrechtspositionen zu beachten. Die gesteigerte Privatrechtswir­ kung der Grundrechte erscheint bei dieser Betrachtung als eine Kompensation der privatisierungsbedingten Abschwächung des Grundrechtsschutzes Dritter. In dieser Linie liegt die obiter dicta vorgenomme Formulierung des Bundesver­ fassungsgerichts, wonach eine mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer un­ mittelbaren Grundrechtsbindung des Staates insbesondere dann „nahe oder auch gleich kommen“ könne, „wenn private Unternehmen […] in Funktionen ein­ treten, die […] früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren“.195 Damit kann festgehalten werden, dass nach der hier vertretenen Auffassung zwei Umstände, die sog. besondere soziale bzw. wirtschaftliche Mächtigkeit sowie der Aspekt der Privatisierungsfolgenverantwortung, zu einer Ausnahme von der im Regelfall schwächeren Wirkkraft mittelbarer Grundrechtswirkungen führen können. Da diese regelmäßig in Konstellationen der Durchführung einer Demons­ tration im privaten öffentlichen Raum vorliegen werden, kann in diesen Fällen im Regelfall von einer gesteigerten Drittwirkung des Grundrechts der Versamm­ lungsfreiheit ausgegangen werden. Der hiergegen grundsätzlich denkbare Ein­ wand, dass auf diese Weise unter dem Deckmantel einer gesteigerten mittelbaren Drittwirkung letztlich doch nichts anderes als eine unmittelbare Grundrechts­ bindung bzw. eine aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnende unmittelbare Drittwirkung vertreten werde („Hintertür-Argument“196), überzeugt nicht.197 So wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die hier vertretene Auffassung von der im Regelfall schwächeren Wirkkraft mittelbarer Grundrechtsbindung aus­ geht und insofern den kategorialen Unterschied beider Formen der Grundrechts­ geltung anerkennt. Lediglich in den beiden umrissenen Fällen kann im Einzelfall eine der unmittelbaren Grundrechtsbindung nahe- oder gleichkommende mittel­ bare Grundrechtsbindung bestehen.

193

Siehe Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 423, 449, wonach dem Staat der Schutz der Grundrechte als Staatsaufgabe zugewiesen sei; vgl. auch in Bezug auf Art. 10 GG z. B. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 827 sowie Müller-Dehn, DÖV 1996, S. 863, 869. 194 Vgl. hierzu wiederum näher Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 474 ff.; ders., JZ 1996, S. 1042, 1048 f.; diesen Terminus verwendet jetzt auch BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 248. 195 BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 249 f.; dem zustimmend Gurlit, NZG 2012, S. 698, 699. 196 Zum Begriff Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 176. 197 Zu diesem immer wieder vorgebrachten Einwand im Rahmen der Drittwirkungsdiskus­ sion Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 413.

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Einwände gegen das bisherige Ergebnis – Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn im Wege (gesteigerter) mittel­ barer Grundrechtswirkung innerhalb des Rechtmäßigkeitskriterium des § 1004 Abs. 2 BGB durch die rechtsanwendenden Staatsorgane – kommen dagegen aus einer anderen Richtung, nämlich aus der dem folgenden Abschnitt zugrundelie­ genden These, dass der (Landes-)Gesetzgeber aufgefordert ist die konfligierenden Interessen im Wege der Ergänzung des Versammlungsgesetzes auszugleichen.

VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts: Die Notwendigkeit des Ausgleichs des Spannungsverhältnisses durch den einfachen (Landes-)Gesetzgeber Die im Folgenden näher begründete These von der Notwendigkeit des Aus­ gleichs des Spannungsverhältnisses zwischen den konfligierenden Grundrechts­ positionen durch den (Landes-)Gesetzgeber betrifft das Verhältnis zwischen Zivilrichter und Gesetzgeber bei der Wahrnehmung der über die Figur der grund­ rechtlichen Schutzpflicht alle staatliche Gewalt treffende Aufgabe, „Grundrechte sinngemäß auch unter Privaten wirksam werden“ zu lassen.198 Es geht um die funktionell-rechtliche Frage199, ob das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in seiner Bedeutung für das Verhältnis von Demonstranten und privatem Hausherrn bereits im Wege der grundrechtskonformen Auslegung und Anwendung des Zi­ vilrechts durch den Richter zur Geltung gebracht werden kann, oder ob nicht viel­ mehr – wie hier die These lautet – der (Landes-)Gesetzgeber gefordert ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen herzustellen. 1. Begründung der Notwendigkeit der gesetzlichen Umsetzung Die hier vertretene These von der Notwendigkeit des Ausgleichs des Span­ nungsverhältnisses zwischen den widerstreitenden Grundrechtspositionen der De­ monstranten und des Hausherrn durch den parlamentarischen Gesetzgeber stützt sich maßgeblich auf drei Gesichtspunkte:

198 Höfling, NJW 1990, S. 1764, 1765. Vgl. auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigen­ ständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 73. Abzugrenzen ist dies von dem ebenfalls im Zusam­ menhang mit der „Drittwirkung“ diskutierten Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit (hierzu etwa Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 530, 551 ff.). 199 Der Ausdruck ist geprägt von Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfas­ sungsinterpretation, 1980, S. 4 ff.

VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts

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a) Gesetzgeber als primärer Adressat der Schutzpflicht Zunächst gilt die bereits an anderer Stelle als maßgeblicher Vorteil der über die Figur der grundrechtlichen Schutzpflichten vermittelten Drittwirkung der Grund­ rechte bezeichnete Tatsache, dass diese die Rolle des Gesetzgebers im Verhält­ nis zum Richter verstärkt betont.200 Dieser Vorzug ist vor allem vor dem Hin­ tergrund zu sehen, dass in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Dritt­wirkungsdiskussion (wieder) zunehmend eine Tendenz zum „Jurisdiktions­ staat“ erkannt und beklagt wird, „in dem wichtige rechtspolitische Entscheidun­ gen zusehends an die Gerichte übergehen“.201 Hinter dieser Kritik stehen Beden­ ken gegen den schon seit langem offen zu Tage liegenden, aber kaum beachteten Widerspruch zwischen der regelmäßig angeführten These, wonach es die vorran­ gige Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers sei, die Rechtspositionen der Individuen in eine angemessene Balance zu bringen,202 und der dem entgegenge­ setzten Rechtswirklichkeit, in der es in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle der rechtsanwendende Richter in der Rolle eines Art „Ersatzgesetzgebers“203 ist, der eben diesen Ausgleich im Rahmen der grundrechtskonformen bzw. -orientier­ ten Auslegung der offen formulierten einfachrechtlichen Rechtsbegriffe herstellt und so faktisch den Gesetzgeber in der primär ihn obliegenden Pflicht ersetzt. Dies ist zwar insofern unproblematisch, als sich die Tätigkeit des Richters nicht im bloßen „subsumierenden Nachvollziehen der gesetzlichen Entschei­ dung erschöpft“, sondern ebenfalls „Elemente der Gestaltung und Ausformung von Normen, der Rechtsbildung enthält“.204 Bedenklich ist diese Entwicklung je­ doch deshalb, weil sich der Gesetzgeber mittlerweile in erheblichem Maße durch Zurverfügungstellung von zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen der ihn zuvörderst treffenden (Schutz-)Pflicht zum Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtsgütern entledigt. Die geringe Determinationskraft dieser Generalklauseln läuft faktisch auf eine unzulässige Inpflichtnahme Priva­ ter unmittelbar aus den Grundrechten hinaus, ein Gesichtspunkt, der seit jeher ent­ scheidend gegen die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 200

Vgl. J. II. 3. b) cc). So Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 531 f., 542 ff.; vgl. zu dieser Kritik auch: Höfling, NJW 1990, S. 1764, 1765; Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 237; Ossenbühl, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, § 15 Rn. 50; Erichsen, Jura 1996, S. 527, 530 sowie Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 29 f., 65; 223 ff., nach dem das „legislative Versagen ein nahezu allgegenwärtiges Phänomen“ ist (S. 223). 202 Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 5437 f.; vgl. auch Erichsen, Jura 1996, S. 527, 531; Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 21; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 201 ff., sowie aus der Rspr.: BVerfG, Beschl. v. 6.5.1997, 1 BvR 409/90 = BVerfGE 96, 56, 64. 203 So Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 544, 549. 204 Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 126 m. w. N. 201

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vorgebracht wird.205 Will man daher mit der hier vertretenen Auffassung an der Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung festhalten, dann gilt es den Vorrang des Gesetzgebers und dessen Verantwortung wieder ernster zu nehmen. Eben dies ermöglicht die Schutzpflichtendogmatik. Zwar ist die Ka­ tegorie der Schutzpflichten ebenfalls „nicht völlig gefeit gegen eine ausgreifende Handhabung durch den zur Anwendung berufenen Richter“, doch enthält sie ein „eingebautes Widerstandspotential gegen derartige Fehlentwicklungen, eine Art immanente Bremse“.206 Denn hier betonen Rechtsprechung und herrschende Lehre geradezu „mantrahaft“ die Notwendigkeit der Vermittlung der Schutzpflicht durch das einfache Recht und verweisen dabei auf die primäre und entscheidende Rolle des Gesetzgebers, die konfligierenden Grundrechtspositionen zum Ausgleich zu bringen. Bereits aus diesen Überlegungen heraus erscheint es (äußerst) zweifelhaft, ob der über das Rechtmäßigkeitskriterium des § 1004 Abs. 2 GG herzustellende Aus­ gleich der Grundrechtspositionen der Demonstranten und des Hausherrn durch den im Einzelfall zur Lösung des Streitfalls berufenen Richter der Verantwortung des Gesetzgebers gerecht wird, oder ob es nicht vielmehr – wie hier die These lautet – dessen Pflicht ist, das Spannungsverhältnis durch Normierung einer hin­ reichend bestimmten Vorschrift aufzulösen. b) Aspekt der Rechtssicherheit Verschärft werden diese Bedenken, wenn man noch einen zweiten Gesichts­ punkt in den Blick nimmt, nämlich den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzulei­ tenden Aspekt der Rechtssicherheit.207 Während bereits die Ausführungen zum Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen den Demonstranten und dem un­ mittelbar grundrechtsgebundenen Hausherrn gezeigt haben, dass hier abgestufte und komplexe Lösungen erforderlich sind,208 so gilt dies in besonderem Maße für die vorliegende Konstellation, in der sich beide Seiten auf sie schützende, entge­ gengesetzte Grundrechtspositionen berufen können. Der im Einzelfall zur Streit­ entscheidung berufene (schutzpflichtverpflichtete) Richter oder sonstige Rechts­ anwender steht hier vor der schwierigen Aufgabe, dem Wortlaut des § 1004 Abs. 2 BGB bzw. den hierin einfließenden Grundrechtsbestimmungen Anhaltspunkte zur Lösung dieser „echten“ Grundrechtskollisionen entnehmen zu müssen. Diese enthalten aber keine verlässlichen und eindeutigen Maßstabskriterien und Vorga­ ben für die Abwägungsentscheidung, was den Richter zwangsläufig in Konflikt 205 Vgl. zu diesem Einwand gegen die unmittelbare Drittwirkung nur Papier, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 21. 206 Oeter, AöR 119 (1994), S. 529, 549. 207 Vgl. hierzu näher Grzeszick, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 50 ff. 208 H. IV. 2.

VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts

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mit den rechtsstaatlichen Anforderungen der Vorhersehbarkeit der Entscheidungs­ ergebnisse und der Rechtssicherheit bringt.209 So heißt es in anderem Zusammen­ hang zu Recht, „es grenzte an willkürlicher Rechtsschöpfung und hätte mit ra­ tional gesteuerter Rechtsfindung nichts mehr zu tun, wollte der Rechtsanwender in diesem Interessengeflecht“ bestimmten Belangen aus verfassungsrechtlichen Gründen den Vorrang einräumen.210 Diese hier bestehende Rechtsunsicherheit stellt vor allem für die Demonstranten eine latente Gefahr dar, da ihnen in letz­ ter Konsequenz eine Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) drohen kann, wenn sie in einem fremden privaten öffentlichen Raum unberechtigt de­ monstrieren. Vor diesem Hintergrund verlangt also der aus dem Rechtsstaatsprin­ zip abzuleitende Aspekt der Rechtssicherheit eine gesetzgeberische Lösung des Konflikts zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Grund­ rechtspositionen des Hausherrn. c) Wesentlichkeitslehre Schließlich kann für die Notwendigkeit eines Eingreifens des Gesetzgebers ein Argument ins Feld geführt werden, das eng verknüpft ist mit der bereits ange­sprochenen primären Schutzpflicht des Gesetzgebers, nämlich der sog. We­ sentlichkeitsgrundsatz.211 Demnach muss der Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung […] alle we­ sentlichen Entscheidungen selbst […] treffen.“212 Der Wesentlichkeitsvorbehalt verlangt nicht nur die Existenz einer gesetzlichen Regelung für den Ausgleich von Konflikten gleichgeordneter Grundrechtsträger,213 sondern er stellt auch An­ forderungen in Bezug auf die Regelungsdichte des Gesetzes.214 Es geht ihm also 209 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Gesetzesmediatisierung der grundrechtlichen Schutzpflichten und dem Aspekt der Rechtssicherheit Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 230 sowie Müller-Franken, in: FS Bethge, 2009, S. 223, 236. Ein gesetzgeberisches Tätigwerden mit Blick auf die Rechtssicherheit verlangt auch Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 610. 210 Papier, AfP 1989, S. 510, 512. 211 Zu diesem Zusammenhang etwa Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 229 ff. sowie Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 10 Rn. 86. 212 BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89, 126 f.; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1982, 1 BvR 1470/80 = BVerfGE 61, 260, 275. Aus der Literatur statt aller Pieroth/ Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 274 ff.; zur Kritik an dem Wesentlichkeitskriterium in Be­ zug auf ihre Unbestimmtheit Herzog/Grzeszick, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dü­ rig, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 103. 213 Gegen eine Ausnahme von der Geltung der Wesentlichkeitstheorie in Bezug auf die zi­ vilrechtlichen Konflikte zwischen gleichgeordneten Grundrechtsträgern zu Recht Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 21; anders dage­ gen BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991, 1 BvR 779/85 = BVerfGE 84, 212, 226; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 279. 214 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 2011, Rn. 278.

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auch um die Frage, welche Entscheidungen der Gesetzgeber selbst in differenzier­ ter Form treffen muss und welche er im Wege des Erlasses von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen den Gerichten überantworten darf.215 Dem­ entsprechend ist es in Parallele zur primären Schutzpflicht des Gesetzgebers an­ erkannt, dass der unmittelbar demokratisch legitimierten gesetzgebenden Gewalt die vorrangige Aufgabe des Ausgleichs widerstreitender Grundrechtspositionen zukommt. „Der Gesetzgeber ist nicht nur befugt, sondern verpflichtet, Konflikte zwischen Inhabern von Rechten aufzulösen, die Rechtsgüter einander zuzuord­ nen und den Rahmen der Streitschlichtung vorzuzeichnen“.216 Da es in dem rechts­ politisch konfliktträchtigen Spannungsverhältnis zwischen dem grundrechtsbe­ rechtigten Hausherrn und den ebenfalls grundrechtsberechtigten Demonstranten in besonderem Maße der politischen Wertung und Gestaltung bedarf, ist die hier ausgesprochene Forderung nach einer gesetzlichen Regelung „auch funktionsge­ recht im Sinne einer Vertiefung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zum Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur“.217 Der Gesetzgeber ist daher gefordert, seinem „Konfliktschichtungsauftrag“218 in Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn nachzukommen.219 2. Gesetzgebungsvorschlag Dass eine solche Auflösung bzw. Schlichtung des Konflikts im Wege abs­ trakt-genereller Regelung durch den (Landes-)Gesetzgeber grundsätzlich möglich ist,220 zeigt § 21 S. 1 des Musterentwurfs eines Versammlungsgesetzes des Ar­ beitskreises Versammlungsrecht: § 21. Öffentliche Verkehrsflächen in Privateigentum. „Auf Verkehrsflächen von Grundstücken in Privateigentum, die dem allgemeinen Publikumsverkehr ge­ öffnet sind, können öffentliche Versammlungen auch ohne die Zustimmung der Eigen­tümerin oder des Eigentümers durchgeführt werden. […].“221 Diese Vorschrift hat zwar den Vorzug der Klarheit und Prägnanz, doch bringt sie weder ein (spürbares) Mehr an Rechtssicherheit noch wird sie den oben dar­ 215

Herzog/Grzeszick, in: Herzog/Scholz u. a. (Hrsg.), Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rn.  106 m. w. N. 216 Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 204, 230 f.; vgl. auch Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 55 Rn. 21 sowie Höfling, NJW 1990, S. 1764, 1767. 217 Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 202 f. 218 Begriff von Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S.  203 ff. 219 Wie hier Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 609 f.; Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/ Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Einl. IV. 220 Vgl. zu den Bedenken gegen die Tauglichkeit legislatorischer Schutzpflichterfüllung Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 224. 221 Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, § 21.

VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts VII. Die Auflösung des Grundrechtskonflikts

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gelegten Anforderungen an den primären Konfliktschlichtungsauftrag des Ge­ setzgebers gerecht. Denn § 21 S. 1 ME VersG bezieht sich lediglich auf das „Ob“ der Versammlung im privaten öffentlichen Raum, enthält sich jedoch jeglicher Aussagen in Bezug auf das „Wie“ der Durchführung einer Demonstration.222 Da­ her wird dieser Regelung hier ein Gesetzgebungsvorschlag entgegengesetzt, der sich an den in anderem Zusammenhang bereits ausführlich dargelegten Abwä­ gungskriterien223 im Spannungsverhältnis zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn orientiert: § XY. Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum. In privaten öffentlichen Räumen können Versammlungen auch ohne die Zustim­ mung der Eigentümerin oder des Eigentümers durchgeführt werden, sofern eine enge Verbindung des Versammlungsorts zum Versammlungsgegenstand besteht und hierdurch keine konkreten und erheblichen Gefahren für die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Ortes hervorgerufen werden. Diese Vorschrift, die neben dem „Ob“ auch das „Wie“ der Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum umfasst, wird nicht nur der Verant­ wortung des Gesetzgebers zum Austarieren der gegenläufigen Grundrechtspositi­ onen gerecht, sondern sie trägt auch den konkurrierenden Grundrechts­positionen der Demonstranten und des Hausherrn angemessen Rechnung. Zunächst be­ schränkt sie das Versammlungsrecht auf die privaten öffentlichen Räume und knüpft deren Zulässigkeit an eine enge Verbindung des Versammlungsorts zum jeweiligen Versammlungsgegenstand. Durch diese einfachrechtliche Einräumung eines Nutzungsrechts der Demonstranten in Bezug auf die privaten öffentlichen Räume wird zwar dem Hausherrn eine Duldungspflicht i. S. d. § 1004 Abs. 2 BGB auferlegt und damit dessen Eigentumsfreiheit beeinträchtigt, die ja – wie gezeigt – gerade auch die Befugnis umfasst, andere von der Nutzung des Eigentums aus­ zuschließen.224 Doch ist diese Ausschließungsbefugnis nicht grenzenlos gewähr­ leistet, sondern kann gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG inhaltlich ausgestaltet bzw. eingeschränkt werden.225 Die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Einschränkung maßgebliche Sozialbindung des Eigentums ist dabei umso stärker, je höher der „soziale Bezug“ des jeweiligen Eigentumsgegenstands ist.226 Wird nun der private öffentlich Raum aus Umsatzinteressen der Allgemein­ 222

Wendt, NVwZ 2012, S. 606, 609 f. H. IV. 2. b). 224 Vgl. hierzu F. II. 225 Hierzu näher z. B. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 35 ff. sowie Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 85 ff.; vgl. auch Enders/HoffmannRiem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Begründung zu § 21 Ziff. II. 5. 226 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78 u. 1 BvL 21/78 = BVerfGE 50, 290, 340; Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, Be­ gründung zu § 21 Ziff. II. 5; näher zur Sozialbindung z. B. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 14 Rn. 42; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 111 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 14 Rn. 87 ff. 223

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heit voraussetzungslos für ein „Nebeneinander verschiedener, auch kommunika­ tiver Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum“227, dann hat der Hausherr angesichts des gesteigerten Sozialbezugs des Grundstücks auch die Durchfüh­ rung einer Demonstration zu dulden. Die hohe Sozialbindung des Eigentums ga­ rantiert nicht die Befugnis, „die Funktionen des öffentlichen Raumes nur selek­ tiv wahrzunehmen“.228 Gleichwohl erlaubt die hier vorgeschlagene Regelung dem Hausherrn den Einwand, dass die beabsichtigte Durchführung einer Demonstra­ tion zu konkreten und erheblichen Gefahren für die Sicherheit und Funktions­ fähigkeit des Ortes führt. Durch diesen Gesetzgebungsvorschlag wird damit den gegenläufigen Grund­ rechtspositionen angemessen Rechnung getragen und das Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit in die Lage versetzt, auch trotz des Wandels des öffentlichen Raums im 21. Jahrhundert ihrer Bedeutung für die demokratische Grundordnung gerecht zu werden.

227

BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06 = BVerfGE 128, 226, 253. Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz, ME VersG 2011, B ­ egründung zu § 21 Ziff. II. 5. 228

K. Zusammenfassung in Thesen Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich – wie folgt – thesenartig zusammenfassen: 1. Die Versammlungsfreiheit ist ein Freiheitsrecht mit einem spezifischen räum­ lichen Bezug. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Außenwirkung finden Demonstra­ tionen traditionell im öffentlichen Raum statt. Hierunter wird ein öffentlich zugänglicher Raum verstanden, der ein Ort von Öffentlichkeit ist und der auf­ grund öffentlich-rechtlicher Sachherrschaft den spezifischen Herrschafts- und Nutzungsverhältnissen des öffentlichen Sachenrechts unterliegt. 2. Die über Jahrhunderte bestehende Dichotomie zwischen privaten und öffent­ lichen Räumen ist brüchig geworden. In den vergangenen Jahren sind zahlrei­ che Übergangs- und Mischformen entstanden. Mit den privaten öffentlichen Räumen ist ein neuer Typus von öffentlichem Raum entstanden, dessen Charak­ teristikum die Ambivalenz von privatem Hausrecht auf der einen Seite und fak­ tischer allgemeiner Zugänglichkeit samt urbanen Flairs auf der anderen Seite ist. Dieser räumliche Strukturwandel führt zu Gefahren für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. 3. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit besteht aus zwei verschiedenen Tra­ ditionslinien, der politisch-demokratischen sowie der individualfreiheitlichen liberalen. Bei der Frage nach dem Versammlungsbegriff gilt es beide Stränge zu berücksichtigen. Eine Verengung auf die Versammlungsfreiheit als aktiv-de­ mokratisches Teilhaberecht wird der Ideengeschichte des Art. 8 GG nicht ge­ recht. Daher ist der erweiterte Versammlungsbegriff vorzugswürdig. Die Wahl des Versammlungsorts ist als zentrales Element der Selbstbestimmung der De­ monstranten vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst. 4. Das private Hausrecht findet seine dogmatische Grundlage in den eigentumsund besitzrechtlichen Vorschriften der §§ 903, 1004, 858 ff. BGB. Der Begriff des Hausrechts ist lediglich eine Umschreibung für die sich aus diesen Vorschrif­ ten ergebenden Befugnisse. Der Hausherr darf nicht nur über das „Ob“ des Zu­ tritts, sondern auch über das „Wie“ der Nutzung entscheiden. Er kann nicht nur im Einzelfall eine bestimmte Nutzung des Raums verbieten, gestatten oder aber von bestimmten Bedingungen abhängig machen, sondern er hat auch das Recht im privaten öffentlichen Raum abstrakt-generelle Zugangs- und Nutzungsregeln mittels einer Hausordnung aufzustellen. In der Öffnung des Raumes für die All­ gemeinheit liegt kein Hausrechtsverzicht des Hausherrn. Es bedarf auch keines sachlichen Grundes will er die Durchführung einer Demonstration in diesen Räumen verbieten. Der Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens scheidet aus.

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5. Der Hausherr kann dem Demonstrationsbegehren nicht das Grundrecht des Art. 13 GG entgegenhalten, da von dessen Schutzbereich private öffentliche Räume nicht erfasst sind. Demgegenüber kann er sich auf Art. 14 GG sowie Art. 12 GG berufen. 6. Das Spannungsverhältnis zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn hängt entscheidend davon ab, ob letzterer die Hausrechtsausübung an den Grundrechten messen lassen muss oder seinerseits grundrechtlich legitimiert ist. Entscheidendes Kriterium für die Frage der Grundrechtsbindung gemischt­ wirtschaftlicher Unternehmen ist das Beherrschungskriterium. Hierbei kommt es auf eine Gesamtbetrachtung einer Vielzahl von Faktoren an. Im Regelfall ist bei einer Anteilsmehrheit der öffentlichen Hand von einer Entscheidungsherr­ schaft und damit von einer Beherrschung auszugehen. 7. Die Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum bei unmittelbarer Grundrechtsbindung des Hausherrn lässt sich abwehrrechtlich als ein Fall des abwehrrechtlichen Störungsbeseitigungsanspruchs erklären. Die von den Demonstranten begehrte Genehmigung bzw. Zulassung der De­ monstration stellt demnach keine „echte“ Leistung dar, sondern die abwehr­ rechtlich gebotene Beseitigung des vorangegangenen, in dem in der Hausord­ nung festgelegten Demonstrationsverbots liegenden Eingriffs in die natürliche Handlungsmöglichkeit der Demonstranten. Die diesem Ansatz zugrunde lie­ gende Prämisse, die Einbeziehung der Durchführung einer Versammlung im privaten öffentlichen Raum in den Schutzbereich des Art. 8 GG, wurde bestätigt. In der Auseinandersetzung mit den verschiedenen engen Schutz­ bereichskonzepten hat sich die weite Schutzbereichstheorie als vorzugswür­ dig erwiesen, so dass ein prima facie geschütztes Recht auf Nutzung frem­ der privater öffentlicher Räume zu Versammlungszwecken besteht. Die auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkte wur­ den dargelegt. 8. Die Problematik der Durchführung einer Demonstration im privaten öffent­ lichen Raum bei fehlender unmittelbarer Grundrechtsbindung des Hausherrn stellt sich vor einem völlig veränderten grundrechtsdogmatischen Hintergrund. Das Problem erweist sich hier als Drittwirkungsfrage. Den Grundrechten kommt auch im Verhältnis der Bürger untereinander Wirkung zu. Diese Wirkung ist eine mittelbare, das heißt eine über die Begriffe und Generalklauseln des Zivil­ rechts vermittelte Bindung an die grundrechtlichen Wertungen. Während dies lange Zeit mit der sog. Ausstrahlungswirkung begründet wurde, lässt sich dies nach der hier vertretenen Auffassung dogmatisch überzeugender mit der Fi­ gur der grundrechtlichen Schutzpflichten erklären. Das Bestehen mittelbarer Grundrechtswirkungen macht die Frage nach der unmittelbaren Grundrechts­ bindung privatrechtlich organisierter Unternehmen bei staatlicher Beteiligung ebenso wie die Abgrenzung von mittelbarer und unmittelbarer Drittwirkung nicht sinnlos und überflüssig, da diese „in Wirkungsweise und Wirkkraft hinter der andersartigen unmittelbaren Bindung“ zurückbleibt.

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9. In dieser zweiten, hier zu untersuchenden Konstellation geht es um die Frage, ob und wie ein effektiver Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit trotz Fehlens einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Hausherrn erreicht werden kann. Eine ausnahmsweise unmittelbare Drittwirkung wurde ebenso abgelehnt wie ein unmittelbares Recht auf Durchführung einer Demonstra­ tion aus dem Gesichtspunkt einer Grundpflicht. Daher stellt sich die Frage, ob und falls ja, in welchen Umfang ein solches Recht auf der Grundlage der Theorie von der mittelbaren Drittwirkung bzw. aus dem Gedanken einer ent­ sprechenden staatlichen Schutzpflicht gewährt werden kann. Das Merkmal der Rechtmäßigkeit des § 1004 Abs. 2 BGB ist dabei der Ansatzpunkt für eine mittelbare Drittwirkung. Eine gesteigerte Drittwirkung kommt in zwei Kon­ stellationen in Betracht: Zum einen im Falle einer dem Staat vergleichbaren wirtschaftlichen und sozialen Mächtigkeit des Privatrechtssubjekts und zum anderen im Zusammenhang mit der den Staat in Folge der Privatisierung tref­ fenden Privatisierungsfolgenverantwortung. 10. Dieser Lösung des Spannungsverhältnis zwischen den Demonstranten und dem Hausherrn im Wege gesteigerter mittelbarer Grundrechtswirkung inner­ halb des Rechtmäßigkeitskriteriums des § 1004 Abs. 2 BGB durch die rechts­ anwendenden Organe, wird hier die These entgegengesetzt, dass der (­Landes-) Gesetzgeber aufgefordert ist, die konfligierenden Interessen im Wege der Er­ gänzung des Versammlungsrechts auszugleichen. Diese These von der Not­ wendigkeit des Ausgleichs des Spannungsverhältnisses durch den (Landes-) Gesetzgeber stützt sich maßgeblich auf drei Gesichtspunkte: der Gesetzgeber als der primäre Adressat der Schutzpflicht, der Aspekt der Rechtssicherheit und die Wesentlichkeitslehre. 11. Dem § 21 S. 1 des ME VersG des Arbeitskreises Versammlungsrecht wurde ein Gesetzgebungsvorschlag entgegengesetzt, der nicht nur der Verantwor­ tung des Gesetzgeber zum Austarieren der gegenläufigen Grundrechtspositio­ nen gerecht wird, sondern der auch den konkurrierenden Grundrechtspositio­ nen der Demonstranten und des Hausherrn angemessen Rechnung trägt.

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Sachverzeichnis Abwägung –– als Ausgleichsinstrument  189 ff., 194 ff. –– Kritik  162 ff., 170 ff., 183 –– praktische Konkordanz  194 –– Unvermeidbarkeit  175, 186 ff. –– und Wahl des Versammlungsorts  195 ff., 240 ff. Abwehrfunktion siehe Abwehrrecht Abwehrrecht –– Abgrenzung zu den Schutzpflichten siehe dort –– Abgrenzung zur Leistungsfunktion der Grundrechte  138 ff., 146 ff., 156 –– Abwehrfunktion der Grundrechte  140 ff., 203 ff., 215 ff. –– Beseitigungsanspruch  142, 145 f., 154 ff. –– Definition  141 f., 155 –– Ergänzungsbedürftigkeit  204 f., 207 –– Grundrechtseingriff siehe dort –– und natürliche Freiheit  138 ff., 148 ff. –– Prüfungsstufen  163, 170 f., 186 ff., 189 ff. –– Regelungsstruktur 139 –– Schutzbereich siehe dort –– und Versammlungsfreiheit siehe dort –– Vorrang  140 ff. allgemeine Gesetze  177 ff., 193 f. Ansammlung  59 f. Auslegung  167 ff., 172 ff. Ausstrahlungswirkung siehe Drittwirkung Baugenehmigung 145 Beherrschung  127 ff., 131 f. Benutzungsordnung siehe Hausordnung Berufsfreiheit  –– des Hausherrn  105 –– des privaten Anteilseigners  123 Brokdorf-Beschluss  17, 51 ff., 195 Daseinsvorsorge  126 f., 235 Demokratie –– und Funktionalisierung siehe Freiheit

–– –– –– ––

und Grundrechtsbindung siehe dort Legitimationskette 117 personelle Legitimation  118 f., 129 f. und Versammlungsfreiheit  50 ff., 65 ff., 195, 226 f. –– Wesentlichkeitslehre  239 f. Demonstration –– Begriff  67 ff. –– Einbeziehung in den Schutzbereich  69 f. Drittwirkung der Grundrechte –– Abgrenzung zur Grundrechtsbindung  201 f., 224 f. –– Auffangfunktion  111, 219 ff., 228 f., 231 ff. –– Ausstrahlungswirkung  207, 210 ff. –– Begriff 201 –– als bloßes Scheinproblem  212 ff. –– Entwicklung  202 ff. –– gesteigerte  201, 233 ff. –– und grundrechtliche Schutzpflichten  215 ff. –– mittelbare  205 ff., 210 ff., 219 ff. –– im privaten öffentlichen Raum 226  ff., 231 ff. –– Privatisierung 220, 223  f., 224, 228  f., 229, 233 ff. –– und Privatisierungsfolgenverantwortung  233 ff. –– Privatrecht  202 ff., 208 ff. –– soziale Gewalten  204, 223 f., 227 f., 233 ff. –– unmittelbare  202, 208 ff., 226 ff. –– und Versammlungsfreiheit  224 ff., 226 ff., 231 ff. –– Wirkkraft  201, 219 ff., 233 ff. Dualismus von Staat und Gesellschaft  107 ff., 111, 132 ff. Eigengesellschaften  119 ff. Eigentumsfreiheit –– Abwägung mit der Versammlungsfreiheit  240 ff. –– und Grundpflichten siehe dort –– des Hausherrn  104 f.

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Sachverzeichnis

–– der privaten Anteilseigner  123 –– Sozialbindung  229 ff., 241 f. Eingriff siehe Grundrechtseingriff Einkaufspassagen  36 f., 40 f., 103 Einkaufszentren 26, 34 ff., 36 f., 39, 40 f., 195 f. Entscheidungsherrschaft  127 ff., 131 Entwidmung 40

–– als Leistungsrechte  138 ff., 140 ff., 158 ff. –– mehrdimensionaler Schutz  203 ff., 208 ff. –– objektiv-rechtliche Gehalte  205 ff. –– und Schutzbereich siehe dort –– Schutzpflichten siehe dort Grundrechtsberechtigung –– und Dualismus von Staat und Gesellschaft  132 ff. –– gemischtwirtschaftlicher Unternehmen  Flucht ins Privatrecht  120 f. 132 ff. Forum siehe öffentliches Forum –– Kehrseite  108, 133 f. Freiheit –– Konfusionsargument 133 –– und Abwehrrecht  138 ff., 140 ff. Grundrechtsbindung –– Funktionalisierung  53 ff., 65 ff. –– Abgrenzung zur Drittwirkung siehe dort –– natürliche  138 ff., 147, 148 ff. –– Beherrschungskriterium  127 ff., 131 f. –– notwendige Begrenztheit  72 ff., 193 –– und Demokratieprinzip  117 ff. –– rechtsstaatliches Verteilungsprinzip  140 ff., –– Dualismus von Staat und Gesellschaft  149 f., 166, 189 ff., 213 f. 107 ff., 111 –– und Reichweite des Schutzbereichs  164 ff., –– Eigengesellschaften  119 ff. 169 –– Entscheidungsherrschaft  127 ff., 131 f. –– als Sinnmitte der Grundrechte  203 f. –– funktionale Kriterien  125 ff. –– Trennung von Staat und Gesellschaft  –– gemischtwirtschaftlicher Unternehmen  107 ff., 111, 132 ff. 121 ff., 131 f. –– umfassender Schutz 203, 204  f., 207, –– Lehre von der umfassenden Fiskalgeltung 215 ff. der Grundrechte  113 –– vorstaatliche siehe natürliche –– öffentlicher Anteilseigner  112 ff., 114 ff. Friedlichkeit 70 –– und Privatisierung  108 ff., 126 f. Funktionalisierung siehe Freiheit –– Rechtsformansatz  107, 119 ff. –– und Schutz privater Anteilseigner  123 ff. Gemeingebrauch  40, 42 ff., 136 f., 144 f. Grundrechtseingriff gemischtwirtschaftliche Unternehmen –– und Abwehrrecht  140 ff., 146 ff. –– Begriff  122 f. –– Begriff 147 –– Grundrechtsberechtigung siehe dort –– und grundrechtlicher Schutzbereich  146, –– Grundrechtsbindung siehe dort 153 f., 157 f., 161 f. –– Wesen  122 f. –– durch Unterlassen  147, 151 ff. Gesetzgebungsvorschlag  240 ff. –– Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 154 ff., 157 f. Gewährleistungsgehalt siehe Lehre vom Ge­ Grundrechtsfunktionen siehe Grundrechte währleistungsgehalt Grundrechtsgewährleistungsansatz  123 ff. Gewaltenteilung  239 f. Grundrechtsvoraussetzungen Grundpflichten  229 ff. –– Abgrenzung von den Verfassungserwar­ Grundrechte tungen 21 –– als Abwehrrechte  140 ff., 204 f. –– Begriff  20 ff. –– und Drittwirkung siehe dort –– Einordnung  20 ff. –– Grundrechtsberechtigung siehe dort –– als Kategorie der Verfassungsvorausset­ –– Grundrechtsbindung siehe dort zungen 21 –– Grundrechtseingriff siehe dort –– und öffentlicher Raum siehe dort –– Grundrechtsfunktionen 140 ff., 203 ff., –– Typologie  22, 33 206 f. –– und Versammlungsfreiheit  20 ff., 29 ff., 33

Sachverzeichnis Hausfriedensbruch  78, 80 f., 239 Hausordnungen  38 f., 44 f., 92 f., 144 f., 154 ff., 212 f. Hausrecht siehe privates Hausrecht Jurisdiktionsstaat 237 Kernbereich  197 f. Konfusionsargument 133 Lehre vom Gewährleistungsgehalt 162 ff., 167 ff. Lehre von der umfassenden Fiskalgeltung der Grundrechte 113 Leistungsanspruch siehe Leistungsrecht Leistungsrecht –– Abgrenzung zum Abwehrrecht 138 ff., 146 ff., 156 –– derivatives  158 ff. –– grundrechtliches  138 ff., 142 f., 158 ff. –– originäres  158 ff. –– Regelungsstruktur 139 –– Teilhabe  138 ff., 158 f. –– Terminologie  158 f. –– und Versammlungsfreiheit  158 ff., 160 f. Lüth-Urteil  205 ff. mittelbare Drittwirkung  205 ff., 210 ff., 219 ff. natürliche Freiheit siehe Freiheit Neminem-laedere-Gebot siehe Schutzbereich objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte –– Begriff 206 –– und Drittwirkung siehe dort –– Lüth-Urteil  205 ff. –– und Schutzpflichten  215 –– Wertordnung  205 f., 215 öffentliche Aufgabe  125 ff. öffentliche Einrichtungen  144, 150, 155 öffentlicher Raum –– Abgrenzung zum privaten Raum  25 f. –– Begriff  22 ff., 29 –– öffentliche Zugänglichkeit  25 f. –– öffentliches Sachenrecht  28, 42 ff. –– Öffentlichkeit  27 f., 34 ff., 195 f., 240 ff. –– und räumlicher Strukturwandel siehe dort

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–– als reale Ausübungsvoraussetzung der Versammlungsfreiheit  29 ff. –– als traditioneller Ort der Versammlungs­ freiheit  32 f. Öffentliches Forum  196, 242 Öffentlichkeit siehe öffentlicher Raum Ort der allgemeinen Kommunikation  135 f., 196 Outlet-Shopping-Villages 37 politisches Teilhaberecht  51 ff., 65 ff. Prima-facie-Schutz siehe Schutzbereich Privatautonomie 91 f., 204 f., 210, 213 f., 222 private Anteilseigner  –– im gemischtwirtschaftlichen Unternehmen  122 –– Grundrechtsgewährleistungsansatz  123 ff. –– Schutz  123 ff. Privater öffentlicher Raum –– Abgrenzung zum öffentlichen Raum  34 ff., 42 ff. –– und Drittwirkung siehe dort –– Entstehung  36 ff. –– als Gefahr für die Versammlungsfreiheit  17 ff., 40 ff. –– Öffentlichkeit siehe dort –– privates Hausrecht siehe dort –– und Privatisierung  36, 37 f. –– und räumlicher Strukturwandel  34 ff. –– Straßenpachtmodell  38 ff. privater Raum  25, 35 f. privates Hausrecht –– Begriff  76 ff., 86 f. –– dogmatische Grundlage  78 ff., 86 f. –– Grenzen  96 ff. –– grundrechtliche Absicherung  101 ff. –– und Hausfriedensbruch  78, 80 f. –– Hausordnungen  38 f., 44 f., 92 f., 144 f., 154 ff., 212 f. –– Hausrechtsinhaber  87 f. –– Hausrechtsverzicht 98 –– Hausverweis und Hausverbot  95 f. –– Notwehrrecht  76 f. –– und Privatautonomie  91 f. –– und privater öffentlicher Raum 17 ff., 34 ff., 44 ff., 76 –– räumliche Reichweite  88 f.

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Sachverzeichnis

–– sachlicher Inhalt  89 ff. –– als Schranke der Versammlungsfreiheit  193 f. –– und Straßenpachtmodell  38 ff. Privatisierung –– Begriff 37 –– und Drittwirkung  220, 223 f., 224, 228 f., 229, 233 ff. –– als Entstehungsgrund privater öffentlicher Räume  36, 37 f. –– Formen 37 –– und Grundrechtsbindung siehe dort –– Privatisierungsfolgenverantwortung  233 ff. –– Verbot 224 Privatisierungsfolgenverantwortung siehe Pri­ vatisierung Privatrecht siehe Drittwirkung der Grund­ rechte Randbereich  197 f. Raum  23 f. Räumlicher Strukturwandel –– Entstehung privater öffentlicher Räume  34 ff. –– als Gefahr für die Versammlungsfrei­heit  40 ff., 44 ff. Rechtssicherheit  110 f., 131, 187 f., 189 f., 238 f. Rechtsstaatliches Verteilungsprinzip siehe Freiheit Reiten im Walde  136 Schutzbereich –– Abgrenzung zum definitiven Grundrechts­ schutz  164 ff., 189 ff. –– und Abwägung siehe dort –– Auslegung  167 ff., 172 ff. –– enge Schutzbereichstheorien 162 ff., 176 ff. –– Evidenzvorbehalt  183 f., 185 –– grundrechtlicher Schutzbereich  164 ff. –– und Grundrechtseingriff siehe dort –– bei Inanspruchnahme fremder Räume  47 ff., 136 ff., 162 ff., 190 ff. –– Lehre vom Gewährleistungsgehalt  162 ff., 167 ff. –– Neminem-laedere-Gebot  180 ff. –– und Prima-facie-Schutz  164 ff., 189 ff. –– Theorie der sachlichen Reichweite  167 ff.

–– der Versammlungsfreiheit  57 ff. –– Vorbehalt der allgemeinen Gesetze  177 ff. –– weite Schutzbereichstheorie  189 ff., 199 –– Zuordnungsfunktion 165 Schutzpflichten –– in Abgrenzung zur Abwehrfunktion  216 f., 221 ff. –– Adressat  216 ff., 222, 237 f. –– und Ausstrahlungswirkung  218 f. –– dogmatische Grundlage  215 –– und Drittwirkung  215 ff. –– Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers  217, 222 –– Gesetzesmediatisierung  217 f., 222, 237 f. Selbstbestimmungsfreiheit  71 f., 169 f. Shopping-Mall siehe Einkaufszentren Sondernutzung  42 ff., 136 f., 144 f. Soziale Gewalten  204, 223 f., 227 f., 233 ff. Spontanversammlungen  42, 197 Sprayer von Zürich  136, 181 ff., 186 ff. Status –– negativus  141, 216 f. –– positivus  156, 216 Störungsbeseitigungsanspruch 142, 145 f., 154 ff. Straßenöffentlichkeit  30 f., 32 f. Straßenpachtmodell  38 ff. Teilhabe siehe Leistungsrecht Theorie der sachlichen Reichweite  167 ff. Theorie des modifizierten Privateigentums  39, 42 f. unmittelbare Drittwirkung  202, 208 ff., 226 ff. Unverletzlichkeit der Wohnung –– Einbeziehung von Betriebs- und Geschäfts­ räumen  101 f. –– und privater öffentlicher Raum  103 f. –– Schutzzweck  101 ff. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt siehe Grund­ rechtseingriff Verfassungserwartungen  21, 230 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  166, 190, 194, 241 Versammlungsbegriff –– Abgrenzung zur Ansammlung  59 f. –– enger Versammlungsbegriff  64 f., 65 ff.

Sachverzeichnis –– erweiterter Versammlungsbegriff 63 f., 65 ff., 67 –– Friedlichkeit 70 –– Funktionalisierung siehe dort –– körperliche Anwesenheit  29 –– Schutzzweck  50 ff. –– Teilnehmerzahl  57 ff. –– weiter Versammlungsbegriff  61 ff. Versammlungsfreiheit –– als Abwehrrecht  55 ff., 231 f. –– und Demokratie siehe dort –– Grundrechtswirkungen  231 f. –– und Inanspruchnahme fremder Räume siehe Versammlungsort –– als Leistungsrecht  158 ff., 160 f. –– und öffentlicher Raum  29 ff., 32 f. –– als politisches Teilhaberecht  51 ff., 65 ff. –– räumliche Komponente  29 ff., 57 –– und räumlicher Strukturwandel siehe dort –– Schranken  72 ff., 74 f., 193 f. –– Schutzbereich siehe Versammlungsbegriff –– Schutzzweck  50 ff. –– Spontanversammlung  42, 197 Versammlungsöffentlichkeit  30 f.

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Versammlungsort –– Beschränkung der Wahl  72 ff. –– Inanspruchnahme fremder Räume 47 ff., 136 ff., 162 ff., 190 ff. –– und öffentlicher Raum siehe dort –– und privater öffentlicher Raum 40 ff., 136 –– Selbstbestimmungsfreiheit  71 f., 169 f. –– Wahl  17 ff., 29 ff., 40 f., 47 ff., 71 f., 136, 195 ff., 240 ff. Verwaltungsgesellschaftsrecht  115, 117 virtuelle Versammlungen  29 f., 57 Vorbehalt des Gesetzes  75, 166, 176, 177 ff., 217 f., 230, 237 f. Vorrang der Verfassung  145, 179 f. Vorrang des Gesellschaftsrechts  115 Wahl des Versammlungsorts siehe Versamm­ lungsort Wertordnung  205 f., 215 Wesentlichkeitslehre  239 f. Widmung  26, 28, 38 ff., 42 ff., 145, 178 Zitiergebot  166, 193