Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants »Kritik der Urteilskraft« [1 ed.] 9783428520107, 9783428120109

"Nun aber kam die Kritik der Urteilskraft mir zuhanden, und dieser bin ich eine höchst frohe Lebensepoche schuldig.

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Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants »Kritik der Urteilskraft« [1 ed.]
 9783428520107, 9783428120109

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REINHARD HILTSCHER, STEFAN KLINGNER und DAVID SÜSS (Hrsg.)

Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants „Kritik der Urteilskraft"

Philosophische Schriften Band 68

Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants „Kritik der Urteilskraft"

Herausgegeben von

Reinhard Hiltscher, Stefan Klingner und David Süß

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-12010-8 ISBN 978-3-428-12010-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Den Herausgebern ist es eine außerordentliche Freude, den nunmehr vorliegenden Sammelband zu Kants „Kritik der Urteilskraft" der Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen. In ihm sind neben den Beiträgen ausgewiesener Kantforscher auch Erstpublikationen des wissenschaftlichen Nachwuchses enthalten. Die erste Anregung zur Herausgabe dieses Bandes erhielt ich im Rahmen eines Hauptseminars zur dritten Kritik Kants, das ich im Wintersemester 2001/02 an der Technischen Universität Dresden gehalten habe. Mein Schüler Stefan Klingner und mein Schüler David Süß haben sich im Rahmen dieser Lehrveranstaltung mit bewundernswertem Enthusiasmus in die ihnen damals neue und unvertraute Gedankenwelt Kants „hineingearbeitet". Diese immense (bei Studenten eher unübliche) Kantbegeisterung ließ mich auch mit gutem Gewissen im November 2003 das „Wagnis" bei der Konzeption dieses Buchprojektes eingehen, (noch) Studierende an der Herausgabe des Bandes zu beteiligen. Inzwischen hat Stefan Klingner damit begonnen, eine Dissertation über die anthropologische Relevanz der „Kritik der Urteilskraft" zu verfassen, nachdem er zuvor „bei mir" seine Magisterarbeit zum „unum argumentum" Anselms „geschrieben" hat. Er hat mit dem mitreißenden Engagement, das alle seine Arbeiten auszeichnet, eine umfangreiche Bibliographie zur „Kritik der Urteilskraft" erstellt - und er hat die strapaziöse Aufgabe übernommen, das Buch zu setzen und formal zur Drucklegung vorzubereiten. Wissenschaftliche Begeisterung an einer Sache soll man nicht bremsen, sondern vielmehr fördern. Stefan Klingner und David Süß haben deshalb nicht nur eigene „Beiträge" zu dem nunmehr vorliegenden Band beigesteuert, sondern ich habe ihnen auch gänzlich die Aufgabe überlassen, dem Leser einen einleitenden Überblick über die Lage der Forschung zu Kants dritter Kritik zu geben - und ihn mit einer thematischen Übersicht über die Aufsätze dieses Sammelbandes zu versorgen. Ein Vorwort ist auch der angemessene Ort für Danksagungen. Dank schulden die Herausgeber insbesondere den Autoren. Diese haben mit großer Geduld und großem Vertrauen das Entstehen des Sammelbandes begleitet, das sich doch etwas länger als geplant hingezogen hat.

Dresden/Gruna im Juni 2006

Reinhard Hiltscher

Inhaltsverzeichnis Stefan Klingneri David Süß Einleitung

9

I. Vermittlungen Claudia Bickmann Die eingebettete Vernunft in Kants „Kritik der Urteilskraft". Wechselintegration vereint-entgegengesetzter Sphären

19

Kurt Walter Zeidler Die Antinomien in der „Kritik der Urteilskraft"

41

Volker Gerhardt Eine kritische Philosophie des Lebens. Kants Theorie der menschlichen Existenz Friedrich

59

Hausen

Subjektivität und Objektivität in Kants „Kritik der Urteilskraft"

75

II. Grundlegungen: Ästhetik Christian Iber Warum bedürfen Geschmacksurteile nach Kant einer Deduktion? Christian Helmut Wenzel Gemeinsinn und das Schöne als Symbol des Sittlichen

103

125

I I I . Grundlegungen: Teleologie Peter Rohs Transzendentaler Idealismus und Naturteleologie in Kants „Kritik der Urteilskraft"

143

Stefan Klingner Kant über den endlichen Verstand, den intuitiven Verstand und Gott (KU §§ 76, 77)

163

8

Inhaltsverzeichnis

Werner Flach Erreichung und Errichtung. Über die empiriologische Orientierung der Kantischen Geschichtsphilosophie ..183 Sibille Mischer Kein hoffnungsloser Fall: Kant und der Sinn der Sinnfrage

191

IV. Klärungen David Süß Gegenständlichkeit und Sein in der Erkenntnislehre Immanuel Kants

221

Konstantin Pollok Von der Transzendentalphilosophie zum Vergnügen. Die Karriere der Wahrnehmungsurteile in der Kritischen Philosophie Kants

235

Wilhelm Lütterfelds „Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens?

259

Reinhard Hiltscher Endliche Vernunft als Stifterin von Partialwirklichkeit

279

V. Wirkungen Günter Zöller Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling

315

Christoph Glimpel Die Selbstrelativierung von Bestimmtheit in Hegels Logik und ihre systematische Relevanz für das Verständnis einiger Kantischer Überlegungen .. 351

Anhang Stefan Klingner Auswahlbibliographie. Sekundärliteratur zu Kants „Kritik der Urteilskraft" Autorenverzeichnis

373 413

Einleitung I. Zur Forschungslage der Gegenwart Dem ersten Blick mag die momentane Fülle an Forschungsliteratur zu Kants „Kritik der Urteilskraft" 1 als durchaus umfangreich und expansiv erscheinen. Gerade in den vergangenen beiden Jahrzehnten erfreute sich die Beschäftigung mit der dritten Kritik wachsender Beliebtheit. Allerdings ist bei dieser jüngeren Entwicklung eine nahezu traditionell zu nennende Schieflage zu beobachten: Untersuchungen zu ihrem ersten Teil („Kritik der ästhetischen Urteilskraft") nehmen nämlich noch immer den weitaus größeren Teil ein als vergleichbare Studien zu ihrem zweiten Teil („Kritik der teleologischen Urteilskraft"). Eindrucksvoll belegt wird dieser Umstand etwa durch die Bibliographie, die sich in der von Heiner F. Klemme besorgten aktuellen Meiner-Ausgabe der „Kritik der Urteilskraft" finden lässt: Dort stößt man immerhin auf 108 Einträge zur Ästhetik im Gegensatz zu bloß 44 Einträgen zur Teleologie.2 Auch der einzige deutschsprachige „Einfuhrungskommentar" zur dritten Kritik von Dieter Teichert stellt sich als hervorragendes Beispiel für die Vernachlässigung der teleologischen Urteilskraft heraus: Denn im Gegensatz zu der recht breiten Erörterung der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" - über knapp 90 Seiten - wird von Teichert ,,[e]ine ausführliche Untersuchung der Teleologie [...] nicht angestrebt", vielmehr „soll lediglich ein knapper Überblick gegeben werden" 3 - auf gerade einmal 16 Seiten. Diese Situation mag verschiedene Gründe haben, nicht zuletzt auch in der für das heutige philosophische Denken besseren Handhabbarkeit einer Ästhetik im Gegensatz zu einer teleologischen Naturauffassung. Dennoch blieb die philosophische Beschäftigung mit dem Gedanken einer

1 Wir zitieren die Werke Kants nach der Akademie-Textausgabe {Immanuel Kant: Kants Werke. Akademie-Textausgabe, unveränd. photomechan. Abdruck d. Textes d. von d. Preußischen Akad. d. Wiss. 1902 begonnenen Ausg. von Kants gesammelten Schriften. Berlin (1968)). Der Titel „Kritik der Urteilskraft" wird hier abweichend von der Akademie-Textausgabe durchweg modernisiert. 2 Immanuel Kant : Kritik der Urteilskraft (Philosophische Bibliothek, Bd. 507), mit einer Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme und mit Sachanmerkungen von Piero Giordanetti. Hamburg (2001), 471 -494. 3 Dieter Teichert : Immanuel Kant: „Kritik der Urteilskraft". Ein einführender Kommentar (Studienkommentare zur Philosophie, Uni-Taschenbücher 1716). Paderborn u. a. (1992), 105.

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Stefan Klingner und David Süß

Zweckmäßigkeit bestimmter Naturerscheinungen stets ein Anliegen der Kantforschung jüngeren Datums, besonders auch in Auseinandersetzung mit den empirischen Naturwissenschaften. 4 Bei einem zweiten, kritischeren Blick lässt sich jedoch bemerken, dass der genuine Status der „Kritik der Urteilskraft" als „einem Verbindungsmittel der zwei Theile der Philosophie zu einem Ganzen" (AA V, 176) sowie ihrer hieraus erwachsenden besonderen Funktion für die gesamte kantische Philosophie, ja einer möglichen Transzendentalphilosophie überhaupt, nur äußerst spärlich berücksichtigt wurde. Arbeiten, die diese grundlegende Thematik explizit aufgreifen, sind trotz der wachsenden Beliebtheit der „Kritik der Urteilskraft" leider allzu rar gesät. Manche Untersuchungen älteren Datums bleiben hierbei unverzichtbar, brauchen mithin um ihren Ruf als Standardwerke wahrscheinlich auch zukünftig nicht zu furchten. Diese Diagnose spiegelt sich nun geradezu exemplarisch bei der Betrachtung der verfügbaren Sammelbände wider, die sich expressis verbis Kants dritter Kritik widmen. Nur nicht in einem Punkt: Es gibt derer nur eine Handvoll. Dieses Desiderat in bloß quantitativer Hinsicht ist dabei nicht nur auf den deutschsprachigen Raum beschränkt, sondern betrifft ebenso den Stand der englischund französischsprachigen Literatur: Es überwiegen auch in den vorliegenden Sammelbänden Untersuchungen über das Schöne und Erhabene.5 Der zweite Teil wird eher selten zum Thema einzelner Abhandlungen oder gar eines ganzen Sammelbandes gemacht.6 Und obwohl nach Kant das Vermögen der Urteilskraft „eben so wohl einen Übergang vom reinen Erkenntnißvermögen, d. i. vom Gebiete der Naturbegriffe, zum Gebiete des Freiheitsbegriffs bewirken werde, als sie im logischen Gebrauche den Übergang vom Verstand zur Ver4 Einzelne Schriften sollen an dieser Stelle nicht hervorgehoben werden. Zur näheren Beschäftigung vgl. die Bibliographie im Anhang des vorliegenden Bandes (373-412). 5 Mit besonderem Schwerpunkt auf Kants Ästhetik sind immerhin sechs Sammelbände während der letzten 25 Jahre erschienen: Ted Cohen/Paul Guyer (Hrsg.): Essays in Kant's aesthetics. Chicago u. a. (1982); Ralf Meerbote (Hrsg.): Kant's Aesthetics (North American Kant Society Studies in Philosophy 1). Atascadero (1991); Andrea Esser (Hrsg.): Autonomie der Kunst? Zur Aktualität von Kants Ästhetik. Berlin (1995); Herman Parret (Hrsg.): Kants Ästhetik, Kant's Aesthetics, L'esthétique de Kant. Berlin/New York (1998); Ursula Franke (Hrsg.): Kants Schlüssel zur Kritik des Geschmacks: ästhetische Erfahrung heute - Studien zur Aktualität von Kants „Kritik der Urteilskraft" (Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 45 Sonderheft). Hamburg (2000); Rebecca Kukla (Hrsg.): Aesthetics and Cognition in Kant's Critical Philosophy. Cambridge (2006). 6 Nur zwei Sammelbände versuchen, thematisch eine möglichst große Breite der von Kant in seiner dritten Kritik behandelten Themen zu berücksichtigen: Karl-Heinz Schwabe!Martina Thom (Hrsg.): Naturzweckmäßigkeit und ästhetische Kultur: Studien zu Kants ,Kritik der Urteilskraft'. Sankt Augustin (1993), und Paul Guyer (Hrsg.): Kant's Critique of the Power of Judgment: Critical Essays (Critical Essays on the Classics). Lanham (2003).

Einleitung

11

nunft möglich macht" (AA V, 179), finden sich in den relevanten Sammelbänden nur recht verstreut Überlegungen zu der exponierten Stellung der reflektierenden Urteilskraft im System der gesamten kritischen Philosophie.7 Dieser Umstand wiederum mag um so mehr verwundern, als man mit sehr guten Gründen die Auffassung vertreten könnte, dass ein adäquates Verständnis der in der „Kritik der Urteilskraft" angesprochenen Einzelthemen (sowohl innerhalb der Ästhetik als auch der Teleologie) eben gerade erst durch die außerordentliche Stellung der Urteilskraft und ihres Prinzips erlangt werden kann.

II. Zu diesem Band - Ein thematischer Überblick Von einer ,Vollendung der Transzendentalphilosophie' 8 kann man u. E. mit Blick auf die „Kritik der Urteilskraft" in zumindest dreierlei Bedeutung sprechen: 1.

hinsichtlich ihrer Vermittlungsfunktion scher Vernunft,

zwischen theoretischer und prakti-

2.

hinsichtlich ihres möglichen GrundlegungsgehdXis für verschiedene Disziplinen neben der Philosophie der Natur und der Philosophie der Freiheit (z. B. eben Ästhetik und Teleologie), sowie

3.

mit Bezug auf die eine oder andere Klärung einzelner (systematischer) Lücken der kritischen Philosophie.

Ferner scheint es uns nicht weniger sinnvoll, aus eher philosophiehistorischer Perspektive von einer ,Vollendung' zu sprechen: 4.

man bedenke die einzigartige Wirkung der „Kritik der Urteilskraft", die noch vor den beiden anderen Kritiken von Kants idealistischen Nachfolgern besondere Zuwendung erhielt.

7 Als Ausnahme hervorzuheben ist der Tagungsband der Spindel-Konferenz des Jahres 1991, die besonders die beiden Einleitungen, sowie Themen der teleologischen Urteilskraft bearbeitet hat: Hoke Robinson (Hrsg.): System and Teleology in Kant's Critique of Judgment. Spindel Conference 1991 (The Southern Journal of Philosophy, Supplement 30). Memphis: Memphis State University (1992). 8 Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass Kant selbst zwischen einem „System der Kritik" und einem „System der Transzendentalphilosophie" unterscheidet (vgl. dazu v. a. Immanuel Kant : Kritik der reinen Vernunft, B 869 / A 841 ff.). Im Zuge unseres schlagwortartigen Gebrauchs des Terminus ,Transzendentalphilosophie' im Titel des vorliegenden Bandes weisen wir an dieser Stelle ausdrücklich daraufhin, dass Kant mit seiner dritten Kritik genau genommen sein „ganzes kritisches Geschäft" vollendet (AA V, 170). - Für eine systematische Verhältnisbestimmung der Begriffe ,Kritik' und ,Transzendentalphilosophie' vgl. z. B. Werner Flach : Transzendentalphilosophie und Kritik. Zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie, in: Wilhelm Arnold!Hermann Zeltner (Hrsg.): Tradition und Kritik. Festschrift für Rudolf Zocher zum 80. Geburtstag. Stuttgart-Bad Cannstatt (1967), 69-83.

Stefan Klingner und David Süß

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Diese kleine Typologie des Vollendungsbegriffs diente uns als Leitfaden für die thematische Gestaltung und Gliederung des vorliegenden Sammelbandes. So versammeln sich unter jedem der genannten Punkte mehrere Beiträge, die sowohl aus historischer als auch systematischer Perspektive ausgewählte Problemfelder behandeln. 1. Die Vermittlungsfunktion

der „Kritik der Urteilskraft"

Mit dem Erscheinen der „Kritik der Urteilskraft" im Jahre 1790 reagiert Kant auf einen durch die beiden ersten Kritiken noch offen gelassenen Problemstand - lassen diese doch eine eigentümliche Asymmetrie zwischen theoretischer und praktischer Vernunft bzw. ihren jeweiligen Gegenstandsbereichen bestehen. Den Naturbegriffen ist es nicht möglich, das Intelligible zu erreichen, denn sie sind notwendig anschauungsbezogen. Hingegen ermangelt es den nach der Kausalität der Freiheit gebildeten Begriffen eines Beispiels in der Anschauung. Die systematisch motivierte Notwendigkeit einer Vermittlung ebendieser voneinander getrennten Prinzipien bzw. deren Gegenstandsbereiche ist somit offenkundig. 9 Die „Kritik der Urteilskraft" macht es sich zur Aufgabe, dem nach dem bloßen philosophischen Entwicklungsstand von theoretischer und praktischer Philosophie bestehenden Erklärungsnotstand zu begegnen und sieht sich so den ersten beiden Kritiken ausdrücklich verpflichtet. Man kann sagen: Die „Kritik der Urteilskraft" ist die Vollendung des kritischen Geschäfts der Transzendentalphilosophie.10 Zunächst ist sie das als Vermittlung von theoretischer und praktischer Philosophie, denn die Urteilskraft „giebt den vermittelnden Begriff zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriffe, der den Übergang von der reinen theoretischen zur reinen praktischen, von der Gesetzmäßigkeit nach der ersten zum Endzwecke nach dem letzten möglich macht, in dem Begriffe einer Z w e c k m ä ß i g k e i t der Natur an die Hand" (AA V, 196). 9

Kant bringt dies in der zweiten Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft" auf die folgende Formel: ,,[D]aß diese zwei verschiedenen Gebiete, die sich zwar nicht in ihrer Gesetzgebung, aber doch in ihren Wirkungen in der Sinnenwelt unaufhörlich einschränken, nicht E i n e s ausmachen, kommt daher: daß der Naturbegriff zwar seine Gegenstände in der Anschauung, aber nicht als Dinge an sich selbst, sondern als bloße Erscheinungen, der Freiheitsbegriff dagegen in seinem Objecte zwar ein Ding an sich selbst, aber nicht in der Anschauung vorstellig machen, mithin keiner von beiden ein theoretisches Erkenntnis von seinem Objecte [...] als Ding an sich verschaffen kann" (AA V, 175), dass also „eine unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegrifts, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des FreiheitsbegrifTs, als dem Übersinnlichen, befestigt ist" (AA V, 175 f.). 10 Vgl. auch die nicht misszuverstehenden Äußerungen Kants in der Vorrede zur „Kritik der Urteilskraft". Dort erklärt er beispielsweise im letzten Absatz mit Blick auf seine dritte Kritik: „Hiemit endige ich also mein ganzes kritisches Geschäft." (AA V, 170)

Einleitung

13

Die Einheit der Vernunft (vgl. den Beitrag von Claudia Bickmann , 19-39) und die eigentümlichen Antinomien der reflektierenden Urteilskraft (vgl. den Beitrag von Kurt Walter Zeidler , 41-57) sind mit ihren Grundspannungen genuine Themen dieser vermittelnden Funktion der „Kritik der Urteilskraft". Ferner bietet die dritte Kritik mit ihrem vermittelnden Anspruch Perspektiven auf einen philosophischen Begriff des Lebens (vgl. den Beitrag von Volker Gerhardt , 5973) und auf eine Interpretation des Vermögens der reflektierenden Urteilskraft als einem spezifisch hermeneutischen Vermögen (vgl. den Beitrag von Friedrich Hausen, 75-99).

2. Die Grundlegungsfunktion

der „ Kritik

der Urteilskraft

"

Die „Kritik der Urteilskraft" wendet sich empirischer Gegenständlichkeit unter der Perspektive der Zweckmäßigkeit zu: „[S]o ist das Princip der Urtheilskraft in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt die Z w e c k m ä ß i g k e i t d e r N a t u r in ihrer Mannigfaltigkeit" (AA V, 180). Die Naturbetrachtung unter dem Prinzip der Zweckmäßigkeit richtet sich nun entweder auf das Subjekt dieser oder aber auf den Gegenstand der Naturbetrachtung selber. Subjektive Zweckmäßigkeit fällt unter das Gebiet der ästhetischen, die objektive Zweckmäßigkeit hingegen unter das Gebiet der teleologischen Urteilskraft. 11 Die Kernthemen der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" sind das Schöne und das Erhabene als die klassischen - und in der Kantforschung bereits reichlich bearbeiteten - Themen der philosophischen Disziplin der Ästhetik sowie die Deduktion der ästhetischen Urteile (vgl. den Beitrag von Christian Iber , 103-123), der Begriff des Gemeinsinns und das Schöne als Symbol der Sittlichkeit (vgl. den Beitrag von Christian Helmut Wenzel , 125-139). Die „Kritik der teleologischen Urteilskraft" wiederum bietet ein breites Themenspektrum, das grundlegende Interessen verschiedenster philosophischer Disziplinen bedient. Ihre Themen sind natürlich zuvörderst die Naturteleologie (vgl. den Beitrag von Peter Rohs, 143-161) und deren Idee eines „intuitiven Verstandes" (vgl. den Beitrag von Stefan Klingner , 163-181). Die „Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft" bietet allerdings mit ihren vor allem ethi-

11 Kant schreibt dazu in seiner Einleitung zur dritten Kritik beispielsweise: ,,[S]o können wir die N a t u r s c h ö n h e i t als D a r s t e l l u n g des Begriffs der formalen (bloß subjectiven) und die N a t u r z w e c k e als Darstellung des Begriffs einer realen (objectiven) Zweckmäßigkeit ansehen, deren eine wir durch Geschmack (ästhetisch, vermittelst des Gefühls der Lust), die andere durch Verstand und Vernunft (logisch, nach Begriffen) beurtheilen. Hierauf gründet sich die Eintheilung der Kritik der Urtheilskraft in die der ä s t h e t i s c h e n und t e l e o l o g i s c h e n " (AA V, 193).

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Stefan Klingner und David Süß

koteleologischen Überlegungen auch Anschlüsse einerseits für die Grundlegung von Kultur- bzw. Geschichtswissenschaften (vgl. den Beitrag von Werner Flach , 183-189) und andererseits für anthropologische Fragen wie nach dem Sinn des Lebens (vgl. den Beitrag von Sibille Mischer , 191-217).

3. Die Klärungsfunktion

der „ Kritik

der Urteilskraft

"

Dass Kant seine dritte, abschließende Kritik auch als Möglichkeit wahrnahm, durch die vorherigen Kritiken offen gelassene Fragestellungen letztlich doch noch zu bearbeiten, zeigt sich an verschiedenen Stellen: sowohl in den Einleitungen als auch in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" und der „Kritik der teleologischen Urteilskraft". So nutzt Kant beispielsweise mit der Einleitung in die dritte Kritik die Möglichkeit, einen ganzen Grundriss zum System der Philosophie vorzustellen. Und in einer „Anmerkung" zur „Antinomie des Geschmacks" wird die Thematik um „etwas Übersinnliches (das intelligible Substrat der Natur außer uns und in uns) als Sache an sich selbst" (vgl. AA V, 345) erneut aufgegriffen, obwohl das Problem des „Ding an sich" in der ersten Kritik von Kant bereits ausführlich bedacht wurde (vgl. den Beitrag von David Süß, 221-233). Mit der Analyse ästhetischer Urteile nimmt er weiterhin einen Urteilstyp in den Blick, „dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjectiv sein kann" (AA V, 203), und der damit an das Problem der Wahrnehmungsurteils in den „Prolegomena" erinnert (vgl. den Beitrag von Konstantin Pollok , 235-257). Doch besonders im zweiten Teil der dritten Kritik findet sich so manche „Betrachtung, welche es gar sehr verdient, in der Transcendentalphilosophie umständlich ausgeführt zu werden" (AA V, 401). So wird etwa das Verhältnis von ,Erkenntnis 4 und ,Glauben' - ähnlich wie in den vorangegangenen Kritiken nahezu am Ende der „Methodenlehre" nochmals aufgegriffen und präzisiert (vgl. den Beitrag von Wilhelm Lütterfelds , 259-278). Aber auch die gesamte „Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft" kann als der Versuch der abschließenden „Klärung" einer durch die beiden Vorgängerkritiken verursachten Spannung verstanden werden, wenn man sich die verschiedenen Geltungsansprüche der theoretischen und der praktischen Vernunft vor Augen führt und diesen Punkt schließlich in den Kontext der Unterordnung der Naturzwecke bzw. der theoretischen Vernunft unter die praktischen Zwecke bzw. den Primat der praktischen Vernunft stellt (vgl. den Beitrag von Reinhard Hiltscher , 279311).

Einleitung

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4. Die „ Kritik der Urteilskraft" und die Philosophie des deutschen Idealismus Der letzte Teil ist schließlich dem Verhältnis der dritten Kritik und der Philosophie des deutschen Idealismus gewidmet. Besonders auf die Philosophie Fichtes und Schellings kann die dritte Kritik mit Recht als äußerst einflussreich bezeichnet werden (vgl. den Beitrag von Günter Zöller, 315-349). Das Verhältnis zur Philosophie Hegels ist bereits zum Gegenstand eines eigenen Sammelbandes geworden - an dieser Stelle begnügen wir uns damit, ausdrücklich auf diesen zu verweisen. 12 Allerdings können viele Überlegungen Kants in der „Kritik der Urteilskraft" auch rein systematisch zur Philosophie Hegels in Beziehung gesetzt werden (vgl. den vorliegenden Band abschließenden Beitrag von Christoph Glimpel, 351-369).

Am Schluss der Einleitung sei Raum, allen Autoren für ihre Beiträge zu danken. Ihren Arbeiten ist die Tatsache geschuldet, dass dieser Sammelband einen Großteil der Themen der „Kritik der Urteilskraft" behandelt. Nicht zuletzt gilt unser Dank auch unserem gemeinsamen Lehrer und Mentor Reinhard Hiltscher, der unser philosophisches Interesse immer zu fördern und diesen Band als geduldiger Schirmherr zu begleiten wusste.

Stefan Klingner und David Süß Dresden, Fährgarten Johannstadt im Sommer 2006

12 Hans-Friedrich Fulda!Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Hegel und die „Kritik der Urteilskraft" (Veröffentlichungen der Internationalen Hegel-Vereinigung, Bd. 18). Stuttgart (1990).

I. Vermittlungen

Die eingebettete Vernunft in Kants „Kritik der Urteilskraft 44 Wechselintegration vereint-entgegengesetzter Sphären Claudia Bickmann

I. Zielsetzung der dritten Kritik Kants dritte Kritik, die „Kritik der Urteilskraft", hat Vermittlungs- und Vollendungsfunktion in einem: Insofern sie die Frage zu beantworten sucht, in welcher Weise die kausalitätsbezogenen Naturgesetze mit den auf Freiheit beruhenden Willensgesetzen in einem einigen Weltentwurf zusammenstimmen können, ist sie auf der Suche nach einer Vermittlung zwischen zwei, wie es zunächst scheint, kontradiktorisch entgegengesetzter Gesetzestypen. Indem sie mit dieser Vermittlung aber zugleich die Frage zu beantworten sucht, wie denn eine aus freier Selbstgesetzgebung mögliche moralische Welt denkbar ist, wohnt ihr ein Telos inne: Sie wird den in ihr entwickelten Weltentwurf an dem zu bemessen haben, was mit unserer Freiheit und Selbstbestimmung als moralischer Wesen kompatibel ist. Mit diesem Zweck und Ziel der dritten Kritik wird die Idee des Seinsganzen als eine Hierarchie aufeinander bezogener Seinsebenen aufgefasst, die - je nach Nähe oder Ferne zur Freiheitsidee - einen größeren oder kleineren Anteil an der Verwirklichung einer moralischen Weltordnung haben können. Auf diese hin aber, auf die Idee eines höchsten in dieser Welt zu erreichenden Guts, ist die Systemanlage der dritten Kritik angelegt. Auch wenn die dritte Kritik nicht über einen eigenen Gegenstandsbereich verfugt, da sie allein ein transzendentales Prinzip zur Beurteilung der gegebenen und zu gestaltenden Welt bereitstellen soll, so schweißt sie doch zwei - wie es scheint zunächst getrennte - Welten in eine einige Welt zusammen derart, dass in dieser der moralischen Welt ein deutlicher Vorrang vor der bloß abhängig bestimmten kausalbezüglichen Naturordnung zukommen soll. Doch ist es nur diese eine einige Welt, in der wir nicht nur die vielfältigen Weltansichten, sondern auch die entgegengesetzten Gesetztestypen vereint wissen, an deren Analyse und Beschreibung es Kant gelegen ist.

20

Claudia Bickmann

Wie nun und auf welchen Fährten soll die dritte Kritik jene beiden Ziele erreichen können: wie kann sie Vermittlungs- und Vervollkommnungsinstanz in einem sein? II. Die Urteilskraft zwischen der gegenstandsbestimmenden und der frei setzenden Vernunft Wenn die „Kritik der Urteilskraft" (KU) nicht über ein eigenes Objektgebiet verfügt, so muss alles je Denkbare und auch Mögliche Objekt der ersten beiden Kritiken sein; alles in dieser Welt der gegebenen und möglichen Gesetze muss durch diese beiden Kritiken zu beschreiben sein. Nun sind alle möglichen Objekte für unsere menschliche Vernunft in einer der beiden Sphären aufgehoben: In der theoretischen Vernunft sind diese zuvor „gegeben", hier verhält sich die Vernunft passiv gegenüber der erscheinenden Welt, hier allein nimmt sie sich - abhängig bestimmt - das Material ihrer Erkenntnisse von den raum-zeitlich gegebenen Objekten der empirischen Welt. Dass unsere Vernunft dabei gleichwohl Vorstellungen erzeugend, Gedanken verbindend, und schlussfolgend das Material sichtet, ordnet und zu Gesetzesaussagen zusammenschließt, lässt zwar unsere Gegenstandsbegriffe allein aus Verstandesaktivitäten begreiflich werden, doch bleibt unsere Vernunft mit Blick auf die Welt der gegebenen Erscheinungen durch jenes gegebene Sinnesmaterial abhängig bestimmt. Erst auf dem Gebiete der praktischen Vernunft, dort, wo wir unseren Willen frei bestimmen, zeugen wir eine Welt aus Gesetzen, legen wir selbst die Bedingungen der zu schaffenden Ordnung fest. Solchermaßen folgt unsere Vernunft darum zwei unterschiedlichen Bewegungsrichtungen und erweist sich als gebunden und bestimmt je dort, wo sie auf die Beschreibung und Erklärung der phänomenalen Welt gerichtet ist; aber als bestimmend und frei dort, wo sie sich eine vernunftgeleitete Gesetzesordnung schafft. III. Vermittlungs- und Vervollkommnungsfunktion der dritten Kritik Beide jedoch sind in der gegebenen und aufgegebenen einen Welt je schon integriert: Darum interessiert Kant in seiner dritten Kritik auch nicht die Frage, ob beide Gesetzesformen in dieser Welt zusammenstimmen können, sondern allein, in welcher Weise dies geschieht oder geschehen kann. So werden wir die dritte Kritik auf jene Vermittlungs- und Vervollkommungsfunktion hin näher zu betrachten haben. Es wird zu prüfen sein, ob es Kant gelingt, ein Prinzip der Vermittlung zu finden, das beide Gesetzestypen nicht aufeinander reduziert oder auseinander abzuleiten sucht, sondern das beiden Kausalitätstypen Rechnung zu tragen ver-

Die eingebettete Vernunft in Kants „Kritik der Urteilskraft"

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mag, indem es ihre Verbindung aus einem vereinigenden Dritten begreiflich machen kann. IV. Die dritte Kritik als Ort der „eingebetteten" Vernunft In der dritten Kritik tritt uns nun, - neben der erkennenden und der willensbestimmenden Vernunft der ersten beiden Kritiken - die eingebettete, die verbesonderte Vernunft entgegen; diejenige Vernunft, die nicht die erscheinende Natur allgemeinen Gesetzen zurodnet und diese durch jene begreiflich macht, wie dies Gegenstand der ersten Kritik ist, - sondern eine Vernunft, die solche Gesetze allererst finden und entdecken muss. Eingebettet in die Mannigfaltigkeit der je gegebenen Phänomene wird sie vielmehr die phänomenale Welt allererst auf mögliche Verbindungen und Verknüpfungen zwischen Erscheinungen abzusuchen und zu erforschen haben. Es ist darum der Weg „von unten a u f , von den vereinzelten Phänomenen zum allgemeinen Gesetz; mit Hilfe der reflektierenden Urteilskraft soll eine Heuristik der Annäherung an Singularitäten der natürlichen und sittlichen Phänomene zu gewinnen sein. Die Frage lautet nun zunächst, nach welchen Prinzipien es uns möglich ist, das gegebene mannigfaltige Material auf solche Regeln oder allgemeine Bestimmungen hin abzusuchen, die uns Auskunft über zugrundeliegende allgemeine Gesetze geben könnten. Ferner wird zu fragen sein: wie die Gesetze der erscheinenden Welt, wie sie durch die theoretische Vernunft beschrieben werden, mit den weltzeugenden Prinzipien unserer praktischen Vernunft zu vermitteln sind. Beruhen doch unsere freie Selbstgesetzgebung auf dem Gebiete der Moralität und Sittlichkeit und unsere abhängige Bestimmung durch die Welt der gegebenen Erscheinungen auf zwei gegenläufigen Bewegungsrichtungen unseres Bewusstseins. Im Entwurf einer zu gestaltenden moralischen Welt wirkt unsere Vernunft projektiv, konstitutiv, weltbildzeugend; in der Beschreibung und Erklärung der gegebenen phänomenalen Welt bleibt sie abhängig bestimmt. V. Der Wille: „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt": „nach Begriffen zu wirken" ... Blicken wir näher hin: gleich einleitend in die zweite Fassung zur Einleitung in seine „Kritik der Urteilskraft" wird diejenige Kraft ins Gespräch gebracht, die sich in ihren zwei gegenläufigen Bewegungsrichtungen mal selbstgesetzgebend - nach Begriffen wirkend, - mal das Andere bestimmend, verobjektivierend, verhält: „Der Wille, als Begehrungsvermögen, ist (nämlich) eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und alles, was als durch einen Willen möglich (oder notwendig) vorgestellt wird, heißt praktischmöglich (oder notwendig): zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder

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Claudia Bickmann Notwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern, wie bei der leblosen Materie, durch Mechanism, und, bei Tieren, durch Instinkt) zur Kausalität bestimmt wird." (KU B X I V A X I V )

Die Wirkung nach Begriffen erscheint hier als diejenige Modalität einer Naturkraft, durch die sie sich des Intelligiblen wie unserer menschlichen Vernunft, als eines Vehikels und Mittels bedient. Es ist die im Bereiche des Praktischen bestimmende Vernunft, die sich selbst die Regeln gibt. Doch Kant spricht zunächst nicht von der Vernunft, sondern von einer „Naturkraft", die sich in der und durch die Vernunft die Regeln gibt. Kant lagert somit der Vernunft eine Kraft ein, eine Naturkraft, die sich im vernünftigen Willen nach Begriffen bestimmt und bezogen auf die gegebene Welt der Erscheinungen durch dasjenige bestimmt wird, das nicht sie selber setzt und ist. In dieser, der theoretischen Vernunft, ist jenes Nicht-Ich, auch wenn allererst durch die synthetisierende Vernunft in eine gedankliche Ordnung gebracht, das Substrat und Ziel aller Bestimmung. Vom raum-zeitlich gegebenen Objekte erhält die Vernunft den Gehalt und die Materie ihrer Tätigkeit. Die gedankliche Ordnung jedoch, in die das Einzelne hineingestellt wird, wird nach einem transzendentalen Prinzipe, dem Prinzip der Zweckmäßigkeit aller in der Erscheinungswelt verbundenen Phänomene, eigens erzeugt. Ein solches Prinzip, das allererst die Verbindbarkeit der Phänomene in einem Ganzen begreiflich werden lässt, ist dann so wenig wie die Formbedingungen unserer Anschauung oder die Verstandesoperationen, durch die die Phänomene synthetisiert werden, aus der phänomenalen Welt selbst ableitbar. Es geht aller Bestimmung vielmehr voraus und macht es erst möglich, dass die Mannigfaltigkeit gegebener Erscheinungen als Einheit eines durchgängig bestimmten Ganzen erscheinen kann.

VI. Der durchgängig bestimmte Gegenstand: Die Materie des Gedachten Die Einheit eines Gegenstandes wie auch die Idee ein^r Ordnung, in dem diese Erscheinungen ihren wohl angewiesenen Platz haben, macht somit eine andere transzendentale Bestimmung erforderlich, als sie durch die bloß formalen Gegenstandsbegriffe des Verstandes gegeben sind. Denn es ist in ihr mehr gedacht als möglicher „Gegenstand überhaupt" zu sein: ein Einzelnes, eine Singularität in Raum und Zeit wie auch die gegebene oder aufgegebene Ordnung sind vielmehr, als Einzelne wie im Ganzen - durchgängig bestimmte Einheiten, die nicht nur ihrer Form, sondern auch der Materie nach durchgängig bestimmt sind und für unseren Naturbegriff, der auf die Gesetze wie das Allgemeine in den Phänomenen gerichtet ist, etwas durchaus Zufälliges an sich haben.

Die eingebettete Vernunft in Kants „Kritik der Urteilskraft"

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Zweierlei Voraussetzungen muss Kant darum machen, um auch die Singularität der gegebenen Erscheinungen wie die materiale Bestimmung der Ordnung insgesamt begrifflich zu erfassen: Zunächst antizipiert er im „Ideal der reinen Vernunft" die Idee der Materie eines durchgängig bestimmten Einzelnen wie der Ordnung insgesamt. Dieser Gedanke liegt noch ganz im Gravitationsfeld der ersten Kritik und bildet den Abschlussgedanken einer Ordnung, in der nicht nur ein formaler Gegenstandsbegriff, sondern der Begriff eines Gegenstandes auch der Materie nach gewonnen ist. „Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durchgängigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, so fern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß. Dieses beruht nicht bloß auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet, außer dem Verhältnis zweier einander widerstreitenden Prädikate, jedes Ding noch im Verhältnis auf die gesamte Möglichkeit, als den Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung a priori voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den es an jener gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite. Das Principium der durchgängigen Bestimmung betrifft also den Inhalt und nicht bloß die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen sollen, und nicht bloß der analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegengesetzten Prädikate, und enthält eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu aller Möglichkeit (kursiv: C. B.), welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll." (KrV A 572 B 600) Die Materie der gegebenen Gegenstände ist stets nur in einer sinnlichen Erfahrung zugänglich; um aber den Gegenstand hinreichend von anderen gegebenen oder möglichen Gegenständen zu unterscheiden, muss der Begriff dieser Materie in einer Idee zu antizipieren sein: einer Idee, die alle möglichen Prädikate, die je einem Gegenstande zugesprochen werden können, bereits in sich enthält. Diese Idee, die Kant das Ideal oder die „Idee in individuo" nennt, macht es darum allererst möglich, dass wir auch den Begriff von jener Singularität erhalten, die in all ihren Teilen durchgängig bestimmt ist. Um nämlich durchgängig bestimmt zu sein, müssen wir dem Gegenstand alle die Prädikate zusprechen, die für ihn zutreffend sind; und um ihn zugleich als Singularität von allen nur denkbaren Gegenständen zu unterscheiden, müssen wir, so Kant, einen solchen universellen Prädikationsgrund antizipieren, in dem nicht nur die gegebenen, sondern auch aller nur denkbaren Gegenstände a priori aufgehoben sind. Ohne eine solche Antizipation eines unendlichen Prädikationsgrundes nämlich wäre der einzelne Gegenstand nicht hinreichend von allen anderen unterschieden. „... noch weiter, als die Idee, scheint dasjenige von der objektiven Realität entfernt zu sein, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding, verstehe." (KrV A 568 B 596)

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Die Idee einer Totalität aller Erscheinungen in einer gegebenen und noch zu gestaltenden möglichen Welt ist darum mit dem Gedanken eines durchgängig bestimmten Einzelnen selbst notwendig gesetzt: wir müssen je schon das Ganze antizipieren, wenn überhaupt nur der Begriff einer singulären Erscheinung möglich sein soll.

V I I . Die Idee des zweckmäßig bestimmten Ganzen Der Gedanke eines zweckmäßig bestimmten Ganzen ist aber gebunden an einen nicht-linearen Typ von Kausalität, demgemäß wir nicht bloß gegebene Wirkungen aus möglichen Ursachen in einem einsinnigen Richtungssinn ableiten können, sondern demgemäß die Teile und das Ganze wechselseitig füreinander Ursache und Wirkung sind; eine solche Kausalität, in der die Teile und das Ganze einander wechselseitig verursachen, setzt aber die Idee eines Ganzen vor den Teilen voraus. Diese aber, da sie nicht aus einer Reihe von Ursacheund Wirkungsbeziehungen quasi-mechanisch ableitbar ist, kann nur als die Idee eines Zweckes aufgefasst werden, mithin also als eine intelligible Bestimmungsgröße. „Ich würde vorläufig sagen: ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist; denn hierin liegt eine Kausalität, dergleichen mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne ihr einen Zweck unterzulegen, nicht verbunden, aber auch alsdann, zwar ohne Widerspruch, gedacht, aber nicht begriffen werden kann." (KU A 282 B 286) 1

V I I I . Die Gesetzlichkeit des Zufälligen Auf der Suche nach der „Gesetzlichkeit des Zufälligen" (KU A 340 B 344) gewinnt Kant darum im Prinzip der Zweckmäßigkeit eben jenes transzendentale Prinzip, das uns auch die Zufälligkeit der singulären Phänomene begreiflich machen kann, mithin also diejenigen Phänomene, die nicht aus natürlichen Kausalitäten bloß abzuleiten sind. Nicht aus kausalen Gesetzen ableitbar sein heißt für Kant ebensoviel wie zufällig zu existieren; aber, um de- Kompossibilität im Reiche der natürlichen Kausalitäten willen, wird das Zufällige sich gleichwohl zweckmäßig in dieses hineinfiigen müssen. So ist der Begriff von einem Objekt, „sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält, der Zweck" und die „Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist", nennt Kant dann „die Zweckmäßigkeit der Form derselben" (KU A X X V I B XXVIII). Und so ist „das Prinzip der Urteilskraft, in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empiri1

Vgl. auch K U A 286 B 290.

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sehen Gesetzen überhaupt, die Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit." Dies soll aber, um der Widerspruchsfreiheit der Vernunft mit sich auch auf dem Felde der Urteilskraft Genüge zu tun, die mannigfaltigen Erscheinungen der Natur nur so vorstellen, „als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte." (ebd.) So ist „die Zweckmäßigkeit der Natur (...) ein besonderer Begriff a priori, der lediglich in der reflektierenden Urteilskraft seinen Ursprung hat." (ebd.) Bewusst wird jenes Prinzip nur als Prinzip der Urteilskraft aufgefasst, da man es den Naturprodukten, „als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beilegen, sondern diesen Begriff nur brauchen, um über sie in Ansehung der Verknüpfung der Erscheinungen in ihr, die nach empirischen Gesetzen gegeben ist, zu reflektieren." (ebd.) Handelte es sich um ein konstitutives Prinzip für die gegebenen Erscheinungen der Natur, - es müsste die Natur selbst in sich widersprüchlich aus natürlichen Kausalitäten wie aus freier Zwecksetzung bestimmt sein. Soweit die idealtypische Rekonstruktion einer Sache in der Besonderheit ihrer Erscheinung, die Kant an jenes reflektierende Prinzip der Zweckmäßigkeit bindet, durch das allein unsere Urteilskraft, nicht aber die Dinge selbst bestimmt werden. Und so weist uns die Urteilskraft reflektierend und nicht bestimmend den Weg - „von unten auf 4 - in die Richtung jener durchgängigen Bestimmung, indem sie am Leitfaden jenes transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit das Zusammenstimmen der einzelnen Erscheinungen zur Ganzheit eines Gegenstandes oder der Gegenstände im Verbund einer größeren Ordnung zueinander zu bestimmen vermag. Mit der Idee des Seinsganzen ist dann zugleich aber auch jener Weltbegriff antizipiert, in dem alle Sphären in einer durchgängig bestimmten Harmonie denkbar sind: Sie müssen in ihr möglich, wenn auch nicht wirklich sein. Harmonie ist notwendige regulative Idee, die Idee eines Seinsganzen, in dem die höchsten sinnlichen mit den höchsten sittlichen Zwecken auch in einer inneren Übereinstimmung stehen können. IX. Übereinstimmung aller Zwecke Die „Wirklichkeit" einer solchen Idee ist an die Akte unserer Freiheit gebunden; ja, ihre Wirklichkeit ist ein Akt der Freiheit selbst: Da jedoch die Freiheit mit den natürlichen Bestrebungen der Menschen nicht in einer a priori greifbaren Übereinstimmung steht, ist die erstrebte Harmonie eine ständige, wenn auch unerfüllbare Aufgabe in der gegebenen Welt. In dieser jedoch ist das Kernziel der kantischen Vernunftkritik greifbar: die Idee einer Welt unter moralischen Gesetzen; auf diese sind alle Funktionen ge-

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richtet, in diesem soll die menschliche Vernunft ihre Erfüllung finden, (vgl. KrV A 807 B 836) Ohne jene Finalisierungsabsicht aber, ohne jene Idee einer zu gestaltenden Welt, Kants Idee des Weltganzen begreifen zu wollen, lässt den Sinn des gesamten Unternehmen unberührt; erschließt sich doch von diesem aus allein der Zusammenhang aller Teile im sinnlich-sittlichen Seinsganzen: Darum lässt sich auch die Erkenntniskritik nicht isolieren und die Restriktionen auf eine raum-zeitlich bestimmte Welt begreiflich machen ohne jenen Vernunftanspruch der Freiheit, durch den allein die Vernunft mit sich selbst in eine Übereinstimmung gebracht werden kann. Die Beantwortung der Frage, wie unsere epistemischen Funktionen gleichwohl objektiv genannt werden können, ist bloß ein erster Akt der Annäherung an die Idee der gesuchten Übereinstimmung von Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Wie, so fragt Kant in seiner „Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" können die Formbedingungen unseres Denkens mit den von uns verschiedenen Phänomenen einer raum-zeitlichen Welt übereinstimmen? Für Kant gilt: wenn die Phänomene der gegebenen Erscheinungswelt von unserem Bewusstsein gänzlich verschieden wären, wir könnten von ihnen keine Kunde haben. Diese müssen vielmehr mit und in unserer Erfahrung so unfraglich wie gewiss „gegeben" sein. Darum ist für Kant alles Transzendenzbewusstsein je schon Immanenz in der Transzendenz: In uns selbst, in einem erlebenden, anschauenden und wahrnehmenden Bewusstsein wird jene Objektivität hergestellt, ohne die unsere Orientierung in einer raum-zeitlichen Welt gänzlich unbegreiflich wäre. Übereinstimmung mit den gegebenen Phänomenen kann darum nicht Korrelativität, Entsprechung zweier heterogener Seinssphären heißen; da eine mögliche „externe" Vergleichs- und Bezugsebene - für uns Menschen wenigstens so unerreichbar wie unzugänglich ist. Wenn darum eine Orientierung in der erscheinenden Welt gleichwohl für möglich gehalten werden kann, so muss diese a priori in uns angelegt sein: unser Gemüt muss solche Initialstrukturen in sich ausprägen können, die selbst unfraglich, in - aber nicht durch - die Erfahrung gegeben sind. Wären demgegenüber selbst die Formen, in denen uns die Dinge im Nacheinander der Zeit und im Nebeneinander des Raumes erscheinen, allererst aus einer Erfahrung gewonnen, unsere Raum- und Zeitorientierung müsste ungewiss bleiben. Ungewissheit in einer jeweiligen empirischen Annäherung gehört zu den Möglichkeiten fallibler Erkenntnisse. Ungewissheit aber bezüglich der grundsätzlichen Möglichkeit objektiver Erkenntnisse schließt Kant aus, da wir uns unsere raum-zeitliche Orientierung wie auch die apriorische Formensprache der Geometrie und der Arithmetik ansonsten nicht begreiflich machen könnten. Nicht allein die Formbedingungen der Anschauung sind darum allein durch die apriorische Formensprache der Anschauung und des Denkens begreiflich, auch die Wege und Weisen der Synthesis des gegebenen Materials können nur

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auf solchen Regeln beruhen, die Objekterkenntnis begreiflich machen können. Der hier vorausgesetzte Regelbegriff unserer Verstandesoperationen ist jedoch rein formal und funktional: • Quantitativ bewegt er sich zwischen Einem und Allen. • Qualitativ zeigt er das Sein oder Nicht-sein wie die Limitation zwischen beiden an. • Relational betrifft er die notwendige Beziehungen zwischen zwei Vorstellungen in Urteilen, zweier Urteile untereinander wie die Wechselwirkung zweier Urteile, welche die Minimalbedingung notwendiger Verknüpfungen zwischen unseren Vorstellungen sind. Diesen liegt die Struktur der syllogistischen Urteilsformen zugrunde. Demnach ist prädikatenlogisch • die Verbindung zweier Vorstellungen in einem Urteil derart geregelt, dass eine der beiden Vorstellungen die Funktion des zugrundeliegenden Substrates hat, das nicht seinerseits mehr Prädikat in einem möglichen Urteil werden kann, da es das gegebene Objekt selbst in Subjektform anzuzeigen vermag. • Demnach kann ferner die Kausalität zweier Ereignisse, Vorstellungen oder Sachverhalte die Objektivität von Ursache- und Wirkungsverhältnissen derart garantieren, dass ihre Abfolge die Linearität des Nacheinander in einem logischen oder gar zeitlichen Sinne anzuzeigen vermag. • Im Wechselspiel der Ereignisse, Sachverhalte oder Eigenschaften der Dinge untereinander können schließlich alle füreinander wechselseitig Ursache und Wirkung sein: dieser Objektivitätsgehalt ist vorgeprägt in der Kategorie der Wechselwirkung.

X. Die zwei Bewegungsrichtungen der Vernunft: Pro- und episyllogistische Vernunftschlüsse Bezogen auf die notwendige Verbindung der Vorstellungen untereinander in möglichen Urteilen, der Urteile untereinander in möglichen Urteilsverbindungen, etc. interessiert Kant nun die Erklärungskraft, die mit diesen gesetzt ist. Alle drei relationalen Urteilsformen sind in einer zweifachen Bewegungsrichtung denkbar, je nachdem ob wir mittels der Urteile episyllogistisch zu den Phänomenen selbst herabsteigen oder aber prosyllogistisch in die Bedingungen aller Erscheinungen und Reihen hineinfragen. Auf dieser Ebene ist es der Versuch unserer Vernunft, nicht nur abgeleitete, sondern auch zureichende Erklärungen für die gegebenen Phänomene zu finden. Diese zwei Bewegungsrichtungen unserer Vernunft in der Anleitung unserer Verstandesoperationen entsprechen den Funktionen der Vernunft im „Liniengleichnis" der platonischen „Politeia"; auch Piaton geht von einer Zweiteilung der Vernunftsphäre aus: auch ihm gilt, dass die Vernunft zum einen den Verstand in seinen Operationen in Begriff, Urteil und Schluss immanent auf die (mathematisierbare) Gegenstandsbeschreibung

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und -erklärung hin ausrichten kann. Dann aber ist es für Piaton wie für Kant gleichermaßen evident und eine notwendige Vernunftidee, dass wir zu allen bedingten Erscheinungen in Raum und Zeit, auch die zureichenden Gründe suchen müssen, die hinreichenden Bedingungen, jenes unhypotheton, das ein Ereignis, ein Sachverhalt oder ein Phänomen möglich machen kann. Diese Vernunftidee des Unbedingten gehört nach Kant zu den unhintergehbaren Leitzielen der erkennenden Vernunft: Sie würde die Gegenstände nicht zureichend erkennen, sondern sie unerklärt lassen, wenn sie den Rückgang auf die Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht bis zum Unbedingten vorantreiben würde. Denn damit eine Sache aus ihren Quellen und Ursachen begreiflich ist, müssen all diejenigen Ursachen bekannt sein, die ihre Existenz begreiflich machen können. Ihre Existenz ist nur begreiflich, wenn auch die Gründe zureichend angegeben werden können, durch die sie möglich ist. Jene Rede vom Unbedingten, vom Absoluten, als Grund und Quelle selbst der Möglichkeit alles Endlichen und Relativen hat darum in Kants Philosophie selbst auf dem Felde der Erfahrungserkenntnis einen wohl angewiesenen Platz.

XI. Die Ideen des Unbedingten Die Ideen des Unbedingten nun - sie sind dreifach gemäß den drei Relationskategorien - verleiten die Vernunft dazu, sich mit jenen Ideen zugleich auch drei mögliche Gegenstände vorzustellen, die mittels der Prosyllogismen der jeweiligen Vernunftschlüsse gewonnen werden können. Nicht mehr wird die Vernunftidee des Unbedingten dann funktional für unsere Welterkenntnis in Gebrauch genommen, sondern diese verleitet uns zu jenem dialektischen Scheine, vom Bedingten zum Unbedingten nun auch den Gegenstand eines solchen Unbedingten gewonnen zu haben. Dieser Schluss auf einen gegebenen Gegenstand führt in folgende Schwierigkeit: 1. Gemäß dem Prosyllogismus des kategorischen Vernunftschlusses treibt die Vernunft den Verstand in die Richtung einer letzten allen Urteilen zugrundeliegenden Instanz, die nicht ihrerseits mehr Prädikat in einem weiteren Urteil genannt werden kann. Dieses einfache Substrat wird dann jedoch nicht mehr bloß funktional als die allen kategorischen Vernunftschlüssen zugrunde liegende Idee eines irreduziblen Substrates aufgefasst, das wir notwendig allen Prädikaten zugrunde legen müssen, sondern diese Idee eines unbedingten Substrates wird in einer transzendentalen Subreption in den Gedanken eines für sich bestimmten Gegenstandes verwandelt, welcher als Entität für sich Bestand haben kann und der mittels der Verstandesbestimmungen auch erkennbar ist.

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2. Analog gilt für den zweiten, den hypothetischen Vernunftschluss: Mit den hypothetischen Urteilsverbindungen - einem regressiven Rückgang vom Bedingten zum Unbedingten - ist die Idee des Unbedingten in der Reihe aller gegebenen Bedingungen verbunden, durch welche die Reihe des Bedingten selbst allererst als vollendet aufgefasst werden kann. Dieses Unbedingte wird nach der Art einer transzendentalen Subreption in eine einfache, unteilbare, spontanursächliche Entität verwandelt, die ihrerseits den Charakter eines möglichen erkennbaren Gegenstandes haben soll. 3. Schließlich soll durch den disjunktiven Vernunftschluss ein Wesen aller Wesen zu gewinnen sein, das in sich alle nur möglichen und denkbaren Seinsbestimmungen in einer höchsten Steigerung enthält. Zwischen der Annahme notwendiger letzter Horizonte jedoch, in denen wir die Welt der gegebenen Erscheinungen notwendig auszulegen suchen und der Hypostasierung jener Ideen zu möglichen Gegenständen einer empirischen oder intelligiblen Erfahrung, zieht Kant eine klare Trennungslinie: Während die erste genannte Operation mit den Bedingungen unserer Vernunft notwendig verbunden ist, verleitet uns der zweite Gedanke zu jenem notwendigen transzendentalen Schein, den Kant dann in seiner Dialektik der reinen Vernunft zu destruieren sucht: Der transzendentale Schein muss als ein notwendiger durchschaut und aufgedeckt werden, damit die Vernunft nicht in einen Widerspruch zu ihren eigenen Prinzipien gerät. Mittels jener deutlichen Grenzziehung unserer Erkenntnisfunktionen auf den Bereich des Gegebenen in Raum und Zeit werden die Anwendungsbedingungen unserer Verstandesfunktionen derart restringiert, dass eine mögliche Anwendung auf den Bereich des Übersinnlichen dann jenen trügerischen Schein wahrhaft existierender übersinnlicher Gegenstände nach sich zieht. So dienen die Ideen des Unbedingten in allen drei Vernunftschlüssen in den jeweiligen Urteilssituationen nur der Anleitung des Verstandes, auf der Suche nach den zureichenden Gründen des Gedachten systematische Einheit unter seinen Erkenntnisse zu bewirken. Mit dieser Suche ist aber zugleich auch die Idee eines Weltbegriffs antizipiert, der uns eine vollständige Bestimmung aller in dieser gegebenen oder gedachten Bestimmungen erlaubt.

XII. Das kritische Unternehmen als Propädeutik zur Idee einer möglichen Weltwissenschaft Die kritische Grenzziehung unserer Erkenntnisfunktionen ist jedoch nur der hinleitende Teil, die Propädeutik zu einer solchen Weltwissenschaft. Ihren vollständigen Begriff erreicht sie erst unter der Bedingung, dass in dieser Sinnliches und Sittliches in eine Harmonie miteinander gebracht werden können. Während jene Orte des Unbedingten für den Bereich des Epistemischen nur mehr als letzte Horizonte erschienen sind, in denen wir die Welt der gegebenen

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Erscheinungen auszulegen suchen, erhalten sie auf dem Gebiete der praktischen Vernunft nun konstitutive Kraft: Hier gelten sie unserer Vernunft als apriorische Prinzipien, mittels derer wir unseren freien Willen in einer Welt unter moralischen Gesetzen bestimmen können. So sind die Ideen als Prinzipien der Vernunft zugleich auch die Orte des Umschlages von einer bloß heuristisch in Gebrauch genommenen regulativen Funktion unserer Vernunftideen zur Idee ihrer konstitutiven Kraft und Funktion für die Gestaltung einer moralischen Welt: Es ist vornehmlich diese Idee einer zu gestaltenden moralischen Welt, die Kant als letzten verbindlichen Leithorizont unserem bewusstem Leben voranstellt. Für diese Zielsetzung bedürfen wir eines Vorbegriffs der Vollkommenheit: eines Urbildes, von dem unsere empirische Welt nur ein mehr oder weniger defizienter Abdruck sein kann.

X I I I . Die vermittelnde Kraft zwischen der gegebenen und der aufgegebenen Welt: die Urteilskraft Zwischen jenen beiden Welten: der gegebenen raum-zeitlichen empirischen Welt und zu gestaltenden freien moralischen Welt finden wir in Kant als vermittelnde Kraft die Urteilskraft', die Kraft der Verbindung des Verschiedenen, als Kraft der Subsumtion - aber auch als Kraft der Reflexion: als Kraft des antizipierenden Vorausgriffs nach Prinzipien. Am Leitfaden des Prinzips der inneren und äußeren Zweckmäßigkeit wird sie auf das Zusammenstimmen aller Phänomene in der gegeben und zu gestaltenden Welt gestoßen: Im freien Spiel der Einbildungskraft lässt sie die Phänomene frei in der ihnen eigenen Beschaffenheit vor unser inneres Auge treten; behält jenen Abstand, jene kontemplative Distanz vor der Welt der gegebenen Erscheinungen, der allem freien Weltverhältnis eigen ist, indem er die Phänomene nicht subsumierend zuordnet oder moralisch gewichtet, sondern indem er der ihnen eigenen Beschaffenheit Ausdruck und Gestalt verleiht. Kant wählt das Feld der Kunst, um jenen freien Bezug zur Welt der gegebenen Erscheinungen in produktions- und rezeptionsästhetischem Sinne zu verdeutlichen: Es ist dies die im Werk des Künstlers zu gestaltende Natur; im Rezipienten das freie Spiel seiner Einbildung, mittels dessen er der Besonderheit der Phänomene, der künstlerischen und nicht-künstlerischen Produkte, Rechnung trägt. Dabei ist Kant von einer inneren Affinität unserer Seelenkräfte mit der Welt der gegebenen Erscheinungen überzeugt: Nicht allein die apriorische Formensprache unseres erkennenden Gemüts hatte ihm eine solch mögliche Übereinstimmung angezeigt, denn der Begriff der Erscheinung sollte mal auf das Erscheinen für uns, mal auf den erscheinenden Gegenstandes bezogen sein. Im Genie nun findet Kant diejenige Instanz, durch die sich die Natur einem emp-

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fänglichen Gemüte in ihrer inneren Zweckmäßigkeit offenbart. Diese Phänomene betreffen jedoch zunächst allein die subjektive Zweckmäßigkeit, des Fiir-uns der gegebenen und zu gestaltenden Welt. In seiner teleologischen Urteilskraft geht Kant jedoch einen Schritt weiter: Er sucht nach der inneren Zweckmäßigkeit der gesamten natürlichen und sittlichen Ordnung: dh. nach den Prinzipien der objektiven Zweckmäßigkeit in dieser Welt, insofern sie zugleich aus inneren Quellen motiviert ist. Um jedoch dabei die Vernunft nicht in einen Widerspruch mit sich selbst zu führen - indem die Phänomene zum einen als bedingt und verursacht in Raum und Zeit, zum anderen aber als aus freier Selbstorganisation für möglich gehalten werden, so dass die Kausalität gemäß den Gesetzen der Natur mit der intelligiblen Kausalität, der Kausalität aus Freiheit, in einen Konflikt geraten kann schränkt Kant jenes Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit auf die vorsichtige Formulierung des Als-Ob ein: Nicht können wir die Phänomene so betrachten, als seien sie aus intelligibler Kausalität möglich, sondern wir sind allein angeleitet, sie so zu betrachten, „als ob" sie aus einer solchen entstanden seien: nichts widerstreitet dann dem Gesetz der durchgängigen Naturkausalität, nichts aber widerspricht auch jener Annahme, nach der wir eine Selbstursächlichkeit in den natürlichen Phänomenen voraussetzen dürfen. Mit dem Prinzip der Selbstgesetzgebung oder Selbstverursachung, die einen Ort des Unbedingten in allem Bedingten vorauszusetzen scheint, durch den eine Reihe von Ursache- und Wirkungsbeziehungen von selbst beginnen kann, wird dann zugleich auch der Ort gefunden, an dem die praktische Vernunft sich dem Begriff der theoretischen Vernunft einzufügen vermag: Eine Welt der intelligiblen Kausalitäten ist mit jener Zweckeinheit der Natur nicht nur kompatibel, sondern sie vermag es auch, jene auf einen freien Grund zu stellen; d. h. die Welt so zu betrachten, als sei sie aus Ideen möglich. Und es ist jenes Prinzip der zweckmäßigen Übereinstimmung aller sinnlichen und sittlichen Phänomene, die uns diesen Umbruch in der Analyse des Weltbegriffs in die Richtung auf eine freie Gestaltung einer Welt erlaubt, die nun nicht mehr bloß den natürlichen, sondern ebenso den Freiheitsgesetzen folgt.

XIV. Der Endzweck der zweckmäßig bestimmten Seinsordnung: Kants Ethikotheologie Kants Idee der Weltgestaltung, der Betrachtung der Welt als einer zu vervollkommenen, als einer, deren Zwecke nur durch moralische Zwecke auch auf einen Endzweck gebracht werden können, kulminiert darum in einer Ethikotheologie: Es ist dies eine Theologie, die selbst die Idee des göttlichen Urhebers noch unserer Handlungsperspektive unterwirft; aber es ist zugleich auch eine Theologie, durch die wir dasjenige in der Welt befördern können, was die Welt selbst in der von uns so beurteilten zweckmäßigen Gestalt vorbereitend ermög-

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licht. Wir können durch unser eigenes Tun das Glück in dieser Welt befördern; damit aber eine solches Bestreben auch Aussicht auf Erfolg haben kann, müssen wir ein übersinnliches Substrat voraussetzen, das unserem Handeln unverfligbar ist, weil es die Möglichkeit der Übereinstimmung dieser vereint-entgegengesetzten Kräfte garantieren und begreiflich machen kann. Und so kann die Idee jener Harmonie der vereint-entgegengesetzten Kräfte von Sinnlichkeit und Sittlichkeit, die wir mit dem Ideal des höchsten Gutes verbinden, noch als ein oberstes Prinzip für unsere Urteilskraft ausgelegt werden; ja, es ist jener letzte Horizont, jener Leithorizont, durch den wir uns allererst das gelingende Übereinstimmen aller gegensätzlichen Kräfte in der Welt der gegebenen Erscheinungen wie der übersinnlichen moralischen Welt begreiflich machen können. Doch ähnlich dem höchsten Guten in der aristotelischen Metaphysik wird auch Kants höchstes Gut uns nur als ein Fluchtpunkt unserer moralischen Handlungen offenbar: als ein stets zu erreichendes aber doch ebenso notwendig verfehltes Ziel.

XV. Kants Weg in die Freiheit der Selbstgesetzgebung: Vom Schönen über das Erhabene zur moralischen Welt Die Architektonik im Aufbau der dritten Kritik ist so angelegt, dass in ihr sukzessive der Weg der Befreiung unseres Willens von der Abhängigkeit durch die gegebene Erscheinungswelt greifbar werden kann. Sollte das Geschmacksurteil des Schönen noch von der Sinnessphäre bestimmt sein, indem diese der frei spielenden Einbildungskraft das Material zuweist, so sind wir bezogen auf das Erhabene in eine eigentümliche Schwebe gebracht: Das Missvergnügen an den erhabenen Gegenständen setzt uns in eine Spannung zur Sphäre des Sinnlichen und macht damit den Weg für eine größere Übereinstimmung mit unserer frei setzenden moralischen Vernunft frei; diese bleibt abhängig gebunden, wenn auch in negativer Gestalt. Erst die mit dem Endzweck der teleologischen Urteilskraft gesetzte freie moralische Welt weiß sich unabhängig von aller Heteronomie der Zwecke in der gegebenen Sinneswelt und vermag eine solche aus freiem Willen und in freier Selbstgesetzgebung selbst zu gestalten. Aus der möglichen Anerkennung der Besonderheit einer Sache oder einer Person im ästhetischen Urteil wird schließlich die Anerkennung aller freien Wesen als selbstbestimmter Subjekte ihrer moralischen Handlungen. Und so wie bereits das Ethos der ästhetischen Betrachtung auf einem kontemplativen Verhältnis zur gegebenen Erscheinungswelt beruhte, so wird in der Selbstrelativierung der individuellen Zwecke in der moralischen Welt eine größtmögliche Freiheit gegenüber der Sinnenwelt erreicht.

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Kant sucht somit in seiner dritten Kritik ein Weltverhältnis zu begründen, das theoretischer und praktischer Natur zugleich genannt werden kann - beide erscheinen je wechselseitig integriert und verzahnt, indem bereits unsere ästhetische Annäherungen an die gegebene Erscheinungswelt ein Ethos zur Voraussetzung hat, durch das uns die Dinge nicht bloß mögliche Gegenstände der Verobjektivierung und Veräußerlichung sind, sondern durch das wir diese in uns aufnehmen und sie in der ihnen eigenen Besonderheit zur Erscheinung bringen. In der Nähe zu den Phänomenen wird darum bereits jene sittliche Haltung erprobt, durch die wir die Anderen nicht bloß eigenen Zwecken unterwerfen, sondern diese auch in ihrer Besonderheit zur Geltung bringen können. Darum ist jenes Ethos theoretischer, kontemplativer und praktischer Natur ineins: Kann uns doch nur durch die Haltung bewusster Selbstzurücknahme und Selbstrelativierung die Besonderheit einer Sache in der ihr eigenen Bedeutung erscheinen.

XVI. Die ästhetische Urteilskraft als ein Tun-Lassen Kant analysiert somit in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft zunächst diejenige Bedingung, durch die wir von der Besonderheit eines Gegenstandes angesprochen sind: der Gegenstand wird nicht - als bloßes Mittel für den Genuss - zum Mittel unserer angenehmen Empfindung oder unserer moralischen Beurteilung, sondern er soll frei in der ihm eigenen Dynamik in Erscheinung treten können. Dabei hat er auf dieser Ebene jenes unbegreifliche Vermögen vor Augen, durch das wir in der Lage sind, den Gegenstand in der Fülle und Weite seiner Erscheinung auf uns wirken zu lassen: es ist dies ein Tun-Lassen: durch das gegebene sinnliche Objekt wird unsere Wahrnehmung möglich - wir lassen uns von den Sinnesdaten bestimmen, die wir in unserer frei spielenden Einbildungskraft seiner Besonderheit gemäß - apprehendieren. Nicht darum die Subsumtion unter zuvor gegebene Begriffe ist hier das Ziel, sondern das Zur-GeltungBringen der Besonderheit dessen, wodurch wir in einer sinnlichen Erfahrung selbst angesprochen sind. Jener Akt des Tun-Lassens, der durch unsere Einbildungskraft möglich wird, gilt Kant zugleich als Indikator für unsere prinzipielle Übereinstimmung mit der Welt der gegebenen Erscheinungen: als Indiz ftir die Tatsache, dass wir als sinnlich perzipierende Wesen auch in diese Welt passen. Wie eine Propädeutik zu unserem freien moralischen Handeln ist jenes freie Spiel unserer Einbildungskraft angelegt. Im Bilde des freien Spiels unserer Einbildungskraft können wir unsere freie moralischen Handlungen als einen Versuch begreifen, das Andere oder den Anderen in seiner Andersheit in Erfahrung zu bringen, ihn in seiner Besonderheit in uns aufzunehmen, ohne ihn an einem äußeren Maß zu bemessen. Und nur darum gilt Kant das Schöne zugleich als Symbol des Sittlich-Guten, als es jenes freie Achtungsverhältnis antizipiert, das wir in unserem moralisch verbindlichen Tun in ähnlicher Weise in Anschlag bringen.

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Betrachten wir nun jene innere Verzahnung des theoretischen und praktischen Weltverhältnisses, indem wir in den verschiedenen Stadien der Entwicklung der Urteilskraft diese kombiniert theoretisch-praktische Welt- und Selbstbeziehung zur Sprache bringen:

X V I I . Von der ästhetischen Kontemplation zur freien moralischen Selbstgesetzgebung Wie nun sollen die transzendentalen Prinzipien der Urteilskraft uns jenen Weg weisen von unserem kontemplativen ästhetischen Weltzug zu jener freien Selbstgesetzgebung, durch die wir eine Welt unter moralischen Gesetzen schaffen? In beiden Fällen spielt die Einbettung der Urteilskraft in die gegebenen Welt der sinnlichen Erscheinungen bzw. in die Welt der natürlichen Kausalitäten die entscheidende Rolle: Weder ist der kontemplative Weltbezug in der ästhetischen Urteilskraft ohne die gegebenen sinnlichen Phänomene begreiflich, noch ist die frei setzende Vernunft unabhängig von der natürlichen und sittlichen Welt zur Sprache gebracht: In beiden Fällen ist die Vernunft in ihrer Einbettung in eine ästhetische Erfahrung bzw. in eine gegebene Welt Gegenstand der Reflexion. Von den besonderen Phänomenen der gegeben Welt wie ihrer zweckmäßigen Organisation ausgehend werden beide Grundhaltungen als die Eckpfeiler der „Kritik der Urteilskraft" thematisch. Dabei entwickelt Kant die gegebene und zu gestaltende Zweckordnung im Begriff von einem Seinsganzen, das seinen letzten Bestimmungsgrund aus einer intelligiblen Quelle gewinnt: Um der Vernünftigkeit unserer moralischen Ordnung willen kann das Seinsganze nicht bloß natürlicher Herkunft sein. So kehrt sich nun im Endzweck der gesamten Seins- und Sollensordnung das Abhängigkeitsverhältnis beider Sphären, der natürlichen und der intelligiblen Kausalitäten, um: von jener abhängigen Bestimmung durch die Welt der gegebenen Phänomene - sei es nun in theoretisch bestimmender oder ästhetischkontemplativer Weise, wird sukzessive der Weg in eine durch Freiheit mögliche Welt gesucht; die sich am Ende dann als das insgeheime Telos der gesamten Weltordnung erweisen soll. Kants Weltbegriff wird darum in dieser Betrachtung ähnlich den Interpretationen des nachkantischen Idealismus von Fichte bis Hegel - teleologisch ausgelegt: Selbst jenes vorbehaltliche Als-Ob, das allein der Übereinstimmung der Vernunft mit sich selbst dient, mag hier nicht als Einwand gelten: denn auch für die teleologische Urteilskraft gilt, analog zur bestimmenden Vernunft in der theoretischen Philosophie, daß wir einen widerspruchsfreien Begriff der Vernunft mit sich nur erreichen, wenn wir die Gegenstände wie das Seinsganze in einer zweifachen Perspektive als Noumena und als Phänomena begreifen: Auf

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der Ebene der Dinge an sich wird es dann gleichwohl möglich sein, die Gegenstände so zu betrachten, als seien sie nur aus Zwecken, d. h. aus intelligiblen Bestimmungsgründen möglich. Zwecke sind intelligible Kausalitäten; Gegenstände aber können, so Kant, nicht in ein und derselben Hinsicht als kausal determiniert oder als aus Ideen entsprungen vorgestellt werden. So gilt auch bezogen auf die dritte Kritik wie bereits bezogen auf die Prinzipien der ersten Kritik, dass wir die Übereinstimmung der Vernunft mit sich nicht gefährden, wenn wir die Dinge in einer zweifachen Hinsicht zu betrachten vermögen: Wenn wir sie in der Sphäre des Noumenalen als aus Ideen entsprungen uns vorstellen; bezogen auf die Phänomenale Welt aber unserer Erkenntnisoperationen auf die raum-zeitlich gegebene Sinnenwelt restringieren. So wie Kant darum im Horizont der kopernikanischen Wende der Erkenntnistheorie unsere epistemischen Operationen aus einer spontanursächlichen Quelle freier Objektbestimmung begreiflich zu machen sucht, so wird auch die moralische Welt aus freier Selbstgesetzgebung möglich, - wodurch die gegebene Welt dann auf eine intelligible Kausalität zurückgeführt werden kann. Und darum kann Kant auch zu recht sagen: „Aber diese systematische Einheit der Zwecke in dieser Welt der Intelligenzen, welche, obzwar, als bloße Natur, nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit aber intelligibele, d. i. moralische Welt (regnum gratiae) genannt werden kann, führet unausbleiblich auch auf die zweckmäßige Einheit aller Dinge, die dieses große Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach allgemeinen und notwendigen Sittengesetzen, und vereinigt die praktische Vernunft mit der spekulativen. Die Welt muß als aus einer Idee entsprungen vorgestellet werden, wenn sie mit demjenigen Vernunftgebrauch, ohne welchen wir uns selbst der Vernunft unwürdig halten würden, nämlich dem moralischen, als welcher durchaus auf der Idee des höchsten Guts beruht, zusammenstimmen soll. Dadurch bekommt alle Naturforschung eine Richtung nach der Form eines Systems der Zwecke, und wird in ihrer höchsten Ausbreitung Physikotheologie. Diese aber, da sie doch von sittlicher Ordnung, als einer in dem Wesen der Freiheit gegründeten und nicht durch äußere Gebote zufällig gestifteten Einheit, anhob, bringt die Zweckmäßigkeit der Natur auf Gründe, die a priori mit der inneren Möglichkeit der Dinge unzertrennlich verknüpft sein müssen, und dadurch auf eine transzendentale Theologie, die sich das Ideal der höchsten ontologischen Vollkommenheit zu einem Prinzip der systematischen Einheit nimmt, welches nach allgemeinen und notwendigen Naturgesetzen alle Dinge verknüpft, weil sie alle in der absoluten Notwendigkeit eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben." (KrV 844 B 816)

So mündet die dritte Kritik in einem ethikotheologischen Beweis für die Existenz Gottes: Die Urteilskraft wird in ihrer reflektierenden Gestalt auf diese Weise zum Ausgang und Anhalt, die Welt freier Selbstgesetzgebung nicht nur normativ zu antizipieren, sondern sie auch schrittweise in der gegebenen, der erscheinenden Welt zu entfalten. Die „Kritik der Urteilskraft" ist darum ein theoretisches und praktisches Werk zugleich; sie reicht die Leiter von der ersten Annäherung an die sinnlich gegebene Welt, in der unser alltägliches Gebrauchswissen ebenso zu Hause ist wie unsere frei spielende Einbildungskraft, und entwickelt sich fort bis zur Idee einer Welt unter moralischen Geset-

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zen, die sich am Maß des höchsten Guten das Prinzip ihrer Verwirklichung nimmt. Auf diese Weise komplettiert darum die dritte Kritik das theoretische und praktische Bemühen der beiden ersten Kritiken: Denn Welt-Erkenntnis ohne den Bezug zu einer moralisch zu vollführenden Welt wäre ebenso blind wie die Ebene der Moralität bloß formal bleiben müsste, wenn sie nicht in der je gegebenen Handlungssituationen das zureichende Maß für die Ausfuhrung unserer praktischen Urteilskraft gewinnen könnte.

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Die Antinomien in der „Kritik der Urteilskraft" Kurt Walter Zeidler

Die Verschränkung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft und die Formulierung und Aufhebung ihrer Antinomien sind nur über Umwege verständlich zu machen. Warum Kant eine „Kritik des Geschmacks" und eine „Kritik der teleologischen Urteilskraft" zusammenspannt, wird anhand der Unterscheidung zwischen einer formalen und einer realen Zweckmäßigkeit (KdU A X L V I I I / B L) nur auf unzulängliche, weil ihrerseits höchst erklärungsbedürftige Weise erklärt. Auch Kants vermögenspsychologische Orientierung, sein Vertrauen in die „allgemeine Vorzeich[n]ung der Elemente der Erkenntnis und der dazu gehörigen Gemüthskräfte", erklärt nicht, warum er gelegentlich seiner Beschäftigung „mit der Kritik des Geschmacks [...] eine neue Art von Principien a priori entdeckt" und nunmehr unverhofft „drei Theile der Philosophie [...] theoretische Philosophie Teleologie und praktische Philosophie" erkennt (Brief an Reinhold vom 28. Dec. 1787). Die Verschränkung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft und die Formulierung und Aufhebung ihrer Antinomien sind daher mit Blick auf das Beweisziel zu würdigen, das Kant in der „Kritik der Urteilskraft" verfolgt. Das Beweisziel besteht bekanntlich darin, die „unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen", zu überbrücken. Dieses Beweisziel wird allerdings nicht allein mit Blick auf die erste und die zweite Kritik verständlich, denn es erwächst aus einer Problemkomplexion, die Kant zwar als Problem des Abschlusses und der Vollendung seiner Erkenntniskritik verstand, die aber nicht minder als Anfangsproblem zu verstehen ist, da in dieser Problemkomplexion der Problemhorizont (vor allem auch vorkritische Problemhorizont) thematisch wird von dem Kant ausgeht und innerhalb dessen er seine erkenntniskritischen Resultate erarbeitet. Ein Kantianismus, der sich bloß an diese erkenntniskritischen Resultate hält, weil er der gängigen Unterscheidung zwischen dem vor-kritischen und dem kritischen Kant vertraut, steht daher in Gefahr, die Problemzusammenhänge der dritten Kritik von Grund auf zu verkennen; er steht in Gefahr, Voraussetzungen und Resultate zu verwechseln. Darum muß vorweg betont werden, daß die in der dritten Kritik entwickelte Physikoteleologie weniger deren Resultat, als vielmehr die Voraussetzung aller drei Kritiken ist. Die Physikoteleologie ist der Angelpunkt, um den sich Kants gesamtes Denken dreht: von seinen ersten Publikationen bis zu seinen letzten Reflexionen im

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„Opus postumum" ist seine Gedankenarbeit durchgängig dem Versuch gewidmet, die Natur als dynamisches Ganzes und somit als in sich zweckmäßig geordnetes Ganzes und somit als vernünftige Natur zu begreifen. Indem die Physikoteleologie die Natur als ein dynamisches Ganzes zu bestimmen sucht, dabei aber im Unterschied zur Physikotheologie auf übernatürliche Bestimmungsgründe verzichtet, ist sie der vorkritische Angelpunkt an dem auch Kants „kritisches Geschäft" hängt, zumal der Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften genau die Widersprüche provoziert, die Kant Antinomien der reinen Vernunft nennt. Aus dem Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften oder, positiv formuliert, aus Kants ,vorkritischem' Projekt einer Vereinbarung von Leibnizscher Metaphysik und Newtonscher Physik, entstehen die Antinomien, die es im Interesse der Vernunft - und das heißt zugleich im Interesse des physikoteleologischen Naturbegriffs - aufzuklären und womöglich als bloß scheinbare Widersprüche zu entlarven gilt. 1 Das Resultat dieser Aufklärungsarbeit ist bekanntlich der „transzendentale Idealismus", der kraft der grundlegenden Unterscheidung zwischen Sinnenwelt und Verstandeswelt die Vernunftantinomien auflöst, indem er einerseits den Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften auf die „Sinnenwelt" als einen Inbegriff von „Erscheinungen" restringiert und andererseits in der „Verstandeswelt" Raum für die Ideen und fur eine praktische Vernunft schafft. Die kritische „Auflösung" der Vernunftantinomien bietet freilich nur eine vorläufige Lösung. Sie bietet eine vorläufige Lösung nicht allein deshalb, weil Kant das „kritische Geschäft" ohnehin nur als Vorbereitung versteht für die künftige Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, sondern vor allem deshalb, weil sie den Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der mathematischen Naturwissenschaft weniger „auflöst", als vielmehr festschreibt. Soll die Natur als dynamisches Ganzes begriffen werden, dann bietet der „transzendentale Idealismus" mit seinen Unterscheidungen von Sinnenwelt und Verstandeswelt, von Erscheinungen und Dingen an sich und von theoretischer und praktischer Vernunft nur eine Notlösung. Die kritischen Dualismen bieten eine Lösung, die zwar vorderhand zu ak1 Innerhalb der Antinomienlehre kommt der Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der mathematischen Naturwissenschaften und dem Naturbegriff der Physikoteleologie nochmals mit der Unterscheidung zwischen den mathematischen und den dynamischen Antinomien bzw. Welt und Natur zur Sprache: „Wir haben zwei Ausdrücke: Welt und Natur, welche bisweilen in einander laufen. Das erste bedeutet das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die Totalität ihrer Synthesis, im Großen sowohl als im Kleinen, d. i. sowohl in dem Fortschritt derselben durch Zusammensetzung, als durch Teilung. Eben dieselbe Welt wird aber Natur genannt, so fern sie als ein dynamisches Ganzes betrachtet wird, und man nicht auf die Aggregation im Räume oder der Zeit, um sie als eine Größe zu Stande zu bringen, sondern auf die Einheit im Dasein der Erscheinungen siehet." (KrV A 418 f. / B 446 f.; vgl. A 528 ff. / B 556 ff.)

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zeptieren und in der Kritik an dem antinomischen Wechselspiel von metaphysischem und empiristischem Dogmatismus auch entschlossen zu behaupten ist, die aber nicht etwa daran hindert, sondern ganz im Gegenteil dazu auffordert, nach besseren Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Die Physikoteleologie drängt auf Überwindung der kritischen Dualismen: sie verlangt, die Verstandeswelt als „Grund" der Sinnenwelt zu bestimmen oder durch die Differenz von Sinnenwelt und Verstandeswelt hindurch in das gemeinsame Fundament von sensibler und intelligibler Welt vorzustoßen, weshalb Kant denn auch immer wieder Anläufe unternimmt, die seine erkenntniskritischen Unterscheidungen in Frage stellen. Kants Anläufe zur „Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (KrV A 669 ff. / B 697 ff), oder zu einer abschließenden „Grenzbestimmung der reinen Vernunft" (Proleg. §§57 ff), oder zur Gewinnung eines gemeinschaftlichen Prinzips von theoretischer und praktischer Vernunft (vgl. GMS A X I I I f.; KpV A 162), stellen seine erkenntniskritischen Unterscheidungen in Frage, indem sie auf eine, der „kritischen" Grundunterscheidung von Sinnenwelt und Verstandeswelt voraus- und zugrundeliegende Einsicht zielen. Sie zielen auf eine Einsicht in den Zusammenhang oder in den Grund der Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt, die im Horizont dieser Unterscheidung nicht gewonnen werden kann, obwohl sie in deren Horizont eben so sehr gefordert werden muß. Die kritische „Auflösung" der Vernunftantinomien zeitigt mithin dialektische Folgeprobleme, die Kant über die 80er Jahre hinweg zur Fortfuhrung seines „kritischen Geschäftes" zwingen. Sie zeitigt kritisch-metaphysische Folgeprobleme, die Kant in der zweiten und in der dritten Kritik im Lichte des „transzendentalen Idealismus" und nach dem Muster der Vernunftantinomien aufhebt, indem er sie als Antinomie der praktischen Vernunft und als Antinomien der reflektierenden Urteilskraft begreift. Da aber der „kritische Idealismus" den Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der mathematischen Naturwissenschaft weniger aufhebt, als vielmehr festschreibt, muß die „Aufhebung" dieser Antinomien im Horizont des Kritizismus in dem Maße fragwürdig bleiben, in dem bereits ihre Formulierung seinen Horizont sprengt. Während Kant diese Fragwürdigkeit in der zweiten Kritik, in seiner Postulatenlehre, zugunsten der Vereinbarkeit von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit noch angestrengt hinwegzudeuten versucht, ist sie ihm in der dritten Kritik sichtlich zum Problem geworden. Die schärfere Problemsicht manifestiert sich in Kants Bestreben, der mit der Parallelisierung von Sinnenwelt und Verstandeswelt und mit der Suche nach einem gemeinschaftlichen Prinzip von theoretischer und praktischer Vernunft einhergehenden Gefährdung seiner erkenntniskritischen Unterscheidungen und Vorentscheidungen zu begegnen. Kant trägt nunmehr terminologisch der Einsicht Rechnung, daß die „Einteilung [...] der Welt in eine Sinnen- und Verstandeswelt [...] in positiver Bedeutung gar nicht zugelassen werden" kann (KrV A 255 / B 310 f.), vermeidet darum in der „Kritik der Urteilskraft" die verfängliche Rede von einer „Sinnenwelt" und

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„Verstandeswelt" und spricht statt dessen vom „Gebiete des Naturbegriffs [...] und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs", die derart verschieden sind, „als ob es so viel verschiedene Welten wären" (KdU AB XIX). Der schärferen Problemsicht und geänderten Terminologie entsprechend werden auch die bislang - in der Vemunftkritik, in den „Prolegomena", in der „Grundlegungsschrift" und in der zweiten Kritik - verfolgten Anläufe zur „Vollendung des kritischen Geschäftes" modifiziert: in der „Kritik der Urteilskraft" wird die Vollendungskonzeption, die Kants kritische Architektonik zu unterlaufen droht, in eine Brückenkonzeption umgebogen, die seine kritische Architektonik stützen soll. 2 Die Umbiegung der Vollendungskonzeption in eine Brückenkonzeption erfolgt mit Blick auf die „unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen" (KdU AB XIX), die es in der dritten Kritik zu überbrücken gelte: denn soll „der Freiheitsbegriff den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen", so muß „die Natur [...] auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme." (KdU AB X I X f.). Dieses Beweisziel setzt das was es zu beweisen gilt voraus und kann dennoch nicht auf direktem Wege erreicht werden: nachdem die „Sinnenwelt" oder „die Natur" im kritischen Verstände, d. i. im Horizont der theoretischen Vernunft, bestimmt ist als der „Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, sofern sie für nichts mehr als bloße Erscheinungen genommen werden" (KdU AB XVII), kann „die Natur", und kann auch „die Gesetzmäßigkeit ihrer Form", nicht als der Ort der Zusammenstimmung von Naturgesetzen und Freiheitsgesetzen gedacht werden. Die „unübersehbare Kluft" zwischen Natur- und Freiheitsbegriff ist daher allenfalls auf einem Umweg zu überbrücken - auf einem Umweg, den Kant entsprechend umwegig zur Sprache bringt, wenn er feststellt, es müsse „doch einen Grund der Einheit des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, geben, wovon der Begriff, wenn er gleich weder theoretisch noch praktisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, [...] dennoch den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen, zu der nach Prinzipien der anderen, möglich macht." (KdU AB XX) Die gewundene Formulierung bringt aber nun nicht allein das Umwegige der angestrebten Lösung zum Ausdruck, sondern formuliert eine Aufgabe, die 2 Für Kants Gesamtsystematik bedeutet das im Rückblick auf die beiden ersten Kritiken und im Vorblick auf die projektierte Metaphysik der Natur und der Sitten, daß die nunmehr „aus drei Teilen: der Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urteilskraft, und der reinen [sc. praktischen] Vernunft" (KdU A X X I I I ; vgl. AA X, 514 f.) bestehende kritische „Propädeutik" durch die dritte Kritik zu vervollständigen sei, auf daß der Bau am metaphysischen „System" ungesäumt in Angriff genommen werden könne (vgl. KdU A X, L f.).

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streng genommen gar nicht gelöst werden kann. Die Aufgabe ist unlösbar, weil Kant eine Gleichung mit mehreren Unbekannten aufstellt, wenn er das Übersinnliche, „welches der Natur zum Grunde liegt", und das Übersinnliche, „was der Freiheitsbegriff praktisch enthält", unterscheidet und zu beider Vereinbarung „einen Grund der Einheit des Übersinnlichen" ansetzt, dessen „Begriff, wenn er auch zu keiner Erkenntnis dieses Grundes gelangen könne, „dennoch den Übergang" zwischen der theoretischen und der praktischen „Denkungsart" möglich machen soll. Diese Aufgabe ist unlösbar und kann nur formuliert werden, weil Kant ihre Lösung voraussetzt oder, genauer gesagt, weil er im Sinne seines physikoteleologischen Ansatzes immer schon vorausgesetzt hat, daß die „Natur auch so gedacht werden können [muß], daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme". Nachdem diese Voraussetzung bereits verschiedene Anläufe provozierte, die auf Einsicht in den Zusammenhang oder in den Grund der Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt zielten, kann Kant in der „Kritik der Urteilskraft" auf eben diese Anläufe zurückgreifen: er greift insbesondere die beiden Ansätze zur „Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (KrV A 669 ff. / B 697 ff), sowie zu einer abschliessenden „Grenzbestimmung der reinen Vernunft" (Proleg. §§57 ff.), auf und modifiziert sie entsprechend der Umbiegung der Vollendungskonzeption in eine Brückenkonzeption, indem er sie nach Vorgabe der Vernunftantinomien als Antinomien der reflektierenden Urteilskraft reformuliert. Im „Anhang zur transzendentalen Dialektik" (KrV A 642 ff. / B 670 ff.) entwickelt Kant eine Lehre vom regulativen Vernunftgebrauch, die er als „Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (KrV A 670 / B 698) versteht, da sie die kritisch-metaphysischen Folgeprobleme bewältigen soll, die aus der kritischen „Auflösung" der Vernunftantinomien resultieren. Die kritische „Auflösung" der Vernunftantinomien im Sinne des „transzendentalen Idealismus" produziert kritisch-metaphysische Folgeprobleme weil sie den Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften zugunsten des letzteren festschreibt: indem sie die Gegenstände der Empirie zu „Erscheinungen" depotenziert, trennt sie den erfahrungswissenschaftlichen strikt vom physikoteleologischen Naturbegriff und überläßt der künftigen „Metaphysik der Natur" die Aufgabe, die Natur als ein dynamisches Ganzes zu bestimmen. Da Kant sein kritisches Unternehmen als Grundlegung dieser künftigen Metaphysik versteht, beschränkt sich die Vernunftkritik aber nicht - wie eine verbreitete Lesart nach wie vor glauben macht - auf eine Metatheorie der mathematischen Naturwissenschaften und die Kritik der Schulmetaphysik, vielmehr findet sie ihren Abschluß in dem Versuch, die „systematische Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung" (KrV A 697 / B 725) anhand einer vernunfttheoretischen und methodologischen Umdeutung der Physikotheologie zu begründen. Die Grundzüge dieser Umdeutung sind vorgezeichnet durch Kants hohe Wertschätzung des physikotheologischen Gottesbeweises, der „das Studium der Natur" belebt, weil

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er „Zwecke und Absichten dahin [bringt], wo sie unsere Beobachtung nicht von selbst entdeckt hätte, und unsere Naturkenntnisse durch den Leitfaden einer besonderen Einheit [erweitert], deren Princip außer der Natur ist" (KrV A 623 / B 651). Die systematische Umdeutung der Physikotheologie erfolgt im „Anhang zur transzendentalen Dialektik" in den beiden Abschnitten ,Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft' (KrV A 642 ff. / B 670 f f ) und ,Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft' (KrV A 669 ff. / B 697 ff). In beiden Abschnitten entwickelt Kant seine Lehre vom regulativen Vernunftgebrauch, der auf „die systematische Einheit der Verstandeserkenntnisse" (KrV A 647 / B 675) und zugleich auf eine „Deduktion der Ideen der reinen Vernunft" zielt, da die Vernunftideen mittelbaren Gegenstandsbezug und dadurch „objektive, aber unbestimmte Gültigkeit" gewinnen (KrV A 663 / B 691; vgl. A 680 / B 708), wenn sie als regulative Prinzipien oder Vernunftmaximen „das Verfahren an[zeigen], nach welchem der empirische und bestimmte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich selbst durchgängig zusammenstimmend werden" kann (KrV A 665 f. / B 693 f.; vgl. A 680 / B 708). Wie Kant in diesem Zusammenhang näher ausführt, ist die Idee in ihrem regulativen Gebrauch, als „ein Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit" zu verstehen, da „die Anwendung der Verstandesbegriffe auf das Schema der Vernunft nicht [...] eine Erkenntnis des Gegenstandes selbst ist" (KrV A 665 / B 693), denn die Idee bezieht sich nicht „geradezu auf einen Gegenstand [...], sondern ist nur ein nach Bedingungen der größten Vernunfteinheit geordnetes Schema, von dem Begriffe eines Dinges überhaupt, welches nur dazu dient, um die größte systematische Einheit im empirischen Gebrauche unserer Vernunft zu erhalten, indem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam von dem eingebildeten Gegenstande dieser Idee, als seinem Grunde, oder Ursache, ableitet. Alsdenn heißt es z. B., die Dinge der Welt müssen so betrachtet werden, als ob sie von einer höchsten Intelligenz ihr Dasein hätten. Auf solche Weise ist die Idee eigentlich nur ein heuristischer und nicht ostensiver Begriff, und zeigt an, nicht wie ein Gegenstand beschaffen ist, sondern wie wir, unter der Leitung desselben, die Beschaffenheit und Verknüpfung der Gegenstände der Erfahrung überhaupt suchen sollen." (KrV A 670 f. / B 698 f.) Wie unschwer zu erkennen ist, nimmt die Lehre vom regulativen Vernunftgebrauch die Thematik der reflektierenden, insbesondere der teleologischen Urteilskraft vorweg und erarbeitet sogar eine differenziertere logische Struktur als die dritte Kritik, da Kant hier nicht nur von einem „Gesetz der Spezifikation der Natur" spricht, sondern drei „Prinzipien der Homogenität, der Spezifikation und der Kontinuität der Formen" unterscheidet, kraft derer die Vernunft dem Verstand sein Feld bereitet. Diese drei Vernunftmaximen, die Kant im Sinne einer Art-Gattungs-Dialektik entwickelt, indem er sie anhand der Beziehungen der „Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen", der „Varietät des Gleichartigen unter niederen Arten" und des „kontinuierlichen Über-

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gang[s] von einer jeden Art zu jeder anderen" illustriert (KrV A 657 f. / B 685 f.), nehmen einerseits die Thematik der reflektierenden Urteilskraft vorweg und überschreiten sie andererseits in Richtung einer spekulatividealistischen Vernunfttheorie. Das spekulative Potential seiner Lehre von den Vernunftmaximen birgt für Kant freilich mehr Risiken als Chancen. Ist die Idee in ihrem regulativen Gebrauch, als „ein nach Bedingungen der größten Vernunfteinheit geordnetes Schema, von dem Begriffe eines Dinges überhaupt" zu verstehen, dann durchkreuzt sie die methodische Isolierung der Erkenntniskompetenzen von Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Mit anderen Worten: die mit der Lehre von den Vernunftmaximen angesprochene positiv-dialektische Funktion der Vernunft gefährdet die kritische Architektonik. Kant steht folglich vor einem schwerwiegenden systematischen Problem, und so weist er denn auch in § 60 der „Prolegomena", der den unerledigten Problemen der Vernunftkritik gewidmet ist,3 ausdrücklich auf das Paradoxon hin, daß „in der Kritik von Seite 647 bis 668", d. i. im Abschnitt ,Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft', „gewisse Vernunftprinzipien vorgetragen [werden], die [...] konstitutiv und gesetzgebend in Ansehung der Erfahrung zu sein [scheinen], da sie doch aus bloßer Vernunft entspringen, welche nicht so, wie der Verstand, als ein Prinzip möglicher Erfahrung angesehen werden darf 4 . Im Lichte seiner Voraussetzungen kann Kant die paradoxe Konstitutivität des regulativen Apriori weder akzeptieren, noch kann er sich ihre rein vernunfttheoretische Auflösung erhoffen. Antwort auf die Frage, ob denn „auch Erfahrung mittelbar unter der Gesetzgebung der Vernunft stehe", kann er im Lichte seines physikoteleologischen Ansatzes nur von denen erwarten, „welche der Natur der Vernunft, auch außer ihrem Gebrauch in der Metaphysik, sogar in den allgemeinen Prinzipien, eine Naturgeschichte überhaupt systematisch zu machen, nachspüren wollen" (Proleg. § 60). Die Aufgabenstellung weist deutlich voraus auf die „Kritik der teleologischen Urteilskraft", zumal Kant in diesem Paragraphen seinen physikoteleologischen Ansatz unüberhörbar zur Sprache bringt. Kant spricht in § 60 der „Prolegomena" nämlich von zwei „Scholien" - von zwei, im Anschluß an die Vernunftkritik noch zu lösenden Aufgaben - wobei die erste „der Nachforschung würdige Aufgabe", die Auffindung der „Naturzwecke" betrifft, „worauf die Anlage zu transzendenten Begriffen in unsrer Natur abgezielt sein mag"; dieses erste Scholion sucht Antwort auf die Frage, warum sich die Vernunft in „dialektische Schlüsse verwickelt" und eine „vernünftelnde Metaphysik" gebiert, die „zur Beförderung der Naturerkenntnis entbehrlich, ja wohl gar ihr nachteilig ist", obwohl „alles, was in der Natur liegt, doch auf irgend eine nützliche Absicht ursprünglich angelegt sein muß."

3 Verf., Unerledigte Probleme der Vernunftkritik (serb. Otworeni problemi kritike uma), in: D. Basta (Hrsg.), Aktuelnost i buducnost kantowe filosofije, Beograd 2004, S. 347-357 (S. 358-368).

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Kants unbekümmerte Rede vom Naturzwecke und der nützlichen Naturabsicht unterbietet drastisch sein kritisches Niveau und erhellt erneut, zumal sich ähnliche Formulierungen in der Vernunftkritik finden (vgl. KrV A 743 / B 771, A 801 / B 829), wie wenig die gängige historiographische Unterscheidung zwischen dem „vor-kritischen" und dem „kritischen" Kant zum Verständnis einer Gedankenentwicklung beiträgt, die ihre Größe und Kraft aus der Spannung zwischen ihrem vorkritischen Ansatz und dessen kritisch-selbstkritischer Korrektur schöpft. Stellt man diese Spannung und die Schwierigkeiten in Rechnung, die Kant die ebenso paradoxe wie unabweisbare Frage nach der Konstitutivität des regulativen Apriori bereiten, wird allererst in vollem Umfang deutlich warum die Erkenntniskritik zu ihrer Vervollständigung dringend einer kritischen Physikoteleologie bedarf: vordringliche Aufgabe der dritten Kritik ist nicht allein die Überbrückung der „unübersehbare[n] Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs [...] und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs", sondern eben so sehr die Überbrückung des Gegensatzes zwischen Kants vorkritischer Metaphysik und seiner kritischen Erkenntnissystematik. Die „Kritik der teleologischen Urteilskraft" ist Kants selbstkritische Kritik der Physikoteleologie und ist dieser Aufgabe so offenkundig und so eindeutig gewidmet, daß ihr Inhalt sich in Variationen ein und des selben Themas erschöpft. Das ständig variierte Thema der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" ist die unzertrennlich mit dem Begriff der „Naturzwecke" verbundene Frage, warum wir einer reflektierenden Urteilskraft bedürfen und mit welchem Recht wir uns ihrer in der Naturforschung bedienen. Ein streng bezeichnetes „kritisches" Problem tritt damit an Stelle der vor-kritischen Unbekümmertheit, mit der Kant noch in den „Prolegomena" (1783) und vor allem in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784) über Naturzwecke und nützliche Absichten der Natur plauderte. Die dritte Kritik zieht die Konsequenz aus der Einsicht, daß wir von „Zwecken" sinnvoll nur mit Bezug auf unsere eigene Vernunft sprechen können.4 Thema der kritischen Physikoteleologie ist daher nicht eine nach meta-physischer Manier vorgestellte „Natur", die ihre vorgeblich nützlichen Absichten und Zwecke verfolgt, ihr Thema ist vielmehr die erkenntniskritische Frage, mit welchem Recht wir der Natur den Begriff einer Absicht oder eines Zwecks unterlegen. Die Frage steht auch im Hintergrunde der Antinomie der teleologischen Urteilskraft, die mit dem „Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß, als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich, beurteilt werden", den Naturbegriff der neuzeitlichen mathematischen Naturwissenschaft und mit dem „Gegensatz: Einige Produkte der materiellen Natur können nicht, als nach bloß mechanischen Gesetzen 4 „Zwecke haben eine gerade Beziehung auf die Vernunft, sie mag nun fremde, oder unsere eigene sein. Allein um sie auch in fremder Vernunft zu setzen, müssen wir unsere eigene wenigstens als ein Analogon derselben zum Grunde legen: weil sie ohne diese gar nicht vorgestellt werden können." (Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie (1788), AA VIII 182).

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möglich, beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen)" (KdU A 310 / B 314), den physikoteleologischen Naturbegriff zur Sprache bringt. Die Antinomie der teleologischen Urteilskraft variiert das Grundthema und Hauptproblem nach der Vorgabe der Vernunftantinomien. Da die Vernunftantinomien den Widerspruch zwischen dem Naturbegriff der Physikoteleologie und dem Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften festschreiben, trägt diese Vorgabe allerdings wenig zur Klärung des Grundproblems bei. Die Antinomie (§ 70) formuliert den Gegensatz von physisch-mechanischer und teleologischer Naturforschung und im folgenden § 71 wird dieser Gegensatz nach dem Muster der Auflösung der Vernunftantinomien sogleich als bloß scheinbarer Gegensatz entlarvt, insofern „aller Anschein einer Antinomie zwischen den Maximen der eigentlich physischen (mechanischen) und der teleologischen (technischen) Erklärungsart" darauf beruht, „daß man einen Grundsatz der reflektierenden Urteilskraft mit dem der bestimmenden [...] verwechselt" (KdU A 314 f. / B 319 f.) Die Frage, warum es überhaupt zu einer Konkurrenz der beiden „Erklärungsarten" kommt, ist damit freilich nicht beantwortet und somit das eigentliche Problem, das der Antinomie zugrunde liegt, noch ungelöst, weshalb Kant im Titel des § 71 nur von einer „Vorbereitung zur Auflösung obiger Antinomie" spricht. Die endgültige Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft, formuliert Kant in § 77 unter der Überschrift „Von der Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes, wodurch uns der Begriff eines Naturzwecks möglich wird" (KdU A 340 / B 344). Die Antwort greift auf die vernunfttheoretische und methodologische Umdeutung der Physikotheologie zurück, die Kant im „Anhang zur transzendentalen Dialektik" vorgelegt hatte, modifiziert sie aber in einem entscheidenden Punkt. Indem sie den regulativen Vernunftgebrauch an den „Naturzwecken" festmacht, baut sie die Vollendungskonzeption der Vernunftkritik entsprechend der Beweisabsicht der dritten Kritik zu einer Brückenkonzeption um: während die Vernunftmaximen den Verstandeserkenntnissen „die größte Einheit neben der größten Ausbreitung" verschaffen sollen (KrV A 644 / B 672), sucht die teleologische Maxime der Urteilskraft diese Einheit und Vollständigkeit als Ganzheit in den „organisierten Produkten" der Natur. Beide heuristische Verfahren zielen auf eine dem Verstände unerreichbare Einheit und Vollständigkeit der Erkenntnis, so daß „die Ursache der Möglichkeit eines solchen Prädikats" beide Male „nur in der Idee liegen kann". Daher bedarf die teleologische Urteilskraft der selben vernunfttheoretischen Begründung, wie die Lehre vom regulativen Vernunftgebrauch. Obwohl Kant eher die Verschiedenheit der beiden Lehrstücke hervorhebt und betont, daß das „Produkt" des heuristischen Verfahrens im Falle der teleologischen Urteilskraft „in der Natur gegeben" ist, wogegen es im Falle des regulativen Vernunftgebrauchs bloß „Ideen [...] betrifft, denen angemessen kein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann", bedarf die Idee eines Naturzwecks, ebenso wie die Idee in ihrem regulativen Gebrauch, der Begründung und Rechtfertigung eben dieses

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regulativen Gebrauchs, da man ansonsten Gefahr läuft, „die Idee eines Naturzwecks zu einem konstitutiven Prinzip desselben zu machen" und in vorkritischer Naivität, die Natur wie ein selbst „nach Zwecken handelnde[s] Wesen" zu betrachten (KdU A 340 f. / B 344 f.). Worauf Kant in diesem Zusammenhang nicht mehr eigens hinweist, ist der Umstand, daß der regulative Gebrauch nicht nur mit Blick auf den „Naturzweck", sondern eben so sehr mit Blick auf die teleologische Urteilskraft zu sichern ist, auf daß man nicht „einen Grundsatz der reflektierenden Urteilskraft mit dem der bestimmenden [...] verwechselt" und die bloß scheinbare „Antinomie zwischen den Maximen der [...] physischen (mechanischen) und der teleologischen [...] Erklärungsart" für eine echte Antinomie der Urteilskraft hält (KdU A 314 f. / B 319 f.). Die endgültige Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft ist darum in der Antwort auf die Frage zu suchen, weshalb und mit welchem Recht wir der Natur den Begriff eines Zwecks unterlegen. Kants Antwort auf diese Frage wiederholt und modifiziert seine Lehre vom regulativen Gebrauch der Idee: die als „Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit" (KrV A 665 / B 693) verstandene Idee, die „dazu dient, um die größte systematische Einheit im empirischen Gebrauche unserer Vernunft zu erhalten, indem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam von dem eingebildeten Gegenstande dieser Idee, als seinem Grunde, oder Ursache, ableitet" (KrV A 670 / B 698), wird zur Idee eines anschauenden oder intuitiven Verstandes (intellectus archetypus), die dazu dient, die „Zufälligkeit der Zusammenstimmung der Natur in ihren Produkten nach besondern Gesetzen [...] zur Einheit des Erkenntnisses zu bringen" (KdU A 343 / B 347), indem man „nach Maßgabe des intuitiven [Verstandes]" gleichsam von „der Anschauung eines Ganzen [...] zum Besondern geht" und sich solcherart „die Möglichkeit der Teile (ihrer Beschaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen abhängend" vorstellt (KdU A 345 / B 349). Die Grundfrage der „Kritik der teleologischen Urteilskraft", die Frage, warum wir einer teleologischen Urteilskraft bedürfen und mit welchem Recht wir uns des Begriffs eines Naturzweckes bedienen, kann nunmehr beantwortet werden. Sie ist, wie bereits im Titel des Paragraphen angedeutet, mit Rücksicht auf die „Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes" zu beantworten: Weil unser diskursiver Verstand das „Ganze", das „den Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der Teile" enthält, nicht unmittelbar anschauen und somit erkennen, sondern sich nur die „Vorstellung eines Ganzen" bilden kann, ist „das Ganze [...] eine Wirkung (Produkt)" eben dieser Vorstellung. Da aber „das Produkt [...] einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung seiner Wirkung ist, ein Zweck heißt: so folgt daraus: daß es bloß eine Folge aus der besondern Beschaffenheit unseres Verstandes sei, wenn wir Produkte der Natur nach einer andern Art der Kausalität, als der der Naturgesetze der Materie, nämlich nur nach der der Zwecke und Endursachen uns als möglich vorstellen, und daß dieses Prinzip nicht die Möglichkeit solcher Dinge selbst (selbst als Phänomene betrachtet) nach dieser Erzeugungsart, sondern nur der unserem Verstände möglichen Beurteilung derselben angehe." (KdU A 345 f. / B 349 f.)

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Die Lösung des Grundproblems der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" und somit die Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft hat Kant im vierten Abschnitt der Einleitung' vorweggenommen, weshalb sich bereits an dieser Stelle die Bestimmung des Zweckbegriffs findet, die seine Argumentation zugunsten des Naturzwecks und der teleologischen Urteilskraft trägt: „Zweck" heißt „der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält" (KdU A X X V I / B XXVIII). Diese Begriffsbestimmung ist auch grundlegend für das Verständnis der ästhetischen Urteilskraft. Sie würde Kant erlauben, den systematischen Zusammenhang von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft in ein helleres Licht zu setzen, als dies seine Ausführungen zur „reflektierenden Urteilskraft" vermögen, wenn er seine Umdeutung der Physikotheologie nicht mit einer Voraussetzung verbände, die den systematischen Zusammenhang von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft verstellt, da sie von vornherein auf beider Differenz abhebt. Die Voraussetzung ist deutlich in § 57 der Prolegomena ausgesprochen. An dieser Stelle legitimiert Kant seine vernunftkritische Umdeutung und methodologische Funktionalisierung der Physikotheologie zu einem regulativen Vernunftprinzip, indem er feststellt, daß wir uns genau „auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs", die „eben so wohl zum Felde der Erfahrung, als dem der Gedankenwesen" gehört, halten, „wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht." Mit dem symbolischen Anthropomorphismus, der angeblich „nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht", ist die Voraussetzung ausgesprochen, die den systematischen Zusammenhang von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft eben so sehr herstellt, wie verstellt, denn sie gibt uns den wichtigen Hinweis, daß die Sprache das zentrale Thema der „Kritik der Urteilskraft" ist und zugleich verschleiert sie den Hinweis durch die vorgängige Unterscheidung zwischen der Sprache und dem Objekt selbst. Aufgrund dieser Unterscheidung, die sich in der Differenz von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft widerspiegelt, wird das zentrale Thema der dritten Kritik systematisch in den Hintergrund gedrängt und weitgehend hinter dem anmutigen Paravent einer „Kritik des Geschmacks" versteckt. 5 So wird das Problem der sprachlichen Welter-

5 Bezeichnenderweise thematisiert Kant die Unterscheidung zwischen der „Sprache" und dem „Objekt selbst" erst im Nachspann zur „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" -

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Schließung zwar im Begriff der „reflektierenden Urteilskraft" thematisch, doch wird dieser Begriff von Kant so einseitig mit Blick auf die Belange der Naturforschung exponiert, daß das Sprachproblem in den Hintergrund tritt und mit ihm die Verschränkung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft, wie auch das Prinzip der ästhetischen Urteilskraft nahezu unkenntlich werden. Zu Beginn des vierten Abschnitts der ,Einleitung' exponiert Kant die reflektierende Urteilskraft als Gegenstück zur bestimmenden Urteilskraft: „Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, [...] bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend." (KdU A X X I I I / B XXV). Diese einleitende Bestimmung des Begriffs einer reflektierenden Urteilskraft ist plausibel im Rückblick auf die in der Vernunftkritik vorliegende ,Doktrin der [bestimmenden] Urteilskraft'. Sie ist auch plausibel mit Blick auf die „reflektierende [sc. teleologische] Urteilskraft, die von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat" (KdU A X X I V f. / B X X V I f.), sie vermag aber nicht zu erhellen, warum „einer Kritik der Urteilskraft [...] die ästhetische Urteilskraft [...] wesentlich angehörig" sein soll (KdU A X L V I I I / B L). Die Differenzierung der „reflektierenden Urteilskraft" in ein „Vermögen, die formale Zweckmäßigkeit (sonst auch subjektive genannt) durch das Gefühl der Lust oder Unlust", sowie in ein „Vermögen, die reale Zweckmäßigkeit (objektive) der Natur durch Verstand und Vernunft zu beurteilen" (ebda.), scheint erkünstelt und erklärt nicht, warum Kant seine „Kritik des Geschmacks" und seine „Kritik der teleologischen Urteilskraft" zusammenspannt. Eine Erklärung findet sich zwar bereits im nächsten Satz, diese Erklärung ist aber leider unverständlich, da sie vor dem Hintergrund der vorgängigen Unterscheidung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft gegensätzlichen Interpretationen offen steht: „In einer Kritik der Urteilskraft ist der Teil, welcher die ästhetische Urteilskraft enthält, ihr wesentlich angehörig, weil diese allein ein Prinzip enthält, welches die Urteilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnisvermögen, ohne welche sich der Verstand in sie nicht finden könnte" (KdU A XLVIII f. / B L f.). Je nachdem, ob man den Satz mit Blick auf die teleologische Urteilskraft oder mit Blick auf die ästhetische Urteilskraft liest, bieten sich zwei gegenläufige und in ihrer Gegenläufigkeit gleichermaßen unbefriedigende Interpretationsmöglichkeiten an. Ist der Satz im Lichte der im fünften Abschnitt der ,Einleitung' erfolgten Exposition der „formalen Zweckmäßigkeit" (KdU X X V I ff. / in dem berühmten § 59 - anhand der Unterscheidung von symbolischer und schematischer Hyoptypose.

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B X X I X ff.) mit Blick auf die teleologische Urteilskraft zu interpretieren, dann müßte man aus dem Prinzip einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen eine bewußtseinstheoretische Reformulierung der Identität von Denken und Sein (Parmenides) oder eines metaphysischen Analogieprinzips herauslesen. Hingegen müßte man mit Blick auf „das Subjektive [...] der ästhetischen Vorstellung" (KdU A X L ff. / B X L I I ff.) das Prinzip, welches die Urteilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, stark machen und die „formale Zweckmäßigkeit" im Sinne eines romantischen oder dekonstruktivistischen Ästhetizismus interpretieren. Das Prinzip der ästhetischen Urteilskraft scheint somit gleichermaßen auf die vor-kantische Philosophie zurück, wie auf die nach-kantische Philosophie voraus zu weisen. Das Prinzip entzieht sich seiner eindeutigen Bestimmung und steht bloß standpunktlicher Interpretation offen, weil nur im Titel des einschlägigen achten Abschnitts der Einleitung 4 „Von der logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur" (KdU A X L V I / B XLIX) die Rede ist. Die logische Eigentümlichkeit des Prinzips bleibt darum dunkel und wird auch durch die späteren Ausführungen wenig erhellt, obwohl sie das zentrale Thema sowohl der „Deduktion" der ästhetischen Urteile, wie auch der „Dialektik der ästhetischen Urteilskraft" ist. Die logische Eigentümlichkeit des Prinzips der ästhetischen Urteilskraft ist das zentrale Thema nicht allein der „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile", sondern auch der „Dialektik der ästhetischen Urteilskraft", weil das Geschmacksurteil „eine zwiefache [...] logische Eigentümlichkeit" aufweist: „nämlich erstlich die Allgemeingültigkeit a priori, und doch nicht eine logische Allgemeinheit nach Begriffen, sondern die Allgemeinheit eines einzelnen Urteils; zweitens eine Notwendigkeit (die jederzeit auf Gründen a priori beruhen muß), die aber doch von keinen Beweisgründen a priori abhängt, durch deren Vorstellung der Beifall, den das Geschmacksurteil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte.44 (KdU A 133 f. / B 135). Die beiden „Eigentümlichkeiten44 des Geschmacksurteils (KdU §§32 f.) provozieren die von Kant kurz als „Antinomie des Geschmacks44 (KdU § 56) bezeichnete Antinomie der ästhetischen Urteilskraft. Von der Auflösung dieser Antinomie sollte man daher Aufklärung über die dem Geschmacksurteil eigentümliche „Allgemeinheit eines einzelnen Urteils" erwarten, die „nicht eine logische Allgemeinheit nach Begriffen" ist, sowie über seine eigentümliche Notwendigkeit, die „auf Gründen a priori beruhen muß44, die aber dennoch „von keinen Beweisgründen a priori abhängt". Sofern man sich eine logische Klärung erwartet, wird die Erwartung allerdings enttäuscht. Der Gegensatz von „Thesis. Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffen; denn sonst ließe sich darüber disputieren (durch Beweise entscheiden)44 und ,¿4ntithesis. Das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich, ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteile Anspruch machen)44 (KdU A 231 / B 234), wird von Kant nämlich kurzerhand unter Berufung auf das Prinzip der subjektiven oder formalen Zweckmäßigkeit aufgelöst: „Nun fallt

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aber aller Widerspruch weg, wenn ich sage: das Geschmacksurteil gründet sich auf einem Begriffe (eines Grundes überhaupt von der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft), aus dem aber nichts in Ansehung des Objekts erkannt und bewiesen werden kann, weil er an sich unbestimmbar und zum Erkenntnis untauglich ist; es bekommt aber durch eben denselben doch zugleich Gültigkeit für jedermann (bei jedem zwar als einzelnes, die Anschauung unmittelbar begleitendes, Urteil): weil der Bestimmungsgrund desselben vielleicht im Begriffe von demjenigen liegt, was als das übersinnliche Substrat der Menschheit angesehen werden kann." (KdU A 233 f. / B 236 f.) Statt der erwarteten logischen Klärung des Prinzips der ästhetischen Urteilskraft erbringt die „Auflösung der Antinomie des Geschmacks" somit bloß die Bestätigung seiner logischen Unbestimmtheit: „Wir nehmen nämlich den Begriff, worauf die Allgemeingültigkeit eines Urteils sich gründen muß, in beiden widerstreitenden Urteilen in einerlei Bedeutung, und sagen doch von ihm zwei entgegengesetzte Prädikate aus. In der Thesis sollte es daher heißen: Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf bestimmten Begriffen; in der Antithesis aber: Das Geschmacksurteil gründet sich doch auf einem, obzwar unbestimmten, Begriffe (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen); und alsdann wäre zwischen ihnen kein Widerstreit." (KdU A 234 / B 237). Kant ist sich der Unzulänglichkeit seiner „Auflösung der Antinomie des Geschmacks" (KdU § 57) wohl bewußt, entschuldigt sie aber mit dem Hinweis, daß ein „bestimmtes objektives Prinzip des Geschmacks [...] schlechterdings unmöglich [ist]" und folglich nur das „subjektive Prinzip, nämlich die unbestimmte Idee des Übersinnlichen in uns, [...] als der einzige Schlüssel der Enträtselung dieses uns selbst seinen Quellen nach verborgenen Vermögens angezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht werden [kann]." (KdU A 234 f. / B 237 f.) Der Hinweis überzeugt, soweit unter der Kritik der ästhetischen Urteilskraft eine „Kritik des Geschmacks" verstanden wird; und er ist für Kant wohl vor allem deshalb überzeugend, weil er der Beweisstrategie der dritten Kritik entspricht und ihre Beweisabsicht erfüllt, indem er zeigt, „daß die Hebung der Antinomie der ästhetischen Urteilskraft einen ähnlichen Gang nehme mit dem, welchen die Kritik in Auflösung der Antinomien der reinen theoretischen Vernunft befolgte; und daß eben so hier und auch in der Kritik der praktischen Vernunft die Antinomien wider Willen nötigen, über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen: weil kein anderer Ausweg übrig bleibt, die Vernunft mit sich selbst einstimmig zu machen." (KdU A 236 / B 239). Der „Ausweg", den Kant aufzeigt, ist allerdings weder gangbar, noch gibt er uns über das Sinnliche hinaus etwas zu erkennen. Das unbestimmte Prinzip der ästhetischen Urteilskraft kann darum in der Auflösung der Antinomie des Geschmacks nach Belieben zum „übersinnlichen Substrat der Menschheit" oder zum „übersinnlichen Substrat der Erscheinungen" oder zur ,,unbestimmte[n] Idee des Übersinnlichen in uns" mutieren. Weil das so ist, weil das Übersinnliche per defmitionem ebenso unbestimmt und unbestimmbar ist wie das Prinzip einer formalen

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Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen, könnte letzteres auch nach Belieben die Stelle jedes der drei „Übersinnlichen" einnehmen, die Kant nach Maßgabe seiner drei Kritiken zu unterscheiden versucht.6 Wenn wir also am Beginn dieser Untersuchung feststellten, daß sich Kant in der „Kritik der Urteilskraft" an einer unlösbaren Aufgabe versucht, da er eine Gleichung mit mehreren Unbekannten aufstellt, wenn er das Übersinnliche, „welches der Natur zum Grunde liegt", und das Übersinnliche, „was der Freiheitsbegriff praktisch enthält", unterscheidet und zu beider Vereinbarung „einen Grund der Einheit des Übersinnlichen" ansetzt, so müssen wir nunmehr feststellen, daß sich die Aufgabe von selbst löst, aber als Aufgabe gar nicht sinnvoll gestellt werden kann. Es wäre einfach und ist in diesem Falle auch naheliegend, die unmögliche Aufgabenstellung auf sogenannte Systemzwänge zurückzufuhren. Aber so einfach liegt der Fall nicht. Wenn sich ein Systematiker vom Range Kants an einer unmöglichen Aufgabe versucht, sollten wir zur eigenen Belehrung vermuten, daß der Aufgabe ein fundamentales Problem zugrunde liegt - ein Problem, das er vielleicht mehr ahnt als erkennt, das er auf verschlungenen Wegen umkreist, mit dem er aber nicht fertig geworden ist. Im vorliegenden Fall hat es uns Kant leicht gemacht, da er das Problem sogar mit bewundernswürdiger Präzision benennt, er konnte es jedoch aufgrund unzureichender Voraussetzungen nur mit Einschränkungen behandeln, da er ansonsten grundlegende Voraussetzungen seiner Erkenntniskritik hätte revidieren müssen. Das Grundproblem mit dem Kant in der „Kritik der Urteilskraft" und insbesondere in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" ringt, ist das Problem der sprachlichen Welterschließung. Dieses Grundproblem ist, wie bereits angedeutet, mit der Bestimmung des Zweckbegriffs als „Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält" (KdU A X X V I / B XXVIII), präzise benannt. Gleichfalls präzise zu benennen ist auch das fundamentale Problem, das sich für Kant aus dieser Begriffsbestimmung mit Blick auf grundlegende Voraussetzungen seiner Erkenntniskritik ergibt, will er doch „die Sprache" und „das Objekt selbst" auseinanderhalten (Proleg. § 57) und den Begriff nur als „Prädikat zu einem möglichen Urteile" verstanden wissen, insofern er „nur dadurch Begriff [ist], daß unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Gegenstände beziehen kann" (KrV A 69 / B 94). Der Zweckbegriff widerspricht dieser nominalistischen Zeichentheorie des Begriffs: ein Begriff der den Grund der Wirklichkeit des Objekts enthält, ist nicht bloß ein Zeichen, das sich vermittelst anderer Vorstellungen (niedrigerer Begriffe und zu-

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„[...] so zeigen sich drei Ideen: erstlich des Übersinnlichen überhaupt, ohne weitere Bestimmung, als Substrats der Natur; zweitens eben desselben, als Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen; drittens eben desselben, als Prinzips der Zwecke der Freiheit und Prinzips der Übereinstimmung derselben mit jener im Sittlichen." (KdU A 242 / B 245)

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letzt Anschauungen) auf Gegenstände bezieht. Auf der nominalistischen Zeichentheorie des Begriffs beruht aber Kants Auffassung, daß sich „alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückfuhren" lassen (ebda.), auf dieser Auffassung beruhen wiederum seine Urteils- und seine Kategorienlehre, kurz: auf ihr beruht die urteilslogische Konzeption seiner transzendentalen Logik. Der Begriff eines Begriffs, der den Grund der Wirklichkeit des Objekts enthält, stellt daher Kants ganze Logikkonzeption und mit ihr sein erkenntniskritisches Gesamtkonzept in Frage, zumal der Zweckbegriff auch noch dessen elementarste Unterscheidung unterläuft - die Unterscheidung von singulärer Anschauung und allgemeinem Begriff. Der Zweckbegriff stellt mithin eben so wie die Anläufe zur „Vollendung des kritischen Geschäftes der reinen Vernunft" (KrV A 669 ff. / B 697 ff), oder zu einer abschließenden „Grenzbestimmung der reinen Vernunft" (Proleg. §§57 ff), oder zur Gewinnung eines gemeinschaftlichen Prinzips von theoretischer und praktischer Vernunft (vgl. GMS A XIII f.; KpV A 162), Kants erkenntniskritische Unterscheidungen und Vorentscheidungen in Frage. Der Zweckbegriff hat jedoch einen entscheidenden Vorzug gegenüber diesen Vollendungsstrategien, die allesamt auf eine, der „kritischen" Grundunterscheidung von Sinnenwelt und Verstandeswelt voraus- und zugrundeliegende Einsicht zielen, denn sein Ziel ist nicht ein bloßes Gedankending (eine Idee), sondern sinnlich Gegebenes, dessen Gegebensein nur gedacht werden kann, sofern es als Ziel (Zweck) gedacht wird (KdU A 340 f. / B 344 f.). Mit anderen Worten: da das Objekt des Zweckbegriffs sinnlich Gegebenes ist, das nur als „Produkt" - d. i. nur als solches, das gegeben wird - gedacht werden kann, erlaubt der Zweckbegriff, die Vollendung als an diesem Objekt sich vollziehende Vollendung zu denken. Der Zweckbegriff erlaubt, die über den regulativen Vernunftgebrauch bislang nur angestrebte Vollendung (die Idee) an einem Objekt zu versinnlichen oder, anders ausgedrückt, das bloße „Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit" durch das „Symbol" zu ersetzen. Kant nützt diesen Vorzug und er nützt ihn um so ergiebiger, als ihm der Zweckbegriff, vor dem Hintergrunde der Unterscheidung von Sinnenwelt und Verstandeswelt und vor der Folie seiner nominalistischen Zeichentheorie des Begriffs, die beiden Ansatzpunkte liefert, die ihm gestatten, sein „kritisches Geschäft" zu vollenden und zugleich die Vollendungsstrategie in die Brückenkonzeption der dritten Kritik umzubiegen. So man nämlich voraussetzt, daß es neben den Gegenständen auf die sich Begriffe vermittelst Anschauungen beziehen, auch solche Gegenstände ,gibt\ die nur als „Produkt" gedacht werden können, dann gibt es genau zwei Arten solcher Gegenstände: die Gegenstände der ästhetischen Beurteilung sowie die „Naturprodukte", deren objektive Weise des Gegebenseins oder vielmehr Gegebenwerdens als objektive oder reale Zweckmäßigkeit zu unterscheiden ist von der bloß subjektiven oder formalen Zweckmäßigkeit der Gegenstände der ästhetischen Beurteilung.

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Die systematische Frage, warum Kant ästhetische und teleologische Urteilskraft zur „reflektierenden Urteilskraft" verschränkt und seine „Kritik des Geschmacks" mit einer „Kritik der teleologischen Urteilskraft" zusammenspannt, ist damit ohne fragwürdigen Rückgriff auf die Fakultätenpsychologie beantwortet, und diese Antwort hat uns zudem das fundamentale Problem bestätigt, das durch die Differenzierung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft verdeckt wird: ihre Differenzierung setzt im Sinne der nominalistischen Zeichentheorie des Begriffs ein schlichtes Gegebensein von Gegenständen voraus, auf die sich Begriffe vermittelst Anschauungen beziehen. Diese Voraussetzung kann Kant schlechterdings nicht aufgeben, denn auf ihr beruht seine gesamte erkenntniskritische Konzeption, gleichwohl hat aber auch noch nie jemand zu erklären vermocht, wie diese Voraussetzung und Kants erkenntniskritische Resultate zusammenstimmen. Immerhin gibt das Problem, das durch die Differenzierung von ästhetischer und teleologischer Urteilskraft verdeckt wird, einen deutlichen Hinweis, in welcher Richtung die Lösung zu suchen sein dürfte: sie ist voraussichtlich in einer Theorie des Begriffs zu suchen, die den Zweckbegriff und den nominalistischen Zeichenbegriff vermittelt. Eine solche Theorie verlangt eine Kritik der sich selbst reflektierenden Urteilskraft, 7 die nicht von vornherein zerfällt in eine Kritik des Geschmacks einerseits und eine Kritik der Physikoteleologie andererseits: sie verlangt eine transzendentallogische Theorie der Prädikation oder Kritik der Sprache, insofern die Sprache als Tätigkeit und Ergebnis der Welterschließung das subjektiv-objektive und formal-reale und ebenso sinnliche wie übersinnliche Substrat sowohl der Menschheit als auch der Erscheinungen ist.

7 Vgl. Verf., Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven 1992, 19972, § 32; Die Kopernikanische und die semiotische Wende der Philosophie, in: prima philosophia, Bd. 9, Heft 4 (1996), S. 392.

Eine kritische Philosophie des Lebens Kants Theorie der menschlichen Existenz1 Volker Gerhardt

I. Von Newton zu Kant Die Größe eines Philosophen bemisst sich nicht nach einer einzelnen Leistung. Auch eine Summe eminenter Einsichten reicht nicht aus, um seinen Ruhm zu begründen. Der große Philosoph gibt viel zu denken. Sein Werk enthält stets mehr, als ein Leser, eine Schule oder ein Zeitalter in ihm finden. In seinem Fall ist „Größe" der Ausdruck für einen Reichtum, der sich gerade nicht benennen lässt. Jede Würdigung eines Denkers von Rang steht daher unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit. Niemand weiß, was im Umgang mit seinen Schriften eines Tages noch zu entdecken ist. Deshalb ist die auf sein Leben und sein Werk gerichtete Neugierde künftiger Leser das Beste, was sich in der Auslegung seiner Schriften erreichen lässt. Dazu muss man deutlich sagen, was einem selber wichtig ist. Lange Zeit galt Kant als der philosophische Statthalter der Newtonschen Physik. Tatsächlich zieht er die metaphysischen Konsequenzen aus der Mechanisierung des Himmels, macht das menschliche Subjekt zum Urheber seiner Erkenntnis, proklamiert die moralische Autonomie der Person, gründet den Staat auf das Menschenrecht und befreit das ästhetische Urteil von der Vormundschaft durch Kognition und Konvention. Und da er sowohl bei der Erklärung der Welt wie auch bei der Begründung der Moral ohne die Berufung auf einen Gott auskommt, ist er Vordenker einer säkularen Moderne, mit deren Realisierung wir bis heute beschäftigt sind.

II. Das existenzielle Radikal der Vernunft Alles dies stellt Kant unter den epochalen Titel der „Vernunftkritik". Das Wort hat seinen Zauber bis heute nicht verloren. In der „Kritik" liegt die bele1

Vortrag auf dem Kant-Sympsion Wien, 4.-6. März 2004.

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bende Kälte eines nur auf sachliche Unterscheidungen achtenden Engagements, dessen ungewisse Folgen durch die Prinzipienfestigkeit der „Vernunft" gemildert werden. Dieser Doppelcharakter erklärt, warum Kant bei seinen ersten Lesern gleichermaßen existenzielle Verunsicherung und revolutionäre Begeisterung auslösen konnte. Der „Alleszermalmer" raubte den einen die tradierten Sicherheiten und schenkte den anderen feste Grundsätze fur die Zukunft. Und als sich die erste Aufregung über den von Kant geführten Beweis für die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes gelegt hatte, wusste jeder, dass beide Leistungen zusammengehören. Es gibt auch heute keinen Anlass, an diesem Vermächtnis Kants zu zweifeln. Im Gegenteil: Manches sehen wir schärfer als die Interpreten des 19. und des 20. Jahrhunderts: Kant ist viel stärker von der Individualität der Person ausgegangen, als das Schlagwort vom „preußischen Staatsdenker" oder das gängige Verständnis des „kategorischen Imperativs" vermuten lassen. Das moralische Gesetz gibt es nur in der „Brust" des einzelnen Menschen, und alle Gesetze der praktischen Vernunft können lediglich auf subjektive „Maximen" bezogen sein. Dadurch erhält bereits der Anspruch auf Autonomie einen existenziellen Charakter. Kant ist Kierkegaard, Nietzsche und Sartre näher, als deren Anhänger glauben.

I I I . Primat der Praxis Mit der Sensibilisierung für ökologische Fragen tritt die Radikalität in Kants unbedingter Auszeichnung der Vernunft mit geradezu verletzender Deutlichkeit hervor: Die Natur als solche ist, wie er sagt, „nichts wert". Der Mond oder die Erde haben, für sich genommen, gar keine Bedeutung. Eine Bedeutung , die sich verstehen, oder ein Wert , nach dem sich handeln lässt, kommt nur durch die Vernunft in die Welt. Also gebührt ihr die Priorität. Da sie es ist, die es allererst ermöglicht, einen Sinn zu haben oder zu verstehen, liegt sie aller Sinngebung voraus. Dieser „Primat" der praktischen Vernunft steht auch hinter der Aufwertung der menschlichen Würde zum alles andere überbietenden Wert. Das wird von vielen vergessen, die sich in biopolitischen Debatten gern auf Kants Auszeichnung der Person berufen, aber zugleich das Naturrecht des heiligen Thomas oder den Seinsvorrang aus Heideggers Provinz bewahren möchten. Eins geht nur. Wer sich an Kant halten will, der muss die unbedingte Verantwortung des Menschen auf sich nehmen. Und er hat als Individuum die ganze Last der Rationalität zu tragen - eine Last, die sich angesichts der Vielfalt der Kulturen noch erhöht und von der uns die Logik der Bilder nicht befreit. Mit dieser Auszeichnung der Vernunft steht Kant in einer alten Tradition, in der sich der Mensch seit mindestens zweieinhalb Jahrtausenden als zoon logon echon, als animal rationale , zu deutsch: als vernunftbegabtes Tier bezeichnet.

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Die Formel hat den Vorteil, dass sie den Menschen in der Natur belässt und ihm in seiner materialen Kondition als Lebewesen seinen Ort im Leben zuweist. Dort ist der Mensch von den Pflanzen und den Tieren nicht durch einen metaphysischen Vorsprung unterschieden, sondern allein durch seine spezifische Fähigkeit, sich am Leben zu erhalten. Im Anschluss an Kant verstehe ich animal rationale als „Tier, das seine Gründe hat". 2 Die wörtliche Übersetzung hat den Vorzug, dass sie den Primat der praktischen Vernunft in sich schließt, denn es sind die eigenen Gründe, nach denen der Mensch seine Entscheidungen treffen und sein Leben führen will.

IV. Prothesen der Vernunft Schon vor Kants Tod wurde darum gestritten, ob der Mensch dem Anspruch seiner eigenen Vernunft gerecht werden kann. Seit Hamann und Herder werden Entlastungsangebote gemacht, die der Vernunft bei ihrer geschichtlichen Aufgabe helfen sollen. Sie werden seitdem in schöner Regelmäßigkeit erneuert: Die Sprache, die Geschichte, die Gesellschaft, der Wille oder die Religion werden als Beistandsmächte ins Spiel gebracht - von den Versuchen, die Vernunft zu ersetzen, ganz zu schweigen.3 Wie nachhaltig diese Bemühungen sind, zeigt der Erfolg der Diskurstheorie, die der Vernunft durch ein Verfahren zu Hilfe kommen möchte. Nach dem Modell rationalen Verhandeins (dem das schon zugrunde liegt, was es begründen soll) wird eine Technik in Anschlag gebracht, um das vermeintliche Defizit der reinen Vernunft zu beheben.4 Kant, für den der Verstand ohnehin nichts anderes als ein „diskursives Vermögen" ist, hat allerdings schon einen Begriff für das Gestell, in das ihn die soziologische Nachbesserung zwängen will: Er spricht vom „Gängelwagen" der Vernunft. Kant hat solche Prothesen nicht nötig. Er hat mit allem argumentativen und rhetorischen Aufwand deutlich gemacht, dass wir die Vernunft nur als Fähigkeit 2

Volker Gerhardt, Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, Stuttgart 1999. Die Tatsache, dass ich hier auch das „Leben" nenne, kann beiläufig kenntlich machen, dass ich es nicht, wie Schopenhauer, Nietzsche oder Dilthey, als etwas verstehe, dass treibend oder stützend zur Vernunft hinzukommt. „Leben" in der hier vorgetragenen Deutung ist die Natur in ihrer dynamischen Verfassung, die alles bereits in sich enthält, was wir als Vernunft verstehen. Außerdem hat man hinzuzufügen, dass dieses die Vernunft aus sich entwickelnde Leben nur mit Hilfe der Vernunft benannt werden kann. 4 In geradezu satirischer Deutlichkeit präsentiert sich der in seiner philosophischen Substanz von Karl-Otto Apel stammende Vorschlag von Jürgen Habermas in der Formel von der „Detranszendentalisierung der Transzendentalphilosophie" (tatsächlich unter diesem Titel: Stuttgart 2002). 3

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des Menschen kennen. Mit ihm hat sie Teil an der Natur, die bereits in ihrer kosmologischen Verfassung, erst recht in ihren lebendigen Vollzügen eine Geschichte hat. Aus ihr tritt der Mensch niemals heraus; in ihr tritt er lediglich hervor, um sich - durch seine „ungesellige Geselligkeit" genötigt - eine soziokulturelle Lebenssphäre aufzubauen. So bleibt auch die Kultur des Menschen seiner Natur verbunden. Die Vernunft steht den natürlichen, geschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Kräften nicht entgegen. Sie kommen vielmehr in ihr zum Ausdruck - wobei ihre Einzigartigkeit darin liegt, dass dies im Medium der Freiheit geschieht. Und in dieser Freiheit bleibt es dem Individuum überlassen, ob es - angesichts der Grenzen des Wissens - Lebenskraft aus seinem Glauben schöpfen kann.

V. Freiheit in der Tat Über die Freiheit wird derzeit wieder einmal viel gestritten. Durch nichts wird sie besser bewiesen als durch die Tatsache eines solchen Streits. Dennoch ließe sich mancher neuerliche Aufwand vermeiden, wenn Kants Einsicht in die Natur der Freiheit gegenwärtig wäre: Denn wie die Vernunft zeigt sich die Freiheit nur in konkreten menschlichen Vollzügen, in denen ein Individuum sich und seine Welt versteht. Weit davon entfernt, aus einer übernatürlichen Eingebung zu folgen oder gar auf eine Lücke in den Naturgesetzen angewiesen zu sein (und gewiss auch nicht nach Art eines „Handwerks"), ist sie das Signum einer nicht von anderen erzwungenen Handlung. Freiheit ist dort, wo sich ein Mensch als Ganzer ungehindert zum Ausdruck bringt. Und sie findet ihre Grenze nur an der Freiheit Anderer, nicht aber an der Natur, erst recht nicht am Gehirn des Menschen. Die philosophische Konzeption der Freiheit ist Kants größte Leistung. Sie liegt, genauer gesagt, in der unwiderleglichen Demonstration ihrer sich im menschlichen Handeln beweisenden Realität. Kant führt vor Augen, dass jeder, der Freiheit leugnet, selbst Freiheit in Anspruch nimmt. Damit entfällt die vermeintliche Opposition zur Natur: Freiheit beruht auf dem fest geknüpften Netz verbindlich wirkender Gesetze - innerhalb und außerhalb des Menschen. Nur sofern der Mensch diesen Gesetzen restlos unterworfen ist, hat es einen Sinn, von Freiheit zu sprechen. Die so verstandene Freiheit besteht in nichts anderem als im ungehinderten Vollzug des individuellen Lebens. Bereits das im Spalier wachsende Obst oder das im Käfig gehaltene Tier wird man nicht als „frei" bezeichnen wollen. Der Mensch ist frei, sofern er nicht von seinesgleichen gezwungen wird, sondern tun kann, was er nach eigener Einsicht will. Nur so hat die Vernunft (sein wichtigstes Lebensmittel) eine Chance, sich zu entfalten; nur so kann die Vernunft als Ursprung und Grund seiner Handlungen gelten.

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Alles, was Kant zur Begründung und Begrenzung des Wissens, zur Vergewisserung von Moral und Recht oder zum Verständnis des Schönen sagt, beruht auf dem Verständnis der Freiheit als dem ursprünglichen Ausdruck der Lebendigkeit des Individuums im Verhältnis zu seinesgleichen. Als natürliche Äußerung ist sie dennoch eine Leistung der Vernunft, die uns allererst die Begriffe des Selbst und der Person, der Handlung und des Zwecks, aber auch der Welt und ihrer Ereignisse zur Verfugung stellt. Mit diesen Begriffen werden Einheiten erfasst, ohne die es kein Verständnis von Freiheit gäbe. Freiheit „gibt" es somit nur in der vom Einzelnen tätig ausgefüllten Perspektive der Vernunft. Die Vernunft aber ist ein Element des Lebens, dessen Gegensätze sie verschärft und versöhnt. Tatsächlich können die beiden wesentlichen Leistungen der Vernunft, die Kritik und das System, wie Aus- und Einatmen als Grundvorgänge des menschlichen Lebens betrachtet werden - eines Lebens auf dem Niveau der menschlichen Kultur. Nicht ohne Grund lässt Kant seine bis heute nicht zureichend gedeutete Philosophie des Lebens in eine Theorie der Kultur übergehen, die angesichts einer absichtlich geistlos5 wuchernden Kulturwissenschaft endlich mehr Aufmerksamkeit verdiente.

VI. Die Vernunft als Organ des Lebens Beim Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert war viel von einem naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel die Rede. Die Physik, so hieß es, habe ihre Funktion als Leitwissenschaft an die Biologie abgegeben. Wie angebracht eine solche Wende ist, mag man daran ermessen, dass sie philosophisch schon im Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert erfolgte. Kant hatte sie bereits mit seiner ersten Schrift über die „Wahre Schätzung der lebendigen Kräfte" von 1747 im Blick. Tatsächlich hat Kant sein Leben lang an der Überwindung der rein mechanischen Naturauffassung gearbeitet. Newton, den er als Forscher von einsamer Größe verehrte, genügte ihm nie. Er wollte die Bedingungen der physikalischen Welterkenntnis aufdecken, um an ihnen die Reichweite und Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit offenzulegen. Dabei ging er vom Menschen als einem lebendigen, von äußeren und inneren Konditionen abhängigen, in Gegensätzen stehenden, Gegensätze vermehrenden, sie verschärfenden und erstmals begreifenden Wesen aus. Denn Erkennen ist die Fähigkeit, auf bewusst gewordene Gegensätze zu reagieren; es ist eine im Medium der Mitteilung gewonnene Einsicht in eine Differenz. Tiere können fliehen und zwischen verschiedenen Partnern wählen, aber, von sich aus „nein" zu sagen, vermögen sie nicht. 5

Zu dieser Absicht siehe: Hartmut Böhme, Einführung in die Kulturwissenschaft, Homepage des Institut für Kulturwissenschaften: www./hu-berlin.de.

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Im Ja und im Nein des Menschen tritt die naturgeschichtliche und kategoriale Sonderstellung der Erkenntnis hervor. In und mit ihren Begriffen erhebt sie sich derart über die Natur, dass sie über sie zu verfugen scheint. Ihr operativer Abstand zu den erkannten Gegenständen ist so zwingend, dass die Vernunft als das Andere der Natur erscheint. Und dennoch gehören beide notwendig zusammen. Die Vernunft kann nicht umhin, sich als Produkt und Instrument des Lebens zu begreifen. Mit ihren „Bedürfnissen" und „Interessen" versteht sie sich sogar als „Organ", das nicht nur „Zwecke" entwirft, nicht nur selber „Zwecke" hat, sondern selbst Zweck ist.

V I I . Organisation des Organisierten An den Zwecken der Vernunft wird alles, was immer sie erkennt oder versteht, gemessen. Es ist lebendig oder tot, dynamisch oder mechanisch, harmonisch oder gestört, in Funktion oder außer Betrieb. Auch die „Welt", die sich die Vernunft als die ihr zugehörige Einheit des Ganzen denkt und zu der sie selber gehört, muss insofern als lebendig angesehen werden können, als sie den Zwecken der in ihr lebenden Wesen Raum gibt. Ihr werden Qualitäten wie Einheit , Ganzheit und Ordnung zugeschrieben, die ihr nur in Korrespondenz zu den Qualitäten der in ihr lebenden Individuen zukommen können. Allerdings ist, wie Kant in seiner logischen und rhetorischen Demonstration der „Antinomie" der reinen Vernunft vor Augen führt, mit Blick auf die Welt als Ganzes die exakte Erkenntnis des Menschen am Ende. Er kann auf das Ganze der Welt nur „schließen", und die Vernunft, die ihm die Schlüsse erlaubt, kann sich jenseits der gegenständlichen Erkenntnis auch stets das Gegenteil von Ordnung, Ganzheit und Einheit denken. Wir können nicht ausschließen, dass jenseits der erfahrenen Welt - im unvorstellbar Kleinen, wie im unendlich Großen - die Welt nichts anderes als Chaos ist und dass in ihr der pure Zufall herrscht. Doch gegen diese theoretisch unwiderlegliche Spekulation der Vernunft sträubt sich der in unserer Lebenspraxis immer schon wirksame, auf Lebensführung angelegte „Primat der praktischen Vernunft". Er ist mit einem „Interesse" der Vernunft verknüpft, das die gewohnte und benötigte Ordnung des lebendigen Daseins auch in der Ordnung des Ganzen finden will. 6 Die praktische Vernunft macht uns klar, dass wir „nicht auf den Zufall leben können". Im „Chaos" können wir uns nur zurechtfinden, wenn es nicht wirklich besteht. Denn um handeln zu können, brauchen wir den geregelten Zusammenhang äußerer und innerer Ordnung, ja, Handeln ist selbst ein Organisieren des bereits Organisierten. 6

Dazu: Axel Mutter , Das Interesse der Vernunft, Hamburg 2004.

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Diese Formel zeigt an, wie das bloße Handeln den Leistungen der Vernunft entgegenkommt: Das Handeln bringt, allein dadurch, dass es mit etwas beginnt, etwas Neues in die Welt, das sich von anderem deutlich unterscheidet - obgleich es gänzlich im Rahmen dessen verbleibt, was ohnehin geschieht. Die Handlung konturiert sich als bloße Konfiguration zu dem sie treibenden Motiv. Darin ist sie ein Modell der Vernunft, die auch nicht mehr bieten kann als eine Organisation des Organisierten aus dem sie treibenden „Bedürfnis" - und das heißt: zu dem sie leitenden Zweck.

V I I I . Die Welt kann kein Zufall sein Die Organisation des Organisierten wird durch Erfolge angezeigt. Die treten dadurch auf, dass eine innere Absicht mit einem äußeren Effekt zusammenfällt. Der Zusammenhang zwischen Innen und Außen muss bereits bei der ersten Entwicklung des Lebens erfüllt sein; denn anders könnten sich Innen und Außen gar nicht trennen, um in der Trennung nach einer neuen, vom Organismus selbst gesetzten Regel verbunden zu sein. Mit der Ausrichtung auf den Erfolg - den Kant noch wörtlich als das versteht, was mit dem Auftritt einer Ursache als Wirkung „erfolgt" - sind die Lebensprozesse notwendig auf etwas bezogen, was ihnen vorausliegt. Man mag daher noch so oft von einem „teleologischen" Verständnis der Natur Abschied nehmen wollen: Die implizite Orientierung auf den im Prozess des Lebens antizipierten Effekt wird man nicht los. Das beginnt derzeit sogar die Evolutionstheorie einzusehen. Ihr geht es freilich nur um den empirischen Konnex der Lebewesen, der ohnehin an feste Regeln gebunden ist. Kant hingegen fragt, ob der Mensch mit seinen Sinnerwartungen, von denen er sich als handelndes Wesen gar nicht distanzieren kann, überhaupt in einer Welt zu leben vermag, die im Ganzen sinnlos ist. Für Kant hat diese Einsicht, das kann man nicht oft genug betonen, vor allem eine praktische Bedeutung. Die Welt als Umwelt muss so eingerichtet sein, dass sich in ihr nach unseren eigenen Gründen leben lässt. Nur in einer solchen Welt kann der Mensch eine Geschichte haben, nur unter ihren Konditionen kann er Staaten gründen; nur sie erlaubt es ihm, sich - inmitten der Natur - eine Natur ganz eigener Art zuzulegen, für die Kant den Begriff der „Kultur" verwendet. Es ist daher nur konsequent, wenn er seine Theorie der Kultur als Teil seiner Theorie des Lebens entwickelt. Doch diese praktischen Konsequenzen sind nicht ohne Übereinstimmung mit der theoretischen Sicht auf die Welt zu haben. Der „Primat der Praxis" findet auch einen Niederschlag in den Rahmenbedingungen der Welterkenntnis, etwa in der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich oder in der alles fundierenden Prämisse der Selbstkenntnis.

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IX. Lebenswelt Wer sich darüber wundert, dass ich nun schon zum zweiten Mal die Unterscheidung zwischen „Welt" und „Umwelt" betone, obgleich Kant diesen Unterschied selbst gar nicht macht, dem sei gesagt, dass ich mit „Welt" und „Umwelt" eine andere Unterscheidung aufnehme, die philosophisch unverzichtbar ist, für die Kant aber eine höchst unglückliche Bezeichnung gewählt hat. Wäre sie nicht gewesen, hätte Fichte gewiss weniger Grund gehabt, seinen folgenreichen Einspruch gegen die Transzendentalphilosophie zu erheben. Vielleicht hätten dann auch Schelling und Hegel mit ihrer Kritik an Kant anders ansetzen müssen: Ich meine die Unterscheidung zwischen „Ding an sich" und „Erscheinung". Hätte Kant bereits über den Begriff der „Lebenswelt" verfugt, hätte sein kritisches Philosophieren viel weniger Anstoss erregt. Denn es wäre offenkundig gewesen, dass die Lebenswelt des Menschen ihre Bedingungen auch in jenem Lebewesen haben muss, das in ihr seine Umwelt hat. Mit dem Begriff der Lebenswelt wäre schon für die ersten Leser Kants offenkundig gewesen, was ich heute zu sagen versuche: Dass der Vernunftbegriff der „Welt" ursprünglich auf das Leben bezogen ist.

X. Die Wendung zum Leben Zur Einsicht in die Verbindung zwischen Leben und Vernunft, damit auch zwischen physiologischer Organisation und Geist kann man auf die Annahme einer prästabiHerten Harmonie verzichten. Es genügt zu sehen, wie sich die Natur im vielfältigen Gegensatz ihrer individuierten Kräfte entfaltet und entwickelt. Unablässig werden Einheiten gebildet und wieder zerstört. Nach den strengen Gesetzen der Natur treten einzelne Kräfte in unendlich vielen Formen gegeneinander auf, so dass in jedem Einzelfall zahlreiche Optionen entstehen. Und die werden von den Individuen - in strikter Naturgesetzlichkeit - zur eigenen Entfaltung ihrer Möglichkeiten genutzt. Auf diese Weise organisiert sich das ungebundene, das „freie" Leben mit Hilfe der Gesetze der Natur. Den schönsten Ausdruck findet dieser dynamische Zusammenhang zwischen lebendiger Organisation und Freiheit in Kants beiläufiger Definition des „Geistes" als das „belebende Princip im Gemüthe".7 In seiner dritten Kritik, der Kritik der Urteilskraft von 1790, hat Kant eine ingeniöse Theorie des Lebens entworfen. Mit ihr hoffte er, den lange gesuchten Übergang von der mechanischen zur dynamischen Naturtheorie zu finden. Demnach beurteilen wir alles Lebendige als einen Fall von individueller Selbst7

1. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 49, Akad. Ausg. Bd. 5, 313.

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organisation i m Prozess einer sich in und durch die Individuen vermehrenden Gattung. Jeden Organismus betrachten w i r so, „als ob" er im strukturellen Aufbau wie auch i m Gang seiner prozessualen Entwicklung eigenen (und damit „freien") Zwecken folgte. 8 Die lebendigen Zwecke kommen unserer eigenen Vernunft in der Selbstbewegung organischer Wesen entgegen. In ihnen zeigt sich die innere Einheit der Natur, für deren Erkenntnis wir nicht mehr benötigen als das Selbstbewusstsein unserer eigenen Freiheit.

X I . Selbsterkenntnis als Voraussetzung für eine selbstkritisch betriebene Biologie Der philosophische Weg von Newton zu Darwin ist damit eröffnet. Der „Selbstdenker" Immanuel Kant ist ein Vordenker der modernen Biologie, freilich ohne jede Absicht, die Physik zu ersetzen. Er empfiehlt, in der kausalen Analyse der lebendigen Prozesse bis zum Äußersten zu gehen, und bleibt dennoch dabei, dass w i r ohne Selbsterkenntnis nichts von dem verstehen, was für das Leben wesentlich ist. Unter den organischen Bedingungen des Lebens w i r d 8 Die Konstruktion des „Als ob", mit deren Hilfe Kant die Reichweite des teleologischen Urteils einschränkt, referiere ich, ohne damit den Anspruch zu verbinden, dass auf diesem Weg ein definitiver Erkenntnisfortschritt in der Beschreibung des Lebendigen erreicht werden kann. Zwar besteht ein methodologischer Unterschied zwischen einem Urteil über einen mechanischen Zusammenhang der Natur auf der einen und über einen Lebensvorgang auf der anderen Seite. Die Mechanik, als Bewegungsfolge äußerer Kräfte, die im Prinzip von außen zu steuern sind, ist aus einer äußeren Beobachterperspektive zugänglich. Sie verlangt zwar eine beachtliche Abstraktion, kann aber unabhängig von der Selbsterkenntnis vollzogen werden. Man muss nur außen stehen und hinsehen oder hinhören, um den mechanischen Vorgang in allen Einzelheiten so beschreiben zu können, wie ihn jeder andere auch beschreiben kann. Im Prinzip genügt das Auge einer Kamera, um den Vorgang vollständig zu erfassen. Das genügt bei der Beschreibung von etwas Lebendigem nicht. Zu einer adäquaten, die Lebendigkeit des Lebendigen berücksichtigen Deskription ist eine projektive Binnenperspektive nötig, die einen Bewegungsvollzug aus dem internen Impuls antizipiert. Das Urteil über Lebendiges unterstellt Impulse, die man mit keinem Auge sehen kann, die man aber aus dem eigenen Lebensvollzug immer schon kennt. Diese Binnenperspektive bezeichnet Kant als „subjektiv". Man versteht, was damit gesagt sein soll. Dennoch lockt die Bezeichnung des teleologischen Urteils als „subjektiv" auf eine falsche Fährte, die zur Konstruktion des „als ob" verführt. Richtig an der „Subjektivität" des Urteils ist, dass man so tun kann, als interessiere sie einen nicht. Tatsächlich aber hat sie jeder Mensch, sofern er in der Lage ist, Urteile zu fällen. In jeder Aussage wirkt das teleologische Moment des lebendigen Vollzugs. Ich muss mindestens etwas sagen wollen, wenn ich ein Urteil fälle. Insofern liegt die Lebendigkeit in jedem Urteil offen zutage. Sie ist streng genommen auch gar nicht zu leugnen. Das Urteil kann daher schwerlich „subjektiv" genannt werden. Es ist vielmehr allgemein und umfassend, ohne vorab auf eine bloß äußere Sphäre eingeschränkt zu sein. Das Urteil über einen nur auf äußere Zusammenhänge restringierten Sachverhalt, müsste man technisch nennen. Das teleologische Urteil könnte demgegenüber als natürlich bezeichnet werden. Besser als „technisch" wäre vielleicht das Adjektiv „mechanisch". Dann wäre sofort erkennbar, dass hier über Totes geurteilt wird.

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die Selbsterkenntnis selbst zu einem Moment in der individuellen Organisation des Daseins. Von ihr hängt wesentlich ab, was sich ein Mensch zutraut, welche Verbindlichkeiten er eingeht und wieviel Verantwortung man ihm zugestehen kann. Doch bevor die Selbsterkenntnis zu einer individuellen Einschätzung unserer eigenen Kräfte gelangt, vermittelt sie uns in der Selbsterfahrung unserer eigenen Lebendigkeit das Grundverständnis des Lebendigen überhaupt: Was es heißt, dass Leben auf „etwas" ausgerichtet ist, wissen wir nur in Analogie zu unserer eigenen Aufmerksamkeit; dass Leben verletzlich und empfindlich ist und zwischen Phasen der Spannung und Entspannung wechselt, dass es nur über endliche Kräfte verfugt, deren Dispositionen in der Binnenperspektive „erlebt" werden müssen, ja, dass Leben in allen seinen Vollzügen aus einer inneren Dynamik entspringt - alles das wissen wir nur von uns selbst. Wenn ein Biologe nicht von sich aus wüsste, wie man sich als lebendiges Wesen empfindet und fühlt, ja, wenn er nicht zumindest wüsste, was es für ihn selber heißt, am Leben zu sein, könnte er seine Wissenschaft nicht von der Physik oder der Chemie unterscheiden.

XII. Die Moral im kritischen Begriff des Lebens Die Selbsterkenntnis ist nicht nur ein intellektueller Vektor bei der Organisation des Wissens,9 sondern sie steht im Ausgangspunkt der selbsterfahrenen Handlungsimpulse des Willens. Wollen ist die ausdrücklich gemachte Option auf eine mögliche Bewegungsrichtung des lebendigen Wesens. Der Wille ist das von uns und unserem menschlichen Gegenüber verstandene Zeichen zur Verständigung über die mögliche Aktivität eines menschlichen Organismus im sozialen Raum. Im zurechnungsfähigen Zustand werden solche symbolisch vermittelten Aktivitätszentren Personen genannt. Es ist für ihr eigenes Dasein schlechterdings entscheidend, nach welchen Optionen, die Kant Maximen nennt, sie sich richten. Nun brauchen wir lediglich hinzuzufügen, dass die ursprünglich auf Optionen bezogene Selbsterkenntnis nur dann eine „Erkenntnis" genannt werden kann, wenn sie im Zusammenhang mit unserem sachhaltigen Wissen steht, wenn sie also die Logik berücksichtigt, die Weltkenntnis einbezieht und auf Mitteilung unter den endlichen und allemal bedürftigen Konditionen des Lebens angelegt ist. Dann ist augenblicklich einzusehen, welche eminente Aufgabe der Ethik zukommt: Im Interesse der von uns selbst gewünschten optimalen Ausrichtung un9 Was Kant an der Rolle des „Ich denke", das immer auch ein „Wir denken" ist, herausgearbeitet hat. Siehe dazu: Volker Gerhardt, Immanuel Kant. Vernunft und Leben, Stuttgart 2002, 249 ff.

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seres Handelns gibt sie uns die Mittel zur Überprüfung des Zusammenhangs von Selbst- und Weltkenntnis an die Hand. Da wir es selber sind, die eine solche Prüfung unserer Maximen wünschen - im Augenblick einer existenziellen Verunsicherung fragen wir ja selber: „Was soll ich tun?" - , ist die in sie eingehende Prämisse, die a priori unterstellte Konstanz unserer selbst. Unter den komplexen Bedingungen des Lebens interessieren wir uns in der Ethik wesentlich dafür, wie wir die werden und bleiben können, als die wir uns selber verstehen, sofern uns moralische Fragen nahe gehen.

X I I I . Moral nur für lebendige Wesen Die Quintessenz der kantischen Moralphilosophie liegt darin, dass der Mensch sich selbst ein Beispiel zu geben hat. Wir haben die „Menschheit in unserer Person" zu wahren. Und wenn dies nicht unser Geheimnis bleiben, sondern in unserem Handeln hervortreten soll, dann ist jede moralische Tat ein exemplarischer Akt. Insofern ist nicht erst die Politik auf Öffentlichkeit angelegt. Auch das moralische Wesen nimmt sich in einem Universum wahr, in dem es nicht nur sich selbst, sondern grundsätzlich jedem in die Augen sehen können möchte. Deshalb lassen sich, nach Kant, alle Tugenden letztlich in einer einzigen zusammenfassen: in der der Wahrhaftigkeit. Der Unterschied zur Politik liegt freilich darin, dass in der Moral letztlich jeder für sich allein zu verantworten hat, für was er sich entscheidet. Der Anspruch der Moralität ergeht an das einzelne Individuum, das einen Konflikt, den es von sich aus auf sich selbst bezieht, selber lösen will. Gleichwohl bewegt es sich mit seinen Fragen in einem prinzipiell öffentlichen Raum, in dem es idealer Weise von seinesgleichen wahrgenommen und in möglichst bester Verfassung erkannt werden möchte. Da aber niemand anderes exakt die gleiche Stellung einnimmt, sondern Beobachter bleibt (der allerdings in eine vergleichbare Lage geraten kann), vermag das handelnde Individuum, seinesgleichen tatsächlich nur ein Beispiel zu geben. Der damit verbundene Selbstanspruch hat aber nur unter der Voraussetzung seines allemal verletzlichen und endlichen und damit stets gefährdeten Daseins einen Sinn. Und da jeder sein Dasein in uneinholbarer Bedingtheit mit anderen teilt, kann er sich auch in seiner Verletzlichkeit und Sterblichkeit mit ihnen verbunden wissen. Es spricht somit nicht nur alles dafür, sich in kluger Vorausschau des Beistands der Tiere und Pflanzen zu versichern; es ist auch nicht genug, auf den ästhetischen Verlust zu verweisen, der mit dem Schwinden der Arten und dem Leiden der Kreaturen einhergeht. Entscheidend ist das moralische Argument zu ihrem Schutz: In der Lebensgemeinschaft mit Pflanzen und Tieren hat sich der Mensch so zu verhalten, dass er auch ihnen gegenüber seine Würde wahrt. Jeder hat vor jedem exemplarisch zu sein.

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Die Humanität, die der Mensch in seiner Person zu achten hat, beweist sich also nicht nur im Umgang mit sich und seinesgleichen, sondern auch im Angesicht der stummen Geschöpfe, deren Leiden nur die Vernunft auf einen Begriff bringen kann. So erlangt die von ihr gewahrte Einheit des Lebens praktische Bedeutung sowohl für das Selbstverhältnis des Menschen wie auch für die Welt, in der er lebt. Und wer im Glauben lebt, der kann für sich den Namen Gottes ergänzen, um in seinem Zeichen so zu handeln, dass er auch vor ihm bestehen könnte. Dass auch darin eine Option für das Leben liegt, tritt anschaulich darin hervor, dass der geglaubte Gott schwerlich als tot vorgestellt werden kann.

XIV. Der Mensch als Zweck an sich selbst Wie aber kann unter den Bedingungen des Lebens, in dem alles wechselseitig Zweck und Mittel ist, überhaupt irgendetwas als „Selbstzweck" ausgezeichnet sein? Die berühmte Formel für die Selbstzwecksetzung des Menschen lautet: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst." 10 Weniger prominent ist die analoge Formel, mit der Kant in der Kritik der Urteilskaft die Eigenschaft eines Lebewesens definiert: „Ein organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist." 11 Die Parallele ist offenkundig. Sie macht deutlich, dass unter den Bedingungen des Lebens aus der wechselseitigen analytischen Angewiesenheit des Mittels auf den Zweck ein realer Sachverhalt wird. Unter den Bedingungen der Moral aber wird aus dieser Wirklichkeit eine existenzielle Notwendigkeit. Wie lässt sich das verstehen? Angenommen, die Vernunft setzte keine Zwecke, dann könnte im Ganzen weder von Zwecken noch von Mitteln die Rede sein. Also ist die Fähigkeit, überhaupt Zwecke und Mittel zu unterscheiden, vor allem anderen zu sichern. Da wir diese Fähigkeit nicht nur nach alter philosophischer Tradition, sondern auch im heute noch gültigen alltäglichen Verständnis als „Vernunft" bezeichnen, ist es die Vernunft, die als Bedingung jeder Zwecksetzung überhaupt zu gelten hat. Ohne sie könnten wir weder Zwecke erkennen noch nach Zwecken handeln. Folglich hat sie als „Zweck an sich selbst" zu gelten. Fragen wir ferner, welchen Sitz die Vernunft im Leben hat, bleibt am Ende nur der Mensch als dasjenige Wesen übrig, in dem sie ihren originären Anspruch erhebt. Weit davon entfernt, die anderen Lebewesen als unvernünftig zu

10 11

/. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akad. Ausg. Bd. 4, 429. /. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 66, Akad. Ausg. Bd. 5, 376.

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bezeichnen, und nicht weniger weit davon entfernt, in der Vernunftfähigkeit eine metaphysische Auszeichnung zu vermuten, die den Menschen in einen höheren Seinsrang erhebt, ist die Vernunft die Fähigkeit, in der sich der Mensch biologisch komplettiert, um sich damit kulturell zum Menschen zu machen. Das heißt: Wenn er Mensch sein und bleiben möchte, muss er sich seiner Vernunft bedienen. Wenn aber diese Vernunft als Selbstzweck zu gelten hat, dann ist auch der Mensch als Zweck an sich selber ausgezeichnet. Also gilt, was Kant über die „Moralität" sagt: Sie ist die „Bedingung, unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann". 12 Der Mensch hat die Vernunft jedoch nur, weil er als Individuum Teil der menschlichen Kultur ist. Also hat er sie als eminentes Merkmal der Menschheit an sich selbst zu sichern. Diese Sicherung der Vernunft aber ist in die Verantwortung eines jeden einzelnen Menschen gestellt. Folglich hat er die Menschheit tatsächlich „in seiner Person" zu sichern. Damit ist es nichts anderes gemeint als die Wahrung des Selbstzwecks, die in der Würde des Menschen zum Ausdruck kommt. Mit und in ihr besteht ein existenzieller Anspruch, dem sich kein Individuum, das Wert auf seine Eigenständigkeit legt, entziehen kann. Damit ist kenntlich gemacht, dass Kants Wendung zum Leben in seiner praktischen Philosophie eine existenzielle Bedeutung gewinnt. Der Individualist, Prinzipialist und Universalist ist immer auch ein Existenzialist.

XV. Alles steht unter der Bedingung der menschlichen Existenz Als „wirklich" gilt Kant nur, was „in den Sinnen" ist. Damit können theoretisch die Sinne aller lebendigen Wesen gemeint sein. Im Ernst aber kann nur von den Sinnen des Menschen die Rede sein, denn nur über sie ist eine Verständigung möglich, die Kant in allen Formen der Erkenntnis als grundlegende Bedingung unterstellt. Insofern gibt es gar keine abwegigere These als die von der „monologischen Verfassung" der kantischen Vernunft. Für die Mitteilung wie für die sinnliche Wahrnehmung gibt es selbst wieder eine Bedingung, die unscheinbar, aber jederzeit offenkundig ist: Der Mensch muss selber anwesend sein, wenn er eine sinnliche Erfahrung machen können und somit „Wirklichkeit" feststellen will. Er muss somit leibhaftig zugegen und hinreichend aufmerksam sein, um den sinnlichen Reiz zu spüren, der die materiale Bedingung dafür ist, dass er überhaupt etwas erfahren und denken kann. Das aber heißt nichts anderes, als dass der Mensch mit seinen sensiblen und intelligiblen Fähigkeiten physisch präsent sein muss, um überhaupt etwas über die 12

1. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akad. Ausg. Bd. 4, 435.

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Wirklichkeit ausmachen zu können. Nur sofern er dies kann, ist es ihm möglich, auch etwas über sich selbst in Erfahrung zu bringen. Das erscheint trivial und ist es mit Blick auf die empirischen Gegebenheiten vermutlich auch. Achten wir aber auf die Jahrtausende alten metaphysischen Prämissen der Welt- und Selbsterkenntnis, wie sie bis zu Kants Zeiten - zumindest von den antiken Piatonikern wie auch von den modernen Rationalisten vertreten wurden, verliert sich das Triviale der Einsicht in die epistemische Prämisse der Existenz sehr schnell. Zumindest, wenn die menschliche Existenz in Rede steht. Denn in der großen Tradition der Metaphysik war jeder menschlichen Erkenntnis, sofern sie auf Wahrheit Anspruch erheben konnte, die Existenz Gottes vorgeschaltet. Das entfällt mit Kants Demonstration der Unmöglichkeit eines Beweises für die Existenz Gottes. Die augenblickliche Folge ist, dass die Existenz des Menschen in den begründungstheoretischen Vordergrund rückt. Der metaphysische Primat der göttlichen Existenz geht bei Kant in den nicht nur praktischen, sondern auch theoretischen Primat der Existenz des Menschen über: Wir haben in allem, was immer wir über die Welt und uns selbst ausmachen können von uns selber auszugehen.

XVI. Der lebendige Gott Wie sehr Kant mit Blick auf die menschliche Existenz an das endliche und damit höchst unvollkommene Lebewesen Mensch gedacht hat, ließe sich an so gut wie jeder Aussage seiner kritischen Philosophie belegen. Schon die Nötigung zur Vernunftkritik liegt in der Erfahrung unserer begrenzten Fähigkeiten. Ihr Ertrag besteht in der Begrenzung unseres Wissens. In seiner praktischen Philosophie macht Kant deutlich, dass die Moral nur für Wesen gilt, die von der Natur „stiefmütterlich" behandelt werden. 13 Für einen Gott oder andere denkbare intelligible Wesen hat der Anspruch des moralischen Gesetzes gar keinen Sinn. Denn sie müssen sich nicht disziplinieren; sie tun schon von selbst, was sie als vernünftig erkennen. Nur der Mensch steht unter dem ihn befreienden und zugleich selbst bestimmenden Selbstanspruch seiner eigenen Vernunft. Der Gott oder die Engel hätten das gar nicht nötig. Für sie brauchte man auch kein Recht, das ja nur erforderlich ist, weil sich die Menschen wechselseitig behindern, verletzen und töten können. Am deutlichsten wird die Aufnahme der die ganze Philosophie Kants tragenden Prämisse der Existenz eines endlichen, bedürftigen Lebewesens an einer Stelle des kritischen Systems, für die Kants Zeitgenossen noch sensibel waren, 13

/. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akad. Ausg. Bd. 5, 146.

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die seine Leser in den nachfolgenden Generationen aber immer weniger interessierte, nämlich an der Systemstelle, die der Existenz Gottes eingeräumt wird. Nach Kant wird das Postulat von der Existenz Gottes benötigt, um dem Menschen wenigstens die Hoffnung auf einen guten Ausgang seiner vernünftigen Bemühungen zu geben. Gott ist der Name für eine Macht, über die der Mensch nicht verfügt, auf die er dennoch - aus bloßer Vernunft, aber im Bewusstsein der eigenen Bedürftigkeit - seine Erwartung richtet. Nur ein Gott kann den rationalen Anspruch mit dem sinnlichen Wunsch zur Deckung bringen. Kant postuliert die Existenz Gottes nicht im Interesse einer spekulativen Erlösung des Menschen. Der primäre, der praktische Sinn des Postulats zielt auf Gelassenheit im Dasein: Der Mensch, der sich zwar viel denken und noch mehr vorzustellen vermag, tatsächlich aber nur wenig erreichen kann, soll sich mit seinen begrenzten Kräften zufrieden geben können, ohne an seiner Vernunft irre zu werden. So wird die Existenz Gottes im Interesse der epochalen Existenz des Menschen postuliert. Sie kann damit die Sinnbedingung des menschlichen Handelns retten. Gott kommt ins Spiel, um dem Leben als Ganzes eine humane Perspektive zu geben.

Subjektivität und Objektivität in Kants „Kritik der Urteilskraft" Friedrich Hausen

Die „Kritik der Urteilskraft" stellt ein heterogenes Werk mit einigen unausgeführten gedanklichen Neuansätzen dar. Ihre Konzeption der Ästhetik und Teleologie ist dabei ebenso problematisch wie tief und bedenkenswert. Mir geht es zum einen darum, die Relevanz einiger Punkte zu zeigen, die Kant mit seiner vielleicht sperrig anmutenden Konzeption zu verstehen imstande ist. Zugleich aber wird der Ansatz weitergedacht, über eine Grenze hinaus, die Kant in kritizistischer Manier zieht. So wird hier keine textnahe Interpretation vorgelegt, als vielmehr eine Rekonstruktion vor allem der Bedeutung des Zweckmäßigkeitsprinzips mithilfe von Begriffen einer pragmatistischen Theorie der Bewährung. In Auseinandersetzung mit der ästhetischen Urteilskraft wird dabei ein Begriff des Lebens eine Annäherung an Voraussetzungen des ästhetischen Gegenstandes leiten. Bezüglich der Teleologie werde ich gegen Kant die Position vertreten, dass der Zweckmäßigkeitsbegriff als regulatives Prinzip der reflektierenden Urteilskraft nicht nur subjektive Bedingungen des Denkens selbst betrifft, sondern sich an einem erfahrungsmäßigen Minimalgrund bewähren muss, um rational zu sein. Die Urteilskraft wird dabei als ein hermeneutisches Vermögen interpretiert, ein Vermögen, Bedeutungen zu verstehen. Nach dieser Auffassung reguliert der Zweckmäßigkeitsbegriff als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft auch Akte intersubjektiver Bezugnahme, Akte zwischenmenschlichen Verstehens. I. Geltung und Bewährung Da es seit dem späten Wittgenstein nicht selbstverständlich scheint, dass ein geltungstheoretischer Ansatz wie derjenige Kants einen sinnvollen Referenzhorizont besitzt, möchte ich ihn über einen Begriff der Bewährungszusammenhänge, die m. E. pragmatisch von unleugbarer Relevanz sind, erschließen: Als Bewährungszusammenhänge bezeichne ich Erfahrungsgründe, die die Vertrauenswürdigkeit von bestimmten Handlungsmöglichkeiten indizieren 1. Eine Hand1

Den Begriff des Index gebrauche ich nach Peirce im Sinne eines Anzeigers oder Realverweises. Bewährungszusammenhänge legen eine bestimmte Handlungsform aus Erfahrung nahe.

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lung liegt vor, wenn ein Akt einer Entscheidung folgt. Bewusstes und begründendes Geben und Entziehen von Vertrauen folgt einer Entscheidung. Insofern bestimmten propositionalen Gehalten, die im Gedankenstrom oder in tradierten Zeichenzusammenhängen Geltung beanspruchen, Vertrauen gegeben oder entzogen werden kann, sind sie als Gegenstände einer Wahlalternative dem Handeln zugänglich. Den geltungstheoretischen Ansatz Kants interpretiere ich damit über die Frage, welche Urteilsformen in welcher Hinsicht und in welchen Zusammenhängen Vertrauen verdienen, oder unter welcher Bedingung das Vertrauen gegenüber einer Annahme rational, d. h. verständlich ist. Eine Geltungstheorie stellt einen Anspruch, der über bloße Bewährung in der Erfahrung hinausgeht. Dennoch ist die Angemessenheit dieses Anspruches für konkrete Subjekte nur über Bewährungszusammenhänge zu erschließen. Wenn bestimmte Annahmen notwendige Geltung beanspruchen, bedeutet dies für das nachvollziehende und überprüfende konkrete Subjekt so viel wie die Bewährungsunmöglichkeit des Gegenteils. Nichts kann sich jenseits eines intentionalen Kohärenzzusammenhanges bewähren; dieser selbst stellt den Maßstab für konkrete Bewährung empirischer oder nichtempirischer Annahmen. Daher beinhaltet die Annahme notwendiger Geltung die Annahme der Unmöglichkeit einer kohärenten Alternative. Eine transzendentale Geltungstheorie, wie sie im Werk von Immanuel Kant vorliegt, erschließt dem eigenen Anspruch nach einen Horizont der Bedingungen von Bewährung überhaupt, oder eben einen Bewährungszusammenhang, dessen Geltungsbezirk nicht verlassen werden kann. Eine solche Theorie ist nur möglich, wenn das Verhältnis der verschiedenen Urteilsformen als subjektiven Bewährungspotentialen zu den verschiedenen Referenzbezirken geklärt wird. Umgekehrt muss, damit der Horizont möglicher Ansprüche vollständig für die kritische Beurteilung zugänglich wird, auch eine differenzierte Einheit des Bewusstseins selbst deskriptiv erfasst sein. Nur eine vollständige Geltungstheorie, die alle potentiell sinnvollen Akte mitbegreift, ist imstande, die dazugehörigen Geltungsbezirke genau voneinander abzugrenzen. Die Kantische Systemarchitektur ist der Versuch der Darstellung der Zusammenhänge von verschiedenen mentalen Elementarleistungen und damit auch der Geltungsgründe und angemessenen Referenzhorizonte in Erkenntnisurteilen sowie auch in ästhetischen, teleologischen und moralischen Urteilen. Objektivität und Subjektivität stellen im Rahmen der Kantischen Theorie unterschiedliche Geltungsbezirke dar. Subjektive Geltung von Begriffen oder Urteilen betrifft Leistungen der Selbstregulierung von Subjektivität, d. h. Bestimmungen ohne theoretischen Aussagegehalt. Objektive Geltung hingegen betrifft die Unterscheidungs- und Erklärungskraft im Objekthorizont.

Subjektivität und Objektivität in Kants „Kritik der Urteilskraft"

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II. Erste Annäherung an den Begriff der Urteilskraft Meine Überlegungen betreffen die Kantische Konzeption der Urteilskraft. Im alltäglichen Wortgebrauch bedeutet ein gutes Urteil zunächst ein treffendes Urteil. Dieses ist ein geübtes oder geschultes Urteil und beruht auf Erfahrung, nicht aber in dem Sinne, wie die empirischen Wissenschaften auf Erfahrung beruhen. Es fehlt hier die semiotische Exaktheit, die kriteriale Eindeutigkeit, welche den kontinuierlichen Fortschritt wissenschaftlicher Theorien bestimmt. Ein erfahrener Handwerker, der mit einem Blick die Qualität eines Werkzeugs abschätzt, greift vielleicht weniger auf feste Kriterien zurück, die er auch verbalisieren könnte, als auf einen Gesamteindruck, der auf einer Fülle wahrgenommener Details beruht, die sich in einer Einheit der Erfahrung reflektieren, die ihrerseits selbst nicht mehr differenzierbar ist. Der Handwerker wird vielleicht Kriterien nennen. Verwendet aber ein Ungeübter dieselben Kriterien bei einem anderen Fabrikat, so wird der Erfahrene wahrscheinlich einwenden und weitere Kriterien nachliefern, die in den ersten nicht enthalten waren. Das begriffliche Wissen scheint sekundär. Bei Piaton taucht der Begriff eines praktischen Wissens auf, eines Wissens, das nicht explizierbar sein muss, aber im praktischen Vollzug leitend ist. Das, was das treffende Urteil ausmacht, ist auch in diesem Sinne nicht explizierbar. Es muss immer wieder von neuem gefunden werden. Die so verstandene Urteilskraft meint dann ein besonderes Vermögen geschulter Intelligenz, Zeichen richtig zu deuten, d. h. zwischen wesentlichen und unwesentlichen Merkmalen richtig zu unterscheiden, wobei nicht so sehr ein festes Wissen, als ein unmittelbares Verstehen der praktischen Situation und ihrer Relevanzen zählt. Im Folgenden wird dann auch die These vertreten, dass Urteilskraft auch bei Kant ein hermeneutisches Vermögen darstellt, Situationen und Bedeutungen zu verstehen. Dieses Vermögen, wenn es von besonderer Tiefe und Weite der Erfahrung genährt ist, wird zu Weisheit, womit eine Theorie der Urteilskraft auch imstande ist, eine Theorie der Weisheit zu fundieren. 2 Weisheit bedeutet dabei gerade ein Wissen, oder eine weitreichendste Bewusstheit, die das Unwesentliche vom Wesentlichen zu scheiden versteht.3 Wenn im Fol2

Bei Aristoteles bedeutet Weisheit so viel wie Prinzipienwissen (vgl. Aristoteles , Metaphysik, 981 b). Mir hingegen scheint in dem deutschen Wort „Weisheit" die Einheit von theoretischem und praktischem Wissen enthalten. Die Kantische Konzeption der Urteilskraft begünstigt einen Begriff von Weisheit, welcher diese zwischen Erkenntnis und Moralität verortet. Weisheit steht dem Eigennutz ferner, als Klugheit, beinhaltet bereits Moralität. So entspricht dem von uns vorgeschlagenen Weisheitsbegriff nicht nur die vermittelnde Stellung zwischen Theorie und Praxis in der Urteilskraft nach Kant, sondern auch die bloß sekundäre Bedeutung instrumenteller Vernunft in der Praxis. 3 Es ist auffällig, daß die derzeit diskutierten Wahrheits- und Bedeutungstheorien meist einem Begriff von neutralem Wissen folgen, weniger einem tieferen Begriff von Weisheit. Dabei liegt es nahe, daß der geringe Begriff von Weisheit eine geringe Investition in die Klärung dieses Begriffs Grund ist für den recht schwachen Einfluß, den die Philosophie in letzter Zeit zeigt. Umgekehrt müßte m. E. mit einer vertieften Bemühung

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genden die Urteilskraft als hermeneutisches Vermögen bedacht wird, so soll dies aber nicht von dem eben angedachten Alltagsverständnis her geschehen, sondern es soll gezeigt werden, dass auch die Kantischen Ausfuhrungen strukturell einen Begriff entfalten, der im Kern den Bestimmungen eines Vermögens, Bedeutungen zu verstehen, entspricht. Damit aber fuhren wir Kant gegen Kant. Denn dieser setzt in den Kern seiner kritischen Aneignung metaphysischer Begriffe einen kritizistischen Geltungsvorbehalt, der in einer Bedeutungs- und Weisheitstheorie, wie ich sie im Ansatz in der „Kritik der Urteilskraft" erblicke, nicht geteilt werden kann. Ich werde im Weiteren wie folgt vorgehen: Zunächst werden die Problemstellen um subjektive und objektive Bewährungszusammenhänge näher eingeführt. Anschließend wird die ästhetische und die teleologische Urteilskraft auf die Differenz von subjektiv und objektiv untersucht. In Vertiefung der Perspektive wird ein zusammenhängender Begriff der Urteilskraft im Rahmen der Kantischen Architektonik entfaltet und die Interpretation von Urteilskraft als hermeneutischem Vermögen geleistet.

III. Subjektivität ohne Objektivität In der Geltungstheorie Immanuel Kants besteht eine der interessantesten und problematischsten Positionen in der strikten Trennung von subjektiver und objektiver Geltung. In der „Kritik der reinen Vernunft" schreibt Kant: „Ich verstehe unter Idee einen notwendigen Verstandesbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Also sind unsere jetzt erwogenen reinen Vernunftbegriffe t r a n s z e n d e n t a l e I d e e n . Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrachten alles Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch eine absolute Totalität der Bedingungen. Sie sind nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, und beziehen sich daher notwendigerweise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich transzendent und übersteigen die Grenze aller Erfahrung, in welcher also niemals ein Gegenstand vorkommen kann, der der transzendentalen Idee adäquat wäre." 4

Ideen in diesem Sinne sind ohne objektive Geltung, was bedeutet, dass sie nicht einen Teil oder Aspekt der Welt bezeichnen, sondern nur regulativ wirksam sind. So stellt der Inbegriff aller Prädikate nur den Horizont der näheren Bestimmungen überhaupt, aber kein Ding dar. Es handelt sich um eine regulati-

um den Weisheitsbegriff auch die Philosophie wieder an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen. Kant thematisiert dies in der „Kritik der reinen Vernunft" mit einer Unterscheidung zwischen Schulbegriff und Weltbegriff: Wissenschaft nach dem Schulbegriff beabsichtigt nur ein instrumentelles Wissen nach beliebigen Zwecken, während nach dem Weltbegriff die Philosophie „die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der Vernunft" darstellt {Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 866 ff.). 4 Kant , Kritik der reinen Vernunft, B 383 f.

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ve Idee, ohne Anspruch auf objektive Geltung, auf gegenständliche Referenz. Dasselbe gilt für das Ganze sämtlicher Erscheinungen, welches ebenso wenig als Gegenstand einer Erfahrung angetroffen werden kann.5 Der Begriff dient der genaueren Verortung der einzelnen Erscheinungen in Bezug aufeinander, referiert aber selbst nicht auf eine Erscheinung. Als entscheidendes Kernmerkmal Kantischer Philosophie nannte ich bereits den kritizistischen Geltungsvorbehalt in der Auseinandersetzung mit metaphysischen Fragestellungen. Metaphysische Argumente wie hinsichtlich der Existenz Gottes, der Realität von Freiheit oder der teleologischen Verfasstheit der Welt werden nicht einfach negiert, sondern ihres objektiven Anspruches beraubt und auf eine rein strukturelle Denknotwendigkeit zurückgeführt. Mit der Zurückweisung des objektiven Anspruches ist zugleich die Wissenschaftsfähigkeit oder auch nur Erkenntnisbestimmtheit einer inhaltlich positiven Metaphysik negiert. Metaphysik kann es dann nur noch unter der von Kant vorgegebenen kritizistischen Struktur einer Selbstbeschränkung der Vernunft geben.6 Aus einer Interpretation metaphysischer Argumente als rein apriorischer ergibt sich die Zurückweisung ihres Anspruches auf objektive Realität. Nun ist es nicht notwendig, Argumente bezüglich traditionell metaphysischer Gegenstände als apriorisch aufzufassen. Damit bleibt unentschieden, ob nach der Kantischen kritizistischen Aneignung einiger solcher Argumente die Vernünftigkeit von Objektivitätsansprüchen traditionell metaphysischer Argumente wirklich widerlegt ist. Möglicherweise aber sind Begriffe wie Gott, Seele, Freiheit oder Endzweck der Welt nicht nur als transzendental aufzufassen. Möglicherweise ist die metaphysische oder religiöse Verwendung dieser Begriffe, d. h. ihr ursprünglicher Gehalt und Bewährungszusammenhang gar nicht apriorisch. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass nicht zuletzt A. N. Whitehead in „Process and Reality" (1929) eine Ontologie nach dem Prinzip der verallgemeinernden Beschreibung zu entwickeln versucht hat, die eben auch jene fraglichen Entitäten innerhalb der Erfahrung verortet. Für die folgenden Überlegungen aber wird es nicht notwendig sein, sich derart weit von der Kantischen Konzeption zu entfernen. Diese selbst besitzt bereits Ansätze zu Perspektiven für einen objektiven Idealismus, d. h. für die Annahme einer objektiven Realität dessen, was mit Ideen gemeint ist. Zur Klärung der Frage nach möglichen Übergängen zwischen subjektiven und notwendig objektiven Geltungsgründen wird untersucht, ob sich aus einer kohärenten Rekonstruktion subjektiver Notwendigkeiten Rückschlüsse auf objektive Bedingungen ziehen lassen.

5 6

Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 384. Zum Metaphysikbegriff Kants vgl. Kant , Kritik der reinen Vernunft, B 873 ff.

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IV. Urteilskraft bei Kant Der Begriff der Urteilskraft wird von Kant nach drei Seiten hin entfaltet: a) Die bestimmende Urteilskraft nach Seiten des Vermögens der Erkenntnis, b) die teleologische Urteilskraft nach Seiten der Vernunft als praktischem Vermögen, c) die ästhetische Urteilskraft nach Seiten der Einbildungskraft. Die Urteilskraft stellt im Rahmen der Naturteleologie ein vermittelndes Vermögen zwischen Vernunft und Verstand dar, wobei die Vernunft eine Totalität erstrebt, die sich nicht in der Erkenntnis, wohl aber praktisch, im guten Willen realisieren lässt, während der Verstand auf Erfahrungsinhalte referiert. Ich möchte später noch näher auf die Vermittlungsleistung der Urteilskraft im Rahmen der Kantischen Theorie eingehen. Zunächst sollen die drei Grundakte der Urteilskraft kurz erläutert werden. Die Urteilskraft wird in der „Kritik der reinen Vernunft" in Bezug auf den Verstandesgebrauch dargestellt. Hier dient die Urteilskraft der Erkenntnis. Ein Urteil bedeutet die Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine. Allgemein sind die Begriffe. In der „Kritik der reinen Vernunft" sagt Kant: „Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen unter Regeln zu s u b s u m i e r e n, d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel {casus datae legis) stehe oder nicht. [...] und so zeigt sich, daß zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, Urteilskraft aber ein besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will. Daher ist diese auch das Spezifische des sogenannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann; denn ob diese gleich einem eingeschränkten Verstände Regeln vollauf, von fremder Einsicht entlehnt, darreichen und gleichsam einpfropfen kann; so muß doch das Vermögen, sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrlinge selbst angehören, und keine Regel, die man ihm in dieser Absicht vorschreiben möchte, ist, in Ermangelung einer solchen Naturgabe, vor Mißbrauch sicher." 7

Diese Beschreibung enthält auch bereits Züge, welche auf die Entfaltung eines Begriffes der ästhetischen Urteilskraft verweisen. In der „Kritik der Urteilskraft" wird die in der „Kritik der reinen Vernunft" beschriebene Leistung der sogenannten bestimmenden Urteilskraft zugeordnet und den Leistungen der reflektierenden Urteilskraft gegenübergestellt. Die bestimmende Urteilskraft erhebt dabei einen Anspruch auf Objektivität, während die reflektierende Urteilskraft eine Selbstbezüglichkeit der Subjektivität aktiviert, in dem Sinne, dass die erste Referenz gar nicht sinnliche Erscheinungen, sondern strukturelle Bedingungen der Subjektivität selbst betrifft. Dieser reflektierenden Urteilskraft werden als Leistungen das ästhetische Urteil und das teleologische Urteil zugeordnet. In den folgenden Abschnitten wird zunächst das ästhetische, dann das teleologische Urteil nach Kant erörtert. Zuerst werden die von Kant analysierten

7

Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 171 ff.

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Strukturmerkmale dargestellt, von denen eine Annäherung an das Problem des Unterschieds von subjektiver und objektiver Geltung erfolgen soll. Dabei führt der Weg jeweils über die von Kant konstruierten Antinomien, in denen das Problem und die Kantische Lösung markant formuliert sind. 1. Die ästhetische Urteilskraft Worauf genau beziehen sich ästhetische Urteile? Was treffen sie? Liegt der ästhetische Wert in dem Ding, oder nur im Erlebnis des Rezipienten? Können ästhetische Urteile Allgemeinheit beanspruchen, oder folgen sie nicht vielmehr der individuell verschiedenen Neigung? Sind Kunst und Kitsch Gegensätze am künstlichen Produkt, oder liegt der Wertunterschied in der Auffassung? Diese Fragen finden in der Kantischen Ästhetik eine mögliche Antwort. Was aber ein ästhetisches Urteil genau leistet, wo der Gültigkeitsbezirk desselben liegt, kann erst gesagt werden, wenn dasjenige, was es ausmacht, hinreichend scharf fixiert und von bloß Ähnlichem abgegrenzt ist. Das ästhetische Urteil oder reine Geschmacksurteil zeichnet sich nach Kant durch Begriffslosigkeit, Interesselosigkeit, Gründung in der Form der Zweckmäßigkeit des Gegenstandes und zuletzt durch subjektive Allgemeinheit im Geltungsanspruch aus. Auf diese vier Kennzeichen soll kurz näher eingegangen werden: Mit der Begriffslosigkeit bezeichnet Kant die kriteriale Unbestimmtheit dessen, was das Schöne vom Langweiligen oder Hässlichen unterscheidet. Das Schöne ist definitorisch unbestimmt, besitzt keine festen objektiven Merkmale, nach denen es vollständig beschrieben werden könnte. Der primäre Zugang zum Schönen liegt im Gefühl, der beschreibende Begriff kommt nachträglich. Hierin unterscheidet sich das ästhetische Urteil von dem moralischen Handeln, welches sich nach Kant begrifflich bestimmt. Was sein soll, ist bereits im kategorischen Imperativ allgemein gefasst. Diese allgemeine Bestimmung fehlt im ästhetischen Urteil. Es wird nicht ein Besonderes unter ein Allgemeines subsumiert, sondern das Vermögen der Einbildungskraft unter dasjenige des Verstandes überhaupt.8 Dem ästhetischen Urteil fehlt die Primärreferenz auf gegenständliche Konkretheit. Der Gegenstand ist Anlass, und nicht letzter Referenzgrund des ästhetischen Urteils. Über den Begriff der Interesselosigkeit zielt Kant auf den Umstand, dass die ästhetische Intentionalität durch wertmäßige Fremdkomponenten verunreinigt werden kann. Wenn ein Interesse an mehr Geld, Macht, Behaglichkeit oder auch nur an intensiven Emotionen das Urteil über einen Kunstgegenstand mitbestimmt, ist es kein reines Geschmacksurteil mehr. Man könnte gegen den Begriff der Interesselosigkeit einwenden, dass doch auch das Schöne gewollt wird. Diesem Kritikpunkt ist entgegenzusetzen, dass das Schöne als selbstwert8

Vgl. Kanu Kritik der Urteilskraft, B 146.

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haft erlebt wird. Darin steht es im Gegensatz zum bloß Angenehmen, welches, als mir dienend, gleichsam unter mir steht. Die ästhetische Erfahrung wird durch alles Fremdinteresse geschwächt. Jedes Besitzen-Wollen, jedes Produzieren von Stimmungen oder mächtigen Eindrücken lebt auf Kosten der Qualität ästhetischer Erfahrung. Die Interesselosigkeit des ästhetischen Urteils kann durch ein rein formales Argument begründet und expliziert werden: Hier ist das Wohlgefallen am Schönen frei von Interesse, während das Wohlgefallen am Guten, als dem guten Willen inhärent, nicht interesselos sein kann. Der moralische Wille ist mit Interesse verbunden, denn das Interesse ist Motor des Handelns. Nur wenn ich will, werde ich handeln. Der Begriff geht im Interesse dem Ding voraus. Interesse intendiert Zwecke. Daher ist nach Kant kein begriffsfreies Interesse und keine interesselose Moral möglich und muss ein begriffsloses Urteil auch interesselos sein. Das Geschmacksurteil wird bei Kant näher über „die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes" bestimmt. Zweck ist dabei „der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Kausalität eines B e g r i f f s in Ansehung eines O b j e k t s ist die Zweckmäßigkeit {forma finalis). Wo also nicht bloß die Erkenntnis von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder die Existenz desselben) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letzteren möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck. Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache und geht vor der letzteren vorher."

Zwecke sind demnach Gegenstände, die durch Ziel-Vorstellungen bestimmt sind. Die Zweckmäßigkeit, die das ästhetische Urteil ausmacht, liegt aber nicht als propositionaler Gehalt in demselben vor, sondern bestimmt vielmehr die Struktur des Urteils. Im Wohlgefallen am Schönen ist das Vermögen der Lust und Unlust aktiviert, welches Kant als apriorisches Vermögen der Urteilskraft bezeichnet: „Das Bewußtsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben z u e r h a l t e n , kann hier im allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt; wohingegen Unlust diejenige Vorstellung ist, die, den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegenteile zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen), den Grund enthält." 10

So steht das Gefühl der Lust und der Unlust in Bezug zu Realisiertheit oder Nichtrealisiertheit von Zwecken, oder genauer gesagt, von Selbstzweckhaftigkeit. Der Gegenstand des ästhetischen Wohlgefallens wirkt auf unsere Erkenntnisvermögen in einer Weise, die diese in eine harmonische Beziehung zueinan-

9 10

Kant, Kritik der Urteilskraft. B 32 f. Kant , Kritik der Urteilskraft, B 33 f.

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der setzt. In der ästhetischen Erfahrung des Schönen tritt diese Harmonie zwischen spielender Einbildungskraft und Verstand ein. Die dabei gewonnene Proportion, die den Selbstgenuss des Subjekts befördert, ist zugleich diejenige, in der sich Erkenntnisleistungen optimieren. 11 Mit diesem Selbstgenuss gehört der Urteilskraft ein apriorisches Vermögen der Lust und der Unlust an. Dieses steht bei Kant wiederum zwischen Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen, wie die Urteilskraft auch zwischen Verstand und Vernunft steht. Diese Mittelstellung kann wie folgt erklärt werden: Erkenntnis bedeutet eine gewisse Passivität des Subjekts. Die Begriffe werden auf die empfangenen Sinnesdaten, die gegebenen Erscheinungen angewandt. Es kann zunächst außer Acht bleiben, dass nach Kant auch die Erscheinungen selbst bereits begrifflichen Schemata folgen müssen, um für den Begriff dann auch zugänglich zu sein. Entscheidend ist, dass die Rezeptivität der Sinne einen Inhalt reicht, den der Verstand aus sich selbst nicht vollständig produzieren könnte, während die reine praktische Vernunft im Begriff bereits ganz bei sich ist, nicht erst empirischer Zusatzdata bedarf, um in ihrer Leistung vollständig zu werden. Sie muss sich nicht von sich selbst entfernen wie die theoretische Vernunft. Insofern besteht ein passives Element in der Erkenntnis im Gegensatz zu der rein aktiven Komponente im Praktischen. Genau dieser Gegensatz leitet die frühe Wissenschaftslehre 1794/95 von Fichte. Lust und Unlust nun enthalten in einer entscheidenden Hinsicht beide Seiten und markieren damit ihre Mittelstellung: Passivität hinsichtlich der Affiziertheit, welche Lust und Unlust ausmacht; Aktivität hingegen in der begriffslosen Aktivierung einer Struktur der Zweckmäßigkeit oder eben der Wertung, die einen in dem erkannten Ding nicht mitgegebenen Aspekt aus der Subjektivität selbst heraus aktiviert. Zwischen einem Vermögen der Erkenntnis und einem Vermögen der Entscheidung, dem praktische Vermögen oder der reinen Aktivität 12 , steht gleichsam ein Vermögen, zu werten. Das ästhetische Urteil bezieht sich also auf einen rein subjektiven Vorgang: auf die Lust oder Unlustempfindung, welche gleichursprünglich ist mit der Harmonie subjektiver Erkenntnisvermögen, worin sich der Kunstgegenstand diesen gegenüber als zweckmäßig erweist. Bestimmte Voraussetzungen des Gegenstandes der Erfahrung werden dabei nicht angeführt. Ein letzter wichtiger Punkt bei Kant ist die subjektive Allgemeinheit der Geltung. Dieser Anspruch ist in dem Urteilsprädikat „ist schön" bereits enthalten, wie Kant betont; im Gegensatz zu dem Prädikat „ist angenehm", bei dem eine intersubjektive Geltung nicht mitbeansprucht wird. Dieser Anspruch wird nicht nur vertreten, sondern kann auch begründet werden: 11

Vgl. Kanu Kritik der Urteilskraft, B 30. Kant entfaltet seine praktische Philosophie aus Integritätsbedingungen des Willens selbst. In gewissem Sinne wird eine reine Aktivität nur dort möglich sein, wo der Wille ganz aus seiner Eigengesetzlichkeit bestimmt ist, welche in der vollständigen Begriffsbestimmtheit liegt, die mit dem kategorischen Imperativ expliziert wird. 12

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1. Subjektiv individuierende Komponenten, wie persönliches Interesse oder Neigung (wie etwa bezüglich des Angenehmen), bedingen nicht das ästhetische Urteil. 2. Hingegen optimiert sich darin die Proportion verschiedener Erkenntnisvermögen zueinander. 3. Die Erkenntnisvermögen aller Menschen sind im Wesentlichen gleich aufgebaut, sie teilen dieselbe Vernunft. Verschiedene Subjekte sind durch den Gemeinsinn verbunden. In § 22 beschreibt Kant den Gemeinsinn nicht als Realität, sondern als idealische Norm. 13 In dem Bemühen, das Urteil den möglichen Urteilen anderer Subjekte anzugleichen, wird die Realisierung des Gemeinsinnes erstrebt, nicht aber notwendig auch erreicht. Einer direkten Realisierung der Idee stehen die individuierenden und kulturrelativen Elemente, wie Sprachabhängigkeit von Kunstschaffen und Kunstverstehen, entgegen. Für eine, wenn auch schwache, Bestimmungskraft des Gemeinsinnes als Realität könnte angeführt werden, dass Kunst für die Annäherung der Völker stets ein Rolle gespielt hat, die durch rationale Sprachen nicht eingelöst werden konnte. Oft scheint die Sensibilität im Kunstverstehen der rationalen Begrifflichkeit darin voraus, gemeinsame Nenner für verschiedene Lebensformen zu finden. So kann Gemeinsinn durchaus als eine Idee verstanden werden, deren partielle Realisiertheit eine Voraussetzung zu weiterer Realisierung wird. Ich möchte nun auf das Problem von Subjektivität und Objektivität zurückkommen: Sowohl bezüglich der ästhetischen als auch der teleologischen Urteilskraft stellt die antinomische Darstellung Kants einen prägnanten Zugang zu dem Problem vor, weshalb wir in unseren folgenden Überlegungen zu subjektiver und objektiver Geltung jeweils in den Antinomienkapiteln ansetzen werden. Die Antinomie der ästhetischen Urteilskraft wird folgendermaßen vorgestellt: „l.Thesis: Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffen, denn sonst ließe sich darüber disputieren (durch Beweise entscheiden). 2.Thesis: Das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffen, denn sonst ließe sich, ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteile Anspruch machen.)" 14

Die Auflösung lautet: „Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf b e s t i m m t e n Begriffen; in der Antithesis aber: das Geschmacksurteil gründet sich doch auf einem, obzwar u n b e s t i m m t e n Begriffe (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen)". 15

13 14 15

Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 67. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 234. Kanu Kritik der Urteilskraft, B 237.

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Kant bestimmt das Schöne rein über die Form des ästhetischen Urteils. Was hingegen das Schöne am Gegenstand selbst auszeichnet, bleibt offen. Das Schöne ist Symbol des Sittlichen aufgrund einer Strukturanalogie im konstituierenden mentalen Akt. 1 6 Das ästhetische Urteil teilt mit der moralischen Willensbestimmung Unmittelbarkeit, Eigeninteresselosigkeit, Freiheit in Übereinstimmung (Integrität) und Allgemeingültigkeit des Prinzips. Nicht also das Schöne als das Wesen von Dingen, sondern als prädizierte Bestimmung in einem Urteil steht in Analogie zum Sittlichen. Kann aber nicht von der Struktur des mentalen Aktes auf notwendige Voraussetzungen von der Objektseite her geschlossen werden? Vielleicht ist dies möglich, wenn man die innere Zielrichtung des wachsenden Kunstwerks selbst bedenkt. Die Frage ist, ob, wenn man die Gegenstände der ästhetischen Erfahrung und des ästhetischen Urteils in Blick nimmt, sich ein gemeinsamer Nenner, eine gemeinsame Struktur beschreiben lässt, die nicht einfach nur mit dem ästhetischen Genuss selbst identisch ist. Was sucht der Künstler im Schaffen? Worin optimiert sich sein Werk? Es legt sich nahe, dass der Kantische Begriff des Schönen als Symbol des Sittlichen nicht nur formal, sondern auch material greift, in einer Hinsicht, die Kant unbeachtet ließ. Das ästhetische Urteil, so Kant, hat die Form der Zweckmäßigkeit zum Grund. Nun ist auffällig, dass gerade im Kunstwerk, genauer im Prozess des Entstehens von großer Kunst und Kunstfertigkeit nichts mehr besticht als eine Konkretion von Zweckmäßigkeit: Der große Meister ist in überragender Weise Herr über die Mittel. Hohe Expressivität wird erreicht, wo der Widerstand der Materie gestaltender Kraft und Lebendigkeit weicht, ihr folgt und sich ihr unterordnet. Missglückte Kunst ist sinnlos. Im zweckfrei sinnvoll Geordneten behauptet sich das Kunstwerk als solches. Darin ist das Leblose, Werkzeughafte, Instrumentelle etc. dem Selbstwert des Lebens17, d. h. Kraft und Idee, untergeordnet. Analog zur Moralität liegt im Schönen nicht das moralisch Gute, welches vom Naturmechanismus befreit ist, wohl aber das Lebendige des Lebens in seinem Selbstwert. Die Instrumentalisierung, die Unterordnung des Lebendigen wirkt schlechte Kunst oder schlägt dem Werk zumindest eine Schwäche ins Profil. 16 Das Schöne ist nach Kant Symbol des Sittlichen, weil es schön ist, und nicht umgekehrt schön, weil es Symbol des Sittlichen ist. Andernfalls schiene das ästhetische Urteil begritfsbestimmt. 17 Hier verwende ich in terminologischer Abgrenzung von Kant einen Begriff des Lebendigen, der dieses durch Selbstwerthaftigkeit, ordnende Kraft, Wachstumstendenz und aktiv-passive Kontinuität (bei bewusstem Leben: Bedeutungskontinuität am Leitfaden von Handlung und Erfahrung) bestimmt. Selbstwert zeichnet sich gegenüber dem Selbstzweck durch Vorstellungsunabhängigkeit aus. Damit etwas als Wert fungiert, genügt es, dass es mit ordnender Kraft konkret wirksam ist, indem es Lebendiges auf sich ausrichtet. Der Begriff Selbstwert bezeichnet dabei das nicht neutrale, d. h. nicht gleichgültige Selbstverhältnis von Lebendigem, worin es sich aus seiner Umgebung herausdifferenziert.

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Referenzmaterie des ästhetischen Urteils ist der gereinigte Ausdruck, ist die freie Form des Sprachmediums oder der Vermittlungsinstanz, d. h. des Kanals für Teilnahme an fremder Subjektivität, eine Brücke zwischen einander fremden Konkretionen von Intentionalität. Sprache ist nur angesichts eines Unterschieds von innen und außen, ist nur angesichts der Realität fremder Erfahrung, fremden Wissens, Sehens und Fühlens wirklich. Klarheit und Tiefe des Ausdrucks optimiert sich über die Gegenwart von Einheit von Erfahrung. Organische Qualitäten, wie etwa die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit des Zusammenhangs im Kunstwerk, begünstigen wiederum die Sammlung von Erinnerungen, von bedeutsamen Erfahrungen seitens des Rezipienten. Eine solche Konzentration führt selbst die Hand des Künstlers, wenn sein wachsendes Werk von unmittelbarer Tiefe bestimmt ist. Diese Präsenz und Formung angesichts der Einheit von Erfahrung aktiviert nicht nur die reine Einbildungskraft als abstraktem Vermögen im harmonischen Verhältnis zum Verstand, sondern auch die geschichtliche Seite des Bewusstseins, also die geschichtlich gewachsene Form konkreter Einbildungskraft. Im Verstand liegt das Wissen, hingegen folgt die Einbildungskraft dem vitalen Zug von Freiheit und Wert, fügt aus Erfahrung gewonnene Elemente schöpferisch zu neuen Formen. So wie der Verstand allein noch keine Erfahrung macht, so genügt zu Schönheit noch kein äußerliches Gesetz, keine bloße Normalidee. Dieser fehlt die Freiheit, fehlt Selbstwert, fehlt die Innenseite des Lebendigen. Der Selbstwert muss zu bloß äußeren Bestimmungen hinzutreten, dass ein Gegenstand als Symbol des Sittlichen erlebt werden kann. Die Beziehung des Schönen zum Begriff der Zweckmäßigkeit, nach welchem sich das Mittel einem möglichen Zweck unterordnet, lässt sich wie folgt beschreiben: Im Kunstschönen ordnen sich die Mittel dem Selbstwert des Lebens unter und bilden zusammen einen Ausdruck desselben. Die Zweckmäßigkeit des ästhetischen Gegenstandes besteht demnach nicht nur in der Wirkung auf das rezipierende Subjekt, sondern liegt bereits in der Struktur seiner Genesis. Indem das Kunstschöne zweiseitig ist, d. h. vom Kunstschaffenden (als Prozess der Gestaltung) wie auch vom Betrachter (als ästhetisches Erlebnis) erfahren wird, ist nicht nur die Form, sondern auch die spezifische Referenzmaterie des ästhetischen Urteils selbst zugänglich. Das direkte Objekt des ästhetischen Urteils ist dabei nicht ein Ding, sondern das in der Kunst befreite Sprachmedium. Ich möchte den Gedanken noch weiter ausführen: Im Kunstwerk, in künstlerischer Meisterschaft, sind die Mittel dem lebendigen Selbstwert untergeordnet. Eine Tänzerin gefallt, weil sich der kleinste Impuls ihres selbstwerthafiten Lebens gleichsam ohne Widerstand in Bewegung umsetzt. Die Eleganz des Schrittes zeugt von Unterordnung der Materie unter den Geist, Unterordnung des Widerständigen unter das Leben. Das Sittengesetz repräsentiert die Selbstwerthaftigkeit, Selbstgesetzgebung im Praktischen; die ästhetische Erfahrung des Schönen macht sie dem Erleben zugänglich.

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Das intelligible Substrat liegt in einer Mittel-Zweck-Relation, die im Unbedingten mündet, welches im Selbstwert des Lebens repräsentiert ist. Es ist zugleich Medium unseres Verstehens, oder dasjenige, was von uns überhaupt verstanden werden kann. Verstehen setzt in irgendeiner Weise Sprache, Veräußerlichung voraus. Was aber nicht zweckmäßig organisiert ist (chaotische Sprache, chaotische Lebensform, absolut absurde Zielsetzungen) kann nicht verstanden werden. Meine These also lautet, dass dasjenige, was im Kunstschönen erlebt wird, die Reinheit des selbstwerthaft sich darbietenden Mediums von Intersubjektivität ist. Dass das reine Geschmacksurteil eine der Moralität analoge Struktur besitzt, ist in der Struktur des Kunstwerks bereits als Potential angelegt. Das Argument für diese Annahme entspringt der Möglichkeit der verallgemeinernden Beschreibung des ästhetischen Gegenstands als einem medialen Referenzgrund. Im reinen ästhetischen Urteil fungiert ein hermeneutisches Prinzip, welches die Teilhabe an intersubjektiven Medien ermöglicht. Im Kunstschönen ist der Wahrnehmungskanal von einer Intentionalität zu einer anderen offen. Insofern ist das ästhetische Urteil nur bedingt kein Erkenntnisurteil. Wenn auch die Begriffsbestimmtheit und die diese auszeichnende Vorgängigkeit eines kriterialen Rahmens im ästhetischen Urteil ausbleibt, so scheint es doch, dass ästhetische Intentionalität nicht nur das Reflexionsmedium im Subjekt zum Referenzgrund hat, sondern auch ein Sprachmedium als Gestaltungsmaterie im Objekt. 18 Entsprechendes gilt in geringerem Maße auch für die lebendig organisierte Materie: Ebenso wie das Kunstwerk ist auch ein Baum Ausdruck von Leben, indem dieses die umgebende Materie der eigenen Lebensbewegung unterordnete und in ihr einen Abdruck hinterließ. Die Form des Baumes erscheint - metaphorisch gesprochen - als geronnenes Leben, als ungewollter Selbstausdruck, indem die formenden Kräfte des Lebens dem Baum seine Gestalt gaben. Wenn es auch unangemessen scheint, die Wuchsform des Baumes als Sprache zu bezeichnen, so ist doch auch in ihr Leben, d. h. innere Kraft transparent. 19 Die Bewährungszusammenhänge des ästhetischen Urteils 18 Die Begründung der Realität dieses intersubjektiven Mediums und fremder Intentionalität gibt einige Probleme auf, die später im Zusammenhange Kantischer Teleologie anhand des Begriffes der Zweckmäßigkeit angegangen werden (vgl. unten in diesem Aufsatz den Abschnitt über fremde Subjektivität). 19 Hiermit ist auch das Naturschöne als mediale Zweckmäßigkeit interpretierbar. Man könnte die Frage stellen, inwiefern die Schönheit des Sternenhimmels unter einen entsprechenden Begriff des Naturschönen zu bringen ist. Wenn sich hier mit der Klarheit der Differenz, und dem Selbstleuchtenden der Sterne zumindest partiell Kernmerkmale des Lebendigen bebildert scheinen, müßte der Sternehimmel nach der Begriffsverwendung Kants eher dem Erhabenen als dem Schönen zuzuordnen sein. Das Erhabene ist bei Kant durch unvergleichliche Größe gekennzeichnet (§ 25), und etwas, dass gerade den Rahmen der Angemessenheit auf unsere Erkenntnisvermögen übersteigt. Es ist durch Charakteristika der Unzweckmäßigkeit bestimmt, die das Erhabene gegenüber dem Schönen auszeichnen. So befördert das Erhabene die Lebenskräfte nicht direkt wie das Schöne, sondern indirekt: Es hemmt zunächst die Lebenskräfte, fordert aber in seiner gleichgültigen Übermächtigkeit den Widerstand der seelischen Kraft heraus. Das

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sind ihrerseits bestimmt durch die Bewährungszusammenhänge des intersubjektiven Mediums. Daraus könnte weiter gefolgert werden: Der Anspruch ästhetischer Urteile auf subjektiv allgemeine Geltung, wie er von Kant thematisiert wird, hängt zusammen mit einem objektiven Anspruch in Bezug auf Sinnpotentiale des intersubjektiven Mediums. Die hohe Schätzung eines Kunstwerkes betrifft dann die weitreichende Aktualisierung von Sinn 20 . Hier ergibt sich die Möglichkeit einer Analyse eines traditionellen Gottesarguments: Wenn das ästhetische Urteil, identisch mit dem reinen Erleben von etwas als Schönem, zum Referenzgrund mediale Qualitäten hat, die transparent sind für fremde Intentionalität oder auch nur Lebensbewegung, dann kann die alte, zweifelhafte Schlussfolgerung von der Schönheit des Universums auf einen intelligenten Urherber erneut Plausibilität gewinnen. Die Welt wäre dann ein Selbstausdruck Gottes. Dieser Zugang bleibt allerdings schon deswegen ohne begründbar objektiven Geltungsanspruch, da ein repräsentatives Erfahrungswissen hinsichtlich der Welt als ganzer kaum zu sichern ist, und damit der objektive Bezugsgrund des ästhetischen Urteils unklar bestimmt scheint. Ähnlichen argumentativen Gelenkstellen wendet sich Kant in den Kapiteln zur Teleologie zu. 2. Teleologie Die für die Urteilskraft charakteristische Subsumtionsleistung kommt nach Kant der bestimmenden Urteilskraft zu. Ein gegebenes Besonderes wird unter eine gegebene Regel subsumiert. Teleologisch wesentlich wird hingegen die reflektierende Urteilskraft, die mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit ein regulatives Prinzip zur Beurteilung der Natur enthält. Der Gebrauch des Begriffs der Zweckmäßigkeit ist regulativ, d. h. nicht konstitutiv. Es wird mit ihm nicht im Sinne Kantischer Erkenntnistheorie erkannt. Ein regulativer Begriff referiert weder auf Gegenstände noch auf bestimmte Relationen zwischen solchen, sondern auf einen Einheitsgrund der Welterfahrung überhaupt, der als solcher aber nicht anschaulich gegeben wird. Mit dem regulativen Begriff wird für die Gesamtheit der Erscheinungen eine noch nicht gegebene Regel gesetzt. Konstitutive Begriffe unterscheiden zwischen verschiedenen Erscheinungen, Klassen von Dingen oder Ereignissen; regulative Begriffe hingegen fassen sie allesamt unter Übermächtige kann zu Schrecken und Resignation führen, aber auch einen Heldenmut provozieren und im Selbstgenuss der widerstandsfähigen seelischen Kraft, dem Selbstgewinn der Autonomie des Sittengesetzes liegt nach Kant das ästhetische Urteil „erhaben" begründet. 20 Ich verstehe unter Sinn eine Relation der Zweckmäßigkeit zwischen Selbstwert und konkreten Mitteln der Beförderung derselben. Das betrifft sowohl instrumentelle (konsequenzorientierte) als auch demonstrative oder expressive Handlungen. Die prinzipielle Verstehbarkeit von Sinn berücksichtigend kann dieser vielleicht am einfachsten definiert werden als mediale Transparenz auf Selbstwert.

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einem Prinzip zusammen. Während das konstitutive Prinzip der Unterscheidung wie auch der Zusammenfassung dient, fehlt im regulativen Prinzip die unterscheidende Komponente. Daher kann in ihm auch nicht objektive Referenzsicherung beansprucht werden, da in ihm die geltungsdifferente Struktur zusammen mit der unterscheidenden Funktionalität verfällt. Ein regulatives Prinzip also begleitet und bestimmt alle unsere Wahrnehmungen und Orientierungen, daher hat es keine objektivierende Unterscheidungskraft. Kann aber dann auch von subjektiver Geltung gesprochen werden? Wird ein regulatives Prinzip ohne die unterscheidende Kraft überhaupt propositionale Gehalte bedeuten können? Am Ende des Buches (§91) führt Kant den Unterschied zwischen Tatsachen, Meinungssachen und Glaubenssachen ein. Tatsachen sind Objekte der Erkenntnis, Meinungssachen nur Objekte wenigstens möglicher Erfahrungserkenntnis. Glaubenssachen hingegen sind „Gegenstände, die in Beziehung auf den pflichtmäßigen Gebrauch der reinen praktischen Vernunft (es sei denn als Folgen oder als Gründe) a priori gedacht werden müssen, aber für den theoretischen Gebrauch derselben überschwänglich sind" 21 . Kant zählt darunter „das h ö c h s t e durch Freiheit zu bewirkende G u t in der Welt", weiter das Dasein Gottes und die Seelenunsterblichkeit. 22 Diese Unterscheidung von Glaubensund Meinungssachen ist eine markante Konkretion des Unterschieds zwischen regulativer und konstitutiver Funktion und zugleich der Kantischen Interpretation desselben. Obwohl die Begriffe von Glaubenssachen keine unterscheidende Kraft besitzen, sind sie nach Kant nicht nur nicht sinnlos, sondern überdies notwendig. Die Antinomie der teleologischen Urteilskraft wird folgendermaßen eingeführt: „ D i e e r s t e M a x i m e derselben ist der S a t z: Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden. D i e z w e i t e M a x i m e ist der G e g e n s a t z : Einige Produkte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich der Endursachen). Wenn man diese regulativen Grundsätze für die Nachforschung nun in konstitutive der Möglichkeit der Objekte selbst verwandelte, so würden sie so lauten: S a t z : Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich. G e g e n s a t z : Einige Erzeugung derselben ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich." 23

21 22 23

Kant, Kritik der Urteilskraft, B 457. Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 457 f. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 314 f.

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In dieser Darstellung ist bereits die Interpretation und Auflösung enthalten. Die beschriebenen Sätze sind Maximen, d. h. regulative Grundsätze, welche die gezielte theoretische Aneignung der Natur leiten sollen. Der Widerspruch entsteht erst, wenn der bloß regulative Gebrauch verlassen und ein objektiver Anspruch geltend gemacht wird. Zur Auflösung sagt Kant näher: „Wir können die Unmöglichkeit der Erzeugung der organisierten Naturprodukte durch den bloßen Mechanism der Natur keineswegs beweisen, weil wir die unendliche Mannigfaltigkeit der besonderen Naturgesetze, die für uns zufällig sind, da sie nur empirisch erkannt werden, ihrem ersten inneren Grunde nach nicht einsehen und so das innere durchgängig zureichende Prinzip der Möglichkeit einer Natur (welches im Übersinnlichen liegt) schlechterdings nicht erreichen können." 24

Es bleibt in dieser Darstellung allerdings ungeklärt, warum es nicht auch heißen könnte, dass einige Erzeugung der Dinge und Formen der Natur nach mechanischen Gesetzen beschreibbar sein muss und andere nicht. Warum beansprucht die mechanistische Beschreibung ebenso wie ihr Gegenteil eine subjektive Notwendigkeit? Die Annahme der subjektiven Notwendigkeit des teleologischen Begriffs der Zweckmäßigkeit lässt vordergründig besehen verschiedene Deutungen zu, die auf ihre Klärungskraft hin zu vergleichen wären. Dabei wird jeweils einerseits die Struktur der Unwissbarkeit des Anzunehmenden, andererseits Grund und Hinsicht der Notwendigkeit einer Setzung zu bedenken sein. Wie könnten Annahmen aussehen, deren propositionale Gehalte wohl wahr sein, jedoch nicht gewusst werden können? Notwendige Annahmen: a) Ihre Inhalte könnten prinzipiell, d. h. der Form nach, der Erkenntnis des Menschen entzogen sein. b) Sie könnten die Reichweite menschlichen Erfahrens und Erkennens weit hinter sich lassen. c) Ihre Erkenntnis könnte von kontingenten Voraussetzungen abhängen, d. h. die Vergewisserungsmöglichkeit könnte dem Subjekt entzogen sein. Diese drei Annahmen zeigen eine schrittweise verlaufende Schwächung der Differenz von Glaubenssachen und Tatsachen. Dabei repräsentiert a) die von Kant am meisten beanspruchte Version, während b) bei Kant zumindest noch vorkommt und c) ganz ausgespart ist. Die ersten zwei Annahmen können problemlos mit der Behauptung der Notwendigkeit eines Postulates zusammengeschlossen werden, während in c) der propositionale Gehalt nicht außerhalb des Erkennbaren liegt und damit bei vorgängiger Postulierung ein Widerspruch zwischen Erkenntnis und Glaube möglich wäre. Die eben angeführten Bestimmungen betreffen den Modus der Uneinholbarkeit des Beurteilungsgegenstan-

24

Kant, Kritik der Urteilskraft, B 317.

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des. Bei Kant können verschiedene Anwendungen des Zweckmäßigkeitsbegriffes als einem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft gefunden werden: Betreffend der logischen Zweckmäßigkeit der Welt, dann der Selbstorganisiertheit von Lebewesen (Naturzwecke), der Zweckmäßigkeit als einem orientierungsleitenden Begriff, und zuletzt der moralischen Zweckmäßigkeit der Welt. Im Folgenden werden diese Konkretionen des Zweckmäßigkeitsprinzips durch eine weitere ergänzt, worin die Zweckmäßigkeit von Handlungszusammenhängen als Postulat und Indikator bezüglich fremder Subjektivität fungiert. Ferner werden Hinsichten von subjektiver Notwendigkeit und objektiver Uneinholbarkeit herausgearbeitet und zuletzt die Einheit des teleologischen Zweckmäßigkeitsbegriffes begründet.

a) Logische Zweckmäßigkeit a) Allgemein: Es ist unselbstverständlich, dass unser Begriffsvermögen überhaupt in der Erscheinungswelt auf Regelmäßigkeiten stößt. Dies indiziert eine Zweckmäßigkeit der Welt in Bezug auf unser Erkenntnisvermögen und umgekehrt eine Zweckmäßigkeit unseres Erkenntnisvermögens in Bezug auf die Ordnung der Natur. Diese Entsprechung stellt selbst kein regulatives Prinzip dar, besitzt selbst keinen propositionalen Gehalt, sondern ist eher eine allgemeine Bedingung von Naturerkenntnis. Was dies bedeutet, wird noch näher untersucht werden. b) Als Suchbegriff der Wissenschaft: Diese Form ist rein pragmatisch zu verstehen. Die Wissenschaft sucht Regelmäßigkeiten, aber es ist nicht klar, ob diese das Wesentliche der Naturordnung ausmachen. Der Wissenschaft genügt es, dass überhaupt Regelmäßigkeit gesucht und gefunden werden kann. Sie muss nicht annehmen, dass die Natur durchgängig nur nach Regelmäßigkeiten verfasst ist. Dieser Punkt scheint, verglichen mit dem ersten, recht trivial, so dass eine nähere Untersuchung überflüssig ist. Die logische Zweckmäßigkeit der Welt betrifft ein Übereinstimmen von Erkenntnisvermögen und Naturordnung. Dieses erscheint als kontingentes Faktum mit Erklärungsbedarf. Nun ist nach Kant eine Erklärung nicht anders als teleologisch zu leisten. Zunächst ist klar, dass für diese Übereinstimmung kein erkenntnistheoretisches Autonomiekonzept wie etwa in der „Kritik der reinen Vernunft" ausreicht. Diese entfaltet und begründet wohl allgemeine subjektive Bedingungen von Erkenntnis, nicht aber das Gelingen konkreter Erkenntnis, wozu ein empirischer Minimalgrund, d. h. eine gegebene Ordnung, die zu dem Verstand passt, vorausgesetzt werden muss. Warum aber könnte man nicht den Grund für die Übereinstimmung mit einer evolutionären Erkenntnistheorie rein kausal istisch auffassen? Wenn Kant die Evolutionstheorie gekannt hätte, würde sein Einwand vielleicht lauten, dass eine streng naturalistische Fassung derselben bereits einen Kausalitätsbegriff voraussetzt, dessen Referenz im Bunde mit

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den anderen Verstandesbegriffen ja gerade klärungsbedürftig bleibt. Selbst wenn sich der Kausalitätsbegriff in der Erfahrung bewährt, er nicht ins Leere fällt, sondern sich Regelmäßigkeiten finden, auf die er angewandt werden kann, ist noch nicht begründet, dass er auf das Universum als solches zutrifft. Man kann ja nicht mit dem begründen, was erst noch begründet werden soll. Hätte aber Kant mit einem solchen Einwand recht? Abgesehen von der sehr problematischen Kantischen Annahme bloß subjektiver Geltung der Zeit als Anschauungsform, bietet sich folgendes Argument an, die strenge objektive Geltung des Kausalismus zu bestreiten: Kausalität besteht immer zwischen Ursache und Wirkung, d. h. zwischen zwei Ereignissen, stellt also eine Relation dar. Besitzen aber Ereignisse an sich Realität? Wo beginnt ein Ereignis, wo hört es auf? Wo beginnt ein Ding, wo hört es auf? In der Reihe der Ereignisse scheint an sich eine Kontinuität zu bestehen, die unendlich feinmaschig angesehen werden könnte. Die Schnitte kommen nachträglich. Ein Ding oder Ereignis hat seine festbestimmten Grenzen nicht an sich selbst. Oder kurz gesagt: Nur Subjekte oder subjektähnliche Wesen oder Funktionen derselben besitzen Identität. Ein gedachter Gegenstand ist nicht um seiner selbst willen, sondern in der Erfassung durch das Subjekt eine Einheit, ein Gegenstand oder ein Ereignis. Besteht aber ein Ereignis nicht an sich selbst, so kann auch die Relation zwischen verschiedenen Ereignissen nicht an sich bestehen. Relation und Relate implizieren sich wechselseitig. Zum anderen stellt auch die Kausalität ein Muster dar, dessen Identität die Reflexivität von Subjektivität voraussetzt. So notwendig ein Subjekt eine Identität bedeutet, so wenig kann bei Bestimmungen von Identität die Rede sein, die diese weder als Subjekte, noch als Funktionen solcher besitzen. Ein Ding, eine Regel oder Ordnung ist nicht, frei von Subjektivität durch sich selbst, was es ist, sondern entweder ist es selbst ein Subjekt, oder bedingt durch Subjektivität. Wenn also Kausalität außerhalb unserer begrenzten Subjektivität überhaupt existieren sollte, müsste auch dies durch eine sie setzende, unbegrenzte Subjektivität geschehen. D. h. bei Beanspruchung einer evolutionären Erkenntnistheorie wäre eine theologische Erklärung nötig, und man hätte gegenüber der Teleologie nichts an Metaphysikfreiheit gewonnen, sofern für die Erklärung Vollständigkeit beansprucht würde. Man kann natürlich die Frage stellen, ob es hier überhaupt klug ist, erklären zu wollen. Eine evolutionäre Erkenntnistheorie könnte sich auch mit einem schwachen Kausalitätsbegriff zufriedengeben. Es genügt, dass der Begriff funktioniert, dass er sich in kohärenten Beschreibungssystemen wie auch in der technischen Anwendung, als Bezeichnung für eine verlässliche Struktur am Erfahrungsganzen bewährt. Ein solcher pragmatischer Zugriff auf Kausalität scheint die teleologische Alternative zu einer teleologiefreien Evolutionstheorie aufs erste unnötig zu machen. Wenn der Vorteil einer teleologischen Erklärung darin liegen würde, einen größeren Umweg, der doch nur wieder teleologische Strukturen beanspruchen muss, unnötig zu machen, dann wäre mit einem schwachen Anspruch an den Kausalitätsbegriff und die Verstandesleistungen überhaupt auch die Notwendigkeit einer teleologischen Erklärung beseitigt. Eine Enthaltung könnte in dieser Frage

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klüger sein. Die Notwendigkeit einer teleologischen Erklärung steht und fällt mit der Strenge des Objektivitätsanspruchs der Anwendung von Verstandesbegriffen, d. h. des Objektivitätsanspruchs von Naturerkenntnis und Naturwissen.

b) Naturteleologie. Selbstorganisation der Naturzwecke Kant behandelt weiter den Begriff der Zweckmäßigkeit als eine Form zur biologischen Beschreibung von Organismen. Diese sind zweckmäßig gestaltet, in dem Sinne, dass ein Organ um des anderen willen, jedes aber auch um des ganzen Organismus willen da ist und wächst. Nach Kant existiert ein Ding als Naturzweck, wenn es von sich selbst Ursache und Wirkung ist. 25 Diese Beziehung besteht hinsichtlich der Teile eines Organismus in Zusammenhang untereinander, aber auch in Beziehung auf die organische Einheit des Ganzen.26 Bei solchen Naturzwecken kann jedoch nicht ein absichtlicher Zweck erkannt werden. Selbst wenn man von dem Zweckbegriff und der damit verbundenen Bestimmtheit durch Vorstellungen abstrahiert und nur von Selbstwerthaftigkeit spricht, bleibt es unklar, mit welchem Recht gesagt werden kann, dass dieses oder jenes diesem oder jenem diene. Dass Leben als selbstzweckhaft angenommen wird, beruht auf einer Übertragung der Selbsterfahrung unseres Lebenswillens auf die einfacheren Organismen. Diese Übertragung aber stellt einen strenggenommen objektiv nicht vollständig begründeten Akt dar. Besser trägt auch hier die Begründung über das subjektive Prinzip der reflektierenden Urteilskraft. Selbst wenn die analogische Übertragung nicht über Argumente sicher begründet werden kann, stellt sie doch einen objektiven Anspruch. Peter Rohs schlägt zu diesem Problem eine Extrapolierung im Sinne eines „als ob" vor, was einerseits genau der unscharfen oder unmöglichen Begründbarkeit angemessen scheint, andererseits jedoch die hypothetisch naheliegende Theorie unterbietet, nach welcher wirklich eine Kontinuität zwischen einfacheren und höheren Lebewesen als real vorausgesetzt ist. 27 Bei Kant hingegen wird überdies die Naturteleologie über die Binnenorganisation von Lebewesen hinaus auf die Welt als Ganzes ausgedehnt. Damit verliert sich auch die im allein Lebewesen betreffenden Gebrauch tendenziell unterscheidende Funktion des Zweckmäßigkeitsbegriffes, die diesen eher der bestimmenden Urteilskraft zuordnet. 28

25

Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 286. Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 290 f. 27 Vgl. Peter Rohs, Feld, Zeit und Ich, 1996, S.252 ff. 28 Ein bedenkenswertes Argument für das Einreißen der zunächst plausiblen Differenz zwischen Lebendigem und Unlebendigem könnte folgendermaßen lauten: Leben als Prinzip aktualisiert sich unserer Erfahrung nach nur im Rahmen einer Kontinuität. Leben zeugt sich fort, wächst. Es entsteht nicht, sondern fügt sich aus kleineren Ordnungen zu größeren zusammen. Wir kennen den Bruch, das Diskontinuierliche nur nach 26

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Hier möchte ich die Überlegung zur Konkurrenz von Teleologie und naturkausaler Evolution fortsetzen: Die Frage ist weniger die, ob es Evolution gibt oder gab als vielmehr, ob der Naturmechanismus allein die Naturordnung bedingt. Es scheint, dass man auf naturwissenschaftlichem Wege Gegenwart nicht erklären kann. Dass die Gegenwart ist, lässt sich ebenso wenig erklären wie der Umstand, dass überhaupt etwas ist. Denn ohne Gegenwart könnte überhaupt nichts sein. Die naturwissenschaftliche Unerklärbarkeit der Gegenwart ist damit nur eine Konkretisierung der Unmöglichkeit, über die ontologische Differenz hinweg zu erklären. Eine Erklärung der Wirklichkeit und der Gegenwart scheint aber auch überflüssig, solange das Dasein als neutral aufgefasst wird. Die Überlegungen zur Naturteleologie bieten einen weiteren Zugang und Begründungsgrund: Wenn Naturwesen selbstzweckhaft sind, d. h. ihr Leben für sie einen realen Wert darstellt, dann ist die Erklärung des Daseins aus blindem Naturmechanismus schwächer als eine teleologische Erklärung. Wenn z. B. das Lebensglück oder die Einheit von Selbstwert und Würde im sittlichen Leben eine bloße Funktion eines überleben wollenden Gen-Codes wäre oder lediglich die Täuschung durch einen bösen Demiurgen, dann wäre gerade mit der Relativierung der nur scheinbaren teleologischen Immanenz zugleich eine teleologische Transzendenz beansprucht. Wenn man aber die Überzeugung des Selbstwertes des Lebens teilen kann und auf eine transzendente täuschende Instanz verzichtet, dann ist die Vorstellung, in der Entwicklung des Lebens hätte dieses die Naturkausalität dem eigenen Selbstwert untergeordnet, ungleich plausibler als die umgekehrte Annahme, die Kausalität hätte das Leben erst hervorgebracht. Wie der Baum die Mineralien aus dem Boden, so hätte sich dann das Leben die bestimmten Kausalitäten angeeignet. Diese teleologische Perspektive scheint nicht denknotwendig, da prinzipiell auch die Annahme des Selbstwertes des Lebens negiert werden könnte. Wenn das Leben als selbstwerthaft angenommen werden kann, stellt Selbstwert eine Art Erfahrungstatsache dar. Da aber niemand das Leben sicher aus einer repräsentativen Warte betrachtet, jeder, der das Leben bejaht, ja zufälliger Nutznießer begünstigender Umstände sein könnte oder in einem Selbstbetrug existieren, das Negative vor seinem Urteil ausblenden, da ja niemand das Leben als Ganzes durchmessen hat, kann der Selbstwert des Lebens nicht auf sicherer Grundlage begründet werden. Es spricht aber einiges dafür, dass ein diesbezügliches Urteil die gereifte Urteilskraft erfordert, in der wir oben die in vielen Seiten des Todes hin, nicht aber eine Entstehung von Leben. Was Entstehung von lebendigen Organismen bedeutet, kann gut verstanden werden, hingegen erscheint der Gedanke, dass Leben als Prinzip, als ordnende Kraft entsteht, letztlich referenzlos. Von diesem Gesichtspunkt aus könnte für eine teleologische Gleichbehandlung von belebter und unbelebter Materie argumentiert werden. Die Kantische Begründung ist allerdings formaler. Kant setzt den reflexiv regulierenden Charakter des Zweckmäßigkeitsbegriftes voraus, d. h. er negiert die Einschränkbarkeit der Anwendung desselben auf bestimmte Naturerscheinungen mit einem Verweis auf seine Apriorizität (Vgl. B 297).

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Traditionen gerühmte Weisheit erblickten. Die angemessene Beurteilung des Lebens könnte eine Leistung der Weisheit sein. Wo es an Weisheit mangelt, wird die Beurteilung ungleichgewichtig, unmaßgeblich sein, kein Indikator für die gemeinsame Welt, nur für bestimmte Missstände. Wenn das Leben und damit die Lebenswirklichkeit jedoch als selbstwerthaft erkannt wird, dann scheint die teleologische Beurteilung des Naturmechanismus notwendig und eine radikal ateleologische Auffassung letztlich sinnlos. Sie kann dann nur noch als Ausdruck einer Unsinnswelterfahrung aufgefasst werden. Man könnte das hier skizzierte Argument als eine konditionale Teleologie bezeichnen. Es setzt Bedingungen voraus, die als gegeben vorausgesetzt werden können, aber nicht müssen. Diese Bedingungen sind subjektiv, d. h. sie betreffen einen Zustand des Subjektes, allerdings betreffen sie ihn in seiner Indikatorenrelation zu einem Objekt. Was genau der Zustand eines Subjektes an einem Objekt indiziert, bleibt ungewiss. Dennoch mag hinsichtlich der Frage realen Selbstwertes sowohl das Urteil besonders überzeugender Individuen als auch der Durchschnitt von Welthaltungen überhaupt in hohem Maße Auskunft geben.

c) Zweckmäßigkeit als regulatives Prinzip pragmatischer Orientierung Die Zweckmäßigkeit kann mit Heidegger auch existentialontologisch pragmatisch gelesen werden in dem Sinne, dass konkrete Subjektivität Welt nicht neutral, sondern als Horizont möglicher Zweckrealisationen erfährt. 29 Der Begriff der Zweckmäßigkeit begründet die Orientierung, stellt aber nicht den Anspruch auf Objektivität in dem Sinne, dass die Welt an sich zweckmäßig verfasst wäre. In diesem Zusammenhang stellt der Begriff der Zweckmäßigkeit ein bloß regulatives Prinzip für die Orientierung in der Welt dar. Interessant ist nur dasjenige, was verspricht, an ein bedeutsames Ziel zu führen. Was unzweckmäßig ist, wird als solches bestimmt und ausgeblendet, weil es dem Erreichen des Ziels im Weg stehen würde. Kein Akt distanziert aus der teleologischen Struktur des Orientierungssystems. Diese begleitet alle unsere Handlungen. Insofern liegt sie auch jenseits geltungsdifferenter Beurteilbarkeit, besitzt sie nicht konstitutiven Charakter. Ebenso wie bezüglich der logischen Zweckmäßigkeit kann auch hier wieder das Gelingen von Orientierungen, das Gelingen von Handeln in seiner Unselbstverständlichkeit ernst genommen werden und Fragen nach dem Ursprung dieser Übereinstimmung aufwerfen. Wie kommt es, dass bestimmte Ziele realisiert werden können? Ich möchte auf eine nähere Untersuchung dieser Form der Anwendung des Zweckmäßigkeitsbegriffes verzichten, da eine solche hinsichtlich des Problems in Bezug auf objektive Geltung die zum Begriff der logischen Zweckmäßigkeit vorgenommenen Überlegungen nur wiederholen würde. 29

Vgl. Martin Heidegger , Sein und Zeit, 1993 17 , §§ 14-18.

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d) Die Zweckmäßigkeit der Ordnung in fremder Subjektivität Diese Anwendung des Zweckmäßigkeitsbegriffes habe ich bei Kant nicht gefunden. Ich möchte ihn dennoch nennen, da er mir von Wichtigkeit scheint und überdies eine weitere Vermittlungsleistung zwischen Erkenntnis und Moralität repräsentiert. Es ist eine Anwendung des Zweckmäßigkeitsbegriffs, die im engeren Sinne als hermeneutisch aufzufassen ist: Sie besteht in der Setzung fremder Subjektivität und Vernünftigkeit. Dass ein Subjekt überhaupt Subjekt ist, setzt eine sinnvolle Selbstorganisation voraus. Worte, Handlungen und Gedanken müssen untereinander eine integre Einheit bilden. Wo diese fehlt, kann von Subjektivität oder Vernunft nur noch bedingt die Rede sein. Wenn Vernunft ein Vermögen darstellt, Zwecke zu setzen, so gehört der Zweckbegriff dem Begriff von Vernunft an. Wo jemand nicht aus vernünftiger Eigengesetzlichkeit Zwecke setzt, herrscht nicht Vernunft. Die fremde Subjektivität oder Vernunft kann nicht erkannt werden wie ein Ding. Und doch muss sie unterstellt werden, soll überhaupt kommuniziert werden können. Man könnte sagen, was unterstellt wird, ist eine bestimmte Art von Zweckmäßigkeit, die Zweckmäßigkeit der Selbstorganisation der Gedanken, Handlungen etc. Die fremde Vernunft kann aber nicht, wie in pragmatischer Orientierung, nur als subjektiv geltend aufgefasst werden. Wohl kann der Verstand allein sich hier der Erscheinung nicht bemächtigen, muss die Beurteilung sich eines Prinzips der reflektierenden Urteilskraft bedienen, jedoch ist der Anspruch dieser Funktion ein objektiver. Das fremde Subjekt wird als real angesehen. Das Postulat fremder Subjektivität bleibt auch nicht nur postulativ; es erscheint vielmehr als ein Vertrauensvorschuss, der bei entsprechend chaotischen Gebärden des Gegenübers wieder zurückgenommen werden kann. Der Begriff der Zweckmäßigkeit als ein regulatives Prinzip ist hier eine vorgängige Unterstellung. Aber diese Unterstellung ist nicht ohne objektiven Anspruch und wird empirisch geprüft. Aber handelt es sich dann noch um ein regulatives Prinzip? Die Anwendung eines rein regulativen Prinzips dürfte nicht zu widerlegen sein, da dieses ungeteilt die Totalität des Erfahrungshorizonts durchmisst und einer geltungsdifferenten Struktur entbehrt. Der hier angewandte Zweckmäßigkeitsbegriff leistet aber nicht den Verhalt zur Welt als ganzer, sondern eine Unterscheidung von Subjekten und nichtsubjektiven Einheiten. Andererseits bestimmt die Annahme, dass andere Subjekte, d. h. selbstzweckhafte, erkennende Wesen, mit zur Welt gehören, auch die moralische Orientierung. Es könnte sein, dass die Übergänge von reflektierender und bestimmender Urteilskraft fließend sind.

e) Moralische Teleologie Die Angemessenheit in dem Zusammenhang zwischen subjektivem Erkenntnisvermögen und der Welt muss vorausgesetzt werden, wollen wir unser Wissen als objektives Wissen verstehen. Die Angemessenheit von Naturordnung muss

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nach Kant hinsichtlich des Sittengesetzes angenommen werden, wollen wir moralische Gesinnung als rational annehmen. Das erste ist ein erkenntnistheoretisch notwendiges, das zweite ein moralisch notwendiges Postulat. Beide Annahmen können nicht hinreichend begründet werden, um als sicheres Wissen gelten zu können. Inwiefern aber ist die Annahme einer Zweckmäßigkeit der Welt für das moralische Handeln wirklich notwendig? Kann ich nicht moralische Entscheidungen treffen, ohne die Annahme auch nur unbewusst als handlungsbestimmende Überzeugung in mir zu tragen? Könnte man sich eine Welt vorstellen, in der moralische Handlungen vollkommen sinnlos sind? Vielleicht eine Welt, in der die Konsequenzen unserer Handlungen willkürlich sind. Oder sich das Gutgewollte zwangsläufig in Schlechtes verkehrt. Dies wäre eine Welt, in der überhaupt Handlungen im engeren Sinne, Handlungen im Vollbesitz der zielrealisierenden Kräfte unmöglich sind. Wenn ich nicht annehme, dass meine moralischen Handlungen auch das Gute für den Anderen zum Ergebnis haben können, also wenn ich annehme, dass meine Handlungen in einem willkürlichen Verhältnis zu ihren Konsequenzen, auch zu den von mir beabsichtigten Konsequenzen stehen, dann wird der Begriff der Pflicht leer. Handlung setzt ein Minimum an Kontrollierbarkeit von Konsequenzen voraus. Konsequenzen sind aber nur dann kontrollierbar, wenn Wissen über Kausalzusammenhänge in der Welt möglich ist. Diese Voraussetzung genügt aber nicht für die Rationalität moralischer Handlungen: Wichtig ist, dass die wissbaren und damit auch der Berücksichtigung zugänglichen Kausalverhältnisse für Sittlichkeit und Glückseligkeit des Anderen auch bedeutsam sind. Es könnte ja sein, dass es durchaus möglich ist, bewusst einen Gummiball hupfen zu lassen, nicht aber, einem anderen Menschen wirklich etwas Gutes zu tun. Alles vordergründig Gute könnte sich ja bei besserer Kenntnis der Welt umgekehrt als etwas Schlechtes herausstellen, oder als ganz und gar gleichgültig. Wenn man nicht annehmen könnte, dass der größere Teil aller moralisch motivierten Handlungen auch sein Ziel erreicht, oder zumindest alle moralisch motivierten Handlungen zusammen mehr Glück und Würde beförderten als verhinderten und zerstörten, dann wäre moralisches Handeln nicht rational. So steht die Annahme der Angemessenheit von Sittengesetz und Naturordnung zueinander in Beziehung zur Annahme der Angemessenheit von Naturordnung und Erkenntnisfähigkeit. Kontrolle des Horizontes möglicher Handlungskonsequenzen ist nur bei Wissen möglich, d. h. nur dann, wenn auch die Erkennbarkeit von handlungsrelevanten Weltausschnitten angenommen wird. Was für Handlung allgemein gilt, gilt auch für moralisches Handeln. Wenn auch nicht materiale Gründe und damit konkrete Naturerkenntnis das erste und letzte Ausschlaggebende für moralische Handlung werden kann, so muss doch ein Minimum an Naturerkenntnis für jede sinnvolle moralische Handlung vorausge-

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setzt werden. Also wäre der Annahme einer Abgeglichenheit von Naturordnung und Sittengesetz die Annahme einer Angemessenheit von Erkenntnisvermögen und Natur inhärent. Umgekehrt enthält eben aufgrund der Abhängigkeit einer Handlung von Wissen das Sittengesetz notwendig auch die Vorschrift einer Wissensaneignung, denn das Sittengesetz müsste dort theoretisch bleiben, wo es nicht auf einem konkreten Wissensgrund praktisch würde. Damit moralisches Handeln sinnvoll ist, muss eine Erkenntnis bedeutsamer Ursache-Wirkungsverhältnisse in Bezug auf Selbstwert menschlichen Lebens, auf Wachstum und Beengung von Freiheit möglich sein. Da es keine vorgängige Erkenntnis solcher Kausalität zu geben scheint, muss sie im Sinne eines Vertrauensvorschusses postuliert werden. Dieser Vertrauensvorschuss scheint aber auch von einer Lernfähigkeit begleitet, die der Urteilkraft eigen ist. Würde man nie die Erfahrung machen, dass moralisch motiviertes Handeln auch dem anderen dient, so wäre der Vertrauensvorschuss enttäuscht und müsste zurückgenommen werden. Moral hätte dann keinen Sinn und wäre unvernünftig. Auch das Postulat der Übereinstimmung von Sittengesetz und Naturordnung wäre dann nicht mehr sinnvoll. Es scheint, dass trotz einer Notwendigkeit eines vorgängigen Postulats (d. h. eines Vertrauensvorschusses bezüglich der Möglichkeit wirksamer Moralität) ein Minimum an Empirie nötig ist, um diesen Begriff von Teleologie zu stützen. Hier lässt sich also ein Einwand gegen Kant bekräftigen, dass nämlich die strenge transzendentale Geltungstheorie noch keinen wirklichen Hinweis darauf gibt, was gut und notwendig anzunehmen ist. Es besteht vielmehr ein Bewährungszusammenhang in einem Vertrauensvorschuss in Bezug auf das Zusammenstimmen von Moralität und Naturordnung, d. h. hinsichtlich der Möglichkeit sinnvoller moralischer Handlung, einem Vertrauensvorschuss allerdings, der durch eine Minimalbestätigung in der Einheit der Erfahrung ergänzt wird.

f) Einheit des Zweckmäßigkeitsbegriffes Stellen nun die Konkretionen des Zweckmäßigkeitsprinzips eine Einheit dar, oder sind sie vielmehr lose und zufällig miteinander verbunden? Es wurden solche Konkretionen genannt, die stärker eine intersubjektive Komponente betonen (Naturzwecke, moralische Teleologie) und solche, die stärker subjektive, reflexive Formen aktualisieren (pragmatische Orientierung). Reflexivität und Intersubjektivität haben die Subjekt-Subjekt-Korrelation gemein. Es ist dabei nicht zu entscheiden, ob in dem reflexiven Selbstverhältnis fremde Subjektivität auf die eigene übertragen wird, oder im intersubjektiven Verhältnis die eigene Subjektivität auf ein fremdes Subjekt. Finde ich die teleologische Struktur der Selbstorganisation zuerst an mir oder an anderen? Diese Frage scheint müßig, ist auch gar nicht interessant. Wesentlich scheint mir hingegen, dass das Zweckmäßigkeitsprinzip sowohl intersubjektive als auch reflexive Akte leitet,

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was auf die partiale Strukturidentität von Reflexion und konkreter Intersubjektivität verweist. Das Prinzip also der reflektierenden Urteilskraft ist zugleich Prinzip der Intersubjektivität. Es bewährt sich als Leitdifferenz in der Orientierung und im intersubjektiven Vollzug.

V. Abschließende Überlegung In der Teleologie also zeigt sich mit der vorgängigen Sinnunterstellung, d. h mit dem Vertrauensvorschuss gegenüber der Realität ein hermeneutischer Zug in pragmatischer, moralischer und auch intersubjektiver Hinsicht. Das regulative Prinzip der reflektierenden Urteilskraft stellt jenes notwendige Prinzip des Verstehens dar, welches teleologisch reflexiv abständig, d. h. begrifflich, und in der ästhetischen Erfahrung ganz unmittelbar aktiv wird. Der Vollständigkeitsanspruch in Kants Geltungstheorie liefert zusammen mit den strukturellen Merkmalen des Urteilsbegriffs die Gründe zu dieser Interpretation der Urteilskraft als einem hermeneutischen Vermögen. Nur dann, wenn zwischen Verstand und Vernunft, zwischen Erkenntnis und Handlung ein Vermögen, Sinn und Bedeutung zu verstehen, steht, nur dann ist die Geltungstheorie vollständig. Denn das hermeneutische Vermögen ist nicht auf die Verstandesleistung zurückzubringen, ebenso wenig wie die Selbstgesetzgebung der Vernunft. Bedeutung, wie sie hier verstanden wird, ist weder subjektiv noch objektiv, sondern vielmehr eine vermittelnde Bestimmung zwischen Subjekt und Objekt. Im Medium der Sprache fallen Subjekt und Objekt zusammen. Daher kann dann auch das apriorische Elementarvermögen der Urteilskraft in der ästhetischen Erfahrung wirksam werden, welche das Medium in Reinform zum Gegenstand hat, die von fremder Zwecksetzung befreite Sprache. Zusammenfassend kann demnach gesagt werden, dass teleologisches und ästhetisches Urteil einen gemeinsamen materialen Referenzgrund besitzen, der als Medium von Reflexivität und Intersubjektivität fungiert. Während aber das teleologische Urteil das Denken betrifft, ist das ästhetische Urteil nicht durch Begriffe, sondern durch Gefühl bestimmt. Ob nun aber eine Form zufällig oder die tatsächliche Äußerung einer fremden Intentionalität ist, kann in vielen Fällen nicht gewusst werden, wird aber je nach Weite und Reife konkreter Urteilskraft besser oder schlechter eingeschätzt werden können.

II. Grundlegungen: Ästhetik

Warum bedürfen Geschmacksurteile nach Kant einer Deduktion? Christian Iber

Um die Frage zu beantworten, warum nach Kants Auffassung Geschmacksurteile einer Deduktion bedürfen, gehe ich in fünf Schritten vor: Im ersten Teil meines Beitrags beleuchte ich die Problematik der Deduktion im Verhältnis zur Analytik des ästhetischen Urteils. Im zweiten Teil skizziere ich die Argumentationsschritte der Deduktion im einzelnen. Im dritten Teil versuche ich, in einer Rekapitulation der Argumente den springenden Punkt der Deduktion herauszustellen. Im vierten Teil gehe ich den Vernunftspekulationen in der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft nach, zu denen Kant durch das Ergebnis der Deduktion veranlaßt wird. In einem abschließenden fünften Teil umreiße ich die Relevanz des Geschmacks in einer Ästhetik heute.

I. Die Problematik der Deduktion im Verhältnis zur Analytik des ästhetischen Urteils Die Deduktion der Geschmacksurteile betrifft eines der umstrittensten Themen in Kants „Kritik der ästhetischen Urteilskraft". In ihr erörtert Kant das Rechtfertigungsproblem des Geschmacksurteils. Die Problematik wird deutlich, wenn wir zunächst einen Blick auf die Analyse des Geschmacksurteils werfen. Der Geschmack ist nach Kant das „Vermögen der Beurteilung des Schönen" (B 3).1 Aufgabe der Theorie des Geschmacks ist es zu klären, was es bedeutet, von einem Gegenstand zu sagen, er sei schön. Das Wort „schön", ursprünglich Verbaladjektiv zu „schauen", bedeutet soviel wie „ansehnlich".2

1 Die „Kritik der Urteilskraft" wird unter Angabe der Originalpaginierung nach der Edition von Heiner F. Klemme (Hamburg 2003) zitiert. 2 Vgl. Kluge (1999), 740. Von der Vielzahl ästhetischer Prädikate wie z. B. „anmutig", „elegant", „stattlich", „spannungsvoll" etc. ist das Prädikat „schön" der allgemeinste und unspezifischste Ausdruck ästhetischer Wertschätzung, über den wir verfügen. Daneben gibt es eine Reihe nicht-ästhetischer Verwendungsweise von „schön", z. B. „schöne Reise", „schönes Wetter" etc., wobei das Prädikat „schön" dem Prädikat „gut" oder „erfreulich" entspricht. Als sprachlicher Leitfaden, um die spezifisch ästhetische

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Kants Theorie des Geschmacks nimmt ihren Ausgang von dem paradoxen Befund, daß Geschmacksurteile einerseits subjektive, auf einem Lustgefühl beruhende Werturteile sind. Gegen eine rein subjektive Interpretation der Geschmacksurteile sträubt sich jedoch andererseits unsere objektivistische Intuition. Geschmacksurteile über das Schöne sind nicht bloß personenrelativ. Wenn ich etwas für schön halte, dann gehe ich davon aus, daß es nicht nur für mich schön ist. Ich rechne damit, daß alle anderen in mein Urteil einstimmen, nicht weil ich mich faktisch mit vielen oder allen anderen in Übereinstimmung befände, sondern ich fordere diese Einstimmung in mein Urteil über das Schöne notwendigerweise von allen anderen. In diesem Sinne erhebt nach Kant das Geschmacksurteil den Geltungsanspruch auf strikte, d. h. notwendige Allgemeingültigkeit, den Anspruch auf notwendige Zustimmung aller. Das „notwendig für alle" bezieht sich also nicht auf die Gegenstände, sondern auf die urteilenden Subjekte. Nicht: Für alle Rosen gilt, daß sie schön sind, sondern: Für alle Urteilenden gilt notwendig: Diese Rose ist schön. Betrachtet man den Theorieaufbau, so könnte eine Deduktion des ästhetischen Urteils als überflüssig erscheinen, weil bereits die Analytik das apriorische Prinzip aufgezeigt hat, auf dem der allgemeine Geltungsanspruch des ästhetischen Urteils beruht, auf dem Beurteilungsprinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit einer Sache für das freie harmonische Spiel von Einbildungskraft und Verstand, das im verallgemeinerungsfähigen Gefühl der Lust an der ästhetischen Kontemplation bewußt wird. 3 Doch scheint Kant eine Differenz zwischen der Frage zu machen, ob ein allgemeiner Geltungsanspruch im Geschmacksurteil erhoben wird und auf welchem Prinzip er beruht, und der Frage, wie dieser Geltungsanspruch im Rekurs auf dieses Prinzip zu rechtfertigen sei A Die Analytik enthält alle Elemente der Deduktion. Viele Interpreten meinen daher, daß die Deduktion selbst schon in der Analytik erfolge und die Deduktion nur eine Kurzwiederholung der Analytik sei.5 Dieser Schein trügt. Denn die Verwendungsweise dieses Prädikats festzustellen, kann die Redeweise von der „Schönheit eines Gegenstandes" dienen (vgl. Otto 1993, 20-22). 3 § 9 der Analytik entwickelt in einer Theorie des Gemütsvermögens das Konzept des freien harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte, das im Modus des ästhetischen Lustgefühls bewußt wird. § 12 stellt die Apriorität der subjektiv-formalen Zweckmäßigkeit als Grund des Wohlgefallens am Schönen heraus. Die subjektiv-formale Zweckmäßigkeit ist das apriorische Prinzip der Beurteilung und das freie Spiel der Erkenntniskräfte ist die apriorische Basis des Geschmacksurteils. 4 Die ,,transzendentale[n] Kritik" entwickelt in der Analytik und rechtfertigt in der Deduktion „das subjektive Prinzip des Geschmacks" „als ein Prinzip a priori der Urteilskraft" (B 144), heißt es in § 34. 5 Obgleich Kulenkampff (1994) behauptet, daß die Deduktion bloß „eine verkappte, in mancher Hinsicht prägnantere und konzisere Fassung der Analyse" (176) sei, stellt er fest, daß „die universelle Gültigkeit des Prinzips eines besonderen Typus von Urteilen erwiesen werden" (115) müsse. Da das ästhetische Urteil jedoch gar kein Urteil a priori

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Deduktion besteht zwar im wesentlichen in einer zusammenfassenden Wiederholung der Analytik, so aber, daß sie alle Elemente der Analytik zusammenträgt, die für die Deduktion selbst erforderlich sind. Kant hat bereits in der Analytik mit der Aufdeckung des apriorischen Prinzips, das den Geschmacksurteilen zugrunde liegt, die Selbständigkeit der Ästhetik im Verhältnis zur theoretischen und praktischen Philosophie erwiesen. Aber erst mit der Deduktion ist die Autonomie des Geschmacks, damit die Autonomie der Ästhetik als Disziplin und die Idee der Autonomie der schönen Kunst definitiv gesichert. Und schließlich kann nur unter der Voraussetzung, daß der Geltungsanspruch der ästhetischen Urteile in seiner Berechtigung erwiesen ist, der Streit über die richtigen ästhetischen Werturteile als notwendig, sinnvoll und vernünftig angesehen werden.

II. Die Argumentationsschritte der Deduktion im einzelnen Um ihrem Proprium auf die Spur zu kommen, skizziere ich die Deduktion in sieben Argumentationsschritten. In einem 1. Schritt wird die Frage geklärt, warum die Deduktion nur das Geschmacksurteil über das Schöne, nicht das ästhetische Urteil über das Erhabene betrifft. In einem 2. Schritt wird der methodische Zielpunkt der Deduktion unter dem Titel „Auflösung der logischen Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils" anvisiert. In einem 3. Schritt werden zwei phänomenale Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils erörtert, die als methodischer Ausgangspunkt der Deduktion dienen. In einem 4. Schritt wird das Fundament der Deduktion, das subjektive Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, in Augenschein genommen. Die Aufgabe der Deduktion wird in einem 5. Schritt in der Weise näher bestimmt aufzuzeigen, wie das Geschmacksurteil als empirisches Urteil zugleich ein Urteil a priori sein kann. In einem letzten vorbereitenden 6. Schritt wird der genaue Bezugspunkt der Deduktion angegeben; er betrifft das, was in einem Geschmacksurteil von einem Gegenstand a priori behauptet wird. Schließlich wird in einem kurzen 7. Schritt die Deduktion des Geschmacksurteils selbst durchgeführt.

/. Die Deduktion betrifft nur das Geschmacksurteil über das Schöne, nicht das ästhetische Urteil über das Erhabene (§ 30) Einleitend stellt Kant in § 30 fest, daß der Geltungsanspruch ästhetischer Wertschätzung auf subjektive Allgemeinheit und Notwendigkeit, der sich auf sei (vgl. 174), sei seine Deduktion gar keine Deduktion. Als bloße Rekapitulation der Analytik versteht auch Rind (2002), 44 f. die Deduktion.

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ein apriorisches Prinzip stützen muß, über die Analytik hinaus eine Deduktion, d. h. eine Rechtfertigung seiner Anmaßung erforderlich macht, insofern er hinsichtlich des Sachverhalts geltend macht, daß das ästhetische Urteil eine Aussage über „ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objekts" (B 131) trifft. In der Deduktion geht es also nicht wie in der Analytik um die Freilegung des apriorischen Prinzips des ästhetischen Urteils, sondern um die Erklärung, wie sein Geltungsanspruch in Beziehung auf eine gegebene Objektform aufgrund unserer Erkenntniskräfte und aufgrund des Beurteilungsprinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit in seiner Berechtigung erwiesen werden kann. „Denn" - so fugt Kant hinzu - „die Zweckmäßigkeit hat alsdann doch im Objekte und seiner Gestalt ihren Grund" (B 131). Gleichwohl ist die Beurteilung der Form des Objekts durch das reflektierende Subjekt ausschlaggebend für seine Bewertung als subjektiv zweckmäßig für das freie harmonische Spiel seiner Erkenntniskräfte, welche als lustvoll empfunden wird. In dieser Beurteilung allein gründet die Prädizierung der Gegenstandsform als schön. Bereits hier zeichnet sich ab, daß die Deduktion die objektive Seite der Gegenstandsform und die subjektive Seite ihrer Auffassung durch die affektiv gestimmten Erkenntniskräfte des Subjekts zusammenbringt. Kant betont hier also den Gegenstandsbezug des ästhetischen Urteils, den er im 3. Moment der Analytik in der Theorie der schönen Form entwickelt hat6, und verbindet ihn systematisch mit der Theorie der Erkenntniskräfte des Subjekts, die er im 2. Moment der Analytik exponiert hat. Da das Rechtfertigungsproblem des ästhetischen Urteils erst dann auftritt, wenn es sich auf eine dem reflektierenden Subjekt entzogene Gegenstandsform bezieht7, betrifft die Deduktion nur das Geschmacksurteil über das Schöne, nicht das Urteil über das Erhabene. Eine Deduktion des Urteils über das Erhabene ist nach Kant nicht erforderlich, weil es sich an formlosen und ungestalten Gegenständen einstelle und daher eigentlich nur unsere Denkungsart über Gegenstände betreffe, die nur subjektiv für uns gebraucht, nicht aber für sich selbst betrachtet werden. Die Analytik des Urteils über das Erhabene hat seine Anbindung an die bloße Immanenz moralischer Subjektivität freigelegt. Und weil das Gefühl des Erhabenen über die Immanenz der Subjektivität nicht hinausgeht, scheint für es eine Deduktion nicht nötig zu sein. Die Apriorität des Urteils über

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Die Theorie der schönen Gegenstandsform und ihre Zweckmäßigkeit entwickelt Kant in § 14. Es ist die Form des Gegenstandes, die zweckmäßig für das lustvoll empfundene freie Spiel der Erkenntniskräfte ist. Damit kommt ein anderer Bedeutungsaspekt der Zweckmäßigkeit ins Spiel. Die „Form der Zweckmäßigkeit" (§ 11, B 25) bedeutet einerseits zweckmäßig in Beziehung auf das Subjekt, andererseits „Zweckmäßigkeit der Form" (§ 13, B 28) eines Gegenstandes. 7 Daß der die Subjektimmanenz überschreitende Bezug auf die Objektform konstitutiv für die Deduktion ist, heben Heintel (1970), 120, Bartuschat (1972), 134 und Peter (1992), 142 ff. hervor.

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das Erhabene fundiert Kant in der praktischen Vernunft. 8 Das Geschmacksurteil ist daher viel,objektiver' als das ästhetische Urteil über das Erhabene.

2. Methodischer Zielpunkt der Deduktion (§31) Eine Deduktion, d. h. eine Erörterung der Rechtfertigung des Geltungsanspruchs von Urteilen ist nur dann erforderlich, wenn sie einen allgemeinen und notwendigen Geltungsanspruch erheben, und zwar auch dann, wenn die Urteile den Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit im Sinne der Zustimmung aller fordern, wie es bei den Geschmacksurteilen der Fall ist. Das Geschmacksurteil ist jedoch kein Erkenntnisurteil, weder ein theoretisches, das den Verstandesbegriff einer Natur überhaupt, noch ein rein praktisches, das die Vernunftidee der Freiheit zur apriorischen Basis hat. Um zu erklären, wie ein Geschmacksurteil möglich ist, d. h. wie es möglich ist, daß ein Gegenstand in der Beurteilung ohne Sinnesempfindung oder Begriff allgemein und notwendig gefallen könne, muß aus Gründen a priori gezeigt werden, wie ein auf die Form eines sinnlich gegebenen Gegenstandes bezogenes einzelnes empirisches Urteil allgemeine und notwendige Gültigkeit haben kann. Die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils ist „nicht eine logische Allgemeinheit nach Begriffen" (B 135). Sie gründet sich auch nicht empirisch „auf Stimmensammlung und Herumfragen bei anderen" (ebd.), sondern „gleichsam auf eine Autonomie des über das Gefühl der Lust (an einer gegebenen Vorstellung) urteilenden Subjekts" (ebd.), sagt Kant.9 Das Problem, das die subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils aufwirft, formuliert Kant als eine zweifache logische Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils, zu deren Auflösung allein eine Deduktion hinreichend sei. Diese doppelte logische Eigentümlichkeit besteht darin, daß 8 In seiner Analyse „fanden wir [...] ein zweckmäßiges Verhältnis der Erkenntnisvermögen, welches dem Vermögen der Zwecke (dem Willen) a priori zum Grunde gelegt werden muß und daher selbst a priori zweckmäßig ist, welches denn sofort die Deduktion [...] enthält" (B 133). Das Erhabene resultiert aus einem zweckmäßigen Gebrauch einer Gegenstandsvorstellung durch die Urteilskraft, um das Gefühl der Vernunftüberlegenheit über die Natur zu erringen. Es gründet daher nicht in der Form des Gegenstandes, sondern ist einem „Geistesgefuhl" (B X L V I I I ) entsprungen. Da sich die Rechtfertigung der Allgemeingültigkeit des Urteils über das Erhabene auf die Moralität stützt, gerät indes seine Autonomie in Gefahr. 9 Kant unterscheidet in § 8 von der objektiven die subjektive Quantität, von der logisch-objektiven die subjektiv-ästhetische Allgemeinheit, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie durch keinen Erkenntnisbegriff abgestützt, also ohne Begriff ist. Sie stellt zwar nicht für den Logiker, wohl aber für den Transzendentalphilosophen eine Merkwürdigkeit dar, angesichts deren er in § 9 die Entdeckung macht, daß wir in einem Lustgefühl eine allgemeine kognitive Dimension erschließen können, die unterhalb der Verstandeserkenntnis angesiedelt ist.

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1. ein einzelnes empirisches Urteil, das nicht auf Begriffen beruht, apriorische Allgemeingültigkeit beansprucht und daß 2. ein einzelnes empirisches Urteil die Zustimmung aller als notwendig einfordert, auch wenn es keine zwingenden Beweise für seine Gültigkeit vorbringen kann. 10 Es ist dieser sonderbare wesensmäßig labile, weil begrifflich nicht stabilisierbare Geltungsanspruch des Geschmacksurteils auf subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, der einer Prüfung seiner Berechtigung bedarf und damit das Ziel der Deduktion vorgibt. In ihr geht es Kant um eine abschließende transzendentalphilosophische Auseinandersetzung der Problematik des Geschmacks.

3. Methodischer Ausgangspunkt der Deduktion (§§ 32, 33) Von der in § 31 erörterten zweifachen logischen Eigentümlichkeit, die die innere Spannung im Schlüsselbegriff der subjektiven Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils dokumentiert, unterscheidet Kant in den §§ 32 und 33 zwei Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils, die jene anhand von Beispielen phänomenal vorstellig machen. Mit ihnen versucht Kant, den sachlichen und historischen Problembestand des Geschmacks, wie er aus der rationalistischen und empiristischen Tradition überliefert ist, kritisch aufzuarbeiten. Die erste Eigentümlichkeit besteht darin, daß das Geschmacksurteil, weil es als einzelnes Urteil einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, so erscheint, als ob es objektiv sei. Darin ähnelt es objektiven Erkenntnisurteilen. Die zweite Eigentümlichkeit besteht darin, daß das Geschmacksurteil, weil es weder durch empirische noch apriorische Beweisgründe bestimmbar ist, so erscheint, als ob es nur subjektiv sei. Darin gleicht es ästhetischen Urteilen über das Angenehme, die eine Sinnenlust zum Ausdruck bringen. Gegen den rationalistischen Schein des Objektiven der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils macht Kant den transzendentalphilosophischen Perspektivenwechsel von den schönen Gegenständen zur Beurteilung derselben geltend. Schönheit ist kein objektives Merkmal der Gegenstände, sondern nur in der Relation, in der wir sie gefühlsmäßig auffassen, relevant. Unsere Art, sie aufzunehmen, ist ausschlaggebend für ihre Prädikation als „schön". Gleichwohl ist „schön" kein Relationsprädikat. Das widerspräche bereits seiner Grammatik. 10

Die Notwendigkeit der Lust in Anbetracht des Schönen ist eine Notwendigkeit besonderer Art (vgl. § 18). Sie ist weder eine theoretische noch praktische, sondern exemplarische Notwendigkeit, unter der Kant die Notwendigkeit der Zustimmung aller zu einem beispielgebenden Geschmacksurteil versteht, bei dem man die allgemeine Regel nicht angeben kann. Die Notwendigkeit des Wohlgefallens am Schönen, die in einem Sollen zum Ausdruck kommt, weil man für sie keine objektiven Beweisgründe anführen kann, ist eine subjektive und bedingte, weil sie durch eine kognitive Eigenleistung des urteilenden Subjekts, die Beurteilung der Sache, vermittelt ist (vgl. §§ 19-22).

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Auf Grundlage dieser Kritik am Rationalismus plädiert Kant für die Autonomie des Geschmacks, d. h. für die Fähigkeit, selbständig ohne Rekurs auf konventionelle Wertmaßstäbe anderer ästhetisch zu urteilen. Ein Urteil des Geschmacks sollte nicht als Nachahmung, weil dieses Ding etwa tatsächlich allgemein gefällt, sondern a priori ausgesprochen werden. Doch macht der Geschmack „bloß auf Autonomie Anspruch" (B 137). Ob er tatsächlich die Bedingungen der Autonomie erfüllt, ist nicht gesagt. Daher ist eine Ausbildung des Geschmacks erforderlich. Das Geschmacksurteil ist nur dann kein bloßes Lippenbekenntnis, wenn das ästhetische Wohlgefallen in der eigenständigen Beurteilung der Gegenstandsvorstellung zustande kommt. Vielfach treten an die Stelle eines solchen Wohlgefallens Wertmaßstäbe bestimmter sozialer Gruppen. Das Wohlgefallen in der eigenen Beurteilung des Schönen ist jedoch durch nichts zu ersetzen. Die Autonomie des Geschmacks grenzt Kant sowohl gegen den opportunistischen Geschmack, der das eigene ästhetische Gefühl ignoriert und sich der Beurteilung anderer unterwirft, als auch gegenüber dem bornierten Geschmack ab, der auf seinem eigenen unmittelbaren Lustgefühl beharrt und die ästhetische Einschätzung anderer übergeht. Entscheidend scheint mir Kants These, daß die Autonomie des Geschmacks seiner kulturellen Entwicklung und Fortbildung keineswegs widerspricht. Vielmehr müssen wir eine eigenständige ästhetische Wertschätzung erst lernen und entwickeln, und zwar in kritischer Auseinandersetzung mit bloß konventionsbedingten ästhetischen Urteilen. Zwar lernen wir beständig neue Fälle der Exemplifikation des Schönen kennen. Doch müssen wir lernen, bei deren Beurteilung immer aus denselben selbständigen Quellen zu schöpfen. Das Geschmacksurteil ist erstens weder durch einen empirischen Beweisgrund zu erzwingen, etwa durch „hundert Stimmen" (B 140), noch weniger aber kann zweitens „ein Beweis a priori nach bestimmten Regeln das Urteil über Schönheit bestimmen" (B 141). Jeder Versuch, das Geschmacksurteil begrifflich zu beweisen, würde seine subjektive zur objektiv-logischen Allgemeinheit erheben, seine Singularität negieren und damit in ein Erkenntnisurteil verwandeln, das es nicht ist." Interessant ist nun, daß Kant den in der zweiten Eigentümlichkeit zusammengefaßten Schein, wonach das Geschmacksurteil aufgrund der Subjektivität

11 Nach Christian Wolff ist die Lust am Gegenstand durch begriffliche Erkenntnis in den Grund seiner Vollkommenheit explizierbar (vgl. Wolff, DM § 206, § 210). Die Auffassung, die Lust am Schönen sei begrifflich beweisbar, führte erstmals Sokrates in Xenophons „Gastmahl" ad absurdum, indem er seinen eigenen teleologisch geführten Beweis, er sei schöner als sein gut aussehender junger Gesprächspartner Kritobulos, dadurch ironisch widerlegt, daß er den Leuchter nahe vor diesen rücken läßt, damit er besser sichtbar sei (vgl. Xenophon, Das Gastmahl, 5, 1-10 ).

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seiner Begründung bloß subjektiv zu sein scheint, auch affirmativ nimmt. 12 Dies läßt sich als Indiz dafür werten, daß Kant der empiristischen Geflihlsästhetik näher steht als der rationalistischen Wolffs oder Baumgartens. Kant hebt hervor, daß es nicht genügt, daß ein Kunstwerk vermeintlichen Regeln der Kunst folgt. Es muß Gegenstand meines unmittelbaren Wohlgefallens in der eigenen Beurteilung sein.13 Deshalb spricht er der Kunstkritik eine nur eingeschränkte Rolle bei der Ausbildung des Geschmacks zu und kritisiert in der Manier des Sturmund-Drang die normative Regelpoetik des 18. Jahrhunderts. In Solidarität mit der empiristischen Geflihlsästhetik befreit Kant den Geschmack und die Kunst von solchen normativen Regeln und ebnet so der ästhetischen Erfahrung die Autonomie. 14 Die zwei Eigentümlichkeiten reformulieren auf phänomenaler Ebene die innere Spannung im Schlüsselbegriff der subjektiven Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Einerseits erhebt das Geschmacksurteil den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, als bezöge sich das Prädikat „schön" auf eine objektive Gegenstandseigenschaft, andererseits scheint es auf bloß subjektiver Gefühlsevidenz zu beruhen. Dabei gerät jedoch aus dem Blick, daß das subjektive Prinzip der ästhetischen Urteilskraft die Beziehung der Relate, die scheinbar objektive Seite und die scheinbar bloß subjektive Seite des Geschmacksurteils, allererst herstellt.

4. Das Fundament der Deduktion, das subjektive Prinzip der Urteilskraft (§§ 34, 35) Kant hält zunächst in § 34 fest, daß wir über kein objektives Geschmacksprinzip verfügen, so daß die Schönheit als Bedingung fungierte, unter die man etwa den Begriff der Rose subsumieren könnte, um die Schönheit einer Rose durch einen Schluß herausbringen zu können. Vielmehr verfügen wir nur über ein subjektives Prinzip des Geschmacks, nämlich das Prinzip der subjektiven 12 Deshalb rekurriert Kant in diesem Kontext auf die ursprüngliche Bedeutung des Geschmacks im Sinne des Schmeckens: Ich „versuche das Gericht an meiner Zunge und meinem Gaumen, und darnach (nicht nach allgemeinen Prinzipien) falle in mein Urteil" (B 142). Zwar besteht eine Verwandtschaft zwischen „ästhetisch" und „sinnlich", doch hat sich der ästhetische Sinn vom Sinnengeschmack aus guten Gründen unterschieden. Der Reflexionsgeschmack oszilliert bei Kant zwischen Sinnlichkeit und Intelligibilität. 13 „[...] ich stopfe mir die Ohren zu, mag keine Gründe und kein Vernünfteln hören und werde eher annehmen, daß jene Regeln der Kritiker falsch seien, oder wenigstens hier nicht der Fall ihrer Anwendung sei, als daß ich mein Urteil durch Beweisgründe a priori sollte bestimmen lassen, da es ein Urteil des Geschmacks und nicht des Verstandes oder Vernunft sein soll" (B 141). 14 „Die Kritik des Geschmacks" ist „Kunst\ wenn sie „dieses nur an Beispielen zeigt", „sie ist Wissenschaft, wenn sie die Möglichkeit einer solchen Beurteilung von der Natur dieser Vermögen als Erkenntnisvermögen überhaupt ableitet" (B 144).

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Zweckmäßigkeit, mit dem wir einen sinnlich gegebenen Gegenstand in bezug auf das als lustvoll empfundene freie Spiel unserer Erkenntniskräfte beurteilen können. Mit diesem Schritt nimmt Kant die Lust am Schönen aus ihrer empirischen Basis heraus und führt sie auf das kognitive Spiel der Erkenntniskräfte zurück. Damit zeichnet sich ab, daß Kants Theorie nicht nur unvereinbar mit einem ästhetischen Rationalismus, sondern auch mit einem ästhetischen Sensualismus ist. § 35 ist das Gegenstück zum Schlüsselparagraphen § 9 der Analytik, in dem die apriorische Basis des Geschmacksurteils in einer Theorie der Erkenntniskräfte aufgedeckt wurde. Auch beim Erkenntnisurteil befinden sich Einbildungskraft und Verstand in Übereinstimmung. Beim Geschmacksurteil muß jedoch noch etwas hinzukommen: das freie harmonische Spiel der Erkenntniskräfte, das die subjektiven Bedingungen des Urteilens und damit der Erkenntnis überhaupt in ausgezeichneter Weise erfüllt, ohne daß es zu bestimmter Erkenntnis kommt. 15 Das Geschmacksurteil beruht auf dem kognitiv fundierten Gefühl der wechselseitigen Belebung der Erkenntniskräfte, das es erlaubt, die Gegenstandsform als subjektiv zweckmäßig für die Beförderung der Erkenntnisvermögen in ihrem freien Spiel zu beurteilen. 16 Dieser apriorische „Rechtsgrund" (B 146) sei - so Kant - durch eine Deduktion ausfindig zu machen, in der es nicht um die Entdeckung dieses Prinzips wie in § 9 der Analytik, sondern um die Rechtfertigung seiner Anwendung geht.

15 Bei Erkenntnisurteilen werden die von der Einbildungskraft synthetisierten Anschauungen unter Verstandesbegriffe durch die bestimmende Urteilskraft subsumiert. Beim Geschmacksurteil verfährt die Urteilskraft dagegen reflektierend, indem sie die durch die Einbildungskraft frei synthetisierten Anschauungen abschreitet und adäquate Begriffe sucht, ohne sich auf bestimmte festzulegen, derart, daß die sinnlich gegebene Gegenstandsvorstellung plötzlich zu einem irgendwie sinnvoll geordneten Ganzen zusammenschießt. Heute spricht man von einem gelungenen Formschluß. Auf höherer Ebene findet auch beim Geschmacksurteil das Prinzip der Subsumtion statt. Entscheidend aber ist, daß sich hier die Einbildungskraft im Auffinden von Gestalten, im Wahrnehmen von Kontrasten und Korrespondenzen frei betätigt, ohne auf die Gesetzmäßigkeit des Verstandes verzichten zu müssen. Deshalb spricht Kant hier davon, daß der Geschmack als subjektive Urteilskraft ein „Prinzip der Subsumtion" enthält, „aber nicht der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen oder Darstellungen (d. i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d. i. den Verstand), sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammenstimmt" (B 146). 16

Im Geschmacksurteil wird nicht erkenntnismäßig über die Lust, sondern durch die Lust geurteilt und diese ist Folge der Beurteilung der Gegenstandsform als subjektiv zweckmäßig für das Spiel der Erkenntniskräfte (vgl. § 9). Das „Vermögen, durch eine solche Lust (folglich auch allgemeingültig) zu urteilen, [heißt] der Geschmack" (B XLV).

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5. Die Aufgabe der Deduktion (§ 36) Die Aufgabe Deduktion wird in der Weise näher bestimmt, auszumachen, wie das Geschmacksurteil als ein auf einem subjektiven Gefühl beruhendes empirisches Urteil zugleich ein Urteil a priori sein kann. Um diese Aufgabe zu verdeutlichen, vergleicht Kant die Verwandlung der Wahrnehmung eines Gegenstandes in ein Erkenntnisurteil mit ihrer Verwandlung in ein ästhetisches Urteil. So wie aus der Wahrnehmung eines Gegenstandes ein Erkenntnisurteil wird, wenn sie mit einem Objektbegriff verbunden wird, wenn also die Anwendung eines apriorischen Verstandesbegriffs auf die Mannigfaltigkeit der Anschauung hinzukommt 17 , so entspringt aus der Gegenstandswahrnehmung ein ästhetisches Urteil, wenn die Wahrnehmung mit dem Lustgefühl des Wohlgefallens verbunden wird. Die Lust vertritt im Geschmacksurteil die Stelle des Begriffs. So wie die apriorischen Verstandesbegriffe eine Deduktion aus dem transzendentalen Prinzip der Apperzeption des Selbstbewußtseins erfordern, womit die Frage beantwortet wird, wie synthetische Erkenntnisurteile a priori möglich sind, so muß die ästhetische Lust im Geschmacksurteil aus einem apriorischen Prinzip begründet werden, damit sie als invariant gegenüber Privatbedingungen allen anderen ästhetisch Urteilenden als notwendig angesonnen werden kann. An dieser Stelle muß ein Mißverständnis abgewehrt werden. Erkenntnisurteile sind ebenso wie Geschmacksurteile nicht in dem Sinne synthetische Urteile a priori wie die Urteile, die die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungserkenntnis überhaupt formulieren, etwa die Grundsätze des reinen Verstandes, vielmehr sind es einzelne empirische Urteile, die zugleich Urteile a priori sind. Sie sind ein Mittelding zwischen Empirizität und Apriorizität, empirische Urteile, denen eine apriorische kognitive Eigenleistung hinzugefügt ist. 18

17 Die Verwandlung von Wahrnehmungs- in Erkenntnisurteile erörtert Kant in den „Prolegomena", §§ 19, 20. Vgl. zu dieser Problematik Wenzel 2000, 155-167 und 184199. 18 Synthetische Urteile a priori sind dadurch charakterisiert, daß zwei apriorische, ineinander nicht enthaltene Begriffe a priori miteinander verbunden werden. Solche synthetischen Urteile a priori gibt es nach Kant in der reinen Mathematik und der reinen Naturwissenschaft. So ist der Satz, daß die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ein solches Urteil (vgl. KrV B 16). In den Naturwissenschaften haben nur die allgemeinen Grundsätze synthetischen Charakter a priori, so z. B. der Satz, alles was geschieht, hat seine Ursache. Die Grundfrage der „Kritik der reinen Vernunft" lautet: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, d. h. wie ist reine Mathematik und reine Naturwissenschaft möglich (vgl. KrV B 19 f.). In der Deduktion der objektiven Erfahrungserkenntnis geht es indes gar nicht um die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, sondern darum, wie synthetische Urteile der empirischen Erfahrung a priori möglich sind. Ein bloßes Wahrnehmungsurteil, wie z. B. „wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere" (KrV B 142), enthält keine Kategorien, sondern nur die Verknüpfung zweier Wahrnehmungen. Erkenntnisurteile („der Körper [,] ist schwer"

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Das Geschmacksurteil ist ein empirisch-synthetisches, empirisch, weil ein Urteil über einen sinnlich gegebenen Gegenstand, synthetisch, weil das empirische Prädikat „schön" resp. das empirisch wahrgenommene Lustgefühl nicht im Begriff bzw. der Anschauung eines Gegenstandes enthalten ist, und zugleich ist es ein Urteil a priori, weil das Zusprechen dieses Prädikats so erfolgt, daß es als notwendig für jeden Betrachter dieses Gegenstandes von ihm ausgesagt wird.

6. Der genaue Bezugspunkt der Deduktion (§ 37) Bevor nun Kant an die eigentliche Durchführung der Deduktion geht, erörtert er die Frage, was eigentlich in einem Geschmacksurteil a priori behauptet wird, denn nach dem bisher Erörterten könnte der Eindruck entstehen, das a priori Behauptete betreffe die Verbindung der Lust mit dem Gegenstand. Die Apriorität betrifft aber nicht die Verbindung der Lust mit der Gegenstandsvorstellung. Eine apriorische Verbindung der Lust mit einer Vorstellung liegt nur vor, wo ein apriorisches Vernunftprinzip den Willen bestimmt. Nur die Bestimmung des Willens durch die Kausalität aus Freiheit hat a priori das moralische Lustgefühl der Achtung zur Folge. Im Geschmacksurteil wird dagegen die Lust nicht nur ohne Vermittlung durch einen Gesetzesbegriff der praktischen Vernunft, sondern auch direkt und ohne Vermittlung durch einen Gegenstandsbegriff des theoretischen Verstandes mit der „gegebenen einzelnen empirischen Vorstellung" (B 149) verbunden. Die Rose ist nicht als Rose, sondern als diese gegebene Rose schön. Alle Geschmacksurteile sind also einzelne empirische Urteile, und zwar ist nicht nur der Gegenstand einzeln und empirisch, sondern auch die Lust. Das, was im Geschmacksurteil a priori behauptet wird, betrifft also nicht die Lust, sondern die Allgemeingültigkeit der Lust, die als verbunden mit der Beurteilung des Gegenstandes im Gemüt empirisch empfunden wird. Diese Einschränkung dessen, was im Geschmacksurteil a priori von einem Gegenstand behauptet wird, kennzeichnet dieses noch einmal als ein Mittleres zwischen Empirizität und Apriorizität. In ihrer apriorischen Allgemeingültigkeit, die jedermann als notwendig angesonnen werden kann, kann die Lust jedoch keine empirischen Gründe haben. Sie muß eine eigene kognitive Basis erhalten. Um die Allgemeingültigkeit der Lust an einem Gegenstand begründen zu können, muß die Lust mit der kognitiven Dimension des allgemein mitteilungsfähigen freien Spiels der Erkenntniskräfte in Verbindung gebracht werden. Daß das

(ebd.)) verknüpfen dagegen das Subjekt mit einer Kategorie, die objektiv von ihm ausgesagt wird. Zu unterscheiden ist also auch in der „Kritik der reinen Vernunft" die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und die Frage, wie synthetische Urteile der empirischen Erfahrung a priori möglich sind.

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Wohlgefallen am Schönen eine Lust ist, ist der empirische Aspekt, daß die Lust im Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit der Gegenstandsform für das Spiel der Erkenntniskräfte besteht, ist der apriorische Aspekt dieses Wohlgefallens.

7. Die Deduktion selbst (§ 38) Nach dieser langen methodischen Vorbereitung, die uns zugleich einen Überblick über Kants Theorie verschafft hat, wird die Deduktion selbst ganz schnell durchgeführt. Sie bringt die objektive Seite, die Form des Gegenstandes, mit der subjektiven Seite der ästhetischen Beurteilung, den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft, zusammen. Zwischen beiden Seiten - so behauptet Kant muß eine „Übereinstimmung" (B 151) herrschen. Die Deduktion bringt also die Theorie der schönen Gegenstandsform und die Theorie der Erkenntniskräfte des Subjekts, in der die affektive und kognitive Dimension untrennbar miteinander verwoben sind, in eine systematische Verbindung. In einem Geschmacksurteil - so hat sich ergeben - beruht das Lustgefühl des Wohlgefallens an einem sinnlich gegebenen Gegenstand auf der Beurteilung seiner dem reflektierenden Subjekt entzogenen Form. Dieses Lustgefühl ist dann keine empirische Wirkung des Gegenstandes, wenn es identisch ist mit dem Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit der gegebenen Gegenstandsform für die Urteilskraft, die wir als allgemeingültige Lust empfinden. 19 Die Deduktion für diesen Sachverhalt folgert Kant aus einer nicht beweisbaren notwendigen Hypothese. Da die Urteilskraft in Ansehung ihres formalen Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Beurteilung der Gegenstandsform nur auf die subjektiven Bedingungen ihres Gebrauchs, d. h. auf das freie harmonische Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet sein kann, und diese das Subjektive sind, das bei allen Menschen im Hinblick auf „Erkenntnis überhaupt" (B 151 Anm.) vorausgesetzt werden kann, so muß nach Kant noch etwas anderes als dieses Subjektive „als für jedermann gültig a priori angenommen werden können" (B 151). Dieses Andere ist die „Übereinstimmung" (ebd.) der vorgestellten Objektform mit den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft. Erst aus dieser notwendigen Hypothese der für alle urteilenden Subjekte gültigen Übereinstimmung der gegebenen Objektform mit den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft läßt sich nach Kant folgern, daß die „Lust oder subjektive Zweck19 Da die subjektiv-formale Zweckmäßigkeit das apriorische Prinzip der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft ist, durch welches das Lustgefühl als allgemeingültiges qualifiziert wird, bezeichnet Kant die „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" auch als eine „Kritik des Gefühls der Lust und Unlust (Einleitung, Erste Fassung, in: I. Kant, Kritik der Urteilskraft, Bd. 10 der Werkausgabe in zwölf Bänden, hg. von IV. Weischedel, Frankfurt a. M. 1977, 20).

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mäßigkeit" einer gegebenen Gegenstandsform „für das Verhältnis der Erkenntnisvermögen [...] jedermann mit Recht [wird] angesonnen werden können" (B 151). 20 Soweit die Deduktion selbst.

III. Was ist der springende Punkt der Deduktion der Geschmacksurteile? Um den springenden Punkt der Deduktion für sich herauszustellen, möchte ich die wesentlichen Argumente von Kants Geschmackstheorie zusammenfassen: 1. Die Analytik hat gezeigt, daß im Geschmacksurteil ein subjektives Lustgefühl zum Ausdruck kommt, das sich auf das Beurteilungsprinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit einer sinnlich gegebenen Gegenstandsform für das freie harmonische Spiel der Erkenntniskräfte gründet. Der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils - so Kants These beruht auf dieser kognitiven Basis als einem apriorischen Prinzip. 2. Doch die Deduktion erfordert mehr als nur den Aufweis eines apriorischen Prinzips ästhetischer Beurteilung. Sie muß den Nachweis erbringen, daß dieses subjektiv-apriorische Prinzip der Urteilskraft in der Beurteilung der Form eines Objekts zur Geltung gebracht werden kann, derart, daß es die Lust an der Form des Gegenstandes zu einer allgemeingültigen Lust, die jedem Menschen notwendig zugesprochen werden kann, qualifizieren kann. 3. Nun läßt sich fragen, was das Kriterium der Urteilskraft dafür ist, die Lust an der Gegenstandsform als ästhetische Reflexionslust zu qualifizieren. Kants These ist, daß die Urteilskraft des ästhetisch urteilenden Subjekts dessen Lustgefühl am Gegentand als allgemeingültiges qualifiziert, wenn der Geschmack, das subjektive Prinzip der Urteilskraft in persona, die „Übereinstimmung" zwischen der Objektform und den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft feststellt, und er annehmen kann, daß das spielerische Verhältnis der Erkenntniskräfte auf die als subjektiv-zweckmäßig beurteilte wohlgeordnete Gegenstandsform selbst zurückzuführen ist. Als Grund für die Reflexionslust am Schönen erweist sich die beurteilte Gegenstandsform selbst. Deshalb sagt Kant gleich anfangs: „[...] die Zweckmäßigkeit hat alsdann doch im Objekte und seiner Gestalt ihren Grund" (B 131). Gleichwohl ist die Beurteilung der Form des Objekts durch das Subjekt, das dabei auf seinen Gemütszustand reflektiert, ausschlaggebend dafür, ob es die Gegenstandsform als 20

Das Prinzip der Wahrheit „consentientia uni tertio, consentiunt inter se" (KrV B 848) spielt also auch bei Geschmacksurteilen eine Rolle. Im Unterschied zur Rechtfertigung epistemischer Urteile basiert die Rechtfertigung der Geschmacksurteile nicht auf einer allgemein erkennbaren, sondern einer allgemein fühlbaren Übereinstimmung mit der Sache.

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schön bezeichnet; das heißt nun aber: die Form des Gegenstandes als Grund für seinen Gemütszustand gelten läßt. So läßt sich sagen: Wenn die Urteilskraft die Gegenstandsform als subjektiv zweckmäßig für das Spiel der Erkenntniskräfte beurteilt, dann läßt sie die Gegenstandsform als Grund für ihren als lustvoll empfundenen kognitiven Gemütszustand gelten.21 4. Die eigentliche Deduktion lautet also: Wenn die Urteilskraft in der ästhetischen Beurteilung feststellt, daß die Form eines Objekts der subjektiven Zweckmäßigkeit für das freie harmonische Spiel der Erkenntniskräfte Genüge tut, dann fühlt sie in Wahrheit die tiefer liegende für alle erfahrbare, aber nicht weiter erklärbare Übereinstimmung der Form des Objekts mit den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft, die wir bei allen urteilsfähigen Menschen voraussetzen können. In diesem Fall können wir zu Recht annehmen, daß dieses Gefühl der Lust angesichts einer gegebenen Gegenstandsform von allen Menschen in gleicher Situation empfunden wird, womit der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils legitimiert wäre. In der Anmerkung zum Deduktionsparagraphen § 38 stellt Kant fest, daß es immer fraglich sei, ob wir die Form des Objekts richtig unter die subjektiven Bedingungen der Urteilskraft subsumiert haben. Dies ist m. E. ein Hinweis auf zweierlei: 1. darauf, daß wir uns in der ästhetischen Beurteilung immer darüber täuschen können, ob wir als ästhetisch Urteilende tatsächlich eine rein ästhetische Einstellung eingenommen haben; 2. darauf, daß das Eintreten des freien Spiels der Erkenntniskräfte bei Betrachtung eines Gegenstandes kontingent ist, weil die subjektive Urteilskraft auf das Gegebensein, die Existenz bestimmter Formen von Objekten angewiesen ist, die Kant in § 14 als Spiel der Gestalten im Raum und als Spiel der Empfindungen in der Zeit beschreibt (vgl. B 42), die dem reflektierenden Subjekt prinzipiell entzogen sind. Eine skepsisimmune Rechtfertigungsidee ist mit der Deduktion also nicht verbunden. Aus der kognitiven Instabilität des gefühlsgeleiteten Gegenstandsbezugs erklärt sich, warum der allgemeine Geltungsanspruch des Geschmacksurteils wesensmäßig labil ist. Irrtumsmöglichkeiten bei der Quelleneruierung der Lust sind also nie ausgeschlossen. Der Geltungsanspruch der Geschmacksurteile wie auch ihre Rechtfertigung bleiben prekär. 22

21 „Kant möchte, analog zur Vernunftkritik, ästhetische Objektivität aus dem Subjekt begründen, nicht jene durch dieses ersetzen" (Adorno 1977, 245). 22 In der 2. Einleitung, Kap. VII gibt Kant eine Zusammenfassung der Deduktion: Da im ästhetischen Urteil „der Grund der Lust bloß in der Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt" liegt, ohne daß hier eine epistemische Erkenntnisabsicht vorliegt, „so ist es allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urteilskraft überhaupt [...] in dem Subjekte, mit der die Vorstellung des Objekts in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zusammenstimmt; und da diese Zusammenstimmung des Gegenstandes mit den Vermögen des Subjekts zufällig ist, so bewirkt sie [die

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Aber gerade weil das Gelingen des freien harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte im Geschmacksurteil über eine Gegenstandsform kontingent ist, kann die subjektiv reflektierende Urteilskraft als apriorisches Prinzip der Qualifikation der Lust fungieren. Wäre die allgemeine Reflexionslust derart a priori, daß das Subjekt sie aus sich selbst hervorbringen könnte, wären potentiell alle Gegenstände schön. Umgekehrt: Könnten alle Gegenstände potentiell als schön beurteilt werden, dann bedürfte es nicht eines qualifizierenden apriorischen Prinzips der Urteilskraft. 2"5 So läßt sich als Resultat der Erörterung festhalten: Entscheidend an der Deduktion des Geltungsanspruchs des Geschmacksurteils ist der Bezug auf die dem reflektierenden Subjekt entzogene Gegenstandsform. Nur in diesem Fall stellt sich die Frage der Deduktion, ob das subjektiv-apriorische Prinzip der Urteilskraft als ein die Lust am sinnlich gegebenen Gegenstand qualifizierendes Prinzip auftreten kann. Sie beantwortet diese Frage, indem sie uns das Kriterium liefert, das uns das Verhältnis der Gegenstandsform zu unseren Erkenntniskräften als eines der Zweckmäßigkeit zu beurteilen erlaubt. Es ist dies die für alle urteilenden Subjekte erfahrbare, doch zugegebenermaßen kontingente Übereinstimmung der gegebenen Objektform mit dem freien Spiel der Erkenntniskräfte. Dieses Ergebnis der Deduktion scheint mir geeignet, Kants urteilstheoretischen Zugang zur ästhetischen Erfahrung, der diese aus der Binnenperspektive des Subjekts in den Blick nimmt, vor dem Anwurf des bloßen Subjektivismus in Schutz zu nehmen.24 Ob auch dem Vorwurf des Formalismus, der Zusammenstimmung, d. V.] die Vorstellung einer [unerwarteten, d. V.] Zweckmäßigkeit desselben in Ansehung der Erkenntnisvermögen des Subjekts" (B XLV). 23 Guyer, Meerbote und Rind sehen Kants Geschmackstheorie in dem Dilemma befangen, entweder alle Gegenstände der Wahrnehmung für schön zu halten oder schöne und nicht schöne Gegenstände durch den Begriff der ästhetischen Form zu unterscheiden, was ein bewußtseinsexternes Zusatzelement sei und dem apriorischen Grund des Geschmacksurteils widerspreche, wonach die subjektiven Bedingungen des Urteilens, das Zusammenstimmen der Erkenntniskräfte, die notwendigen Bedingungen der empirischen Erkenntnis überhaupt seien, die aber nicht nur für die Lust am Schönen gelten (vgl. Guyer 1979, 262-264; Meerbote 1982, 81-83; Rind 2002, 20-45). Die Autoren übersehen erstens, daß für die Deduktion die Beziehung auf die schöne Gegenstandsform konstitutiv ist, und zweitens, daß in der Beurteilung des Schönen das freie harmonische Spiel der Erkenntniskräfte die subjektiven Bedingungen der Erkenntnis überhaupt in ausgezeichneter Weise erfüllt, ohne daß es zu bestimmter Erkenntnis kommt. Nur im freien Spiel der Erkenntniskräfte wird dieser sonst verdeckt bleibende kognitive Sachverhalt im Modus des Lustgefühls bewußt. Zu Recht hält es dagegen Fricke für die Hauptaufgabe der Geschmackstheorie Kants, der Gefahr zu begegnen, „alle Gegenstände möglicher Erkenntnis zu schönen Gegenständen" zu machen (Fricke 1990, 4). 24 Wenzel hält am radikalen Subjektivismus der Geschmackstheorie Kants fest, weil es kein Kriterium dafür gebe, daß ein Gegenstand schön ist. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit werde nur subjektiv an den Gegenstand herangetragen: „Der Begriff der Wahrheit als Übereinstimmung eines Urteils mit seinem Gegenstand ist [...] beim Geschmacksurteil unangebracht" (Wenzel 2000, 120). Vgl. ebenso Baum (1991), 282. Schönheit ist zwar keine begrifflich erkennbare Bestimmung des Objekts, mit der das

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immer wieder gegen Kants Ästhetik erhoben wird, begegnet werden kann, müßten Überlegungen zu Kants Formbegriff zeigen.25

IV. Kants Vernunftinterpretation des Geschmacksurteils in der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft Das Ergebnis der Deduktion veranlaßt Kant in der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft zu einer Vernunftinterpretation des Geschmacksurteils. Die Deduktion hat gezeigt, daß der Geltungsanspruch des Geschmacksurteils auf subjektive Allgemeingültigkeit gerechtfertigt ist, insofern die für alle gültige Übereinstimmung der Objektform mit den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft festgestellt werden kann. Allerdings konnte die Übereinstimmung nur in Gestalt einer notwendigen Hypothese angenommen werden. Ein sicherer Beweis kann für sie nicht geführt werden. Das Eigentümliche der Deduktion der Geschmacksurteile besteht mithin darin, daß die Rechtfertigung ihres Geltungsanspruchs ohne abschließenden Beweis ihrer Gültigkeit erfolgt. In der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft geht Kant dieser Übereinstimmung auf den Grund. Unter Dialektik der ästhetischen Urteilskraft versteht Kant entgegengesetzte Geschmacksurteile über ein und denselben Gegenstandsbereich, die mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftreten. Einen Streit ästhetischer Urteile über das Angenehme kann es nicht geben, weil sie keinen Allgemeingültigkeitsanspruch erheben.

Urteil übereinstimmen könnte, doch wenn der Geschmack die Form des Gegenstandes als zweckmäßig für das Spiel der Erkenntniskräfte beurteilt, dann deswegen, weil die Urteilskraft eine Entsprechung zwischen der nicht begrifflich erkennbaren wohlstrukturierten Gegenstandsform und den subjektiven Bedingungen ihres Gebrauchs feststellt. Geschmacksurteile sagen nicht bloß etwas über unseren subjektiven Zustand aus, sondern etwas über die Sache. Wir gehen davon aus, daß nicht alle Geschmacksurteile gerechtfertigt sind. Eine Anarchie des „anything goes" scheint in ästhetischen Fragen auch unangemessen zu sein (vgl. Otto 1993, 62). Nur auf dieser Basis ist ja auch ein Streit um die angemessenen oder richtigen ästhetischen Wertschätzungen notwendig, sinnvoll und vernünftig. 25 Kants Grundüberzeugung, daß es in der Ästhetik auf die Form ankommt, ist sinnvoll. Nur kommt es darauf an, wie der Formbegriff zu verstehen ist. Kant selbst schwankt zwischen einem offiziellen, engherzigen Formbegriff, der von allem Inhalt und allen materialen Sinnesqualitäten abstrahiert, und einem liberaleren Formbegriff, der auch inhaltliche oder sinnliche Aspekte in ihrer Strukturiertheit zuläßt. Legt man den Formbegriff im Sinne der wohlgeordneten Organisation zugrunde, dann kommt es in Kunst und ästhetischer Gestaltung sehr wohl auf die Form an. Zudem würde der Gegensatz von Form und Inhaltsästhetik überflüssig, denn dieser Formbegritf kann inhaltliche Aspekte mit einschließen. Nur so stimmte Kants Formalismus mit Adornos Diktum zusammen: „Kunst hat soviel Chance wie die Form, und nicht mehr" (Adorno 1977, 213). Kritisch zu Kants Formbegriff vgl. Otto( 1993), 219-232.

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Von der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft ist die Antinomie des Geschmacks zu unterscheiden, die nicht auf dem Feld der unmittelbaren ästhetischen Erfahrung, sondern auf der Ebene der Vernunftinterpretation des Geschmacks angesiedelt ist. Aus der Perspektive einer noch unkritischen Vernunft erscheinen die beiden in der Deduktion herausgestellten Eigentümlichkeiten des Als-Ob des Objektiven und des bloß Subjektiven des Geschmacksurteils als Antinomie, als gegensätzliche Vernunftauffassungen über den Bestimmungsgrund des Geschmacks. Der Empirismus behauptet die Thesis, daß sich Geschmacksurteile, insofern sie bloße subjektive Werturteile sind, nicht auf Begriffe gründen. In diesem Fall könnte nicht sinnvoll über Geschmacksurteile gestritten werden. Der Rationalismus formuliert die Antithesis, daß sich Geschmacksurteile, insofern sie scheinbar objektive Urteile mit Allgemeinheitsanspruch sind, über die sich dann in Beweisgängen disputieren ließe, auf Begriffe gründen. Sowohl die beiden Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils als auch die Antinomie des Geschmacks, gehen auf den spannungsvollen Begriff der subjektiven Allgemeingültigkeit des Geschmackurteils zurück, der auf verschiedenen Ebenen eine Auflösung erfährt. In der Deduktion wird das Problem der subjektiven Allgemeingültigkeit des Geschmackurteils auf der Ebene der Geschmackstheorie, in der Dialektik auf der Ebene der Vernunftinterpretation des Geschmacks gelöst. Sowohl in der Theorie des Geschmacks (§ 9, B 27) als auch in der Dialektik (§57, B 238) ist von einem „Schlüssel" der Kritik des Geschmacks die Rede. Kants Überlegung ist, daß erst mit der Auflösung der Antinomie der Vernunftprinzipien des Geschmacks die Dialektik und damit ein Streit über die Richtigkeit ästhetischer Sichtweisen als notwendig, sinnvoll und vernünftig begriffen werden können. Indem die Vernunft danach strebt, sich „mit sich selbst einstimmig zu machen" (B 239), wird sie zur Auflösung dieser Antinomie veranlaßt, wobei sie sich über das Ergebnis der Analytik und der Deduktion des Geschmacksurteils belehren läßt. 26 Kant löst die Antinomie des Geschmacks dadurch auf, daß er zeigt, daß in Thesis und Antithesis unter Begriffen jeweils etwas Verschiedenes zu verstehen ist. Die Thesis besagt, das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Verstandesbegriffe, die Antithesis, das Geschmacksurteil gründet sich auf Vernunftbegriffe. Der Begriff, auf dem das Geschmacksurteil beruht, ist „der transzendentale Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen", welcher der Erscheinungswelt zugrunde liegt und „weiter nicht theoretisch bestimmt werden kann" (B 235). Ohne diesen Vernunftbegriff „wäre der Anspruch des Geschmacksurteils auf allgemeine Gültigkeit" nach Auffassung Kants „nicht zu retten" (B 236), eine 26

„Der hier aufgestellten und ausgeglichenen Antinomie liegt der richtige Begriff des Geschmacks, nämlich als einer bloß reflektierenden ästhetischen Urteilskraft, zum Grunde" (§ 57, B 238).

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Rettung, die auf der Ebene der Vernunftinterpretation des Geschmacks erfolgt. Der Vernunftbegriff vom übersinnlichen Substrat gibt sich als der Grund „der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft" (B 236) zu erkennen. In der durch die Auflösung der Antinomie möglich werdenden Dialektik zielt Kant auf eine philosophische Vernunftinterpretation des Geschmacksurteils ab, die die Defizite des Empirismus und Rationalismus überwindet. Der Vernunftbegriff des Übersinnlichen in uns erweist sich als der nicht erkennbare „Grund der Möglichkeit der Geschmacksurteile überhaupt" (B 232), der die geheimnisvolle Übereinstimmung der Natur in ihren Formen und Gestalten mit den Erkenntniskräften des Menschen stiftet, welche die entscheidende Bedingung dafür ist, daß wir berechtigt sind, Gegenstände als schön zu bezeichnen. Rückläufig von der Dialektik her wird damit deutlich, daß die Deduktion des Geltungsanspruchs des Geschmacksurteils über den Begriff der Übereinstimmung nur als nicht beweisbare notwendige Hypothese erfolgen konnte. Kants Theorie des Geschmacks will mehr sein als die des Empirismus und Rationalismus. Sie interpretiert das Prinzip des Geschmacks weder als Annehmlichkeit, wie es der Empirismus, noch als Vollkommenheit, wie es der Rationalismus tut. Im ersten Fall wäre das Geschmacksurteil nicht von den ästhetischen Urteilen über das Angenehme, im zweiten Fall nicht von Erkenntnisurteilen zu unterscheiden. Die Auflösung der Antinomie des Geschmacks auf Grundlage der Resultate der Geschmackstheorie macht deutlich, daß das Geschmacksprinzip nicht im Realismus, sondern im Idealismus der subjektiven Zweckmäßigkeit des Schönen für das reflektierende Subjekt zu suchen ist. Das Schöne in der Natur ist also kein realer Zweck der Natur, sondern als unabsichtliches, zufälliges Produkt der Natur dennoch zweckmäßig für den Menschen. Darin besteht die „Idealität der Zweckmäßigkeit" (B 252) des Schönen in der Natur für den Menschen. Sie ist Ausdruck einer geheimnisvollen Übereinstimmung von Welt und Mensch, deren unerkennbarer Grund der Vernunftbegriff vom Übersinnlichen ist. Der Vernunftbegriff des Übersinnlichen erklärt uns, warum wir uns in den schönen Gegenständen unserer Umgebung als erkenntnisfähige Menschen wiederfinden können. 27 27

Kants „Kritik der Urteilskraft" ist überhaupt eine Theorie der Zweckmäßigkeit. Sie geht von dem Grundgedanken aus, daß der Mensch die Disposition hat, die Wirklichkeit zu strukturieren und sinnvoll zu ordnen, um sich in ihr orientieren zu können, und Zweckmäßigkeit ist der Titel für die Organisiert- und Wohlgeordnetheit der Wirklichkeit für den Menschen. Letztlich geht es um die Frage, wie der Mensch als handelndes, Zwecke setzendes freies Wesen in die von kausal-mechanischen Naturgesetzen beherrschte Welt passen kann. Die Urteilskraft mit ihrem Prinzip der Zweckmäßigkeit verweist von sich aus auf den Begriff des übersinnlichen Substrats, in welchem beide getrennte Prinzipien der theoretischen und praktischen Philosophie auf eine unbekannte Weise miteinander vermittelt sind, wodurch das Zusammenstimmen von Natur und Freiheit denkbar wird (vgl. Einleitung, Kap. IX, BLIII-BLVII).

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V. Wohn liegt die Relevanz des Geschmacks in einer Ästhetik heute? Am Ende meines Beitrags möchte ich einem gewichtigen Einwand begegnen. Wer die Wichtigkeit der Deduktionsproblematik des Geschmacksurteils bei Kant betont, ist dem Vorwurf ausgesetzt, daß Fragen des Geschmacks in der Ästhetik beständig an Bedeutung verloren haben. Bereits Kant schränkt die Relevanz des Geschmacksurteils ein. Das Kunstwerk erschöpft sich nicht darin, Gegenstand eines Geschmacksurteils zu sein. Es ist enger als das Kunsturteil, ein bloßes Moment von diesem, das über das Geschmacksurteil hinaus, den Wert der schönen Kunst nach ihrer Bedeutsamkeit schätzt (vgl. § 48, B 187 ff.). Zugleich aber ist das Geschmacksurteil weiter als das Kunsturteil. Es durchzieht unser gesamtes alltägliches Leben im Umgang mit der Natur und unserer kulturellen Umgebung. Der Geschmack, im Zeitalter der Aufklärung der Zentralbegriff der Ästhetik, rückt in der Philosophie der Kunst nach Kant an den Rand. Daß Geschmack wenig mit der Kunst zu tun habe, ist nicht erst die Position der Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die im Wissen um die Normen des Geschmacks diese zu durchbrechen suchten, um die Bürger mit kalkulierter Geschmacklosigkeit zu schockieren. Bereits die idealistische Philosophie des 19. Jahrhunderts bezieht diese Position. Hegel kritisiert, daß dem Geschmack die Tiefendimension der Kunst verschlossen bleibt, weil diese jenseits sowohl des Geschmacks als auch des Geschmacklosen angesiedelt ist. 28 Darin kommt er mit seinen späteren Antipoden Schopenhauer und Nietzsche überein. Schopenhauer moniert, Kant gehe in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft „nicht vom Schönen selbst, vom anschaulich, unmittelbaren Schönen aus, sondern vom Urtheil über das Schöne, dem sehr häßlich sogenannten Geschmacksurtheil". 29 Nietzsche stellt fest, solange jemand „mit der Kunst nur als ,Schmecker' zu thun hat, ist und bleibt sie eine recht verächtliche Sache".30 Die Vertreibung des Geschmacks aus der Sphäre der Kunst hat allerdings nicht verhindert, daß er in einer anderen Sphäre, dem Bereich der Alltagskultur überlebt hat. Nachdem das asketische Ideal der funktionalistischen Moderne ins Wanken geraten ist, hat er sogar ein neue Konjunktur erfahren. War der Geschmack im 18. Jahrhundert Thema esoterischer philosophischer Debatten, so ist er heute zu einem bedeutsamen Bestandteil der Alltagskultur geworden, in der im Interesse eines guten Lebens Fragen der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, ihre Verwandlung in Objekte ästhetischer Wertschätzung eine immer größere Rolle spielen. Der Aspekt des Schönen, erst recht der des Ästheti28

G. W. F. Hegel , Vorlesungen über die Ästhetik I. In: Hegels Werke Bd. 13, 54 f. A. Schopenhauer , Die Welt als Wille und Vorstellung I. Zweiter Teilband. In: Schopenhauers Werke Bd. II, Anhang: Kritik der Kantischen Philosophie, 646. 30 F. Nietzsche , Fragment 34 (29), in: Nietzsches Werke Bd. VII, 801. 29

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sehen ist nicht ohne weiteres mit Kunst gleichzusetzen. Gebrauchsdinge, die schön sind und unsere Betrachtung hervorrufen, brauchen darum noch nicht Kunstwerke zu sein. 3 1 Indem sie den Rahmen bilden, in dem sich alltägliches Leben vollzieht, tragen sie zur Steigerung des ,,Lebensgefiihl[s]" (B 4) bei und können die kulturelle Existenz des Menschen mehr verändern als so manches großes Kunstwerk. Hatte Kant den Grund der Übereinstimmung von Natur und Kultur in ihren Gestalten mit dem ästhetischen Sinn des Menschen in einem unerkennbaren Vernunftbegriff des Übersinnlichen erblickt, so kommt es heute darauf an zu begreifen, daß der Mensch einiges selbst dafür tun kann, daß der ästhetischen Dimension bei der Gestaltung von Gebrauchsdingen mehr als bisher Rechnung getragen wird, indem die engherzigen funktionalistischen Maßstäbe in der ästhetischen Gestaltung kritisch überdacht werden.

Literatur Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt a. M. 1977. Bartuschat, Wolfgang: Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1972. Baum, Manfred: Subjektivität, Allgemeingültigkeit und Apriorität des Geschmacksurteils bei Kant. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39, 1991, 272-284. Dorschel, Andreas: Gestaltung - Zur Ästhetik des Brauchbaren, Heidelberg 2002. Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, Berlin/New York 1990. Guyer, Paul: Kant and the Claims of Taste, Cambridge Mass., Harvard UP 1979. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich.: Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1969 ff. (zit: Hegels Werke). Heintel, Peter: Die Bedeutung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft für die transzendentale Systematik, Bonn 1970. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hg. von H. F. Klemme, Hamburg 2003. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von E. Seebold, 23. erw. Aufl. Berlin 1999. Kulenkampff,

Jens: Kants Logik des ästhetischen Urteils, Frankfurt a. M. 1978, 19942.

Meerbote, Ralf: Reflection on Beauty. In: Essays in Kant's Aesthetics, ed. by T. Cohen and P. Guyer, Chicago 1982, 55-86. Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in fünfzehn Bänden, hg. von G. Colli und M. Montinari, München und Berlin/New York 1980 (zit.: Nietzsches Werke). Otto, Markus: Ästhetische Wertschätzung. Bausteine zu einer Theorie des Ästhetischen, Berlin 1993. 31

Die ästhetische Gestaltung von Gebrauchsdingen in ihrer Differenz zur Kunst und ihre existentielle und gesellschaftliche Bedeutung beleuchtet Dorschel in einer Kritik am ästhetischen Funktionalismus der Moderne (vgl. Dorschel 2002, bes. 97-141).

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Peter , Joachim: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft. Eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant. Kant-Studien Ergänzungsheft 126, Berlin/New York 1992. Rind , Miles: Can Kant's Deduction of Judgments of Taste be Saved? In: Archiv für Geschichte der Philosophie, hg. v. D. Frede und W. Bartuschat, Bd. 84, 2002, 20-45. Schopenhauer , Arthur: Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, hg. von A. Hübscher, Zürich 1977 (zit.: Schopenhauers Werke). Wenzel , Christian Helmut: Das Problem der subjektiven Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bei Kant, Berlin/New York 2000. Wolffl Christian: Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (Deutsche Metaphysik), Hildesheim/Zürich/New York 1983 (zit.: DM). Xenophon : Das Gastmahl. Gr./Dt., übersetzt und herausgegeben von E. Stärk, Stuttgart 2003.

Gemeinsinn und das Schöne als Symbol des Sittlichen Christian Helmut Wenzel

Dieser Aufsatz enthält im wesentlichen zwei Ideen: 1. Es wird ein verborgener Rückbezug des sensus communis bei Kant auf Aristoteles aufgezeigt. 2. Es wird das Naturschöne mit dem Kunstschönen in Hinsicht auf Schönheit als Symbol des Sittlich-Guten verglichen und gezeigt, daß ersteres durch eine gewisse Teleologie einen Vorteil gegenüber letzterem hat, den dieses auch durch Genie und ästhetische Ideen nicht wettmachen kann. Der höchste Zweck und der Endzweck der Natur und der Welt, so weit wir sie kennen, ist nach Kant der Mensch und die Menschheit unter moralischen Gesetzen. Der Mensch soll sich selbst seine Gesetze geben und Zwecke setzen, die er durch Vernunft als notwendig erkennt. Glückseligkeit ist schwankend und nicht von Dauer. Sie kann letztlich nie erreicht werden und ist bestenfalls ein letzter Zweck, den der Mensch sich als Naturzweck bloß einbildet. Nicht aber ist sie sein letzter Zweck aus Freiheit (KU § 83, V 430). Der Mensch ist zu sehr den Naturabläufen unterworfen und ebenso wie das Tier „immer nur Glied in der Kette der Naturzwecke" (ibid.), als daß Glückseligkeit sein letztes Ziel sein könnte. Ja zuweilen arbeitet der Mensch sogar „an der Zerstörung seiner eigenen Gattung" (ibid). Kultur hingegen ist nach Kant „vornehmer". Sie dient der Hervorbringung der Fähigkeit, den eigenen Willen von der Herrschaft der Begierden zu befreien. Schöne Kunst und Wissenschaft führen aus animalischer Rohigkeit und Sinnenhang heraus und hin zu Geschliffenheit und Verfeinerung von Charakter und Gesellschaft. Jedoch kann Kultur auch zu Eitelkeit, Eigensinn und verderblichen Neigungen und Leidenschaften führen. Sie macht den Menschen also nur „gesittet", und nicht unbedingt „sittlich besser" (KU § 83, V 433). Auch sie kann nicht der Endzweck des Menschen sein. Bestenfalls ist sie ihm förderlich. Als Endzweck muß man sich den Menschen vielmehr als Noumenon vorstellen, als ein Wesen, das unabhängig von allen Naturbedingungen und aus Freiheit sich selbst Gesetze gibt, die es als notwendig erkennt, um ein Reich der Zwecke zu schaffen. Endzweck ist der Mensch als moralisches Wesen und die Menschheit unter moralischen Gesetzen. Auf diesem Hintergrund und mit diesem Zielgedanken versteht Kant auch die Ästhetik, insbesondere die Schönheit als Symbol der Sittlichkeit und letztlich auch den Gemeinsinn (ein gemeinschaftlicher Sinn; nicht abwertend gemeint).

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Der Geschmack ist „im Grunde ein Beurtheilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen", und „die wahre Propädeutik zur Gründung des Geschmacks [ist] die Entwickelung sittlicher Ideen und die Cultur des moralischen Gefühls" (KU § 60, V 356). Dies klingt so, als ob Schönheit von Sittlichkeit und Moral abhängig wäre. Dem ist aber nicht so. Damit Schönheit dem Sittlich-Guten förderlich sein kann, darf sie zumindest nicht völlig von ihm abhängig sein. Denn wie sollte etwas einem anderen dienen können und ihm eine Stütze sein, wenn es gänzlich von ihm abhängig wäre und nicht auf eigenen Füßen stehen könnte? Das Schöne - genauer gesagt das Geschmacksurteil, wodurch sich etwas als schön erweist - muß also zuerst einmal auch unabhängig von Moralität und Sittlichkeit seine eigenen Gründe haben. Nur so kann dann vom Schönen her eine Rücksicht auf anderes, wie zum Beispiel Sittlichkeit, möglich und hilfreich sein. Auch auf den Gemeinsinn (sensus communis) will Kant sich nicht als eine Stütze berufen, weder für den Geschmack, noch für die Moral. Er will sich nicht auf einen „moral sense" oder einen „common sense" verlassen, und der „gesunde Menschenverstand", sowohl in moralischer und erst recht in theoretischer Absicht, kommt auch nicht in Frage, denn er ist zu rational, und in der Ästhetik soll ein Gefühl und weniger der Verstand im Mittelpunkt stehen. Kant will vielmehr umgekehrt den Gemeinsinn als einen „gemeinschaftlichen Sinn" und ein „allgemeines Gefühl" vom Geschmacksurteil her erklären. Es ist bei Kant das Geschmacksurteil, das seine eigenen Gründe hat und als Beispiel (und damit quasi als Beweis) für die Existenz eines Gemeinsinns angesehen werden kann. Zugleich macht es damit einen Übergang vom Theoretischen zum Moralisch-Praktischen möglich. Anstelle eines „moral sense" oder „common sense" setzt Kant die bloße Idee von einem Gemeinsinn (gemeinschaftlichen Sinn, sensus communis), welche wir tatsächlich zugrunde legen, wenn wir ein Geschmacksurteil fällen.

I. Der Sensus Communis Kants Ästhetik ist Teil seiner Transzendentalphilosophie. Jedoch enthält sie auch viele empirische und psychologische Elemente. Dies gilt insbesondere für den Gemeinsinn (sensus communis), den Kant an verschiedenen Stellen in seine Untersuchungen einflicht. (Dies geschieht in den §§ 20 bis 22, in der Analytik des Schönen, unter dem Moment der Modalität, und im § 40, in der Deduktion, im Zusammenhang der Erklärung der Mitteilbarkeit einer Empfindung im § 39 und der Erklärung des empirischen und intellektuellen Interesses in den §§ 41 und 42.) Der Begriff des sensus communis hat seine Ursprünge bei Aristoteles und Cicero: Bei Aristoteles als ein die fünf äußeren Sinne und deren Wahrnehmungen vereinigender innerer Sinn (KOIVT) aiaOrjaic;), den wir Menschen dann

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ebenso wie diese äußeren Sinne und deren Wahrnehmungen teilen; bei Cicero als ein allgemeines menschliches Empfinden (sensus communis), auf das wir uns besonders im Bereich der Rhetorik und der Politik, also einem populären und an der Gesellschaft orientierten Bereich, berufen. Nach Cicero muß man den sensus communis ausbilden. Zwar hat man die Anlage dazu, aber ohne die konkrete Kultur und Gesellschaft, in der man aufwächst und dabei auch in sie hineinwächst, kann man den Gemeinsinn nicht entwickeln. Dabei ist diese Kultur, in die man zufällig hineingeboren wird, keine universelle, sondern eben eine dem jeweiligen gesellschaftlichen Wandel der Zeit unterworfene und von den jeweiligen Sitten und Gebräuchen der Gesellschaft abhängige. Ein solcher Gemeinsinn ist empirisch und kann bei Kant nicht Grundlage des Geschmacksurteils sein, das ja ein apriorisches Urteil mit universellem Geltungsanspruch sein soll. Bestenfalls kann solch ein empirischer Gemeinsinn dem Geschmacksurteil nur angehängt sein und aus diesem erklärt werden. Und so ist es dann auch bei Kant. Am Ende des § 20 etwa heißt es: „Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch wir aber keinen äußern Sinn, sondern die Wirkung aus dem freien Spiel unserer Erkenntnißkräfte verstehen), nur unter Voraussetzung, sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurtheil gefällt werden" (Hervorhebungen von mir). Diese Einflechtung hat jedoch zwei Seiten. Zum einen ist das freie Spiel als Grund des Geschmacksurteils bei Kant ein universeller und nicht von zufälligen Umständen der Gesellschaft abhängiger Grund, und das sollte dann auch von seiner „Wirkung", eben dem Gemeinsinn, gelten. Es müßte also ein universeller Gemeinsinn sein. Zum anderen ist der Gemeinsinn, so wie er seit Cicero zumeist verstanden wird, eben doch von der jeweiligen Gesellschaft abhängig, und damit von Ort zu Ort verschieden und auch dem Wandel der Zeit unterworfen. Der Gemeinsinn wäre also ein apriorisch-universeller und zugleich ein empirisch-lokal-gesellschaftlich bedingter. Diesen Widerspruch kann man jedoch vermeiden. Zum einen kann man sagen, daß der Gemeinsinn als „Wirkung" aus dem freien Spiel nicht nur von diesem (universellen) freien Spiel als seiner Ursache, sondern auch von anderen Faktoren abhängt, wie den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen, in denen diese Ursache zum Zuge kommt. So hat man eine spezifische empirische Wirkung mit einer allgemeinen (Teil-)Ursache; wie wir etwa sagen, daß der Tau auf dem Gras vor unserem Haus durch die niedrige Temperatur verursacht sei, obwohl noch ganz andere Faktoren dabei im Spiel waren, wie Wasser, Luft, und das Gras mit seiner bestimmten Oberflächenstruktur. Eine andere Möglichkeit, den Widerspruch aufzulösen, besteht darin, daß man den Gemeinsinn, von dem Kant spricht, eben nicht ganz mit dem historisch und gesellschaftlich bedingten Gemeinsinn identifiziert. So kann man etwa Kants Ausführungen im § 22 verstehen, in denen Kant vom Gemeinsinn als einer „bloßen idealischen Norm" und einer „Idee" spricht, einer Idee von einem zukünftig noch zu erwerbenden

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Vermögen, wobei das Geschmacksurteil also nur die Vernunftforderung, „eine solche Einhelligkeit der Sinnesart hervorzubringen", enthält und dieser Gemeinsinn nur ein Mittel „zu höhern Zwecken" ist. Dieser Gemeinsinn ist dann eigentlich nur eine Idee und (noch) nicht wirklich. Im Geschmacksurteil ist er höchstens als Idee wirklich. Charakteristisch für Kant ist die Weise, wie er den Gemeinsinn und dessen Tradition in seine Philosophie einbezieht. Vom „subjektiven Prinzip" des Geschmackurteils schreibt er: „Ein solches Princip aber könnte nur als ein Gemeinsinn angesehen werden" (KU § 20, V 238, Hervorhebung von mir). Kant tritt gleichsam einen Schritt zurück, schaut zu, und beruft sich - zumindest in einem ersten Anlauf - auf die Meinung anderer, die hier von einem „Gemeinsinn" reden und mit Berufung auf diesen die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls begründen. Kant stimmt dieser Berufung auf einen Gemeinsinn zu, aber doch nur mit einer gewissen Zurückhaltung und Einschränkung. Denn man muß sicherstellen, daß der richtige Begriff eines Gemeinsinns zugrunde gelegt wird. Wie Kant bei der Auflösung der Antinomie schreibt: „Der hier aufgestellten und ausgeglichenen Antinomie liegt der richtige Begriff des Geschmacks, nämlich als einer bloß reflectirenden ästhetischen Urtheilskraft, zum Grunde" (KU § 57, V 341), so muß man auch bei der Erklärung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils, wenn schon, dann den richtigen Begriff eines Gemeinsinns zugrunde legen. Dieser ist dann keineswegs der gemeine Verstand, und auch nicht ein „moral sense" oder „common sense", sondern vielmehr die „Wirkung aus dem freien Spiel unserer Erkenntnißkräfte" (§ 20), oder gar nur eine idealische Norm oder Idee (§ 22) von einem noch hervorzubringenden Vermögen. Wenn Kant schreibt: „Unter dem sensus communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes" verstehen (KU § 40, V 293, Hervorhebung von Kant), so denkt er dabei (primär) innerhalb der Tradition seit Cicero an die Gemeinschaft der Menschen, und nicht wie Aristoteles an einen inneren Sinn, der die äußeren Wahrnehmungen vereinigt (KOIVT] aiaOrjaK;, de anima 425 a 27). Der sensus communis ist also bei Kant, so scheint es, in erster Linie ein inter-subjektiver (von vielen Menschen geteilter) und nicht ein intra-subjektiver (von den einzelnen Sinnen innerhalb eines einzelnen Menschen geteilter) Sinn. Jedoch sind hier sogleich zwei korrigierende Anmerkungen hinzuzufügen. Zum einen (a) modifiziert Kant Ciceros Auffassung und die sich daran anschließende Tradition. Zum anderen (b) gibt es bei Kant doch auch einen Rückbezug auf Aristoteles. Die Modifikation (a) besteht in folgendem. Ein Redner will überzeugen. Er hat ein bestimmtes Publikum vor sich, Menschen aus einer bestimmten Gesellschaft mit bestimmten Bräuchen und Sitten. Auch haben diese Menschen zu dieser Zeit ihre bestimmten Bedürfnisse und Interessen. Für all das muß der Redner ein Gespür haben. An diese antike Auffassung des sensus communis hat Shaftesbury auf einflußreiche Weise angeknüpft, indem er ihn durch einen Sinn für Gemeinschaft, Freundschaft, Großmut, Liebe und die Entdeckung ursprüng-

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licher Wahrheiten im Menschen als einem sozialen Wesen bereicherte. Shaftesbury hat erkannt, daß eine jeweilige Kulturgemeinschaft auch immer ihren jeweiligen begrenzten Horizont hat, über den sie nicht hinausblicken kann. Der Einzelne sollte sich also nicht auf die Gesellschaft und die Tradition verlassen, sondern diesen, wenn auch wohlwollend, so doch auch kritisch gegenübertreten. Der sensus communis bleibt zwar ein Gemeinsinn, aber eben ein kritischer, ein mehr im individuellen Bereich oder unter Freunden gepflegter und von einer idealistischen Hinsicht auf übergreifende Wahrheiten geprägter. Hier knüpft Kant an. Der oben zitierte Satz lautet vollständiger: „Unter dem sensus communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurtheilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesammte Menschenvernunft sein Urtheil zu halten" (KU § 40, V 293). Kant löst sich hier von einer Fixierung auf die jeweilige Gesellschaft und beruft sich auf die Einsicht der Vernunft. Damit folgt er Shaftesbury. Als Aufklärer will Kant die Autonomie des Menschen in den Geschmack und damit in den Gemeinsinn mit einbeziehen. Man soll „an der Stelle jedes andern denken" (zweite Maxime) und sich somit von „subjektiven Privatbedingungen" lösen und die eigene „Denkungsart" so weit wie möglich „erweitern" und nicht „bornirt" sein. Ziel ist ein Mensch, der „aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urtheil reflectirt" (vgl. KU § 40, V 293-5). Dabei ist der andere nicht dieser oder jener bestimmte Mensch, sondern der andere als möglicher. Diese „Denkungsart" findet sich nach Kant beim sensus communis des Geschmacksurteils, jedoch nicht als verständige, sondern als gefühlte, also als ein „sensus communis aestheticus" und nicht als ein „sensus communis logicus" (ibid. 295). Man kann hier von einem „Sinn" sprechen, „wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust" (ibid). Die Reflexion ist eine Reflexion auf den Standpunkt anderer und die Mitteilbarkeit des eigenen Gemütszustandes, und dieser Gemütszustand ist hier nach Kant im wesentlichen das freie Spiel der Erkenntniskräfte, von dem er sagt, es ,bewirke' den Gemeinsinn (§ 20). In dieser Rede von der , Bewirkung' der Lust (§ 40) und des Gemeinsinns (§ 20) liegt ein verborgener Rückbezug auf Aristoteles (b). Denn nach Kant spielen die beiden Erkenntnisvermögen, Einbildungskraft und Verstand, zusammen und erzeugen so einen Gemütszustand, der allgemein mitgeteilt werden kann (oder zumindest einen Anspruch auf allgemeine Mitteilbarkeit erhebt), während nach Aristoteles die fünf äußeren Sinne und deren Wahrnehmungen in der Seele zu einer einheitlichen Wahrnehmung vereinigt werden, die ebenso mitgeteilt werden kann. Offensichtlich gibt es hier grundlegende Differenzen so geht es Kant um Geschmack und Gefühl und nicht wie Aristoteles um Wahrnehmung und Erkenntnis - , aber gemeinsam ist ein Bezug auf die Sinnlichkeit

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und das Bestreben beider, die Mitteilbarkeit nicht vorauszusetzen, sondern zu erklären, und zwar durch ein Modell eines inneren reflektierten Zustandes im Gemüt bzw. in der Seele. Daß man hier von einem Rückbezug auf Aristoteles reden kann, hat aber noch einen ganz anderen Grund. Unter „Gemeinsinn" (sensus communis) wird seit Cicero in erster Linie ein den verschiedenen Menschen gemeinschaftlicher (inter-subjektiver) Sinn verstanden. Das ist auch bei Kant so. Aber er erklärt diesen Sinn nicht als Wirkung von außen (der Gesellschaft), sondern von innen her, nämlich als Wirkung des freien Spiels der Erkenntniskräfte im einzelnen Subjekt (auch wenn dieses Subjekt dabei auf die Standpunkte anderer Menschen reflektiert). Der inter-subjektive Gemeinsinn erhält so bei Kant eine intrasubjektive Erklärung und Begründung, und zwar durch Elemente, die bei der Analyse des Geschmacksurteils in den Gemüts- und Erkenntniskräften aufgedeckt wurden. Die Verbindung mit Aristoteles besteht nun nicht nur in diesen, vielleicht etwas an den Haaren herbeigezogen wirkenden, inhaltlichen Parallelen (freies Spiel im Gemüt bei Kant, KOIVT] aiaOriaiq in der Seele bei Aristoteles), sondern auch ganz einfach darin, daß Thomas von Aquin in seinem Kommentar zu Aristoteles' De Anima diesen aristotelischen „Gemeinsinn" (KOIVT) aiaÖTiaiq, 425 a 27, ^leaÖTriq, 431 a 19, einen mittleren zentralen Sinn) mit dem lateinischen Ausdruck „sensus communis" übersetzt hat, oder darin zumindest den lateinischen Übersetzungen und Kommentaren gefolgt ist. Dazu werde ich nun einige Stellen anführen. Aristoteles kommt zu seinem Begriff des „sensus communis" durch die Behandlung des Problems gleichzeitiger Wahrnehmungen verschiedener Sinnesqualitäten durch verschiedene Sinne. Etwa, wenn ich etwas als weiß (mit den Augen) und zugleich als kalt (mit den Händen) wahrnehme. Diese beiden Sinneswahrnehmungen müssen in mir (in meiner Seele) vereinigt werden. Ich muß mir bewußt werden können, daß sie von einem einzelnen Gegenstand herrühren. Dafür fordert Aristoteles einen „Gemeinsinn", eine „Mitte", in der die einzelnen Wahrnehmungen vereinigt werden. (Zugleich gibt es hier bei Aristoteles Ansätze zu einer Bewußtseinslehre.) Diese Vereinigung kann nicht in einer zweiten Wahrnehmung geschehen, weil dies zu einem unendlichen Regreß führen würde. Auch kann sie durch keinen der fünf äußeren Sinne allein geschehen. Ein neuartiges und zusätzliches Vermögen ist also gefordert, ein Zentrum, eine Art innerer Sinn, der aber kein Sinn im üblichen Sinne ist. Thomas von Aquin kommentiert dies folgendermaßen: „Durch den Gemeinsinn [sensus communis] nehmen wir wahr, daß wir leben, und unterscheiden zwischen dem Sinnfälligen [den einzelnen Sinnesqualitäten oder Sinnesobjekten] der verschiednen Sinne, z. B. zwischen Weiß und Süß", § 390 (sensu enim communi percipimus nos vivere et discernimus inter sensibilia diversorum sensuum, scilicet album et dulce, Ib2 lc 13 n8). Thomas von Aquin kommentiert hier eine Stelle, an der es Aristoteles um die Unterscheidung verschiedener Arten von Gegenständen oder Sinnesqualitäten der Sinne (rcepi TCDV aiaörixcov, 418 a 7) geht. Eine dieser Ar-

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ten meint die Gegenstände, die spezifisch für einen bestimmten Sinn sind, wie die Farbe nur für das Sehen, den Ton nur für das Hören, den Geschmack nur für das Schmecken. Eine zweite Art umfaßt diejenigen Gegenstände oder Sinnesqualitäten, die mehreren Sinnen gemeinsam [KOIVÖV, 418 a 10] sind, wie Bewegung, Ruhe, Anzahl, Gestalt. Thomas von Aquin bezieht sich hier auf die erste Art von Gegenständen. Die verschiedenen Wahrnehmungen (wie Weiße und Süße) eines Gegenstandes, die dann diesem Gegenstand (etwa einem Stück Zucker) zugeordnet werden und ihm in diesem Sinne gemeinsam sind, müssen auch in uns (in unserem Bewußtsein) vereinigt werden. Das Gemeinsame (xö KOIVÖV) des Gegenstandes von der Objektseite her fordert so ein Gemeinsames (KOIVT) aia0T|aiq) auf der Subjektseite. An vielen Stellen gleitet Thomas von Aquin in seinem Aristoteles-Kommentar von einer Seite zur anderen. Tendenziell ist Aristoteles vielleicht mehr mit der Objektseite beschäftigt als Thomas von Aquin. So handelt Aristoteles mehr von der Vereinigung verschiedener gegenständlicher Wahrnehmungen in einer „Mitte" als von der Vereinigung verschiedener Sinne durch einen Sinn (sensus communis). An einer anderen Stelle bezieht Thomas von Aquin auch die Lust und Unlust ein, die durch das Passen bzw. Nicht-Passen eines Gegenstandes zu unseren Sinnen hervorgerufen wird. Dieses Passen, Angemessensein oder Entsprechen, kann man im Sinne einer Zweckmäßigkeit verstehen, die gleichsam zwischen der objektiven und der subjektiven Zweckmäßigkeit, also zwei Arten von Zweckmässigkeit, deren Unterscheidung Kant in der Kritik der Urteilskraft erstmals einführt, schwebt. Dieses Passen und Angemessensein wird bei Aristoteles und Thomas von Aquin durchaus als objektiv verstanden, aber zugleich auch als subjektiv empfunden gedacht. Thomas von Aquin kommentiert: „Um zu verstehen, was die Gefühle der Lust und Unlust sind, fügt er [Aristoteles] bei, daß Gefühle der Lust und Unlust Tätigkeiten des in der Mitte befindlichen Sinnesvermögens sind, also Tätigkeit einer sinnlichen Kraft, die insofern in der Mitte [medietas] sich befindet, als der Gemeinsinn [sensus communis] in einem Verhältnis zu den eigentümlichen Sinnen steht, wie ein Mittelpunkt zu den in ihn einmündenden Linien. Nicht jede Tätigkeit des sinnlichen Bereiches ist Gefühl der Lust und Unlust, sondern nur die, die nützlich oder schädlich als solches zum Gegenstand hat. Denn das dem Sinne Nützliche, d. h. das ihm Entsprechende verursacht das Gefühl der Lust. Das Schädliche dagegen, das ihm widerstrebt und nicht entsprechend ist, verursacht das Gefühl der Unlust. Aus den Gefühlen der Lust und Unlust geht wirkliches Wegstreben und Hinstreben hervor." § 768 {Et ut sciatur quid sit delectari et tristari, subiungit quod delectari et tristari, est agere sensitiva medietate, idest actio quaedam sensitivae virtutis, quae dicitur medietas, inquantum sensus communis comparatur ad sensus proprios ut quoddam medium, sicut centrum comparatur ad lineas terminatas ad ipsum. non autem omnis actio sensitivae partis est delectare et tristari, sed quae est respectu boni vel mali inquantum huiusmodi. nam bonum sensus, scilicet quod est ei conveniens, causat delectationem; malum autem quod est repugnans et novicum, causat tristitiam. et ex hoc quod tristari vel delectari, se-

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quuntur fuga et appetitus, id est desiderium, Icl2n4).

quae sunt secundum actum, lb3

An der Stelle, die Thomas von Aquin hier kommentiert, spricht Aristoteles von einem „Wirken durch eine Mitte der Sinne auf das Gute und Schädliche (Schlechte)": xö evepysiv xfj aia0r|xiKfi jj,ecöir|Ti npöq zö ayaxöv r\ KCCKÖV (431 a 11). Mit dieser „Mitte der Sinne" ist tatsächlich das gemeint, was die verschiedenen Wahrnehmungen der Sinne vereinigt, und was Thomas von Aquin den „sensus communis" nennt. Denn Aristoteles gibt folgendes Beispiel: Beim Sehen wirkt die Luft auf die Augen, welche diese Wirkung (heute würden wir sagen: zum Gehirn) weitergeben; ebenso wirkt beim Hören die Luft auf die Ohren, welche diese Wirkung ebenso weitergeben; und letztlich müssen all diese Wirkungen zu einer einzigen Mitte (heute würden wir vielleicht sagen: Zentrale - allerdings gibt es auch im Gehirn keine letzte Zentrale, wie auch die Gehirnforschung im 20. Jahrhundert gezeigt hat) zusammenkommen (TÖ 8e Ecrxaxov EV, Kai \iia laeabiriq, 431 a 19). Thomas von Aquin verwendet zur Kommentierung dieses Beispiels für die „Mitte" (^eaöxriq) den Ausdruck des „sensus communis": „Er hebt zunächst hervor, daß die von der Farbe erregte Luft das Auge in einen bestimmten Zustand versetzt, d. h. es sich angleicht, indem es ihm das Abbild der Farbe eindrückt und das Auge durch seine Erregung wiederum ein anderes erregt, nämlich den Gemeinsinn [sensus communis] und ebenso das Gehör, von der Luft erregt, den Gemeinsinn [sensus communis] erregt. Obwohl der äußeren Sinne mehrere sind, so sind sie doch in bezug auf den Endpunkt, in den ihre Tätigkeiten einmünden, eines. Und dieses ist gleichsam der Mittelpunkt von allen Sinnen [medietas una inter omnes sensus], wie der Mittelpunkt, in dem alle Linien als in einem zusammenlaufen." § 773 (dicit ergo primo, quod aer immutatus a colore, facit pupillam huiusmodi, id est facit eam aliqualem, imprimens in eam speciem coloris; et ipsa, scilicet pupilla sie immutata immutat alterum, scilicet sensum communem; et similiter auditus immutatus ab aere immutat sensum communem, et licet sensus exteriores sint plures, tarnen ultimum, ad quod terminantur immutationes horum sensuum, est unum; quia et quasi quaedam medietas una inter omnes sensus, sicut centrum, ad quod terminantur omnes lineae, quasi ad unum medium, lb 3 1c 12 no 9). Man mag einwenden, daß all dies doch recht verschieden von dem freien Spiel der Erkenntniskräfte sei, durch welches Kant den sensus communis erklären will. Aber es gibt eben doch auch viele gemeinsame Elemente: Die Lust und Unlust, das Zusammenkommen verschiedener Eindrücke (man denke etwa an Baudelaire und die kunstvolle Synästhesie in seinen Gedichten), das Passen und Entsprechen (des Gegenstandes zu unseren Sinnen), die Zuwendung und Abwendung (wie beim Schönen oder Häßlichen). Das als lustvoll empfundene Passen und Entsprechen hat bei Aristoteles hauptsächlich epistemische (Wahrnehmung und Erkenntnis) und praktische (Hinwendung zum Nützlichen) und weniger ästhetisch-kontemplative Aspekte. Jedoch spielen auch schon Ansätze zu einem Begriff des Bewußtseins und Sich-selbst-Fühlens hinein (siehe etwa

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die Kommentierung von Thomas von Aquin: „Durch den Gemeinsinn [sensus communis] nehmen wir wahr, daß wir leben", § 390 {sensu enim communi percipimus nos vivere, lb2 lcl3 n8, siehe oben), Elemente, die bei Kant eine zentrale Rolle spielen. Man denke etwa an die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption oder an den § 1 seiner Analytik der ästhetischen Urteilskraft, in dem Kant schreibt, daß das Subjekt „sich selbst fühlt". Auch haben wir mit dem Begriff des Passens und Entsprechens eine allgemeine Vorform der Zweckmäßigkeit, die in der Kritik der Urteilskraft in subjektive und objektive Zweckmäßigkeit aufgeteilt und so auf Ästhetik und Teleologie verteilt wird. Der vorkritische Kant selbst hatte noch einen solchen ungeteilten Begriff des Passens und Entsprechens, etwa bezüglich Gegenständen der Mathematik: ,,[G]eometrische Demonstrationen können durch ihre Kürze eine Schönheit haben, wegen der Vollständigkeit, des natürlichen Lichts und leichter Faßlichkeit. Das Wohlgefallen an der Erleichterung an Beweisen macht ihre Schönheit aus" (Anthropologie-Vorlesung Collins 1772/73, X X V 183). Für den kritischen Kant jedoch ist mit der Einführung der Unterscheidung von subjektiver und objektiver Zweckmäßigkeit keine schöne Mathematik mehr möglich: „Es giebt [keine] ... schöne Wissenschaft, sondern nur schöne Kunst" (KU § 44, V 304). Zwar denkt er an dieser Stelle in erster Linie an „historische Wissenschaften" und nicht an die Mathematik, aber deutlicher wird es an folgender Stelle: „Man ist gewohnt, die erwähnten Eigenschaften sowohl der geometrischen Gestalten, als auch wohl der Zahlen wegen einer gewissen aus der Einfachheit ihrer Construction nicht erwarteten Zweckmäßigkeit derselben a priori zu allerlei Erkenntnisgebrauch Schönheit zu nennen; und spricht z. B. von dieser oder jener schönen Eigenschaft des Cirkels, welche auf diese oder jene Art entdeckt wäre. Allein es ist keine ästhetische Beurtheilung, durch die wir sie zweckmäßig finden; keine Beurtheilung ohne Begriff, die eine bloße subjective Zweckmässigkeit im freien Spiele unserer Erkenntnißvermögen bemerklich machte: sondern eine intellectuelle nach Begriffen, welche eine objective Zweckmäßigkeit... zu erkennen giebt" (KU § 62 V 365 f., Hervorhebungen von Kant). Die Mathematik ist ihm zu sehr an Beweise und Regeln gebunden, als daß sie noch schön (im Sinne der Kritik der Urteilskraft) sein könnte. Das liegt nicht etwa an einer neuen Einsicht in die Regelhaftigkeit der Mathematik, denn derer war Kant sich schon lange bewußt: „Die mathematic ist an sich selbst lauter Regel" (Anthropologie Nachschrift Menschenkunde, 1781/82, XXV, 1061), sondern vielmehr an seiner Entdeckung der subjektiven Zweckmäßigkeit in der Kritik der Urteilskraft. Die „Vollständigkeit", das „natürliche Licht", und die „leichte Faßlichkeit" von 1772/73 (siehe oben) gehören dann ab spätestens 1790 (mit der Kritik der Urteilskraft), so müssen wir es wohl verstehen, zur objektiven Zweckmässigkeit und können so nicht mehr Grundlage für ein Wohlgefallen am Schönen sein. Hiermit haben wir gesehen, daß der sensus communis bei Kant, obwohl er auch bei ihm in erster Linie eine inter-subjektive Dimension besitzt - wobei der

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gesellschaftliche Aspekt in einen aufklärerischen verwandelt wird (Autonomie) doch auch eine intra-subjektive Dimension annimmt (durch die „Wirkung" aus dem freien Spiel), welche gemeinsame Züge mit der aristotelischen „Mitte der Sinne" aufweist, die Thomas von Aquin eben mit „sensus communis" übersetzt hat. Ohne es vielleicht zu wissen, hat Kant damit einen Rückbezug zu Aristoteles geschaffen.

II. Schönheit als Symbol der Sittlichkeit Im § 59 schreibt Kant: „Nun sage ich: das Schöne ist das Symbol des Sittlich-Guten" (V 353). Dies ist eine Aussage über das Schöne ganz allgemein. Aber können wir Spezifischeres zu den beiden Arten von Schönheit sagen, dem Naturschönen und dem Kunstschönen? Wie verhalten sie sich hier? Gibt Kant dem Naturschönen in Hinsicht auf das Sittlich-Gute einen Vorzug? Etwa wenn er schreibt: „Wenn ein Mann, der Geschmack genug hat, um über Producte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urtheilen, das Zimmer gern verläßt, in welchem jene die Eitelkeit und allenfalls gesellschaftliche Freuden unterhaltenden Schönheiten anzutreffen sind, und sich zum Schönen der Natur wendet, um hier gleichsam Wollust für seinen Geist in einem Gedankengange zu finden, den er sich nie völlig entwickeln kann: so werden wir diese seine Wahl selber mit Hochachtung betrachten und in ihm eine schöne Seele voraussetzen, auf die kein Kunstkenner und Liebhaber um des Interesse willen, das er an seinen Gegenständen nimmt, Anspruch machen kann." (§ 42, V 299f) Aber kann das Kunstschöne nicht ebenso wie das Naturschöne ein Symbol des Sittlich-Guten sein? Kann es nicht ebenso eine „Hypotypose" (§ 59, V 351), eine „Darstellung" (subiectio sub adspectum, exhibitio) des Sittlich-Guten sein? Solch eine Darstellung soll intuitiv, also eine Anschauung sein, und das trifft doch schließlich für Gemälde, Skulpturen und Symphonien zu. Ja, es lassen sich Elemente beim Kunstschönen aufzeigen, die zu einer „symbolischen Hypotypose" besonders geeignet sind und die sich nur beim Kunstschönen und nicht beim Naturschönen finden: nämlich die ästhetischen Ideen und das Genie (siehe unten). Und warum sollten diese Elemente nicht auch der symbolischen Darstellung des Sittlich-Guten dienen und so dem Kunstschönen einen Vorzug gegenüber dem Naturschönen verschaffen können? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir zuvor den Begriff des Symbols erläutern. Eine anschauliche Darstellung einer Vernunftidee kann niemals die objektive Realität dieser Idee beweisen und zu ihrer theoretischen Erkenntnis dienen (§ 59, V 351). Wir können zum Beispiel Gott oder Gerechtigkeit nicht sehen (und erkennen) wie wir einen Baum sehen können. Eine sinnliche Darstellung kann hier nur „symbolisch" sein. D. h. sie ist nicht eine direkte, sondern nur eine indirekte Darstellung. Kant nennt sie ganz allgemein „Hypotypose". Sie gibt eine Anschauung, mit der die Urteilskraft „vermittelst einer Analogie" ein

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„doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden" (§ 59, V 352). Das klingt recht abstrakt. Kant gibt daher ein Beispiel: Eine Handmühle kann als symbolische Darstellung eines despotischen Staates dienen. Wenn man sich vorstellt, wie eine Handmühle bedient wird und wie es dabei den Kaffeebohnen ergeht, so kann man sich ein Bild davon machen, wie es aussehen kann, wenn ein Staat „durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird" (ibid.). Hier ist dieser Staat der „ganz andere Gegenstand", von dem Kant spricht und von dem die Handmühle „nur das Symbol ist" (siehe oben). Wir reflektieren also über die Handmühle in einer Weise, die per Analogie bestimmte Züge eines despotischen Staates aufdeckt und dabei zugleich anschaulich macht. Kant bemerkt, daß unsere Sprache voll von derartigen indirekten Darstellungen ist: „So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), Abhängen (von oben Gehalten werden), woraus Fließen (statt Folgen)... symbolische Hypotyposen" (ibid.) für abstrakte Begriffe. In den jeweiligen Bedeutungsfeldern dieser Worte sind logische und anschauliche Bedeutungsverhältnisse miteinander verquickt. So habe ich zum Beispiel einen „Grund" dafür, daß ich dieses Beispiel gebe, vergleichbar damit wie ein Haus einen Grund und Boden als „Basis" hat auf dem es steht. Oder ich bin vielleicht von jemandem „abhängig", wie ein Mobile an einem Faden „von oben gehalten" wird. (Fraglich ist hier allerdings, ob dies tatsächlich Vernunftideen, oder nicht vielmehr Verstandesbegriffe sind, so daß man diese Darstellungen eher schematisch - siehe V 351 - als symbolisch nennen sollte. Aber dies soll uns hier weniger interessieren. Die Elemente der Reflexion und der Analogie, auf die es Kant hier ankommt, lassen sich anhand dieser Beispiele gut veranschaulichen.) Speziell für sittliche Ideen lassen sich auch leicht Beispiele symbolischer Darstellungen aufzeigen: „Wir nennen Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, oder Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, bescheiden, zärtlich genannt, weil sie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Bewußtsein eines durch moralische Urtheile bewirkten Gemüthszustandes Analogisches enthalten" (§ 59, V 354). In dieser Aufzählung finden wir Kunstschönheiten neben Naturschönheiten, wenn auch letzte überwiegen. Ein Element der Analogie zwischen unserer Reflexion über Schönheiten und unserer Reflexion über das Sittlich-Gute besteht nun darin, daß wir in Gedanken den Standpunkt anderer einnehmen, auf Universalität unseres Urteils reflektieren und dabei unser Urteil sozusagen an die gesamte Menschheit halten. Eine „Rücksicht" auf diese Analogie der Reflexion ist uns, so meint Kant, ganz „natürlich" (V 353) und „gewöhnlich" (V 354), und darüber hinaus muten wir sie anderen sogar „als Pflicht" zu (V 353). Damit haben wir also nach Kant eine Pflicht zur Schönheit (Henry Allison spricht von einer „beauty-duty"). Wer keinen Sinn für Schönheit (insbesondere Naturschönheit) hat, dem fehlt vielleicht

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die Fähigkeit, sich an die Stelle anderer zu versetzen; und um dies nachzuholen und zu üben, sollte er seinen Geschmack ausbilden. Er sollte das Schöne als Symbol des Sittlich-Guten sehen lernen. Daher machen wir ihm diese „Rücksicht" gleichsam zur Pflicht. Diese Pflicht ist so das Resultat einer Verbindung von Moral und Schönheit. Sie stammt letztlich aus der Moral. Besteht diese Verbindung, so macht der Geschmack „den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne einen zu gewaltsamen Sprung möglich" (V 354). Was hat nun all dies mit ästhetischen Ideen und Genie zu tun? Kant behandelt sie getrennt von seinen Ausführungen zum Symbol des Sittlich-Guten. Aber Bezüge zur Symbolik (zur „symbolischen Hypotypose") lassen sich leicht aufzeigen. Denn eine ästhetische Idee ist ein „Gegenstück (Pendant) von einer Vernunftidee" (§ 49, V 314). Sie ist eine „Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt" (ibid.) und „Anlaß giebt, sich über eine Menge von verwandten Vorstellungen zu verbreiten" (V 315). (Wittgenstein, der mit seinem Begriff der „Familienähnlichkeiten" eine - vielleicht sozusagen „verwandte" - Theorie im Bereich der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie verfolgt hat, müßte hier eigentlich Anklang und seine Freude gefunden haben.) Eine ästhetische Idee gehört darüber hinaus nach Kant zu denjenigen anschaulichen Vorstellungen, die „einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellectuellen Ideen) nahe zu kommen suchen" (§ 49, V 314). All dies paßt wunderbar zu Kants allgemeinen Ausfuhrungen zur symbolischen Hypotypose zu Beginn von § 59. Ja, es kommt noch besser: „Der Dichter wagt es, Vernunftideen von unsichtbaren Wesen, das Reich der Seligen, das Höllenreich, die Ewigkeit, die Schöpfung u.d.gl., zu versinnlichen", und zwar in einer Weise, „für die sich in der Natur kein Beispiel findet" (ibid.). Damit haben wir einen eindeutigen Vorzug des Kunstschönen gegenüber dem Naturschönen, und zwar sogar mit Bezug auf die Eignung zur symbolische Hypotypose, die doch für die Symbolik des Sittlich-Guten ausdrücklich gefordert ist. Nun ist das Genie besonders begabt im Umgang mit ästhetischen Ideen. Können wir daraus den Schluß ziehen, daß ein Genie Werke schafft, deren Schönheiten in bevorzugter Weise Symbole der Sittlichkeit sind? Ist ein Genie gar ein besonders sittlich-guter Mensch? Irgend etwas scheint hier schief zu liegen. So kann es wohl nicht sein. Dazu gibt es zu viel Eitelkeit unter Genies und zu viel „unsittliche" Kunst. Die Symbolik in einem Kunstwerk und die darin verwendeten ästhetischen Ideen kann man wohl als symbolische Hypotyposen ansehen. Aber die Begriffe, die so ausgedrückt werden, sind, besonders in der modernen Kunst, selten sittliche, bestenfalls sozial-kritische, und höchst selten Symbole für „das Sittlich-Gute". (Jedoch sollte man hier sogleich hinzufügen, daß Kants allgemeine Theorie der Hypotypose auch für die moderne und abstrakte Kunst, auch wenn diese nicht mehr schön sein will, noch durchaus relevant ist. Denn er versteht diese Hypotypose durchaus allgemein und abstrakt, so daß sie nicht unbedingt einen Bezug zum Schönen oder Guten haben muß. Es

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gibt ja noch andere Vernunftbegriffe, und Kunst könnte daher ein Symbol für etwas ganz anderes als das Sittlich-Gute sein.) Was bei dieser Heranziehung von Genie und ästhetischen Ideen schief gegangen ist, ist einfach, daß es viele verschiedene Arten symbolischer Darstellungen und von Analogien gibt, für das Sittlich-Gute aber eine ganz bestimmte Analogie gefordert ist, nämlich das Reflektieren auf die Mitteilbarkeit und Autonomie des eigenen Gefühls: Die Urteilskraft „giebt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des BegehrungsVermögens thut" (§ 59, V 353). Hierin besteht die Analogie, die Kant im Sinne hat, und diese ist weit entfernt von Analogien ästhetischer Ideen, die zu „unsichtbaren Wesen", dem „Reich der Seligen", der „Ewigkeit", der „Schöpfung" u. dgl. passen und derer Dichter sich bedienen (siehe oben). Derartige ästhetische Ideen sind zu konkret und zu sehr inhaltlicher Natur, als daß sie zum Symbol des Sittlich-Guten, so wie Kant es im Auge hat, taugen. Die Analogie, die zum Sittlich-Guten gefordert wird, ist von einer ganz anderen Art. Sie ist formaler und liegt mehr im urteilenden Subjekt begründet (Anspruch auf Mitteilbarkeit, Autonomie). Der Vorzug des Kunstschönen, Genie und ästhetische Ideen (die tatsächlich symbolische Darstellungen sind) einzubeziehen, hat sich also in Hinsicht auf das Sittlich-Gute als belanglos herausgestellt. Denn die zum Sittlich-Guten geforderte Analogie liegt weniger im Gegenstand (einschließlich der vom Genie geschaffenen ästhetischen Ideen), als vielmehr in unserer Art über ihn und unser Wohlgefallen (nämlich mit Bezug auf andere Menschen) zu reflektieren. All dies entspricht auch dem „Idealismus der Zweckmäßigkeit" als Prinzip der Urteilskraft (§ 58). Die Schönheit der Gegenstände liegt nicht in objektiven Zwecken derselben (Realismus der Zweckmäßigkeit), sondern in unserer Betrachtung und Beurteilung begründet. Kant sprich mit Bezug auf diese Idealität vom ,,Intelligibele[n], worauf ... der Geschmack hinaussieht" (§ 59, 353). Wir fühlen, daß wir in die Natur passen, daß Freiheit und Natur miteinander verträglich sind, und daß „das theoretische Vermögen mit dem praktischen auf gemeinschaftliche und unbekannte Art zur Einheit verbunden" ist (V 353). An dieser Stelle kommt ein Aspekt des Naturschönen zur Geltung, der diesem letztlich den Vorzug gegenüber dem Kunstschönen in Bezug auf die Eignung zum Symbol der Sittlichkeit verschafft. Dieser Vorzug liegt in gewissen teleologischen Betrachtungen, die Kant im § 42 unter dem Titel „Vom intellectuellen Interesse am Schönen" einführt. Ob ein Interesse am Kunstschönen auch ein Zeichen einer moralischen Veranlagung ist, mag zu Recht bezweifelt werden. „Dagegen aber behaupte ich", so schreibt Kant, „daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurtheilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemüthsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Na-

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tur gerne verbindet" (V 298f). Dieses Interesse ist unmittelbar, weil man es auch einsam und unabhängig von der Gesellschaft (nicht wie das empirische Interesse in Abhängigkeit von ihr) empfindet. Es ist auf das Dasein der Natur gerichtet, darauf, daß wir in ihr Blumen und Vögel mit ihrem Gesang, wie etwa dem einer Nachtigall, antreffen, die wie zu unserer Freude geschaffen zu sein scheinen, ohne daß wir ihr diesen Zweck nachweisen könnten. „Daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleiten; und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare Interesse, was man daran nimmt" (V 299). Es ist dieser Gedanke, der das Interesse zu einem intellektuellen Interesse macht und dem Naturschönen vor dem Kunstschönen einen „Vorzug" gibt. Er ist außerdem intellektuell in einem besonderen Sinne, weil er ein Interesse erzeugt, das der Reflexion im moralisch-praktischen Bereich ähnlich ist. Beim Naturschönen besteht diese Interesse darin, die Natur in ihrem Dasein zu erhalten, im Bereich der Moral, eine Handlung zu verwirklichen. Darüber hinaus gibt es noch ein allgemeines Interesse der Vernunft, nämlich „daß die Ideen (für die sie im moralischen Gefühle ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objective Realität haben, d.i. daß die Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in sich irgend einen Grund, eine gesetzmäßige Übereinstimmung ihrer Producte zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen ... anzunehmen" (V 300). Dieses Vernunftinteresse wird im Naturschönen befriedigt. Wir passen in die Natur und haben Grund zur Hoffnung, ein Reich der Zwecke in der Natur, oder zumindest neben ihr, zu verwirklichen. Dieses Interesse enthält einen teleologischen Aspekt und diesen gibt es nur beim Naturschönen, und auch nur bei jemandem, der „vorher schon sein Interesse am Sittlich-Guten wohlgegründet hat" (V 300). Da es mit dem moralischen verwandt ist, machen wir es sogar anderen zur Pflicht (V 302, 351). So haben wir eine Pflicht bezüglich der Naturschönheit, vermittelt durch eine Pflicht in Bezug auf die Menschenheit. Odo Marquard fragt gegen Ende seines Aufsatzes „Kant und die Wende zur Ästhetik", ob, nachdem Kant zuerst auf die Ohnmacht der wissenschaftlichen (theoretischen) und dann auf die Ohnmacht der moralischen (praktischen) Vernunft gestoßen und schließlich in der Ästhetik Zuflucht zu suchen gezwungen gewesen sei, ob er nun in dieser Ästhetik ein Instrument oder einen Ersatz sah. Die Romantik habe sich im Anschluß an Kant für die Ersatzfunktion entschieden, Kant hingegen hätte dies offen gelassen. Er habe noch „zu viele Eisen im Feuer" (252) gehabt. Mir scheint, Kant läßt in der Tat in seiner dritten Kritik viele Enden offen, und zwar auf geniale Weise. Aber mir scheint auch, daß er die Ziele der praktischen Vernunft dabei nicht aus den Augen verloren und in seiner dritten Kritik keinen Ersatz gesehen hat, sondern vielmehr einen neuen Zugang mit neuen Einsichten, die zwar nicht direkt als Instrument, aber doch zur Stütze des Ganzen dienen können. Kant wurde dabei allerdings ein wenig, wie Allen Wood einmal sagte, „opportunistic", indem er, an Stelle strenger Gesetze, diverse Winke in der Natur suchte. Marquard fragt: „Gehört die Ästhetik zur Vorhut oder zum Trauergefolge der geschichtlich-vernünftigen Aufgabe? Ist

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das Schöne als Symbol des Sittlichen Stimulans der Verwirklichung oder Sedativ angesichts ihrer Aussichtslosigkeit? Ist es ... Instrument

oder Ersatz der poli-

tischen Verwirklichung, der geschichtlichen Vernunft?" (251) M i r scheint weder das eine noch das andere der Fall zu sein. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit läuft vielmehr parallel, weder vorneweg, noch hinterher. U n d von Trauer kann schon gar nicht die Rede sein. Die Symbolisierung ist keine Realisierung, und sie soll und kann es auch nicht sein. Für finanzielle Unterstützung sei dem National Science Council Taiwans und für hilfreiche Bemerkungen Sho Saito gedankt.

Literatur Allison , Henry: Kant's Theory of Taste. A Reading of the Critique of Judgment. Cambridge University Press, 2001. Aristotle : De Anima. With Translation, Introduction and Notes by Robert Drew Hicks. Arno Press, New York 1976. Kant , Immanuel: Kants gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, seit 1911. Marquardt Odo: Kant und die Wende zur Ästhetik (1962), in: Zur Kantforschung der Gegenwart. Herausgegeben von Peter Heintel und Ludwig Nagl. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1981. S. Thomae Aquinatis: Opera Omnia (7 Bde.), Bd. 4: Commentaria in Aristotelem et Alios. Friedrich Frommann Verlag Günther Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980. — A Commentary on Aristotle's De Anima. Translated by Robert Pasnau. Yale library of medieval philosophy. Yale University Press, New Haven & London 1999. — Die Seele. Erläuterungen zu den drei Büchern des Aristoteles „Über die Seele". Übertragen und eingeleitet von Alois Mager. Thomas-Verlag Jakob Hegner in Wien 1937. Tiffany , Monika Katharina: Der Begriff des sensus communis in Kants Kritik der Urteilskraft - Eine historische und systematische Analyse. Dissertation. Zürich 2002. Wenzel , Christian Helmut: Beauty, Genius, and Mathematics. Why Did Kant Change His Mind?, in: History of Philosophy Quarterly, vol. 18, 4/2001, 415-432.

I I I . Grundlegungen: Teleologie

Transzendentaler Idealismus und Naturteleologie in Kants „Kritik der Urteilskraft" Peter Rohs

In meinem Aufsatz möchte ich untersuchen, inwieweit Kants transzendentaler Idealismus eine systematisch unentbehrliche Voraussetzung ist für seine Behandlung des Teleologieproblems. Als die zentrale These dieses Idealismus sehe ich an, dass Raum und Zeit Anschauungsformen des erkennenden Subjekts sein sollen und deshalb keine Eigenschaften von Dingen an sich (also Entitäten, die unabhängig von unserem Erkennen wirklich sind) sein können (KrV, B 42). Aus dieser These ergibt sich, dass unterschieden werden muss zwischen einem Bereich von Entitäten, denen keine raumzeitlichen Bestimmungen zukommen, dem „mundus intelligibilis", und einem Bereich von Entitäten, die solche Bestimmungen haben, dem „mundus sensibilis". Auf Elemente des ersten Bereichs kann nicht anschaulich referiert werden, da jede anschauliche Bezugnahme an die Anschauungsformen gebunden ist. Weil alle Erkenntnis direkt oder indirekt von Anschauung abhängt, folgt weiter, dass es keine Bezug nehmende Erkenntnis von Dingen an sich geben kann. Das schließt nicht aus, dass in transzendentalphilosophischer Reflexion sich sehr wohl etwas über sie sagen lässt (z. B. schon, dass sie keine räumlichen und zeitlichen Eigenschaften haben). Für Kants Behandlung des Teleologieproblems ergeben sich aus dieser Konzeption wichtige Folgerungen. Sie schließt ein, dass jedem phänomenalen Gegenstand ein „übersinnliches Substrat" zugrundeliegen muss. Im Kontext der Erörterung der Naturteleologie erwähnt Kant wiederholt derartige Substrate (KU, AA V, 377, 412, 414 u. ö.). Die Frage, um die es im folgenden geht, ist, in welcher Hinsicht ihnen im Rahmen des kantischen Gedankenganges eine essentielle Rolle zukommt, ob also die übersinnlichen Substrate ohne ernsthaften Schaden für die Theorie wegbleiben können oder nicht. Kant war sich durchaus im klaren darüber, dass seine Theorie von Raum und Zeit die systematische Grundlage der gesamten kritischen Philosophie ist, aber da er fest davon überzeugt war, dass es sich bei ihr um „demonstrierte Wahrheit" (AA XX, 268) handele, war aus seiner Sicht gegen diese Abhängigkeit nichts einzuwenden. Das ändert sich allerdings, wenn Zweifel aufkommen, ob wirklich eine demonstrierte Wahrheit vorliegt. An die Verteidigung der These, dass Kants Theorie ohne übersinnliche Substrate unhaltbar ist, möchte ich darum Überlegungen anschließen zu der Frage, wie sie fortentwickelt werden

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müsste, wenn eine Transformation der transzendentalen Ästhetik sich als unabweisbar erweist. Die Frage nach der Funktion des transzendentalen Idealismus innerhalb der „Kritik der Urteilskraft" kann in drei Teilfragen unterteilt werden. In der Einleitung zu ihr entwickelt Kant Thesen über ihren systematischen Ort im Gefuge der drei Kritiken. Dabei wird die „idealistische Kluft" zwischen Übersinnlichem und Sinnlichem Ausgangspunkt der Überlegungen. Zweitens soll gefragt werden, was die Funktion der übersinnlichen Substrate für die eigentliche Naturteleologie ist, was also die zweckmäßige Verfassung von Lebewesen mit ihnen zu tun hat. Und drittens hat auch die Theorie des Endzwecks, die Kant im Rahmen der Methodenlehre entwickelt, idealistische Prämissen. Zunächst nun zur Einleitung. Kant unterscheidet dort das Gebiet des Naturbegriffs von dem des Freiheitsbegriffs: „Der Verstand ist a priori gesetzgebend für die Natur, als Objekt der Sinne, zu einem theoretischen Erkenntnis derselben in einer möglichen Erfahrung. Die Vernunft ist a priori gesetzgebend für die Freiheit und ihre eigene Kausalität, als das Übersinnliche in dem Subjekte, zu einem unbedingt-praktischen Erkenntnis. Das Gebiet des Naturbegriffs unter der einen und das des Freiheitsbegriffs unter der anderen Gesetzgebung sind gegen allen wechselseitigen Einfluss, den sie für sich (ein jedes nach seinen Grundgesetzen) aufeinander haben könnten, durch die große Kluft, welche das Übersinnliche von den Erscheinungen trennt, gänzlich abgesondert." (KU, AA V, 195) Ein Übergang zwischen ihnen muss aber schon deswegen möglich sein, weil die freien Handlungen ja letztlich doch in der Sinnenwelt stattfinden. Hier tritt nun die Urteilskraft ein: sie gibt den vermittelnden Begriff zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriff in dem Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur an die Hand (ebd. 196). Die „Kritik der Urteilskraft" wird so zu einem „Verbindungsmittel der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen" (ebd. 176). Der Begriff der Zweckmäßigkeit wird dann von Kant so bestimmt, dass er fiir die vorgesehene Rolle tauglich ist. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriff ist der Endzweck (ebd. 195), dessen Möglichkeit in der Natur für uns nur daran erkennbar ist, dass wir die Natur überhaupt als zweckmäßig verfasst voraussetzen dürfen: „... denn dadurch (durch den Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur, P. R.) wird die Möglichkeit des Endzwecks, der allein in der Natur und mit Einstimmung ihrer Gesetze wirklich werden kann, erkannt" (ebd. 196). Für die Struktur des Gesamtsystems hat die Theorie der Naturteleologie also nur eine subsidiäre Bedeutung. Das eigentliche Ziel der „Kritik der Urteilskraft" ist die Theorie des Endzwecks, die ab § 84 vorgetragen wird. Die Naturteleologie hat die Aufgabe, die Möglichkeit dieses Endzwecks verständlich zu machen. Insbesondere ist der Mensch als Sinnenwesen eine Bedingung der Möglichkeit des Endzwecks in der Natur. Wenn es keine Menschen gäbe, hätte das Universum keinen Endzweck. In der Einleitung wird das nur angeführt, in § 84 ausfuhrlich begründet. Die Funktion der Naturteleologie ist also, dass sie möglich macht,

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dass es Wesen gibt, die zugleich sinnlich und frei sind. In ihnen treffen die beiden durch die „große Kluft" getrennten Gebiete zusammen. Der Mensch als moralisches Wesen ist Endzweck der Schöpfung (ebd. 435); zum Verständnis seiner Möglichkeit müssen wir die Natur auch über ihn hinaus als zweckmäßig organisiert ansehen. Dies alles ist für Kant aber nur möglich durch die Beziehung auf das Übersinnliche, also gebunden an die Idealität von Raum und Zeit. Kant unterscheidet drei Weisen der Beziehung auf das Übersinnliche, die er den drei Vermögen Verstand, Urteilskraft und Vernunft zuordnet (ebd. 196). Die grundlegende Form dieser Beziehung, die die Basis abgibt für die folgenden, beschreibt er wie folgt: „Der Verstand gibt durch die Möglichkeit seiner Gesetze a priori für die Natur einen Beweis davon, dass diese von uns nur als Erscheinung erkannt werde, mithin zugleich Anzeige auf ein übersinnliches Substrat derselben, aber lässt dieses gänzlich unbestimmt." Synthetische Urteile a priori über die Natur sind, wie Kant wiederholt hervorhebt, nur deswegen möglich, weil wir es in ihr nur mit Erscheinungen zu tun haben. Wären die Dinge der Natur im transzendentalen Sinne real, d. h. unabhängig von unserem Erkennen und Wissen, könnte es synthetische Urteile a priori von ihnen nicht geben. Wir könnten nichts in sie hineinlegen, ihre Gesetze würden ihnen zukommen auch ohne einen Verstand, der sie erkennt. Wenn also als gesichert gelten kann, dass es synthetische Urteile a priori über die Natur gibt (und für Kant stand dies fest), dann ist damit „bewiesen", dass die Natur nur den Status einer Erscheinung haben kann, was zugleich besagt, dass ihr ein übersinnliches Substrat zugrundeliegen muss. In diesem Sinn gibt der Verstand „Anzeige auf ein übersinnliches Substrat". Aber er lässt es unbestimmt, weil er nur angeben kann, was er selbst, allerdings zusammen mit der Anschauung, in die Erscheinungen hineinlegt. Dies ist zwar eine Erkenntnis von diesem Übersinnlichen, aber lediglich in der intentio obliqua, in der transzendentalen Reflexion. Es muss aber festgehalten werden, dass für Kant das Faktum der synthetischen Urteile a priori beweist, dass es für alle Gegenstände der erscheinenden Natur übersinnliche Substrate gibt. An diese fundamentale Beziehung auf das Übersinnliche schließt sich eine zweite an: „Die Urteilskraft verschafft durch ihr Prinzip a priori der Beurteilung der Natur nach möglichen besonderen Gesetzen derselben ihrem übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns) Bestimmbarkeit durch das intellektuelle Vermögen." (ebd. 196) Nun wird gesagt, dass die Urteilskraft über ein Prinzip a priori verfügt, um über die Natur im Hinblick auf deren besondere Gesetze, die also nicht durch die konstitutiven Grundsätze des Verstandes festgelegt sind, zu urteilen, und dass sie dadurch dem übersinnlichen Substrat sowohl in uns als außer uns Bestimmbarkeit verschafft. Dies Prinzip ist das der formalen Zweckmäßigkeit der Natur, von dem Kant hat beweisen wollen, dass es ein transzendentales Prinzip ist, d. h. Bedingungen angibt, unter denen Dinge allein Objekte unserer Erkenntnis werden können (ebd. 181). Es ist wichtig, dass für Kant die apriorischen Prinzipien des Verstandes zwar notwendig sind dafür, dass Natur-

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dinge Gegenstände der Erfahrung werden können, dass sie dafür aber keineswegs hinreichend sind. Wie Kant mit Recht bemerkt, könnte eine Natur, in der alle Verstandesgesetze erfüllt sind, noch immer so chaotisch sein, dass Erfahrung (und erst recht Erfahrung als ein zusammenhängendes umfassendes System) unmöglich wäre. Das ist heute noch viel einsichtiger als zu Kants Zeiten; man bedenke nur, welche unwahrscheinlichen Feinabstimmungen erfüllt sein müssen, damit es überhaupt zu stabiler Materie kommt. Kant schließt also: „... so muss die Urteilskraft für ihren Gebrauch es als Prinzip a priori annehmen, dass das für die menschliche Einsicht Zufällige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich möglichen Erfahrung enthalte" (ebd. 183 f.). Wir müssen uns also eine Einheit, die für uns zufällig ist, doch als gesetzlich bestimmt denken. Dieser Gedanke ist jedoch nur sinnvoll, wenn wir voraussetzen, dass den Phänomenen ein übersinnliches Substrat zugrunde liegt. In dieses kann die Einheit verlegt werden, die innerhalb der Phänomene offenbar fehlt. Auch unter dieser Prämisse hat das Prinzip jedoch nur die Bedeutung einer heuristischen Maxime: es wird nichts dem Objekt beigelegt, „sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen", vorgestellt (ebd. 184). Es gibt nach Kant also Forschungsmaximen, die nur auf dem Boden des transzendentalen Idealismus sinnvoll angenommen werden können und ohne diese Basis als sinnlos gelten müssten. Eine solche Maxime ist, dass da, wo wir bloß Zufall sehen, doch eine gesetzlich bestimmte Einheit unterstellt werden kann. Auch bei derartigen Forschungsmaximen spricht Kant von einer „transzendentalen Deduktion" (ebd. 182). Diese hat nicht nur die Brauchbarkeit, ja Unentbehrlichkeit solcher Maximen zu erweisen - wir können, wie Kant sagt, nur so „mit dem Gebrauch unseres Verstandes in der Erfahrung fortkommen und Erkenntnis erwerben" (ebd. 186) - sondern sie muss auch die Basis sichern, aufgrund deren wir solche Maximen annehmen dürfen. Dazu gehört vor allem die Bezugnahme auf das übersinnliche Substrat. Weil es dieses gibt, können wir ein Prinzip der Einheit als möglich voraussetzen, ohne es bestimmt zu erkennen. Wenn es jenes Substrat nicht gäbe, dürften wir diese Voraussetzung nicht machen. In diesem Sinne gilt, dass die Urteilskraft dem übersinnlichen Substrat der Natur „Bestimmbarkeit verschafft". Sie lässt aufgrund ihres Prinzips a priori eine Aussage über es zu, die unabhängig davon unbegründet wäre, und liefert so einen konkreteren Hinweis auf es, als in den Gesetzen des Verstandes enthalten ist. Bei dem Problem der Naturteleologie ist darauf zurückzukommen, denn auch bei ihm geht es um eine Form der Einheit, die ohne übersinnliches Substrat undenkbar ist. Schließlich nimmt Kant noch eine dritte Beziehung auf das Übersinnliche an, die zur praktischen Vernunft gehört: „Die Vernunft aber gibt eben demselben durch ihr praktisches Gesetz a priori die Bestimmung ..." (ebd. 196). „Eben demselben" - das meint wieder das übersinnliche Substrat. Im Sittengesetz sind

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wir uns einer Bestimmung unserer Freiheit bewusst, für die ein sinnlicher Ursprung undenkbar ist, so dass wir in diesem besonderen Fall etwas Bestimmtes über es wissen. In Kants Augen bleibt aber auch diese dritte Beziehung von der ersten, d. h. dem Beweis des Verstandes abhängig. Wie es z. B. in der Vorrede zur zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" heißt, müssten „Freiheit und mit ihr Sittlichkeit dem Naturmechanism den Platz einräumen" (B XXIX), wenn nicht der Verstand durch seine „Anzeige" auf das übersinnliche Substrat Freiheit zumindest als möglich erwiesen hätte. Darum, dem Naturmechanismus den erforderlichen Platz abzufordern, geht es auch bei der Frage der Naturteleologie. Kants Fazit aus den drei Beziehungen auf das Übersinnliche lautet: „... und so macht die Urteilskraft den Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich" (KU, AA V, 196). Das übersinnliche Substrat ist also in allen drei Fällen unentbehrlich, aber in verschiedenen Hinsichten. Seine Funktion wird zunehmend konkreter, so dass wir trotz der fundamentalen Unerkennbarkeit desselben mehr über es sagen können. Für Kant kommt es vor allem darauf an, dass die Möglichkeit, dem Besonderen der Natur eine gesetzlich bestimmte Einheit zugrunde zu legen, d. h. die Natur als zweckmäßig zu beurteilen, eine Voraussetzung dafür ist, dass der von der Freiheit vorgeschriebene Endzweck in ihr denkbar wird. In einer generell zwecklosen Natur könnte es auch keinen Endzweck geben. Die Geltung des Sittengesetzes beweist nicht, dass die Natur zweckmäßig verfasst ist, aber die Beziehung zwischen übersinnlichem Substrat und Erscheinung, die vorausgesetzt ist, wenn das Sittengesetz für ein Sinnenwesen wie den Menschen gelten soll, legt doch die Existenz einer schwächeren Beziehung zwischen beiden Seiten nahe, die nicht auf den Menschen beschränkt ist, sondern sich auch bei anderen Naturwesen und letztlich bei der Natur insgesamt findet. Diese schwächere Beziehung dokumentiert sich darin, dass eine teleologische Beurteilung der Natur möglich ist. Die erscheinende Natur ist aufgrund dieser Beziehung nicht so beschaffen, dass eine teleologische Verfasstheit positiv ausgeschlossen werden muss. Auch eine Als-obBetrachtung setzt voraus, dass das, um das es geht, zumindest möglich ist, und diese Möglichkeit muss unabhängig von ihr bewiesen werden. Und die Möglichkeit einer zweckmäßigen Verfasstheit der Natur ergibt sich für Kant aus der spezifischen Beziehung, die sie zu ihrem übersinnlichen Substrat hat. Wenn es kein übersinnliches Substrat der Natur gäbe, dann könnte eine zweckmäßige Verfasstheit derselben positiv ausgeschlossen werden. Dann aber würde man mit einer Betrachtungsweise, als ob sie so beschaffen wäre, nur sich selbst betrügen. Kontrafaktische Idealisierungen sind ein wichtiges wissenschaftliches Hilfsmittel, aber wenn es wie im vorliegenden Fall um grundlegende Eigenschaften der Wirklichkeit geht, sollte gelten: Wenn man weiß oder auch nur wissen kann, dass p gar nicht der Fall sein kann, dann darf man nicht so tun, als ob p. Der Beweis aber, dass eine bestimmte Perspektive möglich ist, muss unabhängig von ihr selbst erfolgen. Das gilt auch für Freiheit und die Möglichkeit, den Menschen als moralisch verantwortliches Wesen zu betrachten. Für Kant

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hängt dieser Beweis ab von den Idealitätsthesen und der sich aus ihnen ergebenden Unterscheidung von Übersinnlichem und Sinnlichem. Insofern bleibt die „Anzeige", die der Verstand auf das übersinnliche Substrat gibt, für alles Folgende von grundlegender Bedeutung. Die Moralität allein könnte die Unterscheidung nicht rechtfertigen, denn Freiheit ist ohne die Idealität der Zeit „nicht zu retten" (KpV, AA V, 95 u. 101; vgl. KrV, B 564). Erst recht wären teleologische Überlegungen für sich allein dazu viel zu schwach. Die Lebewesen mögen so zweckmäßig aussehen wie sie wollen, ohne die Anzeige des Verstandes auf das übersinnliche Substrat gäbe es keine Rechtfertigung für eine teleologische Perspektive auf sie. Sowohl die Moralität wie die zweckmäßige Verfasstheit der Natur sind Indikatoren für die Existenz des übersinnlichen Substrats (und zwar die Moralität ein gewichtigeres), aber beide bleiben angewiesen auf die Anzeige des Verstandes und die theoretische Rechtfertigung des transzendentalen Idealismus. Was also die Funktion der „Kritik der Urteilskraft" für die systematische Einheit der drei Kritiken betrifft, so ist die von Kant entfaltete Problematik durchgängig abhängig von der Konzeption des transzendentalen Idealismus. Die Unterscheidung von mundus intelligibilis und mundus sensibilis geht auf platonische und neuplatonische Quellen zurück. Kant hat diesen ontologischen Dualismus mit einem neuen, erkenntnistheoretischen Fundament versehen. Raum und Zeit sollen als Anschauungsformen erwiesen worden sein, was den Dualismus zur Folge hat. Wenn Kant den Spinozismus, in dem Raum und Zeit zu Bestimmungen des Urwesens selbst werden, als einzige rationale Alternative zum transzendentalen Idealismus bezeichnet (KpV, AA V, 100), dann besagt das, dass er den unbefangenen ontologischen Dualismus der platonischen Tradition nicht mehr als akzeptabel ansieht. Wenn sich dieser Dualismus nicht über die Idealität von Raum und Zeit erweisen lässt, dann muss er aufgegeben werden. Raum und Zeit sind dann „Bestimmungen des Urwesens selbst"; es gibt keine intelligible Wirklichkeit außer Raum und Zeit. Es bedarf dann auch keiner Zweckmäßigkeit der Natur, um die Kluft zwischen beiden Welten zu überbrücken. Kant sieht zwar im Spinozismus eines der vier dogmatischen Systeme über die Zweckmäßigkeit der Natur (KU, AA V, 391, 393), aber die „große Kluft, welche das Übersinnliche von den Erscheinungen trennt" (ebd. 195), existiert in diesem System nicht. Die Frage, ob die Natur zweckmäßig verfasst ist oder nicht, kann freilich auch dann aufgeworfen werden. Was Kants Antwort auf sie wäre, ist deutlich: nicht nur Freiheit und Sittlichkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Natur müssten dann dem Naturmechanismus „den Platz einräumen". Es sieht so aus, als sei die moderne Naturwissenschaft dem weitgehend gefolgt. Die generelle Funktion des übersinnlichen Substrats liegt damit fest. Die „Kritik der reinen Vernunft" sagt, dass es solche Substrate schon deswegen geben muss, weil andernfalls synthetische Urteile a priori über die Natur unmöglich wären. Wenn es aber solche Substrate nicht nur überhaupt geben muss,

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sondern sie im Fall des freien, unter moralischen Gesetzen stehenden Handelns sogar bestimmenden Einfluss haben können auf Vorgänge, die in der raumzeitlichen Welt stattfinden, dann entstehen Vermittlungsprobleme, die auf speziellere Funktionen dieser Substrate hinweisen. Es wird erkennbar, dass sie mehr sein müssen als eine bloß negative Folie für die erscheinende Natur, dass sie eine positive Funktion haben müssen nicht nur für den freien Menschen, sondern die Natur insgesamt. Kant erwähnt in diesem Kontext nicht, dass schon die angenommene Affektion durch Dinge an sich eine positive Funktion übersinnlicher Substrate darstellt. Dass das Vermittlungsproblem entsteht, begründet er allein mit der Realität von Freiheit. Eine Konkretisierung dieser Konzeption wird im Rahmen der Auflösung der „Antinomie der Urteilskraft" in § 77 und 78 der „Kritik der Urteilskraft" entwickelt. McLaughlin hat die Antinomie und ihre Auflösung eingehend interpretiert (Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft, Bonn 1989); an zahlreiche seiner Ergebnisse kann hier angeknüpft werden. So macht er gegen eine Reihe von Interpreten überzeugend klar, dass die Auflösung der Antinomie nicht schon darin besteht, dass man konstitutive Prinzipien in Regeln für die Urteilskraft verwandelt; die Antinomie besteht gerade zwischen den regulativen Grundsätzen (a.a.O. 126). Desgleichen weist er daraufhin, dass der Mechanismus, um den es in dieser Antinomie geht, nicht mit Kausalität überhaupt identifiziert werden darf, weil für diese ja feststeht, dass sie konstitutiv gilt (ebd. 128). Für ihn besteht der Unterschied darin, dass im Mechanismus ein Ganzes reduktionistisch aus seinen Teilen erklärt werden muss, während das allgemeine Kausalitätsprinzip darüber nichts sagt. Der Mechanismus sei also nicht mit der Mechanik der Newtonschen Physik zu verwechseln. In meinen Augen entspricht der Terminus „Mechanismus" jedoch durchaus dem, was man heute „Physikalismus" nennt. Kant durfte annehmen, dass zu seiner Zeit mechanisch unerklärbare Phänomene (Licht, elektrische und magnetische Vorgänge) eines Tages mechanisch erklärbar sein würden. „Mechanistisch" heißt dann im wesentlichen „nicht psychologisch". Der Wille ist für Kant „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt" (KU, AA V, 172), er ist aber keine mechanische Ursache. Phänomene des inneren Sinnes sind für Kant prinzipiell nicht auf solche des äußeren zu reduzieren. Er definiert z. B. mechanische Kräfte als nicht psychologische (ebd. 177) und den „Mechanismus der Natur" als eine „Kausalverbindung, zu der nicht ausschließungsweise ein Verstand als Ursache angenommen wird" (ebd. 406; ähnlich z. B. 369). Artefakte sind also materielle Gegenstände, die nicht mechanistisch erklärt werden können, weil man dabei auf die Absichten der Hersteller einzugehen hat. Der „Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich" (ebd. 387) gilt also schon deswegen nicht uneingeschränkt. Allerdings verwendet Kant den Ausdruck „Mechanismus" gelegentlich auch im allgemeinen Sinn von „Determinismus", der auch psychologisch sein kann. So sollen nach Kant z. B. Handlungen durch die Denkart des Handelnden determiniert

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sein. Auch in diesem Fall spricht er von „Mechanismus", obwohl die Gesetze psychologische Gesetze sein müssen. Die Antinomie betrifft jedoch gerade die Maximen, die „nicht wohl nebeneinander bestehen zu können den Anschein haben" (ebd. 386). Kant unterstellt, dass zwei Maximen nur dann miteinander vereinbar sind, wenn zumindest als möglich nachgewiesen werden kann, dass das, was sie fordern, auch objektiv vereinbar ist. Wenn also gälte, dass es nicht möglich ist, dass ein und derselbe Gegenstand sowohl nach mechanischen wie nach teleologischen Gesetzen entstanden ist, dann dürfte man auch nicht die entsprechenden beiden Maximen annehmen, sowohl alle Erzeugung materieller Dinge nach bloß mechanischen Gesetzen möglich zu beurteilen als auch in einigen Fällen eine Erzeugung nach Endursachen zu vermuten. Wir müssen nicht im einzelnen einsehen können, dass und wie beide Entstehungsarten miteinander vereinigt sind, aber wir müssen nachweisen können, dass eine Vereinigung nicht unmöglich ist. Und dieser Nachweis kann nicht in dem bloßen Rückzug auf Forschungsmaximen und dem Verzicht auf objektiv gültige Aussagen bestehen. Bei zwei Maximen wird also ihre Kompossibilität benötigt, die nicht schon darin liegt, dass es sich bloß um Maximen handeln soll. Dieser Aufweis der erforderlichen Kompossibilität beider Maximen erfolgt in den §§ 77 und 78. Dabei wird auch deutlich, was die Funktion des übersinnlichen Substrats dabei ist: „Das Prinzip, welches die Vereinbarkeit beider (Erklärungsarten, P. R.) in Beurteilung der Natur nach denselben (ebenfalls Erklärungsarten, P. R.) möglich machen soll, muss in dem, was außerhalb beiden (mithin auch außer der möglichen empirischen Naturvorstellung) liegt, von dieser aber doch den Grund enthält, d. i. im Übersinnlichen, gesetzt und eine jede beider Erklärungsarten darauf bezogen werden." (ebd. 412). Die Auflösung der Antinomie zwischen beiden Maximen beruht demnach darauf, das es ein Prinzip gibt, das die Vereinbarkeit möglich macht; dieses Prinzip kann nur im Übersinnlichen liegen; beide Erklärungsarten (also auch die mechanistische) müssen auf dies Prinzip bezogen werden. Darin liegt, dass es ohne Übersinnliches keine Auflösung der Antinomie gibt. McLaughlin meint, der „bloße Hinweis z. B. auf die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich oder auf andere Selbstverständlichkeiten" könne keine Lösung bringen (a.a.O. 118). Aber diese Unterscheidung ist zumindest notwendig für eine Lösung. Kant war interessiert an dem Nachweis, dass sein transzendentaler Idealismus Lösungsmöglichkeiten für viele philosophische Probleme bietet, die ohne ihn unlösbar bleiben. Zu diesen Problemen gehört auch das der Naturteleologie. Es heißt z. B., dass eine solche Verknüpfung des Mannigfaltigen, wie sie für eine mechanistische Erklärung von Organismen benötigt wird, für jeden Verstand unmöglich würde, wenn wir berechtigt wären, materielle Wesen als Dinge an sich selbst anzusehen (KU, AA V, 408 f.).

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Ist der Hinweis auf die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich schon hinreichend für die Auflösung der Antinomie? Hier stehen wir vor der Schwierigkeit, dass wir von dem Übersinnlichen nichts wissen können. Es kann also nicht präzise angegeben werden, auf welche Weise es die Vereinbarkeit beider Erklärungsarten ermöglicht: „Wenn aber dieses objektiv-gemeinschaftliche und also auch die Gemeinschaft der davon abhängenden Maxime (ich verstehe „Maximen", P. R.) der Naturforschung berechtigende Prinzip von der Art ist, dass es zwar angezeigt, nie aber bestimmt erkannt und für den Gebrauch in vorkommenden Fällen deutlich angegeben werden kann: so lässt sich aus einem solchen Prinzip keine Erklärung, d. i. deutliche und bestimmte Ableitung, der Möglichkeit eines nach jenen zwei heterogenen Prinzipien möglichen Naturprodukts ziehen. Nun ist aber das gemeinschaftliche Prinzip der mechanischen einerseits und der teleologischen Ableitung andererseits das Übersinnliche, welches wir der Natur als Phänomen unterlegen müssen." (ebd. 412). Und ein wenig später: wir dürfen getrost beiden den Naturgesetzen gemäß nachforschen, „weil wenigstens die Möglichkeit, dass beide auch objektiv in einem Prinzip vereinbar sein möchten (da sie Erscheinungen betreffen, die einen übersinnlichen Grund voraussetzen), gesichert ist" (ebd. 413). Kant verlangt also auch für die Forschungsmaximen, dass die objektive Vereinbarkeit der beiden in Anspruch genommenen Prinzipien nachgewiesen wird. Wenn diese nicht gesichert wäre, dürften wir nicht beiden Maximen folgen, sondern müssten uns für eine entscheiden. Die verlangte Vereinbarkeit kann zwar nicht bestimmt aufgewiesen, wohl aber so weit „angezeigt" werden, dass an der Berechtigung beider Maximen der Naturforschung (d. h. an ihrer Kompossibilität) kein Zweifel sein kann. Kant lässt keinen Zweifel daran, dass auch die mechanistische Maxime von diesem Prinzip abhängig ist. Auch deren „Berechtigung" ergibt sich nicht allein aus den Analogien der Erfahrung, weil in diesen gar nicht von Arten der Kausalität die Rede ist. Beim Mechanismus handelt es sich nur um eine Art von Kausalität (ebd. 372 f., 411 u. ö.). In jedem Herstellungsprozess sind mechanistische und teleologische Momente vereinigt. Es läge also nahe, die Vereinbarkeit beider für Naturprodukte darin zu sehen, dass ein göttlicher Demiurg denkbar ist, der für die Zweckmäßigkeit in der Natur sorgt. Das ist aber offensichtlich nicht Kants Ansicht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Denkbarkeit eines Schöpfergottes reicht nicht aus für die Möglichkeit des geforderten objektiven Prinzips. Bei einem Herstellungsprozess gibt es eine endgültige Grenze für mechanistische Erklärungen da, wo die Gedanken des Herstellers ins Spiel kommen. Unmittelbar mentale Wirkungen bei Basishandlungen sind prinzipiell kein Gegenstand für mechanistische Erklärungen, auch wenn der auf sie folgende materielle Vorgang nach mechanischen Gesetzen abläuft. Für Naturprodukte will Kant jedoch eine solche Grenze nicht zulassen. Die Maxime, wirklich „alle" Erzeugung materieller Dinge als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich zu beurteilen, müsste uner-

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füllbar werden, wenn man bei zweckmäßigen Produkten irgendwann auf intentionales Handeln stoßen würde. Beide Maximen müssen darum so vereinigt werden, dass nicht die „eine ganz oder in gewissen Stücken an die Stelle der anderen" tritt (ebd. 414). Eine solche innere Vereinigung wäre mit der Annahme göttlicher Basishandlungen nicht vereinbar; bei ihnen müssten mechanistische Erklärungsversuche irgendwann endgültig scheitern. „Denn an die Stelle dessen, was (von uns wenigstens) nur als nach Absicht möglich gedacht wird, lässt sich kein Mechanism; und an die Stelle dessen, was nach diesem als notwendig erkannt wird, lässt sich keine Zufälligkeit, die eines Zwecks zum Bestimmungsgrunde bedürfe, annehmen." (ebd. 414). Gefordert ist also eine Art der Vereinigung, bei der eine solche gegenseitige Begrenzung der Erklärungsmöglichkeiten prinzipiell ausgeschlossen ist, „eine große und sogar allgemeine Verbindung der mechanischen Gesetze mit den teleologischen in den Erzeugungen der Natur" (ebd. 414). Eine solche Vereinbarkeit wird durch das übersinnliche Substrat möglich, auch wenn für die menschliche Vernunft, da sie dies nicht erkennen kann, nur die Möglichkeit bleibt, sich die Erzeugung solcher Naturprodukte nach einem Handlungsmodell vorzustellen: „... wie wohl, da der Grund dieser Vereinbarkeit in demjenigen liegt, was weder das eine noch das andere (weder Mechanism, noch Zweckverbindung), sondern das übersinnliche Substrat der Natur ist, von dem wir nichts erkennen, für unsere (die menschliche) Vernunft beide Vorstellungsarten der Möglichkeit solcher Objekte nicht zusammenzuschmelzen sind, sondern wir sie nicht anders als nach der Verknüpfung der Endursachen auf einem obersten Verstände gegründet beurteilen können" (ebd. 414). Wir denken uns also bei der Zweckmäßigkeit ein Handeln eines obersten Verstandes, obwohl die Vereinigung von teleologischer und mechanistischer Kausalität der Sache nach so aussehen kann, dass im übersinnlichen Substrat weder das eine noch das andere vorliegt. Die Begrenztheit unserer Vernunft besteht darin, dass sie etwas nicht „zusammenschmelzen" kann, was an sich ohne weiteres eines sein mag. Unsere Vernunft kann sich Zweckmäßigkeit nicht anders als ein Resultat von Intentionalität denken. Wenn es sich dabei um eine objektive Notwendigkeit „für jeden Verstand" handeln würde, könnten beide Maximen nicht vereinigt, sondern höchstens hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche gegeneinander abgegrenzt werden. Weil wir aber der Natur ein übersinnliches Substrat zugrundelegen müssen und in diesem eine innerliche Einheit beider Kausalitätstypen als möglich voraussetzen dürfen, dürfen wir beiden Maximen zugleich folgen. Kant beschreibt diese vorauszusetzende Einheit sowohl positiv als „große und sogar allgemeine Verbindung der mechanischen Gesetze mit den teleologischen" als auch negativ „weder Mechanism noch Zweckverbindung". Gemeint ist beide Male, dass die Kausalitätstypen aufhören, Alternativen zu sein. Im Handlungsmodell dagegen würden sie Alternativen bleiben. Für unsere Vernunft müssen sie Alternativen bleiben, im Übersinnlichen müssen sie das nicht. Deswegen sind die Maximen nur unter der Voraussetzung eines übersinnlichen Substrats vereinbar.

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Für Kant spielt dabei eine „Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes" (ebd. 405) eine wesentliche Rolle. McLaughlin sieht sie darin, dass unser Verstand eben nur mechanistisch wirklich erklären kann (a.a.O. 146, 155 u. ö.). Es handele sich um eine reduktionistische Eigentümlichkeit unseres Verstandes, die nicht konstitutiv für die Gegenstände der Erfahrung sei (ebd. 147). Außerdem gehe es nur um eine bloß subjektive Notwendigkeit, die für die Natur keine Verbindlichkeit habe; unser Verstand sei nun einmal so eingerichtet (ebd. 155). Ich halte dies für eine falsche Interpretation. Die Eigentümlichkeit unseres Verstandes besteht darin, dass für ihn Differenzen unüberwindbar sind, die objektiv gar nicht vorliegen müssen. Für den „Vergleichsverstand", den § 76 vorstellt, wird dies in drei Hinsichten entwickelt: 1. „Es ist dem menschlichen Verstand unumgänglich notwendig, Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge zu unterscheiden. Der Grund dafür liegt im Subjekte und der Natur seiner Erkenntnisvermögen. ...Also ist die Unterscheidung möglicher Dinge von wirklichen eine solche, die bloß subjektiv für den menschlichen Verstand gilt, ...Für einen Verstand, bei dem dieser Unterschied nicht einträte,..." (KU, AA V, 401 - 403). 2. Dass Sein und Sollen unterschieden werden müssen, rührt ebenfalls allein von der subjektiven Beschaffenheit unseres praktischen Vermögens her (ebd. 403). 3. „Wir würden zwischen Naturmechanism und Technik der Natur, d. i. Zweckverknüpfung in derselben, keinen Unterschied finden, wäre unser Verstand nicht von der Art, dass er vom Allgemeinen zum Besonderen gehen muss ..." (ebd. 404). Die Eigentümlichkeit unseres Verstandes ist also, dass er etwas nicht „zusammenschmelzen" kann, was im übersinnlichen Substrat durchaus nur eines sein mag. Man könnte sagen, unser Verstand kranke an dem Verlust der Fähigkeit, Identitäten zu erkennen, die an sich durchaus möglich sind. Die von McLaughlin angeführten Eigentümlichkeiten sind erst die Folge eines viel grundsätzlicheren Defizits. Es nimmt nicht Wunder, dass der junge Schelling im Schlussabschnitt seiner Schrift „Vom Ich als Prinzip der Philosophie" (1795) von diesem § 76 meinte, noch nie seien auf so wenigen Blättern so viele tiefe Gedanken zusammengedrängt worden. Heidegger hat diesem Urteil in seinem Vortrag „Kants These über das Sein" ausdrücklich zugestimmt (Frankfurt 1963,27). McLaughlin konzentriert seine Untersuchung auf das Verhältnis von Ganzem und Teil. Wir müssten reduktionistisch das Ganze aus den Teilen erklären, ohne sagen zu können, wie die Teile durch das Ganze naturgesetzlich bestimmt sein sollen. Dass dies eine zumindest einseitige Interpretation ist, wird daran sichtbar, dass Kant das Problem der Gesetzlichkeit der besonderen Naturgesetze ebenfalls als ein teleologisches behandelt. Dabei geht es aber gar nicht um eine Kausalität eines Ganzen auf seine Teile. Für Kant gibt es zwei primäre Probleme der Naturteleologie - das der Verfassung der Organismen und das der besonderen Naturgesetze. Auch im Kontext der Auflösung der Antinomie kommt Kant wiederholt auf beide zu sprechen. Das Prinzip der übersinnlichen Einheit ist als Lösung für beide gedacht.

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Diese Lösung ist, weil vom Übersinnlichen abhängig, nur auf dem Boden des transzendentalen Idealismus möglich. Ohne diesen müsste wenigstens eine von beiden Maximen aufgegeben werden. Es reicht auch nicht die Möglichkeit eines Schöpfergottes, weil dieser allein diejenige Vereinbarkeit beider Kausalitätsarten, um die es Kant geht, gar nicht gewährleisten könnte. In der „Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft" wiederholt Kant seine Kritik am teleologischen Gottesbeweis: „Also ist Physikotheologie, eine missverstandene physische Theologie, nur als Vorbereitung (Propädeutik) zur Theologie brauchbar" (ebd. 442). Sie geht nach Kant sowohl im Hinblick auf Gott als auch im Hinblick auf die Natur in die Irre. Aus dem Umstand, dass die Berechtigung der Maximen der Urteilskraft von einem übersinnlichen Substrat abhängt, zieht Kant eine wichtige Folgerung: Er benutzt ihn, um dem Teleologiekonzept einen Anspruch auf Totalität zuzuschreiben. In § 66 formuliert er ein „Prinzip der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit in organischen Wesen". Es lautet: „Ein organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist. Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben." (ebd. 376) Dabei zu betonen ist das „alles" bzw. „nichts". Kant meint, dieses Prinzip werde zwar durch die Erfahrung bestätigt, könne aber seiner Allgemeinheit und Notwendigkeit wegen nicht von ihr hergeleitet werden. Die Rechtfertigung müsse daher auf das Übersinnliche rekurrieren: „Denn wenn wir einmal dergleichen Wirkung im Ganzen auf einen übersinnlichen Bestimmungsgrund über den blinden Mechanism der Natur hinaus beziehen, müssen wir sie auch ganz nach diesem Prinzip beurteilen; und es ist kein Grund da, die Form eines solchen Dinges noch zum Teil vom letzteren als abhängig anzunehmen, da alsdann bei der Vermischung ungleichartiger Prinzipien gar keine sichere Regel der Beurteilung übrig bleiben würde." (ebd. 377) Das besagt nicht, dass es für die Anwendbarkeit beider Erklärungsarten doch gegeneinander abgegrenzte Bereiche gibt. Dies würde dem Sinn ihrer Vereinbarkeit widersprechen. Es gilt vielmehr: wir dürfen versuchen, alles mechanistisch zu erklären, dürfen aber trotzdem bei allem in einem Organismus voraussetzen, dass es nicht umsonst und zwecklos ist. Die teleologische Maxime könnte also auch so formuliert werden: In einem Produkte der materiellen Natur, für dessen Erklärung überhaupt das Prinzip der Endursachen heranzuziehen ist, muss alles mit ihm erklärt werden. Dies unterscheidet auch die Naturteleologie von der eigentlichen Technik, dem von Zwecken geleiteten Herstellen: Bei einer Maschine würde Kant wohl kaum sagen, dass nichts in ihr zwecklos ist. Bei der Erklärung von Artefakten gibt es bestimmte Grenzen für beide Erklärungsarten, und es muss auch nicht ein übersinnliches Substrat des materiellen Dinges herangezogen werden. Dass die Kausalstrukturen sich gleichsam gegenseitig durchdringen müssen, wird noch deutlicher, wenn wir einen zweiten Totalitätsanspruch ins Auge fassen, den Kant in § 67 formuliert. Die Zweckmäßigkeit soll nicht nur für eine

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gewisse Spezies von Naturwesen (wie Organismen) gelten, sondern für das „Naturganze als System": „Wir wollen in diesem § nichts anderes sagen, als dass, wenn wir einmal an der Natur ein Vermögen entdeckt haben, Produkte hervorzubringen, die nur nach dem Begriffe der Endursachen von uns gedacht werden können, wir weiter gehen und auch die, welche (oder ihr, obgleich zweckmäßiges, Verhältnis) es eben nicht notwendig machen, über den Mechanism der blind wirkenden Ursachen hinaus ein ander Prinzip für ihre Möglichkeit aufzusuchen, dennoch als zu einem System der Zwecke gehörig beurteilen dürfen: weil uns die erstere Idee schon, was ihren Grund betrifft, über die Sinnenwelt hinausführt; da denn die Einheit des übersinnlichen Prinzips nicht bloß für gewisse Spezies der Naturwesen, sondern für das Naturganze als System auf dieselbe Art als gültig betrachtet werden muss." (ebd. 380 f.) Es liegt also an der Beziehung auf das übersinnliche Prinzip, dass wir die Ansprüche des teleologischen Erklärens nicht auf spezielle Naturwesen beschränken müssen, sondern auf die Natur insgesamt und ihre Systematizität ausdehnen dürfen. Für die „Einheit des übersinnlichen Prinzips" kann es nicht einen nur beschränkten Zuständigkeitsbereich geben. Als Maxime gilt dann: „Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst." (ebd. 379) Die Rolle der Organismen besteht also eigentlich darin, dass sie erste Indikatoren sind für das Erfordernis teleologischer Beurteilungsprinzipien. Auch die besonderen empirischen Gesetze sind solche Indikatoren. Die Organismen führen uns gleichsam anschaulich vor Augen, dass wir des übersinnlichen Prinzips eingedenk sein müssen. Sie eröffnen damit eine Perspektive auf die Natur, der keine bestimmte Grenze gesetzt werden kann. Und für Kant liefern sie zweifellos auch einen erneuten Hinweis auf die Richtigkeit des transzendentalen Idealismus. Wir erhalten so einen Leitfaden, „die Naturdinge in Beziehung auf einen Bestimmungsgrund, der schon gegeben ist, nach einer neuen gesetzlichen Ordnung zu betrachten und die Naturkunde nach einem anderen Prinzip, nämlich dem der Endursachen, doch unbeschadet dem des Mechanisms ihrer Kausalität zu erweitern", (ebd. 379). Bei diesem zweiten Totalitätsanspruch ist mehr noch als bei dem ersten deutlich, dass er nur dann berechtigt sein kann, wenn die Erklärungsarten ohne äußere Abgrenzung gegeneinander vereinigt werden können. Andernfalls wäre das „unbeschadet dem des Mechanisms" nicht denkbar. Diese Art der Vereinigung beider Erklärungsarten ist nur möglich, weil wir der Natur insgesamt sowie allen einzelnen Naturwesen ein übersinnliches Substrat zugrundelegen müssen. Ich halte deswegen auch die folgende These von McLaughlin für nicht zutreffend: „Da die teleologische Erklärungsart nur dann ins Spiel gebracht wird, wo die bloß mechanistische unzulänglich erscheint, entfällt sie immer sofort, wenn ihre Voraussetzung entfällt." (a.a.O. 160) Weder wird sie nach Kant nur dann ins Spiel gebracht, noch entfällt sie ohne diese Voraussetzung. Es heißt zwar: In Beziehung auf das Ganze der Natur sei die teleologische Maxime „zwar nützlich, aber nicht unentbehrlich" (KU, AA V, 398). Was nützlich ist, kann aber ohne Schaden nicht wegfallen. Dass die teleologische Erklärungsart die Lücken füllen soll, die bei der mechanistischen bleiben, ist eben nur ein Aspekt ihrer

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Vereinbarkeit. Der darüber hinausgehende „Nutzen" dieser Maxime darf nicht vergessen werden. Es verwundert nicht, dass die Notwendigkeit einer solchen Transzendierung der phänomenalen raumzeitlichen Natur von Kant noch nachdrücklicher hervorgehoben wird, wenn es um ihren Endzweck geht. Nur der Mensch, und auch er nur als moralisches Wesen, kommt als etwas in Frage, das in unbedingter Weise Zweck ist. Er ist also „der Schöpfung Endzweck" (ebd. 435). Dass er dies sein kann, liegt allein an seinem „übersinnlichen Vermögen" der Freiheit (ebd.). Der Mensch ist also für Kant nicht nur qua raumzeitliche Erscheinung und ebenfalls nicht nur qua organisches Lebewesen auf ein übersinnliches Substrat bezogen (das ist er selbstverständlich auch), sondern in erster Linie „als Noumenon betrachtet" (ebd.), als frei und unter moralischen Gesetzen stehend. Selbstverständlich gilt (zumindest innerhalb der Natur), dass nur ein organisches Wesen frei sein kann. Die Naturteleologie ist also in dem Sinn eine Vermittlung zwischen dem „Gebiet des Naturbegriffs" und dem „des Freiheitsbegriffs", dass diejenige Beziehung auf das übersinnliche Substrat, die zu einem Organismus als solchem gehört, eine notwendige Bedingung ist für die, die in einem freien Naturwesen vorliegen muss. Die Zweckmäßigkeit ist so etwas wie eine Öffnung, durch die Freiheit in die Natur gelangen kann. In diesem Sinne gilt: durch den Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur „wird die Möglichkeit des Endzwecks, der allein in der Natur und mit Einstimmung ihrer Gesetze wirklich werden kann, erkannt" (ebd. 196). Es ist die spezielle Form der Vereinbarkeit von Teleologie und Mechanismus, die nach Kant es möglich macht, dass ein Naturwesen frei ist, und zwar „mit Einstimmung ihrer Gesetze", in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik. Kants transzendentaler Idealismus und die mit ihm verbundene Unterscheidung von noumenaler und phänomenaler Welt ist eine unentbehrliche Voraussetzung für den in der „Kritik der Urteilskraft" entwickelten Aufweis der Vereinbarkeit von teleologischen und mechanistischen Erklärungen. Es stellt sich daher die Frage, was davon aufrecht erhalten werden kann, wenn man die Prämissen ganz oder teilweise aufgibt. Lässt sich auch unter weniger idealistischen Prinzipien eine teleologische Perspektive auf die Natur in einer der kantischen ähnlichen Vorgehensweise verteidigen? In meinem Buch „Feld - Zeit - Ich" (Frankfurt 1996) sowie in einigen anderen Veröffentlichungen habe ich mich für eine Transformation des kantischen Idealismus eingesetzt, in der die Idealitätsthesen für Raum und Zeit restringiert werden. Nicht mehr Raum und Zeit insgesamt, sondern nur noch die modalen Zeitbestimmungen sollen idealistisch interpretiert werden. Was man das „Verfließen der Zeit" nennt, soll auf eine Anschauungsform des Selbstbewusstseins zurückgehen, während die gleichsam physikalischen Momente der Zeit als unabhängig von unserem Anschauen und Erkennen gelten sollen.

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Ein derartiger Eingriff in die Basis des transzendentalen Idealismus kann die darauf erbaute Theorie der Naturteleologie nicht unberührt lassen. Die wichtigste Änderung, die so erforderlich wird, scheint mir zu sein, dass der primäre Anknüpfungspunkt für teleologische Erklärungen bei Lebewesen nicht mehr ihr Bau und ihre Entstehung sein kann, sondern dass er in ihrem scheinbar von Zwecken gesteuerten Verhalten zu sehen ist. Bei der ins Auge gefassten Restriktion der Idealitätsthesen müssen die übersinnlichen Substrate, die jedem Naturding zugrundeliegen sollen, wegfallen. An die Stelle des Dualismus von sinnlicher und intelligibler Welt tritt der zwischen der Ontologie der Raumzeitgebiete und der Ontologie des zeitlichen Werdens. Für Kant besitzen gerade diese Substrate transzendentale Realität, sie sollen schlechthin unabhängig von allem menschlichen Meinen und Erkennen existieren. Aus der Restriktion der Idealitätsthesen auf das Selbstbewusstsein ergibt sich, dass zwar, wie auch nach Kant, das denkende Subjekt als Erscheinung gelten muss, dass aber kein Anlass besteht, auch raumzeitlich ausgedehnten Dingen ihre transzendentale Realität, ihre Unabhängigkeit vom Erkennen zu bestreiten. Von „NichtSinnlichkeit" kann zwar bei den semantischen Gehalten von Vorstellungen - bei Gedanken und Begriffen - die Rede sein, nicht aber bei irgendwelchen Substraten von Naturgegenständen, so wie für Frege Gedanken etwas Nichtsinnliches sind. Dass die Begriffe aus der Ontologie des zeitlichen Werdens auf die Intentionalität von Menschen mit Anspruch auf objektive Gültigkeit angewandt werden dürfen, soll vorausgesetzt sein. Es kann aber geiragt werden, wie es in dieser Hinsicht mit anderen Lebewesen steht. Für Kant sind der Bau eines Vogels und die Höhlung in seinen Knochen exemplarische Fälle innerer Zweckmäßigkeit in der Natur (KU, AA V, 310) Dass Vögel Nester bauen, für ihren Nachwuchs sorgen und im Herbst in wärmere Gegenden ziehen, wird nicht erwähnt als etwas, das zu teleologischen Deutungen Anlass geben könnte. Wenn es jedoch darum geht, ob man Begriffe aus der Ontologie des zeitlichen Werdens, insbesondere intentionale Begriffe wie „etwas meinen", „etwas erstreben" auf nichtmenschliche Lebewesen anwenden darf, muss gerade das Verhalten der eigentliche Gegenstand teleologischer Erklärungen werden. „Es geht nicht darum, Organismen so zu deuten, als ob jemand sie gemacht hätte; sie sollen so gedeutet werden, als ob sie einen Anteil an Subjektivität hätten. Die in der Erfahrung des Selbstbewusstseins verankerten Begriffe aus der Ontologie des zeitlichen Werdens sollen nicht auf eine verständige Ursache der Organismen, sondern auf diese selbst angewandt werden." (Feld - Zeit - Ich, 256) Es liegt intuitiv nahe, dass wir etwa das genannte Verhalten von Vögeln mit Hilfe eines „um zu" deuten und sogar erklären. Auch die Höhlung in den Vogelknochen hat einen Zweck, aber der Vogel selbst verfolgt (so scheint es wenigstens) einen Zweck, wenn er sich ein Nest baut oder im Herbst in eine wärmere Gegend zieht. Kant hatte mit seiner Konzeption unter anderem eine Vermittlung von Natur und Freiheit intendiert. Bietet es sich da nicht an, das Verhalten als eine Instanz anzusehen, die zwischen nach mechanistischen Gesetzen ablaufenden Naturprozessen und freien menschlichen Handlungen irgendwie in der Mitte liegt?

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Eine Konzeption, in der die Anwendung intentionaler Begriffe auf nichtmenschliche Lebewesen systematisch vorgesehen ist, hat auch Dennett entwickelt (Spielarten des Geistes, München 1996). Von ihm werden drei Standpunkte unterschieden, von denen aus Prognosen und Erklärungen von Naturvorgängen erfolgen können: der physikalische, der funktionale und der intentionale Standpunkt. Sie unterscheiden sich durch die Begriffe, die jeweils zur Anwendung kommen, beim intentionalen eben intentionale. Entscheidend für den intentionalen Standpunkt ist, wie es heißt, dass man eine Entität als Akteur betrachtet, um ihre Tätigkeiten vorauszusagen (a.a.O. 49). Wir müssen sie als einen vernünftig handelnden Akteur betrachten, der nach dem eigenen Guten strebt. Nach Dennett können wir dieses Erklärungsverfahren, obwohl es zugegebenermaßen riskant ist und den arglosen Beobachter leicht gewaltig in die Irre führen kann (ebd. 41), auch auf niedere Lebewesen wie Plattwürmer und Amöben, aber auch auf Geräte wie Thermostaten und Schachcomputer anwenden. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich vor allem durch ihre Brauchbarkeit: die Aufgabe, das Verhalten vorauszusagen und zu deuten, wird mit ihr erheblich einfacher, als wenn man versuchen würde, den physikalischen Standpunkt einzunehmen (ebd. 45). Angesichts des Erfolgs braucht die Frage, ob die intentionale Deutung objektiv angemessen und vielleicht gar wahr ist, nicht gestellt zu werden. Sie funktioniert, wenn sie es denn tut, ob es sich nun um echte Ziele eines wirklichen Akteurs handelt oder nicht (ebd. 46), ob die Systeme realiter oder nur scheinbar ihr Gutes suchen. Während Kant sich enorme Mühe gegeben und einen beträchtlichen metaphysischen Apparat dafür aufgebaut hat nachzuweisen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass die teleologischen Begriffe auch objektiv zutreffen, ist für Dennett die Frage nach der Berechtigung, intentionale Begriffe anzuwenden, mit dem Hinweis auf die Nützlichkeit dieser Praxis erledigt. Und weil es gar nicht um ein objektives Recht geht, brauchen auch keine dualistischen Prämissen in Anspruch genommen zu werden. Der Dualismus wurde, wie Dennett sagt, zusammen mit Alchemie und Astrologie auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt (ebd. 37). Das sieht freilich anders aus, wenn mit den intentionalen Aussagen - zunächst einmal beim Menschen - Ansprüche auf objektive Wahrheit verbunden werden. Dualistische Annahmen werden dann, so scheint mir, unvermeidlich. Nicht unbedingt so, wie Dennett meint, dass man der Ansicht ist, Geist bestehe aus einem nichtkörperlichen, ganz und gar geheimnisvollen Stoff (ebd. 37); freilich ebenfalls nicht unbedingt so, dass übersinnliche Substrate erforderlich werden; aber wir haben in zwei nicht aufeinander reduzierbaren Begriffs- und Referenzsystemen Aussagen, für die objektive Wahrheit beansprucht werden soll. Aber es bleibt das Problem der Extrapolation - womöglich bis zu Plattwürmern und Amöben. Wenn intentionale Aussagen für den Fall, dass sie wahr sein sollen, an dualistische Prämissen gebunden sind, müssten diese ebenfalls extrapoliert werden können, wenn die Aussagen möglich bleiben sollen. Dass Amöben das für sie Gute suchen, würde nicht gesagt werden können, wenn ihnen

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nicht so etwas wie ein „Als-ob-Selbstbewusstsein" zugeschrieben würde. Bei den dafür erforderlich werdenden epistemischen Vorbehalten gibt es nun eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Positionen von Kant und Dennett. Kersting hat in einer Rezension des Buches von Dennett sogar geäußert, dieses lese sich über weite Strecken „wie eine Volkshochschulversion von Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft" (FAZ vom 23. 2. 2000). Das kantische „als ob" und der Dennettsche Instrumentalismus entsprechen sich zwar sehr wenig hinsichtlich des philosophischen Unterbaus, der jeweils benötigt wird, wohl aber darin, dass auf schlichte objektive Wahrheit verzichtet werden soll. Für Kant gelten die teleologischen Aussagen mehr im Hinblick auf unsere Urteilskraft als in Beziehung auf die Naturdinge selbst. Das unterscheidet sich kaum von einer rein instrumentalistischen Deutung solcher Aussagen. Die Vorgehensweisen von Kant und Dennett sind allerdings dadurch voneinander unterschieden, dass es bei Kant gar nicht um die Intentionalität der Lebewesen geht. Kant interessiert nicht, dass diese das für sie Gute suchen müssen, wenn sie überleben und Nachkommen haben wollen. In diesem Punkt scheint mir der Ansatz Dennetts mehr für sich zu haben. Die epistemischen Vorbehalte müssen sich dann auf diese Anwendung beziehen. Je mehr wir im Reich des Lebendigen nach unten gehen, desto dunkler wird die Intentionalität. Auch Plattwürmer und Amöben mögen ihr Gutes suchen - wir beurteilen sie so, als ob sie das täten. Für Kant ist eine „Seele" eine Erscheinung im inneren Sinn. Solchen Lebewesen kann man also nur eine Seele zuschreiben, wenn man ihnen auch einen (wenn auch rudimentären) inneren Sinn zuschreibt, - und dann auch die dazugehörige Anschauungsform. Im Kontext der Rechtfertigung von synthetischen Urteilen a priori spricht Kant davon, dass wir selbst etwas „in die Dinge legen" (KrV, B XIX). Wie immer es mit den grundlegenden Gesetzen der Natur steht, auf die Kant diese Aussagen bezieht, - von der Intentionalität und dem Selbstbewusstsein der Plattwürmer darf wohl gesagt werden, dass es sich dabei um etwas handelt, das wir in sie legen, aber ebenfalls, dass dieses Hineinlegen nicht lediglich ein willkürlicher Anthropomorphismus ist, sondern eine sinnvolle Strategie zur Deutung ihres Verhaltens. Bei höheren Tieren wird ein solches Vorgehen sogar intuitiv einleuchtend und in der Sache unvermeidlich. Wir müssen sie auf eine Weise deuten, die unterstellt, dass die Tiere befähigt sind, das für sie Gute zu suchen. Damit ist immer ein gewisses „Hineinlegen" verbunden, das sich stützen kann auf das Faktum der evolutionären Verwandtschaft, aber wohl auch auf Erfahrungen im Umgang mit Tieren und schließlich auch auf seine theoretische Nützlichkeit. Was die ontologischen Prämissen angeht, so habe ich dabei früher (spinozistisch motiviert) von einer „Ressource des Universums" gesprochen (vgl. z. B. Feld - Zeit - Ich, 254). Auch der Schopenhauersche universelle „Wille" könnte als Muster genannt werden. Inzwischen scheint mir die kantische Vorstellung eines „Hineinlegens" eher zu passen. Es handelt sich in jedem Fall um eine

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„Deutung von oben" (auch bei Spinoza, Schopenhauer und Jonas); der Gehalt intentionaler Begriffe stammt aus der Erfahrung des Selbstbewusstseins. Wir interpretieren Lebewesen mit Hilfe dieser Begriffe, obwohl wir uns sagen müssen, dass die Frage nach dem „berechtigenden Prinzip" letztlich nicht beantwortet werden kann. Was aber wird auf diese Weise aus der Höhlung der Vogelknochen? Fällt die Zweckmäßigkeit der Organisation von Lebewesen ganz aus dem Bereich der Naturteleologie heraus? Für Dennett ist auch der Funktionalismus eine sinnvolle Perspektive. Er ist nicht nur bei Artefakten wie einem Wecker gut brauchbar, sondern auch bei den „Hervorbringungen von Mutter Natur" (Spielarten des Geistes, 44). Auch die Rechtfertigung für diese Forschungsstrategie, die zwischen der physikalischen und der intentionalen in der Mitte steht, liegt in ihrem Erfolg. Unsere Vorfahren verwetteten, wie es ebd. heißt, buchstäblich ihr Leben für ihr zuverlässiges aus diesem Standpunkt stammendes Wissen von dem, was Samen voraussichtlich tun, wenn man sie aussät. Auch auf die Frage, warum die Vogelknochen hohl sind, erhalten wir auf diesem Standpunkt eine Antwort, die nicht minder zuverlässig zu sein scheint. Für die Verbindung dieser Perspektive mit der intentionalen bieten sich, so weit ich sehe, zwei Gesichtspunkte an. Der eine ergibt sich aus der Analyse funktionaler Erklärungen. Dabei erklären wir etwas damit, dass es zu etwas gut ist (so schon Aristoteles, Physik II, cap. 3). Wie es bei von Kutschera heißt: „Im normalen Sinn haben nur solche Sätze einen teleologischen Gehalt, in denen sich Aussagen über Funktionsweisen oder Wirkungen mit Aussagen über deren Nutzen verbinden, also mit Wertaussagen." (Grundfragen der Erkenntnistheorie, Berlin 1982, 109) Mit einem Beispiel von ihm: auch ein Krebsgeschwür hat Wirkungen auf den Organismus, aber wir sagen nicht, dass es eine Funktion für ihn hätte, weil die Wirkungen nicht forderlich für ihn sind (ebd. 107). Die Wertung aber muss aus der Perspektive des Lebewesens selbst erfolgen. Wir werten gleichsam, indem wir uns in es hineinversetzen bzw. ihm selbst ein Vermögen zur Wertung zuschreiben. Auf diese Weise ist die intentionale Perspektive ein wesentliches Element der funktionalen. Die Höhlung in den Vogelknochen wird also primär mechanistisch erklärt, aber diese Erklärung wäre unvollständig ohne den Zusatz, dass die hohlen Knochen gut für den Vogel sind. Einem Lebewesen die Fähigkeit zum Werten zuzuschreiben impliziert, ihm eine Version von Selbstbewusstsein zuzuschreiben. Ein zweiter möglicher Gesichtspunkt dafür, teleologische Aussagen im Sinn der intentionalen Perspektive als relevant für die Rechtfertigung funktionaler Aussagen anzusehen, wäre, dass die intentionalen Aussagen eine theoretische Funktion im Kontext der Evolutionstheorie haben könnten. Wie Dennett ausführt, ist es kein Zufall, dass Produkte der Evolution nach dem für sie Guten streben. „Wer das Pech hatte, aufgrund seiner Gestaltung nach dem zu streben, was schlecht für ihn war, hinterließ am Ende keine Nachkommen." (a.a.O. 47) Einem Wesen, das das Pech hatte, gar nicht streben zu können, erging es ver-

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mutlich ähnlich. Auf diese Weise tragen intentionale Begriffe dazu bei, die evolutionäre Entstehung funktionaler, zweckmäßig organisierter Systeme besser zu verstehen. Zur Evolution hohler Vogelknochen mag also beigetragen haben, dass Vögel überleben und Nachkommen haben wollten. Die erforderlichen Vorbehalte gegen ein solches „Hineinlegen" dürfen aber selbstverständlich nicht vergessen werden. Eine letzte Bemerkung noch zu Kants Anspruch, dass das Prinzip teleologischer Erklärungen auch für das Naturganze als System als gültig betrachtet werden darf. Wenn auf der Grundlage der restringierten Idealitätsthese die eigentlichen „übersinnlichen Substrate" fallen, gibt es für eine solche Totalteleologie keine transzendentalphilosophische Basis mehr. Auf der anderen Seite ist das Erfordernis für gerade eine solche Teleologie heutzutage vielleicht dringlicher als je zuvor. Dafür, dass ein Universum der vertrauten Art (z. B. mit stabiler Materie darin) möglich wird, müssen, wie die moderne Naturwissenschaft gezeigt hat, eine Reihe von Naturkonstanten extrem genau aufeinander abgestimmt sein, ohne dass für diese „Feinabstimmung" (zumindest gegenwärtig) eine physikalische Erklärung möglich wäre (vgl. dazu z. B. van Inwagen, Metaphysics, Oxford 1993, 128 ff.). Nur ein winzig kleiner Bruchteil der physikalisch möglichen Universen ist so beschaffen, dass es darin stabile Materie, Sterne, Lebewesen usw. geben kann. Das wirkliche Universum ist eines aus diesem Ausschnitt. Sucht man dafür nach einer teleologischen Erklärung, so scheint sie nur auf dem Boden des Theismus möglich zu sein. Es wäre nicht einzusehen, was dafür eine teleologische Erklärung kantischen Typs mit Inanspruchnahme übersinnlicher Substrate leisten könnte. Für Kant konnte die Physikotheologie nur eine Propädeutik sein für eine Theologie (KU, § 85). Sie treibt zwar an, eine zu suchen, kann aber keine hervorbringen. Heute gibt es wieder eine lebhafte Debatte über diese Form der Teleologie; man sehe dazu außer dem genannten Buch von van Inwagen auch den von Manson herausgegebenen Sammelband „God and Design" (London 2003). Vielleicht sind inzwischen die Chancen einer solchen Physikotheologie nicht mehr ganz so skeptisch wie bei Kant zu beurteilen. Wenn das so sein sollte, dann wäre das ein Aspekt der Naturteleologie, der unabhängig wäre vom transzendentalen Idealismus in der einen oder anderen Form. Das Ziel der „Kritik der Urteilskraft" ist die „Ethikotheologie". Es mag jedoch so sein, dass diese stärker auf eine Unterstützung durch die Physikotheologie angewiesen ist, als Kant geglaubt hatte.

Kant über den endlichen Verstand, den intuitiven Verstand und Gott (KU §§ 76, 77) Stefan Klingner

Gegen Ende des § 75 der „Kritik der Urtheilskraft" 1 hält Kant fest, dass es dem Menschen in der Reflexion über die Zweckmäßigkeit der Natur und die Welt als Ganzes notwendig ist, beide „als Product einer verständigen Ursache (eines Gottes)" anzunehmen (KU, B 337). Allerdings, so Kant, gilt diese dem Menschen notwendige Maxime „nicht auch für höhere Wesen", sondern ist eine subjektive Maxime der menschlichen reflektierenden Urteilskraft (ebd., vgl. KU, B 338 f.). Denn nur auf Grund der spezifischen Verfasstheit seiner Erkenntnisvermögen muss der Mensch als endliches Vernunftwesen „ein verständiges Wesen der Möglichkeit jener Naturzwecke zum Grunde legen" (KU, B 338). Ein solches verständiges Wesen' führt Kant dann im § 77 mit der Idee eines „intuitiven Verstandes" ein (vgl. KU, B 347 ff). Dieser zeichnet sich durch „ v ö l l i g e [ . . . ] S p o n t a n e i t ä t d e r A n s c h a u u n g " aus und bringt demnach seine Gegenstände selbst hervor (ebd.), ist also im Gegensatz zu dem „discursiven, der Bilder bedürftigen Verstandet...]" des endlichen Wesens ,Mensch' nicht auf ein zweites, rezeptives Vermögen angewiesen (KU, B 351). Oder anders ausgedrückt: Im Gegensatz zum endlichen Verstand, der Prinzipiendifferenz fordert, steht der intuitive Verstand schlichtweg für Prinzipienindifferenz. Für die reflektierende Urteilskraft kann er als produktiver Grund der Naturzwecke gelten, ohne ihm dadurch auch gleich objektive Realität zuzusprechen. Es ist nun m. E. fraglich, ob der von Kant in den §§76 und 77 der KU entwickelte intuitive Verstand mit dem höchsten Wesen ,Gott' 2 identifi1

Ich zitiere die „Kritik der reinen Vernunft" (KrV), die „Kritik der praktischen Vernunft" (KpV) und die „Kritik der Urteilskraft" (KU) nach der Akademie-Textausgabe (siehe auch das Literaturverzeichnis am Ende des Beitrags). Der Nachweis der Seitenzahlen erfolgt nach der Originalpaginierung. Gesperrte Hervorhebungen sind aus dem Text übernommen, kursiv gesetzte Hervorhebungen stammen von mir. 2 Dem hier benutzten Gottesbegriff kann man das traditionelle Gottesverständnis zugrunde legen, das sich auch häufig in den Schriften Kants findet, und nach dem ,Gott' ein allwissendes, allmächtiges und allgütiges Wesen ist (vgl. z. B. KpV, A 251 f.). Dem Leser, dem dieses traditionelle Verständnis des Gottesbegriffs zu wenig präzise oder schlichtweg veraltet erscheint, sei beispielsweise eine Definition von Norbert Hoerster empfohlen, die sicher auch heutige Intuitionen hinsichtlich des (monotheistischen) Gottesbegriffs gut wiedergibt. Norbert Hoerster: Die Frage nach Gott, 13: „Gott ist [...]

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ziert werden kann. Auch Kant hatte hierbei wohl seine Zweifel, wie einige Passagen des § 85 der KU zeigen (vgl. KU, B 401-409). Kant argumentiert dort, dass die Physikoteleologie nur deshalb nicht zu einer Theologie tauge, da sie „keine Weisheit für einen Endzweck" angeben könne und damit nicht über die Idee eines bloßen „Kunstverständiges] für zerstreute Zwecke" hinauskomme (KU, B 408). Ich denke jedoch, dass der Begriff von einem intuitiven Verstand' auch aus anderen Gründen untauglich ist, einen Gott zu meinen. Dem Aufweis dieser Gründe ist der erste Teil gewidmet (I). Trotz dieses negativen Ergebnisses bleibt die Möglichkeit, den intuitiven Verstand zwar nicht als ein göttliches Wesen, aber doch als „Urheber" oder „Designer" der Natur vorzustellen. Auch hierbei hege ich allerdings Zweifel (II). Die Frage, welche systematische Funktion die Idee eines ,intuitiven Verstandes4 als prinzipienindifferente Subjektivität in den §§76 und 77 der KU denn überhaupt hat, bleibt dann freilich noch immer unbeantwortet. Einen Ausblick auf eine mögliche Antwort möchte ich am Ende des zweiten Teils geben.

I.

Betrachtet man den § 76 der KU, der mit „Anmerkung" betitelt ist und sich somit wohl auf den vorhergehenden Paragraphen bezieht, scheint die Meinung, Kant führe in der „Dialektik der teleologischen Urteilskraft" - und insbesondere eben in den §§76 und 77 - einen Gottesbegriff ein, vorerst plausibel. Kant verweist dort nämlich bei allen dreien seiner angeführten Beispiele auf die Idee einer prinzipien/miifferenten Subjektivität, die weder die dem endlichen Verstand inhärenten ontologischen und axiologischen Grundunterscheidungen noch den teleologischen Grundbegriff der Zweckmäßigkeit kennt. Er kontrastiert dabei die endliche Subjektivität des Menschen mit 1. einem Verstand, der „anschauend" ist (KU, B 340), 2. einer „Vernunft ohne Sinnlichkeit" (KU, B 343) und schließlich 3. einem Verstand, der „nicht von der Art [ist], daß er vom Allgemeinen zum Besondern gehen muß" (KU, B 343 f.). Führen wir uns den Inhalt dieses Paragraphen in aller möglichen Kürze vor Augen und konzentrieren wir uns besonders auf Kants Charakterisierungen des jeweiligen Wesens, mit dem der endliche Verstand kontrastiert wird: 1. Möglichkeit und Wirklichkeit'. Diese ontologische Grundunterscheidung, die „dem menschlichen Verstände unumgänglich nothwendig" anhaftet, hat nach Kant ihren Grund „im Subjecte und der Natur seiner Erkenntnißvermögen" (KU, B 340). Genauer hat sie ihren Grund in der fundamental zu nennenden Differenz von Sinnlichkeit und Verstand: „Denn wären [...] nicht zwei ganz hedurch die Summe der folgenden sechs Eigenschaften und Merkmale definiert: 1. als einzig: 2. als ewig existent; 3. als körperlose Person; 4. als uneingeschränkt vollkommen; 5. als Ursprung der Welt: 6. als Erhalter und Lenker der Welt."

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terogene Stücke, Verstand für Begriffe und sinnliche Anschauung für Objecte, die ihnen correspondieren, erforderlich: so würde es keine solche Unterscheidung (zwischen dem Möglichen und Wirklichen) geben" (ebd.). Sofort nach dieser Feststellung wagt Kant ein erstes Gedankenspiel: „Wäre nämlich unser Verstand anschauend, so hätte er keine Gegenstände als das Wirkliche. Begriffe [...] und sinnliche Anschauung [...] würden beide wegfallen" (ebd.). D. h. würde die dem menschlichen Subjekt notwendig anhängende Prinzipiendifferenz von Verstand und Sinnlichkeit aufgehoben, gäbe es die erste Differenzierung des Seienden in Mögliches und Wirkliches nicht. Dass damit der aus der klassischen Metaphysik bekannte Begriff des „ens necessarium" ins Gedächtnis gerufen wird, ist Kant wohl bewusst/ Für die kritische Philosophie ist er „eine unentbehrliche Vernunftidee" (KU, B 341). Der Grund dafür liegt in der sich vor dem ontologischen Horizont aufspannenden Implikation der Zufälligkeit: Warum ist X wirklich und nicht bloß möglich? Warum ist überhaupt etwas wirklich und verharrt nicht bloß im Zustand der Möglichkeit? Dem anschauenden Verstand wären dagegen alle seine „Entstände" notwendig (vgl. KU, B 341 f.). 4 2. Sollen und Tun: Die axiologische Grundunterscheidung „zwischen Sollen und Thun", genauer: die Notwendigkeit, „daß die moralischen Gesetze als Gebote [...] vorgestellt werden müssen, und die Vernunft diese Nothwendigkeit nicht durch ein Sein (Geschehen), sondern Sein-Sollen ausdrückt" findet ihren Grund in der „subjectiven Beschaffenheit unseres praktischen Vermögens" (KU, B 342 f.). Denn aus der Perspektive des Gegenständlichkeit konstituierenden Verstandes muss eine aus der Perspektive der praktischen Vernunft moralisch notwendige Handlung schlechterdings gerade nicht als notwendig, sondern als zufällig erscheinen; aus Perspektive der Autonomie fordernden Vernunft muss andererseits eine „physisch" notwendige Handlung als schlichtweg (moralisch) wertfrei erscheinen. Die Freiheitskausalität ist also bei einer endlichen Subjektivität strikt von der Naturkausalität verschieden. Auch dies präzisiert Kant mit einem Gedankenspiel, indem er darauf verweist, dass der Sollenscharakter moralischer Gesetze „nicht Statt finden würde, wenn die Vernunft ohne 3 Nahezu alle traditionellen und selbst die jüngsten Versionen des sogenannten „ontologischen Gottesbeweises" arbeiten mit den (bereits) ontologisch verstandenen, mithin aristotelischen Modalbestimmungen. Nur das Kant wohl nicht bekannte „unum argumentum" des Anselm von Canterbury bildet genau in diesem Punkt eine wichtige Ausnahme. In seinem „Proslogion" denkt Anselm Gott qua „id quo nihil maius cogitari potest" nämlich nicht nur als jenseitig der ontologischen Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit (dort: „esse in intellectu" und „esse in intellectu et in re"), sondern vielmehr auch als transzendentalen Grund (indiziert durch das „maius") dieser Unterscheidung. Vgl. dazu neuerdings v. a. Reinhard Hiltscher: Der ontologische Gottesbeweis als kryptognoseologischer Traktat, bes. 50 ff. 4 Notwendigkeit' wird hier - durchaus im Anschluss an Kant - im Sinne eines „Zusammenfallend von Möglichkeit und Wirklichkeit verstanden (vgl. z. B. KrV, B 111).Zum Terminus „Entstände" vgl. Martin Heidegger. Kant und das Problem der Metaphysik, z. B. § 5.

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Sinnlichkeit [...] ihrer Causalität nach, mithin als Ursache in einer intelligibelen, mit dem moralischen Gesetze durchgängig übereinstimmenden Welt betrachtet würde" (KU, B 343). Eine Vernunft, die in ihrem Handeln jenseits von Sinnlichkeit, und d. h. nur durch sich bestimmt wäre, also eine prinzipienindifferente Vernunft, verstünde keinen solchen Unterschied zwischen Sollen und Tun. 5 Vielmehr wäre sie von einer Welt umgeben, „in welcher alles darum wirklich sein würde, bloß nur weil es (als etwas Gutes) möglich ist" (ebd.). 3. Zweckmäßigkeit : Schließlich ist auch der teleologische Grundbegriff der Zweckmäßigkeit qua „Gesetzlichkeit des Zufälligen" in der besonderen Verfasstheit der menschlichen Subjektivität begründet (KU, B 344). Kant rekurriert zur Präzisierung wie im ersten Beispiel auf den Begriff des , Verstandes'. Auch hier in der Zuspitzung mit Blick auf die Antinomie der teleologischen Urteilskraft äußert sich seine Präzisierung in einem Gedankenspiel: ,,[W]ir würden zwischen Naturmechanism und Technik der Natur [...] keinen Unterschied finden, wäre unser Verstand nicht von der Art, daß er vom Allgemeinen zum Besonderen gehen muß" (KU, B 343 f.). Damit ist diejenige Erkenntnisfunktion angesprochen, die Kant in der KrV in engstem Zusammenhang mit dem Verstand „bestimmende Urteilskraft" genannt hat, und der dort eine vergleichsweise marginale Rolle zugesprochen wird (vgl. KrV, B 171 f.) - ich werde gleich darauf zurückkommen. Der ganze folgende § 77 widmet sich dann der Klärung des eigenartigen Notwendigkeitsstatus, der dem teleologischen Prinzip der Zweckmäßigkeit wie auch der Idee eines intuitiven Verstandes anhaftet. Dort wird dann auch der hier angesprochene Verstand, der nicht vom „Allgemeinen zum Besondern gehen muß", mit dem intuitiven Verstand identifiziert, der „vom S y n t h e t i s c h - A l l g e m e i n e n (der Anschauung eines Ganzen als eines solchen) zum Besondern geht, d. i. vom Ganzen zu den Theilen" (KU, B 349). Kant unterscheidet also im § 76 drei „Wesen" zu dem Zweck, die spezifische Verfasstheit endlicher Subjektivität in je verschiedener Hinsicht hervorzuheben: 1.

in theoretischer Hinsicht: einen anschauenden Verstand , für den der Begriff eines ens necessarium keine „unentbehrliche Vernunftidee" wäre;

2.

in praktischer Hinsicht: eine Vernunft ohne Sinnlichkeit vor der Unterscheidung nach Freiheits- und Naturkausalität;

3.

in teleologischer Hinsicht: einen intuitiven der Zweckmäßigkeit bedürfte.

Verstand , der nicht des Prinzips

Dass der anschauende Verstand mit dem intuitiven Verstand identisch ist, scheint mir offensichtlich. Diese Hypothese wird sich bei der Besprechung des § 77 noch erhärten. Und auch der von Kant in dem kurzen Abschnitt zur prakti5

Für eine weitere Beschäftigung mit besonderem Blick auf Kants praktische Philosophie vgl. Lewis White Beck : Kants „Kritik der praktischen Vernunft", v. a. 58 ff.

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sehen Seite der Vernunft angedeutete Begriff einer , Vernunft ohne Sinnlichkeit4 lässt sich gut mit den beiden anderen identifizieren. Denn auch der ,intuitive' bzw. ,anschauende Verstand' ist ohne Sinnlichkeit, wenn unter Sinnlichkeit ein bloß rezeptives und vom Verstand unabhängiges Vermögen verstanden wird. Allen drei Begriffen liegt demnach die Idee einer prinzipienindifferenten Subjektivität zu Grunde - sie wird von Kant nur nach je verschiedenen Richtungen (theoretisch, praktisch, teleologisch) ausgeführt. Natürlich kann ihr keine Realmöglichkeit, geschweige denn objektive Realität zugesprochen werden; vielmehr bleibt sie „ein für den menschlichen Verstand unerreichbarer problematischer Begriff (KU, B 341) - wie bereits in der KrV (vgl. v. a. KrV, B 311 f., B 344, B 722 f., B 798). Dennoch ist nach Kants Verständnis die „unentbehrliche Vernunftidee" eines Verstandes, der sich durch das Aufgehobensein der endliche Subjektivität konstituierenden Prinzipiendifferenz auszeichnet, für den vernünftigen Vollzug der reflektierenden Urteilskraft unersetzbar. Diese Unersetzbarkeit erklärt sich aus der Funktionslogik einer Urteilskraft, die auf der Suche nach dem Allgemeinen eines Besonderen ist. Angestoßen wird diese Reflexion in der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" bekanntermaßen durch die Betrachtung ,,gewisse[r] Naturproduete", die „nach der besonderen Beschaffenheit unseres Verstandes v o n u n s ihrer Möglichkeit nach als absichtlich und als Zwecke erzeugt b e t r a c h t e t w e r d e n [müssen]" (KU, B 346). Erst durch einen solchen Erklärungsversuch ist es der reflektierenden Urteilskraft möglich, über unseren Verstand als einen besonderen zu urteilen. Also erst durch die Betrachtung bestimmter, bereits konstituierter Gegenstände („Naturproducte") setzt in der KU die Reflexion auf die ,,besondere[...] Beschaffenheit unseres Verstandes" ein (ebd.). Doch ist diese prinzipienindifferente Subjektivität auch das nach dem § 75 notwendig zu denkende „verständige Wesen", dessen Produkt Naturzwecke und Welt sind? Ist sie gar Gott im Sinne eines allwissenden, allmächtigen und allgütigen Wesens? Bisher steht nur fest, dass für ein solches Wesen, das durch Prinzipienindifferenz ausgezeichnet ist, bestimmte Unterscheidungen, Prinzipien u. dgl., die für die endliche Subjektivität notwendig sind, bedeutungslos wären. Und es ist deutlich geworden, dass es dem Menschen möglich ist, die Beschaffenheit seiner „Erkenntnisvermögen" als eine besondere vorzustellen. Vielleicht lässt sich die gestellte Frage beantworten, wenn wir uns ausführlicher vor Augen führen, warum und auf welche Weise Kant in der KU den „menschlichen Verstand" als einen besonderen herausstellt. Dafür muss die Funktionsweise der Urteilskraft selbst geklärt werden. Die Klärung der Differenz von bestimmender und reflektierender Urteilskraft erfolgt durch Kant im vierten und fünften Abschnitt der „Einleitung" der „Kritik der Urteilskraft" 6 . Dort wird das „Gesetz der Specification der Natur" einge6

Vgl. dazu auch Rudolf Zocher: Kants Grundlehre, 64-66.

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führt (KU, B XXXVII), das leicht mit jener Leistung der bestimmenden Urteilskraft zu verwechseln sein könnte, die nach der KrV ebenso einen genuin spezifizierenden Charakter hat. Hier muss differenziert werden, um den systematischen Sinn der beiden Formen der Urteilskraft zu erfassen. Kant definiert die „Urtheilskraft überhaupt" als „das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken" (KU, B X X V f.). Als bestimmende Urteilskraft ist sie „das Vermögen unter Regeln zu s u b s u m i e r e n , d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" (KrV, B 171, vgl. KU, B XXVI). Innerhalb der Konstitutionstheorie der Erkenntnis, wie sie sich in der Analytik der ersten Kritik finden lässt, hat die Urteilskraft als bestimmende daher die Funktion, das Besondere unter die allgemeinen Gesetze des Verstandes zu subsumieren. Die bestimmende Urteilskraft bekommt durch den reinen, Gegenständlichkeit konstituierenden Verstand reine Begriffe a priori vorgegeben und leistet durch das „transzendentale Schema" die Subsumtion des „Besonderen" einer Anschauung unter das „Allgemeine" der Kategorien (vgl. KrV, B 176 f.), hat also eine spezifizierende Funktion. Der reflektierenden Urteilskraft ist dagegen „das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll" (KU, B XXVI). Sie hat die Aufgabe, das nicht gegebene Allgemeine zu finden, das der reine Verstand trotz seiner Gegenständlichkeit überhaupt konstituierenden Gesetze unbestimmt lässt. Interessanterweise schreibt Kant: „Ist aber nur das Besondere gegeben [...] so ist die Urtheilskraft bloß reflectirend" (ebd.). Wie sollte aber „nur" Besonderes gegeben sein, wenn jeglicher konkrete Gegenstand bereits Resultat der Konstitutionsleistung des (ein Allgemeines gebenden) reinen Verstandes ist? „Nur" Besonderes ist gegeben, wenn Gegenständlichkeit als bereits konstituierte vorausgesetzt wird, und ein endliches Subjekt über konkrete Gegenstände seiner (Um-)Welt reflektiert. Und zwar derart über diesen oder jenen Gegenstand reflektiert, dass er nur als dem Subjekt gegenüberstehender, nicht aber auch als durch das Subjekt konstituierter betrachtet wird. Der reflektierenden Urteilskraft wird damit das Besondere als Besonderes überhaupt zum Problem. 7 Für die gnoseologische Betrachtung der Konstitution von Gegenständlichkeit überhaupt wird das je Besondere immer schon unter Allgemeines, nämlich die Gesetze des reinen Verstandes subsumiert. Dennoch finden wir faktisch stets Regeln, „die durch jene Gesetze, welche der reine Verstand a priori giebt [...] unbestimmt gelassen werden" und „die zwar als empirische nach unserer Verstandeseinsicht zufällig sein mögen, die aber doch [...] aus einem [...] Princip der Einheit des Mannigfaltigen als nothwendig angesehen werden müssen" (ebd.). Als Regeln fallen sie in das Ressort des Verstandes als „Vermögen der Regeln" (KrV, B 171, auch B 197 f., B 356 sowie A 126 f.). Doch lassen sich eben diese Regeln nicht einfach aus dem System des reinen Verstandes deduzie7

Vgl. dazu auch Wilhelm Vossenkuhl : Einzeldinge verstehen, bes. 118-122.

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ren, sondern erfordern Erfahrung, sie sind „empirisch" und damit - ontologisch betrachtet - „zufällig". Die prinzipielle Erfassbarkeit dieser Regeln für den menschlichen Verstand, die „Übereinstimmung der Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer besonderen Gesetze zu unserem Bedürfnisse, Allgemeinheit der Principien für sie zu finden" (KU, B XXXVIII), also die zweckmäßige Konstitution des menschlichen Subjekts in Hinsicht auf die als zufällig erscheinenden konkreten Dinge nötigt letztlich die reflektierende Urteilskraft, „den obersten Grund dazu in einem ursprünglichen Verstände als Weltursache zu suchen" (KU, B 354). Der § 76 der K U lehrt uns nun, dass solche Regeln für einen anschauenden Verstand nicht zufällig erschienen, mithin die genannte Übereinstimmung für ihn in keiner Weise zu bedenken wäre, und dass er schließlich dafür auch nicht einen (letzten) Grund zu suchen hätte. - Kant kontrastiert somit die Funktionsweise „unseres" Verstandes mit einem andersgearteten Verstand, um sie präzisieren zu können. Denn aus der Sicht der reflektierenden Urteilskraft muss der menschliche Verstand als ein besonderer gelten. Er lässt sich schlechterdings nicht problemlos unter einen allgemeineren Begriff subsumieren, da er ja das Vermögen der Begriffe, ja das Vermögen des Allgemeinen selbst ist. Der menschliche Verstand als ein endlicher Verstand wird im § 76 der KU der reflektierenden Urteilskraft zum Gegenstand. Wie kann aber unser Verstand, der uns (aus der Erfahrung) allein bekannte Verstand als besonderer bestimmt gedacht werden? Ein ausgeführter Versuch der Beantwortung dieser Frage findet sich im § 77 der KU. Wie bereits oben erwähnt, hebt Kant dort mit Blick auf die Idee des „Naturzwecks" an, sich mit einer ganz bestimmten „Eigentümlichkeit unseres (menschlichen) Verstandes" zu beschäftigen, nämlich „Naturzwecke" annehmen zu müssen (KU, B 344 f.). Und wie bereits im § 76 angesprochen, liegt es ja in der Beschaffenheit der menschlichen Subjektivität, dass die organisierte Natur als zweckmäßig betrachtet werden muss. Kant schreibt nun: „Wenn das aber ist, so muß hier die Idee von einem andern möglichen Verstände, als dem menschlichen zum Grunde liegen [...]" (KU, B 345 f.). Wenn man also in sinnvoller Weise davon sprechen will, unser Verstand sei ein besonderer, mit ganz bestimmten Eigentümlichkeiten ausgestatteter Verstand, dann muss nach Kant einem solchen Gedanken „die Idee" eines anderen Verstandes vorhergehen; oder anders formuliert: Es ist schlechterdings ein andersgearteter Verstand notwendigerweise zu denken, um den „menschlichen Verstand" als besonderen denken zu können. Kant verhandelt hier demnach die mögliche Bestimmtheit des (menschlichen) Verstandes für die Urteilskraft. Im Gegensatz zur Eigenanalyse des Verstandes in der „Analytik" der KrV wird „unser Verstand" in der dritten Kritik, ausgehend von dem Problem, bestimmte Gegenstände der Natur nur aus der Eigenart unseres Verstandes erklären zu können, zum Problem sui generis für die

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reflektierende Urteilskraft. Dabei setzt sie ihrer systematischen Funktion gemäß bei dem Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem an: „Unser Verstand hat [...] das Eigene für die Urteilskraft, daß im Erkenntnis durch denselben durch das Allgemeine das Besondere nicht bestimmt wird, und dieses also von jenem allein nicht abgeleitet werden kann" (KU, B 348). Die Bestimmungsleistung des Verstandes braucht ein ihr Verschiedenes, braucht ,,Mannigfaltige[s] der Anschauung" (KU, B 28 u. ö.), um Erkenntnis zu sein. Dies impliziert die geforderte Differenz in den Prinzipien des Subjekts, mithin Endlichkeit des Subjekts. 8 Auch hier im § 77 der „Kritik der Urteilskraft" beharrt Kant konsequent auf der Bestimmtheit des Verstandes als „ein von der Sinnlichkeit unterschiedenes [...] Erkenntnißvermögen" (KU, B 348). Allgemein gesagt, lässt sich diese Unterschiedenheit des „ m e n s c h l i c h e n Verstandes" von der Sinnlichkeit aber nur dadurch aufzeigen, dass er eben ganz andersgeartete Prinzipien neben sich fordert, um sich vollziehen zu können. Er kann daher nicht als ein „von der Sinnlichkeit [...] ganz unabhängiges Erkenntnißvermögen" gelten (KU, B 347). Damit ist es aber offensichtlich: Wird diese allgemeinste Bestimmung des Begriffs des , Verstandes überhaupt4 von der reflektierenden Urteilskraft als Spezifikum, als etwas Besonderes beurteilt, kann ein Allgemeineres nur noch mittels der Aufhebung der Prinzipiendifferenz gedacht werden. Ein solches Allgemeineres ist dann nach Kant „ein Vermögen einer v ö l l i g e n Spontaneit ä t d e r A n s c h a u u n g", es würde „ein von der Sinnlichkeit unterschiedenes und davon ganz unabhängiges Erkenntnißvermögen, mithin Verstand in der allgemeinsten Bedeutung sein44 (ebd.). Damit ist die oben angesprochene Identifizierung des anschauenden Verstandes mit dem intuitiven Verstand bereits sachlich begründet. Auch der intuitive Verstand kennt die ontologische Grundunterscheidung in ,mögliche Dinge4 und ,wirkliche Dinge4 nicht, wenn seine Anschauung ,spontan4 ist, und er somit seine Gegenstände selbst hervorbringt. Halten wir unser bisheriges Ergebnis fest: In der Kontrastierung „unseres discursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes44 mit einem „intuitiven (urbildlichen)44 Verstände ist es der reflektierenden Urteilskraft nach Kant möglich (KU, B 350 f.), ihrer systematischen Funktion gemäß zu verfahren, wenn sie sich dem menschlichen Verstand als ihrem Gegenstand zuwendet. Mit der Angabe eines intuitiven Verstandes kann sie über den diskursiven Verstand als besonderen urteilen. Hat Kant also die notwendig anzunehmende Zweckmäßigkeit der Natur mit Hilfe eines Rekurses auf die Besonderheit des menschlichen Verstandes erklärt, so braucht er nun zur Bestimmung eben dieses Besonderheitsstatus des menschlichen Verstandes die Kontrastierung mit einem intuitiven Verstand. 8 Vgl. mit besonderem Blick auf diese Problematik in der transzendentalen Deduktion der ersten Kritik Reinhard Hiltscher : Kant und das Problem der Einheit der endlichen Vernunft, z. B. 65 f f , Viktor Nowotny : Die Struktur der Deduktion bei Kant, 273 f. sowie auch Klaus Reich : Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel, bes. 32.

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Nach meinem Dafürhalten scheint dieser Gedankengang allerdings nur auf den ersten Blick unproblematisch. Versuchen wir, ihn uns genauer vor Augen zu führen! Kant möchte den endlichen Verstand als einen besonderen denken. Der endliche Verstand ist im allgemeinsten Sinne dadurch ausgezeichnet, dass er andere, von ihm unabhängige Prinzipien (genauer: Prinzipien der Sinnlichkeit) neben sich fordert (Merkmal der Prinzipiendifferenz). Es ist nach Kant dabei irrelevant, wie der vom Verstand geforderte, von diesem unabhängige Prinzipienkomplex (der Sinnlichkeit) genauer bestimmt ist: Auch ein Subjekt, bei dem die Prinzipien seiner Sinnlichkeit nicht die konkreten Anschauungsformen Raum und Zeit wären, würde in diesem Sinne als ein endliches Subjekt gelten.9 Um nun etwas überhaupt als Besonderes denken zu können, bedarf es bekanntlich der Anwendung des altehrwürdigen Art-Gattung-Schemas. Soll hier der endliche Verstand als ein besonderer bestimmt gedacht werden, bleiben mit Blick auf den Begriff des ,intuitiven Verstandes' m. E. formal nur zwei Möglichkeiten, die ich im Folgenden skizziere: 1. Als erste Möglichkeit bietet es sich an, den Begriff des , intuitiven Verstandes' als das Allgemeine, den des ,diskursiven (endlichen) Verstandes' als das Besondere zu bestimmen. Kant macht auch eine kurze Bemerkung im § 77 der KU, die für diese Möglichkeit zu sprechen scheint. Dort bezeichnet er - wie bereits oben zitiert - das „Vermögen einer v ö l l i g e n Spontaneität d e r A n s c h a u u n g" als „Verstand in der allgemeinsten Bedeutung" (KU, B 347). Dieser „ i n t u i t i v e[...] Verstand" wäre also gegenüber dem „diskursiven" (ebd.) als Gattung, mithin als dessen Grund 10 vorzustellen. Er ließe sich dann beispielsweise als „Spontaneität überhaupt" bezeichnen. Zwei Probleme sind offenbar mit dieser Möglichkeit verbunden: (a) Zum einen ist es fraglich, was als weitere Art dieser Gattung, also neben dem endlichen Verstand, vorstellbar wäre. Kant selbst gibt uns in der KU, soweit ich sehe, zu dieser Konstellation keinen positiven Hinweis. Deutlich ist nur, dass „Sinnlichkeit" als weitere Art der Gattung »Spontaneität überhaupt' keinesfalls in Frage kommt, da sie durch ihre Rezeptivität streng vom Verstand als spontanem Vermögen unterschieden ist, und Kant im § 77 auch vom intuitiven Verstand als einem „von der Sinnlichkeit unterschiedene^] und davon ganz unabhängige[m] Erkenntn iß vermögen" schreibt (ebd.). Freilich sind Gattung und Art sowie auch die Arten gegeneinander unterschieden - doch eben nicht nur unterschieden, soll Gattung als das Allgemeine Grund der Bestimmt9

Insofern ist der ,reine Verstand' der ersten Kritik auch der ,ektypische Verstand 4 der dritten Kritik, mithin mit dem ,endlichen Verstand' identisch. Vgl. dazu auch Konrad Cramer: Nicht-reine synthetische Urteile a priori, Kap. 8; Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion, 1. Teil; Viktor Nowotny. Die Struktur der Deduktion bei Kant, 273 ff. 10 Vgl. zum hier verwendeten Verständnis des Art-Gattung-Schemas Hans Wagner. Philosophie und Reflexion, §§ 14 und 15.

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heit und Unterschiedenheit der verschiedenen Arten sein. „Sinnlichkeit" müsste per se schon ein „Minimum an Spontaneität" eignen. Sie wird aber von Kant durchweg als bloß „rezeptiv" bestimmt (vgl. z. B. KrV, B 33, B 75 u. ö.). — Von der Sache her scheint mir ferner keine Alternative zwingend. Denkbar wäre es, die ,reine praktische Vernunft' als weitere Art neben den endlichen Verstand qua theoretische Vernunft' und unter die Gattung Spontaneität überhaupt' zu stellen. Immerhin ist sie ja „reine Vernunft" und kann als Sittengesetz reflexiv eingeholt werden (vgl. KpV, A 54-58, A 72-87). 11 Allerdings scheint dieser Vorschlag herangetragen, und die Konstruktion eines systematischen Zusammenhangs von einer Gattung Spontaneität überhaupt' und einer Art,reine praktische Vernunft' mit nicht wenigen Problemen verbunden, zumal ja nach Kant nicht nur der Mensch, sondern alle vernünftigen Wesen (auch Gott selbst) an das Sittengesetz gebunden wären. 12 (b) Zum anderen muss freilich auch die Gattung (hier: der Begriff von einem ,intuitiven Verstand') hinreichend bestimmt sein. Mit diesem Punkt zeigt sich dann die tatsächliche, schließlich doppelte Crux des vorliegenden Falles. Zuvörderst ergibt sich das Problem des Abschlusses: Auch eine Gattung ist wiederum selbst Art einer weiteren (höheren) Gattung, soll das Prinzip der Gattung für die Bestimmtheit von Begriffen begründet und nicht nur dogmatisch gesetzt sein. Von welcher Gattung wäre jedoch Spontaneität überhaupt' resp. intuitiver Verstand' eine Art? Findet sich schlechterdings keine Gattung für die Art Spontaneität überhaupt' - und sie findet sich tatsächlich nicht - , scheint diese auf bloß defizitäre Weise bestimmt! Kant selbst gibt einen recht lax anmutenden Hinweis, wie die Bestimmtheit des intuitiven Verstandes zustande kommt, indem er ihn als „negativ, nämlich bloß als nicht discursiven" denkt (KU, B 347). Damit scheint der Begriff von einem , intuitiven Verstand' seine ganze Bestimmtheit nach Kant ausschließlich aus der Negation des allgemeinsten Merkmals des endlichen Verstandes zu erhalten - ich werde darauf gleich zurückkommen. Hinzu kommt ferner das Problem, dass eine höhere Gattung nur gefunden werden könnte, wenn die Gattung Spontaneität überhaupt' zumindest eine weitere Gattung „koordiniert neben sich" hätte. Auch dies scheint mir im vorliegenden Fall aussichtslos. Allerdings wird man wohl nicht weniger stringent in seiner Argumentation, wenn man daraufhinweist, dass das Problem des „Abschlusses" anders zu lösen sei, als ständig neue Gattungen zu ersinnen - ad infinitum. Daher scheint es sinnvoll, die skizzierte erste Möglichkeit, den Begriff von einem , intuitiven Verstand' als eine oberste Gattung zu denken, aufzugeben und sich neu zu orientieren. 11

Vgl. auch Lewis White Beck'. Kants „Kritik der praktischen Vernunft", 158-168. So schreibt Kant etwa in der KpV über das Sittengesetz qua „Princip der Sittlichkeit": „Es schränkt sich also nicht blos auf Menschen ein, sondern geht auf alle endliche Wesen, die Vernunft und Willen haben, ja schließt sogar das unendliche Wesen als oberste Intelligenz mit ein" (KpV, A 57). 12

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2. Nimmt man Kants marginalen Hinweis, der intuitive Verstand sei „Verstand in der allgemeinsten Bedeutung", nicht derart wörtlich, wie eben geschehen, und behält dabei die gerade aufgezeigten Probleme, die im Dunstkreis begrifflicher Letztbegründung entstehen, im Hinterkopf, dann gibt sich die von Hans Wagner im Anschluss an Überlegungen Hegels vorgeschlagene Lösung des Problems der obersten Gattung aussichtsreich: „Bestimmtheit auf der höchsten Stufe des Begriffs setzt [...] eine Mehrheit, mindestens eine Zweiheit, von höchsten Begriffen voraus: diese können in sich bestimmt sein, indem sie sich wechselseitig bestimmen durch wechselseitigen Ausschluß und wechselseitige Limitation." 13 Diesen Gedanken für den vorliegenden Fall aufnehmend ergibt sich, dass der Begriff von einem intuitiven Verstand' gemeinsam mit dem vom endlichen Verstand' die oberste Gattung Spontaneität überhaupt' ausmacht. Sollten sich beide als Glieder einer vollständigen Disjunktion, also als ein Ganzes denken lassen, wäre keine weitere Gattung bzw. Art zu suchen nötig, denn beide würden sich wechselseitig ausschließen, limitieren und implizieren. Ist dies möglich? Wir hatten festgehalten, dass das allgemeinste Merkmal des diskursiven (ektypischen) Verstandes seine Endlichkeit ist, dass er also angewiesen ist auf ein Anderes, ihm zu Gebendes (Merkmal der Prinzipiendifferenz). Als das eine Glied einer vollständigen Disjunktion gedacht, lässt sich das zweite Glied dieser Disjunktion in der Negation dieses Endlichkeitscharakters, in der Aufhebung der Prinzipiendifferenz finden. Das Resultat dieser Negation lässt sich dann als „nicht discursive[r]", mithin als ,,intuitive[r]" (KU, B 347) und schließlich als un-endlicher Verstand denken. Dies passt offensichtlich hervorragend zu den obigen Überlegungen zum Begriff des Verstandes mit Blick auf den § 77 der KU, und Kants Gedankengang gewinnt damit wieder an Plausibilität. - Allerdings birgt er eine folgenreiche Implikation: Der intuitive Verstand wäre nämlich demnach das „Schlecht-Unendliche" im Hegeischen Sinne! 14 Der im § 77 der dritten Kritik begrifflich entwickelte intuitive Verstand als Resultat der bloßen Negation des allgemeinsten Merkmals des endlichen Verstandes ist ein verendlichter „unendlicher Verstand", mithin sicher nicht mit dem zu vermutenden „göttlichen Urheber" zu identifizieren (KU, B 365). Indem aber jeder endliche Verstand 15 einen intuitiven Verstand veranschlagen muss, um sich 13

Hans Wagner. Philosophie und Reflexion, 121. Hegel schreibt in seiner „Seinslogik": „So das Unendliche gegen das Endliche in qualitativer Beziehung von Anderen zueinander gesetzt, ist es das Schlecht-Unendliche, das Unendliche des Verstandes zu nennen, dem es für die absolute Wahrheit gilt"; und kurz darauf: „ [...] in ihrer Beziehung ist das Unendliche nur Grenze des Endlichen und ist damit nur ein bestimmtes, selbst endliches Unendliches." (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke 5, 152). 15 Zwar nennt Kant in den §§ 76 und 77 bevorzugt den „menschlichen Verstand" als des teleologischen Denkens und der damit verbundenen Annahme eines ,intuitiven Verstandes' bedürftig, doch ist hier eben doch nicht nur der „menschliche Verstand" betroffen! Kant macht dies im letzten Abschnitt des § 77 auch nochmals deutlich, indem er schreibt: „ [ . . . ] und schlechterdings kann keine menschliche Vernunft (auch keine endli14

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selbst - ganz wie es die Auflösung der Antinomie der teleologischen Urteilskraft fordert - als besonderen denken zu können, wird die reflektierende Urteilskraft Zeuge für die Unmöglichkeit der Denkbarkeit eines göttlichunendlichen Verstandes. Durch die Involvierung des Begriffs von einem intuitiven Verstand4 in die kritisch-endliche Reflexion auf die oberste Gattung, als deren Glied er notwendig zu gelten hat, wird seine Unendlichkeit „verendlicht". Zwar kann er ausschließlich aus der Perspektive des endlichen Verstandes mittels simpler Negation gedacht werden, doch wird er eben von diesem gedacht und soll er wenigstens minimal bestimmt als , Verstand4 gelten können, wird er selbst ein Teil des Endlichen. Die theoretische Vernunft zeigt sich damit auch im naturteleologischen Kontext - ganz im Sinne der ersten Kritik - als wesenhaft agnostisch. Nachdem der intuitive Verstand als ein verendlichter erkannt ist, gewinnen auch die Überlegungen Eckart Försters zur Rezeption des Begriffs von einem intuitiven Verstand 4 durch Goethe und Hegel 16 an sachlichem Fundament. Nach Försters interessanten historischen Ausführungen „entwickelte Goethe eine Methodologie des intuitiven Verstandes, die er besonders in seinen naturphilosophischen Arbeiten zur Anwendung brachte 4417 und schließlich sei auch „der Wechsel zur Erkenntnisart des intuitiven Verstandes [...] Hegels entscheidende Jenaer Einsicht" 18 . Es wird nun einsichtig, wie es von der Sache her überhaupt möglich sein kann, dass - nach Försters Meinung - Goethe und Hegel die Erkenntnisweise des intuitiven Verstandes für realisierbar (durch ein bestimmtes endliches Wesen, nämlich den Menschen) halten konnten. Denn, wie gesehen, ist der Begriff des intuitiven Verstandes4 sicher nicht der angemessene terminus technicus, um ein für den endlichen Verstand unerreichbares, allmächtiges Wesen namens Gott zu bezeichnen. - Ganz und gar nicht einsichtig ist allerdings die Interpretation Försters der §§76 und 77 der KU, bei der er „zwei für Kant denkbare, aber von uns nicht realisierbare Erkenntnisvermögen 4419 unterscheidet, „die keineswegs aufeinander zu reduzieren sind: eine nicht-sinnliche, d. h. intellektuelle, Anschauung [...] und ein intuitiver Verstand 4420. Sollte es sich hierbei in Förster Verständnis tatsächlich bloß um „Deutungsmöglichkeiten44 handeln, mag genannte Unterscheidung als Leitfaden für die Erforschung der postkantischen Geistesgeschichte durchaus nützlich sein. Zum sachlichen che, die der Qualität nach der unsrigen ähnlich wäre, sie aber dem Grade nach noch so sehr überstiege) die Erzeugung auch nur eines Gräschens aus bloß mechanischen Ursachen zu verstehen hoffen" (KU, B 353). 16 Vgl. zum Folgenden Eckart Förster: Die Bedeutung der §§ 76, 77 der Kritik der Urteilskraft für die Entwicklung der nachkantischen Philosophie. 17 Ebd., 321. 18 Ebd., 344. 19 Ebd., 179. 20 Ebd., 177.

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Problem trägt sie allerdings nichts bei, sondern ist schlichtweg verwirrend. Denn allen beiden „Deutungsmöglichkeiten" liegt die problematische Vorstellung einer prinzipienindifferenten Subjektivität zugrunde. Und auch Kant selbst identifiziert - wie nun bereits mehrfach zitiert - wortwörtlich das „Vermögen einer v ö l l i g e n Spontaneität d e r A n s c h a u u n g " mit dem „ i n t u i t i v e [n] Verstand" als „Verstand in der allgemeinsten Bedeutung" (KU, B 347). Freilich bleibt die Frage bestehen, welche Bedeutung die Bestimmung des menschlichen Verstandes als ein besonderer Verstand mittels des verendlichenden Rekurses auf den Begriff eines ,intuitiven Verstandes4 für die kritische Philosophie Kants hat.

II. Es dürfte mit den Überlegungen des ersten Teils deutlich geworden sein, dass Kant selbst die rein gnoseologische Bestimmung des Begriffs des Verstandes überhaupt' im Sinne der KrV unterläuft. Der reflektierenden Urteilskraft geht es nicht um Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt, sondern vielmehr um die Erklärung bestimmter, bereits konstituierter Gegenstände mit Hilfe des Rekurses auf die Einzigartigkeit der Verfasstheit endlicher Subjektivität, „mithin lediglich [um] die Anwendung eines Verstandes überhaupt auf mögliche Gegenstände der Erfahrung" (KU, B 345). Zwar hält Kant an der Bestimmtheit des Verstandes im Sinne von strikter Prinzipiendifferenz fest, doch wird jene hier nochmals expressis verbis auf den ektypischen Verstand eingeschränkt. 21 Es wird nun ferner deutlich, dass auch die genuin gnoseologische Relevanz des Begriffs von einem ,Verstand' aufgeweicht wird, wenn die reflektierende Urteilskraft die Perspektive vorgibt. Denn innerhalb des streng gnoseologischen Rahmens der KrV findet ein intuitiver Verstand keinen berechtigten systematischen Platz. Die dort entfaltete Konstitutionstheorie muss in reflexiver Manier stringent aufzeigen können, wie sich Denken (Verstand) konstituiert, wie es sich überhaupt vollziehen kann, wie sowohl Subjektivität als auch Objektivität als bestimmt gedacht werden können. Und da die reine Apperzeption bloß die Fähigkeit ist, sich selbst als identisch zu denken, und somit noch gar nichts von sich Verschiedenes präsent haben kann (Identität), fordert 21

Es muss hier angemerkt werden, dass Kant eine ähnliche Einschränkung bereits in der KrV, sogar an exponierter Stelle anstellt. Gegen Ende des § 17 schreibt er: „Aber dieser Grundsatz [der synthetischen Einheit der Apperzeption] ist doch nicht ein Princip für jeden überhaupt möglichen Verstand, sondern nur für den, durch dessen reine Apperception in der Vorstellung: I c h b i n , noch gar nichts Mannigfaltiges gegeben ist." (KrV, B 138) Für einen Verstand, der „Mannigfaltiges" selbst hervorbringt, gilt das Prinzip der synthetischen Einheit der Apperzeption demnach nicht. Hier scheint sich bereits der Anthropozentrismus der §§ 76 und 77 der KU zu etablieren. Dennoch hat diese Bemerkung m. E. nur einen illustrativen Stellenwert für die Argumentation der transzendentalen Deduktion.

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sie notwendig ein Anderes (Mannigfaltigkeit), um sich vollziehen zu können.22 Somit bleibt der reine Verstand nach der KrV notwendig auf ein von ihm unabhängiges Vermögen mit eigenen Prinzipien (Sinnlichkeit) bezogen, dem die Aufgabe zukommt, den Begriffen „einen Gegenstand in der Anschauung beizufügen" (KrV, B 75 u. ö.). In diesem Sinne ist „endliches Denken" eine „Tautologie", wie Heidegger in einer Aufzeichnung zu seinem Kantbuch notiert. 23 Die hierzu relevanten Ansätze finden sich in der transzendentalen Deduktion der Kategorien. 24 Mit Blick auf einen intuitiven Verstand sind sie bereits im Ansatz undurchführbar (vgl. auch KrV, B 145). Er kann nicht als (positiv) bestimmt gedacht werden, sondern bloß „negativ, nämlich bloß als nicht discursivefr]" (KU, B 347). Es gilt für ihn das Gleiche wie für die Idee des ens necessarium, für die „unser Verstand schlechterdings keinen Begriff hat, d. i. keine Art ausfinden kann, wie er ein solches Ding und seine Art zu existieren sich vorstellen solle" (KU, B 341). Somit scheint die Perspektive der reflektierenden Urteilskraft mit ihrem Blick auf den Verstand als etwas Gegebenes der gnoseologischen Programmatik der Transzendentalphilosophie zu widerstreben, denn diese „betrachtet nur den V e r s t a n d , und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objecte anzunehmen, die g e g e b e n w ä r e n (Ontologia)" (KrV, B 873). Fraglich bleibt weiterhin, welche Relevanz der Begriff des Verstandes nun in der K U erhält. Schließlich hat er den Rahmen einer gnoseologischen resp. transzendentalen Konstitutionstheorie hier eindeutig hinter sich gelassen! Den sicher naheliegendsten Hinweis für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Begriffs von einem ,ektypischen Verstand4 bzw. einem ,intuitiven Verstand4 im zweiten Teil der K U liefert ein Blick in die folgenden Paragraphen derselben, also in die „Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft 44. Hierbei ist Paul Guyers Ansicht bedenkenswert, die er in einem kurzen Aufsatz vertritt, der eine Kritik an Richard Aquilas Interpretation der §§76 und 77 der KU sowie einen knappen Abriss seines eigenen Entwurfs enthält.25 Er schreibt: ,,[T]he systematic purport of the argument Kant launches in §§76-77 of the Critique of Teleological Judgment is to unify his theoretical and practical philoso22

Vgl. dazu bes. Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion, 88 ff. Martin Heidegger : Kant und das Problem der Metaphysik, 249. 24 Siehe auch Fußnote 8. 25 Vgl. zum Folgenden Paul Guyer : Natural Ends and the End of Nature. - Richard Aquila sieht in den §§76 und 77 eine wesentliche Ergänzung Kants hinsichtlich der Beziehung zwischen Anschauung und Begriff, indem er einen strikten Unterschied zwischen den Anschauungen des diskursiven, menschlichen Verstandes und denen eines intuitiven Verstandes veranschlagt (Vgl. Richard E. Aquila : Unity of Organism, Unity of Thought, and the Unity of the Critique of Judgment, 139-155). Paul Guyer hat dieser Interpretation m. E. zu Recht widersprochen, indem er feststellt: „In the discussion of §§76-77, Kant gives no detail about his view of intuition at all [...]" (Paul Guyer. Natural Ends and the End of Nature, 162). 23

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phy by showing that the former can only be completed with the latter" 26 . Indem der Mensch bei der Betrachtung der Natur und der Unterstellung eines Systems von empirischen Naturgesetzen auf die Frage stößt, ob die betrachtete Natur sowie das System empirischer Naturgesetze Produkte einer „übermenschlichen Intelligenz" 27 sind, muss er letztlich die weiterführende Frage stellen: Was ist der (letzte) Zweck dieser Natur? Und: Was hat es für einen Zweck, dass ich als endliches Subjekt dazu fähig bin, die Natur zu erkennen und als zweckmäßig zu begreifen? Welche Intention könnte einer notwendig anzunehmenden produktiven Intelligenz sinnvollerweise unterstellt werden? Zwei zu unterscheidende Punkte sind m. E. für unseren vorliegenden Kontext mit Blick auf Guyers Interpretation relevant: 1. Im ersten Schritt kann nach Guyer die übermenschliche produktive Intelligenz' als eine Art „Designer der Natur" vorgestellt werden - selbst wenn damit noch nicht die Frage nach dem letzten Zeck oder Ziel der Natur sinnvoll zu beantworten wäre. Wir könnten also annehmen, dass der intuitive Verstand zwar nicht Gott ist, aber ein „von uns gedachte[s] verständige[s] Wesen, deren es eines oder mehrere geben mag, welches viel und sehr große [...] Eigenschaften habe", wie Kant im § 85 schreibt (KU, B 403). Dieses ,verständige Wesen' würde durch die Spontaneität seiner Anschauungen die Naturgegenstände selbst hervorbringen und als Zwecke setzen. Wären diese vom intuitiven Verstand hervorgebrachten Naturgegenstände jedoch mit den Gegenständen identisch, die zum Beispiel das endliche Wesen ,Mensch' auf der Erde zu einer bestimmten Zeit wahrnimmt? Müssten wir uns den Vollzug seiner spontanen Anschauungen etwa so vorstellen, dass auch jetzt, in dem Moment, wenn ich mir meine Zimmerpflanzen betrachte, der intuitive Verstand als deren „Designer" diese immer noch „mit-anschaut"? Und warum sollte überhaupt diejenige Realität, die der intuitive Verstand erschafft mit derjenigen, die der Mensch wahrnimmt bzw. erkennt, übereinstimmen? 28 Ich denke, der Begriff von einem ,intuitiven Verstand' ist vielmehr bloß ein limitativer Begriff, der als eine Art „Grenzbegriff' einen Raum für Spekulationen hinsichtlich eines göttlichen Wesens eröffnet. Ähnlich verhält es sich - allerdings in ontologischer Hinsicht - mit dem Begriff des ,ens necessarium'. Wie oben ausgeführt, hätte ein anschauender Verstand eine solche Idee gar nicht nötig - allerdings muss er doch auch nicht mit ihr identifiziert werden. Da wir uns ohnehin weder von einem anschauenden Verstand noch vom ens necessarium und deren eventuellen Seinsweisen einen bestimmten Begriff machen können, ist es schlichtweg zu vorschnell, sie mit-

26

Ebd., 165. Guyer spricht von einer „superhuman intelligence which is capable of producing objects through design" (Ebd., 163). 28 Vgl. Reinhard Hiltscher. Endliche Vernunft als Stifterin von Partialwirklichkeit, im vorliegenden Sammelband, 296 f. 27

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einander oder gar mit Gott gleichzusetzen. Und ebenso steht es um den Begriff des »intuitiven Verstandes4 in naturteleologischer Hinsicht. Er scheint mir eher unbrauchbar, um als „Schöpfer" oder „Designer" der Welt zu gelten.29 Es lässt sich nur mit Recht sagen: Wenn es ein Wesen im Sinne des intuitiven Verstandes4 gäbe, bräuchte es nicht nach „einem ursprünglichen Verstände als Weltursache zu suchen44 (KU, B 354). 2. Der angesprochene „Verweisungscharakter 44 des (limitativen) Begriffs eines intuitiven Verstandes4 führt zu der Frage nach dem letzten Zweck der Natur. Dass mit ihr in der Konsequenz die Grenze von der „theoretischen Philosophie44 hin zur „praktischen Philosophie44 überschritten wird, ist nicht zu leugnen. So meint Kant dann auch selbst im § 82: „Wenn wir die ganze Natur durchgehen, so finden wir in ihr als Natur kein Wesen, welches auf den Vorzug, Endzweck der Schöpfung zu sein, Anspruch machen könnte; und man kann sogar a priori beweisen: daß dasjenige, was etwa noch für die Natur ein letzter Zweck sein könnte, [...] doch als Naturding niemals ein Endzweck sein könne44 (KU, B 382). Wohl gemerkt: „als Naturding 44! Die theoretische Vernunft hat sich bekanntlich nach Kant mit den „Naturdingen 44 (samt ihrer Konstituierung) zu begnügen. Allerdings findet sich in unserer Erfahrung ein Wesen, dass nicht nur „Naturding 44 ist, nämlich der Mensch selbst. Und somit kann er für die reflektierende Urteilskraft als „der letzte Zweck der Schöpfung hier auf Erden44 gelten (KU, B 383). Der Mensch als moralisches Wesen, „als Noumenon betrachtet44 (KU, B 398), wird damit im letzten Teil der KU von Kant explizit ins Rampenlicht gerückt. Dennoch scheint mir Guyers Interpretation nicht den systematischen Stellenwert der Überlegungen, die Kant in den §§ 76 und 77 (jenseits der Antinomienproblematik) unternimmt, genau zu treffen. Guyers Interpretation ist zu weit und gleichzeitig zu eng gefasst. Sie ist zu weit, indem sie die §§ 76 und 77 nur mit Blick auf die Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft zu interpretieren zulässt. Zwar nimmt Kant dort mit seinen Überlegungen zur Kultur und Religion sicher in gewisser Weise eine Vereinigung von theoretischer und praktischer Philosophie ins Visier, doch hängt der Gedanke der Letztzweckhaftigkeit des Menschen nur mittelbar an der Kontrastierung des endlichen Verstandes mit dem intuitiven Verstand. Der in den §§ 76 und 77 geleisteten Bestimmung des endlichen Verstandes als einem besonderen Verstand muss jedoch auch unabhängig solcher Überlegungen ein wohl bestimmter Sinn abzuringen sein. - Andererseits ist Guyers Interpretationsperspektive zu eng gefasst, indem sie das Vorhaben einer Kritik der reflektierenden Urteilskraft scheinbar bloß auf die Vereinigung von theoretischer und praktischer Philosophie beschränkt und diese Vereinigung wiederum eben nur in der Methodenlehre der

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Auf die ferner zu bedenkende Bestimmung der Idee des intuitiven Verstandes' als „Weltseele", wie sie sich im „Opus postumum" finden lässt, kann ich hier nicht eingehen. Vgl. dazu v. a. Klaus Düsing : Die Teleologie in Kants Weltbegriff, 172-197.

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„Kritik der teleologischen Urteilskraft" 30 findet. Selbstredend kann ich hier nicht mehr eine kohärente und halbwegs ausfuhrliche Interpretation der systematischen Funktion der gesamten K U im kritischen System Kants liefern. Doch seien mir noch einige abschließende Bemerkungen erlaubt. Dass die reflektierende Urteilskraft nicht mehr an der Konstitution von Gegenständlichkeit überhaupt beteiligt ist, wurde mehrfach betont. Auch mit Blick auf die Konstitution von Moralität trägt sie nichts bei. Sie hat generell den Rahmen konstitutiver Prinzipialität verlassen, auch wenn sie über ein genuines Prinzip verfügt: „Die Urteilskraft hat [...] auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rücksicht in sich, wodurch sie, nicht der Natur (Autonomie), sondern ihr selbst (als Heautonomie) für die Reflexion über jene, ein Gesetz vorschreibt" (KU, B XXXVII). Sie macht somit auch nichts über Objekte, sondern über die Betrachtung eines Objekts durch Subjekte aus.31 Oder anders: Sie konstituiert nicht ein „An-sich", sondern sie konstituiert bzw. reguliert das „Für-sich". 32 Damit zielt sie auf eine Theorie des Subjekts ab. Allerdings muss hier der Terminus ,Subjekt4 zumindest ansatzweise präzisiert werden. Denn bereits die Transzendentallogik der ersten Kritik liefert ja subjekttheoretische Einsichten.33 Insofern ist es auch schlichtweg zu wenig, wenn man behauptet, dass „Kant im § 76 den Versuch einer Enthüllung der Wesensverfassung der menschlichen Erkenntnis" 34 vollzieht und damit zeigt, 30

Dies scheint besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass Kant in der Einleitung zur K U selbst behauptet, es sei „[d]ie Spontaneität im Spiele der Erkenntnißvermögen", die „zur Vermittlung der Verknüpfung der Gebiete des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriffe' 4 befähigt (KU, B LVII). Demnach ist die Vermittlung bzw. Vereinigung von theoretischer und praktischer Philosophie (zumindest) auch in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" zu suchen. 31 Vgl. dazu mit Blick auf Kants Begriff von Erfahrung überhaupt v. a. Gerd Wolandt: Überlegungen zu Kants Erfahrungsbegriff, 54 ff. 32 Hier muss genauer hinsichtlich der Konstitutions- bzw. Regulationsleistung der Urteilskraft differenziert werden. So schreibt Kant in der „Einleitung" der KU: „Der Begriff der Urteilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur ist noch zu den Naturbegriften gehörig, aber nur als regulatives Princip des Erkenntn iß Vermögens, obzwar das ästhetische Urtheil über gewisse Gegenstände (der Natur oder der Kunst), welches ihn veranlaßt, in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust ein constitutives Princip ist." (KU, B L V I f.) Mit Blick auf die Erkenntnis von Gegenständen ist die reflektierende Urteilskraft mit ihrem Prinzip der Zweckmäßigkeit also nur an deren Regulation beteiligt. Für das ästhetische Gefühl eines Subjekts ist es allerdings konstitutiv. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist also in keinem Fall für die Gegenstandskonstitution mitverantwortlich, es bleibt ein subjektives Prinzip! Vgl. dazu auch Wolfgang Bartuschat: Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, z. B. 87 f. und 248 ff., Klaus Düsing: Die Teleologie in Kants Weltbegriff, 56 ff. sowie Rudolf Zocher: Kants Grundlehre, 68 f. 33

Vgl. auch Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion. Hiltscher ist sogar der Meinung: „Die Transzendentallogik ist der einzige wissenschaftliche Zugang zur Endlichkeit des Menschen." (Ebd., 322). 34 Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Kants transzendentale Metaphysik, 56.

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dass wir „uns als die menschlich endlichen Vernunftwesen, die wir sind, also als die erkennenden Wesen, nur durch philosophische Selbsterkenntnis erfassen [können]" 35 . Zwar ist es sicher nicht einfach falsch, das gesamte kantische Projekt derart zu umreißen, doch trifft solche metaphernreiche Sprache mit Blick auf den § 76 schlechterdings nicht den Punkt. Die Endlichkeit von Subjektivität überhaupt ist nicht der ausschlaggebende Fokus dieses Paragraphen, schließlich wird sie ja hier - im Gegensatz zur ersten Kritik - bereits vorausgesetzt! Sie muss sogar vorausgesetzt werden, da es Kant in der KU um das konkrete, sich in der Welt bereits befindende und sich darin orientierende Subjekt geht - und dies ist eo ipso endlich, soll es überhaupt als Subjekt gelten. Betrachtet man die gesamte KU als den Versuch Kants, eine kritische Theorie des konkreten Subjekts zu entwerfen, lassen sich seine Überlegungen in den hier behandelten Paragraphen als Versuch verstehen, den bis dato nur gnoseologisch bestimmten Begriff eines , Verstandes4 in eine solche Subjekttheorie mittels der Kontrastierung mit einem intuitiven Verstand zu integrieren. Der Begriff eines intuitiven Verstandes4 ist damit als ein limitativer Begriff zu verstehen. Die Rekonstruktion der angesprochenen Theorie des konkreten Subjekts bedürfte allerdings zuvörderst einer stringenten Verhältnisbestimmung von transzendentaler und konkreter Subjektivität, mithin von Gnoseologie und Anthropologie. Diese wurde seit den letzten Atemzügen des sogenannten Neukantianismus nicht einmal mehr in der Kantphilologie ernsthaft in Angriff genommen.

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Ebd., 57.

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Erreichung und Errichtung Über die empiriologische Orientierung der Kantischen Geschichtsphilosophie 1 Werner Flach

Ist eine Meinung erst einmal zum Standard geworden, hält sie sich hartnäkkig. Die Beurteilung der Kantischen Empiriologie liefert hierfür ein gutes Beispiel. Sie w i r d als ziemlich beschränkt eingeschätzt. Insbesondere leide sie daran, daß sie die Geschichtswissenschaften überhaupt nicht als Wissenschaften in Betracht ziehe und daß sie insofern die Grundlegungsthematik dieser Wissenschaften nicht einschließe. Die „ K r i t i k der historischen Vernunft" bleibe ihr gegenüber ein Desiderat. Erst sehr viel später, beginnend mit der Arbeit W i l h e l m Diltheys, der diese Formel prägte, werde damit begonnen, dieses Desiderat einzulösen 2 . Die Standardmeinung muss nicht zutreffen. Auch hierfür ist die Beurteilung der Kantischen Geschichtsphilosophie ein Beispiel. Sie geht in die Irre. Sie geht sogar in den Fällen noch in die Irre, in denen das Kantische Schrifttum zur Ge1 Zu dieser Abhandlung vgl. auch Verf.: Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie, in: Perspektiven der Transzendentalphilosophie: im Anschluß an die Philosophie Kants, hrsg. von R. Hiltscher und A. Georgi , Freiburg/München 2002, S. 105-115 und Verf.: Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus", in: Phänomenologische Forschungen 10 (2005), 167-174, sowie Verf.: Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie, in: Kant im Neukantianismus: Fortschritt oder Rückschritt?, hrsg. von M. Heinz und Ch. Krijnen , Würzburg (im Erscheinen). 2 Erst kürzlich wieder hat K.-H. Lembeck in der Einleitung seiner Ausgabe von Texten zur Geschichtsphilosophie geurteilt, Kant „begründet... weder eine Logik noch eine Methodologie des historischen Erkennens", und dies obwohl er um „das Problem eines zureichenden Geschichtsverständnisses" bemüht sei (K.-H. Lembeck : Geschichtsphilosophie. Freiburg/München 2000, S. 19). Das habe erst Dilthey nachgeholt. Wenn Logik in der Gegenüberstellung zur Methodologie Grundlegung heißen soll, dann ist dieses Urteil irreführend. Denn Kants Bemühen um ein zureichendes Geschichtsverständnis zielt gerade auf dessen Grundlegung. Wenn Logik etwas anderes heißen soll, dann müßte das Gemeinte zu Kants Bemühen in ein definiertes Verhältnis gesetzt werden. Auch für die Methodologie des historischen Erkennens hat Kant mit seiner Lehre von der Zuverlässigkeit der Geschichtsidee die tragfähige Grundlage geliefert. In dem Wenigen, das in der Erfahrung zu entdecken ist, läßt sich vergleichbar der Konstruktion eines Bahnverlaufes von der Bestimmung eines Bahnsegmentes her der Gang der Geschichte als ein sich selbst organisierendes Ganzes konzipieren.

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schichtsphilosophie ausgiebig zur Kenntnis genommen wird. Die Frage ist, woran liegt dies, was bedingt die Unangemessenheit der Einschätzung der Kantischen Geschichtsphilosophie. Meine Meinung ist, die Einschätzung geht in die Irre, weil sie nicht in dem erforderlichen Maße den strikt empiriologischen Charakter der Kantischen Geschichtsphilosophie berücksichtigt. Die Argumentation wird zu sehr als moralphilosophisch motiviert betrachtet. Selbst wenn deutlich gesehen wird, dass die doppelte Obligation der obligatio naturalis und der obligatio moralis strapaziert wird, wird doch unterschiedlich gewichtet. Der obligatio moralis wird als Zwecksetzungsobligation das größere Gewicht zugesprochen als der obligatio naturalis, die (lediglich) Zweckmäßigkeitsobligation ist. Der Kantische Text scheint auch gar keine andere Gewichtung zuzulassen. Denn schließlich legen die Kantischen Formulierungen, „die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte" (AA VIII, 367) und daß die Natur einen Wirkungsmechanismus anbiete, der „von der Vernunft zum Mittel gebraucht werden kann, dieser ihrem eigenen Zweck, der rechtlichen Vernunft, Raum zu machen" (AA VIII, 366 f.) und hiermit das „Problem der Staatserrichtung" (AA VIII, 366) zu lösen, genau diese Gewichtung nahe. Wenigstens scheint dem auf den ersten Blick so. Die Frage ist, faßt der erste Blick die Kantische Aussage. Ich meine, dieser Frage nachzugehen, lohnt sich. Denn wenn man die Kantischen Formulierungen nur pünktlich genug liest, stellt sich heraus, daß die Aussage dem ersten Anschein entgegen doch eine andere ist. Es stellt sich heraus, daß die argumentative Gewichtung in der Einschätzung des Verhältnisses von obligatio naturalis und obligatio moralis anders vorzunehmen ist, als sie in Übereinstimmung mit dem ersten Anschein vorgenommen zu werden pflegt. Die beiden Obligationen korrespondieren nicht genau miteinander, sondern die obligatio moralis ist nur auf der Basis der obligatio naturalis möglich. In dieser muß etwas erreicht werden, angesichts dessen die moralische Obligation in der Welt des Menschen verfangen kann und dementsprechend nach Maßgabe ihrer etwas errichtet (gestiftet) werden kann, die bürgerliche Gesellschaft, der Staat, und alles, was mit diesen zusammenhängt. Das ist unverkennbar eine empiriologische Argumentationsstrategie und keine eigentlich moralphilosophische. Daß die Moralisierung hierbei den letzten Zweck beinhaltet, ändert hieran nichts. Sie ist das Schlußthema der Argumentation, nicht deren Angelpunkt. Kant hat es nicht versäumt, die Differenz deutlich anzuzeigen. Die Begriffe der Erreichung und der Errichtung (Stiftung) sind die Indizes. Den Unterschied resp. seine Indizes zu übersehen oder zu mißachten, ist somit eine der Unpünktlichkeiten, die bei der Auslegung der Kantischen Geschichtsphilosophie tunlichst vermieden werden müssen. Leider ist sie gang und gäbe. R. Brandt 3 meint, bezogen auf die Formu3 R. Brandt: Quem fata non ducunt, trahunt. Der Staat, die Staaten und der friedliche Handel, in: Der Vernunftfrieden. Kants Entwurf im Widerstreit, hrsg. von M. Kodalle (Kritisches Jahrbuch der Philosophie Bd. 1) 1996, S. 72 Anm. 15.

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lierung Kants AA VIII, 22, 6-8 sogar, man sollte Erreichung als Errichtung lesen. Das ist schon nicht mehr Unpünktlichkeit der Auslegung, das ist Verschiebung der Argumentation in der Auslegung. Wenn es darum geht, den Gang der Argumentation in Kants Geschichtsphilosophie aufzudecken, so ist das erste Stück, worüber Zweifelsfreiheit herbeizufuhren ist, die thematische Einordnung dieser Argumentation. Und da kann die Aussage nur lauten: Das Thema ist das der Weltbetrachtung. Die „Erscheinungen in der Welt" (KrV B 494) stehen zur Erörterung. Zufällig, wie sie sind, müssen sie durchschaubar werden. Durchschaubar sind sie nur auf Grund eines transzendentalen Prinzips. Dieses Prinzip muß ihre Zufälligkeit (zufällige Bestimmtheit) trotz und gerade bei ihrer Notwendigkeit als legitim erscheinen lassen. Das bedeutet für Kant, nicht konstitutiv-bestimmende, sondern regulativreflektierende Begrifflichkeit ist gefragt. Die Begriffsbildung folgt den Anforderungen der reflektierenden Urteilskraft. Die Erörterungen, die das Thema erfordert, sind Erörterungen in derartiger Begriffsbildung, sind Erörterungen in teleologischen Bestimmungen. Erörterungen in teleologischen Bestimmungen, das ist der Inhalt der Teleologiediskussion der „Kritik der Urteilskraft", sind Erörterungen, die einen konkreten Sachzusammenhang organisieren und die im Zuge dieser Organisation immer auch Auskunft darüber geben, welches der Bestimmungsgrund des qua Zufälliges durch die Wirkung eines Bestimmungsgrundes in sein Dasein Gekommenen ist. In Kants Terminologie sind die entsprechenden Aussagen somit zweckorientiert. Sie bringen die Bestimmung ihres Gegenstandes notwendig mit einem Zweck in Verbindung. Die zufälligen Erscheinungen in der Welt stellen sich so als zweckmäßig dar. Sie sind wesentlich durch ihre Zweckmäßigkeit charakterisiert. Sie sind insofern über ihre Zweckmäßigkeit in einem spezifischen Verstände zu erklären, zu verstehen. Gerade der Mensch oder die Menschen, seine resp. ihre Stellung in der Welt (sein oder ihr Verhalten, sein oder ihr Handeln) sind in dieser spezifischen Erklärung aufzuschlüsseln. Die Aufschlüsselung erfolgt über die Zweck-MittelRelation. Eine Erscheinung ist demnach mit einem Zweck in Verbindung zu bringen, einmal insofern sie selbst Zweck ist, einmal aber auch insofern als sie Mittel zu einem Zweck ist. Sie kann also als beides genommen werden. Sie kann aber auch nur als das eine genommen werden. Wird sie nur als Zweck und nicht auch als Mittel zu einem Zweck genommen, so ist sie Selbstzweck. Rücksichtlich der Bestimmtheit von Natur stellt sich mit diesem Selbstzweck freilich ein Problem. Bezogen auf den Punkt, daß die Erscheinung in der Welt, die Selbstzweck ist, nur durch die Wirkung eines Bestimmungsgrundes in die Welt gekommen ist, gehört auch diese Erscheinung zur Natur. Bezogen auf den Punkt, daß mit ihr die für das naturale Geschehen essentielle UrsacheWirkungs-Reihe abgebrochen ist - die Relation schließt ja nicht mehr die Iteration ein - , ist sie kaum der Natur zuzuzählen. Kant löst dieses Dilemma dadurch

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auf, daß er lehrt, sie ist der Natur zuzuordnen, aber als deren letzter Zweck, und diesen hat die Natur sich gegenüber. Es gibt die Möglichkeit, einen letzten Zweck der Natur zu denken und diesen mit den Phänomenen zu identifizieren, denen gegenüber alle anderen als Mittel einzustufen sind, während sie allen anderen gegenüber nicht zum Mittel dienen. Das sind die spezifisch menschlichen Phänomene (AA V, 426 f.). Sie sind im Sinne der Beurteilungsmöglichkeit des letzten Zweckes der Natur zu beurteilen. Die natürlichen Phänomene sind ihnen gegenüber Mittel. Können sie doch vom Menschen genutzt werden. Der Mensch läßt sich, wie Kant das prägnant ausdrückt, als der „betitelte Herr der Natur" (AA V, 431) betrachten. Es ist nun wichtig zu durchschauen, daß die Kantische Formulierung, daß der letzte Zweck der Natur außerhalb der Natur liege, nicht besagt, der letzte Zweck der Natur hat nichts mit der Natur zu tun. Worauf es Kant ankommt ist dies, daß der Natur mit dieser Beurteilung ihre Grenze definiert wird und daß diese Grenze der Mensch ist, der Mensch in seiner Spezifität. Zum anderen liegt in dieser Beurteilungsmöglichkeit die bedeutsame Einsicht beschlossen, daß die Spezifität des Menschen in homogener Begrifflichkeit, nämlich der der Zweckbindung, in Gegenstellung zur Natur zu bringen ist. Qua betitelter Herr der Natur verhält der Mensch der Natur gegenüber sich souverän. Er setzt sich seine eigenen Zwecke. Diese Zweckbindung ist relativ zur Zweckbindung der Zweckmäßigkeit unbedingt. Sie repräsentiert eine bestimmte Freiheit von der Naturbestimmtheit, eine eigene Zweckbestimmung, Zweckbestimmung nach Maximen, die außerhalb der Natur liegen, weshalb es Kant angeraten sein läßt, diese Zweckbestimmung von der Bestimmung gemäß dem letzten Zweck der Natur als Endzweckbestimmung zu unterscheiden. Zweckbestimmung und Zweckbestimmung widerstreiten sich hierbei nicht. Die Zweckbestimmung, die Zwecksetzung ist, stimmt mit der Zweckbestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, ihrer Unterschiedenheit ungeachtet zusammen. Sie stimmt mit dieser insofern zusammen, als sie gerade dies leistet, die zweckmäßige Bestimmung auf die Endzweckbestimmung auszurichten. In Kants Begrifflichkeit, die Natur wird als etwas betrachtet, das als Mittel zur Ermöglichung von nicht naturaler Bestimmtheit gebraucht werden kann. Umgekehrt stimmt die Zweckbestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, mit der Zwecksetzung insofern zusammen, als der Mensch qua Naturwesen durch seine Naturbestimmtheit darauf vorbereitet, dazu tauglich gemacht ist oder wird, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen als Mittel zu gebrauchen" (AA V, 431). Das eine wie das andere ist gleich bedeutsam. Doch ist auf die jeweilige Konditionierung zu achten. Das Zusammenstimmen der Zweckmäßigkeit und der Zwecktätigkeit von der Zwecktätigkeit her gesehen, ist die Konditionierung zu einem Gebrauch. Dasselbe Zusammenstimmen von der Zweckmäßigkeit her gesehen ist die Konditionierung zu einer Fähigkeit, der Fähigkeit, die Natur als

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Mittel zu gebrauchen. Der Gebrauch hängt somit von der Fähigkeit, der Tauglichkeit zum Gebrauch ab. Diese muß unabhängig von allem Gebrauch vor allem Gebrauch hervorgebracht sein oder werden, soll der Gebrauch denkbar sein, soll also die Konditionierung durch den Gebrauch einsetzen. Das eine geht also dem anderen in der Konditionierung voran. Im Zusammenstimmen von Fähigkeit zum Gebrauch und Gebrauch ist die Fähigkeit zum Gebrauch das sachlich Primäre. Genau darin wird der entscheidende Punkt der den Menschen in den Blick nehmenden Weltbetrachtung gefaßt. Der Angelpunkt der ganzen Kantischen Doktrin von der Geschichte ist diese prädeterminierende Konditionierung „in Ansehung des Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung" (AA VIII, 362). Ohne die diesen Sachverhalt fassende Vorstellung kann es nach Kant keine fundierte Lehre von der Geschichte geben. Genauer: Gehörte es nicht zur Konsequenz des geltungstheoretischen Prinzipiengedankens der Zweckmäßigkeit der Natur, die jenen Sachverhalt fassende Vorstellung hervorzutreiben, so ließe sich für die Lehre von der Geschichte kein Geltungsgrund finden. Oder nochmals anders, aber ebenfalls ganz in Übereinstimmung mit Kants Begrifflichkeit gesagt, der Begriff der Kultur müßte ohne die prinzipien- und geltungstheoretische Fundierung bleiben, die ihn zu dem Begriff macht, in dem der Grund dafür liegt, daß innerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung auch noch etwas anderes als die bloße Natur, nämlich geschichtliches Geschehen, registriert wird. Die Kulturbestimmtheit unserer Welt zu registrieren, ist mit ein Bestandteil unserer Erfahrung. Es ist der Bestandteil unserer Erfahrung, in dem wir den letzten Zweck der Natur erkennen. Es handelt sich um Erkenntnis in teleologischen Begriffen und in Ansehung der Menschengattung. In Ansehung derselben haben wir Ursache, der Natur einen Zweck beizulegen, der als deren Termination zu betrachten ist. Die Termination ist von der Art, daß sie zugleich das mögliche Transnaturale definiert, so daß feststeht, es gibt in der Weltbetrachtung auch das Transnaturale. Und: Das Transnaturale ist nur in teleologischer Begrifflichkeit und in Ansehung der Menschengattung zu denken. Das Transnaturale ist das Humanum, die mit seiner Naturbestimmtheit konvenierende Vernünftigkeit des Menschen. Die Vernünftigkeit des Menschen definiert sich denn auch ganz im Sinne dieser Konvenienz. Das aber heißt nichts anderes, als daß sie sich empiriologisch definiert. Der Mensch ist animal rationabile. Er vermag sich für einen Zweck zu entscheiden. Diese Fähigkeit, sich für einen Zweck zu entscheiden, ist sein Wille. Dieser Begriff hat also seine empiriologische Wurzel. Und er ist auch nicht aus dem empiriologischen Kontext zu lösen. Denn, was ihm zugedacht wird, ist dies, sich von den Fesseln der Begierden, „wodurch wir an gewisse Naturdinge geheftet sind" (AA V, 432) zu lösen und sich so in dem ganz bestimmten Verstände zu einem freien Willen zu machen, daß er entscheidet, die Bestimmung der Tierheit „anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen, nachdem es die Zwecke der Vernunft erfordern" (AA V,

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432). Der Mensch macht insoweit etwas aus sich. Er macht aus sich, was er aus sich machen kann und was er aus sich machen soll. Daß er sich in dieser Rolle findet, ist dem Willen der Natur, wie Kant sagt, verdankt. Es hat also mit den Naturanlagen des Menschen zu tun. Diese sind auf der mechanischen Naturbestimmtheit aufruhende gesetzmäßige Bestimmtheit, die den Menschen als „o r g a n i s i e r t e s und sich selbst organisierendes Wesen" (AA V, 374) kennzeichnet. Eben diese Kennzeichnung verlangt, daß das ganze mit diesem Wesen in Verbindung zu bringende Geschehen als organisiertes und sich selbst organisierendes Ganzes zu betrachten ist. Relativ zu diesem Ganzen befindet sich der Mensch in jenem Zustand, in welchem er etwas errichten (stiften) kann. Es ist, wie Kant unmißverständlich macht, ein von der Natur herbeigeführter, natürlich erreichter künstlicher Zustand (AA VIII, 25 und 360). Die Errichtung (Stiftung) ist ein in der Erreichung enthaltenes Oktroi (AA VIII, 25 sowie 365 u. ö.). Ohne dieses Oktroi ist die als Kultivierung, Disziplinierung und Zivilisierung zu interpretierende Entwicklung in der Gattungsgeschichte nicht zu denken. Wegen dieses Oktroi ist aber auch an diese Entwicklung zu denken. Zum empiriologischen Begriff des Menschen gehört die Vorstellung von der Entlassung „aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit" (AA VIII, 23 und 115) und von der Geschichte als „Menschenwerk" (ibid.). Doch ist dies auch die äußerste Vorstellung, die empiriologischen Gerechtsamen entspringt. Schon die Vorstellung vom Machen ganz allgemein bestimmt sich aus anderen Gerechtsamen. Von den jeweiligen Vorstellungen von der Errichtung eines Werkes gilt dies noch nachdrücklicher. Es sind die pragmatischen bis praktischen, letztlich alle geschichtlichen oder kulturellen, nach Kant besser: zivilisatorischen Leistungen betreffenden methodischen Gerechtsamen, die da in Frage stehen. Und die sind sauber von den theoretischempiriologischen getrennt. Eine Verwirrung in dem Verstände, daß die eine und die andere Vorstellung gegeneinander ausgespielt werden könnten, liegt in Kants Ausfuhrungen nicht vor. Die Erreichung ist nicht Errichtung (Stiftung). Die Naturabsicht, auch als höchste, ist nicht vernünftige Absicht. Beide sind zwar aufeinander bezogen. Aber die Beziehung begründet nicht ihre Identität und nicht ihr Zusammenfallen. Ihre Beziehung aufeinander besteht lediglich darin, daß an eine vernünftige Absicht nur unter der Bedingung gedacht werden kann, daß es zur Erfahrung gehört, in der Organisation der Natur eine letzte Absicht zu bemerken und daß darin die Vorstellung eingeschlossen ist, das bürgerlich-gesellschaftliche Agieren stellt die annäherungsweise Erreichung derselben dar. Diese methodische Lage ist nun aber der Punkt. Sie macht den besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung, aus dem heraus Kant die Geschichtserkenntnis entwickelt wissen will, zu einem empiriologischen Gesichtspunkt. Die Verkennung dessen bedingt, wie eingangs behauptet, die weit verbreitete Unangemessenheit der Einschätzung der Kantischen Geschichtsphilosophie. Diese ist empiriologische Grundlegungslehre, wenn man so will, Metaphysik der historischen Wissenschaften. Als solche klärt sie über die Geltungsgründe des spezifisch menschlichen Geschehens auf. Sie klärt hierbei auch darüber auf, daß die-

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ses notwendig Freiheitsgeschehen ist. Insofern verschafft sie der praktischen Philosophie ihre Grundlegungsrelevanz für die Wissenschaften vom handelnden Menschen. Diese hängt am Zweckbegriff.

Kein hoffnungsloser Fall: Kant und der Sinn der Sinnfrage Sibille Mischer

I. Einleitung: Kant und die Frage nach dem Sinn des Lebens Sollte es eine Frage geben, von der Laien glauben, es sei Aufgabe der Philosophie, sie zu beantworten, dann ist dies die Frage nach dem Sinn des Lebens. Diese Annahme mag in wortgeschichtlicher Hinsicht unberechtigt sein, taucht die Fügung „Sinn des Lebens" doch erst in der neueren Philosophiegeschichte auf. 1 Aber Fragen nach dem Wert, Zweck oder auch nach dem Witz („point") des Lebens werden von Philosophen tatsächlich von jeher diskutiert, und es gibt gute Gründe für die Annahme, dass diese Fragen sich mit der nach dem Sinn des Lebens zumindest überschneiden. Kant spricht, statt vom Sinn des Lebens, von seinem Endzweck. Die Frage danach hält er für wichtig genug, um ihr die Schlussabschnitte sämtlicher Kritiken zu widmen. Kant würde den philosophischen Laien zustimmen: Seiner Meinung nach kennzeichnet es den Philosophen nach dem Weltbegriff, dass er den Endzweck des Menschen kennt und verfolgt. (Und Kant lässt keinen Zweifel daran, dass der Philosoph nach dem Weltbegriff der bessere Philosoph ist.) Genau darin, in der Kenntnis und dem Verfolgen des Endzwecks, besteht die Philosophentugend par excellence, die Weisheit. In einer oft zitierten Passage der „Logik" heißt es entsprechend: „Nach dem Weltbegriffe ist sie [die Philosophie, S. M.] die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft. Dieser hohe Begriff giebt der Philosophie Würde, d.i. einen absoluten Werth. Und wirklich ist sie es auch, die allein nur innern Werth hat, und allen andern Erkenntnissen erst einen Werth giebt. Man frägt doch immer am Ende, wozu dient das Philosophiren und der Endzweck desselben die Philosophie selbst als Wissenschaft nach dem Schulbegriffe betrachtet? In dieser scholastischen Bedeutung des Worts geht Philosophie nur auf Geschicklichkeit; in Beziehung auf den Weltbegriff dagegen auf die Nützlichkeit. In der erstem Rücksicht ist sie also eine Lehre der Geschicklichkeit; in der letztern, eine Lehre der Weisheit die Gesetzgeberin der Vernunft und der Philosoph in so fern nicht Vernunftkünstler, sondern Gesetzgeber. Der Vernunftkünstler oder, wie Sokrates ihn nennt, der Philodox, strebt bloß nach speculativem Wissen, ohne darauf zu sehen, wie viel das Wissen zum letzten Zwecke der menschlichen Vernunft beitrage; er giebt Regeln für den 1

Vgl. hierzu Volker Gerhardt: Sinn des Lebens.

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Gebrauch der Vernunft zu allerlei beliebigen Zwecken. Der praktische Philosoph, der Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel, ist der eigentliche Philosoph. Denn Philosophie ist die Idee einer vollkommenen Weisheit, die uns die letzten Zwecke der menschlichen Vernunft zeigt." 2

Die letzten Zwecke, von denen hier die Rede ist, sind nicht solche, die wir natürlicherweise schon verfolgen, sondern die wir verfolgen sollen. Vor allem in der „Kritik der Urteilskraft" entfaltet Kant jedoch die These, dass wir Grund haben, unser Leben und die Natur überhaupt als auf einen „letzten Zweck" ausgerichtet anzusehen, der mit den moralisch gebotenen Zwecken in Zusammenhang steht. Wir können und sollen Kant zufolge darauf setzen, dass unser Leben auch qua biologische Existenz Sinn hat. Die Natur ist so zu beurteilen, als wäre sie zweckmäßig im Hinblick auf einen Zustand, der dem aus moralischen Gründen geforderten Endzweck entspricht. Der Gedanke, das wir als Menschen ein sinnvolles Leben fuhren, wenn wir uns im Einklang mit dem Endzweck befinden, auf den die Natur angelegt ist, ist schon mehr als zweitausend Jahre alt, als Kant ihn aufgreift. Kants Anliegen besteht darin, eine Version dieses Gedankens zu entwickeln, die vor den Schranken der kritischen Vernunft Bestand haben soll. Hierin besteht im Kern das von Kant in der dritten Kritik verfolgte Übergangsprojekt, mit dem zugleich seine Transzendentalphilosophie ihre Vollendung finden soll. Ist ein solches Projekt philosophisch aktuell? Ist es, um einen Ausdruck Paul Guyers aufzugreifen, „lebendig"?3 Nicht wenige Philosophen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts haben dem Glauben an einen Endzweck der Natur jegliche Grundlage abgesprochen. Historisch gesehen nährten sich ihre Zweifel aus den Fortschritten der Naturwissenschaften und hier vor allem aus der Biologie - je besser es gelang, die Vorgänge des Lebens nach empirischen Gesetzen zu erklären, umso mehr schien das Leben nichts anderes zu sein als eine Abfolge von wirkursächlich verbundenen Ereignissen. Aber es wurden auch genuin philosophische Argumente gegen die Vorstellung vorgetragen, das Leben könne einen letzten oder höchsten Zweck haben. Insbesondere von Seite der analytischen Philosophie wurde grundsätzlich angezweifelt, ob die Frage nach dem Endzweck des Lebens überhaupt eine echte Antwort erlaube - sei diese nun negativ oder positiv. In den einschlägigen Texten ist meist nicht von einem Endzweck, sondern vom Sinn des Lebens, „the meaning of life", oder auch vom Wert oder der Wichtigkeit des Lebens, die Rede. Doch machen die Kritiker explizit deutlich, dass damit genau das gemeint sei, worum es auch Kant geht: um den letzten oder höchsten Zweck des Daseins oder der Natur. Ihre Einwände zielen auf jeglichen 2

AA IX, S. 24. Zum Begriff der Weisheit vgl. auch Theodicee, AA VIII, 256 Fußn., sowie Logik, AA VIII, 413. 3 Vgl. Paul Guyer. Zweck in der Natur. Was ist lebendig und was ist tot in Kants Teleologie? - Was die philosophische Aktualität von Kants Teleologie betrifft, gelangt Guyer zu einer zurückhaltend positiven Einschätzung; vgl. S. 412.

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Versuch, dem Leben Sinn zuzusprechen. Aber treffen sie auch immer? Treffen sie insbesondere Kants Thesen? Dieser Frage möchte ich im Folgenden nachgehen. Um die Antwort vorwegzunehmen: In manchen Fällen wird sich herausstellen, dass der Dissens nicht die Sinnfrage als solche betrifft, sondern eher bestimmte Hintergrundannahmen, die in sie einfließen. Die Auseinandersetzung müsste also auf einem anderen Forum gefuhrt werden - etwa dem der Wertetheorie. In allen anderen Fällen glaube ich, dass Kants Theorie gegen die moderne analytische Kritik verteidigt werden kann. Es versteht sich von selbst, dass damit nicht Kants Projekt in toto gerechtfertigt werden soll. Dies ist schon deshalb auszuschließen, weil sich die folgenden Ausführungen weitgehend auf einer sehr allgemeinen Ebene bewegen. Wie Kant den Endzweck des Lebens inhaltlich bestimmt, wird mich nur am Rande beschäftigen. Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit steht die Funktion, welche die Frage danach hat. Was dies betrifft, so denke ich allerdings, dass Kant ein tieferes Verständnis davon hatte, was Menschen dazu bewegt, nach dem Sinn des Lebens zu suchen, als manche analytische Philosophen, die sich hierzu zu Wort gemeldet haben.

II. Der Sinn der Sinnfrage: Unterscheidungen Bevor ich mich den Einwänden aus der analytischen Philosophie ausführlicher zuwende, möchte ich zunächst die Rede vom „Sinn des Lebens" selbst etwas genauer in Augenschein nehmen. Damit soll vor allem sichergestellt werden, dass die Ausführungen der Analytiker zum Sinn des Lebens wirklich dasselbe zum Thema haben wie Kants Erwägungen zum Endzweck. Dass die Frage nach dem Sinn des Lebens grundsätzlich teleologisch zu deuten sei, als eine Frage nach Zwecken oder Zielen, diese Auffassung wird von allen analytischen Philosophen geteilt, zum Teil mit der Einschränkung, dass dies eine zentrale Bedeutung ist, die das Wörtchen „Sinn" in der Rede vom Sinn des Lebens hat. Die teleologische Deutung der Sinnfrage wird etwa vertreten von Alfred Jules Ayer, Kurt Baier, W. D. Joske, Kai Nielsen, Robert Nozick, Karl Popper, Richard Taylor und Susan Wolf, und zwar zunächst ganz unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit, dass das Leben Sinn haben könnte, anerkennen oder nicht. 4 Konsens ist: Wer das Leben als eine zwecklose mechanische Abfolge von Ereignissen ansieht, bestreitet ihm zugleich den Sinn.

4

Vgl. Alfred J. Ayer: The Meaning of Life, S. 24; Kurt Baier: The Meaning of Life, S. 102 f.; W. D. Joske: Philosophy and the Meaning of Life, S. 95; Kai Nielsen: Linguistic Philosophy and „The Meaning of Life", S. 180; Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II (Falsche Propheten), S. 333 ff., siehe besonders S. 344; Robert Nozick: Philosophical Explanations, S. 571 ff.; Richard Taylor: Good and Evil. A New Direction, S. 256 ff., siehe besonders S. 260; Susan Wolf. Meaningful Lifes in a Meaningless World, S. 7. - Zumindest im Deutschen schwingt bei dem Ausdruck „Sinn"

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Der Zweck, der das Leben sinnvoll macht, ist darüber hinaus - hieraufhaben ausdrücklich etwa Susan Wolf, W. D. Joske und Richard Taylor hingewiesen sein letzter Zweck. Nicht jeder beliebige Zweck, der im Leben verfolgt wird, wird von uns als sein Sinn akzeptiert; Zwecke, die von vornherein nur als Mittel zu weitergehenden Zwecken erstrebt werden, kommen nicht als Sinn des Lebens in Frage. Analytiker sprechen daher oft vom „Witz" („point") des Lebens.5 Der Sinn des Lebens muss ein Zweck sein, der intrinsisch wertvoll oder wichtig, der selbstzweckhaft ist.6 Wie Thomas Nagel es gesagt hat: Wir würden nicht meinen, dass unser Leben einen Sinn hat, wenn sich herausstellen sollte, dass wir keinen anderen Zweck hätten, als irgendwelchen fremden Wesen zum Futter zu dienen - und mehr nicht. 7 Darüber hinaus ist die Rede vom Sinn des Lebens offenbar in eine bestimmte Auffassung von Werten eingebunden, derzufolge ein Unterschied besteht zwischen dem, was Menschen als letzten Zweck erstreben und für wertvoll halten, und dem, was wirklich wertvoll und erstrebenswert ist. (Ausdrücke wie „wirklich erstrebenswert" oder „wahrhaft wertvoll" sind natürlich vage und bedürfen der genaueren Bestimmung.) Wir hören uns etwa im Blick auf einen reichen Müßiggänger sagen: „Es kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, dass man sein Golf-Handicap verbessert!" Zweifellos gibt es aber Menschen, welche die Verbesserung ihres Golf-Handicaps für bedeutend und wichtig genug halten, um ihre gesamte Lebensführung darauf auszurichten. Und genau dies wird in dem zitierten Ausruf kritisiert. Die Kritik impliziert die Annahme, dass man sich über den Sinn des Lebens täuschen kann. Dem golfenden Müßiggänger wird unterstellt, dass er einem bestimmten Ziel (das für sich genommen nicht verwerflich sein muss) einen unangemessen hohen Wert zuschreibt, indem er sein ganzes Leben darauf ausrichtet. Er sollte es, so die Kritik, auf wirklich erstrebenswerte Ziele hin anlegen. Zu den üblichen Redeweisen im Hinblick auf den Sinn des Lebens, die in eine ähnliche Richtung weisen, gehört etwa, dass man den Sinn des Lebens sucht, dass man ihn entdeckt oder findet. Wer ihn schließlich gefunden zu haben glaubt, versteht dies nicht etwa so, dass er nunmehr ein neues, attraktives Ziel entdeckt hat, etwa so wie ein Reisender, der

gewiss auch die Bedeutung von Richtungssinn mit: Wenn jemand (oder etwas) dem Leben Sinn gibt, dann richtet er (oder es) dasselbe auf ein bestimmtes Ziel aus (siehe hierzu auch Volker Gerhard: Sinn des Lebens, Sp. 815). 5 Vgl. z. B. Susan Wolf. Meaningful Lifes in a Meaningless World, S. 7; W. D. Joske: Philosophy and the Meaning of Life, S. 97; Richard Taylor. Good and Evil. A New Direction, S. 260. Wie die von ihnen gewählten Beispiele deutlich machen, teilen viele Autoren dieses Verständnis, ohne dies explizit hervorzuheben. 6 Vgl. z. B. Richard M. Hare : ,Nothing matters', S. 34; Robert Nozick: Philosophical Explanations, S. 584 f. Nozick fasst diesen Aspekt unter dem Stichwort „Spuren" („traces"): Man will mit seinem Leben Spuren hinterlassen, es soll nicht völlig gleichgültig sein, ob man gelebt hat oder nicht. 7 Vgl. Thomas Nagel: Mortal Questions, S. 16.

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schon die halbe Welt kennt, sich auf den Weg in eine neue interessante Gegend macht. Vielmehr glaubt man, nun endlich das wahrhaft gute Ziel anzustreben. In den Augen einiger Kritiker ist vor allem diese schon in der Frage nach dem Sinn des Lebens mitschwingende Idee von „wahrhaft wichtigen Zielen" ein Grund, die Frage selbst für unbeantwortbar zu halten. Daraufkomme ich gleich zurück. Ich fasse noch einmal zusammen: Unter dem Sinn des Lebens werden zumeist die höchsten, letzten Ziele desselben verstanden, die zugleich wahrhaft wertvoll sind und nicht nur dafür gehalten werden. Damit ist noch nichts darüber gesagt, worin der Sinn des Lebens besteht und ob es überhaupt Sinn hat. Es geht zunächst um die Klärung dessen, welche Kritierien etwas erfüllen müsste, damit es dem Leben Sinn geben kann. Auch sollten wir uns nicht vorschnell darauf festlegen, dass es nur einen einzigen Zweck geben kann, der dem Leben Sinn gibt. Vielleicht gewinnt das Leben unterschiedlicher Menschen aus unterschiedlichen Zwecken Sinn; vielleicht hat jeder Einzelne auch mehrere. Vor dem Hintergrund der bisher wiedergegebenen begrifflichen Analyse schlagen viele analytische Philosophen außerdem vor, zwischen zwei Sinnfragen zu unterscheiden. Alfred Ayer meint, die Frage könne sich zum einen darauf richten, wie Menschen aus ihrer persönlichen Lebensführung Befriedigung ziehen, zum anderen suche man aber auch Antworten auf einer anderen Ebene, indem man nach dem Zweck des gesamten Universums oder der Existenz von Menschen frage. 8 Kurt Baier scheint denselben Unterschied einfangen zu wollen, indem er zwischen zwei Begriffen von „Zweck" differenziert. Einmal könne ein Zweck die von einer handelnden Person verfolgte Absicht, in der anderen Bedeutung hingegen die Funktion sein, die etwas oder jemand für andere hat. Wenn man vom Sinn des Lebens spreche, sei daher einmal der Zweck gemeint, den Menschen verfolgen, zum anderen die Funktion, die Menschen haben.9 Susan Wolf unterscheidet zwischen der Frage, was ein Leben sinnvoll macht („the question what makes life meaningful"), und der vertrauteren oder traditionelleren Frage nach dem Sinn des Lebens („the more familiar and traditional question of the Meaning of Life"). 10 Meiner Auffassung nach beruht der Unterschied, auf den diese eher vagen Bestimmungen abheben, auf den zwei Bedeutungen, die der Ausdruck „Leben" haben kann. Um die Bedeutung der Frage nach dem Sinn des Lebens zu klären, müssen wir natürlich nicht nur das Bedeutungsfeld von „Sinn", sondern auch 8

Vgl. Alfred J. Ayer: The Meaning of Life, S. 24. Vgl. Kurt Baier: The Meaning of Life, S. 103. Funktionen sind natürlich auch nur in Bezug auf Absichten von handelnden Wesen (nämlich Nutzern) zu erklären; der Unterschied, den Baier im Auge hat, wird meines Erachtens noch nicht adäquat wiedergegeben. Außerdem zielt die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht schon per se darauf, ob Menschen nützlich sind und um dieses Nutzens willen dasind. 10 Vgl. Susan Wolf. Meaningful Lives in a Meaningless World, S. 7. 9

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das von „Leben" bearbeiten, auch wenn hier - erstaunlicherweise - weitaus weniger begriffliche Feinarbeit geleistet wurde als im Hinblick auf das Wörtchen „Sinn". „Leben" kann nun so viel wie Lebensführung meinen, die Gesamtheit aller menschlichen Handlungen, die in einem mehr oder weniger planmäßig angelegtem Zusammenhang stehen können; der Ausdruck kann sich aber auch auf das natürliche Ereignis der menschlichen Existenz beziehen. Beide Verwendungen sind alltagssprachlich üblich. „Er lebte von 1724 bis 1804", oder „Seit etwa eineinhalb Millionen Jahren leben Menschen auf der Erde" - hier wird „leben" im Sinne eines natürlichen Ereignisses verwendet. „Er lebte für die Philosophie", oder „Man sollte nicht nur für sich, sondern auch für andere leben" - hier wird „leben" im Sinne von Lebensführung verwendet. Aus der zuletzt angeführten Unterscheidung ergeben sich zwei Bedeutungen, die die Frage nach dem Sinn des Lebens annehmen kann. Wer nach dem Sinn des Lebens fragt, könnte erstens Folgendes wissen wollen: Gibt es ein bestimmtes letztes Ziel für unsere gesamte Lebensführung, ein Ziel, das wahrhaft wertvoll ist? Was sollen wir mit unserem Leben anfangen, worauf sollen wir es ausrichten, so dass es Sinn bekommt? Wie sollten Menschen leben? Man kann mit der Frage nach dem Sinn des Lebens aber zweitens auch darauf abzielen, ob die Existenz von Menschen irgendeinem bestimmten, wirklich wichtigen, letzten Zweck dient. Warum gibt es überhaupt Menschen? Sind wir um irgendeines höheren Ziels willen in diese Welt geschubst worden? Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir uns klarmachen, dass in gewisser Hinsicht auch meine persönliche Existenz einen Sinn gewinnen würde, wenn die Existenz der Menschheit einen Sinn hätte. Denn qua Teil der Menschheit hätte ich am Zweck derselben Anteil. Wenn es der Menschheit bestimmt ist, einen Endzweck zu erreichen, so auch mir. Das heißt nicht, dass meine individuelle Existenz, das Leben der Sibille Mischer, auch einen besonderen individuellen Sinn haben muss.11 Wenn wir von der Menschheit aus jedoch nicht auf das Leben ihrer Teile, sondern auf die Gesamtheit aller Organismen und von dort auf die Erde als Ökosystem und schließlich in den Kosmos blicken, so scheint mit dem Sinn der Ersteren auch jener der umfassenderen Systeme gesichert. Denn wenn die Existenz von Menschen qua natürlichen Wesen einen höchsten, wertvollen Zweck hat, dann dient auch alles, dem sich diese Existenz verdankt, diesem Zweck: die evolutionären Vorgänge, die dazu nötig waren, die Entstehung des Planetensystems, und wenn dieses, dann auch die ihm vorausgehenden kosmischen Vorgänge.12 11

Die Vorstellung, dass es eine höchste, wahrhaft wertvolle Bestimmung für meine besondere Existenz gibt, einen Zweck, dem speziell die Ereignisse meines individuellen Lebens dienen, ist verwandt, wenn nicht sogar identisch mit der Vorstellung des persönlichen Auserwähltseins. 12 Alfred Ayer meint, die Frage nach dem Sinn des Lebens in ihrer allgemeinen Bedeutung ziele darauf, ob das Universum einen Zweck habe, und kritisiert jene, die dar-

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Kants Frage nun, ob es einen moralischen Endzweck gibt, den wir anstreben sollten, entspricht in formaler Hinsicht der Frage nach dem Sinn der menschlichen Lebensführung. Kants Ausfuhrungen über das höchste Gut als den Endzweck unseres gesamten Handelns sind also als Antwort auf die erste der beiden unterschiedenen Sinnfragen zu lesen. Die eigene Lebensführung hat seiner Auffassung nach dann einen Sinn, wenn wir alle unsere Handlungen auf die Förderung des Weltbesten ausrichten, „einer mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammentreffenden Glückseligkeit vernünftiger Wesen".13 Da Sittlichkeit die oberste Bedingung für die Realisation des Weltbesten ist, sollte man seine Bemühungen zunächst darauf richten, ein Reich der Zwecke zu gründen, in dem dann schließlich auch die allgemeine Glückseligkeit verwirklicht werden könnte.14 Wie oben angekündigt, möchte ich mich mit dieser inhaltlichen Bestimmung des Endzwecks nicht näher befassen. Festzuhalten ist: Ein sinnvolles Leben führt Kant zufolge derjenige, der es auf das genannte Ziel ausrichtet. Der Begriff des Endzwecks wird von Kant aber, wie einleitend erwähnt, auch auf das Leben im Sinne eines natürlichen Ereignisses bezogen - auf die körperlichen und psychischen Vorgänge, die das individuelle Leben ausmachen, wie auch auf die Entstehung der Menschheit im Sinne einer natürlichen Spezies, die zu diesen Vorgängen disponiert ist. Die Frage, ob das Leben qua natürliche Existenz einen Sinn hat, entspricht der bei Kant formulierten Frage, ob wir die innere und äußere Natur als zweckmäßig für den genannten Endzweck beurteilen dürfen. Die Frage, was der Sinn der menschlichen Lebensführung sei, ist klarerweise praktischer Natur; die Disziplin, durch die sie beantwortet werden sollte, ist die Moralphilosophie. Die Frage nach dem Sinn des Lebens qua natürliches Ereignis lässt sich hingegen nicht so eindeutig zuordnen. Unser Leben als natürliches Vorkommnis in der Welt ist einerseits Thema der empirischen Wissenschaften; es fällt, mit Kants Worten zu sprechen, unter Naturbegriffe. Auch eine teleologische Beurteilung des Lebens sprengt als solche noch nicht die Sphäre des Na-

aus fälschlicherweise schließen wollen, dass dann wohl auch die Existenz des Menschen einen Zweck haben müsse; vgl. Alfred Ayer. The Meaning of Life, S. 25. Die Kritik wäre berechtigt, wenn die Frage nach dem Sinn des Lebens sich wirklich primär auf das Universum beziehen würde. Uns ist aber natürlich viel mehr daran gelegen, dass die Existenz von Menschen einen Sinn hat, abgesehen davon dass die Ausdrücke Leben und Universum natürlich nicht gleichbedeutend sind. 13 Kritik der Urteilskraft, AA V, S. 451. 14 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 837: „Nun läßt sich in einer intelligibelen, d. i. der moralischen, Welt, in deren Begriff wir von allen Hindernissen der Sittlichkeit (der Neigungen) abstrahiren, ein solches System der mit der Moralität verbundenen proportionirten Glückseligkeit auch als nothwendig denken, weil die durch sittliche Gesetze theils bewegte, theils restringirte Freiheit selbst die Ursache der allgemeinen Glückseligkeit, die vernünftigen Wesen also selbst unter der Leitung solcher Principien Urheber ihrer eigenen und zugleich anderer dauerhaften Wohlfahrt sein würden".

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turbegriffs. Sie kann als eine bloße Erklärung für mein Dasein intendiert sein. Wie oben deutlich wurde, geht die Frage nach dem Sinn des Lebens andererseits aber nicht auf irgendwelche Ziele, sondern darauf, ob es ein wahrhaft gutes Ziel gibt, dem das Leben dient. Es geht, wie schon Ayer erkannt hat, um eine normative Rechtfertigung, nicht bloß um eine Erklärung der Tatsache des Lebens.15 Bildlich gesprochen steht die Frage nach dem Sinn des Lebens daher mit einem Bein in der theoretischen und mit dem anderen in der praktischen Philosophie. Die Frage selbst fordert gewissermaßen schon den „Übergang", den Kant in der dritten Kritik zu bauen verspricht. 16

III. Alfred J. Ayer & Co.: Die Rede vom Sinn des Lebens schließt eine unhaltbare Wertetheorie ein Dass Menschen mit ihrer Lebensführung rein faktisch gelegentlich so etwas wie ein letztes Ziel verfolgen und es womöglich auch erreichen, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die Tatsache, dass Menschen ihre Ziele in unterschiedlichem Maße wertschätzen. Selbst Ayer - sicher sonst der schärfste Kritiker der Sinnfrage - stellt daher fest, dass in einer bestimmten Bedeutung die Frage nach dem Sinn meines Lebens völlig verständlich und legitim sei: 17 Diese Frage stellt man sich beispielsweise, wenn man vor einer Entscheidung steht, die den gesamten weiteren Verlauf des eigenen Lebens beeinflussen wird, oder wenn ein Ziel, auf das man bisher sein Hauptaugenmerk gerichtet hatte, auf einmal obsolet wird und man sich nach einem neuen umsehen muss. Wenn meine Frage nach dem Sinn des Lebens zu nichts anderem dienen soll als dazu, mich der eigenen Ziele zu vergewissern oder sie neu anzuordnen, dann ist aus Ayers Sicht nichts dagegen einzuwenden. In dieser anspruchslosen Bedeutung hat das Leben nicht weniger Menschen Sinn, und manchmal wird ihnen dieser Sinn irgendwann fraglich und sie bestimmen ihre Prioritäten neu. Wessen Leben hingegen in dieser ganz anspruchslosen Bedeutung „keinen Sinn hat", der ist einfach jemand, der sich treiben lässt und in den Tag hineinlebt, und zwar ohne dies, nach Art des Taugenichts aus Eichendorffs gleichnamiger Novelle, selbst wieder zum Zweck zu erheben: Gemeint ist eher jemand, der sich aus Gleichgültigkeit treiben lässt oder der keinen Zweck ernstlich verfolgt. Kant unterscheidet in der Anthropologie-Vorlesung zwischen dem Menschen, der sich an 15

Vgl. Alfred Ayer : The Claims of Philosophy, S. 24: „For what is being sought by those who demand to know the meaning of life is not an explanation of the facts of their existence, but a justification. [...] In short, from the point of view of justifying one's existence, there is no essential difference between a teleological explanation of events and a mechanical explanation". 16 Kritik der Urteilskraft, S. 195. 17 Vgl. Alfred Ayer. The Claims of Philosophy, S. 24; ders.: The Meaning of Life, S. 22. Ayer setzt den Sinn des Lebens hier weitgehend gleich mit Erfüllung und Glück.

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„bestimmte practische Principien bindet" (die auch falsch sein können), und jenen, die „wie in einem Mückenschwarm bald hiehin bald dahin abzuspringen" bereit sind. 18 Doch wie oben deutlich wurde, verbirgt sich hinter der Frage nach dem Sinn des Lebens eine weitaus reichere Vorstellung davon, welche Kritierien die Ziele eines Menschen erfüllen müssten, um seinem Leben Sinn zu geben. Wer die Sinnfrage stellt, will nicht wissen, welches faktisch seine letzten oder höchsten Ziele sind, sondern was das wahrhaft gute Ziel des Lebens ist - mithin ob die Ziele, die er als seine letzten und höchsten ansieht und die er für wichtig hält, auch wirklich wichtig sind. Es liegt nahe, die Vorstellung, dass es wahrhaft gute Ziele geben könnte, im Sinne des moralischen Realismus oder Objektivismus zu deuten. Die Frage nach dem Sinn des Lebens lautet dann ausbuchstabiert: Hat das Leben einen Zweck, der einen objektiven Wert darstellt? Auf diesem Verständnis der Sinnfrage beruht der erste Einwand gegen sie. Er lautet zusammengefasst: Anzunehmen, dass das Leben einen Sinn haben könnte, ist ganz sinnlos, weil dies offenkundig voraussetzt, dass es objektive Werte gibt. Da es Letztere aus begrifflichen Gründen nicht gibt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens leer. Der Einwand wurde bereits von Nietzsche erhoben, 19 im analytischen Lager wurde er von Autoren vorgebracht, die sich in der einen oder anderen Weise nonkognitivistischen Auffassungen der Moral verbunden sehen. Ob ein Philosoph, der dem Objektivismus gegenüber Vorbehalte hat, dieselben ausdrücklich auch gegen die Sinnfrage wendet, spielt der Sache nach keine Rolle: Wer es für unangemessen und sinnlos hält, von wahren oder objektiven Werten zu sprechen, dem bleibt vor dem Hintergrund der oben vorgetragenen Analyse gar nichts anderes übrig, als auch die Frage abzuweisen, ob das Leben Sinn habe. Hervorgehoben wurde der Punkt beispielsweise von Hare und Ayer. Letzterer stellt fest: „It follows, if my argument is correct, that there is no sense in asking what is the ultimate purpose of our existence, or what is the real meaning of life. For to ask this is to assume that there can be a reason for our living as we do which is somehow more profound than any mere explanation of facts; and we have seen that this assumption is untenable. Moreover it is untenable in logic and not merely in fact." 20

Der Kritik von Philosophen wie Ayer und Hare, aber auch von Nietzsche ist ein Verdienst nicht zu bestreiten: Sie haben die realistischen Hintergrundannahmen deutlich gemacht, welche in die Rede vom „Sinn des Lebens" einflie18

Anthropologie, AA VII, S. 292. Vgl. z.B. Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente Sommer-Herbst 1873, 29 [54]. Nachgelassene Fragmente 1869-1874, S. 651. Für Nietzsches ganz allgemeine Kritik am Wahrheits-Glauben, die auch auf den Glauben „wahre Werte" zu beziehen ist, siehe ders.- Zur Genealogie der Moral, S. 399. 20 Alfred Ayer: The Claims of Philosophy, S. 26. Vgl. auch Richard Hare: ,Nothing matters', S. 37 f. 19

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ßen. In methodischer Hinsicht scheint es für Ayer klar zu sein, dass wir zunächst die wertetheoretischen Grundlagen zu klären haben, um von ihnen aus über den Sinn der Sinnfrage zu entscheiden. Aber natürlich könnte man auch den umgekehrten Weg einschlagen und im Ausgang von der Rolle, welche die Sinnfrage in unserem Leben spielt, zugunsten des moralischen Realismus plädieren. Im Blick auf die Phänomene ist jedenfalls festzustellen, dass Ayers Ausführungen weniger eine Analyse unsere moralischen Selbstverständnisses bieten, als auf eine normative Theorie darüber hinauszulaufen, in welche Richtung wir dieses Selbstverständnis ändern sollten. Im Rahmen dieses Aufsatzes kann nicht mehr geleistet werden, als den grundsätzlichen Dissens festzuhalten, der zwischen einer Position wie derjenigen Ayers einerseits und Kants andererseits besteht. Kants Verteidigung eines Endzwecks unseres Handelns und der Natur lässt sich in der Tat nur vor dem Hintergrund einer kognitivistischen Moralphilosophie halten.

IV. Thomas Nagel: Absurdität ist ein integraler Bestandteil des menschlichen Lebens Ayer und Hare hielten es offenbar für möglich, dass man sich um die Frage, ob das Leben wahrhaft wertvollen Zwecken diene, nach der non-kognitivistischen Fehleranalyse nicht weiter scheren müsse - der Non-Kognitivismus bietet sich sozusagen zugleich als Therapie für Sinnsucher an (deren Erfolg sich laut Hare daran zeigt, dass der Patient danach ein reichhaltiges englisches Frühstück verzehrt 21). Nicht so Thomas Nagel. Er hält es geradezu für ein kennzeichnendes Merkmal des Menschen, dass er diese Frage immer wieder aufwirft und ihm, sofern er dies tut, die Absurdität des Lebens aufgeht. Auf den ersten Blick steht dies in Widerspruch zu Kants These, dass wir die Natur als auf einen Endzweck angelegt ansehen müssen. Auf den zweiten Blick wird sich jedoch zeigen, dass die Überschneidungen zwischen Kants und Nagels Position sich mindestens die Waage mit den Unterschieden halten. Nagels Überlegungen stehen unter dem Vorzeichen seiner generellen Unterscheidung zwischen einer subjektiven und einer objektiven Perspektive. 22 Aus der subjektiven Perspektive erscheinen alle unsere persönlichen Projekte und Ziele unerhört wichtig, sie verdienen es, dass wir Zeit und Kraft in sie investieren. Aber wir können uns, so Nagel, von unseren Zwecken distanzieren. Und aus der objektiven Perspektive schmilzt ihre Bedeutung dahin. Wir sehen, dass alle Zwecke subjektbezogen sind, dass sie nur wichtig sind für das bestimmte Subjekt, dessen Position wir, aus objektiver Sicht zufälligerweise, einnehmen. 21 22

Richard Hare: ,Nothing matters 4, S. 47. Kantisch gesprochen: Wir sind zugleich sinnliche und intelligible Wesen.

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Was für uns als handelnde, ja um das Weiterleben ringende Wesen ungeheuer wichtig ist, verliert diese Bedeutung umso mehr, je weiter wir uns distanzieren. Und eben hieraus entspringt der Eindruck der Absurdität des Daseins: Denn es ist absurd, sich mit aller Kraft um Ziele zu bemühen, die aus eigener Einschätzung unwichtig und trivial sind. 23 Nagel behauptet, es sei unmöglich, die Lücke zwischen den beiden Standpunkten vollständig zu schließen.24 Hierfür gibt er allerdings in verschiedenen Aufsätzen unterschiedliche Gründe an: In einem älteren Beitrag stellt er fest, dass wir natürlich auch unsere moralischen Ziele in derselben Weise und aus denselben Gründen bezweifeln können wie außermoralische Ziele. 25 Das Streben nach Gerechtigkeit beispielsweise kann, wenn wir uns nur hinreichend von unserem subjektiven Standpunkt distanzieren, ebenso unwichtig erscheinen wie das Streben nach Verbesserung des Golfhandicaps. Der Unterschied ist lediglich gradueller Natur. Nagel empfiehlt hier, die Absurdität mit Ironie zu mildern. Dagegen zeichnet Nagel in jüngeren Beiträgen ein etwas anderes Bild. Hier traut er der Moralität im Prinzip zu, beide Standpunkte zu verbinden - nur dass wir Menschen zu perfekter Moralität nicht fähig sind. Die verschiedenen Formen der Moralität gleichen sich in einer Hinsicht: „ A l l of them involve, to one degree or another, occupying a position far enough outside your own life to reduce the importance of the difference between yourself and other people, yet not so far outside that all human values vanish in a nihilistic blackout".

Die Einnahme der objektiven Perspektive lässt nicht nur mein eigenes Treiben unwichtig erscheinen, sondern lässt mich im selben Schritt auch erkennen, dass meine Zwecke nicht die einzigen sind, die von einem Menschen ernst genommen werden können. Und genau hierin liegt Nagel zufolge das Fundament der Moral. Moralität ist, wie Nagel schreibt, „a form of objective reengagement". 27 Ein moralischer Mensch hat seine Zwecke einem Verfahren der prakti23 Vgl. Thomas Nagel: Mortal Questions, S. 13 ff.; ders.: The View from Nowhere, S. 214 ff.; Nagel zufolge sind zwei naheliegende Vorschläge, wie man den Eindruck der Absurdität abschütteln könnte, wenig aussichtsreich: Weder steht es uns zur Disposition, ganz in die theoretische Perspektive einzutreten, noch können wir sie einfach wieder verlassen, wenn wir sie einmal eingenommen haben, und uns gewissermaßen wieder in die naive Sicht dessen zurückversetzen, der sich völlig mit seinen Zielen identifiziert und nichts Wichtigeres auf Erden kennt. 24 Thomas Nagel: The View from Nowhere, S. 223. 25 Vgl. Thomas Nagel : Mortal Questions, S. 17: „What makes doubt inescapable with regard to the limited aims of individual life also makes it inescapable with regard to any larger purpose that encourages the sense that life is meaningful. Once the fundamental doubt hat begun, it cannot be laid to rest". 26 Thomas Nagel: The View from Nowhere, S. 222. 27 Thomas Nagel: The View from Nowhere, S. 222.

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sehen Überprüfung unterzogen - Nagel spricht treffend von ,praktischer Objektivität', die es zu erreichen gelte. 28 Wichtige Zwecke sind solche, die sich in diesem (prinzipiell unabschließbaren) Verfahren bewähren. Dass wir gleichwohl den Eindruck der Absurdität nicht abstreifen können, liegt, wie schon angedeutet, nun daran, dass wir nicht perfekt moralische Wesen sind. Wir nehmen unser eigenes Leben faktisch ernster als das anderer Menschen.29 Offenbar bewegen Thomas Nagels Überlegungen sich mehr und mehr auf eine kantische Position zu. Kant würde nicht meinen, dass wir auch zu unseren moralischen Zielen noch in Distanz treten können, wie Nagels früher Beitrag zum Thema nahe legt. Gerechtigkeit beispielsweise ist Kant zufolge kein Ziel, das vom objektiven Standpunkt aus unwichtig erscheint. Sie ist objektiv wichtig, anders als die Verbesserung des Golf-Handicaps, das nur für den wichtig ist, der es sich wünscht. Nagels Idee einer praktischen Objektivität' ist hingegen ein kantischer Gedanke, kantisch ist auch die Auffassung, dass wir uns der Moralität nur annähern können. Wirkliche Menschen, darin stimmen Nagels und Kants Ansicht überein, bringen den Willen zur objektiven Überprüfung und der daraus sich ergebenden Zurückhaltung in der Verfolgung eigener Zwecke nicht durchgängig auf. Kant macht immer wieder deutlich, dass er in seiner Moralphilosophie ein Idealbild zeichnet, wohl wissend, dass wirkliche Menschen nach Moralität zwar streben, sie aber kaum vollständig erreichen können. Anders gesagt: Die Ziele, die der praktischen Vernunft zufolge objektiv die wichtigsten sind, erscheinen der theoretischen Vernunft als objektiv unerreichbar. Wir haben allen Grund zu zweifeln, ob der Endzweck je erreicht werden wird. Denn wir müssen immer wieder feststellen, dass Menschen mit ihren moralischen Erwartungen nicht in eine Welt passen, die nach ihren eigenen, natürlichen Gesetzen funktioniert - schlimmer noch, die moralischen Erwartungen der Menschen passen oft nicht einmal zu ihnen selbst als natürlichen Wesen. Der entscheidende Unterschied zwischen Kant und Nagel liegt in der Haltung, von der sie sich eine Annäherung der Standpunkte versprechen. Bei Nagel soll, jedenfalls in der früheren Arbeit, die Ironie diesen Part übernehmen. Bei Kant hingegen ist es die Hoffnung. Auf diesen Punkt werde ich unten zurückkommen.

V. Chorus: Die Frage nach dem Sinn des Lebens beruht auf unbewiesenen theologischen Voraussetzungen Kreisen die bisher dargelegten Überlegungen vor allem um den Begriff eines wahrhaft wertvollen oder wichtigen Zwecks, so ist die zweite Gruppe von Ein28 29

Thomas Nagel: Die Grenzen der Objektivität, S. 42. Vgl. etwa Thomas Nagel, The View from Nowhere, S. 209 f.

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wänden speziell gegen die Vorstellung gerichtet, dass das Leben qua biologische Existenz Sinn haben könnte. Selbst wenn man sich vorstellt, so der Einwand, dass es wahrhaft gute Ziele gibt, die Menschen verfolgen können, ist es doch absurd anzunehmen, dass natürliche Ereignisse wie die Entstehung der Menschheit oder des Universums hierauf ausgerichtet sein könnten. Bezogen auf die „Kritik der Urteilskraft" gehen die zuerst angeführten Einwände auf ihren moralphilosophischen Horizont. Die Einwände der zweiten Gruppe betreffen dagegen die religions-, natur- und geschichtsphilosophischen Annahmen, die in Kants Theorie eingegangen sind. Die Rede vom Sinn des Lebens qua natürlicher Existenz, so der erste dieser Einwände, greift offenbar auf die Vorstellung eines göttlichen Plans und damit auf höchst problematische religiöse Annahmen zurück. (Dies wird in der einen oder anderen Form von fast allen Analytikern herausgestellt; verhältnismäßig ausführlich etwa von Ayer, Nielsen, Nozick und Baier. 30 ) Das Leben kann qua biologische Existenz nur einen Sinn haben, wenn die Menschen von einem Schöpfer ins Leben gerufen wurden, der damit bestimmte Absichten verwirklichen wollte. Dass das Leben Sinn hat, und damit gleich das ganze Universum, hängt also davon ab, dass es Gott gibt, und diese Annahme ist fragwürdig. Kant würde diesem Einwand zweifellos zustimmen. Doch folgt daraus seiner Ansicht nach nicht, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens preiszugeben ist. Vielmehr ist der Status teleologischer Aussagen über die Natur neu auszuloten. Aus kantischer Sicht sind in diesem Zusammenhang drei Fragen zu unterscheiden. Erstens stellt sich die Frage, ob die Zweckmäßigkeit des Lebens qua biologischer Existenz und die der Natur als Ganzer überhaupt Intentionalität einschließt; zweitens, welchen Status teleologische Aussagen über die Natur haben; und drittens, wie Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit (oder „Endzweckmäßigkeit") sich zueinander verhalten. Im Blick auf den hier diskutierten Einwand sind vor allem die erste und zweite Frage von Belang. Kants Ausführungen zur ersten Frage finden sich in den §§74 bis 77 der „Kritik der Urteilskraft". Kant gelangt hier zu dem Ergebnis, dass die Rede von der „Bestimmung von Teilen durch ein (organisches) Ganzes" einen verstehbaren Sinn nur dann gewinnt, wenn die der Entstehung vorausliegende Absicht oder der Plan, dieses Ganze zu schaffen, die Ursache für die Lage, Zusammensetzung und spezifische Beschaffenheit der Teile ist. Wir stellen uns also, wenn wir einen Gegenstand als zweckmäßig beurteilen, stets einen Urheber vor. Wenn ich das Leben qua biologische Existenz als zweckmäßig beurteile, so urteile ich, dass ihm eine planende Intelligenz zugrundeliegt. Im Prinzip können wir uns, wie Kant konzediert, für jeden Organismus eine eigene planende In30

Vgl. Alfred Ayer. The Meaning of Life, 24 ff.; Kai Nielsen: Linguistic Philosophy and „The Meaning of Life", S. 184 f.; Kurt Baier. The Meaning of Life, S. 102 f.; Robert Nozick: Philosophical Explanations, S. 585 ff.

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stanz vorstellen. Die Idee einer einzigen „obern Intelligenz" kommt dadurch ins Spiel, dass wir die Natur als Ganze in den Blick nehmen31 - wir stehen mit anderen Organismen in Zusammenhang, und diese wiederum mit der unbelebten Natur. Der Begriff des Naturzwecks führt Kant zufolge „nothwendig auf die Idee der gesammten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke, welcher Idee nun aller Mechanism der Natur nach Principien der Vernunft (wenigstens um danach die Naturerscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muss". Wir folgen bei der Beurteilung der Natur der Maxime: „Alles in der Welt ist irgendwozu gut; nichts ist in ihr umsonst".32 Wenn wir ihr folgen, so stellen wir fest, dass vieles in der Welt zweckmäßig für die menschliche Existenz, umgekehrt aber auch diese zweckmäßig für die Existenz anderer Organismen ist. 33 Was nun die zweite Frage betrifft, so stellt Kant bekanntlich fest, dass wir keine objektiven, empirischen Gründe für die Annahme haben, die Natur sei das Produkt einer planenden Intelligenz. Die Analogie zwischen dem Universum oder einzelnen Organismen und technischen Produkten ist viel zu schwach, um auf einen verborgenden Urheber schließen zu lassen. Wenn wir gleichwohl die Form ihrer Teile unter Bezugnahme auf die Eigenschaften des Ganzen erläutern, so ist dies daher nur als reflektierende Beurteilung zu verstehen, nicht aber als objektive Erklärung. Dass wir die Natur im Lichte einer Ursprungshypothese beleuchten, die sie als Produkt einer Planung ausweist, heißt nicht, dass wir behaupten würden, sie sei dies tatsächlich. Kant wird nicht müde zu beteuern, dass wir die Natur und die Organismen in ihr nur so betrachten sollen, als ob sie das Produkt eines obersten Architekten sei. Für unseren Zusammenhang können wir offen lassen, ob es Kant tatsächlich gelungen ist, die Verbindlichkeit der teleologischen Beurteilung nachzuweisen. (Die Frage, ob das der Fall ist, hängt ganz wesentlich davon ab, ob eine mechanische Erklärung von Organismen möglich

31

Kritik der Urteilskraft, AA V, 438. Kritik der Urteilskraft, AA V, 378 f. 33 Siehe dazu Kritik der Urteilskraft, AA V, 426 ff. Kant konzediert auch, dass die Erfahrung jener Maxime widerstreitet: Denn der Wohnplatz der Organismen wird durch „blinde", mechanische Kräfte gestaltet. Da der Wohnplatz die Gestalt der Organismen bestimmt, wenn er diese nicht sogar hervorbringt, so scheint auch ihre Existenz maßgeblich durch mechanische Kräfte verursacht. Es sieht so aus, als sei nicht etwa die unbelebte Natur teleologisch von den Organismen her zu verstehen, sondern die Organismen mechanisch aus der unbelebten Natur, in der sie entstanden sind. Kant zufolge müssen uns jedoch die erwähnten empirischen Erkenntnisse nicht von der oben angeführten Maxime abbringen. Die mechanischen Vorgänge, die zur Entstehung der „Wohnstätten" führten, lassen sich vielmehr selbst wieder in die teleologische Perspektive einbinden: Im Blick auf die späteren Auswirkungen, indem sie nämlich eine für Organismen geeignete Umwelt schufen, waren die Eruptionen und Überschwemmungen selbst zweckmäßig. Solange wir den Zusammenhang der Teile in einem Organismen nicht anders als teleologisch verstehen können, solange sind wir auch befugt, die restliche Natur teleologisch zu beurteilen. 32

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ist - und damit auch von der Bedeutung des Ausdrucks „mechanisch".) Es ist jedenfalls klar, dass diese Beurteilung in manchen Kontexten äußerst hilfreich ist. Der oben wiedergegebene Einwand aus dem analytischen Lager zielt auf die These, dass die Existenz eines göttlichen Schöpfers als objektiv bewiesen anzusehen ist. Wer auch immer eine solche These vertreten mag, Kant tut es jedenfalls nicht. Die Idee eines obersten Architekten hat für ihn eine regulative Funktion. Was auch immer man von Kants Konzeption regulativer Ideen halten mag, sie wird nicht durch den Einwand getroffen, dass die Existenz Gottes fragwürdig sei.

VI. Baier und Nozick: Die Sinnhaftigkeit des Lebens droht uns zu entwürdigen Ganz gleich, ob man teleologische Urteile unter den Vorbehalt des Als-ob stellt oder nicht: Nach Ansicht mancher Kritiker laufen wir Gefahr, in unserer Würde verletzt zu werden, sollte Gott uns und die Welt um eines Zweckes willen geschaffen haben. Die Annahme, dass die Existenz menschlichen Lebens einen Sinn habe, so der Einwand, steht im Widerspruch zu unserem menschlichen Selbstverständnis: Es verletze unsere Würde, für Gottes Zwecke instrumentalisiert zu werden. Einem Menschen einen Zweck zuzuschreiben, ist, wie Kurt Baier schreibt, „not neutral, let alone complimentary: it is offensive". 34 Robert Nozick weist daraufhin, dass unser Leben aus der Existenz Gottes nur dann einen Sinn gewinnen könnte, wenn wir durch Gottes Plan in den Mittelpunkt der Welt rücken: „The purpose God has for us must place us at or near the center of things, of his intentions and goals. Moreover, merely playing some role in a central purpose of God's is not sufficient - the role itself must be a central or important one.

Baiers und Nozicks Einwände weichen in einer wichtigen Hinsicht voneinander ab, auch wenn sie eine ähnliche Intuition einfangen. Kurt Baier setzt voraus, dass unser Leben (in einer bestimmten Bedeutung) genau dann einen Sinn hat, wenn wir als Mittel zu Gottes Zwecken dienen und diesen Zwecken instrumentell untergeordnet werden. Weil wir dies aus moralischen Gründen nicht 34 Kurt Baier: The Meaning of Life, S. 104. Zustimmend auch Jeffrie G. Murphy: Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 14 f. 35 Robert Nozick: Philosophical Explanations, S. 586. Nozick plädiert daher dafür, den Sinn des Lebens nicht von der göttlichen Planungskompetenz, sondern von seiner Unbegrenztheit abhängig zu machen. Unser Leben hat Sinn, wenn es von etwas Unbegrenzten umgeben ist (vgl. S. 594 ff.). Nozick wechselt hier offenbar von der Ebene der Analyse der üblichen Bedeutung der Sinnfrage hin zu einem Vorschlag, wie die Frage so zu reformulieren ist, dass es eine befriedigende Antwort geben kann.

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akzeptieren können, ist es auch nicht akzeptabel, dem Leben qua biologische Existenz Sinn zuzuschreiben. Robert Nozick hingegen scheint es für möglich zu halten, dass das Leben Sinn hat, ohne dass wir dadurch instrumentalisiert werden: Er weist lediglich darauf hin, dass eine Theorie über den Sinn des Lebens unserem Anspruch auf Würde gerecht werden müsse. Es liegt auf der Hand, dass beide Bedenken sich auch gegen Kants Theorie wenden lassen, derzufolge wir unsere Existenz so betrachten sollen, als ob sie zweckmäßig wäre. Die Einnahme der teleologischen Perspektive auf das eigene Dasein ist, wenn die Bedenken berechtigt sind, moralisch zumindest bedenklich. Betrachten wir zunächst Baiers Einwand etwas näher. Aus kantischer Sicht steht natürlich außer Zweifel, dass Personen nicht instrumentalisiert werden dürfen, wobei die Würde einer Person Kant zufolge nicht an ihren natürlichen Eigenschaften hängt, sondern daran, dass sie sich moralischen Gesetzen unterstellt. Sie hat als „Subject der Moralität" einen absoluten Wert (vgl. K U AA V, 435). Schon die Frage, wozu Subjekte der Moralität dienen, wozu sie als solche nützlich sind, ist verfehlt oder sogar, wie Baier zu Recht betont, eine Beleidigung - und wenn die Sinnfrage diese Frage impliziert, so sollten wir sie in der Tat tunlichst nicht stellen. Kant schreibt: „Von dem Menschen nun (und so jedem vernünftigen Wesen in der Welt), als einem moralischen Wesen, kann nicht weiter gefragt werden: wozu (quem in finem) er existire. Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich." 36 Folgt hieraus, dass Baiers Einwand sticht? Baier hält offenbar zwei Aussagen für gleichbedeutend, nämlich die Aussage, dass das Leben qua natürliches Dasein eine äußere Funktion hat, durch die es gerechtfertigt werden muss, und die Aussage, dass Personen eine äußere Funktion haben, durch die ihr Dasein gerechtfertigt werden muss. Wie er an anderer Stelle explizit deutlich macht, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens zu verstehen als die Frage, zu was ein Mensch dient. Er setzt also, anders gesagt, voraus, dass Personen sich in ihren biologischen Eigenschaften qua Menschen erschöpfen. Diese Annahme ist natürlich nicht unumstritten. Aus kantischer Sicht haben Personen, insbesondere wenn sie einen guten Willen haben, eine Reihe von Eigenschaften, die nicht natürlich sind: Sie sind frei und haben sich einem moralischen Gesetz unterstellt. Die Frage, welchen Sinn das Leben hat, fällt daher nicht notwendigerweise zusammen mit der Frage, wozu ich als Person diene. Wir können hier erneut feststellen, dass der Dissens zwischen Kant und einem potentiellen Kritiker seiner Position auf einer tieferen Ebene liegt als ursprünglich vermutet. Ob Baiers Einwand zu halten ist, hängt davon ab, welchen Status wir Personen zusprechen wollen. Wenn eine moralische Person sich in ihren biologischen Eigenschaften nicht erschöpft, so spricht zunächst nichts dagegen, dass das Leben Sinn haben kann 36

Kritik der Urteilskraft, AA V, 435.

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und zugleich meine Würde als Person gewahrt bleibt. Kant zufolge hat das Leben sogar nur dann Sinn hat, wenn es die Würde von Personen wahrt oder gar fordert. Der Sinn des Lebens soll schließlich ein intrinsisch wertvoller Zweck sein. Dies führt uns auf Robert Nozicks oben zitierte Überlegung zurück. Die Vorstellung der Natur als eines zweckmäßigen, von einem obersten Architekten geschaffenen Ganzen allein vermittelt dem Leben noch keinen Sinn. Dieser Punkt war bereits oben, im Zusammenhang mit der Analyse des Sinnbegriffs, deutlich geworden: Wäre die Menschheit von einem vernünftigen Wesen geschaffen, das damit irgendeinen Zweck verfolgte, so machte sie dies noch nicht zu einer sinnerfüllten Welt. Selbst wenn dieser Zweck die Spezies Mensch selbst wäre, wenn also die Welt um unseretwillen geschaffen wäre, so würde sie damit noch nicht automatisch sinnvoll. Es könnte dann immer noch sein, dass der oberste Architekt einfach zufälligerweise eine besondere Vorliebe für die Menschen hatte. Hätte er eine andere Neigung gehabt, so wäre die Welt vielleicht um der Schnecken oder der Grashalme oder der Saturnmonde willen geschaffen worden. Die bloß faktische Vorliebe für diesen oder jenen Zweck, und seien es auch aus unserer Sicht gute Zwecke, gibt der Welt noch keinen Sinn. Einen Sinn hat sie nur, wenn der oberste Architekt, den wir uns als Schöpfer denken, auch den wahrhaft guten, höchsten Zweck als solchen erkennt und die Welt um dieses Zwecks willen geschaffen hat. Kurz: Er müsste ein moralischer Schöpfer sein. Ein moralischer Schöpfer kann aber keinesfalls einen Zweck verfolgen, dessen Realisierung dazu führen würde, dass unsere Würde verletzt wird. Sinnvoll erscheint die Existenz der Menschheit und der ganzen Natur nur, wenn der Gott, den wir uns als Urheber denken, bei der Schöpfung den Umstand respektiert, dass Menschen nicht nur biologische Wesen, sondern auch (zumindest dispositionelle) moralische Subjekte sind. Man kann dies auch so ausdrücken: Wenn der Gott, den wir uns als Schöpfer der Welt denken, einen Zweck verfolgt hätte, durch den moralische Wesen zu bloßen Instrumenten herabgestuft werden, so wäre dieser Gott kein guter Gott, und sein Zweck wäre kein guter Zweck. Aber nur ein guter Endzweck gibt dem Leben Sinn, und daher muss der Sinn des Lebens ein Zweck sein, der dem moralischen Wert von Menschen Rechnung trägt. Dies gilt für eine Welt, deren Mitglieder sich zu einem Reich der Zwecke zusammengefunden haben und glücklich sind. Das Leben und die Natur überhaupt haben Sinn, wenn sie förderlich für die Herausbildung einer solchen Welt sind. Entscheidend hierfür, ich sagte es schon oben, ist die allgemeine Entwicklung der Sittlichkeit. Ein „guter Wille", schreibt Kant, ist dasjenige, wodurch das eigene „Dasein allein einen absoluten Werth und in Beziehung auf welches das Dasein der Welt einen Endzweck haben kann". 37 Er zieht daher die folgende Konsequenz: 37

Kritik der Urteilskraft, A A V, 443.

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„Wenn nun Dinge in der Welt, als ihrer Existenz nach abhängige Wesen, einer nach Zwecken handelnden obersten Ursache bedürfen, so ist der Mensch der Schöpfung Endzweck; [...] und nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjecte der Moralität ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist." (KU, A A V, 435 f.)

Kant behauptet also, pointiert gesagt, dass der Sinn des Universums und der Menschheit nur darin bestehen kann, dass ein Reich der Zwecke entsteht, dessen Mitglieder dann auch glücklich werden. Die gesamte Evolution der Natur eine von Kant vorsichtig befürwortete Vorstellung - wäre darauf angelegt, dass eine Welt Wirklichkeit wird, in der moralische Forderungen umgesetzt werden. Der Wert jedes Tiers und jeder Pflanze wäre nach ihrem Beitrag für eine solche Welt zu bemessen. Es mag an dieser Stelle angebracht sein, noch einmal daran zu erinnern, dass ich Kants Thesen hier nicht im Ganzen verteidigen möchte. Ich möchte lediglich zeigen, dass sie bestimmten Einwänden und Forderungen standhalten. Hierzu gehört meines Erachtens auch Robert Nozicks Postulat, dass wir uns uns als ,Gottes wichtigstes Anliegen' begreifen können sollten, wenn unsere biologische Existenz Sinn haben soll.

V I I . Noch einmal Alfred Ayer: Keine Antwort auf die Sinnfrage kann leisten, was man von ihr erwartet Die bisherigen Einwände stellten fur denjenigen, der Kants Philosophie kennt, keine besonderen Hürden dar. Der letzte Einwand, mit dem ich mich beschäftigen möchte, scheint mir hingegen auch aus kantischer Sicht schwerer auszuräumen. Wenn wir annehmen, dass Gott uns zu einem bestimmten Zweck geschaffen hat, geraten wir einigen Interpreten zufolge in ein grundlegendes Dilemma. Daraufhat zuerst Alfred Ayer aufmerksam gemacht; andere haben seine Ausführungen in diesem Punkt bekräftigt. Vorausgesetzt, meine Existenz hat einen bestimmten Sinn, so bleiben Ayer zufolge zwei Möglichkeiten: Entweder bestimmt dieser Zweck meine Existenz, oder er bestimmt sie nicht. Beide Optionen sind jedoch gleichermaßen unakzeptabel: „ I f [the purpose of a superior being, S. M.] is sovereign, that is, if everything that happens is necessarily in accordance with it, then this is true also of our behaviour. Consequently, there is no point in our deciding to conform to it, for the simple reason that we cannot do otherwise. However we behave, we shall fulfill the purpose of this deity; and if we were to behave differently, we should still be fulfilling it; for if it were possible for us not to fulfil it it would not be sovereign in the requisite sense. But suppose that it is not sovereign, or, in other words, that not all events must necessarily bear it out. In that case, there is no reason why we should try to conform to it, unless we independently judge it to be good. But that means that the significance of our behaviour depends finally upon our own judgments of value; and the concurrence of a deity that becomes superfluous." 38

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Auf den ersten Blick ist nicht durchsichtig, inwiefern sich aus dieser Überlegung ein Einwand gegen die Überzeugung herleiten lässt, dass das Leben Sinn hat. Worin genau besteht hier das Problem? Wenn das Leben, egal was die Menschen tun, immer den Zweck Gottes erfüllt, so spricht dies doch offenbar nicht dagegen, dass es Sinn hat. Ganz im Gegenteil, genau dies scheint ihm Sinn zu geben. Und wenn dem so ist, gibt es nichts, was mich dazu zwingen könnte, mich auf das zweite Horn des Dilemmas zu setzen. Es scheint mir offenkundig, dass aus der von Ayer beschriebenen Situation nur unter einer bestimmten Voraussetzung ein echtes Dilemma wird: dann nämlich, wenn wir die Frage nach dem Sinn des Lebens aus einem bestimmten Interesse oder Bedürfnis heraus stellen, so dass eine befriedigende Antwort von vornherein daran zu messen ist, inwieweit sie dieses Interesse befriedigt. Das Bedürfnis, dass dabei offenbar die entscheidende Rolle spielt, ist das nach Orientierung. Wenn man den Sinn des Lebens qua natürliches Ereignis kennt, so die Hoffnung, könnte man daraus herleiten, wie man sein eigenes Leben gestalten sollte: Wenn wir nur wüssten, welchen Sinn unser Leben als natürliches Ereignis hat, wozu wir Menschen auf der Welt sind, dann wüssten wir auch, welche Ziele wir selbst verfolgen sollten! Gesucht ist also so etwas wie eine theoretische, außerpraktische Fundierung für unser Handeln. Die oben wiedergegebene Kritik läuft also darauf hinaus, dass diese Suche notwendig ergebnislos und unsere Hoffnung auf Orientierung unerfüllt bleiben muss. Wie Karl Popper knapp feststellt: „Weder die Natur noch die Geschichte kann uns sagen, was wir tun sollen." 39 Das Dilemma besteht, wenn wir es im Lichte des hier beschriebenen Interesses betrachten, also darin, dass das Bedürfnis nach Orientierung so oder so nicht gestillt werden kann. Der ersten Option nach erfüllt man in jedem Fall Gottes Plan, völlig unabhängig von den Zielen, die man selbst verfolgt. Es spielt schlicht keine Rolle, welche Ziele ich mir setze - so oder so läuft das Leben auf die von Gott gewollten Zwecke hinaus. Auf die Frage, was ich tun sollte, um mit Gottes Zwecken im Einklang zu stehen, lautet die Antwort: „Du musst gar nichts Bestimmtes tun; mach weiter so, oder fang etwas anderes an - ganz egal, du stehst auf jeden Fall mit Gottes Willen in Einklang." Diese Auskunft mag angenehm sein, wenn man darauf aus ist, seinen eigenen Zwecken eine höhere Weihe zu vermitteln, aber das ernsthafte Bedürfiiis nach Orientierung befriedigt sie sicher nicht.

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Afred Aver: The Claims of Philosophy, S. 25; vgl. auch Kai Nielsen: Linguistic Philosophy and „The Meaning of Life", S. 184 f. - Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch bei W. D. Joske: Philosophy and the Meaning of Life, S. 95. 19 Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II, S. 344.

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Die zweite Option bestand darin, dass Gottes Plan nur erfüllt wird, wenn ich mich oder die Menschen im Allgemeinen sich in bestimmter Weise verhalten. Nur wenn wir alle uns bestimmte Ziele stecken, wird das, was Gott im Sinn hatte, als er uns schuf, erreicht. Gott kann seine Ziele nur verwirklichen, wenn wir mitspielen. Sein „Ziel" ist also genau genommen nur etwas, was er wünschte, was er aber nicht schon durch den Naturlauf (einschließlich den Teilen desselben, die mein Leben ausmachen) herbeiführt. Ich selbst oder die Menschen im Allgemeinen müssen dafür sorgen, dass Gottes Wille geschieht oder besser: seine Wünsche in Erfüllung gehen. Gewinnen wir hierdurch irgendeine Orientierung? Die Antwort lautet wiederum nein. Denn einen Zweck erhält dieser Auffassung nach das Leben erst dadurch, dass wir unsere Lebensführung einem objektiv wertvollen Ziel widmen; der Sinn der natürlichen Ereignisabfolge ist sekundär gegenüber den Zielen, die wir uns selbst stecken. Die Vorstellung, dass diese Ziele solche sind, die den Wünschen eines heiligen Wesens entsprechen würde, besagt aber nichts anderes, als dass sie eben wahrhaft gute Ziele sind, und die Erkenntnis wahrhaft guter Ziele obliegt uns selbst. Das ursprüngliche Bedürfnis, eine außerpraktische Fundierung für die eigene Lebensführung zu gewinnen, bleibt damit erneut unerfüllt. Philosophen wie Ayer und Popper halten das Bedürfnis, das die Suche nach dem Sinn des Lebens (oder im Falle Poppers: nach dem Sinn der Geschichte) antreibt, selbst für kritikwürdig. Nach Poppers Einschätzung beruht es auf der Furcht vor Verantwortung. 40 Die Auseinandersetzung mit der Rede vom Sinn des Lebens gewinnt hier einen dezidiert gesellschafts- und ideologiekritschen Zug, der im Blick auf Kant nicht gering veranschlagt werden sollte. Wenn die Kritik Recht behält, fördert die Idee, dass die Natur auf einen Endzweck angelegt ist, gerade nicht die Moralität, sondern macht sie zunichte. Die erste der beiden von Ayer beschriebenen Optionen scheidet aus Kants Sicht tatsächlich aus. Natürlich scheidet sie zum einen in der starken, metaphysischen Fassung aus: Wir wissen nichts über Gott und seine Ziele. Wir können zwar aus rein begrifflichen Gründen feststellen, dass ein heiliger Gott auch einen guten Endzweck mit seiner Schöpfung verfolgt hätte, aber was Heiligkeit und was folglich ein guter Endzweck ist, das stellen wir nicht fest, indem wir die Natur betrachten, sondern indem wir uns Rechenschaft über unsere eigenen Ideale ablegen. Dieses grundlegende Ergebnis der kantischen Moralphilosophie wird durch die dritte Kritik noch einmal bestätigt. Kant unterscheidet hier deutlich zwischen der praktischen Überlegung, was gut oder wertvoll ist, und der 40 Karl Popper : Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II, S. 345. Ayer stellt fest: „ I believe [...] that most people are excited by the feeling that they are involved in a larger enterprise, even if they have no responsibility for its direction. This is a dangerous propensity since it makes the easier to manipulate, and so facilitates the growth of political and religious fanatism." (The Meaning of Life, S. 29) Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Faschismus ist diese Einschätzung nur zu verständlich.

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Reflexion der Urteilskraft. Die Reflexion über die Zweckbeziehungen in der Natur lässt uns Organismen als solche entdecken: natürliche Gebilde, deren Teile einander wechselseitig erhalten, und deren Struktur sich daraus verständlich machen lässt, dass wir annehmen, dass der Beschaffenheit und Lage jedes einzelnen Teils die Idee des Ganzen zugrundeliegt. Sie lässt uns die Natur insgesamt als einen Organismus entdecken. Wir fällen auf der Grundlage teleologischer Reflexion Urteile darüber, wie sich Tiere (einschließlich des Menschen) und Pflanzen wechselseitig erhalten, und wie wiederum die anorganische Natur beide erhält. Aber Kant zufolge ist die teleologische Reflexion, die lediglich auf die Feststellung von Zweck-Mittel-Beziehungen gerichtet ist, deutlich von der normativen Frage, welche Zwecke gut sind, zu unterscheiden. Einen Endzweck, für den kennzeichnend ist, dass er intrinsisch gut sein soll, „kann nur die reine Vernunft a priori an die Hand geben".41 Die teleologische Reflexion hingegen ist hierfür ungeeignet: „Die physische Teleologie treibt uns zwar an, eine Theologie zu suchen, aber kann keine hervorbringen, so weit wir auch der Natur durch Erfahrung nachspüren und der in ihr entdeckten Zweckverbindung durch Vernunftideen (die zu physischen Aufgaben theoretisch sein müssen) zu Hülfe kommen mögen. Was hilfts, wird man mit Recht klagen, dass wir allen diesen Einrichtungen einen großen, einen für uns unermesslichen Verstand zum Grunde legen und ihn diese Welt nach Absichten anordnen lassen? wenn uns die Natur von der Endabsicht nichts sagt, noch jemals sagen kann [...]. Ich hätte alsdann zwar einen Kunstverstand für zertreute Zwecke; aber keine Weisheit für einen Endzweck, der doch eigentlich den Bestimmungsgrund von jenem enthalten muss." 42

Anders gesagt: Orientierung im Blick auf den Endzweck, den wir verfolgen sollen, können wir keinesfalls aus der teleologischen Reflexion über die Natur, und damit aus einer außerpraktischen Reflexion gewinnen, sondern nur aus der praktischen Überlegung. Wie es aussieht, zwingt uns dies nun auf das zweite Horn des Dilemmas. Wenn wir, wie Kant behauptet, sogar a priori wissen, welchen Endzweck wir anstreben und wie wir handeln sollen, damit unser Leben Sinn hat, dann bedarf es erst recht keiner darüber hinaus liegenden Orientierungshilfe. In moralischer Hinsicht scheint es nun völlig überflüssig zu werden (wenn nicht gar schädlich), nach dem Sinn der Menschheit oder des Universums zu fragen. An dieser Stelle zeigt sich, wie wichtig für den hier skizzierten Einwand von vornherein die Voraussetzung war, dass die Sinnfrage der Orientierung dient. Als Orientierungshilfe taugen Urteile über den Endzweck des Lebens auch Kant zufolge nicht. Orientierung gewinnen wir aus moralischen Überlegungen. Aber das schließt natürlich nicht aus, dass jene Urteile eine ganz andere praktischmoralische Funktion haben können. Kant zufolge, so möchte ich abschließend 41 42

Kritik der Urteilskraft, AA V, 441. Kritik der Urteilskraft. AA V, 440.

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zeigen, dient der Glaube an den Sinn des Lebens der Ermutigung und Bestärkung des moralischen Subjekts; er hat die Funktion, Resignation und Verzweiflung einzudämmen. Er ist - ganz im Sinne dieser Funktion - kein Glaube im Sinne eines theoretischen Fürwahrhaltens, sondern Glaube im Sinne von fides: Vertrauen oder sichere Hoffnung. Um Kants Gedanken nachzuvollziehen, ist es nötig, auf einen Gesichtspunkt einzugehen, der bislang kaum eine Rolle gespielt hat: Dass das Leben Sinn hat, heißt nicht nur, dass es auf ein intrinsisch wertvolles Ziel hin angelegt ist, sondern dass es dieses Ziel auch erreicht. „Sinn haben" ist ein Erfolgsprädikat. Wenn wir von jemandem urteilen, dass sein Leben Sinn hat, so meinen wir nicht nur, dass er sich intrinsisch wertvolle Zwecke gesetzt und sich stets darum bemüht hat, solche Zwecke zu erreichen, sondern dass er sie auch realisiert wenn nicht vollständig, so doch zumindest näherungsweise. Ein sinnloses Leben ist danach nicht nur eines, das auf triviale, wertlose Zwecke gerichtet ist. Das Leben kann vielmehr auch sinnlos sein, wenn man zwar wahrhaft wertvolle Zwecke verfolgte, aber darin scheitert, sie zu realisieren. Die Kriterien für eine erfolgreiche Lebensführung sind natürlich vage und werden im Lauf des Lebens oft den Erfahrungen angepasst.43 Doch Vagheit hin oder her: Es gibt zweifellos Menschen, die mehr als andere durch die Umstände daran gehindert werden, die Zwecke, die sie erstreben und für wahrhaft wertvoll halten, zu verwirklichen. Dass Erfolg zu einem sinnvollen Leben gehört, wurde bereits von anderen Autoren hervorgehoben, so etwa von W.D. Joske und Susan Wolf. Vergeblichkeit ist nach W. D. Joske eines der zentralen Merkmale der Sinnlosigkeit. „[...] when we do become aware of the futility of an activity, the goal looses its power to add meaning to the Performance". 44 Im Blick auf Kant ist an dieser Stelle erneut sehr genau zwischen zwei verschiedenen Punkten zu unterscheiden. Zum einen ist klar, dass die Forderung, sich einen bestimmten Endzweck zu setzen (oder seinem Leben Sinn zu geben), nur haltbar ist, wenn man ihn sich setzen kann. Wir müssen frei sein, uns für die Verfolgung von bestimmten Zwecken zu entscheiden; sind wir es nicht, so macht die Rede von Pflichten grundsätzlich keinen Sinn. 45 Hieran schließt sich bekanntlich das Freiheitsproblem an, das Kant in der dritten Kritik als gelöst voraussetzt. Seine Lösung ist natürlich auch für die Frage nach dem Endzweck von größter Bedeutung. Wenn wir nicht frei sind, unserem Leben einen bestimmten Sinn zu geben, gibt es auch keine diesbezügliche Pflicht.

43

Hieraufhat schon Susan Wolf hingewiesen, vgl. Susan Wolf. Meaningful Lives in a Meaningless World, S. 12 f. 44 W. D. Joske: Philosophy and the Meaning of Life, S. 99; zum Kriterium der Vergeblichkeit im allgemeinen vgl. 97 ff. Siehe auch Susan Wolf. Meaningful Lives in a Meaningless World, S. 11. 45 Vgl. z. B. Zum ewigen Frieden, AA VIII, 370.

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Zum anderen hängt die Forderung, sich einen bestimmten Zweck zu setzen, aber auch davon ab, dass es wenigstens möglich ist, ihn zu erreichen. Um die Forderung halten zu können, müssen wir durchaus nicht sicher wissen, dass wir erfolgreich sein werden. Dieses Wissen haben wir auch bei weniger hochfliegenden Zwecken nicht - wir handeln meist mehr oder weniger unter Unsicherheit. Der Erfolg darf nur nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Sich einen Zweck setzen heißt, sich nach Kräften bemühen, ihn zu verwirklichen, und so etwas können wir von niemandem verlangen, wenn klar ist, dass seine Verwirklichung unmöglich ist. Diese Möglichkeit hängt aber von der Natur ab, der äußeren und der inneren Natur des Handelnden selbst. Die Natur muss so beschaffen sein, dass man den Endzweck erreichen kann. Kant stellt in der Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft" fest: „Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen, befestigt ist, sodass von dem ersteren zum anderen (also vermittelst des theoretischen Gebrauchs der Vernunft) kein Übergang möglich ist, gleich als ob es so viel verschiedene Welten wären, deren erste auf die zweite keinen Einfluss haben kann: so soll doch diese auf jene Einfluss haben, nämlich der Freiheitsbegriff soll den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen; und die Natur muss folglich so gedacht werden können, dass die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme."46

Die beiden Arten des „Könnens", die wir voraussetzen müssen, um zu Verfolgung eines Zwecks verpflichtet zu sein, werden von Kant deutlich unterschieden. Sollten wir feststellen, dass es unmöglich ist, den Endzweck zu erreichen, würde sich Kant zufolge Jeder Vernünftige [...] an die Vorschrift der Sitten immer noch als strenge gebunden erkennen müssen; denn die Gesetze derselben sind formal und gebieten unbedingt, ohne Rücksicht auf Zwecke (als die Materie des Wollens)". Die Bindung an die Pflicht hängt lediglich von der Freiheit des Willens ab, und diese ist unabhängig davon, ob die Natur es erlaubt, bestimmte Zwecke zu realisieren. 47 Doch in einer Welt, in der es unmöglich ist, den Endzweck zu erreichen, müsste doch „die Beabsichtigung des [...] Endzwecks in der Welt [...] aufgegeben werden". 48 Die Bindung an die Pflicht, einen bestimmten Zweck zu verfolgen, hängt auch davon ab, dass er erreicht werden kann. 49 Wenn dies unmöglich ist, ist es unmöglich, seinem Leben Sinn zu geben.

46

Kritik der Urteilskraft, A A V, 175 f. Daher hängt auch der Wert einer Handlung lediglich von der Absicht ab, in der sie erfolgte; vgl. z. B. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, S. 394. 48 Kritik der Urteilskraft, A A V, 451. 49 In seiner einflussreichen Interpretation unterscheidet John Silber zwischen einer transzendenten und einer immanenten Idee des höchsten Guts, wobei letztere der eigentliche Gegenstand unserer Verpflichtung sei; vgl. John Silber. Immanenz und Transzen47

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Kant ist bekanntlich der Ansicht, dass wir den Endzweck erst im Jenseits vollständig verwirklichen können; dies gilt für die dritte Kritik nicht weniger als für die ersten beiden. Von diesem Punkt können wir hier jedoch ebenso absehen wie von der Frage, ob Kant den Endzweck inhaltlich angemessen bestimmt hat. Für unseren Zusammenhang ist lediglich festzuhalten, dass die Möglichkeit seiner Realisierung gesichert sein muss, wenn wir verpflichtet sein sollen, ihn zu verfolgen. Wenn wir von dieser Möglichkeit überzeugt sind, so erscheinen die Misserfolge, mit denen wir in unseren Bemühungen um den Endzweck immer zu rechnen haben, in einem anderen Licht. So wenig der Misserfolg den moralischen Wert der Absicht, in der eine Handlung unternommen wurde, mindert, so wenig muss er uns daran hindern, an dieser Absicht festzuhalten - sofern nur grundsätzlich klar ist, dass sie realisierbar ist. Solange man überzeugt ist, dass es möglich ist, den Endzweck zu realisieren, den man sich setzen sollte, ist es nicht unvernünftig, sich weiterhin darum zu bemühen, ganz gleich, wie viele Misserfolge man bereits geerntet hat. Und sofern die Möglichkeit gesichert ist, ist man als vernünftiges Wesen auch verpflichtet, an diesem Endzweck festzuhalten. Natürlich bleiben fortgesetzte Misserfolge nicht folgenlos für Menschen. Je höher unsere Ansprüche an eine sinnvolle Lebensführung, umso unausweichlicher der Misserfolg - und Kant formuliert extrem hohe Ansprüche, was die inhaltliche Bestimmung des Endzwecks betrifft. Misserfolge lassen uns, je nach der Bedeutung des Ziels, resigniert, zynisch, trostlos oder sogar verzweifelt zurück. Von diesen Gefühlen bleibt niemand verschont, der feststellen muss, dass er das Ziel, auf das er sein ganzes Leben angelegt hat, verfehlt. Die Verpflichtung zur Förderung eines Zwecks steht nicht im logischen Widerspruch zum Zustand der Verzweiflung und Trostlosigkeit, aber sie steht dazu in existentiellem Widerstreit. Ebenso wie Nagel ist auch Kant der Ansicht, dass dieser Widerstreit gemildert werden muss. Hierzu ist nun weniger das handfeste Erfolgserlebnis als vielmehr die nicht versiegende Hoffnung auf den Erfolg nötig. Hoffhungen implizieren zunächst den Wunsch, dass der erhoffte Erfolg eintritt. Sie schließen darüber hinaus aber auch die Überzeugung ein, dass der Erfolg möglich ist, wobei die Kriterien für Möglichkeit denkbar weit gefasst sein können. (Manchmal hoffen Menschen auf ein Wunder.) Drittens ist die Hoffnung ein positives, lustvolles Gefühl, und genau dies macht sie zu einer Kraft, die uns über Misserfolge hinwegträgt. Wer hofft, mag durchaus wissen, dass er objektiv

denz des höchsten Gutes bei Kant, S. 400. Um Silbers Grundidee einzufangen, müssen wir allerdings nicht zwei Ideen des höchsten Guts annehmen. Das wozu wir verpflichtet sind, ist der Versuch, uns dem Ideal des höchsten Guts anzunähern, und dieses Ideal ist transzendent. - Zur Auseinandersetzung mit Silbers Interpretation vgl. z. B. Jeffrie Murphy: The Highest Good as content for Kant's ethical formalism; Thomas Auxter : The Unimportance of Kant's Highest Good; Andrews Reath : Two Conceptions of the Highest Good in Kant; Jacqueline Marina : Making Sense of Kant's Highest Good.

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betrachtet ebenso Grund zu Befürchtungen hätte, aber er richtet seine Aufmerksamkeit mehr auf den denkbaren Erfolg als auf das ebenso mögliche (vielleicht sogar wahrscheinlichere) Scheitern. Kant betont immer wieder, was für eine große Rolle die Hoffnung für moralische Subjekte spielt. Nicht umsonst bildet in der der „Kritik der reinen Vernunft 4' die Frage, was ich hoffen darf, den Ausgangspunkt für die Überlegungen zum höchsten Gut. 50 Die Hoffnung, dass die Welt so beschaffen ist, dass wir unserem Leben Sinn geben können, ist der Kern dessen, was Kant als „Glauben" bezeichnet: Ein aufgeklärter Glaube ist seinem Kern nach die Hoffnung, dass die Welt so beschaffen ist, dass wir ein sinnvolles Leben führen können.51 Die Frage, welche Rolle diese Hoffnung als moralische Triebfeder spielt, kann hier ausgeklammert bleiben. Für mein Thema ist festzuhalten: Kant hält es offenbar für unmöglich, in dem oben beschriebenen existentiellen Widerstreit zu verharren. In einer verwickelten Passage der „Kritik der Urteilskraft" stellt er fest, dass ein Mensch, der sich von der Unerreichbarkeit des Endzwecks „fest überredet hält", gleichwohl „in praktischer Absicht" glauben müsse, dass er erreichbar sei. 52 Anders gesagt: Wenn er seine Lebensführung auf einen wahrhaft wertvollen Zweck ausrichten will, wenn ihm, anders gesagt, daran liegt, seinem Leben Sinn zu geben, muss er von seinen eigenen theoretischen Zweifeln absehen. Der Zusammenhang zwischen der Hoffnung auf eine erfolgreiche Lebensführung und der Frage, ob das Leben qua biologische Existenz einen Sinn habe, liegt nun in Folgendem: Wer auf den Erfolg seiner Bemühungen um ein sinnerfülltes Leben hofft, der hofft darauf, dass die Natur diesen Bemühungen nicht entgegensteht.53 Er hofft, dass die Natur die Verwirklichung des wahrhaft wertvollen, höchsten Ziels erlaubt. Die Hoffnung, den aus praktischen Gründen geforderten Endzweck zu erreichen, ist aus kantischer Sicht das Motiv, aus dem wir die Sinnfrage stellen, und aus dem sich eine philosophisch haltbare Version dieser Frage herleiten lässt. Die Frage sollte nicht lauten: Hat das Leben Sinn? Vielmehr sollten wir fragen: Darf ich hoffen, dass es Sinn hat? Der Sinn des Lebens ist also sekundär gegenüber den Zwecken, die wir uns für unsere Lebensführung setzen sollten. Gleichwohl lässt es sich aus kantischer

50

Kritik der reinen Vernunft, B 833. Vgl. Kritik der Urteilskraft, § 91 (AA V, 467 ff.). Zu Kants kritischer Religionsphilosophie und dem Begriff des praktischen Glaubens vgl. Alan Wood: Kant's Moral Religion; Reiner Wimmer: Religion des guten Lebens. 52 Kritik der Urteilskraft, AA V, 452 f. 53 Dies ist noch nicht Zweckmäßigkeit im Sinne von Kants Naturteleologie. Erst durch die teleologische Beurteilung wird der Urgrund der Natur, der die Realisation des Endzwecks ermöglichen soll, genauer bestimmbar; vgl. Kritik der Urteilskraft, A A V, 196. 51

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Sicht vermeiden, dass w i r vom zweiten Horn des Ayerschen Dilemmas aufgespießt werden. Denn der Glaube, dass das Leben qua biologische Existenz Sinn hat, dient von vornherein nicht der Orientierung, sondern der Abwehr von Verzweiflung und Resignation. Seine Funktion besteht darin, uns über Misserfolge hinwegzutragen. Die sinnvollste Antwort auf die Sinnfrage, die man geben kann lautet, aus Kants Sicht: Ja, ich hoffe, dass das Leben qua biologische Existenz Sinn hat, weil ich als moralisches Subjekt sonst am Sinn meiner Lebensführung verzweifeln müsste. Es sieht nicht so aus, als würde diese Antwort, und damit das Übergangsprojekt der dritten Kritik, durch die hier erörterten Einwände moderner Philosophen in Zweifel gezogen.

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— The View from Nowhere. New York, Oxford 1986. Nielsen , Kai: Linguistic Philosophy and „The Meaning of Life". In: E. D. Klemke (Hg.). The Meaning of Life. New York, Oxford 1981. S. 177-204. Nietzsche , Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1869-1874. Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München/Berlin/New York 1988 (2. durchges. Aufl.). Bd. 7. — Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München/Berlin/New York 1988 (2. durchges. Auflage). Bd. 5. Nozick, Robert: Philosophical Explanations. Oxford 1981. Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. München 1977 (5. Aufl.). Reath, Andrews: Two Conceptions of the Highest Good in Kant. In: Journal of the History of Philosophy 26 (1988). S. 593-619. Silber, John R.: Immanenz und Transzendenz des höchsten Gutes bei Kant. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 18 (1964), S. 386-407. Taylor, Richard: Good and Evil: A New Direction. New York 1970. Wimmer, Reiner: Religion des guten Lebens. Kants Lehre vom höchsten Gut als der eschatologischen Vollendung des menschlichen Daseins. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1990. Wolf, Susan: Meaningful Lives in a Meaningless World. Quaestiones Infinitae 19 (Publications of the Department of Philosophy, Utrecht University). Utrecht 1997.

IV. Klärungen

Gegenständlichkeit und Sein in der Erkenntnislehre Immanuel Kants David Süß

Einleitung Der „Kritik der reinen Vernunft" kommt innerhalb der gesamten kritischen Philosophie Kants ein besonderer Stellenwert zu. Sie besitzt eine für das transzendentalphilosophische Gesamtunternehmen programmatische Funktion: Mit Exposition und Gültigkeitserweis der apriorischen Prinzipien möglicher gegenständlicher Erfahrung geht notwendig eine Beschränkung dieser auf den Bereich anschaulich gegebenen Mannigfaltigen unserer Anschauung einher. Demnach ist es der endlichen Vernunft grundsätzlich verwehrt die intelligible Welt rational zu erreichen und zu bestimmen. Gleichzeitig aber ist das nicht zugängliche Ding an sich der anschauungsbedingten Gegenstandszuwendung ein notwendiges Korrelat. Der notwendige Anschauungsbezug jedweder Gegenstandszuwendung einerseits und die für diese notwendige Denkannahme eines völlig unbestimmten Dinges an sich andererseits sind Resultate der Beschaffenheit und Struktur endlicher Vernunft. Schon die Struktur endlicher Vernunft selbst macht den Anschauungsbezug und die Annahme eines unbestimmten Dinges an sich für jedwede mögliche Gegenstandszuwendung endlicher Vernunft notwendig.1

I. Die objektive Gültigkeit der Kategorien für alles anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung - Festlegung und Beschränkung Die „Kritik der reinen Vernunft" entwirft die apriorischen Prinzipien möglicher gegenständlicher Erfahrung. Sie erblickt diese (neben den Anschauungsformen) insbesondere in der synthetischen Einheit der Apperzeption und deren Modi, den Kategorien. Die synthetische Einheit der Apperzeption und die rei-

1 Im Literaturverzeichnis sind zusätzlich zu den Textangaben diejenigen Passagen angeführt, die bei der Abfassung des Aufsatzes „herangezogen" wurden. Im Haupttext genügen daher Kurzverweise. Einer Würdigung der abundierenden Literatur zum Ding an sich enthalte ich mich weitgehend, da eine solche den Rahmen dieser Arbeit sprengen müsste.

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nen Verstandesbegriffe sind die Bedingung der Möglichkeit von gegenständlicher Erfahrung. Alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis bestimmt sich im wesentlichen über das Verhältnis von konkreter gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und konkreter in der Anschauung selbst gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung. In diesem ist konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung als konkrete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung konkret und begrifflich vorgestellt. 2 Dieses alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis artikulierende Verhältnis ist weiterhin derart bestimmt, dass darin konkreter gedachter Anschauungsgegenstand und konkreter in der Anschauung selbst gegebener Anschauungsgegenstand, konkreter Begriff und konkreter Anschauungsgegenstand einander je und wechselseitig bedingen. D. h., dem konkreten begrifflich vorgestellten Anschauungsgegenstand korrespondiert notwendig ein konkreter in der Anschauung selbst gegebener Anschauungsgegenstand und umgekehrt.3 Alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis erfüllt den Sinn von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt. Denn das in aller möglichen konkreten gegenständlichen Erkenntnis enthaltene Verhältnis von konkreten begrifflich vorgestellten Anschauungsgegenstand und konkreten in der Anschauung selbst gegebenen Anschauungsgegenstand erfüllt den Sinn des in der gegenständlichen Erkenntnis überhaupt enthaltenen Verhältnisses von begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt.4 Somit ist alle konkrete gegenständliche Erkenntnis, mithin jedwede

2 Wie wir weiter unten sehen werden, unterliegt alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis den Kategorien. D. h. sowohl alle möglichen konkreten gedachten Anschauungsgegenstände, d. i. die konkrete begrifflich vorgestellte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, als auch alle möglichen in der Anschauung selbst gegebenen Anschauungsgegenstände, d. i. die konkrete in der Anschauung selbst gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, unterliegen den Kategorien. Fernerhin hat selbst noch alles mögliche konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung die Kategorien zu seiner ermöglichenden Bedingung. 3 „Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben können" (B 74 A 50) (Immanuel Kant: Die Kritik der reinen Vernunft (Nach der 1. und 2. Original-Ausgabe herausgegeben von Jens Timmermann. Mit einer Bibliographie von Heiner F. Klemme, Philosophische Bibliothek Band 505, Hamburg 1998)). 4 Im § 18 der transzendentalen Deduktion sagt Kant über den Zusammenhang von konkreter begrifflicher Gegenstandszuwendung, mithin von konkreter begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und von konkreter anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und begrifflicher Gegenstandszuwendung überhaupt, mithin begrifflicher Vorstellung der

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mögliche konkrete begrifflich gedachte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und alle mögliche konkrete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung eine Konkretion von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt, mithin von begrifflich vorgestellter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und von anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt. 5 Die Kategorien als Weisen der synthetischen Einheit der Apperzeption prinzipiieren und letztfundieren sowohl die im Begriff vorgestellte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, d. i. die begrifflich gedachte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, als auch die dieser notwendig korrespondierende und im Anschauungsgegenstand vorliegende synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, d. i. die anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt. 6 Die reinen Verstandesbegriffe sind die Bedingung der Möglichkeit von gegenständlicher Erfahrung überhaupt sowie von dem in dieser enthaltenen Verhältnis von begrifflich gedachter synthetischer Einheit

synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt Folgendes: „Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. [...] die empirische Einheit des Bewußtseins, durch Assoziation der Vorstellungen, selbst eine Erscheinung betrifft, und ganz zufallig ist. Dagegen steht die reine Form der Anschauung in der Zeit, bloß als Anschauung überhaupt, die ein gegebenes Mannigfaltiges enthält, unter der ursprünglichen Einheit des Bewußtseins, lediglich durch die notwendige Beziehung des Mannigfaltigen der Anschauung zum Einen: Ich denke; also durch die reine Synthesis des Verstandes, welche a priori der empirischen zum Grunde liegt" (B 139 f.). 5 Fernerhin erfüllt auch jedwedes mögliche konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung den Sinn von anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und ist eine Konkretion des Sinnes von anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt. Vgl. B 150 f., B 160-164, A 119-125. 6 Im § 17 meint Kant über das Verhältnis von Kategorien und gegenständlicher Erkenntnis überhaupt, mithin gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt Folgendes: „Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben. Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich, daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht [...]" (B 137). „Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Synthesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde" (B 138).

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des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt.7 Daraus ergibt sich: Soll anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt prinzipiell und als Gegenstand eine der kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung überhaupt korrespondierende, mithin der kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung überhaupt verfügbare kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt sein können, muss es die reinen Verstandesbegriffe notwendig zu seiner ermöglichenden Bedingung haben. Die Kategorien sind für anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt notwendig gültig, welches prinzipiell und als Gegenstand eine der kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung überhaupt korrespondierende, mithin der kategoriengeleiteten gegenständlichen Erkenntnis überhaupt verfügbare anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt will sein können. Und: Kategoriengeleitete begrifflich gedachte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, mithin kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis überhaupt ist notwendig auf kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, fernerhin auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt bezogen8 (Wagner, Reflexion; Flach, Idee). Kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis überhaupt, mithin kategoriengeleitete begrifflich vor7

Die Kategorien sind nicht nur Bedingung der Möglichkeit der gegenständlichen Erkenntnis überhaupt, mithin der begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und der in der Anschauung selbst gegebenen synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt. Sie sind dies fernerhin auch dem anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt als solchen. Vgl. B 150 f., B 160-164, A 108, A 111-113, A 119-125. 8 Kant fasst das Verhältnis von Identität der synthetischen Einheit der Apperzeption und synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung als das einer wechselseitigen Bedingung, wenn er im § 16 schreibt: „Dieser Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption [...] erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig [...] Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht' 4 (B 134 f.). Noch einmal und zusammengenommen: „Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt, in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen. Das ist aber soviel, als, daß ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir gegebene Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen" (B 135 f.). Und schließlich in der Ausgabe A: „[...] diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. [...] diese Einheit des Bewußtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis das Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet 4' (A 108).

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gestellte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, fernerhin anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt bedingen einander je und wechselseitig.9 Sind die Kategorien die Bedingung der Möglichkeit von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt und erfüllt alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis den Sinn von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt, dann erstreckt sich der bedingende Charakter und die Gültigkeit der Kategorien auch und gerade auf konkrete gegenständliche Erkenntnis. Sind die Kategorien die Bedingung der Möglichkeit von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt sowie von dem in dieser enthaltenen Verhältnis von begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, sind sie gleichwohl auch und gerade die Bedingung der Möglichkeit von konkreter gegenständlicher Erkenntnis sowie von dem in dieser enthaltenen Verhältnis von konkreter begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und konkreter in der Anschauung selbst gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung. Denn alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis und das darin enthaltene Verhältnis von konkreter begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und konkreter in der Anschauung selbst gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung ist eine Konkretion des Sinnes von gegenständlicher Erkenntnis überhaupt und des darin enthaltenen Verhältnisses von begrifflich gedachter synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt und anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt. 10 Die Kategorien letztprinzipiieren alle mögliche

9 Die Kategorien sind die Bedingung der Möglichkeit anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, soll dies prinzipiell als kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt Gegenstand der kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung überhaupt, mithin der kategoriengeleiteten gegenständlichen Erkenntnis überhaupt sein können. Fernerhin ist schon das anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung überhaupt als solches notwendig durch die Kategorien bedingt. Und: Kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis überhaupt, mithin kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt ist notwendig auf kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, fernerhin auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt bezogen. Denn fernerhin hat auch anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt die Kategorien notwendig zu seiner ermöglichenden Bedingung. Vgl. B 150 f., B 160-164, A 108, A 111-113, A 119-125. 10 „Wir können uns keinen Gegenstand denken, ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen" (B 165) „Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung" (A 111).

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konkrete gegenständliche Erkenntnis insofern, dass sie sowohl für alle konkreten begrifflich gedachten als auch für alle konkreten in der Anschauung selbst gegebenen Anschauungsgegenstände die ermöglichende Bedingung darstellen. Alle mögliche konkrete gegenständliche Erkenntnis fällt unter den Gültigkeitsbereich der Kategorien, ist konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis.11 Daraus ergibt sich: Alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung muss, soll es prinzipiell und als Gegenstand eine der konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung korrespondierende, mithin der konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung verfügbare konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung sein können, die reinen Verstandesbegriffe notwendig zu seiner ermöglichenden Bedingung haben. Denn jedwede konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung erfüllt den Sinn von kategoriengeleiteter anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, fernerhin von anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, welche die Kategorien notwendig zu ihrer ermöglichenden Bedingung haben. Die Kategorien sind für alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung notwendig gültig, welches prinzipiell und als Gegenstand eine der konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung korrespondierende, mithin der konkreten kategoriengeleiteten gegenständlichen Erkenntnis verfügbare konkrete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung will sein können. Und: Jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, mithin alle konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis ist notwendig auf konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin auf konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung bezogen. Denn jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, mithin alle konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis tritt als eine Konkretion des Sinnes von kategoriengeleiteter begrifflicher Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, mithin von kategoriengeleiteter gegenständlicher Erkenntnis überhaupt auf, welchen der Bezug auf kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung 11

Auch für das konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung gilt, da es eine Konkretion des Sinnes von anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt ist, dass es die reinen Verstandesbegriffe notwendig zu seiner ermöglichenden Bedingung haben muss. Vgl. B 150 f., B 160-164, A 108, A 111-113, A 119-125.

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überhaupt, fernerhin auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt notwendig inhäriert. 12 Konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin konkrete kategoriengeleitete begrifflich vorgestellte synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung bedingen einander je und wechselseitig.13 Mit der notwendigen Bezogenheit aller konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, mithin jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung auf konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin auf konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung geht notwendig eine Beschränkung dieser Bezugnahme sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung einher. Denn die Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung besitzt ihre systematische Kehrseite in der Unerreichbarkeit alles nicht anschaulich gegebenen Mannigfaltigen für jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung sowie die Kategorien. 12

„Das mannigfaltige in einer sinnlichen Anschauung Gegebene gehört notwendig unter die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption, weil durch diese die Einheit der Anschauung allein möglich ist" (B 143). „[...] verschaffen die reinen Verstandesbegriffe [...] nur so fern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können" (B 147). 13 Die Kategorien sind die Bedingung der Möglichkeit jedwedes konkreten anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung, soll dies prinzipiell als konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung Gegenstand der konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung, mithin der konkreten kategoriengeleiteten gegenständlichen Erkenntnis sein können. Alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung ist notwendig durch die Kategorien bedingt, denn es erfüllt den Sinn von anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, welches in den Kategorien seine ermöglichende Bedingung hat. Und: Jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin alle konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung ist notwendig auf konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin auf konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung bezogen. Denn es tritt als eine Konkretion des Sinnes von kategoriengeleiteter gegenständlicher Erkenntnis überhaupt, mithin von kategoriengeleiteter begrifflicher Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt auf, welche sich notwendig auf kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, fernerhin auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt beziehen. Vgl. B 150 f., B 160-164, A 108, A 111-113, A 119-125.

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Die notwendige Bezugnahme jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung auf sowie die Gültigkeit der Kategorien für konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung, fernerhin konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung ist gleich einer Festlegung der notwendigen Bezugnahme jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung. Dies aber meint gleichzeitig eine Beschränkung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung, denn sie meint ja gerade nicht eine Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des nicht anschaulich gegebenen Mannigfaltigen. Da die Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung gerade keine Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des nicht anschaulich gegebenen Mannigfaltigen ist, ist sie eine Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung - eben unter Ausschluss der Festlegung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des nicht anschaulich gegebenen Mannigfaltigen. Sie ist eine Beschränkung der notwendigen Bezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sowie der Gültigkeit der Kategorien auf den Bereich des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung. Jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung sowie die Gültigkeit der Kategorien bezieht sich nur und nur auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung (Zöller, Gegenstandsbeziehung; Baum, Deduktion).

II. Das Ding an sich ist ein durch das Denken selbst notwendig Gesetztes, diesem aber unverfügbares Korrelat Jedwede in Begriff und Urteil vollzogene konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung und -bestimmung bezieht sich notwendig auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung. Denn jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis ist über das Verhältnis von konkreter kategoriengeleiteter begrifflich vorgestellter synthetischer Einheit des

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Mannigfaltigen der Anschauung und konkreter kategoriengeleiteter anschaulich gegebener synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung bestimmt. Das dadurch artikulierte Verhältnis ist das einer jeweiligen und wechselseitigen Bedingtheit. Es gilt: Jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin jedweder konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandsbezug ist notwendig auf konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung, fernerhin auf konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung bezogen. Sie tut dies, indem sie das konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung als konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung begrifflich vorstellt und somit deren synthetische Einheit bewirkt. Jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung ist der Bezug auf konkretes anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung, fernerhin auf konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung notwendig inhärent. Jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung erfüllt den Sinn von synthetischer Einheit überhaupt, den inbegrifflichen Sinn der kategorialen Synthesis. Denn jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung ist ja „Urheber und Träger" sowohl einer konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, als auch einer konkreten kategoriengeleiteten anschaulich gegebenen synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und somit fernerhin auch eines konkreten anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung. Jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin alle mögliche konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, jedwede konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und fernerhin alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung ist eine mögliche Konkretion des Sinnes von synthetischer Einheit überhaupt, d. i. des inbegrifflichen Sinnes kategorialer Synthesis.14 Der Sinn synthetischer Einheit überhaupt, der inbegriffliche Sinn kategorialer Synthesis nun referiert notwendig auf ein dem Sinn der synthetischen Einheit

14

„[...] daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führe [...], daß unsere Erkenntnisse [...] a priori auf gewisse Weise bestimmt sei[n], weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen soll, sie auch notwendiger Weise in Beziehung auf diesen unter einander übereinstimmen, d. i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht. [...] Diese Einheit der Regel bestimmt nun alles Mannigfaltige und schränkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperzeption möglich machen, und der Begriff dieser Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstande = X [...]" (A 104 f.).

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überhaupt selbst, d. i. dem inbegrifflichen Sinn kategorialer Synthesis selbst, letztlich unbekanntes X. Das Setzen eines völlig unbestimmten X ist dem Sinn synthetischer Einheit überhaupt, ist dem inbegrifflichen Sinn kategorialer Synthesis die ermöglichende Bedingung. Erst in Korrelation mit dem unbekannten X ist synthetische Einheit überhaupt, ist kategoriale Synthesis überhaupt allererst und prinzipiell sinnvoll möglich. Das Setzen eines unbestimmten X ist dem Sinn der synthetischen Einheit überhaupt, ist dem inbegrifflichen Sinn kategorialer Synthesis ein um der Möglichkeit seiner selbst Willen notwendiges (Prauss, Ding an sich; Hiltscher, Gottesbeweis).15 Ist das Setzen eines völlig unbekannten X dem Sinn der synthetischen Einheit überhaupt, dem inbegrifflichen Sinn kategorialer Synthesis die ermöglichende Bedingung und erfüllt jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin alle konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, jedwede konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und fernerhin alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung den Sinn von synthetischer Einheit überhaupt, von kategorialer Synthesis überhaupt, dann hat jedwede konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis, mithin alle konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, jedwede konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und fernerhin alles konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung im Setzen eines völlig unbekannten X die ermöglichende Bedingung. Ist das Setzen eines völlig unbestimmten X dem inbegrifflichen Sinn kategorialer Synthesis ein um seiner selbst Willen notwendiges, ist es dies auch und gerade für jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung und alle in dieser enthaltenen Elemente, denn diese sind eine mögliche Konkretion des Sinnes von jener. Jedwede konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung, mithin alle in dieser enthaltenen Elemente referieren notwendig auf ein gänzlich

15

„Alle unsere Vorstellungen werden in der Tat durch den Verstand auf irgend ein Objekt bezogen, und, da Erscheinungen nichts als Vorstellungen sind, so bezieht sie der Verstand auf ein Etwas, als den Gegenstand der sinnlichen Anschauung: aber dieses Etwas ist in so fern nur das transzendentale Objekt. Dieses bedeutet aber ein Etwas = x, wovon wir gar nichts wissen, noch überhaupt, (nach der jetzigen Einrichtung unseres Verstandes) wissen können, sondern, welches nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kann, vermittelst deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt. Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdenn nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde. Es ist also kein Gegenstand der Erkenntnis an sich selbst, sondern nur die Vorstellung der Erscheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenstandes überhaupt, der durch das Mannigfaltige derselben bestimmbar ist" (A 250 f.).

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unbestimmtes X als ein ihnen notwendiges Korrelat und haben in dem Setzen desselben notwendig ihre ermöglichende Bedingung. Mit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung und allen in dieser enthaltenen Elementen ist notwendig auf ein der kategorialen Gegenstandszuwendung selbst nicht mehr verfügbares X referiert. 16 Die Annahme des Dinges an sich ist die Bedingung der Möglichkeit von konkreter kategoriengeleiteter begrifflicher Gegenstandszuwendung und der darin enthaltenen Elemente. Denn mit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung setzt konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung notwendig ein Ding an sich, um das konkrete anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung als konkrete kategoriengeleitete anschaulich gegebene synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung vorstellen zu können. Ist das Setzen eines völlig unbekannten X Bedingung der Möglichkeit konkreter kategoriengeleiteter begrifflicher Gegenstandszuwendung und der darin enthaltenen Elemente, kann es niemals selbst Teil und Gegenstand einer konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung sein, denn diese wird ja durch die Annahme eines dem Denken gänzlich unbekannten X prinzipiell und allererst ermöglicht. D. h. als Bedingung von konkreter gegenständlicher Erfahrung kann es niemals selbst Teil und Gegenstand einer möglichen Erfahrung sein. Obschon das Ding an sich in jeder konkreten kategoriengeleiteten gegenständlichen Erkenntnis, mithin in jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, in allen konkreten kategoriengeleiteten anschaulich gegebenen synthetischen Einheiten des Mannigfaltigen der Anschauung und fernerhin in allem konkreten anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung durch das Denken selbst notwendig vorausgesetzt ist, ist es dem Denken in keiner konkreten kategoriengeleiteten anschaulich gegebenen syntheti-

16 „Der reine Begriff von diesem transzendentalen Gegenstande, (der wirklich bei allen unsern Erkenntnissen immer einerlei = X ist,) ist das, was allen unsern empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d. i. objektive Realität verschaffen kann. Dieser Begriff [...] wird also nichts anders, als diejenige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muß, so fern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht. Diese Beziehung aber ist nichts anders, als die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemeinschaftliche Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden. Da nun diese Einheit als a priori notwendig angesehen werden muß, (weil die Erkenntnis sonst ohne Gegenstand sein würde) so wird die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand d. i. die objektive Realität unserer empirischen Erkenntnis, auf dem transzendentalen Gesetze beruhen, daß alle Erscheinungen, so fern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen, nach welchen ihr Verhältnis in der empirischen Anschauung allein möglich ist [...]" (A 109 f.).

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sehen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, fernerhin in keinem konkreten anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung jemals gegeben.

III. Endliche Vernunft, Anschauungsbezug und Ding an sich Jedwede mögliche konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung, mithin alle konkrete kategoriengeleitete begriffliche Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung ist ausschließlich auf anschaulich gegebenes Mannigfaltiges der Anschauung bezogen einerseits. Jedwede mögliche konkrete kategoriengeleitete begriffliche Gegenstandszuwendung referiert in ihrer Anschauungsbedingtheit notwendig auf ein dem Denken völlig unbekanntes X andererseits. Die notwendige Anschauungsbezogenheit von konkreter kategoriengeleiteter begrifflicher Gegenstandszuwendung, mithin von konkreter kategoriengeleiteter begrifflicher Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung ergibt sich aus der Tatsache, dass alle konkrete kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis den Sinn von kategoriengeleiteter begrifflicher Gegenstandszuwendung überhaupt erfüllt, welche notwendig auf das anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung überhaupt bezogen ist. Die Bedingtheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung, mithin aller konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, jedweder kategoriengeleiteten anschaulich gegebenen synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung und fernerhin alles konkreten anschaulich gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung durch die Annahme eines Dinges an sich ergibt sich aus der Tatsache, dass diese Konkretionen des Sinnes synthetischer Einheit überhaupt, des inbegrifflichen Sinnes kategorialer Synthesis sind, welche ihrerseits notwendig durch das Setzen eines völlig unbekannten X bedingt ist. Schon aus Beschaffenheit und Struktur endlicher Rationalität selbst folgt sowohl notwendige Anschauungsbezogenheit jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung als auch notwendige Korrelation jedweder konkreten kategoriengeleiteten begrifflichen Gegenstandszuwendung mit dem gänzlich unbekannten X. Denn schon kategoriengeleitete gegenständliche Erkenntnis überhaupt ist notwendig auf das anschaulich gegebene Mannigfaltige der Anschauung überhaupt bezogen. Und schon der Sinn von synthetischer Einheit überhaupt, der inbegriffliche Sinn kategorialer Synthesis setzt notwendig ein ihm selbst unbekanntes X.

Gegenständlichkeit und Sein in der Erkenntnislehre Immanuel Kants

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Literatur Baum, Manfred: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft, Königstein/Ts. 1986: 136-142. Flach , Werner: Immanuel Kant. Die Idee der Transzendentalphilosophie, Würzburg 2002: 13-41,90-156. Hiltscher , Reinhard: Der ontologische Gottesbeweis als kryptognoseologischer Traktat. Acht Vorlesungen mit Anhang zu einem systematischen Problem der Philosophie (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Band 71), Hildesheim, Zürich, New York 2006: 192-215. Prauss , Gerold: Kant und das Problem der Dinge an sich (Abhandlungen zu Philosophie, Psychologie und Pädagogik, Band 90), Bonn 3 1989: 44-61, 98-115. Wagner , Hans: Philosophie und Reflexion, München, Basel 3 1980: 127 f. Zöller , Günter: Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant. Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realität" und „objektive Gültigkeit" in der „Kritik der reinen Vernunft" (Kantstudien Ergänzungshefte, Band 177), Berlin, New York 1984: 190-198,213-241.

Von der Transzendentalphilosophie zum Vergnügen Die Karriere der Wahrnehmungsurteile in der Kritischen Philosophie Kants Konstantin Pollok

JDie Urtheile des Gefühls könen niemals irren. Daß mir etwas angenehm sey, wenn ich es fühle, ist iederzeit wahr." 1

I. Die philosophische Disziplin der Ästhetik geht auf Alexander Gottlieb Baumgarten zurück, der damit jedoch nicht nur eine Kunstwissenschaft intendiert, sondern zunächst dem ,unteren Erkenntnisvermögen 4, d. h. der sinnlichen Wahrnehmung, eine neuartige erkenntnistheoretische Relevanz verschafft hat. Diese „ámaTÍ|p,T| ccia0r|Tixíj" 2 hat Kant - bei allen kritischen Neuerungen - im Sinn, wenn er in der „Kritik der reinen Vernunft" der „Transzendentalen Logik" eine „Transzendentale Ästhetik" voranstellt, in welcher er Raum und Zeit als die Formen der Sinnlichkeit beschreibt und dies als die „Wissenschaft von allen Principien der Sinnlichkeit a priori" 3 bezeichnet. Kant wehrt sich hier noch dagegen, mit dem Wort „Ästhetik [...] das zu bezeichnen, was andre Kritik des Geschmacks heißen", und spricht von der ,,verfehlte[n] Hoffnung [...], die kritische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben." 4 Doch in der „Kritik der Ur1

Kant, AA, X V 324 (Reflexion 736). Baumgarten, 1735, § CXVI; Baumgarten stellt hier explizit die Ästhetik der Logik gegenüber. Doch schon Baumgarten bringt, wie der Titel dieses frühen Werks andeutet, ,sinnenhafte Erkenntnis' und die Betrachtung von Gegenständen der Kunst in einen mehr oder weniger systematischen Zusammenhang. Vgl. dazu auch die Definition in seiner späteren „Aesthetica" (1750), § 1: „Aesthetica (theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulchre cogitandi, ars analogi rationis) est scientia cognitionis sensitivae." Der für Baumgarten zentrale Perfektions- bzw. Perfektibilitätsaspekt wird von Kant (vgl. § 15 der KdU) ausdrücklich zurückgewiesen. 3 Kant, KrV, A 21. 2

4

Kanu KrV, A 2 1 , Anm.

236

Konstantin Pollok

teilskraft" hat sich Kant schließlich mit dem Sprachgebrauch nicht nur arrangiert, sondern sucht seinerseits nach einem „Princip der Urtheilskraft" mit Blick auf diejenigen „Beurtheilungen, die man ästhetisch nennt, die das Schöne und Erhabne der Natur oder der Kunst betreffen." 5 Damit ist das philosophische Begriffstableau, das bis heute Gültigkeit besitzt, umrissen: wir beurteilen Gegenstände der Kunst aufgrund spezifischer, sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften. Doch fängt das eigentliche philosophische Problem hier erst an. Was besagt ein ästhetisches Urteil über einen roten Gegenstand abgesehen von der Aussage, daß der Gegenstand rot ist? Ist die Aussage, daß der Gegenstand rot ist - oder daß die Strümpfe der Professoren grau, ihre Anzüge grün, ihre Perücken weiß sind, wie eine kunsthistorische Beschreibung festhält - sind diese Aussagen überhaupt ästhetische Aussagen? Kant hat sich innerhalb seiner Kritischen Philosophie - darunter verstehe ich hier seine Schriften, die im direkten Verweisungszusammenhang der drei „Kritiken" stehen - intensiv mit dem Verhältnis von Wahrnehmung und ästhetischem Erlebnis beschäftigt und die entsprechende Theorie in seiner „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" ausformuliert. Diese Theorie steht, wie bereits erwähnt, in einem engen Zusammenhang mit Kants Erkenntnistheorie, wobei Kant das Materiale der entsprechenden Erkenntnis- und Geschmacksurteile als identisch betrachtet, dieses Materiale im einen Falle jedoch erkannt wird und im 5

Kant, KdU, V 169. Bereits Cassirer weist nicht nur auf die veränderte Sichtweise Kants, sondern auch auf deren metaphysischen Hintergrund hin: „Die ,Lust', die bisher als das schlechthin Empirische galt, wird jetzt in den Kreis des apriorisch Bestimmbaren und apriorisch Erkennbaren einbezogen; sie, die bisher schlechthin als das individuell Willkürliche angesehen wurde, worin sich jedes einzelne Subjekt von andern unterscheidet, erhält jetzt - wenigstens in einem ihrer Grundmomente - eine allgemeine Bedeutung ,für jedermann'. [...] Das Eigentümliche dieser Berichtigung aber besteht darin, daß es nicht die unmittelbare Betrachtung des Phänomens der Kunst und der künstlerischen Gestaltung, sondern ein Fortschritt in der Kritik der theoretischen Erkenntnis ist, der zu ihr hinleitet. Eine Erweiterung und Vertiefung des Aprioritätsbegriffs der Theorie ermöglicht erst das Apriori der Ästhetik und weist seiner Bestimmung und Ausgestaltung den Weg. Weil sich gezeigt hat, daß für die vollständige Form der Erfahrung die Bedingung der allgemeinen Verstandesgesetze zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist - weil eine eigene Form und eine eigene zweckmäßige Verbindung des Besonderen entdeckt wurde, die ihrerseits erst den systematischen Begriff der Erfahrung vollendet: Darum wird auch im Bewußtsein nach einem Moment gesucht, in welchem sich die Gesetzlichkeit des Besonderen und ,Zufälligen' ausprägt. Ist dieses Moment aber einmal gefunden, so haben sich damit die Grenzen der bisherigen Untersuchung verschoben. Sie macht jetzt nicht mehr vor der Frage des individuellen' halt, indem sie das Individuelle als dasjenige behandelt, was von Fall zu Fall wechselt und daher nicht anders als durch unmittelbare Einzelerfahrung und durch den ,materialen' Faktor der Empfindung bestimmbar ist - sondern sie sucht auch in diesem bisher verschlossenen Bereich die Grundmomente apriorischer Formung zu entdecken." (Cassirer, 1918, ECW, VIII, 292 f.) Auf Kants Hylemorphismus, seine Bestimmung des Verhältnisses von ,materialem Faktor der Empfindung' und ,apriorischer Formung' werde ich im Folgenden noch zurückkommen.

Von der Transzendentalphilosophie zum Vergnügen

237

anderen eben gefällt. Doch je genauer man die einfache Wahrnehmung des roten Gegenstands hinsichtlich ihrer Geltungsdifferenz in Urteilen analysiert, umso problematischer wird diese Wahrnehmung und umso komplexer wird die entsprechende Theorie. Seine Konzeption der Wahrnehmungsurteile spielt - so die Heuristik des vorliegenden Aufsatzes - eine interessante Nebenrolle in Kants Entwicklung des synthetischen Apriori, dem zentralen Anliegen seiner Kritischen Philosophie. Es gibt kein Hauptstück oder Kapitel, das eine explizite Auseinandersetzung mit ihnen ankündigen würde, und dennoch treiben sie Kants Denken von der ersten bis zur dritten „Kritik". Kants Konzeption der Wahrnehmungsurteile durchläuft dementsprechend keine lineare Entwicklung, sondern kann vielmehr als ein Problemfeld betrachtet werden, das unter der Oberfläche seiner gesamten Kritischen Philosophie den Normativismus, der kennzeichnend ist sowohl für seine Erkenntniskritik als auch für seine Moralphilosophie und für seine Theorie des Schönen, befeuert und bedroht. Unter Normativismus verstehe ich hier die Tendenz Kants, als philosophisch relevant nur das zu betrachten, was sich als geltungsvarianter Standard formulieren läßt oder sich an einem solchen orientiert. Es ist auffällig, daß Kant erstens sich nicht für Empfindungen, Wahrnehmungen, primäre und sekundäre Qualitäten von Gegenständen als solche interessiert, daß Kant zweitens Wünschen, Neigungen oder bestimmten menschlichen Tugenden keinen zentralen Ort innerhalb seiner Philosophie zuweist und daß Kant drittens Partituren, Gemälde oder Romane nicht philosophisch reflektiert (falls er sie überhaupt zur Kenntnis genommen hat). Was Kant philosophisch interessiert, sind allein Urteile - also Erkenntnisurteile, praktische Urteile (Maximen und Imperative) und ästhetische Urteile, oder noch etwas genauer, die formalen Standards a priori gültiger Beurteilung von Tatsachen, Handlungen und ästhetischen Erlebnissen. Weder dieser Normativismus insgesamt kann im vorgegebenen Rahmen eines Aufsatzes erläutert und begründet, noch kann das philosophische Schicksal der Wahrnehmungsurteile in Kants Philosophie hier en detail beschrieben werden. Es geht lediglich um eine Skizze der entsprechenden Tendenz und damit verbunden eine Einschätzung ihrer Bedeutung für Kants Kritische Philosophie. Meine diesbezügliche These lautet dabei folgendermaßen: Kant ist im Laufe seiner philosophischen Entwicklung zu der Einsicht gelangt, daß Wahrnehmungsurteile, wie er sie in den „Prolegomena" skizziert hat, sinnvollerweise allein im Kontext solcher Pseudourteile zu lokalisieren sind, die seelisch- oder körperlich-subjektive Befindlichkeiten ausdrücken, und deshalb nicht als wie auch immer zu spezifizierende ,Vorstufe' weder von Erfahrungsnoch von Geschmacksurteilen betrachtet werden sollten. Die Entwicklung dieser Ansicht soll nun zunächst im Kontext der theoretischen Philosophie Kants (II) und anschließend anhand seiner Ästhetik verfolgt werden (III).

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Konstantin Pollok II.

Die Einführung des Begriffs der Wahrnehmungsurteile in den „Prolegomena" hat einen theoretischen Vorlauf im Zentrum von Kants Transzendentalphilosophie. Es geht, allgemein gesprochen, um die Frage, wie aus der bloß subjektiven Wahrnehmung eine objektive Erfahrung, eine Erfahrung von Objekten werden kann, oder anders, um die „Bedingungen und allgemeine[n...] Gesetze [...], unter denen allein ein solches Erkenntniß als Erfahrung (der bloßen Form nach) möglich ist", oder nochmals anders, es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen „ein Wahrnehmungsurtheil für Erfahrung gelten" kann.6 Nicht unter dem Titel , Wahrnehmungsurteil 4 und auch nicht in seinen publizierten Schriften hat sich Kant methodologische Gedanken darüber gemacht, wie der Verstand zu der Objektivität von Erfahrungsurteilen gelangt. In seinem Aufsatz „Kant's Notion of a Deduction and the Methodological Background of the First Critique " hat Dieter Henrich jedoch auf Kants Logik-Vorlesungsnachschriften aufmerksam gemacht, die ein wenig Aufschluß über diese Problematik geben. Henrichs primäres Interesse gilt dabei dem Begriff der Deduktion, der einschlägig ist für das Verständnis der „Transzendentalen Deduktion der Kategorien" in Kants erster „Kritik". Im Gegensatz zum (heutigen, aber natürlich auch Kant geläufigen) Begriff der Deduktion, der sich auf die logische Prozedur bezieht, durch welche von bestimmten Aussagen (Prämissen) auf eine andere Aussage (Konklusion) geschlossen wird, bezieht sich Kants Deduktionsbegriff wesentlich auf die aus der zeitgenössischen Rechtspraxis bekannte Begründung eines rechtlichen Anspruchs, was Kant selbst in der „Kritik der reinen Vernunft" folgendermaßen erläutert: „Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist {quid iuris), von der, die die Thatsache angeht {quidfacti), und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den erstem, der die Befugniß oder auch den Rechtsanspruch darthun soll, die Deduction " 7 Für mein gegenwärtiges Interesse der Wahrnehmungsurteile ist nun jedoch zunächst nicht die Deduktionsproblematik als solche wichtig, sondern eine Unterscheidung, die sich beispielsweise in der „Logik-Nachschrift Blomberg" findet: „Das Überlegen ist unterschieden vom Untersuchen , und Untersuchung. Überlegen heißt etwas mit denen Verstandes Gesetzen vergleichen. Untersuchen aber heißet eigentlich mittelbahr überlegen, von vielen Dingen können wir ohne Untersuchung wohl erkennen, was wahr, und was falsch ist. Die Überlegung aber hingegen ist allemahl zu einem jedweden Urtheil nothwendig, und

6 7

I V , 296 f. KrV, A 84; vgl. Henrich , 1989, 32-35.

Von der Transzendentalphilosophie zum Vergnügen

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zur Unterscheidung des Wahren vom Falschen, es sey nun überhaupt, oder in einer Erkenntniß etc. in allen einzelnen Fällen unentbehrlich." 8 Während eine Untersuchung also bereits eine Art Theorie ist, beispielsweise über die „Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt" 9, bezieht sich die Reflexion auf eine Art impliziten Wissens, das es uns ermöglicht, unsere Erkenntniskräfte angemessen einzusetzen. Henrich charakterisiert den Begriff der Reflexion daher folgendermaßen: „Reflection is not a descriptive, let alone an exhaustive knowledge of the processes and operations of cognition. It is only an awareness of what is specific to them, presumably the general principles and rules upon which they rely." 10 Sich dieser Prinzipien bewußt zu sein und sie korrekt anzuwenden ist jedoch etwas wesentlich Anderes als sie (aufgrund Hume'scher Zweifel) zu explizieren und zu begründen. Letzteres kann nur durch bestimmte Untersuchungen geleistet werden, eine metaphysische und eine transzendentale Deduktion. Diese Untersuchungen müssen zeigen, daß Behauptungen, wenn sie (objektiv-reales) Wissen darstellen sollen, bestimmten Anschauungs- und Urteilsformen entsprechen müssen. Da die Reflexion sich bereits auf raum-zeitlich und kategorial geordnete Vorstellungen bezieht (und das Verhältnis dieser Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen bestimmt), kann sie selbst nicht dazu dienen, die ursprüngliche SynthesisLeistung oder Kategorien-Instantiation zu erkennen (das Kapitel zur „Amphibolie der Reflexionsbegriffe" befindet sich dementsprechend auch hinter Deduktion und Schematismus in einem Anhang zur Transzendentalen Analytik). 11 Es bedarf daher eines besonderen theoretischen Aufwands, um zu zeigen, „wie nämlich subjective Bedingungen des Denkens sollten objective Gültigkeit haben" 12 . Henrich resümiert daher: „Since the deduction, as an investigation, always depends internally on what reflection provides, we can reasonably expect that no deduction can get under way unless it relies primarily on arguments that

8

Logik Blomberg ( X X I V , 161); vgl. auch Logik Busolt: „Wir haben zwey Handlungen der Spontaneitaet des Verstandes, a.) Reflexion oder Ueberlegung, wenn wir unser Urtheil mit den Gesezzen des Verstandes vergleichen, b.) Untersuchung, wenn ich gleich auf den Grund der Urtheile zu kommen suche Gewiße Urtheile bedürfen einer Untersuchung, viele aber nicht Ueberlegung aber muß bei jedem Urtheil stattfinden, obs nehmlich Subiectiv oder Obiectiv gilt. Bisweilen urtheilen wir ohne Ueberlegung, wir ueberlegen nehmlich nicht ob das Urtheil aus dem Verstände entspringt d. i. obiectiv sey, oder ob die Sinnen mit eingeschoben seyen, d. i. subiectiv, Wobei die Neigung etwas unterschoben hat, und daher kann es leicht kommen, daß die Menschen subiectiue Ursachen für obiectiue nehmen, und dann entsteht das Vorurtheil [das] ein Hang ist, subiectiue Ursachen für obiectiue zu nehmen [...]." (XXIV, 641) Vgl. auch Logik Philippi (XXIV, 424) und Logik Pölitz (XXIV, 547). 9

KrV, A xii. Henrich, 1989, 42 f. 11 Vgl. KrV, A 260-92. 12 KrV, B 122. 10

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refer directly to what is revealed by reflection. These arguments constitute the core of every transcendental deduction. And their formal feature is a clarification of the awareness that a particular operation cannot be carried out unless another and more fundamental operation comes into play." 13 Subjektive Bedingungen des Denkens haben - das ist das Ergebnis der transzendentalen Deduktion - objektive Gültigkeit, insofern sie ihrerseits notwendige Bedingungen möglicher Erfahrung darstellen. Oder von der materialen Seite her formuliert: wir hätten keinerlei Wahrnehmung als Teil unseres Wissens, stünde diese Wahrnehmung nicht unter der synthetischen Einheit der Apperzeption. Bereits in der A-Auflage der „Kritik" hatte Kant festgestellt: „gründeten diese [sc. empirische Begriffe] sich nicht auf einen transscendentalen Grund der Einheit, so würde es möglich sein, daß ein Gewühl von Erscheinungen unsere Seele anfüllte, ohne daß doch daraus jemals Erfahrung werden könnte." 14 Die Begründung der objektiven Realität der Kategorien liegt in dem Aufweis des ,Faktum', daß ohne sie jegliche Erkenntnis von welchem Objekt auch immer unmöglich wäre. Dies ist allgemein der Inhalt der „Documente, die eine gründliche Deduction verschaffen können" 15 . Das methodologische Problem, auf das Henrich hingewiesen hat, besteht jedoch nach wie vor: wie kann die Kluft zwischen Reflexion und Untersuchung geschlossen werden, wie wenden wir uns an unser implizites Wissen, um es explizit zu machen? Kant war sich, so Henrich, dieser Problematik durchaus bewußt und daher geneigt, „[...] to put the theory of 'preliminary judgments' (ju dicia praevia) to work at precisely this place: within reflection a tendency to conceptualize our cognitive faculties in a particular way somehow arises. These 'preliminary judgments' are the point of departure for philosophical investigation." 16 In der „Logik-Nachschrift Wien", die auf Vorlesungen um 1780 zurückgeht, wird Kant dahingehend zitiert, daß eine genauere Kenntnis dieser judicia praevia oder vorläufigen Urteile von außerordentlicher Wichtigkeit wäre, „[...] sie wäre wirklich eine Hevristik neuer Wahrheiten, die aber noch nicht erfunden ist." 17 Die Aufgabe dieser Heuristik wäre eine Erläuterung des Begriffs der Reflexion, d. h. zu zeigen, „zu welcher Erkenntnißkraft ein Erkenntniß gehöre" 18. Denn: „Unser Erkenntnißvermögen ist mannigfaltig, und alle Kräfte deßelben sind im Spiel. Sie laufen alle durch einander." 19 Wie vorläufig oder endgültig diese judicia praevia sind, läßt sich nicht allgemein bestimmen, doch soviel

13

Henrich , 1989, 43-4. K r V , A 111. 15 KrV, A 209 f. 16 Henrich, 1989, 44. 17 X X I V , 862. 18 Kant, Jäsche-Logik, IX 73. 19 X X I V , 863 (Logik Wien). ,4

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241

steht fest, es sind unvollständige oder auch unbestimmte Urteile, die Kant in seinen Logik-Vorlesungen stets im Zusammenhang mit den Vorurteilen diskutiert: „Von diesen vorläufigen Urtheilen sind gar sehr unterschieden die Vorurtheile, und sind gerade das Gegentheil davon. Denn ohne oder statt vorläufig zu urtheilen bestimmt man." 20 Vorurteile sind Prinzipien für Urteile: „Irrige Urtheile aus Vorurtheilen sind nicht selbst Vorurtheile, daher wirkliche Vorurtheile eine Quelle vieler falscher Urtheile im Grundsatz und principium derselben sind." 21 Kant erläutert dies anschaulich so: „Man urtheilet kritisch von anderer Maximen, und hält seine eigene für gut. Hier ist das Vorurtheil suum cuique pulchrum, deßen subjective Ursache Eigenliebe ist." 22 Vorläufige Urteile sind demgegenüber keine Prinzipien für Urteile; sie besitzen bereits gewisse Inhalte, doch genügen diese Inhalte eben noch nicht, um eine Erkenntnis von einem Objekt auszumachen. Kant bezeichnet dieses judicium praevium daher auch als „[...] gewißes halbirtes Urtheil über die Eigenschaften, die noch erfunden werden sollen [...]. Man nennt die vorläufigen Urtheile auch anticipationes, wo man sein bestimmtes Urtheil suspendirt. Man hat sich zu bestimmenden Urtheilen noch nicht entschloßen. Man anticipirt also diese gewißer maßen. Epicur nannte anticipation die Begriffe unseres Verstandes, die er vor der Erfahrung voraus setzt." 23 Doch wie sieht nun der Schritt von diesem ,gewissen halbierten Urteil 4 zum Erfahrungsurteil aus? Wenn ich Kant richtig verstehe, dann hegte er - zumindest für ein paar Jahre - die Hoffnung, mit der Einführung der Wahrnehmungsurteile als einer Art vorläufiger Urteile, welche von der Objektivität noch durch die ,Anticipation der Begriffe unseres Verstandes' getrennt sind, zur Klärung dieser Problematik beitragen zu können. In den „Prolegomena" erläutert er die Differenz zwischen Wahrnehmungsund Erfahrungsurteilen mit Blick auf die Anwendung reiner Verstandesbegriffe oder Kategorien. Während Wahrnehmungsurteile nur etwas über meine subjektive Wahrnehmungssituation aussagen, bestimmt ein Erfahrungsurteil diese Wahrnehmung hinsichtlich eines Wahrnehmungsofy'eto und setzt dazu die Anwendung von Kategorien voraus: „Empirische Urtheile, so fern sie objective Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurtheile; die aber, so nur subjectiv gültig sind, nenne ich bloße Wahrnehmungsurtheile. Die letztern bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subject." 24 Im gegenwärtigen Zusammenhang ist dabei zunächst das folgende festzuhalten: wenngleich Kants Wahl von Beispie-

20

X X I V , 862 X X I V , 864 22 X X I V , 864 23 X X I V , 862 24 I V 298. 21

(Logik (Logik (Logik (Logik

Wien). Wien). Wien). Wien); vgl. auch in der „Tugendlehre" VI 478.

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len nicht besonders souverän wirkt (was von Kant ebenso gesehen wird, wie zwei entsprechende Anmerkungen zeigen)25 , so ist doch klar, daß mindestens einige dieser vorläufigen Urteile durch die ,Hinzufugung' eines reinen Verstandesbegriffs in ein Erfahrungsurteil umgewandelt werden können: „wenn ich sage, die Luft ist elastisch, so ist dieses Urtheil zunächst nur ein Wahrnehmungsurtheil, ich beziehe zwei Empfindungen in meinen Sinnen nur auf einander. [...] Nun wird, ehe aus einem Wahrnehmungsurtheil ein Urtheil der Erfahrung werden kann, zuerst erfordert: daß die Wahrnehmung unter einem dergleichen Verstandesbegriffe subsumirt werde; z. B. die Luft gehört unter den Begriff der Ursache, welche das Urtheil über dieselbe in Ansehung der Ausdehnung als hypothetisch bestimmt." 26 Auf diese Weise verstehen wir - oder zumindest dachte Kant, daß wir dies verstehen - die Anforderung an Kategorien, aus gewissen halbierten Urteilen' vollständige Erfahrungsurteile und damit Erkenntnis entstehen zu lassen. Als eine Art vorläufiger Urteile könnten Wahrnehmungsurteile damit im Sinne einer erkenntnistheoretischen Vermittlung zwischen dem rein sinnlichen Datum und dem endgültigen Erfahrungsurteil aufgefaßt werden. Diese Wahrnehmungsurteile fungierten damit als Basis unserer Reflexion, „wenn wir unser Urtheil mit den Gesetzen des Verstandes vergleichen." 27 Doch es stellte sich bald nach der Publikation der „Prolegomena" heraus, daß diese Konstruktion nicht so überzeugend ist, wie Kant das ursprünglich dachte, und es gibt gute Gründe dafür, in Johann Schultz' Rezension von Johann August Heinrich Ulrichs „Institutiones logicae" (1785) den entscheidenden Anlaß für Kant zu sehen, diese Differenzierung und mit ihr einen großen Teil dessen, was Kant in der A-Auflage der ersten „Kritik" über die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe geschrieben hatte, zu überdenken und zu revidieren. An dieser Stelle kann ich nicht näher auf die diesbezügliche Neufassung der Deduktion eingehen,28 nur soviel sei hier festgehalten. Schultz attackiert Kants Unterscheidung zwischen den genannten Urteilsarten auf eine Weise, die vielleicht nicht die nominelle Unterscheidung selbst, mindestens aber deren Erklärung, wie Kant sie in den „Prolegomena" gegeben hatte, obsolet macht. Schultz' zentrales Argument lautet im Wortlaut folgendermaßen: „Kant deducirt die objective Realität der Kategorieen oder der synthetischen Begriffe daher, weil ohne dieselbe keine Erfahrung möglich wäre. Nun versteht er unter Erfahrung bald bloße Wahrnehmungsurtheile, d. i. solche empirische Urtheile, die nur subjectiv gültig für mich sind, bald Erfahrungsurtheile , d. i. solche, die objectiv , folglich allgemein gültig für jedermann sind. (Proleg. 25

Vgl. IV 299,301. I V , 299 ff. 27 X X I V , 641 (Logik-Busolt). 28 Vgl. dazu Pollok , 2007. 26

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S. 78.) Also würde in der erstem Bedeutung des Worts der Sinn seiner Deduction dieser seyn: ohne objective Realität der Kategorieen sind keine Wahrnehmungsurtheile möglich. In diesem Sinne nimmt er wirklich den Satz an vielen Orten [...]. Kant [würde sich hier aber] selbst widersprechen, da er (Proleg. S. 78) ausdrücklich sagt: die Wahrnehmungsurtheile bedürfen keiner reinen Verstandesbegriffe, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subject. Versteht man dagegen unter der Erfahrung ein Erfahrungsurtheil; so würde die Kantsche Deduction diesen Sinn haben [...]: wenn die Kategorieen keine nothwendige Beziehung auf Erscheinungen, d. i. in ihnen keine objective Gültigkeit hätten, so würden wir von letztern nie a priori, d. i. allgemein oder objectivgültig urtheilen können, [...] Allein [...] wollte der vortrefliche Kant uns nicht eben erst überzeugen, daß wir zu dergleichen allgemeinen Erfahrungsurtheilen allerdings befugt sind? Man darf indessen noch kein sceptischer Hume seyn, um dieses zu bezweifeln." 29 Mit anderen Worten: wenn Kategorien auch für Wahrnehmungsurteile erforderlich sind, dann ist die Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen hinfällig; wenn andererseits Kategorien nur für Erfahrungsurteile erforderlich sind, dann ist damit gegen den Skeptiker nichts gewonnen, denn für diesen sind Wahrnehmungsurteile im Kantischen Sinne alles, was wir haben, und alles, was wir brauchen. Kant hat diese Kritik nicht nur zu einer überlangen Fußnote zur Vorrede der „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" (die zu diesem Zeitpunkt kurz vor ihrer Publikation stehen) bewegt, vielmehr geht er in dieser Fußnote, wie auch in der Kategorien-Deduktion der B-Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" auf das von Schultz geschnürte Paket - Wahrnehmungs-/Erfahrungsurteile, Humes Zweifel, Präformationssystem - ein. 30 Das Ergebnis dieser kritischen Revision besteht darin, daß Kant den Begriff der Wahrnehmungsurteile fallen läßt, zumindest hinsichtlich des systematischen Status, der ihnen in den „Prolegomena" noch eingeräumt worden war. Quasi definitorisch bestimmt Kant in § 19 der B-Deduktion den allgemeinen Begriff des Urteils überhaupt im Sinne des ErfahrungsuritWs, d. h. „die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen." 31 Der Sache nach grenzt Kant hier den Begriff des Urteils von Aussagen ab, die er zuvor unter dem Begriff Wahrnehmungsurteil gefaßt hatte: ein Urteil ist „[...] ein

29 Rezension der „Institutiones logicae et metaphysicae" (Jena 1785) von Johann August Heinrich Ulrich; anonym erschienen am 13. Dezember 1785 in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung", Bd. IV, Jena 1785, S. 297-299 [Rezensent: Johann Schultz], zitiert nach Pollok, 2001, 514 f. 30 Vgl. in den „Metaphysischen Anfangsgründen", IV, 476, sowie § 27 der BDeduktion, wobei von Wahrnehmungsurteilen nicht mehr positiv die Rede ist; sie wurden mit dem zweiten Beweisschritt der B-Deduktion ja gerade ausgeschlossen; vgl. die nachfolgenden Ausfuhrungen. 31 KrV, B 141.

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Verhältniß, das objectiv gültig ist und sich von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjective Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Association, hinreichend unterscheidet." 32 Die systematisch-argumentative Ent32 KrV, B 142; diesen Ausschluß der Wahrnehmungsurteile aus dem Begriff des Urteils übersieht Prauss (1971, 141 Anm.). Prauss deutet zwar auch auf die Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft" hin, ist jedoch der Auffassung, daß Kants Konzeption der Wahrnehmungsurteile über die Jahre hinweg stabil geblieben ist. Wahrnehmungsurteile sind für ihn Urteile über Erscheinungen bzw. „eine besondere Art von empirischsubjektiven Gegenständen" (ebd. 11) in der Form „mir scheint, daß...", während Erfahrungsurteile wahre oder falsche Urteile über objektive Gegenstände sind. Während in Wahrnehmungsurteilen die (Relations-)Kategorien ,entworfen' oder ,erzeugt' werden, werden sie nach Prauss in Erfahrungsurteilen auf Erscheinungen ,angewandt': „Nach Kant soll diese Anwendung jeweils nichts anderes sein als eine Weise, wie der auf Anlaß von Erscheinungen unter Kategorien erfolgende Entwurf des Objekts überhaupt zur Durchführung kommt, sich positiv (Wahrheit) oder negativ (Falschheit) verwirklicht. Erzeugung und Anwendung der Kategorien sollen also nicht einfach Verschiedenes, sondern voneinander wie ein Entwurf von einer Weise seiner Durchfuhrung, wie ein Allgemeines von seiner Besonderung, wie eine Gattung von ihrer Art unterschieden sein." (Prauss , 1971, 290) Diese Differenzierung zwischen Erzeugung und Anwendung ist meines Erachtens jedoch weder der ersten noch der zweiten Version von Kants Kategorien-Deduktion zu entnehmen. Wenn Prauss der Auffassung ist, daß „ [ . . . ] die im Entwurf auf jeden Fall intendierte Wahrheit auch im Erfahrungsurteil verfehlt, im Wahrnehmungsurteil dagegen nicht verfehlt werden" (ebd. 291) kann, so verweist dies meines Erachtens keineswegs auf ein prä-kategoriales Urteil, sondern schlicht auf die modale Differenz von ,wirklich' bzw. ,assertorisch' und ,möglich' bzw. problematisch' in einem Urteil (vgl. auch ebd. 181-84); doch die Feststellungen zum süßen Zukker, zum warmen Zimmer oder zum widrigen Wermut stellen keine Versuche und auch keine Entwürfe dar. sondern können durchaus als definitive subjektiv-expressive Äußerungen verstanden werden. Wenzel (2000, 199) ist daher zuzustimmen, wenn er dafür argumentiert, daß „ [ . . . ] der Ansatz der ,Es scheint'-Urteile hier fehl am Platz [ist]. Und die ,subjektiven Gegenstände' bringen nichts neues; sie drücken bestenfalls abstrakt und künstlich die bloß subjektive Beziehung und Assoziation von Vorstellungen aus; sie bezeichnen nur diese Beziehungen und keine Gegenstände und können daher leicht Verwirrung stiften. Daher sollte man besser ohne sie auszukommen suchen." Vgl. zu dieser Problematik bereits die meiner Interpretation gleichgerichtete Kritik Cassirers, der im Zusammenhang der Wahrnehmungsurteile gleichwohl weder auf die SchultzRezension (wie übrigens Prauss auch nicht) noch auf die Deduktionsproblematik bzw. deren veränderte Darstellung in der B-Auflage der „Kritik" eingeht: „Die Analyse des empirischen Urteils, die Locke versucht hat, erweist sich damit als innerlich unzureichend: Denn sie verhüllt jenes Moment der Notwendigkeit der Verknüpfung, das auch der Aussage über Tatsachen eigen ist und ihr erst ihren wahrhaften Halt verleiht. Kant, für den diese Notwendigkeit zum eigentlichen Grundproblem geworden ist, zeigt sich in der ersten Einführung seiner kritischen Frage dennoch in einem Punkte noch von Locke abhängig. Die Unterscheidung der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile, auf die er sich stützt, hat nicht sowohl unmittelbar sachliche als didaktische Bedeutung: Sie knüpft an die sensualistische Auffassung des Urteils an, um ihr einen neuen Sinn und eine tiefere Deutung abzugewinnen. Empirische Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit haben, sollen Erfahrungsurteile, diejenigen aber, die nur subjektiv gültig sind, bloße Wahrnehmungsurteile heißen. Der letztere Begriff deckt und umfaßt somit alles das, was der dogmatische Empirismus als das eigentliche Kennzeichen und den Charakter der Erfahrung selbst ansieht. Das ,Wahrnehmungsurteil' zum mindesten ist nichts anderes und will nichts anderes sein als ein Bericht über ein momentanes und individuelles

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Scheidung fällt schließlich im zweiten Beweisschritt der Deduktion selbst, wo Kant zu zeigen versucht, daß die „Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird" 3 3 , bereits eine „figürliche Synthesis" oder „synthesis speciosa"34 erfordert, welche, „den Kategorien gemäß, [...] eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit" 35 ist. Lapidar formuliert Kant schließlich das Ergebnis: „Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien" 36 . Wahrnehmungsurteile im Sinne von Erlebnis: Es verknüpft Subjekt und Prädikat nicht nach irgendeinem Gesichtspunkt der gedanklichen Abhängigkeit und Zusammengehörigkeit, sondern greift beide nur derart auf, wie sie sich zufällig in einem einzelnen Bewußtsein nach den ,subjektiven4 Regeln der Assoziation zusammenfinden. Wir konstatieren in ihm nur das Beisammen zweier Inhalte, ohne sie in irgendein Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit zu setzen. Je weiter indessen die Kantische Unterscheidung fortschreitet, um so mehr zeigt es sich, daß das Wahrnehmungsurteii in dieser Fassung nur ein methodisch konstruierter Grenzfall sein will, der den neu gewonnenen Begriff der wissenschaftlichen Objektivität durch seinen Gegensatz beleuchten soll, der aber keine reale Trennung der Urteile selbst in zwei heterogene Klassen mit sich fuhrt. Jedes Urteil beansprucht, sosehr es seinen Subjektsbegriff einschränkt, innerhalb dieses selbstgewählten engeren Umkreises ein bestimmtes Maß objektiver Geltung. Es begnügt sich niemals mit der Feststellung eines bloßen Nebeneinander von Vorstellungen, sondern stiftet zwischen ihnen eine funktionale Zuordnung, so daß immer, wenn der eine Inhalt gegeben ist, der andere uns als gefordert gilt. Das ,Ist 4 der Kopula ist der Ausdruck dieser Verknüpfung, die somit als unentbehrlicher Faktor auch in jede Aussage über einen empirisch einzelnen Gegenstand eingeht. Der Satz, daß der Körper schwer ist, will nicht sagen, daß, sooft ich bisher einen Körper getragen habe, eine bestimmte Tast- und Druckempfindung sich eingestellt habe, sondern er will einen Zusammenhang feststellen, der im Objekt gegründet ist und ihm unabhängig vom Zustand dieses oder jenes empfindenden Individuums zukommt. Auch das einzelne, ,aposteriorische 4 Urteil enthält daher in der Notwendigkeit des Zusammenhangs, die es behauptet, jederzeit einen ,apriorischen 4 Einschlag." (Cassirer, 1910, ECW, V I 264 f.; Hervorhebung: K. P.) Von .didaktischer Bedeutung4 der Wahrnehmungsurteile spricht auch Wenzel, 2000, 156-65; meine gegenwärtigen Ausführungen haben im Gegensatz dazu unter anderem den Zweck, der Problematik der Wahrnehmungsurteile einen höheren systematischen Wert beizumessen. 33

KrV, B 144. KrV, B 151. 35 KrV, B 152; Kants veränderte Sichtweise läßt sich sozusagen mit Händen greifen, wenn man eine Randbemerkung zur Kenntnis nimmt, die er in seinem Handexemplar der „Kritik der reinen Vernunft" gemacht hat. Auf Seite 78 findet sich dort folgender Satz: „Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntniß haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind." Die Formulierung „einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele" korrigiert Kant am Rand zu „einer Function des Verstandes". Damit sind die Kategorien in der Wahrnehmung bzw. der Apprehension angekommen. 36 KrV, B 161. An dieser Konsequenz scheitert meines Erachtens der Interpretationsansatz Longuenesse4, die Kants Konzeption der Wahrnehmungsurteile für stabil und begründet hält. Sie schlägt ein Zwei-Stufen-Modell vor, und zwar dergestalt, „that according to Kant, the logical function ofjudgment is present in judgments of perception, but adequately fulfills its goal or immanent norm only in judgments of experience." (Longuenesse, 1998, 193) Nach der eben zitierten Kant-Stelle ist jedoch keine nicht von 34

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vorläufigen Urteilen, die selbst noch keine Anwendung der Kategorien erfordern, gleichwohl aber einen Schritt hin zu Urteilen objektiver Realität, Erfahrungsurteilen, bilden könnten, sind damit begrifflich ausgeschlossen. ,Wahrnehmungsurteile 4 sind keine prä-kategorialen Entitäten, sondern erfordern bereits mindestens Kategorien der ersten beiden Titel (Quantität und Qualität), die im Gegensatz zu den letzten beiden Titeln (Relation und Modalität) nicht auf das „Dasein [...] der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung 4437 bezogen sind. 38

Kategorien geleitete Synthesis - nicht einmal die der Apprehension - denkbar. Unter Berufung auf Unterscheidungen zur Entwicklung empirischer Begriffe in Kants LogikVorlesungen (vgl. beispielsweise „Logik-Jäsche", IX, 93 ff.) argumentiert Longuenesse folgendermaßen: „Empirical judgments are formed by operations of comparison/reflection/abstraction by means of which empirical perceptions and their reproductive associations are reflected under concepts combined in judgments. Judgments of experience occur when the intuitions so analyzed are subsumed under the categories." (Longuenesse, 1998, 179) Doch nach dem, was Kant in der B-Deduktion ausgeführt hat, sind beispielsweise den in der Logik beschriebenen Prozeduren des Sehens und Vergleichens von verschiedenen Bäumen Kategorien bereits vorausgesetzt. Vgl. dazu bereits Friedmans Rezension von Longuenesse, in welcher er dafür argumentiert, daß nach Kant der bottom-up oder ,Baconian way' nicht offensteht, um aus (prä-kategorialen) Wahrnehmungsurteilen (kategoriale) Erfahrungsurteile entstehen zu lassen: „For Kant emphasizes repeatedly that a merely inductive or experimental method, no matter how systematically applied can never yield natural scientific knowledge in his sense, which requires strict as opposed to merely comparative universality for natural laws." (Friedman, 2000, 212) Vgl. zu Friedmans Kritik auch Longuenesse, 2001, insbes. 209-12; doch auch diese Replik ändert meines Erachtens nichts an dem Mißverständnis, Kant würde in den Wahrnehmungsurteilen als Pro to-Urteilen bloß den »logischen Gebrauch des Verstandes' am Werk sehen, während in den Erfahrungsurteilen schließlich dessen realer Gebrauch bzw. die erkenntnisstiftende Synthesis benötigt wird; genau dieses Verständnis ist die bottom-up Perspektive. Kant vertritt jedoch die umgekehrte Sichtweise, worin die Synthesis alle Verstandeshandlungen umfaßt: „Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntniß zu begreifen." (KrV, A 77) Der ,logische Gebrauch des Verstandes' ist lediglich formal und abstraktiv, und das bedeutet, er verrichtet sein Werk logisch nach dem realen Gebrauch des Verstandes: „Es giebt von ihr [sc. der Vernunft] wie von dem Verstände einen bloß formalen, d. i. logischen, Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkenntniß abstrahirt" (KrV, A 299) Im logischen Gebrauch des Verstandes können wir die reale Erkenntnis, in welcher Körper nicht als Eigenschaften auftreten, suspendieren und beispielsweise folgende formal-logische Äquivalenz betrachten: „alle Körper sind theilbar. Allein in Ansehung des bloß logischen Gebrauchs des Verstandes blieb es unbestimmt, welchem von beiden Begriffen die Function des Subjects, und welchem die des Prädicats man geben wolle. Denn man kann auch sagen: Einiges Theilbare ist ein Körper." (KrV, B 129) Das Imperfekt im Wort „blieb" betrifft lediglich die Theorie, in welcher die Urteilsformen vor den diese Formen bestimmenden Einheitsbegriffen (Kategorien) behandelt werden müssen; das Imperfekt ist nicht, wie Longuenesse dies nahelegt, erkenntnisgenealogisch aufzufassen. 37

KrV, A 160.

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III. In der „ K r i t i k der Urteilskraft" schließlich macht Kant endgültig und eindeutig klar, daß Urteile, die zwar dem Wortlaut nach von Objekten handeln, tatsächlich aber nur strikt subjektive Gültigkeit besitzen, bezüglich einer möglichen Erkenntnis keinerlei Platz in der Philosophie beanspruchen können: „ [ . . . ] um nicht immer Gefahr zu laufen, mißgedeutet zu werden, wollen w i r das, was jederzeit blos subjectiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann, mit dem sonst üblichen Namen des Gefühls benennen. Die grüne Farbe der Wiesen gehört zur objectiven

Empfindung, als

Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes; die Annehmlichkeit derselben aber zur subjectiven

Empfindung, wodurch kein Gegenstand vorgestellt wird:

d. i. zum Gefühl, wodurch der Gegenstand als Object des Wohlgefallens (welches kein Erkenntniß desselben ist) betrachtet w i r d . " 3 9 Urteile über Gefühle haben also keinen Erkenntnischarakter,

sie dienen lediglich dem

subjektiv-

expressiven Bedürfnis der Menschen, ihren Gemütszustand anderen gegenüber zu artikulieren. Doch nun beginnt das Spiel in gewisser Hinsicht von neuem: das Ziel von Kants dritter „ K r i t i k " ist die philosophische Bestimmung von Geschmacksurteilen, die das subjektive Wohlgefallen an Objekten ausdrücken. Müssen wir, was

38 Die Wärme des Zimmers und die Süße des Zuckers, wovon Kants Beispiele in den „Prolegomena" (IV, 299) handeln, sind zeitliche und damit intensive Größen; problematisch ist hier lediglich die Widrigkeit des Wermuts, worauf ich in Kürze noch eingehen werde. Die Wärme des Steins als Folge des Sonnenscheins (vgl. IV 301) ist mindestens nach ihrer intensiven Größe, wenn nicht bereits nach kausalen Zusammenhängen zu beurteilen. In diesem letzteren Beispiel wird der Zusammenhang der vorläufigen Urteile mit den Vorurteilen, wie Kant ihn in den Logik-Vorlesungen angesprochen hat, am deutlichsten, insofern hier die (Hume'sche) Gewohnheit im Gegensatz zur (Kantischnaturwissenschaftlichen) Objektbestimmung intendiert zu sein scheint. Von dieser Gewohnheit ist in den Logik-Vorlesungen stets im Kontext der Vorurteile die Rede. 39

V 206; Brandt (1998b, 231) identifiziert derartige objektive Empfindungsurteile mit WahrnehmungsurteWQn (im Gegensatz zu Urteilen über Angenehmes/Unangenehmes) und geht davon aus, daß im „[...] Wahrnehmungs[urteil...] die Vorstellung [...] auf das Objekt" (ebd. 234) bezogen wird. Das mag für Urteile der Art ,das Zimmer ist warm' plausibel erscheinen; doch hatte sich erstens im vorstehenden gerade gezeigt, daß derartige Urteile bereits Kategorien (mindestens Quantität und Qualität) voraussetzen und deshalb nicht als Wahrnehmungsurteile bezeichnet werden können in dem Sinne, wie Kant diese charakterisiert hatte; ,prä-kategoriale Urteile 4 können demnach lediglich Äußerungen zu angenehmen oder unangenehmen Gefühlen beinhalten. Und zweitens unterläuft dies einerseits Kants Betonung der bloßen Subjektivität in Wahrnehmungsurteilen in den „Prolegomena 44 und andererseits die Quasi-Objektbeziehung der Urteile über das Angenehme, welche letztere Brandt meines Erachtens korrekt exemplarisch so formuliert: „,Dies hier schmeckt mir angenehm4.44 (Ebd. 232) Die QuasiObjektbezishung manifestiert sich in diesen Urteilen in der von Kant mehrfach hervorgehobenen Interessiertheit. Vgl. dazu auch unten Fn. 47, sowie Guyer, 1979, 171-74, und hinsichtlich des Empfindungsbegriffs kritisch dazu Matthews, 1997, 23-28.

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Kant bis zur Lektüre der Schultz-Rezension als strikt prä-kategorial und deshalb als Wahrnehmungsurteil bezeichnet hat, als Geschmacksurteil auffassen? Letzteres bestimmt Kant hier allgemein folgendermaßen: „Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjectiv sein kann." 40 Doch das Entscheidende an Kants Konzeption des Geschmacksurteils ist bekanntlich dessen Bestimmung hinsichtlich einer spezifischen Allgemeinheit und Notwendigkeit; die entsprechenden Erfolgsaussichten scheinen daher eher schlecht zu sein. Zwar weist Kant zu Beginn der „Analytik des Schönen" darauf hin, daß das Geschmacksurteil zunächst hinsichtlich seiner Qualität bestimmt werden muß, wodurch er von der Anordnung der „logischen Funktionen zu urteilen" 41 in der ersten „Kritik" abweicht; letztere behandelt vor der Qualität die Quantität. Es geht beim ästhetischen Urteil also nicht um Erfahrung eines Objekts (die „grüne Farbe der Wiesen"), sondern um die Beziehung einer Vorstellung „auf das Subjekt und zwar auf das Lebensgefiihl desselben, unter dem Namen des Gefühls der Lust oder Unlust" 42 , und man könnte daher in Erinnerung an die „Prolegomena" meinen, ästhetische Urteile träten das systematische Erbe der Wahrnehmungsurteile an, weil sie sich eben auf Lust oder Unlust (daß „der Wermuth widrig sei"), in jedem Fall aber „[...] blos aufs Gefühl, welches jedermann als blos subjectiv erkennt und welches also niemals dem Object beigelegt werden darf, beziehen", wie Kant dort festgesetzt hatte.43 Doch wird diese Erwartung bereits im darauffolgenden Abschnitt enttäuscht, wo die , Widrigkeit des Wermuts 4, die uns - so die Intention des Beispiels - den Wermut meiden läßt, allgemein als ästhetisch irrelevant qualifiziert wird: „Interesse wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden." 44 Wir verbinden aber mit subjektiv-expressiven Aussagen von der Art der Wahrnehmungsurteile durchaus ein Interesse, wie das negative Urteil über den Wermut, aber auch das positive, „daß das Zimmer warm" 45 sei, deutlich zeigen.46 Diese Wahrnehmungsurteile drücken also keinen Geschmack im Sinne der Ästhetik aus: „Geschmack ist das Beurtheilungsver-

40

V 203. V 203. 42 V 204. 43 I V 299 Anm. 44 V 204; statt des Wermuts läßt sich mit Kant natürlich auch die positive Äußerung über den „Wohlgeschmack eines Weines" (KrV, A 28) anfuhren, „der Wein ist angenehm" („Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft", X X 224). 45 I V 299 Anm. 46 Vgl. auch V 206 f. 41

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mögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen ohne alles Interesse " 4? Es muß nun nicht entlang des kategorialen Leitfadens im einzelnen gezeigt werden, daß Wahrnehmungsurteile keine Geschmacksurteile sein können; sie drücken lediglich ein „Privatgefühl" 48 und einen „Sinnengeschmack"49 aus und sind damit vom „Reflexionsgeschmack" 50 zu unterscheiden, aufgrund dessen ein ästhetisch urteilender Mensch „anderer Einstimmung in sein Urteil des Wohlgefallens" von diesen „fordert" 51 , d. h. „das Wohlgefallen an einem Gegenstande jedermann ansinne"52. Mit dem genannten Interesse, welches Urteilen über Angenehmes oder Unangenehmes innewohnt, ist selbstverständlich auch stets eine materiale „Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben)"53 verbunden, bei Urteilen über Angenehmes „den Zustand des Subjekts [...] zu erhalten", bzw. bei solchen über Unangenehmes diesen „abzuhalten oder wegzuschaffen" 54. Und ebenso selbstverständlich ist mit dem „Privatgefühl" des Angenehmen bzw. Unangenehmen in bezug auf die eigene Person stets nur dessen Wirklichkeit und in bezug auf andere Personen stets dessen Zufälligkeit und niemals eine „notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen" 55 verbunden.

47 V 211; vgl. dazu auch Wieland, 2001, 97, der Geschmacksurteile als eine Art ästhetischer Urteile klassifiziert: „[...] den Wahrnehmungsurteilen der ,Prolegomena' entsprechen in der Diktion der Dritten Kritik die Sinnenurteile (V 215, 244, 337) und die Empfindungsurteile (V 288); zu ihnen gehören alle ästhetischen Urteile mit Ausnahme der Geschmacksurteile." Und weiter: „Das Geschmacksurteil gehört nicht zur Klasse der Wahrnehmungsurteile im Sinne der .Prolegomena', wohl aber in ihre unmittelbare Nachbarschaft. Wenn Kant in der Dritten Kritik eine bestimmte Klasse von Urteilen mit dem Namen der ästhetischen Urteile bezeichnet, so übersetzt er damit eigentlich nur den Ausdruck ,WahrnehmungsurteiP. [...] Wenn die landläufige Dokumentation dieses [Geschmacks-]Urteils dennoch den Anschein einer Objektbeziehung erweckt, so ist dies dadurch bedingt, daß es unter allen ästhetischen Urteilen eine Sonderstellung insofern einnimmt, als es einen bivalenten Geltungsanspruch erhebt, der über die Individualität und die momentane Präsenz des Urteilenden hinausweist. Nur aus diesem Grund bedarf es einer transzendentalen Kritik." (Ebd. 102 f.) 48

V 212. V 214. 50 Ebd. 51 V 212 f. 52 V 214. 53 V 221. 54 V 220. 55 V 236; bereits Esser, 1995, 10, hebt die entsprechenden Modalitätsdifferenzen zwischen Geschmacksurteilen einerseits und Empfindungsurteilen andererseits hervor: „Persönliche Vorlieben zu formulieren, bedeutet nicht schon ästhetisch zu urteilen. Beruht nämlich die Verbindung des Prädikats mit einem Gegenstand auf einer unmittelbaren Gefühlswirkung, deren Eintreten von einer bestimmten Gegenstandsqualität einerseits und der jeweiligen empirischen Disposition des Subjektes andererseits abhängt, ist sie bloß zufälliger Natur. Beide Faktoren können sowohl zwischen verschiedenen Per49

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Geschmacksurteile können also nicht als die legitimen Erben dessen angesehen werden, was im Rahmen von Kants theoretischer Philosophie unter dem Titel der Wahrnehmungsurteile verunglückt ist, denn: „Das Geschmacksurteil beruht auf Gründen a priori" 56 . In Kants Beispielen kann man dies so zusammenfassen: sowohl die Wärme des Zimmers und die Süße des Zuckers als objektivskalierbare Größen als auch die Wärme des Steins als zeitliche Folge der Sonneneinstrahlung bedürfen bereits der Erkenntniskategorien. Die Widrigkeit des Wermuts, die zwar keine objektiv-skalierbare Größe darstellt und daher der Erkenntnis ,unverdächtig' ist, findet dagegen keinen Eingang in die Ästhetik, weil letztere nicht von bloßen Befindlichkeiten handelt, sondern von deren spezifischen Gründen a priori, welche beim Angenehmen bzw. Unangenehmen nicht zu finden sind. Doch eröffnet sich damit die Hoffnung einer neuen Analogie: könnte nicht das logische Verhältnis, das Kant vor der Schultz-Rezension - mindestens partiell 5 7 - zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen für möglich gehalten hatte, in Wahrheit zwischen Wahrnehmungs- und Geschmacksurteilen gelten, so daß ein Urteil über das Angenehme oder Unangenehme „unter einem dergleichen Verstandesbegriffe subsumirt" 58 werden könnte und damit zu einem Geschmacksurteil werde? Daß Geschmacksurteile überhaupt entlang der Tafel der reinen Verstandesbegriffe analysiert werden können, hat Kant selbst damit begründet, daß in ihnen „[...] immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten" 59 ist. Man könnte also denken, daß Wahrnehmungsurteile im Sinne von prä-kategorialen Urteilen über Angenehmes oder Unangenehmes durch kategoriale Formung zu ästhetischen Urteilen würden. Kant hat schließlich die Beantwortung der entsprechenden Frage, nämlich „ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vor-

sonen als auch zwischen verschiedenen Zuständen derselben Person variieren. Die Regel, die solchen Gefühlsäußerungen zugrunde liegt, ist die subjektive Befindlichkeit des Urteilenden selbst. Nur das faktische Eintreten einer Gefühlswirkung bestimmt das Prädikat, das dem jeweiligen Gegenstand zugesprochen wird." 56 V 221. 57 Vgl. IV 300 f. 58 Ebd. 59 V 203; vgl. dazu Kulenkampff, 1978, 12-18, der dem kategorialen Leitfaden in der dritten „Kritik" eine gewisse Künstlichkeit bescheinigt, sowie Allison , 2001, insbes. Kap. 3-7, der entlang der quid facti-quid iuris Unterscheidung die §§ 1-22 im Sinne einer metaphysischen Deduktion, wobei durch den ,Gemeinsinn' (unter dem Moment der Modalität) - „an idea which combines within itself all of the factors analyzed separately in the first three moments, and which therefore functions as the supreme condition of the possibility of a pure judgment of taste" (ebd. 144) - nichts Inhaltliches hinzugefügt wird (vgl. dazu auch Wenzel, 2000, 108), und die §§ 30-39 im Sinne einer transzendentalen Deduktion interpretiert.

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hergehe" als „Schlüssel zur Kritik des Geschmacks" bezeichnet und sie daher „aller Aufmerksamkeit würdig" 60 erachtet. Aber auch diese Erwartung erfüllt sich nicht. Für Kant fuhrt kein Weg von der Privatheit zur Öffentlichkeit, Urteilen wohnt als solchen eine (je nach Kontext weiter spezifizierbare) Allgemeinheit inne, sie sind damit per se öffentlich: „Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurtheile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge."61 Das Spiel der Erkenntniskräfte - Einbildungskraft und Verstand - bei der Vorstellung eines sinnlichen Gegenstands begründet die Allgemeinheit des Geschmacksurteils, welche sich von der Allgemeinheit des Erkenntnisurteils nur durch die fehlende Leitung durch bestimmende Begriffe unterscheidet. Die Freiheit dieses Spiels der Erkenntniskräfte - frei von bestimmenden Begriffen 62 - begründet ihrerseits die Subjektivität des Geschmacksurteils, weshalb Kant schließlich zur lediglich prima facie paradoxen Formulierung einer ,,subjective[n] allgemeine[n] Mittheilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurtheile" 63 gelangt, die ihrerseits als allgemein-subjektives Prinzip und „idealische Norm" 6 4 einen „Gemeinsinn" 65 oder „sensus communis aestheticus"66 voraussetzt. Damit steht für Kant fest, daß der 60 61 62 63

V 216. V 216 f. Vgl. V 287. V 217.

64 v 65

2 3 9

V 237-40. 66 V 295; Kant spricht in diesem Zusammenhang auch von einer ,,allgemeine[n] Stimme in Ansehung des Wohlgefallens" (V 216). Vgl. dazu einschlägig auch Feiten, 2004, 181: „Da im ästhetischen Urteil das Gefühl beurteilt wird, hat der sensus communis als notwendige Voraussetzung die Funktion, dieses Gefühl allgemein mitteilbar machen zu können. So kommt dem sensus communis hier einzig die Bedeutung zu, sogenannter ästhetischer sensus communis zu sein, d. h. seine Funktion ist beschränkt auf den Nachweis der Verallgemeinerungsfähigkeit ästhetischer Urteile, wie die Überschrift von § 22 zeigt: ,Die Nothwendigkeit der allgemeinen Beistimmung, die in einem Geschmacksurtheil gedacht wird, ist eine subjective Nothwendigkeit, die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objectiv vorgestellt wird. 4 Insofern muß Kant dem sensus communis diese Funktion nicht für Erkenntnisurteile zuweisen. Notwendig ist die Annahme eines sensus communis in dieser Bedeutung nur für ästhetische Urteile, denn die Mitteilbarkeit des Erkenntnisurteils ist mit seiner begrifflichen Bestimmung gesichert, die aber im ästhetischen Urteil über das Schöne nicht gegeben ist." Vgl. zur Klärung dieser „Art von sensus communis" (V 293) bereits Kulenkampff 1995, 34: „In einem solchen [sc. ästhetischen] Urteil spricht sich zwar Subjektivität, aber nicht eine bloß private, sondern gewissermaßen die allgemeine Subjektivität erkenntnisfähiger We-

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Grund ästhetischer Lust nicht das Angenehme, sondern der Gemütszustand des begriffslosen und gleichwohl begriffssuchenden, freien Spiels der Erkenntniskräfte ist: „Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung, wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen; auf jener Allgemeinheit aber der subjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjective Gültigkeit des Wohlgefallens, welches w i r mit der Vorstellung des Gegenstandes, den w i r schön nennen, verbinden." 6 7

sen aus. Und weil das Geschmacksurteil wesentlich auf einem Gefühl beruht, das [...] kein Privatgefühl, sondern reflexive Selbstwahrnehmung ist, in der ein Zug allgemeiner Subjektivität festgestellt wird, darf von dem Urteilsvermögen des Geschmacks als von einem sensus communis aestheticus gesprochen werden." Kulenkampffs Ansatz ist meines Erachtens vor allem deshalb interessant für das Verständnis der Kantischen Ästhetik im Rahmen der gesamten Kritischen Philosophie Kants, weil er die spezifische normative Dimension des ästhetischen Urteils besonders deutlich herausarbeitet: „Man kann keinen Gemeinsinn (als Übereinstimmung aller) voraussetzen, denn es gibt keinen, ebensowenig übrigens, wie es gemeinen Verstand oder gemeine Menschenvernunft als geteilten Schatz von Meinungen und Einstellungen einfach so gibt [...]. [DJurch die Idee des Gemeinsinns (ebenso wie durch die Idee der allgemeinen Stimme) [ist] nichts weiter als ein Standpunkt bezeichnet [...], den einnehmen muß, wer ein Geschmacksurteil fallen will, und dessen Maxime wäre, die Welt nicht unter idiosynkratischen Gesichtspunkten bloß subjektiven Gefallens oder Mißfallens zu betrachten." (Kulenkampff, 1995, 45) Und schließlich: „Wer sich an ästhetischer Kommunikation beteiligt, beteiligt sich an dem Bildungsprozeß, der auf die Hervorbringung einer einhelligen Sinnesart abzielt. Indem er der methodischen Norm einer nicht-idiosynkratischen Weltbetrachtung zu entsprechen sucht, erwirbt er allerdings keineswegs die Position, Ansprüche gegen andere geltend machen und Ansinnen an sie richten zu können, sondern nicht mehr als eine Art Vorschlagsrecht, von dem er Gebrauch macht, wenn er etwas als schön bezeichnet. [...] Weniger verlangt er die Zustimmung anderer, als daß er um sie wirbt; weniger erwartet er sie, als daß er auf sie hofft. Allerdings wünscht er sich den Beitritt anderer, weil er sich dadurch in dem Sinne bestätigt finden würde, daß ihr Beitritt ein Stück weit die Realität solcher Einhelligkeit der Sinnesart beweist. Und es steckt in seiner Äußerung - das ist das Sollen, von dem Kant spricht - die Aufforderung an andere, sich an diesem Bildungsprozeß einer einhelligen Sinnenart [Sinnesart? - K. P.] zu beteiligen, sowie in der Tat die Unterstellung, daß die Herausbildung einer einhelligen Sinnesart möglich sei." (Ebd. 46 f.; vgl. dazu auch Wenzel, 2000, 178-83) 67

V 218. Nebenbei sei hier bemerkt, daß mit dieser Bestimmung häßliche Gegenstände nicht als solche, d. h. in Opposition zu schönen, ästhetisch qualifiziert werden können, insofern die schönheitsbedingende Harmonie der Erkenntniskräfte ja durch die natürliche und gleichwohl uneinlösbare Suche nach Begriffen bestimmt ist. Findet diese uneinlösbare Suche nach Begriffen nicht statt, so resultiert daraus nicht eine Dissonanz im Spiel der Erkenntniskräfte, sondern „lange Weile" (V 243) als dessen (temporäre) Sistierung. Vgl. dazu bereits Brandt, 1998b, 237-41, sowie diesem folgend Wieland, 2001, 217-21. Was Kant als ,schöne' Kunst anspricht, wäre vermutlich sinnvoller als gelungene Kunst zu bezeichnen, worunter sowohl das Schöne als auch das Häßliche fiele; schließlich können wir auch beispielsweise die mitunter schockierend-,häßlichen' Bilder eines Francis Bacon ästhetisch genießen.

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Die Lust am Angenehmen beruht demgegenüber nicht auf einer „subjective[n] formale[n] Zweckmäßigkeit des Objects", einer „Angemessenheit desselben zu den Erkenntnißvermögen, die in der reflectirenden Urtheilskraft im Spiel sind" 68 . Sie bezieht sich vielmehr auf die materiale Zweckmäßigkeit des Objekts und gibt dadurch, wie bereits erwähnt, Anlaß, „den Zustand des Subjekts [...] zu erhalten 1bzw. bei Unlust über Unangenehmes, diesen „abzuhalten oder wegzuschaffen" 69. Damit sind Urteile über Angenehmes und Urteile über Schönes wesentlich voneinander verschieden, erstere können nicht in letztere überfuhrt werden und sind damit nicht deren mögliche Vorstufe, denn entweder das Gefühl der Lust geht der Beurteilung des Gegenstandes logisch vorher oder umgekehrt, ein Drittes gibt es nicht (Gefühl und Urteil müßten sonst identisch sein). 70 Kant resümiert schließlich knapp: Angenehm heißt Jemandem das, was ihn vergnügt; schön, was ihm blos gefällt; gut, was geschätzt, gebilligt, d. i. worin von ihm ein objektiver Wert gesetzt wird". 71 Selbstverständlich können wir uns über „Vergnügen und Schmerz", ein „mögliches Wohl- oder Übelbefmden" 12 unterhalten; entscheidend ist aber, daß derartige Unterhaltungen über (nicht bei) Wein und Wermut in völliger philosophischer Dunkelheit stattfinden. Derartige subjektiv-expressive Urteile - so lautet ein Ergebnis der Kritischen Philosophie Kants - sind philosophisch irrelevant. Sie können weder in Erfahrungs- noch in Geschmacksurteile und auch nicht - das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt - in praktische Urteile überführt werden, seien diese nun subjektiver Art wie die Kantischen Maximen, bedingt objektiver Art wie die hypothetischen Imperative oder unbedingt objektiver Art wie der kategorische Imperativ. 68

V 189 f. V 220. 70 Vgl. zu dieser notwendigen Differenzierung zwischen Urteil und Gefühl (der Lust) bereits Stolzenberg, 2000, 4-6. Eine Einebnung dieser Differenz nimmt Wenzel (2000, 159-65) in seiner ansonsten sehr erhellenden Analyse der Verhältnisse zwischen Wahrnehmungsurteilen, Erfahrungsurteilen, Urteilen über das Angenehme und Geschmacksurteilen vor: „Die ,Beurteilung' ist letztlich nichts anderes als ein bestimmter Gemütszustand und die spezifische Lust am und im freien Spiel in Hinsicht auf Erkenntnis überhaupt." (Ebd. 176) Zwischen Relata eines Begründungsverhältnisses und Aspekten an einem Vorgang ist jedoch eine klare Linie zu ziehen. Wenzel streicht allerdings heraus, daß beide Glieder obiger Disjunktion hinsichtlich ihrer realen Möglichkeit noch eines eigenen Beweises bedürfen (vgl. ebd. 171). Auch er kommt zu dem Ergebnis, daß Urteile über das Angenehme nicht in Geschmacksurteile überführt werden können: „Das Wohlgefallen am Angenehmen ist vom Wohlgefallen am Schönen nicht nur durch das Fehlen der subjektiven Allgemeinheit (negatives Merkmal), sondern auch durch das Vorliegen eines Interesses (positives Merkmal) unterschieden. Es müßte daher nicht nur die Allgemeinheit des Wohlgefallens als ein Merkmal hinzukommen, sondern auch das Interesse des Wohlgefallens wegfallen(Ebd. 162) 69

71 72

V 210; vgl. auch 207. V 331; vgl. dazu auch Brandt, 1998b, 234 f.

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Der Grund dafür liegt jedoch tiefer, als man bei der hier vorgenommenen Oberflächenbetrachtung der Kantischen Philosophie vermuten könnte. Es spricht meines Erachtens viel dafür, daß Kant selbst mit den eröffnenden Absätzen der „Transzendentalen Ästhetik" der ersten „Kritik" - und zwar bereits in deren Erstauflage - zu diesem Ergebnis hätte kommen und das Projekt der Wahrnehmungsurteile gar nicht erst zu starten versuchen müssen. Kants transzendentalphilosophischer, praktischer und schließlich ästhetischer - oder allgemein Kants metaphysischer (nicht ontologischer) - Hylemorphismus verbietet rein subjektiv-materiale Aussagen im Sinne von Urteilen, seien es Erkenntnisurteile, Bewertungen von Handlungen und praktischen Einstellungen oder Geschmacksurteile. Formen können uns nicht affizieren; was uns affizieren kann, ist allein das Materiale aller Erscheinungen. Was Urteile insgesamt jedoch ausmacht, ist das Gesetzmäßige oder das Formale der Anschauung, des Verstandes, der Vernunft und schließlich der reflektierenden Urteilskraft. Wahrnehmungsurteile - oder wie man mit Kant genauer sagen sollte - Empfindungsurteile 73 oder „Sinnenurtheile" 74 sind damit im strikten Sinne unmöglich; sie enthalten als Urteile rationale Strukturen. In den „Prolegomena" hat Kant diese Urteile so charakterisiert: „sie drücken nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subject, nämlich mich selbst und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung" 75 aus. Doch Empfindungen bedürfen, um überhaupt in Beziehung zu einem Subjekt gesetzt werden zu können, der Formung. Diese Formung kann ihrerseits nach Kant jedoch nicht von den Objekten stammen - forma non afficit : „Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben afficirt werden, ist Empfindung. [...] In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung correspondirt, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung, in gewissen Verhältnissen geordnet, angeschauet wird, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesammt im Gemüthe a priori bereit liegen und daher abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden." 76 In der „Kritik der Urteilskraft" scheint dieses metaphysische Gesetz des Hylemorphismus zwar auf den ersten Blick suspendiert zu sein, wenn Kant davon spricht, daß nur die Form der Gegenstände der ästhetischen Beurteilung zugrunde liegt: „Wessen Gegenstandes Form (nicht das Materielle seiner Vor73

Vgl. V 288. V 215. 75 I V 299. 76 KrV, A 19 f.; vgl. dazu Brandt , 1998a, sowie 1998b, 236. 74

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Stellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion über dieselbe [...] als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solchen Objects beurtheilt wird: mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als nothwendig verbunden geurtheilt, folglich als nicht bloß für das Subject, welches diese Form auffaßt, sondern für jeden Urtheilenden überhaupt." 77 Als Voraussetzung für diese Reflexion über die »aufgefaßte Form' kann jedoch das Materiale und dessen Affektion allein nicht ausreichen, wie Kant in der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" mit Blick auf ein durchaus auch ästhetisch einschlägiges Beispiel ausführt: „Wenn ich also z. B. die empirische Anschauung eines Hauses durch Apprehension des Mannigfaltigen derselben zur Wahrnehmung mache, so liegt mir die nothwendige Einheit des Raumes und der äußeren sinnlichen Anschauung überhaupt zum Grunde, und ich zeichne gleichsam seine Gestalt dieser synthetischen Einheit des Mannigfaltigen im Räume gemäß. Eben dieselbe synthetische Einheit aber, wenn ich von der Form des Raumes abstrahire, hat im Verstände ihren Sitz und ist die Kategorie der Synthesis des Gleichartigen in einer Anschauung überhaupt, d. i. die Kategorie der Größe, welcher also jene Synthesis der Apprehension, d. i. die Wahrnehmung, durchaus gemäß sein muß." 78 Die Formen der Anschauung und die darin synthetisierte Größe als Form des Verstandes sind Bedingungen für die Wahrnehmung des Hauses durch das „Subject, welches diese Form auffaßt". Und auch in der genannten Passage der dritten „Kritik" führt Kant in völliger Übereinstimmung mit den Eingangssätzen der „Transzendentalen Ästhetik" aus, daß diese Form des Hauses nicht dasjenige ist, was wir ursprünglich empfinden, insofern „[...] der Grund der Lust bloß in der Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt, mithin in keiner Empfindung des Gegenstandes [...] gesetzt wird" 7 9 . Das „Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objects" 80 verdankt sich also auch in der Ästhetik nicht einer Affektion durch diese Form, sondern der reflektierenden Urteilskraft. Erst diese Urteilskraft ermöglicht uns über Geschmack zu streiten. Subjektiv-expressive Urteile im Sinne von Kants Wahrnehmungs- oder genauer Empfindungsurteilen sind Äußerungen über Annehmlichkeiten oder Widrigkeiten; was ihnen zum Status von theoretischen, praktischen oder ästhetischen Urteilen im Sinne von Kants Kritischer Philosophie fehlt, sind intersubjektiv einklagbare Formen oder Standards ihrer Bewertung - siehe das Motto des vorliegenden Aufsatzes. Als subjektiv-expressive Befindlichkeitsbekundungen, die lediglich der sprachlichen Form nach Urteilen entsprechen, sind sie Artikulationen einer formlosen und nicht formbaren Affektion durch Gefühle.

77 78 79 80

V 190; Hervorhebung: K. P. KrV, B 162. V 190; Hervorhebung: K. P. V 279; vgl. auch V 194 u. ö.

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Das rein Subjektive als dasjenige, was uns nicht verfugbar ist, liegt im Untergrund der Kantischen Philosophie und verdient eine begründete Integration in geistige Formen - oder aber die Ausweisung aus der Metaphysik. So werden Empfindungen in Anschauungs- und Denkformen gebracht oder bleiben ein amorphes „Gewühl" 81 in unserer Seele; Wünsche und Neigungen sollen einer allgemeinen Gesetzgebung assimiliert oder aber verworfen werden; Lust- und Unlustgefühle beziehen sich auf Gegenstandsformen oder sind einer erkenntnisoder geschmacksbezogenen Auseinandersetzung nicht fähig. Es mag auf der Schattenseite der Seele Träume, Phantasien, Obsessionen und Visionen geben - Kant leugnet die Ungeheuer, die der Schlaf der Vernunft erzeugt (Goya) nicht. Doch philosophisch relevant sind allein Urteile, die wie auch immer begrifflich strukturiert sind. Und mit aller Klarheit charakterisiert Kant in der dritten „Kritik" schließlich seinen hinter alldem stehenden, grundlegenden Normativismus damit, daß man „[...] auf Gründe des Urtheils, die nicht bloß Privatgültigkeit haben und also nicht bloß subjectiv sind, rechnen können" 82 muß.

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„Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens? Wilhelm Lütterfelds

I. „Praktischer Glaube" und theoretisches Wissen verschiedene Typen von Erkenntnis Am Ende der „Kritik der Urtheilskraft" führt Kant - ähnlich wie in der „Kritik der praktischen Vernunft" - im Gegensatz zum religiösen Glauben einen „praktischen Glauben", einen „ r e i n e [n] p r a k t i s c h e [n] V e r n u n f t g l a u b e n " ein.1 „ E r k e n n b a r e Dinge" sollen es sein, auf die dieser Glaube sich bezieht, wenn auch „ G l a u b e n s s a c h e n". Im Gegensatz zu den „ S a c h e n d e r M e i n u n g", von denen es in der sinnlichen Welt eine mögliche Erfahrung gibt, und den „ T h a t s a c h e n", die wie die mathematischen Erkenntnisse und Erfahrungserkenntnisse in irgendeiner „Anschauung" vorliegen, zu denen aber auch die praktische, reale ,,Thatsache[]" der „F r e i h e i t" gehört, sofern diese „in wirklichen Handlungen" und deren ,,praktische[n] Gesetze[n]" aufgewiesen werden kann, sind die „G 1 a u b e n s s a c h e n" zwar theoretisch unerkennbar, aber dennoch „Gegenstände", die „a priori gedacht werden müssen", sofern sie „als Folgen, oder als Gründe" eines „pflichtmäßigen Gebrauch[s] der reinen praktischen Vernunft" in praktischen Handlungen impliziert sind. Derartige „Gegenstände" sind nach Kant zum einen das „Dasein Gottes" und zum anderen die „Seelen-Unsterblichkeit", und dann natürlich vor allem jener Gegenstand, der beides entweder als Grund oder als Folge impliziert, nämlich das Summum Bonum als Einheit von Glück und Moral, das wiederum „das h ö c h s t e durch Freiheit zu bewirkende G u t in der Welt" ist. Letzteres muß deshalb „a priori" gedacht werden, weil dessen „Gebrauch" die „praktische reine Vernunft" gebietet, so daß es immerhin „als möglich angenommen werden muß". Zwar kann der theoretische Vernunftgebrauch über die „objective Realität" dieser „ G l a u b e n s s a c h e n " nichts ausmachen, weil derartige „Gegenstände" des Glaubens in keiner möglichen sinnlichen Anschauung gegeben werden 1

Die „Kritik der Urtheilskraft" wird zitiert nach der Akademie-Ausgabe, Band V (als KU), ebenso die „Kritik der praktischen Vernunft", Band V (als KpV) („Originalpaginirung").

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Wilhelm Lütterfelds

können. Aber dies heißt für Kant nicht, daß damit die Frage nach ihrer „objectiven Realität" prinzipiell offengelassen werden muß. Für die ,,reine[] speculative[] Vernunft" sind derartige Glaubens-Gegenstände zwar insofern nicht einmal „Gegenstände", als sie niemals Objekte einer möglichen Erkenntnis werden können. Auf Glaubens-Gegenstände ist insofern der Gedanke einer theoretisch möglichen „objectiven Realität" nicht anwendbar. Aber eine solche Anwendung des Begriffs der „objectiven Realität", und zwar eine berechtigte Anwendung, ist in „praktischer Beziehung" möglich, und dann auch notwendig. Der Grund für diesen ,,moralische[n] Glaube[n]" der praktischen Vernunft an eine „objective[] Realität" des höchsten Gutes und der in ihm implizierten „Gegenstände", der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele, besteht für Kant in einem „Vertrauen". Nämlich in jenem „Vertrauen", das die praktische Vernunft in die „Erreichung" der „Absicht" setzt, die die Realisierung des höchsten Gutes in der Welt intendiert, wozu wiederum die Vernunft moralisch verpflichtet ist, ohne daß jedoch die „Erreichung" dieses ,,Endzweck[s]" „ganz" in ihrer „Gewalt" stünde. Darüber hinaus könnte sich die praktische Vernunft ohne einen solchen ,,moralische[n] Glaube[n]" auch nicht der Kritik der theoretischen Vernunft erwehren, die darin besteht, daß sie keine „Beweise" für die „Möglichkeit" eines höchsten Gutes in der Welt vorlegen kann. Denn dies würde die „moralische Denkungsart" in dem Sinne unterlaufen, daß sie „keine feste Beharrlichkeit" hätte, weil sie „zwischen praktischen [moralischen] Geboten und theoretischen Zweifeln" hin und her schwankt. Wird auf diese Weise die „objective Realität" des höchsten Gutes in der Welt bzw. des „höchsten moralischen Endzwecks" durch ein „Vertrauen auf die Verheißung des moralischen Gesetzes" und die nur dadurch gegebene „feste [moralische] Beharrlichkeit" abgesichert, dann auch die „objective Realität" des für den Menschen höchst bedeutsamen Sachverhaltes, nämlich daß er dann, wenn er das höchste Gut in der Welt aus Pflicht zu realisieren versucht, „allein würdig" wird, auch „selbst Endzweck einer Schöpfung" zu sein. Für die „speculative[] Vernunft" steht die Realisierung bzw. die „Ausführbarkeit" eines höchsten Gutes - „Glückseligkeit, soweit sie einstimmig mit der Pflicht möglich ist" - radikal infrage und ist eine völlig „ungegründete und nichtige, wenngleich wohlgemeinte Erwartung", so daß für sie auch das „moralische Gesetz" zu einer ,,bloße[n] Täuschung unserer Vernunft" herabgemindert wird. Allerdings soll sie nach Kant auch davon „völlig überzeugt" sein, daß eine derartige „Täuschung" unmöglich ist, indem etwa die fraglichen Ideen des höchsten Gutes, der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele widerspruchsfrei denkbar sind, so daß sie „mit sich selbst in Widerspruch ... kommen" würde, wenn sie die praktische „objective Realität" jener Ideen bestreiten würde (KU, 454 ff; KpV, 256 ff). Soweit also Kants Konzept des „praktischen Glauben[s]" (bzw. des „Vernunftglaubens") und der erkennbaren, praktischen, „objectiven Realität" seiner „Gegenstände". Darin realisiert sich letztlich sein Programm, „das W i s s e n

„Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens?

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auf[zu]heben, um zum G l a u b e n Platz zu bekommen"2. Denn die „objective Realität" der Ideen vom höchsten Gut, von der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele ist für das Wissen nicht einmal derart eine Tatsache, daß die Möglichkeit einer solchen „Realität" denkbar wäre. Wissen und Glauben sind in diesem Kontext Formen des ,,Fürwahrhalten[s]" (KrV, 850), die sich auf völlig verschiedene Typen von „ S a c h e n" beziehen, sofern deren „objective Realität" zum einen in einer anschaulich gegebenen Wirklichkeit besteht und zum anderen in einer Realität, die notwendiger Bestandteil der praktischen Realität der moralischen Vernunft ist. Wissen und Glauben beziehen sich insofern zwar beide auf erkennbare Dinge, aber ihre Erkenntnisform ist völlig unterschiedlich, so unterschiedlich wie die Anschauung einer Sache und das Vertrauen auf eine Sache. Kant macht diesen Unterschied auch am ,,freie[n] Fürwahrhalten" deutlich. Denn „ich" bin es, der in einer freien Form in das „moralische[] Gesetz[]" jene „Verheißung" hineinlegt, die dem höchsten Gut und der in ihm implizierten Ideen „objective Realität" verschafft. Deswegen ist es mein „freies Fürwahrhalten", weswegen ich die „objective Realität" von all dem als wahr ,,annehme[]" (KU, 462 f). Demgegenüber habe ich eine derartige subjektive Freiheit im Falle der Erkenntnis von Tatsachen und ihrer „objectiven Realität", die in einer sinnlichen Anschauung gegeben sind, nicht. Wissen und „praktischer Glaube" lassen sich insofern nicht in eine Beziehung setzen, schon gar nicht derart, daß das Wissen auf ihm als Fundament beruht. II. „Bedürfniß" und „Interesse" - der Ursprung des „praktischen Glaubens" Es ist insofern nur konsequent, wenn es Kant in der „Kritik der praktischen Vernunft" - entsprechend seinem Konzept des „freien Fürwahrhalten[s]" - vom eigenen Willen der praktischen Vernunft abhängen läßt, ob man an eine Existenz Gottes und an eine Unsterblichkeit der Seele glaubt, wobei dieser Wille wiederum durch ein „Interesse" bestimmt ist und einem „B e d ü r f n i ß der reinen Vernunft" entspringt (KpV, 256 ff). Und wenn Kant schließlich in diesem Zusammenhang einen „moralischen Beweis[] des Daseins Gottes" durchführt, worin die Existenz Gottes als notwendige Bedingung und objektive Voraussetzung der Pflicht der praktischen Vernunft, das höchste Gut in der Welt zu verwirklichen, nachgewiesen wird (KU, 418 ff), dann hängt die Geltung dieses Gottesbeweises nicht nur entscheidend davon ab, ob diese Pflicht Gegenstand des eigenen praktischen Vernunftglaubens ist, ob sie dessen „Interesse" und „Bedürfniß" entspringt. Vielmehr ist auch eine derartige Form eines Beweises von eigentümlicher Art. Und zwar insofern, als die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zwar eine notwendige Voraussetzung und Konsequenz 2 Kritik der reinen Vernunft, zitiert nach der Akademie-Ausgabe, Band III, Zweite Auflage 1787 (KrV), („Originalpaginirung"), X X X .

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eines derartigen „Vernunftglaubens" an das höchste Gut und dessen Verwirklichung in der Welt darstellt. Aber daß diese Notwendigkeit von logischer und begrifflicher Natur ist, und insofern unvermeidlich zur Annahme der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele führt - , dies ist von nichtlogischen, lebenspraktischen Faktoren abhängig wie Vernunftinteresse, Vernunftbedürfnis und „Vertrauen" auf eine „Verheißung". Nur auf Grund dieser praktischen ,,Interesse[n]" - dem Vertrauens- und Bedürfnisfundament des „Vernunftglaubens" - ergibt sich dann auch ein bestimmter Widerspruch: Zwar das moralische Gesetz der praktischen Vernunft zu akzeptieren, samt ihrer Pflicht zur Beförderung des höchsten Gutes in der Welt, aber zugleich nicht einzuräumen, daß damit auch notwendig die Überzeugung verbunden ist, daß ein Gott existiert und daß es eine Unsterblichkeit der Seele gibt, unter welchen Voraussetzungen jene Pflicht überhaupt erst sinnvoll wird. Denn eine solche Kritik mit ihrem Vorwurf des Widerspruchs, daß nämlich einerseits aus der Pflicht zur Verwirklichung des höchsten Gutes in der Welt folgt, daß auch die Welt samt ihrer Natur dies ermöglichen muß, daß aber andererseits mit der Leugnung einer Existenz Gottes diese Zweckmäßigkeit der Natur und der Welt für die Verwirklichung jener Pflicht wegfällt, greift nur, wenn der „Vernunftglaube" aufgrund seines ,,Vertrauen[s]" und „Interessefs]" bzw. „Bedürfnisses]" jene Pflicht in freier vernünftiger Entscheidung aus moralischer Selbstachtung anerkennt, und dann auch die begrifflich damit verknüpften Ideen (Gott und Unsterblichkeit) in ihrer „objectiven Realität" für wahr hält (vgl. KU, 462). Entsprechend reicht auch das Argument der bloßen Denknotwendigkeit nicht aus, um die Existenz Gottes und die einer unsterblichen Seele abzusichern, will Kant sich nicht seine eigene Kritik am ontologischen Gottesbeweis selber zuziehen. Denn selbst wenn die Pflicht zur Beförderung des höchsten Gutes notwendig so gedacht werden muß, daß sie die Existenz Gottes und der unsterblichen Seele als Bedingung impliziert, folgt daraus auch nicht die tatsächliche „objective Realität" derselben, wie Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis zeigt (vgl. KrV, 620 ff). Aber mindestens genauso entscheidend ist, daß diese Denknotwendigkeit ein Vertrauens- und Bedürfhisfundament hat; nämlich daß jener Pflicht und den in ihr implizierten Voraussetzungen und Konsequenzen unbedingt zu trauen ist, bzw. daß man sie in freier Anerkennung für wahr, und d. h. für objektiv real hält.

I I I . Naturzwecke als subjektive Beurteilungsparadigmen und objektiv reale Strukturen Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch eine wichtige Konsequenz für die Frage nach der „objectiven Realität" der Zweckmäßigkeit in der Natur bzw. der Naturzwecke. Zwar muß die reflektierende Urteilskraft die mannigfaltigen Naturgesetze so beurteilen, daß sie einen zweckmäßigen, systematischen Ordnungszusammenhang bilden. Darüber hinaus ist sie auf Grund ihrer Ordnungs-

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Vorstellungen genötigt, die Organismen und Lebewesen der Natur in eine Bedingungsreihe von Zweckmäßigkeiten füreinander bis hin zum Menschen zu integrieren und diesen als „Endzweck einer Schöpfung" aufzufassen (KU, 459). Schließlich muß sie auch die Organismen der Natur in dem Sinne als internen Endzweck auffassen, daß die Organismen die Struktur einer Selbstorganisation besitzen, worin sie bzw. ihre Teile Ursache und Wirkung ihrer selbst sind und in einer internen Zweck-Mittel-Relation zueinander stehen. Aber all diese Zweckmäßigkeitsbeurteilungen der Natur, ihrer Organismen und Lebewesen, und des Menschen können nicht den Status einer objektiv gültigen und wahrheitsfähigen Naturbeschreibung und Naturerklärung haben. Sie sind vielmehr für die reflektierende Urteilskraft eine paradigmatische Erklärungsweise, deren Gültigkeitsstatus lediglich den Wert eines Als-Ob der objektiven und wahrheitsfähigen Naturbeurteilung und Naturbeschreibung hat. Objektiv real können derartige Beurteilungen und Beschreibungen der reflektierenden Urteilskraft in ihren unterschiedlichen Verwendungen von Zweckmäßigkeiten der Natur nicht sein. Es ist genau dieses Objektivitäts- und Wahrheitsdefizit einer Zweckmäßigkeitsbeschreibung und Erklärung der Natur, das der praktische „Vernunftglaube" behebt. Denn darin und für ihn sind die genannten Zweckmäßigkeitsformen der Natur, ihrer Organismen und Lebewesen, und des Menschen objektiv real. Zwar sind sie darin nicht Tatsachen eines Wissens, sondern nur „ G l a u b e n s s a c h e n " (KU, 458). Denn ihre Existenz als Strukturformen der Natur läßt sich in keiner Erfahrung und deren Anschauung geben und dartun. Und den Rang von kategorialen Möglichkeitsbedingungen der Naturobjekte besitzen sie von vornherein nicht, sind also nicht nur keine empirischen Daten, sondern auch keine Gegenstände synthetischer Erkenntnis a priori. Gleichwohl haben die Formen der Zweckmäßigkeit der Natur für den praktischen Vernunftgebrauch den Rang von Tatsachen. Dies mag für die systematische Zweckmäßigkeit der Naturordnung bzw. der empirischen Naturgesetze zunächst ebenso wenig einleuchten wie für die Beschreibung von Organismen und Lebewesen als interne Naturzwecke; während es für die Beurteilung der Reihe der Organismen und Lebewesen im Sinne einer zweckmäßigen Ordnung bis hin zum „Endzweck einer Schöpfung", nämlich den Menschen, plausibel erscheint.3 Denn daß er die Pflicht hat, das höchste Gut in 3

Kants Konzept des Menschen als „Endzweck der Schöpfung" wiederholt sich in der modernen Kosmologie und deren „anthropischem Prinzip". Es besagt, daß die basalen materiellen Naturkonstanten, die mit dem „Urknall" entstanden sind, nicht nur das Auftreten biologischer Lebewesen und deren Evolution ermöglicht haben, sondern letztlich auch das des Menschen. Für Kant ist freilich das Konzept des Menschen als „Endzweck der Schöpfung" bzw. des Kosmos eine Theorie der reflektierenden Urteilskraft, die mit diesem metaphysischen Zweckbegriff der Natur bestenfalls ein theoretisches Regulativ der naturwissenschaftlichen Forschung vorgibt, das empirisch nicht einlösbar ist, sondern nur in einer Metaphysik der Moral.

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der Welt und der Natur zu realisieren, setzt eine zweckmäßige Hinordnung der Natur auf den Menschen, genauerhin auf sein Handeln voraus, während demgegenüber weniger einsichtig ist, daß dazu auch die Beurteilung der Natur nach einem System von Zwecken erforderlich ist bzw. die Beurteilung eines Organismus als Naturzweck. Aber die Beförderung des höchsten Gutes in der Welt, soll dies denn real möglich sein, setzt ebenso auch ein zweckmäßig geordnetes System der Natur voraus, wie Lebewesen und Organismen, die sich im Sinne einer internen Zweckmäßigkeit der Selbstorganisation realisieren. Ersteres deshalb, weil eine systematische Beschreibung und Erklärung der Natur und ihrer Ereignisse unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit so etwas wie ein Theorie-Glück der urteilenden Vernunft des Menschen sein kann, das zum höchsten Gut gehört. Und letzteres, weil der Mensch als Naturwesen sich auch selber nach dem Muster einer internen Naturzweckmäßigkeit seines Organismus erklärt. Daß eine solche Erklärung wiederum glückt, dies gehört nicht nur zur Intention seiner Vernunft, sondern ermöglicht es auch, eine solche praktisch objektiv reale Erklärung mit Hilfe des Begriffes des Naturzwecks auf die gesamte Natur auszuweiten. Zwar sind insofern die Formen der Zweckmäßigkeit in der Natur keine Tatsachen des Wissens, aber als „Glaubenssachen" folgen auch sie im weiteren Sinne aus der notwendigen Voraussetzung und Bedingung der praktischen Pflicht zur Beförderung des höchsten Gutes in der Welt, nämlich der Existenz Gottes, sofern er die Natur so geschaffen hat, d. h. in einer für den Menschen zweckmäßigen Form, so daß zumindest der Versuch, das höchste Gut in ihr zu realisieren, nicht unsinnig ist, sondern zumindest anfänglich möglich. Schließlich gilt es noch einmal festzuhalten, daß Kants Konzept einer praktisch-realen und objektiven Zweckmäßigkeit der Natur eine Folge des moralischen Gottesbeweises ist, also nicht umgekehrt die Existenz Gottes aus einer als wirklich unterstellten Zweckmäßigkeit der Natur, als deren Finalursache und Endzweck folgt. Denn dies ist der Gottesbeweis-Versuch einer Physikotheologie bzw. einer Physikoteleologie. Dieser Versuch eines Beweises kann bestenfalls zur Annahme einer Existenz Gottes als eines Schöpfers führen, die für unsere reflektierende Urteilskraft notwendig ist. Bei einer derart denknotwendigen Existenz Gottes kann es sich also immer nur um eine Existenz handeln, die aus der Beurteilungsweise der Urteilskraft folgt. Und ob diese Beurteilungsweise der reflektierenden Urteilskraft auch soweit reicht, daß sie tatsächlich und notwendig auch die Existenz des Bewiesenen impliziert - , dies ist in der Beurteilungsweise der reflektierenden Urteilskraft nicht zu entscheiden.

IV. Der epistemische Begriff des Glaubens - das Fehlen objektiver Geltung Nun ist es wichtig, diesen Begriff des „praktischen Glaubens" oder des „Vernunftglaubens" von jenem Begriff des Glaubens zu unterscheiden, den Kant als epistemische Einstellung des „Fürwahrhaltens" vom Meinen ebenso

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unterscheidet wie vom Wissen. Ein „Fürwahrhalten" kann „auf objectiven Gründen beruhen", „aber auch subjective Ursachen im Gemüthe" haben. Ein solches „Fürwahrhalten" besteht für Kant zudem in einem Akt des Urteilens, wobei dieses Urteil der Wahrheitsträger ist. Während nun das Urteil als Akt des „Fürwahrhaltens" im bloßen „ M e i n e n" weder subjektiv noch objektiv zureichende Gründe und Ursachen hat, liegen im „G 1 a u b e n" zwar „subjectiv zureichend[e]" Gründe für das „Fürwahrhalten" vor, jedoch nicht „zugleich" auch „objectiv zureichende". Trifft schließlich beides zu, spricht Kant von „ W i s s e n" (KrV, 848 ff). Um den Begriff des „Vernunftglaubens" in diesem Zusammenhang näher zu präzisieren, ist es außerordentlich wichtig, diese epistemische theoretische Variante des Glaubens von dem „praktischen Glauben" zu unterscheiden. Denn in der theoretischen Variante ist es beim Meinen, aber ebenso auch beim Glauben durchaus begrifflich und sachlich möglich, das entsprechende Urteil in ein Wissen zu überführen, indem subjektiv und objektiv zureichende Gründe eines derartigen Fürwahrhaltens beigebracht werden. Dies ist z. B. beim „historischen Glaube[n]" der Fall, worin historische Begebenheiten nicht nur geglaubt, sondern auch gewußt werden können (KU, 458). 4 Dies gilt auch für den gesamten Bereich jenes Glaubens an Sachverhalte, der zwar faktisch kein Erfahrungsfundament hat, worin aber die geglaubten Sachverhalte durch eigene oder fremde Erfahrung in „Thatsachen" überführt werden können und damit der empirische Glaube in ein Erfahrungswissen, wobei dies durch „eigene oder fremde Erfahrung vermittelst der Zeugnisse" geschieht (KU, 457). Nicht zuletzt betrifft dies auch den Glauben an all jene Sachverhalte, von denen wir zwar kein Wissen haben, die jedoch für uns in Urteilen vorliegen, deren Fürwahrhalten zwar nur subjektiv zureichend ist, für das aber auch die Möglichkeit besteht, daß es in ein objektiv zureichendes Fürwahrhalten überführt werden kann, weil es gute Gründe dafür gibt, daß die geglaubten Sachverhalte „nach der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens wenigstens mögliche" sind. „Vernünftige Bewohner anderer Planeten anzunehmen" (KU, 455) war für Kant merkwürdigerweise noch kein derartiger Sachverhalt, noch nicht einmal ein Sachverhalt des Glaubens, sondern des bloßen Meinens, weil er es für unmöglich hielt, daß Menschen jemals über eine derartige Erfahrung würden verfugen können, obwohl menschliches Erfahrungsvermögen einen solchen Sacherverhalt nicht ausschließt. Der „reine Vernunftglaube" kann dagegen „niemals in ein W i s s e n verwandelt werden" 5.

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Vgl. Was heißt: Sich im Denken orientiren?, Akademie-Ausgabe, Band VIII, S. 141. Ebd. - Freilich hat Kant in der „Kritik der reinen Vernunft" noch zugestanden, daß es dann, wenn es irgend eine entsprechende Möglichkeit der Erfahrung von „Einwohnern]" auf „irgend einem ... Planeten" geben könnte, dieser Sachverhalt Gegenstand eines ,,starke[n] Glaube[ns]" sein könnte, wobei man für diesen Glauben selbst Lebensri5

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Weil nun ein solcher Glaube als theoretisches Urteil ein zwar „subjectiv zureichendes]", aber „objectiv unzureichendes" Fürwahrhalten darstellt, was Kant in seiner „Logik" zusätzlich dadurch bestimmt, daß es „nur als subjectiv nothwendig (nur für mich geltend)" und ein „ a s s e r t o r i s c h e s . . . Urtheilen" ist, 6 und weil dieser Glaube immer auf der Voraussetzung beruht (wie im Falle der „Geschichte und Geographie" und eines entsprechenden „Glaubens" oder auch wie im Falle eines Glaubens an Aussagen anderer Personen, die die Funktion eines „Z e u g n i s s [es]" haben), daß er einen Erfahrungsgrund hat bzw. daß er durch Erfahrung muß bestätigt werden können (KU, 458), kann es eigentlich kein „theoretisch unzureichende[s] Fürwahrhalten [als] Glauben" geben (KrV, 851), also auch keinen Glauben, der entsprechend in einem klaren, begrifflichen Unterschied zum theoretischen Meinen und Wissen stünde. Zwar müssen die „Gegenstände" des Glaubens widerspruchsfrei denkbar sein und können „nur für mich" gelten. Aber weil ein derartiger Glaube, etwa der an historische Tatsachen oder auch an Sachverhalte, von denen andere Personen glaubhaft berichten, immer auf irgend einer Erfahrung beruht oder aber muß beruhen können, ist er eigentlich eine indirekte Form des Wissens, und seine Sachverhalte sind „nicht an sich Glaubenssache" (KU, 458), sondern mögliche bzw. vorausgesetzte „Thatsachen".

V. Der pragmatische „Glaube": Eine andere Kategorie als Meinen und Wissen Deshalb nennt Kant auch ein „theoretisch unzureichende[s] Fürwahrhalten" nur dann „Glauben", wenn dieses „Fürwahrhalten" „in p r a k t i s c h e r B e z i e h u n g " steht (KrV, 851), d. h. ein „freies Fürwahrhalten" ist (KU, 463), das wiederum „nöthig" ist, weil es im Zusammenhang mit einer „praktische[n] a priori gegebene[n] Absicht" vorliegt (L, S. 67). Der Unterschied dieses Glaubens zum Meinen und Wissen besteht deshalb nicht in irgendeinem „Grad" des Fürwahrhaltens (KrV, 853), sondern in einem „Verhältniß, was ... [er] als Erkenntniß zum Handeln hat" (L, S. 67). Als „Glauben" liegt er entsprechenden Handlungen des Lebens zugrunde. Und es ist nur dann möglich und sinnvoll, bei ihm von einem theoretischen Fürwahrhalten zu sprechen, wenn dieses Fürwahrhalten ein „freiefs] " ist, derart, daß es auf einer Entscheidung zum Handeln beruht (vgl. KrV, 851 f; L, S. 67 f). Er muß einen praktischen Bezug zum Leben, zum Handeln und dessen Absichten haben. Und obgleich ein derartiger „ G l a u b e []" ein „d o c t r i n a 1 e [r] G 1 a u b e []" ist, weil sein Fürwahrhalten derart „bloß theoretisch ist", daß es für ihn nur in einer Art fiktiver Vorstelsiken in Kauf nehmen würde. Kant nennt einen solchen Glauben einen „doctrinalen Glauben" (KrV, 853). 6 Logik, Akademie-Ausgabe, Band IX, S. 66; zitiert als L.

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lung denkbare, hinreichende Gründe gäbe, ihn objektiv zu machen, so ist dieser Glaube nicht hinreichend durch diesen Sachverhalt von Meinen und Wissen unterschieden, sondern ausschließlich durch sein „Verhältniß ... zum Handeln". Deshalb ist dieser praktische „Glaube" für Kant auch „kein besonderer Erkenntnißquell" (L, S. 67). Er teilt zwar das Fürwahrhalten mit Meinen und Wissen, und scheinbar auch das Kriterium einer (fehlenden) objektiv zureichenden Begründung. Aber ein solches Kriterium greift bei ihm nicht und ist auf ihn nicht anwendbar. Es setzt nämlich voraus, daß eine objektiv zureichende Begründung gegeben werden kann. Diese Möglichkeit ist jedoch ausgeschlossen. Gleichwohl sind die Sachverhalte eines solchen Glaubens objektiv real. Aber ihre „objective Realität" erhalten sie nicht, weil sie Inhalt irgendwelcher objektiver und wahrer Erkenntnisse sind, sondern aus ihrem praktischen Kontext: Es sind die absichtsvollen, freien, subjektiven Handlungen des Lebens, die zum Glauben an die „objective Realität" der mit und in ihnen unterstellten Sachverhalte nötigen. Ein derartiger Glaube ist deshalb - was die „objective Realität" seiner Sachverhalte betrifft - von einem empirischen Wissen der Erfahrung strukturell nicht unterschieden, obwohl es für Kant nicht sinnvoll ist, davon zu sprechen, daß „Gegenstände" des „ e m p i r i s c h e n Erkenntnisse[s]" im Sinne dieses Glaubens für real gehalten werden (L, S. 67). Und da Erkenntnisse a priori, theoretische oder praktische, notwendig Wissen sind, und neben der Erfahrung und analytischen Sätzen andere Typen der Erkenntnis begrifflich nicht zur Verfügung stehen, ist das nur subjektiv zureichende, nur für einen selbst geltende Glauben „kein besonderer Erkenntnissquell", obwohl die „objective Realität" der geglaubten Sachverhalte im praktischen Kontext absichtlicher Handlungen außer Frage steht. Die Praxis des Lebens gibt vor, ob etwas und was geglaubt wird, das zwar subjektiv zureichend für wahr gehalten und gleichwohl als objektiv real unterstellt wird, wobei diese praktische Nötigung der freien Akzeptanz des Subjekts anheim gegeben ist. Das Subjekt selbst hat gleichwohl keine „objectiven Gründe", das von ihm geglaubte auch subjektiv für wahr zu halten, sondern nur solche, die „von der [seiner] Natur" und seinem „Interesse" abhängig sind (L, S. 70).

/. Der „pragmatische " und der „ moralische Glaube " Ein solcher Glaube kann nun in zwei Varianten auftreten, nämlich einmal als „ p r a g m a t i s c h e [r] G l a u b e []" und zum anderen als „m o r a 1 i s e h e [r] G l a u b e []" (KrV, 852, 856). Die Differenz ist in den unterschiedlichen ,,praktische[n] Absichten]" begründet (KU, 459). Denn eine solche „praktische[] Absicht" und ihr entsprechender „Zweck" kann „hypothetisch" sein, wie in alltäglichen Handlungen samt ihren „beliebigen und zufälligen ... Zwekken". Dabei handelt es sich um „Zweckef]" der „ G e s c h i c k l i c h k e i t".

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Oder aber Handlungen hängen von „schlechthin nothwendigen Zwecken" ab, und dann sind sie solche der „S i 111 i c h k e i t" (KrV, 851), so daß es sich dabei nicht um einen „ p r a g m a t i s c h e n", sondern um einen ,,moralische[n] Glaube[n]" handelt (KU, 459). In beiden Fällen ist der Glaube in theoretischer Hinsicht nun zwar lediglich „subjectiv zureichend" und „objectiv unzureichend" (L, S. 67). Aber in „p r a k t i s c h e r B e z i e h u n g " (KrV, 851), d.h. „durch das Verhältniß", was er „als Erkenntniß zum Handeln hat" (L, S. 67), verfügt er auch über hinreichende Gründe dafür, daß der geglaubte Sachverhalt auch objektiv wirklich ist oder zumindest wirklich sein kann. Es gehört im Falle der kontingenten, hypothetischen Zwecke des Handelns im menschlichen Leben, z. B. eines ,,Kaufmann[s]" dazu, daß er keineswegs nur der Meinung ist, er könne durch einen „Handel" etwas „gewinnen", aber dies eben nicht weiß. Trotz der immer auch gegebenen epistemischen Ungewißheit ist der Glaube dieses Fürwahrhaltens praktisch „zureichend" und insofern ein Glaube an einen objektiv möglichen, tatsächlichen Gewinn (L, S. 67 f). Und im Falle der absoluten notwendigen Zwecke im Zusammenhang mit dem „moralische^] Glaube[n]", etwa des Zweckes „vom höchstefn] Gut", liegt zwar kein Wissen von demselben in seiner ,,objective[n] Realität" vor, aber eben auch kein bloßes Meinen. Vielmehr impliziert dieser Glaube durchaus die „Notwendigkeit, die objective Realität" dieses „Begriffs (vom höchsten Gut) ... anzunehmen". Eine solche „objective Realität" ist dann nicht theoretisch begründet, weil man durch die praktische Vernunft und deren „Gesetzen der Freiheit" (L, S. 69) sowie durch die „sittliche[n] Grundsätze" zu ihrer Annahme genötigt wird. Andernfalls würden diese ,,sittliche[n] Grundsätze selbst umgestürzt". Und ihnen „entsagen", wäre nicht möglich, „ohne in [den] ... eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein" (KrV, 856). Es ist in beiden Fällen ein praktisches „Interesse" und „Bedürfhiß", das den Glauben an bestimmte Tatsachen und an die „objective Realität" entsprechender Begriffe in der Praxis des alltäglichen, nichtmoralischen und moralischen Handelns bestimmt. In allen Fällen, wo „wir ... durch Handlungen uns zum Besitz des dadurch möglichen Zwecks erweitern" wollen, sei es ein ökonomischer Gewinn oder das höchste Gut, „müssen wir annehmen, daß dieser durchaus möglich sei" (L, S. 69); bzw. daß er auch verwirklicht werden kann und insofern „objective Realität" erhält. In all diesen Fällen wird die „Realität des Objects um der nothwendigen Willensbestimmung halber" angenommen, d. h. geglaubt (L, S. 68). Und was schließlich die Gewißheit dieses Glaubens darüber betrifft, daß seine Gegenstände, das Geglaubte, wirklich werden bzw. sind, so ist diese „oft fester als alles Wissen" (L, S. 72). Und dies ist z. B. der Fall bei der „Realität" des höchsten Gutes bzw. der in ihm implizierten Bedingungen der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele, wozu Kant in seiner „Logik" auch - widersprüchlich zur „Kritik der Urtheilskraft" - die Freiheit rechnet, die „um der nothwendigen Willensbestimmung halber" angenommen und geglaubt wird (L, S. 68). Daß ein solcher Glaube schließlich „frei" ist, heißt dann aller-

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dings nicht nur, daß man „ k e i n e n A n d e r n d u r c h G r ü n d e [dazu] n ö t h i g e n" kann. Sondern es bedeutet primär, daß man sich selber dazu in Freiheit bestimmt, wenn auch aufgrund von vernünftigen „Bedürfnissen]" und ,,Interesse[n]" sowie seiner eigenen vernünftigen „Natur" (L, S. 70). Insofern ist ein derartiger „ m o r a l i s c h e [r] V e r n u n f t g l a u b e " kein Resultat von theoretischen ,,objective[n] Gründe[n]" (L, S. 72). Aber er ist eben auch nicht durch derartige „objective Gründe" zu kritisieren oder gar zu erschüttern. Der „ p r a g m a t i s c h e [] G l a u b e []" des alltäglichen, durch kontingente Absichten und Zwecke bestimmten Lebens und Handelns an die Wirklichkeit und „objective Realität" von Tatsachen und Ereignissen, die vorerst nur in ihren begrifflichen Antizipationen vorliegen, ist kein Glaube bloß im Sinne einer Vermutung oder Annahme, die unter bestimmten besseren Bedingungen der Erkenntnis und Erfahrung durch ein Wissen ersetzt werden könnte. Deshalb ist es auch nicht korrekt, in all jenen Fällen von einem „pragmatischen Glauben" zu sprechen, wo die Möglichkeit besteht, über ein solches Wissen zu verfügen, auch wenn es nicht verwirklichbar ist. Insofern ist auch Kants Beispiel vom „Arzt", der aufgrund seiner Unwissenheit eine „Krankheit" nicht kennt und deshalb auf seinen bloßen Glauben hin eine Diagnose stellt, kein richtiges Beispiel für einen „pragmatischen Glauben". Denn ein anderer „Arzt" „möchte es vielleicht besser treffen" (KrV, 852). Und auch dem „Arzt" selber ist dies prinzipiell möglich, etwa durch die Verbesserung seiner Diagnosefähigkeit. Vom „pragmatischen Glauben" sprechen, ist nur dann möglich und sinnvoll, wenn jede Möglichkeit eines Wissens, und d. h. objektiv zureichender Gründe prinzipiell ausgeschlossen ist. Und dies ist nun nicht nur - wie Kant immer wieder betont - beim „ m o r a l i s c h e [n] V e r n u n f t g l a u b e [n]" (L, S. 72) der Fall, d. h. bei seinen Gegenständen des höchsten Gutes, der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit der Seele und (widersprüchlich) der Freiheit. Sondern ein solcher „pragmatischer Glaube" ist auch im alltäglichen Leben und Handeln überall dort notwendig, wo diesem Leben und Handeln ein subjektiv zureichendes und nur für einen selbst gültiges Fürwahrhalten zugrunde liegt, das nicht zugleich auch über objektive, für jedermann verbindliche Gründe verfügt, das also nicht auf irgendeine eigene und fremde mögliche Erfahrung der Tatsachen zurückgeführt werden kann, und das auch nicht auf Gesetze der Natur und soziale Regeln zurückzugreifen vermag, die derartige Erfahrungen mit Bestimmtheit voraussagen lassen - zumal auch eine solche Voraussage über keine logische Sicherheit verfügt - und das gleichwohl als notwendige Voraussetzung des eigenen Lebens und Handelns, der Realisierung seiner Absichten und Zwecke, den darin implizierten Sachverhalten Wirklichkeit und „objective Realität" beilegen muß. Allerdings ist ein solches Fürwahrhalten infolge der mit ihm verknüpften sozialen Form der Praxis etwa des ,,Kaufmann[s]" ein interpersonales Phänomen was Kant übergeht. In gewisser Weise gilt dies freilich - entgegen Kants Annahmen - auch für das Zeugnis fremder Erfahrungen, z. B. von historischen

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Tatsachen. Denn man hat auch ihnen gegenüber keinerlei Möglichkeit, festzustellen, daß ihr „Z e u g n i ß" stimmt und daß man ihm vertrauen kann. Daß einem Bericht über historische Tatsachen Erfahrungen zugrunde liegen, ist kein Sachverhalt einer eigenen möglichen Erfahrung. Dies betrifft auch entsprechende fremde Bestätigungen dieses Sachverhaltes sowie Erfahrungen fremder Personen, von denen man Kenntnis erhält, die sich aber der eigenen empirischen Bestätigung prinzipiell entziehen. All dies sind Sachverhalte eines „pragmatischen Glaubens", dessen Fürwahrhalten subjektiv zureichend ist, ohne daß es auch über objektiv hinreichende Gründe verfugt, und das gleichwohl an die Wirklichkeit und „objective Realität" der seitens anderer Personen berichteten und erfahrenen Sachverhalte glaubt. Und zwar deshalb, weil es dem „Interesse" und „Bedürfniß" seines Lebens und Handelns entspricht sowie seinen Absichten und Zwecksetzungen.

2. Natur er klärung und Gottesglaube Daß Kant den „d o c t r i n a 1 e n G 1 a u b e n" an die Existenz Gottes und an die Unsterblichkeit der Seele als einen „ p r a g m a t i s c h e n G l a u b e n " auffaßt bzw. als ein „A n a 1 o g o n" dazu, leuchtet auf den ersten Blick nicht ein (KrV, 852 f). Denn dann müßte dieser Glaube irgendwie mit kontingenten Absichten und Zwecken des menschlichen Handelns im Zusammenhang stehen, obwohl Gott und Unsterblichkeit zu den „schlechthin nothwendigen Zwecken" der praktischen Vernunft gehören. Ein solcher „doctrinaler Glaube" ist ein theoretisches Fürwahrhalten, dessen „Object" nicht anschaulich gegeben werden kann und für das doch in einem begründeten Gedankenexperiment ein „Mittel" bereitgestellt werden kann, „die Gewißheit der Sache auszumachen" - wie es bereits für den Glauben an „Bewohner anderer Welten" ausgeführt wurde (KrV, 853). Im Sinne eines „doctrinalen Glaubens" eine „Lehre vom Dasein Gottes" vertreten, kann zwar nicht - so das bereitgestellte Argumentations-„Mittel" - im Sinne einer „theoretischen Weltkenntniß" als notwendige Voraussetzung einer Naturerklärung aufgefaßt werden. Dennoch ist jede vernünftige Naturerklärung, die sich auch der Urteilskraft bedienen muß, durch die „Bedingung" einer ,,zweckmäßige[n] Einheit" bestimmt; zumal es ,,reichlich[e]" empirische Beispiele dafür gibt, was freilich eine objektive Geltung des Begriffs vom Naturzweck voraussetzt und was Kants (häufig benutztes, selbstwidersprüchliches) Schwanken bezüglich dessen kategorialer Qualität erklärt. Die teleologische Natureinheit in der „Naturforschung" nötigt wiederum zur Annahme einer ,,höchste[n] Intelligenz", die als Ursprung einer teleologischen Naturerklärung angesehen werden muß. Für die Praxis der Erforschung der Natur ist deshalb eine methodische „Leitung" durch das Paradigma der teleologischen Erklärung eine „nicht unerhebliche[] Absicht", die freilich dann doch ,,zufällig[]" sein soll und die „einen weisen Welturheber" voraussetzt. Diese „Voraussetzung" hat

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deshalb eine hohe „Brauchbarkeit", weil sie sich in der Forschung immer wieder empirisch „bestätigt", was ja die Zweckmäßigkeit als objektiv reale Kategorie voraussetzt, und weil „nichts ... auf entscheidende Art dawider angeführt werden" kann. Die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bloß im Sinne eines Meinens theoretisch für wahr zu halten, ist deshalb „viel zu wenig". Allerdings bedeutet dies lediglich einen Gottesglauben, der als „Glaube in strenger Bedeutung dennoch nicht praktisch" ist, sondern ein „doctrinaler Glaube" und eine Sache der „ T h e o 1 o g i e der Natur (Physikotheologie)" ist; ein Sachverhalt, der mit einer Fundierung dieses Gottesglaubens durch empirische Beispiele allerdings kaum vereinbar ist - wenn derartige Beispiele eine „objective Realität" von Naturzwecken belegen, auch wenn sie ,,zufällig[]" ist (KrV, 854 f). Eine ähnliche Argumentation läßt sich schließlich für den „doctrinalen Glauben des künftigen Lebens der menschlichen Seele" durchführen, wenn man auf der einen Seite die „vortreffliche Ausstattung der menschlichen Natur" bedenkt und auf der anderen Seite die „so schlecht angemessene Kürze des Lebens" - , ein Sachverhalt, dem eine „Weisheit" zugrunde liegen muß, die zu einem derartigen Glauben nötigt. In subjektiver Hinsicht ist ein derartiger Glaube durch eine „Festigkeit des Zutrauens" bestimmt, während er, was die „o b j e k t i v e [] Absicht" angeht, „ein Ausdruck der Bescheidenheit" ist, das sein Fürwahrhalten betrifft. Das „bloß theoretische Fürwahrhalten" dieses Glaubens ist schließlich nicht das einer „Hypothese", sondern viel mehr. Und zwar deshalb, weil man im Fall einer „Hypothese" zumindest über einen in seinen „Eigenschaften" bestimmten „ B e g r i f f ' verfügt, wenn auch dessen „ D a s e i n erdichte[t]" ist. Ein derartiger Begriff steht aber im Falle des Glaubens an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele nicht zur Verfügung (KrV, 855). Wenn man nun auch in einem strengen Sinne nicht davon sprechen kann, daß ein solcher Glaube praktisch ist, so ist er dennoch ein „Analogon" zum „pragmatischen Glauben". Denn die „Idee" der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele hat die praktische Funktion einer „Leitung" bzw. einer Unterstützung oder „Beförderung meiner Vernunfthandlungen". Es ist demnach die Praxis der Erklärung und Erforschung der Natur und des menschlichen Lebens durch die Vernunft, die zum „doctrinalen Glauben" an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele nötigt, die jedoch niemals „in speculativer Absicht" in ein apodiktisches Wissen überführt werden kann. Zwar ist diese Variante des „pragmatischen Glauben[s]" durchaus „etwas Wankendes", sofern er durch spekulative Schwierigkeiten infrage gestellt wird. Gleichwohl kehrt menschliche Vernunft „unausbleiblich" zu ihm „wiederum zurück" (KrV, 855 0. Kant rekurriert damit nicht auf praktisches Handeln, so aber doch auf die theoretische Vernunftpraxis, die den „doctrinalen Glauben" an Gott und die Seele zu einem pragmatischen macht. Entsprechend ist es dann auch das „Interesse" und das „Bedürfniß" der Vernunft in ihrer Naturerforschung, von dem

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ein derartiger Glaube abhängt, auch wenn bereits die bloß reflektierende Urteilskraft zu einer teleologischen Erklärung der Natur ebenso nötigt wie die Vernunft notwendig die „Ideen" von Gott und Unsterblichkeit der Seele ausbildet. Aber in beiden Fällen bleibt die „objective Realität" dieser theoretischen Gehalte fraglich. Deshalb hängt die entsprechende Naturerklärung der „Vernunfthandlungen" nicht von „beliebigen und zufälligen ... Zwecken" ab, was wiederum die Analogie des „doctrinalen Glaubens" zum „pragmatischen Glauben" erheblich einschränkt. Insofern ist es auch nicht recht verständlich, daß der „doctrinale Glaube ... etwas Wankendes in sich" hat. Wenn die vernünftige Praxis der Naturerklärung notwendig teleologisch ist, weil sie von der reflektierenden Urteilskraft vorgegeben wird, und wenn dazu als Voraussetzung die Glaubensannahme einer ,,höchste[n] Intelligenz" gehört, und wenn schließlich der Glaube an eine unsterbliche Seele aus jener „Weisheit" resultiert, nach der die „vortreffliche Ausstattung der menschlichen Natur" der „Kürze des Lebens" eben nicht angemessen ist - , wie kann dann der bloße „doctrinale Glaube" an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele „etwas Wankendes in sich" sein? Nicht zufällig kehrt deshalb menschliche Vernunft „unausbleiblich" zu ihm „zurück".

3. Die Defizite des „ Vernunftglaubens

" an Gott und die Unsterblichkeit

Nun läßt sich der „m o r a 1 i s c h e [] G l a u b e []" an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele nicht in der unpersönlichen Aussage formulieren: „es i s t moralisch gewiß, daß ein Gott sei", sondern nur in der subjektiven Form: „ i c h b i n moralisch gewiß ...". Denn diese Gewißheit resultiert nur aus der eigenen „moralischen Gesinnung", die normalerweise nicht gefährdet ist, so daß diese subjektiv-persönliche Relativierung auch für die „ m o r a l i s c h e Gewißheit" bezüglich der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele gilt. Doch auch diese subjektive Basis ist etwas ,,Bedenkliche[s]". Ist nämlich der „Vernunftglaube" von der „Voraussetzung moralischer Gesinnung[]" abhängig, und ist es durchaus möglich, daß ein Mensch diesen „Gesinnungen" gegenüber „gänzlich gleichgültig" ist, dann bleiben in der Tat nur die „starken Gründe[] aus der Analogie" des „ d o c t r i n a l e n G l a u b e n [s]" (an Gott und die Unsterblichkeit der Seele) mit dem „ p r a g m a t i s c h e n G l a u b e n" (KrV, 857). Aber diese lassen begrifflich durchaus Zweifel zu; ja, sie treten immer nur zusammen mit solchen Zweifeln auf. Allerdings besteht auch im negativen Falle moralischer Gleichgültigkeit ein bestimmtes „Interesse" des Menschen an den metaphysischen Ideen. Denn selbst ein Mensch, der sich durch die Moral nicht bestimmen läßt, kann „keine G e w i ß h e i t vorschützen", daß Gott nicht existiert und es keine unsterbliche Seele gibt. Und deshalb muß er beides zumindest fürchten, was wiederum zu einem „n e g a t i v e [n] Glaube[n]" führt, der zumindest unmoralische Gesinnungen einschränken kann (KrV, 858). Dies mindert zwar die Gefährdung des moralischen „Vernunftglaubens" erheblich und verkleinert die „Gefahr", daß der „Glaube an einen Gott

„Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens?

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und eine andere Welt" dem Menschen Jemals entrissen werden könne". Aber begrifflich und praktisch ausschließen kann dieser Sachverhalt eine solche „Gefahr" nicht (KrV, 857). Wenn „ I c h s e l b s t . . . von der Gültigkeit und Unveränderlichkeit meines praktischen Glaubens gewiß sein" kann und damit auch von der Existenz seiner notwendigen Voraussetzungen, Gott und Unsterblichkeit; und wenn es gleichwohl einen Grad der Verläßlichkeit und Lebendigkeit der eigenen „moralische^] Gesinnung" gibt, sofern sie „größer" oder kleiner sein kann, und damit auch einen Grad des „Vernunftglaubens" an Gott und die Unsterblichkeit; und wenn all dem ein durch die subjektive „Natur" und durch subjektives „Interesse" bestimmtes eigenes „ f r e i e s Fürwahrhalten" zugrunde liegt, dann gibt es auch so etwas wie einen „Mangel an moralischem Interesse" und eine entsprechende Form des „Unglaubens" (L, S. 70, 67). Diese Kontingenz des „moralische^] Interesse[s]" kann man auch für den eigenen Fall nicht a priori ausschließen. Auch dies läßt sich als eine Gefährdung der eigenen moralischen Gesinnung auffassen und als eine Gefährdung des aus dem „moralischen Glauben" resultierenden „Vernunftglaubenfs]" an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Dies geht nicht zuletzt auch daraus hervor, daß der Glaube der praktischen, sittlichen Vernunft keine „allgemeine Beistimmung" seitens anderer Menschen „gebietet", wegen seiner „subjectiven Gründe". Ist aber die moralische Gewißheit immer nur die eigene und keine apodiktische Gewißheit, die „allgemein und objektiv notwendig (für Alle ...)" gilt (L, S. 70, 66), ist also der moralische „Vernunftglaube" an das höchste Gut, an Gott und das ewige Leben prinzipiell nicht intersubjektiv geltend zu machen, also keineswegs nicht nur für Menschen, die kein Interesse an der praktischen Vernunft und der Moral haben, sondern gerade auch für solche, bei denen ein derartiges Interesse durchaus vorliegt, ist also die Geltung dieses Glaubens ausschließlich der Bereich der eigenen Subjektivität, ihres ,,Interesse[s]", ihrer „Natur", ihres „Bedürfnisses]" und ihres freien Willens, dann ist auch die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele ein subjektiv privater Glaube ohne Geltungsansprüche für Andere. Und nicht nur dies! Da ein derartiger subjektiver Vernunftglaube Bedingungen wie die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele betrifft, die im höchsten Gut vorausgesetzt sind, ist auch dieses Gegenstand eines lediglich subjektiv-privaten „ m o r a l i s c h e [n] V e r n u n f t g l a u b e n [s]", ohne daß dieser Glaube in irgendeiner Weise auch „allgemeine Beistimmung" fordern und beanspruchen könnte. Dann fragt sich jedoch nicht nur, was es noch für einen Sinn haben kann, eine Art Gottesbeweis für die Unsterblichkeit der Seele im Zusammenhang mit einem „doctrinalen Glauben" durchzuführen, weil ein derartiger Beweis samt all seinen Gründen immer nur eine private Geltung für das eigene Selbst haben kann. Sondern auch das Herzstück des „moralischen Glaubens", nämlich Kants moralischer Gottesbeweis, ist dann mehr als fragwürdig, weil überflüssig. Darüber hinaus wird diese Problematik noch dadurch verschärft, daß ein „m o r a -

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I i s c h e [r] G l a u b e []" „keine Überzeugung" ist, „die sich mittheilen läßt", nämlich aufgrund seiner „bloß subjectiven Gründe". Nun läßt sich zumindest dies „mittheilen". Zudem besteht gerade auch der „ G l a u b e" als „moralische Denkungsart der Vernunft" in einem „Fürwahrhalten" bzw. darin, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele „als wahr anzunehmen" (KU, 462), auch wenn dieses „Fürwahrhalten" ein „freies" ist bzw. ein ,,unvollständige[s] Fürwahrhalten[]" (L, S. 67), was nur subjektiv zureichend ist. Die „Wahrheit" ist aber nach Kant eine „ o b j e c t i v e E i g e n s c h a f t der Erkenntniß" (L, S. 65). Und selbst wenn sie wie im Falle des „Glaubenfs]" nur „subjectiv nothwendig (nur für mich geltend)" ist, dürfte sie kein Inhalt einer „Überzeugung" sein, „die sich mittheilen läßt". Offensichtlich eine Selbstwidersprüchlichkeit der kantischen Wahrheitskonzeption! Damit bestreitet Kant nämlich, daß der „moralische Glaube" überhaupt sprachlich kommunikabel ist, obwohl er von der Wahrheit als einer „o b j e k t i v e [n] E i g e n s c h a f t der Erkenntniß" spricht und davon, daß darin „etwas als wahr v o r g e s t e l l t wird" (L, S. 65). Objektive und intersubjektiv notwendige Geltung sind aber auch nach Kant „Wechselbegriffe" 7. Wenn Kant schließlich die kommunikative Funktion des „moralischen Glaubens" generell bezweifelt, dann stellt er nicht zuletzt dessen Überzeugung auf eine Stufe mit den nichtkommunikativen privaten Urteilen des Geschmacks. Aber was schließlich noch gravierender ist: Gibt es im Falle des praktischen „moralischen Glaubens" an das höchste Gut, an Gott und die Unsterblichkeit und entsprechend auch an die Freiheit, die ja in der „Kritik der praktischen Vernunft" im Widerspruch zur der „Kritik der Urtheilskraft" ein bloßes „Postulat" eines „Vernunftglaubens" ist, prinzipiell keine Möglichkeit seiner sprachlichen Mitteilbarkeit und Kommunikation, dann kann ein solcher Glaube nicht nur kein Thema der „Kritik der Urtheilskraft" bzw. der „Kritik der praktischen Vernunft" sein. Sondern sofern das moralische Selbstverständnis des Menschen mit seinen Gesetzen der praktischen Vernunft, sofern ferner die Überzeugung des Menschen vom „Endzweck einer Schöpfung", ja sofern bereits die teleologische Naturerklärung anders nicht gedacht werden kann, als im Zusammenhang mit der Einführung eines praktischen „Vernunftglaubens", fällt dessen Inkommunikabilität auch auf die Sittlichkeit und die Naturteleologie zurück; und sie infiziert auch unvermeidlich jeden Versuch eines moralischen Gottesbeweises. Diese mißliche Konsequenz ergibt sich für Kant daraus, daß er - wie schon im Falle des „sensus communis" - die Mitteilbarkeit einer Sache begrifflich mit einem Anspruch auf intersubjektiv allgemeine Geltung verknüpft. Und wenn nun letzteres wegfallen muß, wie im Falle des praktischen „Vernunftglaubens", dann kann es ersteres auch nicht geben.

7

Prolegomena, Akademie-Ausgabe, Band IV, § 19.

„Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens?

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Man kann insofern mit einem gewissen Recht die These vertreten, daß nicht nur das Als-ob-Wissen der reflektierenden Urteilskraft um die teleologische Verfaßtheit der Natur, sondern gerade auch das „objective" Wissen der praktischen Vernunft, etwa um den „kategorischen Imperativ", das „ G r u n d g e s e t z d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n V e r n u n f t " (KpV, 55) als „synthetische[n] Satz a priori" (KpV, 56), sofern es auf einem fundamentalen „Bedürfnis" der praktischen Vernunft beruht, durch einen praktischen „Vernunftglauben" zumindest mitbegründet ist; gerade auch dann, wenn dieser praktische „Vernunftglaube" nicht durch objektiv hinreichende Gründe abgesichert ist, wenn er also nur für einen selbst gilt und wenn seine interpersonale Geltung für Andere offen bleiben muß, wenn schließlich sogar seine Kommunikabilität infrage steht. Daß die Beförderung des ,,höchste[n] Gute[es] nach praktischen Regeln" möglich sein muß (KpV, 205), an diesem „Vernunftglauben" hängt die gesamte Moral. Andernfalls wäre „auch das moralische Gesetz, welches gebietet dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch" (KpV, 205). Aus all dem geht hervor, daß alles, das moralische und nicht moralische, freie und absichtsvolle Handeln nicht nur auf Wissen, sondern fundamental auf einem „pragmatischen Glauben" beruht, 8 der dann auch dem „hypothetischen Imperativ" zugrunde liegt, selbst wenn die Realisierungsmöglichkeit seiner Zwecke durch ein Wissen um naturgesetzliche Zusammenhänge oder um starke soziale Gesetze abgesichert ist. Und erst recht hat alles Handeln, das unter dem moralischen Gesetz des „kategorischen Imperativs" steht, einen „Vernunftglauben" samt der „Natur", dem „Interesse" und „Bedürftiiß" der Vernunft zum Fundament, der dann auch das synthetische Apriori dieses Gesetzes stützt; was schließlich implizit selbst für die teleologische Naturerklärung gilt. Insofern ist die Ausgangsfrage dieser Untersuchung für diese Wissensfelder zu bejahen. Und Kants Feststellung aus der „Kritik der praktischen Vernunft" trifft zu: „alles Interesse [ist] zuletzt praktisch ..., und selbst das der speculativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig" (KpV, 219). Praktisches Interesse der „spekulativen Vernunft" ist aber begrifflich durch die „objective Realität" der Ideen eines „Vernunftglaubens" begründet. Deshalb kann Kant auch die „Maxime der Unabhängigkeit der Vernunft von ihrem e i g e n e n B e d ü r f n i ß " einen „Unglaube[n ]" nennen, der der Moral „alle Autorität benimmt" 9 .

8 L. Wittgenstein hat dieses Glaubens-Fundament der Sprachspiele unseres Lebens und Handelns in seiner Auseinandersetzung mit Moore in das Zentrum seiner Kritik an Moore gestellt (L. Wittgenstein : Über Gewißheit, in: Werkausgabe, Band 8, Frankfurt/Main 1989, S. 119 ff). 9 Was heißt: Sich im Denken orientiren?, S. 146.

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VI. „Vernunftglaube" als Fundament des theoretischen Wissens Nun mag dies für die teleologische Naturerklärung durch die reflektierende Urteilskraft zutreffen, wie etwa auch für das moralische Gesetz der praktischen Vernunft im „kategorischen Imperativ". Aber für das Erfahrungswissen der (theoretischen) Vernunft, für ihr analytisches Wissen und für ihr Wissen um die Naturgesetze in den „synthetischen Urteilen a priori" des Verstandes scheint Kant doch eindeutig das Wissen vom Glauben zu trennen, wenn er auch das „ W i s s e n" einschränkt, „um zum G l a u b e n Platz zu bekommen". Für diese Typen des Wissens scheint es nicht notwendig und erst recht nicht sinnvoll zu sein, von einem „Vernunftglauben" als Basis zu sprechen. Doch bekanntlich tut sich in Kants eigenen Aussagen eine große Lücke auf, was die kognitive kriterielle Berechtigung seiner eigenen theoretischen Aussagen z. B. in der „Kritik der reinen Vernunft" betrifft. Denn die bei weitem meisten Aussagen derselben entsprechen nicht den Erkenntniskriterien, die Kant in der „Kritik der reinen Vernunft" für das Wissen ausarbeitet. Sie sind weder analytische Sätze, noch synthetische Erfahrungsaussagen, aber auch keine synthetischen Sätze a priori. Und wenn Kant in der „Methodenlehre" philosophische Aussagen derart bestimmt, daß sie „Vernunfterkenntniß aus Begriffen" sind, so hat er eine weitere Erkenntnisklasse eingeführt, deren Status höchst fragwürdig ist. Derartige begriffliche Erkenntnisse werden z. B. in Regeln der Synthesis des empirisch Mannigfaltigen formuliert. Auch betreffen nur sie die „Grundsätze des Verstandes", obwohl sie keine in reiner Zeit-Anschauung gewonnenen synthetischen Sätze a priori sind (vgl. KrV, 752). Wie läßt sich demnach die überwältigende Fülle der Aussagen der „Kritik der reinen Vernunft" rechtfertigen, wenn Kant dafür kein Erkenntniskriterium bereitstellen kann? In seiner „Logik" stellt Kant fest, daß zwar „so Vieles in unserm Erkenntnisse nur mittelbar, d. h. nur durch einen Beweis gewiß ist". Dessen Gewißheit ist dann objektiv begründet. Doch alle Beweise hängen von Prämissen ab, die letztlich nicht mehr beweisbar sind. Insofern muß „unser gesammtes Erkenntniss ... von u n m i t t e l b a r g e w i s s e n Sätzen ausgehen" (L, S. 71). Dies gilt etwa auch für den „transscendentalen Beweis[]" der objektiven Geltung des Kausalsatzes, in dem synthetisch a priori der Begriff „von dem, was überhaupt geschieht", mit einer objektiven Möglichkeitsbedingung verknüpft wird, nämlich damit, daß alles Geschehen „in der Zeit", also in der „Erfahrung" auftritt, darin aber nur möglich ist, wenn es nach dem Gesetz der regelmäßigen zeitlichen Folge, und d. h. nach dem von Ursache und Wirkung bestimmt wird. Voraussetzung eines derartigen ,,transscendentale[n] Satzfes]" (KrV, 815 0 sind nämlich die Begriffe des Geschehens, der objektiven Möglichkeitsbedingungen und der Zeit sowie natürlich jene, die ein derartiges Beweisverfahren als synthetisch und a priori kennzeichnen. All dies ist darin aber „unmittelbar gewiss", weil dem Beweisverfahren vorausgesetzt.

„Praktischer Glaube" der Vernunft als Fundament des Wissens?

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Und was sehr wichtig ist, derartige sichere und gewisse Voraussetzungen sind wegen ihrer Unmittelbarkeit jedem Begründungsversuch enthoben, sie liegen ihm vielmehr voraus - oder beruhen auf anderen, für die dies wiederum gilt. Insofern ist es nicht sinnvoll, für sie noch die Bedingung einer subjektiv hinreichenden Begründung geltend zu machen, aber eben auch nicht die einer objektiv hinreichenden. Der Begründungsgedanke findet auf sie keine Anwendung. Dies bedeutet nun aber auch, daß es sich bei derartig „unmittelbar gewissen" Sachverhalten nicht um ein Wissen handeln kann. Denn dies ist ein Fürwahrhalten, das subjektiv und objektiv hinreichend begründet ist, das als „gewisse[s] Fürwahrhalten ... mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit verbunden" ist, und das schließlich „für allgemein und objectiv nothwendig (für Alle geltend)" gehalten wird (L, S. 66). Sofern nun „ u n m i t t e l b a r g e w i s s e [] S ä t z e []" „etwas I n d e m o n s t r a b l e s " sind, kann man, was ihr „ a p o d i k t i s c h [es]" Fürwahrhalten betrifft sowie ihre „ a p o d i k t i s c h [e]" Gewißheit, „nicht auf objektive Gründe" für sie zurückgreifen, wie im Falle des Wissens (L, S. 71, 67, 72). Dann liegt jedoch in derartigen Sätzen auch kein Wissen vor - oder aber ein völlig anderer Typ des Wissens als Fürwahrhaltens. Daß schließlich ein derartiges „Wissen" wegen seiner unmittelbaren Gewißheit nicht begründet ist, muß nicht heißen, daß es unbegründet ist, eben weil es nicht sinnvoll ist, auf es noch den Gedanken der Begründung, der Rechtfertigung und des Beweises anzuwenden. Man kann nun ein solches Wissen durchaus als einen „pragmatischen Glauben" auffassen. Denn es ist ein unmittelbar gewisses Fürwahrhalten, „welches genug ist zum Handeln, d. i. ein G 1 a u b e" (L, S. 68). Dabei handelt es sich aber nicht nur um das alltägliche praktische oder das moralische Handeln, dem ein derartiger „ G l a u b e" zugrunde liegt. Sondern es besteht in jenen theoretischen „Vernunfthandlungen", die vorliegen, wenn man die metaphysischen Fragen nach Ursprung, Art, Umfang und Grenzen des menschlichen Wissens in Sätzen und Urteilen zu beantworten versucht. Insofern handelt es sich um einen „Vernunftglauben", ohne den keine theoretische Handlung der Vernunft möglich ist. Seine Gegenstände sind die fundamentalen Begriffe, Überzeugungen, Urteile und Sätze einer Theorie der menschlichen Erkenntnis, deren sie sich notwendig als Theorie-„Mittel" bedienen muß. Daß derartige kognitive Voraussetzungen einer Theorie Gegenstände eines „pragmatischen Glaubens" sind, bedeutet, daß ihnen im theoretischen Handlungskontext „objective Realität" zukommt. Andernfalls wären theoretische „Vernunfthandlungen" ein unsinniges, weil epistemisch leerlaufendes Spiel. Ihnen liegt dann auch eine pragmatische Wahrheit zugrunde, die nicht mehr im Gegensatz zu einer Falschheit steht. Denn von einer möglichen Falschheit eines Glaubensfundamentes der Vernunft sprechen, ist nicht sinnvoll. Eine solche Feststellung wäre kein vernünftiges theoretisches Handeln mehr. Mit diesem pragmatischen Ausschluß der Falschheit der Inhalte des Glaubens der theoretischen Vernunft stellt sich allerdings die Frage, ob sinnvollerweise überhaupt noch von deren Wahrheit gesprochen werden kann, sofern der „Vernunftglaube" auch dieser Möglichkeit noch

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zugrunde liegt. Nur mit dieser Einschränkung kann für Kant „S e 1 b s t d e n k e n" heißen, „den obersten Probirstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen"10. Es ist entsprechend das natürliche „Interesse" der theoretischen Vernunft an der Möglichkeit ihrer eigenen Existenz und das „Bedürfhiss" nach ihrem vernünftigen Handeln, dem ein solcher „pragmatischer Glaube" entspringt. 11 Er ist in seiner Gewißheit und Sicherheit viel stärker als alles subjektiv und objektiv zureichend begründete Wissen, als alle mit diesem verbundene unterstellte Notwendigkeit und Geltung für jedermann. Denn von ihm und seinen fundamentalen kognitiven Voraussetzungen der theoretischen Vernunft hängt nicht nur ab, was all dies heißen soll, sondern die prinzipielle Möglichkeit des vernünftigen Handelns überhaupt. Daß in diesem Glauben schließlich etwas „unmittelbar gewiss" ist, bedeutet nicht, daß darin eine Art „ i n t u i t i v [er]" „E v i d e n z", wie etwa im Falle ,,mathematische[r] Gewißheit", vorliegt (L, S. 70 f). Sondern es bedeutet, daß dieser Glaube auf Grund eines „Bedürfniss[es]" und ,,Interesse[s]" der Vernunft das fraglose, nicht bezweifelte, selbstverständliche und nicht zu erschütternde Fundament der theoretischen „Vernunfthandlungen" ist, freilich der kantischen „Vernunfthandlungen". Es ist das „Interesse" der gesamten menschlichen Vernunft, das letztlich „praktisch" ist - nicht nur als „Interesse" an einem sinnvollen moralischen Leben, sondern auch als „Interesse" an der Möglichkeit kognitiver, theoretischer „Vernunfthandlungen" überhaupt. Und die Erfüllung dieses „Interesses" ist ohne einen fundamentalen „praktischen Glauben" der Vernunft nicht zu verwirklichen.

10

Was heißt: Sich im Denken orientiren?, S. 146. „Das notwendige Bedürfnis der Vernunft' ist nämlich genau jenes reine, durch die Vernunft selbst gewirkte Interessenmoment, durch das reine Vernunft sich im Denken und Handeln zu orientieren vermag". Dem „Vernunftglauben" liegt ein „Vernunftbedürfnis" zugrunde, so daß der „Vernunftglaube" der Vernunft selber als „Quelle" entspringt - so A. Hutten Vernunftglaube. Kants Votum im Streit um Vernunft und Glauben, in: Friedrich Heinrich Jacobi, hrsg. von W. Jaeschke und B. Sandkaulen , Hamburg 2004, S. 251. Vgl. dazu auch vom selben Verfasser: Das Interesse der Vernunft, Hamburg 2003. 11

Endliche Vernunft als Stifterin von Partialwirklichkeit Reinhard Hiltscher

Für Christian Papsthart zum 44. Geburtstag

Die „Kritik der Urteilskraft"* gilt traditionell als der Abschluss des kritischen Geschäfts Kants. Sie wird zumeist verstanden als Kants abschließende Sicht auf die Einheit der Subjektivität bzw. der Vernunft. 1 Um dies exakt begreifen zu können, ist es erforderlich, die grundsätzliche Schwierigkeit nachvollziehen zu können, die in der systematischen Beziehung beider Systemteile Kants besteht. Die Problematik Kants, die er in der „Kritik der Urteilskraft" zu lösen gedenkt, resultiert aus der Spannung der Grade zweier unterschiedlicher Geltungsansprüche - nämlich der Spannung zwischen den Geltungsansprüchen der Gnoseologie und denen der Ethik. Bekanntlich vertritt Kant einen Primat der praktischen Vernunft und weist der praktischen Vernunft einen Unbedingtheitsanspruch zu, den er der theoretischen Vernunft zumindest in dieser Qualität stets verweigert hätte. Das Problem, vor dem Kant steht, lässt sich in etwa so formulieren: Die endliche theoretische Vernunft [= Verstand und theoretische Vernunft im engeren Sinne] ist selbstkonstitutiv, da sie einen Teil der (möglichen) Wirklichkeit in ihren Strukturen konstituiert - und sich damit zugleich zum Prinzip dieses Wirklichkeitsbereichs konstituiert. Für die endliche praktische Vernunft vermag Kant diesen Gedanken nicht ebenso stimmig vorzutragen, wie ihm dies im Bereich der endlichen theoretischen Vernunft gelingt. Zwar gilt auch hier: Die endliche praktische Vernunft vermag selbstkonstitutiv zu sein, weil sie einen Teil der (möglichen) Wirklichkeit in ihren Strukturen konstituiert. Doch wird Kant nunmehr vor das Problem gestellt werden, dass dieses Konzept rücksichtlich der Ethik nicht mit gleicher Stringenz durchgeführt werden kann. Vielmehr ist der praktischen Vernunft notwendigerweise eine Prätention auf die Totalität

Ich zitiere Kant nach der Ausgabe von Wilhelm Weischedel: Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, Darmstadt 1998 [Wissenschaftliche Buchgesellschaft]. 1 Siehe hierzu exemplarisch für die Kantforschung die vorzügliche Arbeit von Wolfgang Bartuschat: Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt/ Main 1972. Bartuschats Arbeit ist auch nach fast 35 Jahren immer noch ein (wenn nicht das) Standardwerk zu Kants „Kritik der Urteilskraft".

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Reinhard Hiltscher

der Wirklichkeit inhärent. Kant betrachtet die menschliche Vernunft sowohl als endlich als auch als selbstkonstitutiv. Endlich ist eine Vernunft dann, wenn das System ihrer inneren Prinzipien ein nicht mehr ableitbares Faktum darstellt. Die Frage z. B., warum wir als Menschen nur in Urteilen erkennen können, kann nicht mehr beantwortet werden. Ebenso wenig kann die Frage beantwortet werden, warum unsere Sinnesdaten in den Formen von Raum und Zeit gegeben werden - und nicht in anderen Formen. Die Faktizität der Anordnung der Prinzipienmomente einer Vernunft macht es aber zumindest denkbar, dass es Rationalitäten geben könnte, die eine ganz andere interne Relation ihrer Prinzipien aufweisen. Wenn nun aber Vernunft prinzipiell wirklichkeitskonstitutiv sein muss, sofern sie Vernunft ist, so folgt daraus, dass die Wirklichkeit, die unsere Vernunft konstituiert, keine universale Wirklichkeit sein kann. Es ist zumindest denkbar, dass Rationalitäten mit einer anderen internen Prinzipienanordnung andere Wirklichkeiten konstituieren könnten. Endliche Vernunft ist für Kant somit eine solche, die nur in der Lage ist, eine Partialwirklichkeit zu konstituieren. Ob es faktisch andere vernunftkonstituierten Wirklichkeiten als die unsere gibt, ist damit natürlich nicht entschieden. Andererseits ist die Wirklichkeit für Kant keineswegs ein Konstrukt. Sie geht nicht vollständig in den Konstitutionsleistungen der Vernunft auf. Denn täte sie dies, wäre endliche Vernunft die schöpferische Kreationsvernunft Gottes. Der Mensch erkennt, er ist aber kein Schöpfer. Entscheidend ist dieser Punkt insbesondere innerhalb der Moralphilosophie Kants. Auch die praktische Vernunft ist zunächst nur Stifterin einer Partialwirklichkeit - nämlich jener Welt, deren Einwohner der Disjunktion von gut und böse unterliegen. Gott selbst unterliegt dieser Differenz nicht. Gleichwohl kann für Kant das Sittengesetz nur dann eine letzte Gültigkeit beanspruchen, wenn es nicht nur für eine Partialwirklichkeit gültig ist, sondern sozusagen Grundgesetz der Gesamtwirklichkeit ist. Mit der praktischen Vernunft geht also auch ein Anspruch auf Konstitution der Gesamtwirklichkeit einher, der evidenterweise in einen Konflikt mit dem Konzept der endlichen Vernunft als Stifterin von Partialwirklichkeiten geraten muss.

I. Konstituiertes und nichtkonstituiertes Sein - Die Welt der Phänomene Verfolgen wir zunächst, wie der endliche Verstand im Sinne Kants seine Partialwirklichkeit konstituiert. Kants Ausgangssicht innerhalb seiner Erkenntnislehre lässt sich so beschreiben: Auf der einen Seite behauptet er nicht, dass die Wirklichkeit ein reines Produkt des Bewusstseins oder Subjekts sei. Es gibt etwas, das nicht in den Sinnleistungen der Subjekte aufgeht. Philosophische Theorien, die das absolute Sein in der Subjektivität sehen und alle Weltgegenständlichkeit ausschließlich als deren Schöpfung ansehen, liegen Kant fern. Auf der anderen Seite ist das Sein selbst für Kant im Kontext gnoseologischer Fragestellungen ein für uns völlig sinnloses X. Aber gerade weil Sein selbst in sich für uns keine (rationale) Gegliedertheit aufweist bzw. eine solche nicht zugäng-

Endliche Vernunft als Stifterin von Partialirklichkeit

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lieh ist, ist für das Denken (und nur für das Denken) dieses Nichtsinn-Relat ein Identitätsmoment bzw. Identitätskorrelat. Wie kann sich Denken aber in Gedanken auf etwas völlig Unbestimmtes beziehen? Eine Lösung deutet Kant in der A-Ausgabe der transzendentalen Deduktion mit dem Begriff vom transzendentalen Gegenstand an. In A 108 fasst er den Begriff vom transzendentalen Gegenstand als Inbegriff derjenigen invarianten objektiven Synthesisfunktionen der Eigenbestimmtheit2 des Denkens auf, mit deren Hilfe Erscheinungen in einer derartigen notwendigen Weise verbunden werden, dass diese auf einen objektiven Gegenstand referieren können. Die Notwendigkeit dieser invarianten Synthesisfunktionen resultiert für Kant aus der „notwendigen Einheit des Bewusstseins" - letztlich also daraus, dass diese Funktionen quasi inbegrifflich den invarianten Identitätssinn des Denkens in jedem konkreten Gegenstandsbezug artikulieren und konstituieren. Davon aber später. Für Kant gibt es keine direkte Relation des Denkens zum Sein3. Vielmehr bezieht sich das Denken objektiv auf objektive Gegenstände, indem es kraft der im Begriff des transzendentalen Gegenstandes enthaltenen objektiven Synthesisfunktionen auf invariante , identische Weise durchgängig alles gegenstandsrelevante Mannigfaltige der Anschauung (= alle Erscheinungen) synthetisiert. Die notwendige Verbindung der Erscheinungen gemäß der im Begriff des transzendentalen Gegenstandes enthaltenen Synthesisfunktionen bewirkt also, dass diese Erscheinungen sich objektiv gültig auf einen Gegenstand beziehen, der dadurch zugleich als erkenntnisunabhängig 4 gedacht (!) 5 wird, und dies, obgleich wir „außer unserer Erkenntnis 6 nichts haben". Noch genauer formuliert:

2

Zum Begriff der Eigenbestimmtheit vgl. Werner Flach : Das Kategorienkonzept der kritischen Philosophie Kants und seine Revision in der Erkenntnislehre des Marburger Neukantianismus, in: Koch/Bort (Hrsg.): Kategorie und Kategorialität. Historisch-systematische Untersuchungen zum Begriff der Kategorie im philosophischen Denken, Würzburg 1990, z. B. 270. 3 „Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = X müsse gedacht werden, weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegen über setzen könnten. [...] Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allen unseren Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, vor uns nichts ist [...]" (A 104 f.). 4 Konrad Cramer schreibt hierzu (in: Konrad Cramer : Nicht-reine synthetische Urteile a priori . Ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, Heidelberg 1985, 216 f.): „Denn empirische Begriffe, die schon in dem für ihre Bildung konstitutiven Aktus der ,Komparation' von Gehalten der Wahrnehmung auf einer Verbindung von Wahrnehmungen beruhen, die auf bestimmte Gegenstände bezogen sind, setzen, um Begriffe von spezifisch bestimmten Gegenständen sein zu können, das Fungieren solcher Begriffe voraus, deren Funktion es ist, durch die allgemeine Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung von Wahrnehmungen den Begriff von einem Gegenstand einer uns möglichen Erfahrung als den Begriff von solchem zu entwerfen und in einem zu rechtfertigen, das in der erkennenden Bezugnahme auf es von dieser Bezugnahme selber unterschieden und daher als ein Objekt erkannt wird. Dieser Gedanke kann auch so aus-

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(a) Das Mannigfaltige der Erscheinungen (der Anschauungen), das gemäß den „Ursprungssynthesisfunktionen"

des Denkens synthetisiert wird, referiert

auf den objektiven Gegenstand und gibt hierdurch dem Denken den objektiven Gegenstand zur Bestimmung. (b) Das Denken bezieht sich auf den objektiven Gegenstand vermittels der notwendigen Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung (gemäß den ihm eignenden ursprünglichen invarianten Synthesisfunktionen). (c) I m Begriff v o m transzendentalen Gegenstand sind somit diejenigen notwendigen invarianten Synthesisfunktionen des Denkens selbst „angesprochen", die es allererst ermöglichen, dass Denken einen objektiven Gegenstand in Geltungsdifferenz erkennend intendieren kann, weil Denken in diesen Synthesisfunktionen zugleich

die abschließende Möglichkeit prinzipi-

iert, dass die Anschauung (qua Einbildungskraft) dem Denken einen objektiven, bestimmbaren Gegenstand geben kann (und nicht nur „mannigfaltige Sinnesdaten").

gedrückt werden: Wenn es Begriffe gibt, die eine notwendige Verknüpfung von Wahrnehmungen allgemein vorstellen, dann sind sie deshalb keine empirischen Begriffe, weil sie Metaregeln für diejenigen Regeln der Auffassung von Objekten sind, die in empirischen Begriffen gedacht werden. Empirische Begriffe sind Begriffe von spezifisch bestimmten Gegenständen der Erfahrung überhaupt. Sie sind Regeln der allgemeinen Auffassung (d. h. Merkmale) für ein Mannigfaltiges der empirischen Anschauung, dessen spezifische Verbindung keine Notwendigkeit, sondern nur einen tatsächlichen Zusammenstand anzeigt. Insofern ein Begriff einen solchen tatsächlichen Zusammenstand empirischer Anschauungen, als in einem bestimmten Objekt der Erfahrung zu denkenden anzeigt, steht er unter der Bedingung eines Begriffs, dessen Funktion ihm allererst garantiert, daß er sich als Merkmal auf ein Objekt als Objekt und nicht nur auf ein empirisches Mannigfaltiges bloßer Vorstellungen bezieht." Vgl. zu den weiteren Zusammenhängen dieser Problematik evtl. auch: Dieter Henrich: Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften/Philosophisch-historische Klasse, vorgetragen am 9. November 1974), Heidelberg 1976, 16-53 und vgl. Karen Gloy: Der Substanzsatz in der Kritik der reinen Vernunft und in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, in: Karen Gloy: Studien zur theoretischen Philosophie Kants, Würzburg 1990, 82-114 (bes. 96-101). 5

Eine vorzügliche Interpretation des Verständnisses Kants betreffs der „funktionalen Unabhängigkeit des Gegenstands der Erkenntnis" von unseren „Erkenntnisvermögen" legt Gerold Prauss mit seiner „Deutungstheorie" vor. Prauss ist in etwa der Ansicht, Kant habe alle nichtkategorialen gegenstandsreferenten Begriffe als funktionale Konkretionen des Begriffs vom „transzendentalen Gegenstand" verstanden. Siehe: Gerold Prauss: Erscheinung bei Kant, Berlin 1971, 81-101. 6 Vgl. Reinhard Hiltscher. Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel, Bonn 1998, 51 f. und vgl. Reinhard Hiltscher. Einige Anmerkungen zu Kants Lehre von Reflexion, Selbstbewusstsein und Subjektivität, in: Hiltscher/Georgi (Hrsg.): Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluss an die Philosophie Kants, Freiburg 2002, 273300 (bes. 274-286).

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(d) Dennoch ist dabei zu beachten: Die der Ursprungssynthesis unterworfene Anschauung referiert auf den objektiven Gegenstand - ist jedoch nicht der Gegenstand! Was die durch die objektiven Synthesisfunktionen gesteuerte Synthesis von allen anderen Intentionalitätsmodi also unterscheidet, ist der Umstand, dass diese den Gegenstand als objektiv und unabhängig vom Erkennen konstituiert. Gegenständliches, phänomenales Sein ist somit durch eine notwendige Synthesis von anschauungsbedingten Erscheinungen konstituiert. Diese Synthesis, die gemäß invarianten Synthesisfunktionen geschieht, die der Eigenbestimmtheit des Denkens entstammen, bezieht qua Synthesis der Erscheinungen ebendiese Erscheinungen und in Folge davon die gegenstandsreferenten Gedanken auf das Objekt (das gegenständlich bestimmte phänomenale Sein). Nennen wir nun terminologisch diese objektive Gegenständlichkeit das konstituierte Sein (nicht das hervorgebrachte Sein!), so bringen wir damit zum Ausdruck, dass das konstituierte Sein eine durchgängige Leistung des transzendentalen Subjekts ist. In diesen Begriff konstituierten Seins objektiver Gegenständlichkeit gehören auch die Modalkategorien. Die Modalkategorie der „Wirklichkeit" fuhrt zu folgendem Postulat des „empirischen Denkens überhaupt": „Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich." (B 266) Ist in eine Synthesis Empfindung involviert, so intendiert das Denken die objektive Gegenständlichkeit als wirklich. Dabei ist es aber wesentlich, sich klarzumachen, dass das Setzen der Wirklichkeit des Gegenstandes eine kategoriale Leistung ist - und dass nicht schon die Empfindung als solche die Wirklichkeit des objektiven Gegenstandes erzeugt. Das Denken fasst kraft seiner objektiven Synthesis des Mannigfaltigen die Mannigfaltigkeit als für einen objektiven Gegenstand stehend - und wenn diese Mannigfaltigkeit empirisch und mit Empfindungsstimuli verwoben ist, fasst das Denken (und nur das Denken) diese Mannigfaltigkeit als für einen wirklichen (und nicht nur möglichen) Gegenstand stehend auf. In jedem Falle wird die Wirklichkeit des objektiven Gegenstandes gedacht und nicht (nur) empfunden. Wirklichkeit in diesem Sinne ist ausschließlich eine kategoriale Leistung des Denkens und gehört in den Begriff des konstituierten Seins. Das Denken konstituiert also allein aus sich heraus den objektiven erkenntnisunabhängigen Gegenstand. Denken konstituiert in seinen Kategorien die Seiendheit des objektiven Gegenstandes. Und da die Ursprungssynthesisfunktionen in invarianter, selbiger Weise die Objektivität und Seiendheit aller jeweiligen Gegenstände prinzipiieren, entwirft Denken autark aus sich heraus den Sinn von Objektivität und des (phänomenalen) Seins. Denken in seiner Eigenbestimmtheit „setzt" sich selbst das konstituierte, phänomenale Sein als invariantes, identisches Korrelat gegenüber - als objektive Gegenständlichkeit.

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Die Seiendheit des objektiven Gegenstandes darf im Gegensatz zu seiner kategorialen Existenzkonstitution durch das Denken (und auch im Gegensatz zur aktuellen Gegebenheit empirischer Empfindungsstimuli) jedoch nicht ausschließlich als Leistung des Erkennens selbst verstanden werden - denn in einem solchen Fall wäre der Mensch gottgleich. Der Entwurf von Objektivität und Sinn des Seins durch das endliche Denken muss somit zum Zwecke der Möglichkeit von Objektivität in sich inhärent enthalten, dass das Sein objektiver Gegenständlichkeit nicht gänzlich in der Seinskonstitution, in gegenständlichem Sinn, aufgeht. Dieses Nichtaufgehen kann aber selbstverständlich nicht mehr bestimmt gefasst werden, da Sinn und Bestimmung exklusive Potentiale des endlichen Denkens und nur des endlichen Denkens sind. Wäre der Sinn des Nichtaufgehens also bestimmt fassbar und vom Denken konstituiert, so wäre das „Nichtaufgehen" unausweichlich eine Leistung der erkennenden Subjektivität. Als Konstitutionsleistung des Denkens soll Sein aber gerade nicht durchgängig gefasst werden, um die Deifizierung der menschlichen Erkenntnis zu vermeiden. Insofern jede objektive Seinskonstitution durch das Denken vermittels seiner objektiven Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung zugleich auch das Nichtaufgehen des Seins in der Konstitution mitmeinen muss - und insofern das Sein rücksichtlich dieses „Nichtaufgehens" völlig unbestimmt und „sinnlos" bleibt - , stellt es in jeder objektiven Gegenstandsreferenz eine Unbekannte = X dar. Jede wohlgeformt intendierte objektive Gegenständlichkeit verhält sich zu dem ihr indirekt korrelierten „Nichtaufgehen" univok. Dies heißt aber nicht, dass sich dieses Nichtaufgehen von sich aus univok zu jeder objektiven Gegenständlichkeit verhält. Über Bestimmungen und Struktur dieses Nichtaufgehens können wir einfach nichts sagen, da dieses Nichtaufgehen nicht mehr als durch das Denken konstituiert aufgefasst werden kann. Man kann Sein unter dieser Perspektive nicht als in sich rational bestimmt und strukturiert denken. Es ist unter dieser Perspektive unbestimmt und sinnlos, da Sinn im Bereich der Erkenntnislehre ausschließlich eine Leistung endlichen Denkens sein kann. Die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis ist deshalb auch unterbestimmt, wenn man sie nur darin sieht, dass der Mensch seine Gegenstände durch das Mannigfaltige der Anschauung gegeben bekommt. Denn die der Subjektivität vorgegebene Unverfügbarkeit des empirischen Mannigfaltigen indiziert nur das Nichtaufgehen des Seins in der Konstitution (ist dieses Nichtaufgehen aber keinesfalls selbst). Identisches Korrelat des Denkens kann das nichtkonstituierte Sein somit nur indirekt vermittels der durch das Denken konstituierten objektiven Gegenständlichkeit (vermittels des denkkonstituierten phänomenalen Seins) sein. Nur als nichtkonstituiertem Sein bliebe ihm die Fähigkeit, Relat des Denkens zu sein, grundsätzlich verwehrt. Das nichtkonstituierte Sein wird nur indirekt zu einem Relat, das das Denken „bei Gelegenheit der Konstitution objektiver Gegenständlichkeit im Begriff des transzendentalen Gegenstandes" indirekt mitmeinen muss. Dieses nichtkonstituierte Sein ist nicht der durch die Kategorie der Wirklichkeit als wirklich gedachte Gegenstand. Dieser gehört - wir sagten

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dies bereits - in den Begriff des konstituierten Seins. Das nichtaufgehende Sein ist für das Denken vollkommen unverfügbar und damit in sich durchweg sinnlos. Es stellt aber dennoch aus der Perspektive des Denkens den gänzlich unbestimmten und unbestimmbaren Grund dafür dar, dass Denken nur erkennt, aber nicht schöpferisch ist. So bleibt dem Denken im Begriff des transzendentalen Gegenstandes nur, seine objektive Konstitution objektiver Gegenständlichkeit zugleich als einem nichtkonstituierten sinnlos unbestimmten Sein korreliert aufzufassen - und dieses nichtaufgehende Sein selbst somit nur indirekt zu intendieren. In der Konstitution objektiver Gegenständlichkeit macht das Denken das nichtkonstituierte Sein indirekt zu einem identischen Korrelat, das dieses ansich und „direkt" prinzipiell nie sein könnte. Der Sinn des Nichtaufgehens in der Konstitution objektiver Gegenständlichkeit (= Konstitution phänomenalen Seins) ist der fundamentale Limitationsbegriff objektiven endlichen Denkens. Dieses Nichtaufgehen qua Nichtkonstituiert-Sein wird vom Denken bei Gelegenheit der Konstitution objektiver Gegenständlichkeit in negativer Relation zu dieser als deren Limitation bestimmt - eine weitere inhaltliche Qualifikation ist endlichem Denken nicht möglich und findet auch nicht statt. Gehen wir diese Problematik von einer anderen Seite aus an: Eine wichtige Einsicht besteht darin, dass das Denken, wenn es in Referenz auf das leere nichtkonstituierte Korrelat Sein steht, denselben invarianten Sinn aufweist. Die ausschließlich vom Denken ursprünglich für sich (!) korrelativ (aber limitativindirekt) erzeugte Invarianz 7 des nichtkonstituierten Seins entspringt keiner Identität eines Gedankens oder aller Gedanken, sondern sie hat ihren Ursprung in der Identität des Denkens selbst - in seiner Eigenbestimmtheit, wie Werner Flach8 sagen würde. Diese Identität des Denkens selbst nennt Kant Identität der Apperzeption. Die Eigenbestimmtheit des Denkens selbst ist nun primär keine invariante, selbige Bestimmtheit in sich selbst. Denn als Eigenbestimmtheit ohne erfüllende Gedanken hätte sie keine objektive Realität, sondern sie hat diese nur bezüglich der einzelnen Gedanken. „Identität der Apperzeption" bedeutet also nicht eo ipso einen leeren quasimathematischen Denkpunkt, sondern sie artikuliert die Invarianz und Selbigkeit der Prinzipien des Denkens bezüglich der vielen Gedanken. Um dies zu verstehen, werfen wir einen Blick in das Paralogismenkapitel9. Kant lehrt dort, dass das „Ich denke" eine völlig leere und unbestimmte Vorstellung sei, die nur durch die Gedanken, die das „Ich denke" funktional erfüllten, bestimmt sein könne. Die Identität der Apperzeption ist also nur durch die 7 Das Sein selbst hat keine Gliederung, somit kann es auch nicht als identisch charakterisiert werden. Das Sein ist für und nur für das Denken ein Identisches, weil es völlig unbestimmt und sinnlos ist, so dass jeder Gedanke, der Sein selbst fassen will, denselben (Nicht)-Sinn ausdrückt! 8 Vgl. Fußnote 2. 9 B 399 ff.

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Gedanken bestimmt und bestimmbar, die Denken fasst. Nun ist es aber doch so, dass Denken sich immer schon in Gedanken vollzieht. Die durch konkrete Gedanken unbestimmte Apperzeption (= das durch Gedanken unbestimmte Denken) ist nur ein Abstraktum der Reflexion. Wir können uns der Leerheit und „Sinnlosigkeit" der abstrakten Identität der Apperzeption nur bewusst werden, wenn wir uns längst in konkreten Gedanken „vorfinden". Der Gedanke „Ich denke" bedeutet in seiner entscheidenden reflexionstheoretischen Valenz jedoch kein schlichtes passives Korrelat. Das „Ich denke" beinhaltet vielmehr eine entscheidende reflexionstheoretische Bedeutung. Im Gedanken „Ich denke" unterscheidet10 sich das Denken von allen seinen konkreten Gedanken und weist hierdurch nach, dass es als Denken gegenüber den jeweiligen Gedanken eine invariante, selbige Funktionalität darstellt. Genau betrachtet, wird im „Unterscheidungsgedanken" des „Ich denke" bewusst, dass Denken immer wieder erneut durch Gedanken erfüllt werden kann, dass es also eine potentiell unendliche Funktionalität 11 gegenüber den konkreten Gedanken ausübt. Diese funktionale Invarianz stellt in sich keine „Punktualität" dar, sondern vielmehr den Inbegriff logischer Prinzipien, der bei allen Gedanken invariant bleibt. Besagte „logische Invarianz" schreibt einzelnen Gedanken eine Formalbestimmtheit vor, die sie erfüllen müssen, sollen sie überhaupt einzelne, gültige Gedanken sein können. Die wichtigsten Prinzipienmomente des Denkens sind die Urteilsfunktionen. Auf der Basis dieser Überlegungen geht nun Kant sozusagen ein intentionalitätstheoretisches Licht auf. Jede meinende Bestimmtheit12 ist nur bestimmt, indem sie eine andere Bestimmtheit meint, die sie gerade nicht selbst ist. Keine Bestimmtheit meint sich selbst. Wenn nun die Urteilsformen die meinende Bestimmtheit des Denkens selbst sind, so können diese nur bestimmt sein, indem sie eine andere Bestimmtheit als sich selbst meinen. Bekanntlich drückt sich die hypothetische Urteilsfunktion, die ein Moment der Eigenbestimmtheit des Denkens ist, in der „Wenn-dann-Urteilsform" aus. Kant meint nun, dass diese Urteilsfunktion qua Urteilsform nur dann bestimmt sein könne, wenn sie grundsätzlich von sich aus objektiv-gegenständliche Strukturen (= Gemeint-Sein) intendiere, was in diesem Falle bedeutet, dass die hypothetische Urteilsfunktion nur dann letztbegründet und bestimmt ist, wenn sie ursprünglich kausale Ge-

10 Vgl. hierzu auch Johann Heinrich Königs hausen: Kants Theorie des Denkens, Amsterdam 1977, z. B. 70-80, bes. 170 und 172. 11 Vgl. zum Verständnis der Prinzipien als Funktionalitäten: Hans Wagner: Philosophie und Reflexion, z. B. 99-131 und vgl. zum Problem der Konkretisierung der Funktionalitätsgeltung: Werner Flach: Negation und Andersheit, München/Basel 1959, z. B. 50 und besonders die Schrift: Zur Prinzipienlehre der Anschauung, Hamburg 1963. 12 Vgl. Konrad Cramer: Descartes antwortet Caterus. Gedanken zu Descartes' Neubegründung des ontologischen Gottesbeweises, in: Kemmerling/Schütt (Hrsg.): Descartes nachgedacht, Frankfurt/Main 1996, z. B. 143.

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genstandsstrukturen intendiert. Diese Urteilsfunktion wird also rücksichtlich ihres „Anderes-Meinens" zur Kausalkategorie, die Objektivität nur kausal meinen kann. Ebenso ist die Struktur des kategorischen Urteils nur dann in ihrer Bestimmtheit letztbegründet, wenn dieses ursprünglich Gegenständliches meint, das als substantial/akzidentiell strukturiert ist. Diese Urteilsfunktion wird also rücksichtlich ihres „Anderes-Meinens" zur Substanzkategorie, die Objektivität nur substantial strukturiert meinen kann. Es ist somit die Pointe Kants, dass die Anwendung einer Urteilsform auf bloße Gedankendinge nur einen derivativen Modus einer objektiv gültigen kategorialen Anwendung dieser Urteilsfunktionen darstellen könne. Die Urteilsfunktionen sind nur ursprungsbestimmt in der Eigenbestimmtheit des Denkens, wenn sie von sich aus schon ein Gemeint-Sein (das Gemeint-Sein) objektiver Gegenständlichkeit intendieren. Ihre Anwendung auf Gedankendinge, Wahrnehmungsurteile etc. ist ein abgeleiteter Gebrauch, der die diesen Urteilsfunktionen inhärente Ursprungsreferenz schon voraussetzt. Es gilt in diesem Zusammenhang zwischen Prätention und „Gemeint-Sein" zu unterscheiden. Worauf die Urteilsfunktionen notwendig ihrer Prätention nach ursprünglich referieren, ist das nichtkonstituierte Sein. Was sie jedoch in der Referenz auf das nichtkonstituierte Sein wirklich meinen, ist das GemeintSein. Nichtkonstituiertes Sein und Gemeint-Sein sind streng zu unterscheiden. Das Gemeint-Sein ist Sinn und nur Sinn. Das nichtkonstituierte Sein ist für das Denken gänzlich ohne Bestimmung, mithin sinnlos. Wenn also die eigenbestimmten Urteilsfunktionen des Denkens nur bestimmt sind, wenn Denken auf das nichtkonstituierte Sein seiner Prätention nach referiert, es in dieser Referenz aber nur das Gemeint-Sein wirklich und bestimmt meinen kann, dann gilt: Denken kann das nichtkonstituierte Sein niemals direkt meinen, sondern nur indirekt, indem es direkt das Gemeint-Sein meint. Das Gemeint-Sein entspricht dem von uns schon eingeführten Terminus Kants des „Begriffs vom transzendentalen Gegenstand". Was Kant begriffen hat, ist die prinzipienlogische Tatsache, dass die Referenz auf das nichtkonstituierte Sein dem Denken nicht passiv aufgezwungen wird, sondern dass es sich aus sich heraus auf das leere, nichtkonstituierte Sein beziehen muss. Um aber seine genuine Eigenbestimmtheit und Prinzipienverfasstheit als endliches Denken zu wahren (bzw. allererst zu konstituieren), muss es das nichtkonstituierte Sein in einer seiner Eigenbestimmtheit angemessenen Weise intendieren. Diese Weise besteht in der Erzeugung des Gemeint-Seins (= Begriff vom transzendentalen Gegenstand) - besteht also in der Konstitution des konstituierten Seins der objektiven Gegenständlichkeit. Nur in der direkten Intention des Gemeint-Seins der objektiven Gegenständlichkeit kann das Denken indirekt zugleich auf das nichtkonstituierte Sein referieren, das ihm als solches immer leer und unbestimmt bleiben muss. Endliches menschliches Denken bezieht sich also in einer seiner Eigenbestimmtheit angemessenen Weise auf das nichtkonstituierte Sein, indem es mit dem Gemeint-Sein objektiver Gegenständlichkeit eine Teilwirklichkeit im „Möglichkeitsraum möglicher Wirklichkeiten" konstituiert, die nur für diese Eigenbestimmtheit gültig und verfügbar ist.

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Wir betonen noch einmal, dass die Korrelatfunktion des nichtkonstituierten Seins nicht bedeutet, dass dieses einen Sinn, eine Bestimmung oder gar Gegliedertheit aufwiese - schon gar nicht bedeutet sie, dass Denken eine solche erfassen könne. Es geht hier nur um jenes X, das als sinnlimitierend indirekt in jeder direkten Intention auf das Gemeint-Sein mitgemeint wird. Das Denken erzeugt das Gemeint-Sein funktional als die Unbestimmtheit, die als Unbestimmtheit bestimmt ist, auf die es sich als identischen Repräsentanten alles nichtkonstituierten Seins bezieht. Denn genauso wie das Denken (=Ich denke) ohne die es erfüllenden Gedanken unbestimmt ist und in der Reflexion, in der das Denken sich von allen konkreten Gedanken unterscheidet, als unbestimmt bestimmt gefasst wird, ist auch das Gemeint-Sein nur als Unbestimmtheit bestimmt, sofern es von allen konkreten Gemeint-Seins [=konkreten Gegenständen] unterschieden wird. Offenkundig sind die bestimmten Unbestimmtheiten der isolierten Eigenbestimmtheit des Denkens (Apperzeption) und des isolierten Gemeint-Seins von anderer Qualität als die völlige Unbestimmtheit des nichtkonstituierten Seins. Denn bei den beiden ersteren ist die Unbestimmtheit notwendig komplementär zur durchgängigen internen prinzipienfunktionalen Bestimmtheit. Es geht hier genau gesagt um den Sinn eines Prinzipienverhältnisses. Wir sagten vorhin, dass das Denken eine unendliche Funktionalität sei, die mit ihren Prinzipien eine potentiell unendliche13 Anzahl konkreter Gedanken prinzipiieren könne. Die Eigenbestimmtheit des Denkens beinhaltet einerseits dessen vollständige Bestimmtheit durch alle seine Prinzipienmomente. Denn nur, wenn das Denken durchgängig durch seine erkenntniskonstitutiven Prinzipienmomente bestimmt und konstituiert ist, kann es im Erkennen eine Begründungsfunktion wahrnehmen. Diese funktionale Bestimmtheit erweist sich jedoch komplementär als Unbestimmtheit, wenn Denken in seiner externen Prinzipienfunktion für konkrete Gedanken betrachtet wird. Denn das Prinzip Denken muss eben prinzipiell eine potentiell unendliche Anzahl von Gedanken prinzipiieren können und kann mitnichten auf eine bestimmte Anzahl von Gedanken festgelegt sein. Dieses „Immer-wieder-als-Prinzip-fungieren-Können" stellt die prinzipientheoretische funktionale externe Unbestimmtheit des Prinzips Denken dar, die der Gegenpart zu dessen durchgängiger interner Bestimmtheit als Prinzip ist. Nur erfüllt durch seine Prinzipiate (=die konkreten Gedanken) ist das Denken als gründendes Prinzip bestimmt - und seine internen Prinzipienmomente erlangen überhaupt erst ihre Prinzipienbedeutung. Unterscheidet Denken sich andererseits, sofern es in der Prinzip-Prinzipiatsrelation steht, von seinen Prinzipiaten, um seine prinzipientheoretisch funktionale Invarianz auszuweisen, so artikuliert es sich als bestimmte Unbestimmtheit, da es sich dann als eine Prinzipieninstanz

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Vgl. zu diesen Ausführungen Hans Wagner. Philosophie und Reflexion, z. B. 99131 und vgl. Werner Flach : Fichte über Kritizismus und Dogmatismus, in: Zeitschrift lür Philosophische Forschung 18 (1964).

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fasst, die, in sich notwendig durchgängig bestimmt, immer wieder erneut Prinzipiate (Gedanken) unbestimmter Anzahl zu konstituieren vermag. Ähnlich ist die Lage bei dem Gemeint-Sein. Auch dessen Begriff und das hieraus resultierende Gemeint-Sein sind intern durchgängig als Prinzip qua Inbegriff notwendiger Synthesisfunktionen bestimmt. Und doch ist das aus dem „Begriff 4 resultierende Gemeint-Sein zugleich extern unbestimmt, wenn das Prinzip GemeintSein auf die potentielle Unendlichkeit seiner Anwendungsfähigkeit auf konkrete Gemeint-Seins (=konkrete Gegenstände) betrachtet wird. Denn der Begriff des transzendentalen Gegenstandes erlaubt eine potentiell unendliche Konkretisierung des Gemeint-Seins in konkrete Gemeint-Seins qua konkrete Gegenständlichkeit. Unterscheidet das Denken nun das Ursprungs-Gemeint-Sein von den konkreten Gemeint-Seins, um dessen prinzipientheoretische funktionale Invarianz auszuweisen, so artikuliert es das Gemeint-Sein als bestimmte Unbestimmtheit, da es den Begriff dieses Gemeint-Seins als Prinzipieninstanz fasst, die notwendig in sich durchgängig bestimmt, immer wieder erneut Prinzipiate (konkrete Gegenständlichkeit) unbestimmter Anzahl zu konstituieren vermag. Diese potentielle funktionale Unbestimmtheit des Gemeint-Seins kann nun vom Denken als invarianter Repräsentant der sinnlimitativen völligen Unbestimmtheit des „nichtkonstituierten Seins" aufgefasst werden - mithin als die konstituierte und damit spezifisch ektypisch-menschliche partielle Wirklichkeits - und Seinsdimension. Wir haben bis jetzt im Grunde eine intentionalitätstheoretische Variante der Flach-Wagnerschen Prinzipienlehre auf Kants Gnoseologie bezogen14. In Hinsicht auf Kants Problemexposition könnte die „Flach-Wagnersche Prinzipienlehre" so beschrieben werden: Das Prinzip (die Eigenbestimmtheit des Denkens) ist nur bestimmt, sofern es durch das Prinzipiat erfüllt wird, das es selbst zum Zwecke seiner Bestimmtheit begründet und in Bestimmtheit erzeugt. Das Prinzipiat ist das Gemeint-Sein, die objektive Gegenständlichkeit. Das Prinzipiat ist der Inbegriff der aus den Urteilsfunktionen erzeugten von sich aus bereits objektive Gegenständlichkeit prätendierenden Kategorialität. Es ist der Begriff \om transzendentalen Gegenstand. Die Eigenbestimmtheit kann sich ihre Bestimmtheit als Prinzipienfunktion also dadurch autark erzeugen, indem sie das Gemeint-Sein (das Prinzipiat) erzeugt. Das Ursprungsprinzipiat (wie wir es nennen wollen) fungiert nun aber seinerseits als derivatives Prinzip gegenüber den konkreten Prinzipiaten, also gegenüber besonderer und konkreter Gegenständlichkeit. Denn konkrete Gegenständlichkeit ist nichts anderes als eine funktionale Konkretisierung des Prinzipiats (des Gemeint-Seins = des Begriffs vom transzendentalen Gegenstand = der objektiven Gegenständlichkeit = des konstituierten Seins), das zugleich als sekundäres Prinzip fungiert. Die Mög-

14 Vgi. Hans Wagner: Philosophie und Reflexion, 99-131 (bes. 127) und vgl. Werner Flach: Fichte über Kritizismus und Dogmatismus.

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lichkeit dieser Konkretisierung jedoch kann aus der Eigenbestimmtheit des Denkens nicht mehr erklärt werden. Das Ursprungsprinzipiat ist somit ein noch defizitäres Prinzipiat. Es ist isoliert betrachtet nicht das Funktionsprinzipiat. Für das Funktionsprinzipiat sind zusätzlich Konkretisierungsprinzipien erforderlich, die nicht der Eigenbestimmtheit des Denkens entstammen. Gemeint sind natürlich die reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit, die Prinzipien der Eigenbestimmtheit der „Sinnlichkeit" darstellen. Letztlich ermöglichen die Prinzipien der Sinnlichkeit allererst die Fähigkeit des Denkens, sich in konkrete Gedanken zu besondern. Die Anschauungsformen sind gleichermaßen Vereinzelungs- und Vermannigfaltigungsprinzipien. Indem sie die empirische Konstante vermannigfaltigen, präsentieren sie dem Denken verschiedene, in räumlichzeitlichen Strukturen vermannigfaltigte Vorstellungen. Diese kann das Denken indirekt auf das leere nichtkonstituierte Sein beziehen, indem es diese pluralen sinnlichen Vorstellungen durch Integration in das Gemeint-Sein zu konkreter Gegenständlichkeit formt. Es wäre eine Fehldeutung des kantischen Begriffs von Anschauung, wenn man die Mannigfaltigkeit empirischer Daten als Faktum begreifen wollte. Vielmehr ist die Vermannigfaltigung der empirischen Konstante bereits eine Leistung der Anschauungsformen. Mannigfaltigkeit ist bereits eine Leistung der transzendentalen Subjektivität. Nun ist Mannigfaltiges überhaupt als Mannigfaltiges nur verständlich, wenn es in einem Bezug zu Identität steht, wenn es in Hinblick auf ein Identitätsmoment geordnet wird. Denn Mannigfaltiges kann grundsätzlich niemals isoliert als Mannigfaltiges begriffen werden: Mannigfaltiges ist nur als Element einer komplexen Struktur als Mannigfaltiges identifizierbar - als Mannigfaltiges einer synthetischen Einheit. Die Relation Mannigfaltiges - Identität, die Verfasstheit also, dass Mannigfaltiges gemeinsam auf ein Identitätsmoment bezogen ist, stiftet deshalb allererst den Sinn von Mannigfaltigkeit, indem sie das Mannigfaltige überhaupt erst als bestimmtes Mannigfaltiges einer komplexen Struktur erfahrbar macht. Mannigfaltiges in diesem Sinne ist als von den Prinzipien der Sinnlichkeit erzeugte funktionale Unbestimmtheit15 zu begreifen, da es der Ordnungskraft des Denkens immer wieder möglich ist, neue Relationen des Mannigfaltigen zu bestimmen. Die Prinzipien der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) sind im Verständnis Kants Vermannigfaltigungsprinzipien 16, die die empirische Konstante vermannigfalti-

15 Die funktionale Unbestimmtheit eines an ihm selbst bestimmten Prinzips findet sich auch auf der Ebene der Prinzipien der Sinnlichkeit selbst. Denn auch die bloße Fähigkeit, bestimmte räumlich-zeitliche Vorstellungen immer wieder erneut in größere Raum-Zeitkontexte „potentiell unendlich" einordnen zu können, artikuliert eine funktionale Unbestimmtheit. Die formale Anschauung des Raums und der Zeit ist als nichts anderes zu werten als die reflexive und konstitutive Eigenschaft des Prinzips, von seinen Prinzipiaten unterschieden gefasst werden zu können. Freilich sind hierfür die Kategorien der Quantität unabdingbar. 16 Peter Baumanns scheint eine ähnliche Sicht auf die Funktion der Prinzipien der Sinnlichkeit anzunehmen. Siehe Peter Baumanns: Transzendentale Deduktion der Kate-

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gen. Aber diese Mannigfaltigkeit, die von den Prinzipien der Sinnlichkeit erzeugt wird, ist als solche noch keine echte Mannigfaltigkeit, da diese Mannigfaltigen (ohne Bezug zur Identität betrachtet) gegeneinander isoliert wären. Die Prinzipien von Raum und Zeit erzeugen also nur Mannigfaltigkeit, sofern sie schon immer in der Relation zur Identität der Apperzeption stehen. Wir haben also folgende Prinzip-Prinzipiatsrelationen zu konstatieren: i)

Die Eigenbestimmtheit des Denkens in den Urteilsfunktionen erzeugt zum Zwecke der Möglichkeit, eine funktional bestimmte Eigenbestimmtheit zu sein, das Urprinzipiat des Denkens, das Gemeint-Sein (= Begriff vom transzendentalen Gegenstand der A-Deduktion).

ii) Die Invarianz des Denkens ist nur konstatierbar in Bezug zur Vielheit - zur Vielheit der konkreten Gedanken, die das Denken funktional erfüllen. Wir haben aber gesehen, dass die Besonderung in viele konkrete Gedanken allein durch das Denken selbst nicht mehr gelingen kann. iii) Die Invarianz des Denkens konstituiert sich somit ursprünglich erst in Relation zur Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit, die durch die Anschauungsformen erzeugt wird. Diese Relation ist die Relation von Eigenbestimmtheit des Denkens und Eigenbestimmtheit der Sinnlichkeit. Sie ist die Urrelation von Prinzipien des Denkens und Prinzipien der Sinnlichkeit, die sich als Relation von Identität(ssinn) und Mannigfaltigkeit(ssinn) fassen lässt. iv) Die Apperzeption des Denkens ist insbesondere invarianter Inbegriff der Urteilsfunktionen - Inbegriff der Sinnlichkeit ist der innere Sinn mit seiner Zeitform, da nach Kant alle Vorstellungen des äußeren Sinns auch Vorstellungen des inneren Sinns sind. v)

Die Prinzipien-Relation von (Identität der) Apperzeption und Form (!) des inneren Sinns erzeugt nun nach § 18 der B-Deduktion das Funktionsprinzipiat der objektiven synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Sinnlichkeit überhaupt, das man als eine von Kant nunmehr vorgenommene Präzisierung und Transformation des Begriffs vom transzendentalen Gegenstand (der A-Deduktion) verstehen kann. Alle konkreten, notwendig sinnlich bedingten Gegenstände stellen funktionale Konkretionen des FunktionsPrinzipiats dar. Jeder konkrete sinnlich-bedingte objektive Gegenstand stellt eine Konkretion der objektiv-synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt dar. Jedes konkrete gegenstandsreferente und mithin geltungsdifferente Urteil erzeugt eine Spezifikation der objektivsynthetischen Einheit überhaupt.

gorien bei Kant und Fichte, in: Hammacherl Mues (Hrsg.): Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1979, z. B. 56 f f

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vi) Erst vermittels des Fungierens des Funktionsprinzipiats als abgeleitetes Prinzip kann sich das Denken in seinen Urteilen zu konkreten, es erfüllenden Gedanken besondern. Erst die Urrelation zur Sinnlichkeit ermöglicht also die Konkretion des Denkens zu Gedanken, sodass im Sinne Kants eine isolierte Theorie des Denkens der Gedanken nur einen nachgeordneten Status haben kann. 17 Der äußere und der innere Sinn ermöglichen allererst die funktionale Konkretisierung des erkennenden Subjekts in konkrete erkennende Subjekte derart, dass jedes aufgrund des Fungierens der Anschauungsformen vereinzelte Subjekt dennoch immer zugleich als das erkennende Subjekt fungieren muss. Der äußere Sinn stellt Mannigfaltiges als im Raum außerhalb des Leibes befindlich vor und bereitet damit die Möglichkeit vor, dass das Denken in seinen Gedanken einen Gegenstand als unabhängigen „objektiven" Gegenstand im äußeren, den Leib umgebenden Raum intendieren kann. Der äußere Sinn stellt Gegenstände im Raum und damit außerhalb des konkreten Subjekts befindlich vor, er stellt aber keine bloßen Vorstellungen von äußeren Gegenständen vor. Ein Vorstellen des Vorstellens ist etwa gegeben18, wenn ich z. B. Daumen und Zeigefinger vor meine Augen halte und dabei bemerke, dass das Bild des Hauses gegenüber zwischen meine beiden Finger passt. In der normalen Erkenntnissituation erfassen wir jedoch stets in etwa die Größe, in der sich ein konkreter Gegenstand zu der Größe unseres Leibes verhält. Allerdings sind hierfür unabdingbar insbesondere auch die Kategorien der Relation vonnöten. Mittels der Substanzkategorie wird zu der äußerlich im Raum vorgestellten Mannigfaltigkeit ein äußerer Gegenstand hinzugedacht. Die Kausalkategorie ermöglicht allererst objektive Zeitverhältnisse von äußeren Gegenständen. Denn nach Kants Lehre vom inneren Sinn sind alle subjektiven Vorstellungen stets zeitlich sukzessive, auch wenn das mit diesen Vorstellungen intendierte Objekt in seinen Teilen gleichzeitig in der Zeit existiert. Die Wahrnehmungen aller Teile eines Hauses (Rück- und Vorderseite) sind stets sukzessiv - dennoch meinen diese Vorstellungen ein Objekt, dessen Teile gleichzeitig in der Zeit koexistieren. Die Vorstellung dieser Gleichzeitigkeit ermöglicht die Substanzkategorie. Nach dieser Durchsicht durch einige Grundelemente der kantischen Erkenntnislehre sollte deutlich geworden sein, dass menschliches Erkennen kraft der Eigenbestimmtheit seines endlichen Denkens und kraft der spezifischen Eigenstrukturierung seiner komplementären Prinzipien der Sinnlichkeit seine gültige Partial-Wirklichkeit durchgängig in ihrem Sinn autark konstituieren kann. Das

17

Vgl. hierzu den in Fußnote 2 angeführten Aufsatz von Werner Flach. Vgl. Reinhard Hiltscher. Der ontologische Gottesbeweis als kryptognoseologischer Traktat, Hildesheim 2006, 266 f. 18

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Ding an sich in seiner „transzendenten Bedeutung" ist den Erfordernissen der praktischen Philosophie geschuldet - und wird um der Einheit beider Systemteile willen als Terminus auch in Kants Gnoseologie im engen Sinn verwendet. Doch kann man den Versuch unternehmen, die als isoliert genommenen Erfordernisse der kantischen Gnoseologie ohne affektierendes „Ding an sich" darzulegen. Ohne den von mir verwendeten Terminus des „nichtkonstituierten Seins" käme man jedoch nicht aus. In der „isolierten Gnoseologie" entspricht dem „Ding an sich" das nichtkonstituierte Sein. Wir haben bereits gesehen, dass dieses nur als indirektes Korrelat des konstituierten Seins objektiver phänomenaler Gegenständlichkeit verstanden werden kann. Weder ist es ein objektiver Gegenstand etwa im Sinne des Prauss'schen19 empirischen Dinges an sich selbst (bei dem man von der Perspektivität seiner jeweiligen zufälligen Wahrnehmungspräsentationen absieht), noch ist der Begriff des Dings aus der Perspektive der isolierten Gnoseologie heraus legitimiert. Das nichtkonstituierte Sein ist, von der Perspektive des konstituierten Seins aus betrachtet, jenes X, das für das Faktum steht, dass menschliche Erkenntnis nur gegenständliches Sein erkennt, es aber nicht erschafft. Es bedeutet das Nichtaufgehen gegenständlichen Seins in der Konstitution. Aus der Perspektive der engeren kantischen Gnoseologie kann man jedoch nicht sagen, dass dieses X ein Ding sei, denn dann müsste man es ja schon halbwegs bestimmt strukturiert denken. Da es also im eigentlichen Sinne kein Ding ist, ja völlig unbestimmt ist, „was es ist", so kann man auf es sowieso keine Kategorien anwenden, schon gar nicht die Kausalkategorie. Auch kann man nicht sagen, dieses X existiere oder sei wirklich. Denn hierfür wären bereits - wir erwähnten dies schon - die Modalkategorien erforderlich. Wirkliches Sein gehört uneingeschränkt in den Begriff konstituierten Seins objektiver Gegenständlichkeit. Man kann somit dieses X, dessen indirekte Korrelatfunktion die dem Denken nicht verfügbare Differenz von Schöpfung und Erkennen indiziert (und das nur indirekt von der Basis konstituierten Seins aus als dieses limitierende Sinngrenze mitintendiert werden kann), nur als nichtkonstituiertes Sein bezeichnen, das nicht existiert (wenn Existenz in den Sinnbegriff konstituierten objektiven Seins gehört). Wenn nach Kant die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis darin begründet liegt, dass dem Menschen im empirischen Mannigfaltigen der Anschauung der Gegenstand als zu bestimmender Gegenstand allererst gegeben werden muss, dass das empirische Mannigfaltige also unverfügbar sei, so ist das X jenes nichtkonstituierten Seins das Korrelat jener empirischen Konstante20. Die Korrelation auf der Ebene der internen Gnoseologie ist aber keinesfalls eine 19

Vgl. hierzu folgende vorzüglichen und noch immer einschlägigen Arbeiten von Gerold Prauss: Erscheinung bei Kant, Berlin 1971, z. B. 25-38 und besonders: Kant und das Problem der Dinge an sich, Bonn 1974. 20 Denn deren Vermannigfaltigung ist ja auch schon eine Leistung der Subjektivität qua Anschauungsformen!

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kausale, eben w e i l dieses X mangels Bestimmtheit weder als D i n g und noch gar als Gegenstand gefasst werden kann. N u r dann dürfte man überhaupt an die Anwendung von Kategorien denken. Die Korrelation ist auf der Ebene der internen Gnoseologie nichts anderes als die limitative Disjunktion von Sinn und Nichtsinn. Da ausschließlich endliches Denken unter enger gnoseologischer Betrachtung Sinn produziert, der Gegenstand aber unter endlichen Bedingungen nicht i m Sinn aufgeht, muss das Nichtsinnrelat nichtkonstituierten Seins indirekt mitkorreliert werden. Aber w i r betonen noch einmal: Nichtkonstituiertes Sein hat nichts mit „Existenz" oder „ W i r k l i c h k e i t " als Kategorien zu tun - und ohne Anwendung bzw. Anwendbarkeit von diesen kann man nichts als wirklich oder existent denken. Nichtkonstituiertes Sein ist jenes die Sinnproduktion unseres Denkens Limitierende 2 1 , das uns zu erkennenden, aber nicht göttlichen Wesen macht. Als D i n g an sich 2 2 kann jenes nichtkonstituierte Sein erst dann legitim

21 Die Sprache hat hier Grenzen. Die Suggestion unserer Sprache darf nicht dazu verführen, das Limitierende als Ding zu denken. 22 Rober Hanna (Kant and the Foundations of Analytic Philosophy, Oxford 2001) schreibt (111): „Again, more precisley put, Kant holds that every pure concept of the unterstanding is such that it can be used either (a) merely to think the generic object = X transcendently as a noumenal object, or (b) to think the generic object = X immanently as a phenomenally possible or actual object via the sensory data contributed by human intuition. Thus noumenal objects logically possibly can have being (but are completely uncognizable), and phenomenal objects really possibly or actually exist (and are indeed cognizable). [...] The Two-Concept Theory retains from the Two-Object Theory the idea that we are compelled by our cognitive constitutions to think (but never cognize in the strict sense) ontologically distinct noumenal objects; yet it also retains from the Two-Aspect Theory the idea that Kant makes only one definite or assertoric ontological commitment." Zunächst ist Hannas „Two-Concept Theory" keineswegs neu, sondern vielmehr ein „sehr alter Hut". So schreibt Rudolf Zocher schon 1959 (Kants Grundlehre. Ihr Sinn, ihre Problematik, ihre Aktualität, Erlangen, 31 f.): „Das Ding an sich kann also als Substanz an sich auch unter objektiv-transzendentalen Gesichtspunkten jedenfalls so weit als ansetzbar zugestanden werden, als man der Leitfadenlehre einen tragbaren Sinn einräumt und man weiter bedenkt, daß hierbei [...] die reinen ,Verstandesbegriffe 4 von der für ihre Konstitution des Gegenstandes möglicher Erfahrung allerdings notwendigen, im Schematismus ausdrücklich [...] entwickelten apriorischen Verbindung mit den reinen Anschauungsformen gelöst und für sich betrachtet werden können und dann Begriffe möglicher ,Gegenstände überhaupt ' darstellen, wofür Kant ,Dinge überhaupt' oder [...] ,Dinge an sich' sagt. In diesem Sinne ist es also durchaus möglich, ,Dinge an sich' zu denken und zwar nicht nur in einem vagen Sinne als logisch vorstellbar anzunehmen, sondern in einem objektiv-transzendentalen Sinne [...]. So gefaßt ist der Begriff des ,Dinges an sich' verschieden von dem des ,Nooumenon' [...] so fein auch die Nuance der Unterscheidung sein mag: Mit dem Begriff des ,Nooumenon' verbindet sich in jedem Falle bei Kant [...] der Gedanke an eine übersinnliche Erkenntnisart, sei sie als möglich, sei sie als unmöglich vorausgesetzt; davon emanzipiert sich der Ding-an-sich Begriff eben noch. Bei ihm handelt es sich [...] um eine transzendentale Konzeption, die [...] durch den Begriff der unschematisierten Kategorie legitimiert ist." Abgesehen davon, dass Hanna den Begriff der „Dinges an sich" nicht von dem des Noumenons unterscheidet, kommen Zocher und er zu nahezu identischen Ergebnissen. Zocher hat nun darin recht, dass das Noumenon innerhalb der theoretischen Philosophie nur ein „problematischer Begriff' für Kant ist. Das „Ding an sich" ist jedoch ein notwendiges Be-

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bezeichnet werden, wenn schon der Übergang in die praktische Philosophie vollzogen ist und deren Primat affirmiert wird. V o m Primat der praktischen Philosophie aus betrachtet, kann man Hanna 2 3 nur zustimmen, dass dann die Relation von „Erscheinung" und „ D i n g an sich" im Sinn der Freiheitskausalität gedacht werden muss. Denn für Kant ist Kausalität aus Freiheit eine widerspruchsfreie Denkmöglichkeit, deren Realmöglichkeit im praktischen Feld zu erweisen ist. Theoretisch ist es zumindest denkmöglich, dass die Wirkungen der selbst nichterkennbaren intelligiblen Ursache in der Escheinungswelt „auftreten". In den §§16 bis 17 der „ K r i t i k der reinen Vernunft" spricht Kant von einem Verstand, der sich i m Gegensatz zum menschlichen seine Mannigfaltigkeit selber gebe - und somit ein anschauender Verstand sei, bei dem Prinzipien der Anschauung und Prinzipien des Denkens in eine Einheit vermittelt seien. In der dritten K r i t i k gibt Kant uns einige weitere Erläuterungen zu diesem „anschauenden Verstand". „Nun können wir uns aber auch einen Verstand denken, der nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom Synthetisch-Allgemeinen (der Anschauung eines Ganzen, als eines solchen) zum Besonderen geht, d. i. vom Ganzen zu den Teilen; der also und dessen Vorstellung des Ganzen die Zufälligkeit der Verbindung der Teile nicht in sich enthält, um eine bestimmte Form des Ganzen möglich zu machen, die unser Verstand bedarf, welcher von den Teilen, als allgemein-gedachten Gründen, zu verschiedenen darunter zu subsumierenden möglichen Formen, als Folgen, fortgehen muß." (V/525) Beim anschauenden Verstand ist das Ganze nicht etwa bloß gegeben, sondern durch die Prinzipieneinheit von Anschauungsprinzipien und Verstandesprinzipien sogar erzeugt, so dass mit der Bestimmtheit der ganzen GesamtVorstellung auch schon deren Teile vollständig bestimmt sind. In bestimmungslogischer Absicht kann man sagen: Aufgrund der Trennung der Prinzipien der standsstück von Kants Gnosoelogie. So gut durchdacht Zochers geltungstheoretisch orientierte Interpretation der Termini „Ding an sich", „transzendentaler Gegenstand" und Noumenon sein mag, so berücksichtigt er doch nicht hinreichend die dezidiert sinnlimitative (aber dennoch erkenntnisnotwendige) Funktion des „Dinges an sich", die Kant allerdings auch nicht immer in wünschenswerter Deutlichkeit präsentiert. Im isoliert betrachteten gnoseologischen Kontext ist und bleibt das „Ding-an sich" das sinnlimitierende „Nichtaufgehende". 23 Siehe Robert Hanna: Kant and the Foundations of Analytic Philosophy. Hanna schreibt (114): „But in saying that, Kant has not yet said just what sort of causal process he is talking about . [...] According to that solution, the very same phenomenal event in nature can be consistently and respectively thought under the two distinct concepts of causation, (1) as naturalistically and efficiently caused [...] by strictly law-governed earlier conditioned states of the empirical world, and (2) as spontaneously and non efficiently caused [...] by an unconditioned causal process that operates entirely outside spatiotemporal and sensible constraints. There is no inconsistency in Kant's doctrine of affection, precisley because the two concepts of causation involved are sharply different in meaning. The concept of «-causation is meaningfull or objectively valid, while the conception of s-causation is only thinly meaningfull or thinkable and not objectively valid."

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Sinnlichkeit von denen des Verstandes steht menschliches Erkennen auf dem Status der Bestimmtheit, aber auch der Unbestimmtheit, da jeder in der Anschauung gegebene Gegenstand allererst bestimmt werden muss. Die Anschauung gibt den Gegenstand als unbestimmten, aber doch bestimmbaren, der Verstand bestimmt diesen unbestimmten Gegenstand gegenständlich. Die intellektuelle Anschauung, die von der Bestimmtheit des Ganzen zu der hieraus resultierenden Bestimmtheit der Teile des Ganzen gehen kann, steht auf dem Status durchgängiger Bestimmtheit, sie hat Entstände, keine Gegenstände, wie Heidegger 24 sich auszudrucken beliebt. Aber auch hier ist eine Präzisierung hilfreich. Der anschauende Verstand ist nämlich nicht funktional deutbar. Wir sagten oben: Denken als Prinzip sei nur bestimmt, wenn es durch konkrete Gedanken erfüllt werde - sich in solche potentiell unendlich besondern könne. Die Möglichkeit der Besonderung in Gedanken ist aber beim Menschen nur möglich, sofern Denken qua Identität der Apperzeption schon immer in Relation zu der Mannigfaltigkeit verbürgenden Form der inneren Anschauung steht, die jedoch gänzlich unabhängig und unableitbar aus den Prinzipien des Verstandes ist. Diese Unabhängigkeit der Anschauungsform ermöglicht und erzwingt die angesprochene prinzipienlogische Sicht, der endliche Verstand sei nur als Prinzip bestimmt, wenn er konkrete Gedanken habe. Eine solche Differenz Denken - Gedanken ist beim anschauenden Verstand nicht gegeben, sondern im Grund ist er ein einziger, in sich intern strukturierter, vollständig bestimmter Denkanschauungsakt. Eine Folge von Gedanken gibt es bei ihm nicht. Nun hat Martin Heidegger diese Stellen dahingehend ausgelegt, als sei (nach Kant) das Relat der Intentionalität des intellectus originarius und das des intellectus ektypus wie die spezifisch menschliche Art von endlichem Verstand bei Kant genannt wird - identisch, nur dass die Unterschiedlichkeit der „Erkenntniskräfte" einen unterschiedlichen Zugang zu diesem Relat erzeugten 25. Dabei schwingt bei Heidegger die Vorstellung implizit mit, den intellectus originarius „bei Kant" (was ja auch der Terminus nahe legt) als Produzenten des „wahren Seins" auszulegen, die menschliche Erkenntnis aber als eine Seinsreferenz minderer Qualität zu werten, als Erscheinung eben. Es darf aber mit Recht gefragt werden, ob zumindest die intellektuelle Anschauung, die Kant in den §§16 und 17 in der „Kritik der reinen Vernunft" anführt, schon eine Exposition der Allmacht 26 Gottes sein könne. Ich glaube eher nicht. 27 Kant will uns mit der Konstruktion klarma24 Vgl. Martin Heidegger. Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt/Main (vierte, erweiterte Auflage) 1973, 30 f. 25 Vgl. Martin Heidegger , Kant und das Problem der Metaphysik, 31. 26 Stefan Klingner diskutiert in seinem außerordentlich instruktiven Aufsatz (in diesem Sammelband, 163-181) eindringlich die Frage, ob sich dem Terminus des anschauenden Verstandes wirklich ein guter systematischer Sinn abringen lasse. 27 Dies geht auch parallel mit Überlegungen Kants in der dritten Kritik, dass zur Erklärung der Naturzwecke nur ein sehr mächtiges, aber kein allmächtiges Wesen erforderlich sei.

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chen, dass der Sinn des Seins qua objektive Gegenständlichkeit ein reines Konstitut der endlichen und auch menschlichen Subjektivität sei. Nur für ein Wesen, das der Trennung von Anschauungsprinzipien und Verstandesprinzipien unterliegt, ist objektive Gegenständlichkeit qua objektive synthetische Einheit der einzige und unhintergehbare Sinn von Sein. Paradox formuliert: Objektive Gegenständlichkeit ist die „,subjektivste " Verfasstheit endlicher Vernunft - objektive raum-zeitlich strukturierte Wirklichkeit ist die subjektivste Verfasstheit der endlichen menschlichen Vernunft. Weil ein Beispiel für die Wirklichkeitsdimension einer anderen ektypischen Vernunft fast unmöglich dargelegt werden kann, bemüht Kant ex negativo zum Verständnis den intuitiven Verstand. In diesen Kontexten ist damit nicht sofort an eine Quasitheologie zu denken, sondern es soll gezeigt werden, dass der intuitive Verstand, wenn es ihn denn gibt, eine ganz andere Wirklichkeit konstituiert als ein ektypischer es tut. Und wenn man schon theologisch-metaphysisch argumentieren will, so gilt für den anschauenden Verstand: (a) Ein wirklich allmächtiger Verstand ist er nur dann, wenn er die Totalität aller möglichen Wirklichkeiten sinngebend umgreift. (b) Dies setzt mindestens voraus, dass unsere Wirklichkeit ein Teil der seinen ist. (c) Aber auch, wenn unsere Wirklichkeitsdimension ein Teil seiner Gesamtwirklichkeit ist, so liegen dennoch zwei unterschiedliche Wirklichkeitsformen vor. (d) Insofern aber zwei verschiedene mögliche Wirklichkeitsformen vorliegen, kann der anschauende Verstand nicht als Sinnkonstituent unserer spezifischen Wirklichkeit begriffen werden. Er ist zwar ein weitaus mächtigerer Verstand als der unsere - aber immer noch ein letztlich endlicher Verstand. Seine Welt ist nicht die unsere - und seine Welt wird damit von der unseren „begrenzt". (e) Zu einem allmächtigen Verstand avanciert er in den Augen Kants nur dann, wenn er als Ermöglichungsgrund des „höchsten abgeleiteten Gutes" reflektiert wird. Bezogen auf alle möglichen Ausprägungen von Rationalität, gibt es laut Kant eine Struktur, die allen nur möglichen Vernunftwesen gemeinsam ist. Diese Struktur konstituiert nicht nur eine Partialwirklichkeit, sondern einen, ja den Grundzug der Gesamtwirklichkeit. Nur bezogen auf diesen Sinnkontext totaler Wirklichkeit (namentlich in Relation auf das höchste abgeleitete Gut) kann sich der anschauende Verstand zur Allmacht mausern. Worauf es für unseren Kontext ankommt, ist Kants Sinn von endlicher Vernunft. Dieser lässt sich derart fassen: Die Eigenbestimmtheit einer Vernunft ist endlich, wenn diese eine Partialwirklichkeit konstituiert. Die Partialität resultiert aus der prinzipientheoretischen Faktizität der Funktion und Bedeutung der

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Prinzipienmomente einer möglichen Vernunft. Hanna und Grundmann 28 sprechen hierbei mit einigem Recht etwa von einer anthropologischen Komponente der menschlichen Erkenntnissituation. So lässt sich etwa bei der menschlichen Vernunft nicht mehr deduzieren, warum sie diese und keine anderen Urteilsfunktionen aufweist - bzw. warum die menschliche Sinnlichkeit durch die Formen von Raum und Zeit bestimmt ist. Andernfalls müsste die Struktur aus anderen Gründen deduziert werden, was allerdings den Gedanken einer autarken (selbst)konstitutiven Vernunft verunmöglichen würde. Diese prinzipientheoretische notwendige Faktizität der Eigenbestimmtheit der (menschlichen) Vernunft konstituiert aber eine ganz bestimmte Partialwirklichkeit aus dem Universum möglicher Partialwirklichkeiten. Die Eigenart des ektypischen Verstandes in der Trennung von Prinzipien des Denkens und Prinzipien der Anschauung fuhrt zu einer Partialwirklichkeit, deren Sinn von Sein objektive Gegenständlichkeit qua objektiv synthetische Einheit ist. Genauer gesagt konstituiert der ektypische (menschliche) Verstand diese Seinswirklichkeit - und konstituiert sich damit selbst zu deren Prinzip. Es reicht also zur Erklärung endlicher Vernunft keineswegs aus, auf die Vorgegebenheit des Gegenstandes zu verweisen. Diese Vorgegebenheit ist nur signifikant für die Endlichkeit vom Typ des ektypischen Verstandes. Der intuitive Verstand ohne „moralphilosophische Implikationen gedacht" ist aber genauso in die Konstitution einer Partialwirklichkeit eingezwängt, hat aber keinesfalls vorgegebene Gegenstände. Nur dann aber, wenn es der Vernunft, jeder Vernunft, inhärent ist, auch einen Bezug zur Totalität der möglichen Gesamtwirklichkeit zu gewinnen, kann relational zu dieser Gesamtwirklichkeit diese Gesamtwirklichkeit als ratio cognoscendi einer allmächtigen Vernunft verstanden werden. Erst vor diesem Hintergrund könnte der anschauende Verstand seine Endlichkeit überwinden.

II. Die Moralphilosophie Auch die Ethik Kants ist zunächst eine Theorie der endlichen selbstkonstitutiven Vernunft. Endliche praktische Vernunft ist selbstkonstitutiv, weil sie denjenigen Teilbereich der Wirklichkeit (endlicher Wesen) konstituiert, der der Differenz gut-böse unterliegt. Zumindest der Möglichkeit nach gibt es mit Gott ein Vernunftwesen, das der Wirklichkeit dieser Disjunktion nicht unterworfen ist. Letzte Geltung für die moralische Differenz von gut und böse hat das Sittengesetz nur dann, wenn es potentiell nicht nur für endliche Vernunftwesen oder gar nur für Menschen gilt, 28 Vgl. Robert Hanna: Kant and the Foundations of Analytic Philosophy, z. B. 89 und vgl. hierzu auch den Aufsatz von Thomas Grundmann: Was ist eigentlich ein transzendentales Argument?, in: HeidemannlEngelhard (Hrsg.): Warum Kant heute?, Berlin 2004.

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sondern nur dann, wenn es in die durchgängige Struktur der gesamten möglichen Wirklichkeit aller vernünftigen Wesen gehört - wenn es das Grundgesetz der Gesamtwirklichkeit relational zu aller Vernünftigkeit ist. Kant kleidet dies z. B. in die Metapher eines intelligiblen Vernunftreiches der Zwecke mit einem höchstvernünftigen Oberhaupt. Obwohl der Autonomiegedanke Kants von einer moralischen Selbstgesetzgebung des Menschen ausgeht, so ist die Geltung der Moral dennoch nur dann eine universale, wenn die Rationalität des Sittengesetzes die Totalität der Gesamtwirklichkeit umgreift - obwohl die Differenz gutböse andererseits durchaus nur für den Wirklichkeitsteilbereich endlicher Rationalität gilt. Der Mensch kann frei gut oder böse handeln, da er in seine Maxime zwei rationale Grundbestimmungen aufnehmen muss, die nicht rational koordiniert sind, die aber in jeder Maxime konfungieren. Dies ist die Faktizität der internen Relation der Eigenbestimmtheit praktischer Rationalität, die durch diese Faktizität eine Partialwirklichkeit konstituiert. Die beiden angesprochenen Rationalbestimmungen sind die instrumenteile Vernunft einerseits und eine Rationalität, die der Mensch mit allen evtl. vernünftigen Wesen teilen muss (auch mit Gott), andererseits 29. Die instrumenteile Zweckrationalität ist letztlich die Hauptwaffe der Gattung Mensch im Überlebenskampf. Anders formuliert, ist sie eine Rationalität, die es dem Menschen ermöglichen kann, seine Zwecke möglichst gut erreichen zu können. Der Grund für die Struktur und die Notwendigkeit dieser Rationalität weist zurück auf die Disposition des endlichen Verstandes. Da der Mensch nicht wie Gott seine Mannigfaltigkeit und Gegenstände in einer intellektuellen Anschauung hervorbringt, ist sein Wollen an den Zweckbegriff gebunden. Der Mensch setzt sich Zwecke vor, die er immer allererst durch Handeln realisieren muss. Die andere Seite der Medaille dieser „instrumentellen Gattungsrationalität" ist die individuelle „Glücksrationalität" des jeweiligen einzelnen Menschen. Die Differenz zwischen dem System seiner Zwecke, das der einzelne Mensch je individuell aufweist, und deren Realisierenwollen, das prinzipiell ein Erstrealisierenmüssen ist, kann man im Sinne Kants als Glücksstreben des Menschen bezeichnen. Weil laut Kant die individuellen inhaltlichen Glücksvorstellungen je unterschiedlich ausfallen, so ist „Glückseligkeit" allgemein betrachtet sozusagen als Formalzweck aufzufassen. Als Formalzweck bezeichnet Glückseligkeit einen Zustand, in welchem dem Individuum alles nach Wunsch und Willen gelänge. Da dieser Zustand aufgrund der nicht aufhebbaren Differenz Zweck „Handeln für Zwecke" prinzipiell nie erreicht werden kann, muss das Glücksstreben und die damit verbundene instrumentelle Rationalität in jede Maxime des Menschen unaufhebbar eingehen.

29

Vgl. zu der kantischen Bestimmung dieser beiden Rationalitäten auch Klaus Konhardt: Die Einheit der Vernunft. Zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft in der Philosophie Immanuel Kants, Meisenheim 1979, bes. 200-215.

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Die andere Rationalität ist nun die bereits angesprochene „vernunftübergreifende", die der Mensch mit allen anderen Vernunftwesen teilt. Es ist zunächst die Frage aufzuwerfen, wozu diese scheinbar überbordende Konstruktion nötig sei. Zunächst geht es Kant darum, den Sinn dieser „vernunftübergreifenden Rationalität" in der reinen Gesetzesform zu verorten. Denn, wenn es richtig ist, dass i) freie und autonome Willensbestimmung nur bedeuten kann, dass Vernunft ausschließlich den Willen bestimmt, ii) naturale Zwecksetzung letztlich immer der naturkausal determinierten Zeitbetroffenheit des konkreten Subjekts unterliegt und iii) natural bedingte Zwecksetzungsrationalität z. B. in den hypothetischen Imperativen immer eine Konkretion und Besonderung des universalen Vernunftsinns bedeutet, so folgt gut einsichtig, iv) dass Vernunft nur dann ausschließlich den Willen bestimmen kann, wenn sie nur durch ihren Sinn bestimmend fungiert, der vor jeder Konkretion in bestimmte Zweckstrategien liegt. Dieser genuine Sinn ist in den Worten Kants die reine Gesetzesform. Warum ist für Kant nun aber noch der Zusatz von entscheidender Bedeutung, alle Vernunftwesen, somit auch Gott, seien an das Sittengesetz gebunden? Zunächst könnte man diese Einlassung als Illustration dafür werten, dass die universale autonome Rationalität keine Zweckrationalität sei. Denn Gott setzt sich keine Zwecke. Wenn also das Sittengesetz auch für Gott gelten soll, so kann es eo ipso keine Zweckrationalität beinhalten. Lassen wir diese Problematik zunächst so stehen und skizzieren den Sinn endlicher praktischer Vernunft. Nur der Mensch kann gut oder böse frei handeln, da er beide RationalAnsprüche in seine Maxime aufnehmen muss und stets den einen zur Bedingung des anderen machen muss: Macht er in seiner Maxime das Glücksstreben zur Bedingung der Befolgung des Sittengesetzes, so handelt er nach einer bösen Maxime, macht er das Sittengesetz zur Bedingung des Glücksstrebens, so folgt sein Handeln einer guten Maxime. Gott kann damit evidenterweise nicht gut „handeln". Denn da er seinen Willen ausschließlich durch die reine, nichtinstrumentelle Rationalität bestimmt, also ein Wesen ist, das nicht nach allererst zu setzenden Zwecken zusätzlich noch streben muss, und somit auch keine instrumentelle Rationalität nötig hat, ist sein Wollen immer schon im Einklang mit dem Sittengesetz. Gottes Wille ist somit heilig 30 - aber nicht gut. Nur ein 30 „Die Heiligkeit ist die absolute oder unbeschränkte moralische Vollkommenheit des Willens. Ein heiliges Wesen muß nicht von der geringsten Neigung gegen die Moral afficiret seyn. Es muß ihm unmöglich seyn, etwas zu wollen, was den moralischen Ge-

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endliches Wesen wie der Mensch, das unter zwei nicht koordinierten Rationalitätsansprüchen steht, kann gut oder böse handeln - und nur für ein solches Wesen ist die reine Rationalität ein unbedingter Sollensanspruch. Bei einem Wesen aber, das nur durch Zweckrationalität bestimmt wäre, könnte das aus dieser Rationalität abgeleitete „Sittengesetz" nur eine bedingte Gültigkeit aufweisen. In der Sicht Kants ist die Zweckrationalität wegen ihrer individuellen Je-Partikularität kaum dafür geeignet, ein allgemeinverbindliches Gesetz zu gründen. Wenn überhaupt, könnte ein solches der Zweckrationalität entlehntes Gesetz nur eine ganz allgemeine Spielregel formulieren, die verhindert, dass Individuen einander in ihrem jeweiligen Glücksstreben behindern. Es wäre dann eine Spielregel dafür, das Glücksstreben der einzelnen Menschen optimal kompatibel zu halten. Vielleicht würde es aber auch Spielregeln formulieren, damit die Menschheit den Kampf ums Dasein nicht entscheidend verliert. Ein solches, der Zweckrationalität entlehntes Gesetz könnte aber folgende Problematik nicht mehr umgehen: i)

Da Gott der Zwecksetzungsrationalität nicht unterliegt, so gilt ein VernunftGesetz, das der Zwecksetzungsrationalität geschuldet ist, nicht für Gott.

ii)

Das Prinzip für gut und böse wäre somit nur eine „subjektive Notwendigkeit" der Gattung „Mensch". Denn obgleich Gott im Konzept Kants nicht unter der Disjunktion gut-böse steht, so teilt er im Verständnis Kants doch das Prinzip dieser Disjunktion (Sittengesetz) mit dem Menschen. Bei einem nur der Zweckrationalität entlehnten Gesetz wäre dies völlig anders.

iii) Da gut und böse somit nicht - wie in Kants Konzept - der Determination eines universalen Vernunftprinzips auf endliche Bedingungen geschuldet wären, sondern vielmehr ausschließlich Prinzipiate einer endlichen Vernunft wären, so wären - etwas metaphorisch gesprochen - gut und böse für Gott keine relevanten, anzuerkennenden Werte. Kant hat in der „Kritik der Urteilskraft" 31 aufgewiesen, dass der Mensch unter der subjektiv-gültigen , heautonomen Betrachtungsweise der teleologisch reflektierenden Urteilskraft als ein schlichtes Naturwesen, in keiner Weise aber als Endzweck der Naturordnung zu verstehen sei. Die Notwendigkeit einer einzelnen subjektiven Gattungsnorm hätte also im Reich der Naturordnung keine universal gültige und bindende Wirkung. Die Exposition der Moral als Funktion der Zweckrationalität fasste in den Augen Kants den Menschen ausschließlich setzen zuwider wäre. In solchem Verstände ist kein Wesen außer Gott heilig; denn jedes Geschöpf hat doch noch immer Bedürfnisse, und wenn es sie befriedigen will, auch Neigungen, die nicht allemal mit der Tugend zusammen stimmen. So kann also der Mensch nie heilig, wohl aber tugendhaft scyn, denn die Tugend besteht eben in der Selbstüberwindung[Vorlesungen über die philosophische Religionslehre, herausgegeben von Karl Heinrich Ludwig Pölitz , Wiederabdruck: Darmstadt 1982, 146]. 31 V/552 f.

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als Naturwesen - und Moral hätte nur eine partikuläre, gattungsrelative Bedeutung. Sie wäre ein Mittel für den bedingten Zweck der partikularen Gattung „Mensch" (nämlich für den Zweck von deren Überleben) - und da jeder Zweck der Natur wieder Mittel für einen anderen bedingten Naturzweck ist, hätte die Geltung der Moral nur einen äußerst bescheidenen Grad. Kants Problem besteht also darin, dass gut und böse einerseits ausschließlich Werte einer endlichen Vernunft sein können, dass andererseits gut und böse nur dann keine „subjektive Gattungsfiktion" sind, wenn das Sittengesetz für alle Vernunftwesen gilt, also das Grundgesetz einer intelligiblen Naturordnung ist. Kants Autonomiebegriff geht davon aus, dass ein Wille ausschließlich dann autonom sei, wenn er nur durch den ursprünglichen Sinn von Vernunft bestimmt werde, der noch vor der Konkretisierung in bestimmte Vernunftregeln liege - der Gesetzesform. Instrumentelle Vernunft bestimmt den Willen nicht durch die Gesetzesform selbst, mithin nicht ausschließlich durch die Eigenbestimmtheit der Vernunft. Vielmehr ist der Wille hier durch vorgegebene Zwecke bestimmt, für deren Einlösung Vernunft nur dienstbar gemacht wird, indem ihre Gesetzesform auf Zwecke hin (und durch diese Zwecke) besondert wird. Instrumentelle Vernunft ist keine eigenbestimmt-autonome Vernunft, sondern sie ist heteronome Vernunft. Um also die Unbedingtheit und Universalität der autonomen Willensbestimmtheit zu garantieren, muss sich autonome Vernunft durch den universalen Sinn von Vernunft bestimmen, der noch vor der Disjunktion endliche Vernunft - unendliche Vernunft liegt. Kants Problem mit diesem Ansatz liegt nun aber darin, dass er einerseits die universale Geltung des Sittengesetzes für alle Vernunftwesen annehmen muss der Ausweis der Geltung des Sittengesetzes für den Menschen in der zweiten Kritik andererseits aber nur bezogen auf die innere Konsistenz des Sinnes von Handeln erfolgen kann. Handelnmüssen gehört aber gerade nicht in das Spektrum derjenigen Verfasstheiten, die für alle Vernunftwesen gelten. Folgende Annahmen unterstellt Kant somit: 1.

Gott handelt nicht im Sinne von Erst-Zwecke-Realisieren-Müssen.

2.

Die Gültigkeit des Sittengesetzes für den Menschen kann nicht im Sinne eines theoretischen Beweises erfolgen, sondern wird durch das Faktum der Vernunft belegt.

3.

Dieses besagt, dass kein Mensch eine moralrelevante Handlung sinnvoll vollziehen könnte, wenn er nicht in der Maxime dieser Handlung die Geltung des Sittengesetzes und die durch dieses gesetzten Sinnbedingungen unhintergehbar wollen müsste. Diese Struktur gilt auch und ganz besonders für die böse Tat.

Das Sittengesetz wird ausgewiesen, indem gezeigt wird, dass kein Mensch eine Missetat begehen kann, ohne dennoch zugleich , um diese Missetat überhaupt begehen zu können, die Geltung des Sittengesetzes im Vollzug der Handlung um ihrer selbst willen zu wollen. Ich habe dies in zwei anderen Arbeiten

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am Beispiel sinnvollen Lügens zu demonstrieren 32 versucht. Um die Gültigkeit des Sittengesetzes zu belegen, argumentiert Kant also damit, dass jede Maxime einer Handlung in sich widersprüchlich wäre - und diese Handlung damit nicht als sinnvolle Vernunfthandlung vollzogen werden könnte - , wenn in der Maxime die Geltung des Sittengesetzes nicht zumindest auch um dieser Geltung selbst willen gewollt würde. Dabei wird in der Maxime der guten Handlung das Sittengesetz und das durch dieses für die Handlungssituation festgelegte „konkrete Sollen" um seiner selbst willen als gültig anerkannt. Bei der bösen Handlung hingegen wird in der Maxime das Sittengesetz und das durch dieses für die Handlungssituation festgelegte konkrete Sollen zwar auch um seiner selbst willen als gültig anerkannt - zusätzlich wird das Sittengesetz aber auch „ausnahmsweise" als Instrument für Weltzwecke gewollt. Kant belegt also die Geltung des Sittengesetzes für den Menschen relational zur Möglichkeit eines sinnvollen Handlungsvollzugs. Geben wir Kant einmal zu, dass das Faktumargument zutreffend ist. Dann hätte er gezeigt, dass keine moralisch handelnde Person im HandlungsVollzug das Sittengesetz nicht um seiner selbst willen wollen könnte, dass also keine moralisch handelnde Person das Sittengesetz ausschließlich als Instrument wollen kann. Der Übeltäter missbraucht zwar das Sittengesetz für seine Neigungen; dies ist ihm aber nur deshalb möglich, wie ich an anderer Stelle mit Blick auf das Lügnerbeispiel 33 gezeigt habe, weil er das Sittengesetz prinzipiell um seiner selbst willen will und sich nur für Ausnahmefälle quasi vorbehält, es zusätzlich zu instrumentieren. Das Wollenmüssen des Sittengesetzes um seiner selbst willen zeigt, dass kein Mensch handeln kann, ohne die nichtinstrumentelle Rationalität des Sittengesetzes prinzipiell anerkennen zu müssen. Es belegt im Sinne Kants, dass der menschliche Wille unabdingbar durch eine Rationalität bestimmt ist, die nicht schon bestimmten Weltzwecken verpflichtet ist. Dieses Argument ist jedoch für sich nur gültig aus der Innenperspektive der handelnden Subjekte. Aus der Sicht eines fiktiven Beobachters auf das Ganze der Naturwirklichkeit könnte diese Innenperspektive evtl. als subjektiv unausweichliche Fiktion 34 der Naturgattung Mensch im Überlebenskampf erscheinen. 32 Siehe Reinhard Hiltscher: Zur systematischen Stellung des Bösen in Kants Moralphilosophie, in: Riebeil Hiltscher (Hrsg.): Wahrheit und Geltung. Festschrift für Werner Flach, Würzburg 1996, 85-117 und Reinhard Hiltscher. Kant und das Faktum der Vernunft, in: Gerhard Schönrich (Hrsg.): Normativität und Faktizität. Skeptische und transzendentalphilosophische Positionen im Anschluß an Kant, Dresden 2004, 163-177. 33 Siehe vorherige Fußnote. 34 Im engen Kontext mit dem „Fiktionsproblem" und anderen sich daraus ableitenden „Nachfolgeproblemen" steht auch die Frage nach dem Verhältnis von „Genitivus objectivus" und „Genitivus subjectivus" im sogenannten „Faktum der Vernunft". Vgl. zu diesen und den folgenden Zusammenhängen Lewis White Beck. Kants „Kritik der praktischen Vernunft". Ein Kommentar. Ins Deutsche übersetzt von Karl-Heinz Illing, München 1974, 158-168.

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Auf alle Fälle setzt Kants Argument unabdingbar die Annahme des Primats der praktischen Vernunft über die Ansprüche der theoretischen Vernunft voraus. Wäre der Primat der praktischen Vernunft nicht zu legitimieren, so könnte etwa aus der umgekehrten Voraussetzung eines theoretischen Primats gelten: Nur weil der Handelnde im Vollzug der Handlung aus seiner Innenperspektive das Sittengesetz als nichtinstrumentelle Sinnstruktur unabdingbar wollen muss, kann dieses Sittengesetz objektiv, aus einer „naturontologischen Perspektive" betrachtet, als Instrument zum Überleben der Gattung Mensch im Kampf ums Dasein fungieren und optimal funktionieren. Die zweckfreie reine Gesetzesform des Sittengesetzes bliebe dann zwar für uns Handelnde unausweichlich als Bestimmungsgrund gültig, ebenso wie die Achtung vor diesem, sie hätte aber unter der Perspektive der schlicht theoretischen Vernunft primär einen funktionalen Zweckcharakter für das Überleben der Menschheit. Die unbedingte Geltung des Sittengesetzes im Medium der endlichen praktischen Vernunft und deren „Innenperspektive" bliebe erhalten, bekäme aber unter dem Primat der theoretischen Vernunft im Bereich der Natur den funktionalen Charakter eines schlichten Mittels zum Zweck. Und weil die Menschheit im Gesamtsystem der Natur nicht als Endzweck zu verstehen ist, wie Kant sehr schnell einräumt, hätte das Sittengesetz unter dem Primat der theoretischen Vernunft nur noch eine sehr bedingte Geltung. Man könnte boshaft etwa daran denken, dass die Natur in uns einen vernünftigen Überlebensinstinkt erzeugt, der nur aus unserer Innenperspektive heraus als notwendiger Anspruch einer zweckfreien praktischen Rationalität erscheint. Denn nur dann, wenn wir die im Gesamt der phänomenalen Natur höchst bedingte Spielregel aus unserer Innenperspektive heraus als unumgänglich notwendig betrachten, kann diese Spielregel optimal funktionieren. Aber selbst dann, wenn man nicht so weit ginge, wäre bei einem Primat der theoretischen Vernunft das faktische Resultat der praktischen Willensbestimmung im Naturlauf nur bedingt gattungsrelativ. Somit kann die unbedingte Geltung des Sittengesetzes nur dadurch bewahrt werden, indem es von Kant zum Grundgesetz einer intelligiblen Ontologie erklärt wird, bei der die theoretische Vernunft dem Primat der praktischen Vernunft unterworfen wird. Kant verhandelt den Primat der praktischen Vernunft oftmals im Zusammenhang „Interesse der Vernunft" - und zeigt, dass das Interesse der praktischen Vernunft über das der theoretischen gestellt werden müsse. Das Bewusstsein des Sittengesetzes im „Faktum der Vernunft" zeige, dass praktische Vernunft aus sich heraus ein unbedingt gültiges Gesetz erlasse - und weise damit nach, dass praktische Vernunft gültig und begründet die Restriktionen der Sinnenwelt (anders als die theoretische) überschreiten könne. Da Vernunft eine sei, könne sich theoretische Vernunft relativ problemlos unter den Primat der praktischen stellen, da ihr die „Erweiterung" sozusagen von der glaub- und vertrauenswürdigen Zwillingsschwester unterbreitet würde. Voraussetzung sei allerdings, dass die praktische Vernunft den Zusammenhang der Interessen der Vernunft in ein rationales System bringen könne - selbstverständlich unter dem Primat der praktischen Vernunft.

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In der Postulatenlehre der zweiten Kritik findet sich ein Problemansatz zu diesem Interessensystem. Kant behauptet zunächst genau wie später in der dritten Kritik, dass das Sittengesetz selbst dann in Geltung bliebe, wenn dessen Konsequenz unter endlichen Bedingungen - das höchste Gut - nicht einlösbar wäre. Nur als Konsequenz 35 der autonomen Willensbestimmung der praktischen Vernunft unter endlichen Bedingungen ergibt sich der spezifische Endzweck der praktischen Vernunft. Er besteht in der wohlproportionierten Korrelation von Glückswürdigkeit und Glück. Die Reflexionen in den Postulaten beziehen sich also auf die Konsequenz der Autonomie unter endlichen zweckhaften Bedingungen, die Postúlate sind aber als „Konsequenzreflexionen" keine Bedingungen der Geltung des Sittengesetzes selbst. Dass es dem Menschen als solchen unmöglich ist, den gesollten Endzweck über dessen „Beförderung" hinaus auch nur annähernd einzulösen, ist offensichtlich. Kein Mensch ist in der Lage, Glück angemessen zum Grad der jeweiligen Tugend zu verteilen. Wenn ich Kant richtig verstehe, sind die Argumentationen bezüglich des Faktums der Vernunft und bezüglich der Postúlate in vielen Punkten ähnlich. In beiden Fällen wird mit einer inneren Logik des Handlungsvollzugs argumentiert. Im Falle des Sittengesetzes geht es um Sinn- und Konsistenzbedingungen der Maxime, ohne deren Anerkennung eine moralrelevante Handlung nicht sinnvoll vollzogen werden könnte. Für die Postúlate gilt ähnlich: Ein Handlungsvollzug ist letztlich nur dann sinnvoll möglich, wenn man implizit voraussetzen kann, instrumenteile und unbedingte Rationalität würden einander zumindest nicht widersprechen. Keiner kann eine Handlung als rational vollziehen, die in sich offenkundig widersprüchliche Intentionen enthält. Da unter endlichen Bedingungen instrumentelle Rationalität und moralische Rationalität nicht vermittelt sind, besteht einerseits grundsätzlich die Möglichkeit, dass ein Mensch, der sittlich handelt, gegen seinen Grundzweck als Naturwesen, „Glück", verstößt. Dass andererseits ein Mensch, der nach Glück strebt, prinzipiell gegen seinen Grundzweck als Moralwesen verstoßen kann, bedarf keiner Erläuterung. Beispiele liegen auf der Hand: Etwa der Schurke, der in Saus und Braus lebt - oder der Tugendhafte, dem kein Weltglück zuteil wird. Soll der einzelne Mensch überhaupt eine moralrelevante Handlung als in sich sinnvoll und rational vollziehen können und soll vor allem der Primat der praktischen Vernunft nicht in Gefahr geraten, muss vorstellbar gemacht werden, wie die Ansprüche beider Rationalitäten unter dem Primat der praktischen Vernunft versöhnt werden könnten, so dass der Handelnde sein Handeln nicht von vornherein als mit Irrationalität belastet ansehen muss. Kurz: Es muss mindestens gezeigt werden, dass eine vernünftige Korrelation beider Rationalitäten unter dem Primat der praktischen Vernunft nicht unmöglich ist. Diese Konstellation führt bekanntlich zu den Pos35

Vgl. hierzu Dieter Henrich : Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, Wiederabdruck in: Gerold Prauss (Hrsg.): Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Köln 1973.

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tulaten Gottes und der Unsterblichkeit als Bedingungen des notwendig zu befördernden höchsten abgeleiteten Guts 36 . Das Sittengesetz soll nach Kant das Selbstbewusstsein der autonomen praktischen Vernunft sein, das sich je bei Gelegenheit der Tat in der Maxime aktuiert. Im Vollzug der Tat soll sich seine Geltungskraft dem handelnden Subjekt erschließen. Dieser Vorzug der Freiheit und des Sittengesetzes ist aber nur dann gegeben, wenn der Gedanke ausgeschlossen werden kann, diese praktische Innenperspektive sei unter objektiver Brille eine Funktion der Naturordnung. Dies auszuschließen ist nur möglich durch Etablierung einer intelligiblen praktischen Ontologie, welche die Gesamtwirklichkeit übergreift. Genau diesen Versuch unternimmt Kant in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft. Was Kant in der „Kritik der Urteilskraft" verstanden hat, ist der Umstand, dass die Weise, wie der praktische Primat in den beiden ersten Kritiken eingeführt wurde, keine vollständige Disjunktion aller Möglichkeiten darstellt. Aus der Sicht der praktischen Rationalität wäre es widersinnig, die Ansprüche, die der Mensch als Naturwesen unter den Begriff der Glückseligkeit bringt, dem Anspruch des Sittengesetzes überzuordnen. Aber dieses Konzept schließt eben nicht die Möglichkeit aus, die ich gerade skizziert habe. Nämlich, dass der Mensch zwar seinen Willen durch die reine Gesetzesform ohne Ansehung eines Zweckes ausschließlich aus Achtung vor diesem bestimmen kann, dass aber diese Bestimmungsnotwendigkeit zugleich nur instrumenteile Funktion einer Naturgattung namens Mensch wäre. Die Moral bleibe zwar innerhalb ihres Sektors unangetastet bestehen, als Funktion der Natur unterläge sie aber einem äusseren „Naturprimat". Die Möglichkeit einer solchen bedrohlichen Konstellation hat Kant in der zweiten Kritik noch nicht klar gesehen. Die Postulatenlehre der zweiten Kritik versucht nur eine Welt zu reflektieren, in der eine rationale Koordination von Glück und Glückswürdigkeit möglich ist. Nun wird ein Verbesserungsversuch in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft unternommen. Kern dieser Überlegungen, die natürlich nur von subjektiver Dignität sein können, da sie eine Sinndeutung der teleologisch reflektierenden Urteilskraft (für sich selber) darstellen, ist die Einsicht Kants, der praktische Primat könne nur dann aufrechterhalten werden, wenn zumindest nicht ausgeschlossen werden könne, dass das System der Naturzwecke letztlich auf den praktischen Endzweck hingeordnet sei. So führt Kant zunächst im § 82 aus, dass die Natur (für die teleologisch reflektierende Urteilskraft!) nur begrenzte Naturzwecke biete, aber offenbar keinen Endzweck. Auch das Naturwesen „Mensch", schlicht nur als ein solches Glied im Ganzen der Natur aufgefasst, sei nicht als deren Endzweck zu betrach-

36 Das Postulat der Freiheit ist ein Sonderfall, da Freiheit über das Postulatsein hinaus von Kant eine objektive praktische Realität zuerkannt bekommt.

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ten. Für einen lahmen indischen Menschenfresser-Tiger stellt ja z. B. Menschenfleisch eine leichte, wenn auch nicht immer gesunde Nahrung dar. Die schlichte Ebene der Naturzwecklichkeit (natürlich aus der Perspektive subjektiver Dignität der teleologischen Urteilskraft) hätte also zur Folge, dass eine Gattungsrationalität des Menschen, etwa „Sittlichkeit als Regel des Überlebenskampfes", eine nur sehr bedingte Bedeutung im Gesamt der Natur aufwiese; sie wäre ein schlichtes Überlebensinstrument der Gattung Mensch - nicht mehr. Nun meint Kant jedoch, dass der Mensch doch unter einem Aspekt letzter Zweck der Natur sein könne. Denn er sei das einzige Naturwesen, das sich selbst Zwecke setzen könne. Weil also nur der Mensch sich Zwecke setzen könne, sei er eben doch letzter Zweck der Natur, wenn man zumindest widerspruchsfrei annehmen könne, dass die Natur zweckhaft auf den transnaturalen Endzweck des Menschen hingeordnet sei. Transnatural muss der Endzweck sein, da alle naturimmanenten Zwecke von nur bedingter Gültigkeit seien - und somit nicht zum Endzweck dienen könnten. Jeder Zweck der Natur ist aus der Perspektive der teleologischen Naturreflexion zugleich Mittel eines anderen Zwecks. Gleichwohl sei der Mensch letzter Zweck der Natur, weil die Natur dem vernünftigen Naturwesen Mensch die Möglichkeit böte, die äußere und innere Natur für seine Zwecke zu gebrauchen. Es wird damit von Kant zweierlei konstatiert: (1) Verstehe man unter letztem Zweck der Natur deren quasi „automatisches Eingerichtetsein" zur Realisierung dieses letzten Zweckes, so gibt es einen solchen nicht. Auch der Mensch ist in dieser Betrachtung sehr weit entfernt, letzter Zweck zu sein. Denn es käme hier nur eine Konstruktion derart in Frage, dass die Natur von sich aus eingerichtet sei, den subjektivnotwendigen Zweck des Menschen als Naturwesen (Glück) einzulösen. Abgesehen davon, dass die Natur noch nicht einmal darauf abgestellt ist, das Überleben der Menschengattung zu sichern, was Naturkatastrophen etc. dartun, ist der Glücksbegriff ein von Mensch zu Mensch verschiedener und ein im Laufe der Biographie eines einzelnen Menschen stets wechselnder. Dies liegt daran, dass der Glücksbegriff qua Begriff eben nicht Triebbefriedigung bedeutet, sondern Einlösung eines Rationalzwecks. So schreibt denn Kant auch, dass die Natur viel leichter auf tierische Triebbefriedigung hin eingerichtet gedacht werden könne, als auf Erfüllung individueller Glückswünsche. (2) Verstehe man aber den Menschen dahingehend als letzten Zweck der Natur, dass er das einzige Naturwesen sei, das diese für seinen Endzweck gebrauchen könne, so sei er unter dieser Rücksicht als letzter Naturzweck aufzufassen. Der Mensch als letzter Zweck der Natur ist für Kant der Mensch als Kulturwesen. Kultur zerfällt nach Kant in die beiden Komponenten der Geschicklichkeit und Disziplin.

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Geschicklichkeit besteht in der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Fertigkeiten der Menschheit, die Natur immer besser für ihre Zwecke gebrauchen zu können. Hier ist der Ort der Wissenschaften, der Kunst etc. Der Disziplin obliegt die Aufgabe, die rohen Triebe des Menschen immer mehr zu verfeinern und zu entbarbarisieren. Aufgabe der Kultur ist es also, den Menschen letztlich immer bessere Mittel an die Hand zu geben, seinen wahren Endzweck befördern zu können. Nur, was ist dieser Endzweck? Es ist klar, dass er ein transnaturaler sein muss, da die Natur eben nur bedingte Zwecke gibt. Der wahre unbedingte Endzweck kann nach Kant nur als Selbstzweck begriffen werden. Dieser naturtranszendente Endselbstzweck ist der noumenale Mensch als autonomes und moralisches Wesen. Denn nur die autonome Rationalität des Menschen wird nicht als Mittel für naturale instrumentelle Zwecke eingesetzt. Als Wesen von einer solchen autonomen nichtinstrumentellen Vernunft ist der Mensch naturtranszendenter Endzweck der Natur und deren Zweckssystem muss auf ihn hingeordnet gedacht werden. So bestimmt Kant den moralischen Endzweck der Schöpfung, auf den auch das System der Naturzwecke hingeordnet sein muss, als „Menschheit unter moralischen Gesetzen". Weil nun aber der Mensch als Naturwesen mit Notwendigkeit nach Glück strebt, darf die Naturordnung bzw. das System der Naturzwecke diesen Endzweck nicht behindern oder sogar verunmöglichen, indem sie eine Proportion und Korrelation von Glückswürdigkeit und Glück verunmöglichen. Kurz: Die Natur darf zumindest dem Endzweck nicht zuwiderlaufen. Da nun der subjektiv-notwendige Zweck des Menschen Glückseligkeit ist - der objektiv notwendige jedoch Sittlichkeit - , so müsste ein externer Beobachter des Weltlaufs schließen, dass in einer Welt, die durchgängig den Erfordernissen der praktischen Vernunft gemäß wäre, Glück proportional zum jeweiligen Grad der Tugend verteilt werden muss. Hier haben wir wieder das „höchste abgeleitete Gut" als unbedingten Endzweck des Menschen, der unter endlichen Bedingungen seinen Willen durch das Sittengesetz bestimmt hat. Im Sinne Kants muss sich in diesem Kontext die reflektierende Urteilskraft ein Zwecksystem unter dem Primat der praktischen Vernunft entwerfen, bei dem physiologische und moralische Teleologie vermittelt sind. Kant jedenfalls folgert nun: „Aus diesem so bestimmten Prinzip der Kausalität des Urwesens werden wir es nicht bloß als Intelligenz und gesetzgebend für die Natur, sondern auch als gesetzgebendes Oberhaupt in einem moralischen Reich der Zwecke, denken müssen. In Beziehung auf das höchste unter seiner Herrschaft allein mögliche Gut , nämlich die Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen Gesetzen, werden wir uns dieses Urwesen als allwissend denken: damit selbst das Innerste der Gesinnungen [...] ihm nicht verborgen sei; als allmächtig : damit er die ganze Natur diesem höchsten Zwecke angemessen machen könne; als allgütig , und zugleich gerecht: weil diese beiden Eigenschaften [...] die Bedingungen der Kausalität einer obersten Ursache der Welt als höchsten Guts, unter moralischen Gesetzen ausmachen; [...]" (V/569 f.)

Kants Einlassungen lassen einen ein wenig hilflos zurück. Symptomatisch für die doch noch ungelösten Probleme sind die Äußerungen Kants im Umkreis der „Beschränkung der Gültigkeit des moralischen Beweises". Kant insistiert dar-

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auf, dass das Sittengesetz uneingeschränkt gültig bliebe, selbst dann, wenn Gott und Unsterblichkeit nicht „existierten". Berühmt in diesem Zusammenhang ist auch Kants Aussage, auf die Henrich 37 hingewiesen hat, das höchste Gut sei nicht für das moralische Gesetz, sondern durch es notwendig. Oder in anderer Wendung: Zwar seien Gott und Unsterblichkeit nicht für die Geltung des Sittengesetzes notwendig, wohl aber könne es der endlichen Vernunft nicht egal sein, was aus ihrem notwendigen Endzweck und ihrem „Rechthandeln" (höchstes abgeleitetes Gut) werde. Sicher: Das Sittengesetz, als Faktum der Vernunft, konstituiert einen unhintergehbaren Anspruch, der beim Vollzug keiner Tat eliminiert werden kann, soll der Handelnde seine Handlung irgendwie als sinnvoll vollziehen und verstehen können. Nach wie vor ist aber die Denkmöglichkeit nicht ausgeräumt, diese praktische Notwendigkeit sei eine Funktion der naturalen, bedingt-zwecklichen Gattungsrationalität. Die subjektive Dignität der durch die reflektierende Urteilskraft entworfenen Gesamtteleologie kann nicht zu einer objektiven Dignität hin überboten werden. Denn dann würde die Autonomie der Moral zu einer heteronomen Theonomie38 mutieren. Der subjektive teleologische Universalentwurf kann somit nur die Voraussetzungen reflexiv machen, die ich als moralisch handelndes Wesen immer schon, bezogen auf meine endliche Partikularwirklichkeit - aber auch bezogen auf die Gesamtwirklichkeit - , gemacht haben muss39. Unter der Innenperspektive der praktischen Vernunft kann das handelnde Subjekt gar nicht anders, als sich die Gesamtwirklichkeit für sich (allerdings nur mit subjektiver Dignität) so zu entwerfen, wie sie sein müsste, wenn sie ganz dem Primat der praktischen Vernunft unterliegen würde. Als praktisch bestimmtes Wesen muss ich, um überhaupt handeln zu können,

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Vgl. Fußnote 35. Die Schwierigkeiten, die Kant mit seiner Konzeption offenbar nicht vermeiden kann, haben einige Autoren dazu gebracht, in Kants Moralkonzeption das theonome Motiv zu stärken. Dies allerdings setzt den Preis einer Relativierung der Strenge des Autonomiegedankens der Moral voraus. Siehe hierzu exemplarisch: Giovanni B. Sala: Kant über menschliche Vernunft. Die Kritik der reinen Vernunft und die Erkennbarkeit Gottes durch die praktische Vernunft, Weilheim-Bierbronnen 1993, 89-130; Harald Schöndorf: Setzt Kants Philosophie die Existenz Gottes voraus?, in: Kant-Studien 86 (2/1995), 175-195 und Giovanni B. Sala: Kants „Kritik der praktischen Vernunft". Ein Kommentar, Darmstadt 2004. 39 Arbeiten wie die Bartuschats, Düsings, Konhardts und Zochers machen in ihren Kantinterpretationen unter je unterschiedlichen Perspektiven die „Fürsichbegründendheit" und den „subjektiven Weltentwurf' der endlichen Vernunft in den Postulaten und der reflektierenden Urteilskraft stark. Doch können all diese scharfsinnigen Interpretationen nichts daran ändern, dass die subjektive Dignität des Entwurfscharakters sich letztlich als schleichendes Gift für den Geltungsanspruch der Moralität auswirken muss und dies obwohl Kant betont, dass die subjektive Gültigkeit nur die „Konsequenzen" des Sittengesetzes, nicht aber das Sittengesetz selber betreffe. Siehe: Wolfgang Bartuschat: Zum systematischen Ort der Kritik der Urteilskraft; Klaus Düsing: Die Teleologie in Kants Weltbegriff, Bonn 1968: Klaus Konhardt: Die Einheit der Vernunft; Rudolf Zocher: Kants Grundlehre. 38

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diesen Entwurf affirmieren. Ich tue dies letztlich in jedem Handlungsvollzug, den ich aufs Ganze hin für sinnvoll betrachte. Doch offenbar, entgegen Kants Annahmen, müsste mir der evtl. Primat der theoretischen Vernunft über die praktische gar nicht bewusst werden. Die Innenperspektive bleibt die Domäne der endlichen praktischen Vernunft. Es ist somit kein gutes Argument, aus einer Notwendigkeit, die völlig eindeutig aus der Innenperspektive des praktischen Vernunftgebrauchs folgt, einen Primat der praktischen Vernunft über die theoretische abzuleiten, nur weil dieser Primat aus der isolierten Innenperspektive des praktischen Vernunftgebrauchs bei Gelegenheit des Handelns vorausgesetzt werden muss. Die Innenperspektive der praktischen Vernunft verlangt den praktischen Primat. Dies kann als solches aber nicht bedeuten, dass praktische Vernunft diesen Primat wirklich hat. Der theoretische Vernunftgebrauch ist objektiv und verlangt keine Innenperspektive wie der praktische. Gäbe es also den „theoretischen Primat", müssten wir uns dessen in der „Innenperspektive" nicht bewusst sein. Mangels objektiver Gültigkeit kann der Entwurf der „Methodenlehre" also nicht ausschließen, dass doch nur ein Primat der theoretischen Vernunft besteht, in dessen Rahmen hinter dem Rücken des Handelnden Moral lediglich eine partikulare Naturfunktion hätte. In puncto Moral kann kein Mensch die Innenperspektive verlassen und die Beobachterposition einnehmen. So sehr ein Mensch moralisch sein und das Sittengesetz nur um dessen Geltung willen selber wollen kann: Es kann nicht abschließend ausgeschlossen werden, dass diese innere Möglichkeit unter dem Primat der instrumenteilen Gattungsrationalität steht. Dann aber könnte zwar noch das Sittengesetz selber universal sein, seine Prinzipiate unter endlichen Bedingungen - gut oder böse - könnten sich objektiv in der Naturordnung als schlichtes Instrument des Überlebenskampfes herausstellen. In der Postulatenmetaphysik der dritten Kritik kann Kant nur zeigen, dass es nicht so sein muss. Bezogen auf die Gesamtüberlegungen können wir konstatieren: Das Konzept endlicher Vernunft als Konstituentin einer Partialwirklichkeit lässt sich im gnoseologischen Bereich überzeugend durchführen. Im praktischen Bereich entsteht eine Spannung zwischen zwei Voraussetzungen. Einerseits ist auch die menschliche praktische Vernunft eine endliche, da nur sie die Partialwirklichkeit gut und böse konstituiert. Andererseits muss ausgeschlossen werden, dass das Sittengesetz nur ein Naturinstrument der Gattung Mensch ist. Dies hat die Sicht Kants zur Folge, das Sittengesetz gelte für jedes Vernunftwesen - auch für Gott, wenn es ihn denn gibt. Zur unbedingten, nicht nur gattungsbedingten Geltung des Sittengesetzes ist also die Annahme eines intelligiblen Vernunftreiches unabdingbar. An diesem Vernunftreich hat der Mensch nur als noumenales Wesen von reiner praktischer Vernunft Anteil. Diese noumenale Existenz kann jedoch unter den Bedingungen der endlichen menschlichen Wirklichkeit nur dann dem Sittengesetz die erstrebte, alle vernünftige Wirklichkeit umgreifende Gültigkeit verschaffen, wenn die reine Rationalität, die der Mensch selbst mit Gott teilt, den Primat gegenüber der theoretischen, weltzweckverhafteten Rationalität ausübt. Der unbedingte Anspruch des Sittengesetzes im Faktum der Vernunft,

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bezogen auf den Handlungsvollzug, eliminiert aber als solcher keineswegs das Gespenst eines „theoretischen Primats". Denn die unbedingte Geltung des Sittengesetzes aus der Perspektive des Handelnden schließt den bloßen Funktionscharakter des Sittengesetzes für die Naturordnung nicht aus. Die Postulatenlehre der zweiten Kritik entfaltet den Primat der praktischen Vernunft aus der Innensicht der praktischen Vernunft. Damit läuft sie eigentlich an der Problematik vorbei. Erst die Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft entwickelt eine Vernunftordnung der Gesamtwirklichkeit und spezifiziert deren Relevanz auf die Bedingungen des endlichen Weltwesens Mensch. Sie entwirft die anzunehmende Voraussetzung einer teleologischen Gesamtordnung für den sich unter den Primat der praktischen Vernunft einordnenden Menschen. Diese Gesamtordnung sichert den Primat der praktischen Vernunft, indem sie die Ordnung der Naturzwecke der Ordnung der praktischen Zwecke unterordnet. Da sie aber nicht die subjektive Dignität der reflektierenden Urteilskraft aus den schon angesprochenen Gründen überschreiten darf, ist Kant nicht der abschließende Ausweis gelungen, dass der Mensch wirklich ein konstitutives Glied im intelligiblen Vernunftreich zu sein vermag. Am Ende bleibt nur die Hoffnung.

V. Wirkungen

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling Günter Zöller Von allen Werken Kants dürfte die „Kritik der Urteilskraft" 1 die größte Wirkung auf die Entwicklung der Philosophie des deutschen Idealismus im allgemeinen und speziell auf das Denken Fichtes und Schellings ausgeübt haben. Zwar ist der explizite Ausgangspunkt für die Fortentwicklung der Kantischen Transzendentalphilosophie bei Fichte wie Schelling die „Kritik der reinen Vernunft", insbesondere deren Ichlehre von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption in der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe der zweiten Auflage des Werkes. Doch verdankt das Unternehmen einer vertiefenden Vereinheitlichung der Philosophie wie ihres Gegenstandsbereichs, das für die philosophischen Bemühungen Fichtes und Schellings von Anfang an und insgesamt kennzeichnend ist, seine Anregung nicht so sehr einzelnen doktrinalen Spezifika der ersten Kritik als vielmehr dem die dritte Kritik durchwaltenden Vorhaben von abschließender Einheitsbildung der kritischen Philosophie wie ihrer Gegenstände. In den Augen Fichtes wie Schellings hat Kant selbst mit der „Kritik der Urteilskraft" den maßgebenden Schritt über die kritische Grundlegung der Philosophie hinaus zur Entwicklung des Systems der Philosophie getan. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Aufnahme und Fortbildung der Philosophie Kants durch Fichte und Schelling, die bei beiden Autoren erst nach der Veröffentlichung der „Kritik der Urteilskraft" im Jahr 1790 einsetzt und durchgängig unter deren Eindruck und Einfluß erfolgt, von der Wirkung Kants auf frühere Nachkantianer, insbesondere auf Karl Leonhard Reinhold, dessen Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie bereits aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre datiert und die auch später unbeeinflußt bleibt von Kants eigenen Ansätzen zur systematischen Integration seiner Philosophie in der dritten Kritik. 1

Die „Kritik der Urteilskraft" und Kants übrige Werke außer der „Kritik der reinen Vernunft" werden zitiert nach: Immanuel Kant's gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Bd. 1-22), der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Bd. 23) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Bd. 24ff.), Berlin 1900 ff. (Abkürzung: AA). Im Titel der „Kritik der Urteilskraft" wird abweichend von der Akademie-Ausgabe deren Schreibweise „Urtheilskraft" durchweg modernisiert. Die „Kritik der reinen Vernunft" wird zitiert nach der Originalpaginierung der zweiten und ersten Auflage (Abkürzung: B bzw. A).

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Im Vordergrund der Rezeption der „Kritik der Urteilskraft" bei Fichte und Schelling steht durchweg Kants Abzielen auf Einheitsbildung höherer oder abschließender Art in der Theorie der Vernunft und ihrer Gegenstände. Kant selbst verfolgt diese Fragestellung explizit und in methodischer Reflektiertheit in der großangelegten Einleitung in die „Kritik der Urteilskraft" im Kontext des Aufweises der systematischen Einheit der doppelt gegliederten Philosophie (theoretische Philosophie, Moralphilosophie) und ihrer Gegenstände (sinnlicher und übersinnlicher Welt) sowie der jeweils dreifach gegliederten Vermögen von Vernunft (Verstand, Urteilskraft, Vernunft i. e. S.) und Gemüt (Erkenntnisvermögen, Gefühl der Lust und Unlust, Begehrungsvermögen). Die monumentale Vorstufe dieser Werkpartie, die sog. Erste Einleitung in die „Kritik der Urteilskraft", war den Zeitgenossen Kants nur in Gestalt eines Teilabdrucks aus dem Jahr 1794 zugänglich; ihre vollständige Veröffentlichung erfolgte erst 1914 im Rahmen der Kant-Ausgabe von Ernst Cassirer. 2 Eine Kenntnisnahme der Teilveröffentlichung der Erstfassung der Einleitung in die dritte Kritik durch Fichte oder Schelling läßt sich nicht nachweisen. Zusätzlich zur ausdrücklichen Thematisierung der multiplen systematischen Einheitsformen von Philosophie, Vernunft, Subjekt („Gemüt") und Welt, die Kant in der Einleitung des Werkes liefert, verhandelt die „Kritik der Urteilskraft" das Doppelthema von System und Einheit implizit und der Sache nach in den Untersuchungen der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" zur Einheit des Gemüts im rein-ästhetischen Zustand und zur ästhetischen Einheit der Natur als System sowie in den Ausführungen der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" zur Einheit von Mechanismus und Organismus in speziellem Naturwesen (Lebewesen) und zur logischen Einheit der Natur als System von Systemen. Fichte und Schelling rezipieren die vielförmigen von Kant in der „Kritik der Urteilskraft" thematisierten und praktizierten Formen von Einheitsbildung und Systematisierung sowohl in ihren Grundkonzeptionen wie in den doktrinalen Details ihrer eigenen philosophischen Ansätze. Dabei erfolgt die Bezugnahme auf Kant und spezifische Kantische Theoriestücke, dem wissenschaftlichen Usus der Zeit folgend, oft ohne die Nennung von Kants Namen und ohne den Verweis auf einschlägige Werke Kants oder gar bestimmte Stellen darin. In der Regel werden der Name Kants und die Titel der „Kritik der Urteilskraft" und ihrer beiden Teile, der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" und der „Kritik der teleologischen Urteilskraft", dann genannt, wenn es darum geht, Kants Leistung im allgemeinen einzuschätzen, eine herausgehende trouvaille Kants zu vergegenwärtigen oder einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der eigenen Position und der Kants zu markieren. Der folgende Überblick über die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling orientiert sich in erster Linie an den Stellen in den ge2

Siehe die Angaben in AA 20:514.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft auf Fichte und Schelling

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druckten Werken, den nachgelassenen Texten, den Briefen und den sonstigen Dokumenten Fichtes und Schellings, an denen ein expliziter Verweis auf die dritte K r i t i k oder einzelne von deren Theoremen vorliegt. Dabei erfolgt, für jeden der beiden Autoren getrennt, eine Gruppierung der einschlägigen Äußerungen nach den Themen, um die herum Fichte und Schelling jeweils ihre produktive Auseinandersetzung mit der dritten K r i t i k fuhren. Innerhalb jeder sachlichthematischen Gruppe folgt die Darstellung i m allgemeinen der Chronologie. A u f diese Weise entsteht ein Doppelbild von der Einschätzung der „ K r i t i k der Urteilskraft" durch Fichte und Schelling und von der Selbsteinschätzung ihres Verhältnisses zu diesem Werk Kants. 3 Eine umfassende Untersuchung des Gesamtwerks von Fichte und Schelling unter dem leitenden Gesichtspunkt der Wirkungsgeschichte der „ K r i t i k der Urteilskraft" ist zwar ein echtes Desiderat der Forschung zum deutschen Idealismus, bedürfte aber einer wesentlich umfangreicheren Untersuchung, als sie i m Rahmen dieses Beitrags zu leisten ist. 4 3 Die präliminare Ermittlung der einschlägigen Stellen erfolgte durch eine lemmatische Suche („Critik der Urtheilskraft", „Critik der ästhetischen Urtheilskraft", „Critik der teleologischen Urtheilskraft") in den digitalen Dateien der Werke Fichtes und Schellings in den klassischen Editionen durch ihre Söhne, Immanuel Hermann Fichte und Karl Friedrich August Schelling (siehe dazu die Angaben in Anmerkung 5): Fichte im Kontext. Werke auf CD-Rom, Karsten Worms InfoSoftware (1997) und Schellings Sämmtliche Werke, hg. von Elke Hahn. Total Verlag Berlin 1998. Ergänzend wurden die Register der „J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften" und der „Historisch-kritischen Ausgabe Schellings der Bayerischen Akademie der Wissenschaften" konsultiert. Für hilfreiche Unterstützung bei der Sammlung der Materialien zu diesem Beitrag danke ich Erich Fuchs von der Fichte-Kommission und Paul Ziehe von der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 4

Für Fichte und Schelling liefern folgende, zumeist jüngere Arbeiten kumulativ betrachtet einen Ersatz für diese noch ausstehende Forschungsleistung: Thomas Bach, Biologie und Philosophie bei C. F. Kielmeyer und F. W. J. Schelling. Schellingiana Band 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001; Wolfgang Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus spekulative Naturphilosophie. Frankfurt/M. 1997; Eckart Förster, Die Bedeutung von §§ 76, 77 der Kritik der Urteilskraft für die Entwicklung der nachkantischen Philosophie, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002), 169-190 und 321-345; Karen Gloy, Die Naturauffassung bei Kant, Fichte und Schelling, in: Realität und Gewißheit. Tagung der Internationalen J.-G.-Fichte-Gesellschaft (6.-9. Oktober 1992) in Rammenau, hg. von Helmut Girndt und Wolfgang Schräder. Fichte-Studien Band 6. Amsterdam/Atlanta, Georgia 1994, 253-275; Wilhelm G. Jacobs, Schelling lesen, legenda 3. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004; Willy Kabitz, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Mit bisher ungedruckten Stücken aus Fichtes Nachlaß. Berlin 1902. Nachdruck Darmstadt 1968; Reinhard Lauth, Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1984; Francesco Moiso, Natura e cultura nel primo Fichte. Mursia 1979; Luigi Pareyson, Fichte. II sistema della libertä. Mursia 1976; Bernhard Rang, Zweckmäßigkeit, Zweckursächlichkeit und Ganzheitlichkeit in der organischen Natur. Zum Problem einer teleologischen Naturauffassung in Kants „Kritik der Urteilskraft", in: Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 39-71; Bernhard Rang, Identität und Differenz. Eine Untersuchung zu Schellings Identitätsphilosophie. Frankfurt/M. 2000; Wolfdietrich Schmied-

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Genausowenig soll es im folgenden um die Erörterung des allgemeinen Einflusses gehen, den die „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling ausgeübt haben dürfte, wie sich dies etwa im Hinblick auf Kants Ausführungen zum Begriff des System und des Organismus zeigen ließe. Vielmehr soll im gezielten Rückgriff auf die einschlägigen Äußerungen Fichtes und Schelling deren philosophische Auseinandersetzung mit spezifischen doktrinalen und methodischen Aspekten der dritten Kritik untersucht werden, um so ein Bild zu gewinnen von der Art und dem Ausmaß der singulären Präsenz der „Kritik der Urteilskraft" im Denken Fichtes wie Schellings. Der erste Teil des Beitrags untersucht die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf das Denken Fichtes in drei Abschnitten, die der Rolle des Werkes bei der Ausbildung von Fichtes Wissenschaftslehre, den Überlegungen Fichtes zur systematischen Funktion von Ästhetik, Kunst und Künstler und seiner Behandlung des Werkes als Kontrastfolie für die eigene fortgeschrittene philosophische Theoriebildung gewidmet sind. Der zweite Teil erkundet die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf das Denken Schellings in drei Abschnitten, die die zentrale Rolle des Werkes in Schellings früher Philosophie, seine Leitfunktion für die Ausbildung von Schellings Naturphilosophie und seine Vorbildfunktion für Schellings kunstphilosophische Lösung des spekulativen Grundproblems der Philosophie behandeln.5 Es erweist sich, daß die „Kritik der Urteilskraft" für Fichte wie Schelling eine singulare Rolle gespielt hat als Vorbild und Anregung für die eigene Entwicklung methodischer und doktrinaler Einsichten und daß dieses Werk Kants als das eigentliche „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" gelten darf.

Kowarzik, „Von der wirklichen, seyenden Natur". Schellings Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Hegel. Schellingiana Band 8. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. 5 Fichtes Werke werden im folgenden zitiert nach: J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964 ff. (Abkürzung GA; Reihe I Werke, Reihe II Nachlaß, Reihe III Briefe, Reihe IV Kollegnachschriften). Schellings Werke werden zitiert nach Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856 ff., wobei die Bände der zweiten Abteilung als Bände 11-14 fortgezählt werden (Abkürzung SSW), mit zusätzlichen Verweisen auf die Historisch-kritische Schelling-Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Hans M. Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs, Jörg Jantzen, Hermann Krings und Hermann Zeltner, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. (Abkürzung HKA; Reihe I Werke, Reihe III Briete), sofern der betreffende Text in dieser Edition bereits vorliegt.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling

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I. Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte 1. Die Geburt der Wissenschaftslehre aus dem Geist der „ Kritik der Urteilskraft" Der Ausgangspunkt von Fichtes Beschäftigung mit der Philosophie Kants und der Beginn ihrer Wirkung auf sein eigenes Denken ist exakt auf das Erscheinungsjahr der „Kritik der Urteilskraft" zu datieren. Fichte wird von einem Leipziger Studenten um Privatunterricht in der Kantischen Philosophie gebeten und liest daraufhin zusätzlich zur „Kritik der reinen Vernunft" im August 1790 erstmals die zwei Jahre zuvor erschienene „Kritik der praktischen Vernunft". 6 In einem Brief vom August/September 1790 an seinen Freund F. A. Weißhuhn heißt es enthusiastisch: „Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe."7 Im selben Brief kommt Fichte auch auf die wenige Monate zuvor erschienene „Kritik der Urteilskraft" zu sprechen, die er als „eine Aesthetik und Teleologie" beschreibt, um dann hinzuzufügen: „deutlicher und besser geschrieben, wie mir scheint, als seine vorigen Werke". 8 Unter Verweis auf eine im selben Jahr erschienene „Darstellung" der „Kritik der reinen Vernunft" „nebst kurzer Widerlegung der dagegen gemachten Einwände"9 erwähnt Fichte, sich mit einem ähnlichen Projekt getragen zu haben.10 Aus einem wenig später verfaßten weiteren Brief an Weißhuhn geht hervor, daß sich Fichtes Vorhaben der Kommentierung einer Schrift Kants nunmehr auf die „Kritik der Urteilskraft" verlagert hat, die er für einer „deutlichem Darstellung [...] sehr bedürftig" hält, aber auch für schwierig zu erläutern. 11 Einem kurz danach geschriebenen dritten Brief an Weißhuhn legt Fichte dann den Beginn seiner Ausarbeitung des ,,Versuch[s] eines erklärenden Auszugs aus Kant's Kritik der Urtheilskraft", wie er die im Entstehen begriffene Schrift zu nennen beabsichtigt, bei. 12 Das von Weißhuhn an Fichte zurückgesandte Manuskript hat 6

Es ist kennzeichnend für Fichtes grundsätzliches praktisches Interesse an der Philosophie und für seine primär praktische Konzeption von Philosophie, daß die umstürzende Wirkung der Philosophie Kants auf Fichte nicht auf dessen Grundlegung der Transzendentalphilosophie in der „Kritik der reinen Vernunft" zurückgeht, sondern auf die Grundlegung der Moralphilosophie in der „Kritik der praktischen Vernunft". 7 GA 111/1:167 (Brief an F. A. Weißhuhn vom August/September 1790; Fragment). 8 G A 111/1:168. 9 Siehe dazu die Angaben in GA I I I / l : 168 Anm. 7 und 8. 10 Im Nachlaß Fichtes hat sich eine relativ knappe Wiedergabe von Teilen der „Kritik der reinen Vernunft" gefunden, die vom Sommer oder Frühherbst 1790 stammen dürfte und die vom Beginn der Transzendentalen Logik bis zum Ende der Transzendentalen Deduktion der Verstandesbegriffe in der Fassung der zweiten und dritten Auflage (1787 bzw. 1799) reicht (B 74-169): GA 11/1:299-318. 11

GA III/l :174f. (Brief an F. A. Weißhuhn vom September 1790; Fragment). GA 111/1:188-190 (Brief an F. A. Weißhuhn wohl vom November 1790) (im Original Hervorhebung). 12

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sich im Nachlaß Fichtes gefunden. Es umfaßt eine der äußeren Organisation von Kants Werk folgende zusammenfassende Wiedergabe der Einleitung und der ersten sechzehn Paragraphen der „Kritik der Urteilskraft". 13 Fichte hat das Projekt des Auszugs aus äußerlichen Gründen - der Schwierigkeit, einen Verleger zu finden, der geringen Höhe der angebotenen finanziellen Honorierung - bald darauf aufgegeben. 14 Im dritten Brief an Weißhuhn erläutert Fichte im Hinblick auf seine Darstellung von Kants Schrift die „Absicht [...] Wiederholungen abzuschneiden, die synthetische Methode, die Kant in Absicht des Ganzen unerreichbar durchfuhrt, auch in die einzelnsten Theile derselben, wo er mir oft unordentlich zu seyn scheint, zu bringen," und dabei, „was sehr dunkel ist, mit Andern, wenn auch nicht bessern, doch deutlichem Worten zu sagen".15 Als „das Dunkelste im Buch" bezeichnet Fichte die Einleitung, die auch im Mittelpunkt des von Fichte beigelegten Beginns seiner im Entstehen begriffenen Schrift steht. Des weiteren erklärt er, ,,[h]ier und da [...] von der Kantischen Vorstellungsart abgewichen" zu sein, „weil eine andre mir deutlicher zu seyn schien, die zu eben den Resultaten führte". 16 Im Rückblick auf den bereits verfaßten Teil seiner Darstellung der „Kritik der Urteilskraft" kommt Fichte dann zu der folgenden abschließenden Einschätzung: „ich hätte besser gethan, bei der Anordnung der einzelnen Materien von Kant abzugehen: die Darstellung müßte an Deutlichkeit, wäre es auch nur durch veränderte Gesichtspunkte, gewonnen haben".17 Mit dieser Selbstbeschreibung seines teils praktizierten, teils projektierten Umgangs mit Kants Schrift liefert Fichte in nuce das Programm einer durchgängigen strengen Systematisierung der Kantischen Lehren, das den Vorgang der Entwicklung von Fichtes Denken aus der Philosophie Kants von nun an und insgesamt kennzeichnen wird. Die „Kritik der Urteilskraft" erweist sich hier als das Laboratorium für die philosophische Selbstverständigung und Verselbständigung Fichtes gegenüber Kant. Generell äußert sich Fichtes Systematisierungsbestrebung in der Wiedergabe der „Kritik der Urteilskraft" in der Straffung des zitierten oder paraphrasierten Kantischen Textes durch Auslassungen und Zusammenziehungen. Bei der Darstellung der Einleitung in die „Kritik der Urteilskraft" sind folgende hauptsächlichen Fälle stärkerer Intervention Fichtes zu verzeichnen: die Einfügung eines 13 GA 11/1:325-373. Fichtes Manuskript ist vom Autor selbst durch handschriftlichen Vermerk auf die Zeit von September 1790 bis Anfang 1791 datiert und trägt keinen eigenen Titel, sondern beginnt ummittelbar mit der Wiedergabe der ersten Überschrift des zu kommentierenden Kantischen Textes („Einleitung. I Von der Eintheilung der Philosophie44). 14 Siehe dazu die Angaben in GA II/l :323 f. 15 GA 111/1:188 (im Original Hervorhebung). 16 GA 111/1:189. 17 GA 111/1:189 (im Original Hervorhebung).

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft auf Fichte und Schelling

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separaten Unterabschnitts bei der Wiedergabe des V. Abschnitts der Einleitung, den Fichte „Transscendentale Deduction des Begrifs der formalen Zwekmäßigkeit der Natur" betitelt und in dem er den von Kant implizit gelieferten Geltungsnachweis des teleologischen Naturprinzips explizit vorträgt; 18 die Präzisierung der Überschrift des VI. Abschnitts der Einleitung („Von der Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit") zu: „Von der notwendigen Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur"; 19 schließlich die Hinzufugung eines zusätzlichen Abschnitts am Ende der Einleitung und im Anschluß an die Wiedergabe von Kants „Tafel" zum Zweck der „Übersicht aller obern Vermögen ihrer systematischen Einheit nach" 20 , den Fichte „X. Kurze Übersicht dieser Einleitung." betitelt und in dem er den systematischen Ertrag jedes der neun Abschnitte der Einleitung konzis zusammenfaßt. 21 In der Wiedergabe von §§ 1-16 der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft", die mitten in der Behandlung des dritten Moments des Geschmacksurteils abbricht, finden sich die folgenden Abweichungen gegenüber Kants eigener Darstellung. Zu Ende der Wiedergabe der Erörterung des ersten Moments des Geschmacksurteils fügt Fichte eine Tafel zur „Übersicht dieser verschiednen Verhältnisse des Wohlgefallens" am Schönen, Angenehmen und Guten hinzu. 22 Die Überschrift von § 8 („Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geschmacksurtheile nur als subjectiv vorgestellt.") formt er um zu: „Das Geschmacksurtheil macht nur auf subjective Allgemeinheit Anspruch". 23 Sodann fügt Fichte eine eigene Anmerkung an einer Stelle von § 14 hinzu, an der Kant in einer parenthetischen Bemerkung erklärt, daß er an der wellentheoretischen Erklärung des Lichts durch Leonhard Euler und an der damit gebotenen Erklärungsmöglichkeit für das Vorliegen eines formalen Elements auch in bloßen Empfindungen „doch gar sehr zweifle". 24 In Fichtes Bemerkung zu dieser Bemerkung Kants zeigt sich seine Verlegenheit beim Versuch, Kants Bedenken nachzuvollziehen. Tatsächlich wird die dritte Auflage der „Kritik der Urteilskraft" (1799), an deren Gestaltung Kant aber wohl nicht mehr beteiligt war, den Wortlaut dieser Fichte auffällig gewordenen Äußerung Kants ändern und ihren Sinn dabei ins Gegenteil umkehren. Aus „woran ich doch gar sehr zweifle" wird: „woran ich doch gar nicht zweifle" 25 ; aus dem Zweifel an Eulers Theorie 18

GA 11/1:325 f. GA II/1:337 (Hervorhebung von mir). 20 AA 5:197. 21 GA 11/1:347 f. 22 GA 11/1:355. 23 GA 11/1:358. 24 AA 5:224 und 532 bzw. GA II/l :367 f. Anm. 25 Hervorhebung von mir. Wilhelm Windelband hat in seiner Ausgabe der „Kritik der Urteilskraft" im Rahmen der Akademie-Ausgabe die Lesart der dritten Auflage für die 19

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wird ihre emphatische Unterstützung durch Kant; und die in Fichtes Anmerkung anklingende Verunsicherung über den Sinn der ursprünglichen Formulierung erfährt eine nachträgliche Bestätigung, wenn auch wohl nicht durch eine eigenhändige Korrektur Kants. Im weiteren fugt Fichte seiner Wiedergabe von § 14 eine zweite Anmerkung hinzu, mit der er die folgende Erklärung Kants kommentiert: „Die Farben, welche den Abriß illuminiren, gehören zum Reiz." 26 In seiner Anmerkung erläutert Fichte Kants Aussage mittels der Unterscheidung zwischen einer materialen Farbgebung durch die nachträgliche Illumination einer Fläche und einer formalen Farbgebung, bei der von einander abgegrenzte Farbflächen allererst einen Raum konstituieren und bei der man von der „Qualität der Farben an sich gänzlich abstrahiren kann". 27 Demnach gehört nicht die Farbe als solche zum Reiz am Angenehmen (im Unterschied zum Gefallen am Schönen) sondern lediglich ihr Gebrauch zum Zweck der Kolorierung - im Unterschied nämlich zu ihrem möglichen Gebrauch zum Zweck der Strukturierung, aufgrund dessen die Farbe Gegenstand eines reinen ästhetischen Urteils sein kann. Eine gegenüber dem Kantischen Text veränderte „Vorstellungsart" wählt Fichte nach eigenem Bekunden für die Wiedergabe des letzten von ihm wiedergegebenen Paragraphen (§ 16) und stellt dieses Verfahren auch für die „folgenden §." in Aussicht, allerdings mit der Versicherung: „die Resultate sind die gleichen" - wie bei Kant. 28 Abgesehen von den hier verzeichneten Umänderungen hält sich Fichtes Präsentation der „Kritik der Urteilskraft" in seinem „Versuch eines erklärenden Auszugs" eng an den Wortlaut, die Begrifflichkeit und die Argumentationsweise des Kantischen Textes. Doch schon zwei Jahre später ist bei Fichte ein wesentlich freierer und auch kritischerer Umgang mit der „Kritik der Urteilskraft" zu verzeichnen. Inzwischen hat Fichte die Auseinandersetzung mit Kant eingebettet in den philosophischen Dialog mit dessen einflußreichstem und originellstem frühen Interpreten und Fortsetzer, Karl Leonhard Reinhold. Nach einer anfänglich auf die vereinheitlichte Exposition von Kants theoretischer Philosophie, Moralphilosophie und Moraltheologie angelegten Phase seiner KantRezeption in den ab 1786 im „Teutschen Merkur" erschienenen „Briefen über die Kantische Philosophie" 29 entwickelt Reinhold ab 1789 in einer Reihe von Publikationen eine vertiefte Grundlegung der Philosophie im Anschluß an

Konstitution des Textes an dieser Stelle übernommen (siehe dazu die Angaben in der vorigen Anmerkung). Die „J. F. Fichte-Gesamtausgabe44 bringt den ganzen Sachverhalt nicht zur Sprache. 26 AA 5:225 bzw. GA 11/1:369. 27 GA 11/1:369. 28 GA 11/1:371. 29 Karl Leonhard Reinhold , Briefe über Kantische Philosophie. Erster Band. Leipzig 1790, Zweyter Band, Leipzig 1792; Nachdruck hg. v. Raymund Schmidt. Leipzig 1923.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft 41 auf Fichte und Schelling

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Kant. 30 Im Mittelpunkt dieser Neukonzeption steht die Forderung, den einen, aller Differenzierung der Philosophie wie ihres Gegenstandsbereichs vorausliegenden und zugleich alle Differenzierung ermöglichenden Grundsatz der Philosophie aufzustellen. Reinhold zufolge ist dieses Urprinzip der Philosophie der „Satz des Bewußtseins", demzufolge im Bewußtsein die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen wird. 31 Fichte übernimmt von Reinhold das Projekt der Gründung der Philosophie auf einem einheitlichen umfassenden Prinzip, doch teilt er die zeitgenössischen Einwände gegen die Qualifikation von Reinholds Satz des Bewußtseins für die Funktion eines ersten Grundsatzes, wie sie insbesondere Gottlob Ernst Schulze und Salomon Maimon gegen Reinhold erhoben hatten.32 Das Dokument von Fichtes Ringen um einen alternativen, gegen die Einwände Schulzes und Maimons immunen Grundsatz der Philosophie sind die Aufzeichnungen betitelt „Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie" 33 und deren Fortsetzung unter dem Titel „Practische Philosophie" 34 , die beide auf den Zeitraum zwischen November 1793 und Januar 1794 zu datieren sind und die seit 1971 veröffentlicht vorliegen. 35 Die beiden Texte bilden die Vorstufe für die von Fichte Anfang 1794 erstmals ausgearbeitete und zuerst in Zürich und bald darauf in Jena unter dem Titel „Wissenschaftslehre" vorgetragene Grundlegung alles Wissens aus dem Ich als Prinzip. 36 Während in den „Eignen Meditationen" die Fortbildung von Reinholds Grundsatzphilosophie zu einer transzendentalen Theorie des Ich und seiner Setzungen im Vordergrund steht, ergänzt die „Practische Philosophie" die dabei vorwaltende Beschränkung auf das theoretische oder erkennende Ich (Ich als In30 Karl Leonhard Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag und Jena 1789. Nachdruck Darmstadt 1963 sowie ders., Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, hg. von Faustino Fabbianelli. Hamburg 2003 (Erstveröffentlichung 1790). 31 Siehe Karl Leonhard Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, 113 („Neue Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie"). 32 Siehe Gottlob Ernst Schulze, Aenesidemus oder über die Fundamente der von Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, hg. von Manfred Frank. Hamburg 1996 (Erstveröffentlichung 1792); Salomon Maimon, Versuch über die Transzendentalphilosophie, hg. von Florian Ehrensperger. Hamburg 2004 (Erstveröffentlichung 1790). 33 GA 11/3:21-177. 34 GA 11/3:179-266. 35 Siehe GA 11/3:5-19, bes. 19. 36 Siehe J. G. Fichte, Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre. Februar 1794. Nachschrift Lavater, hg. von Erich Fuchs. Neuried 1996; GA 1/2:91-172 („Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie") sowie GA 1/2: 229-451 („Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre").

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telligenz) um die Dimension des praktischen oder strebenden Ich (Ich als Fühlendes und Handelndes). Die praktische Philosophie wird dabei von Fichte nicht auf die Moralphilosophie beschränkt, wie dies bei Kant der Fall war, und auch nicht bloß um eine generische Theorie des Wollens und Handelns erweitert, wie dies Reinhold ansatzweise getan hatte.37 Vielmehr umfaßt der Bereich des Praktischen bei Fichte nunmehr auch, und dies an systematisch prominenter Stelle, die Gefühle. Die Grundverfassung des auf Tätigkeit angelegten Ich faßt Fichte als „Streben", das aufgrund der konstitutiven Begrenztheit (Endlichkeit) des praktischen Ich wesentlich durch die Erfahrung von Widerständen gekennzeichnet ist. 38 Die Instanz für die Gewährung des das Streben des praktischen Ich frustrierenden Gegenstrebens ist das „Gefühl". Für Fichte ist die Grundform des praktischen Ich das ,,empfindende[s] Ich". 39 Bei der Ausarbeitung seiner Theorie des empfindend-praktischen Ich greift Fichte in der „Practischen Philosophie" durchgängig auf Termini, Konzepte und Lehrstücke der „Kritik der Urteilskraft" zurück. Dies erklärt sich aus dem doppelten Umstand, daß in der „Kritik der reinen Vernunft" die Empfindung nur als subjektiver Faktor der theoretischen, für Erkenntnis relevanten Sinnlichkeit in Betracht kommt und daß die „Kritik der praktischen Vernunft" sich auf das obere, rein vernunftbestimmte Begehrungsvermögen unter Ausschluß der praktischen, für das Handeln relevanten Sinnlichkeit (Neigung) beschränkt. Dagegen thematisiert die „Kritik der Urteilskraft" die affektive Dimension von Erkennen wie Handeln. Darüber hinaus bietet die dritte Kritik mit ihren Erkundungen der einheitlich-komplexen Grundstruktur des erkennenden, wollenden und fühlenden Subjekts für Fichte wichtige Anregungs- und Orientierungspunkte in seinem Vorhaben, Reinholds einseitig am Erkennen ausgerichtete Theorie des Subjekts und seiner Leistungen um eine Theorie der affektiv-praktischen Grundnatur des Subjekts zu vertiefen und zu ergänzen. In ihrem Aufbau liefern die Ausführungen der „Practischen Philosophie" eine Lehre von den Erscheinungsformen der Subjektivität, die von der Empfindung über die Anschauung bis hin zur Urteilskraft reichen. Dabei sind die Rückgriffe Fichtes auf die „Kritik der Urteilskraft" keine bloßen Wiedergaben von deren Begriffen und Positionen, sondern selbständige und auch kritische Um- und Fortbildungen Kantischer Gedanken. Die Erörterungen zur Rolle der Empfindung fokussiert Fichte auf die systematische Bearbeitung von Kants ästhetischer Kategorie des Angenehmen.40 Was bei Kant nur dem kontrastieren-

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Siehe Karl Leonhard Reinhold , Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 560-579 („Grundlinien der Theorie des Begehrungsvermögens"). 38 Siehe GA 11/3:182 ff. 39 GA 1/3:190. 40 GA 11/3:184 ff.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft auf Fichte und Schelling

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den Vergleich mit den anderen Formen des Gefallens, dem am Schönen und am Guten, dient, wird bei Fichte zum Gegenstand einer eigens ausgeführten „Theorie der Empfindungen", in der die „Materie" des Gefühls eine systematische Plazierung und Charakterisierung erfährt. Dabei kommt es zur Unterscheidung zwischen „theoretischer", rein kognitiver Empfindung und „ästhetischer" oder affektiv dimensionierter Empfindung wie auch von „innerer", rein auf das Subjekt bezogener Empfindung und der „äußern Empfindung", die auf Gegenständliches geht. 41 Unter dem systematischen Titel der „Form des Gefühls" behandelt Fichte sodann die „ästhetische Anschauung" des Schönen.42 Im Hinblick auf die zugrundegelegten einschlägigen Bestimmungen der „Kritik der Urteilskraft" sind hier hervorzuheben: die praktische Konzeption des „Urschönen" oder der „Urschönheit" als unerreichbarem ästhetischen Strebensziel, 43 die Unterscheidung zwischen „innerer" und „äußerer Schönheit" in Korrespondenz zur Unterscheidung von innerer und äußerer Anschauungsform (Zeit bzw. Raum) 44 sowie die damit korrelierte Unterscheidung zwischen dem „mathematischen Schönen" und dem „dynamischen Schönen".45 Eine markante Ergänzung von Kants Analytik des Schönen liefert des weiteren Fichtes temporale Deutung des Charakters des Schönen als „Entweilen" oder „entweilend". 46 Bei der Erörterung des Erhabenen behandelt Fichte die Kantische Unterscheidung zwischen dem Mathematisch-Erhabenen und dem Dynamisch-Erhabenen nicht als Differenz unter Gegenständen, sondern als Differenz von zwei „Ingredienzien" am selben Gegenstand.47 Die Erörterung der Urteilskraft schließlich nimmt zum Ausgang „die Kantische reflektirende Urtheilskraft" und deren Prinzip der „Heautonomie". 48 Den teleologischen Gebrauch der reflektierenden Urteilkraft bringt Fichte dabei in Verbindung mit dem Übergang von der ,,todte[n] Natur", auf deren Erwägung die theoretische Philosophie beschränkt ist, zu „Leben, Kausalität, u. Streben", die der Natur in der sinnlich-praktischen Philosophie zukommen.49 Auch wenn Fichte später aus äußerlichen Gründen (Atheismusstreit, Verlust seiner Jenaer Professur) nicht zur Ausarbeitung einer transzendentalen Theorie der Natur ge41

GA 11/3:201. GA 11/3:206 ff. 43 GA 11/3:207. 44 GA 11/3:211 ff. 45 GA 11/3:216-218. 46 GA 11/3:219 ff. 47 GA 1/3:231. 48 GA 11/3:241. Zum Begriff der Heautonomie bei Kant, einem hapax legomenon, siehe AA 5:185 (Einleitung, V.). 49 GA 11/3:246 (im Original Hervorhebung). 42

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kommen ist, so stehen doch seine einschlägigen Beiträge zu den materiellen Voraussetzungen rechtlichen und sittlichen Handels, insbesondere die systematische Ableitung („Deduction") der Leiblichhkeit des praktischen Subjekts,50 unter dem methodischen und sachlichen Einfluß der Kantischen Konzeption der transzendental-reflektierenden Urteilskraft. 51

2. Der systematische Ort der Ästhetik, der Kunst und des Künstlers In den sich an die „Eignen Meditationen" und die „Practische Philosophie" unmittelbar anschließenden Schriften aus den Jahren 1794-95 fuhrt Fichte die systematische Integration der Materien, die Kant in der „Kritik der Urteilskraft" verhandelt hatte, in den praktischen Teil seiner als Wissenschaftslehre rekonzipierten Transzendentalphilosophie fort. Die programmatische Schrift „Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie" sieht für die vollständige Theorie des „strebenden Ich" zunächst eine „neue durchgängig bestimmte Theorie des Angenehmen, des Schönen, und Erhabenen, der Gesetzmäßigkeit der Natur in ihrer Freiheit" vor. 52 In der ersten und einzigen von Fichte selbst zum Druck beförderten Darstellung der Wissenschaftslehre, der „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre" von 1794-95,53 bei der es sich um den Text von Fichtes Vorlesungen über die Transzendentalphilosophie aus seinen ersten beiden Jenaer Semestern handelt, kommt es dann allerdings, wohl aus Zeitgründen, nicht zur Ausarbeitung dieser Partien der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen". 54 Auch die von Fichte während dreier Wintersemester zwischen 1795-96 und 1798-99 jeweils vorgetragene „neue Darstellung der Wissenschaftslehre" oder „Wissenschaftslehre nova methodo" enthält nicht die angekündigte systematische Auf- und Ausarbeitung der hauptsächlichen Gegenstandsbereiche von Kants „Kritik der Urteilskraft". 55 Doch nimmt Fichte hier eine Neueinteilung 50

Siehe GA 1/3:329-388 („Grundlage des Naturrechts", §§ 1-7) sowie GA 1/5:73-146 („Das System der Sittenlehre", Zweites Hauptstück). 51 Siehe dazu Günter Zöller, Fichte's "Foundation of Natural Right" and the MindBody Problem, in: Rights, Bodies, and Recognition. New Essays on Fichte's Foundations of Natural Right, hg. von Daniel E. Breazeale und Tom Rockmore (Aldershot, England und Burlington, Vt.: Ashgate, 2005), 76-93. 52 GA 1/2:151. 53 GA 1/2:249-451. 54 GA 1/2:385. 55 GA 1/4:183-269 (von Fichte publiziertes Fragment der „Neuen Darstellung der Wissenschaftslehre") sowie Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo. Kollegnachschrift K. Chr. Fr. Krause 1798/99, hg. von Erich Fuchs. 2., verbesserte Auflage. Hamburg 1994. Zu diesen Vorträgen der Wissenschaftslehre liegt außer dem zuvor genannten Fragment kein eigenhändiger Text Fichtes vor.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft auf Fichte und Schelling

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der Wissenschaftslehre vor, die insbesondere den systematischen Ort der Ästhetik redefiniert. Fichte trägt zunächst die Grunddivision der Philosophie in „theoretische Philosophie oder Weltlehre" und „praktische Philosophie" vor. Erstere handelt von der Welt, wie sie für vernünftige Wesen gegeben ist (genauer: ihnen als gegeben erscheint), letztere davon, „wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll". 56 Doch abweichend von Fichtes vorheriger Konzeption des Systems der Philosophie umfaßt die praktische Philosophie „nur eine Ethik". 57 Die Rechtslehre („Naturrecht") lokalisiert Fichte nunmehr „zwischen theoretischer und praktischer Philosophie" - mit der Begründung, daß sie „theoretische und praktische Philosophie zugleich" ist und „die Würksamkeit der Natur und [der] Freiheit in ihrer Vereinigung" behandelt.58 Fichte berücksichtigt damit den Doppelcharakter der reinen Rechtslehre, die das theoretische Problem der Kompatibilisierung der Freiheit jedes einzelnen mit der aller anderen mit dem praktischen Problem der Willensbestimmung durch Willensbeschränkung verbindet. Eine ähnliche Mittelposition schreibt Fichte der „Religionsphilosophie" zu, die er, darin Kant folgend, als „Philosophie [...] des Postulats der praktischen Philosophie an die theoretische" versteht. 59 Übrig bliebt so die philosophische „Wissenschaft" der „Aesthetik". Auch ihr bestimmt Fichte eine Mittelposition, die er aber nicht - wie im Fall von Rechtsund Religionsphilosophie - zwischen theoretischer und praktischer Philosophie lokalisiert sondern zwischen Philosophie und Nichtphilosophie (oder Leben). Die Ästhetik erlaubt die Vermittlung der Einsichten, die „auf dem transzendentalen]. Gesichtspunct" gewonnen werden, an den „gemeinen Gesichtspunct" und gewährleistet so einen „Uibergang zwischen beiden Gesichtspuncten".60 Während die Welt ,,[a]uf dem gemeinen Gesichtspunct [... ]als gegeben" erscheint und sie „auf dem transcendfentalen]. Gemacht" erscheint, erscheint sie „auf dem aesthetischen [...] als gegeben als ob wir sie gemacht hätten und wie wir selbst sie machen würden". 61 Fichte hat damit zum einen die innerphilosophische Vermittlungsfunktion der reflektierenden Urteilskraft für die Mediatisierung zwischen Philosophie und Leben herangezogen und zum anderen die bei Kant zu findende Konzeption der bloßen Subjektivität und der nur fingierten Objektivität („als ob") der reflektierenden Urteilskraft reaffirmiert. Die von Fichte in Anlehnung an Kant herausgearbeitete Vermittlungsfunktion des Ästhetischen verläuft aber nicht nur vom transzendentalen zum gewöhn56

Wissenschaftslehre nova methodo, 241. Ebenda. 58 Wissenschaftslehre nova methodo, 242. 59 Wissenschaftslehre nova methodo, 243. Zu Kants Auffassung siehe A A 5:132-134 („Kritik der praktischen Vernunft"). 60 Wissenschaftslehre nova methodo, 243 f. 61 Wissenschaftslehre nova methodo, 244. 57

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liehen Standpunkt, wobei es zur Versinnlichung des Intellektuellen kommt. In umgekehrter Richtung leitet das Ästhetische vom gewöhnlichen zum philosophischen Standpunkt über. Man könnte dabei, in Anlehnung an Fichtes Feststellung, „daß der Philosoph ästhetischen Sinn, d. h. Geist haben müße" 62 von der Vergeistigung des Sinnlichen durch das Ästhetische sprechen. Mit der Vorstellung vom Geist, der den Philosophen „beleben" muß, überfuhrt Fichte einen weiteren Schlüsselbegriff aus der „Kritik der Urteilskraft" - Geist als das „belebende Princip im Gemüthe" 63 - in die eigene Theoriebildung und unterzieht ihn dabei einer gegenüber dem engeren ästhetischen Kontext bei Kant erweiterten Anwendung. Die Funktion des Ästhetischen bei der erforderlichen Vermittlung zwischen Philosophie und Leben lenkt Fichtes Blick auch auf die Rolle des Künstlers, genauer: die des „ästhetischen Künstlers" - des freien Künstlers im Unterschied zum mechanischen Künstler (Handwerker). Fichte verweist auf dessen sittliche Aufgaben („Pflichten") und auf deren Behandlung in seinem zeitgleich mit der „Neuen Darstellung der Wissenschaftslehre" vorgetragenen „System der Sittenlehre" (1798). 64 Schon gleich zu Beginn seiner Jenaer Professur im Jahr 1794 hatte Fichte eine öffentliche Vorlesung „De officis eruditorum" oder über „Moral für Gelehrte" gehalten und die ersten fünf dieser Vorlesungen noch im selben Jahr unter dem Titel „Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten" publiziert. 65 Nach der veröffentlichten Version zu urteilen, hat Fichte damals den Künstler noch nicht in seine Berufsmoral des Intellektuellen einbezogen. Doch schon in der von Fichte erstmals im Sommersemester 1796 gehaltenen „Vorlesung über die Moral" wird, einer erhaltenen Nachschrift zufolge, der „aestetische Künstler" in die systematische Mittelstellung gebracht zwischen dem Gelehrten, dessen Pflicht und „Beruf 4 es ist, den „[theoretischen Verstand" der Menschen zu kultivieren, und dem Geistlichen, dessen Pflicht und „Beruf 4 als ,,moralische[r] Volkserzieher" darauf geht, das Gefühl und den Willen des Menschen in eine „moralische Richtung" zu lenken.66 Die Pflicht des zwischen dem Gelehrten und dem Geistlichen plazierten ästhetischen Künstlers besteht darin, „die sinnliche Natur des Menschen, der moralischen näher zu bringen". 67 Die von Fichte selbst im Jahr 1798 publizierte Fassung seiner Moralvorlesung, „Das System der Sittenlehre", 68 liefert dann eine „Eintheilung des mögli62

Ebenda. A A 5:313 (§ 49). 64 Wissenschaftslehre nova methodo, 244. 65 GA 1/3:23-68. Zur lateinischen und deutschen Bezeichnung der ursprünglichen Vorlesungen siehe GA 1/3:3 und 11. 66 GA IV/1:147 f. 67 GA IV/1:148. 68 GA 1/5:19-317. 63

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chen menschlichen Berufs", die, was die „höhere Volksklasse" angeht, außer dem Gelehrten, dem Geistlichen und dem Staatsbeamten den „ästhetischen Künstler" einschließt.69 Fichtes Ausführungen zur sittlichen Bestimmung der Kunst und des Künstlers im „System der Sittenlehre" stimmen überein mit den oben skizzierten Gedanken der „Wissenschaftslehre nova methodo" zu deren propädeutisch-pädagogischer Funktion in der Vermittlung zwischen dem „transscendentalen" und dem „gemeinen" Gesichtspunkt.70 Hinzukommt in der spezifisch moralphilosophischen Perspektive der Schrift die integrative Funktion der schönen Kunst und ihres Hervorbringers, des Künstlers, der nicht wie der Gelehrte einseitig den Verstand oder wie der Geistliche einseitig das „Herz" bildet, sondern den „ganzen vereinigten Menschen".71 Des weiteren verweist Fichte auf die spezifische propädeutische Rolle der schönen Kunst für die Moralität („Vorbereitung zur Tugend"), die in der Losreißung des Menschen „von der gegebenen Natur" und in dessen Reorientierung auf die „Selbstständigkeit der Vernunft" besteht.72 Während die Terminologie Fichtes, der hier von der ,,ästhetische[n] Bildung des Menschengeschlechts" spricht, Schillers im Jahre 1795 erschienene Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen" anklingen läßt, 73 ist die bei Fichte vorliegende Subordination des Ästhetischen gegenüber dem Moralischen eher Kants Ausführungen zum Verhältnis zwischen dem Schönem und dem Moralisch-Guten in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" verpflichtet, insbesondere deren abschließenden Überlegungen zur Schönheit als „Symbol der Sittlichkeit" und zum Geschmack als „Beurtheilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen". 74 Auch wenn Fichte nicht dazu gekommen ist, die Ästhetik und Kunstphilosophie eigens auszuarbeiten, wird man von der singulären Bedeutung der „Kritik der Urteilskraft" für die Formation von Fichtes Denken über Kunst und Künstler ausgehen können.

69

GA 1/5:300-314, bes. 307-309 (§31. „Über die Pflichten des ästhetischen Künst-

lers"). 70

GA 1/5:307 f. GA 1/5:2307. 72 GA 1/5:308. 73 Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, hg. v. Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. München 1975, 5:570-669. Anklänge bestehen auch an den Titel von Lessings Schrift aus dem Jahr 1780: Die Erziehung des Menschengeschlechts (Lessings Werke, hg. von Kurt Wölffei. Frankftirt/M. 1967, 3:544-563). 74 AA 5:351-356 (§§ 59 f.). 71

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3. Die Metakritik

der „ Kritik der Urteilskraft

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Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichtes Denken geht aber über den direkten Einfluß hinaus, den Kants Werk auf die Herausbildung der Wissenschaftslehre gehabt hat. Auch in Fichtes über zwei Jahrzehnte fortgesetzter Arbeit an der Darstellung der Wissenschaftslehre - sowohl ihrer Grundlegung als auch der dieser angegliederten angewandten Systemteile - bleibt die „Kritik der Urteilskraft" ein wichtiger systematischer Bezugspunkt. Dabei mischt sich in die positive Einschätzung von Kants Leistungen immer auch die Kritik an den von Fichte wahrgenommenen Unzulänglichkeiten des Kantischen Denkens. Im Vordergrund von Fichtes kritischer Rühmung Kants steht dabei dessen Bemühen in der „Kritik der Urteilskraft", die aus der „Kritik der reinen Vernunft" und der „Kritik der praktischen Vernunft" resultierende Zweiteilung der Welt in Sinnen- und Verstandeswelt und die dieser Dichotomie korrespondierende Gegenüberstellung von theoretischer und praktischer Vernunft durch die Einfügung eines vermittelnden Dritten in Gestalt der reflektierenden Urteilskraft zu überbrücken. Nach Fichtes Einschätzung sind Kants philosophische Bemühungen in dieser Richtung zwar gutzuheißen, aber insgesamt gekennzeichnet durch mangelnde Konsequenz in der Durchführung, die letztlich zur Beibehaltung der kosmologischen Zweiteilung und der psychologischen Dreiteilung fuhren, statt wie Fichte selbst zu einer einheitlich verfaßten Welt und einem einheitlich verfaßten Subjekt und endlich zu deren beider Einheit durchzudringen. Exemplarisch zeigt sich Fichtes kritische Einschätzung der „Kritik der Urteilskraft" durch Fichte in einer Reihe von Texten aus den Jahren 1804-06 und 1812. In Aufzeichnungen vom März 1804, die im Zusammenhang mit dem Besuch der Madame de Stael in Berlin stehen, unterscheidet Fichte zwischen jenen Ableitungen des Mannigfaltigen aus der Einheit in „unvollständiger TransscendentalPhilosophie", in denen der Zusammenhang des Mannigfaltigen in der höchsten Einheit bloß „versichert" wird, und der Wissenschaftslehre, die diesen Sachverhalt „begreiflich nachweiset".75 Das maximale Ausmaß wie die Grenzen von Kants philosophischen Anstrengungen zeigt sich für Fichte in der Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft", „in welcher er [sc. Kant ] auf dem Gipfel seiner Spekulation steht". 76 Ähnlich äußert sich Fichte in einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 8. Mai 1806, in dem er die „Kritik der Urteilskraft" insgesamt mit dem Prädikat des „Gipfels der Kantischen Spekulation" belegt. 77 Speziell die Einsichten der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" in den nichtsinnlichen, freien Charakter des Ich kehrt Fichte noch in der „Sittenlehre" von 1812 heraus, allerdings nicht ohne zugleich klarzustellen, daß er „die Sache

75 76 77

GA 11/7:246 f. (im Original Hervorhebung) („Aphorismen für Mme de Stael"). GA 11/7:247. GA 111/5:356.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft auf Fichte und Schelling

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nicht im Ganzen des Systems übersah". 78 Die besondere Bedeutung der „Kritik der Urteilskraft" für die spekulative Erfassung des Gefühls als ursprünglicher Gewährsinstanz von Realität vermerkt Fichte auch in der „Wissenschaftslehre" von 1805, fügt sogleich aber hinzu, was Kant dort „über das [Gefühl] des Wohlgefallens, u. Misfallens sagt, reicht nicht bis zu Realität". 79 Ähnlich kritisch ist auch Fichtes Einschätzung von Kants Rückgriff auf die reflektierende Urteilskraft zur Begründung theoretisch unausweisbarer Erkenntnisansprüche. Fichte greift mehrfach zustimmend auf Kants Unterscheidung zwischen mechanisch-bestimmender und frei-reflektierender Urteilskraft zurück. 80 Im Hinblicks auf Kants Aufstellung besonderer Gesetze der Welt nach Maßgabe des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft stellt er aber auch fest: „nur geht er da nicht weit", um gleich danach auf seine eigene Herleitung von „menschl. Leib, Licht[,] Luft, Sinne[n]" zu verweisen. 81 Mit Blick auf die „Annahme vernünftiger Wesen außer mir" konstatiert Fichte, daß Kant sich dieser systematischen Aufgaben nicht gestellt hat, obwohl er, was die theoretischen Ressourcen zur Begründung dieser Annahme angeht, ,,[i]n der Kritik der Urtheilskraft, wo er von den Reflexionsgesetzen unseres Verstandes spricht, [...] diesem Punkte nahe" war. 82 Fichte bezieht sich dabei auf den Schlußmodus der reflektierenden Urteilskraft von der nach mechanischen Naturgesetzen zufälligen Regelmäßigkeit des Gegebenen auf einen zugrundeliegenden, genauer: einen zugrundezulegenden, Begriff - ein Verfahren, das Fichte selbst für den Interpersonalitätsbeweis oder den Nachwies der Wirklichkeit anderer endlicher Vernunftwesen heranzieht. 83 Im Zentrum von Fichtes kritischer Auseinandersetzung mit der „Kritik der Urteilskraft" steht die von Kant behauptete „unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen", 84 der gegenüber Fichte zunächst die durch die Wissenschaftslehre geschlagene „Brücke" zwischen den beiden Gebieten geltend macht, um sodann die Zweiteilung metakritisch auf eine ursprüngliche Einheit zurückzuführen. Dabei leitet er zum einen die Sinnenwelt als die Welt des Gegebenen auf deren notwendigen Erklärungsgrund in der Verstandeswelt oder der Welt des rein Gedachten zurück und leitet zum anderen die Verstan78

GA 11/13:307-392, hier: 356. GA 11/9:300. 80 Siehe etwa GA I V / L 4 2 („Vorlesung über die Moral SS 1796") und GA 1/5:110 („Das System der Sittenlehre"). 81 GA 11/4:274 („Vorlesungen über Platners Aphorismen Teil I"; die zitierte Stelle stammt vom Sommersemester 1798 oder Wintersemester 1798-99). 82 GA IV/2:142 („Wissenschaftslehre nova methodo" - Nachschrift Halle). Siehe auch IV/3.446 („Wissenschaftslehre nova methodo" - Nachschrift Krause). 83 Siehe GA IV/2: 141-145 und GA IV/3:443-447. 84 AA 5:175 f. („Kritik der Urteilskraft", Einleitung, II.). 79

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desweit zurück auf die Sinnenwelt als die Sphäre der sinnlichen Verwirklichung des rein Gedachten. Schließlich vereinigt Fichte beide Welten in der Konzeption des sich nach Maßgabe der Erkenntnis selbst zum Handeln bestimmenden Willens. 85 Dem entsprechend tritt an die Stelle von Kants zwei Welten bei Fichte die „Eine Welt ohne Beinahmen", in der die beiden Welten eine „teleologische [Erklärung]" erfahren im Rückgriff die doppelte, sinnliche wie geistige Verwirklichung des unbedingten Zwecks. 86 Neben dem Dualismus von Sinnen- und Verstandeswelt sind es vor allem die von Kant in der „Kritik der Urteilskraft" vorgenommene Dreiteilung der Gemütsvermögen in Verstand, Begehrungsvermögen und Gefühl der Lust und Unlust sowie die dieser Einteilung korrelierte Unterscheidung der „oberen Erkenntnisvermögen" in Verstand, Vernunft und Urteilskraft, die bei Fichte eine kritische Aufnahme finden. 87 Fichte zufolge lassen die von Kant unterschiedenen Vermögen des Begehrens und des Gefühls der Lust und Unlust „sich leicht vereinigen" und geschieht die Vereinigung des resultierenden, umfassend affektiv-praktischen Vermögens mit dem verbleibenden theoretischen Vermögen im Rückgang auf den prädisjunktiven Grund des Subjekts („Ichheit", „Ichseyn"). 88 Fichte stellt fest, „daß Kant diese Vereinigung nicht geleistet, daß er aber trefliche Ahnungen gehabt". 89 An der Kantischen Differenzierung der Vernunft „als theoretische, als praktische, als urtheilende Vernunft" moniert Fichte, daß Kant entgegen seiner ursprünglichen Intention „die Vernunft oder das Wissen nicht in seiner absoluten Einheit" erfaßt und konstatiert deshalb im Hinblick auf die systematische Leistung der „Kritik der Urteilskraft": „Die Ausführung blieb jedoch hinter dem Vorsatze zurück." 90 Ihren spekulativen Höhepunkt findet Fichtes kritische Einschätzung der Leistung von Kants „Kritik der Urteilskraft" im zweiten Vortrag der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1804.91 Kant dient Fichte hier zur systematischen Einführung in die eigene, gegenüber dem Vorläufer vervollständigte Transzendentalphilosophie. Dabei wird Kant die spekulative Einsicht zugeschrieben, daß die vordergründig alle Gestaltungen des Bewußtseins durchziehende Disjunktion in Subjekt und Objekt bzw. in Denken und Sein durch den Ansatz eines prädis85 GA IV/2:115 („Wissenschaftslehre nova methodo" - Nachschrift Halle) sowie GA IV/3:424 („Wissenschaftslehre nova methodo" - Nachschrift Krause). 86 GA 11/7:449 („Die Principien der Gottes-, Sitten- u. Rechtslehre"; 1805). 87 Siehe A A 5:169 f. und 176-179 („Kritik der Urteilskraft", Vorrede und Einleitung, III.). 88 GA 11/4:62 („Vorlesungen über Platners Aphorismen Teil I"; die zitierte Stelle stammt vom Sommersemester 1796) sowie GA IV/L199 f. („Vorlesung über die Moral SS 1797"). 89 GA IV/1:200. 90 GA 11/10:21 f. („Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre"; 1806). 91 GA 11/8:2-421.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft

auf Fichte und Schelling

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junktiven, „absoluten" Wissens ebenso zu begründen wie zu überwinden ist. Bei Kant konstatiert Fichte ein sukzessives dreifaches Ansetzen zur prädisjunktiven absoluten Einheitsbildung und, in Korrelation dazu, eine dreifache Konzeption des Absoluten im Hinblick auf das Wissen. In der „Kritik der reinen Vernunft" sieht Fichte das absolute Wissen bzw. das Absolute in die „sinnliche Erfahrung" gesetzt.92 Alles nicht zur Sinnenwelt gehörige („Noumen") ist dabei, so Fichte, auf die bloße Funktion von Objektivität („ist") reduziert. 93 Die „Kritik der praktischen Vernunft" führt sodann das „Ich, als etwas Ansich" ein und damit als „das zweite Absolute, eine moralische Welt". 94 Die Aufgabe der Erklärung der verbleibenden „Phänomene des menschlichen Geistes", speziell der „Anschauung des Schönen, des Erhabenen, des Zweckmäßigen", führt Kant schließlich, der Rekonstruktion Fichtes zufolge, „in der Kritik der Urtheilskraft", und „in der Einleitung dazu, dem Allbedeutendsten an diesem sehr bedeutenden Buche" zu der Einsicht, „daß die übersinnliche und sinnliche Welt denn doch in einer gemeinschaftlichen, aber völlig unerforschlichen Wurzel, zusammenhängen müssen".95 Fichte sieht demnach in der „Kritik der Urteilskraft" „das dritte Absolute" eingeführt, das er im weiteren nicht wie die ersten beiden Absoluten (Sinnenwelt, moralische Welt) inhaltlich bestimmt, sondern rein funktional: als Restitution der Sinnenwelt gegenüber ihrer moralphilosophischen Vernichtung durch die Herstellung des „Zusammenhang" zwischen den „beiden Nebenabsoluten". 96 Inhaltlich wäre das von Fichte Kant unterstellte „Absolute" der „Kritik der Urteilskraft" wohl als deren transzendentales Prinzip der Zweckmäßigkeit aufzufassen, das Fichte als unbedingtes, „absolutes" Prinzip der zweckmäßigen Einheit von Subjekt und Objekt versteht. Nach Fichtes Einschätzung hat sich Kant in der „Kritik der Urteilskraft" zwar der spekulativen Grundaufgabe gestellt, die absolute Einheit im Mannigfaltigen aufzustellen. Doch hat Kant dabei, Fichte zufolge, das dritte Absolute mit der doppelten und überdies inkompatiblen Bestimmung versehen, zum einen ein eigenes Prinzip zu beinhalten und zum anderen die beiden anderen Absoluta bzw. deren Prinzipien zu verbinden. Damit ist die von Kant in der „Kritik der Urteilskraft" intendierte umfassende Einheit keine absolute Einheit, und das Absolute verbleibt, im Widerspruch zu seinem strengen Begriff, eine Dreiheit.

92

GA 11/8:26 (im Original Hervorhebung). Der hier und im folgenden zitierte Text entstammt der jeweils auf den geradzahligen Seiten abgedruckten Fassung des zweiten Vortrags der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1804 in der Überlieferung durch Immanuel Hermann Fichte. 93 GA 11/8:28 (im Original Hervorhebung). 94 GA 11/8:28 und 30 (im Original Hervorhebung). 95 GA 11/8:30. 96 GA 11/8:30 und 32.

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Ähnliche Überlegungen zu Anspruch und Leistung der „Kritik der Urteilskraft" äußert Fichte auch in einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 31. März 1804, in dem er sie ein weiteres Mal als „die vorzüglichste" unter den drei Kritiken herausstreicht, zugleich aber zu dem Urteil kommt, daß es wegen des additiven Charakters der Kritiken im Verhältnis zu einander und des Ausbleibens der absoluten Einheitsbildung in der „Kritik der Urteilskraft" „nicht weniger als drei kritische Philosophien Kant's" gibt. 97 Doch trotz dieser Diagnose beruft sich Fichte für sein eigenes Hinausgehen über Kant, und das heißt hier insbesondere: über die „Kritik der Urteilskraft", auf Kant selbst und damit auch auf die „Kritik der Urteilskraft", wenn er erklärt, daß es darauf ankommt, das von Kant Implizierte eigens zu sagen: „Kanten selber aber [...] kann man nie fassen in dem, was er sagt, sondern nur in dem, was er nicht sagt [...]; doch aber, um zu dem von ihm zuerst gesagten zu kommen, es stillschweigend voraussetzen mußte." 98

Mit dieser hermeneutischen Maxime zollt Fichte der Originalität und Profundität des Kantischen Denkens im allgemeinen und insbesondere der „Kritik der Urteilskraft" einen Tribut, der attestiert, wieviel Fichte seinem Vordenker Kant verdankt.

II. Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Schelling 7. Der absolute Grund des Wissens Bei Schelling wird der innere Ausgang des Philosophierens von Kant und speziell von der „Kritik der Urteilskraft" zumindest anfangs überlagert von der äußeren Orientierung an Fichte. So nimmt Schellings erste philosophische Veröffentlichung, die Schrift „Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt", 99 die auf den 9. September 1794 datiert ist, durchgängig Bezug auf Fichtes kurz zuvor publizierte Programmschrift „Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie" und reproduziert deren Ausführungen zum obersten, schlechthin unbedingten Grundsatz des menschlichen Wissens samt dessen Erweiterung um zwei formal bzw. inhaltlich unbedingte Grundsätze. Auch übernimmt Schelling die von Fichte eingeführte Identifizierung des unbedingten Wissensgrundes mit dem sich selbst schlechthin setzenden Ich, das sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegensetzt und dieses mit sich unter der Form der Teilbarkeit schlechthin zusammensetzt.

97 98 99

GA 111/5:237. GA 111/5:237. SSW 1:85-l 12; HKA 1/2:265-300.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft

auf Fichte und Schelling

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Doch erweitert Schelling bereits in seinem philosophischen Erstling die Bezugnahme auf Fichtes als absolute Ichlehre konzipierte Wissenschaftslehre um den Vergleich der Fichte-Schellingschen Grundsatzlehre mit historischen Lösungsansätzen in der philosophischen Prinzipienlehre, insbesondere mit Kants Unterscheidung zwischen dem obersten Grundsatz aller analytischen Urteile und dem obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile (Satz des Widerspruchs bzw. Satz des Grundes). 100 Schelling verweist auf die bei Kant angedeutete, wenn auch nicht eigens ausgeführte „ursprüngliche Verbindung" der analytischen und der synthetischen Grundform des Wissens in einer „Urform" allen Wissens. Als Beleg für Kants „Hinweisung" auf den absoluten Wissensgrund nennt Schelling Kants Anmerkung zur Tafel der Kategorien in der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft", derzufolge die jeweils dritte Kategorie in jeder der vier Klassen (Quantität, Qualität, Relation, Modalität) „aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt", wobei die Hervorbringung des dritten Begriffs „einen besonderen Actus des Verstandes" erfordert. 101 Die hier im Rückgriff auf Kant geltend gemachte absolute Grundform des Wissens in Gestalt eines ursprünglichen Dritten, das die Differenz eines Ersten und Zweiten allererst aus sich entläßt und insofern als Grund alles Wissens fungiert, wird von Schelling dann in der Schlußperspektive seiner ersten philosophischen Publikation über die Letztbegründung des (theoretischen) Wissens hinaus erweitert zum ultimativen philosophischen Wissensziel der „Einheit des Wissens, des Glaubens und des Wollens". 102 Das gesamte menschliche Sein soll so seine einheitliche Gründung erfahren in einem Unbedingten, das im System des Wissens als dessen Letztgrund fungiert, ohne deshalb mit einer der Formen der Subjektivität oder auch mit deren Gesamtheit zusammenzufallen. In Schellings Schrift „Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur" aus den Jahren 1796/97, die auch unter dem Titel „Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre" figuriert, 103 wird die von ihm schon 1794 als Einteilungsprinzip der Transzendentalphilosophie im allgemeinen und der Kategorientafel im besonderen geltend gemachte Dreiteilung („Trichotomie") ausdrücklich auf die „Kritik der Urteilskraft" zurückgeführt. 104 Schelling verweist auf eine Stelle in der Einleitung des Werkes, an der Kant un100 Die Identifikation des obersten Grundsatzes aller synthetischen Urteile mit dem Satz des Grundes findet sich bei Schclling, nicht aber bei Kant. 101 SSW 1:105 Anm.; HKA 1/2:291 Anm.. Die Stelle, auf die Schelling verweist, ohne sie eigens zu zitieren, ist ein Zusatz der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" (§ 11, bes. B I I I ) . 102 SSW 1:112; HKA 1/2:299 f. 103 SSW 1:343-452; HKA 1/4:57-190. 104 Siehe SW 1:425; HKA 1/4:152. Der Verweis Schellings gilt der Schlußanmerkung zu Ende der Einleitung (AA 5:197 Anm.).

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terscheidet zwischen der analytischen Einteilung nach dem Satz des Widerspruchs, die immer zweigliedrig ausfällt, und der synthetischen Einteilung, die, wenn sie aus Begriffen a priori erfolgen soll, immer dreigliedrig ausfällt. Schelling bezieht nunmehr diese von ihm angeführte Stelle aus der „Kritik der Urteilskraft" auf den Ursprung der jeweiligen dritten Kategorie aus der ursprünglichen Vereinigung der beiden ersten, wie sie in der „Kritik der reinen Vernunft" erörtert wird. Auch Schellings zweite philosophische Schrift, „Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen" 105 aus dem Jahr 1795, entwickelt das „Absolute im System unsers Wissens" 106 unter Rückbezug auf Kant und diesmal unter explizitem Verweis auf die „Kritik der Urteilskraft": »Kant war der Erste, der nirgends unmittelbar, aber überall mittelbar das absolute Ich als das letzte Substrat alles Seyns und aller Identität aufstellte f...]." 1 0 7

Als Belegstelle für Kants Entdeckung des absoluten Ich nennt Schelling „seine Deduktion der Kategorien und die Kritik der teleologischen Urteilskraft". Gemeint ist damit im ersten Fall die Lehre von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption in der „Kritik der reinen Vernunft". 108 Im zweiten Fall dürfte es sich weniger um eine bestimmte Stelle handeln, die Schelling im Sinn hat, als um die durchgängigen Bemühungen Kants im zweiten Teil der „Kritik der Urteilskraft", am Leitfaden der in der Natur zu beobachtenden Zweckmäßigkeit von Einzelwesen wie von deren Gesamtzusammenhang auf einen dem menschlichen Verstand analogen Urgrund des Daseins wie der Form der Dinge zu schließen. Wie schon in seiner ersten philosophischen Schrift führt Schelling auch in dieser seiner zweiten Publikation Kants faktische Vorwegnahmen nachkantischer Einsichten auf dessen „Genius" zurück, der es ihm erlaubt habe, „gleichsam sich selbst voraneilend" zu verfahren. 109 Spezieller ist der Verweis Schellings auf die „Kritik der Urteilskraft" in der Schrift „Vom Ich als Princip der Philosophie" bei der Erörterung der Teleologie, die Schelling, darin Kant folgend, als „das verbindende Mittelglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie" aufweist. 110 Im Hinblick auf das absolute oder unendliche Ich, dem als solchem nichts entgegengesetzt ist

105

SSW 1:149-244; HKA 1/2:67-175. SSW 1:232; HKA 1/2:162. 107 SSW 1:232 Anm.; HKA 1/2:162. 108 Siehe A 106 ff. und B 131 ff.; Schelling dürfte sich auf die zweite Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft" beziehen. 109 SSW 1:232 Anm.; HKA 1/2:163. Siehe auch SSW 1:105 Anm.; HKA 1/1:291 Anm. 1,0 SSW 1:241 Anm. 2; HKA 1/2:175 Anm. 106

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft

auf Fichte und Schelling

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und dem es an nichts mangelt, kommt allerdings, Schelling zufolge, weder die modale Unterscheidung von Möglichkeit, Notwendigkeit und Zufälligkeit zur Anwendung noch die für das teleologische Denken des endlichen Ich charakteristische Entgegensetzung von Mechanismus der Natur (blinde Notwendigkeit) und Technik der Natur (Zufälligkeit der zweckmäßigen Form). Vielmehr fungiert das absolute Ich als jenes höhere Prinzip, auf das „die theoretische Vernunft in ihrem teleologischen Gebrauche" 111 verweist, „in welchem Mechanism und Teleologie zusammenfallen" 112 und das damit genau die Aufgabe erfüllt, die Kant in der „Kritik der Urteilskraft" dem „übersinnlichen Substrat" der Natur zuweist. 113 Die Nähe Schellings zu Kant erstreckt sich an dieser Stelle auch auf die Einschätzung Schellings, daß es sich bei der absolut-ursprünglichen Einheit diesseits der Disjunktion von Teleologie und Mechanismus um etwas handelt, das „in den Objekten selbst unmöglich ist", das vielmehr nur „in einem über alle Objekte erhabenen Princip", das dafür eigens vorauszusetzen ist, begriffen werden kann. 114 Schelling bekundet das ganze Ausmaß der Abhängigkeit seiner Überlegungen zum nicht-objektivierbaren Urgrund alles Wissens von Kants Ausführungen über den Vernunftbegriff des einheitlich-intelligiblen Substrats von Sinnen- und Geisterwelt mit folgendem expliziten Verweis: „Vielleicht aber sind nie auf so wenigen Blättern so viele tiefe Gedanken zusammengedrängt worden, als in der Kritik der teleologischen Urheilskraft § 76. geschehen ist." 1 1 5

Der genannte Paragraph der „Kritik der Urteilskraft" 116 ist mit „Anmerkung" überschrieben und enthält „zur Erläuterung (nicht zum Beweise des [...] Vorgetragenen)" 117 weitausgreifende Reflexionen über die eigentümliche Konstitution der menschlichen Vernunft, aufgrund derer im theoretischen Verstandesgebrauch Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge unterschieden sind so wie im praktischen Vernunftgebrauch Notwendigkeit und Freiheit der Handlungen und im reflektierenden Gebrauch der Urteilskraft Mechanismus und Teleologie des Naturzusammenhangs. Kant kontrastiert dabei den in Dualismen und deren Gegensätzlichkeiten befangenen endlichen Verstand mit alternativen Konzeptionen des Erkennens, Handelns und Beurteilens, die allesamt den Status von notwendig vorauszusetzenden und insofern zu denkenden, aber nicht eigentlich erm

SSW 1:241 f.; HKA 1/2:175 (Hervorhebung im Original). SSW 1:242: HKA 1/2:175; im zweiten Abdruck der Schrift (1809) heißt es statt .Mechanism und Teleologie" „Finalität und Mechanism". 1.3 AA 5:196 (Einleitung, IX.). 1.4 SSW 1:241; HKA 1/2:175. 115 SSW 1:242, HKA 1/2:175 Anm. 1.6 AA 5:401-404. 1.7 AA 5:401. 1.2

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kennbaren Vernunftbegriffen (Ideen) besitzen. Im einzelnen sind dies der „Urgrund [...], an welchem Möglichkeit und Wirklichkeit gar nicht mehr unterschieden werden sollen", die „intelligibele Welt [...], wo zwischen Sollen und Thun kein Unterschied sein würde" und eine Betrachtung der Natur, bei der man „zwischen Naturmechanismus und Technik der Natur, d. i. Zweckverknüpfung in derselben, keinen Unterschied finden" würde. 118 Schellings emphatische Zustimmung zu diesen Ausführungen bezieht sich wohl weniger auf die von Kant durchweg geltend gemachte Restriktion der Ideen des übersinnlichen Urgrundes und der intelligiblen Welt auf Begriffe, die bloß subjektiv gelten, nämlich „für den menschlichen Verstand", „für die menschliche Vernunft" und „für die menschliche Urteilskraft". 119 Vielmehr konzentriert sich Schellings Rezeption dieses Kantischen Lehrstücks statt auf den von Kant betonten bloß subjektiven Charakter der Ideen von Urgrund und intelligibler Welt auf deren nicht-objektiven und nicht-objektivierbaren Charakter, den Schelling als genialen Hinweis Kants auf den absoluten, aller Objektivität wie Subjektivität vorausliegenden Charakter des Urgrundes alles Wissens wie alles Gewußten oder Wißbaren in Gestalt des absoluten Ich wertet. Die Affinität von Schellings Konzeption des absoluten Ich zur Kantischen Idee des ungegenständlichen Urgrundes wird von Schelling selbst noch dadurch herausgestrichen, daß er Kants Vereinbarung von Mechanismus und Teleologie im Vernunftbegriff des Übersinnlichen kontrastiert mit der von Spinoza angestrebten, aber nicht geleisteten Kompatibilisierung von Mechanismus und Teleologie. Nach Schellings Auffassung lokalisiert Spinoza die absolute Einheit von Mechanismus und Teleologie nicht wie Kant in einem Über- oder Vorgegenständlichen sondern in einem Absoluten, das er „als absolutes Objekt bestimmte" 120 . Nicht ein vom empirischen Subjekt unterschiedenes, als gegenständlich gedachtes Absolutes (unendliche Substanz), sondern nur ein in Anlehnung an Kants einschlägige Ausführungen in der „Kritik der Urteilskraft" als subjektiv verfaßt konzipiertes Absolutes („absolute Ich") vermag, Schelling zufolge, als Urgrund von Denken und Sein zu fungieren. Neben Fichte und dem durch F. H. Jacobi in die nachkantische Debatte eingeführten Spinoza 121 erweist sich damit Kant und speziell die „Kritik der Urteilskraft" als systematischer Ausgangspunkt für Schellings frühe philosophische Entwicklung.

1,8

AA 5:402 bzw. 404. AA 5:402 bzw. 404. 120 SSW 1:242; HKA 1/2:175 Anm. (Hervorhebung im Original). 121 Siehe Friedrich Heinrich Jacobi , Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn, hg. von Marion Lauschke. Hamburg 2000 (Erstveröffentlichung 1785). 119

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2. Die Geburt der Naturphilosophie aus dem Geist der „ Kritik der Urteilskraft" Die gedankliche Nähe von Schellings frühen philosophischen Publikationen über den absoluten Grund des Wissens zu Kants „Kritik der Urteilskraft" bekundet sich auch in dem Projekt für „eine Auslegung der Kritik der Urteilskraft nach meinen Principien", von dem er seinen Studienfreund Immanuel Niethammer in einem Brief vom 22. Januar 1796 unterrichtet. 122 Es mag zunächst scheinen, daß Schelling dieses Vorhaben nicht verwirklicht hat. Jedenfalls ist von einer Arbeit Schellings speziell zur „Kritik der Urteilskraft" nichts weiter bekannt. Doch wenn man das Vorhaben Schellings in einem weiteren Sinn versteht, der nicht Exegese impliziert, sondern produktive Aneignung und Weiterbildung von Kants Vorhaben in der „Kritik der Urteilskraft", dann könnte man durchaus Schellings nach 1796 einsetzende Ausarbeitung einer Naturphilosophie als die angekündigte „Auslegung der Kritik der Urteilskraft nach meinen Principien" betrachten. Mit der These von Schellings Überführung der „Kritik der Urteilskraft" in die eigene Naturphilosophie stimmt auch überein, daß in Schellings naturphilosophischen Schriften der späten neunziger Jahre zwar praktisch keine direkte Bezugnahme auf den Text der „Kritik der Urteilskraft" vorliegt, daß sicher aber eine Vielzahl von sachlichen Bezügen auf Konzepte und Theoreme des Kantischen Werks, insbesondere seines zweiten Teils, der „Kritik der teleologischen Urteilskraft", finden. Allerdings ist der hier skizzierten Ansicht von der essentiellen formativen Funktion der „Kritik der Urteilskraft" für Schellings Naturphilosophie sogleich die Einschränkung hinzuzufügen, daß die dritte Kritik keineswegs die einzige Grundlage für Schellings naturphilosophisches Denken bildet, in das ein ebenso extensives wie intensives Studium der zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Forschung im Bereich der Physik, Chemie und Biologie genauso gehört wie die kritische Auseinandersetzung mit anderen zeitgenössischen Bemühungen um eine philosophische Bearbeitung des Forschungsstandes in jedem dieser Gebiete und in der Naturwissenschaft insgesamt.123 Bei Schelling kommt es zu einer streng philosophischen („spekulativen") Auf- und Durcharbeitung des naturwissenschaftlichen Forschungsstandes, die inspiriert ist von Kants Projekt einer kritischen Betrachtung der Natur als System, genauer: als System von Systemen, und die insbesondere bei Kants Auffassung vom nicht-objektiven Charakter der systematischen Naturbetrachtung 122

HKA 111/1:41. Zum zeitgenössischen Forschungsstand, auf dem Schelling aufbaut, siehe den Ergänzungsband zu HKA 1/1-5: Wissenschaftlicher Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797-1800. Theorie der Chemie von Manfred Durner, Magnetismus, Elektrizität, Galvanismus von Franceso Moiso, Physiologische Theorien von Jörg Jantzen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994. 123

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ansetzt. So ist denn auch die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Schellings Entwicklung einer Naturphilosophie nicht so sehr manifest in den doktrinalen Details von Schellings naturphilosophischem Corpus, etwa in den Bemühungen um die Deduktion der Materie und der dieser korrelierten Kräfte („Construktion"), sondern in den umfangreichen Einleitungen der einschlägigen Schriften, die in methodischer Reflektiertheit über Ansatz, Verfahrensweise und Geltungsanspruch der Naturphilosophie Auskunft geben sollen. Die Leitfunktion der „Kritik der Urteilskraft" für Schellings Naturphilosophie wird allerdings durch den Umstand verdeckt, daß Schelling mit expliziten Verweisen auf Kants dritte Kritik knausert. In Schellings naturphilosophischen Schriften wird die positive Rezeption Kants und speziell von dessen teleologischem Hauptwerk überlagert von einer dezidierten Kritik an Kant, die allerdings nicht diesem Werk gilt, sondern Kants philosophischer Grundlegung der mathematischen Naturwissenschaft. 124 Insbesondere bemängelt Schelling die in Kants Philosophie der mathematischen Naturwissenschaft vorliegende Objektivierung der Natur, der er sodann die eigene, in der Sache an der dritten Kritik orientierte nicht-objektive Behandlung der Natur kontrastiert. Damit ergibt sich die komplexe Sachlage, daß Schellings Naturphilosophie den Kant der „Kritik der Urteilskraft" gegen den Kant der „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" (1786) und der transzendentalen Naturlehre der „Kritik der reinen Vernunft" ausspielt.125 Schellings Naturphilosophie wird in der doxographischen Literatur zum deutschen Idealismus immer wieder als realistisches und objektivistisches Gegenstück und Gegengewicht zum angeblich einseitig idealistischen und subjektivistischen Ansatz Fichtes dargestellt, dem auch der junge Schelling zunächst noch weitgehend verpflichtet gewesen sei. Ein genaues und umfassendes diachrones Studium von Schellings philosophischer Produktion läßt an dieser Sicht der Dinge Zweifel aufkommen - wie auch an der mit solcher Simplifizierung verbundenen fazilen Rede von Schellings mannigfachen philosophischen Wendungen, für die immer wieder der griechische Mythos von der vielformigen Meeresgottheit Proteus herhalten muß. Weder ist Schellings frühe philosophische Entwicklung, wie sie im Hinblick auf die „Kritik der Urteilskraft" im vorangehenden Abschnitt erörtert wurde, umstandslos auf die Position Fichtes als die eines subjektiven Idealismus zu reduzieren noch ist der Ansatz und die Entwicklung der Naturphilosophie bei Schelling einfach als Abwendung vom Idealismus zu werten. Vielmehr weist bereits die im Rückgriff auf die „Kritik der Urteilskraft" durchgebildete Ich- und Wissenslehre des jungen Schelling auf eine umfassende, der Disjunktion von Subjektivem und Objektivem vorauslie124

Siehe SSW 6:7 f. („Immanuel Kant"; 1804). Siehe AA 4:465-565 sowie B 189/A 150-B 294/A 235 („Das System der Grundsätze des reinen Verstandes"). 125

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft 4 auf Fichte und Schelling

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gende Konzeption des Absoluten, und die naturphilosophischen Schriften sind wiederum getragen von einer Konzeption der anorganischen und organischen Wirklichkeit, die die Selbstständigkeit, ja Selbsthaftigkeit oder Subjektivität der Natur in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt. In der Einleitung zu der Schrift „Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft" aus dem Jahr 1797 126 wird der idealistische Grundcharakter auch und gerade der Natur unter Rückgriff auf den Begriff des Geistes zum Ausdruck gebracht, den Schelling, darin Kants Bestimmung in der „Kritik der Urteilskraft" folgend, 127 als das die Materie belebende Prinzip oder als deren „Seele" auffaßt 128 und der als ursprüngliches „Drittes" diesseits der Disjunktion von Materie und Zweckbegriff fungiert. 129 Im Hinblick auf die kosmologische Dimension des Geistprinzips in aller Materie rekurriert Schelling auch auf den historischen Terminus „Weltseele". 130 Ganz wie bei Kant in der „Kritik der Urteilskraft" wird hier der Lebens- und Geistbegriff nicht biologistisch eingeengt auf das Prinzip organischen Lebens. Streng genommen machen weder für Kant noch für Schelling die organischen Eigenschaften als solche (Zweckmäßigkeit der Naturprodukte, Kausalität des Ganzen gegenüber den Teilen, Reproduktion von Teilen wie Ganzem) das Leben aus. Erst das vorauszusetzende intelligible Prinzip hinter den biologischen Phänomenen ist das Leben im ursprünglichen Sinn des die Materie zur Organisation animierenden Urgrundes. 131 Schellings Fokus in der naturphilosophischen Aufnahme und Umbildung der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" ist nicht der von Kant zur problematischen Begründung der Zweckmäßigkeit der Natur vollzogene Rückgriff auf einen von der Natur, und der Welt insgesamt, verschiedenen unendlichen Verstand. Schelling kritisiert vielmehr explizit die Untauglichkeit der Annahme eines unendlichen Verstandes für die Erklärung des Phänomens der Zweckmäßigkeit von Gegenständen, da von (zufälliger) Zweckmäßigkeit im Unterschied zu Mechanismus nur im Hinblick auf einen endlichen Verstand und aus dessen Sicht der Dinge die Rede sein kann. 132 Vielmehr orientiert sich Schelling an den ebenfalls bei Kant anzutreffenden Überlegungen über den der Disjunktion von Mechanismus und Teleologie zugrunde liegenden prädisjunktiven Grund, der als

126

SSW 2:11-73; H K A 1/5:59-306. Siehe AA 5:313 (§ 49). 128 SSW 2:51; H K A 1/5:313. 129 SSW 2:42; HKA 1/5:95. 130 SSW 2:46; HKA 1/5:99. 131 Zur terminologischen und konzeptuellen Differenz von Leben und Organismus bei Kant siehe Günter Zöller, Makkreel on Imagination and Interpretation in Kant, in: Philosophy Today 36 (1992), 266-275. 132 Siehe SSW 2:45 f.; H K A 1/5:98 f. 127

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Günter Zöller

solcher - auch darin stimmen Kant und Schelling überein - nur gedacht, nicht aber erkannt und näher bestimmt werden kann. 133 Den intelligiblen Grund der organischen Natur und darüber hinaus aller Natur lokalisiert Schelling so weder in den Naturdingen selbst noch in einem externen Schöpfer, sondern in einem Geistigen in und an der Natur selbst, aufgrund dessen alles in der Natur als beseelt oder lebendig anzusehen ist. Die Konzeption eines aller Natur als ihr zugrundeliegend zu denkenden Geistes („Weltseele") führt Schelling dazu, auch den Geist außerhalb der Natur, den der Natur entgegengesetzten menschlichen Geist in ein inniges Verhältnis zur Natur zu setzen. Das die Natur und den Geist einigende „Band" 1 3 4 ist die „absolute Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns". 135 Anders als Kant, der es bei der generischen, neutralen Verweisung auf den identischen Grund von Natur und Geist („Freiheit") in der Minimalkonzeption des intelligiblen Substrats bewenden läßt, geht Schelling dazu über, Natur und Geist in ein dynamisches Komplementär- und Wechselverhältnis zu setzen, das sie als teleologisch auseinanderhervorgehend und ineinander übergehend darstellt: „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn." 136

Schellings nächste naturphilosophische Veröffentlichung aus dem Jahr 1798 verweist schon im Titel auf den an Kant orientierten Status des kosmischen Lebensprinzips als denknotwendiger Voraussetzung: „Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus". 137 Schelling ergänzt nunmehr die im Vorjahr publizierten Ausfuhrungen zum gemeinsamen, prädisjunktiven Prinzip von anorganischer und organischer Natur. So verwirft er explizit die zeitgenössischen Versuche, den „Erklärungsgrund" für die das Leben des Organismus - oder dessen „Lebensprozeß" - ausmachenden Eigenschaften in den Organen oder in deren Totalität oder auch in einer zugrundeliegenden Lebenskraft oder einem Trieb wie dem Bildungstrieb der organisierten Materie zu suchen.138 Mit Kant hält Schelling an der „Grenze" naturwissenschaftlicher Erklärung gegenüber dem Phänomen des Lebens fest 139 und insistiert darauf, „eine erste Ursache der Organisation (sc. von Lebewesen) nicht in der organisirten Materie selbst (etwa in ihren todten, bildenden Kräften), sondern außer ihr aufzusuchen". 140 Schelling zufolge liegt das Prinzip des 133

Siehe SSW 2:54; HKA 1/5:106 f. SSW 2:55; HKA 1/5:106. 135 SSW 2:56; HKA 1/5:107. 136 SSW 2:56; HKA 1/5:107. 137 SSW 2:345-583; HKA 1/6:64-271; siehe dazu auch SSW 2:350; HKA 1/6:70 („erste Hypothese"; im Original Hervorhebung) sowie SSW 2:351; HKA 1/6:71 („Annahme"; im Original Hervorhebung). 138 SSW 2:520-522; HKA 1/6:209-212. 139 SSW 2:522, 525; HKA 1/6:211, 214. 140 SSW 2:528; H K A 1/6:217 (Hervorhebung im Original). 134

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Lebens zwar außerhalb der organisierten Materie, aber nicht in einem separaten Wesen außerhalb der Natur sondern in der Natur selbst. In Aufnahme und Fortfuhrung von Kants Ausführungen in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" zum freien Spiel von Einbildungskraft und Verstand im Geschmackskurteil versteht Schelling das Leben dabei nicht als partikulare Kraft der Natur, sondern als das über mechanische Verhältnisse und deren lineare Kausalität hinausreichende ,,freie[n] Spiel von Kräften" 141 , zum dem auch die Reversibilität der Kausalfolge im Verhältnis von Teilen und Ganzem gehört. Durch die Konzeption eines „freien Naturspiels" 142 im Organismus und darüber hinaus der Natur insgesamt bringt Schelling einmal mehr - und abermals im Rückgriff auf die „Kritik der Urteilskraft" - in die Natur als solche den Charakter von Geist oder Beseeltheit. In vertiefender Fortsetzung der Überlegungen aus den vorangegangenen naturphilosophischen Schriften vollzieht Schelling in der Schrift „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie" 143 aus dem Jahr 1799, besonders aber in der zugehörigen „Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Oder über den Begriff der speculativen Physik" 144 den Schritt von der transzendentalphilosophischen „Idee der Natur" zur systematischen Konzeption einer der Transzendentalphilosophie ebenbürtigen und sie ergänzenden Naturphilosophie, bei denen es sich deshalb nicht um zwei getrennte Wissenschaften handelt, sondern um die „Eine" Wissenschaft in gegenläufigen Ausgestaltungen: „Wenn es nun die Aufgabe der Transscendentalphilosophie ist, das Reelle dem Ideellen unterzuordnen, so ist es dagegen die Aufgabe der Naturphilosophie, das Ideelle aus dem Reellen zu erklären [...]." 4 5

Dem entsprechend sind auch die den beiden Wissenschaftsformen zugeordneten Tätigkeiten oder Produktionsweisen des Ich bzw. der Natur - ideelle und reelle Tätigkeit - als ursprünglich identisch anzusehen. Gegenstand der Naturphilosophie ist so „das, was an der Natur nicht-objektiv ist" 1 4 6 Schelling faßt den dem Geist analogen, nicht gegenständlich-fixierten, sondern produktivtätigen Charakter der Natur mit der Formel von der „Natur als Subjekt" - freilich weiterhin unter dem methodischen Vorbehalt, daß es sich hierbei um eine notwendige „Voraussetzung" handelt. 147 Mit seinem Insistieren auf dem intelligiblen, nur denkbaren und durch keine noch so fortgeschrittene Naturwissenschaft objektiv bestimmbaren Charakter des absoluten Natursubjekts und auf 141 142 143 144 145 146 147

SSW SSW SSW SSW SSW SSW SSW

2:566; HKA 1/6:254 (im Original Hervorhebung). 2:567; HKA 1/6:254. 3:1-268; HKA 1/7:63-271. 3:269-326. 3:272. 3:275 (Hervorhebung im Original). 3:277 (im Original Hervorhebung).

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der ursprünglichen Identität des Reellen (Natur) und des Ideellen (Freiheit) befindet sich Schelling weiterhin in Übereinstimmung mit Kants Konzeption des gemeinsamen intelligiblen Substrats von Sinnenwelt und Verstandeswelt bzw. von Naturmechanismus und Technik der Natur. Schelling und Kant gehen auch darin konform, daß die Produktivität der Natur nicht mit der Kunst verglichen werden kann, bei der „der Begriff der That [...] vorangeht", während im Fall der Natur „Begriff und That gleichzeitig und Eins" sind. 148 Die an Kant orientierte Auffassung von der prädisjunktiven, indifferentiellen Identität von Geist und Natur in Schellings naturphilosophischen Schriften der späten neunziger Jahre liefert auch den unmittelbaren Ansatzpunkt fiir die Konzeption des Absoluten als absoluter Indifferenz im System der Identitätsphilosophie, das Schelling ab 1801 entwickelt. Doch tritt in dieser Entwicklung die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" zurück. Dagegen zeigt sich die fortgesetzte Bedeutung der dritten Kritik für Schellings weiteres Denken speziell im Bereich der Naturphilosophie darin, daß noch ein später nachgelassener Text Schellings, die „Darstellung des Naturprocesses" 149, bei dem es sich um das Bruchstück einer Berliner Vorlesung über die Prinzipien der Philosophie vom Wintersemester 1843-44 handelt, im Dialog mit der „Kritik der Urteilskraft" gestaltet ist. Unter explizitem Verweis auf Kant lokalisiert Schelling in diesem späten Text die „Vereinigung des Blinden und Zweckmäßigen in der Entstehung organischer Wesen" in einem der Natur zugrundeliegenden, genauer: in philosophischer Reflexion zugrundezulegenden, Prinzip, das als „ein blindes zwar, aber des Verstandes fähiges Princip" zu denken ist. 150 Damit ist einmal mehr der proto-ideelle Charakter der Natur als Subjekt zum Ausdruck gebracht. Schelling macht sich nun sogar die Kritik Kants am Hylozoismus zu eigen 151 einer Position, die lebendige Organisation auf die Beseelung oder Belebung von an ihr selbst passiver, lebloser Materie zurückführt. Statt dessen insistiert Schelling auf der Präsenz des Lebensprinzips in aller Materie, die insofern als immer schon beseelt zu gelten hat, allerdings mit der Einschränkung, daß es sich hier zunächst und zumeist nur um ein Potential handelt, das noch der Entwicklung bedarf. 152 Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" reicht bei Schelling demnach über dessen philosophische Anfänge hinaus bis tief in die Konzeption der Naturphilosophie und über deren Fortwirkung bis in die Spätphilosophie hinein.

148 149 150 151 152

SSW 3:284 sowie A A 5:374 (§ 65). SSW 10:295-430. SSW 10:367 (Hervorhebung im Original). Siehe A A 5:392, 394 f. (§§ 72 f.). Siehe SSW 10:374 f.

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3. Der systematische Ort der Kunst Im Anschluß an die systematische Grundlegung und ansatzweise Ausführung des Systems der Naturphilosophie in den Schriften der Jahre 1797 bis 1799 hat sich Schelling zunächst noch in Jena, dann in Würzburg der Aufgabe zugewandt, „[dieselbe Methode" der Ableitung aus „absoluten Prinzipien" auf die Kunst anzuwenden und ein „System der Philosophie der Kunst" 153 in Vorlesungen zu entwickeln, die postum als „Philosophie der Kunst" publiziert wurden. 154 Doch anders als im Fall von Schellings naturphilosophischen Schriften steht die „Kritik der Urteilskraft" weder im Vordergrund noch im Hintergrund von Schellings „Philosophie der Kunst". Schelling beschränkt sich auf die zweifache Nennung von Kants Namen und den Hinweis auf die ungenügende Rezeption der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" durch die „Kantianer" 155 und trägt zunächst die Entwicklung („Construktion") der Kunst nach Form und Stoff vor, die sodann durch die Entwicklung der einzelnen Kunstformen ergänzt wird. Die zentralen Themen und Probleme der „Kritik der Urteilskraft" (Geschmacksurteil, Naturschönes, Lehre vom Erhabenen, Deduktion der reinen ästhetischen Urteile, Begriff des Genies, Antinomie des Geschmacks, Schönheit als Symbol der Sittlichkeit) kommen bei Schelling nicht vor. Statt in der „Philosophie der Kunst" wird man bei der Suche nach der Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf die Entwicklung von Schellings Kunstphilosophie in der Schrift „System des transscendentalen Idealismus" 156 aus dem Jahr 1800 fündig. In ihr wird in gedanklicher Fortführung und in systematischer Ergänzung von Schellings naturphilosophischen Arbeiten der Kunst die systematische Aufgabe zugewiesen, die als solche gegenständlich nicht zu fassende Identität von Mechanismus und Teleologie statt in der Natur im Kunstwerk zu vergegenwärtigen. Es ist die zentrale kunstphilosophische These Schellings, daß die Anschauung von Kunstwerken („Kunstanschauung") und einzig sie dasjenige zur äußeren Darstellung zu bringen vermag, was von der Philosophie zwar vorausgesetzt wird, was letztere aber weder in ihrer Gestalt als Naturphilosophie noch in ihrer Gestalt als Philosophie des Geistes (Transzendentalphilosophie) äußerlich-gegenständlich darzustellen vermag - die ursprüngliche, prädisjunktive Einheit von Natur und Freiheit, von Objektbegriff und Zweckbegriff. 157 Die von der Philosophie der Natur wie dem Geist zugrunde gelegte absolute, unterschiedslose Einheit von Ideellem und Reellem („Identität") entzieht sich 153

SSW 5:362. SSW 3:357-736. Der Text der „Philosophie der Kunst" ist in der postum erfolgten Edition aus verschiedenen Phasen von Schellings Ausarbeitung kompiliert worden; siehe SSW 5:VII f. 155 SSW 5:362. 156 SSW 3:329-634. 157 SSW 3:611. 154

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nämlich der vergegenständlichenden Darstellung durch diskursive Begriffe und sinnliche Anschauungen. Und auch die von Schelling, im Anschluß an Fichte, geltend gemachte Vergegenwärtigung der ursprünglichen Einheit durch das nicht-sinnliche Selbstbewußtsein („intellectuelle Anschauung") verbleibt im Bereich des Innerlichen und Undarstellbaren. Erst die Kunst, genauer: die im Kunstwerk endlich-gegenständlich gewordene unendliche ästhetische Produktivität, vermag eine adäquate Darstellung des vorausgesetzten Absoluten zu leisten. Für Schelling ist die ästhetische Anschauung die gegenständlich gewordene intellektuelle Anschauung und das Kunstwerk die im Produkt authentisch widergespiegelte („reflektirt[e]") Produktivität des Absoluten. 158 So ist für Schelling die Kunst „das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Document der Philosophie". 159 In der näheren Ausführung zum „Wunder der Kunst" 1 6 0 hält sich Schelling eng an Kants Ausführungen zu Kunst und Kunstwerk in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft". Schon die Zuweisung der Verbindung von Absichtlichkeit und Unabsichtlichkeit, von Natürlichkeit und Künstlichkeit und damit von Bewußtheit und Unbewußtheit in der Produktion von Kunst, genauer: von schöner Kunst, ist bei Kant vorgebildet. 161 Die von der Philosophie zunächst nur „postulierte" Anschauung der unendlichen Produktivität im Kunstwerk stellt sich ein als eine „Gunst" und verdankt sich dem unverfügbaren Vermögen des „Genies" 162 - beides zentrale Begriffe der Kantischen Ästhetik. 163 Des weiteren kontrastiert Schelling das Technisch-Verfahrensmäßige an der Kunst mit dem Frei-Genialen oder „der Poesie in der Kunst" 1 6 4 und führt das Poetische der Kunst zurück auf das „Dichtungsvermögen" oder die „Einbildungskraft". 165 Hierin folgt er Kants Unterscheidung von regelfixiertem Verstand und freier Einbildungskraft in der ästhetischen Produktion durch das Genie. 166 Und auch die weitergehende Auffassung Schellings, daß es dieselbe Einbildungskraft ist, die sich im Kunstwerk objektiviert und die in allem Erkennen auf unthematische Weise tätig ist, 1 6 7 hat ihr Antecendenz in Kants Unterscheidung der Einbil-

158 Siehe SSW 3:615, 625 und 627. Nach einer Eintragung Schellings in seinem Handexemplar der Schrift „System des transzendentalen Idealismus" ist die äußere, ästhetische Anschauung von der inneren intellektuellen Anschauung des Absoluten „eine zweite Anschauung" (SSW 3:625 Anm.). 159 SSW 3:627. 160 SSW 3:625. 161 Siehe A A 5:306 f. (§ 45). 162 SSW 3:612, 615-617. 163 Siehe A A 5:307-310 (§§ 46 f.) sowie A A 5:210 (§ 59) und 350 (§ 58). 164 SSW 3:618 (im Original Hervorhebung), siehe dazu AA 5:303 f. (§ 43). 165 SSW 3:626; siehe dazu A A 5:313 f. (§ 49). 166 Siehe A A 5:319 f. (§ 50). 167 Siehe SSW 3:626.

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dungskraft „unter dem Zwange des Verstandes" von einer solchen Ausübung dieses Vermögens, die „frei erfolgt." 168 Schließlich wird man in Kants Lehre von der Schönheit als „Symbol der Sittlichkeit", in der die „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" kulminiert, 169 das Vorbild sehen können für Schellings Auffassung im „System des transscendentalen Idealismus", daß die Kunst (die schöne Kunst oder die Kunst des Genies) das Absolute (das intelligible Substrat) zur äußeren, sinnlich anschaulichen Darstellung bringt. Die Nähe Schellings zu Kant betrifft hier nicht das von Kant geltend gemachte spezielle Verhältnis der Analogie zwischen dem moralischen Urteil und dem Urteil über das Schöne, sondern den von Kant ebenfalls vertretenen Anspruch, daß „das Intelligibele, worauf [...] der Geschmack hinaussieht", identisch ist mit „etwas im Subjecte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen, verknüpft ist". 1 7 0 So realisiert Schelling die bereits bei Kant behauptete Einheit der ästhetischen und teleologischen Urteilskraft dadurch, daß er eine verbliebene Problemstellung seiner an der „Kritik der teleologischen Urteilskraft" orientierten Naturphilosophie (und der ihr korrespondierenden Philosophie des Geistes) - die Darstellbarkeit des Absoluten als solchen - im Rückgriff auf Ressourcen der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" einer kunstphilosophischen Lösung zuführt. Allerdings hat Schelling schon bald nach 1800 die an Kant orientierte ästhetische Lösung des Problems der Philosophie aufgegeben und durch den Beitrag von Religion, Mythologie und Offenbarung bei der Bewahrheitung der Einsichten der Philosophie ersetzt. Doch noch in einer späten Äußerung Schellings in den Münchener Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie aus den Jahren 1833/1834 oder 1836/1837 klingt das ganze Ausmaß der vielfältigen und tiefgehenden Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Schellings Theorie des Absoluten des Wissens, der Natur und der Kunst an. Dort nennt er die „Kritik der Urteilskraft" „Kants tiefstes Werk, das, wenn er damit hätte anfangen können, wie er damit endete, wahrscheinlich seiner ganzen Philosophie eine andere Richtung gegeben hätte". 171 Ganz am Ende der deutschen idealistischen Philosophie, drei Jahrzehnte nach dem Tod Kants, zwei Dekaden nach Fichtes Tod und über vierzig Jahre nach dem Erscheinen der „Kritik der Urteilskraft" findet in diesen Worten die singuläre Bedeutung, die dieses singulare Werk für die Entwicklung des nachkantischen Denkens gehabt hat, ihren angemessenen Ausdruck.

168 169 170 171

AA 5:314, 316 (§ 49). A A 5:351-354 (§ 59). A A 5:353. SSW 10:177.

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Literatur Primärtexte J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964ff. Fichte , Johann Gottlieb: Wissenschaftslehre nova methodo. Kollegnachschrift K. Chr. Fr. Krause 1798/99, hrsg. von Erich Fuchs. 2., verbesserte Auflage. Hamburg 1994. — Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre. Februar 1794. Nachschrift Lavater, hrsg. von Erich Fuchs. Neuried 1996. Jacobi , Friedrich Heinrich: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn, hrsg. von Marion Lauschke. Hamburg 2000 (Erstveröffentlichung 1785). Immanuel Kant's gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Bd. 1-22), der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Bd. 23) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Bd. 24ff), Berlin 1900 ff. Lessing , Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts (Lessings Werke, hrsg. von Kurt Wölffei. Frankfurt/M. 1967, 3:544-563). Maimon , Salomon: Versuch über die Transzendentalphilosophie, hrsg. von Florian Ehrensperger. Hamburg 2004 (Erstveröffentlichung 1790). Reinhold , Karl Leonhard: Briefe über Kantische Philosophie. Erster Band. Leipzig 1790, Zweyter Band, Leipzig 1792; Nachdruck hrsg. von Raymund Schmidt. Leipzig 1923. — Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag und Jena 1789. Nachdruck Darmstadt 1963. — Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band, das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, hrsg. von Faustino Fabbianelli. Hamburg 2003 (Erstveröffentlichung 1790). Schelling , Friedrich Wilhelm Joseph: Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856ff. Historisch-kritische Schelling-Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs, Jörg Jantzen, Hermann Krings und Hermann Zeltner, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. Schiller , Friedrich: Sämtliche Werke, hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. München 1975. Schulze , Gottlob Ernst: Aenesidemus oder über die Fundamente der von Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, hrsg. von Manfred Frank. Hamburg 1996 (Erstveröffentlichung 1792).

Werke auf CD-ROM Fichte im Kontext. Werke auf CD-Rom, Karsten Worms InfoSoftware 1997. Schellings Sämmtliche Werke, hrsg. von Elke Hahn. Total Verlag Berlin 1998.

Die Wirkung der „Kritik der Urteilskraft" auf Fichte und Schelling

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Sekundär l iteratur Bach, Thomas: Biologie und Philosophie bei C. F. Kielmeyer und F. W. J. Schelling. Schellingiana Band 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001. Bonsiepen, Wolfgang: Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus spekulative Naturphilosophie. Frankfurt/M. 1997. Förster, Eckart: Die Bedeutung von §§ 76, 77 der Kritik der Urteilskraft für die Entwicklung der nachkantischen Philosophie, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002), 169-190 und 321-345. Gloy, Karen: Die Naturauffassung bei Kant, Fichte und Schelling, in: Realität und Gewißheit. Tagung der Internationalen J.-G.-Fichte-Gesellschaft (6.-9. Oktober 1992) in Rammenau, hrsg. von Helmut Girndt und Wolfgang Schräder. Fichte-Studien Band 6. Amsterdam/Atlanta, Georgia 1994, 253-275. Jacobs, Wilhelm G.: Schelling lesen, legenda 3. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004. Kabitz, Willy: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Mit bisher ungedruckten Stücken aus Fichtes Nachlaß. Berlin 1902. Nachdruck Darmstadt 1968. Lauth, Reinhard: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1984. Moiso, Francesco: Natura e cultura nel primo Fichte. Mursia 1979. Pareyson, Luigi: Fichte. II sistemadella libertä. Mursia 1976. Rang, Bernhard: Zweckmäßigkeit, Zweckursächlichkeit und Ganzheitlichkeit in der organischen Natur. Zum Problem einer teleologischen Naturauffassung in Kants „Kritik der Urteilskraft", in: Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 39-71. — Identität und Differenz. Eine Untersuchung zu Schellings Identitätsphilosophie. Frankfurt/M. 2000. Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: „Von der wirklichen, seyenden Natur". Schellings Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Hegel. Schellingiana Band 8. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. Zöller, Günter: Makkreel on Imagination and Interpretation in Kant, in: Philosophy Today 36 (1992), 266-275. — Fichte's „Foundation of Natural Right" and the Mind-Body Problem, in: Rights, Bodies, and Recognition. New Essays on Fichte's Foundations of Natural Right, hrsg. von Daniel E. Breazeale und Tom Rockmore (Aldershot, England und Burlington, Vt.: Ashgate, 2005), 76-93.

Die Selbstrelativierung von Bestimmtheit in Hegels Logik und ihre systematische Relevanz für das Verständnis einiger Kantischer Überlegungen Christoph Glimpel

I. Wer das Denken zu thematisieren beabsichtigt, sieht sich Kant zufolge mit dem Problem konfrontiert, daß es sich zwar denken, nicht aber erkennen läßt. Zum Erkennen gehört neben dem Begriff (bzw. der Kategorie), durch welchen „überhaupt ein Gegenstand gedacht wird" nämlich „die Anschauung, dadurch er gegeben wird" 1 . Die einzige uns mögliche Anschauung ist nun aber die sinnliche, weshalb eine Bestimmung des Denkens nur den Formen der Sinnlichkeit, namentlich „der Form des inneren Sinnes gemäß"2 erfolgen kann. Das aber bedeutet, daß uns eine Erkenntnis des Denkens, wie es an sich selbst ist, verwehrt bleibt, weil dasselbe auf eine Weise gegeben wird, die es als etwas erscheinen läßt, was es nicht ist: als Gegenstand der Erfahrung. 3 Statt Gegenstand der Erfahrung zu sein, ist das Denken Kant zufolge aber „logische Funktion, mithin lauter Spontaneität der Verbindung des Mannigfaltigen einer bloß möglichen Anschauung"4 und als solches logische Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Um die Spontaneität des Denkens an ihr selbst zu erkennen, wäre daher „eine andere Selbstanschauung" vonnöten, „die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir bewußt bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare" 5, Die eine angemessene Thematisierung des Denkens vereitelnde Ursache für die Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens ist Kant zufolge also auf Sei1 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (im Folgenden zitiert unter dem Kürzel KrV) = Band II der von Wilhelm Weischedel herausgegebenen Werke in sechs Bänden, 5. Nachdruck 1983 der Ausgabe Darmstadt 1956 (Sonderausgabe 1998), B 146. 2 1. Kant: KrV, B 158. 3 „Raum und Zeit gelten, als Bedingungen der Möglichkeit, wie uns Gegenstände gegeben werden können, nicht weiter, als für Gegenstände der Sinne, mithin nur der Erfahrung." (/. Kant: KrV, B 148). 4 /. Kant: KrV, B 428. Vgl. B 407. 5 1. Kant: KrV, B 158(Anm.).

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Christoph Glimpel

ten der Anschauung zu suchen. Dem entspricht seine These, „daß die Kategorien im Denken durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind" 6 . Kraft dieser Unbeschränktheit erstrecken sich die reinen Verstandesbegriffe „auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht" 7 . Aus dieser Perspektive betrachtet, stellt die Verbindung des Mannigfaltigen unserer sinnlichen Anschauung lediglich eine besondere Anwendung „der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt" 8 dar. Stünde uns also jene andere Selbstanschauung zur Verfügung, „die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir bewußt bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare" 9, dann - so muß auf der Basis der Kantischen Ausführungen kritisch gefolgert werden - würde rein logisch betrachtet das Bestimmen 10 des in jener Anschauung Gegebenen auf die gleiche Weise erfolgen wie das Bestimmen des in der uns zur Verfügung stehenden Anschauung Gegebenen vonstatten geht. Wie aber, wenn das Problem einer angemessenen Thematisierung des Denkens primär nicht an der Einschränkung unserer Anschauung durch die Bedingungen der Sinnlichkeit hinge, sondern etwas mit der Art und Weise des Bestimmens des Mannigfaltigen nicht erst der sinnlichen, sondern „einer gegebenen Anschauung überhaupt zu tun hätte? In diesem Falle hätte Kant, indem er unsere Bindung an sinnliche Anschauung für die Unmöglichkeit einer angemessenen Thematisierung des Denkens verantwortlich machte, nicht nur zu wenig problematisiert, sondern eine über die Problematisierung der Anschauung hinausgehende Problematisierung der bestimmenden Tätigkeit des Denkens gar systematisch verbaut: Ist unser Erkennen nämlich auf die sinnliche Anschauung eingeschränkt, und vermag diese Anschauung „das Bestimmende in mir" per definitionem nicht angemessen zu geben, dann ist eine mit dem Anspruch, dieses Bestimmende (die Spontaneität des Denkens) an ihm selbst zu treffen auftretende Kritik von vornherein ausgeschlossen. Sollte die Unmöglichkeit einer angemessenen Thematisierung des Denkens nichtsdestotrotz mit jenem ,vBestimmenden in mir" zusammenhängen, dann bliebe dies unentdeckt bzw. verdeckt durch die Überzeugung, mit der Sinnlichkeit unserer Anschauung sei die Schuldige an der Nichtthematisierbarkeit des Denkens schon gefunden. Das darin liegende Dilemma, daß dem Denken eine ihm selbst zugehörige potentielle Fehlerquelle 6

/. Kant: KrV, B 166 (Anm.). Vgl. B 148. /. Kant: KrV, B 148. Vgl. B 154: „Die Apperzeption und deren synthetische Einheit ist mit dem inneren Sinne so gar nicht einerlei, daß jene vielmehr, als der Quell aller Verbindung, auf das Mannigfaltige der Anschauungen überhaupt unter dem Namen der Kategorien, vor aller sinnlichen Anschauung auf Objekte überhaupt geht..." 8 /. Kant: KrV, B 161. 9 I. Kant: KrV, B 158 (Anm.). 10 Verbindung des Mannigfaltigen ist nichts anderes als Bestimmen, wenn anders „ohne Verbindung des Mannigfaltigen ... noch gar keine bestimmte Anschauung" (/. Kant: KrV, B 154) vorliegt. 7

Die Selbstrelativierung von Bestimmtheit in Hegels Logik

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verborgen bliebe, hätte über diese unmittelbare systematische Bedeutung hinaus eine das ganze Projekt einer Selbstkritik der Vernunft bedrohende Relevanz: Die prinzipiell mögliche Selbstdurchsichtigkeit des Denkens wäre zumindest für uns ebenso prinzipiell durch Sinnlichkeit vermittelt und also (weil die Spontaneität des Denkens nicht an Raum und Zeit gebunden ist) faktisch unerreichbar. Zugespitzt gefragt: Führt Kants Absage an die Möglichkeit einer angemessenen Thematisierung des „Bestimmenden" an ihm selbst zur Immunisierung einer bestimmten Art des Bestimmens gegen Kritik und damit geradewegs in den Dogmatismus?

II. Eine gewisse Bestätigung scheinen mir die vorstehenden Überlegungen durch einige kritische Bemerkungen zu erfahren, die Hegel in einer den Schein behandelnden Passage seiner Wesenslogik macht. Dort heißt es, neben anderen Formen des Idealismus sei auch der Kantische nicht „über das Sein als Bestimmtheit, über diese Unmittelbarkeit hinausgekommen"11. Der Sinn des Gegebenen als Gegebenen ist für Hegel nichts, was durch irgendeine Anschauung von außen an das Denken herankommt, sondern was in seiner bestimmungslogischen Relevanz vom Denken selbst konstituiert wird. Gilt dieser vom Denken konstituierte Sinn des Gegebenen - besser (da es hier um dessen bestimmungslogische Rolle geht): des Bestimmbaren - nun aber für Gegebenes überhaupt, dann gilt er auch für jegliche gegebene Anschauung, also nicht nur für das Bestimmbare, welches die Zeit gibt, 12 sondern für Bestimmbares überhaupt. Mittels der zu Beginn der Wesenslogik explizierten und für die gesamte Hegeische Logik konstitutiven 13 Figur der selbstbezüglichen Negativität 14 vermag Hegel jedoch nicht nur das Bestimmbare, sondern auch das Bestimmende (die „Spontaneität"), als auch den Unterschied beider zu explizieren - und zwar so, daß diese Explikation als Selbstbestimmung der genannten Momente in ihrer Einheit und damit als Selbstbestimmung dieser Einheit selbst einsichtig wird. Hegel erreicht dies, indem er sowohl das dem Bestimmen vermeintlich vorgegebene 11

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik II (im Folgenden zitiert unter dem Kürzel WL II) = Band 6 der Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1969,

20.

12

/. Kant: KrV, B 158. Vgl. B 420. Vgl. dazu Alexander Schubert: Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik", Königstein/Ts. 1985, 32, sowie Christian Iber: Metaphysik absoluter Relational s t , Berlin 1990, 17. 14 Vgl. dazu C. Iber: a.a.O., 134. Dieter Henrich zufolge vermag keine Kritik, die nicht auf diese „logische Grundoperation" der Hegeischen Philosophie zielt, „Hegels Theorie in ihrem Kern [zu] treffen" (D. Henrich: Hegels Grundoperation, in: Der Idealismus und seine Gegenwart (FS für Werner Merz), hrsg. von Ute Guzzoni u. a., Hamburg 1976, 208-230, hier 213). 13

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Sein als auch die dem Bestimmen vermeintlich äußerliche Reflexion als durch das Denken selbst gesetzten (freilich notwendigen) Schein entlarvt: Bei der Unmittelbarkeit des Seins handelt es sich in Wahrheit um das reflexionsinterne Moment des Zusammengehens der selbstbezüglichen Negativität mit sich, 15 und der Schein ihrer Äußerlichkeit entsteht dadurch, daß sich die Reflexion von diesem selbstgenerierten Moment als dem Anderen ihrer selbst auch abstößt.16 Statt „seiendes Substrat" 17 zu sein, ist die Unmittelbarkeit in Wahrheit also die Bewegung des Zusammengehens der selbstbezüglichen Negativität mit sich, und die der Unmittelbarkeit vermeintlich äußere Reflexion ist „ebensosoehr immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst" 18 . Hegel etabliert damit den gesamten Bestimmungsprozeß als autonome logische Struktur, die geltungstheoretisch weder von einem unmittelbar gegebenen Sein noch von einem unmittelbar gegebenen Ich dependiert, sondern die bestimmungslogische Rolle unmittelbarer Gegebenheit überhaupt festschreibt (sie als zu Bestimmendes bestimmt) und so deren geltungstheoretische Valenz (als unmittelbare Gegebenheit noch keine Wahrheit zu haben) begründet. Da es sich bei der unmittelbaren Gegebenheit nur um ein Moment des Denkens handelt, muß im Blick auf das Problem einer angemessenen Thematisierung des Denkens aus Hegels Perspektive in jedem Falle gesagt werden, daß das Denken als es selbst verfehlt wird, wenn es nur als Gegebenes (d. h. nicht als den Sinn von Gegebenheit zugleich konstituierend und als Moment an sich habend) thematisiert wird. Gegenüber Kants These, die Spontaneität des Denkens ließe sich als sie selbst erkennen, wenn „eine andere Selbstanschauung" zur Verfügung stünde, „die das Bestimmende in mir, dessen Spontaneität ich mir bewußt bin, eben so vor dem Actus des Bestimmens gibt, wie die Zeit das Bestimmbare" 19, müßte von Hegel her geltend gemacht werden, daß auch eine solch alternative Selbstanschauung keine angemessene Thematisierung des Denkens ermöglichte, solange sie nichts daran änderte, daß das Denken bestimmungslogisch als Gegebenes behandelt würde, dem gegenüber sich die mit der Bestimmungsaufgabe versehene Reflexion als eine äußerliche verhielte. M. a. W.: Kants Desiderat einer alternativen Anschauung brächte keine Modifikation der bestimmungslogischen Behandlung des in dieser Anschauung Gegebenen als fester Grundlage einer von außerhalb seiner selbst her zu erfüllenden Bestimmungsaufgabe.

15

Vgl. G. W.F. Hegel: WL II, 24 f. In Wahrheit ist dieses Abstoßen allererst die Konstitution der Gleichheit der Reflexion mit sich - jener Gleichheit also, von der sie sich abstößt (vgl. G. W.F. Hegel: WL II, 27 f.). Der Schein der Äußerlichkeit der Reflexion entsteht, wenn das Moment des Abstoßens isoliert wird von dem gleichursprünglichen Moment der Konstitution dessen, wovon sich die Reflexion abstößt. 17 G. W.F. Hegel: WL II, 24. 18 G. W.F. Hegel: WL II. 30. 19 /. Kant: KrV, B 158 (Anm.). 16

Die Selbstrelativierung von Bestimmtheit in Hegels Logik

355

Vermag eine alternative Art der Anschauung an der bestimmungslogischen Defizienz des Gedankens einer der bestimmenden Reflexion vorausgesetzten fixen Grundlage, die unabhängig von der sie bestimmenden Tätigkeit sich selbst gleichbleibt, nichts zu ändern, dann muß es als irreführend beurteilt werden, wenn - wie Kant dies gemacht hat - die spezifische (nämlich sinnliche) Art der uns möglichen Anschauung als Rechtfertigung der Benennung jener Grundlage als bloßer Erscheinung herangezogen wird. Wenn Schein dadurch entsteht, daß das zu Bestimmende als gegebene, fixe Grundlage behandelt wird, dann setzt die Zurückfiihrung des Erscheinungscharakters der Erkenntnisgehalte auf die Art und Weise, wie diese gegebene, fixe Grundlage gegeben ist, nicht tief genug an. Solange von einer gegebenen, fixen Grundlage ausgegangen wird, ist es bestimmungslogisch gesehen letztlich egal, ob die Bestimmungen dieser Grundlage nun als Bestimmungen des Seins oder aber der Erscheinung angesehen werden - in beiden Fällen handelt es sich um Jene mannigfaltigen Bestimmtheiten ..., welche unmittelbare, seiende, andere gegeneinander sind" 20 - um Seinsbestimmungen. In beiden Fällen herrscht der Schein eines an sich bestehenden fixen Substrats, dem seine Bestimmungen äußerlich hinzugefugt werden. 21 Genausowenig wie die spezifische Art unserer Anschauung für das Entstehen dieses Scheins verantwortlich ist, läßt er sich durch Spekulationen über alternative Anschauungsarten beheben. Das Problem des Scheins - so lehrt Hegels Logik hat gar nichts mit Anschauung zu tun, sondern stellt eine rein bestimmungslogische Angelegenheit dar. Diese Position ist durchaus berechtigt, wie m. E. aus folgender Überlegung erhellt: Die Einsicht in die durch den Erscheinungsbegriff signalisierte Mangelhaftigkeit unseres Erkennens kann ihrerseits nicht mangelhaft sein, wenn anders die These des Vorliegens einer Mangelhaftigkeit überhaupt plausibel sein soll. Die Mangelhaftigkeit muß also reflexiv verfaßt sein und sich als Mangelhaftigkeit erfassen können, d. h. in gewisser Weise über ihre eigene Mangelhaftigkeit hinaus sein. Der Anschauung dürfte Reflexivität kaum zukommen - und selbst wenn dies der Fall wäre, würde die sinnliche Anschauung (so sie die einzige uns mögliche ist) sich selbst wieder nur sinnlich anschauen, womit völlig unerfindlich bliebe, wie sie ihrer eigenen Mangelhaftigkeit gewahr werden könnte. Die Idee einer alternativen Art von Anschauung kann also nicht der Anschauung, sondern muß dem Denken entstammen, welches zu jeder bestimmten Art eine anders bestimmte Art denken kann. Mit dem rein logischen Gedanken einer anders bestimmten Anschauung wäre die spezifische Bestimmtheit dieser anders bestimmten Anschauung freilich noch nicht gedacht - dazu müßte jene anders bestimmte Anschauung selbst gegeben sein. Ist nun dieselbe nicht in ihrer spezi-

20

G.W. F. Hegel: WL II, 20. So sie als unmittelbare Gegebenheiten angesehen werden, handelt es sich also sowohl beim Sein als auch bei der Kantischen Erscheinung um Schein. 21

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fischen Bestimmtheit gegeben, dann kann über die logische Bestimmung der Andersheit hinaus nichts von ihr ausgesagt werden. Die Bestimmung der Andersheit reicht jedoch nicht aus, um die uns mögliche Anschauung als im Vergleich mit der fiktiven anderen Anschauungsart mangelhaft zu qualifizieren. Von daher läge es nahe, die Mangelhaftigkeit überhaupt nicht in der Anschauungsart zu suchen, sondern in der bestimmungslogischen Qualifikation des „Gegebenen" (und darunter fallen alle möglichen Anschauungsarten) als zu Bestimmendem. Dessen Mangelhaftigkeit besteht schlicht darin, daß es als zu Bestimmendes noch seiner Bestimmung harrt. Als seiner Bestimmung Harrendes ist es gleichwohl bestimmt. Es ist also das Mangelhafte, welches das, was ihm mangelt, schon hat. Andererseits macht das, was es hat (nämlich seine Bestimmung als eines seiner Bestimmung Harrenden), das Mangelhafte zu einem Mangelhaften. Wird dieses dialektische Verhältnis nun als reflexives genommen, dann haben wir, was oben gesucht wurde: Eine Mangelhaftigkeit, die sich selbst als mangelhaft erfaßt und indem sie sich als mangelhaft erfaßt diese ihre Mangelhaftigkeit sowohl konstituiert (sich als unbestimmt bestimmt) als auch darüber hinaus ist bzw. ihre Mangelhaftigkeit aufhebt (sich als unbestimmt bestimmt). Das Problem des Scheins läßt sich also eher bestimmungslogisch denn anschauungstheoretisch lösen - und zwar auch deshalb, weil es nur aus bestimmungslogischen Gründen aufkommen kann.

III. Ein Verständnis des Bestimmungsprozesses, demzufolge einem denktranszendenten Substrat von Seiten einer äußerlichen, bloß subjektiven Reflexion Prädikate beigelegt werden, stellt in Hegels Augen ein Selbstmißverständnis des Denkens dar. Hegels Kritik jenes Verständnisses geht entsprechend einher mit der Entwicklung eines angemessenen Selbstverständnisses des Denkens. Wie angedeutet, etabliert er dasselbe als autonome logische Struktur, und setzt sowohl das dem Bestimmen zugrundeliegende Substrat als auch die diesem Substrat äußerlichen Bestimmungen zu Momenten jener Struktur herab - zu Momenten allerdings, die als Momente einer reflexiven Struktur selbst reflexiv und deshalb an und für sich selbst relativ sind auf die Struktur, deren Momente sie sind, und damit auch auf alle anderen Momente, welche dieser Struktur angehören. Weil sie an und für sich relativ sind, ist die Relativität dieser Denkbestimmungen oder Reflexionsbestimmungen 22 von anderer Art als die Relativität der Seinsbestimmungen: Während die Denkbestimmungen mit ihrem „Substrat" (das nichts anderes ist als ihre eigene Reflexion-in-sich) identisch sind, ist den Seinsbestimmungen ihr Substrat ein Anderes, als dessen Eigenschaften sie er-

22

Vgl. G. W.F. Hegel. WL II. 35 ff.

Die Selbstrelativierung von Bestimmtheit in Hegels Logik

357

scheinen und an dem sie ihr Bestehen haben. Das Substrat ist es auch, welches die Einheit der einzelnen Seinsbestimmungen mit den jeweils anderen konstituieren soll: Die Bestimmung „grün" bestimmt sich, indem sie einer Pflanze zugesprochen wird, nicht zugleich als „giftig". Die Einheit von „grün" und „giftig" soll nicht von diesen, sondern von der Pflanze hergestellt werden. Dabei entsteht jedoch das Problem, daß „grün" und „giftig" als Eigenschaften ein und derselben Pflanze nicht nur gleich, sondern an ihnen selbst betrachtet zugleich ungleich sind, so daß die Pflanze die Identität von Gleichheit und Ungleichheit ausmacht. Als Identität von Gleichheit und Ungleichheit ist sie jedoch nicht mehr jenes identische Substrat, das den Bestimmungen „grün" und „giftig" zugrunde liegen sollte. Wiederherstellen läßt sich jenes Substrat nur, wenn man von seinen Bestimmungen abstrahiert. Es scheint also, daß der Gedanke eines zugrundeliegenden Substrats sich nur aufrecht erhalten läßt, wenn man auf seine Bestimmung verzichtet. Ihm nur eine Bestimmung zukommen zu lassen, hilft an dieser Stelle nicht weiter, denn dann wäre es, was es ist, nur im Unterschied zu anderen Bestimmungen, deren Vergleich (seinslogisch gedacht) ein Substrat voraussetzen würde, an welchem jenes erste Substrat seine Grundlage hätte, so daß es gar nicht mehr Substrat wäre. Soll also überhaupt sinnvoll bestimmt werden, dann kann es sich beim zu Bestimmenden um kein von den Bestimmungen unabhängiges Substrat handeln, sondern dann muß jede Bestimmung an ihr selbst sowohl ihr Bestehen als auch ihre Einheit mit den ihr ungleichen Bestimmungen haben, d. h. ihre „.Beziehung auf das Andere in einer Einheit, die nicht sie selbst ist, muß in jede Bestimmung „zurückgenommen" 23, jede Bestimmung muß zugleich das Ganze sein. Dieses Ganze ist nun aber kein abstrakt-identisches Substrat, sondern die „Sichselbstgleichheit der Reflexion" 24, kraft derer jede ihrer Bestimmungen sowohl sich selbst gleich (und insofern im Unterschied zu den Seinsbestimmungen vor dem Übergehen in Anderes bewahrt) als auch in dieser Sichselbstgleichheit „Beziehung auf ihr Anderssein an ihr selbst" 25 ist (sich also im Unterschied zu den Seinsbestimmungen selbst relativiert). Selbstrelativierung und Absolutheit der Reflexionsbestimmungen sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille. Dem korrespondiert, daß die iSe/Twbestimmungen an ihnen selbst als fixe, an ihnen selbst also nicht relative auftreten, und gerade deshalb von außen absolut relativiert, nämlich dem Übergehen und Verschwinden preisgegeben werden. Die Seinsbestimmungen sind Schein, weil sie das Moment der Absolutheit der Reflexionsbestimmungen gegen das gleichursprüngliche Moment ihrer Relativität isolieren. Sie sind also der von den Reflexionsbestimmungen selbst ausgehende Schein, der nichts anderes ist als ein isoliertes Moment der Reflexionsbestimmungen selbst und da-

23 24 25

G.W.F. Hegel'. WL II, 58. G.W.F. Hegel: WL II, 34. G.W.F. Hegel: WL II, 35.

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her überhaupt kein Bestehen gegen die Reflexionsbestimmungen hat. Die Nichtigkeit des Scheins ist also die Nichtigkeit der Verabsolutierung des Moments der Absolutheit der Reflexionsbestimmungen gegen das Moment ihrer Selbstrelativierung. Das Bestehen der Reflexionsbestimmungen andererseits hängt daran, daß sie sich in ihrer Absolutheit als relative bzw. in ihrer Relativität als absolute wissen. Sich in ihrer Absolutheit als relativ bzw. in ihrer Relativität als absolut zu wissen, bedeutet für die Reflexionsbestimmungen, sich zugrunde zu richten, d. h. sich zu „bestimmen als das mit sich Identische, aber darin vielmehr als das Negative, als ein mit sich Identisches, das Beziehung auf Anderes ist" 26 , und kraft dieser Selbstbestimmung ihre Selbständigkeit zu haben, weil diese Selbstbestimmung allererst das Zusammengehen der Reflexionsbestimmungen mit sich, ihre Sichselbstgleichheit ist - also das, was sie „als das Negative" negiert hatten, so daß die Reflexionsbestimmungen selbständig sind, indem sie „durch ihre eigene Negation in sich zurückkehrende Einheit" sind. Bei dieser Einheit handelt es sich um „die Einheit des Wesens, durch die Negation nicht eines Anderen, sondern ihrer selbst identisch mit sich zu sein" 27 . Damit ist der Grund sowohl des Bestehens als auch der Relativität der Reflexionsbestimmungen benannt: Indem das Wesen sich selbst negiert, bestimmt es sich, stößt sich also von sich selbst als der „Grundlage" der Bestimmung ab. Da es sich bei der Bestimmung um nichts anderes als das Wesen selbst handelt, ist sie in sich reflektiert, hat ihr Bestehen also nicht an einem Anderen, sondern an ihr selbst. Andererseits ist dieses Bestehen die Identität aller Bestimmungen gegen die Bestimmung, so daß der Grund ihres Bestehens zugleich der Grund ihrer Relativität ist. Diese Relativität ist doppelter Natur: Erstens ist die Bestimmung relativ auf alle anderen Bestimmungen, weil ihre Reflexion-in-sich (die ihr Bestehen ausmacht) zugleich die Reflexion-in-sich aller Bestimmungen ist. Zweitens ist die Bestimmung relativ auf die Reflexion-in-sich, sofern diese „unendliche Bewegung in sich" 28 und daher von allen ihren Bestimmungen immer auch verschieden ist bzw. in keiner ihrer Bestimmungen aufgeht. Diese Doppelbeschaffenheit der Reflexion-in-sich - sowohl Reflexion aller Bestimmungen als auch von allen Bestimmungen verschieden zu sein - ist nun ihrerseits eine Selbstbestimmung des Denkens (d. h. eine Reflexionsbestimmung), nämlich die Selbstbestimmung des Denkens als Grund. „Das Wesen, indem es sich als Grund bestimmt, bestimmt sich als das Nichtbestimmte, und nur das Aufheben seines Bestimmtseins ist sein Bestimmen."29 Indem das Denken qua Grundbestimmung sich selbst bestimmt, bestimmt es zugleich alle seine Bestimmungen als aufgehobene,, d. h. auf das Denken und deshalb auf einander relative. Die Bestim-

26 27 28 29

G.W. F. Hegel : WL II, 67. G.W.F. Hegel: WL II, 68. G.W.F Hegel: WL II, 24. G. W.F Hegel: WL II, 80 f.

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mung der Relativität aller Bestimmungen muß nun aber auch für diese Bestimmung der Relativität selbst gelten, wenn anders es sich dabei um eine, und zwar „die letzte" 30 Reflexionsbestimmung handelt. M.a.W.: Auch für die Bestimmung der Reflexionseinheit (des Denkens) durch die Grundbestimmung gilt der Inhalt dieser Grundbestimmung, daß die Reflexionseinheit durch keine ihrer Bestimmungen erschöpfend begreifbar ist. Diesem „Mangel" kann durch eine alternative Anschauungsart nicht abgeholfen werden, denn er ist bestimmungslogisch begründet und hat einen guten bestimmungslogischen Sinn: Das Nichtaufgehen des Denkens in seinen Bestimmungen stiftet nicht nur deren Relativität, sondern ist zugleich die Bedingung der Selbständigkeit bzw. relativen Absolutheit der Bestimmungen. Nur weil diese jeweils in einer Einheit, die nicht (nur) sie selbst ist, in sich reflektiert sind, haben sie ihre eigene Grundlage, ihr eigenes Bestehen jeweils an sich. Für das eingangs angesprochene Problem einer angemessenen Thematisierung des Denkens bedeutet dies, daß es auf dem Wege bloßen Bestimmens gar nicht erkannt werden kann. Da diese negative Auskunft bestimmungslogisch gewonnen wurde, gilt sie unabhängig von der Art der uns möglichen Anschauung, könnte also durch eine „andere Selbstanschauung"31 nicht entkräftet werden. Ein adäquates Verständnis des Denkens ist nur möglich, wenn man es nicht als Aggregat fixer Bestimmungen, sondern als ein Konkretes versteht, dessen Momente schlechterdings nicht gegeneinander fixierbar bzw. voneinander isolierbar sind, sondern „nur aus und mit den anderen gefaßt werden" 32 können - wenn man es also nicht bestimmt, sondern begreift. Das durch die Grundbestimmung festgestellte Nichtaufgehen des Denkens in seinen Bestimmungen erhält auf der Ebene des Begriffs die Bedeutung, daß eine Analyse des die Synthesis seiner Momente ausmachenden Begriffs seinen Verlust bedeutet. Wie dies zu verstehen ist, sei in groben Strichen an einem vom Denken verschiedenen Beispiel illustriert: Die „Quelle im Grund" des Dichters läßt sich weder durch die allgemeine Definition von „Quelle" und „Grund", noch durch das Zeigen sinnlich zugänglicher Exemplare jener Definition ersetzen, obwohl sie ohne diese beiden Momente nicht wäre, was sie ist und daher auch in beiden gefunden werden kann. Vielleicht ließe sich die „Quelle im Grund" des Dichters im Unterschied zu ihrer allgemeinen Erklärung und zu ihren realen Vorkommen als ihr Sinn bezeichnen. Sinn ist ein Ganzes, dessen „Teile" derart verdichtet (konkret) sind, daß man eigentlich gar nicht mehr von selbständigen Teilen sprechen kann (was Hegel durch die Rede von den „Momenten" des Be-

30

G. W.F. Hegel: WL II, 80. L Kant: KrV, B 158 (Anm.). 32 G. W. F Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I (im Folgenden zitiert unter dem Kürzel EpW I) = Band 8 der Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1970, 314 (§ 164). n

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griffs zum Ausdruck zu bringen versucht). Die Analyse jenes Ganzen fuhrt zu seinem Verlust: Es ist dann kein Konkretes mehr, sondern ein Aggregat verschiedener Bestimmungen. Mit seiner Kritik am vorherrschenden Verständnis von Bestimmung tut Hegel nun nichts anderes, als die bestimmungslogischen Hintergründe der Erfahrung des durch die Analyse von Sinn beigebrachten Sinn Verlustes zu explizieren. Er tut dies, indem er die Bedingung der Möglichkeit fixer Bestimmungen zugleich als Grund ihrer Relativität aufweist - als einen Grund, der (um den Gang der Hegeischen Logik abzukürzen) mit der Relativierung aller analytischen Fixiertheit zugleich den Schein seiner eigenen Fixiertheit entlarvt und übergeht in die konkrete Durchsichtigkeit des Begriffs, dessen Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sich nicht gegeneinander fixieren lassen,33 sondern „nur aus und mit den anderen gefaßt werden" 34 können, so daß der Begriff „das schlechthin Konkrete" 35 ist. Wird der Begriff in dieser seiner Konkretion begriffen, dann - begreift er sich selbst. Indem er sich selbst begreift, begreift er die Form des Konkreten, die an ihr selbst konkret ist 36 und deshalb normative Geltung für alles andere haben kann, was mit dem Anspruch auftritt, ein Konkretes zu sein. Der Begriff des Begriffs - die angemessene Selbstthematisierung des Denkens - stellt also nicht nur die Absage an eine seinslogische, d. h. abstrakt-äußerliche Thematisierung des Denkens dar, sondern legt nahe, daß nichts in seiner Wahrheit ist, solange es als fixes, denktranszendentes Substrat äußerlicher Bestimmungen thematisiert wird.

IV. Die skizzierte Selbstrelativierung von Bestimmtheit, welche zur Einsicht in die bestimmungslogische Defizienz einer bloß zergliedernden bzw. summierenden Thematisierung nicht nur des Denkens, sondern auch aller anderen Gehalte, die mit dem Anspruch auftreten, sinnvoll zu sein, führte, findet sich m. E. ansatzweise schon in Kants transzendentaler Deduktion. Diese hebt an mit der Qualifikation der „Verbindung ... eines Mannigfaltigen überhaupt" 37 als einer „Verstandeshandlung", die Kant „mit der allgemeinen Benennung Synthesis " versieht und von der er sagt, daß sie „ursprünglich einig, und für alle Verbindung gleichgeltend" 38 sei (sowohl für die Verbindung „der Anschauung, oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen, oder nicht sinnlichen 33

Vgl. dazu Friedrike Schick: Hegels Wissenschaft der Logik - metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, Freiburg (Breisgau) / München 1994, 215. 34 G.W.F. Hegel: EpW I, 314 (§ 164). 35 G.W.F. Hegel. EpW I, 313 (§ 164). 36 Vgl. dazu F. Schick. a.a.O., 304 f. 37 /. Kant: KrV, B 129. 38 1. Kant: KrV, B 130 (Hervorhebung C. G.).

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Anschauung" 39). Kant bewegt sich also auf der Ebene des rein bestimmungslogischen Sinns von Verbindung, Mannigfaltigkeit bzw. Synthesis, und diese Momente scheinen sich wechselseitig zu implizieren, wie aus der Äußerung hervorgeht, der Begriff der Verbindung führe die „Begriffe des Mannigfaltigen, und der Synthesis desselben" sowie „den der Einheit desselben bei sich"* 0. Angesichts dieser wechselseitigen Implikation stellt sich die Frage, wie genau der Zusammenhang der Momente zu verstehen ist: Wird derselbe durch eine weitere, von Kant noch nicht genannte Instanz (etwa das empirische Ich) gewährleistet, oder ist der Zusammenhang der Momente zugleich eines der genannten Momente selbst? Ein Indiz für die letztgenannte Variante könnte in dem sprachlichen Sachverhalt erblickt werden, daß neben den statischen Begriffen „Verbindung", „Mannigfaltigkeit" und „Einheit" mit Synthesis ein Begriff genannt ist, der eine Handlung bezeichnet. In systematischer Hinsicht ließe sich diesem Indiz Kants Unterscheidung zwischen synthetischer und analytischer Ebene beigesellen: Indem sie das Mannigfaltige verbindet, ist die verbindende Synthesis sowohl dem analytisch (d. h. isoliert) thematisierten Sinn von Verbindung als auch dem analytisch (d. h. isoliert) thematisierten Sinn von Mannigfaltigkeit vorausgesetzt, so daß die Analysis darin ihren Möglichkeitsgrund hat und lediglich „Gegenteil" der Synthesis „zu sein scheint" 41. Stellt die vorausgesetzte Synthesis also das Integral der Momente dar, die als eigenständige, gegeneinander fixierbare und isoliert thematisierbare nur auf analytischer Ebene auftreten? Die vorausgesetzte Synthesis wäre dann einerseits die Wahrheit der Momente und andererseits der Grund ihrer analytischen Thematisierbarkeit. Nun wird die Synthesis von Kant auch selbst analytisch thematisiert, so daß sie (als Voraussetzung der analytischen Thematisierbarkeit aller Momente ihrer selbst) zugleich die Voraussetzung der analytischen Thematisierbarkeit ihrer selbst ausmacht. Da sie nichts anderes als der Zusammenhang der anderen Momente ist, muß die Synthesis in analytischer, d. h. von den anderen Momenten getrennter Thematisierung unbestimmt sein. Genau dies aber ist das Schicksal des „Ich denke", welches (abgesehen von irreführenden empirischen Konnotationen) die „gänzlich leere Vorstellung" 42 der Identität des Bewußtseins in allen Vorstellungen, d. h. der Bestimmung aller Vorstellungen als zusammenhängender ist. 43 Als von den anderen Momenten abgesondert, ist diese Bestimmung

39

I. Kant: Ebd. - Vgl. dazu Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion, 84 f. 1. Kant: Ebd. (Hervorhebung C. G.). 41 I. Kant: Ebd. (Hervorhebung C. G.). 42 /. Kant: KrV, A 345 f. / B 404. 43 Rolf-Peter Horstmann zufolge bezeichnet die Vorstellung „Ich denke" „nichts weiter als ein sozusagen analytisches Implikat der Denkhandlung, ein Implikat, das gedacht werden muß nicht als etwas, das (gegenständlich) ist, sondern das, indem Denken stattfindet, sich gleichsam realisiert" (Rolf-Peter Horstmann: Kants Paralogismen, in: KantStudien 83 (1993), 408-425, hier 425. 40

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ihnen äußerlich - eine Äußerlichkeit, die durch den Verweis auf die vorausgesetzte Synthesis dementiert wird, denn dieser Verweis besagt nichts anderes, als daß die analytisch thematisierte Identität die Identität derjenigen Momente ist, denen sie im Rahmen der analytischen Thematisierung als eine äußerliche gegenüber gestellt bzw. von denen sie abstrahiert wurde. Daß die analytisch thematisierte Identität völlig leer, d. h. bestimmungslos ist, kann als Beleg dafür gelten, daß ihre Eigenständigkeit sich einer Abstraktion verdankt und also nur scheinbare Eigenständigkeit ist. Kant deutet den Befund der Bestimmungslosigkeit des „Ich denke" freilich nicht bestimmungslogisch, sondern führt ihn darauf zurück, daß uns die zur angemessenen Erkenntnis der Spontaneität des Denkens (angeblich) erforderliche Anschauungsart nicht zur Verfügung stehe. Hegel indessen erkennt, daß die im „Ich denke" vorgestellte Identität die von den Bestimmungen, deren Identität sie ist, abstrahierte , d. h. nur abstrakte , nicht konkrete Identität ist. 44 Er deutet das Problem der Bestimmungslosigkeit des „Ich denke" also strikt bestimmungslogisch und vermag deshalb einen Weg zur angemessenen Thematisierung des Denkens zu weisen, der völlig unabhängig ist von der Art der uns zur Verfügung stehenden Anschauung. Wie gezeigt, führt dieser Weg über die Selbstrelativierung von Bestimmtheit überhaupt zur Synthesis des Begriffs, dessen Momente nicht mehr voneinander isolierbar sind. Indem Kant das Heil im Desiderat einer alternativen Anschauungsart sucht, geht er dieser Selbstrelativierung von Bestimmtheit aus dem Weg - mit der Konsequenz, daß auch das durch eine alternative Anschauungsart Gegebene als fixes Substrat behandelt würde, dem äußerliche Bestimmungen zukämen. Dabei ließe sich das als analytischer Repräsentant der vorausgesetzten Synthesis verstandene „Ich denke" durchaus im Sinne der Hegeischen Grundbestimmung deuten: Wie diese, dementiert es die analytische Eigenständigkeit aller Bestimmungen (indem es das Denken als deren Identität setzt) einschließlich seiner selbst (womit das Denken als ein solches etabliert ist, dessen Identität prinzipiell nicht in der Identität seiner Bestimmungen aufgeht 45 und deshalb deren Identität und Eigenständigkeit gewährleisten kann). Das läßt sich zumindest aus Kants These folgern, die Thematisierung der Identität des Bewußtseins in allen Vorstellungen und damit der analytischen Einheit der Apperzeption setze irgendeine synthetische Einheit voraus. 46 Darin liegt nämlich, daß die Vorstellung der Identität deren Synthesis mit den Bestimmungen voraussetzt, von denen sie auf analytischer Ebene separiert ist. Die Vorstellung der Identität - des „Ich denke" - dementiert also kraft Verweises auf die vorausgesetzte Synthesis (ohne die jener „Actus der Spontaneität " nicht möglich wäre) die Eigenständigkeit aller analytisch thematisierten Momente - also auch die Eigenständigkeit ihrer selbst als 44 Z u r Unterscheidung von abstrakter und konkreter Identität vgl. G.W.F. EpW I, 236 f. (§ 115). 45 Vgl. dazu R. Hiltscher: Wahrheit und Reflexion, 91. 46 /. Kant: KrV, B 133.

Hegel:

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analytisch thematisierter Identität. Indem das „Ich denke" auf analytischer Ebene alle Bestimmungen als zusammenhängende bestimmt, verweist es auf eine ursprüngliche Synthesis als Bedingung seiner Möglichkeit und damit als Bedingung der Möglichkeit des Zusammenhangs der Bestimmungen, ohne welchen sie analytisch nicht thematisiert werden könnten, dem gegenüber ihre analytische Thematisierung aber abkünftig, d. h. durch Abstraktion herbeigeführt ist. In Hegelscher Terminologie ausgedrückt, signalisiert die Vorstellung des „Ich denke", indem sie die Abkünftigkeit aller analytisch thematisierten Bestimmungen einschließlich ihrer selbst indiziert, die Aufhebung aller Bestimmungen einschließlich ihrer selbst. Damit fügt sie den Bestimmungen aber nichts ihnen äußerliches hinzu, sondern bekundet lediglich deren Wahrheit, so daß gesagt werden kann, daß die analytische Vorstellung der Identität die Selbstaufhebung bzw. Selbstrelativierung aller Bestimmungen auf ihren Zusammenhang indiziert, der ihnen nicht äußerlich, sondern als ihre Reflexion-in-sich Grund ihres Bestehens und damit Grund ihrer Absolutheit ist, so daß Selbstrelativierung und Absolutheit der Bestimmungen als zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachtet werden können.

V. Bestimmtheit läßt sich konsistent nur denken (bzw. Bestimmtheit hat nur dann ein Bestehen), wenn man die analytisch erscheinenden Bestimmungen als in sich und damit auf ihre (in keiner Bestimmung aufgehende) Einheit mit den anderen Bestimmungen reflektiert betrachtet - eine Betrachtungsweise, die auf analytischer Ebene zum Ausdruck gebracht werden kann, indem die Einheit der Bestimmungen als (isoliert betrachtet) völlig leere Bestimmung neben den anderen Bestimmungen zum Stehen kommt und damit eine ursprüngliche Synthesis indiziert, welche die Wahrheit der erscheinenden Bestimmungen und als solche mit ihnen identisch ist. Garantin dieser Identität ist die in keiner einzelnen Bestimmung aufgehende selbstbezügliche Negativität des Denkens, die das Moment ihres Zusammengehens in die Gleichheit mit sich setzt und sich damit ein zu Bestimmendes voraussetzt, das (weil mit ihr identisch) selbst in sich reflektiert ist und daher sich selbst bestimmt als Moment, welches sein Bestehen an der im Moment des Zusammengehens mit sich nicht erschöpften Selbstbezüglichkeit des Denkens hat. Wird das Moment des Zusammengehens der selbstbezüglichen Negativität mit sich von den anderen Momenten isoliert und seiner Reflexivität beraubt, dann erscheint es als fixes Substrat, dessen Bestimmungen ihm nicht entstammen, sondern von außen zugefügt werden. Weder jenes Substrat noch seine ihm äußerlichen Bestimmungen können jedoch bestehen, denn die zu ihrer Bestimmtheit erforderlichen, von ihnen verschiedenen Bestimmungen sind ihnen ihrerseits äußerlich, und Gleiches gilt für die bestimmende Tätigkeit (die sich selbst äußerlich gewordene Reflexion). In bestimmungslogischer Perspektive ist der Gedanke eines vom Denken völlig un-

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abhängigen, an sich bestehenden und von außerhalb seiner selbst zu bestimmenden Substrats also defizitär. Nicht nur das Denken, sondern schlechterdings alles, was als irreflexives, von einer ihm äußerlichen Instanz her mit Bestimmungen zu versehendes Substrat verstanden wird, kann genau deshalb unmöglich begriffen, d. h. über sein unmittelbares Auftreten hinaus theoretisch gewürdigt werden. Daß die eingangs des vorliegenden Aufsatzes gestellte Frage nach der angemessenen Thematisierbarkeit des Denkens diese Ausweitung erfahren hat, vermag wenig zu überraschen, wenn anders das Denken jene Spontaneität ist, die Kant als „das Bestimmende in mir" 4 7 bezeichnet, deren Erkenntnis also Auskunft darüber gibt, was unter Bestimmung und - da das „Bestimmende" reflexiv verfaßt ist, also in logischer Priorität sich selbst bestimmt - unter Bestimmtheit zu verstehen bzw. wie Bestimmung und Bestimmtheit konsistent zu denken sind. Hegel zufolge muß Bestimmtheit als eine Selbstbeziehung verstanden werden, die in diesem Zusammengehen mit sich (weil es das Allgemeine ist) ebensosehr ihre eigene Negation ist, sich in dieser Negation jedoch auf sich bezieht und so (in dieser Selbstrelativierung) ihre Absolutheit und ihr Bestehen hat (Einzelnes ist). 48 Der Unterschied zwischen den Begriffsmomenten des Einzelnen und des Allgemeinen ist freilich nur der Schein einer Zweiheit, denn indem „das eine begriffen und ausgesprochen wird, [ist] darin das andere unmittelbar begriffen und ausgesprochen"49. Handelt es sich bei diesem Schein systematisch gesehen um jene scheinbare Entgegensetzung von Synthesis und Analysis, die Kant eingangs der transzendentalen Deduktion anspricht, 50 und bei der es sich in Wahrheit um das unter IV. entwickelte Implikationsverhältnis handelt? Die Einheit des Begriffs wäre dann in Kants transzendentaler Deduktion vorhanden als Einheit der scheinbaren Zweiheit der analytisch explizierten Bestimmungen einerseits und ihrer vorausgesetzten Synthesis andererseits - als Einheit, die auf analytischer Ebene indiziert wird durch die Identität des „Ich denke", welches also nicht etwa abstrakt und leer, sondern die Einheit der analytisch explizierten Bestimmungen und ihrer vorausgesetzten Synthesis, somit „der reine Begriff selbst" 51 ist. Kant hätte also durchaus die Möglichkeit gehabt, den Gedanken eines Substrats als durch den Begriff selbst konstituiertes Moment seines Außersichseins zu entlarven, womit auch das analytische Vorkommen der Bestimmungen in neuem Licht erschienen wäre. In diesem Rahmen hätte sich auch die eigentliche Ursache der Unmöglichkeit einer angemessenen Thematisierung des „Bestimmende[n] in mir, dessen Spontaneität ich mir bewußt bin" 5 2 erschließen lassen: Wird vom Momentcharaktev des Außersich41

1. Kant: KrV, B 158 (Anm.).

48 49 50 51 52

Vgl. Hegels „Definition" des Begriffs des Begriffes in G. W.F. Hegel: WL II, 251 f. G.W.F. Hegel: WL II, 252. Vgl .I.Kant: KrV, B 130. G.W.F. Hegel: WL II, 253. I. Kant: KrV, B 158 (Anm.).

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seins des Begriffs abstrahiert und dasselbe zum äußerlichen Nebeneinander irreflexiver Bestimmungen verabsolutiert, dann können dieselben bzw. dann kann ihre Einheit natürlich nicht mehr als bestimmende (bzw. als sich selbst bestimmende) einsichtig werden. Diese Problematik ließe sich auch dann nicht beheben, wenn „eine andere Selbstanschauung" zur Verfügung stünde, weil sie nicht aus der anschauungstheoreXAschsn Art und Weise des Gegebenenseins, sondern aus der logischen Bestimmung des (wie auch immer) Gegebenen als eines Gegebenen, d. h. als eines fixen Substrats (dem gegenüber sich die mit der Bestimmungsaufgabe versehene Reflexion als eine äußerliche verhält) resultiert und deshalb nach einer bestimmungslogischen Lösung verlangt.

VI. In seiner „Kritik der Urteilskraft" begibt sich Kant auf die Suche nach dem Grund des Zusammenbestehens der Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft. Diese unterscheiden sich darin, „daß der Naturbegriff zwar seine Gegenstände in der Anschauung, aber nicht als Dinge an sich selbst, sondern als bloße Erscheinungen, der Freiheitsbegriff dagegen in seinem Objekte zwar ein Ding an sich selbst, aber nicht in der Anschauung vorstellig machen, mithin keiner von beiden ein theoretisches Erkenntnis von seinem Objekte (und selbst dem denkenden Subjekte) als Dinge an sich verschaffen kann, welches das Übersinnliche sein würde, wovon man die Idee zwar der Möglichkeit aller jener Gegenstände der Erfahrung unterlegen muß, sie selbst aber niemals zu einem Erkenntnisse erheben und erweitern kann" 53 . Wie hinsichtlich der Thematisierung des Denkens, so macht Kant demnach auch im Blick auf die Thematisierung des Übersinnlichen die Anschauung für unsere diesbezügliche Beschränktheit verantwortlich: Weil unsere Anschauung sinnlich ist, läßt sich das übersinnliche Objekt des Freiheitsbegriffs in ihr nicht vorstellig machen. Stünde uns also eine andere Anschauung zur Verfügung, dann könnten wir auch das Übersinnliche erkennen - es würde dann als es selbst gegeben. Gegen Kant ist jedoch abermals darauf zu verweisen, daß diese alternative Weise seines Gegebenseins nichts daran änderte, daß das Thematisierte (in diesem Falle das Übersinnliche) nach wie vor die Rolle eines - per se irreflexiven - Substrats spielte (Kant selbst redet vom „übersinnliches Substrat" 54), dem sowohl seine Bestimmungen als auch seine Einheit mit diesen Bestimmungen von außerhalb seiner selbst her zugesprochen würden. Was sich nicht selbst bestimmt bzw. was nicht mit der Selbstbestimmung seiner (sich qua dieser Selbstbestimmung in ihre sie übersteigende Einheit reflektierenden) Bestimmungen identisch ist, kann näm53

I. Kant: Kritik der Urteilskraft (im Folgenden zitiert unter dem Kürzel KU) = Band V der von Wilhelm Weischedel herausgegebenen Werke in sechs Bänden, 5. Nachdruck 1983 der Ausgabe Darmstadt 1957 (Sonderausgabe 1998), 231-620, B/A X V I I I f. 54 1. Kant: KU, B L V I / A LIV.

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lieh schwerlich Einheitsprinzip seiner selbst und seiner Bestimmungen sein. Als Substrat gedacht, kann das Übersinnliche dann aber ausgerechnet jene systematische Funktion nicht übernehmen, welche Kant ihm in der „Kritik der Urteilskraft" zudenkt, nämlich die Möglichkeit eines Einheitsgrundes von mechanistischer und teleologischer Ordnung zu verkörpern 55 (und so dem Freiheitsbegriff einen Boden seines Bestimmens zu verschaffen 56). Als Substrat gedacht, kommt dem Übersinnlichen die logische Bestimmung abstrakter Identität zu, die als Ausschluß jeglicher Differenz unmöglich Einheitsprinzip heterogener Prinzipien 57 sein kann. Denn aufgrund seiner Irreflexivität kann alles ihm gegenüber Verschiedene zu dem Substrat nur im Verhältnis äußerlicher Andersheit stehen. Die Verschiedenen werden durch eine ihnen fremde Gesetzmäßigkeit zusammengehalten, für die ihre jeweilige (ohnehin nicht konsistent denkbare) Bestimmtheit eine gleichgültige ist. Bei dem, was Kant unter dem Mechanismus der Natur versteht, handelt es sich nun um nichts anderes als eine solche äußerlich zusammengehaltene Mannigfaltigkeit - um Verschiedene, denen ihr Zusammenhang, und um einen Zusammenhang, dem das durch ihn Verbundene gleichgültig ist. Betrachtet man den logischen Sinn von „Mannigfaltigkeit" und „Verbindung", dann zeigt sich jedoch, daß die beiden sich gegenseitig implizieren: Verschiedenheit (der logische Sinn von Mannigfaltigkeit) kann nur als Verschiedenheit Verbundener, und Verbindung kann nur als Verhältnis Verschiedener gedacht werden. Wie unter IV. erwähnt, hat Kant selbst eingangs der „Transzendentalen Deduktion" auf dieses Implikationsverhältnis hingewiesen. Die den analytisch thematisierten Bestimmungen Verbindung, Mannigfaltigkeit, Synthesis und Einheit laut Kant vorausgesetzte Synthesis habe ich als eine solche zu interpretieren versucht, die nur scheinbar ihrer Analysis entgegengesetzt ist, weil die analytisch thematisierten Momente an ihnen selbst auf ihren Zusammenhang reflektiert, die Synthesis also nirgends anders als an der Stelle ihrer eigenen Momente zu finden ist - und zwar auch und gerade dann, wenn sie analytisch als Synthesis thematisiert wird. Die als Synthesis, d. h. getrennt von ihren Momenten thematisierte Synthesis ist nämlich völlig leer, und diese Leere verweist auf die Bestimmungen, deren Synthesis sie ist. Andererseits indiziert die separate Thematisierung der Synthesis, daß dieselbe in ihren Bestimmungen niemals aufgeht. Das aber ist die Voraussetzung für Bestehen und Eigenständigkeit der Bestimmungen, die den obigen Ausführungen zufolge ja daran hängt, daß sie sich an ihnen selbst relativieren. An ihnen selbst relativieren können sie sich nur, weil sie das Andere ihrer selbst an sich haben. Bei diesem Anderen ihrer selbst aber handelt es sich um die in ihren Bestimmungen nicht aufgehende und daher von ihnen verschiedene Reflexion-in-sich, die als dasjenige Andere der Bestimmungen, in welches die Bestimmungen an ihnen selbst re55 56 57

Vgl. I. Kant : KU, B 357 f. / A 353 f. Vgl. /. Kant: KU, B LVI / A LIV. Vgl. /. Kant: KU, B 358 / A 354.

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flektiert sind, deren Bestehen ausmacht. Die Bestimmungslosigkeit der Synthesis ist also Voraussetzung des Bestehens ihrer Bestimmungen, und deshalb ist die Bestimmung der Bestimmungslosigkeit die Bestimmung des Grundes. 5* Wenden wir uns wieder der von Kants „Kritik der Urteilskraft" hinterlassenen Problemlage zu. Die vorstehenden Überlegungen besagen, daß ein gesetzmäßiger Zusammenhang Verschiedener nur dann als autonomer gedacht werden kann, wenn man seinen Bestimmungen Reflexivität unterstellt - wenn die Verschiedenen also an ihnen selbst aufeinander und auf ihren Zusammenhang reflektiert sind, so daß sie nichts anderes sind als die Selbstreflexion ihres Zusammenhangs, der seinerseits nur in seinen jeweiligen Bestimmungen statt hat. Irreflexive Bestimmungen hingegen, die durch eine äußere Gesetzmäßigkeit zusammengehalten werden, bedürfen einer ihnen äußerlichen Reflexion, um so bestehen zu können, wie sie gemeint werden. Das bedeutet aber, daß der Gedanke eines mechanistischen Naturzusammenhangs an ihm selbst die Unmöglichkeit der Unabhängigkeit eines solchen Zusammenhangs von einer ihm äußerlichen Reflexion, d. h. seine „subjektive" Bedingtheit indiziert. Als „objektiver", vom menschlichen Denken unabhängiger Zusammenhang läßt sich der Naturzusammenhang dagegen nur denken, wenn man ihm Reflexivität unterstellt. Damit ist natürlich nicht gezeigt, daß die extrahumane Wirklichkeit reflexiv verfaßt ist. Soll die extrahumane Wirklichkeit jedoch als ejc/rahumane, „objektive" Wirklichkeit gedacht werden, dann läßt sich dies nicht konsistent bewerkstelligen, wenn man sie mechanistisch bzw. physikalistisch versteht, weil sich dann bestimmungslogisch (nicht empirisch!) nicht darlegen läßt, wie sie unabhängig von einer sie zusammenhaltenden, ihr gegenüber äußeren Reflexion Bestehen haben könnte. Es ist m.E. daher nicht ganz nachvollziehbar, warum Kant mit einer teleologischen Interpretation der Natur (die ja davon ausgeht, daß deren Bestimmungen an ihnen selbst auf einen Zweck, d. h. auf einen sie verbindenden Sinn reflektiert sind) eher die Gefahr des „Subjektivismus" verbunden sieht als mit einer mechanistischen Interpretation. Freilich muß bedacht werden, daß Kant die mechanistische Interpretation auf einem Objektivitätsbegriff fundiert, der mit dem „naiven" Objektivitätsbegriff insofern nichts gemein hat, als der Sinn von Objektivität bei Kant transzendental begründet ist, so daß, was als „objektiv" bestimmt wird, damit zugleich als Erscheinung qualifiziert ist. Für das durch diesen Begriff indizierte gnoseologische Defizit zeichnet sich m.E. aber nicht die Sinnlichkeit unserer Anschauung, sondern eine bestimmte Auffassung von Bestimmung und Bestimmtheit verantwortlich. Wird Bestimmtheit „verflüssigt" 59 , d. h. als sich selbst relativierende und in dieser 58

Vgl. G. W.F. Hegel: WL II, 80 f. Das Bild der Verflüssigung gebraucht Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes" im Rahmen einer knappen Skizzierung der Genese des Begriffs. Vgl. G.W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes = Band 3 der Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1970, 37. 59

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Selbstrelativierung allererst ihr Bestehen habende Selbstbewegung verstanden, dann läßt sich das analytische Nebeneinander der Bestimmungen verdichten zum Begriff, dessen Momente dem Übergehen und Scheinen entnommen sind, und in dem - weil jedes der Momente zugleich das Ganze und das Ganze nicht ohne seine Momente ist - nichts umsonst ist. Was Kant als bloß subjektive Maxime bezeichnet, nämlich daß alles irgend wozu gut und nichts umsonst ist, 60 erscheint aus bestimmungslogischer Perspektive als Charakteristikum eines reflexiv verfaßten Bestimmungszusammenhangs, d. h. eines Bestimmungszusammenhangs, dessen Autonomie , d. h. dessen Unabhängigkeit von unseren subjektiven Maximen sich konsistenter denken läßt als dies hinsichtlich eines mechanistischen Bestimmungszusammenhangs möglich ist. Pointiert formuliert: Gegen die These, unabhängig von unserer „subjektiven" Wirklichkeitsinterpretation sei dieselbe rein mechanistisch verfaßt, spricht die bestimmungslogische Einsicht, daß ein Ganzes einander äußerlicher Bestimmungen gar nicht als unabhängig von einer dasselbe zusammenhaltenden äußerlichen Reflexion gedacht werden kann. Wegen dieser ihrer bestimmungslogischen Unselbständigkeit ist es angemessen, die mechanistisch interpretierte Natur als Erscheinung zu bezeichnen. Die These, eine teleologische Beurteilung sei bloß „subjektiv", gelte also nicht für die Wirklichkeit „an sich", ist andererseits deshalb schwach, weil mit der Interpretation der Bestimmungen der Wirklichkeit als an ihnen selbst auf einen Zweck reflektiert gerade die Voraussetzung dafür geschaffen ist, die Wirklichkeit überhaupt auf konsistente Weise als eine von „unserer" Beurteilung unabhängige zu denken.61 Soll also die Erscheinung durchbrochen und zur wahrhaften Objektivität der Dinge durchgedrungen werden, dann ist der Weg teleologischer Interpretation vielversprechender als der Weg mechanistischer bzw. physikalistischer Interpretation. Neben dieser optimistischen Bewertung teleologischer Erklärungsmuster ermöglichen die im Anschluß an Hegels wesenslogische Selbstrelativierung von Bestimmtheit gewonnenen systematischen Einsichten die Vereinbarkeit von teleologischer und mechanistischer Betrachtungsweise. Wenn der Mechanismus (also der äußerliche Zusammenhang Verschiedener) sich nur unter Voraussetzung einer ihm äußerlichen Reflexion denken läßt, während die Autonomie der Teleologie sich dem Umstand verdankt, daß sie an ihr selbst reflexiv verfaßt ist, dann läßt sich die wechselseitige Äußerlichkeit von Verschiedenem, Gesetzmäßigkeit und Reflexion im Mechanismus als Abstraktion aus der teleologischen

60

/. Kant: KU, B 300 f. / A 297. Wohl deshalb bezeichnet Hegel es als „sonderbar ..., daß das Erkennen der Objekte aus ihrem Begriffe [bzw. aus ihrem Zweck als dem „Begriff selbst in seiner Existenz"] ... als ein unberechtigter Überschritt in ein heterogenes Element erscheint, der Mechanismus dagegen, welchem die Bestimmtheit eines Objekts als eine äußerlich an ihm und durch ein Anderes gesetzte Bestimmtheit ist, für eine immanentere Ansicht gilt als die Teleologie" (G. W.F. Hegel: WL II, 438). 61

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Betrachtungsweise ansehen - so wie der Gedanke eines fixen Substrats und fixer Bestimmungen sich der Abstraktion der Momente der Sichselbstgleichheit der selbstbezüglichen Negativität und ihres Abstoßens von sich verdankt (vgl. II.). Auf diesem Hintergrund stellt die Vereinbarkeit von mechanistischer und teleologischer Naturerklärung überhaupt kein Problem dar. Wir brauchen zu diesem Zwecke keine „andere als sinnliche Anschauung"62, denn ein „bestimmtes Erkenntnis des intelligibelen Substrats der Natur" 63 läßt sich ohne Rekurs auf die Anschauung gewinnen. Dabei zeigt sich allerdings, daß es sich bei diesem „intelligibelen Substrat" um gar kein Substrat, sondern um die unendliche Bewegung der Reflexion-in-sich handelt, die sich selbst als Nichtbestimmte bestimmt 64 und so der Grund des Bestehens aller ihrer Bestimmungen ist, sofern diese reflexiv verfaßt sind, sich also auf ihren Zusammenhang relativieren. Wird von ihrer Reflexivität und damit von ihrer Relativität abstrahiert, dann wird auch davon abstrahiert, worauf die Bestimmungen relativ sind - von ihrem Grund, Begriff oder Zweck. 65 Das analytische Nebeneinander durch äußere Gesetzmäßigkeit verbundener Verschiedener erscheint kraft dieser Abstraktion als zwecklos. Bestimmungslogisch betrachtet, verwickelt sich diese Zwecklosigkeit jedoch in Widersprüche, wenn sie mit dem Anspruch auftritt, unabhängig von der Reflexion zu bestehen. Sie hebt sich daher auf in die begriffliche Einheit der Bestimmungen, und nur kraft dieser Verdichtung (Konkretion) ist es möglich, Gehalte philosophisch, d. h. hinsichtlich ihres Sinns zu thematisieren. Bestimmungslogisch betrachtet, ist diese Thematisierungsweise m. E. als die gegenüber dem empirisch-wissenschaftlichen Sammeln und Ordnen irreflexiver Informationen konsistentere zu betrachten. Mag die Wirklichkeit also aus empirisch-wissenschaftlicher oder individuell-existenzieller Perspektive immer wieder als zweck- und sinnlos erscheinen, so ist sie dies aus philosophischer Perspektive keineswegs. Nicht zuletzt deshalb vermag die Philosophie eine Rechtfertigung der Religion zu leisten, sofern diese daran glaubt, daß die Wirklichkeit in aller scheinbaren Zwecklosigkeit zutiefst sinnvoll ist.

62

1. Kant: KU. B 367 / A 362. 1. Kant: KU, B 367 / A 362 f. 64 Daß der Grund der Vereinbarkeit von mechanistischer und teleologischer Kausalität „nie ... bestimmt erkannt" (/. Kant: KU, B 358 / A 354; Hervorhebung C. G.) werden kann, stellt also (gegen Kant) kein Problem dar, sondern indiziert die Lösung des Problems. 65 Zum systematischen Zusammenhang dieser Begriffe vgl. G.W.F. Hegel: WL II, 83 sowie bereits 79. Die auf jeden Fall notwendige Differenzierung zwischen denselben kann im vorliegenden Aufsatz leider nicht vorgenommen werden. 63

Anhang

Auswahlbibliographie Sekundärliteratur zu Kants „Kritik der Urteilskraft" Stefan Klingner Vorbemerkung. Die vorliegende Bibliographie* vermag selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, soll aber einen breiten, verlässlichen Einblick in die seit dem Jahre 1900 vorhandene deutsch-, englischund französischsprachige Forschungsliteratur zu Kants dritter Kritik gewährleisten. Es werden Sammelbände, Monographien, Aufsätze und Beiträge in Kongressakten berücksichtigt, wobei ausschließlich Titel genannt werden, die sich entweder als unmittelbaren Beitrag zur Forschung an der dritten Kritik Kants verstehen oder von Bedeutung für jene sind. Die Einträge werden alphabetisch nach Autoren, bei gleichem Autor chronologisch gereiht. Aufsätze, die in den aufgeführten Sammelbänden zu finden sind, werden nicht eigens genannt. Folgende Abkürzungen werden für häufig genannte Kongressakten benutzt: 3. IKK

Proceedings of the Third International Kant Congress, hrsg. von Lewis W. Beck. Dordrecht: Reidel Publishing (1972).

4. IKK

Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses, hrsg. von Gerhard Funke. Berlin: Walter de Gruyter (1974).

5. IKK

Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, hrsg. von Gerhard Funke. Bonn: Bouvier (1981).

6. IKK

Proceedings of the Sixth International Kant Congress, hrsg. von Gerhard Funke und Thomas M. Seebohm. Washington: University Press of America (1989).

7. IKK

Akten des 7. Internationalen Kant-Kongresses, hrsg. von Gerhard Funke. Bonn: Bouvier (1991).

8. IKK

Proceedings of the Eighth International Kant Congress, hrsg. von Hoke Robinson. Milwaukee: Marquette University Press (1995).

9. IKK

Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des 9. Internationalen KantKongresses, hrsg. von Volker Gerhardt, Rolf-Peter Horstmann und Ralph Schumacher. Berlin/New York: Walter de Gruyter (2001).

OCK

Proceedings of the Ottawa Congress on Kant in the Anglo-American and Continental Traditions, hrsg. von Pierre Laberge, François Duchesneau und Bryan E. Morrisey. Ottawa: University of Ottawa Press (1976).

* Mein besonderer Dank gilt Susanne Hösel M. A.. Ohne ihre Geduld und Mühe wäre die vorliegende Fassung dieser Bibliographie wohl kaum möglich gewesen.

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Stefan Klingner

Folgende Abkürzungen werden für häufig genannte Zeitschriften benutzt: AGPh

Archiv für Geschichte der Philosophie (Berlin/New York)

BJA

The British Journal of Aesthetics (Oxford)

DZPh

Deutsche Zeitschrift für Philosophie (Berlin)

IS

Idealistic Studies (Worcester, Mass.)

JaeACr

The Journal of Aesthetics and Art Criticism (Baltimore)

JHPh

Journal of the History of Philosophy (Berkeley, CA)

JVI

Journal of Value Inquiry (Dordrecht u. a.)

KS

Kant-Studien (Berlin/New York)

PhJ

Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft (Freiburg i. Br.)

PhRev

The Philosophical Review (Durham, NC)

PhR

Philosophische Rundschau (Frankfurt/M.)

RIPh

Revue Internationale de Philosophie (Evry, Bruxelles)

RevMet

Review of Metaphysics (Chicago)

RPhL

Revue Philosophique de Louvain (Louvain)

ZPhF

Zeitschrift für philosophische Forschung (Frankfurt/M.)

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Stefan Klingner

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Stefan Klingner

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Autorenverzeichnis

Claudia Bickmann ist Professorin für Philosophie an der Universität zu Köln und Präsidentin der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie (GIP). Veröffentlichungen u. a.: Der Gattungsbegriff im Spannungsfeld zwischen historischer Betrachtung und Systementwurf (1984); Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants (1996); Tradition und Traditionsbruch zwischen Skepsis und Dogmatik (2006) (Hrsg. mit Herman-Josef Scheidgen, Tobias Voßhenrich und Markus Wirtz); Immanuel Kants Weltphilosophie (2006); zahlreiche Aufsätze zur Philosophie Kants und des deutschen Idealismus (insbesondere mit Blick auf Piaton und den Neuplatonismus) sowie zur Interkulturellen Philosophie. Werner Flach, geb. 1930, ist seit 1995 im Ruhestand. Promotion 1955 in Würzburg, Habilitation 1961, seit 1968 Professor für Philosophie an der Julius-MaximiliansUniversität Würzburg. Veröffentlichungen: Negation und Andersheit. Ein Beitrag zur Problematik der Letztimplikation (1959); Zur Prinzipienlehre der Anschauung. Bd. 1: Das spekulative Grundproblem der Vereinzelung (1963); Zur Grundlegung der Wissenschaft von der Literatur (1978) (mit Brigitte Flach); Thesen zum Begriff der Wissenschaftstheorie (1979); Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus (1980) (Hrsg. mit Helmut Holzhey); Grundzüge der Erkenntnislehre. Erkenntniskritik, Logik, Methodologie (1994); Grundzüge der Ideenlehre. Die Themen der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt, der Kultur (1997); Die Idee der Transzendentalphilosophie. Immanuel Kant (2002); zahlreiche Aufsätze. Volker Gerhardt, geb. 1944, ist seit 1992 Professor für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Promotion 1974, Habilitation 1984. Mitglied und Vizepräs, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Mitglied des Nationalen Ethikrats. Mitherausgeber der Krit. Gesamtausgabe der Werke Nietzsches (KGW). Vors. der Kommission für die Akademie-Ausgabe der Werke Kants (AA). Vors. der Wissenschaftlichen Kommission der Union der Akademien. Buchveröffentlichungen: Vernunft und Interesse (1976); Immanuel Kant (1979) (mit Friedrich Kaulbach); Pathos und Distanz (1989); Friedrich Nietzsche (1992); Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden" (1995); Vom Willen zur Macht (1996); Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität (1999); „Berliner Geist". Zur philosophischen Tradition der Berliner Universität (1999) (mit Reinhard Mehring und Jana Rindert); Individualität. Das Element der Welt (2000); Der Mensch wird geboren. Kleine Apologie der Humanität (2001); Immanuel Kant. Vernunft und Leben (2002); Die angeborene Würde des

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Autorenverzeichnis

Menschen (2004); Partizipation. Das Prinzip der Politik (2006). Zahlreiche Aufsätze zur Ethik, Politik und Ästhetik, zur Philosophie Nietzsches, Kants und Piatons. Christoph Glimpel, geb. 1971 in Köln, ist als Lehrvikar der Badischen Landeskirche bei der Stadtkirchengemeinde Offenburg tätig. Studium der evangelischen Theologie und Philosophie in Bethel, München, Gettysburg (USA) und Berlin. 2002-2005 war er Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Friedrich Hausen, geb. 1975, studierte Philosophie in Dresden und arbeitet dort an seiner Dissertation. Reinhard Hiltscher, geb. 1959, lehrt als Privatdozent am Institut für Philosophie der TU Dresden. Promotion 1986 in Würzburg, Habilitation 1997 in Dresden. Veröffentlichungen: Kant und das Problem der Einheit der endlichen Vernunft (1987); Wahrheit und Geltung (1996) (Hrsg. mit Alexander Riebel); Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel (1998); Perspektiven der Transzendentalphilosophie: im Anschluß an die Philosophie Kants (2002) (Hrsg. mit André Georgi); Der ontologische Gottesbeweis als kryptognoseologischer Traktat. Acht Vorlesungen mit Anhang zu einem systematischen Problem der Philosophie (2006); zahlreiche Aufsätze zu Kant, dem deutschen Idealismus und Neukantianismus. Christian Iber, geb. 1957, lehrt als Privatdozent am Institut für Philosophie der FU Berlin. Gastprofessuren in Prag, Jena und Berlin, Vertretung in Magdeburg. Wichtigste Veröffentlichungen: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik (1990); Dialektischer Negativismus (1992) (Hrsg. mit Emil Angehrn, Hinrich Fink-Eitel und Georg Lohmann); Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos (1994); Selbstbesinnung der philosophischen Moderne. Beiträge zur kritischen Hermeneutik ihrer Grundbegriffe (1998) (Hrsg. mit Romano Pocai); Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus (1999); Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven (2000) (Hrsg. mit Andreas Arndt); Der Sinn der Zeit (2002) (Hrsg. mit Emil Angehrn und Georg Lohmann); Aufsätze zu Kant: Inwiefern ist Kant in seiner Ästhetik sein eigener Häretiker? (in: Dialektik - Zeitschrift für Kulturphilosophie 2001), Religion als Ideal einer wirkmächtigen Moral bei Kant (in: Kants „Ethisches Gemeinwesen", hrsg. von Michael Städtler 2005). Stefan Klingner, geb. 1980, ist z. Zt. DFG-Stipendiat am Graduiertenkolleg „Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam" der OttoFriedrich-Universität Bamberg und promoviert dort über Kants „Kritik der Urteilskraft". Wilhelm Lütterfelds ist Professor für Philosophie an der Universität Passau und Präsident der Deutschen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft (DLWG). Veröffentlichungen u. a.: Kants Dialektik der Erfahrung (1977); Bin ich nur eine öffentliche Person? (1982); Transzendentale oder evolutionäre Erkenntnistheorie? (1987) (Hrsg.); Fichte

Autorenverzeichnis und Wittgenstein (1989); Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus (1993) (Hrsg.); Eine Welt - Eine Moral? (1997) (Hrsg. mit Thomas Möhrs); Der Konflikt der Lebensformen in Wittgensteins Philosophie der Sprache (1999) (Hrsg. mit Andreas Roser); Globales

Ethos - Wittgensteins Sprachspiele interkultureller Moral

und Religion (2000) (Hrsg. mit Thomas Möhrs); „Wir können uns nicht in sie finden": Probleme interkultureller Verständigung und Kooperation (2001) (Hrsg. mit Djavid Salehi); Erinnerung an Wittgenstein: „kein Sehen in die Vergangenheit"? (2004) (Hrsg.); Die Welt ist meine Welt: Globalisierung als Bedrohung und Bewahrung kultureller Identität? (2004) (Hrsg. mit Thomas Möhrs und Djavid Salehi); Wahr oder tolerant? Religiöse Sprachspiele und die Problematik ihrer globalen Koexistenz (2005) (Hrsg. mit Thomas Möhrs). Sibille Mischer, geb. 1963, war bis 2004 wissenschaftliche Assistentin am Philosophischen Seminar der Universität Münster und ist z. Zt. Lehrbeauftragte für Philosophie an der Kunstakademie Münster und der Fachhochschule für Design Münster und freie Autorin. Promotion 1994. Veröffentlichungen: „Der verschlungene Zug der Seele". Natur, Organismus und Entwicklung bei Schelling, Steffens und Oken (1997); Philosophie: Studium, Text und Argument (1997 u. ö.) (Hrsg. mit Norbert Herold); Auf Freigang: metaphysische und ethische Annäherungen an die menschliche Freiheit (2003) (Hrsg. mit Michael Quante und Christian Suhm); verschiedene Aufsätze zu Themen der Ethik, Naturphilosophie, Hermeneutik, Ästhetik. Übersetzung: Bryan Magee. Geschichte der Philosophie (2000) (mit Birger Brinkmeier). Konstantin Pollok, geb. 1969, ist seit 2001 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Philipps-Universität Marburg. Internationaler Kant-Förderpreis 2004 der ZEIT-Stiftung. Veröffentlichungen: Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft". Ein Kritischer Kommentar, Hamburg (2001); verschiedene Editionen, Buchartikel und Aufsätze. Peter Rohs, geb. 1936, ist seit 2001 im Ruhestand. Habilitation 1975 in Frankfurt, seit 1986 Professor in Münster. Arbeitsschwerpunkt: Ausarbeitung eines restringierten transzendentalen Idealismus, in dem nur die modalen Zeitbestimmungen als Anschauungsform vestanden werden. Veröffentlichungen u. a.: Feld - Zeit - Ich (1996); zahlreiche Aufsätze. David Süß, geb. 1978 in Bautzen, ist Student der Philosophie und katholischen Theologie an der Technischen Universität Dresden. Christian Helmut Wenzel ist seit 2001 Professor an der National Chi Nan University, Taiwan, und seit 2002 lehrbeauftragter Professor an der Ludwig MaximilianUniversität München. Promotion 1990 (Mathematik) in Illinois und 1999 (Philosophie) in Wuppertal. Veröffentlichungen: Das Problem der Subjektiven Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bei Kant (2000); An Introduction to Kant's Aesthctics: Core Concepts and Problems (2005); verschiedene Aufsätze zur Ästhetik Kants, Philosophie des Geistes und zur chinesischen Philosophie.

416

Autorenverzeichnis

Kurt Walter Zeidler, geb. 1953 in Gmunden, ist seit 2000 apl. Professor am Philosophischen Institut der Universität Wien. Promotion 1979, Habilitation 1987 an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Transzendentalphilosophie, Kant, Neukantianismus, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Einzelpublikationen: Grundriß der transzendentalen Logik (1992, 19972); Kritische Dialektik und Transzendentalontologie. Der Ausgang des Neukantianismus und die post-neukantianische Systematik (1995); Prolegomena zur Wissenschaftstheorie (2000). Günter Zöller ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gastprofessor u. a. an der Princeton University (1993). Wichtigste Buchveröffentlichungen: Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant (1984); Fichte's Transcendental Philosophy (1998, paperback 2003), Immanuel Kant, Prolegomena to Any Future Metaphysics (2004); Arthur Schopenhauer, Prize Essay On the Freedom of the Will (1999).