Die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen [1 ed.] 9783428587261, 9783428187263

Die Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) unterliegen zahlreichen Verlustverrechnungsbeschränkungen. Das Thema hat z

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Die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen [1 ed.]
 9783428587261, 9783428187263

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Schriften zum Steuerrecht Band 179

Die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen

Von

Konstantin Lainer

Duncker & Humblot · Berlin

KONSTANTIN LAINER

Die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 179

Die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen

Von

Konstantin Lainer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Sommersemester 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-18726-3 (Print) ISBN 978-3-428-58726-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern und meinem Großvater

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht von Herrn Professor Dr. Rainer Wernsmann. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rainer Wernsmann. Ihm verdanke ich durch interessante und spannende Einblicke in die Welt des Steuerrechts meine Begeisterung für das Gebiet. Er hat mich zu dieser Arbeit ermuntert und während der Entstehung stets unterstützt. Herrn Professor Dr. Joachim Schmitt danke ich herzlich für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ich möchte auch meinen Freunden Dominik Hübsch, Christoph Horstmann und Tim Steppan für die hilfreichen Anmerkungen bei der Durchsicht des Manuskripts und die wertvolle Diskussion danken. Mein größter Dank gebührt meinen Eltern und meiner Partnerin, Alina. Ich danke Euch von ganzem Herzen für Eure bedingungslose Unterstützung. Meine Eltern standen mir auf meinem Lebensweg in jeder Lage mit Rat und Tat beiseite und förderten mich immer sehr großzügig. Mit großer Freude widme ich deshalb ihnen und meinem Großvater, der mein Interesse für die Rechtswissenschaft geweckt hat, diese Arbeit. Passau, im September 2022

Konstantin Lainer

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 1 Ziel und Rechtfertigung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 2 Begrenzung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 3 Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1. Teil

Grundlagen der rechtlichen Beurteilung 19

1. Kapitel Verlustverrechnung 19 § 4 Der Verlustbegriff im Einkommensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 5 Ausgestaltung der Verlustverrechnung im Einkommensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 20 § 6

Verlustverrechnungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2. Kapitel § 7

Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer

23

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 A. Abgeltungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen . . . 25

§ 8 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Abgeltungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen . . . 28

10

Inhaltsverzeichnis 2. Teil



Verfassungsrechtliche Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 30

3. Kapitel

Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

31

§ 9 Gleichheitsrechtliche Prüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Die Offenheit des Gleichheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Der Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Geläufige Herleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Normatives und deskriptives Verständnis der Gleichheit . . . . . . . . . . . . 35 a) Wertungen im Einkommensteuerrecht: Das Leistungsfähigkeitsprinzip 35 b) Das normative Verständnis der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Das deskriptive Verständnis der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Vorzüge eines komplementären Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Steuerrechtliches Folgerichtigkeitsgebot als bereichsspezifische Aus­ prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Gleichheitsgrundrechtliche Fundierung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Anwendung auf den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Unterscheidung von Abweichung und bloßer Modifikation der Belastungsgrundentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4. Verhältnis zwischen deskriptiv-normativem Ansatz und Folgerichtigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen . . . . . . 52 1. Generelle Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . 53 2. Bereichsspezifische Konkretisierungen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . 54 a) Keine pauschale Verschärfung des Maßstabs im Steuerrecht . . . . . . 54 b) Ausbildung eines Prinzips gleichheitsgerechter Lastenausteilung: Willkürkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Abweichung vom Maßstab einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung: Gleitender Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 d) Objektive Abgrenzung der zwei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Rechtfertigungsmöglichkeiten bei Abweichungen vom Maßstab einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Fiskalzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Verstetigung der Staatseinnahmen als qualifizierter Fiskalzweck? . . 71 c) Förderungs- und Lenkungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Inhaltsverzeichnis

11

e) Verhinderung von Steuerumgehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 f) Kompensation und Saldierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 10 Freiheitsrechtliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 A. Die zwei verschiedenen Wirkungen der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 B. Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte durch Vermögensentzug . . . . . . . . . 88 I. Betroffenes Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 C. Mittelbare Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte durch Gestaltungswirkung 90 I. Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des faktischen Eingriffs . . . . . . . . . 91 § 11 Finanzverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

4. Kapitel

Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG

93

§ 12 Verrechnung negativer Einkünfte (§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 A. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Bestimmung der Belastungsgrundentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Ungleichbehandlung mit anderen Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . 100 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Strengere Bindung an den Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Kompensationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Rechtfertigung durch Verhinderung von Steuerarbitrage . . . . . . . . . . . . 105 3. Keine Rechtfertigung durch Ausweichverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 C. Finanzverfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 13 Begrenzung des interperiodischen Verlustabzugs (§ 20 Abs. 6 Satz 2 und 3 EStG) 113 A. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . 114 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Strengere Bindung an den Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Rechtfertigung durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung . . . . . . . . 120 B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

12

Inhaltsverzeichnis

§ 14 Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) 122 A. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Aktien und mit anderen proportional besteuerten Kapitalanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Ungleichbehandlung der Ertragsformen von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Ungleichbehandlung in Abhängigkeit von der Höhe der Beteiligung . . 127 4. Ungleichbehandlung von Aktien aus dem Privatvermögen und aus dem Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags . . . . . . . . 129 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen . . . . . . . 129 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Strenge Bindung wegen der Gefahr von Definitiveffekten . . . . . . . . 130 b) Keine Betroffenheit von Freiheitsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Sonstige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Keine Rechtfertigung durch qualifizierten Fiskalzweck . . . . . . . . . . . . 137 3. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung von Gestaltungsmöglichkeiten 140 4. Keine Rechtfertigung durch Förderungs- und Lenkungsziele . . . . . . . . 142 5. Keine Rechtfertigung durch besonderen proportionalen Einkommensteuersatz von 25 % . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6. Keine Rechtfertigung durch Ausweichverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 7. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe 144 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 C. Verletzung des finanzverfassungsrechtlichen „Abstandsgebots“ zur Kapital­ verkehrsteuer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 § 15 Verluste aus Termingeschäften (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 A. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Termingeschäften und mit anderen proportional besteuerten Kapitalanlagen . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Ungleichbehandlung von Termingeschäften im Privatvermögen und im Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags . . . . . . . . 150 4. Keine Ungleichbehandlung wegen fehlender Differenzierung zwischen einzel- und zusammenveranlagten Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen . . . . . . . 151 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Keine Rechtfertigung durch qualifizierten Fiskalzweck . . . . . . . . . . . . 152 3. Keine Rechtfertigung durch Förderungs- und Lenkungsziele . . . . . . . . 154

Inhaltsverzeichnis

13

4. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung von ­Gestaltungsmöglichkeiten 155 5. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe 155 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 B. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 C. Finanzverfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 § 16 Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern (§ 20 Abs. 6 Satz 6 EStG) . . . . . . 156 A. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Ungleichbehandlung von Kleinanlegern und Großanlegern . . . . . . . . . 157 2. Ungleichbehandlung von Kapitalforderungen nach wirtschaftlicher Werthaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags . . . . . . . . 159 4. Keine Ungleichbehandlung wegen fehlender Differenzierung zwischen einzel- und zusammenveranlagten Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen . . . . . . . 160 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Keine Rechtfertigung durch typisierende „Verschonung“ von Kleinanlegern und „Begünstigung“ von Großanlegern mit proportionalem Steuersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung oder Abschwächung der Effekte von Gestaltungmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe 165 B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Einführung § 1 Ziel und Rechtfertigung der Untersuchung Die Bundesrepublik Deutschland finanziert sich im Rahmen der Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft1 grundsätzlich durch den Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen, um ihre staatlichen Aufgaben erfüllen zu können.2 Sie ist ein Steuerstaat.3 Wenn der Steuerpflichtige erfolgreich privat wirtschaftet, trägt er durch die auf den Erfolg zu entrichtende Steuer zur Finanzierung des Staatshaushalts bei.4 Im Falle des erfolglosen Wirtschaftens kann er sich daran nicht beteiligen. Im Extremfall ergibt sich am Ende eines bestimmten Zeitraums ein steuerlicher Verlust, also eine negative Differenz aus Erträgen und Aufwendungen.5 Aus Sicht des Staats sind solche Verluste unerwünscht. Der Gesetzgeber schränkt unter anderem aus diesem Beweggrund die Berücksichtigung etwaiger Verluste ein oder verbietet diese ganz.6 Im Zusammenhang mit der Anerkennung von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ist eine hohe Aktivität des Normsetzers festzustellen. Im Zuge der Einführung der Abgeltungsteuer7 zum 1. 1. 2009 legte der Gesetzgeber Beschränkungen der Verlustberücksichtigung fest. Diesen Regelungskomplex ergänzte er Ende 20198 mit zusätzlichen, noch weitergehenden Beschränkungen. Kurz darauf änderte9 der Gesetzgeber die neu erlassenen Regelungen und hatte damit wohl eine Reduzierung der Eingriffsintensität im Blick. 1 Dazu ausführlich Zacher, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesarchiv, Geschichte der Sozialpolitik, S. 333 (459 ff.). Die herrschende Meinung geht von einer „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes aus, BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290 (336 f.); Papier, in: Nörr / Starbatty, 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft, S. 95 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 2 BVerfG v. 8. 6. 1988 – 2 BvL 9/85, BVerfGE 78, 249 (266 f.); Tipke, StRO I2, S. 230; Vogel, in: Isensee / K irchhof, HStR II3, § 30 Rn. 51 ff.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 478 f. 3 Zum Begriff des Steuerstaats Vogel, in: Isensee / K irchhof, HStR II3, § 30 Rn. 51 ff., 69 ff.; Tipke, StRO I2, S. 105 ff., 230; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuer­ system, S. 473 f. 4 Seewald, in: FS Spindler, S. 775. 5 Thiemann, Verluste, S. 1 f.; vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.60. 6 Vgl. etwa den Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/5491, 19 zur Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungen in § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Der Sinn und Zweck liege in der Verhinderung von „abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken“. 7 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14. 8. 2007, BGBl I 2007, 1912 = BStBl I 2007, 630. 8 Gesetz v. 21. 12. 2019, BGBl I 2019, 2875 = BStBl I 2020, 127. 9 Gesetz v. 21. 12. 2020, BGBl I 2020, 3096 = BStBl I 2021, 6.

16

Einführung

Zunächst könnte zwar fraglich sein, ob es überhaupt der Verlustverrechnungsbeschränkungen in Anbetracht des Abzugsverbots der tatsächlichen Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbs. 2 EStG bedarf. Denn die Pauschalierung des Werbungskostenabzugs auf 801 € verhindert im Ansatz bei einer Vielzahl von Fällen, dass überhaupt Verluste entstehen können.10 Allerdings erlangen die Verlustverrechnungsbeschränkungen insbesondere im Bereich der Veräußerungstatbestände des § 20 Abs. 2 EStG Bedeutung, weil gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der „Gewinn im Sinne des Absatzes  2“ als Saldo aus Veräußerungseinnahmen und Anschaffungskosten sowie Veräußerungsaufwendungen auch negativ sein kann.11 Die Berechnung dieses Saldos und die Verlustverrechnung sind vorrangig vor dem Abzug des Werbungskostenpauschbetrags vorzunehmen (vgl. § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG).12 Außerdem sind die Beschränkungen für Verluste aus Termingeschäften relevant, nachdem der BFH13 und mittlerweile auch die Finanzverwaltung14 anerkennen, dass der Ausfall von Optionen zu negativen Einkünften aus Kapitalvermögen führt.15 Der BFH entschied kürzlich über eine Verrechnungsbeschränkung, die Verluste aus Aktienveräußerungen betrifft und die nach Überzeugung des Senats gegen Verfassungsrecht verstößt.16 Er setzte deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Revisionsverfahren aus, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Dieser Vorlagebeschluss wirft grundlegende dogmatische Fragen zur verfassungsrechtlichen Prüfung auf, die es näher zu untersuchen gilt. Offene Fragen und Unklarheiten in Rechtsprechung und Literatur betreffen Gleichheits- und Freiheitsgrundrechte gleichermaßen. Beispielhaft seien hier die Geltung und Einordnung des Folgerichtigkeitsgebots oder die Tauglichkeit von Gründen, etwa des qualifizierten Fiskalzwecks, zur Rechtfertigung einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung genannt. Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit den Verfassungsmaßstäben und den daraus gezogenen Folgerungen für die konkrete verfassungsrechtliche Überprüfung der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen. Die Erkenntnisse zu den abstrakten Maßstäben sind auf das übrige ertragsteuerliche17 System der Verlustverrechnung übertragbar. 10

Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (20); Thiemann, Verluste, S. 298. Vgl. Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (20); Thiemann, Verluste, S. 298. 12 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 561; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. K 25. 13 BFH v. 12. 1. 2016 – IX R 48/14, BStBl II 2016, 456; v. 12. 1. 2016 – IX R 49/14, BStBl II 2016, 459; v. 12. 1. 2016 – IX R 50/14, BStBl II 2016, 462. 14 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 27, 32. 15 Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (20). 16 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562; Az. des BVerfG: 2 BvL 3/21. Die Vorinstanz war nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt, FG  Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 31 ff.). 17 Zur Gruppe der Ertragsteuern gehören die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer sowie die Gewerbe(ertrag)steuer, vgl. Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht24, Rn. 588. In der Arbeit sind bei der Verwendung dieses Begriffs nur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer gemeint. 11

Einführung

17

Ausgehend von den grundsätzlichen Überlegungen beurteilt die Arbeit die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 EStG anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes, der Freiheitsgrundrechte und der finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Erkenntnisse könnten vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Reform der Immobilienbesteuerung in Deutschland relevant werden. Ausgehend von der Feststellung, dass erhebliche Lücken bei der Besteuerung von Immobilienvermögen vorhanden sind, werden verschiedene Vorschläge zur Korrektur diskutiert.18 Es wird unter anderem in Parallele zur Veräußerung von Kapitalanlagen gemäß § 20 Abs. 2 EStG die fristunabhängige Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien, die im Privatvermögen gehalten werden, vorgeschlagen.19 Dies würde von der derzeit geltenden fristgebundenen Regelung in § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG abweichen. Als Alternative wird eine Ausdehnung der Immobilienbesteuerung nach dem Vorbild Österreichs diskutiert20, das diese Einkünfte einer Abgeltungsteuer unterworfen und damit eine weitere Schedule gebildet hat.21 Dieses Modell könnte wiederum eine Einschränkung der Verlustverrechnung zur Folge haben.22

§ 2 Begrenzung der Fragestellung Das Thema der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen wird im Folgenden nur mit Blick auf § 20 Abs. 6 EStG untersucht. § 20 Abs. 7 EStG, der eine Rechtsgrundverweisung23 auf § 15b EStG enthält, wird nicht in die Betrachtung einbezogen. Dieser regelt zwar eine Verrechnungsbeschränkung für Verluste aus Steuerstundungsmodellen. Nach einhelliger Auffassung hat die Regelung jedoch seit Einführung der Abgeltungsteuer, insbesondere wegen der Beschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG und des Werbungskostenpauschbetrags gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbs. 1 EStG, nur noch eine geringe praktische Bedeutung.24 18

Fuest / Hey / Spengel, ifo Schnelldienst 12/2021, 31. Fuest / Hey / Spengel, ifo Schnelldienst 12/2021, 31 (36); Hey, StuW 2022, 11 (11 ff.); kritisch Voigtländer, StuW 2022, 10 (10 f.) mit Argumenten für eine Beibehaltung der Fristenregelung, die die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne nach zehn Jahren regelt. 20 Kritisch Hey, StuW 2022, 11 (12 f.). Instruktiv zur Lage in Österreich Staringer, DStJG 2014, S. 137 (148 ff.). 21 1. Stabilitätsgesetz 2012, Österr. BGBl I Nr. 22/2012. Veräußerungen von Immobilien unterliegen der „Immobilienertragsteuer“ und werden mit einem proportionalen Steuersatz von zunächst 25 %, seit dem Jahr 2016 von 30 % belastet. Näher hierzu Österr. BMF, Immobilien und Steuern, S. 70 ff. 22 Zur Rechtslage in Österreich Staringer, DStJG 2014, S. 137 (153 ff.). 23 Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 250. 24 Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 179; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 635, 645; Jachmann-Michel, in: Lademann, EStG, § 20 Rn. 1664; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  I 7; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 250 f. geht bei Satz 2 sogar davon aus, dass dieser kaum noch einen Anwendungsbereich hat; Möllenbeck, in: Littmann / Bitz / P ust, EStG, § 20 Rn. 1553 f. 19

18

Einführung

§ 3 Gang der Darstellung Damit die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen beantwortet werden kann, gilt es im folgenden ersten Teil zunächst, die Grundlagen der Verlustverrechnung und der Abgeltungsteuer vorzustellen. Zu Beginn steht eine Erörterung des einkommensteuerrechtlichen Verlustbegriffs. Nachfolgend wird die konkrete Ausgestaltung der Verlustverrechnung im Einkommensteuerrecht erläutert. Schließlich werden die Regelungsgehalte und die historische Entwicklung von Abgeltungsteuer und Verlustverrechnungsbeschränkungen für Einkünfte aus Kapitalvermögen erörtert. Der zweite Teil widmet sich der verfassungsrechtlichen Kritik des § 20 Abs. 6 EStG. Zuerst werden die fundamentalen grundrechtlichen Prämissen der Untersuchung offengelegt. Der Bedeutung im Steuerrecht entsprechend wird in § 9 zuerst der allgemeine Gleichheitssatz behandelt. Dies erfolgt immer mit Blick auf diejenigen Fragen, die sich speziell im Zusammenhang mit den Verlustverrechnungsbeschränkungen stellen. Dieser Abschnitt nimmt das Leistungsfähigkeitsprinzip, das objektive Nettoprinzip, das subjektive Nettoprinzip und das Folgerichtigkeitsgebot näher in den Blick und ordnet sie ein. Im Rahmen der Einkommensteuer ist bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung folgende Differenzierung zentral für die Strenge des Prüfungsmaßstabs: Es muss zwischen der Ausbildung eines Prinzips gleichheitsgerechter Lastenausteilung (sogenannte Belastungsgrundentscheidung) und der Durchbrechung des vorher gebildeten Maßstabs einer Lastenausteilung unterschieden werden. Im Anschluss daran sind die Rechtfertigungsmöglichkeiten bei der Abweichung von einem gleichheitsgerechten Maßstab zu untersuchen. Sodann werden in § 10 die freiheitsgrundrechtlichen Maßstäbe als weitere Grenze für die Besteuerung erörtert. Hierfür sind insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und die Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 GG von Bedeutung. § 11 befasst sich mit dem Finanzverfassungsrecht. Auf dieser Grundlage erfolgt die konkrete Prüfung des § 20 Abs. 6 EStG hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit, die den Schwerpunkt der Untersuchung bildet. Bei der Frage, ob die Regelungen in Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz stehen, ist zu Beginn die zentrale Frage nach der Belastungsgrundentscheidung zu klären. Denn davon hängt das Strengemaß der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für jede Verlustverrechnungsbeschränkung ab. Daneben werden die Normen auf einen Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte überprüft. Schließlich ist die finanzverfassungsrechtliche Kritik, die sich auf den Typusbegriff der Einkommensteuer (Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 GG) stützt, zu beurteilen. Am Ende der Arbeit findet sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

1. Teil

Grundlagen der rechtlichen Beurteilung 1. Kapitel

Verlustverrechnung Das Einkommensteuergesetz spricht an zahlreichen Stellen vom „Verlust“ (zum Beispiel in § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG, § 15 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG oder § 20 Abs. 6 EStG), ohne allerdings diesen Begriff im Sinne einer Legaldefinition zu bestimmen. Als Grundlage der weiteren Überlegungen werden zunächst die Begrifflichkeiten des Verlusts und der Verlustverrechnung erläutert. In diesem Zusammenhang wird der Mechanismus der Verlustverrechnung im Einkommensteuergesetz dargestellt.

§ 4 Der Verlustbegriff im Einkommensteuerrecht Der einkommensteuerrechtliche Verlustbegriff lässt sich definieren als Überschuss der Erwerbsaufwendungen über die Erwerbsbezüge.1 Dabei sind Erwerbs­ bezüge und Erwerbsaufwendungen Bestandteile einkommensteuerbarer Einkünfte.2 Der Steuerpflichtige erwirtschaftet steuerbare Einkünfte, wenn er den Tatbestand einer Einkunftsart im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–7 EStG verwirklicht, indem er mit Einkünfteerzielungsabsicht erwerbswirtschaftlich tätig wird.3 Den Ausgangspunkt bildet das Verständnis von der Einkommensteuer als Nettosteuer.4 Gemäß § 2 Abs. 2 EStG sind Einkünfte nur Reineinkünfte5, also je nach Einkunftsart entweder der Gewinn (§§ 4 ff. EStG) oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 ff. EStG). Der Verlust hat im Einkommen 1

Bender, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 8; Braunagel, in: Lüdicke / Kempf / Brink, Verluste, S. 27; Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 20; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.60; Röder, Verlustverrechnung, S. 5. Thiemann, Verluste, S. 20, 33 definiert den steuerrechtlichen Verlust als auf eine konkrete Einkunftsquelle bezogene Erwerbsaufwendung, die aber nicht durch Erwerbsbezüge kompensiert wird, die dieser Einkunftsquelle zugeordnet werden können. 2 Für die Verwendung der Termini „Erwerbsaufwendungen“ und „Erwerbsbezüge“ als gemeinsame Oberbegriffe für alle Formen der Einkünfteermittlung Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.205. 3 Ausführlich Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.120 ff. 4 Dazu Tipke, StRO I2, S. 503 f. 5 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 501.

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1. Teil: Grundlagen der rechtlichen Beurteilung

steuerrecht abhängig von der Einkünfteermittlungsart verschiedene Erscheinungsformen. Er kann in Form von Verlusten nach Betriebsvermögensvergleich (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG), Überschüssen der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG) und Überschüssen der Werbungskosten über die Einnahmen (vgl. §§ 8, 9 EStG) auftreten. Der Gesetzgeber verwendet im Wortlaut des Einkommensteuergesetzes den Begriff des Verlusts einkunftsartübergreifend (vgl. nur § 15a Abs. 1 Satz 1, § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2, § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG). Unabhängig von der jeweiligen Ermittlungsmethode der objektiven Leistungsfähigkeit hat sich der Gesetzgeber, jedenfalls einfachrechtlich, für das objektive Nettoprinzip entschieden.6 Wenn die Erwerbsaufwendungen die Erwerbsbezüge übersteigen, fällt dieser ermittelte Saldo negativ aus und es liegt ein steuerlicher Verlust vor.7 Dies setzt der Grundtatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG stillschweigend voraus.8 „Einkünfte“ im Sinne dieser Norm können auch „negative Einkünfte“ sein.9 Der Normsetzer verfolgt keine strikte Terminologie und verwendet stattdessen im Einkommensteuergesetz die Begrifflichkeiten negative Einkünfte und Verluste synonym.10

§ 5 Ausgestaltung der Verlustverrechnung im Einkommensteuerrecht Bei dem oben genannten Verständnis des Verlusts bedeutet die Verlustverrechnung der Transfer eines negativen Saldos einer kleineren Saldeneinheit in eine größere Saldeneinheit.11 Im Folgenden sind die Grundzüge der Verlustverrechnung im Einkommensteuergesetz zu erläutern, da dies die Grundlage für die Untersuchung des § 20 Abs. 6 EStG bildet. Bei der Verlustverrechnung innerhalb der Steuerperiode spricht das Gesetz von Verlustausgleich (zum Beispiel in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG: „ausgeglichen“). Im Rahmen des Verlustausgleichs kann ein Verlust mit positiven Einkünften des Kalenderjahrs saldiert werden („Summe der Einkünfte“, § 2 Abs. 1 bis 3 EStG). 6

BVerfG v. 9. 12. 2008  – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (233 f.); v. 6. 7. 2010  – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.54; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 3 Rn. 500 ff. Ausführlich zum objektiven Nettoprinzip siehe unten 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. a). 7 Mönikes, Verlustverrechnung, S. 5; Röder, Verlustverrechnung, S. 5; Thiemann, Verluste, S. 18. 8 Vgl. Mönikes, Verlustverrechnung, S. 5; Seer, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 2 Rn. 6; Thiemann, Verluste, S. 19. 9 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.60; Röder, Verlustverrechnung, S. 5 f.; Thiemann, Verluste, S. 19 f. 10 Vgl. Thiemann, Verluste, S. 20. Teilweise spricht das Gesetz nur von negativen Einkünften wie in § 2a EStG, teilweise divergiert die Verwendung der Termini sogar innerhalb einer Vorschrift (z. B. § 10d EStG). 11 Kröner, Verluste im Ertragsteuerrecht, S. 153.

1. Kap.: Verlustverrechnung

21

Dabei sind der interne und der externe Verlustausgleich zu unterscheiden.12 Der interne Verlustausgleich führt zur Verrechnung von positiven und negativen Ergebnissen verschiedener Einkunftsquellen innerhalb derselben Einkunftsart.13 Die Einkunftsquelle ist die kleinste Einheit im Ertragsteuerrecht, innerhalb derer ein steuerrechtlicher Verlust entstehen kann, und zugleich als das Fundament des Ertragsteuerrechts zu begreifen.14 § 2 Abs. 1 EStG bestimmt implizit zunächst den Ausgleich von Einkunftsquellen einer Einkunftsart. Im Zuge des externen Verlustausgleichs ist gemäß § 2 Abs. 3 EStG das möglicherweise negative Ergebnis einer Einkunftsart mit den Ergebnissen anderer Einkunftsarten zu verrechnen, um die „Summe der Einkünfte“ zu bilden.15 Die Summe im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG kann auch negative Summanden beinhalten und ihrerseits insgesamt negativ werden, was das Gesetz in § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. b EStG verdeutlicht.16 Der Begriff des „Ausgleich[s] von Verlusten“ war in § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG 1974 noch direkt enthalten.17 Diese Formulierung wurde allerdings als entbehrlich erachtet und gestrichen, weil der später neu eingeführte Begriff der „Summe der Einkünfte“ in § 2 Abs. 2 EStG 1975 sprachlich den Verlustausgleich innerhalb einer Einkunftsart und auch zwischen verschiedenen Einkunftsarten umfassen sollte.18 Außerhalb der Periode kommt es zur Verlustberücksichtigung, die der Gesetzgeber in der amtlichen Überschrift zu § 10d EStG als „Verlustabzug“ bezeichnet. Damit wird die Verlustverrechnung überperiodisch fortgeführt, wobei das Gesetz zwischen Verlustrücktrag19 (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG: zeitlich und betragsmäßig beschränkt) und Verlustvortrag20 (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG: nur betragsmäßig beschränkt) differenziert. Zunächst ermöglicht der Verlustrücktrag den Abzug negativer Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden konnten, in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum. Der Höchstbetrag besteht in Höhe von 1 000 000 € (2 000 000 € bei zu 12 Birk / Kulosa, FR 1999, 433 (438); Birk, in: Lehner, Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht, S. 131 (135); v. Groll, DStJG 2005, S. 323 (330). Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61 gebraucht als Synonyme „horizontal“ und „vertikal“; ebenso BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 13 f.). 13 BFH v. 3. 6. 1975 – VIII R 209/72, BStBl II 1975, 698 (juris Rn. 12); Kempermann, DStJG 2005, S. 99 (109); Lüdemann, Verluste, S. 61; Röder, Verlustverrechnung, S. 19. 14 Bender, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 27; Kempermann, DStJG 2005, S. 99 (105, 107); Röder, Verlustverrechnung, S. 14; Thiemann, Verluste, S. 10; a. A. Bühr, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 8. Zum Begriff der Einkunftsquelle Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 446 ff.; Thiemann, Verluste, S. 16 ff. 15 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61; Kempermann, DStJG 2005, S. 99 (109); Kröner, Verluste im Ertragsteuerrecht, S. 114; Lüdemann, Verluste, S. 61. 16 Kempermann, DStJG 2005, S. 99 (109). 17 Einkommensteuergesetz 1974 v. 15. 8. 1974, BGBl I 1974, 1993 = BStBl I 1974, 578. 18 BT-Drucks. 7/1470, 238. 19 Thiemann, Verluste, S. 315 ff. hält diesen nicht für verfassungsrechtlich geboten; ebenso Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 70 ff.; a. A. Hey, in: Tipke / ​ Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.62. 20 Zur gleichheitsgrundrechtlichen Gebotenheit Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 188 ff.; Thiemann, Verluste, S. 318 ff.; Tipke, StRO II2, S. 759 ff.

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1. Teil: Grundlagen der rechtlichen Beurteilung

sammen veranlagten Ehegatten und Lebenspartnern).21 Negative Einkünfte sind durch den Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG zeitlich unbeschränkt in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, soweit sie nicht durch Verlustausgleich oder Verlustrücktrag ausgeglichen wurden. Der Verlustvortrag kann bis 1 000 000 € (2 000 000 € bei zusammen veranlagten Ehegatten und Lebenspartnern, § 10d Abs. 2 Satz 2 EStG) unbeschränkt erfolgen. Vom Gesamtbetrag der Einkünfte, der diesen sogenannten Sockelbetrag überschreitet, dürfen darüber hinaus nur 60 % mit vorgetragenen Verlusten verrechnet werden. Folglich unterliegen mindestens 40 % der eine Million Euro übersteigenden Einkünfte der Besteuerung (Mindestbesteuerung22). Zum Verlustabzug ist nur derjenige Steuerpflichtige berechtigt, der den Verlust erlitten und ihn wirtschaftlich getragen hat.23 Dies folgt aus dem Grundsatz der Individualbesteuerung.24 Zunächst beziehen sich nach diesem Grundsatz die Bemessungsgrundlage sowie der Tarif der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer auf das Steuersubjekt, also die einzelne natürliche oder (über § 8 Abs. 1 KStG) juristische Person.25 Die individuelle Messung entspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip, welches grundsätzlich nur relativ zu einem bestimmten Subjekt für positive wie negative Salden gleichermaßen beschrieben werden kann.26 Der Verlustabzug ist daher rechtsgeschäftlich nicht disponibel oder übertragbar.27 Das Individualsteuerprinzip kann aber durchbrochen werden: Im Einkommensteuerrecht existiert mit § 26b EStG eine solche Ausnahme, durch die im Rahmen der Ehegattenbesteuerung eine Zusammenfassung der individuellen Ergebnisse und somit auch der Verlusttransfer zwischen den Ehegatten zugelassen wird.28 21

Dieser wurde temporär von 1 000 000 € auf 10 000 000 € für die VZ 2020 und 2021 angehoben, § 52 Abs. 18b Satz 1 EStG (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz v. 10. 3. 2021, BGBl I 2021, 330). Das vom Bundestag am 19. 5. 2022 verabschiedete Vierte Corona-Steuerhilfegesetz sieht in § 10d Abs. 1 EStG die erweiterte Verlustverrechnung mit den erhöhten Beträgen auch für die VZ 2022 und 2023 vor, BT-Drucks. 20/1906, 11 f. Zudem soll der Verlustrücktrag ab 2022 dauerhaft auf zwei Jahre ausgeweitet werden. 22 Zur allgemein üblichen Verwendung dieses Begriffs etwa BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 14); dazu auch Dorenkamp, IFSt Nr. 461, S. 28 ff.; Herzig / Briesemeister, DStR  1999, 1377; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.67; Lang / Englisch, StuW 2005, 5; Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und US-amerikanischen Einkommensteuerrecht, S. 27 ff. 23 RFH v. 12. 5. 1936 – I A 84/36, RStBl 1936, 789; Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 112, A 180; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.63. 24 Dazu ausführlich Becker, Grundsatz der Individualbesteuerung, S. 4 ff.; Ratschow, DStJG 2011, S. 35 ff. 25 Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 180; Vogel, in: Brandis  / ​ Heuermann, EStG, § 10d Rn. 63. 26 Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 180. 27 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.63; Vogel, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 10d Rn. 63. Zum Untergang von Verlusten im Fall des Todes einer natürlichen Person BFH v. 17. 12. 2007 – GrS 2/04, BStBl II 2008, 608. 28 Vgl. BVerfG v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (77), das bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten von der „Durchbrechung“ des einkommensteuerlichen „Grundsatzes der Individualbesteuerung“ spricht. Zum Ganzen auch Thiemann, Verluste, S. 348 ff.

2. Kap.: Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer 

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§ 6  Verlustverrechnungsbeschränkungen Eine Verlustverrechnungsbeschränkung versagt den uneingeschränkten Transfer eines negativen Saldos einer Saldenstufe auf eine höhere Saldenstufe.29 Es kann ein dem Grunde nach steuerlich anzuerkennender Verlust nur bedingt oder gar nicht gemäß der allgemeinen Verrechnungssystematik berücksichtigt werden.30 Die Beschränkung greift unabhängig davon ein, ob sich aus dem erlittenen Verlust ein realer wirtschaftlicher Nachteil für den Steuerpflichtigen ergibt und die Versagung der uneingeschränkten Berücksichtigung damit zu einer gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit31 übermäßigen Besteuerung führt.32 2. Kapitel

Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist in § 20 EStG geregelt. Seit dem 1. 1. 2009 unterscheidet sich die Behandlung dieser Einkünfte grundlegend von der Besteuerung anderer Einkünfte durch ihre Ausgestaltung als Abgeltungsteuer.33 Kern der Reform ist der spezielle Steuertarif nach § 32d EStG, der im Zusammenspiel mit der Pauschalierung des Werbungskostenabzugs in § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG grundsätzlich in Form eines Quellensteuerabzugs mit abgeltender Wirkung gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG zur Geltung gebracht wird (sogenannte Kapitalertragsteuer, §§ 43 ff. EStG). Das Hauptziel der Unternehmensteuerreform war die Erhöhung der Standortattraktivität Deutschlands sowie die Sicherung des deutschen „Steuersubstrats“.34 Der Gesetzgeber strebte darüber hinaus mit der Einführung der Abgeltungsteuer eine Vereinfachung35 und Vereinheitlichung36 der Besteuerung sämtlicher privater Kapitalanlagen an. Außerdem sollte die Anonymität der Kapitalanleger verbessert werden, sofern die Besteuerung durch den Kapitalertragsteuerabzug abschließend erfolgt.37

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Bender, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 27 f.; Kröner, Verluste im Ertragsteuerrecht, S. 153; Mönikes, Verlustverrechnung, S. 9; Prechtl, Verlustausgleichsbeschränkungen, S. 33 f.; Röder, Verlustverrechnung, S. 15. 30 Bender, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 27 f.; Mönikes, Verlustverrechnung, S. 9; Prechtl, Verlustausgleichsbeschränkungen, S. 33. 31 Hierzu ausführlicher siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. a). 32 Prechtl, Verlustausgleichsbeschränkungen, S. 33. 33 Eingeführt durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14. 8. 2007, BGBl I 2007, 1912 = BStBl I 2007, 630. 34 BR-Drucks. 220/07, 1 ff., 49 ff. 35 BR-Drucks. 220/07, 61; BT-Drucks. 16/11108, 14, 19. 36 BR-Drucks. 220/07, 57, 87, 89; BT-Drucks. 16/11108, 14. 37 BR-Drucks. 220/07, 57.

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1. Teil: Grundlagen der rechtlichen Beurteilung

Die Abgeltungsteuer ist politisch38 und verfassungsrechtlich umstritten. Der BFH zweifelt nicht an der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit.39 Die Mehrheit im Schrifttum hält sie ebenfalls für verfassungsgemäß.40

§ 7  Regelungsgehalt A. Abgeltungsteuer Die Einkünfte aus Kapitalvermögen bilden eine eigene Schedule41. Der Begriff Schedule stammt vom lateinischen Wort „schedula“, das mit Zettel übersetzt wird.42 Die unterschiedlichen Einkünfte werden im übertragenen Sinne jeweils auf einen Zettel geschrieben, um sie mit verschiedenen Steuersätzen zu belasten.43 Die Schedulenbesteuerung galt als „veraltet“ und „rückständig“.44 Tipke meinte dazu: „Während überall in der Welt die Überwindung der Schedulensteuer für einen Fortschritt gehalten wird, fällt das deutsche Steuerrecht ins Schedulenhafte zurück […].“45 In der jüngeren Vergangenheit bewirkt der Wettbewerb der Steuer­systeme46

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Zur geplanten aber nicht durchgesetzten Abschaffung der Abgeltungsteuer für Zinsen: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12. 3. 2018, S. 69, Zeile 3106 f. Die FDP stellte am 15. 12. 2020 den Antrag „Abgeltungsteuer erhalten“ (BT-Drucks. 19/25247), der jedoch von den übrigen Fraktionen abgelehnt wurde (Plenarprotokoll v. 16. 12. 2020 19/201, 25272). 39 BFH v. 28. 1. 2015 – VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393 (juris Rn. 14 ff.); v. 29. 4. 2014 – VIII R 23/13, BStBl II 2014, 884 (juris Rn. 10 ff.); v. 14. 5. 2014 – VIII R 31/11, BStBl II 2014, 995 (juris Rn. 9); v. 28. 1. 2015 – VIII R 8/14, BStBl II 2015, 397 (juris Rn. 14 ff.). Siehe jedoch für die Verfassungswidrigkeit von § 32d Abs. 1 EStG i. V. m. § 43 Abs. 5 EStG jüngst den Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen v. 18. 3. 2022 – 7 K 120/21, BB 2022, 1043; Az. des BVerfG: 2 BvL 6/22. 40 Z. B. Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Eckhoff, FR 2007, 989; Hey, JZ 2006, 851 (858); Jachmann-Michel, in: Reformfragen des deutschen Steuerrechts, S. 31 (33 ff.); Weber-Grellet, NJW 2008, 545; Wernsmann, DStR Beih. 2008, 37 (38 f.); Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (102 f.). Für die Verfassungswidrigkeit etwa: Englisch, StuW 2007, 221 (223 ff.); Englisch, Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge, S. 7 ff.; Klotz, Abgeltungsteuer, S. 79 ff. 41 Bezeichnung für eine analytische Einkommensteuer, die die Einkünfte nach Art ihrer Einkunftsquellen besonders besteuert, Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 126; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.1. 42 Übersetzung von https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/schedula. 43 Vgl. G. Kirchhof, DStR 2009, 135 (140). 44 Mennel, StuW 1973, 1 (5) meint, dass diese Besteuerung damals nur noch in nicht industrialisierten Staaten existierte und die „Klassensteuern“ aus den sozialistischen Staaten hier einzuordnen wären; im Anschluss an diese Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 218 f.; Ruppe, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Einf. ESt Rn. 1 (Februar 1990) spricht vom „älteren Typus“ und in Gegensatz dazu setzt er die synthetische Steuer als „jüngeren Typus“. A. A. Kanzler, FR 1999, 363 (365 f.), der von einer „Verunglimpfung“ des Schedulensystems spricht. 45 Tipke, Steuerrecht7 (1979), S. 149. 46 Ausführlich Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 7.71 ff.

2. Kap.: Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer 

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international eine Abkehr vom System der synthetischen Besteuerung von Einkommen, das grundsätzlich die gleichwertige47 Behandlung der verschiedenen Einkunftsarten vor Augen hat, hin zu schedulenhaften Systemen.48 Die konkreten Regelungen finden sich auf das Einkommensteuergesetz verteilt. Es erfolgt gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ein pauschaler Steuerabzug an der Quelle mit Abgeltungswirkung. § 2 Abs. 5b EStG separiert die Kapitaleinkünfte von der restlichen einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage. Stattdessen unterliegen sie gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG einem besonderen proportionalen Steuertarif49 von 25 % nebst Solidaritätszuschlag sowie eventuell Kirchensteuer. Diese Besteuerung stellt einen Bruch mit dem Ideal der synthetischen Einkommensteuer (Einheitssteuer) dar.50 Im Grundsatz aber hält der Gesetzgeber weiter an diesem Prinzip fest und bildet lediglich für die Einkünfte aus Kapitalvermögen eine besondere Schedule.51 B. Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG bestimmt, dass kein externer Verlustausgleich und -abzug mit positiven Einkünften anderer Einkunftsarten möglich ist. Aus § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG ergibt sich, dass nicht ausgeglichene Verluste aus Kapitalvermögen zeitlich unbegrenzt die Einkünfte mindern, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. Nach Satz 3 ist ein verbleibender Verlust in entsprechender Anwendung des § 10d Abs. 4 EStG gesondert festzustellen. Diese verfahrensrechtliche Vorschrift ist für die weitere verfassungsrechtliche Untersuchung nicht relevant.

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Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 219. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.1. 49 Für die gleichheitsgrundrechtliche Zulässigkeit eines proportionalen Tarifverlaufs BVerfG v. 18. 1. 2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 (117); v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (282 f.); P. Kirchhof, StuW 1985, 319 (329); Wernsmann, in: Hübschmann / ​ Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 509. 50 Englisch, StuW 2007, 221 (223, 236); Hey, BB 2007, 1303 (1304, 1308); Tipke, StRO II2, S. 668 ff.; Tipke, StuW 2007, 201 (209); Urban, Die Einkünfteerzielungsabsicht in der Systematik des Einkommensteuergesetzes, S. 36. A. A. Koss, in: Korn, EStG, § 32d Rn. 2, der davon ausgeht, dass mit der Einführung der Abgeltungsteuer die Grundentscheidung für eine synthetische Einkommensteuer durch das Schedulenkonzept ersetzt wurde; ebenso Schulz / Vogt, DStR 2008, 2189 (2189 f.). 51 Englisch, StuW 2007, 221 (236); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 37: „§ 2 [EStG] ist insoweit eindeutig“; Kämmerer, DStR 2010, 27 (28 f.); Musil, FR 2010, 149 (152); Strohm, Abgeltungsteuer, S. 208; Thiemann, Verluste, S. 301; a. A. Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 3; Philipowski, DStR  2009, 353 (356). Siehe ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 1. 48

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1. Teil: Grundlagen der rechtlichen Beurteilung

§ 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG beschränkt die Verrechnung negativer Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien periodenintern auf Gewinne aus Aktien­ veräußerungen. Periodenextern können nicht ausgeglichene Verluste in die folgenden Veranlagungszeiträume vorgetragen und dort mit zukünftigen Veräußerungsgewinnen aus Aktien verrechnet werden, § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 2 EStG. § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbs. 1 EStG regelt, dass Verluste aus Termingeschäften im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung sachlich beschränkt mit Gewinnen aus Termingeschäften im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG sowie mit Gewinnen aus Stillhalterprämien52 nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG und nur bis zu einem Betrag von 20 000 € verrechnet werden können. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b EStG erfasst Verluste aus der Veräußerung von Termingeschäften und § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG Verluste aus sogenannten Beendigungsgeschäften. Es findet bei diesen keine Veräußerung statt, sondern der Steuerpflichtige erlangt einen Differenzausgleich allein durch die Beendigung des Termingeschäfts.53 Soweit die Beschränkung eingreift, werden die Verluste in die folgenden Jahre zur gleichfalls sachlich und betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung vorgetragen, § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbs. 2 EStG. Dann können nicht verrechnete Verluste in den Folgejahren mit Gewinnen aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien ausgeglichen werden, wenn nach der unterjährigen Verlustverrechnung ein verrechenbarer Gewinn verbleibt. Für Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern (Fall 4 als Auffangtatbestand54) greift zum einen periodenintern eine betragsmäßig beschränkte Verlustverrechnung in Höhe von 20 000 €, § 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 EStG. Soweit danach Verluste nicht ausgeglichen werden können, dürfen diese gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 2 EStG in die folgenden Veranlagungszeiträume zur ebenfalls betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung vorgetragen werden. Schließlich beinhaltet § 20 Abs. 6 Satz 7 EStG erneut eine verfahrensrechtliche Regelung, die hier der Vollständigkeit halber erwähnt wird. Danach können Verluste, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur im Wege der Veranlagung berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige eine Bescheinigung nach § 43a

52

Ausführlich etwa Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 115 ff.: Inhalt eines Optionsgeschäfts ist die Veräußerung oder der Erwerb des Rechts, immer eine bestimmte Menge eines Basiswerts (z. B. Aktien) während der Laufzeit der Option zu einem im Voraus vereinbarten Preis entweder vom Vertragspartner (Stillhalter) zu kaufen oder an ihn zu verkaufen. Für dieses Recht hat der Inhaber der Option als Gegenleistung die Optionsprämie (Stillhalterprämie) zu zahlen. Die Stillhalterprämie ist die Leistung, die der Stillhalter als „Entschädigung“ für die Bindung und die Risiken, die er durch die Begebung des Optionsrechts eingeht, unabhängig vom Zustandekommen des Wertpapiergeschäfts allein für das „Stillhalten“ erlangt. 53 Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 130. 54 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68e.

2. Kap.: Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer 

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Abs. 3 Satz 4 EStG vorlegt.55 Die Norm soll sicherstellen, dass sich ein Verlust nicht mehrfach im Rahmen der Verrechnung durch das Kreditinstitut und in der Veranlagung auswirken kann.56

§ 8 Historische Entwicklung A. Abgeltungsteuer Die heutige äußere Struktur des § 20 EStG lässt sich mit seiner Aufzählung einzelner steuerbarer Kapitalerträge im Wesentlichen auf § 37 EStG 192557, der als § 20 in das Einkommensteuergesetz 193458 übernommen wurde, zurückführen.59 Ursprünglich war § 20 EStG als Überschusseinkunftsart entsprechend der Quellentheorie konzipiert.60 Die Quellentheorie zeichnet sich dadurch aus, dass nur die laufend aus dem eingesetzten Kapital zufließenden Bezüge besteuert werden, dagegen der Kapitalstamm und dessen Wertveränderungen ertragsteuerrechtlich als irrelevant erachtet werden.61 Nach der Reform durch die Einführung der Abgeltungsteuer ist auch heute das private Kapitalvermögen nicht – wie zum Beispiel das Betriebsvermögen bei den Gewinneinkünften – vollständig steuerverstrickt.62 Allerdings sind durch viele Einzeltatbestände in § 20 Abs. 2 EStG „nahezu alle Wertrealisierungen des eingesetzten Vermögensstamms […] steuerlich erfasst“.63 Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in § 20 EStG tendiert mittlerweile sehr stark in Richtung der Reinvermögenszugangstheorie64.65 55

Ausführlich Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 621. BT-Drucks. 16/4841, 96. 57 Gesetz v. 10. 8. 1925, RGBl I 1925, 189. 58 Gesetz v. 16. 10. 1934, RGBl I 1934, 1005. 59 Ausführlich zur Entwicklung der Vorschrift etwa Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 2; Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 1. Tatbestände zur Besteuerung von privaten Veräußerungsgewinnen bei Anteilen an Kapitalgesellschaften waren jedoch vor dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 nur ganz vereinzelt in § 20 EStG und im Übrigen in § 23 EStG enthalten, vgl. Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. A 30 ff. 60 Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 55 ff.; Thiemann, Verluste, S. 12 f.; Tipke, StRO II2, S. 627. 61 Grundlegend Fuisting, Die Preußischen direkten Steuern, S. 112, 147. 62 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht24, Rn. 782. 63 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht24, Rn. 782; vgl. Werth, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 32d Rn. 60. 64 v. Schanz, Finanzarchiv 1896, 1 (27) definiert das Einkommen als „Reinvermögenszugang eines bestimmten Zeitabschnitts inklusive der Nutzungen und geldwerten Leistungen Dritter“. 65 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht24, Rn. 782; Eckhoff, FR 2007, 989 (990); Strohm, Abgeltungsteuer, S. 24 f.; Werth, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 32d Rn. 60. Der BFH spricht von einer Aufgabe der Quellentheorie, BFH v. 24. 10. 2017 – VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831 (juris Rn. 11); v. 20. 11. 2018 – VIII R 37/15, BStBl II 2019, 507 (juris Rn. 26); zustimmend Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 17. 56

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1. Teil: Grundlagen der rechtlichen Beurteilung

B. Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen Seit Einführung der Abgeltungsteuer 2009 existieren für Kapitaleinkünfte spezielle Verlustverrechnungsbeschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG. Darin schränkt der Gesetzgeber durch materiell- und verfahrensrechtliche Vorschriften den Verlustausgleich sowie den Verlustabzug ein.66 Bis zum Veranlagungszeitraum 2019 regelte dieser Absatz zuerst in sechs67 und später in fünf Sätzen die Schranken für die Verlustverrechnung. Mit dem Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen wurden § 20 Abs. 6 Satz 5, 6 EStG eingefügt.68 Der bisherige Satz 5 wurde zu Satz 7. Diese Sätze wurden als Reaktion auf eine Reihe von Entscheidungen der Rechtsprechung eingeführt, in denen der BFH Verluste aus dem Verfall von Optionen69 und aus privaten Kapitalforderungen70 steuermindernd anerkannt hat. Zunächst wollte der Gesetzentwurf der Bundesregierung diese Rechtsprechung mit einem „Nichtanwendungsgesetz“71 konterkarieren, weil die Auffassung des BFH nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers bei der Unternehmensteuerreform entsprochen habe.72 Es sollte in § 20 Abs. 2 Satz 3 EStG n. F. geregelt werden, dass die ganze oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung (Nr. 1) und die Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter im Sinne des Abs. 1 (Nr. 2) ebenso wenig wie die Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter im Sinne des Abs. 1 auf einen Dritten (Nr. 3) oder ein den vorstehenden Tatbeständen vergleichbarer Ausfall (Nr. 4) eine Veräußerung seien.73 Dieser Gesetzentwurf, der die Verlustnutzung in den genannten Fällen versagen sollte, ist allerdings aufgrund steuersystematischer und verfassungsrechtlicher Bedenken nicht umgesetzt worden.74 Letztlich sind auf Empfehlung des Finanzausschusses die Regelungen in abgeschwächter Form in § 20 Abs. 6 Satz 5, 6 EStG eingefügt worden.75 Sie versagen zwar die Verlustnutzung nicht generell, aber sie

66

BT-Drucks. 16/4841, 57 f. Anfänglich begann der Absatz mit der Sonderregelung für Altverluste, die in der Zeit vor Einführung der Abgeltungsteuer entstanden waren. Diese Sondervorschrift galt letztmals für den Veranlagungszeitraum 2013. Daher wurde sie durch Gesetz v. 25. 7. 2014, BGBl I 2014, 1266 = BStBl I 2014, 1126 aufgehoben und die folgenden Sätze redaktionell angepasst. 68 Gesetz v. 21. 12. 2019, BGBl I 2019, 2875 = BStBl I 2020, 127. 69 BFH v. 12. 1. 2016 – IX R 48/14, BStBl II 2016, 456; v. 12. 1. 2016 – IX R 49/14, BStBl II 2016, 459; v. 12. 1. 2016 – IX R 50/14, BStBl II 2016, 462. 70 BFH v. 24. 10. 2017 – VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831; v. 12. 6. 2018 – VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221; v. 20. 11. 2018 – VIII R 37/15, BStBl II 2019, 507. 71 BT-Drucks. 19/13436, 227; Jachmann-Michel / Grunow, jM 2019, 471 (472). 72 Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 9. 8. 2019, BR-Drucks. 356/19, 123 f. 73 BT-Drucks. 19/13436, 16 f. 74 Stellungnahme des Bundesrats v. 20. 9. 2019, BR-Drucks. 356/19, 30 ff.; Dahm / Hoffmann, DStR 2019, 1239; Jachmann-Michel / Grunow, jM 2019, 471 (473 ff.); Jochum, in: Kirchhof / ​ Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. D/9 16; Jochum, FR 2019, 602 (603 f.). 75 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses v. 11. 12. 2019, BT-Drucks. 19/15876, 61 f. 67

2. Kap.: Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen: Die Abgeltungsteuer 

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sollen eine zeitliche Streckung bewirken.76 Diese Normen sind beachtlicher verfassungsrechtlicher Kritik begegnet.77 Deshalb sah sich der Gesetzgeber erneut zum Handeln gezwungen. Er hat den Umfang der möglichen Verlustnutzung von 10 000 € auf 20 000 € erhöht.78

76

BT-Drucks. 19/15876, 61. Sehr kritisch die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BR-Drucks. 503/1/20, 21; Änderungsantrag der Fraktion der FDP, BT-Drucks. 19/25160, 177 f.; Bron, BB 2020, 535; Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81; Drüen, FR 2020, 663; Förster  / ​ v. Cölln / L entz, DB 2020, 353 (356); Jachmann-Michel, BB 2020, 727. 78 Jahressteuergesetz 2020 v. 21. 12. 2020, BGBl I 2020, 3096 = BStBl I 2021, 6. 77

2. Teil

Verfassungsrechtliche Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG Die zentrale Prüfung der Normen in § 20 Abs. 6 EStG findet am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes statt, Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist ein „Grundelement der Gerechtigkeit und insbesondere der Steuergerechtigkeit“1. Für die kritische Beurteilung ist zudem auf Freiheitsgrundrechte und finanzverfassungsrechtliche Aspekte einzugehen. Die Kritik aus Rechtsprechung und Schrifttum an den spezifischen Verlustverrechnungsbeschränkungen für Einkünfte aus Kapitalvermögen sind ein anschauliches Beispiel dafür, dass die grundrechtlichen Vorgaben für das Steuerrecht teilweise noch nicht vollständig ausgeleuchtet scheinen.2 Das zeigt sich unter anderem darin, dass die Beurteilung des § 20 Abs. 6 EStG durch die Literatur teils ohne ein an der Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG orientiertes Vorgehen und stattdessen losgelöst am Prinzip der Leistungsfähigkeit oder am Folgerichtigkeitsgebot erfolgt.3 Auch der Vorlagebeschluss des BFH4 zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. 8. 20075 (jetzt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) wirft dogmatische Fragen auf. Aus diesen Gründen sind zuerst grundlegende Erläuterungen angezeigt. Der konkreten Überprüfung der Normen ist das Kapitel zum abstrakten Prüfungsmaßstab der Grundrechte, in dem die Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes und der Freiheitsgrundrechte zu untersuchen sind, und des Finanzverfassungsrechts vorgelagert.

1

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 411; vgl. auch BVerfG v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (70 f.); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (­juris Rn. 55); P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR VIII3, § 181 Rn. 67, 108. 2 Ebenso Lenhart, BB 2021, 2070. Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 18 mit dem Befund, dass im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG über den Begriff der Gleichbehandlung „überraschenderweise keine Klarheit“ bestehe. In diese Richtung auch Thiemann, Verluste, S. 103 mit der Feststellung, dass im (steuerrechtswissenschaftlichen) Schrifttum das entsprechende Verständnis der Kategorien der Gleich- beziehungsweise Ungleichbehandlung „häufig mehr vorausgesetzt denn explizit“ gemacht werde, was „angesichts der fundamentalen Bedeutung […] erstaunlich“ sei. 3 Exemplarisch Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83 f.); Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8. Kritisch hierzu Tappe, JZ 2016, 27 (32), der davon spricht, dass in jede „Verschieden-Behandlung“ eine Folgewidrigkeit interpretiert und diese „zur Beweiserleichterung beim Nachweis der Verfassungswidrigkeit“ genutzt werde. 4 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562; Az. des BVerfG: 2 BvL 3/21. 5 BGBl I 2007, 1912 = BStBl I 2007, 630.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

31

3. Kapitel

Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab Staatliche Maßnahmen sind in der verfassungsrechtlichen Prüfung grundsätzlich zuerst an den Freiheitsrechten und danach an den Gleichheitsrechten zu messen.6 Freiheitsrechte schützen den Grundrechtsberechtigten vor der Verkürzung seiner Freiheiten. Gleichheitsrechte verpflichten den Staat, seine Bürger nicht ohne Grund unterschiedlich zu behandeln. Für diese Reihenfolge spricht, dass die Freiheitsrechte rechtsschutzintensiver sind als die Gleichheitsrechte, da diese einen absoluten Schutz ohne Rücksicht auf die Behandlung einer Vergleichsgruppe garantieren.7 Im Steuerrecht hat allerdings der Gleichheitssatz eine größere Bedeutung als die Freiheitsrechte.8 Letztere vermögen den Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Steuerrechts weniger einzugrenzen, weil sich aus dem Zweck der Staatsfinanzierung aufgrund dessen Allgemeinheit keine sinnvolle Zweck-Mittel-Relation bilden lässt.9 Außerdem konnten sich alternative Ansätze10 auf Basis der Freiheitsgrundrechte nicht durchsetzen, die die Steuergesetzgebung mithilfe der eigentumsgrundrechtlichen Kategorien der Privatnützigkeit und der Sozialpflichtigkeit weiter einzugrenzen versuchten.11 Die besondere Stellung im Steuerrecht hebt ebenso die Rechtsprechung hervor, wenn sie von der „Rechtfertigung […] auch und gerade aus der Gleichheit der Lastenzuteilung“ des „Eingriff[s] in die Vermögens- und Rechtssphäre des Steuerpflichtigen“ spricht.12 Aus diesem Grund werden im Folgenden zuerst die gleichheitsrechtlichen und anschließend die freiheitsrechtlichen Maßstäbe erläutert. 6

Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 210. Aus der Rechtsprechung zutreffend BVerfG v. 16. 12. 1981 – 1 BvR 898/79, BVerfGE 59, 128 (156) m. w. N.; v. 6. 6. 2018 – 1 BvL 7/14, BVerfGE 149, 126 (Rn. 37 ff., 68 ff.). Anders hingegen BVerfG v. 11. 2. 1992 – 1 BvL 29/87, BVerfGE 85, 238 (244, 247); v. 21. 11. 2001 – 1 BvL 19/93, BVerfGE 104, 126 (144, 149). Nach Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 140 und Boysen, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 3 Rn. 206 entscheiden pragmatische Gründe über die Reihenfolge. 7 Ausführlich Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 168 ff. Vgl. Maurer, in: FS Weber, S. 345 (354); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 422. 8 Kempny, JöR 2016, 477 (478 f.); Schuppert, in: FS Zeidler I, S. 691 (709); Thiemann, Verluste, S. 91; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 211. Herzog, in: VI. Deutscher Steuerzahler-Kongreß 1991, S. 10 (11) etwa bezeichnet ihn deshalb auch als „Magna Charta des Steuerrechts“. 9 Thiemann, Verluste, S. 91; Vogel, VVDStRL 47, S. 63 (66 f.); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 210. Siehe dazu 2. Teil 3. Kapitel § 10. 10 Hervorheben lassen sich hier die Konzeptionen von P.  Kirchhof, z. B. P.  Kirchhof, VVDStRL 39, S. 213 ff.; P. Kirchhof, StuW 1985, 319 ff. 11 Für diesen Befund Thiemann, Verluste, S. 91 f. 12 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (269); v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (138). Vgl. BVerwG v. 23. 2. 2011 – 6 C 22/10, BVerwGE 139, 42 (juris Rn. 67); OVG NRW v. 19. 12. 2014 – 12 A 1906/14 (juris Rn. 29); OVG NRW v. 5. 11. 2018 – 12 A 841/17 (juris Rn. 49).

32

2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

§ 9 Gleichheitsrechtliche Prüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Darin kommen das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit und damit die Bindung von Exekutive und Judikative zum Ausdruck.13 Gleichzeitig binden nach Art. 1 Abs. 3 GG die „nachfolgenden Grundrechte“ und folglich auch Art. 3 Abs. 1 GG die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht. Deshalb gebietet dieser nach allgemeiner Meinung eine Gleichbehandlung bei der Normsetzung selbst.14 Ausgehend vom Normtext und dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsbegriff soll im Folgenden die Strukturierung der Gleichheitssatzprüfung erfolgen. A. Die Offenheit des Gleichheitsbegriffs Die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem oder die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem15 löst die verfassungsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit vor Art. 3 Abs. 1 GG aus.16 Dem Begriff der Gleichheit kommt damit für die folgende Prüfung zentrale Bedeutung zu.17 Den Ausgangspunkt der Beurteilung muss die „formal-logische Struktur“18 der Gleichheit bilden. Gleichheit setzt im Gegensatz zur Identität denklogisch eine Verschiedenheit19 voraus und bezeichnet eine Relation zwischen mindestens zwei Sachverhalten oder Personen.20 Im Rahmen dieses Gleichheitsurteils muss für den Vergleich von Sachverhalten oder Personen die Relevanz der bestimmten gemeinsamen Merkmale bewertet werden.21 13

Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 60 m. w. N. Dort auch zum Folgenden. 14 Erstmals BVerfG v. 12. 10. 1951 – 1 BvR 201/51, BVerfGE 1, 14 (52); Arndt, NVwZ 1988, 787; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.110; Thiemann, Verluste, S. 93, der in dieser knappen sprachlichen Fassung eine der Hauptursachen für die bis heute bestehenden Meinungsverschiedenheiten sieht; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 435. 15 BVerfG v. 17. 12. 1953 – 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58 (135); v. 15. 7. 1998 – 1 BvR 1554/89, BVerfGE 98, 365 (385); st. Rspr. Zur Würdigung dieser Rspr. und weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 286 ff.; Boysen, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 3 Rn. 64 ff. 16 Epping, Grundrechte9, Rn. 794 mit der Feststellung, dass Art. 3 Abs. 1 GG keinen Hinweis auf eine Rechtfertigungsmöglichkeit und insbesondere keinen Gesetzesvorbehalt enthalte. Er verweist aber systematisch auf das explizite Verbot der merkmalspezifischen Ungleichbehandlung in Art. 3 Abs. 3 GG, der überflüssig sei, wenn schon nach dem allgemeinen Gleichheitssatz jede Ungleichbehandlung immer und ausnahmslos unzulässig sei. 17 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 19; Thiemann, Verluste, S. 94. 18 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 19. 19 Windelband, Über Gleichheit und Identität, S. 8; in Anschluss an diesen Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 245. 20 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 19; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 30; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR VIII3, § 181 Rn. 19; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1512 f.). 21 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 363; Thiemann, Verluste, S. 98.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Für die Bewertung ist der Bezug auf ein Drittes („tertium comparationis“) herzustellen, das den Bezugspunkt und somit den Maßstab der Gleichheitsprüfung bildet.22 Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG fordert nur die Gleichbehandlung als solche und sieht keinen universellen Maßstab mit der Entscheidung vor, welche Umstände für eine Gleich- oder Ungleichheit relevant sind. „Der Gleichheitssatz ist mehr Beurteilungsauftrag als Beurteilungsmaßstab […].“23 Es wird von einer „Offenheit“ oder „Inhaltsleere“ des allgemeinen Gleichheitssatzes gesprochen.24 Aus diesem Befund muss geschlossen werden, dass in erster Linie der einfache Gesetzgeber selbst den maßgeblichen Rahmen bestimmt, soweit keine verfassungsrechtlichen Vorgaben bestehen.25 In diesem Zusammenhang ist die ratio legis der entscheidende Bezugspunkt und ihr kommt herausragende Bedeutung zu.26 Der Normsetzer ist in Hinsicht auf Sachverhalte und Personen mit übereinstimmenden Merkmalen verpflichtet, eine Regelung unter Beachtung des Sinn und Zwecks gleichmäßig auf beide zu erstrecken.27 Ein Rückgriff auf außerrechtliche oder gesellschaftliche Anschauungen einer Gleichgerechtigkeit darf aber, wie vereinzelt28 erwogen, nicht erfolgen.29 Bei diesem Verständnis ist die erste getroffene Ausgangsentscheidung des Gesetzgebers gleichheitsgrundrechtlich nur eingeschränkt justiziabel, weil damit erst der Bezugspunkt gesetzt wird und insofern nicht selbst Prüfgegenstand sein kann.30 Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des BVerfG, das den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bereichsspezifisch31 auf das Steuerrecht anwendet. Danach verfügt der Gesetzgeber „bei der Auswahl des Steuergegenstandes“ über einen „weitreichenden Entscheidungsspielraum“, bei der „Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestandes“ hat er allerdings ein Gebot der Folgerichtigkeit zu beachten.32 Er muss die „einmal getroffene Belastungsentscheidung“ folgerichtig 22

Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 19; Kischel, AöR 1999, 174 (182 f.); Thiemann, Verluste, S. 94; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 215. 23 P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR VIII3, § 181 Rn. 19. 24 Thiemann, Verluste, S. 99, dort Fn. 29 m. w. N. 25 P.  Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR VIII3, § 181 Rn. 20; Kischel, AöR  1999, 174 (185 f.); Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 188; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1518); Thiemann, Verluste, S. 99, 123 f.; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 87 f. 26 Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 120 m. w. N., 136; Thiemann, Verluste, S. 94, 100. 27 Thiemann, Verluste, S. 94, 100. 28 Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR, § 125 Rn. 8, der den „Zeitgeist“ als mögliche eigenständige Quelle neben Verfassung und einfachem Gesetzesrecht heranziehen will. 29 Thiemann, Verluste, S. 99; ebenso Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1514). 30 Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (630 f.); Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1518); Thiemann, Verluste, S. 101. 31 BVerfG v. 8. 4. 1987 – 2 BvR 909/82, BVerfGE 75, 108 (157); v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (289); v. 15. 1. 2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (30); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 103). 32 BVerfG 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (271); v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (126 f., 136); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

„im Sinne des Belastungsgleichheit“ umsetzen. Durch diese zurückhaltende Beurteilung verleiht das BVerfG der Offenheit des Gleichheitsbegriffs Ausdruck.33 B. Der Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet den Staat, alle Menschen gleich zu behandeln. Er lässt aber Ungleichbehandlungen zu, wenn es dafür einen verfassungsrechtlich rechtfertigenden Grund gibt.34 Hinsichtlich des konkreten Verständnisses dieser zwei Prüfungsstufen und beispielsweise der Zuordnung von erforderlichen Wertungen besteht allerdings keine Einigkeit. Damit Art. 3 Abs. 1 GG für die Prüfung der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen operabel wird, bedarf es deshalb einer Beurteilung der folgenden Thesen und der Festlegung eines tauglichen Prüfungsrasters. I. Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung Zur Schaffung einer Diskussionsgrundlage ist deshalb zunächst der Begriff der Ungleichbehandlung in den Blick zu nehmen. Dies ist erforderlich, da im steuerrechtlichen Diskurs hinsichtlich des Verständnisses dieser Begrifflichkeit oft keine Klarheit herrscht oder ein bestimmtes Vorverständnis vorausgesetzt wird, ohne dies deutlich zu machen.35 Es werden zuerst die herkömmlichen Herleitungen dargestellt, um daraufhin die weiterführenden Ansätze des deskriptiven und normativen Verständnisses der Gleichheit zu beleuchten. Daran anschließend erfolgt die Einordung des steuerrechtlichen Folgerichtigkeitsgebots. Zuletzt wird das Verhältnis der dogmatischen Ansätze zueinander behandelt. 1. Geläufige Herleitungen Teile des Schrifttums definieren die Ungleichbehandlung als „unterschied­liche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte“.36 Dieser Versuch der Annäherung an den Begriff der Ungleichbehandlung ist nicht ergiebig, weil bei der vorge 33

Ebenso Thiemann, Verluste, S. 101. Diese zweistufige Prüfung vertreten das BVerfG und weite Teile des Schrifttums, vgl. nur BVerfG v. 16. 3. 2004 – 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141 (167) und aus dem Schrifttum Dreier, in: Dreier3, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 151 m. w. N. Vereinzelt nehmen Vertreter sogenannter Eingriffsmodelle eine der Eingriffsprüfung der Freiheitsgrundrechte ähnelnde Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes an, Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1484 ff., 1489 ff.) m. w. N. 35 Für diesen Befund Thiemann, Verluste, S. 103; vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 18; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 143 f. 36 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 24; Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Art. 3 Rn. 10. 34

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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schlagenen Definition die Bedeutung des Worts „Behandlung“ nicht klar wird.37 Es fehlt eine weitere Ausdifferenzierung. Die Wendung des BVerfG, dass der Gleichheitssatz ein Verbot der Ungleichbehandlung des wesentlich Gleichen beinhalte38, sagt seinerseits nichts über das Verständnis einer „Ungleichbehandlung“ aus.39 Mithilfe der gebräuchlichen Formeln lassen sich damit keine verlässlichen Aussagen zum Vorliegen einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung treffen. 2. Normatives und deskriptives Verständnis der Gleichheit Es besteht Einigkeit, dass im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes Wertungen vorzunehmen sind.40 Hinsichtlich des Prüfungsstandorts dieser Wertungen herrscht aber Unklarheit. Es lassen sich zwei Ansätze unterscheiden, die als „deskriptiver“ und „normativer“ Begriff der Ungleichbehandlung bezeichnet werden können.41 Danach nimmt der Normative die wertenden Elemente bereits auf der ersten Stufe der Feststellung einer Ungleichbehandlung vor.42 Der Deskriptive hingegen bezieht Überlegungen zu normativen Wertungsvorgängen erst auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ein.43 a) Wertungen im Einkommensteuerrecht: Das Leistungsfähigkeitsprinzip Ein zentrales Element bei den Wertungen, die das BVerfG und das steuerrechtliche Schrifttum im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes vornehmen, ist das Leistungsfähigkeitsprinzip.44 Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist nahezu allgemein anerkannt45 und wird vom BVerfG aus dem allgemeinen 37

Thiemann, Verluste, S. 103; in diese Richtung auch Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 245. BVerfG v. 17. 12. 1953  – 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58 (135); v. 15. 7. 1998  – 1 BvR 1554/89, BVerfGE 98, 365 (385); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 94 f.); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 51); st. Rspr. 39 Zu einer möglichen ambivalenten Lesart Thiemann, Verluste, S. 102 f., der deswegen ebenfalls die Unklarheit dieser Wendung feststellt. 40 Boysen, in: v.  Münch / Kunig7, GG, Art. 3 Rn. 51 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 83; Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 25; Kempny, StuW 2021, 85 (99). 41 Huster, Rechte und Ziele, S. 18 ff.; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 26 ff.; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 98 ff.; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 143 ff.; Thiemann, Verluste, S. 104 ff., 110 ff. Vgl. bereits Weber-Dürler, Die Rechtsgleichheit in ihrer Bedeutung für die Rechtsetzung, S. 29 ff., die synonym von „absolute[r] und relative[r] Gleichheit der Behandlung“ spricht. 42 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. b). 43 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. c). 44 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 288: „[D]ie Leistungsfähigkeit [ist] nicht der alleinige (wenn auch ein zentraler) Bezugspunkt […].“ 45 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 262, dort Fn. 252 sowie S. 267 m. w. N. Zur vorgebrachten rechtswissenschaftlichen Kritik vgl. Wernsmann, Ver 38

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Gleichheitssatz abgeleitet: „Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit […], der gebietet, die Belastung mit Finanzzwecksteuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten […]. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss.“46 Teile des Schrifttums stellen ebenfalls ausschließlich auf Art. 3 Abs. 1 GG ab, teilweise (zusätzlich) auf die Freiheitsgrundrechte, das Sozialstaatsprinzip oder die Finanzverfassung.47 Im Zusammenhang mit den Verlustverrechnungsbeschränkungen ist die horizontale Steuergerechtigkeit von Bedeutung, also die gleiche Zuteilung der steuerlichen Lasten bei gleicher individueller Zahlungsfähigkeit.48 Bei diesem Prinzip ist jedoch zu beachten, dass damit nur ein verfassungsrechtlicher Grundsatz gemeint ist, der in den Einzelfragen einer Gestaltung durch den Gesetzgeber zugänglich ist, soweit dem Grundgesetz keine zwingenden Vorgaben und Grenzen zu entnehmen sind.49 Rechtsprinzipien50 sind sogar auf Konkretisierung angewiesen, wobei wiederum Wertungen vorzunehmen sind.51

haltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 267, dort Fn. 283 und 284 m. w. N.; Tipke, StRO I2, S. 491, dort Fn. 55. Aus der jüngeren Literatur kritisch Hongler, Jusletter 4. 11. 2019, Rn. 5 ff. 46 BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100) m. w. N.; v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 106); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 55 f.); st. Rspr. 47 Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Wurzeln Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 286 ff.; Thiemann, Verluste, S. 43 ff. 48 Vgl. BVerfG v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20/84, BVerfGE 82, 60 (89); P. Kirchhof, StuW 1985, 319 (319 f., 324 f.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 486. A. A. ­Kempny, StuW 2021, 85 (95 f.), der sich gegen das Verständnis von Leistungsfähigkeit als Zahlungsfähigkeit mit dem Argument wendet, dass eine regelmäßige Besteuerung des Vermögens die Möglichkeiten künftigen Erwerbs beschneide und die Zukunftsvorsorge vernachlässigt zu werden drohe. 49 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 268: „Stets muss allerdings im Blick behalten werden, was die Verfassung tatsächlich fordert und inwieweit sie dem Gesetzgeber Spielräume belässt“; Thiemann, Verluste, S. 80 mit der Warnung, dass es „zu einer merkwürdigen Verdrehung der Perspektiven“ komme, wenn „nicht die verfassungsrechtliche Einzelnorm, sondern davon losgelöst das Prinzip zum Dreh- und Angelpunkt weitergehender Betrachtungen gemacht“ werde. In diese Richtung bereits Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 80 (Oktober 1992); vgl. Kempny, StuW 2021, 85 (92). 50 Dazu ausführlich Drüen, DStJG 2014, S. 9 (43 ff.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.11 f. 51 Birk, in: Kube u. a., Leitgedanken des Rechts, S. 1591 (1593): „Aber wer aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip konkrete Antworten auf Rechtsfragen oder Regelungsaufträge für den Gesetzgeber ableiten will, missversteht seinen Bedeutungsgehalt. Es bedarf gesetzlicher Konkretisierung und Entfaltung“; Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 53.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Das objektive Nettoprinzip (§ 2 Abs. 2 EStG), nach dem nur die Nettoeinkünfte (vereinfacht beschrieben als Einnahmen abzüglich Ausgaben) der Besteuerung unterliegen, verwirklicht für den Bereich der Einkünfteermittlung den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.52 Danach sind Einkünfte nur Reineinkünfte, also der Gewinn und der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten.53 Der Steuerpflichtige kann Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage abziehen, die er zu erwerbssichernden Zwecken erbringt.54 Die Verlustverrechnung ist als Teil des objektiven Nettoprinzips anzusehen.55 Die gesetzgeberische Grundentscheidung für das objektive Nettoprinzip (§ 2 Abs. 2 EStG) ist im Bereich der Einkommensteuer vom Grundgesetz in Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 GG vorgezeichnet.56 Falls erwerbsbezogene Aufwendungen nicht mehr abziehbar wären, würde es sich nicht mehr um eine Einkommensteuer, sondern um eine Einnahmensteuer handeln.57 Dies würde nicht mehr dem Typus­ begriff des Art. 106 Abs. 3 GG entsprechen.58 Ob das objektive Nettoprinzip verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist, hat das BVerfG stets ausdrücklich offengelassen.59 Der Gesetzgeber dürfe es jedenfalls – so das BVerfG – bei Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen. Bei diesem einfachrechtlichen Prinzip handele es sich lediglich um eine Grundentscheidung des Normsetzers, die ihn unter dem Aspekt des Folgerichtigkeitsgebots, das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleiten sei, binde. Dagegen stellt nach überzeugender Auffassung das objektive Nettoprinzip eine Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar und ist folglich unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten.60 Gegen die Ansicht des BVerfG spricht, dass es mit diesem auf dem Folgerichtigkeitsgebot fußenden Argument möglich wäre, dass „der Gesetzgeber die Pflicht zur Abzugsmöglichkeit [beseitigt], indem er alle Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzüge streicht“.61 52

BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (290); Desens, StuW 2016, 240 (257); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 501 ff. 53 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.54; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 501. 54 Textor, Rechtsverfolgungskosten und Gleichheit der Besteuerung, S. 39; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 315. 55 Drüen, FR 2020, 663 (668); Mellinghoff, Stbg 2005, 1 (4); Schmehl, in: FS Bryde, S. 457 (464); Thiemann, Verluste, S. 3; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 503; a. A. Wendt, DStJG 2005, S. 41 (53). 56 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 315; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  501. 57 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 501. 58 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 12 C. 59 BVerfG v. 2. 10. 1969 – 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58 (64 f.); v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (279 f.); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14 u. a., BVerfGE 152, 274 (Rn. 94), in dem das BVerfG das objektive Nettoprinzip allein auf der Ebene der Ausgestaltung des EStG durch den einfachen Gesetzgeber behandelt. 60 Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 501 f. m. w. N.; kritisch zur Konstitutionalisierung Kempny, StuW 2021, 85 (100). 61 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 317 f.; in Anschluss an diesen Textor, Rechtsverfolgungskosten und Gleichheit der Besteuerung, S. 39 f.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Das macht deutlich, dass im Rahmen der Einkommensteuer der Abzug von Erwerbsaufwendungen nicht in das Ermessen des einfachen Gesetzgebers fallen kann.62 Das objektive Nettoprinzip ist ein Subprinzip des Leistungsfähigkeitsprinzips und folgt damit für die Einkommensteuer direkt aus dem Grundgesetz.63 „Während das objektive Nettoprinzip die Erwerbsaufwendungen aus der Bemessungsgrundlage der Steuer ausscheidet, weil sie für die Steuerzahlung nicht zur Verfügung stehen“64, findet durch das subjektive Nettoprinzip existenznotwendiger privater Aufwand bei der Bemessungsgrundlage Berücksichtigung (§ 2 Abs. 4 und 5 EStG).65 Das Grundgesetz (Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie gemäß Art. 1 Abs. 1 GG) fordert für den Bereich des Einkommensteuerrechts, dass der existenznotwendige Bedarf des Steuerpflichtigen und seiner Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) von der Einkommensteuer freigestellt wird.66 Es soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen durch seine persönlichen Verhältnisse gemindert sein kann.67 b) Das normative Verständnis der Gleichheit Nach dem normativen Ansatz besteht eine Ungleichbehandlung, wenn eine ungleichmäßige Behandlung abweichend von einem im jeweiligen Sachbereich wesentlichen Verteilungsmaßstab vorliegt.68 Die herrschende Meinung im steuerrechtswissenschaftlichen Schrifttum legt dieses Verständnis zugrunde, teilweise jedoch nicht ausdrücklich, sondern es wird impliziert.69 Die Vertreter dieser Ansicht bringen dafür das Leistungsfähigkeitsprinzip in Stellung: Die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ sei der maßgebliche „steuerspezifische Vergleichsmaßstab“, das bestimmende „tertium comparationis“.70 Mit anderen Worten kommt

62

Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 318. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.14; Seiler, DStJG 2011, S. 61 (62); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 315, 318. 64 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 504. 65 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.42, 8.70 ff.; Thiemann, Verluste, S. 477 ff. 66 BVerfG v. 29. 5. 1990  – 1 BvL 20/84, BVerfGE 82, 60 (85 f.); v. 10. 11. 1998  – 2 BvR 1057/91, BVerfGE 99, 216 (232 f.); v. 8. 6. 2004  – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 (433); v. 13. 2. 2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 (154 f.). 67 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.42; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 504. 68 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 27 ff.; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 100 f.; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152 ff.; Thiemann, Verluste, S. 110 ff.; vgl. Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 431 f.; Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 264. 69 Für diesen Befund Thiemann, Verluste, S. 113 f. 70 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 165; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.121 spricht sogar davon, dass es dazu keine Alternative gebe; Jachmann, Steuergesetzgebung 63

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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dem Leistungsfähigkeitsprinzip im Steuerrecht die Funktion des spezifischen Verteilungsmaßstabs zu.71 Der normative Ansatz versucht durch Wertungen auf der ersten Stufe eine sinnvolle Vorauswahl zu treffen und hat insofern bezüglich möglicher Prüfungsgegenstände eine Filterfunktion.72 Die Rechtsprechung des BVerfG zeigt ebenfalls in diese Richtung und bezieht unter der Prämisse des normativen Modells zur Ungleichbehandlung wie folgt Stellung73: Insbesondere im Einkommensteuerrecht werde die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers, diejenigen Sachverhalte festzulegen, die die Norm als rechtlich gleich qualifiziere, durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begrenzt.74 Es sei – so das BVerfG weiter  – verfassungsrechtlich geboten, gleich Leistungsfähige gleich hoch und höhere Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen zu besteuern. c)

Das deskriptive Verständnis der Gleichheit

Der deskriptive Ansatz will bei dem Begriff der „Behandlung“ im Rahmen der Prüfung der Ungleichbehandlung möglichst keine Wertungen vornehmen und diese stattdessen auf die Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung verlagern.75 Die Prüfung der ersten Stufe erfolgt formalistisch: Allein die gesetzte Rechtsfolge ist entscheidend.76 Danach liegt eine Ungleichbehandlung vor, wenn der Gesetzgeber Person oder Sachverhalt A anders behandelt als Person oder Sachverhalt B. Es sind keine speziellen Voraussetzungen bezüglich der gleichheitsgrundrechtlichen Relevanz dieser unterschiedlichen Behandlung zu fordern.77 Eine Gleichbehandlung sei nur bei einer „identischen Behandlung“ gegeben, es müsse „die gleiche

zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, S. 9; P. Kirchhof, StuW 2006, 3 (5); Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 122 ff.; Tipke, StRO I2, S. 322, 500 f.; Treml, Die Bruttobesteuerung bei der Abgeltungsteuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen, S. 76 f.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 286 ff. 71 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 236 f.; Thiemann, Verluste, S. 118. 72 Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 430; Thiemann, Verluste, S. 105. 73 Ebenso Thiemann, Verluste, S. 114; a. A. Boysen, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 3 Rn. 53. 74 BVerfG v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (277 f.); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 99) m. w. N.; st. Rspr. 75 Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 426 f.; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 26 ff.; Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 246; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 99; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 143 ff.; Thiemann, Verluste, S. 104 ff. 76 Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 434, 436; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 27; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 99; Thiemann, Verluste, S. 107; in diese Richtung auch BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 34), für den die „gleichen Rechtsfolgen“ entscheidend sind. 77 Thiemann, Verluste, S. 104 nennt hier beispielhaft die „besondere Vergleichbarkeit“ oder eine „Gleichheit im Wesentlichen“; ebenso Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 99.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Rechtsfolge“ angewendet werden.78 Anhand des Beispiels des proportionalen Steuertarifs wird das Problem offensichtlich, dass sich insofern zwei Perspektiven anbieten:79 Für die Feststellung der Identität könnte einerseits auf die abstrakte Anordnung der Rechtsfolgen (Identität, denn für alle Steuerpflichtigen gilt derselbe Steuertarif), andererseits auf die konkret-individuellen Rechtsfolgen im Einzelfall (keine Identität, weil die Steuerschuld je nach Einkommenshöhe variiert) abzustellen sein. Zur vollständigen Erfassung aller Ungleichbehandlungen muss nach zutreffender Auffassung differenziert werden.80 Danach begründet bereits die verschiedene Rechtsfolgenanordnung auf abstrakter Ebene eine Ungleichbehandlung. Die Anordnung von identischen abstrakten Rechtsfolgen kann allerdings auch eine Ungleichbehandlung sein, wenn die den Einzelnen konkret treffende Rechtsfolge eine unterschiedliche ist, da etwa die Steuerschulden ungleich hoch sind. In der Folge dieses Verständnisses kommt es zu einer großen – potentiell sogar uferlosen – Zahl rechtfertigungsbedürftiger Ungleichbehandlungen.81 Das Erfordernis der gewissen „Vergleichbarkeit“ im Sinne eines zumindest potentiell relevanten gemeinsamen Bezugspunkts kann eine sinnentleerte Prüfung verhindern.82 Solange damit keine besonderen und überhöhten Anforderungen verbunden sind, ist dies möglich und steht in keinem Widerspruch mit einem deskriptiven Begriff von Ungleichbehandlung.83 Damit kann der Gefahr einer völligen Uferlosigkeit sinnvoll begegnet werden. d) Vorzüge eines komplementären Verständnisses Nach überzeugender Ansicht schließen sich der deskriptive und der normative Ansatz nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich im Sinne eines komplementären Verständnisses und gleichen die folgenden Schwachpunkte des jeweils anderen aus.84 78 Huster, Rechte und Ziele, S. 21; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 27; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1472 f.); Weber-Dürler, Die Rechtsgleichheit in ihrer Bedeutung für die Rechtsetzung, S. 29 f.: Die angewendeten Rechtsfolgen müssten „vertauschbar“ sein; tendenziell auch BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 34). 79 Zu diesem Beispiel Thiemann, Verluste, S. 107 f. 80 Thiemann, Verluste, S. 107 ff., dort Fn. 66 m. w. N. zur überwiegenden Ansicht im Schrifttum. Dort auch zum Folgenden. 81 Starck, in: Link, Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat, S. 51 (62), der von der „Unendlichkeit möglicher Vergleichsbeziehungen“ spricht; ähnlich Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 247. 82 So Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 441, der eine „‚Vorauswahl‘ der ‚untersuchungswürdigen‘ Vergleichsgruppen“ vornehmen will; Koenig, JuS 1995, 313 (314 f.); vgl. Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (145 ff.); Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Art. 3 Rn. 11: Die Anforderungen an die Vergleichbarkeit fielen „meist eher gering“ aus. 83 Thiemann, Verluste, S. 106 spricht davon, dass die Maßstäbe „denkbar niedrig anzusetzen sind“; ebenso Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 428, 441. 84 Für diese Sichtweise Thiemann, Verluste, S. 115 ff.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Beim Modell des normativen Begriffs der Ungleichbehandlung besteht die Gefahr, dass es zu einer „unzulässigen Verkürzung des Gleichheitsproblems“ kommt.85 Damit ist gemeint, dass ein bestimmtes Verständnis von einem Verteilungsprinzip unkritisch zugrunde gelegt wird und somit ein „Prinzip“ zum Ausgangspunkt der Kontrolle gemacht wird, das möglicherweise mit subjektiven Auffassungen von Verteilungsgerechtigkeit aufgeladen ist.86 Es dürfen insbesondere einem „Prinzip der Leistungsfähigkeit“ nicht beliebige Inhalte zugeschrieben werden, die ohne Bezug zur Verfassung gewonnen werden.87 Es würde die Offenheit des Gleichheitssatzes88 negiert und die Entscheidung des einfachen Gesetzgebers gerät aus dem Blick.89 Diese sollte stattdessen das Gleichmaß bestimmen, sofern nicht einschlägige Normen aus der Verfassung zu beachten sind, die die Entscheidung vorschreiben.90 Dieses Problem ist auch im Zusammenhang mit Verlustverrechnungsbeschränkungen zu beobachten. Stimmen aus dem Schrifttum stellen die These auf, dass die Nichtberücksichtigung von Verlusten dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht entspreche, da derjenige, der einen Verlust erlitten hat, weniger leistungsfähig als ein Steuerpflichtiger ohne Verluste sei.91 Diese Stimmen folgern daraus, dass die Nichtberücksichtigung von Verlusten immer eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darstelle. Der Annahme ist zu widersprechen. Es wird unkritisch ein „apriorischer“ Begriff von Leistungsfähigkeit zur Arbeitsgrundlage der Überlegungen gemacht und das zentrale Problem der Unbestimmtheit dieses Prinzips übergangen.92 85

Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 29; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 144 f.; mit dieser Warnung eindringlich Thiemann, Verluste, S. 123 f., der das exemplarisch an dem Modell der Kopfsteuer aufzeigt. Bei der Kopfsteuer muss jedermann den gleichen absoluten Betrag zahlen, vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 272 f. Dass Thiemanns Warnung nicht unbegründet ist, zeigt er mit dem Verweis auf Kempny / Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 53. Diese sehen bei der Kopfsteuer eine Ungleichbehandlung darin, „dass die Belastung der Steuerpflichtigen bei einer Kopfsteuer relativ zu ihrem Einkommen ungleich ausfällt“ (Thiemann, Verluste, S. 123 Fn. 111). 86 Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 436 f.; Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 285; Thiemann, Verluste, S. 123 f.; vgl. Kempny, StuW 2021, 85 (95), der darauf im Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip hinweist. 87 Gassner / L ang, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, S. 63; Moes, Die Steuerfreiheit des Existenzminimums vor dem Bundesverfassungs­ gericht, S. 141 ff. 88 Siehe 2. Teil 3. Kapitel § 9 A. 89 Im Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip Lang, Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 125: „Das Leistungsfähigkeitsprinzip […] bildet niemals für sich allein einen Vergleichsmaßstab.“ Es werde „wie andere Fundamentalprinzipien eines Rechtsgebiets […] erst im Gefüge einer bestimmten, d. h. normativ konkretisierten Gerechtigkeitsordnung als Vergleichsmaßstab funktionsfähig“. Dazu auch Tipke, StRO  I2, S. 493: Es sei „Aufgabe des Gesetzgebers“, das Leistungsfähigkeitsprinzip auszufüllen. Dabei habe er einen „Beurteilungsspielraum“, „in dem sich der Pluralismus entfalten könne“. 90 Thiemann, Verluste, S. 123. 91 Heintzen, DStJG 2005, S. 163 (173); Mönikes, Verlustverrechnung, S. 15 f., 44; Wendt, DStJG 2005, S. 41 (42); Werz, Verlustverrechnungsbeschränkungen im Lichte der Verfassung, S. 133 ff. 92 Thiemann, Verluste, S. 126 f.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Diese Fehlannahme kann insoweit mit einer Orientierung am deskriptiven Begriff der Gleichheit verhindert werden. Dieser knüpft an die konkret-individuellen Rechtsfolgen einer Norm an und prüft, ob die sich daraus ergebenden Differenzierungen das Ergebnis einer Unterscheidungsregel sind, die in Übereinstimmung mit dem Gleichheitssatz und weiterer Verfassungsbestimmungen als sachgerecht zu bewerten ist.93 Damit macht dieses Verständnis vom Gleichheitsbegriff die Entscheidung des Gesetzgebers zum Ansatzpunkt.94 Gegen die deskriptive Auffassung der Ungleichbehandlung wird vorgebracht, dass ihr die eigenständige, materielle Gewichtigkeit in Richtung eines Rechts auf Gleichbehandlung fehle.95 Deswegen könne – so die Kritik aus der Literatur – insofern bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung keine am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierte Kontrolle und erst recht keine strikte (gleichheitsrechtliche) Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden, weil es dafür zweier konfligierender, materiell gewichtiger Rechtspositionen bedürfe.96 Es könnten durch das oben erläuterte Verständnis von der Ungleichbehandlung keine der beiden möglichen widerstreitenden Positionen ausgefüllt und wahrgenommen werden. Das Modell vom normativen Begriff der Ungleichbehandlung kann dies ausgleichen. Denn es kann das materielle Gewicht gewährleisten und so im Rahmen der an der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfung das erforderliche Widerlager zu dem Zweck, der für die Abweichung reklamiert wird, bilden.97 Die Gewichtigkeit folgt aus dem sachbereichsspezifischen Verteilungsmaßstab, dem ein „verfassungsrechtlicher Eigenwert“98 zukommt.99

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Thiemann, Verluste, S. 124, der darin die Hauptfunktion des deskriptiven Begriffs der Gleichheit sieht. 94 Ebenso Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 285. 95 Huster, Rechte und Ziele, S. 21 ff., 228 f.; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 102 f.; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 145 ff. Dagegen hält dies Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 440 für unschädlich. 96 A. A. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 242 ff., der das freiheitsgrundrechtliche Prüfungsschema für Art. 3 Abs. 1 GG übernimmt und Grenzen des Gesetzgebers insbesondere im Verhältnismäßigkeitsprinzip sieht. Er legt jedoch einen deskriptiven Begriff der Gleichheit zugrunde. 97 Thiemann, Verluste, S. 116. 98 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 240; Huster, Rechte und Ziele, S. 225 spricht von einem „gewisse[n] ‚Schwellengewicht‘“. 99 Thiemann, Verluste, S. 116. Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang teilweise die Anknüpfung an die freiheitsgrundrechtliche Terminologie aus Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung erwogen, siehe Huster, Rechte und Ziele, S. 225 ff.; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 78 ff.; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 102 ff.; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 200 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1506 ff.). Auf diese sprachliche Anlehnung kann verzichtet werden und im Übrigen verläuft diese auch nicht ohne größere Friktionen, näher Thiemann, Verluste, S. 116 f. Differenzierend Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 243.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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3. Steuerrechtliches Folgerichtigkeitsgebot als bereichsspezifische Ausprägung Im Kern liegt dem steuerrechtlichen100 Gebot der Folgerichtigkeit die Differenzierung zwischen grundlegenden und nachfolgenden Entscheidungen des Steuergesetzgebers zugrunde, die der gleichheitsgrundrechtlichen Forderung eines Gleichmaßes genügen müssen.101 Teilweise wird gegen die Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots eingewendet, dass die Bestimmung einer Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots mit Schwierigkeiten verbunden und damit kein „spürbarer Rationalitätsgewinn“ verbunden sei.102 Anders stellt sich das Bild im Schrifttum zu der Prüfung der Verlustverrechnungsbeschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG dar. Die Literatur stützt sich überwiegend auf ein Gebot der Folgerichtigkeit und begründet damit die Rechtfertigungsbedürftigkeit.103 Dieser Befund macht es erforderlich, abstrakt das Folgerichtigkeitsgebot zu beleuchten und die Kritik des fehlenden Rationalitätsgewinns zu beurteilen. a) Gleichheitsgrundrechtliche Fundierung und Inhalt Bei der Konkretisierung und Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots bedarf die Rückbeziehung auf Art. 3 Abs. 1 GG besonderer Betonung.104 Der Gesetz­ geber sorgt mit einer einfachrechtlichen Grundentscheidung selbst für einen Vergleichstatbestand.105 Das einfache Recht enthält damit „Orientierungen für die Konkretisierung des Gleichheitssatzes“.106 Die erwähnte Unterscheidung zwischen grundlegenden und nachfolgenden Entscheidungen des Normsetzers muss getroffen werden, da sich daran unterschiedlich strenge Maßstäbe bei der verfassungs 100

Der Begriff ist nicht auf das Steuerrecht begrenzt, sondern wird auch in anderen Bereichen wie z. B. dem Sozialrecht oder dem Wahlrecht verwendet, vgl. BVerfG v. 5. 4. 1952 – 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208 (246 f.); P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (8); Tipke, in: FS Lang, S. 21 (41). Dies belegt auch die Analyse von Michael, JZ 2008, 875. 101 Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (283); Osterloh, in: FS Bryde, S. 429 (440); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 520a. 102 Payandeh, AöR 2011, 578 (591). 103 Vgl. etwa Dahm / Hoffmann, DStR  2020, 81 (84); Drüen, FR  2020, 663 (666, 668 f.); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (728); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 37; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 104 Drüen, JZ  2010, 91 (94); Osterloh, in: FS Bryde, S. 429 (434 f.); Thiemann, Verluste, S. 194, 199 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 520a. Dagegen P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR V3, § 118 Rn. 179, der den „Ursprung“ im Rechtsstaats- und im Bundesstaatsprinzip sieht. 105 Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 122; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR VIII3, § 181 Rn. 172: „Die Rechtswirklichkeit […] führt so Vergleichsgruppen, Vergleichsziele und Vergleichsmaßstäbe in das Rechtsgespräch ein.“ 106 Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 37 (Oktober 1992); Zippelius, VVDStRL 47, S. 7 (30).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

rechtlichen Rechtfertigung anschließen können.107 Der allgemeine Gleichheitssatz räumt dem Gesetzgeber bei grundlegenden Entscheidungen mangels geeigneter Vergleichsfälle einen weiten Gestaltungsspielraum ein, während er bei der folgenden Ausgestaltung jener Grundentscheidung strengeren Grenzen unterliegen kann.108 Bei Letzterem darf es aber zu keinem Automatismus der strengen Überprüfung kommen. Auch bei der nachfolgenden Ausgestaltung kann eine Prüfung an einem großzügigeren Maßstab angezeigt sein, wenn das durch das Ausmaß und die Bedeutung der Ungleichbehandlung geboten ist.109 Das Folgerichtigkeitsgebot nimmt in der Rechtsprechung des BVerfG als spezifische Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes unverändert einen zentralen Platz ein.110 Dementsprechend formuliert das BVerfG: „Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. […] Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands).“111 In der Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes muss der Ansatz des BVerfG so verstanden werden, dass eine Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots eine 107

Siehe dazu näher 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 2. Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (630 f.); Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 25 f.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  520a. 109 Siehe dazu näher 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). Ebenso Thiemann, Verluste, S. 203. Ebenfalls gegen eine Verschärfung „per se“ Hey, DStR 2009, 2561 (2566). In diesem Sinne auch Drüen, JZ 2010, 91 (94), der dies von der „verfassungsrechtliche[n] Dignität“ der Grundentscheidung abhängig machen will. 110 Döring / Garz, FR  2021, 834 (836); Drüen, Ubg  2020, 241 (246); Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (114); Eichberger, in: FS Bundesfinanzhof, S. 501 (511); G.  Kirchhof, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Einf. zum EStG, Rn. 267; Palm, JöR 2016, 457 (473); Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 26 f.; Thiemann, Verluste, S. 85, 101. In dem Umstand, dass „der Begriff der Folgerichtigkeit […] als Substantiv“ nicht mehr erwähnt werde, vermuten manche Kritiker der Lehre vom Gebot der Folgerichtigkeit eine Abwendung von jenem, vgl. Kempny, JöR 2016, 477 (490 f.); Lepsius, JZ 2019, 793 (798); Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 2 Rn. 20; ebenso Hey, FR 2020, 578 (579). 111 BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105); weitere Entscheidungen des Ersten Senats BVerfG v. 7. 11. 2006  – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (30 f.); v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 123). Entscheidungen des Zweiten Senats z. B. BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 104); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100); vgl. BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 56). Das Argumentationsmuster der Folgerichtigkeit findet sich ansatzweise bereits in BVerfG v. 5. 4. 1952 – 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208 (246) und wird seit BVerfG v. 13. 7. 1965 – 1 BvR 771/59, BVerfGE 19, 101 (116) in ständiger Rechtsprechung zur Kontrolle von Steuergesetzen angewendet. 108

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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rechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellt.112 Dies ergibt sich zum Beispiel aus der Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines „grundsätzlichen Systemwechsels“, der den Gesetzgeber von der Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die folgerichtige Umsetzung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen befreien kann.113 Bei im Übrigen unveränderten Grundentscheidungen bedürfe es bei einer abweichenden Belastungsentscheidung „greifbarer Anhaltspunkte“, die „die resultierende Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können“.114 Ein solcher Anhaltspunkt – so das BVerfG – kann „etwa die Einbettung in ein nach und nach zu verwirklichendes Grundkonzept“ sein. Wenn diese Anhaltspunkte nicht vorliegen, sei die Neuregelung eine nicht folgerichtige Ausgestaltung einer am Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung des Einkommens. Diese Ungleichbehandlung könne jedenfalls nicht mit der Behauptung eines Systemwechsels gerechtfertigt werden. Diese Rechtsprechung sieht sich mit verschiedenen Kritikpunkten aus dem Schrifttum konfrontiert, die letztlich jedoch nicht vollständig überzeugen. Ein Haupteinwand liegt im unzulässigen Tausch der Stufen der Normenhierarchie, das heißt einer Hochschleusung einfachrechtlicher Systementscheidungen auf die Ebene des Verfassungsrechts.115 Das einfache Recht werde nicht am Verfassungsrecht überprüft, sondern liefere selbst den materiellen Prüfungsrahmen.116 Dagegen lässt sich aber anführen, dass der Gehalt des Folgerichtigkeitsgebots bereits unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet werden kann und dieser gleichheitsgrundrechtlichen Prüfung immanent ist, dass den Grundentscheidungen des einfachen Gesetzgebers unter dem Blickwinkel der Selbstbindung in gewisser Weise verfassungsrechtliches Gewicht zukommt.117

112 Ebenso Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 58 f., 114; Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (114); Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 59 Rn. 72; Lenhart, BB 2021, 2070 (2073); Payandeh, AöR 2011, 578 (589); a. A. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51), der entgegen dieser Systematik eine Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots erst auf Ebene der Bestimmung des sach­ gerechten Rechtfertigungsmaßstabs prüft; Bumke, Der Staat 2010, 77 (86 f.), der eine Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots als Indiz für die Willkürlichkeit einer Ungleichbehandlung auffasst. 113 Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (241 ff.); v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280 f.); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 48 f.). 114 BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (242). 115 Dann, Der Staat 2010, 630 (633 f.); Droege, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts II, S. 68 (82); Kempny, StuW 2014, 185 (198); Kischel, in: Mellinghoff / Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (183 ff.); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 154; Lepsius, JZ 2009, 260 (262); Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (249 f.); kritisch auch Tappe, JZ 2016, 27 (28). 116 Grzeszick, VVDStRL 71, S. 49 (56 f.), der diesen Vorwurf aber als nicht haltbar bezeichnet. 117 Drüen, JZ 2010, 91 (94); Grzeszick, VVDStRL 71, S. 49 (56 f.); Thiemann, Verluste, S. 202 spricht davon, dass dies in der „Natur des allgemeinen Gleichheitssatzes“ liege; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  520a.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Der Kritik von einer Sonderdogmatik118 ist mit dem Verständnis von einer engen Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG zu begegnen, durch das eine Ausuferung des Folgerichtigkeitsgebots vermieden und eine vorhersehbare Anwendung gewährleistet werden.119 Außerdem findet dieser Topos auch außerhalb des Steuerrechts wie zum Beispiel dem Sozial- oder Wahlrecht Anwendung, sodass nicht von einer Sonderdogmatik die Rede sein kann.120 Dagegen ist die Kritik, das Folgerichtigkeitsgebot führe zu unzulässigen Verengungen des Gestaltungsspielraums des demokratisch legitimierten Gesetz­ gebers121 und zu einer Gefahr der Verkrustung122, ernst zu nehmen. Dem Normsetzer dürften durch den Normanwender keine Entscheidungen unterstellt werden, die dieser so nicht getroffen hat oder treffen wollte.123 Diesen Bedenken ist mit einer sehr sorgfältigen Prüfung eng an der Regelungsidee des Gesetzgebers (ratio legis) zu begegnen, ohne dass ergebnisorientiert aus dem Folgerichtigkeitsgebot bestimmte Vorstellungen abgeleitet werden.124 Insofern ist die Kritik berechtigt und als ständige Aufforderung zur Berücksichtigung etwaiger gesetzgeberischer Gestaltungsspielräume zu sehen. Zutreffend beugt das BVerfG der Gefahr einer „Versteinerung“ der Rechtslage vor, indem es für den Normsetzer die Möglichkeit eines „grundsätzlichen Systemwechsels“ bereithält.125 Das Folgerichtigkeitsgebot gebietet keine verfassungsrechtliche Pflicht „system­ reiner“126 Normsetzung oder ein pauschales, auf die Verhinderung bloßer Wertungswidersprüche angelegtes Gebot widerspruchsfreier127 Gesetzgebung. Diese Missverständnisse beruhen auf einer besonders weitgehenden Auslegung einer 118 Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 141; Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (250). 119 Thiemann, Verluste, S. 201; im Ergebnis ebenso Tipke, in: FS Lang, S. 21 (41). 120 Vgl. die Analyse der Entscheidung BVerfG v. 30. 7. 2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317 zum Nichtraucherschutz in Gaststätten von Michael, JZ 2008, 875. Drüen, JZ 2010, 91 (93); Englisch, in: FS Lang, S. 167 (171, 179 f.); Hey, DStR 2009, 2561 (2366); Hey, StuW 2015, 3 (9 f.); P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (8). 121 Bryde, Sondervotum zu BVerfG v. 30. 7. 2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 378 (380 f.); Lepsius, JZ 2009, 260 (261 f.); Wernsmann, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 161 (166 f.); Wernsmann, in: Kube u. a., Leitgedanken des Rechts, S. 1645 (1655); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 520 m. w. N. A. A. ohne nähere Begründung Hey, DStR 2009, 2561 (2566). 122 Palm, JöR 2016, 457 (471); Tappe, JZ 2016, 27 (31); Weber-Grellet, FR 2011, 1028 (1033 f.). Für die Kategorie der Systemwidrigkeit bereits Peine, Systemgerechtigkeit, S. 16. A. A. Hey, DStR 2009, 2561 (2566). 123 Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 154. 124 Für diese Perspektive ebenso Thiemann, Verluste, S. 100, 202 ff.; vgl. Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 135 f. 125 Siehe die Nachweise bei Fn. 113. Zustimmend Englisch, in: FS  Lang, S. 167 (192 ff.) m. w. N.; kritisch zur Rechtsprechung des Systemwechsels Tappe, JZ 2016, 27 (33). 126 Eindringlich davor warnend Bryde, Sondervotum zu BVerfG v. 30. 7. 2008  – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 378 (380 f.); Thiemann, Verluste, S. 196 f., der das ebenfalls ablehnt. 127 So aber Bumke, Der Staat 2010, 77 (87 ff., 96 ff.).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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„Widerspruchsfreiheit“ durch das BVerfG, die insbesondere in zwei Entscheidun­ gen zum Ausdruck gekommen ist.128 Diese Entscheidungen können aufgrund dogmatischer Erwägungen129 und der zu weitgehenden Einschränkung der Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers nicht überzeugen.130 b) Anwendung auf den Einzelfall Das Folgerichtigkeitsgebot fügt sich nach überzeugender Ansicht131 in die Struktur der Gleichheitsprüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ein: Der Sachverhalt, der von der hinsichtlich des Folgerichtigkeitsgebots zu überprüfenden Vorschrift geregelt wird, bildet als Ausgangsfall die eine Vergleichsgruppe. Der durch die gesetzgeberische Grundentscheidung normierte Sachverhalt bildet die andere Vergleichsgruppe. Die Belastungsgrundentscheidung vereint zwar häufig Regelungen, die zahlreiche tatsächliche Sachverhalte betreffen.132 Dieser Aspekt des Folgerichtigkeitsgebots steht der Integration in den allgemeinen Gleichheitssatz allerdings nicht entgegen, weil ein Vergleich von zwei oder auch mehr Sachverhalten möglich ist.133 Diesem Prüfungsraster auf Ebene der Ungleichbehandlung kann eine zu große Schematisierung mit einer zu weitgehenden Beschneidung eines etwaigen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht entgegengehalten werden.134 Dieses ermöglicht erst ausgehend von Art. 3 Abs. 1 GG eine praktische Handhabung des allgemeinen Gleichheitssatzes und verhindert im Sinne der Rechtssicherheit willkürliche Ergebnisse.135 Wenn vor einer Formalisierung des Gebots einer Folgerichtigkeit gewarnt wird, dürfte ohnehin die Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung und die Bestimmung des Maßstabs gemeint sein. Insofern ist den Mahnungen zuzustimmen, dass es bei einer Durchbrechung nicht automatisch zu einer strengen Prüfung kommen darf.136 Stattdessen ist auf das flexible Kriterium

128

BVerfG v. 7. 5. 1998  – 2 BvR 1876/91, BVerfGE 98, 83 (97 ff.); v. 7. 5. 1998  – 2 BvR 1991/95, BVerfGE 98, 106 (117 ff., 130 ff.). 129 Ausführlich Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 184 ff. 130 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 184 ff.; Hanebeck, Der Staat 2002, 429 (447 ff.); Rodi, StuW 1999, 105 (108 ff.); Wieland, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 771 (785 f.). 131 Osterloh, in: FS Bryde, S. 429 (440 ff.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 520a; in Anschluss an diese Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 28. 132 Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 28. 133 Vgl. nur Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 13 (Oktober 1992). 134 Thiemann, Verluste, S. 204, 302 f. warnt vor einer strikt schematischen Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots und spricht sich dagegen aus. 135 Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, S. 111: Eine hinreichende Strukturierung des allgemeinen Gleichheitssatzes gewährleiste Rechtssicherheit. 136 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 3. a).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

des Ausmaßes und der Bedeutung der Ungleichbehandlung im Einzelfall abzustellen und danach der Rechtfertigungsmaßstab zu bestimmen.137 Ausgangspunkt der Bildung von Vergleichsgruppen ist die Suche nach relevanten Sachverhalten – letztlich mehrerer Personen –, die dem zur Überprüfung stehenden Ausgangssachverhalt wertungsmäßig ähnlich sind.138 Dieser Vergleichssachverhalt muss aufgrund einer oder mehrerer Normen (im Folgenden vereinfachend als „Norm, die den Vergleichsfall regelt“ bezeichnet) rechtlich günstiger behandelt werden als der Ausgangsfall, welcher von der zu überprüfenden Vorschrift geregelt wird. Es ist die Anknüpfung an die tatsächliche rechtliche Behandlung von Sachverhalten zu betonen, denn abstrakte Vergleiche gesetzlicher Regelungen erfasst der allgemeine Gleichheitssatz nicht.139 Anschließend ist aus der rechtlichen Behandlung des Vergleichssachverhalts beziehungsweise mehrerer Vergleichssachverhalte die Belastungsgrundentscheidung zu abstrahieren.140 Falls eine rechtliche Behandlung durch mehrere Normen vorliegt, müssen diese Aussagen des Gesetzgebers Homogenität aufweisen, um zu einer Belastungsgrundentscheidung zusammengefasst zu werden.141 Dem Normsetzer dürfen keine Aussagen unterstellt werden, die er so nicht getroffen hat und die so nicht im Gesetz zum Ausdruck kommen.142 Dieser Wille ist anhand objektiver Hilfsmittel wie zum Beispiel der Gesetzesmaterialien zu ermitteln.143 Es ist zu prüfen, ob die Norm, die den Vergleichsfall regelt, einen systemprägenden Charakter im Sinne einer Belastungsgrundentscheidung darstellt.144 Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass dies zumindest in Bezug auf einen kleinen Teilbereich gelten muss.145 Die Voraussetzung der Systemprägung kann 137

Siehe dazu näher 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 115; Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 28; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1470, 1507). 139 Dies hebt auch Tappe, JZ 2016, 27 (33) hervor. 140 So auch Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 29; a. A. ohne nähere Begründung Drüen, Ubg 2020, 241 (247); Desens, StuW 2016, 240 (244). Diese schließen nicht von einer „Gesamtbetrachtung aller Einzelnormen“ auf die Belastungsgrundentscheidung, sondern wollen deduktiv vorgehen. 141 Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (233 f.); Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 142. 142 Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 136; Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 29. 143 Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 136; Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 (1363). 144 Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 29 f.; vgl. Thiemann, Verluste, S. 208: „Der Unterscheidung von System und Systemdurchbrechung kommt deshalb eine fundamentale Bedeutung zu. Die Frage ist deshalb nicht, ob sie getroffen werden muss, sondern nur wie sie zu treffen ist.“ 145 Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 29 f. Dort auch zum Folgenden. 138

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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nicht direkt aus Art. 3 Abs. 1 GG gefolgert werden. Diese ist jedoch sinnvoll, weil sich die charakteristische Prüfung des Folgerichtigkeitsgebots gerade aus dem tatsächlichen Vorliegen einer gewichtigeren Entscheidung des Gesetzgebers rechtfertigt. Daraus ergibt sich kein Konflikt mit der Ergebnisoffenheit146 des allgemeinen Gleichheitssatzes: Er kann sich jederzeit neu orientieren und unter bestimmten Voraussetzungen eine Belastungsgrundentscheidung ersetzen, ändern oder aufheben, was das BVerfG unter dem Stichwort des „Systemwechsels“147 zusammenfasst.148 Falls eine Belastungsgrundentscheidung eindeutig149 festgestellt werden kann, muss schließlich deren Relation zum Ausgangsfall geklärt werden. Bei einer Abweichung liegt eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor.150 c)

Unterscheidung von Abweichung und bloßer Modifikation der Belastungsgrundentscheidung

Die rechtliche Behandlung des Sachverhalts, der von der hinsichtlich des Folgerichtigkeitsgebots zu überprüfenden Vorschrift geregelt wird, kann nicht als Abweichung von der Belastungsgrundentscheidung erscheinen, sondern als deren Bestandteil oder bloße „Modifikation“151 der Grundentscheidung. Es stellt sich das Problem, ob und anhand welcher Kriterien die Abgrenzung vorgenommen werden kann. Diese Problematik existiert auch im Zusammenhang mit den Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Einkünften aus Kapitalvermögen.152

146

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 5 Rn. 180 m. w. N.: Diese Begrifflichkeit meint, dass der Gesetzgeber „nicht nur den Anwendungsbereich der bevorzugenden Norm ausdehnen“ kann, sondern „vielmehr […] er auch die günstige Regelung, die bisher nur für die bevorzugte Vergleichsgruppe gilt, gänzlich abschaffen oder eine neue Regelung für alle Vergleichsgruppen treffen [könnte]“. 147 Siehe die Nachweise bei Fn. 113. 148 Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 29 f. 149 Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 145: „Deshalb kommt ein nicht eindeutiges Prinzip als Vergleichsgegenstand ebenso wenig in Betracht wie eine nicht bestimmte oder nicht bestimmbare gesetzliche Regelung“; kritisch zur Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots bei einer „undeutlichen“, „interpretationsbedürftigen“ Ausgangsentscheidung Seiler, VVDStRL 75, S. 333 (341 f.). 150 Vgl. Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 30. 151 Für diese Begrifflichkeit im Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt, S. 6: Eine rechtfertigungsbedürftige Durchbrechung liege nicht vor, wenn sich die einkommensteuerliche Regelung „noch als eine Modifikation des Leistungsfähigkeitsmaßstabs im Rahmen der Folgerichtigkeit“ begreifen lasse. 152 Näher siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 1.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Stimmen aus dem Schrifttum gehen in diesem Fall nicht mehr von einer Anwendbarkeit der Folgerichtigkeitsprüfung aus, weil der Maßstab mit dem Kontrollgegenstand zusammenfallen würde.153 Die Differenzierung wird insbesondere bei einem gesetzlichen System, das sich aus mehreren Vorschriften eines Regelungsbereichs zusammensetzt, für unbestimmbar gehalten.154 Darin liegt ein häufiger Kritikpunkt am Folgerichtigkeitsgebot: Die Unterscheidung könne nicht rational, sondern allenfalls unter Einfluss der eigenen rechtspolitischen Vorstellungen getroffen werden.155 Diese Kritik ist ernst zu nehmen, denn sie rückt erneut die gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Systembildung und Systemprägung in den Vordergrund.156 Es lassen sich jedoch Kriterien sammeln, mit denen die Abgrenzung praktisch durchgeführt werden kann. Die Qualifizierung als „Modifikation“ oder Bestandteil der Belastungsgrundentscheidung ist nur bei einem sachlichen und systematischen Zusammenhang zuzulassen. Insofern wird eng an die gesetzgeberischen Entscheidungen angeknüpft. Diese strenge Konnexität ist notwendig, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sich der Normsetzer regelmäßig auf die Behauptung einer „Modifikation“ zurückzieht und so faktisch der Kontrolle entgeht.157 Die einzelne Vorschrift muss als Teil der Belastungsgrundentscheidung diese zumindest mit­ prägen und somit vergleichsweise – wofür wiederum die für diese Prüfungsstufe üblichen Wertungen anzustellen sind – gewichtig sein.158 Ansonsten könnte bei einem nicht mehr durchschaubaren Geflecht an einzelnen verteilten „Belastungsgrundentscheidungen“, die eine Folge von Umgehungsversuchen wären, keine sinnvolle Prüfung mehr vorgenommen werden. Es soll die „Atomisierung“ der Grundentscheidung in einzelne „Unterentscheidungen“ verhindert werden.159

153

Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 140; tendenziell auch Drüen, StuW 2008, 3 (10). In diese Richtung geht die Annahme von Thiemann, Verluste, S. 284 f. zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG, der zwar zu einer Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots gelangt, jedoch mit denkbar weiten Gestaltungsspielräumen: „Vor allem wenn es um die Umsetzung eines Grundgedankens in Detailbereichen geht, ist von erheblichen Spielräumen auszugehen […].“ 154 Hanebeck, Der Staat 2002, 429 (433 f., 447 ff.); Kischel, AöR 1999, 174 (206 f.). 155 Kischel, in: Mellinghoff / Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (184); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 154; Payandeh, AöR 2011, 578 (590 f., 595 f.). 156 Thiemann, Verluste, S. 207 f. 157 Vgl. Drüen, StuW 2008, 3 (10). 158 Allgemein im Zusammenhang mit Belastungsgrundentscheidungen auch Brückner, Folgerichtige Gesetzgebung im Steuerrecht und Öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 139. 159 Zutreffend Drüen, StuW 2008, 3 (10); Drüen, Ubg 2020, 241 (247); zuvor bereits Tipke, StuW 2007, 201 (209); diesen zustimmend Englisch, in: FS Lang, S. 167 (194); a. A. Thiemann, Verluste, S. 285, der bei der „Umsetzung eines Grundgedankens in Detailbereichen“ von weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielräumen ausgeht und damit diese „Unterentscheidungen“ zulässt.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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4. Verhältnis zwischen deskriptiv-normativem Ansatz und Folgerichtigkeitsgebot Die dogmatischen Ansätze, die der Feststellung einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung dienen, stehen in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis. Sie ergänzen sich einander mit dem Ziel, einen möglichst umfassenden Befund von der Ungleichbehandlung und dessen Intensität zu liefern. Dabei nimmt allerdings der deskriptiv-normative Ansatz eine hervorgehobene Stellung im Vergleich zum Gebot der Folgerichtigkeit ein. Trotz einer folgerichtigen Ausgestaltung kann eine Ungleichbehandlung vorliegen, die rechtfertigungsbedürftig ist.160 Denn die Grundentscheidung mag zwar folgerichtig umgesetzt sein, doch aus dieser Umsetzung können Differenzierungen entgegen dem Gleichbehandlungsgebot hervorgehen.161 Falls andererseits eine Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots festgestellt werden kann, muss dies trotzdem von einer weiteren Analyse flankiert werden.162 Erst damit kann das Gewicht der Ungleichbehandlung bestimmt und der Strengemaßstab im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung angepasst werden.163 Dieser Zusammenhang wird durch die Rechtsprechung des BVerfG bestätigt. Das BVerfG kennzeichnet das „Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und […] das Gebot der Folgerichtigkeit“ als „zwei eng miteinander verbundene Leitlinien“.164 Insbesondere im Einkommensteuerrecht – so das BVerfG – begrenzen das Leistungsfähigkeitsprinzip, das ein zentrales wertendes Element bei der Prüfung der Ungleichbehandlung sein kann, und das Folgerichtigkeitsgebot den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum.165

160

In diese Richtung Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 451; vgl. Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (114), der der folgerichtigen Ausgestaltung eines Steuergesetzes „allenfalls“ Indizwirkung zugesteht, dass keine Ungleichbehandlung vorliege. 161 Vgl. Dann, Der Staat 2010, 630 (633), der davon spricht, dass auch „konsequent diskriminiert“ werden könne. 162 Vgl. Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (114). 163 Siehe ausführlich zu diesem gleitenden Maßstab entsprechend der Intensität der Ungleichbehandlung 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). und 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 164 So etwa BVerfG v. 6. 3. 2002  – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); v. 21. 6. 2006  – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180); v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (120); v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (277 f.). In der jüngeren Rechtsprechung findet sich diese Formulierung nicht mehr, vgl. BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 99 f.). 165 Drüen, Ubg  2020, 241 (247) stimmt der Formulierung des BVerfG zu; kritisch Hey, StuW 2015, 3 (7), weil diese Bezeichnung „die Stellung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG im Dunklen“ ließe.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen An die Feststellung einer Ungleichbehandlung anhand der vorgestellten dogmatischen Ansätze schließt sich die Frage nach deren verfassungsrechtlicher Rechtfertigung an. Bei der Prüfung einer konkreten steuerrechtlichen Norm müssen zwei Sichtweisen strikt unterschieden werden, weil sich daran verschiedene Rechtfertigungsanforderungen anschließen können.166 Folgende Differenzierung ist für das Steuerrecht grundlegend: Einerseits kann die Rechtsnorm ein bereichsspezifisches Prinzip der Steuerlastverteilung (sogenannte Belastungsgrundentscheidung oder synonym auch Steuerlastausteilung) ausbilden.167 Andererseits kann die Einzelnorm von einem vorher gebildeten Maßstab einer Lastenausteilung abweichen.168 Das BVerfG greift diese Unterscheidung in dem Gebot der Folgerichtigkeit auf.169 Der Gesetzgeber – so das BVerfG – hat bei der Ausgestaltung eines Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen. Bei den Verlustverrechnungsbeschränkungen des § 20 Abs. 6 EStG sind sich Rechtsprechung und Literatur nicht einig, ob die Beschränkungen aus der einen oder der anderen Perspektive betrachtet werden müssen.170 Diese Tatsache macht es erforderlich, zunächst die Grundlagen zu beleuchten. In anderen Rechtsgebieten hat diese Abgrenzung überwiegend keine hervor­ gehobene Bedeutung. Denn dort geht es hauptsächlich um die bloße Frage, ob der Gesetzgeber mit Blick auf die ratio legis eine Differenzierung angesichts mög­licher, für die Verwirklichung des Sinn und Zwecks relevanter Unterschiede vornehmen durfte.171 Der Bedarf für eine derartige bereichsspezifische Konkretisierung ist nicht so hoch, da sich Probleme bereits mit der allgemeinen Herangehensweise lösen lassen. Für ein besseres Verständnis der bereichsspezifischen Konkretisierungen im Steuerrecht ist zunächst auf die Rechtsprechung, die nicht das Steuerrecht betrifft, einzugehen.

166

P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (7 f.); Thiemann, Verluste, S. 128 ff. Kritisch Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (243 f.), der durch unterschiedliche Kontrolldichten wiederum die Gefahr von Ungleichheiten befürchtet. Die Differenzierung widerspreche der universellen Geltung der Freiheitsgrundrechte, des Gleichheitssatzes und des Rechtsstaatsprinzips. 167 Näher siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. b). 168 Siehe dazu 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 169 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (271); v. 5. 11. 2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 (Rn. 41); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100); st. Rspr. 170 Die Mehrheit plädiert im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für eine Durchbrechung eines Steuerlastverteilungsprinzips, z. B. Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 175; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 204 ff.; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). A. A. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51); in diese Richtung geht auch die Annahme von Thiemann, der bezüglich § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG von einer „grundsätzlichen Steuerwürdigkeitsentscheidung“ mit „erheblichen Spielräumen“ des Gesetzgebers ausgeht, Thiemann, Verluste, S. 284 f. Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. I. 1. 171 Thiemann, Verluste, S. 129.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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1. Generelle Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes Die Anforderungen, an denen eine durch Gesetz bewirkte Ungleichbehandlung zu messen ist, unterlagen in der allgemeinen Judikatur des BVerfG einer stetigen Weiterentwicklung.172 Die Entwicklung führte von einer Überprüfung auf bloße Verstöße gegen das Willkürverbot173 hin zur sogenannten „Neuen Formel“174 mit strengeren Bindungen an „Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte“175. Dieses zunächst „grob angelegte binäre Maßstabsbildungssystem“176 wurde weiter ausdifferenziert und ist ausdrücklich in eine stufenlose, am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierten Maßstabsbildung gemündet.177 Im Kern hat das BVerfG folgende drei Kriterien (mit jeweils sprachlichen Variationen) herausgefiltert, die zu einer strengeren Prüfung führen: „Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben […]. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind […] oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern […].“178 Diese maßstabsver-

172 Dieser wird ein Verlauf ohne weitgehende Brüche attestiert, siehe Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 23; Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 335; P. Kirchhof, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 296. 173 Als Ausgangspunkt der st. Rspr. formulierte das BVerfG knapp: „Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß.“ Grundlegend BVerfG v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (52). Es sei nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber „jeweils die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung“ getroffen habe, sondern nur, ob diese „äußersten Grenzen“ gewahrt seien, z. B. BVerfG v. 17. 3. 1959 – 1 BvL 44/56, BVerfGE 9, 201 (206); v. 12. 5. 2009  – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (127); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 53); st. Rspr. 174 Erstmals formulierte das BVerfG in seinem Beschluss v. 7. 10. 1980  – 1 BvL 50/79, BVerfGE 55, 72 (88): „Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“ 175 BVerfG v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38/92, BVerfGE 88, 87 (96). 176 Britz, NJW 2014, 346 (347); in Anschluss an diese Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 99. 177 Rspr. des Ersten Senats seit BVerfG v. 21. 6. 2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (68 f.). Es erfolgte die Übernahme dieser Rspr. durch den Zweiten Senat in BVerfG v. 15. 12. 2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 (Rn. 93); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 96); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 52); v. 22. 3. 2022 – 1 BvR 2868/15 (juris Rn. 122). 178 BVerfG v. 17. 12. 2014  – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 121 f.); v. 10. 4. 2018  – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 104); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 111); v. 22. 3. 2022 – 1 BvR 2868/15 (juris Rn. 123); st. Rspr. BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 54) erwähnt in Abweichung dazu das letzte Kriterium nicht, führt als Nachweis aber trotzdem u. a. die Entscheidung des Ersten Senats vom 8. 7. 2021 an.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

schärfenden Kriterien sind allerdings nicht abschließend und eine Herausbildung neuer Gesichtspunkte ist denkbar.179 Das BVerfG begreift das Willkürverbot als Ausprägung einer einheitlichen Maßstabsbildung, die am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert ist.180 Dabei erfolgt die Integration des Willkürverbots als besonders großzügige Rechtfertigungsanforderung in die nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erfolgende Maßstabsbildung.181 Das Willkürverbot steht damit am unteren Ende der gleitenden Skala und stellt keine eigene Kategorie mehr da.182 Die Strenge des Prüfungsmaßstabs kommt in den Anforderungen an das materielle Gewicht des Rechtfertigungsgrunds zum Ausdruck und im Übrigen darin, wie genau die Belastbarkeit eines Differenzierungsgrunds überprüft wird.183 Das Strengemaß ist folglich eine Frage der Kontrolldichte.184 Die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes erweist sich in der Rechtsprechung des BVerfG je nach betroffenem Rechtsgebiet als vielgestaltig und mit sehr variablen Differenzierungen der jeweiligen Kontrollmaßstäbe.185 2. Bereichsspezifische Konkretisierungen im Steuerrecht a) Keine pauschale Verschärfung des Maßstabs im Steuerrecht Außerhalb des Steuerrechts führen die genannten Kriterien186 häufiger zu einem strengen (mit erhöhten Begründungsanforderungen einhergehenden) Prüfungsmaßstab.187 Dagegen führen diese Fallgruppen bei der Kontrolle steuerrechtlicher 179

BVerfG v. 21. 6. 2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (69): „insbesondere“; Epping, Grundrechte9, Rn. 811; Britz, NJW 2014, 346 (349); Eichberger, in: FS Bundesfinanzhof, S. 501 (506). 180 Britz, NJW 2014, 346 (347); Döring / Garz, FR 2021, 834 (836); Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 335. 181 Britz, NJW 2014, 346 (347); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 445a. A. A. Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 187, der sich gegen das Verständnis des Willkürverbots als abgeschwächte Verhältnismäßigkeitsprüfung ausspricht, weil es ein aliud darstelle und es ein „Relikt innenrechtstheoretischer Ansätze“ sei, die das BVerfG „zu Recht überwunden“ habe. Kritisch auch Thiemann, Verluste, S. 136 f., der für die Beibehaltung der Trennung von Willkürmaßstab und strengerer Prüfung plädiert und eine „Universalformel“ ablehnt. 182 Nußberger, in: Sachs9, GG, Art. 3 Rn. 33; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 445a. 183 Vgl. z. B. BVerfG 7. 7. 2009 – 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, 199 (224 ff.); v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, BVerfGE 130, 131 (143 f.); v. 7. 5. 2013  – 2 BvR 909/06, BVerfGE 133, 377 (Rn. 89 ff.). 184 Britz, NJW 2014, 346 (350 f.); Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (111). 185 Nußberger, in: Sachs9, GG, Art. 3 Rn. 37. 186 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 1. 187 Vgl. z. B. BVerfG v. 7. 2. 2012 – 1 BvL 14/07, BVerfGE 130, 240 (254 f.) wegen der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als kaum verfügbares Merkmal und der Betroffenheit des verfassungsrechtlichen Elternrechts; v. 27. 7. 2016  – 1 BvR 371/11, BVerfGE 142, 353

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Normen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes mittlerweile seltener zu einer Maßstabsverschärfung.188 Ein ergänzendes Kriterium zur verschärften verfassungsrechtlichen Überprüfung von Steuergesetzen könnte deshalb das Folgerichtigkeitsgebot sein. Davon geht der BFH in seinem Vorlagebeschluss zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a. F. (jetzt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG n. F.) aus.189 Dieses zieht der BFH als maßstabsverschärfenden Grund neben der Auswirkung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten heran, die für eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung sprechen. Teile des Schrifttums fassen diese Funktion als Kerngehalt des Gebots der Folgerichtigkeit auf.190 Kischel kritisiert insbesondere das BVerfG in seiner Auslegung des Folgerichtigkeitsgebots, das bei dessen Durchbrechung nicht stets verschärfte Rechtfertigungsanforderungen anlege.191 Dieser Ansicht zur maßstabsverschärfenden Funktion ist nicht zuzustimmen. Der geäußerten Befürchtung der Substanzlosigkeit des Gebots der Folgerichtigkeit ist mit dem hier vertretenen Verständnis vom Folgerichtigkeitsgebot als Instru­ment zur Strukturierung der Gleichheitsprüfung begegnet.192 Damit können Ungleich­ behandlungen vollständig bestimmt werden. Des Weiteren ist der Ansicht entgegenzuhalten, dass sie zu einer starren und formalistischen Prüfung führen würde. Allein die Feststellung einer Folgewidrigkeit sagt noch nichts über den Charakter und die Gewichtigkeit der Ungleichbehandlung aus.193 Dem entspricht die jüngere Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG, der von keinem maßstabsverschärfenden Potential des Folgerichtigkeitsgebots aus(Rn. 71) wegen der Berührung des Selbstbestimmungsrechts des Kinds aus Art. 2 Abs. 1 GG, des Grundrechts auf freie Gestaltung des familiären Zusammenlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie des Lebensalters als nicht verfügbares Merkmal. 188 Exemplarisch BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 119 ff.). Zu diesem Befund kommt die Analyse bei Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (281 ff.). 189 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). 190 Kischel, in: Mellinghoff / Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (185); Lenhart, BB 2021, 2070 (2073); Thiemann, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 179 (189 f.). A. A. ausdrücklich Hey, StuW 2015, 3 (9): Das Folgerichtigkeitsgebot „verengt lediglich das Spektrum möglicher Differenzierungsgründe entsprechend der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung“; Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 462 ff., 506 f.; ohne nähere Begründung zudem Hey, DStR 2009, 2561 (2566). 191 Kischel, in: Mellinghoff / Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (185): „Ohne verschärfte Rechtfertigungsanforderungen aber bleibt die Folgerichtigkeit seltsam substanzlos.“ Zustimmend Drüen, JZ 2010, 91 (93). A. A. Hey, DStR 2009, 2561 (2566), die sich gegen eine Verschärfung der Anforderungen an die Rechtfertigung „per se“ ausspricht. 192 Ebenso Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, S. 111 für die Beschränkung des Systemgedankens auf die Strukturierung der Gleichheitsprüfung; Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (280 f.); insofern zutreffend auch Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 453, 506 f., der jedoch generell von einer schwächeren Stellung des Folgerichtigkeitsgebots ausgeht. 193 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 4.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

geht.194 Stattdessen entwickelt er in neueren Entscheidungen ein weiteres Merkmal zur Verschärfung des Maßstabs und trägt den Anforderungen der Rechtssicherheit an ein solches Kriterium Rechnung. Der Senat formuliert erstmals in der Entscheidung zur Erbschaftsteuer im „Maßstäbeteil“195 in Bezug auf die Abweichung von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung: „Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.“196 Dieses neue, eigenständige Kriterium, das die oben genannten drei Kriterien erweitert, führte zu einer strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit.197 In den Entscheidungen zur Grunderwerbsteuer kommt dem Folgerichtigkeitsgebot erneut keine Bedeutung bei der Maßstabsbildung zu.198 Stattdessen greift der Senat wiederum auf die erwähnten Kriterien zurück, die er neuerdings um das vierte erweitert. Der Erste Senat setzt in den Urteilen zur Grundsteuer und Gewerbesteuer seine neue Linie mit der Intensität der Ungleichbehandlung als entscheidendem Kriterium fort. Er spricht davon, dass „die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit dem Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast insgesamt [steigen].“199 In dieser sprachlichen Variante liegt jedoch keine inhaltliche Änderung oder eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, sondern eine Konkretisierung, was im Urteil durch die Verweise auf die Entscheidungen zur Erbschaftsteuer und zur Grunderwerbsteuer deutlich wird.200 Ein Kammerbeschluss vom 18. 7. 2019201 und der Beschluss zur Übernachtungsteuer202 sind in ihrem Wortlaut mit der erwähnten Passage aus den zwei Entscheidungen identisch. Die Rechtsprechung des Zweiten Senats lässt diese Frage in der Entscheidung zu § 8c KStG noch offen.203 Es kann aber eine Tendenz in Richtung der neueren Rechtsprechung des Ersten Senats zum maßstabsverschärfenden Kriterium des

194 Dazu näher die ausführliche Analyse bei Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (293 ff.). 195 Das BVerfG untergliedert seine Entscheidungen häufig in einen „Maßstäbeteil“ und einen „Subsumtionsteil“, Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (168 ff.). 196 BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 123). Zuvor deutete der Senat in der Entscheidung zur Luftverkehrsteuer ergänzend im Rahmen der Subsumtion das Merkmal an, BVerfG v. 5. 11. 2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 (Rn. 56 f.). 197 BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 128 ff.). 198 BVerfG v. 24. 3. 2015 – 1 BvR 2880/11, BVerfGE 139, 1 (Rn. 41); v. 23. 6. 2015 – 1 BvL 13/11, BVerfGE 139, 285 (Rn. 72). 199 BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147 (Rn. 96); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105). 200 Ebenso Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (297). 201 BVerfG v. 18. 7. 2019 – 1 BvR 807/12 (juris Rn. 28). 202 BVerfG v. 22. 3. 2022 – 1 BvR 2868/15 (juris Rn. 124). 203 BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106. Für diesen Befund auch Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (299).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Umfangs und Ausmaßes der Abweichung festgestellt werden.204 Der Zweite Senat spricht zwar bei „Art und Ausmaß“ der Ungleichbehandlung nicht ausdrücklich dessen entscheidende Bedeutung für die Maßstabsbildung an. Im Verweis zitiert er allerdings die bedeutende Randnummer aus dem Urteil zur Grundsteuer (BVerfGE 148, 147 [Rn. 96]), die den Kern der neuen Rechtsprechungslinie des Ersten Senats darstellt.205 Somit kann eine Annäherung des Zweiten Senats konstatiert werden. Damit beschränkt sich die Bedeutung des Folgerichtigkeitsgebots richtigerweise auf die Strukturierung der ersten Ebene, bei der das Vorliegen einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung zu prüfen ist.206 Insofern nimmt es eine gewichtige Rolle zur vollständigen Erfassung der Ungleichbehandlungen ein. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG ist das Kriterium des Umfangs und Ausmaßes der Ungleichbehandlung („die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund [steigen] mit dem Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast insgesamt“207) in die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs aufzunehmen.208 Diese vierte Fallgruppe leistet vor allem im Steuerrecht einen Beitrag zur Rationalisierung der Überprüfung von Ungleichbehandlungen. Insoweit ist zu beachten, dass das neue Kriterium dieses Potential nur entfalten kann, wenn es zurückhaltend mit Rücksicht auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gehandhabt wird.209 Ansonsten besteht die Gefahr, dass fast jede Ungleichbehandlung strengen Maßstäben unterworfen wird und die Merkmale jegliche Unterscheidungskraft verlieren. b) Ausbildung eines Prinzips gleichheitsgerechter Lastenausteilung: Willkürkontrolle Bei der Herausbildung eines steuerspezifischen Verteilungsmaßstabs kann nur das Verbot bloßer Willkür gelten.210 Dieser zurückgenommene Kontrollmaßstab bei einer Belastungsgrundentscheidung ist damit zu begründen, dass mangels geeigneter Vergleichsfälle ein Anknüpfungspunkt für eine strenge gleichheits 204

BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100). BVerfG v. 19. 11. 2019  – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100); jüngst BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 56). 206 Ebenso Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, S. 111; Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (280 f.). 207 BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147 (Rn. 96); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105); v. 18. 7. 2019 – 1 BvR 807/12 (juris Rn. 28). 208 Ebenso Wernsmann, DVBl 2015, 1085 (1090); a. A. Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 187 f. 209 So auch Britz, NJW 2014, 346 (349) für die Anwendung der anderen drei maßstabsverschärfenden Kriterien. 210 Huster, Rechte und Ziele, S. 226 f.; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 90; P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (7 f.); Thiemann, Verluste, S. 125 f., 153 f. m. w. N. Kritisch zu den unterschiedlichen Kontrolldichten Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (243 f.). 205

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

grundrechtliche Prüfung fehlt.211 Deshalb ist besonderer Respekt vor der Ausgangsentscheidung des Steuergesetzgebers geboten. Im Rahmen der Grenze der Willkür muss ein Differenzierungskriterium akzeptiert werden, wenn es nicht „von vornherein undenkbar ist“, dass es auf einer „nachvollziehbaren Gerechtigkeitsvorstellung beruht“.212 Ein bedeutendes Kriterium für „Gerechtigkeit“ ist die Orientierung am Leitgedanken einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.213 Der Gleichheitssatz verlangt insofern eine nicht willkürliche Ausformung des Gedankens einer differenzierten Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dem Leistungsfähigkeitsprinzip kommt hier die Funktion eines „negativen Evidenz­ kriteriums“ zu, das bestimmte steuerliche Konzepte als unakzeptabel aussondert.214 Dieser mit Rücksicht auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum großzügig zu handhabende Filter greift, wenn für die Norm keine hinreichend gerechte Begründung gefunden werden kann. Dem entspricht die Aussage des BVerfG, dass der Gesetzgeber nicht die gerechteste oder vernünftigste Lösung wählen muss, sondern eine unabhängig von Sonderinteressen noch akzeptable Lösung.215 Im Grundsatz lässt sich immer über die Gerechtigkeit und Akzeptanz eines Lösungsvorschlags diskutieren.216 Deshalb darf nur einer demokratisch legitimierten, parlamentarischen Entscheidung, die unter keinen Gesichtspunkten mehr als gerecht angesehen werden kann, nicht mehr der Vorrang eingeräumt werden.217 Erst bei einem „substantiellen Gerechtigkeitsdefizit“218 darf interveniert werden. Das ist der Fall, wenn ein „vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender“ oder „sonstwie sachlich einleuchtender Grund“ für die Differenzierung nicht gefunden werden kann.219 Es genügt allerdings Willkür im objektiven Sinne, das heißt die eindeutige und tatsächliche Unangemessenheit der Regelung bezüglich des zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstands.220 Im Schrifttum sind Ansätze zu beobachten, die für nicht willkürliche Differenzierungen verlangen, dass sie zur Verwirklichung relativ gewichtiger Rechtsprin 211 Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (630 f.); P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (10); Rügamer, Verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 25 f.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 520a. 212 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 90; zustimmend Thiemann, Verluste, S. 153. 213 Thiemann, Verluste, S. 153 f., der die bloße „Orientierung“ an diesem Prinzip besonders hervorhebt. Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 373 f.: Dem Leistungsfähigkeitsprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab müsse ein „hervorgehobener Status eingeräumt werden“. 214 Thiemann, Verluste, S. 154. 215 BVerfG v. 7. 10. 1980 – 1 BvL 50/79, BVerfGE 55, 72 (90); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 97); st. Rspr. 216 Vgl. P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (7 f.). 217 P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (7 f.); Thiemann, Verluste, S. 152 f. 218 Thiemann, Verluste, S. 132. 219 BVerfG v. 12. 10. 1951 – 1 BvR 201/51, BVerfGE 1, 14 (52); v. 5. 10. 1993 – 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132 (141). Vgl. mit leichten Abwandlungen BVerfG v. 8. 4. 1987 – 2 BvR 909/82, BVerfGE 75, 108 (158); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 101). 220 BVerfG v. 16. 3. 1955 – 2 BvK 1/54, BVerfGE 4, 144 (155); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 101).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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zipien erforderlich und angemessen sein müssen.221 Diesen Umgehungsversuchen ist zu widersprechen. Es wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der ihm wie oben gesehen zwingend zuzugestehen ist, missachtet, indem der Willkürprüfung bestimmte zu weitgehende Wertungen und Elemente der Verhältnismäßigkeit untergeschoben werden. Von der Gestaltungsfreiheit bliebe bei diesem Verständnis nichts mehr übrig. Die Zurückhaltung beim Kontrollmaßstab darf jedoch auch umgekehrt nicht dahingehend überdehnt werden, dass dem Gesetzgeber absolute Freiheit bei der Herausbildung eines steuerspezifischen Verteilungsmaßstabs eingeräumt wird. Die Annahme, der Gleichheitssatz sei nicht betroffen, solange der gewählte Verteilungsmaßstab – egal wie er ausgestaltet ist – nur gleichmäßig zur Anwendung gebracht wird, ist zu weitgehend.222 Die Offenheit des Gleichheits­ satzes und die Forderung nach dem Gebot des judicial self restraint223, das dem Gewaltenteilungsgrundsatz entlehnt ist, würden hier missverstanden.224 c)

Abweichung vom Maßstab einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung: Gleitender Maßstab

Bei Durchbrechungen eines durch den Gesetzgeber selbst gesetzten, gleichheitsgrundrechtlich akzeptablen Maßstabs der Lastenverteilung ist richtigerweise eine Prüfung mit gleitendem Maßstab entsprechend der Intensität der Ungleichbehandlung notwendig.225 Die Ungleichbehandlung kann durch Gründe gerechtfertigt werden, die angesichts des Umfangs der Abweichung vom Prinzip der gerechten Steuerlastverteilung „hinreichend gewichtig“ sind.226 Es muss der Umfang der Durchbrechung mit dem Rang des mit der Durchbrechung verfolgten Ziels 221

Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (244). Dieser verweist für seine Sichtweise auf Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 187. Englisch möchte aber nicht die Willkürprüfung im beschriebenen Sinn modifizieren, sondern lehnt diese ab und plädiert für die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. 222 Vgl. Thiemann, Verluste, S. 150, der das ebenfalls ablehnt. 223 Vgl. BVerfG v. 31. 7. 1973 – 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1 (14); Sondervotum Rupp-v. Brünneck / Simon zu BVerfG v. 25. 2. 1975 – 1 BvF 1/74, BVerfGE 39, 1 (69 f.). Zur amerikanischen Judikatur Kriele, in: Isensee / K irchhof, HStR IX3, § 188 Rn. 6, 9 ff. 224 Vgl. Bryde / Kleindiek, Jura 1999, 36 (38); Hey, DStR 2009, 2561 (2568) zum Gebot des judicial self-restraint, das „kein Recht zur Irrationalität“ beinhalte; Thiemann, Verluste, S. 150. 225 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 30; Thiemann, Verluste, S. 155 ff., 161; generell kritisch Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (243 f.). A. A. Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 356 ff., der sich im Zusammenhang mit steuerlichen Lenkungsnormen für eine großzügige, lediglich durch das Willkürverbot begrenzte Prüfung ausspricht. Anders auch BVerfG v. 20. 4. 2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 zur Ökosteuer, in der das BVerfG die gewichtige Durchbrechung einer zuvor getroffenen Belastungsgrundentscheidung anhand sehr großzügiger Maßstäbe überprüft; mit zutreffender Kritik an dieser Entscheidung Wernsmann, NVwZ 2004, 819 (820 f.). 226 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 27 ff.; Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 37; Thiemann, Verluste, S. 161.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

abgewogen werden.227 Für diese weitergehenden Eingrenzungen spricht, dass der Normsetzer ansonsten das Prinzip einer der Leistungsfähigkeit entsprechenden Besteuerung weitgehend außer Kraft setzen könnte.228 Das gilt insbesondere in Hinsicht auf Lenkungszwecke, auf die er sich mit pauschaler Begründung angesichts der fast grenzenlosen Zahl an Lenkungszielen zurückziehen könnte.229 Dies würde zu dem nicht sachgerechten Ergebnis führen, dass eine „Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips unbeschränkt möglich“ wäre.230 Außerdem lässt sich anführen, dass im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes die vom Gesetzgeber getroffene Grundentscheidung selbst einen gewichtigen Wert erhält.231 Mit dieser gesetzlichen Fundierung legt er fest, dass seine Belastungsgrundprinzipien gerecht sind, und bindet sich insofern selbst daran.232 Diese Selbstbindung setzt der Gleichheitssatz mit seiner Forderung nach gleichmäßiger Realisation durch. Nach Birk hat die übereinstimmende Behandlung mit den Prinzipien einen „verfassungsrechtlichen Eigenwert“, der nicht beliebig unter Berufung auf andere Zwecke weichen muss.233 Eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich abzulehnen, weil die die Verhältnismäßigkeit kennzeichnende Zweck-Mittel-Relation der Besonderheit des Gleichheitsbegriffs nicht gerecht wird.234 Nur im Rahmen der steuerlichen Lenkungsnormen lässt sich diese ausnahmsweise anwenden.235 Dem entspricht die Rechtsprechung des BVerfG, nach der es eines „besonderen sachlichen Grundes“ bedarf, wenn der Gesetzgeber eine hinsichtlich der Lasten-

227 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 30; Thiemann, Verluste, S. 161, 184 f. Für eine gleichheitsgrundrechtliche Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit plädieren Huster, Rechte und Ziele, S. 242 ff.; Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 97 (Oktober 1992); Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 889 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1567 ff.) m. w. N. 228 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 222. 229 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 237; Thiemann, Verluste, S. 157; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 222. 230 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 222; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 237 ist der Ansicht, dass „die Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips […] damit praktisch aus den Angeln gehoben [wäre]“. Zustimmend auch Thiemann, Verluste, S. 157 m. w. N. 231 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 239; Huster, Rechte und Ziele, S. 371; Thiemann, Verluste, S. 158. 232 P. Kirchhof, StuW 2017, 3 (8); Thiemann, Verluste, S. 158. 233 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 240; Huster, Rechte und Ziele, S. 240 f., 372 spricht von einem „gewisse[n] ‚Schwellengewicht‘“. Zustimmend Thiemann, Verluste, S. 158. 234 BVerfG v. 22. 3. 1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (367); Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 189; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 383 ff. Sehr kritisch zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen Bryde / Kleindiek, Jura 1999, 36 (38); Heun, in: Merten / Papier, Handbuch der Grundrechte, § 34 Rn. 44; Sachs, in: FS Friauf, S. 309 (310). 235 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 237 ff. Siehe 2. Teil 3. Kapitel  § 9 B. II. 3. c).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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austeilung getroffene Grundentscheidung durchbricht.236 Das Gericht stellt eine Abwägung im konkreten Einzelfall an, in der die Abweichung vom Ausgangstatbestand gewichtet wird.237 Eine vollständige, schematische Prüfung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nimmt das Gericht aber grundsätzlich nicht vor.238 Schließlich könnte eine Entscheidung des BVerfG239 so gedeutet werden, dass immer zunächst im Rahmen der Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs im Sinne einer „Anwendbarkeit“ der Stufenlos-Rechtsprechung festgestellt werden muss, ob eine „dogmatisch so komplexe Streitfrage“ vorliegt, die nur am Willkürverbot geprüft werden darf.240 Der Zweite Senat hielt ein steuerrechtliches temporäres Verbot der Bildung von Rückstellungen für Zuwendungen anlässlich künftiger Dienstjubiläen an Arbeitnehmer (sogenannte Jubiläumsrückstellungen) für verfassungsgemäß und hat dabei seine Prüfungskompetenz zugunsten der Willkürformel erheblich zurückgenommen. Das BVerfG teilt nicht die Überzeugung des vorlegenden X. Senats des BFH241 von der Verfassungswidrigkeit. So soll die Entwicklung „‚überzeugende[r]‘ dogmatische[r] Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable Tatbestandsausgestaltung“ dem Gesetzgeber und der Fachgerichtsbarkeit überlassen bleiben.242 Es sei nicht Sache des BVerfG, „die ‚Richtigkeit‘ von Lösungen komplexer dogmatischer Streitfragen […] zu kontrollieren und zu gewährleisten“.243 Nach Wertung des BVerfG ist der Gesetzgeber mit dem Verbot der Bildung von bestimmten Rückstellungen nicht von einer strikten einkommensteuerlichen Grundentscheidung abgewichen, sondern von einem inkonsistenten Subsystem, einer „entwicklungsoffenen Leitlinie“.244 236

BVerfG v. 30. 9. 1998  – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); v. 6. 3. 2002  – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 123); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100); st. Rspr. 237 Vgl. BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 123); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105). 238 Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 106 belegt, dass sich lediglich vereinzelt eine volle Verhältnismäßigkeitsprüfung nachweisen lässt, z. B. BVerfG v. 27. 7. 2016 – 1 BvR 371/11, BVerfGE 142, 353 (Rn. 71 f.); v. 18. 7. 2005 – 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167 (231 ff.). 239 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111. 240 Hey, DStR 2009, 2561 (2565) und Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (629) deuten die Entscheidung so, dass das BVerfG sein bisheriges Zweistufenmodell um eine dritte Stufe erweitert. 241 BFH v. 10. 11. 1999 – X R 60/95, BStBl II 2000, 131. 242 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123). 243 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123). 244 BVerfG v. 12. 5. 2009  – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123 f.). Zustimmend Buciek, FR 2009, 877 (877 f.); Thiemann, Verluste, S. 204 f.; Werth, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 93 (102 f.). Ablehnend mit scharfer Kritik Schulze-Osterloh, in: FS Lang, S. 255 ff., der dem BVerfG den Vorwurf einer fehlenden „Kenntnis der Grund­ lagen der doppelten Buchführung“ macht, weshalb es bei der Überprüfung der bilanzrechtlichen Normen zu einer bloßen Willkürprüfung gelangt sei (ebd., S. 257). Ebenso ablehnend Englisch, in: FS Lang, S. 167 (203 ff.); Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (247 ff.); Hey, DStR 2009, 2561 (2564 ff.); Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (628 ff.); Schlotter, BB 2009, 1411 (1411 f.).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Diese verfassungsgerichtliche Entscheidung wirft einerseits Fragen zur Übertragbarkeit auf und ist andererseits inhaltlich zu kritisieren. Es ist grundsätzlich fraglich, ob diese Rechtsprechung auf Bereiche außerhalb des Vorlagefalls und der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung übertragbar ist. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe gegen eine Übertragung auf andere Konstellationen und gegen die generelle Absenkung der Kontrolle auf das Willkürverbot. Dafür könnten zwar zunächst die teils einschränkungslosen Formulierungen aus dem Beschluss sprechen. Der Senat beschränkt sich bei der Frage, ob eine komplexe dogmatische Streitfrage vorliegt, nicht ausschließlich auf das Unternehmensteuerrecht, sondern zählt im Subsumtionsteil lediglich beispielhaft das Steuerbilanzrecht als ein derartiges Fachgebiet auf.245 Außerdem führt er aus: Eine beanstandete Norm „verletzt nur dann das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen, wenn sich kein sachlicher Grund für diese Abweichung finden lässt, die einfachgesetzliche ‚Ausnahmevorschrift‘ also als willkürlich zu bewerten ist“.246 Der Senat wiederholt die Gleichsetzung von „sachlichem Grund“ und Willkürformel in dem Beschluss mehrfach.247 Gegen eine Ausweitung der Entscheidung zu den Jubiläumsrückstellungen spricht aber, dass diese von der bisherigen Rechtsprechung abweichenden Wendungen nur im Subsumtionsteil und nicht im Maßstäbeteil erfolgen und insofern das Gewicht der Ausführungen deutlich geringer ist.248 Die Formulierung weicht ohne nähere Begründung und ohne eine Herleitung dieser Behauptung („also“) von der gefestigten Rechtsprechung249 des BVerfG – die der Zweite Senat sogar selbst im Maßstäbeteil zitiert250 – ab, nach der Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung einer einmal getroffenen Belastungsgrundentscheidung eines „besonderen sachlichen Grundes“ bedürfen.251 245

BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123): Es sei nicht Aufgabe des BVerfG, „die ‚Richtigkeit‘ von Lösungen komplexer dogmatischer Streitfragen, wie sie für manche Bereiche des Steuerbilanzrechts und jedenfalls für den Bereich der Rückstellungen typisch sind, zu kontrollieren und zu gewährleisten“. (Hervorhebung nur hier.). 246 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (122). (Hervorhebung nur hier.). 247 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (126): „[…] ob die vom Gesetzgeber verfolgten fiskalischen Gründe […] für sich genommen bereits als hinreichend sachlich oder sonstwie einleuchtend im Sinne der Willkürformel zu werten sind“. BVerfGE 123, 111 (128): „Der allgemeine Gleichheitssatz schränkt jedoch diese Befugnis des Gesetzgebers über ein dem Willkürverbot entsprechendes allgemeines Sachlichkeitsgebot hinaus nicht ein.“ Kritisch Drüen, JZ 2010, 91 (93). 248 Vgl. Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (171) sowie Lepsius, in: FS Lerche, S. 103 (111 f.), der feststellt, dass subsumierende Aussagen „höchst selten“ auf die Fortentwicklung der Maßstäbe einwirken. 249 BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (290); v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (126); v. 15. 1. 2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (29 f.). 250 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (121). 251 Drüen, JZ 2010, 91 (93).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Außerdem weist die entschiedene Konstellation Besonderheiten auf, die keine Verallgemeinerungen zulassen.252 Zum einen ging der Entscheidung folgende längere, wechselvolle Rechtsprechungshistorie des BFH zur Zulässigkeit der Bildung von Jubiläumsrückstellungen voraus, die keine eindeutige dogmatische Linie erkennen ließ.253 Zu Beginn versagte der BFH die Bildung einer Rückstellung für Jubiläumszuwendungen an Arbeitnehmer.254 Später leitete der BFH eine Wende ein.255 Für rechtsverbindlich zugesagte Jubiläumszuwendungen musste handelsrechtlich eine Rückstellung in dem Umfang gebildet werden, als die Anspruchsvoraussetzungen durch die vergangene Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers erfüllt waren.256 Diese handelsrechtliche Passivierungspflicht wirkt sich nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die steuerliche Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG auch in der Steuerbilanz aus.257 Als Reaktion auf die geänderte Rechtsprechung des BFH hat der Gesetzgeber nach § 52 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. 7. 1988258 Jubiläumsrückstellungen erst für Anwartschaften steuerlich zugelassen, die nach dem 31. 12. 1992 erworben wurden (völlige Nichtanerkennung für die VZ 1988 bis 1992).259 Bis zu diesem Zeitpunkt erworbene Jubiläumsrückstellungen waren steuerlich über drei Jahre (1990, 1991, 1992) gewinnerhöhend aufzulösen. Aus der jahrzehntelang bestehenden, älteren Rechtsprechung des BFH leitet das BVerfG ab, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung nicht willkürlich handelte, weil die Gründe jener Rechtsprechung für die Unzulässigkeit von Jubiläumsrückstellungen nicht willkürlich im verfassungsrechtlichen Sinn waren.260 Zum anderen weist Hey auf die weitere Besonderheit hin, dass der Zweite Senat dem Normsetzer zugestehe, sich durch die Auflösung in der Vergangenheit gebildeter Rückstellungen „für eine strenge sachliche Gleichbehandlung aller noch nicht erfüllten Jubiläumszusagen als Ausgangspunkt für die Anwendung einer grundsätzlichen Neuregelung“ zu entscheiden.261 Diese Aussage des BVerfG ist sogleich inhaltlich zu kritisieren. Letztlich könnte noch der Hinweis von Stimmen aus dem Schrifttum, dass die Entscheidungen des BVerfG nur im Bereich des Unternehmensteuerrechts generell 252

Hey, DStR 2009, 2561 (2565 f.). Vgl. Werth, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 93 (99); zur Kritik aus der Literatur Hey, DStR 2009, 2561 (2566) m. w. N. 254 BFH v. 19. 7. 1960 – I 160/59 U, BStBl III 1960, 347; v. 18. 3. 1965 – IV 116/64 U, BStBl III 1965, 289. 255 BFH v. 5. 2. 1987 – IV R 81/84, BStBl II 1987, 845; in diese Richtung bereits BFH v. 7. 7. 1983 – IV R 47/80, BStBl II 1983, 753. 256 BFH v. 5. 2. 1987 – IV R 81/84, BStBl II 1987, 845 (juris Rn. 24 ff.). 257 Vgl. Krumm, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 5 Rn. 150 ff.; Lambrecht, in: Kirchhof / ​ Söhn / Mellinghoff, EStG, § 5 Rn. D 1 ff. 258 BGBl I 1988, 1093 = BStBl I 1988, 224. 259 BT-Drucks. 11/2536, 86. 260 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (126 ff.). 261 Hey, DStR 2009, 2561 (2566) verweist auf BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (127 f.). 253

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

von Zurückhaltung geprägt sind und der Beschluss sich in diese Linie einreiht, gegen eine Übertragung sprechen.262 Das Gericht räume dem Gesetzgeber einen nahezu unbeschränkten Entscheidungsspielraum im Bereich der Unternehmensbesteuerung ein.263 Dieses Argument dürfte jedoch mit Blick auf die Entscheidungen zum Verlustabzug nach schädlichem Beteiligungserwerb (§ 8c KStG)264 und zu den Übergangsregelungen bezüglich des Wechsels vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren gemäß § 36 Abs. 3, 4 KStG265 zu relativieren sein. Das BVerfG hat die streitgegenständlichen Normen und deren Wirkungen eingehend analysiert und als unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz angesehen. Von einer besonderen Zurückhaltung des Gerichts kann hier keine Rede sein. Neben der Frage, ob diese Rechtsprechung verallgemeinert werden kann, ist der Beschluss des Zweiten Senats jedoch inhaltlich zu kritisieren und im Ergebnis abzulehnen. Erstens führt die Entscheidung keine trennscharfen Unterscheidungsmerkmale an.266 Damit ist die Differenzierung praktisch undurchführbar. Das BVerfG entwickelt keine Kriterien für die Maßstabsbildung, wann eine Rechtsnorm eine „komplexe dogmatische Streitfrage“ mit der Folge einer bloßen Willkürprüfung betrifft.267 Es ist nicht eindeutig bestimmbar, wann ein Regelungskomplex als „zentrale Frage gerechter Belastungsverteilung“ zu qualifizieren ist und wann als lediglich „entwicklungsoffene Leitlinie“.268 Nur für ersteren Bereich soll das Folgerichtigkeitsgebot gelten. Das BVerfG argumentiert, dass die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung keine „strikte, einmal getroffene Belastungsgrundentscheidung“ sei, weil jene durch zahlreiche spezielle Normen eingeschränkt werde.269 Dem ist entgegenzuhalten, dass dies einem auf Inkonsequenz angelegten System Vorschub leistet. Der Gesetzgeber könnte Regelungsbereiche durch viele Sondertatbestände aufweichen und sich durch eigene Prinzipienlosigkeit zulasten der Steuerpflichtigen in die bloße Willkürprüfung flüchten.270

262 Für diesen Befund Schulze-Osterloh, in: FS Raupach, S. 531 (541), der exemplarisch BVerfG v. 26. 10. 2004 – 2 BvR 246/98, DStRE 2005, 877 nennt. Ebenso Drüen, JZ 2010, 91 (92); Schulze-Osterloh, in: FS Lang, S. 255 (261). 263 Schulze-Osterloh, in: FS Lang, S. 255 (261). 264 BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106. 265 BVerfG v. 17. 11. 2009 – 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1. 266 Englisch, in: FS  Lang, S. 167 (203); Hey, DStR  2009, 2561 (2566); Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (631). 267 BVerfG v. 12. 5. 2009  – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123) mit folgender abstrakter Formulierung: „Soweit darüber hinaus ‚überzeugende‘ dogmatische Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable Tatbestandsausgestaltung entwickelt werden müssen, bleibt dies der Gesetzgebung und der Fachgerichtsbarkeit überlassen.“ (Hervorhebung nur hier.). 268 Vgl. BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123 f.). 269 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (124). 270 Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (250 f.) kritisiert, dass „ein Prinzip […] nur lange und häufig genug durchbrochen werden [muss]“, bis es nur noch eine Leitlinie sei, „die bis zur Grenze

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Das BVerfG schafft darüber hinaus Rechtsunsicherheit, wenn es von der Begrenzung des gesetzgeberischen Spielraums nur bei „zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung“ durch das gleichheitsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit spricht.271 Was sind umgekehrt unbedeutende Besteuerungsvorschriften, die lediglich eine nebensächliche oder untergeordnete Rolle spielen und für die das Gebot der Folgerichtigkeit nicht gelten soll?272 Aus dem Beschluss könnte auf den ersten Blick ein Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung zwischen „zentralen“ Normen und Vorschriften einer Randgruppe abgeleitet werden. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz habe keine „zentrale“ Bedeutung, weil er „seine Existenz nicht primär Überlegungen zur gerechten Verteilung von Steuerlasten“ verdanke, sondern „in erster Linie […] auf Gründen der Praktikabilität der unternehmerischen Gewinnermittlung“ beruhe.273 Der Maßgeblichkeitsgrundsatz ist zwar gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten.274 Er hat aber eine exponierte Stellung im System der steuerlichen Einkünfteermittlung und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entscheidung des Gesetzgebers für den Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG.275 Die Bedeutung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes liegt insbesondere in dem gesetzgeberischen Entschluss, eine vermögensorientierte Ermittlung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen durchzuführen, wie sie auch der Grundidee der Reinvermögenszugangstheorie entspricht, und weniger in dem Verweis auf handelsrechtliche Vorschriften.276 Wenn einfachgesetzliche Prinzipien – wie etwa grundlegende Gewinnermittlungsvorschriften277 – nicht mehr zu den „zentralen“ Fragen gerechter Belastungsverteilung zählen würden, bliebe in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung abgesehen von unmittelbar das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisierenden Prinzipien kaum ein Anwendungsbereich für das Folgerichtigkeitsgebot im Einkommensteuergesetz.278

der Willkür munter weiter durchbrochen werden darf“; ähnlich Englisch, in: FS Lang, S. 167 (175). Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.101: Es gilt, „sich dem prinzipienlos handelnden Gesetzgeber entgegenzustemmen“. 271 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (124). 272 Kritisch auch Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (631 ff.), der von der Unterscheidung zu „peripheren“ Vorschriften spricht. 273 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123 f.). Zustimmend Bode, in: Kube u. a., Leitgedanken des Rechts, S. 1873 (1879). 274 Anzinger, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 5 Rn. 54; Hey, BB 2000, 1453 (1454 f.): Kein „verfassungskräftiges Prinzip“; Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (632). 275 Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (632); Krumm, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 5 Rn. 30; Mathiak, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 5 Rn. A  36, A  381; Reddig, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 5 Rn. 13. 276 Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (632). Zur vollständigen Berücksichtigung des Reinvermögenszuwachses Anzinger, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 5 Rn. 31 ff. 277 Anzinger, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 5 Rn. 30: § 5 EStG bildet „die Grundnorm des Bilanzsteuerrechts“. 278 Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627 (632); in diese Richtung auch Schulze-Osterloh, DStJG 2000, S. 67 (73); a. A. Bode, in: Kube u. a., Leitgedanken des Rechts, S. 1873 (1879).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Die unbestimmte Formulierung der „zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung“ findet sich in keiner vorhergehenden Entscheidung und ist vom BVerfG auch seitdem nicht mehr verwendet worden. In der übrigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde jene bloß vereinzelt aufgegriffen.279 Dies bekräftigt den vertretenen Standpunkt, dass die Aussagekraft und die Handhabbarkeit begrenzt sind und die Aussage keinen Anfangspunkt einer neuen Rechtsprechungslinie markiert. Richtigerweise ist stattdessen auf das flexible Kriterium des Umfangs und Ausmaßes der Ungleichbehandlung abzustellen, um etwa dem geringeren Gewicht einer Norm Rechnung tragen zu können, wenn das einfachgesetzliche Prinzip lediglich formale Ordnungsfunktion hat.280 Zweitens ist es zumindest missverständlich, wenn das Gericht davon spricht, dass „bei der Ausgestaltung der Verteilungsentscheidungen […] die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Folgerichtigkeit und Verhältnismäßigkeit die Ausübung der gesetzgeberischen Freiheit“ binden.281 Es ist unklar, ob das BVerfG hiermit eine Gleichsetzung ausdrückt und Folgerichtigkeit mit einer verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung verbindet. Dem würden jedenfalls die Ausführungen im Maßstäbeteil widersprechen, in dem der Senat die ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zitiert.282 Diese geht von keinem maßstabsverschärfenden Potential des Gebots der Folgerichtigkeit aus, sondern von einem Vorliegen einer rechtlich relevanten Ungleichbehandlung bei einer Durchbrechung.283 Diese Formulierung ist ebenfalls eine singuläre Erscheinung in der Rechtsprechung geblieben.284 Letztlich ist noch das Zugeständnis des Zweiten Senats an den Gesetzgeber zu kritisieren, dass er sich durch die Auflösung der in der Vergangenheit gebildeten Rückstellungen „für eine strenge sachliche Gleichbehandlung aller noch nicht erfüllten Jubiläumszusagen als Ausgangspunkt für die Anwendung einer grundsätzlichen Neuregelung“ entscheiden könne und dabei einen weiten Gestaltungsspielraum genieße.285 Diese Rechtsprechung bereitet Abgrenzungsprobleme zur

279 Aus der Rechtsprechung des BFH vgl. lediglich BFH v. 25. 2. 2010  – IV R 37/07, BStBl II 2010, 784 (juris Rn. 20); v. 5. 5. 2011 – IV R 32/07, BStBl II 2012, 98 (juris Rn. 46); v. 9. 5. 2012 – X R 30/06, BStBl II 2012, 667 (juris Rn. 60). 280 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). 281 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123). (Hervorhebung nur hier.). 282 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (119 f.): „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich […] unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.“ Der Senat zitiert die st. Rspr., vgl. BVerfG v. 20. 4. 2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (291); v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180). 283 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). sowie die Analyse bei Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (293 ff.). 284 Das einzige Zitat findet sich in BFH v. 5. 5. 2011 – IV R 32/07, BStBl II 2012, 98 (juris Rn. 44). 285 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (127 f.). (Hervorhebung nur hier.).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Rechtsprechung des „grundsätzlichen Systemwechsels“, bei dem der Gesetzgeber „umfassende Gestaltungsfreiheit“ hat.286 Das BVerfG fordert dafür im Urteil zur Pendlerpauschale, „dass wirklich ein neues Regelwerk geschaffen wird; anderenfalls ließe sich jedwede Ausnahmeregelung als (Anfang einer) Neukonzeption deklarieren. […] Einen zulässigen Systemwechsel könne es ohne ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung nicht geben.“287 Es dürfe sich gerade nicht um eine Sonderbestimmung für einen Teilbereich handeln.288 Diese strengen Voraussetzungen stellt das BVerfG im Beschluss zu den Jubiläumsrückstellungen nicht auf. Bei Anwendung dieser Kriterien wäre das BVerfG nicht zu einer gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit aufgrund der „grundsätzlichen Neuregelung“ gekommen. d) Objektive Abgrenzung der zwei Perspektiven Bei der Prüfung muss vorrangig gefragt werden, ob eine Norm als Ausformung (beziehungsweise Ergänzung oder Modifikation)289 des Prinzips einer gleichheitsgerechten Lastenverteilung angesehen werden kann.290 In diesem Fall kommt die bloße Willkürkontrolle zur Anwendung. Erst wenn dies abzulehnen ist, kommen nachrangig die weitergehenden Anforderungen für Durchbrechungen der Prinzipien einer Verteilungsgerechtigkeit zum Tragen. Die Beantwortung dieser Abgrenzungsfrage muss objektiv erfolgen.291 Die Beurteilung ist folglich nicht an die vom Normsetzer verfolgten Zwecke gebunden.292 In Richtung einer subjektiven Prüfung tendiert eine Meinung aus der Literatur293, bei deren näherer Untersuchung jedoch deutlich wird, dass die objektive Sichtweise vorzugswürdig ist. Huster grenzt die zwei Perspektiven anhand der Gegen 286

Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (241 ff.); v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280 f.); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 48 f.). 287 BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (242 f.). 288 BVerfG v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280 f.). 289 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 3. c). 290 Thiemann, Verluste, S. 185 spricht von der „Binnenlogik“ dieser Unterscheidung. Dort auch zum Folgenden. 291 Thiemann, Verluste, S. 190 ff.; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 890 f., die dieses Problem zwar nicht ausdrücklich anspricht, das Verständnis der hier vertretenen Ansicht im Rahmen der Prüfung einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung (Pöschl spricht von einem „Eingriff in den Gleichheitssatz“) aber voraussetzt. Kritisch Hennrichs, in: FS Lang, S. 237 (241), der „Unschärfen“ bei der Abgrenzung konstatiert; ähnlich Hey, DStR 2009, 2561 (2563). 292 Thiemann, Verluste, S. 190, 192. 293 Grundlegend Huster, Rechte und Ziele, S. 165 ff.; Huster, JZ 1994, 541 (543 ff.). Siehe bereits Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 93 ff. (Oktober 1992), der eine ähnliche Differenzierung trifft. Es müsse unterschieden werden zwischen Regelungen, die sich „am Gedanken der Individualgerechtigkeit“ orientieren, und Regelungen, die „sonstige politische Ziele“ verfolgen. Zustimmend Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 338 m. w. N.; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 103.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

überstellung von „internen“ und „externen Zwecken“ ab.294 Nach dem Ansatz von Huster müsse unterschieden werden zwischen Ungleichbehandlungen aufgrund „relevanter Unterschiede zwischen den Vergleichspersonen“, die den „internen Zweck einer gerechten Differenzierung“ zu verwirklichen suchten (Fallgruppe 1), und Ungleichbehandlungen, die „echte, externe Zwecke des Gemeinwohls“ verfolgten, die „mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Vergleichspersonen gar nichts zu tun haben“ (Fallgruppe 2). Vorrangig untersucht er, ob ein Fall der ersten Gruppe vorliegt. Er prüft, „ob die Ungleichbehandlung den relevanten Unterschieden entspricht und daher gerecht ist“. Die Norm solle insoweit lediglich am Maßstab des Willkürverbots überprüft werden.295 Falls die Regelung „keinem denkbaren sachbereichsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstab entspricht“296, müsse man nachrangig für die zweite Fallgruppe fragen, „ob die angestrebten [externen] Ziele hinreichendes Gewicht besitzen, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen“.297 Falls der Gesetzgeber „externe Ziele“ bei der Normsetzung anstrebt, soll dies nach Huster automatisch zu einer Abweichung vom sachbereichsspezifischen Verteilungsmaßstab führen.298 Bei der Prüfung der Rechtfertigung müsste folglich der strenge Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein. In Fortsetzung dieses Ansatzes ließe sich möglicherweise die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber eine Rechtsnorm als Ausbildung eines Maßstabs gleichheitsgerechter Lastenausteilung nur unter der Bedingung rechtfertigen kann, dass er Gründe interner Austeilungsgerechtigkeit anführt.299 Wenn dem Gesetzgeber bei der Maßstabsausbildung schon ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden wird, dann müsse er zumindest in der entsprechenden Begründung des Gesetzes nachvollziehbare Gründe angeben.300 Diese Abgrenzung nach Huster begegnet grundlegenden Bedenken, denn zwischen internen und externen Zwecken kann oft keine trennscharfe Linie gezogen werden.301 Besonders bei der Bildung eines sachbereichsspezifischen Verteilungs­ maßstabs kommen beabsichtigt oder unbeabsichtigt Einflüsse durch externe Zwecke wie der Verhaltenslenkung hinzu.302 Häufig sind scheinbar externe Steuerungszwecke letztlich interne Zwecke einer gerechten Differenzierung und lassen sich 294

Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 77; in Anschluss an diesen Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 338; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 103. 295 Huster, JZ 1994, 541 (544). 296 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 80. 297 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 77. 298 Vgl. Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 81. 299 Thiemann, Verluste, S. 188, der diesen Ansatz im Ergebnis ablehnt. 300 Thiemann, Verluste, S. 188, der dafür auf Tipke, StRO  III2, S. 1342 f. verweist. Tipke verfolgt diesen Gedanken im Zusammenhang mit einer generellen Begründungspflicht für Gesetze im Steuerrecht. 301 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 30; Kempny / Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 132 f.; Kempny / Reimer, in: Gleichheitssatzdogmatik heute, S. 169 (170); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 38.1; Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (146 ff.); Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR, § 125 Rn. 36; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 187 ff.; Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 98 (Oktober 1992); Thiemann, Verluste, S. 197 ff. 302 Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR, § 125 Rn. 36; Thiemann, Verluste, S. 187.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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als solche formulieren.303 Zusammenfassend ist die Differenzierung zwischen internen und externen Zwecken keine „praxistaugliche dogmatische Ausgangsbasis“ für die Bestimmung unterschiedlich strenger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstäbe.304 Die Fortsetzung des Ansatzes von Huster ist zudem abzulehnen, weil dies auf eine Zwecksetzungspflicht des Gesetzgebers hinauslaufen würde.305 Eine solche Pflicht fordert das BVerfG nur für Lenkungsnormen.306 Der Rechtfertigungsgrund der Verhaltenslenkung – so das BVerfG – kann dabei nur rechtfertigend wirken, wenn der angeführte Lenkungszweck von einer „erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung“ getragen ist und der Sondertatbestand zweckgerecht ausgeformt307 ist. Diese Rechtsprechung kann aber nicht übertragen werden, da die Erwägungen des Normsetzers bei Lenkungsnormen von einem eindeutigen Zweck geleitet sind und er diesen klar benennen kann. Außerhalb davon ist eine solche Festlegung wegen verschiedener Einflüsse, denen die Gesetzgebung folgt, schwieriger oder teils sogar unmöglich.308 3. Rechtfertigungsmöglichkeiten bei Abweichungen vom Maßstab einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung Abweichungen von selbst gebildeten Maßstäben einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung bedürfen eines hinreichend rechtfertigenden Grunds. Die systematische Unterscheidung nach Einkunftsarten (vgl. § 2 Abs. 1 EStG) oder anderen Regelungsgruppen durch den Gesetzgeber reicht als Rechtfertigung steuerlicher Ungleichbehandlungen nicht aus.309 Stattdessen ist auf Gründe mit materiellem 303

Kempny / Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 132 f.; Kempny / Reimer, in: Gleichheitssatzdogmatik heute, S. 169 (170); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 38.1; Pietzcker, in: Merten / ​ Papier, HGR, § 125 Rn. 36. 304 Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (148). 305 Thiemann, Verluste, S. 188 f. Gegen die grundsätzliche Begründungspflicht von Gesetzen Kischel, Die Begründung, S. 260 ff.; Steinbach, Rationale Gesetzgebung, S. 83 ff. 306 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (147 f.); v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (112 ff.); v. 7. 11. 2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (31 ff.); v. 15. 1. 2014 – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 83); st. Rspr. Dazu auch Wernsmann, Verhaltens­ lenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 252 ff. 307 Diese zweite, kumulative Voraussetzung ist im vorliegenden Kontext irrelevant, sie wird jedoch der Vollständigkeit halber erwähnt. Fehlt eine von den beiden Voraussetzungen, soll eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ausscheiden, BVerfG v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (112 ff.). 308 Dafür auch Thiemann, Verluste, S. 188, der von einer „motivische[n] Gemengelage“ spricht. 309 BVerfG v. 8. 10. 1991  – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 (363 f.); v. 10. 4. 1997  – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6); v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 58); st. Rspr.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Rechtfertigungsgehalt zurückzugreifen.310 Im Folgenden sind die gleichheitsgrundrechtlichen Anforderungen für einen solchen Grund zu erläutern. a) Fiskalzweck Jede Norm, die zu einer Mehrbelastung führt, dient dem Zweck der Deckung staatlichen Finanzbedarfs.311 Deshalb ist für die Frage, wann dieser Grund rechtfertigend wirken kann, zwischen der Auswahl des Steuergegenstands und der Bestimmung des Steuersatzes einerseits und der Durchbrechung einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung andererseits zu differenzieren.312 Der rein fiskalische Zweck der Einnahmenerzielung kann durchaus beispielsweise die Erhöhung des Steuertarifs oder die Erhebung neuer Steuern rechtfertigen.313 Dies entspricht dem weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei dieser Entscheidung.314 Bei Durchbrechungen der Belastungsgrundentscheidung mit stärkerem Gewicht und höherer Intensität kommt dem Einnahmeerzielungszweck jedoch keine rechtfertigende Wirkung zu, weil es ihm insoweit an der für die Rechtfertigung erforderlichen Gewichtigkeit fehlt.315 Zudem wäre es zirkulär, solche Durchbrechungen mit fiskalischen Erwägungen des Gesetzgebers zu rechtfertigen.316 Steuern werden zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staats erhoben.317 Die Belastung soll gleichmäßig im Sinne der Belastungsgleichheit auf die Steuerpflichtigen verteilt werden.318 Das erfolgt durch die Orientierung am Leitgedanken einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.319 Würde man eine Durchbrechung eines durch den Gesetzgeber selbst gesetzten, gleichheitsgrundrechtlich akzeptablen Maßstabs der Lastenverteilung mit dem Finanzbedarf des Staats rechtfertigen, stünde man 310 Wernsmann, in: FS Bundesfinanzhof, S. 1229 (1233); Wernsmann, in: Hübschmann / ​ Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 446. 311 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.110; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 383 ff.; Thiemann, Verluste, S. 143 spricht von einem „richtungslosen“ Zweck und Vogel, DStZ 1977, 5 (9) von einem „maßlosen“ Zweck. 312 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182) m. w. N.; Thiemann, Verluste, S. 338; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 242 ff.; Wernsmann, in: FS Bundesfinanzhof, S. 1229 (1233); in diese Richtung auch Röder, Verlustverrechnung, S. 137 f.; a. A. Nawrath, DStR 2009, 2. 313 Wernsmann, in: FS Bundesfinanzhof, S. 1229 (1233); Wernsmann / Desens, DStR 2008, 221 (224). 314 BVerfG v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95). 315 Vgl. zur Bedeutung des materiellen Gehalts Wernsmann, in: FS Bundesfinanzhof, S. 1229 (1233). 316 Röder, Verlustverrechnung, S. 137. 317 BVerfG v. 16. 9. 2009 – 2 BvR 852/07, BVerfGE 124, 235 (243); v. 13. 4. 2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 (Rn. 100). Zur einfach-rechtlichen Definition des Begriffs der Steuer in § 3 AO Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 3 Rn. 34 ff., 72 ff. 318 Siehe nur BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100). 319 Thiemann, Verluste, S. 153 f.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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wieder am Anfang.320 Das BVerfG lehnt ebenfalls die Berücksichtigung von Fiskalinteressen als Rechtfertigungsgrund für ungleichmäßige Belastungen a priori ab.321 Der Staatsfinanzierungszweck – so das BVerfG – enthält „kein Richtmaß“ für eine verfassungsrechtlich gerechte Verteilung von höheren Belastungen und stellt keinen „besonderen sachlichen Grund“322 dar. b) Verstetigung der Staatseinnahmen als qualifizierter Fiskalzweck? Eine besondere Bedeutung insbesondere auch für den Bereich der Verlustverrechnungsbeschränkungen entfaltet der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Fiskalzwecks. Der Begriff stammt aus dem steuerrechtlichen Schrifttum und beschreibt in seinem ursprünglichen Sinn das gesetzgeberische Motiv der „Verstetigung der Staatseinnahmen“323, um die Kalkulierbarkeit des Steueraufkommens für die öffentlichen Haushalte sicherzustellen.324 Dieser Grund wurde in der amtlichen Begründung für die Begrenzung der interperiodischen Verlustverrechnung durch die in § 10d Abs. 2 EStG beziehungsweise § 10a S. 1 und 2 GewStG geregelte sogenannte Mindestbesteuerung angeführt.325 Die Begrifflichkeit und das Verständnis des Zwecks sind bisher wenig ausgeleuchtet. Die Verwendung dieser Rechtsfigur erfolgt bisher eher mit schlagwortartigen Hinweisen darauf, ohne aber die Grundlagen zu beleuchten.326 Es bedürfen vor allem zwei Problembereiche einer näheren Betrachtung. Zum einen stellt sich die Frage, was unter dem Schlagwort des qualifizierten Fiskalzwecks zu verstehen ist und was genau davon umfasst ist. Zum anderen ist zu untersuchen, ob sich das Ziel grundsätzlich zur Rechtfertigung von ungleichmäßigen Behandlungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG eignet. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob dieser abstrakt einen besonderen sachlichen Grund im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG darstellt.327 Für eine kritische Würdigung sind zuerst die Rechtsprechung und die Literatur in den Blick zu nehmen. 320

Röder, Verlustverrechnung, S. 137. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (233, 236 f.) m. w. N.; v. 6. 7. 2010 – 1 BvL 9/06, BVerfGE 126, 233 (281); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 59). Zustimmend Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.110; Thiemann, Verluste, S. 142 f. Tendenziell anders aber BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (127 f.). 322 BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (290); v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (126); v. 15. 1. 2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (29 f.); st. Rspr. 323 Soweit ersichtlich erstmals in BT-Drucks. 15/1518, 13 und BT-Drucks. 15/1517, 19. 324 Desens, FR 2011, 745 (749); in Anschluss an diesen Kube, DStR 2011, 1781 (1789). 325 BT-Drucks. 15/1518, 13 (zu § 10d Abs. 2 EStG); BT-Drucks. 15/1517, 19 (zu § 10a Satz 1 und 2 GewStG). 326 Für diesen Befund Lenhart, BB 2021, 2070 (2074); ähnlich Lenhart, StuW 2022, 50 (55 Fn. 70). 327 An einem „numerus clausus“ zulässiger Rechtfertigungsgründe für ungleichmäßige Behandlungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG scheitert die mögliche Anerkennung dieses „neuen“ Grunds nicht, Kruse, StuW  1990, 322 (325); in Anschluss an diesen Lenhart, StuW 2022, 50 (56). 321

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

In einer Entscheidung zur Mindestbesteuerung lehnt der I. Senat des BFH eine willkürliche Überschreitung des Gestaltungsspielraums bei der Grundkonzeption der Mindestbesteuerung ab, weil sich der Gesetzgeber zulässigerweise auf den Grund der Verstetigung des Steueraufkommens berufen könne.328 Diesen Zweck setzt der Senat begrifflich gleich mit dem qualifizierten Fiskalzweck. Die vertretene Ansicht bestätigt der I.  Senat in seinem Vorlagebeschluss zur Mindest­ besteuerung mit der Einschränkung, dass nicht der Kernbereich der Nettoertragsbesteuerung betroffen sein dürfe.329 Der IV. Senat erkennt in seinem Urteil zur gewerbesteuerlichen Mindestbesteuerung den Grund der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte als sachlichen Grund an.330 Der Grund könne gesetzgeberische Willkür ausschließen. Der Senat grenzt jedoch zum qualifizierten Fiskalzweck ab, in dem er einen besonderen Rechtfertigungsgrund sieht. In dieser Entscheidung wird deutlich, dass nach Auffassung des IV. Senats ein qualitativer Unterschied bestehe. Der qualifizierte Fiskalzweck sei danach ein aliud. In einem Beschluss des I. Senats zur Zinsschranke, bei dem es sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 69 Abs. 3 FGO handelt, verneint er eine Rechtfertigung durch die „Verstetigung des Steueraufkommens oder zur Vermeidung unkalkulierbarer Steuerausfälle“.331 Auch hier spricht er synonym vom qualifizierten Fiskalzweck. Jüngst dehnt der I. Senat den qualifizierten Fiskalzweck auf die Rechtfertigung der Besteuerung von Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG aus.332 Er versteht darunter jedoch „die Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten der betroffenen Fisci“. Der Senat sieht darin bei der Prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG einen besonderen rechtfertigenden Grund, auch wenn – wie er selbst anmerkt – „im Gesetzgebungsverfahren die Frage der Haushaltskonsolidierung im Vordergrund gestanden haben mag“. Im Vorlagebeschluss zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a. F. lehnt der VIII. Senat das Ziel der Verhinderung von abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken 328

BFH v. 22. 8. 2012 – I R 9/11, BStBl II 2013, 512 (juris Rn. 23); Verfassungsbeschwerde anhängig Az. des BVerfG: 2 BvR 2998/12. 329 BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 29); Az. des BVerfG: 2 BvL 19/14. 330 BFH v. 20. 11. 2012 – IV R 36/10, BStBl II 2013, 498 (juris Rn. 43). 331 BFH v. 18. 12. 2013 – I B 85/13, BStBl II 2014, 947 (juris Rn. 22); diese Auffassung bestätigt durch Vorlagebeschluss BFH v. 14. 10. 2015  – I R 20/15, BStBl  II 2017, 1240 (juris Rn. 42 ff.); Az. des BVerfG: 2 BvL 1/16; a. A. Staats, Ubg 2014, 520 (526), der sich für ein weites Verständnis ausspricht und die Zinsschranke für gerechtfertigt hält. In Anschluss an diesen FG München v. 6. 3. 2015 – 7 K 680/12, EFG 2015, 1126 (Rn. 21, 23); FG München v. 2. 3. 2015 – 7 K 2372/13, EFG 2015, 1127 (Rn. 19). 332 BFH v. 18. 12. 2019 – I R 29/17, BStBl II 2020, 690 (juris Rn. 24); Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 2 BvR 1832/20). Kritisch Horstmann / L enhart, IStR 2021, 91.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG333 und des I. Senats des BFH334 nicht pauschal ab, sondern erkennt diesen als grundsätzlich verfolgbares legitimes Ziel an.335 Der BFH fasst dieses Ziel als „ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete[n] Rechtfertigung[sgrund]“ auf, grenzt ihn aber zum Zweck der bloßen „Erzielung von Steuermehreinnahmen“ ab.336 Das wird nochmals deutlich, indem der Senat dieses Ziel nicht unter den „rein fiskalische[n] Zweck der staatlichen Einnahmenmehrung“ subsumiert.337 Der überwiegende Teil des Schrifttums lehnt den Grund der Verstetigung des Steueraufkommens als rein fiskalisches Ziel pauschal ab.338 Dieser könne nach der Rechtsprechung des BVerfG ungleichmäßige Differenzierungen des Gesetzgebers nicht rechtfertigen. Die Gegenansicht wertet den qualifizierten Fiskalzweck im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG als tauglichen Rechtfertigungsgrund für ungleichmäßige Behandlungen.339 Das Ziel stelle einen besonderen sachlichen Grund im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG dar. Teile von dieser Ansicht gehen zudem von einem weiten begrifflichen Verständnis aus, denn es seien auch Zwecke umfasst, die „Fiskalzweck und Lenkungsintention“ kombinieren340 oder auf die „Stärkung des deutschen Steueraufkommens und die Gewinnverlagerungsabwehr“341 zielen würden. Die Auswertung zeigt, dass die Auffassungen zur Bedeutung des qualifizierten Fiskalzwecks nicht übereinstimmen. Die Ansichten gehen von einem engeren Verständnis im Sinne des ursprünglichen Gebrauchs in der Literatur, die darunter 333 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (282): Das BVerfG entschied, dass die „Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ein Gemeinwohlanliegen sei, „das der Gesetzgeber im Rahmen seines Entscheidungsspielraums verfolgen und im Vergleich zu anderen Zielen gewichten“ dürfe. 334 BFH v. 22. 8. 2012 – I R 9/11, BStBl II 2013, 512 (juris Rn. 23); Rev. anhängig Az. des BVerfG: 2 BvR 2998/12. 335 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 56). Für diese Sichtweise auch Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). Im konkreten Einzelfall lehnt der BFH diesen Rechtfertigungsgrund für § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG ab, weil der Gesetzgeber einen atypischen Fall als Leitbild gewählt hat, siehe hierzu 2. Teil 4. Kapitel § 14 A. II. 2. 336 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 56). 337 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 72). Für diese Perspektive auch Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). 338 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 620; Döring / Garz, FR 2021, 834 (839); Englisch, StuW 2007, 221 (237); Jachmann-Michel, in: FS Lehner, S. 417 (435); Jochum, DStZ 2010, 309 (313); Mönikes, Verlustverrechnung, S. 226 f.; Schwetlik, GmbH-StB 2020, 344 (346); Röder, StuW 2012, 18 (25); tendenziell auch Drüen, Ubg 2020, 241 (250). 339 Desens / Blischke, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 15 Rn. I  3; Heuermann, DStR 2013, 1 (3); Heuermann, DB Heft 50/2014, M5; Lenhart, BB 2021, 2070 (2075); Staats, Ubg 2014, 520 (526). 340 So Heuermann, DStR 2013, 1 (3) zu § 4h EStG, „der darauf zielt, die Finanzausstattung konzernangehöriger Betriebe zugunsten von Eigenkapital zu beeinflussen, um auf diese Weise dem Anreiz entgegenzuwirken, Disparitäten zwischen verschiedenen Steuerrechtsordnungen auszunutzen“. 341 Staats, Ubg 2014, 520 (526) zu § 4h EStG.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

die Verstetigung der Staatseinnahmen fasst, hin zu einer weiten Auslegung. Letzteres zeigt die Entscheidung des BFH zu § 8b Abs. 4 KStG. Es besteht allerdings ein Konsens, dass es sich um weitergehende Erwägungen mit Haushaltsbezug handeln muss. Nach überzeugender Ansicht eignet sich der Zweck nicht zur Rechtfertigung von ungleichmäßigen Behandlungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG.342 Dieser stellt mit anderen Worten keinen besonderen sachlichen Grund im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG dar. Es darf keine Rechtfertigung von ungleichmäßigen Belastungen durch die Hintertür eines vermeintlich „qualifizierten“ Fiskalzwecks erfolgen, weil sich dieser doch nur als reiner Fiskalzweck darstellt.343 Die Erhaltung von Staatseinnahmen344 ist vielmehr ein Teil des „originären“ Staatsfinanzierungszwecks, denn zur Erschließung einer Finanzierungsquelle gehört auch deren Erhaltung. Der qualifizierte Fiskalzweck stellt gerade kein „qualitatives aliud“345 dar. Die Zulässigkeit dieses Zwecks würde der Heranziehung einzelner Steuerpflichtiger zu Sonderlasten Vorschub leisten, die faktisch mit bloßen Fiskalerwägungen gerechtfertigt werden.346 Diese Gefahr wird nochmals verstärkt, indem der BFH oder Befürworter in der Literatur für diesen Grund keine besonderen Anforderungen aufstellen, die den als etabliert geltenden besonderen Rechtfertigungsgründen gleichkommen würden.347 Es besteht eine konkrete Umgehungsgefahr des ausdifferenzierten Systems, weil sich der Gesetzgeber jederzeit auf den qualifizierten Fiskalzweck zurückziehen könnte. Außerdem ergeben sich unauflösbare Abgrenzungsprobleme. Die Gegenansicht, die in der Verstetigung der Staatseinnahmen einen besonderen sachlichen Grund sieht, stellt zur Unterscheidung vom reinen Fiskalzweck, der bloß Willkür ausschließen kann, eine Gesamtbetrachtung an.348 Solange in der Totalperiode keine Mehreinnahmen begründet würden, würde sich der Fiskus nur das Steueraufkommen sichern und Einnahmenstabilität gewährleisten.349 Die Durchführung der Gesamtbetrachtung erweist sich in der Praxis wegen des fließenden Übergangs als undurchführbar. Lenhart selbst gibt zu, dass es „innerhalb eines Veranlagungszeitraums zu erhöhten Einnahmen kommen“ kann, die durch die zu prüfende Norm ausgelöst wurden.350 Warum aber diese Erhöhung „zulasten des Haushalts in zukünftigen Veranlagungszeiträumen“ gehe, bleibt offen. Der wohl vorausgesetzte automatische Ausgleich innerhalb der Totalperiode ist nicht realitätsgerecht. 342

Siehe die Nachweise in Fn. 338. Schwetlik, GmbH-StB 2020, 344 (346) spricht von einer „reinen Leerformel, mit der man jedes gewünschte profiskalische Ergebnis begründen kann“. 344 Etwa Desens, FR 2011, 745 (749); Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). 345 So aber Lenhart, BB 2021, 2070 (2075); ähnlich Lenhart, StuW 2022, 50 (55). 346 In diese Richtung BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 56). 347 Zu den Voraussetzungen siehe etwa im Folgenden 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 3. c). 348 Vgl. Desens, FR 2011, 745 (749); Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). 349 Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). 350 Lenhart, BB 2021, 2070 (2075). 343

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Ob sich in der Totalperiode Mehreinnahmen ergeben oder nicht, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Davon darf nicht die Tragfähigkeit eines rechtfertigenden Grunds abhängen. Folglich kann der qualifizierte Fiskalzweck keine ungleich­ mäßigen Behandlungen durch den Normsetzer rechtfertigen. c)

Förderungs- und Lenkungsziel

Der Gesetzgeber kann neben Fiskalzwecknormen auf steuerliche Lenkungsnormen351 zurückgreifen, die die steuerliche Regelbelastung durchbrechen und Anreize für ein bestimmtes Verhalten des Steuerpflichtigen setzen sollen.352 Er kann auf erwünschtes Verhalten durch Verschonung und auf unerwünschtes Verhalten durch Sonderbelastung gestalterisch einwirken.353 Dabei verfügt er im Grundsatz über einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, welche Sachverhalte oder Personen er fördern möchte und welche Ziele er als förderungswürdig erachtet.354 Das entspricht auch § 3 Abs. 1 Halbs. 2 AO. Es sind folgende Voraussetzungen bei der Entscheidung für das „ob“ der Lenkung zu beachten, wenn eine Regelung vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden sollen: Die Norm muss von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden, der Kreis der Begünstigten beziehungsweise Belasteten muss sachgerecht abgegrenzt sein355 und es muss ein Mindestmaß an ausreichender Abstimmung zwischen dem Lenkungszweck einerseits und der Ausgestaltung des Vergünstigungs- beziehungsweise Sonderbelastungstatbestands andererseits vorhanden sein.356 Für eine erkennbare gesetzgeberische Entscheidung genügt es, wenn diese anhand der üblichen Auslegungsmethoden festgestellt werden kann, das heißt es können sich Anhaltspunkte aus den Gesetzesmaterialien oder aus einer systematischen Gesamtschau des jeweilig normierten Lebensbereichs und Regelungskomplexes ergeben.357 Diese Präzisierung, mit der die Weite des Lenkungszwecks durch die 351 Von diesen Lenkungstatbeständen innerhalb von Gesetzen sind Lenkungssteuern (also die Einführung neuer besonderer Steuern) zu unterscheiden, vgl. Wernsmann, in: Kube u. a., Leitgedanken des Rechts, S. 1645 (1652). 352 Röder, Verlustverrechnung, S. 139; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 448. Zum Begriff der steuerlichen Lenkungsnorm vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 62 ff. 353 BVerfG v. 15. 1. 2014 – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 81); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 61). 354 BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 125) m. w. N.; v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 62); st. Rspr. 355 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 449 spricht davon, dass die Norm gleichheitsgerecht ausgestaltet sein muss. 356 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (147); v. 15. 1. 2014 – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 81 ff.); v. 17. 12. 2014  – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 125) m. w. N.; dazu auch Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 449. 357 BVerfG v. 6. 3. 2002  – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (112 f.); v. 15. 1. 2014  – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 81); v. 5. 11. 2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 (Rn. 43 ff.);

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Notwendigkeit der bewussten Nutzung des Differenzierungsgrunds ausgeglichen wird, ist zustimmungswürdig358, weil Gestaltungswirkungen „in aller Regel auch von Fiskalzwecksteuern“ ausgehen und „nahezu jede steuerrechtliche Norm“ in irgendeiner Weise das Verhalten des Einzelnen beeinflusst.359 Gerade im Hinblick auf die Verlustverrechnungsbeschränkungen ist dies eine sinnvolle Einschränkung. Denn die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die von der Beschränkung betroffen ist, ist weniger attraktiv im Vergleich zu nicht berührten Sachverhalten und somit hat jede Verlustverrechnungsbeschränkung eine verhaltensbeeinflussende Wirkung.360 Kritischen Stimmen aus dem Schrifttum ist insofern zuzustimmen, als es nicht zu einer Pflicht der strengen Dokumentation kommen darf.361 Die vereinzelten Entscheidungen des BVerfG362, nach denen die gesetzgeberische Intention „mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet“ sein muss, sind aus dieser Perspektive zu weitgehend. Aus diesem Blickwinkel kommt es zu keinem Konflikt mit dem Grundsatz, dass Gesetze nicht begründet werden müssen.363 Dieser Grundsatz geht davon aus, dass der Gesetzgeber im Allgemeinen keine Beweggründe oder Intentionen für Normen nachweisen muss.364 Für die Rechtfertigung anhand von Lenkungszwecken ist die Anforderung nicht im Sinne einer Notwendigkeit eines überzogen rationalen Begründungsniveaus zu verstehen.365 Stattdessen muss nur deutlich werden, dass und inwiefern der Gesetzgeber eine Absicht zur Verhaltensbeeinflussung hat.366 In diese Richtung geht ein extensiverer Ansatz des BVerfG. v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 136); v. 18. 7. 2019 – 1 BvR 807/12 (juris Rn. 48). Strenger BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (147 f.) und BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (296) mit dem Verlangen nach einer hinreichenden tatbestandlichen Vorzeichnung des Lenkungszwecks im Gesetzeswortlaut. BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 63, 65) vereint diese beiden Rechtsprechungslinien und fordert entweder eine „hinreichende tatbestandliche Vorzeichnung“ oder eine „erkennbare gesetzgeberische Entscheidung“. 358 Ebenso Hey, StuW 2015, 3 (10 f.); Thiemann, Verluste, S. 164 ff. 359 BVerfG v. 1. 4. 1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (23); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 63 ff. m. w. N.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 3 Rn. 86. 360 Thiemann, Verluste, S. 165. 361 Kritisch zu diesem „subjektiven Einschlag“ Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 241, 250 ff.; Jahndorf, StuW 2016, 256 (261 f.); Kischel, in: Mellinghoff / Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (186 f.). 362 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (147 f.); v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (296); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 63, 65), wobei das Gericht neuerdings neben dieser Alternative auch eine „erkennbare gesetzgeberische Entscheidung“ zulässt. „Lediglich vage Zielsetzungen“ in den Gesetzgebungsmaterialien würden hierfür aber nicht genügen. 363 Ebenso Thiemann, Verluste, S. 167. 364 Dazu ausführlich Kischel, Die Begründung, S. 260 ff.; G. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 319 ff.; Steinbach, Rationale Gesetzgebung, S. 83 ff. 365 Für diese Perspektive Thiemann, Verluste, S. 167. 366 Thiemann, Verluste, S. 167; vgl. Hey, StuW 2015, 3 (10 f.).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Danach sei die verfassungsrechtliche Prüfung nicht auf etwaig gegebene Gründe des Normsetzers beschränkt, sondern es können auch andere Rechtfertigungsgründe im Rahmen einer objektiven Prüfung herangezogen werden.367 Trotz der weiten Gestaltungsbefugnisse bei der Bestimmung der förderungswürdigen Ziele ist es im Einzelfall möglich, dass die nähere Ausgestaltung der Lenkungsnormen einer strengen verfassungsrechtlichen Kontrolle unterzogen wird.368 In Abhängigkeit vom Ausmaß der mit der steuerlichen Verschonung verbundenen Ungleichbehandlung und von der Auswirkung auf die gleichheitsgerechte Erhebung der Steuer insgesamt ist die Strenge der Prüfung zu bestimmen.369 Es ist ein gleitender Maßstab anzulegen.370 Der Lenkungszweck selbst muss kein verfassungsrechtliches Eigengewicht haben.371 Die Ansicht372, dass nur sehr hochrangig bewertete Gemeinschaftsgüter die Durchbrechung des Prinzips der Belastungsgleichheit rechtfertigen könnten, ist zu weitgehend.373 Dies bestätigt zudem ein Vergleich mit der freiheitsgrundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der der Gesetzgeber – abgesehen von grundrechtsspezifisch qualifizierten Gesetzesvorbehalten und der spezifischen Problemlage vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte – nicht auf die Befolgung verfassungsrechtlich besonders gewichtiger Zwecke limitiert ist.374 Gleiches muss beim allgemeinen Gleichheitssatz gelten, wenn auch in diesem Rahmen eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Prüfung erfolgen soll.375 Die Regelung muss insbesondere den Kreis der Begünstigten oder Belasteten dem Lenkungszweck entsprechend sachgerecht abgrenzen.376 Die tatbestandliche Ausgestaltung (Art und Weise der Differenzierung) muss in den Kategorien der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Erreichung des Differenzierungsziels, also des 367

BVerfG v. 11. 2. 1992 – 1 BvL 29/87, BVerfGE 85, 238 (245); v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (127). 368 BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 126); zustimmend Schön, JöR 2016, 515 (535 f.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 449. Kritisch dagegen Eckhoff, StuW 2016, 207 (212), der aufgrund von Schwankungen in der Rechtsprechung des BVerfG die fehlende Vorhersehbarkeit beanstandet. 369 BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 126). 370 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). 371 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 104 f.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 249 f.; Thiemann, Verluste, S. 163. 372 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 244 ff.; Lehner, in: Lehner, Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht, S. 1 (18); Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 209 (Oktober 1992). 373 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 249 f.; Thiemann, Verluste, S. 163. 374 Thiemann, Verluste, S. 163. 375 In diesem Sinne auch Huster, Rechte und Ziele, S. 233 ff.; Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 62; Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 891; Thiemann, Verluste, S. 163. 376 BVerfG v. 7. 11. 2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (32); v. 15. 1. 2014 – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 81); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 66).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Lenkungszwecks, geeignet sein.377 Es muss eine „deutliche und folgerichtige Kongruenz zwischen Lenkungsziel und Tatbestandsabgrenzung“ bestehen.378 Fehlt es an dieser Kongruenz und der Tatbestand trifft nicht nur diejenigen, die von der Vergünstigung beziehungsweise Belastung erfasst sein sollen, kommt allenfalls eine Rechtfertigung mit Typisierungen in Betracht.379 „Streuwirkungen“, die von einem Steuerlastverteilungsmaßstab abweichen und nicht von dem Lenkungszweck umfasst sind, sind nur unter den weiteren Voraussetzungen der typisierenden Tatbestandsbildung hinnehmbar.380 Auf diese ist im Folgenden näher einzugehen. d) Typisierung Vereinfachungsnormen stellen für das Steuerrecht als Massenfallrecht praktikable Regeln zur Verfügung, damit seine Vollziehbarkeit gewährleistet ist.381 Sie sollen zu komplexe und nicht durchführbare Gesetze oder unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verhindern (Praktikabilitätsprinzip).382 Begrifflich ist zwischen Typisierung und Pauschalierung zu differenzieren. Typisierung bedeutet, „bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden.“383 Eine Typisierung liegt vor, wenn eine Norm den typischen Fall („Normalfall“ oder auch „Durchschnitts­ normalität“384) erfasst und einen abweichenden Fall diesem gleichbehandelt.385 Man spricht hingegen von Pauschalierungen, wenn die Grundlagen des gesetzlichen Tatbestands rechnerisch schematisiert werden.386 Nach einhelliger Auffassung ist das Konzept einer typisierenden oder pauschalierenden Regelung nicht grundsätzlich unzulässig.387 Der Gesetzgeber, so das 377

Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 245 f. Osterloh, DStJG 2001, S. 383 (396). 379 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 245 f. 380 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 245 f.; Thiemann, Verluste, S. 168 spricht insofern von der „Treffgenauigkeit der Intervention“. 381 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.145; Wernsmann, DStR Beih. 2011, 72; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 451. 382 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.145. 383 BVerfG v. 23. 6. 2004 – 1 BvL 3/98, BVerfGE 111, 115 (137); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 100) m. w. N. 384 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.147. 385 Grundlegend Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 97 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  452 m. w. N. 386 Wernsmann, DStR Beih. 2011, 72; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 452; vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.147. 387 BVerfG v. 9. 12. 2008  – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (232 f.); v. 15. 1. 2014  – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 83); st. Rspr. Aus dem Schrifttum z. B. Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 34; Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 96 ff.; Thiemann, Verluste, S. 170 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 451 ff. 378

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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BVerfG, dürfe „einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen.“388 Dies führt jedoch gemessen am Regelungszweck zu einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.389 Als Rechtfertigungsgründe kommen dafür die Praktikabilität der Norm (Bedürfnis nach praktikablem Vollzug des Gesetzes)390 und die Verwaltungsvereinfachung391 in Betracht. Oft sprechen auch Aspekte der Steuergerechtigkeit für die Zulässigkeit von Vereinfachungsregelungen.392 Das Gebot der Besteuerungsgleichheit fordert einen „allgemein verständlichen und unausweichlichen Belastungsgrund“.393 Dieser Forderung kommen typisierende Gesetze nach, weil tendenziell ein einzelfallbezogenes Recht mit hoher Regelungsdichte und Ausdifferenzierung größere Möglichkeiten der Umgehung des Belastungsgrunds bietet und somit gut beratene Steuerpflichtige begünstigt.394 Somit besteht kein unvereinbarer Widerspruch zwischen Typisierung und Gerechtigkeit.395 Voraussetzung einer verfassungskonformen Typisierung ist, dass sie zur Vereinfachung geeignet, erforderlich und angemessen ist.396 Im Normzweck müssen die Anknüpfungspunkte der zulässigen Typisierung angelegt sein und dürfen diese nicht verfehlen.397 Gewisse Härten im Einzelfall, die sich aus der Typisierung ergeben, sind hinzunehmen.398 Allerdings dürfen die entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein, lediglich eine relativ 388

BVerfG v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6). Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 97; Thiemann, Verluste, S. 155. 390 BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 113). 391 BVerfG v. 19. 11. 2019  – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 102) m. w. N.; Schober, Restriktionen für den vereinfachenden Einkommensteuergesetzgeber, S. 45 f.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 244 f. 392 BVerfG v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6 f.); v. 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297 (309 ff.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 453; vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.146; Thiemann, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 179 (207 f.). 393 BVerfG v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6 f.); v. 24. 5. 2005 – 2 BvR 1683/02 (juris Rn. 29). 394 Thiemann, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 179 (207 f.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 453. 395 Zutreffend BVerfG v. 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297 (309 ff.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 453; a. A. Rüfner, in: Isensee / K irchhof, HStR III2, § 80 Rn. 97 (in 3. Aufl. nicht mehr enthalten). 396 BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 103) m. w. N.: „Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen“; v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150). Ebenso Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.147; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  454. Kritisch P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR V2, § 124 Rn. 300 (in 3. Aufl. nicht mehr enthalten). 397 BVerfG v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 107) m. w. N. 398 BVerfG v. 26. 6. 1961 – 1 BvL 17/60, BVerfGE 13, 21 (29); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 108). 389

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

kleine Zahl von Personen betreffen und das Ausmaß der Ungleichbehandlung darf nicht sehr intensiv sein.399 Wenn (nur) in Einzelfällen unbillige Härten auftreten, ist die Regelung per se verfassungsgemäß, allerdings kommt für die betroffenen Fälle eine Anwendung von steuerverfahrensrechtlichen Billigkeitsnormen (§§ 163, 227 AO) in Betracht.400 Das Kriterium der Quantifizierbarkeit („verhältnismäßig kleine Zahl von Personen“) ist vor dem Hintergrund der schwierigen Bestimmbarkeit im Einzelfall kritisch zu beurteilen.401 Treffender erscheint die Forderung des BVerfG nach einer „realitätsgerechten Typisierung“: Die Normen müssen „auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen.“ Der Gesetzgeber dürfe „keinen atypischen Fall als Leitbild“ wählen, sondern müsse sich – was bereits begrifflich vorausgesetzt ist402 – realitätsgerecht am typischen Fall als Leitbild orientieren.403 Entsprechend der „stufenlosen“ Prüfung in der jüngeren Rechtsprechung404 stuft das BVerfG die gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume überzeugend danach ab, ob die Regelung unausweichlich den Einzelnen als Person betrifft oder ob sie allgemeine, gestaltbare Lebensverhältnisse regelt.405 Außerdem reicht die Gestaltungskompetenz umso weiter, je weniger greifbare Alternativmaßstäbe verfügbar sind und je dringlicher das Normierungs- und Vereinfachungsinteresse ist.406 Zudem kommt es auf die Komplexität der Sachmaterie an.407

399

BVerfG v. 2. 7. 1969 – 1 BvR 669/64, BVerfGE 26, 265 (275 f.); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 103); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150) m. w. N.; st. Rspr. Kritisch bezüglich des Merkmals „nur unter Schwierigkeiten vermeidbar“ mit Blick auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum Thiemann, Verluste, S. 175. 400 BVerfG v. 22. 5. 1963 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 16, 147 (177); v. 17. 7. 1974 – 1 BvR 51/69, BVerfGE 38, 61 (95). Vgl. Thiemann, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, S. 179 (207), der zutreffend auf die gebotene, sehr restriktive Anwendung hinweist. 401 Ebenso Thiemann, Verluste, S. 176. 402 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 455. 403 BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (232 f.); v. 12. 10. 2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 (246); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 147 (Rn. 136); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 102); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150). 404 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 1. 405 Siehe bereits BVerfG v. 7. 12. 1999  – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297 (309 ff.); v. 21. 7. 2010  – 1 BvR 611/07, BVerfGE 126, 400 (418). Kritisch Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 453 zur Rspr. des BVerfG, das dem Gesetzgeber weite Gestaltungsspielräume bei bevorzugender Typisierung einräumt. 406 Thiemann, Verluste, S. 176 mit Verweis auf BVerfG v. 12. 10. 2010  – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 (253 ff., 262). 407 BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 152).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

e)

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Verhinderung von Steuerumgehungen

Im Bereich der Verlustverrechnungsbeschränkungen ist die „Verhinderung von Steuerumgehungen“408 beziehungsweise (inhaltlich gleichbedeutend) die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen ein beliebter Topos des Normsetzers zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Gesetzen.409 Das Schrifttum greift zur Rechtfertigung ebenso auf den Gedanken der Verhinderung von Steuerumgehungen zurück.410 Das Interesse an der Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen stellt nach allgemeiner Meinung in der Literatur einen Normzweck dar, der Regelungen vor dem allgemeinen Gleichheitssatz rechtfertigen kann.411 Das BVerfG geht ebenfalls davon aus, dass die „Abwehr unerwünschter Steuergestaltungen“ einen Rechtfertigungsgrund für eine ungleichmäßige Behandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt.412 Die Berechtigung des Gesetzgebers zum Erlass solcher Vorschriften ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG (Gebot der gleichmäßigen Besteuerung).413 Denn Steuerpflichtige, denen durch künstliche Gestaltungen nur 408

So der Wortlaut in § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; aus der Rechtsprechung BVerfG v. 24. 1. 1962 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 (344); v. 3. 7. 1973 – 1 BvR 368/65, BVerfGE 35, 324 (341). 409 Z. B. BT-Drucks. 19/15876, 61 mit der Begründung für die Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG: Es sollen auch Veräußerungstatbestände erfasst werden, „die zu Gestaltungszwecken abgewickelt werden, also insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich das Solvenzrisiko bereits ganz oder teilweise realisiert hat“. Die verordnete Evaluierung in BT-Drucks. 19/15876, 62 für die neuen Regelungen in § 20 Abs. 6 Satz 5, 6 EStG zeigt, dass dieser Topos die Gesetzgebung wesentlich mitprägt: „Es ist gemeinsames Ziel der Koalitionsfraktionen, dass durch die Berücksichtigung zusätzlicher Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen keine neuen steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. Daher werden die Normen nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrem Inkrafttreten evaluiert.“ Kritisch zu dieser Evaluierung Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177b. Vgl. zur Besteuerung privater Veräußerungsgewinne Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Abschnitt II (ESt, LSt) Rn. 106. Das Gutachten weist darauf hin, dass bei unbegrenzter Ausgleichsfähigkeit von Veräußerungsverlusten aus Grundstücken und Wertpapieren untereinander und mit den sonstigen Einkünften „möglicherweise die Gelegenheit für schwer durchschaubare Manipulationen“ eröffnet werde. Allgemein dazu mit scharfer Kritik Hey, StuW 2008, 167 ff. 410 Desens / Blischke, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 15 Rn. I 9, I 40; Intemann, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 15 Rn.  1500; Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. F 29. 411 Crezelius, StuW 1995, 313 (324 f.); Drüen, StuW 2008, 3 (13); Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, Vorbem. § 42 Rn. 38; Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, S. 134 ff.; Hey, StuW 2008, 167 (173 f.); Röder, Verlustverrechnung, S. 141 ff.; Thiemann, Verluste, S. 177 f. 412 BVerfG v. 24. 1. 1962  – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 (344); v. 30. 9. 1998  – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (97); v. 12. 10. 2010  – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 (253 f.); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 126); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 123). 413 Thiemann, Verluste, S. 180; sogar von einer Schutzpflicht des Gesetzgebers vor Gestaltungsmissbrauch sprechen BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 123); Drüen, StuW  2008, 154 (158 f.); Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, S. 50 ff.; Hey, DStJG 2010, S. 139 (166 f.).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

formal und nicht nach dem eigentlichen Normzweck eine günstige Rechtsfolge zustünde, stören dieses Gleichmaß.414 Jeder Missbrauchsbekämpfungsnorm wohnt eine verhaltenslenkende Wirkung inne, weil sie ein bestimmtes Verhalten unattraktiver macht.415 Dieser rechtfertigende Grund ist deshalb vom Rechtfertigungsgrund der Verhaltenslenkung anhand des Normzwecks abzugrenzen, der durch methodengerechte Auslegung zu ermitteln ist.416 Der Rückgriff auf den Rechtfertigungsgrund der Verhaltenslenkung darf nur erfolgen, wenn der Normsetzer Lenkungszwecke verfolgt, die „sich nicht bloß in der Bekämpfung einer unerwünschten Gestaltung erschöpfen“.417 Denn die Anforderungen an die Lenkung sind in der Tendenz großzügiger, da sie keine konkreten Regelungsgehalte voraussetzen.418 Bezüglich des „Ob“ der Einführung von Normen, die Steuerumgehungen verhindern sollen, hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.419 Davon ist die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Normen zu unterscheiden.420 Wie soeben erläutert dienen die Regelungen zur Missbrauchsvermeidung gerade der Schaffung einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung und führen insofern zu keiner rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung.421 Jedoch typisieren diese Normen in der Regel und zielen auf eine Vereinfachungswirkung.422 Dieser Missbrauchstypisierung ist eine Streuwirkung immanent, sodass wegen der Erfassung von Fällen, in denen kein Missbrauch vorliegt, ein gleichheitsrechtliches Rechtfertigungsbedürfnis entsteht.423 Somit besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Verhinderung von Steuerumgehungen und der Typisierung, wobei dann die Voraussetzungen der gleichheitssatzkonformen Typisierung zu berücksichtigen sind.424 414

Vgl. Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 42 Rn. 15; Hey, DStJG 2010, S. 139 (167 f.); Stöber, in: Gosch, AO, § 42 Rn. 23; Thiemann, Verluste, S. 180. 415 Hey, StuW 2008, 167 (172 f.); Hey, DStJG 2010, S. 139 (147 f.); Thiemann, Verluste, S. 178. 416 Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, S. 37 ff.; Thiemann, Verluste, S. 179 f. Strenger Hey, DStJG 2010, S. 139 (144), die fordert, dass der „Zweck im gesetzlichen Tatbestand zum Ausdruck kommen“ müsse. Dies geht in Richtung der vereinzelt gebliebenen Rechtsprechung des BVerfG, in der das Gericht im Zusammenhang mit Lenkungsnormen verlangt, dass die gesetzgeberische Intention „mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet“ sein muss, siehe die Nachweise bei Fn. 362. 417 Thiemann, Verluste, S. 179. 418 Thiemann, Verluste, S. 179. 419 Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, S. 135; Hey, DStJG 2010, S. 139 (166 f.); Thiemann, Verluste, S. 183. 420 Hey, DStJG 2010, S. 139 (167 f.). 421 Hey, StuW 2008, 167 (174); Hey, DStJG 2010, S. 139 (167 f.). 422 Gabel, StuW 2011, 3 (10), die von einem „zusammengesetzten Rechtfertigungsgrund“ spricht; Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, S. 134 ff.; Hey, DStJG 2010, S. 139 (167 f.); Thiemann, Verluste, S. 182 f. 423 Hey, DStJG 2010, S. 139 (167 f.). 424 Drüen, StuW  2008, 3 (13); Gabel, StuW  2011, 3 (10 ff.); Hey, StuW  2008, 167 (176); Osterloh-Konrad, Die Steuerumgehung, S. 736. Siehe dazu im Einzelnen 2. Teil 3. Kapitel  § 9 B. II. 3. d.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Die Generalklausel in § 42 AO ist die einfachgesetzliche Ausprägung des Gedankens einer Missbrauchsvermeidung.425 Davon sind wiederum die spezialgesetzlichen Missbrauchskodifikationen zu unterscheiden.426 Diese Spezialvorschriften stellen eine gesetzliche Typisierung des § 42 AO dar, die eine Missbrauchskonstellation in „sachlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht konkretisieren“.427 f)

Kompensation und Saldierung

Der Gesetzgeber bedient sich im Zusammenhang mit dem Gleichheitsgrundsatz häufiger des Kompensationsgedankens428, wenn er bei der Einführung von begünstigenden oder belastenden Normen versucht, diese mit anderweitigen Vor- oder Nachteilen zu rechtfertigen.429 Der Gedanke der Saldierung kommt insbesondere im Bereich des Steuer- und Sozialrechts zum Tragen, weil dort die Verrechnung von finanziellen Auswirkungen relativ problemlos möglich ist.430 „Kompensation“ ist als Oberbegriff zu verstehen und steht ganz allgemein für Ausgleich.431 „Saldierung“ meint hingegen die Verrechnung von Vor- und Nachteilen.432 In diesem Zusammenhang bedarf besonders die Frage nach der Einordnung in den Prüfungsaufbau einer näheren Untersuchung. 425

Für die Verfassungsmäßigkeit Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 42 Rn. 17 f.; Fischer, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 42 Rn. 46 m. w. N. Allgemein zur Norm Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 42 Rn. 19 ff.; Fischer, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 42 Rn. 19 ff. 426 Mit einer Liste von Beispielen Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 42 Rn. 20; Fischer, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 42 Rn.  24. 427 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 42 Rn. 20; in Anschluss an diesen Hessisches FG v. 24. 3. 2009 – 8 K 399/02, EFG 2009, 1885 (1888); ebenso Thiemann, Verluste, S. 182. 428 Generell ist es im Schrifttum anerkannt, dass gleichheitssatzwidrige Ungleichbehandlungen durch Ausgleichsansprüche kompensiert werden können, vgl. Friauf, in: FS Jahrreiß, S. 45 (66); Hey, AöR 2003, 226; Klein, DVBl 1981, 661 (663); Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 21 ff. 429 So z. B. die Gesetzesbegründung für § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Danach seien „Anleger mit höheren Vermögenswerten […] durch den für Kapitaleinkünfte einschlägigen Steuersatz von 25 % begünstigt“. Mit diesem Grund wird auch das grundsätzliche Abzugsverbot von Werbungskosten gem. § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG außerhalb des Sparerpauschbetrags in Höhe von 801 € gerechtfertigt, siehe BFH v. 1. 7. 2014 – VIII R 53/12, BStBl II 2014, 975 (juris Rn. 11) und Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (102, 106). Für Kleinsparer wirkt der Pauschbetrag realitätsgerecht und für Bezieher höherer Einkünfte aus Kapitalvermögen wirkt die Senkung des Steuertarifs auf den proportionalen Tarif von 25 % entlastend. 430 Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 23; Hey, AöR 2003, 226 (232); in Anschluss an diese Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, S. 304; vgl. exemplarisch BVerfG v. 24. 1. 1962 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 (341): „Die Erhöhung der Gewerbesteuer wird auch weder durch korrespondierende Steuerersparnisse an anderer Stelle noch durch anderweitige Steuervergünstigungen ausgeglichen.“ 431 Klein, DVBl 1981, 661; in Anschluss an diesen Hey, AöR 2003, 226 (230). 432 Hey, AöR 2003, 226 (230) spricht von einem „mathematischen Vorgang“. Saldierung setze „Kommensurabilität ebenso wie Quantifizierbarkeit der Vor- und Nachteile voraus, ohne daß dies streng arithmetisch zu verstehen“ sei. Vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 172.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Nach zutreffender Ansicht ist das Saldierungsargument nicht bereits auf Ebene der Ungleichbehandlung zu prüfen, sondern erst im Rahmen der Rechtfertigung.433 Eine Prüfung auf Ebene der Ungleichbehandlung käme nur in Betracht, wenn der Nachteil spiegelbildlich durch einen identischen Vorteil saldiert werden könnte.434 Nur bei einem exakten Ineinandergreifen von Vor- und Nachteil entfiele die Ungleichbehandlung vollständig.435 Diese Identität ist überhaupt nur bei rein monetären Ansprüchen theoretisch denkbar (einem Nachteil in Höhe von 10 000 €, der durch eine gesetzliche Regelung ausgelöst wurde, steht ein Vorteil durch eine anderweitige Norm in Höhe von 10 000 € gegenüber), in der Rechtspraxis dürfte die Identität aber auch in diesem Fall regelmäßig ausgeschlossen sein.436 Deshalb kann bei jeder geringfügigen Abweichung oder einer Teilidentität, die im Falle der bloß teilweisen spiegelbildlichen Entsprechung vorliegt, der dem Nachteil korrespondierende Vorteil nur im Rahmen der Rechtfertigung berücksichtigt werden.437 Nach Ansicht des BVerfG stellt die Kompensation steuerrechtlicher Vor- und Nachteile einen eigenen Rechtfertigungsgrund für eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung neben den übrigen bereits erläuterten Gründen dar.438 Als Voraussetzung für die Kompensation steuerrechtlicher Vor- und Nachteile fordert das BVerfG eine erkennbare Entscheidung des Normsetzers und eine folgerichtige Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestands im Sinne hinreichender gegenseitiger Abstimmung.439 Im Falle einer Über- oder Unterkompensation kann die Regelung im Zusammenspiel mit der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt werden, wobei die allgemeinen Grundsätze der Zulässigkeit einer Typisierung einzuhalten sind.440 Der EuGH lässt das Argument, dass Nachteilen für Gebietsfremde an anderer Stelle Vorteile gegenüberstünden, als Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der Grundfreiheiten nicht zu.441 Als Ausnahme hat der EuGH eine Saldie-

433

Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, S. 283 ff., 298; Hey, AöR 2003, 226 (239); Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 26; ebenso Reimer, in: Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht, S. 39 (50 f.) für die Grundfreiheiten als Verbote der Diskriminierung Gebietsfremder gegenüber Ansässigen. 434 Hey, AöR 2003, 226 (238 f.). 435 Hey, AöR 2003, 226 (239). 436 Hey, AöR 2003, 226 (239). 437 Ebenso Reimer, in: Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht, S. 39 (50 f.); Hey, AöR 2003, 226 (239). 438 BVerfG v. 24. 1. 1962 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 (341 f.); v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (113 f.); v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (187); zustimmend Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 26; tendenziell anders BVerfG v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (8 f.). 439 BVerfG v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (112 f.) m. w. N.; v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (187). 440 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (184). 441 Näher Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach, Europarecht4, § 31 Rn. 120 m. w. N.; Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 4.102.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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rung im Rahmen des speziell steuerrechtlichen Rechtfertigungsgrunds der Kohärenz des Steuersystems anerkannt.442 Im Vergleich zum BVerfG geht er hier aber von tendenziell strengeren Maßstäben aus, weil ein unmittelbarer systematischer Zusammenhang zwischen dem Steuervorteil, der auf innerstaatliche Vorgänge begrenzt ist, und dessen Ausgleich durch eine konkrete, ebenfalls nur innerstaatliche Vorgänge treffende steuerliche Belastung bestehen muss.443 Saldierungen, die großzügig typisieren und die das BVerfG zulässt444, weist der EuGH pauschal zurück.445 Es ist jedoch überzeugender, wenn der Kompensationsgedanke nicht als selbständiger, mit eigenem materiellem Gewicht ausgestatteter verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsgrund eingeordnet wird. Stattdessen sollte er nur einen Faktor für die Bestimmung des Strengemaßes im Rahmen der Rechtfertigung bilden. Je stärker eine steuerliche Belastung durch einen Vorteil kompensiert werden kann, desto niedriger sind die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund.446 Bei der anderen Ansicht besteht das Risiko, dass die Bedeutung dieses Gedankens zulasten der Steuerpflichtigen übermäßig ausgeweitet wird und ihm per se insbesondere aufgrund der großzügigen Voraussetzungen rechtfertigende Kraft zugemessen wird.447 Das Kompensationsargument ist aufgrund dessen Weite und Unbestimmtheit besonders anfällig für einfließende subjektive Wertungen des Gesetzgebers oder Rechtsanwenders.448 Bei der späteren Prüfung der Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zeigt sich, dass diese Befürchtung nicht bloß theoretischer Natur ist.449 Die Zurückstufung des Kompensationsgedankens

442

Grundlegend EuGH v. 28. 1. 1992 – C-204/90 (Bachmann), ECLI:EU:C:1992:35 (Rn. 21 ff.); v. 1. 12. 2011 – C-250/08 (Kommission / Belgien), ECLI:EU:C:2011:793 (Rn. 82); v. 30. 6. 2016 – C-123/15 (Feilen), ECLI:EU:C:2016:496 (Rn. 40 f.); st. Rspr. Vgl. Kokott / Ost, EuZW 2011, 496; kritisch Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach, Europarecht4, § 31 Rn. 118. 443 Etwa EuGH v. 16. 1. 2003 – C-388/01 (Kommission / Italien), ECLI:EU:C:2003:30 (Rn. 23 f.); ausführlich hierzu Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 4.102; Wernsmann, in: Schulze / ​ Janssen / Kadelbach, Europarecht4, § 31 Rn. 118; Hey, AöR 2003, 226 (234 ff.). 444 BVerfG v. 15. 1. 2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (30). 445 Siehe etwa EuGH v. 6. 6. 2000 – C-35/98 (Verkooijen), ECLI:EU:C:2000:294 (Rn. 57 f.); kritisch Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 4.102. 446 In diese Richtung geht auch eine jüngere Entscheidung des BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 118); vgl. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 460. Siehe dazu auch 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 2. a). 447 Kritisch auch Klein, DVBl 1981, 661 (667) mit „schweren verfassungsrechtlichen Bedenken“ und der Warnung, dass der Kompensationsgedanke „relativ leicht zu einem Aktionsinstrument“ werden kann, um eine Grundrechtsverletzung „unter einem Nebel behaupteten Ausgleichs zu verbergen“. Hey, AöR 2003, 226 (241 ff.) begegnet diesem Risiko mit allgemein strengeren Anforderungen, wonach die zu saldierenden Vor- und Nachteile gleichartig sein müssen und Sachverhalts- und Personenidentität sowie ein rechtssystematischer Zusammenhang vorliegen müssen. Hierzu Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, S. 319 ff., der ebenfalls strengere Voraussetzungen erarbeitet. 448 Warnend Klein, DVBl 1981, 661 (667); vgl. Hey, AöR 2003, 226 (240). 449 Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 16 A. II. 2.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

von einem eigenen Rechtfertigungsgrund auf die Ebene der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs kann dieser Gefahr begegnen.450

§ 10 Freiheitsrechtliche Prüfung Neben dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz bilden die Freiheitsgrundrechte eine weitere Grenze für die Besteuerung, wenn auch eine weniger bedeutende.451 Sie beschränken den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nur, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts vorliegt, der nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.452 Für das Steuerrecht sind insbesondere die Eigentumsfreiheit, die Berufsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit von Bedeutung.453 Problematisch könnten aufgrund der hohen Eingriffsintensität454 insbesondere die Verrechnungsbeschränkungen für Verluste aus Aktienveräußerungen und Termingeschäften sein. Der BFH geht in seinem Vorlagebeschluss zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. 8. 2007455 (jetzt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) von einer Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 1 GG aus, was zu einer schärferen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG führe.456 Außerdem problematisiert der Senat einen Verstoß gegen Art. 14 GG.457 Diese Frage lässt er aber ausdrücklich offen. Im Schrifttum werden die knappen Ausführungen des BFH kritisiert und in Zweifel gezogen.458 Zur Untersuchung dieser Problemstellung ist im Folgenden auf die zen-

450 In eine ähnliche Richtung geht auch die Annahme von Reimer, in: Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht, S. 39 (50 f.), allerdings im europarechtlichen Kontext der Grundfreiheiten. Dieser will die Kompensation nicht als „echten Rechtfertigungsgrund“ anerkennen. Statt­dessen könne der Kompensationsgedanke in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die von mehr Flexibilität gekennzeichnet sei, eingebracht werden. In Verbindung mit einem „echten“ Rechtfertigungsgrund könne die Diskriminierung oder Beschränkung soweit abgemildert werden, dass die einschlägige Grundfreiheit im Ergebnis nicht verletzt sei. 451 Siehe dazu schon 2. Teil. 452 Allgemein dazu etwa Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 14, 19 ff.; ­Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 1 ff.; Sachs, in: Sachs9, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 77 ff. 453 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 81 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR V3, § 118 Rn. 65 erwähnt daneben noch die Medienfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 530. 454 Siehe dazu noch 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 1. sowie 2. Teil  4. Kapitel  § 15 A. II. 1. Die freiheitsgrundrechtliche Problematik wird deshalb erst bei diesen Verlustverrechnungsbeschrän­ kungen behandelt und nicht schon im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG. 455 BGBl I 2007, 1912 = BStBl I 2007, 630. 456 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 52); in diese Richtung auch Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27). 457 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 78); tendenziell bejahend Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27). 458 Lenhart, BB 2021, 2070 (2074).

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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trale Frage einzugehen, welche Wirkungen eines Steuergesetzes rechtfertigungs­ bedürftig sind. A. Die zwei verschiedenen Wirkungen der Besteuerung Im Steuerrecht wird bei der Prüfung der Freiheitsgrundrechte als Begrenzung steuerlicher Eingriffe die erste bedeutende Weiche bei der Frage gestellt, welche von einem Steuergesetz ausgehenden Wirkungen rechtfertigungsbedürftig sind.459 Es wird zwischen dem Vermögensentzug (Belastungswirkung) und der Beeinflussung des Verhaltens (Gestaltungswirkung) unterschieden, die strikt voneinander getrennt werden müssen.460 Diese zwei Wirkungen sind je für sich grundrechtserheblich.461 Der Steuerbescheid, der auf einem Steuergesetz beruht und dieses konkretisiert, stellt einen klassischen Eingriff462 dar, weil es sich um eine finale, unmittelbare, imperative und regelnde staatliche Maßnahme handelt.463 Dagegen liegt in der Verhaltensänderung des Einzelnen, die aus der bloßen Existenz eines Steuergesetzes und keinem gesetzlichen Verbot resultiert, kein klassischer Eingriff.464 Denn diese Änderung beruht auf der autonomen Entscheidung des Einzelnen, nach dessen Ansicht sich ein bestimmtes Verhalten „nach Steuern“ nicht mehr lohnt.465 Die „Androhung“ der Besteuerung kann aber einen faktischen Eingriff darstellen.466 Obwohl es in diesen Fällen nicht zu einem Vermögensentzug kommt, kann die Existenz der Steuernorm trotzdem die Freiheit der potentiell Steuerpflichtigen einschränken.467 Dafür müssen jedoch strenge Voraussetzungen erfüllt sein.468

459

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 530 f. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 68 ff.; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  2 Abs. 1 Rn. 94; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 345, 350 ff.; Wernsmann, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 161 (169); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 531 f. 461 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 532. 462 Zu diesem Begriff Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 26 ff. 463 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 346; Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171). 464 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.183; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 353; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 569. 465 Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171). 466 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.183; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HStR V3, § 118 Rn. 69; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 532, 569. 467 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 348. 468 Siehe dazu näher 2. Teil 3. Kapitel § 10 C. 460

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

B. Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte durch Vermögensentzug I. Betroffenes Grundrecht Das entzogene Vermögen ist von der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.469 Es ist strittig, ob Art. 14 GG das Vermögen als solches schützt und ob damit dieser Eingriff zudem vor der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) gerechtfertigt werden muss. Die Rechtsprechung des BVerfG zu dieser Frage ist von Wechseln gekennzeichnet: Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung über mehrere Jahrzehnte Art. 14 GG nicht als einschlägig erachtet und nur für den Fall der Erdrosselungssteuer470 eine Ausnahme vorgesehen.471 In jüngeren Entscheidungen hat es diese Frage ausdrücklich offengelassen.472 Das Gericht trägt damit wohl der Tatsache Rechnung, dass das Schutzniveau für Betroffene bei Einbeziehung des Vermögens in den Schutzbereich von Art. 14 GG nicht höher wäre als bei der allgemeinen Handlungsfreiheit, nachdem das BVerfG die aus Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG hergeleitete Belastungsobergrenze „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ (sogenannter Halbteilungsgrundsatz) verabschiedet hat.473 Das BVerfG geht offensichtlich davon aus, dass die Eigentumsgarantie und die allgemeine Handlungsfreiheit auf Rechtfertigungsseite die gleichen Maßstäbe aufstellen.474 In einem Urteil aus dem Jahr 2020 geht das BVerfG wiederum davon aus, dass die Eigentumsgarantie nicht den Schutz des Vermögens als solches umfasse und stattdessen Art. 2 Abs. 1 GG den Grundrechtsberechtigten vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze.475 Jüngst hat das Gericht im Beschluss zur Vollverzinsung diese Linie, die es schon zu Beginn vertreten hatte, verfestigt.476 Diesen neueren Entscheidungen des BVerfG ist zuzustimmen. Richtiger Ansicht nach ist das Vermögen als solches nicht von der Eigentumsgarantie geschützt.477 469

BVerfG v. 25. 9. 1992 – 2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153 (169); v. 5. 2. 2002 – 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17 (32); v. 26. 2. 2020  – 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182 (Rn. 333); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117); Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 93; Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Art. 2 Rn. 27; Thiemann, Verluste, S. 446; Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172). 470 Kritisch Thiemann, Verluste, S. 450 f.; diesen Einwand wiederum entkräftend Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 549 f. 471 Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  533 ff. m. w. N. 472 BVerfG v. 18. 1. 2006  – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 (113); v. 15. 1. 2014  – 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 (Rn. 42). 473 Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 534; vgl. Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 86; a. A. Ipsen, in: FS Badura, S. 201 (214), der bei Art. 14 Abs. 1 GG von einer strengeren Kontrolle der Angemessenheit ausgeht. 474 Für diesen Befund Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 534 mit Verweis auf BVerfG v. 18. 1. 2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 (114 f.). 475 BVerfG v. 26. 2. 2020 – 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182 (Rn. 333). 476 BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117). 477 Böckenförde, Sondervotum zu BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 149 (153); Papier / Shirvani, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 14 Rn. 277 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 544 f. m. w. N. zur Gegenansicht.

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist es Aufgabe des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen und somit die Schutzobjekte normativ zu konstituieren.478 Deshalb können nur die durch Gesetze geprägten, zu subjektiven Rechtspositionen erhobenen Vermögensbestandteile Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellen, nicht aber das Vermögen als Ganzes.479 Die neben der Gebrauchswertgarantie teils angenommene Eigentumswertgarantie480, die bereits bei jeder Auferlegung einer Geldleistungspflicht beeinträchtigt sei, führt zu einem Verlust der spezifischen Garantiegehalte des Eigentumsgrundrechts, da diese Ansicht den Unterschied zwischen der „freiheitsrechtlich begründeten Bestands- und Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG“ einerseits und der Entschädigungspflicht des Art. 14 Abs. 3 GG andererseits außer Betracht lässt.481 Folglich ist nach zutreffender Ansicht das Vermögen als solches nicht von Art. 14 GG geschützt. Damit muss der Eingriff durch den Vermögensentzug nur vor Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip die zentrale Schranke für die gesetzliche Regelung.482 Der Vermögensentzug verfolgt mit der staatlichen Einnahmeerzielung einen legitimen Zweck. Der Entzug ist auch in der Regel zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen.483 Denn die Herstellung einer Zweck-Mittel-Relation zwischen dem Steuereingriff und dem Finanzierungsanspruch des Staats ist wegen dessen Allgemeinheit nicht möglich.484 Im Ergebnis vermag die Anwendung dieses Prinzips der Besteuerung kaum Grenzen zu ziehen.485 478

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 545. Ausführlich zum Ganzen Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 545; Papier / Shirvani, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 14 Rn. 277. 480 Friauf, DÖV 1980, 480 (488); Friauf, DStJG 1989, S. 3 (23). 481 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 545. 482 BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117) m. w. N.; Thiemann, Verluste, S. 446 f.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 564 f. 483 Ausführlich zu den einzelnen Prüfungsstufen im konkreten Zusammenhang Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 383 ff. sowie Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 566 ff. Allgemein dazu Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.180 f. m. w. N. 484 BVerfG v. 22. 3. 1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (367): Im „[…] Bereich der Steuergesetze [ist] eine Verbindung zwischen Eingriffszweck und Eingriffsgewicht im Einzelfall nicht herzustellen und deshalb auch eine konkrete Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer Abwägung der jeweiligen Interessen in der Tat nicht möglich“; ebenso Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 189; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.182 zu den Schwierigkeiten der Anwendung dieses Prinzips. 485 Bryde / Wallrabenstein, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 14 Rn. 114, „Steuer- und Abgabenrecht“; Thiemann, Verluste, S. 447 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 565 m. w. N. 479

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

C. Mittelbare Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte durch Gestaltungswirkung I. Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts Die Gestaltungswirkungen treten ein, wenn der potentiell Steuerpflichtige ein steuerlich ungünstiges Verhalten unterlässt beziehungsweise bei Steuervergünstigungen das steuerlich vorteilhafte Verhalten wählt.486 Von einem Steuergesetz können Vorfeldwirkungen ausgehen, die Einfluss auf die Willensbildung nehmen und ursprüngliche Absichten einer Person verändern.487 Der Gesetzgeber setzt eine Norm als influenzierend und motivierend wirkendes Steuerungsinstrument ein, um den Betroffenen zu einer Anpassung seiner Verhaltensweise an die Verhaltenserwartung zu bewegen.488 Der Verzicht auf die Ausübung eines Grundrechts wird mit einem Vorteil verbunden oder es erfolgt eine zusätzliche finanzielle Belastung.489 Solche beabsichtigten oder auch nicht beabsichtigten staatlichen Einwirkungen bedürfen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.490 Der Grundrechtsschutz wäre lückenhaft, wenn er motivationsbeeinflussendes Verhalten des Staats nicht berücksichtigen würde.491 Außerhalb des klassischen Eingriffsbegriffs sind aber zusätzliche Voraussetzungen zu fordern, weil fast jede steuerliche Norm Gestaltungswirkungen auslöst und deshalb die konkrete Gefahr der übermäßigen Beschneidung des gesetzgeberischen Spielraums besteht.492 Eine faktische staatliche Einwirkung ist nur dann rechtfertigungsbedürftig, wenn sie in „in der Zielsetzung und ihren Wirkungen“ einem klassischen Eingriff gleichkommt und damit die Eingriffsschwelle überschritten ist.493 Der Staat muss den Grundrechtsgebrauch praktisch unmöglich machen oder nachhaltig beeinträchtigen.494 Das setzt Lenkungswirkungen von einer erhöhten Intensität voraus, die eine erhebliche „Abschreckwirkung“ beim Grundrechtsberechtigten auslö 486

Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 348. Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 3.183; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 348 f. m. w. N. 488 Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 28; Kloepfer, JZ  1991, 737; vgl. P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares“ Einwirken, S. 38 f. 489 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 357. 490 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 345. 491 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 363 mit Verweis auf Vogel, in: Isensee / K irchhof, HStR IV2, § 87 Rn. 83 (in 3. Aufl. nicht mehr enthalten). 492 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 58; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 354 warnt vor der Gefahr der Konturenlosigkeit des Eingriffsbegriffs. 493 BVerfG v. 17. 3. 2004 – 1 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 (191); v. 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202 (222); Hillgruber, in: Isensee / K irchhof, HStR IX3, § 200 Rn. 89 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 29; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 570 f., 574. 494 Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 29; Kunig / Kämmerer, in: v. Münch /  Kunig7, GG, Art. 2 Rn. 34; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 570. 487

3. Kap.: Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

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sen.495 Die Grundrechtsausübung muss mit einem „spürbaren Nachteil“ verbunden sein.496 Die bloße „Anknüpfung“ des Steuertatbestands an das grundrechtlich geschützte Verhalten oder das Innehaben einer vermögenswerten Rechtsposition ist für die Annahme eines rechtfertigungsbedürftigen Eingriffs in ein Grundrecht nicht ausreichend.497 Denn eine „Anknüpfung“ an ein konkretes Verhalten führt typischerweise gerade nicht zu faktischen Auswirkungen von derartiger Inten­sität und zu einem motivationsbeeinflussenden Druck, der zu einer Änderung des Verhaltens des potentiell Steuerpflichtigen führt.498 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des faktischen Eingriffs Im Rahmen der Rechtfertigung der verhaltensbeeinflussenden Wirkungen gilt es Besonderheiten bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Die herrschende Ansicht im Schrifttum nimmt eine doppelte Prüfung der Verhältnismäßigkeit vor.499 Danach müsse ein Gesetz, das neben dem Fiskalzweck auch Lenkungszwecke verfolge, hinsichtlich beider Ziele verhältnismäßig sein. Die Rechtsprechung des BVerfG entspricht dem im Wesentlichen.500 Die Gegenansicht lässt für die Rechtfertigung ausreichen, dass das Gesetz hinsichtlich eines Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.501 Das ist jedoch bezüglich des Fiskalzwecks fast immer der Fall, sodass diese Auffassung der Besteuerung keine wirksamen Grenzen ziehen kann.502 Nach Wernsmann503 ist richtigerweise zu differenzieren: Eine Steuer, die entgegen der Konzeption als Lenkungssteuer keine Verhaltensänderungen bei den potentiellen Steuerpflichtigen verursacht, ist zwar nicht geeignet zur Förderung des Lenkungsziels. Allerdings ist dies unbeachtlich, weil keine Gestaltungswirkungen eingetreten sind, die rechtfertigungsbedürftig wären. In diesem Fall müssen bei einer Sondersteuer wie etwa der Tabaksteuer nur die Belastungswirkungen gerechtfertigt werden. Soweit der Vermögensentzug gerechtfertigt ist, kommt es auf die 495

Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172). Vgl. BVerfG v. 17. 3. 2004 – 1 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 (191) im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialleistungen. 497 Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 570; in Anschluss an diesen Thiemann, Verluste, S. 474; vgl. Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 85; Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Art. 14 Rn. 29. 498 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 574. 499 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 575 m. w. N. 500 BVerfG v. 30. 10. 1961 – 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181 (190); v. 17. 7. 1974 – 1 BvR 51/69, BVerfGE 38, 61 (86 ff.); v. 14. 5. 1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (245 ff.). 501 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, S. 91 f. 502 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 575; siehe dazu auch 2. Teil 3. Kapitel  § 10 B. 503 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 390 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 576 f. Dort auch zum Folgenden. 496

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

verfehlte Verhaltensbeeinflussung nicht mehr an. Falls dagegen eine Lenkungssteuer gezielt eine Verhaltensänderung auslöst, ist diese neben der Belastungswirkung rechtfertigungsbedürftig.504

§ 11  Finanzverfassungsrecht Die Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) nennt in Art. 106 GG Typen von Steuern und Steuerarten.505 Das BVerfG und die zutreffende herrschende Meinung im Schrifttum entnehmen dem Regelungszusammenhang der Art. 105, Art. 106 GG, dass nur solche Steuern erhoben werden dürfen, die einem der genannten Steuertypen des Art. 106 GG zugeordnet werden können.506 Die Einführung von Steuern steht unter einem „Verfassungsvorbehalt“.507 Bei der Ausgestaltung bestehender Steuern muss der Gesetzgeber ebenfalls den finanzverfassungsrechtlichen Rahmen des jeweiligen Steuertypus in gewissem Umfang beachten.508 Teile der Literatur sehen in den kompetenziellen Begriffen eine konkrete Grenze des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums und sprechen von der Möglichkeit einer maßvollen Ausstattung der finanzverfassungsrechtlichen Steuerbegriffe mit materiellen Vorgaben509 oder davon, dass in diesen das Leistungsfähigkeitsprinzip zum Vorschein komme510. Diese Ansichten sind problematisch. Es ist nicht zu bestreiten, dass der Steuergesetzgeber in der Ausgestaltung des Rechts durch die Steuern und Steuerarten, die in Art. 106 GG genannt sind und gemäß Art. 105 GG Kompetenzen zuweisen sollen, beeinflusst wird.511 Denn die formelle Zuweisung von Gestaltungshoheiten setzt voraus, dass der gestaltbare Gegenstand bezeichnet und insoweit umgrenzt wird.512 Die Begriffe könnten sonst „gar keine abgrenzende 504 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 392; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  577. 505 Drüen, FR 2020, 663 (667). Für die übrigen finanzverfassungsrechtlichen Fragen im konkreten Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 EStG, siehe 2. Teil 4. Kapitel § 12 C. und 2. Teil 4. Kapitel  § 14 C. 506 BVerfG v. 13. 4. 2017  – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 (Rn. 69 ff.); ausführlich dazu Tappe / Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht2, Rn. 254 ff. m. w. N. 507 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 382. 508 Drüen, StuW  2008, 3 (7); Drüen, FR  2020, 663 (667); Jachmann-Michel / Vogel, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 105 Rn. 33; Thiemann, Verluste, S. 499. 509 Seiler, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 105 Rn. 3; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung, S. 182 ff. 510 Jachmann-Michel / Vogel, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 105 Rn. 28; Seiler, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  105 Rn.  3; Vogel / Waldhoff, in: BK, GG, Vorbem. Art. 104a115 Rn. 519; im Zusammenhang mit der Einkommensteuer Drüen, FR 2020, 663 (667). 511 P. Kirchhof, Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, S. 72 spricht von der „Vorformung der Gesetzesinhalte durch den kompetenzrechtlichen Sachbereich“; Thiemann, Verluste, S. 501 spricht von einer „zwangsläufigen“ Einflussnahme; in diese Richtung auch Heintzen, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 105 Rn. 20. 512 Thiemann, Verluste, S. 501; Waldhoff, ZfZ 2012, 57 (58).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Wirkung entfalten“.513 Es besteht allerdings die Gefahr, dass einem einzelnen Steuerbegriff unter dem Deckmantel des Kompetenzbegriffs zu weitgehende Vorgaben einer inhaltlichen Ausgestaltung beigemessen werden, die statt der Kompetenzmäßigkeit die materielle Verfassungsmäßigkeit betreffen.514 Die Trennung der Prüfungsebenen muss aufrechterhalten werden. Richtigerweise ist die „Determinationskraft der Kompentenzbegriffe […] als eher schwach“ einzuschätzen, weil ansonsten die „Intention, gerade Gestaltungshoheiten zuzuweisen, deren Ausübung wiederum am Maßstab materiellen Verfassungsrechts zu prüfen ist“, konterkariert würde.515 Deshalb ist bei der Aufladung der finanzverfassungsrechtlichen Steuerbegriffe mit inhaltlichen Vorgaben Zurückhaltung geboten. 4. Kapitel

Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG Die Verlustverrechnungsbeschränkungen für Einkünfte aus Kapitalvermögen in § 20 Abs. 6 EStG beschränken die interne, externe und zeitliche Verlustverrechnung. Im Folgenden sind die Regelungen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), der Freiheitsgrundrechte (Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) und des Finanzverfassungsrechts (Art. 104a ff. GG) zu untersuchen.

§ 12 Verrechnung negativer Einkünfte (§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG) § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG bestimmt, dass jeder externe Verlustausgleich und -abzug mit allen Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeschlossen ist. Der interne Verlustausgleich bleibt dagegen möglich. Die Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur hält die Regelung für verfassungsgemäß.516 513

Waldhoff, ZfZ 2012, 57 (62). Diese Trennung betont auch BVerfG v. 4. 2. 2009 – 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1 (16); Kube, in: BeckOK, GG, Art. 105 Rn. 7; vgl. Thiemann, Verluste, S. 503; ebenfalls zurückhaltend Jachmann, in: Brandt, Für ein gerechteres Steuerrecht, S. 33 (63 f.), die im Ergebnis für einen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers plädiert; Jachmann, DStR Beih. 2009, 129 (129 f.). 515 Thiemann, Verluste, S. 504; in diese Richtung auch BVerfG v. 4. 2. 2009 – 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1 (16 ff.) für eine Aufwandsteuer; ebenso Heintzen, in: v. Münch / Kunig7, GG, Art. 105 Rn. 20; ähnlich Seiler, DStJG 2011, S. 61 (66). 516 FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 69); Birk, DStJG 2011, S. 11 (28); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Dinkelbach / Briesemeister, DB  2020, 579 (581); Drüen, FR  2020, 663 (668 f.); Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27); Jachmann-Michel, in: Reformfragen des deutschen Steuerrechts, S. 31 (42 f.); Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 49; Redert, in: eKommentar, EStG, § 20 Rn. 718; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 273; 514

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

A. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung 1. Bestimmung der Belastungsgrundentscheidung Bei der Feststellung der Ungleichbehandlungen mit Hilfe des Folgerichtigkeitsgebots stellt sich die Frage nach der Belastungsgrundentscheidung.517 Die Beschränkung der Verlustverrechnung in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG könnte entweder selbst eine neue Grundentscheidung oder eine Abweichung von einer bereits bestehenden Grundentscheidung darstellen. Diese Frage ist im Folgenden zu klären, weil unter anderem davon die Strenge des Prüfungsmaßstabs bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung abhängt. Bei der Ausbildung eines Prinzips gleichheitsgerechter Lastenausteilung kann für den Normgeber nur das Verbot bloßer Willkür gelten.518 Bei Durchbrechungen eines durch den Gesetzgeber selbst gesetzten, gleichheitsgrundrechtlich akzeptablen Maßstabs der Lastenverteilung ist bei der Strenge im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ein gleitender Maßstab entsprechend der Intensität der Ungleichbehandlung anzulegen.519 Die Ungleichbehandlung kann nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die in Anbetracht des Umfangs der Abweichung vom Prinzip der gerechten Steuerlastverteilung „hinreichend gewichtig“ sind.520 Einerseits kommt § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG selbst als Bestandteil einer neuen Belastungsgrundentscheidung in Betracht. Davon geht der BFH in seinem Vorlage­ beschluss an das BVerfG zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG aus.521 Eine Begründung hierfür fehlt jedoch. Konsequenterweise müsste dann ein entsprechend großzügiger Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt werden.522 Zur Untermauerung dieser Annahme ließe sich anführen, dass sich der Gesetzgeber mit Einführung des Sondertarifs gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG und des Abzugsverbots für Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für eine ScheStrohm, Abgeltungsteuer, S. 216 f.; Thiemann, Verluste, S. 301; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109); Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. F 28a; tendenziell auch BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). Zweifelnd hingegen Loos, DStZ  2010, 78 (79); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H  40 ff. Für die Verfassungswidrigkeit Englisch, StuW 2007, 221 (236 f.); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Klotz, Abgeltungsteuer, S. 154 ff.; Oho / Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324); Röder, Verlustverrechnung, S. 339 ff. 517 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 3. b). 518 Siehe ausführlich 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. b). 519 Siehe ausführlich 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 520 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 27 ff.; Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 37; Thiemann, Verluste, S. 161. 521 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51); zustimmend Döring  / ​ Garz, FR 2021, 834 (838); Kanzler, FR 2021, 847 (849). 522 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 3. c). Offenlassend BFH v. 17. 11. 2020  – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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dulensteuer als neue Belastungsgrundentscheidung entschieden haben könnte.523 Im Hinblick auf die „Schedule Arbeitseinkünfte“524 verfolge der Normsetzer das Nettoprinzip, im Hinblick auf die Schedule Kapitaleinkünfte das Brutto­prinzip.525 Das Verbot einer Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen den Schedulen Arbeits- und Kapitaleinkommen könnte dann Bestandteil einer neuen Belastungsgrundentscheidung sein.526 Im Ergebnis wäre bei der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ein großzügiger Maßstab anzulegen, wobei der Gesetzgeber lediglich die Grenzen des Willkürverbots wahren müsste.527 Es ist jedoch überzeugender, auf die Regelungen in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG als Belastungsgrundentscheidung abzustellen.528 Davon geht wohl auch der Gesetzgeber selbst in der Entwurfsbegründung des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG aus.529 Die Grundentscheidung bei der Verlustverrechnung, die der Normsetzer in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG getroffen hat, soll im Grundsatz für alle Einkunftsarten und somit ebenfalls für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gelten.530 Hiervon weicht der Normgeber durch § 20 Abs. 6 EStG ab, wobei er in Satz 1 implizit § 2 Abs. 3 EStG („mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden“) und explizit § 10d EStG anspricht. Die beiden Normen bilden zusammen das Fundament der allgemeinen Verlustverrechnungssystematik und haben die erforderliche Gewichtigkeit zur Systemprägung531.532 523

Vgl. Koss, in: Korn, EStG, § 32d Rn. 2, der davon ausgeht, dass mit der Einführung der Abgeltungsteuer die Grundentscheidung für eine synthetische Einkommensteuer durch das Schedulenkonzept ersetzt wurde. Ebenso Döring / Garz, FR 2021, 834 (838); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 3; Kanzler, FR 2021, 847 (849); Philipowski, DStR 2009, 353 (356); Schulz / Vogt, DStR 2008, 2189 (2189 f.); Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 90. Offenlassend G. Kirchhof, DStR 2009, 135 (141). 524 Für diesen Begriff Strohm, Abgeltungsteuer, S. 206, der jedoch nicht erläutert, welche Einkunftsarten von dieser Schedule erfasst seien; vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.1, die ebenfalls das sog. Arbeitseinkommen dem sog. Kapitaleinkommen gegenüberstellt. 525 Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 3; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 206, der das jedoch im Ergebnis ablehnt. 526 Strohm, Abgeltungsteuer, S. 205 ff., der das aber letztlich ablehnt. 527 Für diese Sichtweise Kanzler, FR 2021, 847 (849). 528 Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 175; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 204 ff.; Wernsmann, DStR  Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW  2018, 100 (109); tendenziell auch Englisch, StuW 2007, 221 (235); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. A 168, H 37. 529 BT-Drucks. 16/4841, 57 f., damals noch § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG a. F.: „Diese von den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug abweichende Regelung ist berechtigt […].“ (Hervorhebung nur hier.). 530 Vgl. BVerfG v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (99 f.), in der das BVerfG im Zusammenhang mit der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände nach § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG von den „allgemeinen Grundsätze[n] der Verlustverrechnung nach § 2 Abs. 3 und § 10d EStG“ spricht. 531 Zu dieser Voraussetzung siehe 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. I. 3. b). 532 In diese Richtung auch BVerfG v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (99 f.); Bender, Verlustverrechnungsbeschränkungen, S. 16; P. Kirchhof, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 2 Rn. D 29.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Die Einführung eines besonderen proportionalen Steuertarifs (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) stellt zwar einen Bruch mit dem Ideal der synthetischen Einkommensteuer (Einheitssteuer) dar, die grundsätzlich die gleichwertige Behandlung der verschiedenen Einkunftsarten vor Augen hat.533 Entgegen der oben genannten Ansicht hält der Gesetzgeber im Grundsatz weiter an diesem Prinzip fest.534 Er bildet lediglich für die Einkünfte aus Kapitalvermögen eine besondere Schedule, die sich als Ausgestaltung der bisherigen Belastungsgrundentscheidung für eine synthetische Einkommensteuer darstellt. Für die hier vertretene Ansicht spricht eine Entscheidung des BVerfG535, deren Grundsätze auf die vorliegende Konstellation übertragbar sind. In dem Beschluss hat sich das BVerfG zur Schedulenbesteuerung geäußert. Dabei war die Norm des § 32c EStG in der Fassung des Standortsicherungsgesetzes vom 13. 9. 1993536 Gegenstand des konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG. Damit wurde ein niedrigerer Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuer eingeführt. Das BVerfG führt aus: „Bei der Einkommensteuer liegt die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers […]. Wählt der Gesetzgeber für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsen­ tieren (sogenannte Schedulenbesteuerung), muss diese Ungleichbehandlung besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten (vgl. § 2 Abs. 1 EStG) genügt dafür nicht […]. Vielmehr gelten für Sondertarife keine geringeren Rechtfertigungsanforderungen als für Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips, die durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt werden müssen […]. Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit macht es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einfließen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden.“537 533

Englisch, StuW 2007, 221 (223, 236); Hey, BB 2007, 1303 (1304, 1308); Seer, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 2 Rn. 3; Röder, Verlustverrechnung, S. 18; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 207 f.; Tipke, StRO II2, S. 668 ff.; Tipke, StuW 2007, 201 (209); Urban, Die Einkünfteerzielungsabsicht in der Systematik des Einkommensteuergesetzes, S. 36. 534 Englisch, StuW 2007, 221 (236); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 37: „§ 2 [EStG] ist insoweit eindeutig“; Kämmerer, DStR 2010, 27 (28 f.); Musil, FR 2010, 149 (152); Röder, Verlustverrechnung, S. 18: „§ 2 EStG bleibt in seiner Grundstruktur unberührt“; Seer, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 2 Rn. 3; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 208; Thiemann, Verluste, S. 301. 535 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; ähnlich mit Verweis auf diese Entscheidung BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 57 f.). 536 BGBl I 1993, 1569 = BStBl I 1993, 774. 537 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181); ähnlich mit Verweis auf diese Entscheidung BVerfG v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 57 f.). Zustimmend

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Die Grundsätze aus dem Beschluss des BVerfG sind übertragbar. Der Normsetzer hat im Rahmen der Unternehmensteuerrechtsreform 2008 für die Einkünfte aus Kapitalvermögen einen proportionalen Tarifverlauf gewählt, der von dem grundsätzlich progressiven Tarif der übrigen Einkünfte abweicht. Dafür hat er § 20 EStG neugestaltet und erfasst nun alle im Privatvermögen zufließenden Kapitaleinkünfte (Zinsen, Dividenden und private Veräußerungsgewinne) mit einer Abgeltungsteuer in Höhe von 25 %, solange keine Beteiligung im Sinne des § 17 EStG vorliegt.538 Vor Einführung der Abgeltungsteuer galt grundsätzlich für alle Einkunftsarten der progressive Tarif (§ 32a EStG). Die Einkünfte repräsentierten – um mit den Worten des BVerfG539 zu sprechen – nach dieser „gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit“. Die Abgeltungsteuer kann durch „besondere sachliche Gründe“540 verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.541 Der BFH prüft ebenfalls bei der Verfassungsmäßigkeit von Normen, die den Kern des Abgeltungsteuerregimes betreffen, besondere sachliche Gründe. Der BFH führt „verfassungsrechtlich anzuerkennende und von der gesetzgeberischen Entscheidung umfasste wirtschaftspolitische Förderungs- und Lenkungsziele“542 oder die Zulässigkeit „generalisierende[r], typisierende[r] und pauschalierende[r] Regelungen“543 für § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG und § 32d Abs. 1 EStG an.544 Wenn nun aber die Einführung eines Sondertarifs schon „besonderen Rechtfertigungsanforderungen“ genügen muss, wäre es widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber bei den Bestimmungen zur Verlustverrechnung innerhalb der Einkünfte, die dem Sondertarif unterliegen, einen weiten Gestaltungsspielraum hätte. Es wäre nicht konsequent, wenn dafür bloß das Willkürverbot gelten würde. Stattdessen muss im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ein gleitender Maßstab entsprechend der Intensität der Ungleichbehandlung angelegt werden.

Röder, Verlustverrechnung, S. 211; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Tappe, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 32a Rn. A  113. Siehe bereits Wernsmann, NJW 2000, 2078 (2080); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 243. Kritisch Wendt, FR 2006, 775, weil „das BVerfG […] mit Selbstverständlichkeit von der Zulässigkeit einer Schedulensteuer“ ausgehe. 538 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 2; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. A 134. 539 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181). 540 BVerfG v. 21. 6. 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181). 541 Siehe die Nachweise bei 1. Teil, Fn. 39 und 40. 542 BFH v. 1. 7. 2014 – VIII R 53/12, BStBl II 2014, 975 (juris Rn. 12) und BFH v. 28. 1. 2015 – VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393 (juris Rn. 15) für § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG; BFH v. 28. 1. 2015 – VIII R 8/14, BStBl II 2015, 397 (juris Rn. 19) für § 32d Abs. 1 EStG. 543 BFH v. 1. 7. 2014 – VIII R 53/12, BStBl II 2014, 975 (juris Rn. 11 ff.) und BFH v. 28. 1. 2015 – VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393 (juris Rn. 15, 18) für § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG. 544 Anders BFH v. 29. 4. 2014 – VIII R 23/13, BStBl II 2014, 884 (juris Rn. 20) und mit Verweis darauf BFH v. 14. 5. 2014 – VIII R 31/11, BStBl II 2014, 995 (juris Rn. 9) für § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b EStG.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Im Schrifttum wird teilweise noch die Rechtsprechung des BVerfG zum „Systemwechsel“545 angeführt.546 In diesen Fällen gesteht das BVerfG dem Normgeber „umfassende Gestaltungsfreiheit“ zu. Die Bildung einer besonderen Schedule für Einkünfte aus Kapitalvermögen ist jedoch nach hier vertretener Auffassung eine Ausgestaltung der bisherigen Belastungsgrundentscheidung für eine synthetische Einkommensteuer und kein grundlegender Systemwechsel.547 Im Übrigen spricht nicht gegen § 10d Abs. 2 EStG als Belastungsgrundentscheidung, dass sich der Gesetzgeber auf einen externen, außerhalb von Gesichtspunkten einer Verteilungsgerechtigkeit liegenden Zweck beruft.548 In der Begründung des Gesetzentwurfs wird nämlich als Zweck der Regelung die „Verstetigung der Staatseinnahmen“549 angeführt, die es angesichts größerer Bestände an Altverlusten insbesondere im unternehmerischen Bereich zu gewährleisten gelte.550 Dies hat nicht die zwingende Konsequenz, dass § 10d Abs. 2 EStG als Abweichung vom bereichsspezifischen Verteilungsmaßstab einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit anzusehen ist.551 Bei einer objektiven Beurteilung konkretisiert die Norm vielmehr das Prinzip einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und gestaltet die periodenübergreifende Verlustverrechnung aus.552 Somit ist von der Belastungsgrundentscheidung, die der Normsetzer in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG getroffen hat, auszugehen. Die andere Ansicht würde zu der weitgehenden Aushöhlung einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungs­ fähigkeit führen, weil sich der Gesetzgeber im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung lediglich an das Willkürverbot halten müsste.

545

Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (241 ff.); v. 6. 7. 2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280 f.); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 48 f.). 546 Ohne konkrete Schlüsse oder nähere Ausführungen dazu Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Kanzler, FR 2021, 847 (849); Werth, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 32d Rn. 46. 547 Ebenso Röder, Verlustverrechnung, S. 18. 548 Siehe dazu ausführlich 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. d). 549 Siehe bereits 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. b). 550 Vgl. BT-Drucks. 15/1518, 13. 551 Ebenso Thiemann, Verluste, S. 191. 552 Vgl. Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 70. Etwas schwächer Thiemann, Verluste, S. 191 f.: „[D]ie in § 10d Abs. 2 EStG gewählte Form der Ausgestaltung des periodenübergreifenden Verlustausgleichs [kann] dem Prinzip einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit angesichts dessen Ausgestaltungsfähigkeit und -bedürftigkeit durchaus noch entsprechen.“

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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2. Ungleichbehandlung mit anderen Einkunftsarten Es liegt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Verlusten aus § 20 EStG und Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten vor, die ihre negativen Einkünfte gemäß §§ 2 Abs. 3, 10d EStG verrechnen können.553 § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG behandelt etwa Steuerpflichtige mit Verlusten aus einer Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH-Anteilen), die im Privatvermögen gehalten werden, ungleich mit Verlusten aus einer Veräußerung von GmbH-Anteilen, die im Betriebsvermögen verwaltet werden. Die erste Gruppe fällt unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 EStG, die zweite Gruppe unter § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. § 15 Abs. 2 EStG554. Im Betriebsvermögen gehaltenen GmbH-Anteilen stehen aber keine besonderen Verlustverrechnungsbeschränkungen gegenüber. Es gelten die allgemeinen Regeln gemäß §§ 2 Abs. 3, 10d EStG. Folglich finden unterschiedliche Rechtsfolgen Anwendung. Obwohl die Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) den Gewinneinkunftsarten gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und die Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) den Überschusseinkunftsarten gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG zuzuordnen sind (Dualismus der Einkünfteermittlung)555, liegt eine ungleichmäßige Behandlung von Veräußerungen im Betriebsvermögen und im Privatvermögen vor.556 Denn „[h]ier wie dort wird derselbe wirtschaftliche und rechtliche Vorgang, nämlich die gewinnbringende Veräußerung […], steuerlich erfaßt“557.558 Diese Ungleichbehandlung ist rechtfertigungsbedürftig. Auf den Ausschluss des Verlustrücktrags ist im Rahmen der Prüfung des § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG einzugehen.559 Stimmen aus dem Schrifttum gehen davon aus, dass Einschränkungen der Verlustverrechnung im Rahmen einer Schedulenbesteuerung zwischen unterschiedlich tarifierten Schedulen systemimmanent560 und „damit nicht gesondert recht 553

Ebenso Strohm, Abgeltungsteuer, S. 204; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). Zur Abgrenzung des Gewerbebetriebs von der privaten Vermögensverwaltung beim Handel mit GmbH-Beteiligungen BFH v. 25. 7. 2001 – X R 55/97, BStBl II 2001, 809 (juris Rn. 8 ff.). 555 Hierzu Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.181 ff. Die Verfassungsmäßigkeit ist umstritten, Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. A 14 Fn. 37 m. w. N. 556 Siehe zum deskriptiv-normativen Verständnis der Gleichheit 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. I. 2. d). 557 BVerfG v. 9. 7. 1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 (312). Das BVerfG spricht insofern von einer „Verwandtschaft“. Die Entscheidung erging zu § 23 EStG, in der das BVerfG den Einkünftedualismus im Ergebnis gebilligt hat. 558 Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.185; Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. A 14. 559 Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 13. Für die Unterteilung in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG und § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG vgl. BT-Drucks. 16/4841, 57 f.; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 31 ff., 43 ff.; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 241, 243; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1382 ff., 1388 f. 560 Wendt, DStJG 2005, S. 41 (46 f.); im Anschluss daran Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61; Drüen, FR 2020, 663 (669). 554

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

fertigungsbedürftig“ seien.561 Eine bloße Abwandlung in der Formulierung ohne inhaltliche Differenz liegt darin, dass eine konditionale Verbindung zwischen der Schedulensteuer als solcher und der Begrenzung der Verlustverrechnung aufgestellt wird. Wenn die Abgeltungsteuer gerechtfertigt sei, gelte dies automatisch für die Regelungen zur Verlustverrechnungsbeschränkung.562 In diese Richtung geht auch die Begründung des Gesetzentwurfs, nach der § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG „zunächst klarstellt“, dass ein externer Verlustausgleich und -abzug mit allen Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeschlossen ist.563 Dies ist zumindest missverständlich. Die Beschränkung der Verlustverrechnung folgt nicht automatisch aus der Konzeption der Schedulensteuer als solcher.564 Der Ausschluss des Verlustausgleichs stellt eine Ungleichbehandlung mit anderen Einkunftsarten dar, der jedoch gerechtfertigt werden kann. Die Stufe der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist aber in jedem Fall zu prüfen und nicht zu übergehen. Freilich mag die Verlustverrechnungsbeschränkung aus systematischen Gesichtspunkten konsequent sein – deklaratorisch ist sie allerdings nicht.565 Im Rahmen der Rechtfertigung der Verlustverrechnungsbeschränkungen können sich Parallelen zur Rechtfertigung der Schedulensteuer ergeben. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung kann durch einen hinreichenden Grund gerechtfertigt werden. Wie oben erläutert566 reicht die systematische Unterscheidung nach Einkunftsarten (vgl. § 2 Abs. 1 EStG) oder anderen Regelungsgruppen durch den Gesetzgeber als Rechtfertigung nicht aus.567 Zentral ist dabei zunächst die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs, an dem sich die Rechtfertigungsgründe im Folgenden messen lassen müssen.

561

Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61; Röder, Verlustverrechnung, S. 210 f. Birk, DStJG 2011, S. 11 (28); Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (263); Thiemann, Verluste, S. 301. 563 BT-Drucks. 16/4841, 57 f. 564 In diese Richtung auch Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. A 27, H 31, die sich gegen eine bloß deklaratorische Wirkung ausspricht. Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 16/4841, 58, der von einer von §§ 2 Abs. 3, 10d EStG „abweichende[n] Regelung“ spricht. 565 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H  31; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1382. 566 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. 567 BVerfG v. 8. 10. 1991  – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 (363 f.); v. 30. 9. 1998  – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); v. 21. 6. 2006  – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181); v. 8. 12. 2021 – 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19 (juris Rn. 58); st. Rspr. 562

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs Es besteht eine strengere Bindung an den Gleichheitssatz, je mehr sich die Differenzierungskriterien denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, je stärker sich die Differenzierung auf die Ausübung von grundrechtlich geschützten Freiheiten auswirken kann und umso weniger die Betroffenen die Verwirklichung der Merkmale durch ihr Verhalten beeinflussen können.568 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG ist außerdem das flexiblere Kriterium des Umfangs und Ausmaßes der Ungleichbehandlung („die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund [steigen] mit dem Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast insgesamt“569) in die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs aufzunehmen. a) Strengere Bindung an den Gleichheitssatz Zuerst ist im Rahmen der Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs im Sinne einer „Anwendbarkeit“ der Stufenlos-Rechtsprechung zu prüfen, ob nicht von vornherein eine großzügige Überprüfung der Regelung anhand der Willkürkontrolle angezeigt ist.570 Dies legt die Entscheidung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen nahe.571 Danach sei zu prüfen, ob eine dogmatisch so komplexe Streitfrage vorliege, die nur am Willkürverbot geprüft werden dürfe. Nach hier vertretener Ansicht ist diese Rechtsprechung nicht auf Fälle außerhalb des entschiedenen anzuwenden und außerdem inhaltlich abzulehnen. Aber auch bei Zugrundelegung dieser Entscheidung würde der Maßstab nicht zugunsten einer großzügigen Prüfung abgesenkt. Bei dem Ausschluss des externen Verlustausgleichs und Verlustabzugs gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG wird von einer strikten einkommensteuerrechtlichen Grundentscheidung (§§ 2 Abs. 3, 10d EStG) abgewichen und nicht von einem bloß inkonsistenten Subsystem, einer „entwicklungsoffenen Leitlinie“572. Die Schwierigkeiten, die durch die nicht greifbaren oder definierten Kriterien entstehen, führt die konkrete Anwendung der Rechtsprechung auf den Einzelfall nochmals vor Augen. Im Zusammenhang mit der Prüfung des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlungen vorzunehmen. Für eine strengere Prüfung spricht, dass das Ausmaß

568

Siehe die Nachweise aus der Rechtsprechung des BVerfG bei Fn. 178. BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147 (Rn. 96); v. 10. 4. 2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 105); v. 18. 7. 2019 – 1 BvR 807/12 (juris Rn. 28); v. 22. 3. 2022 – 1 BvR 2868/15 (juris Rn. 124). 570 Ausführlich dazu siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 571 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111. 572 BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123 f.). 569

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

der Ungleichbehandlung und ihre Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast insgesamt erhöht ist. Bei dem Vergleich mit den Grundentscheidungen in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG zeigt sich, dass überhaupt kein externer Verlustausgleich und Verlustabzug mit Einkünften anderer Einkunftsarten möglich ist. Die Kapitaleinkünfte sind vollständig isoliert. Dies stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung im Vergleich zu Steuerpflichtigen mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten dar, deren Verluste nach den allgemeinen Regeln berücksichtigt werden. In Betracht kommen beispielsweise Bezieher von Einkünften nach § 15 Abs. 1, 2 EStG (etwa Veräußerungsverluste bei im Betriebsvermögen gehaltenen GmbH-Anteilen) oder § 21 EStG (Verluste aus der Vermietung einer Immobilie). Das Zinsurteil des BVerfG573 spricht nicht gegen eine strengere Prüfung.574 Darin hat das BVerfG entschieden, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert sei, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an das Kapitalvermögen und die Kapitalerträge auszurichten und entsprechend (zu den übrigen Einkunftsarten) zu differenzieren.575 Die Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts – so das BVerfG – sei danach ein Gemeinwohlanliegen, das der Normsetzer im Rahmen seines Entscheidungsspielraums verfolgen und im Vergleich zu anderen Zielen gewichten dürfe. Der Gesetzgeber hat zwar die Gestaltungsfreiheit, die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen anders zu regeln als bei den anderen Einkunftsarten, um dadurch den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleich­ gewichts hinreichend Rechnung tragen zu können.576 Dies entbindet ihn jedoch nicht von der Pflicht, gleichmäßig im Sinne der Belastungsgleichheit zu besteuern.577 Es gilt nicht das bloße Willkürverbot. Schließlich muss noch eine Ansicht aus der Literatur beurteilt werden, die strenge Rechtfertigungsanforderungen fordert, weil ein Verlust die Leistungsfähigkeit reduziere und diese als Ausdruck der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse ein personengebundenes Merkmal sei.578 Mönikes führt aus, dass der Verlust zwar das Resultat des Verhaltens des Steuerpflichtigen sei. Trotzdem sei der Verlust als Repräsentation einer Leistungsfähigkeitsreduktion ein personenbezogenes und kein sachverhaltsbezogenes Merkmal. Falls man dies anders sehe und Verluste als sachverhaltsbezogene Merkmale beurteile, sei zu berücksichtigen, dass Verluste in der Regel nicht absichtlich herbeigeführt würden, sondern zwangsläufig erwachsen würden. Den Steuerpflichtigen auf eine andere Tätigkeit zu verweisen, sei zum einen problematisch im Hinblick auf Art. 12 GG, zum anderen bestehe auch bei

573

BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239. Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. 575 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (282). 576 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). 577 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). 578 Mönikes, Verlustverrechnung, S. 54 f. 574

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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anderer Tätigkeit ein gewisses Verlustrisiko. Die Zwangläufigkeit der Verlustentstehung spreche deshalb ebenfalls für einen strengen Maßstab.579 Dies ist in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft und im Ergebnis abzulehnen. Die Ansicht stützt sich maßgeblich auf die Rechtsprechung des BVerfG, das mit der „neuen Formel“ die Unterscheidung zwischen personenbezogenen und sachverhalts- / verhaltensbezogenen Ungleichbehandlungen eingeführt hat.580 Danach sei eine besonders strenge Prüfung angezeigt, wenn personenbezogene Merkmale zur Differenzierung verwandt werden. Werden hingegen bloß Sachverhalte ungleich behandelt – so das BVerfG –, sei eine großzügige Prüfung geboten. Dieser Versuch der Abgrenzung durch das BVerfG überzeugt jedoch nicht.581 Das sachverhaltsbezogene Kriterium ist zweifelhaft, weil letztlich alle Sachverhalte einen personalen Bezug aufweisen.582 Die Bestimmung des Strengemaßstabs mithilfe einfacher begrifflicher Gegensätze führt zu keiner trennscharfen Unterscheidung und zu unvorhersehbaren Ergebnissen.583 Mittlerweile hat das BVerfG diese Unterscheidung aufgegeben.584 Die Figur einer Ungleichbehandlung von Personengruppen wirkt heute ausdrücklich nicht mehr als tatbestandliche Voraussetzung einer „strengeren“ Gleichheitsprüfung.585 Die Entscheidung des BVerfG zitiert zunächst noch die Neue Formel, fährt dann aber fort: „Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sachund Regelungsbereichen bestimmen lassen.“586 Das Merkmal wird stattdessen einem offenen Abwägungsrahmen zugeordnet, innerhalb dessen „ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab“ gilt.587 Richtigerweise lässt sich nach dieser Rechtsprechungsänderung aus dem genannten Kriterium keine Verschärfung des Maßstabs ableiten.

579

Mönikes, Verlustverrechnung, S. 54 f. BVerfG v. 7. 10. 1980 – 1 BvL 50/79, BVerfGE 55, 72 (89); v. 8. 2. 1994 – 1 BvR 1237/85, BVerfGE 89, 365 (376); v. 20. 6. 1995 – 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 (111). 581 Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 188; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 97 f.; Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 336; Nußberger, in: Sachs9, GG, Art. 3 Rn. 27; Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (144); kritisch auch Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (112); Eichberger, in: FS Bundesfinanzhof, S. 501 (504). 582 Heun, in: Dreier3, GG, Art. 3 Rn. 22. 583 Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (144); Eichberger, DStJG 2016, S. 97 (112); Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 336 spricht von einer „undurchführbaren“ Unterscheidung. 584 Ebenso Britz, NJW 2014, 346 (348); Eichberger, in: FS Bundesfinanzhof, S. 501 (505); Kingreen, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 336; Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse, S. 100; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 445a; tendenziell auch Osterloh, in: FS Kloepfer, S. 139 (144). 585 BVerfG v. 21. 6. 2011  – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (68 f.); vgl. Osterloh, in: FS Kloep­fer, S. 139 (144). 586 BVerfG v. 21. 6. 2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49 (68 f.). 587 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 1. 580

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

b) Kompensationen Schließlich ist noch auf eventuelle Kompensationen und Saldierungen einzugehen, mit denen ein Ausgleich oder eine Verrechnung von Vor- und Nachteilen gemeint ist. Diese bilden richtigerweise nur einen Faktor für die Bestimmung des Strengemaßes im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung.588 Teile des Schrifttums führen eine Kompensation als möglichen Rechtfertigungsgrund an, was jedoch abzulehnen ist.589 Mit § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG existiert eine Regelung, durch die nicht ausgeglichene Verluste aus Kapitalvermögen zeitlich unbegrenzt die Einkünfte mindern können, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. Mit der Einräumung des „internen Verlustvortrags“ tritt jedoch keine Kompensationswirkung ein.590 Dieser Verlustvortrag ist zwar vorteilhaft im Vergleich zu § 10d Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG, weil keine Sockelbeträge existieren.591 Die fehlenden Sockelbeträge sind aber zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen geboten.592 Denn eine solche Beschränkung könnte durch die Kreditinstitute im Steuerabzugsverfahren mangels Administrierbarkeit nicht berücksichtigt werden.593 Damit eine Benachteiligung der Steuerpflichtigen, die Verluste erst im Veranlagungsverfahren geltend machen können, vermieden wird, gilt ein unbeschränkter Verlustvortrag nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG.594 Zudem mindern nicht ausgeglichene Verluste aus Kapitalvermögen im Rahmen des Verlustvortrags nur die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen ebenfalls aus Kapitalvermögen erzielt. Damit durch diesen „internen Verlustvortrag“ überhaupt ein Verlustverrechnungspotential realisiert werden kann, muss der Steuerpflichtige erstens weiterhin in Kapitalanlagen investieren und dies zweitens mit Erfolg.595 Ansonsten entfaltet die Möglichkeit des Verlustvortrags überhaupt keine Wirkung. Eine Kompensation durch den günstigeren Einkommensteuersatz von höchstens 25 % für Einkünfte aus Kapitalvermögen ist ebenso ausgeschlossen. Paradigma-

588

Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. f). Klotz, Abgeltungsteuer, S. 153 f.; Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 48. Ebenso Schachinger, DStZ 2019, 791 (792) zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Diese Stimmen aus der Literatur ziehen eine Rechtfertigung durch die Einräumung eines auf Kapitaleinkünfte beschränkten Verlustvortrags gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG in Betracht. Dies wird aber im Ergebnis abgelehnt. 590 In diese Richtung auch Strohm, Abgeltungsteuer, S. 210 ff., der das allerdings als eigenen Rechtfertigungsgrund prüft. 591 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 58. 592 So zutreffend BT-Drucks. 16/4841, 58; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 618. 593 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 618. 594 BT-Drucks. 16/4841, 58. 595 Vgl. Schachinger, DStZ 2019, 791 (792) zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. 589

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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tisch wird diese Erwägung von Rechtsprechung und Literatur zur Rechtfertigung des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG herangezogen.596 Bei „der kleinen Gruppe der Spitzeninvestoren“ wird der Nachteil, dass keine höheren Werbungskosten als 801 € abgezogen werden können, durch den niedrigeren proportionalen Steuertarif ausgeglichen.597 Diese Argumentation lässt sich jedoch nicht auf § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG übertragen. Im Gegenteil ist die Einführung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG wegen der Separierung der Einkünfte aus Kapitalvermögen durch den proportionalen Steuertarif im Vergleich zum Tarif des § 32a Abs. 1 EStG aus systematischen Gründen konsequent.598 Aus dem besonderen Tarif lässt sich somit kein Kompensationsargument für die Verlustverrechnungsbeschränkungen ziehen. 2. Rechtfertigung durch Verhinderung von Steuerarbitrage Die Verlustverrechnungsbeschränkung dient dem Zweck der Verhinderung von Steuerarbitrage.599 Eine Arbitrage ist eine Finanzstrategie, die Preisunterschiede für identische Güter durch Kauf und Verkauf zur Erzielung von Gewinnen risikolos ausnutzt.600 Diese Gestaltungsmaßnahmen können zu ökonomischen Ineffizienzen und Einnahmeausfällen im Staatshaushalt führen.601 Der Begriff der Steuerarbitrage wird in vielfältiger Weise verwendet und die Verständnisse divergieren je nach Fachrichtung.602 Mit der Steuerarbitrage ist im vorliegenden Kontext gemeint, dass ein Steuersatzvorteil aus der Verrechnung von proportional besteuerten Ver 596

BFH v. 1. 7. 2014 – VIII R 53/12, BStBl II 2014, 975 (juris Rn. 13); Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 264; Wernsmann, DStR  Beih. 2009, 101 (102); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  460; a. A. Eckhoff, FR 2007, 989 (998). 597 BFH v. 1. 7. 2014 – VIII R 53/12, BStBl II 2014, 975 (juris Rn. 13). 598 Dazu siehe sogleich 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. II. 2. 599 Allgemein zur Zulässigkeit dieses Zwecks BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 364. 600 Alworth, International Tax and Public Finance 1998, 507 (511); Raab, Steuerarbitrage, Kapitalmarktgleichgewicht und Unternehmensfinanzierung, S. 39. 601 Alworth, International Tax and Public Finance 1998, 507 (512 ff.); Schindler, Journal of Economics 2004, 25 ff. 602 Dieser Begriff taucht überwiegend bei grenzüberschreitenden Sachverhalten im internationalen Kontext auf, vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 885 f.; Menck, IStR 2002, 807. Kofler / Kofler, in: FS Djanani, S. 381 (382) schlagen dafür folgende Definition vor: „Wenngleich die Definitionen einer derartigen ‚internationalen Steuerarbitrage‘ im Detail variieren, entsteht sie im Wesentlichen, ‚wenn dieselbe Transaktion in zwei oder mehr Steuerrechtsordnungen einer unterschiedlichen Besteuerung unterworfen wird‘.“ Aus betriebswirtschaftlicher Sicht zur Kapitalbesteuerung Schindler, Journal of Economics 2004, 25 (29): Es bestehe eine Steuerarbitragemöglichkeit, wenn ein Portfolio mit einem Preis von Null existiere, das vor Steuern in jedem Zustand eine Nullzahlungsreihe aufweise und nach Steuern in mindestens einem Zustand zu einer positiven Auszahlung beziehungsweise Steuerminderung führe. Ebenfalls aus betriebswirtschaftlicher Sicht für eine weite Auslegung des Begriffs Knobloch, DB 2016, 1825 (1827 f.).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

lusten aus Kapitalvermögen mit progressiv besteuerten Einkünften aus anderen Einkunftsarten entsteht.603 In Richtung dieses Rechtfertigungsgrunds geht auch die amtliche Begründung, die die Norm ohne nähere Ausführungen für „berechtigt [hält], da für die Einkünfte aus Kapitalvermögen zukünftig ein gesonderter Einkommensteuersatz von höchstens 25 Prozent gilt“.604 Damit ist gemeint, dass den proportional niedrig besteuerten Kapitaleinkünften nur ein damit korrespondierendes Steuer­ minderungspotenzial zukommen soll.605 Die Regelung verhindert, dass zum Bei­spiel über negative Stückzinsen bei festverzinslichen Wertpapieren in Veranlagungszeitraum  01 (temporäre)  Verluste generiert und regelbesteuerte Einkünfte im Rahmen eines Verlustausgleichs gemindert werden, denen im folgenden Veranlagungs­zeitraum 02 der Abgeltungsteuer unterliegende Erträge gegenüberstehen.606 Mit diesem gewichtigen Grund kann § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG gerechtfertigt werden.607 Stimmen aus dem Schrifttum, die eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen, betrachten jedoch den Punkt der Erforderlichkeit genauer.608 Sie stellen die Rechtfertigung in Frage, weil es im Vergleich zur gesetzlichen Regelung mildere Mittel in Gestalt von alternativen Modellen der direkten und indirekten Verlustverrechnung gebe. Einige gehen deshalb von der Verfassungswidrigkeit der Norm aus.609

603

Dinkelbach / Briesemeister, DB  2020, 579 (581) mit einem entsprechenden Beispiel; J­ ochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 38; Redert, in: eKommentar, EStG, § 20 Rn. 718; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 214. 604 BT-Drucks. 16/4841, 58. 605 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 38; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 214. 606 Dinkelbach, DB 2009, 870 (873). 607 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (581); Drüen, FR 2020, 663 (668 f.); Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27); Jachmann-­ Michel, in: FS Lehner, S. 417 (434 f.); Jachmann-Michel, in: Reformfragen des deutschen Steuerrechts, S. 31 (42 f.); Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 49; Redert, in: eKommentar, EStG, § 20 Rn. 718; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 273; Wernsmann, StuW  2018, 100 (109). Für dieses Argument vgl. auch BFH v. 17. 11. 2020  – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). Von der Verfassungsmäßigkeit ausgehend auch FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 69). Zweifelnd Loos, DStZ 2010, 78 (79). 608 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 40 ff.; Klotz, Abgeltungsteuer, S. 154 ff. 609 Englisch, StuW 2007, 221 (236 f.); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Oho  / ​ Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324); Röder, Verlustverrechnung, S. 339 ff., der dies aber allein mit einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG begründet. Offenlassend Jochum, in: Kirchhof / ​ Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H  40 ff. A. A. Strohm, Abgeltungsteuer, S. 216 f.; in Anschluss an diesen Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (264); Redert, in: eKommentar, EStG, § 20 Rn. 718; Thiemann, Verluste, S. 301 f.; ebenso Klotz, Abgeltungsteuer, S. 154 ff., der jedoch aus anderen Gründen zur Verfassungswidrigkeit gelangt.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

107

Als erste Alternative schlagen Vertreter aus der Literatur eine indirekte Verlustverrechnung mittels Gewährung einer Steuergutschrift in Form eines Anrechnungsguthabens vor.610 Negative Kapitaleinkünfte müssten dafür mit dem Steuersatz des § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG multipliziert werden und das Resultat wäre mit der Einkommensteuerschuld der laufenden oder folgenden Veranlagungsperioden zu verrechnen.611 Das Ergebnis der Multiplikation wäre ein absoluter Betrag und kein relativer mehr.612 Dies gewährleiste bei Aufrechterhaltung von proportionalem und progressivem Tarif eine Vergleichbarkeit und schließe Missbrauch aus.613 Dieses Verfahren würde der Verhinderung von Steuerarbitrage ebenso dienen und wäre eine Lösung, die sich stärker am „einkunftsartenübergreifenden Leistungsfähigkeitsprinzip“ orientiere.614 Die zweite Variante stellt auf die direkte Verlustverrechnung durch sogenannten Verlustabgleich und intertemporalen Verlustausgleich ab, die auf drei Stufen vorgenommen werde.615 Durch das intertemporale Element solle die Asymmetrie in der Zusammensetzung (zum Beispiel Verluste im Kapitaleinkommen und Gewinne im Erwerbseinkommen) ausgeglichen werden.616 Nach der ersten Stufe eines intraschedulären Ausgleichs von positiven und negativen Einkünften innerhalb der jeweiligen Schedule (Einkünfte aus Kapitalvermögen oder übrige Einkünfte) soll ein daraus resultierendes negatives Ergebnis der Kapitaleinkünfte in einem zweiten Schritt die jährliche Bemessungsgrundlage mindern.617 Die Steuersatzspreizung ließe sich berücksichtigen, indem auf der dritten Stufe in den Folgejahren der Anteil der übrigen Einkünfte am Gesamteinkommen um den Betrag des zuvor abgezogenen Kapitalverlusts erhöht werde (sogenannter Verlustabgleich) oder für positive Kapitaleinkünfte eine Nachversteuerung im Umfang der verrechneten Verluste zum persönlichen Steuersatz stattfinde.618 Dieses Modell führe unter Gesichtspunkten einer Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit zu einem überzeugenden Ergebnis.619 610

Englisch, StuW 2007, 221 (236 f.); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 40 ff.; Röder, Verlustverrechnung, S. 340 f. mit einem Beispielsfall. 611 Englisch, StuW  2007, 221 (236 f.); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; ­Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 40 ff.; Röder, Verlustverrechnung, S. 340 f. 612 Klotz, Abgeltungsteuer, S. 155. 613 Klotz, Abgeltungsteuer, S. 155. 614 Englisch, StuW 2007, 221 (236 f.); Klotz, Abgeltungsteuer, S. 155. 615 BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 382 ff.; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 42. 616 BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 382. 617 BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 383. 618 BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 383; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 42; Schönfeld, in: Schaumburg / Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 621 (639 f.). 619 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 42.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Entgegen den Stimmen aus dem Schrifttum stellen die zwei Alternativen nicht den Rechtfertigungsgrund der Verhinderung von Steuerarbitrage in Frage und ziehen nicht die Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG nach sich. Gegen die zwei Lösungsmodelle spricht, dass dafür eine Veranlagung notwendig wäre und dies der Vereinfachung widersprechen würde.620 Diese stellt einen Kernaspekt der Einführung der Abgeltungsteuer dar.621 Gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ist für Kapitalerträge im Sinne des § 20 EStG, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten. Diese sind nicht zu veranlagen, § 25 Abs. 1 Halbs. 2 EStG. In Anknüpfung daran ist der Einbehalt der Kapitalertragsteuer als tendenziell endgültige Steuerfestsetzung konzipiert.622 Die Kreditinstitute fungieren als Organe der Steuererhebung.623 Es entfällt für solche Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer als bloße Vorauszahlung auf die endgültige Steuerfestsetzung, wovon Steuerpflichtige und Verwaltung profitieren.624 Vor allem in Zeiten schlechter Konjunktur oder Finanzkrisen, in denen bei Steuerpflichtigen vermehrt Verluste aus Kapitalvermögen anfallen können, würden sich viele für eine Veranlagung entscheiden und die Vereinfachungen würden weitgehend verloren gehen.625 Die aktuell geltende Regelung war die einzige Möglichkeit, um das Kernanliegen der Vereinfachung durchzusetzen.626 Die alternativen Modelle eignen sich folglich nicht, den verbliebenen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum einzuengen. Zudem spricht ein weiterer Aspekt gegen die Alternativlösung, die die Gewährung einer Steuergutschrift vorsieht. Bei diesem Ansatz kann ein Konflikt mit dem subjektiven Nettoprinzip auftreten, denn es kann trotz des Anrechnungsguthabens bei einer positiven Steuerlast verbleiben, wenn das Gesamteinkommen einer Person unter oder bei null Euro liegt.627 Somit räumt auch dieses Modell nicht sämtliche 620

Strohm, Abgeltungsteuer, S. 216 f.; in Anschluss an diesen Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (264); Klotz, Abgeltungsteuer, S. 156; Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 49. Dies gibt Geurts zu, Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771. Dieser sieht darin aber keinen Hinderungsgrund und hält an der indirekten Verlustverrechnung als Alternative fest. 621 BR-Drucks. 220/07, 61; BT-Drucks. 16/11108, 14, 19; Musil, FR 2010, 149 (152, 154 f.); Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (102); zum erheblichen Gewicht auch Klotz, Abgeltungsteuer, S. 138, 156. 622 Delp, DB  2015, 1919; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 43 Rn. 29; Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1360). 623 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 151a. 624 Klotz, Abgeltungsteuer, S. 138; Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1360). 625 Strohm, Abgeltungsteuer, S. 216 f. 626 Ebenso Strohm, Abgeltungsteuer, S. 216 f. 627 BMF, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, Rn. 379, mit folgendem Beispiel: Ein Steuerpflichtiger erwirtschaftet in einem Jahr ein Erwerbseinkommen von 100 000 und erleidet gleichzeitig einen Kapitalverlust von 100 000. Sein Gesamteinkommen ist damit null. Die tarifliche Einkommensteuer (T 2006 ohne Solidaritätszuschlag) auf das Erwerbseinkommen beträgt 34 086, und die Minderung der Einkommensteuer wegen des Kapitalverlusts beträgt 25 000, so dass eine Einkommensteuerzahlung von 9 086 (= 34 086 – 25 000) verbleibt. Selbst bei einem Einkommen, das unterhalb

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

109

verfassungsrechtliche Bedenken aus und erscheint insgesamt nicht als milderes, gleich geeignetes Mittel.628 Schließlich ist ein weitergehender Ansatz aus der Literatur629, der Banken bei der Ermittlung der Steuergutschriften in den Berechnungsprozess einbeziehen soll, ebenfalls abzulehnen. Damit solle der Aufwand der Veranlagung minimiert werden und somit die Vereinfachungswirkung der Abgeltungsteuer erhalten bleiben. Dagegen spricht, dass die Administration der Kapitalertragsteuer in einem noch größeren Umfang auf Private verlagert werden würde und dementsprechend ein nochmals gesteigerter wirtschaftlicher Aufwand auf diese zukäme.630 Dieser noch stärkeren Inanspruchnahme Privater im Rahmen der Steuerfestsetzung ist zudem zu widersprechen, weil damit trotzdem staatliche Überprüfungspflichten bestehen bleiben und die Vereinfachung nicht gleichwertig verwirklicht werden könnte. Deshalb vermag dieser Ansatz den Spielraum, der dem Gesetzgeber insoweit noch verbleibt, nicht einzuschränken.631 3. Keine Rechtfertigung durch Ausweichverhalten Die Ungleichbehandlung kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Steuerpflichtige diese Ungleichbehandlung durch eigenes Verhalten vermeiden könnte.632 Das BVerfG fordert für eine solche Rechtfertigung, dass das mögliche Ausweichverhalten für den Steuerpflichtigen zumutbar sein muss und diesen insbesondere nicht an der Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Freiheiten hindert.633 Einerseits könnte er es zwar unterlassen, in Kapitalanlagen zu investieren. Das betrifft die Frage, ob er überhaupt vom Tatbestand erfasst wird. Diese Alternative erweist sich jedoch als nicht tragfähig, da das Grundrecht der allgemeinen des steuerlichen Existenzminimums von 7 665 liegt, entsteht damit eine Steuerschuld. Dazu auch Englisch, StuW 2007, 221 (237); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 41, die trotzdem von einem „vorzugswürdigen“ Modell spricht. 628 Ebenso Englisch, StuW 2007, 221 (237). 629 Klotz, Abgeltungsteuer, S. 156 f. 630 Vgl. Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1360); Ziegert, Die Stellung der Kreditinstitute im Kapitalertragsteuerverfahren, S. 269 ff. Ziegert kommt bei der Prüfung der aktuell geltenden Normen im Rahmen der Rechtfertigung des staatlichen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Kreditinstitute zu dem Ergebnis, dass durch die Regelungen der §§ 43 ff. EStG „das Maß der Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteile“ stehe. Nach Ziegert sollte aber der Staat die Kreditinstitute für ihre Tätigkeit gesetzlich entschädigen. Allgemein dazu Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, der jedoch nicht auf die Kapitalertragsteuer eingeht. 631 Im Ergebnis ebenso Klotz, Abgeltungsteuer, S. 156 f. Allgemein zum Spielraum des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang Thiemann, Verluste, S. 301 f. 632 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 73) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Der Senat lehnt dies ebenfalls ab. 633 BVerfG v. 15. 1. 2008  – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (53 f.); kritisch Englisch, Wett­ bewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 190 f.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG für den Steuerpflichtigen streitet.634 Diese schützt auch die freie wirtschaftliche Betätigung.635 Er muss sich nicht auf die Unterlassung verweisen lassen, um dadurch der Ungleichbehandlung auszuweichen.636 Andererseits hat der Kapitalanleger nach einer Investition, die in die Schedule der Kapitaleinkünfte fällt, seit Einführung der Abgeltungsteuer keine Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Ungleichbehandlung, weil mittlerweile die Besteuerung unabhängig von Haltefristen erfolgt. B. Zwischenergebnis § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Die Norm behandelt Steuerpflichtige mit negativen Einkünften aus Kapitalvermögen und negativen Einkünfte aus anderen Einkunftsarten ungleich, wenn letztere ihre Verluste nach den allgemeinen Regeln des §§ 2 Abs. 3, 10d EStG verrechnen können. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch mit Blick auf die Verhinderung von Steuerarbitrage verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verletzt nicht seinen Gestaltungsspielraum, wenn er bei Einführung des proportionalen Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen die Verrechnung von Verlusten mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten einschränkt. Aus systematischer Sicht ist die Regelung konsequent.637 C. Finanzverfassungsrechtliche Kritik § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG wirft neben den gleichheitsgrundrechtlichen Fragen finanzverfassungsrechtliche Probleme auf. Aus dem finanzverfassungsrechtlichen Typusbegriff der Einkommensteuer (Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 GG) werden teils Schlüsse für die Zulässigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkungen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gezogen.638 Der finanzverfassungsrechtliche Einkommensbegriff sei durch das Syntheseprinzip geprägt, nach dem die Gesamtheit der Einkünfte einem einheitlichen Einkommensteuertarif zu unterwerfen sei.639 Zur Beurteilung dieser These ist vorab das Verständnis und die Reichweite der sogenannten Typenlehre zu untersuchen. 634

So im Ergebnis Jachmann-Michel, jM 2021, 297 (302) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. 635 BVerfG v. 5. 2. 2002  – 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17 (38); v. 12. 11. 1958  – 2 BvL 4/56, BVerfGE 8, 274 (328); v. 6. 10. 1983  – 2 BvL 22/80, BVerfGE 65, 141 (160); BFH v. 18. 10. 2006 – IX R 28/05, BStBl II 2007, 259 (Rn. 23); Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 77, 93 m. w. N.; Lorenz, in: BK, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 218. 636 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 73). 637 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 31. 638 Vgl. Drüen, FR 2020, 663 (667 f.) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG. 639 Drüen, FR 2020, 663 (667 f.); Wendt, DStJG 2005, S. 41 (45).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Die Steuern und Steuerarten, die in Art. 106 Abs. 1 bis 3 GG aufgezählt sind, werden als Typusbegriffe640 verstanden.641 Die Lehre von den Steuertypen schafft einen Ausgleich zwischen dem sich aus der „Sicht des traditionellen deutschen Steuerrechts“642 ergebenden Begriffsverständnis und der erforderlichen Entwicklungsoffenheit.643 Der jeweilige Steuerbegriff kann nicht trennscharf definiert werden, sondern ist gestaltungsoffen und durch einen „wertenden Gesamtvergleich“ mit den tradierten Ausprägungen zu ermitteln.644 Zutreffend wird insbesondere die Gestaltungsoffenheit betont, mit der auch Abweichungen von existenten Gegenständen oder Neugestaltungen ermöglicht werden.645 Die gesetzgeberische Idee muss mit dem Kerngehalt des einzelnen Steuerbegriffs übereinstimmen, sodass nicht notwendigerweise ein historisches Modell vorhanden sein muss.646 Die Bestimmung des „festen materiellen Steuerkerns“ muss allerdings zurückhaltend und ohne eine Aufladung mit zu weitgehenden Gehalten erfolgen.647 Das trägt der zentralen Funktion der Kompetenzbegriffe, Gestaltungsräume zu eröffnen, Rechnung.648 Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das von einer weiten Interpretation des Katalogs des Art. 106 Abs. 1 bis 3 GG ausgeht.649 Folglich ist nach richtiger Ansicht Zurückhaltung bezüglich der Kompetenzbegriffe geboten, wenn ihnen inhaltliche Konkretisierungen zugemessen werden sollen. Aus dem Begriff der Einkommensteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 3 GG lassen sich nur in sehr engen Grenzen Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung des Einkommensteuerrechts ableiten.650 Die herrschende Meinung nimmt zwar zutreffend an, dass die Bezugsgröße „Einkommen“ eine Nettogröße bezeichnet.651 Danach setzt der kompetenzielle Begriff der Einkommensteuer die grundsätz­ 640 Damit ist nicht die rechtstheoretische Kategorie des Typusbegriffs gemeint, die davon zu unterscheiden ist, Thiemann, Verluste, S. 526 f. 641 BVerfG v. 4. 2. 2009  – 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1 (18); Vogel / Walter, in: BK, GG, Art. 105 Rn. 98; Wernsmann, NVwZ 2011, 1367 (1368); kritisch Siekmann, in: Sachs9, GG, Art. 105 Rn. 3. 642 BVerfG v. 6. 12. 1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (345 f.); v. 4. 2. 2009 – 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1 (16); v. 13. 4. 2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 (Rn. 66 f., 141 ff.). 643 Jachmann, in: Brandt, Für ein gerechteres Steuerrecht, S. 33 (64); Thiemann, Verluste, S. 523. 644 Thiemann, Verluste, S. 523 m. w. N. 645 Drüen, ZfZ  2012, 309 (313); Thiemann, Verluste, S. 528; Vogel / Walter, in: BK, GG, Art. 105 Rn. 98; Waldhoff, ZfZ 2012, 57 (59); Wernsmann, StuW 2018, 100 (104). 646 Für diese verschränkende Perspektive von Typenlehre und der sogenannten Lehre vom Steuerkern Thiemann, Verluste, S. 524 ff.; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung, S. 187; a. A. Drüen, ZfZ 2012, 309 (313), der von einem konträren Verhältnis ausgeht. 647 Thiemann, Verluste, S. 524 m. w. N. 648 Thiemann, Verluste, S. 524. 649 BVerfG v. 13. 4. 2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 (Rn. 114). 650 Ebenfalls zurückhaltend Jachmann, DStR Beih. 2009, 129 (129 f.); Thiemann, Verluste, S. 528. 651 Drüen, StuW 2008, 3 (7 f.); Drüen, FR 2020, 663 (667); Englisch, DStR Beih. 2009, 92 (92 f.); Jachmann, DStR Beih. 2009, 129 (129 f.); Thiemann, Verluste, S. 528; Vogel / Waldhoff,

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

liche Abzugsfähigkeit der erwerbsbezogenen Aufwendungen voraus („objektives Nettoprinzip“). Weitergehende Schlüsse vom Kompetenzbegriff auf die konkrete Gestaltung des Einkommensteuerrechts verbieten sich jedoch.652 Die Finanzverfassung hat nur die Funktion, einen „strukturellen ‚Umbau‘ der Einkommensteuer zu einer Bruttosteuer“ zu verhindern.653 Erst bei einem vollständigen Ausschluss der Anerkennung von Verlusten würde folglich die Einkommensteuer zu einer Einnahmensteuer „mutieren“.654 Im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG spricht ein Teil der Literatur von „substanzielle[n] Verlustverrechnungsbeschränkunge[n]“, wobei fraglich sei, ob diese noch dem Typus der Einkommensteuer entsprechen würden.655 Dieser Gedanke könnte auf § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG übertragen werden, weil mit Einführung der Norm als Teil der Abgeltungsteuer das Ideal der synthetischen Einkommensteuer durchbrochen wird.656 Zutreffend ist, dass die Beschränkung eine erhöhte Eingriffsintensität aufweist, die aus materiellrechtlicher Perspektive problematisch ist. Allerdings kann aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht nicht von einer Wandlung hin zu einer Bruttosteuer die Rede sein. Innerhalb der Schedule werden nach wie vor ein Verlustausgleich und ein Verlustvortrag gewährleistet, die jedenfalls den Kerngehalt der Einkommensteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 3 GG wahren. Bei dem erwähnten Ansatz verschwimmen die Grenzen zwischen der Kompetenzmäßigkeit und der materiellen Verfassungsmäßigkeit, die aber aufrechtzuerhalten sind.657 Daran ändert sich auch nichts, wenn ein synthetischer Einkommensbegriff als maßgebendes Kennzeichen658 der Einkommensteuer angeführt wird. Aus einer Perspektive mit starkem Fokus auf die Historie könnte zwar von einer grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers für das Syntheseprinzip und damit für einen quellenübergreifenden Verlustausgleich gesprochen werden, die den grundgesetzlichen Begriff der Einkommensteuer prägen könnte.659 Allerdings ist dieser einengende Ansatz aus einem kompetenziellen Blickwinkel zurückzuweisen. Die Zurückhaltung bei der Findung vermeintlich strukturbildender Entscheidungen des Gesetzgebers ist mit Blick auf die Funktion der Kompetenzbegriffe nochmals zu betonen.660 Denn für die Abgrenzung des Einkommensteuerbegriffs zu anderen in: BK, GG, Vorbem. Art. 104a-115 Rn. 519; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 318; Wernsmann, StuW 2018, 100 (104, 107). 652 Thiemann, Verluste, S. 528. 653 Drüen, StuW 2008, 3 (7); Drüen, FR 2020, 663 (667); vgl. Jachmann, in: Brandt, Für ein gerechteres Steuerrecht, S. 33 (63 f.); Jachmann, DStR Beih. 2009, 129 (129 f.). 654 Wernsmann, StuW 2018, 100 (108 f.); in Anschluss an diesen Drüen, FR 2020, 663 (667). 655 Drüen, FR 2020, 663 (667). 656 Siehe bereits 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 1. 657 Siehe 2. Teil 3. Kapitel § 11. 658 Drüen, FR 2020, 663 (667 f.). 659 Thiemann, Verluste, S. 528 f. mit Nachweisen aus dem Preußischen Einkommensteuergesetz von 24. 6. 1891 sowie weiteren historischen Fassungen des Einkommensteuergesetzes. 660 Siehe oben 2. Teil 3. Kapitel § 11.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

113

Steuern des Katalogs des Art. 106 GG ist lediglich bedeutsam, dass eine Steuer vorliegt, bei der sich die Höhe der Besteuerung aus dem „Einkommen“ der Person errechnet, mit anderen Worten also eines Zuflusses von Mitteln, die der Steuerpflichtige durch „eine wirtschaftliche Betätigung erzielt“ hat.661 Folglich sind finanzverfassungsrechtliche Bedenken unbegründet.

§ 13 Begrenzung des interperiodischen Verlustabzugs (§ 20 Abs. 6 Satz 2 und 3 EStG) Aus § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG ergibt sich, dass nicht ausgeglichene Verluste aus Kapitalvermögen zeitlich unbegrenzt die Einkünfte mindern, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. Der Wortlaut der Norm sieht keine Möglichkeit eines Verlustrücktrags innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte vor und schließt ihn damit aus. Teile des Schrifttums erachten die Norm wohl als unproblematisch.662 In der übrigen Literatur ist die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG umstritten.663 A. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung In § 20 Abs. 6 Satz 2 und 3 EStG liegt eine Abweichung von der Belastungsgrundentscheidung vor, die richtigerweise in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG zu sehen ist.664 § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG weicht von § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG ab, weil die fehlende Erwähnung im Wortlaut den Verlustrücktrag ausschließt.665 Dieser ist normalerweise vorrangig vor einem Verlustvortrag anzuwenden, § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG („vorrangig“) und § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG („negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind“). Die Norm weist die erforderliche Systemprä-

661

Thiemann, Verluste, S. 529. Klotz, Abgeltungsteuer, S. 153 f. behandelt nur § 20 Abs. 6 Satz 1 und 4 EStG; ebenso Jachmann-Michel, in: Lademann, EStG, § 20 Rn. 317 ff., 1586 ff.; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 240 mit verfassungsrechtlichen Bedenken bei § 20 Abs. 6 Satz 4 bis 6 EStG; Strohm, Abgeltungsteuer, S. 204 ff. geht nur auf § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ein; Möllenbeck, in: Littmann / Bitz / P ust, EStG, § 20 Rn.  12. 663 Für die Verfassungsmäßigkeit Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 618; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1388; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). Für die Verfassungswidrigkeit Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44; Oho / Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324); kritisch Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Gstädtner, Die Besteuerung privater Kapitalanlagen, S. 27. 664 Siehe ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 1. 665 Vgl. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44; Oho / Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324); Vortmann, WuB 2021, 569 (572). 662

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

gung auf.666 Folglich liegt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Verlusten aus § 20 EStG und Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten vor, die ihre negativen Einkünfte nach der allgemeinen Regel des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG rücktragen können. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs Zunächst ist der Prüfungsmaßstab der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu bestimmen. Es ist nicht von vornherein eine großzügige Überprüfung der Regelung anhand der Willkürkontrolle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen angezeigt.667 a) Strengere Bindung an den Gleichheitssatz Im Zusammenhang mit der Prüfung des § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG sprechen die Kriterien für eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlung. Dafür lässt sich insbesondere anführen, dass das Ausmaß der Ungleichbehandlung und ihre Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast gesteigert ist. Der Verlustrücktrag hat für den Steuerpflichtigen besondere Bedeutung. Aus seiner Sicht führt die Geltendmachung der Verluste gegenüber einer für zurückliegende Perioden schon entrichteten Steuer zu einer Steuer­ erstattung und er erhält damit relativ kurzfristig Liquidität.668 Dieser Ausschluss stellt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Einkunftsarten dar, bei denen die Möglichkeit eines Verlustrücktrags vorgesehen ist. In Anbetracht der geplanten Ausweitung der Regeln zum Verlustrücktrag in § 10d Abs. 1 EStG669 verstärkt sich nochmals die Intensität der Ungleichbehandlung. Allerdings ist zu beachten, dass im Zusammenhang mit Zins- und Liquiditätsnachteilen bei der interperiodischen Verlustverrechnung die Grenzen für den Ge-

666

Siehe bereits 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. I. 1. Abstrakt zu dieser Voraussetzung 2. Teil 3. Kapitel  § 9 B. I. 3. b). 667 Vgl. dazu oben 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. II. 1. a). Siehe zur Rechtsprechung des BVerfG 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 668 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.62; Hey, DStR  2020, 2041; Thiemann, Verluste, S. 315 f. Eine solche Erstattung betrifft haushaltsrechtlich nicht den Haushalt, dem eine vorausgehende Steuerzahlung zuzuordnen ist, sondern stets den laufenden Haushalt, in dem also die Steuerfestsetzung geändert wird, Schick, Der Verlustrücktrag, S. 20; in Anschluss an diesen Wendt, DStJG 2005, S. 41 (60); Thiemann, Verluste, S. 315. 669 Viertes Corona-Steuerhilfegesetz, BT-Drucks. 20/1906, 11 f., das vom Bundestag am 19. 5. 2022 verabschiedet wurde.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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setzgeber nicht zu eng gezogen werden dürfen.670 In diese Richtung weist auch die Rechtsprechung.671 Der Verlustrücktrag wird einerseits im Rahmen der Gesetz­ gebung vor allem als Mittel zur konjunktur- und wirtschaftspolitischen Förderung von Unternehmen angesehen.672 Andererseits ergibt sich aus der Gefahr sogenannter Definitiveffekte keine erhöhte Intensität. Generell ist damit der Fall gemeint, dass die interperiodische Verlustverrechnung ursächlich dafür wird, dass Verluste endgültig verfallen und keine Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens haben.673 Die Diskussion zur Problematik von Definitiveffekten wird schwerpunktmäßig bei der Verfassungskonformität der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) geführt.674 Zuerst muss die Gefahr sogenannter Definitiveffekte abstrakt untersucht werden, weil über den Charakter und die Auswirkungen eines Definitiveffekts keine Einigkeit besteht. Stimmen im Schrifttum sehen in der Definitivbelastung einen „Eingriff in den Kernbereich der Leistungsfähigkeit“ des Steuerpflichtigen675 beziehungsweise eine Missachtung des objektiven Nettoprinzips und des Leistungsfähigkeitsprinzips676. Dieser müsse verfassungsrechtlich durch besondere Gründe gerechtfertigt werden, wobei eine „Verstetigung der Staatseinnahmen“ als rein fiskalische Begründung des Gesetzgebers hierfür nicht ausreiche.677 Auch der BFH spricht die „Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit“ von Verlusten zu Lebzeiten und die „Gefahr

670 Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (103), der von eher weiten Gestaltungsspielräumen ausgeht; ebenso Wernsmann, StuW 2018, 100 (108). 671 Vgl. BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (125 f.); BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 22, 28). Die Rechtsprechung des EuGH schwankt bei der Frage, ob Zins- und Liquiditätsnachteile der Rechtfertigung bedürften, eher zurückhaltend etwa EuGH v. 13. 12. 2005 – C-446/03 (Marks & Spencer), ECLI:EU:C:2005:763 (Rn. 32 ff.); ausführlich hierzu Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach, Europarecht4, § 31 Rn. 82. 672 Mit dieser Feststellung Thiemann, Verluste, S. 316. Als Beispiel dient etwa die Anhebung der Höchstbeträge, BT-Drucks. 17/10774, 17 f.: „Kleine und mittlere Unternehmen werden dadurch entlastet. In Krisenzeiten können sie durch den erweiterten Verlustrücktrag kurzfristig erhöhte Liquidität gewinnen und sind dadurch in der Lage, die Krise besser zu überstehen.“ Davon spricht auch der Regierungsentwurf eines Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes v. 16. 2. 2022, der eine Ausweitung des Verlustrücktrags vorsieht, BR-Drucks. 83/22, 2 ff. 673 BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 26); Klomp, GmbHR 2012, 675; Kube, DStR 2011, 1781 (1787); Lindauer, BB 2004, 2720 (2723); Thiemann, Verluste, S. 342. 674 Vgl. z. B. BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016; Drüen, FR 2013, 393; Heinicke, in: Schmidt41, EStG, § 10d Rn. 10; Wendt, DStJG 2005, S. 41 (74 ff.). 675 Hallerbach, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 10d Rn. 13. 676 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44; Mönikes, Verlustverrechnung, S. 224 f.; Wendt, DStJG 2005, S. 41 (68), der von einer Rechtfertigungsmöglichkeit durch Gemeinwohlinteressen ausgeht. 677 Im Zusammenhang mit § 10d Abs. 2 EStG Hallerbach, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 10d Rn. 13, der auf die aus seiner Sicht mangelhafte Gesetzesbegründung BT-Drucks. 15/1518, 6 hinweist.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

eines endgültigen Verlustuntergangs bei Versterben des Steuerpflichtigen“ beim Prüfungspunkt der „Ungleichbehandlung“ im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG an.678 Heuermann sieht im Zusammenhang mit § 10d Abs. 2 EStG in den Definitiveffekten keine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und hat keine „verfassungsrechtlichen Bedenken“, die Anlass für eine Korrektur der Norm geben würden.679 Es erfolge stattdessen ein Prinzipienausgleich, indem das objektive Nettoprinzip mit dem Periodizitätsprinzip zum Ausgleich gebracht werde. Mit anderen Worten geht er nicht von einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleich­ behandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG aus. Nach hier vertretener Ansicht ist die Gefahr eines Definitiveffekts bei der Bestimmung des Strengemaßes im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung einzuordnen. Je höher die Gefahr eines Definitiveffekts ist, desto intensiver ist die Ungleich­ behandlung und desto strenger der Maßstab. Es ist zu bedenken, dass sich aus dem Grundgesetz keine Vorgaben oder Prinzipien für die Ausgestaltung des Steuerrechts herleiten lassen, die besagen, dass Verluste immer umfassend zur Geltung kommen müssen.680 Denn das Leistungsfähigkeitsprinzip oder das objektive Nettoprinzip fordern nur, dass Verluste überhaupt überperiodisch verrechnet werden können.681 Es existiert lediglich die Pflicht für den Gesetzgeber, ein angemessenes, periodenübergreifendes Ausgleichssystem zu installieren, das zufälligen Verzerrungen ausgelöst durch das Prinzip der periodischen Besteuerung Rechnung trägt und ausgleicht.682 Der anderen Ansicht683 würde selbst ein betragsmäßig und zeitlich unbegrenzter Verlustvortrag nicht genügen, weil trotz eines solchen Ansatzes Definitiveffekte auftreten können, wenn in späteren Veranlagungszeiträumen nicht ausreichend hohe Gewinne erwirtschaftet werden.684 Die Erkenntnis, dass dem Prinzip einer periodischen Besteuerung das Risiko der Definitiveffekte immanent ist, ist insofern zentral.685 Die Möglichkeit des Eintritts von Definitiveffekten ist in

678

BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 46 ff.). Heuermann, FR  2012, 435 (440); Heuermann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 10d Rn. A 85. 680 Thiemann, Verluste, S. 343; in diese Richtung auch Seiler, DStJG 2011, S. 61 (82). A. A. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61 f.: Es sei ein umfassender quellen- und periodenübergreifender Verlustausgleich geboten, weil es sich um einen „Akt richtiger Leistungsfähigkeitsbemessung nach dem objektiven Nettoprinzip“ handele; Mönikes, Verlustverrechnung, S. 16: Das Leistungsfähigkeitsprinzip gebiete „grundsätzlich eine vollumfängliche einkommensmindernde Berücksichtigung der Verluste“. 681 Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (103) geht von eher weiten Gestaltungsspielräumen des Gesetzgebers aus; ebenso Seiler, DStJG 2011, S. 61 (82); Thiemann, Verluste, S. 320. 682 Thiemann, Verluste, S. 320, 343; ähnlich Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, S. 101 f.; Seiler, DStJG 2011, S. 61 (82). 683 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.61 f.; Mönikes, Verlustverrechnung, S. 16. 684 Thiemann, Verluste, S. 343 f. 685 BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 28) mit der Feststellung, dass „naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können“. Ebenso Thiemann, Verluste, S. 344. A. A. Drüen, StbJb. 2012/2013, S. 123 (155 f.). 679

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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einem System der überperiodischen Verlustverrechnung unumgänglich. Deshalb ist es wichtig, dass die Kategorie der Definitiveffekte nicht überbewertet wird und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers berücksichtigt wird.686 Der Gedanke, dass sogenannten Definitiveffekten eine zu große Rolle eingeräumt wird, spricht gegen die oben genannte Ansicht der Literatur und des BFH. Die Einordnung als Ungleichbehandlung zieht erhebliche Konsequenzen für die folgende Prüfung nach sich. Für jede Ungleichbehandlung ist ein eigener Rechtfertigungsgrund zu finden, der gerade die konkrete ungleiche Behandlung rechtfertigen kann.687 Das Fehlen eines solchen Grunds zieht die Verfassungswidrigkeit der Regelung nach sich. Umgekehrt ist auch die Ansicht von Heuermann abzulehnen. Sein Ansatz würde den Steuerpflichtigen rechtsschutzlos stellen, da er nicht von einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung ausgeht. Insofern hat der Steuerpflichtige keine Abwehrmöglichkeit. Folglich kann es nur darum gehen, die gewählte Risikoverteilung des Gesetzgebers zu gewichten und entsprechend die Prüfstrenge anzupassen. Wenn der Normsetzer dem Steuerpflichtigen das höhere Risiko eines endgültigen Verlustuntergangs zumutet, stehen dem strengere Rechtfertigungsanforderungen gegenüber. Mit diesem Ansatz findet der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ausreichend Berücksichtigung. Im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG könnte in Anschluss an den BFH für die Gefahr eines endgültigen Untergangs von Verlusten zwischen dem Risiko zu Lebzeiten und bei Versterben des Steuerpflichtigen zu differenzieren sein.688 Für die Gefahr zu Lebzeiten ließe sich vertreten, dass mit dem Einsperren der Kapitalverluste in die Schedule durch § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG die Gefahr eines Definitiveffekts bestehe, wenn nach der Realisierung eines Verlusts aus einer Kapitalanlageform keine Gewinne aus Kapitalvermögen nachfolgen.689 Dafür müsse erst durch die erneute und zudem erfolgreiche Investition in Kapitalvermögen neues Verlustverrechnungspotential generiert werden und zudem sei ein Rücktrag von Verlusten in den zurückliegenden Veranlagungszeitraum nicht möglich.690 Die Kategorie der Gefahr von Definitiveffekten zu Lebzeiten des Steuerpflichtigen ist jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen. Das Risiko der Nichtberücksichtigung eines Verlusts besteht nicht bereits zu Lebzeiten, sondern erst bei Versterben des Steuerpflichtigen. Denn ein Verlust aus einer Kapitalanlage kann

686

Vgl. für diese Perspektive Thiemann, Verluste, S. 345. Kischel, AöR 1999, 174 (184); Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 13 (Oktober 1992). 688 Vgl. für diese Unterscheidung BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 47 f.) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG; im Grundsatz zustimmend Lenhart, BB 2021, 2070 (2072). 689 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 47) zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG; ähnlich Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44. 690 Vgl. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44. 687

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

laufend ohne eine zeitliche Begrenzung vorgetragen werden.691 Es besteht gerade keine Grenze in der Zeit: § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG sieht keine Begrenzung des Verlustvortrags zum Beispiel auf fünf Jahre wie der damalige § 10d Satz 5 EStG 1976692 vor, so dass danach nicht verrechnete Verluste verfallen würden. Auch der Entschluss des Anlegers, nicht mehr in Kapitalanlagen zu investieren, darf nicht als Unterfall der Gefahr eines Verlustuntergangs zu Lebzeiten mit der Konsequenz des strengeren Prüfungsmaßstabs angesehen werden. Diese frei getroffene Entscheidung kann jederzeit rückgängig gemacht und die Investitionstätigkeit wieder aufgenommen werden. Somit besteht für die Kategorie „zu Lebzeiten“ kein überzeugender Praxisfall. Die Kategorie der Gefahr von Definitiveffekten bei Versterben des Steuerpflichtigen überzeugt dagegen im Grundsatz. Im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs sind die Verlustverrechnungstöpfe vom Kreditinstitut zu schließen, sobald es vom Tod des Kunden Kenntnis erlangt.693 Der an sich erforderliche Antrag auf Ausstellung einer Verlustbescheinigung nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG ist als gestellt anzusehen, wodurch es zu einer Verschiebung der Verluste in die letzte Erblasserveranlagung kommt.694 Wenn in diesem Veranlagungszeitraum Gewinne aus Kapitalvermögen fehlen, verfallen diese Verluste, weil kein (ausnahmsweise zulässiger) Verlustrücktrag vorgesehen ist und der Rechtsnachfolger diese nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann.695 Dieses Risiko geht jedoch bei § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG nicht über die der periodischen Besteuerung immanenten allgemeinen Gefahr hinaus, Verluste nicht verrechnen zu können.696 Die positive Gesamtentwicklung der Kapitalmärkte in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass sich die Werte typischerweise nach einzelnen Einbrüchen wieder stabilisieren und immer wieder über das ursprüngliche Niveau vor dem Crash steigen.697 Der Verlauf in der Vergangenheit kann als Indiz für bevorstehende Entwicklungen herangezogen werden. Beispielsweise dauert es beim DAX, dem bedeutendsten deutschen Aktienindex, nach einem gravierenderen Kurssturz im Schnitt mehrere Monate bis maximal drei Jahre, bis die Kurse des Index wieder steigen.698 Dies lässt sich auf andere Märkte für Kapitalanlagen übertragen. Der 691

Darauf hinweisend auch FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 66) im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. 692 Neufassung des § 10d EStG durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes v. 20. 4. 1976, BGBl I 1976, 1054. 693 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 223. 694 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 237. 695 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 48) zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG mit Verweis auf BFH v. 17. 12. 2007 – GrS 2/04, BStBl II 2008, 608. 696 Vgl. BFH v. 26. 2. 2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 (juris Rn. 28). A. A. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44; vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 48) zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. 697 Vgl. hierfür die Entwicklung des DAX in den Jahren von 1987–2021, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/199158/umfrage/jaehrliche-entwicklung-des-dax-seit-1987/. 698 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/199158/umfrage/jaehrliche-entwicklung-desdax-seit-1987/.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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endgültige Untergang von Verlusten bei Versterben stellt somit den atypischen Fall dar.699 Die Gefahr von Definitiveffekten bei Versterben des Steuerpflichtigen verschärft deshalb nicht den Prüfungsmaßstab. b) Kompensation Schließlich ist noch auf eventuelle Kompensationen und Saldierungen einzugehen, die nach hier vertretener Ansicht nur einen Faktor für die Bestimmung des Strengemaßstabs im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung bilden.700 Die Gewährung eines Verlustvortrags ohne Sockelbeträge und ohne zeitliche oder betragsmäßige Beschränkung sorgt nicht für eine Kompensation.701 Der Gesetzgeber ist verpflichtet, dem Steuerpflichtigen eine Möglichkeit zur überperiodischen Verlustverrechnung einzuräumen.702 Dieser Pflicht ist er in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG mit dem Verlustvortrag innerhalb der Kapitaleinkünfte gerecht geworden. Die Annahme, damit wiederum einen Ausschluss des Verlustrücktrags zu begründen, ist nicht überzeugend. Es ist unklar, was mit dem schlagwortartigen Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs703 gemeint sein könnte, dass „aus Gründen der Steuergerechtigkeit“ ein Verlustrücktrag nicht geboten sei, „da der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, die Verluste in den folgenden Veranlagungszeiträumen abzuziehen“. Wieso ein Steuerpflichtiger mit Kapitaleinkünften im Vergleich zu einem Steuerpflichtigen mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten wegen des Aspekts der „Steuergerechtigkeit“ einen Rücktrag nicht „verdient“ hat, erschließt sich nicht. Mit dem Ausschluss des Verlustrücktrags weicht der Gesetzgeber bewusst von der Grundentscheidung des § 10d Abs. 1 EStG ab. c) Zwischenergebnis Im Folgenden ist aufgrund des gesteigerten Ausmaßes der Ungleichbehandlung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlung geboten.

699

Im Ergebnis ebenso Lenhart, BB 2021, 2070 (2072) für § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Siehe oben 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. f). 701 A. A. wohl BT-Drucks. 16/4841, 58. Zu den fehlenden Sockelbeträgen siehe 2. Teil 4. Kapitel  § 12 A. II. 1. b). 702 Siehe die Nachweise bei Fn. 681 und Fn. 682. Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.62 m. w. N.: Die verfassungsrechtliche Gebotenheit des Verlustvortrags wird überwiegend anerkannt, bezüglich des Verlustrücktrags wird dies kontroverser diskutiert. Ebenso Strohm, Abgeltungsteuer, S. 211 ff. 703 BT-Drucks. 16/4841, 58. 700

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

2. Rechtfertigung durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung Die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG ist trotz des Ausschlusses des Verlust­ rücktrags verfassungsgemäß.704 Nach der amtlichen Begründung sei ein Verlustrücktrag nicht möglich und aus Gründen der Steuergerechtigkeit nicht geboten, da der Steuerpflichtige die Möglichkeit habe, die Verluste in den folgenden Veranlagungszeiträumen abzuziehen.705 Dieser Behauptung widerspricht ein Teil der Literatur und führt § 32d Abs. 4 EStG an.706 Nach dieser Norm kann der Steuerpflichtige mit der Einkommensteuererklärung für Kapitalerträge die Überprüfung des Steuereinbehalts (dem Grunde und der Höhe nach) beantragen und das Finanzamt ermittelt auf Antrag den materiellrechtlich richtigen Kapitalertrag.707 Wenn in diesem Zuge – so die Stimmen aus dem Schrifttum – ein Verlustvortrag berücksichtigt werden könnte, ließe sich das ohne Weiteres für einen Verlustrücktrag realisieren. Die sogenannte Antragsveranlagung zum einheitlichen Steuersatz von 25 %708 erfolgt zur Erfassung mindernder Umstände, die beim Kapitalertragsteuerabzug nicht berücksichtigt werden können, oder zur Korrektur einer überhöhten Bemessungsgrundlage des Steuerabzugs.709 Damit kann ein noch nicht im Rahmen des § 43a Abs. 3 EStG berücksichtigter Verlust oder ein Verlustvortrag nach § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG geltend gemacht werden.710 So kann beispielsweise ein Verlustvortrag oft aus tatsächlichen Gründen nicht beim Kapitalertragsteuerabzugsverfahren angesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Depots hat. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel: Der Anleger verfügt bei Kreditinstitut A noch über einen Verlustvortrag (§ 43a Abs. 3 Satz 3 EStG) und bei Kreditinstitut B erwirtschaftet er positive Einkünfte aus Kapitalvermögen. B kann einen möglichen Verlustvortrag im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren nicht berücksichtigen, weil es mangels Informationsaustauschs zwischen den Kreditinstituten nichts von

704

Ebenso Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 618; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1388; Wernsmann, StuW  2018, 100 (109). A. A. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 44; Oho / Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324); kritisch Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Gstädtner, Die Besteuerung privater Kapitalanlagen, S. 27. 705 BT-Drucks. 16/4841, 58; vgl. Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 618. Zur fehlenden Gebotenheit kritisch Stadler / Elser, in: Blumenberg / Benz, Unternehmensteuerreform 2008, S. 32 (52). 706 Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44. 707 Ausführlich zu § 32d Abs. 4 EStG Redert, in: eKommentar, EStG, § 32d Rn. 94 ff. 708 Dies ist der Unterschied zum Antrag auf Anwendung des individuellen Steuersatzes gemäß § 32d Abs. 6 EStG, vgl. BFH v. 29. 8. 2017 – VIII R 5/15, BStBl II 2018, 66 (juris Rn. 15); Koss, in: Korn, EStG, § 32d Rn. 86; Oellerich, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 32d Rn. 115. 709 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 145. 710 BT-Drucks. 16/4841, 61; BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 145 nennt ausdrücklich den Verlustvortrag als Beispiel, bei dem keine Berücksichtigung im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren stattfinden kann; Koss, in: Korn, EStG, § 32d Rn. 89.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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einem Bestehen des Verlustvortrags bei A wissen kann. § 32d Abs. 4 EStG gleicht unter anderem den Nachteil aus, der durch Informationsdefizite entsteht. Gegen die Stimmen aus der Literatur sprechen jedoch Gründe der Verwaltungsvereinfachung, die im Mittelpunkt der Abgeltungsteuer stehen.711 Die Einführung eines Verlustrücktrags hätte einen übermäßigen Anstieg des Verwaltungsaufwands zur Folge, denn die Zahl der erforderlichen Veranlagungen gemäß § 32d Abs. 4 EStG würde dadurch erheblich steigen.712 Um das Kernanliegen der Vereinfachung verwirklichen zu können, konnte der Gesetzgeber den Verlustrücktrag bei der Abgeltungsteuer ausschließen und diesem Ziel den Vorrang gewähren. Es könnte noch angemerkt werden, dass § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG in der Fassung bis 31. 12. 2008 (Fassung vor Einführung der Abgeltungsteuer) noch für einen Teil von Kapitalanlagen (Wertpapiere im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. und Termingeschäfte im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a. F.) einen Verlustrücktrag vorsah. Allerdings besteht der entscheidende Unterschied darin, dass diese Einkünfte (Wertpapiere und Termingeschäfte) nach alter Rechtslage immer Teil des Veranlagungsverfahrens nach § 25 EStG, §§ 155 ff. AO waren. Dagegen ist im Rahmen der derzeit geltenden Rechtslage für Kapitaleinkünfte gemäß § 20 EStG der Einbehalt der Kapitalertragsteuer als tendenziell endgültige Steuerfestsetzung ausgestaltet und die Veranlagung soll die Ausnahme darstellen (vgl. § 25 Abs. 1 Halbs. 2 EStG).713 In Anbetracht des Prüfungsmaßstabs kann sich der Gesetzgeber bei Einführung der Abgeltungsteuer für einen Vorrang des Leitmotivs der Vereinfachung entscheiden. Bei einer Zusammenschau dieser Aspekte ist die Regelung eines Verlustrücktrags bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als bloß alternatives Gestaltungsmittel anzusehen, womit der Normsetzer seinen verbliebenen Gestaltungsspielraum nicht verletzt hat. B. Ergebnis Die Norm behandelt Steuerpflichtige mit negativen Einkünften aus Kapitalvermögen und negativen Einkünften aus anderen Einkunftsarten, die einen Verlustrücktrag geltend machen können, ungleich. Diese Ungleichbehandlung kann gerechtfertigt werden. § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und ist deshalb verfassungsgemäß.

711 Wernsmann, StuW 2018, 100 (109); a. A. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 44; Oho / Hagen / L enz, DB 2007, 1322 (1324). 712 Siehe dazu bereits 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. II. 2. 713 Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 43 Rn. 29; Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1360). Siehe dazu bereits 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 2.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

§ 14 Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG beschränkt die Verrechnung von Veräußerungsverlusten aus Aktien periodenintern auf Gewinne aus Aktienveräußerungen. Nach § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 2 EStG können nicht ausgeglichene Verluste periodenextern in die folgenden Veranlagungszeiträume vorgetragen und mit zukünftigen Veräußerungsgewinnen aus Aktien verrechnet werden. Die überwiegende Mehrheit hält die Beschränkung für verfassungswidrig.714 A. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung 1. Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Aktien und mit anderen proportional besteuerten Kapitalanlagen Innerhalb der Kapitaleinkünfte werden gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG Steuerpflichtige mit Veräußerungsverlusten aus Aktien gegenüber solchen mit Veräuße­ rungsverlusten aus anderen proportional besteuerten Finanzprodukten (ausgenommen sind Termingeschäfte, für die Satz 5 gilt715) wie Aktienfondsanteilen oder Aktienzertifikaten ungleich behandelt.716 Die Ungleichbehandlung ist anhand des 714

BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 8; Dinkelbach, DB 2009, 870 (873); Döring / Garz, FR 2021, 834 (838 f.); Englisch, StuW 2007, 221 (237 f.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.506; Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (264 f.); Jachmann-Michel, jM 2021, 297 (301); Jochum, DStZ 2010, 309 (313, 315); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H  52 ff.; Klotz, Abgeltungsteuer, S. 158 ff.; Lenhart, BB 2021, 2070 (2074 ff.); Loos, DStZ 2010, 78 (79 ff.); Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 184 f.; Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 50 ff.; Recnik, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, S. 143 ff.; Rockoff, Beeinflussung der Investitionsentscheidung durch die Abgeltungsteuer, S. 221 f.; Schachinger, DStZ 2019, 791 (791 ff.); Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 274; Schönfeld, in: Schaumburg / Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 621 (640); Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109); Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. F 28a; Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 266 f.; zweifelnd FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 31 ff.); Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177; Drüen, FR 2020, 663 (669); Kanzler, FR 2021, 847 (847 ff.); Möllenbeck, in: Littmann / Bitz / P ust, EStG, § 20 Rn.  12; Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (550). Für die Verfassungsmäßigkeit Thiemann, Verluste, S. 284 f.; wohl auch Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469. 715 Eingeführt durch Gesetz v. 21. 12. 2019, BGBl I 2019, 2875 = BStBl I 2020, 127. 716 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 42 ff.); Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177; Drüen, FR  2020, 663 (669); Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (265); Jachmann-Michel, jM 2021, 297 (301) mit einer Auflistung weiterer Beispiele; Jochum, DStZ 2010, 309 (313); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 54; Loos, DStZ 2010, 78 (83 f.); Möllenbeck, in: Littmann / Bitz / P ust, EStG, § 20 Rn. 12.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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deskriptiven und normativen Ansatzes zu bestimmen, die sich nach überzeugender Ansicht nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich im Sinne eines komplemen­ tären Verständnisses ergänzen.717 § 20 EStG erfasst vielfältige Kapitalanlageformen, die laufende Erträge und Substanzsteigerungen umfassen. Nach der umfassenden Konzeption des § 20 EStG unterscheidet sich eine Kapitalanlage in Anteilen an einer Aktiengesellschaft, in Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder in Genussrechten grundsätzlich nicht voneinander.718 Bei der Investi­ tion in Kapitalgesellschaften muss die Beteiligungsgrenze unter 1 % liegen, da ansonsten die Einkünfte unter § 17 EStG fallen und § 20 EStG gemäß § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG subsidiär ist.719 Nach deskriptivem Verständnis liegt keine Gleichbehandlung im Sinne einer „identischen Behandlung“720 vor, weil für Aktien § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG und für andere proportional besteuerte Finanzprodukte (ausgenommen Termingeschäfte) „nur“ § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG gelten. Es wird nicht die gleiche Rechtsfolge angewendet. Besonders deutlich wird die ungleichmäßige Behandlung bei Aktien und zum Beispiel Aktienfondsanteilen, die nicht unter die Beschränkung von Satz 4 fallen.721 Der Aktienfonds ist ein Beispiel für einen Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW), der den klassischen Typus des Investmentvermögens darstellt und in den §§ 91 ff., 162 ff. KAGB geregelt ist.722 Ein Investmentvermögen ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB im Wesentlichen jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren. Es wird mit Modellen, die die Wertentwicklung von Aktien abbilden, lediglich indirekt in Unternehmensanteile investiert.723 Diese aus wirtschaftlicher Sicht mittelbare Investition schließt folglich die Vergleichs­gruppenbildung nicht aus.724 Gegen eine Vergleichbarkeit der beiden Gruppen spricht ebenfalls nicht das vermeintlich unterschiedliche Risikopotential für den Staatshaushalt. Die amtliche Begründung ist hier anderer Ansicht und führt aus, dass in der Risikomischung der „wesentliche Unterschied von Investmentfonds gegenüber der Direktinvestition“ liege.725 Dieser Begründung ist zuzugeben, dass Aktienfonds mit der Streuwirkung 717

Siehe dazu näher 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. d). Schachinger, DStZ 2019, 791 (792); vgl. dazu die Auflistung der einzelnen für den Steuerabzug maßgebenden Geschäftsvorfälle BT-Drucks. 16/4841, 55 f. 719 Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 253 f. 720 Huster, Rechte und Ziele, S. 21; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 27; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1472 f.). 721 Siehe die Nachweise bei Fn. 716. 722 Hakenberg, in: Weber27, Rechtswörterbuch, Stichwort „Investmentvermögen“. 723 Vgl. BT-Drucks. 16/5491, 19; BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 45). 724 Ebenso BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 45). 725 BT-Drucks. 16/5491, 19; zustimmend Kanzler, FR 2021, 847 (848 f.); Recnik, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, S. 150. 718

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

regelmäßig Unternehmensrisiken wie zum Beispiel verpasste Marktchancen, Innovationsstau oder Fehlinvestitionen reduzieren.726 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch Fonds von Unternehmensrisiken betroffen sind. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn diese auf ein spezielles Geschäftsfeld ausgerichtet sind. Hier ist es denkbar, dass viele konkurrierende Unternehmen, die im Portfolio des Fonds sind, auf die gleiche neuartige Technologie setzen, die sich später aber als Fehlinvestition herausstellt. Die Fonds mindern aber grundsätzlich nicht die im Vordergrund stehenden Haushaltsrisiken, da selbst breit aufgestellte, reine Aktienfonds nicht weniger von gesamtwirtschaftlichen nationalen oder globalen Rezessionen oder Börsencrashs betroffen sind.727 Auch bei Fonds sind in Krisenzeiten im Fall der Veräußerung hohe Verluste mit einer potentiellen Belastung des Haushalts festzustellen.728 Während der Weltfinanzkrise in der Zeit von September 2007 bis März 2009 verzeichneten Aktienfonds im Euro-Währungsgebiet, die schwerpunktmäßig in Aktien, sonstige Dividendenwerte und Beteiligungen investierten, nach Zahlen der EZB beim Gesamtvermögen ein Minus von ca. 52 %.729 Es ist unerheblich, dass diese Zahlen dem historischen Gesetzgeber noch nicht bekannt sein konnten. Dies ändert nichts an der bestehenden Ungleichbehandlung. 2. Ungleichbehandlung der Ertragsformen von Aktien Des Weiteren behandelt die Norm die verschiedenen Ertragsformen von Aktien ungleich, weil gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG die Verrechnung eines Veräußerungsverlusts mit einem anderen positiven Ertrag abgesehen von einem Veräußerungsgewinn nicht möglich ist. Veräußerungsverluste aus Aktien können beispielsweise nicht mit Dividenden verrechnet werden, was die Zusammengehörigkeit beider Ertragsformen verkennt.730 Das wird besonders am Fall des Ex-DividendenEffekts deutlich.731 Dieser Vorgang, der auch als Dividendenabschlag bezeichnet

726

Jochum, DStZ 2010, 309 (313). Jochum, DStZ 2010, 309 (313); Loos, DStZ 2010, 78 (83 f.); in Anschluss an diese Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (265). 728 Jochum, DStZ 2010, 309 (313 f.); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 59; Loos, DStZ 2010, 78 (83 f.). 729 EZB Statistik über Investmentfonds im Euro-Währungsgebiet v. 13. 1. 2009, deutsche Übersetzung abrufbar unter https://www.bundesbank.de/resource/blob/675498/ae30f03ac690 9c0ad4446c813a2bf035/mL/2009-01-13-investmentfonds-download.pdf sowie v. 12. 10. 2009, deutsche Übersetzung abrufbar unter https://www.bundesbank.de/resource/blob/675820/177c 7209950ea35435e7ff43d442920d/mL/2009-10-12-investmentfonds-download.pdf. 730 Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 54; Lenhart, BB 2021, 2070 (2072); Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178 f. Kritisch auch Dinkelbach, DB 2009, 870 (873). 731 Dinkelbach, DB 2009, 870 (873); in Anschluss an diesen Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178 f.; Jachmann-Michel, in: FS Lehner, S. 417 (436). 727

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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wird, erfolgt, wenn eine Aktiengesellschaft an ihre Aktionäre eine Bardividende ausschüttet.732 Auf der Ebene der Gesellschaft erfolgt ein Mittelabfluss, indem Vermögen aus der Sphäre der Aktiengesellschaft in die Gesellschaftersphäre übertragen wird.733 Der Ausschüttungsanspruch entsteht mit dem Wirksamwerden des Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 174 Abs. 2 Nr. 2, § 58 Abs. 3 AktG.734 Jeder Inhaber einer Aktie, der die Aktie am Ende dieses Handelstags hält, ist zum Bezug der Dividende berechtigt.735 Am Tag nach dem Dividendenstichtag sinkt der Kurs der Aktie etwa in Höhe der ausgeschütteten Dividende und der Handel erfolgt zum sogenannten Ex-Dividenden-Kurs.736 Damit berücksichtigt der Markt, dass nun ein Käufer nicht mehr zum Bezug der beschlossenen Dividende berechtigt ist.737 Beim Aktionär ändert sich der Vermögensbestand nicht. Der Vorgang ist für ihn auf Vermögensebene neutral. Wenn ein Investor eine Aktie kurz vor Ausschüttung der Dividende kauft und sofort nach der Ausschüttung am Ex-Dividenden-Tag veräußert, kann er den aufgrund der Ausschüttung eintretenden Kursverlust (bereinigt um marktbedingte Einflüsse) nicht mit der bezogenen Dividende verrechnen. Der Anleger muss die Dividende in voller Höhe gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Fall 1 EStG versteuern, obwohl die tatsächliche Steigerung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit bei Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts regelmäßig nahe null liegt.738 Damit bleibt unberücksichtigt, dass die Dividende und der Verlust aus der Veräußerung aus der identischen Quelle stammen.739 Das wechselseitige Verhältnis zwischen der Ausschüttung und dem Veräußerungsgewinn sind beispielsweise für das Teileinkünfteverfahren oder für § 8 Nr. 10 GewStG konstituierend.740 Außerdem wird der enge Zusammenhang daran deutlich, dass aus zivilrechtlicher Perspektive der mitgliedschaftliche Dividendenanspruch741 untrennbar mit der Mitgliedschaft an der Gesellschaft verbunden ist und nicht selbständig verkehrsfähig ist.742 Diese Ungleichbehandlung erwähnt der BFH in seinem Vorlagebeschluss zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nur am Rande im Zusammenhang mit einer verfassungskonformen

732

Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 73. Brealey / Myers / Allen, Principles of Corporate Finance13, S. 426 f. 734 Bayer, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 58 Rn. 104 m. w. N. 735 Koch, in: Koch16, AktG, § 58 Rn. 28a; Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 73. 736 Brealey / Myers / Allen, Principles of Corporate Finance13, S. 427. 737 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 74. 738 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 74, 178. 739 Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27); Jachmann-Michel, in: FS Lehner, S. 417 (435); in Anschluss an diese Lenhart, BB 2021, 2070 (2072). 740 Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (582). 741 Dieser ist wiederum vom schuldrechtlichen Anspruch des Aktionärs auf Ausschüttung der anteiligen Dividende abzugrenzen, vgl. Bayer, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 58 Rn. 103. 742 Vgl. BGH v. 14. 9. 1998  – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 (301); Bayer, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 58 Rn. 101; Koch, in: Koch16, AktG, § 58 Rn. 26. 733

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Auslegung der Norm.743 Diese lehnt der BFH zutreffend wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts und des gesetzgeberischen Willens ab. Ein weiteres Beispiel, bei dem die Ungleichbehandlung augenscheinlich wird, ist die Veräußerung von Bezugsrechten nach einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen gemäß §§ 182 ff. AktG.744 Altaktionären steht grundsätzlich nach § 186 Abs. 1 AktG ein Bezugsrecht zur Vermeidung der Verwässerung des Werts ihrer Aktien und zur Aufrechterhaltung der Beteiligungsquote und der daran anknüpfenden Stimmkraft zu.745 Das Bezugsrecht berechtigt sie zu einer ihrem bisherigen Anteil am Grundkapital entsprechenden Zeichnung junger Aktien, um eine proportionale Beteiligung an der Kapitalerhöhung zu gewährleisten.746 Dieses gesetzlich festgelegte Vorerwerbsrecht gehört zu den wichtigsten Mitgliedschaftsrechten und wird deshalb auch als mitgliedschaftliches Grundrecht bezeichnet.747 Wenn ein Aktionär an einer solchen Kapitalerhöhung nicht teilnimmt und seine Bezugsrechte stattdessen veräußert, ist der Veräußerungsgewinn nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG steuerpflichtig.748 Ein Bezugsrecht gewährt eine begründete Aussicht auf den Erwerb einer rechtlichen Position und ist damit eine Anwartschaft auf einen Anteil an einer Körperschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.749 Veräußert der Aktionär zudem seine entsprechenden Anteile – weil er etwa gerade wegen der Kapitalerhöhung kein Interesse mehr an der Gesellschaft hat –, erleidet er typischerweise einen Veräußerungsverlust, da die Ausgabe der Bezugsrechte zu einem „vermögensmäßigen Verwässerungseffekt“ der Altaktien führt.750 Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Ein Faktor kann das negative Signal an die Kapitalmärkte sein, dass eine finanzielle Schwäche der Gesellschaft die Kapitalerhöhung erforderlich macht.751 Der Kursverlust kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die jungen Aktien zur Unterbringung im Publikum bei der Festsetzung des Ausgabebetrags über pari (§ 9 AktG) mit einem 743

BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 76). Kritisch dazu Lenhart, BB 2021, 2070 (2072 f.). 744 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178 f. 745 Schürnbrand / Verse, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 186 Rn. 2 m. w. N.; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht8, § 6 Rn. 25 ff.; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht5, Rn. 589. Der mögliche Ausschluss des Bezugsrechts soll hier außer Betracht bleiben. 746 Schürnbrand / Verse, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 186 Rn. 23. 747 Bayer, ZHR 1999, 505 (508); Schürnbrand / Verse, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 186 Rn. 1; Zöllner, AG 1994, 336 (341). 748 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 430; Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178. 749 BFH v. 20. 2. 1975  – IV R 15/71, BStBl II 1975, 505 (juris Rn. 31); Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn.  430; Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 358. 750 Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht 5, Rn. 589; in Anschluss an diesen Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 88, 178. 751 Vgl. Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht5, Rn. 561. Daneben kann es nach Wilhelm auch erforderlich sein, wenn die Gesellschaft ihre Eigenkapitalgrundlage für höhere Investitionen zur Ausweitung ihres Erfolgs- und Geschäftskreises verstärken will.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Kursabschlag emittiert werden, um einen weiteren finanziellen Anreiz zur Investition zu setzen.752 Dieser Anreiz realisiert sich im Weiterkauf der neu emittierten Aktien, der zu einem Überangebot führt. Der neue Kurs der Aktie sinkt daher am ersten Handelstag nach der Kapitalerhöhung auf ein Niveau zwischen dem alten Kurs vor der Kapitalerhöhung und dem Kurs, zu dem die jungen Aktien ausgegeben wurden.753 Dieser Verlust entspricht ungefähr der Höhe des Gewinns aus der Veräußerung der Bezugsrechte.754 Den Veräußerungsverlust kann er jedoch nicht mit dem Gewinn aus der Veräußerung der Bezugsrechte verrechnen, weil der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG die Möglichkeit der Verrechnung ausschließlich auf Veräußerungsgewinne nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG beschränkt.755 Eine Verrechnung ist nicht möglich, obwohl der Gewinn den Verlust regelmäßig wirtschaftlich bedingt.756 Eine verfassungskonforme Auslegung des § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG scheidet aber aus.757 Dies würde dem eindeutigen Wortlaut758 und dem gesetzgeberischen Regelungswillen widersprechen, denn die Begründung des Finanzausschusses759 für die Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG beschäftigt sich ausdrücklich mit der Einbeziehung von Wirtschaftsgütern, die einen engen Zusammenhang zu Aktien haben oder diesen ähnlich sind (etwa Aktienfondsanteilen). 3. Ungleichbehandlung in Abhängigkeit von der Höhe der Beteiligung Eine weitere Ungleichbehandlung liegt in der Unterscheidung von privaten Aktionären unter der Schwelle des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG und qualifiziert Beteiligten im Sinne des § 17 EStG, deren Veräußerungsgewinne kraft Fiktion als gewerbliche Gewinne eingestuft werden.760 Steuerpflichtige, die gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital einer Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt waren, können ihre Veräußerungsverluste nach den allgemeinen Regeln der §§ 2 Abs. 3, 10d EStG verrechnen. Es dür 752

Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht5, Rn. 589. Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 88. 754 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178. 755 Vgl. BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 228. Ebenso Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 47. 756 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 178 f. 757 Allgemein zu den Voraussetzungen z. B. Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 5.92; Sachs, in: Sachs9, GG, Einf. Rn. 52 ff.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 280 f. 758 Zu dieser Grenze BVerfG v. 11. 6. 1958 – 1 BvL 149/52, BVerfGE 8, 28 (34); v. 30. 6. 1964 – 1 BvL 16/62, BVerfGE 18, 97 (111); v. 11. 1. 2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 (183); v. 16. 12. 2014 – 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64 (Rn. 93); st. Rspr. 759 BT-Drucks. 16/5491, 19. 760 Dinkelbach, DB 2009, 870 (873); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 54; Loos, DStZ 2010, 78 (83); Rockoff, Beeinflussung der Investitionsentscheidung durch die Abgeltungsteuer, S. 221; tendenziell auch Seer, DStJG 2011, S. 1 (6). 753

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

fen jedoch nicht die Beschränkungen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG gelten, die eine Einbeziehung von Verlusten unter bestimmten Voraussetzungen ausschließen.761 § 17 und § 20 EStG betreffen Steuerpflichtige, die ihre Beteiligungen im Privatvermögen halten.762 Die schrittweise Absenkung der Beteiligungsgrenze von einer „wesentlichen Beteiligung“ von zunächst mehr als 25 % auf „zu mindestens 10 %“763 auf mittlerweile nur „zu mindestens 1 %“764 spricht für die Vergleichbarkeit beider Gruppen. Denn beide Gruppen von Anteilseignern, die nach § 17 oder § 20 EStG besteuert werden, können keinen bedeutenden Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Der Gesetzgeber strich mit dem Steuersenkungsgesetz765 den Begriff der „wesentlichen“ Beteiligung in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG und senkte innerhalb von weniger als zwei Jahren deutlich die Beteiligungsgrenze. Der Anwendungsbereich des § 17 EStG wurde damit erheblich erweitert.766 Der Gedanke der potentiellen Einflussnahme durch den Aktionär, wie er bei einer Beteiligung von mehr als 25 % noch bedeutsam sein konnte, hat bei einer Beteiligung von nur noch 1 % keine Bedeutung mehr für die Rechtfertigung der Besteuerung gemäß § 17 EStG.767 Nur ein zu mindestens 25 % beteiligter Anteilseigner kann Beschlüsse der Hauptversammlung mit besonderer Tragweite blockieren, für die das Aktiengesetz eine Dreiviertelmehrheit fordert.768 Damit sind die zwei Gruppen von Anteilseignern vergleichbar und es liegt eine weitere rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor. 4. Ungleichbehandlung von Aktien aus dem Privatvermögen und aus dem Betriebsvermögen Durch § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG werden Steuerpflichtige mit Verlusten aus Veräußerungen von Aktien, die im Privatvermögen verwaltet werden, ungleich behandelt mit Verlusten aus Veräußerungen von Aktien, die im Betriebsvermögen 761 Insofern zu weitgehend Loos, DStZ 2010, 78 (83); Rockoff, Beeinflussung der Investitionsentscheidung durch die Abgeltungsteuer, S. 221. Diese berücksichtigen nicht die Ausnahme. Allgemein zu § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG Röder, Verlustverrechnung, S. 34 ff.; Vogt, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 17 Rn. 770 ff. 762 Strahl / Winkler, in: Korn, EStG, § 17 Rn. 1; Vogt, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 17 Rn. 2. 763 Änderung durch Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24. 3. 1999, BGBl  I 1999, 402 = BStBl I 1999, 304. 764 Änderung durch Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (StSenkG) v. 23. 10. 2000, BGBl I 2000, 1433 = BStBl I 2000, 1428. 765 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 23. 10. 2000, BGBl I 2000, 1433 = BStBl I 2000, 1428. 766 Vogt, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 17 Rn. 222 spricht davon, dass § 17 EStG durch die Änderungen eine „andere Wertigkeit“ erhielt. 767 Vogt, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 17 Rn. 222; vgl. Eilers / Wienands, GmbHR 2000, 405 (406); Jakobs / Wittmann, GmbHR 2000, 910 (915). 768 In Betracht kommen hier Beschlüsse zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 103 AktG), zur Auflösung der Gesellschaft (§ 262 AktG), zur Eingliederung (§ 319 AktG) oder zur Satzungsänderung (§ 179 AktG), vgl. hierzu Stein, in: Münchener Kommentar5, AktG, § 179 Rn. 81 ff.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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gehalten werden.769 Es wird das gleiche wirtschaftliche und rechtliche Geschehen  – die verlustbringende Veräußerung einer Aktie  – steuerlich erfasst.770 Im Betriebs­vermögen gehaltenen Aktien stehen aber keine besonderen Verlustverrechnungsbeschränkungen gegenüber und folglich gelten die allgemeinen Regeln gemäß §§ 2 Abs. 3, 10d EStG. 5. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 2 EStG verweist auf Satz 2 und 3, womit wiederum der Verlustrücktrag ausgeschlossen wird.771 Es liegt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Verlusten aus Aktiengeschäften und Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten vor, die ihre negativen Einkünfte nach der allgemeinen Regel des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG rücktragen können. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen Die verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlungen können durch einen hinreichenden Grund gerechtfertigt werden. Für jede Ungleichbehandlung ist aller­ dings ein eigener Rechtfertigungsgrund zu finden, der gerade die konkrete ungleiche Behandlung rechtfertigen kann.772 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs Zuerst ist die Strenge des Prüfungsmaßstabs zu bestimmen. Auch bei der Überprüfung von § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG ist keine großzügige Prüfung anhand der Willkürkontrolle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen angezeigt.773 Thiemann hingegen stimmt der Entscheidung im Ergebnis zu und hält bei Anlegung dieses Maßstabs § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG für verfassungsgemäß.774 Mit Blick auf die Ungleichbehandlung von Aktien und anderen Finanzprodukten, die ebenso risikobehaftet seien, geht er von einem wei 769 Loos, DStZ 2010, 78 (83); Rockoff, Beeinflussung der Investitionsentscheidung durch die Abgeltungsteuer, S. 221; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 277. 770 Vgl. BVerfG v. 9. 7. 1969  – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 (312); siehe dazu bereits 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 2. 771 Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien, S. 180; siehe schon 2. Teil 4. Kapitel § 13 A. I. 772 Kischel, AöR 1999, 174 (184); Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 13 (Oktober 1992). Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51) mit der Feststellung, dass es einer gesonderten verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG bedürfe, auch wenn Satz 1 gerechtfertigt sei. 773 Siehe oben 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 1. a). 774 Thiemann, Verluste, S. 284 f.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

ten Gestaltungsspielraum aus. Seiner Ansicht nach sei zu berücksichtigen, „dass der Gesetzgeber nicht zwingend zur ‚sortenreinen‘ Umsetzung eines Regelungs­ konzepts verpflichtet ist, sondern er auch weniger eingriffsintensive, vermittelnde Lösungen wählen darf. Bei der Frage, inwiefern mit Blick darauf Differenzierungen vorgenommen werden, kommt ihm ein vergleichsweise großer Gestaltungsspielraum zu, der gewahrt ist, solange nicht die Grenze des Willkürverbots verletzt ist. Vor allem wenn es um die Umsetzung eines Grundgedankens in Detailbereichen geht, ist von erheblichen Spielräumen auszugehen, soll nicht der Gleichheitssatz mit Konsequenzanforderungen aufgeladen werden, die im Prozess der Gesetzgebung praktisch kaum erfüllbar sind.“775 Nach hier vertretener Ansicht ist die Entscheidung nicht auf andere Fälle übertragbar und zudem inhaltlich abzulehnen.776 Doch auch bei Zugrundelegung dieses Urteils liegt keine dogmatisch komplexe Streitfrage eines „Detailbereichs“777 vor, weil die Norm von der strikten einkommensteuerlichen Grundentscheidung (§§ 2 Abs. 3, 10d EStG) abweicht und nicht von einem bloß inkonsistenten Subsystem.778 Es überzeugt nicht, wenn bei der Auswahl von Finanzanlagen von einem dogmatisch komplexen „Detailbereich“ ausgegangen wird und in diesem Zusammenhang dem Gesetzgeber weite Spielräume zugestanden werden. Entgegen dieser Ansicht779 ist es gerade nicht überzogen, dem Normsetzer eine Recherchepflicht zum Risikopotential verschiedener Anlageformen aufzuerlegen.780 Der Gesetzgeber wird durch die strengen Rechtfertigungsmaßstäbe nicht über Gebühr belastet, denn nur so kann die Realität am Kapitalmarkt hinreichend berücksichtigt werden.781 a) Strenge Bindung wegen der Gefahr von Definitiveffekten Im Zusammenhang mit der Prüfung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG sprechen die Kriterien für eine strenge, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlungen.782 Dafür lässt sich insbesondere anführen, dass 775

Thiemann, Verluste, S. 285. Siehe dazu ausführlich 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. c). 777 Thiemann, Verluste, S. 285. 778 Vgl. BVerfG v. 12. 5. 2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123 f.). 779 Ähnlich FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 61). 780 Ebenso Lenhart, BB 2021, 2070 (2076). Beispielsweise könnte er auf Einschätzungen und Risikoklassen zurückgreifen, die auf der Klassifizierung durch spezialisierte öffentliche Stellen wie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beruhen. 781 Ähnlich Englisch, in: FS Lang, S. 167 (177 f.), der davon spricht, dass „Gesetzgebungsorgane nach wie vor frei“ seien, den „politischen Kompromiss zu suchen“ und nur „der ‚faule‘ Kompromiss“ erschwert werde. Zu Fragen der realitätsgerechten Ausgestaltung der Typisierung siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 2. 782 Im Ergebnis ebenso BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 50). Der BFH kommt aber bereits bei Anwendung des bloßen Willkürverbots zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit (juris Rn. 53). A. A. FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 55). 776

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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das Ausmaß der Ungleichbehandlung und ihre Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast hoch ist. Mit der Regelung wird nochmals eine Schedule innerhalb der Schedule Einkünfte aus Kapitalvermögen gebildet.783 Aus dieser Tatsache in Verbindung mit dem Verweis von § 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 2 EStG auf Satz 2 und 3 ergibt sich eine erhöhte Gefahr für sogenannte Definitiveffekte, die richtigerweise784 bei der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs einzuordnen sind. Es ist nicht überzeugend, für das Risiko eines Definitiveffekts zwischen der Gefahr zu Lebzeiten und bei Versterben des Steuerpflichtigen zu differenzieren.785 Die Kategorie der Gefahr zu Lebzeiten ist abzulehnen, da kein überzeugender Praxisfall existiert.786 Es besteht allerdings bei Versterben des Steuerpflichtigen die Gefahr der endgültigen Nichtverrechenbarkeit, die im Vergleich zu den übrigen Kapitaleinkünften (außer Termingeschäften, die unter § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG fallen) und erst recht den übrigen Einkunftsarten erhöht ist.787 Es steht noch weniger Verlustverrechnungspotential zur Verfügung, denn Satz 4 beschränkt die Verrechnung auf eine einzige Kapitalanlagemöglichkeit. Dies ist das zentrale Unterscheidungskriterium, welches das Risiko des Untergangs für entstehende Verluste und Verlustvorträge im Veranlagungszeitraum des Todes steigert. Dabei entsteht kein Widerspruch zur vertretenen Ansicht im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG, weil das erheblich geringere Kontingent an Verrechnungsmöglichkeiten über die sonst übliche Gefahr der Nichtverrechenbarkeit deutlich hinausgeht. In der Regel erholen sich zwar die Aktienkurse nach einzelnen Kurseinbrüchen, sodass später wieder Gewinne als Verrechnungspotential bereitstehen.788 Beim DAX dauert es beispielsweise nach einem gravierenderen Kurssturz durchschnittlich mehrere Monate bis maximal drei Jahre, bis die Kurse des Index wieder steigen.789 Es herrscht jedoch ein weitgehender Gleichlauf der konjunkturellen Entwicklung vieler Branchen und Regionen.790 Deshalb ist in einer Phase der Rezession während aufeinander folgenden Veranlagungszeiträumen die Wahrscheinlichkeit der kompensatorischen Erzielung von Gewinnen und Verlusten

783 Weber-Grellet, NJW  2008, 545 (550); Dinkelbach, DB  2009, 870 (873); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 62; FG Nürnberg v. 30. 1. 2019 – 3 K 1710/18 (juris Rn. 52) spricht von einer „Untereinkunftsart“. 784 Siehe oben 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 1. a). 785 Für diese Unterscheidung BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 47 f.). Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 1. a). 786 Siehe dazu ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 1. a). 787 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 48); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 64; a. A. Lenhart, BB 2021, 2070 (2072); tendenziell auch Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583); Frey / Schober, DStR 2021, 2674 (2680). 788 Vgl. hierfür die Entwicklung des DAX in den Jahren von 1987–2021, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/199158/umfrage/jaehrliche-entwicklung-des-dax-seit-1987/. 789 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/199158/umfrage/jaehrliche-entwicklung-desdax-seit-1987/. 790 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 64.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

an den Aktienmärkten im Falle des Versterbens des Steuerpflichtigen geringer.791 Falls in diesem Veranlagungszeitraum Gewinne aus Aktien fehlen, verfallen diese Verluste, da kein (ausnahmsweise zulässiger) Verlustrücktrag792 vorgesehen ist und keine Übertragung auf den Rechtsnachfolger möglich ist.793 Dieses vergleichsweise erhöhte Risiko führt zu einer Verschärfung des Prüfungsmaßstabs. b) Keine Betroffenheit von Freiheitsgrundrechten Der BFH knüpft an die Rechtsprechung des BVerfG794 zu den maßstabsverschär­ fenden Kriterien an und geht in seinem Vorlagebeschluss zu § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG von einer Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 1 GG aus.795 Dies führe zu einer schärferen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG. Der vorlegende VIII. Senat des BFH sieht die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen auszuwählen, beeinträchtigt. Denn der Steuerpflichtige müsse, wenn er aufgrund erzielter Verluste nicht mehr in Aktien investieren könne oder wolle, die endgültige Nichtberücksichtigung der erlittenen Verluste hinnehmen. Er werde von der durch § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG bewirkten Verluststreckung deshalb dazu angehalten, die Investition in Aktien auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Situation ihn ansonsten zum Ausstieg aus dieser Anlageform motivieren würde. Für die Beurteilung dieser These sind zuerst als zentrale Weiche die Wirkungen der Regelung zu analysieren, um die Beeinträchtigung eines Freiheitsgrundrechts feststellen zu können.796 Von der Norm gehen typischerweise Belastungswirkungen aus, weil das Verbot der Verlustverrechnung mit anderen positiven Kapitalerträgen gemäß der allgemeinen Regel § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG zu einer höheren Bemessungsgrundlage und damit zu einer größeren Steuerlast führt. Dem Steuerpflichtigen wird damit Vermögen entzogen. Dieser Effekt greift in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.797 Damit ist gemeint, dass dem 791

Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 64. Für diesen Vorschlag Röder, Verlustverrechnung, S. 358 f., der dies ausgehend von der Lebenseinkommensthese für verfassungsrechtlich geboten hält. 793 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 48) mit Verweis auf BFH v. 17. 12. 2007 – GrS 2/04, BStBl II 2008, 608. 794 BVerfG v. 17. 12. 2014  – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 121 f.); v. 10. 4. 2018  – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 (Rn. 104); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 111); Osterloh, DStJG 2001, S. 383 (397): Bei der Gleichheitsfrage gehen „Freiheits- und Gleichheitsrechte eine innige Verbindung“ ein; ähnlich Nußberger, in: Sachs9, GG, Art. 3 Rn. 18; siehe oben 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 1. 795 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 52). 796 Siehe 2. Teil 3. Kapitel § 10 A. 797 Vgl. Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 93 f.; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn.  546 f. m. w. N. 792

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Steuerpflichtigen durch die Geldleistungspflicht ein Teil seiner „wirtschaftlichen Freiheit und Mächtigkeit zur wirtschaftlichen Einflussnahme“ weggenommen wird und folglich die ökonomische Entfaltungsmöglichkeit beschränkt wird.798 Es ist strittig, wie sich ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit auf den Prüfungsmaßstab der Rechtfertigung beim allgemeinen Gleichheitssatz auswirkt. Teilweise wird stets für eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung plädiert, wenn ein Freiheitsgrundrecht wie etwa Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt ist.799 Überzeugender ist jedoch, die Prüfungsanforderungen vom jeweils betroffenen Freiheitsgrundrecht abhängig zu machen und eine Abstufung nach der Intensität vorzunehmen.800 Eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit soll nur unter besonderen Voraussetzungen bei hoher Eingriffsintensität für eine Verschärfung des Maßstabs ausreichen.801 Für die besonderen Anforderungen im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG sprechen der Sinn und Zweck des Kriteriums „Betroffenheit eines Freiheitsgrundrechts“, das zu einer strengeren gleichheitsrechtlichen Prüfung führen kann. Der Grund für die Einwirkung anderer Grundrechte auf den Gleichheitssatz ist darin zu sehen, dass in ihnen besondere Wertentscheidungen liegen, die durch die Ungleichbehandlung verletzt werden.802 Art. 2 Abs. 1 GG enthält aufgrund der sehr weiten tatbestandlichen Fassung im Gegensatz zu Art. 14 GG gerade keine ausgeprägte Wertentscheidung.803 Die Bedeutung der besonderen Wertentscheidung wird nochmals durch einen Blick auf die allgemeinen Lehren der Grundrechtskonkurrenzen bekräftigt. Danach darf keine „Grundrechtskumulation“ (eine Erhöhung des Grundrechtsschutzes) vorgenommen werden, wenn mehrere, in Idealkonkurrenz zueinanderstehende Freiheitsgrundrechte einschlägig sind.804 In diesem Fall 798

Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 93 m. w. N. Hey, DStR 2009, 2561 (2567); ebenso im Zusammenhang mit der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung BVerfG v. 18. 2. 1998 – 1 BvR 1318/86, BVerfGE 97, 271 (290 f.); abschwächend hingegen BVerfG v. 8. 4. 1997 – 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (317). 800 So im Ergebnis BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117); Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 94; in diese Richtung auch Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 48, 48.2; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck7, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 148; ebenfalls zurückhaltend Britz, NJW 2014, 346 (349 f.). 801 BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117) fordert eine „erhebliche Beeinträchtigung“; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 94; Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 48, 48.2. 802 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 94. 803 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 94; tendenziell ebenso Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (281); vgl. Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 48.2. Damit wird nicht die fundamentale Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Abrede gestellt, die „umfassender Ausdruck der persönlichen Freiheitssphäre und zugleich Ausgangspunkt aller subjektiven Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“ ist, BVerfG v. 1. 8. 1978 – 2 BvR 123/76, BVerfGE 49, 15 (23). Vgl. Dreier, in: Dreier3, GG, Art. 2 I Rn. 21; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1 ff. 804 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 361. 799

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

muss der Eingriff vielmehr dem Freiheitsrecht mit den strengsten Rechtfertigungs­ anforderungen gerecht werden.805 Der Gedanke des Kumulationsverbots ist auf die Situation der gleichzeitigen Betroffenheit des allgemeinen Gleichheitssatzes und eines Freiheitsgrundrechts zu übertragen. Zudem spricht ein weiteres Argument gegen die Ansicht, die pauschal bei einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG eine Verschärfung des Maßstabs vornehmen will. Bei der Anwendung der maßstabsverschärfenden Kriterien ist eine generelle Zurückhaltung geboten.806 Aufgrund der enormen Breitenwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit müsste sich grundsätzlich jedes Steuergesetz, das Ungleichbehandlungen auslöst, einer strengen Rechtfertigungsprüfung unterziehen.807 Dies würde den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erheblich aushöhlen.808 Im Zusammenhang mit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien führen die Belastungswirkungen, die in Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen, nicht zu einer Maßstabsverschärfung bei Art. 3 Abs. 1 GG.809 Die Eingriffsintensität geht nicht über ein bloß durchschnittliches, jeder Steuernorm eigentümliches Maß hinaus. Stattdessen hätte es weiterer Anhaltspunkte bedurft, die die Regelung unangemessen erscheinen ließen. Neben den Belastungswirkungen kommen von § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG ausgelöste Gestaltungswirkungen in Betracht. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit kann auch in dem hoheitlich formulierten Verhalten liegen, das durch die Steuerandrohung faktisch mit einer „Sanktion“ bewehrt ist.810 Der BFH811 und ein Teil des Schrifttums812 gehen von einer faktischen Beeinträchtigung der wirtschaft 805

Jarass, in: Jarass / Pieroth16, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 17b; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 52 Rn. 5; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 361 f. 806 Britz, NJW 2014, 346 (349); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 48; siehe dazu oben 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). 807 Vgl. Britz, NJW  2014, 346 (349); Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3 Rn. 48; Lenhart, BB 2021, 2070 (2074); Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (281). Diesen Gedanken verfolgt wohl auch das BVerfG implizit in der Entscheidung v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117). 808 Britz, NJW 2014, 346 (349). 809 Vgl. BVerfG v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 117) für die Vollverzinsung gemäß §§ 233a, 238 AO. 810 Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 95; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 352. 811 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 52): „Denn die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen auszuwählen, wird […] beeinträchtigt […]. Er wird von der durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkten Verluststreckung deshalb dazu angehalten, seine Investition in die Verlustaktien auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde.“ (Hervorhebung nur hier.). 812 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 65, die jedoch von einer „freiheitsrechtlichen Sicht“ ausgeht, ohne an ein konkretes Grundrecht anzuknüpfen; JachmannMichel, StuW 2018, 9 (27), die daneben noch Art. 14 Abs. 1 GG nennt.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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lichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG aus. Für den rational denkenden Anleger würden bei der ursprünglichen Entscheidung, in welche Anlageformen erstmals investiert wird, Aktien unattraktiv gemacht und so auf den Willen eingewirkt werden. Aber auch in dem Fall, dass der Anleger bereits in Aktien investiert sei, finde eine Willensbeeinflussung statt. Denn bei einmal erlittenen Ver­ äußerungsverlusten verlasse ein Anleger das Anlagesegment wegen des ansonsten drohenden Verfalls der Verluste nicht, „obwohl die Verlustsituation [ihn] ansonsten zum Ausstieg motiviert“ hätte.813 Dem ist nicht zu folgen, da die für den faktischen Eingriff erforderliche Intensität fehlt.814 Von der Norm gehen nicht so starke verhaltensbeeinflussende Wirkungen aus, dass von einem Eingriff gesprochen werden kann. Die Vorfeldwirkungen im Zeitraum vor der überhaupt erstmaligen Investition in Aktien sind nicht so hoch, dass das Verhalten praktisch unmöglich gemacht wird.815 Denn die Verlustverrechnungsbeschränkung hat keinen so erheblichen Abschreckungseffekt, dass ein durchschnittlicher Anleger von einer Investition absehen würde. Im Bewusstsein der Gefahr eines Verlusts geht der normale Anleger bei der Entscheidung für eine Investition unter Zugrundelegung seiner Risikokalkulation typischerweise davon aus, einen Gewinn zu erwirtschaften. Die Regelung schreckt ihn folglich nicht ab. Dem potentiell Steuerpflichtigen verbleibt deshalb nach wie vor viel Handlungsfreiheit bei seiner Ausgangsentscheidung.816 Für den Zeitraum nach der ersten Investition arbeitet der BFH zwar zutreffend heraus, dass der Anleger nach einem Verlust aus der Veräußerung von Aktien faktisch gezwungen ist, weiter in Aktien zu investieren, bis er einen kompensierenden Gewinn aus einer Aktienveräußerung erwirtschaftet. Die Annahme, dass der Steuerpflichtige, „wenn er aufgrund erzielter Verluste nicht mehr in Aktien investieren kann oder will, die endgültige Nichtberücksichtigung der erlittenen Verluste hinnehmen muss“817, hält aber einer genaueren Prüfung nicht stand. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass diese Situation auf der frei getroffenen Entscheidung der Investition in Aktien basiert. Allein diese Tatsache senkt die Intensität der Beeinträchtigung. Wenn der Steuerpflichtige nun mangels finanzieller Mittel nicht mehr Anlagenkäufe tätigen könnte, wäre der Verlust auch ohne die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG durch § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG in der Schedule eingesperrt und damit endgültig.818 Falls er trotz vorhandenen Vermögens nicht mehr in Aktien anlegen wollte, träfe er diese Entscheidung frei und ohne tief-

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Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 65. Ebenso Lenhart, BB 2021, 2070 (2074). 815 Siehe oben 2. Teil 3. Kapitel § 10 C. I. 816 So im Ergebnis Lenhart, BB 2021, 2070 (2074). 817 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 52). (Hervorhebung nur hier.). 818 Lenhart, BB 2021, 2070 (2074). 814

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

greifende Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 1 GG.819 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Schwelle für einen faktischen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG nicht überschritten ist. Es liegt ebenfalls kein faktischer Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG durch die Gestaltungswirkungen vor.820 Möglicherweise fällt zwar die Renditekennzahl821 einer Kapitalanlage in Aktien schlechter aus, weil sich die Verlustverrechnungsbeschränkung negativ auf die Kalkulation auswirkt.822 Es werden bei der Berechnung der Ergebnisgröße Earnings before Interest after Taxes (EBIAT) Steuern und Steuereffekte berücksichtigt, die auf eine Anlageentscheidung des Investors Einfluss haben können.823 Der mögliche Nachteil im Rahmen der nachsteuerlichen Rendite stellt jedoch keine Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie dar.824 c)

Sonstige Kriterien

Aus dem Kriterium, dass ein Verlust die Leistungsfähigkeit reduziere, die als Ausdruck der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse ein personengebundenes Merkmal sei, lässt sich nach der Rechtsprechungsänderung des BVerfG ebenso keine Verschärfung des Maßstabs ableiten.825 Der BFH folgert schließlich in seinem Vorlagebeschluss aus einer Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs.826 Dieser Ansicht zur maßstabsverschärfenden Funktion ist im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG nicht zuzustimmen.827 Stattdessen dient das Gebot der Folgerichtigkeit der Strukturierung der Gleichheitsprüfung und trägt insofern zu einer vollständigen Erfassung der Ungleichbehandlungen bei.828 Zusammenfassend ist an die Rechtfertigung der 819

Ebenso Lenhart, BB 2021, 2070 (2074). Offenlassend BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 78); Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27). 821 Es werden bei der Berechnung der Ergebnisgröße Earnings before Interest after Taxes (EBIAT) Steuern und Steuereffekte berücksichtigt, die auf eine Anlageentscheidung des Investors Einfluss haben können, Breuer / Schweizer / Breuer, Gabler Lexikon Corporate Finance, „Rentabilitätskennzahl“. 822 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 62 mit einem Beispiel zur Auswirkung von Steuervorteilen. 823 Breuer / Schweizer / Breuer, Gabler Lexikon Corporate Finance, Stichwörter „Earnings before Interest after Taxes“, „Earnings before Interest and Taxes“, „Rentabilitätskennzahl“. 824 BVerfG v. 5. 2. 2002 – 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17 (30 f.) zur Rendite von Sozialpfandbriefen; Kempny, StuW 2014, 185 (189). 825 A. A. Mönikes, Verlustverrechnung, S. 54 f.; siehe bereits 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 1. a). 826 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 51). 827 Siehe oben 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 2. a). 828 Ebenso Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, S. 111 für die Beschränkung des Systemgedankens auf die Strukturierung der Gleichheitsprüfung; Modrzejewski, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts V, S. 277 (280 f.). 820

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Ungleichbehandlungen wegen der erhöhten Gefahr für Definitiveffekte ein strenger, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter Maßstab anzulegen. 2. Keine Rechtfertigung durch qualifizierten Fiskalzweck Der Gesetzgeber hat die Einführung der Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG im Kern mit den erheblichen Risiken für die öffentlichen Haushalte begründet, die von Spekulationsgeschäften mit Aktien ausgehen würden.829 Die Erfahrung der Vergangenheit habe gezeigt, dass Kursstürze an den Aktienmärkten zu einem erheblichen Verlustpotential bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften führen könnten, wie insbesondere der Börsencrash in der Zeit von 2000 bis 2002 gezeigt habe. In diesem Rahmen seien aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien innerhalb der Jahresfrist Verluste in Höhe von 11,2 Mrd. € angefallen. Für das gesamte Steueraufkommen hätten die Veräußerungsverluste keine relevante Bedeutung gehabt, da Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften lediglich mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften, also zum Beispiel nicht mit Dividenden- und Zinseinkünften, hätten verrechnet werden können. Es drohe bei vergleichbaren Kursstürzen die Gefahr von Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe innerhalb kürzester Zeit, wenn man mit der Einführung der Abgeltungsteuer eine Verrechnung von Verlusten aus der Spekulation mit Aktien mit positiven Einkünften aus (anderem) Kapitalvermögen zulasse. Daher sei die Verlustverrechnungsbeschränkung geboten. Die rein fiskalische Erwägung, die aus der Verrechnungsbeschränkung erzielten Mehreinnahmen könnten in konjunkturschwachen Zeiten das Risiko einer knappen Haushaltslage abmildern und den staatlichen Finanzbedarf decken, kann die Überbelastung einzelner Steuerpflichtiger nicht rechtfertigen.830 Eine Berufung auf Haushaltsverfassungsrecht oder die Maastricht-Kriterien ändert daran nichts.831 Die Verpflichtung der Bundesrepublik, die Maastricht-Kriterien des Stabilitätsund Wachstumspakts832 einzuhalten, befreit den Gesetzgeber nicht von der Pflicht zur Verfassungstreue bei der Gestaltung des unionsrechtlich nicht harmonisierten Ertragsteuerrechts.833 829

BT-Drucks. 16/5491, 19; dort auch zum Folgenden. Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008  – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (233, 236 f.) m. w. N.; a. A. Thiemann, Verluste, S. 284 f., der den Prüfungsmaßstab des bloßen Willkürverbots anlegt und danach die Regelung für gerechtfertigt und verfassungsgemäß hält. 831 Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (264 f.); Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 51; Recnik, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, S. 147. 832 Die jährliche Neuverschuldung eines Lands darf 3 % des Bruttoinlandsprodukts und der öffentliche Schuldenstand 60 % des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen (Art. 126 Abs. 2 AEUV und Protokoll Nr. 12), Hakenberg, in: Weber27, Rechtswörterbuch, Stichwort „Stabilitätspakt“. 833 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 55; im Ergebnis ebenso Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 266. 830

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Teilweise wird jedoch in der amtlichen Begründung ein dem qualifizierten Fiskalzweck vergleichbarer Rechtfertigungsgrund gesehen, der die Regelung rechtfertigen könne.834 Nach hier vertretener Ansicht sind solche fiskalischen Gründe von vornherein zur Rechtfertigung von ungleichmäßigen Behandlungen ungeeignet.835 Doch auch nach anderer Auffassung, die abstrakt im qualifizierten Fiskalzweck einen besonderen sachlichen Grund sieht836, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an einer realitätsgerechten Ausgestaltung der Norm, die typisierend an die mit Aktiengeschäften verbundenen Verlustrisiken anknüpft.837 Der BFH geht zutreffend davon aus, dass ungeachtet gesetzgeberischer Einschätzungsspielräume ein strenger Maßstab an die Typisierung anzulegen ist.838 Denn der Gesetzgeber – so der BFH – knüpft mit dem Verbreitungsgrad einer Kapitalanlage an ein Merkmal an, auf das der Steuerpflichtige bei seiner Anlageentscheidung keinen Einfluss nehmen kann. Dieses hängt vielmehr von den bereits investierten Anlegern ab. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG baut nicht „auf einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung“839 auf, sondern wählt als Leitbild den atypischen Fall. Es ist nicht realitätsgerecht, dass der Gesetzgeber840 das Risiko für den staatlichen Haushalt ausschließlich quantitativ anhand der tatsächlichen Verbreitung der Anlageform bewertet.841 Maßgeblich für die Bewertung des Haushaltsrisikos ist insbesondere das zugrunde liegende Investitionsvolumen und das Risikopotential der Anlage, die der Gesetzgeber vollständig ausblendet.842 Die Größen sind zwar stärker von Schwankungen betroffen oder schwerer zu erfassen. Entgegen der Ansicht des FG Schleswig-Holstein843 ist es aber nicht unverhältnismäßig, dem Normsetzer eine Pflicht zur Recherche

834

So im Ergebnis FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 55), das jedoch auch „verfassungsrechtliche Bedenken“ äußert; Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (550) sieht darin einen „nachvollziehbaren Hinweis auf die Vorsorge vor Kursstürzen in den Aktienmärkten“, weist aber auch auf die „relativ grobe Typisierung“ hin. Schachinger, DStZ 2019, 791 (792 ff.) bejaht zunächst noch die Geeignetheit des qualifizierten Fiskalzwecks als legitimes Differenzierungsziel und die Erforderlichkeit. Mangels Angemessenheit gelangt er jedoch zur Verfassungswidrigkeit. 835 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. b). 836 Siehe die Nachweise bei Fn. 339. 837 Ebenso BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 56 ff.); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 59. 838 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 63). 839 BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (232 f.); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 102); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150). 840 BT-Drucks. 16/5491, 19. 841 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 63); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 59; a. A. Thiemann, Verluste, S. 285, der allein dieses Kriterium genügen lässt. 842 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 63); Jachmann, DStJG 2011, S. 251 (265); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 59. 843 Vgl. FG Schleswig-Holstein v. 28. 2. 2018 – 5 K 69/15, EFG 2018, 948 (Rn. 61); ähnlich Thiemann, Verluste, S. 285.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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des Risikopotentials unterschiedlicher Kapitalanlagen aufzuerlegen.844 Nur unter diesen Umständen kann der Realität am Kapitalmarkt hinreichend Rechnung getragen werden. Die Typisierungsbefugnis ist auch insoweit überschritten, als die gegen Haushaltsrisiken aufgrund von Börsencrashs konzipierte Verlustverrechnungsbeschränkung ihre Wirkung unabhängig von der konjunkturellen Lage generell in jedem Veranlagungszeitraum entfaltet.845 Die Vorschrift differenziert nicht danach, wann der Verlust erzielt wird. Sie gilt für Verluste, die aus der Veräußerung infolge massiver Kursstürze an der Börse resultieren und (überschießend) für solche, die während eines Börsenaufschwungs erzielt werden.846 Der Gesetzgeber steht unter einem ständigen Beobachtungs- und Anpassungszwang, weil er die Wirklichkeit realitätsnah erfassen muss.847 Er darf sich deshalb nicht auf diese punktuell wirkende Rechtfertigung zurückziehen, die unter dem Einfluss der Börsenbaisse von 2000 bis 2002 zustande gekommen ist und für Zeiten einer Börsenhausse zu kurz greift. Schließlich ist die Erwägung des Gesetzgebers nicht überzeugend, dass in Zeiten eines Börsencrashs von Verlusten aus Aktienveräußerungen gravierende Auswirkungen auf das Steueraufkommen ausgehen würden, falls die Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nicht bestünde.848 Die Wahrscheinlichkeit, dass Verluste aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien ein extremes Haushaltsrisiko darstellen, ist im Vergleich zur früheren Rechtslage vor 2009 generell gesunken.849 Aufgrund der Haltefristen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG a. F. waren Steuerpflichtige faktisch gezwungen, die Verluste vor Ablauf der Frist durch Veräußerung zu realisieren, um sie steuerlich geltend machen zu können.850 Unter der geltenden Rechtslage können die Steuerpflichtigen die Verlustphase aussitzen und die Aktien weiterhin halten, denn sie müssen nicht die spätere Nichtsteuerbarkeit der Verluste befürchten.851 Zudem war bei alter Rechtslage eine Verrechnung von Aktienveräußerungsverlusten mit Gewinnen aus jeglichen privaten Veräußerungsgeschäften wie zum Beispiel Grundstücken möglich.852 Seit 844

Ebenso Lenhart, BB 2021, 2070 (2076). Siehe auch 2. Teil 4. Kapitel § 14 A. II. 1. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 65); zustimmend Lenhart, BB 2021, 2070 (2076); Schachinger, DStZ 2019, 791 (794). Vgl. Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 52. 846 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 65). 847 Seer, StuW 1996, 323; in Anschluss an diesen Drüen, in: Tipke / K ruse, AO, § 3 Rn. 51; Lenhart, BB 2021, 2070 (2076); vgl. Hey, DStJG 2010, S. 139 (169). 848 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 57 ff.); zustimmend Lenhart, BB 2021, 2070 (2076); Jachmann-Michel, jM 2021, 297 (302). 849 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 57 ff.); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 65; Lenhart, BB 2021, 2070 (2076). 850 Jochum, DStZ 2010, 309 (313). 851 Vgl. BFH v. 17. 11. 2020  – VIII R 11/18, BStBl  II 2021, 562 (juris Rn. 59); Jochum, DStZ 2010, 309 (313). 852 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 58) mit Verweis auf Weber-Grellet, in: Schmidt26, EStG, § 23 Rn. 16 ff.; vgl. Glenk, in: Blümich, EStG, § 23 Rn. 230 (101. Aufl. 2008). 845

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

2009 sind die Verluste aus Kapitalvermögen innerhalb der Schedule durch § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG isoliert und eine Verlustverrechnung mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten ist nicht mehr möglich.853 Problematisch erscheinen im Übrigen die Überlegungen des Gesetzgebers854 zum drohenden qualifizierten Haushaltsrisiko, die auf der Befürchtung von „Steuer­m indereinnahmen in Milliardenhöhe innerhalb kürzester Zeit“ ohne die Verrechnungsbeschränkung für Aktienverluste beruhen.855 In der Realität sind selbst im Extremfall, der bei einem vollständigen Wegbrechen der Einnahmen aus der Abgeltungsteuer856 vorliegen würde, die zu erwartenden Steuereffekte im Verhältnis zu den gesamten Einnahmen aus Gemeinschaftsteuern857 bei deutlich unter 1 %. Diese sehr geringen Auswirkungen stehen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem durch den Gesetzgeber verfolgten Zweck.858 3. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung von Gestaltungsmöglichkeiten Eine Rechtfertigung der Verlustverrechnungsbeschränkung mit dem Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen ist ausgeschlossen.859 Der Rechtfertigungsgrund der Vermeidung von „Rosinenpickerei“860, mit dem § 23 Abs. 3 Satz 8, 9 EStG a. F. gerechtfertigt werden konnte, ist nicht auf § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG übertragbar.861 Dieser Grund wirkte zwar nach Ansicht des BFH bei privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. rechtfertigend.862 Als die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen von einer Mindesthalte 853

BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 59 f.). Vgl. BT-Drucks. 16/5491, 19. 855 Kritisch auch Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 52; Schachinger, DStZ 2019, 791 (794). 856 Die Steuereinnahmen aus der Abgeltungsteuer lagen 2019 bei 5 146 Mio. €, vgl. Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/ Tabellen/steuerhaushalt-kassenmaessige-steuereinnahmen-vor-steuerverteilung.html. 857 Die Steuereinnahmen aus den Gemeinschaftsteuern lagen 2019 bei 587 272 Mio. €, siehe dazu den Nachweis in Fn. 856. 858 Zu dieser Voraussetzung für eine verfassungskonforme Typisierung BVerfG v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 103) m. w. N.; v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 454. 859 Ebenso BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 66); JachmannMichel, in: Lademann, EStG, § 20 Rn. 1605; Jochum, DStZ 2010, 309 (313); Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 47; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 860 Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 861 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 66); Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn.  8; Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 47; Recnik, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, S. 147 f.; Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 264 f. 862 BFH v. 18. 10. 2006 – IX R 28/05, BStBl II 2007, 259 (juris Rn. 19 ff.); v. 7. 11. 2006 – IX R 45/04, BFH / N V 2007, 1473 (juris Rn. 11 ff.); v. 6. 3. 2007 – IX R 31/04, BFH / N V 2007, 1478 (juris Rn. 9 f.); ebenso Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. F 28. 854

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

141

frist abhing, hatte der Steuerpflichtige durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts die Verwirklichung des Steuertatbestands in der Hand.863 Der Steuerpflichtige konnte einerseits Verluste durch Veräußerung vor Ablauf der Mindesthaltefrist steuermindernd geltend machen, aber andererseits Gewinne durch entsprechende Disposition über den Zeitpunkt der Veräußerung steuerfrei vereinnahmen.864 In diesem Fall musste der Gesetzgeber nicht zusätzlich eine unmittelbare Verrechnung der Verluste mit anderen positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten ermöglichen.865 Diese Gestaltungsmöglichkeit ist für Personen mit privaten Kapitalbeteiligungen durch die Einführung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG entfallen.866 Damit werden aufgrund des Wegfalls der Steuerverstrickungsfrist Veräußerungsgewinne und -verluste unabhängig von einer Haltedauer steuerlich erfasst.867 Die Verluste werden im Zeitpunkt ihrer Entstehung wirtschaftlich getragen.868 Im Übrigen ist die gezielte Herbeiführung von Verlusten zur Verrechnung mit Gewinnen kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, da der Steuerpflichtige nicht gegen eine gesetzgeberisch vorgegebene Wertung verstößt, sondern lediglich von der ihm in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht.869 Die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen darf nicht durch „steuerliche Sanktionen“ derart begrenzt werden, „dass er sich auf unbestimmte Zeit nicht von (lästig gewordenen) Aktien trennen kann“.870 Das bestätigt ein Vergleich mit Veräußerungsverlusten aus Aktien, die von einer natürlichen Person im Betriebsvermögen gehalten werden oder aus einer wesentlichen privaten Beteiligung gemäß § 17 Abs. 1 EStG (solange nicht die Beschränkungen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG einschlägig sind) stammen.871 Diese sind weiterhin vollständig ausgleichfähig, obwohl der Zeitpunkt der Realisation ebenso von der Disposition des Steuerpflichtigen abhängt.872

863

BFH v. 18. 10. 2006  – IX R 28/05, BStBl II 2007, 259 (juris Rn. 24); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 864 BFH v. 18. 10. 2006 – IX R 28/05, BStBl II 2007, 259 (juris Rn. 24). 865 Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 866 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 66); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 34; Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 47; Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 867 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 34; Wernsmann, StuW 2018, 100 (109); Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 264 f. 868 Watrin / Benhof, DB 2007, 233 (235). 869 BFH v. 12. 6. 2018 – VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221 (juris Rn. 21 ff.); v. 29. 9. 2020 – VIII R 9/17, BStBl II 2021, 385 (juris Rn. 21); Dechant, Private Veräußerungsgeschäft, S. 282 ff.; Wernsmann, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. F 29; Thiemann, Verluste, S. 275 f.; vgl. Osterloh-Konrad, Die Steuerumgehung, S. 736. 870 BFH v. 12. 6. 2018 – VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221 (juris Rn. 24). 871 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 66); Englisch, StuW 2007, 221 (238). 872 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 66); Englisch, StuW 2007, 221 (238); im Ergebnis ebenso Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 265 f.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

4. Keine Rechtfertigung durch Förderungs- und Lenkungsziele Eine Rechtfertigung ergibt sich nicht aus etwaigen mit der Norm verfolgten Förderungs- und Lenkungszielen.873 § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG ist zwar von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung874 getragen, die sich den Gesetzes­ materialien entnehmen lässt.875 Es solle mit der Verrechnungsbeschränkung gesamtwirtschaftlich unerwünschten Fehlanreizen zur Durchführung von Spekulationsgeschäften, mit denen gravierende wirtschaftliche Risiken für die Allgemeinheit einhergehen würden, entgegengewirkt werden.876 Das Ziel der Vermeidung von Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit stellt grundsätzlich einen tauglichen Zweck für die Durchbrechung des einkommensteuerlichen Grundsatzes dar, wonach negative Einkünfte eines Veranlagungszeitraums mit anderen vom Steuerpflichtigen erzielten positiven Einkünften verrechnet werden können.877 Der Lenkungszweck selbst muss gerade kein verfassungsrechtliches Eigengewicht haben.878 Die Anhaltspunkte in der amtlichen Begründung sind ausreichend, da die Forderung des BVerfG in vereinzelten Entscheidungen879 nach einer hinreichenden tatbestandlichen Vorzeichnung des Lenkungszwecks im Gesetzeswortlaut abzulehnen ist.880 Es fehlt jedoch in doppelter Hinsicht an dem Mindestmaß hinreichender Abstimmung zwischen dem Lenkungszweck einerseits und der Ausgestaltung des Sonderbelastungstatbestands andererseits.881 Denn es werden sämtliche Gewinne und Verluste aus der Veräußerung von Aktien gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG unabhängig von einer Mindesthaltedauer (für Wertpapiere § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F.) in die Steuerbarkeit einbezogen.882 Somit betrifft die Verlustverrechnungsbeschränkung auch Verluste aus der Veräußerung von langfristig gehaltenen, 873

Allgemein dazu siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. c). Siehe die Nachweise aus der Rechtsprechung des BVerfG bei Fn. 357. 875 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 69); a. A. Worgulla, Bruttobesteuerung, S. 263 f., der die Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung nicht ausreichen lässt. 876 BT-Drucks. 16/5491, 19. 877 BFH v. 17. 10. 1990 – I R 182/87, BStBl II 1991, 136 (juris Rn. 23); v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 69) m. w. N. 878 Ebenso Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 104 f.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 249 f.; Thiemann, Verluste, S. 163. A. A. etwa Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 244 ff. Siehe dazu 2. Teil 3. Kapitel  § 9 B. II. 3. c). 879 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (147 f.) und BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (296). 880 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. c). So im Ergebnis Recnik, Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, S. 148. 881 Vgl. allgemein zu dieser Voraussetzung BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 125) m. w. N.; dazu auch Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 449. 882 Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 874

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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niedrigvolatilen Aktien, die nicht aus spekulativen Gründen angeschafft werden.883 Das ist beispielsweise bei Aktien der Fall, die der Steuerpflichtige zur privaten Altersvorsorge anschafft.884 Es ließe sich anführen, dass der Steuerpflichtige ohnehin für seine Altersvorsorge die von der Norm nicht erfassten Investmentfonds nutzen sollte, weil das Risiko aufgrund deren Diversität geringer sei.885 Doch auch Fonds können von Unternehmensrisiken betroffen und risikoreich sein.886 Zudem erfasst die Regelung umgekehrt bestimmte Kapitalanlagen (zum Beispiel Hebelzertifikate) nicht, die weitaus höhere Verlustrisiken bergen.887 5. Keine Rechtfertigung durch besonderen proportionalen Einkommensteuersatz von 25 % Der besondere proportionale Einkommensteuersatz von 25 % für Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) trägt nicht den Ausschluss der Verrechnung von Aktienverlusten mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, denn diese unterliegen ebenfalls dem besonderen Tarif.888 Das Steuerminderungspotenzial negativer Einkünfte aus Aktienveräußerungen entspricht dem anderer negativer Kapitaleinkünfte, sodass dieser Grund die „Schedule in der Schedule“ nicht rechtfertigen kann.889 6. Keine Rechtfertigung durch Ausweichverhalten Die Regelung lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass der Steuerpflichtige grundsätzlich die Möglichkeit hat, statt einer Direktanlage in Aktien auf andere (indirekte) Kapitalanlagen auszuweichen.890 Dieses Ausweichverhalten hindert den Steuerpflichtigen an der Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Freiheiten und ist für ihn nicht zumutbar.891

883 Schönfeld, in: Schaumburg / Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 621 (640); Werns­mann, DStR Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109); in Anschluss an diese BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 69). 884 Vgl. Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H  67; Schönfeld, in: Schaumburg / Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 621 (640). 885 Vgl. BT-Drucks. 16/5491, 19. 886 Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. I. 1. 887 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 70); Moritz / Strohm, in: Frotscher / Geurts, EStG, § 20 n. F. Rn. 52; Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27). 888 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 62, H 66; Wernsmann, DStR Beih. 2009, 101 (104); Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 889 Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 66. 890 BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 73); zustimmend Jachmann-Michel, jM 2021, 297 (302). 891 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 12 A. II. 3.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

7. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe Der Ausschluss des Verlustrücktrags, der als eigenständige Ungleichbehandlung wiederum rechtfertigungsbedürftig ist, kann mit Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt werden.892 III. Ergebnis § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist verfassungswidrig. Die Norm beinhaltet zahlreiche Ungleichbehandlungen von Steuerpflichtigen mit negativen Einkünften aus Veräußerungen von Aktien. Der Ausschluss des Verlustrücktrags kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Die übrigen Ungleichbehandlungen können im Rahmen des strengen Prüfungsmaßstabs mit keinem der untersuchten Gründe gerechtfertigt werden. Damit finden auch für Aktienveräußerungen die allgemeinen Regeln in § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG Anwendung. B. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte Im Zusammenhang mit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien können die Belastungswirkungen, die einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG begründen, gerechtfertigt werden.893 Die Norm verletzt insbesondere nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der in diesem Rahmen regelmäßig keine effektive Grenze darstellt.894 Der Vermögensentzug ist zur staatlichen Einnahmeerzielung geeignet. Die Regelung ist erforderlich, weil kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht. Zudem ist sie angemessen. Denn trotz der bewirkten Verbreiterung der Bemessungsgrundlage kann die Steuerlast nicht ungewöhnlich hoch werden, da diese nur punktuell eine Anlageform trifft und dabei gleichzeitig der Tarif konstant bleibt.895 Insgesamt ist die Regelung als zumutbar anzusehen. Neben den Belastungswirkungen gehen von ihr nicht so starke verhaltensbeeinflussende Wirkungen aus, dass von einem faktischen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 GG gesprochen werden kann.896 Zusammenfassend liegt keine Verletzung von Freiheitsgrundrechten vor.

892

Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 2. Siehe zur Prüfung der Freiheitsgrundrechte im Zusammenspiel mit dem allgemeinen Gleichheitssatz 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 1. b). 894 Siehe bereits 2. Teil 3. Kapitel § 10 B. Abstrakt zu den einzelnen Prüfungsstufen Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 566 ff. 895 Vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG v. 18. 1. 2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 (116). 896 Siehe ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 1. b). 893

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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C. Verletzung des finanzverfassungsrechtlichen „Abstandsgebots“ zur Kapitalverkehrsteuer? § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG wirft neben grundrechtlichen Problemen finanzverfas­ sungsrechtliche Fragen auf. Die Norm verfehlt nicht den Typus der Einkommensteuer, wobei hier die gleichen Erwägungen wie bei § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG gelten.897 Drüen, der vom finanzverfassungsrechtlichen Verständnis eines synthetischen Einkommensbegriffs ausgeht, sieht im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 5, 6 EStG das „Abstandsgebot“ unter den Steuerarten des Art. 106 GG „tangiert“.898 Es werde die Grenze zur Kapitalverkehrsteuer899 (Art. 106 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 GG) nicht gewahrt, weil statt einer für die Einkommensteuer üblichen Zusammen­ fassung sämtlicher besteuerungsrelevanter Vorfälle innerhalb eines Besteuerungszeitraums eine „künstliche Aufspaltung des […] typischen einheitlichen Saldos“ stattfinde.900 Diese Erwägungen könnten auch für § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG in Stellung gebracht werden, da die Tatbestände (abgesehen von der betragsmäßigen Begrenzung) ähnlich strukturiert sind. Allerdings ist zunächst die Praktikabilität dieses Gebots zweifelhaft. Es ist unklar, welche Rechtsfolgen ein Verstoß nach sich ziehen würde: Von Seiten welcher Steuer und auf welche Art und Weise ist der „Abstand“ wiederherzustellen?901 Fraglich wäre zum Beispiel, ob das länger bestehende Gesetz „Bestandsschutz“ vor dem kürzlich geänderten Gesetz hätte. Dabei bestünde jedoch die Gefahr einer Versteinerung der Rechtslage. Alternativ könnte etwa der Gedanke des temporalen Normenkollisionssatzes „lex posterior derogat legi priori“ übertragen werden.902 Danach würde umgekehrt das jüngere Gesetz das ältere verdrängen und es könnte geboten sein, dass sich die ältere Regelung an die neue anpassen müsste. Für die Anwendung auf den Einzelfall lassen sich daraus keine eindeutigen Schlüsse ziehen.

897

Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 12 C. Vgl. Drüen, FR 2020, 663 (667 f.) zu § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG. Zu dem „finanzverfassungsrechtlich vorausgesetzte[n] Abstandsgebot“ am Beispiel von Einkommensteuer und Gewerbesteuer bereits Drüen, StuW 2008, 3 (7); im Zusammenhang mit Verbrauchsteuern Drüen, ZfZ 2012, 309 (314 f.). 899 Im Kapitalverkehrsteuergesetz (Gesetz v. 24. 7. 1959 [BGBl. I 1959, 530] sowie Gesetz v. 17. 11. 1972 [BGBl. I 1972, 2129]) fasste der Gesetzgeber drei Steuern (Gesellschaftsteuer, Wertpapiersteuer, Börsenumsatzsteuer) zusammen. 1965 schaffte er zuerst die Wertpapiersteuer ab, 1990 die Gesellschaftsteuer und die Börsenumsatzsteuer, vgl. Hidien, in: BK, GG, Art. 106 Rn. 1425. 900 Drüen, FR 2020, 663 (667 f.). 901 Thiemann, Verluste, S. 531. 902 Vgl. allgemein hierzu Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 365; Zippelius, Juristische Methodenlehre12, S. 30 ff. 898

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Inhaltlich kann damit richtigerweise nur ein Mindestabstand gemeint sein, der sicherstellt, dass die Grenzen zwischen Steuern aus dem Katalog des Art. 106 GG nicht verschwimmen.903 Damit soll eine hinreichende Differenzierbarkeit zwischen den einzelnen Steuerbegriffen gewährleistet werden. Weitergehende Bedeutung darf diesem Ansatz aber nicht zugemessen werden. Es besteht wiederum die Gefahr, dass die Kompetenzbegriffe mit zu umfangreichen Inhalten aufgeladen werden und der zentralen Funktion, Gestaltungshoheiten zuzuweisen, nicht entsprechen.904 Für die Ausgestaltung der Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen lassen sich daraus folglich keine weitergehenden Begrenzungen ziehen. Der synthetische Einkommensbegriff, den Drüen zugrunde legt, ist aus kompetenzieller Sicht nicht vorgezeichnet und vielmehr eine Frage des materiellen Verfassungsrechts.905

§ 15 Verluste aus Termingeschäften (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG) § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbs. 1 EStG regelt, dass Verluste aus Termingeschäften im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung sachlich und betragsmäßig beschränkt verrechnet werden dürfen. Soweit die Beschränkung eingreift, werden die negati­ven Einkünfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbs. 2 EStG in die folgenden Veranlagungszeiträume zur gleichfalls sachlich und betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung vorgetragen. Die Regelung begegnet nach Auffassung der überwiegenden Literatur gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken.906

903

Thiemann, Verluste, S. 531 f. räumt diesem Ansatz den „Stellenwert einer Kontrollüberlegung“ ein. 904 Vgl. Thiemann, Verluste, S. 531. 905 Vgl. Thiemann, Verluste, S. 532. 906 Bachmann / Seifert, DStR 2021, 1 (3 f.); Bron, BB 2020, 535 (536 ff.); Buge, in: Herrmann / ​ Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-4 (Jahreskommentierung 2020); Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (582 f.); Drüen, FR 2020, 663 (665 ff.); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122 f.); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729 f.); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68b ff.; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 278. Zweifelnd Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BR-Drucks. 503/1/20, 21 f.; Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177a  f.; Cornelius / Hoffmann, ErbStb  2020, 225 (227); Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83 f.); Dorn, DB 2021, 1366; Fissenewert, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J  21-6 (Jahreskommentierung 2021); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 240. Für die Verfassungsmäßigkeit Eigenthaler, Öffentl. Anhörung Finanzausschuss v. 26. 10. 2020, Prot. 19/103, 26; Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 465b, 469a.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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A. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung 1. Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Termingeschäften und mit anderen proportional besteuerten Kapitalanlagen In der Schedule der Kapitaleinkünfte werden Steuerpflichtige mit Verlusten aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG gegenüber solchen mit Verlusten aus anderen proportional besteuerten Finanzanlagen ungleich behandelt, da ein eigener Verlustverrechnungskreis und die betragsmäßige Begrenzung existieren.907 Dies bestätigt der Blick auf den deskriptiven und normativen Prüfungsansatz: Nach deskriptivem Verständnis liegt keine Gleichbehandlung im Sinne einer „identischen Behandlung“908 vor, weil unterschiedliche Rechtsfolgen für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG und für andere proportional besteuerte Finanzprodukte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG gelten. Die ungleichmäßige Behandlung nach normativem Verständnis wird deutlich an einem Vergleich mit indirekten Anlagemöglichkeiten wie einem Investmentfonds909, der in Termingeschäfte investiert, oder einem Zertifikat. Auf Letzteres ist im Folgenden einzugehen. Der Verlust aus einem reinen Optionsgeschäft wird im Vergleich zu einem Verlust aus einem Vollrisikozertifikat910, das mit Hilfe von Optionen strukturiert ist, ungleich behandelt.911 Zertifikate sind Schuldverschreibungen, wobei sich der Emittent gegenüber dem Erwerber grundsätzlich zur späteren Rückzahlung verpflichtet und deren Wertentwicklung wiederum von der Wertentwicklung eines zugrundeliegenden Basiswerts (etwa einer Aktie, eines Aktienindexes oder eines Rohstoffs) abhängen.912 Sie unterfallen dem Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und stellen gerade keine Termingeschäfte dar.913 Sie weisen jedoch für den Fall, 907

Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (582). Huster, Rechte und Ziele, S. 21; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 27; Sachs, in: Stern, Staatsrecht IV/2, S. 1438 (1472 f.); Weber-Dürler, Die Rechtsgleichheit in ihrer Bedeutung für die Rechtsetzung, S. 29 f. 909 Bron, BB 2020, 535 (536). Zu dieser Kapitalanlageform siehe bereits 2. Teil 4. Kapitel  § 14 A. I. 1.  910 Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 548 grenzt diese zu den sog. Garantiezertifikaten ab, bei denen eine Rückzahlung des Kapitals verbindlich zugesagt wird. 911 Ebenso Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (582). 912 BaFin „Zertifikate“, https://www.bafin.de/dok/7849636; Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 130; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 512; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  D/3 41; Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625 sprechen von „Wertpapieren, die indexiert sind“. 913 BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 8 f., 9; Bleschick, in: Kirchhof / ​ Seer21, EStG, § 20 Rn. 130; Dahm / Hamacher, DStR 2014, 455 (457): Zertifikate sind „keine Termingeschäfte aus der Natur der Sache heraus“; Drüen, BB 2021, 1175 (1175, 1177 f.); Haisch, in: Haisch / Helios, Finanzinstrumente, § 6 Rn. 220; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. D/3 41 f. 908

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

dass die Rückzahlung vertraglich ausgeschlossen wird,914 eine hohe Vergleichbarkeit mit den Indexoptionen auf. Diese sind den Termingeschäften im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG zuzuordnen.915 Auch bei der Indexoption sind weder die Rückzahlung noch Erträge zugesagt, sodass die einzige Möglichkeit der Abgrenzung beider Kapitalanlagen auf formeller Ebene besteht.916 Das Kennzeichen einer jeden Option (Termingeschäft) ist, dass das durch die Option begründete Recht durch einen gesonderten Rechtsakt („Gestaltungserklärung“) ausgeübt werden muss, ehe die Rechtsfolge (Erfüllung durch Lieferung oder Barausgleich) eintritt.917 Die Rechtsfolgen eines Zertifikats treten dagegen ohne weitere Gestaltungserklärungen ein (Festgeschäft).918 Diese bloß formale Abgrenzungsmöglichkeit spricht für die große Nähe. Entgegen der amtlichen Begründung919 spricht nicht das unterschiedliche Risikopotential für Totalverluste gegen eine Vergleichbarkeit der beiden Anlagegruppen. Zertifikate können ebenfalls hoch risikobehaftet sein und die Gefahr eines Totalverlusts bergen, zum Beispiel sogenannte Turbo-Zertifikate.920 Beide Kapitalanlageformen sind somit ähnlich strukturiert921, sodass im Sinne des komplementären Verständnisses von deskriptivem und normativem Ansatz eine Ungleichbehandlung vorliegt. 2. Ungleichbehandlung von Termingeschäften im Privatvermögen und im Betriebsvermögen § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG behandelt Steuerpflichtige mit Verlusten aus Termingeschäften, die im Privatvermögen gehalten werden, ungleich im Verhältnis zu solchen mit Verlusten aus Termingeschäften, die dem betrieblichen Bereich zu 914 Zu diesem möglichen Ausschluss BT-Drucks. 12/6078, 122: Die Gesetzesbegründung spricht davon, dass ein Kapitalertrag auch dann vorliegt, „wenn unsicher ist, ob und ggf. in welcher Höhe das überlassene Kapitalvermögen zurückgezahlt wird“; Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 373, 551; Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625; vgl. Schumacher, Erträge aus privaten Kapitalforderungen im Einkommensteuerrecht, S. 130 f.; kritisch Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. C/7 11 f. 915 Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 605; Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. D/3 38. 916 Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625. 917 Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625 mit Verweis auf FG Baden-Württemberg v. 27. 9. 2007 – 10 K 303/05, EFG 2008, 282 (Rn. 20). 918 Hamacher / Dahm, in: Korn, EStG, § 20 Rn. 625; vgl. Moritz / Strohm, in: Moritz / Strohm, Besteuerung privater Kapitalanlagen, S. 129 (Rn. 174). 919 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61, die davon ausgeht, dass das Risiko für „einerseits hohe Gewinne und andererseits de[n] Totalverlust“ bei anderen Kapitalanlagen nicht in „vergleichbarem Ausmaß“ auftreten würden. 920 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. 512; BaFin „Zertifikate“, https:// www.bafin.de/dok/7849636. 921 Zutreffend Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (582).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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geordnet werden.922 Für Verluste im Betriebsvermögen gelten § 15 Abs. 4 Satz 3 bis 5 EStG. Liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG923 vor (und greift die Ausnahme des Abs. 4 Satz 4 nicht ein oder sind in diesem Fall zudem die Voraussetzungen der Rückausnahme Abs. 4 Satz 5 erfüllt), verweist dieser auf § 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG, die entsprechend anwendbar sind. Im Unterschied zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG sind ein Verlustrücktrag und keine betragsmäßige Begrenzung vorgesehen. Außerdem gilt die Verrechnungsbeschränkung nicht bei Verlusten, die aus Absicherungsgeschäften gemäß § 15 Abs. 4 Satz 4 Fall 2 EStG resultieren (sogenannte Hedge-Geschäfte)924, soweit die Rückausnahme nach Satz 5 nicht greift. Darüber hinaus haben bilanzierende Steuerpflichtige den Vorteil, dass sie von der Möglichkeit925 der Bildung von Bewertungseinheiten nach § 254 HGB, § 5 Abs. 1a EStG Gebrauch machen können.926 Damit dürfen bestimmte Grundund Sicherungsgeschäfte gegen Zahlungsstrom- und Preisrisiken in Abkehr vom Grundsatz der Einzelbewertung und vom Realisations- und Imparitätsprinzip zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst werden, damit es nicht zum Ausweis von Verlusten kommt, die nicht oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten werden.927 Es erfolgt im Vergleich zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG keine Separierung von Verlusten aus Termingeschäften, sondern es findet ein Wertausgleich von Grund- und Sicherungsgeschäft in dem Umfang statt, in dem sich die Wertveränderungen gegenüberstehen.928 Für das enge Verhältnis der Termingeschäfte im Privatvermögen und im Betriebsvermögen spricht der systematische Zusammenhang. Denn mit § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG sollen die entsprechenden Verlustverrechnungsbeschränkungen, die das Privatvermögen betreffen, im betrieblichen Bereich abgesichert werden.929 § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG wurde zusammen mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002930 eingefügt. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes erfasste erstmalig auch bestimmte Termingeschäfte als private Veräußerungsgeschäfte und unterwarf sie

922

Dinkelbach / Briesemeister, DB  2020, 579 (582); Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag v. 26. 6. 2020, WD 4 – 3000 – 066/20, S. 8; vgl. Bron, BB 2020, 535 (536). 923 Für die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG siehe BFH v. 28. 4. 2016  – IV R 20/13, BStBl II 2016, 739 und BFH v. 6. 7. 2016 – I R 25/14, BStBl II 2018, 124. 924 Intemann, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 15 Rn. 1561. § 15 Abs. 4 Satz 4 Fall 1 EStG ist für die hier relevante Vergleichsgruppenbildung zum Privatvermögen nicht relevant. 925 Es ist umstritten, ob von einem Wahlrecht auszugehen ist, dafür BFH v. 2. 12. 2015 – I R 83/13, BStBl II 2016, 831 (juris Rn. 24); Justenhoven / Usinger, in: Beck Bil.-Komm.13, HGB, § 254 Rn. 3. Vgl. zum Streitstand Ballwieser, in: Münchener Kommentar4, HGB, § 254 Rn. 17 ff. 926 Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583); Drüen, FR 2020, 663 (666 f.). 927 Ballwieser, in: Münchener Kommentar4, HGB, § 254 Rn. 1. 928 Drüen, FR 2020, 663 (667). 929 BFH v. 28. 4. 2016 – IV R 20/13, BStBl II 2016, 739 (juris Rn. 23); zustimmend Wacker, in: Schmidt41, EStG, § 15 Rn. 895; Drüen, BB 2021, 1175 (1177), der deswegen auch eine „Auslegungsparallelität“ für den Begriff des Termingeschäfts für geboten hält. 930 Gesetz v. 24. 3. 1999, BGBl I 1999, 402 = BStBl I 1999, 304.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

damit der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 Satz 6 und 7 EStG.931 § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG sollte als „Folgeänderung“932 zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG sicherstellen, dass Verluste aus Termingeschäften im betrieblichen Bereich ebenfalls nur mit Gewinnen aus derartigen Geschäften verrechnet werden können und es somit zu keiner Umgehung durch Verlagerung kommt.933 Dies gilt ebenso nach Überführung der Termingeschäfte aus dem Bereich der privaten Veräußerungsgeschäfte des § 23 EStG in die Schedule der Kapitaleinkünfte gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG durch die Einführung der Abgeltungsteuer.934 Bei der Besteuerung von Termingeschäften im Privatvermögen und Betriebsvermögen wird somit das gleiche wirtschaftliche und rechtliche Geschehen – der verlustbringende Handel – erfasst.935 3. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags Mit dem Verweis des § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbs. 2 EStG auf Satz 2 und 3 wird wiederum der Verlustrücktrag ausgeschlossen.936 4. Keine Ungleichbehandlung wegen fehlender Differenzierung zwischen einzel- und zusammenveranlagten Steuerpflichtigen Der Wortlaut von § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterscheidet bei der betragsmäßigen Begrenzung nicht zwischen einer einkommensteuerlichen Einzelveranlagung und einer Zusammenveranlagung von Ehegatten / Lebenspartnern (§ 2 Abs. 8 EStG) gemäß §§ 26, 26b EStG. Danach werden die Beträge nicht verdoppelt. Eine Stimme aus dem Schrifttum sieht darin eine Abweichung von § 10d Abs. 1 und 2 EStG, die jeweils explizit eine Verdoppelung der Beträge bei einer Zusammenveranlagung vorsehen.937 Diese Benachteiligung der Ehegatten könnte auch vor Art. 6 Abs. 1 GG problematisch erscheinen. Allerdings spricht die Entwurfsbegründung von § 10d Abs. 1, 2 EStG hinsichtlich der doppelten Beträge ausdrücklich von einer bloßen Klarstellung im Wortlaut.938

931

Vgl. BFH v. 28. 4. 2016 – IV R 20/13, BStBl II 2016, 739 (juris Rn. 23). BT-Drucks. 14/23, 178. 933 BFH v. 28. 4. 2016 – IV R 20/13, BStBl II 2016, 739 (juris Rn. 23) mit Verweis auf BTDrucks. 14/23, 178 und BT-Drucks. 14/443, 27. 934 BFH v. 28. 4. 2016 – IV R 20/13, BStBl II 2016, 739 (juris Rn. 23). 935 Vgl. BVerfG v. 9. 7. 1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 (312); siehe bereits 2. Teil 4. Kapitel  § 12 A. I. 2. 936 Siehe schon 2. Teil 4. Kapitel § 13 A. I. und 2. Teil 4. Kapitel § 14 A. I. 5. 937 Bron, BB 2020, 535 (536). 938 BT-Drucks. 15/1518, 13; ebenso Hallerbach, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 10d Rn. 64. 932

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Diesen deklaratorischen Hinweis hat der Gesetzgeber bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterlassen. Zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen müssen aber bei verfassungskonformer Auslegung939 der Vorschrift den systematischen Erwägungen der Vorzug gegeben und die Beträge entsprechend verdoppelt werden. Bei diesem Verständnis liegt nach dem normativen Verständnis in dem fehlenden Verweis auf die Duplizierung, der nicht konstitutiv ist, keine ungleichmäßige Behandlung. Nach dem deskriptiven Ansatz liegt ebenfalls keine Ungleichbehandlung vor, weil trotz des fehlenden Hinweises die gleiche Rechtsfolge wie bei § 10d Abs. 1 und 2 EStG angewendet werden sollte. Die Finanzverwaltung wird bei der Zusammenveranlagung einen Betrag in Höhe von 40 000 € zugrunde legen. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs Zuerst ist die Strenge des Prüfungsmaßstabs zu bestimmen. Bei der Prüfung von § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist ebenso keine großzügige Überprüfung der Norm anhand der Willkürkontrolle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen angezeigt.940 Die Kriterien sprechen für eine strenge, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlungen.941 Dafür lässt sich insbesondere anführen, dass das Ausmaß der Ungleichbehandlung und ihre Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast hoch ist. Mit der Regelung wird wie für Aktienveräußerungen ein eigener Verlustverrechnungskreis innerhalb der Schedule Einkünfte aus Kapitalvermögen gebildet.942 Außerdem werden der Verlustausgleich sowie der Verlustvortrag betragsmäßig auf 20 000 € begrenzt. Aus einem solchen Mindestbesteuerungseffekt, der dem § 20 Abs. 6 EStG bisher mangels Verweises auf § 10d Abs. 2 EStG fremd ist, ergibt sich eine hohe Gefahr für Definitiveffekte.943 Diese ist richtigerweise bei der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs einzuordnen.944

939

Zu den Voraussetzungen siehe die Nachweise in Fn. 757. Siehe dazu ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 1. a). und 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 1. 941 A. A. Ismer, Stellungnahme v. 26. 10. 2020 zum JStG 2020, https://www.bundestag.de/ resource/blob/801030/4675bacce99fd96d6deb669ce2a22153/12-Ismer-data.pdf. Dieser plädiert ohne nähere Begründung gegen „gesteigerte Anforderungen im Sinne der neuen Formel“. 942 Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177a f.; Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68c. 943 Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83); Drüen, FR 2020, 663 (672); Fissenewert, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 21-6 (Jahreskommentierung 2021); Jachmann-Michel, in: Lademann, EStG, § 20 Rn. 323; Ott, DStR 2020, 313 (315); vgl. Thiemann, Verluste, S. 335, der abstrakt für die Regelung eines zeitlich oder betragsmäßig begrenzten Verlustvortrags eine höhere Wahrscheinlichkeit eines Definitiveffekts feststellt. 944 Siehe oben 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 1. a). 940

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Das Risiko droht bei Versterben des Steuerpflichtigen.945 Es besteht die konkrete Gefahr der endgültigen Nichtverrechenbarkeit, die im Vergleich zu den übrigen Kapitaleinkünften und erst recht den übrigen Einkunftsarten erheblich höher ist.946 Die positive Prognose, die für Aktien gilt, ist für Termingeschäfte nicht realistisch und deswegen nicht übertragbar.947 Es steht wenig Verlustverrechnungspotential zur Verfügung, denn Satz 5 beschränkt die Verrechnung auf eine einzelne Kapitalanlagemöglichkeit. Es drohen mit großer Wahrscheinlichkeit Definitiveffekte.948 Diese hohen Verlustrisiken bis hin zum Totalverlust hatte sogar der Gesetzgeber selbst erkannt und in die Entwurfsbegründung aufgenommen.949 An dieser Problematik ändert die Verdopplung des Betrags nichts. Die Erhöhung durch das JStG 2020 von 10 000 € auf 20 000 € ändert nicht grundlegend das Erscheinungsbild der Verlustverrechnungsbeschränkung. 2. Keine Rechtfertigung durch qualifizierten Fiskalzweck Zu Beginn der Entwurfsbegründung führt der Gesetzgeber an, dass die Neuregelung der „Sicherung des Steuersubstrats“ diene.950 Aus der Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Vermögensverfalls bei privaten Kapitaleinnahmen würden Steuermindereinnahmen in Höhe von jährlich rund 100 Millionen Euro resultieren, die mit der Norm zeitlich gestreckt und jährlich auf einen zweistelligen Millionenbetrag reduziert würden.951 In der restlichen Begründung dringt dies nicht mehr so deutlich durch. Allerdings stellt der Gesetzgeber fest, dass Termingeschäfte „durch 945

Siehe bereits 2. Teil 4. Kapitel § 13 A. II. 1. a). Die Differenzierung in BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 47 f.) überzeugt nicht. 946 Drüen, FR 2020, 663 (672); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 947 Ebenso Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583). 948 Ebenso Drüen, FR 2020, 663 (672). Bron, BB 2020, 535 (536) und Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729) führen noch folgendes Beispiel zur alten Betragsgrenze an: Ein Steuerpflichtiger müsse zur Verrechnung eines Verlusts in Höhe von 1 Mio. € weitere 100 Jahre leben und in jedem Jahr wiederkehrende, entsprechend hohe Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien erwirtschaften. Ob dieser Verlustbetrag die Wirklichkeit eines durchschnittlichen, privaten Anlegers realitätsgerecht abbildet, kann allerdings bezweifelt werden. 949 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. 950 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 3, die zwar noch die Fassung mit der Grenze von 10 000 € betrifft. Die Erwägungen sind trotzdem übertragbar, weil sich der Sinn der Regelung mit der Erhöhung auf 20 000 € nicht grundlegend geändert hat oder damit nun andere Zwecke verfolgt werden. Bemerkenswert ist noch die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum JStG 2019 (vgl. BT-Drucks. 19/13436, 112). Damit sollte der Verfall einer Option nicht als Beendigung des Rechts gelten und in den nicht steuerbaren Bereich verlagert werden. Der Entwurf ist letztlich nicht Gesetz geworden (stattdessen wurde § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG eingeführt, siehe 1. Teil 2. Kapitel § 8 B.). Hier führte der Gesetzgeber rein fiskalische Gründe an und berief sich ausdrücklich auf die Vermeidung „jedweder Art von Belastung für den Fiskus“. 951 Damit beziffert er die Folgen für das Steueraufkommen, insofern zu Unrecht kritisch Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J  20-4 (Jahreskommentierung 2020); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ“ sind und Totalverluste eintreten könnten.952 Durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG solle „das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen“ begrenzt werden. Der Gesetzgeber hat damit jedoch nicht nur den Schutz der Anleger im Blick. Er will sich auch gegen steuerliche Mindereinnahmen absichern, wenn er die möglichen Totalverluste aus der spekulativen Kapitalanlageform betont.953 Er möchte die Verlustnutzung zeitlich strecken.954 Dieses Motiv ist bereits aus der amtlichen Begründung für die Begrenzung der interperiodischen Verlustverrechnung durch § 10d Abs. 2 EStG beziehungsweise § 10a S. 1 und 2 GewStG bekannt.955 Dort argumentierte er weiter mit der „Verstetigung der Staatseinnahmen“, um die Kalkulierbarkeit des Steueraufkommens für die öffentlichen Haushalte sicherzustellen. Die Erwägungen in Form des qualifizierten Fiskalzwecks sind jedoch als bloß fiskalische Gründe von vornherein zur Rechtfertigung von ungleichmäßigen Behandlungen ungeeignet.956 Im Übrigen fehlt es an einer realitätsgerechten Ausgestaltung der Regelung, die typisierend an die mit Termingeschäften verbundenen Verlustrisiken anknüpft.957 Es sind zwar gewisse Härten im Einzelfall hinzunehmen, die sich aus der Typisierung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ergeben.958 Die Norm muss aber „auf einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung“ beruhen und die entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten dürfen nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein.959 Dies ist nicht der Fall. Wenn ein Steuerpflichtiger Termingeschäfte abschließt, verfolgt er damit nicht per se spekulative Absichten.960 Diese Geschäfte leisten hingegen regelmäßig einen Beitrag zur Stabilität der Finanzmärkte und zu konstanten Staatseinnahmen, da insbesondere der Kauf von Optionsgeschäften einer Vielzahl von Anlegern der Absicherung von Kapitalanlagen vor Kurs-, Währungs- oder Zinsrisiken dient und so gerade risikomindernd wirkt.961 Diese Gruppe blendet der Gesetzgeber realitätsfern aus. 952

BT-Drucks. 19/15876, 61. In diese Richtung Drüen, FR 2020, 663 (669); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 954 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Ebenso Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469a, der in der Eindämmung spekulativer Finanzgeschäfte einen rechtfertigenden Grund sieht und die Regelung für verfassungsgemäß hält. 955 BT-Drucks. 15/1518, 13; BT-Drucks. 15/1517, 19. 956 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. b). Ebenso Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-4 (Jahreskommentierung 2020); Drüen, FR 2020, 663 (669, 672); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68c; a. A. im Ergebnis Ratschow, in: Brandis / ​ Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469a. 957 Drüen, FR 2020, 663 (670). 958 Vgl. BVerfG v. 26. 6. 1961 – 1 BvL 17/60, BVerfGE 13, 21 (29); v. 29. 3. 2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 (Rn. 108); st. Rspr. 959 Vgl. BVerfG v. 2. 7. 1969 – 1 BvR 669/64, BVerfGE 26, 265 (275 f.); v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (232 f.); v. 19. 11. 2019 – 2 BvL 22/14, BVerfGE 152, 274 (Rn. 102); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150). 960 Bron, BB 2020, 535 (536). 961 BR-Drucks. 503/1/20, 22; Bachmann / Seifert, DStR 2021, 1 (4); Bron, BB 2020, 535 (536); Cornelius / Hoffmann, ErbStb 2020, 225 (227) mit dem Beispiel des Erwerbs einer Verkaufs­ 953

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

Es wohnt zwar dem Optionsgeschäft stets ein spekulatives Element inne, weil dem sich absichernden Optionskäufer spiegelbildlich der Stillhalter (Verkäufer der Option) gegenübersteht, der Risiken übernimmt und im Gegenzug die Stillhalterprämie (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG) erhält. Das Verlustrisiko des Stillhalters ist theoretisch unbegrenzt und die Gewinnchance beschränkt.962 Diesem Umstand hätte der Gesetzgeber ohne Schwierigkeiten durch die Einführung einer Ausnahme für Käufer von Absicherungsgeschäften, die mit § 15 Abs. 4 Satz 4 Fall 2 EStG vergleichbar ist, Rechnung tragen können. Mit der Ausnahmeregelung hätte er den Teil des nicht spekulativen Handels herausfiltern können und gezielt die den Staatshaushalt gefährdenden Geschäfte getroffen. Damit erfüllt der Normsetzer die Anforderungen an eine realitätsgerechte Typisierung nicht. 3. Keine Rechtfertigung durch Förderungs- und Lenkungsziele Eine Rechtfertigung ergibt sich nicht aus Förderungs- und Lenkungszielen.963 § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist zwar von der erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen, dass gesamtwirtschaftlich unerwünschten Fehlanreizen zur Durchführung von Spekulationen mit Termingeschäften begegnet werden soll.964 Das Ziel der Verhinderung von Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit stellt grundsätzlich einen tauglichen Zweck dar.965 Darüber hinaus bezweckt die Norm den Schutz der Anleger durch eine Senkung des Investitionsvolumens.966 Die Steuerpflichtigen sollen vor den Verlustrisiken aus den spekulativen Anlagen abgesichert werden, wobei ein Schutz vor sich selbst zum Ausdruck kommt. Die Regelung integriert Aspekte des Verbraucherschutzes und Anliegen, die sonst im Aufsichtsrecht und insbesondere im WpHG verortet sind, in das Steuerrecht.967 Es fehlt jedoch an dem Mindestmaß an hinreichender Abstimmung zwischen dem Lenkungszweck einerseits und der Ausgestaltung des Sonderbelastungstatbestands andererseits.968 Wie erläutert erfasst die Verlustverrechnungsbeschränkung option, um Wertpapiere zu einem Mindestpreis veräußern zu können; Dinkelbach / Briese­ meister, DB 2020, 579 (582); Drüen, FR 2020, 663 (670). 962 Christl, WUG 1995, 389 (394). 963 Allgemein dazu siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. c). 964 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61; für die Verfassungsmäßigkeit aus diesem Grund Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469a; Eigenthaler, Öffentl. Anhörung Finanzausschuss v. 26. 10. 2020, Prot. 19/103, 26; a. A. Bachmann / Seifert, DStR 2021, 1 (4); Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (84); Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583); Drüen, FR 2020, 663 (670 f.), der von einer Vermischung der Kategorien von Fiskalzweck- und Lenkungsnorm spricht. 965 BFH v. 17. 10. 1990 – I R 182/87, BStBl II 1991, 136 (juris Rn. 23); v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 69) m. w. N. Siehe schon 2. Teil 4. Kapitel § 14 A. II. 4. 966 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. 967 Cornelius / Hoffmann, ErbStb 2020, 225 (227). 968 Vgl. BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 (Rn. 125) m. w. N.; dazu auch Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO, § 4 Rn. 449.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

155

auch Verluste aus Termingeschäften, die nicht aus spekulativen Gründen angeschafft wurden.969 Die Norm ist sogar widersprüchlich. Damit der Steuerpflichtige seine nicht ausgeglichenen Verluste nutzen kann, ist er faktisch dazu verpflichtet, weitere Termingeschäfte abzuschließen.970 Dies läuft der Senkung des Investitionsvolumens diametral entgegen.971 Durch die Grenze von 20 000 € 972 bleiben Termingeschäfte zudem für Kleinanleger973 attraktiv, was dem verfolgten Zweck zuwiderläuft.974 4. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung von Gestaltungsmöglichkeiten Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind Einschränkungen der Verlust­ verrechnung zulässig, wenn Einkünfte „typischerweise für unerwünschte Steuergestaltungen genutzt werden“.975 Bei einer Investition in Kapitalvermögen ist jedoch der Eintritt von Verlusten keine Steuergestaltung, sondern lediglich die Realisierung eines mit der wirtschaftlichen Tätigkeit verbundenen Risikos.976 Der Gesetzgeber selbst knüpft an dieses Verhalten bei der Besteuerung von Sach­ verhalten an.977 5. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe Der Ausschluss des Verlustrücktrags kann mit der Verwaltungsvereinfachung, die das Kernanliegen der Abgeltungsteuer darstellt, verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.978

969

Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 15 A. II. 2. Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583); tendenziell auch Drüen, FR 2020, 663 (670). 971 Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583). 972 Zunächst lag diese bei 10 000 €, die durch das JStG 2020 erhöht wurde. Die amtliche Begründung des JStG 2020 in BT-Drucks. 19/25160, 190 schweigt zu den Motiven der Betragserhöhung. Dies ist als stillschweigende Übernahme der ursprünglichen Beweggründe zu werten. 973 Vom Begriff des „Kleinanlegers“ spricht zwar nicht die amtliche Begründung zu Satz 5. Allerdings verwendet Satz 6 diesen Terminus für die Betragsgrenze von 10 000 € (seit dem JStG 2020 20 000 €), die bei beiden Vorschriften gilt, vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Siehe dazu unten 2. Teil  4. Kapitel  § 16 A. II. 2. 974 Drüen, FR 2020, 663 (670); in Anschluss an diesen Bachmann / Seifert, DStR 2021, 1 (4). 975 BVerfG v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (97). 976 Drüen, FR 2020, 663 (670). 977 Drüen, FR 2020, 663 (670). 978 Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 2. 970

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

III. Ergebnis § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und ist deshalb verfassungswidrig. Die Norm behandelt Steuerpflichtige mit negativen Einkünften aus Termingeschäften in vielfacher, verfassungsrechtlich relevanter Weise ungleich mit anderen Steuerpflichtigen. In Anbetracht des strengen Prüfungsmaßstabs können diese Ungleichbehandlungen nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Damit sind die allgemeinen Regeln in § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG auf Verluste aus Termingeschäften anzuwenden. B. Kein Verstoß gegen Freiheitsgrundrechte Die freiheitsgrundrechtlichen Zweifel, die bei § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG geäußert werden979, sind auch bei der Beschränkung des ähnlich strukturierten § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG abzulehnen. Die Erwägungen, die bei der Aktienschedule980 angestellt wurden, gelten entsprechend für Termingeschäfte. C. Finanzverfassungsrechtliche Kritik Im Zusammenhang mit § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG bezweifelt Drüen, ob diese noch dem Typus der Einkommensteuer gemäß Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 GG entsprechen und nicht gegen das finanzverfassungsrechtliche Abstandsgebot verstoßen würden.981 Trotz der zusätzlichen betragsmäßigen Begrenzung ergibt sich keine andere Beurteilung im Vergleich zu den Beschränkungen in § 20 Abs. 6 Satz 1 und 4 EStG.982 Der Gesetzgeber erkennt die Verluste grundsätzlich an, womit keine Mutation zu einer „Einnahmensteuer“ vorliegt. Er hält ebenso den erforderlichen Mindestabstand zur Kapitalverkehrsteuer ein. Im Ergebnis sind die finanzverfassungsrechtlichen Bedenken unbegründet.

§ 16 Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern (§ 20 Abs. 6 Satz 6 EStG) Für Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern greift zum einen periodenintern eine betragsmäßig beschränkte Verlustverrechnung in Höhe von 20 000 €, § 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 EStG. Soweit danach Verluste nicht ausgeglichen werden, 979

BFH v. 17. 11. 2020 – VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562 (juris Rn. 78); Jachmann-Michel, StuW 2018, 9 (27). 980 Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 14 B. 981 Drüen, FR 2020, 663 (667 f.). 982 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 12 C. und 2. Teil 4. Kapitel § 14 C.

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

157

können diese in die folgenden Jahre zur ebenfalls betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 2 EStG vorgetragen werden. Die Norm begegnet aus dem überwiegenden Schrifttum erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik.983 A. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung 1. Ungleichbehandlung von Kleinanlegern und Großanlegern Aus der Regelung folgt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die mit geringem Kapitaleinsatz in Anlagen nach § 20 EStG investieren, und Steuerpflichtigen, die hohe Summen an Vermögenswerten anlegen.984 Der Gesetzgeber bezeichnet die erste Gruppe als „Kleinanleger“, die typischerweise die Möglichkeit der „sofortigen“ Verrechenbarkeit ihrer Verluste haben sollen.985 Das normative Verständnis der Gleichheit kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis, weil das Leistungsfähigkeitsprinzip als zentrale Wertung des normativen Ansatzes hier nur zweifelhafte Schlüsse zulässt.986 Aus Sicht des Gesetzgebers könnte man zwar anführen, dass gar keine Ungleichbehandlung vorliege, da Groß- und Kleinanleger ungleich leistungsfähig seien und dementsprechend auch ungleich behandelt werden. Die wegen der hohen Investitionsvolumina „leistungsfähigeren“ Großanleger könnten ihre Verluste durch die Grenze von 20 000 € nicht sofort ver-

983

Bachmann / Seifert, DStR 2021, 1 (3 f.); Bron, BB 2020, 535 (536 ff.); Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-4 (Jahreskommentierung 2020); Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583 f.); Drüen, FR 2020, 663 (665 ff.); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122 f.); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729 f.); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68h ff.; Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 278. Zweifelnd Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2020, BR-Drucks. 503/1/20, 21 f.; Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177d; Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83 f.); Dorn, DB 2021, 1366; Fissenewert, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 21-7 (Jahreskommentierung 2021); Förster / v. Cölln / L entz, DB 2020, 353 (356 f.); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Levedag, in: Schmidt41, EStG, § 20 Rn. 240. Für die Verfassungsmäßigkeit Eigenthaler, Öffentl. Anhörung Finanzausschuss v. 26. 10. 2020, Prot. 19/103, 26; Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 465b, 469b. 984 Bron, BB 2020, 535 (539); Drüen, FR 2020, 663 (671); Förster / v. Cölln / L entz, DB 2020, 353 (356); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 985 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Der Gesetzgeber führt bei der amtlichen Begründung des JStG 2020 keine Motive im Zusammenhang mit der Betragserhöhung an, BT-Drucks. 19/25160, 190. Dies ist als konkludente Übernahme der ursprünglichen Motive zu werten. 986 Vgl. Thiemann, Verluste, S. 120, der davon spricht, dass es sich für analytische Zwecke empfehle, bei der Feststellung einer Ungleichbehandlung nicht von einem normativen Begriff der Gleichheit auszugehen. Denn das Leistungsfähigkeitsprinzip sei „hochabstrakt“ und zudem sei die Reichweite fraglich.

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

rechnen, die „schwächeren“ Kleinanleger dagegen schon. Die vermeintlich unterschiedliche Leistungsfähigkeit nur vom unterschiedlichen Investitionsvolumen abhängig zu machen, erscheint jedoch zu stark vereinfachend und verkürzt das Gleichheitsproblem unzulässig.987 Denn eine Kapitalanlage kann beispielsweise fremdfinanziert erfolgen, sodass nicht automatisch vom Investitionsvolumen auf eine höhere Leistungsfähigkeit geschlossen werden kann.988 In diesem Anwendungsfall wird deutlich, wie der deskriptive Ansatz die oben angedeutete Schwäche des normativen Verständnisses ausgleichen kann.989 Nach dem deskriptiven Ansatz der Gleichheit, bei dem keine Wertungen vorgenommen werden, sind zwei Perspektiven990 denkbar: Einerseits ließe sich sagen, es liege eine Gleichbehandlung vor, da für alle Steuerpflichtigen (egal ob Groß- oder Kleinanleger) die gleiche betragsmäßige Grenze gelte. Andererseits ist es möglich, als Ergebnis eine Ungleichbehandlung festzustellen, wenn man auf die konkrete Rechtsfolge im Einzelfall abstellt. Dies wäre die je nach Verlusthöhe variierende Steuerschuld in einem Veranlagungszeitraum. Verluste über 20 000 € aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern können im jeweiligen Veranlagungszeitraum nicht mehr genutzt werden und mindern nicht die Bemessungsgrundlage. Die Folge ist eine höhere Steuerschuld. Richtigerweise kann auch die Anordnung von identischen abstrakten Rechtsfolgen eine Ungleichbehandlung darstellen, wenn die Steuerschuld eines Großanlegers mit Verlusten über der gesetzlich festgelegten Grenze höher ist als die eines Kleinanlegers.991 Folglich liegt nach dem deskriptiven Verständnis eine Ungleichbehandlung vor. 2. Ungleichbehandlung von Kapitalforderungen nach wirtschaftlicher Werthaltigkeit Eine weitere Ungleichbehandlung liegt in der Unterscheidung je nach Wert eines Wirtschaftsguts „im Sinne des § 20 Abs. 1 EStG“ (genauer: Wirtschaftsgut, das Gegenstand einer Veräußerung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG sein kann992).993 Beispielsweise fällt die Veräußerung eines Wirtschaftsguts, das nur noch einen 987

Vgl. zu dieser Problematik bereits Fn. 85 und den besprochenen Kopfsteuerfall. Bei § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG ist dieses Problem jedoch auf einer tieferen Ebene im Rahmen des Einkommensteuerrechts verortet. Damit kann keine direkte Parallele zum Modell der Kopfsteuer gezogen werden. 988 Bron, BB 2020, 535 (539). 989 Siehe bereits 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. d). 990 Siehe dazu schon 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. c). 991 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. c). 992 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-1 (Jahreskommentierung 2020). Der Gesetzeswortlaut ist insofern ungenau. 993 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse für den Bundesrat zur Stellungnahme BR-Drucks. 503/1/20, 22; Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177d; Bron, BB 2020, 535 (538); tendenziell auch Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583).

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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Nennwert von annähernd 0 % (damit keine Wertlosigkeit)994 besitzt, nicht unter die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 Fall 3 EStG und kann uneingeschränkt im Rahmen des § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG berücksichtigt werden. Aufgrund der ungleichmäßigen Behandlung trotz wirtschaftlicher995 Vergleichbarkeit und der Anwendung unterschiedlicher Rechtsfolgen liegt nach deskriptivem und normativem Verständnis eine Ungleichbehandlung vor. 3. Ungleichbehandlung durch Ausschluss des Verlustrücktrags § 20 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 2 EStG verweist auf Satz 2 und 3. Damit wird wiederum der Verlustrücktrag ausgeschlossen.996 4. Keine Ungleichbehandlung wegen fehlender Differenzierung zwischen einzel- und zusammenveranlagten Steuerpflichtigen Auch der Wortlaut von § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG differenziert bei der betragsmäßigen Begrenzung nicht zwischen einer Einzelveranlagung und einer Zusammenveranlagung von Ehegatten / Lebenspartnern gemäß §§ 26, 26b EStG.997 Der Gesetzgeber hat den Hinweis der Verdopplung, der im Rahmen des Verlustabzugs nach § 10d Abs. 1, 2 EStG deklaratorisch998 ist, bei § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG unterlassen. Die Norm verdoppelt nicht ausdrücklich die Beträge. Die Finanzverwaltung wird jedoch wegen Art. 6 Abs. 1 GG im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung bei einer Zusammenveranlagung einen Betrag in Höhe von 40 000 € zugrunde legen. Folglich liegt nach deskriptivem und normativem Verständnis keine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor.999

994

Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1395c: Eine Kapitalforderung ist erst wertlos, wenn der gemäß § 11 oder (subsidiär) § 12 BewG anzusetzende Wert 0 € beträgt. Das BMF geht von Wertlosigkeit aus, „wenn der Veräußerungserlös die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt“ und bezieht auch Vereinbarungen mit dem depotführenden Kreditinstitut ein, BMF v. 19. 5. 2022, IV C 1 – S 2252/19/10003:009, Rn. 59. 995 Vgl. BFH v. 24. 10. 2017 – VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831 (juris Rn. 17); BR-Drucks. 503/1/20, 22. 996 Siehe schon 2. Teil 4. Kapitel § 13 A. I. 997 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 15 A. I. 4. 998 BT-Drucks. 15/1518, 13; Hallerbach, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 10d Rn. 64. 999 Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 15 A. I. 4.; a. A. Bron, BB 2020, 535 (539).

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2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen 1. Festlegung des Prüfungsmaßstabs Zunächst ist die Strenge des Prüfungsmaßstabs zu bestimmen. Bei der Prüfung von § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG ist ebenfalls keine großzügige Überprüfung der Regelung anhand der Willkürkontrolle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen vorzunehmen.1000 Die Kriterien sprechen für eine strenge, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Überprüfung der Ungleichbehandlungen.1001 Das Ausmaß der Ungleichbehandlung und ihre Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast ist hoch. Es kann zwar eine Verrechnung mit allen Einkünften aus Kapitalvermögen stattfinden, denn es ist keine sachliche Begrenzung vorgesehen.1002 Es liegt folglich kein besonderer Verlustverrechnungskreis wie bei § 20 Abs. 6 Satz 4 und 5 EStG vor.1003 Der Gesetzgeber knüpft jedoch bei den aufgelisteten Tatbeständen maßgeblich an das Solvenzrisiko des Schuldners an. Das Ausfallrisiko ist jeder Kapitalanlage im Sinne des § 20 EStG immanent und an sich kein besonderes Charakteristikum.1004 Die Tatbestände in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG haben deshalb einen sehr weiten Anwendungsbereich.1005 Dieses ausnahmslos geltende Merkmal verknüpft er mit einem Verlustausgleich und einem Verlustvortrag, die betragsmäßig jeweils auf 20 000 € begrenzt sind. Aus diesem Mindestbesteuerungseffekt1006 ergibt sich bei Versterben des Steuerpflichtigen eine hohe Gefahr für Definitiveffekte, die richtigerweise1007 bei der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs einzuordnen ist.1008

1000

Siehe dazu ausführlich 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 1. a). und 2. Teil  4. Kapitel  § 14 A. II. 1. A. A. Ismer, Stellungnahme v. 26. 10. 2020 zum JStG 2020, https://www.bundestag.de/ resource/blob/801030/4675bacce99fd96d6deb669ce2a22153/12-Ismer-data.pdf. 1002 Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177c. 1003 Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469d; in Anschluss an diesen Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177c. Unrichtig insofern BT-Drucks. 19/15876, 61; Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83). 1004 Förster / v.  Cölln / L entz, DB  2020, 353 (356); vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht24, Rn. 8.500. 1005 Vgl. Cornelius / Hoffmann, ErbStb 2020, 225 (229 f.). 1006 Vgl. Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 469b. 1007 Siehe oben 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 1. a). 1008 Burwitz, NZG 2020, 214 (217) mit einem Rechenbeispiel; Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (83); Drüen, FR 2020, 663 (670); Fissenewert, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 21-7 (Jahreskommentierung 2021); Förster / v. Cölln / L entz, DB 2020, 353 (356 f.); Ott, DStR 2020, 313 (315); vgl. Thiemann, Verluste, S. 335. 1001

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

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2. Keine Rechtfertigung durch typisierende „Verschonung“ von Kleinanlegern und „Begünstigung“ von Großanlegern mit proportionalem Steuersatz Die Ungleichbehandlung von Klein- und Großanlegern könnte durch eine Typisierung aus Gründen der Steuergerechtigkeit, die im Grundsatz anerkannt1009 ist, gerechtfertigt werden. Die amtliche Begründung führt an, dass es sachgerecht sei, Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern gemäß § 20 Abs. 1 EStG steuerlich anzuerkennen und dabei durch die Betragsgrenze „Kleinanleger“ zu bevorzugen.1010 Es wird jedoch nicht näher erläutert, wieso gerade beim Ausfall von Wirtschaftsgütern im Sinne des § 20 Abs. 1 EStG die Bevorzugung von Anlegern mit geringen Investitionsvolumina geboten sei.1011 Mit dem Gebrauch in der Gesetzesbegründung führt der Gesetzgeber den Begriff des „Kleinanlegers“ im Kontext des Einkommensteuerrechts neu ein. Bisher existiert in keinem Rechtsgebiet eine gesetzliche Definition.1012 Es ließe sich für die Bevorzugung der Kleinanleger anführen, dass eine Schutzbedürftigkeit dies gebiete. Das Argument könnte aus einem anderen Rechtsgebiet hergeleitet werden, das ebenfalls diesen Begriff verwendet. Der Gesetzgeber hat zwar im Kleinanlegerschutzgesetz1013, das ein Mantelgesetz ist, ebenfalls keine Legaldefinition vorgenommen. Dennoch lässt sich aus der Einfügung des § 4 Abs. 1a des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht1014 der Fokus auf die Verbrauchereigenschaft und die daraus folgende erhöhte Schutzbedürftigkeit entnehmen. Der Steuergesetzgeber nähert sich der Frage der Schutzbedürftigkeit durch eine betragsmäßige Grenze von 20 000 € an.1015 Bei Kleinanlegern wird insoweit unterstellt, dass typischerweise aufgrund des geringen Investitionsvolumens keine hohen Summen an Verlusten entstehen. Ihre Verluste könnten sie „sofort“ aus-

1009

Vgl. BVerfG v. 10. 4. 1997  – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6 f.); v. 7. 12. 1999  – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297 (309 ff.). Siehe auch 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 3. d). 1010 Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Diese Motive können mangels einer Begründung im JStG 2020 übernommen werden, siehe dazu bereits Fn. 985. 1011 Vgl. Drüen, FR 2020, 663 (671); kritisch zu der Anknüpfung an die Vermögensverhältnisse Bleschick, in: Kirchhof / Seer21, EStG, § 20 Rn. 177d; Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-4 (Jahreskommentierung 2020); Geurts, in: Bordewin / Brandt, EStG, § 20 Rn. 771; Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 1012 Hakenberg, in: Weber27, Rechtswörterbuch, Stichwort „Kleinanleger“. 1013 Gesetz v. 3. 7. 2015, BGBl I 2015, 1114. 1014 § 4 Abs. 1a FinDAG in der Fassung des Artikels 1 Nr. 1 des Kleinanlegerschutzgesetzes: „Die Bundesanstalt ist innerhalb ihres gesetzlichen Auftrags auch dem Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen verpflichtet. […] Die Bundesanstalt [kann] gegenüber den Instituten und anderen Unternehmen […] alle Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um verbraucherschutzrelevante Missstände zu verhindern oder zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint.“ (Hervorhebung nur hier.). 1015 Ähnlich Drüen, FR 2020, 663 (671).

162

2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

gleichen.1016 Der Normsetzer vernachlässigt wohl aus Gründen der Vereinfachung andere relevante Faktoren wie das Risikopotential der Anlageform. Die Typisierung aus Gründen der Steuergerechtigkeit muss allerdings realitätsgerecht erfolgen.1017 Dies ist durch eine Relation zu dem Anwendungsbereich und den Rechtsfolgen der Typisierung zu beurteilen.1018 Der Anwendungsbereich des § 20 EStG ist trotz der Subsidiaritätsklausel in § 20 Abs. 8 EStG weit.1019 Denn in der Regel ist die Anschaffung und Veräußerung von Kapitalanlagen für eigene Rechnung auch in größerem Umfang private Vermögensverwaltung.1020 Erst wenn besondere Umstände einer „professionellen Konturierung“ (erhebliche Fremdfinanzierung, Büroräume, überwiegend Handeln auf fremde Rechnung) vorliegen, ist der Typusbegriff des gewerblichen Wertpapierhändlers gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllt.1021 Die Umschlagshäufigkeit oder der Wert des Vermögens sind nicht maßgeblich.1022 Somit gilt die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG potentiell für eine große Zahl von „Privatanlegern“ und wie erläutert insbesondere Anlegern mit hohen Investitionssummen.1023 Diese Adressatengruppe blendet der Normsetzer bei seiner Typisierung realitätsfern aus und erfüllt folglich nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen.1024 Daran ändert die Erwägung des Gesetzgebers, dass eine Begrenzung der Verlustverrechnung für Großanleger vor dem Hintergrund des proportionalen Abgeltungsteuersatzes gerechtfertigt sei, nichts. Er führt an, dass „Anleger mit höheren Vermögenswerten […] typischerweise auch in größerem Umfang laufende Erträge [erzielen] und […] durch den für Kapitaleinkünfte einschlägigen Steuersatz von 25 % begünstigt [sind]“.1025 Zunächst ist unklar, welches Vergleichspaar der Normsetzer bei dem Argument der vermeintlichen Begünstigung wählt.1026 Eine Begünstigung im Vergleich zum individuellen Steuersatz ist nicht sinnvoll zu

1016

Vgl. BT-Drucks. 19/15876, 61. Vgl. BVerfG v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (232 f.); v. 8. 7. 2021 – 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282 (Rn. 150). Siehe oben 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 3. d). 1018 Drüen, FR 2020, 663 (671). 1019 Drüen, FR 2020, 663 (671); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (730). 1020 Kulosa / Wacker, in: Schmidt41, EStG, § 15 Rn. 91; Wernsmann, DStR Beih. 2011, 72 (76). 1021 BFH v. 30. 7. 2003 – X R 7/99, BStBl II 2004, 408; Drüen, FR 2020, 663 (671); Kulosa  / ​ Wacker, in: Schmidt41, EStG, § 15 Rn. 91; Wernsmann, DStR Beih. 2011, 72 (76). 1022 BFH v. 2. 11. 2008  – X R 14/07, BFH / N V  2008, 2012 (juris Rn. 35); Wernsmann, in: FS Bundesfinanzhof, S. 1229 (1236). 1023 Drüen, FR 2020, 663 (671). 1024 Drüen, FR 2020, 663 (671). 1025 BT-Drucks. 19/15876, 61. Richtigerweise ist das Argument der Kompensation nicht als eigener Rechtfertigungsgrund anzusehen, sondern als Faktor bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs der Ungleichbehandlung, siehe 2. Teil 3. Kapitel  § 9 B. II. 3. f). Siehe zu diesem Motiv schon 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. II. 1. b). 1026 Ebenso Bron, BB 2020, 535 (539); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122); JachmannMichel, BB 2020, 727 (729); Jachmann-Michel, in: Lademann, EStG, § 20 Rn. 324. 1017

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

163

prüfen, denn dieser hängt maßgeblich von der Summe anderer Einkünfte ab.1027 Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls und kann deshalb nicht als belastbare, aussagekräftige Vergleichsgruppe dienen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei den Großanlegern die mögliche Alternative vor Augen hat, in den betrieblichen Bereich zu investieren.1028 Der Anleger erwirtschaftet in diesem Fall Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG, die dem progressiven Tarif (§ 32a EStG) unterliegen. Der Normsetzer geht wohl davon aus, dass bei Vorliegen von ausschließlich gewerblichen Einkünften aus Kapitalanlagen der Steuerpflichtige typischerweise durch einen höheren Steuersatz belastet und die Abgeltungsteuer im Gegensatz dazu vorteilhafter für ihn sei. Es kann allerdings nicht automatisch bei einem höheren progressiven Tarif von einer Vorteilhaftigkeit des Abgeltungsteuersatzes ausgegangen werden, denn im Falle von sehr hohen Werbungkosten ist der individuelle Abzug durch den Sparerpauschbetrag in § 20 Abs. 9 EStG ausgeschlossen.1029 Außerdem ist bei einer Dividende und Einkünften aus der Veräußerung von einer nicht wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (keine Beteiligung im Sinne des § 17 EStG) zu berücksichtigen, dass nur beim Betriebsvermögen die steuerliche Vorbelastung mit Körperschaftsteuer auf Ebene der Aktiengesellschaft durch das Teileinkünfte­ verfahren gemäß § 3 Nr. 40 lit. d EStG auf Ebene des Gesellschafters pauschalierend berücksichtigt wird.1030 Das bleibt Anteilen im Privatvermögen versagt. Schließlich zeigt die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG, dass der Abgeltungsteuersatz keine Rechtfertigung für § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG sein kann.1031 Falls bei niedrigen Gesamteinkünften (Summe der nach § 20 EStG ermittelten Einkünfte und der übrigen Einkünfte im Sinne des § 2 EStG) die Günstigerprüfung beantragt wird und der Abgeltungsteuersatz nicht zur Anwendung kommt, sind trotzdem alle Verlustverrechnungsbeschränkungen des § 20 Abs. 6 EStG anzuwenden.1032 Die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG ist auch anzuwenden,

1027

Bron, BB 2020, 535 (539); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 1028 In diese Richtung Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (122); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729). 1029 Ähnlich Bron, BB 2020, 535 (539); Förster / v. Cölln / L entz, DB 2020, 353 (356); ­Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. H 68i. Das Abzugsverbot entfällt auch nicht durch die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG, BFH v. 28. 1. 2015  – VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393 443 (juris Rn. 22 ff.); v. 30. 11. 2016 – VIII R 11/14, BStBl II 2017, 443 (juris Rn. 24 ff.). 1030 Dahm / Hoffmann, DStR 2020, 81 (84); Dinkelbach / Briesemeister, DB 2020, 579 (583); Jachmann-Michel, jM 2020, 120 (123); Jachmann-Michel, BB 2020, 727 (729); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  H 68i. 1031 Bron, BB 2020, 535 (539). 1032 BFH v. 30. 11. 2016 – VIII R 11/14, BStBl II 2017, 443 (juris Rn. 44 f.); v. 29. 8. 2017 – VIII R 5/15, BStBl II 2018, 66 (juris Rn. 14); ebenso Ratschow, in: Brandis / Heuermann, EStG, § 20 Rn. 465b; a. A. Schmidt, in: BeckOK, EStG, § 20 Rn. 1385.

164

2. Teil: Untersuchung der Regelungen in § 20 Abs. 6 EStG 

wenn Kapitaleinkünfte mit dem individuellen progressiven Einkommensteuersatz nach § 32a EStG besteuert werden.1033 Zusammenfassend kann die Ungleichbehandlung von Klein- und Großanlegern nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Norm zugunsten von Kleinanlegern aus Gründen der Steuergerechtigkeit typisiert. 3. Keine Rechtfertigung durch Verhinderung oder Abschwächung der Effekte von Gestaltungmöglichkeiten Der Gesetzgeber führt in der amtlichen Begründung an, dass § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG Veräußerungstatbestände erfasse, die „zu Gestaltungszwecken abgewickelt werden“.1034 Damit ist konkret die Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter auf einen Dritten gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 Fall 3 EStG gemeint. Dahinter könnte das Ziel der Verhinderung oder zumindest der Abschwächung der Effekte der gezielten Herbeiführung von Verlusten als vermeintlich missbräuchliche Steuergestaltung stehen. Dieser Rechtfertigungsgrund ist für die Beschränkung abzulehnen. Bei der gezielten Veräußerung von Kapitalanlagen zur Generierung von Verlusten, die mit Gewinnen verrechnet werden sollen, handelt es sich nach überzeugender Ansicht des BFH nicht um missbräuchliche Steuergestaltungen.1035 Denn der Steuer­ pflichtige macht nur von der ihm in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch.1036 Dieser mittlerweile gefestigten Rechtsprechung schließt sich sogar der Gesetzgeber selbst an, weil er durch die Normierung der Tatbestände denklogisch die Steuerbarkeit voraussetzt und diese als Veräußerung im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG anerkennt.1037 Allerdings verhält sich der Gesetzgeber im gleichen Zug widersprüchlich. Er schränkt seine Anerkennung der Rechtsprechung in derselben Norm ein und konterkariert im Ergebnis wiederum die Rechtsprechung des BFH durch die betragsmäßige Begrenzung von nur 20 000 €. In der Regelung wird indirekt der Gedanke aufrechterhalten, den der Normsetzer im Entwurf des letztlich nicht umgesetzten § 20 Abs. 2 Satz 3 EStG verfolgt hat.1038 Der im Grundsatz anerkannte Grund der Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltung entfaltet keine rechtfertigende Wirkung.

1033

Bron, BB 2020, 535 (539). BT-Drucks. 19/15876, 61. 1035 Siehe dazu ausführlich 2. Teil 4. Kapitel § 14 A. II. 3. 1036 BFH v. 12. 6. 2018 – VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221 (juris Rn. 21 ff.); v. 29. 9. 2020 – VIII R 9/17, BStBl II 2021, 385 (juris Rn. 21). Siehe Fn. 869 m. w. N. 1037 Buge, in: Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 20 Rn. J 20-4 (Jahreskommentierung 2020); Intemann, GmbHR 2021, 1116 (1118); Jachmann-Michel, Ubg 2021, 295 (297); Jochum, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 20 Rn.  D/9 16, D/9 24. 1038 Siehe zu diesem Entwurf 1. Teil 2. Kapitel § 8 B. 1034

4. Kap.: Untersuchung der konkreten Verlustverrechnungsbeschränkungen

165

4. Rechtfertigung des Rücktragausschlusses durch Vereinfachungsgründe Der Ausschluss des Verlustrücktrags kann mit der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt werden.1039 B. Ergebnis § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG ist wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig. Damit gelten für Verluste aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern die allgemeinen Regeln in § 20 Abs. 6 Satz 1 bis 3 EStG. Die Norm verstößt im Übrigen nicht gegen Freiheitsgrundrechte. Die Erwägungen im Zusammenhang mit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien1040 gelten insofern entsprechend für den Ausfall von Wirtschaftsgütern.1041 Die finanzverfassungsrechtlichen Bedenken1042 zum Typus der Einkommensteuer und einem Verstoß gegen ein „Abstandsgebot“ zur Kapitalverkehrsteuer greifen nicht durch.1043 Die Erhöhung der Begrenzung auf 20 000 € ändert daran letztlich nichts.

1039

Siehe bereits 2. Teil  4. Kapitel  § 13 A. II. 2. Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 14 B. 1041 Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 15 B. 1042 Drüen, FR 2020, 663 (667 f.). 1043 Ausführlich dazu siehe 2. Teil 4. Kapitel § 12 C. und 2. Teil 4. Kapitel § 14 C. 1040

Zusammenfassung Zu Kapitel 1. Der einkommensteuerrechtliche Verlustbegriff lässt sich definieren als Überschuss der Erwerbsaufwendungen über die Erwerbsbezüge, die Bestandteile einkommensteuerbarer Einkünfte sind. Der Grundtatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG setzt die Möglichkeit des steuerlichen Verlusts stillschweigend voraus. „Einkünfte“ im Sinne der Regelung können auch „negative Einkünfte“ sein. Der Gesetzgeber verfolgt keine strikte Terminologie und verwendet stattdessen im Einkommensteuergesetz die Begrifflichkeiten negative Einkünfte und Verluste synonym.1 Verlustverrechnung bedeutet den Transfer eines negativen Saldos einer kleineren Saldeneinheit in eine größere Saldeneinheit. Eine Verlustverrechnungsbeschränkung verhindert den uneingeschränkten Transfer eines negativen Saldos einer Saldenstufe auf eine höhere Saldenstufe. In diesem Fall kann ein dem Grunde nach steuerlich anzuerkennender Verlust nur bedingt oder gar nicht gemäß der allgemeinen Verrechnungssystematik berücksichtigt werden.2 Zu Kapitel 2. Nach der Reform durch die Einführung der Abgeltungsteuer ist das private Kapitalvermögen zwar nicht vollständig steuerverstrickt. Allerdings sind durch viele Einzeltatbestände in § 20 Abs. 2 EStG fast alle Wertrealisierungen des eingesetzten Kapitalstamms erfasst. Es lässt sich eine sehr starke Tendenz in Richtung der Reinvermögenszugangstheorie feststellen.3 Zu Kapitel 3. Steuergesetze sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung grundsätzlich zuerst an den Gleichheitsrechten und danach an den Freiheitsrechten zu messen. Die Freiheitsgrundrechte können den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum im Steuerrecht weniger eingrenzen, weil sich aus dem Zweck der Staatsfinan­

1

Siehe 1. Teil 1. Kapitel § 4. Siehe 1. Teil 1. Kapitel § 5 und 1. Teil 1. Kapitel § 6. 3 Siehe 1. Teil 2. Kapitel § 8 A. 2

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167

zierung aufgrund der Allgemeinheit dieses Ziels keine sinnvolle Zweck-MittelRelation bilden lässt.4 Innerhalb der Gleichheitsprüfung des Art. 3 Abs. 1 GG lassen sich zwei Ansätze unterscheiden, die als deskriptiver und normativer Begriff der Ungleich­behandlung bezeichnet werden können. Nach überzeugender Ansicht schließen sich der deskriptive und der normative Ansatz nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich im Sinne eines komplementären Verständnisses. Sie gleichen die Schwachpunkte des jeweils anderen aus. Nach dem normativen Verständnis besteht eine Ungleichbehandlung, wenn eine ungleichmäßige Behandlung abweichend von einem im jeweiligen Sachbereich wesentlichen Verteilungsmaßstab vorliegt. Der normative Ansatz versucht durch Wertungen, insbesondere dem zentralen Element des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Nettoprinzips, auf der ersten Stufe eine sinnvolle Vorauswahl zu treffen. Insofern hat dieser Ansatz bezüglich möglicher Prüfungsgegenstände eine Filterfunktion. Der deskriptive Ansatz will bei dem Begriff der „Behandlung“ im Rahmen der Prüfung der Ungleichbehandlung möglichst keine Wertungen vornehmen. Diese sind stattdessen auf die Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu verlagern. Eine Gleichbehandlung liegt nur bei einer „identischen“ Behandlung, also bei Anwendung der gleichen Rechtsfolge vor.5 Im Rahmen der Ungleichbehandlung ist ebenso das Gebot der Folgerichtigkeit als bereichsspezifische Ausprägung zu verorten. Im Kern liegt dem steuerrechtlichen Gebot der Folgerichtigkeit die Differenzierung zwischen grundlegenden und nachfolgenden Entscheidungen zugrunde, an die sich unterschiedlich strenge Rechtfertigungsmaßstäbe anschließen können. Der Gesetzgeber sorgt mit einer einfachrechtlichen Grundentscheidung selbst für einen Vergleichstatbestand, die zum Anknüpfungspunkt für die gleichheitsgrundrechtliche Prüfung wird. Das Folgerichtigkeitsgebot fügt sich in die Struktur der Gleichheitsprüfung ein und trägt somit im Steuerrecht zu einer vollständigen Erfassung der Ungleichbehandlungen bei. Es gebietet keine verfassungsrechtliche Pflicht „systemreiner“ Normsetzung oder ein pauschales, auf die Verhinderung bloßer Wertungswidersprüche angelegtes Gebot widerspruchsfreier Gesetzgebung. Die Qualifizierung einer Norm als „Modifikation“ oder Bestandteil der Belastungsgrundentscheidung, die weite gesetzgeberische Gestaltungsspielräume nach sich zieht, ist nur bei einem sachlichen und systematischen Zusammenhang zuzulassen. Die einzelne Vorschrift muss als Teil der Belastungsgrundentscheidung diese zumindest mitprägen und somit vergleichsweise gewichtig sein. Ansonsten besteht die Möglichkeit, dass sich der Gesetzgeber regelmäßig auf die Behauptung einer „Modifikation“ zurückzieht und so faktisch der verfassungsrechtlichen Kontrolle entgeht.6

4

Siehe 2. Teil 3. Kapitel. Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 2. 6 Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 3. 5

168

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Die dogmatischen Ansätze zur Feststellung einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung stehen in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis. Sie ergänzen sich einander, wobei der deskriptiv-normative Ansatz eine übergeordnete Rolle im Vergleich zum Gebot der Folgerichtigkeit einnimmt. Denn trotz einer folgerichtigen Ausgestaltung kann eine Ungleichbehandlung vorliegen, die rechtfertigungsbedürftig ist. Zusammen dienen die beiden Ansätze dem Ziel, einen möglichst umfassenden Befund von der Ungleichbehandlung und dessen Intensität zu erhalten.7 Bei der Prüfung einer konkreten steuerrechtlichen Norm müssen zwei Sichtweisen strikt unterschieden werden, weil sich daran verschiedene Rechtfertigungsanforderungen anschließen können. Bei der Ausbildung eines steuerspezifischen Verteilungsmaßstabs kann nur das Verbot bloßer Willkür gelten, da mangels geeigneter Vergleichsfälle ein Anknüpfungspunkt für eine strenge gleichheitsgrundrechtliche Prüfung fehlt.8 Bei Durchbrechungen eines durch den Gesetzgeber selbst gesetzten, gleichheitsgrundrechtlich akzeptablen Maßstabs der Lastenausteilung ist richtigerweise eine Prüfung mit gleitendem Maßstab entsprechend der Intensität der Ungleichbehandlung notwendig. Die Ungleichbehandlung kann durch Gründe gerechtfertigt werden, die angesichts des Umfangs der Abweichung vom Prinzip der gerechten Steuerlastverteilung hinreichend gewichtig sind. Eine Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots zieht nicht automatisch eine verschärfte verfassungsrechtliche Überprüfung von Steuergesetzen nach sich. Die Entscheidung des BVerfG zu den Jubiläumsrückstellungen (BVerfGE 123, 111) ist nicht so zu deuten, dass im Rahmen der Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs immer zunächst im Sinne einer „Anwendbarkeit“ der Stufenlos-Rechtsprechung festgestellt werden muss, ob eine „dogmatisch so komplexe Streitfrage“ vorliegt, die nur am Willkürverbot geprüft werden darf. Diese Entscheidung ist wegen Besonderheiten des entschiedenen Einzelfalls nicht auf andere Konstellationen übertragbar und zudem inhaltlich abzulehnen. Die Differenzierung des BVerfG ist mangels konkreter Kriterien undurchführbar. Die Abgrenzung dieser beiden Perspektiven muss objektiv erfolgen. Die Beurteilung ist folglich nicht an die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke gebunden. Abweichungen von selbst gebildeten Maßstäben einer gleichheitsgerechten Lastenausteilung bedürfen eines hinreichend rechtfertigenden Grunds (in der Termi­ nologie des BVerfG: besonderen sachlichen Grunds). Der qualifizierte Fiskal­ zweck in seinem ursprünglichen Sinn der „Verstetigung von Staatseinnahmen“ stellt keinen solchen Grund dar. Die Erhaltung von Staatseinnahmen, der Teile des Schrifttums rechtfertigende Wirkung zumessen, ist vielmehr ein Teil des „originären“ Staatsfinanzierungszwecks. Denn zur Erschließung einer Finanzierungs 7 8

Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. I. 4. Siehe 2. Teil 3. Kapitel § 9 B. II. 2. Dort auch zu den folgenden Absätzen.

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169

quelle gehört auch deren Erhaltung. Der qualifizierte Fiskalzweck stellt gerade kein „qualitatives aliud“ zum reinen Fiskalzweck dar, der Durchbrechungen nicht rechtfertigen kann. Die Befürworter stellen zudem keine besonderen Anforderungen an diesen Zweck. Dadurch besteht eine konkrete Umgehungsgefahr des ausdifferenzierten Systems der als etabliert geltenden Rechtfertigungsgründe, da sich der Gesetzgeber jederzeit auf den qualifizierten Fiskalzweck zurückziehen könnte.9 Der Kompensationsgedanke, also der Ausgleich von belastenden Normen mit anderweitigen Vorteilen, ist nicht als selbständiger verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsgrund einzuordnen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Kompen­ sation per se rechtfertigende Kraft zugemessen wird, weil die großzügigen Voraussetzungen der Befürworter keine wirksamen Grenzen darstellen. Dieser Grund ist gerade nicht mit einem eigenen materiellen Gewicht ausgestattet. Stattdessen sollte der Kompensationsgedanke nur einen Faktor für die Bestimmung des Strengemaßes im Rahmen der Rechtfertigung bilden. Je stärker eine steuerliche Belastung durch einen Vorteil kompensiert wird, desto geringer sind die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund.10 Bei der Aufladung der finanzverfassungsrechtlichen Steuerbegriffe (die in Art. 106 GG genannten Typen von Steuern und Steuerarten) mit materiellen Vorgaben ist Zurückhaltung geboten.11 Zu Kapitel 4. Für die Überprüfung der konkreten Normen ist die Frage nach der Belastungsgrundentscheidung zu klären. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG selbst ist nicht als Bestandteil einer neuen Belastungsgrundentscheidung anzusehen, der nur anhand eines entsprechend großzügigen Maßstabs überprüft werden könnte. Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung des Sondertarifs gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG und des Abzugsverbots für Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht für eine Schedulensteuer als neue Belastungsgrundentscheidung entschieden. Die Einführung des proportionalen Steuertarifs stellt zwar einen Bruch mit dem Ideal der synthetischen Einkommensteuer (Einheitssteuer) dar. Im Grundsatz hält der Gesetzgeber aber weiter an diesem Prinzip fest. Er bildet lediglich für die Einkünfte aus Kapitalvermögen eine besondere Schedule, die als Durchbrechung der bisherigen Belastungsgrundentscheidung für eine synthetische Einkommensteuer mit hinreichend gewichtigen Gründen gerechtfertigt werden kann. Wenn nun die Einführung eines Sondertarifs besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen muss, wäre es widersprüchlich, wenn der Normsetzer bei den Bestimmungen zur Verlustverrechnung innerhalb dieser 9

Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. b). Siehe 2. Teil  3. Kapitel  § 9 B. II. 3. f). 11 Siehe 2. Teil 3. Kapitel § 11. 10

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Einkünfte einen weiten Gestaltungsspielraum hätte. Somit ist richtigerweise auf die allgemeinen Regelungen in §§ 2 Abs. 3, 10d EStG abzustellen, von denen § 20 Abs. 6 EStG abweicht.12 Die Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG, die bestimmt, dass jeder externe Verlustausgleich und -abzug mit allen Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeschlossen ist, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder den finanzverfassungsrechtlichen Typus der Einkommensteuer. Die Norm ist verfassungsgemäß. Die Beschränkung der Verlustverrechnung in Gestalt des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG folgt nicht automatisch aus der Konzeption der Schedulensteuer als solcher und ist nicht bloß klarstellend. Vielmehr liegt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Verlusten aus § 20 EStG und Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten vor, die ihre negativen Einkünfte gemäß §§ 2 Abs. 3, 10d EStG verrechnen können.13 Diese Ungleichbehandlung muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Die Regelung ist einer strengeren, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Überprüfung zu unterziehen, weil die Eingriffsintensität durch die vollständige Isolierung in der Schedule erhöht ist und keine Kompensationen die Intensität abmildern. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG kann mit dem Zweck der Verhinderung von Steuerarbitrage gerechtfertigt werden. Der Steuerpflichtige soll keinen Steuersatzvorteil aus der Verrechnung von proportional besteuerten Verlusten aus Kapitalvermögen mit progressiv besteuerten Einkünften aus anderen Einkunftsarten erhalten. Keine Rechtfertigung ergibt sich aus einem möglichen Ausweichverhalten des Steuerpflichtigen, da er sich bei der Investition auf seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann und eine Unterlassung unzumutbar wäre. § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und ist damit verfassungsgemäß.14 Es liegt eine Ungleichbehandlung vor, denn § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG erwähnt im Wortlaut den Verlustrücktrag nicht und weicht damit von § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG ab. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist die Norm einer strengeren, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfung zu unterziehen. Die Eingriffsintensität ist erhöht. Aus der Gefahr sogenannter Definitiveffekte ergibt sich keine erhöhte Intensität der Ungleichbehandlung. Abstrakt ist mit der Gefahr von Definitiveffekten der Fall gemeint, dass die interperiodische Verlustverrechnung ursächlich dafür wird, dass Verluste endgültig verfallen und keine Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens haben. Diese 12

Siehe 2. Teil  4. Kapitel  § 12 A. I. 1. Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 12. Dort auch zum folgenden Absatz. 14 Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 13. Dort auch zu den folgenden Absätzen. 13

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171

Gefahr ist nach hier vertretener Auffassung dem Prüfungsstandort der Bestimmung des Strengemaßes im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung zuzuordnen. Die gewählte Risikoverteilung des Normsetzers muss gewichtet und dementsprechend die Prüfstrenge angepasst werden. Wenn der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen das höhere Risiko eines endgültigen Verlustuntergangs zumutet, stehen dem strengere Rechtfertigungsanforderungen gegenüber. Die Differenzierung des BFH (BStBl II 2021, 562) zwischen dem Risiko von Definitiveffekten zu Lebzeiten und bei Versterben des Steuerpflichtigen überzeugt nicht. Die Ungleichbehandlung kann aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. § 32d Abs. 4 EStG spricht nicht dagegen. Die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG, die die Verrechnung von Veräußerungsverlusten aus Aktien beschränkt, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist deshalb verfassungswidrig. Im Übrigen liegen keine Verletzungen von Freiheitsgrundrechten oder von Finanzverfassungsrecht (Typus der Einkommensteuer oder finanzverfassungsrechtliches „Abstandsgebot“ zur Kapitalverkehrsteuer) vor.15 Die Norm verursacht zahlreiche rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlungen. Innerhalb der Kapitaleinkünfte werden Steuerpflichtige mit Veräußerungsverlusten aus Aktien gegenüber solchen mit Veräußerungsverlusten aus anderen proportional besteuerten Finanzprodukten wie Aktienfondsanteilen oder Aktienzertifikaten ungleich behandelt. Des Weiteren werden die verschiedenen Ertragsformen von Aktien ungleich behandelt, weil gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG die Verrechnung eines Veräußerungsverlusts mit einem anderen positiven Ertrag wie etwa einer Dividende nicht möglich ist. Eine weitere Ungleichbehandlung liegt in der Unterscheidung von privaten Kleinaktionären und qualifiziert Beteiligten im Sinne des § 17 EStG sowie Steuerpflichtigen mit Aktien im Betriebsvermögen, die ihre Verluste nach den allgemeinen Regeln gemäß §§ 2 Abs. 3, 10d EStG verrechnen können. Außerdem ist durch die Verweisung auf § 20 Abs. 6 Satz 2, 3 EStG der Verlustrücktrag in Abweichung von § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Diese Ungleichbehandlungen sind abgesehen vom Ausschluss des Verlustrücktrags nicht zu rechtfertigen. Die Schedule in der Schedule ist einer strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Überprüfung zu unterziehen. Die Eingriffsintensität ist aufgrund dieser Isolierung, aus der eine erhöhte Gefahr für Definitiveffekte bei Versterben des Steuerpflichtigen folgt, hoch. Der klassische Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht in Form der Belastungs­ wirkungen darf nur dann zu verschärften Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes führen, wenn eine gewisse Intensität erreicht ist. Im Zusammenhang mit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien führen die Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu einer Maßstabs-

15

Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 14. Dort auch zu den folgenden Absätzen.

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verschärfung bei Art. 3 Abs. 1 GG. Die Eingriffsintensität geht nicht über ein bloß durchschnittliches, jeder Steuernorm eigentümliches Maß hinaus. Der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Fiskalzwecks kann von vornherein keine ungleichmäßigen Behandlungen rechtfertigen. Doch auch nach anderer Auffassung, die abstrakt im qualifizierten Fiskalzweck einen besonderen sachlichen Grund sieht, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an einer realitätsgerechten Ausgestaltung der Regelung, die typisierend an die mit Aktiengeschäften verbundenen Verlustrisiken anknüpft. Eine Rechtfertigung mit dem Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen ist ausgeschlossen. Der Rechtfertigungsgrund der Vermeidung von „Rosinenpickerei“, mit dem § 23 Abs. 3 Satz 8, 9 EStG a. F. gerechtfertigt werden konnte, ist nicht auf § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG übertragbar. Die gezielte Herbeiführung von Verlusten zur Verrechnung mit Gewinnen ist im Übrigen kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, da der Steuerpflichtige nicht gegen eine gesetzgeberische Wertung verstößt, sondern nur von der ihm in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht. Eine Rechtfertigung ergibt sich nicht aus dem Lenkungsziel, gesamtwirtschaft­lich unerwünschten Fehlanreizen zur Durchführung von Spekulationsgeschäften entgegenzuwirken. Es fehlt an dem Mindestmaß hinreichender Abstimmung zwischen dem Lenkungszweck und der Ausgestaltung des Sonderbelastungstatbestands. Der proportionale Einkommensteuersatz von 25 % für Einkünfte aus Kapitalvermögen trägt ebenfalls nicht den Ausschluss der Verrechnung von Aktienverlusten mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, denn diese unterliegen gleichermaßen dem besonderen Tarif. Die Ausweichmöglichkeit auf andere indirekte Kapitalanlagen scheidet auch aus, weil die weiteren Voraussetzungen für diesen Grund nicht vorliegen. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG, der die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften beschränkt, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist folglich verfassungswidrig. Im Übrigen liegen keine Verletzung von Finanzverfassungsrecht oder von Freiheitsgrundrechten vor.16 Die Norm führt in mehrfacher Hinsicht Ungleichbehandlungen herbei. In der Schedule der Kapitaleinkünfte werden Steuerpflichtige mit Verlusten aus Termingeschäften gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen proportional besteuerten Finanzanlagen ungleich behandelt, da ein eigener Verlustverrechnungskreis und die betragsmäßige Begrenzung existieren. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG behandelt Steuerpflichtige mit Verlusten aus Termingeschäften, die dem privaten Bereich zugeordnet werden, ungleich mit Verlusten aus Termingeschäften, die im Betriebsvermögen gehalten werden. Für Verluste im Betriebsvermögen gelten § 15 Abs. 4 Satz 3 bis 5 EStG. Im Unterschied zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG sind ein Ver 16

Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 15. Dort auch zu den folgenden Absätzen.

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173

lustrücktrag und keine betragsmäßige Begrenzung vorgesehen. Des Weiteren gilt die Beschränkung nicht bei Verlusten, die aus Absicherungsgeschäften gemäß § 15 Abs. 4 Satz 4 Fall 2 EStG resultieren, soweit die Rückausnahme nach Satz 5 nicht greift. Der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verdoppelt nicht ausdrücklich die betragsmäßigen Grenzen im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten / Lebenspartnern. Darin liegt jedoch keine Ungleichbehandlung. Die Ungleichbehandlungen können abgesehen vom Ausschluss des Verlustrücktrags nicht gerechtfertigt werden. Die Schedule in der Schedule ist anhand eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Maßstabs zu überprüfen. Die Eingriffsintensität ist aufgrund der Isolierung und der betragsmäßigen Begrenzung, aus der eine erhebliche Gefahr für Definitiveffekte bei Versterben des Steuerpflichtigen folgt, hoch. Die gesetzgeberischen Erwägungen in Form des qualifizierten Fiskalzwecks sind als bloß fiskalische Gründe von vornherein ungeeignet zur Rechtfertigung von ungleichmäßigen Behandlungen. Im Übrigen fehlt es schon an einer realitätsgerechten Ausgestaltung der Norm, die typisierend an die mit Termingeschäften verbundenen Verlustrisiken anknüpft. Aus dem Lenkungsziel, gesamtwirtschaftlich unerwünschten Fehlanreizen zur Durchführung von Spekulationsgeschäften mit Termingeschäften entgegenzu­ wirken, ergibt sich auch keine Rechtfertigung. Denn das Mindestmaß an hinreichender Abstimmung zwischen dem Lenkungszweck und der Ausgestaltung des Sonderbelastungstatbestands ist nicht erfüllt. Die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, die die Verlustverrechnung aus dem Ausfall von Wirtschaftsgütern beschränkt, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist deshalb verfassungswidrig. Verletzungen von Freiheitsgrundrechten oder von Finanzverfassungsrecht liegen nicht vor.17 Die Norm behandelt Steuerpflichtige in mehrfacher Hinsicht ungleich. Aus § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG folgt eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die mit geringem Kapitaleinsatz in Anlagen nach § 20 EStG investieren, und Steuerpflichtigen, die hohe Summen an Vermögenswerten anlegen. Außerdem liegt eine ungleichmäßige Behandlung je nach Wert eines Wirtschaftsguts vor, obwohl wirtschaftlich vergleichbare Situationen gegeben sind. Zudem schließt der Gesetz­geber durch den Verweis auf Satz 2 und 3 wiederum den Verlustrücktrag aus. In der fehlenden ausdrücklichen Verdopplung der Beträge im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten / Lebenspartnern liegt keine Ungleichbehandlung. Diese Ungleichbehandlungen sind abgesehen vom Ausschluss des Verlustrücktrags nicht zu rechtfertigen. Bei der Prüfung ist ein strenger, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter Maßstab anzulegen. Die Eingriffsintensität ist aufgrund des sehr weiten Merkmals des Solvenzrisikos und der betragsmäßigen 17

Siehe 2. Teil 4. Kapitel § 16. Dort auch zu den folgenden Absätzen.

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Zusammenfassung

Begrenzung, aus der eine erhebliche Gefahr für Definitiveffekte bei Versterben des Steuerpflichtigen folgt, hoch. Die Ungleichbehandlung von Klein- und Großanlegern kann nicht mit einer Typisierung aus Gründen der Steuergerechtigkeit zugunsten der Kleinanleger gerechtfertigt werden, weil die Typisierung nicht realitätsgerecht erfolgt. Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs gilt § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG potentiell für eine große Anzahl an „Privatanlegern“ und insbesondere für Steuerpflichtige mit hohen Investitionssummen. Diese Betroffenen blendet der Normsetzer realitätsfern aus. Daran ändert die Erwägung des Gesetzgebers nichts, dass Großanleger durch den für Kapitaleinkünfte einschlägigen Steuersatz von 25 % begünstigt seien. Dieser Steuersatz kann zwar im Vergleich zu einer Investition in den betrieblichen Bereich günstiger sein. Es kann allerdings nicht automatisch bei einem höheren progressiven Tarif von einer Vorteilhaftigkeit des Abgeltungsteuersatzes ausgegangen werden, da der Anleger in diesem Bereich mit anderen erheblichen Nachteilen belastet ist (§ 20 Abs. 9 EStG, kein Teileinkünfteverfahren). Das Ziel der Verhinderung oder zumindest der Abschwächung der Effekte von vermeintlich missbräuchlichen Steuergestaltungen entfaltet ebenfalls keine rechtfertigende Wirkung. Nach überzeugender Ansicht des BFH handelt es sich bei der gezielten Veräußerung von Kapitalanlagen zur Generierung von Verlusten nicht um missbräuchliche Steuergestaltungen. Diesem Standpunkt schließt sich sogar der Gesetzgeber selbst an, denn er setzt durch die Normierung der Tatbestände denklogisch die Steuerbarkeit voraus und erkennt diese als Veräußerung im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG an. Letztlich konterkariert der Normsetzer wiederum durch die betragsmäßige Begrenzung die Rechtsprechung des BFH.

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Sachregister Abgeltungsteuer  15, 23 ff., 27, 97 Aktien – Ertragsformen  124 ff. – Verlustverrechnungsbeschränkung s. dort Allgemeine Handlungsfreiheit  88 f., 109 f., 133 ff. – Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit ​132  f. Allgemeiner Gleichheitssatz s. Gleichheitssatz Antragsveranlagung zum einheitlichen Steuersatz  120 f. Ausweichverhalten  109 f. Belastungsgrundentscheidung  18, 43 f., 47 ff., 52 ff., 94 ff. Belastungswirkung der Steuer  87 ff. Besonderer sachlicher Grund  60 f. Bruttosteuer  95, 112 Definitiveffekt  115 ff., 130 ff., 151 f., 160 Eigentumsgarantie  88 f., 136 Einkünfte aus Kapitalvermögen – Kapitalanlageformen  122 ff. – Verlustverrechnungsbeschränkung s. dort Einkunftsquelle 21 Erdrosselnde Besteuerung  88 Ergebnisoffenheit des Gleichheitssatzes  49 Finanzverfassung  37, 92 f., 110 ff., 145 f. Fiskalzweck  70 f. – Qualifizierter  71 ff., 137 ff. Folgerichtigkeitsgebot s. Gleichheitssatz Freiheitsgrundrechte  86 ff., 132 ff., 144 – Beeinträchtigung durch Vermögens­ entzug  88 f. – Mittelbare Beeinträchtigung durch Gestaltungswirkung  90 ff. Gestaltungsmissbrauch s. Missbrauchs­ bekämpfung

Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers  44, 70, 82, 117 Gewerbebetrieb 99 Gleichheitssatz – Allgemeiner  31 ff. – Betroffenheit von Freiheitsgrundrechten  132 ff. – Deskriptive Gleichheit  39 f. – Folgerichtigkeitsgebot  33 f., 43 ff., 54 ff. – Gleichheitsbegriff  32 ff. – Gleichheitsgerechte Lastenverteilung ​ 18, 57 ff., 67 ff. – Komplementäres Verständnis der Gleichheit  40 ff., 51 f. – Neue Formel  53, 103 – Normative Gleichheit  38 f. – Offenheit  32 ff. – Rechtfertigung  52 ff., 69 ff. – Stufenlos-Formel  53, 103 – Ungleichbehandlung  34 ff. – Verhältnismäßigkeit 61 Großanleger  157 f., 162 f. Günstigerprüfung 163 Halbteilungsgrundsatz 88 Individualbesteuerung – Grundsatz der  22 Jubiläumsrückstellungen  61 ff., 101 Kapitalertragsteuer  23, 108 f. Kleinanleger  157 f., 161 ff. Kompensation  83 ff. Kopfsteuer 41 Leistungsfähigkeitsprinzip  35 ff. Lenkungssteuer 75 Lenkungszweck  75 ff., 154 f. Liquiditätsnachteil  114 f.

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Sachregister

Mindestbesteuerung  22, 72, 115 f., 151, 160 Missbrauchsbekämpfung  81 ff., 141, 164 – Typisierung (Verhältnis)  82 – Verhaltenslenkung (Verhältnis)  82 Negative Einkünfte  20 Nettoprinzip – Objektives  20, 37 f. – Subjektives 38 Neue Formel s. Gleichheitssatz Optionsgeschäft  147 f. Periodenübergreifender Verlustausgleich – Verlustrücktrag s. dort – Verlustvortrag s. dort Proportionaler Steuertarif  25, 40, 96 f., 105 f., 143, 162 f. Qualifizierter Fiskalzweck s. Fiskalzweck Reinvermögenszugangstheorie  27, 65 Saldierung s. Kompensation Schedulenbesteuerung  24 f., 94 ff., 99 f. – Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers  97 – Immobilien 17 Spekulationsverluste  137, 142, 154 Steuerarbitrage  105 ff. Steuererstattung 114 Steuergegenstand  33, 44, 70 Steuerstaat 15 Synthetische Einkommensteuer  24 f., 96 Systemprägender Charakter  48 ff., 95 Systemwechsel  45 f. Teileinkünfteverfahren  125, 163 Typisierung  78 ff. Ungleichbehandlung s. Gleichheitssatz Unternehmensteuerreformgesetz  2008 23 f., 28, 97 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  54 f., 101, 144

Verhinderung von Steuerumgehungen s. Missbrauchsbekämpfung Verlust – Aus Kapitalvermögen  28 – Aus privaten Veräußerungsgeschäften  140 f. – Aus Termingeschäften im Betriebs­ vermögen  148 ff. – Aus Termingeschäften im Privat­ vermögen  16, 26, 147 ff. – Begriff  15, 19 f. – Finale Verluste s. Definitiveffekt – Streckung  29, 132, 152 f. Verlustabzug  21 f. Verlustausgleich  20 f., 28, 112 f. – Ausschluss des externen  25, 93, 100 Verlustrücktrag  21 f. – Außerordentlicher  118, 132 – Ausschluss des  113 ff., 129, 150, 159 Verlustverrechnung  20 ff. – Begriff 20 – Indirekte 107 – Interperiodische  71, 113, 115 Verlustverrechnungsbeschränkung – Aktien  26, 122 ff. – Ausfall von Wirtschaftsgütern  26, 156 ff. – Begriff 23 – Betragsmäßige Begrenzung  146 ff., 156 ff. – Einkünfte aus Kapitalvermögen  93 ff. – Termingeschäfte  26, 146 ff. Verlustvortrag  21 f., 104 f., 116, 119 ff. Verstetigung der Staatseinnahmen s. Fiskalzweck, qualifizierter Verwaltungsvereinfachung  120 f. Werbungskostenpauschbetrag  16, 23, 83, 104 f. Willkürverbot  53 f., 57 ff. Zinsnachteil  114 f. Zinsurteil des BVerfG  102 Zusammenveranlagung  150 f. Zweck-Mittel-Relation  31, 89