Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der Tuberkulose: Auf Grund experimenteller Untersuchungen im hygienischen Institut der Kgl. Universität Breslau 1897–1908 [Reprint 2020 ed.] 9783112382165, 9783112382158

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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der Tuberkulose: Auf Grund experimenteller Untersuchungen im hygienischen Institut der Kgl. Universität Breslau 1897–1908 [Reprint 2020 ed.]
 9783112382165, 9783112382158

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Die

Yerbreitungsweise und Bekämpfung der Tuberkulose auf Grund

experimenteller Untersuchungen

im

hygienischen Institut der K g l . Universität Breslau 1897—1908

Herausgegeben von Prof. Carl Flügge

D i r e k t o r des H y g i e n i s c h e n I n s t i t u t s

Mit

21

Figuren

und

einer

Tafel

Leipzig V e r l a g von V e i t & Comp. 1908

Druck von Metzger i Wittig ID Leipzig.

Robert Koch in s t e t e r

Verehrung

Vorwort Jüngst fragte mich ein Kollege einer anderen Fakultät, womit ich mich jetzt beschäftige; und als ich ihm sagte „hauptsächlich mit der Verbreitungsweise der Tuberkulose", antwortete er erstaunt: „Ich dachte, den Tuberkelbacillus habe doch K O C H schon vor mehr als 25 Jahren entdeckt!" Im Grunde hatte mein Kollege recht. Das Wesentlichste in der Erforschung der Verbreitungsweise der Tuberkulose ist zweifellos mit K O C H S Entdeckung erledigt. Von da ab war die Tuberkulose als eine von Mensch zu Mensch, gelegentlich auch vom perlsüchtigen Tier auf den Menschen übertragbare Krankheit erkannt; und aus dieser Erkenntnis ergaben sich ohne weiteres eine Reihe von wichtigen Maßnahmen zur Verhütung der Ausbreitung der Krankheit. Trotzdem blieb noch ein sehr großer Rest von Einzelarbeit übrig. Bei jeder übertragbaren Krankheit beobachten wir eigenartige Ansteckungsquellen, bei der einen tritt dieser, bei der änderen jener Eintrittsweg der Erreger in den Körper in den Vordergrund. Der lebhafte Streit über die Infektionswege bei Tuberkulose, der in den letzten Jahren die internationalen Tuberkulosekonferenzen beschäftigt^, zeigt deutlich, daß man nicht damit zufrieden ist, die Tuberkulose als übertragbare Krankheit erkannt zu haben und nun Vorsicht nach allen Richtungen zu üben; sondern daß eine genauere Erkenntnis der Verbreitungsweise und eine dieser angepaßte Bekämpfung der Krankheit allgemein als erforderlich angesehen wird. Nun hat aber gerade das genauere Studium der Verbreitungsweise der Tuberkulose in letzter Zeit zu einer weitgehenden Divergenz der Meinungen geführt. Mit größter Entschiedenheit, ja mit einem gewissen Fanatismus wird hier diese, dort die entgegengesetzte Auffassung verteidigt; die Ubertragungsweise, die der eine für die

Vorwort

VI

wichtigste hält, wird vom anderen als völlig belanglos hingestellt. Fast hat man den Eindruck, als sei in die Erforschung der Phtüseverbreitung ein pathologischer Zug hineingekommen, der den Fortschritt unserer Erkenntnis hemmt. Zum Teil liegt dies wohl daran, daß die einzelnen Beobachter zu einseitig sich nur auf eine einzelne Untersuchungsmethode verlassen und deren Leistungsfähigkeit überschätzen.

Die einen be-

schränken sich auf klinische Beobachtungen oder auf pathologiichanatomische

Befunde beim Menschen

und erwarten

von dieser

Methode auch da Aufklärung, wo sie offenbar versagen muß. Andere haben nur Experimente am Tier angestellt, meist über einen einzigen Infektionsweg und unter Verwendung so enormer Massen von Krankheitserregern, daß die Ergebnisse auf den Menschen und auf natürliche Verhältnisse sich schlechterdings nicht übertragen lassen. Wieder andere haben den Tuberkelbazillen in der natürlichen Umgebung des Menschen nachgespürt, aber nur in einem besonderen Teil der Umgebung, und haben hier den Nachweis mit so überfeinen Methoden geführt, daß daraus für die natürliche Infektionsgefahr wiederum nichts zu folgern ist. Besonders irreführend hat zweitens die Vernachlässigung der quantitativen Verhältnisse der Infektion bei der Abschätzung der Ansteckungsgelegenheiten und der Invasionswege gewirkt. Ich möchte in

dieser Beziehung

auf einen wohl unanfechtbaren Ausspruch

VIBCHOWS verweisen, der sich in seinem 1901 gehaltenen Vortrage „Über Menschen- und Rindertuberkulose" findet: „Ich war immer der Meinung, daß, wenn man nicht ein gewisses Quantum von Bazillen in seinen Körper hineinbefördert, die Gefahr nicht groß ist. . . . Aber diese F r a g e der Quantität ist bis jetzt von den Bakteriologen noch fast gar nicht behandelt worden." Ich habe nun versucht, bei den seit 12 Jahren in meinem Institut planmäßig angestellten Untersuchungen sowohl den Fehler der Einseitigkeit tunlichst zu vermeiden, wie namentlich die quantitativen Beziehungen so vollständig wie möglich zu berücksichtigen. Nicht nur haben wir zahlreiche Tierversuche angestellt, um die Bedeutung der verschiedenen Infektionswege quantitativ festzustellen und untereinander zu vergleichen; sondern wir haben daneben den

VII

Infektionsgelegenheiten unsere besondere Aufmerksamkeit zugewendet, haben diese an Hunderten von Menschen, Wohnungen, Gebrauchsgegenständen usw. studiert und haben dann ihre Gefahr dadurch richtig einzuschätzen versucht, daß wir die Infektionsquelle mit dem zugehörigen Invasionsweg in Beziehung brachten und sowohl die für diesen erforderlichen wie die von jener Quelle gelieferten Bazillenmengen berücksichtigten. Unsere Ergebnisse weichen in vieler Beziehung von denen anderer Autoren ab. Ich kann auch durch wiederholte kritische Nachprüfung nicht zu der Uberzeugung gelangen, daß bei unseren Untersuchungen gröbere Beobachtungsfehler oder unrichtige Schlußfolgerungen untergelaufen sind, sondern ich muß annehmen, daß vielmehr jene anderen Autoren — eben infolge der Einseitigkeit ihrer Versuche und infolge der Vernachlässigung der Quantitätsfrage — zu teilweise irrigen Anschauungen gekommen sind. In Wort und Schrift habe ich bisher meine Überzeugung nach Kräften verteidigt. Aber ich habe leider damit nicht die Resultate erzielt, die ich erwartet hatte. Ein Mittel gab es wohl, von welchem eine stärkere Beeinflussung der gegnerischen Meinungen zu erwarten war: die Vorlegung unseres ganzen im Laufe von 12 Jahren gesammelten Beweismaterials in zusammenhängender Darstellung. Durch eine solche durfte ich hoffen, viel überzeugender zu wirken als durch die einzelnen, zeitlich weit auseinander liegenden und in verschiedenen Zeitschriften zerstreuten Publikationen; vielleicht ließ es sich damit doch erreichen, daß manche gegnerische Ansicht, die gegenüber einem einzelnen Argument aufrecht erhalten war, auf Grund der gesamten Befunde als unhaltbar zurückgenommen wurde. Die Aussicht, meinen Wunsch verwirklicht zu sehen, war freilich recht gering. — Da erbot sich eines Tages mein verehrter Freund, Herr Hofrat Dr. CBEDNER, der vor 30 Jahren mein erstes Buch verlegte und mit dem ich seither in ununterbrochener Verbindung gestanden habe, einen Sammelband der Tuberkulosearbeiten aus meinem Institut drucken zu lassen. Herr CBEDNEK hat mir damit einen wahren Freundschaftsdienst geleistet, für den ich ihm auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche.

vm

Vorwort

Möchte der nunmehr fertig vorliegende Band dazu beitragen, in den Ansichten über die Verbreitungsweise und die Verhütung der Tuberkulose eine gewisse Einigung herbeizuführen! Das würde der Weiterarbeit an den mancherlei Fragen, welche auf dem wissenschaftlich so interessanten und sozial so wichtigen Gebiete der Tuberkulosebekämpfung ihrer Beantwortung noqh harren, sicher förderlicher sein, als der bisherige zu weit getriebene Streit der Meinungen. Meinen Mitarbeitern danke ich aufrichtig für die stete Bereitwilligkeit, mit der sie auf meine Vorschläge eingegangen sind, und für den Eifer und die Sorgfalt, mit der sie ihre Arbeit durchgeführt haben. B r e s l a u , im Juli 1908.

Carl Flügge

Inhalt I. Die Infektionsgelegenheiten in der menschlichen Umgebung. A. L u f t m i t t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e n T r ö p f c h e n 1. CAIU, FLÜGGE, Über die Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft und des Transports von Keimen durch Luftströmungen 2. CARL FLÜGGE, Über die nächsten Aufgaben zur Erforschung der Vevbreitungsweise der Phthise 3. CARL FLÜGGE, Versuche über die Verbreitung der Phthise durch beim Husten verspritzte Tröpfchen 4. PAUL LASCHTSCHENKO, Über Luftinfektion durch beim Husten, Niesen und Sprechen verspritzte Tröpfchen 5. BRÜNO HEYMANN, Über die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen beim Husten der Phthisiker 6. BRÜNO HEYMANN, Weitere Versuche über die Verbreitung der Phthise durch ausgehustete Tröpfchen 7. H. ZIESCHI, Über die quantitativen Verhältnisse der Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker B. L u f t m i t t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e m S t a u b 8. CARL FLÜGGE, Die Verbreitung der Phthise durch staubförmiges Sputum 9. MAX NEISSER, Über Luftstaubinfektion 10. ROLAND STICHER, Über die Infektiosität in die Luft übergeführten tuberkelbazillenhaltigen Staubes 11. MAX BENINDE, Beitrag zur Kenntnis der Verbreitung der Phthise durch verstäubtes Sputum 12. BRUNO HEYMANN, Untersuchungen über die Verbreitung der Phthise durch trockenen Sputumstaub 13. F. GOTSCHLICH, Die Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Bäumen mit starkem Menschenverkehr 14. FRITZ KIRSTMIN, Über die Dauer der Lebensfähigkeit von Tuberkelbazillen an flugfähigen Stäubchen 15. NOETEL, Die Bedeutung der Sputumreste an der Kleidung des Phthisikera C. A u s s t r e u u n g e n v o n T u b e r k e l b a z i l l e n , v o n w e l c h e n a u s d u r c h K o n t a k t e A u f n a h m e in den I n t e s t i n a l t r a k t u s e r folgen kann 16. A. OSTERMANN, Die Bedeutung der Kontaktinfektion für die Ausbreitung der Tuberkulose, namentlich im Kindesalter D. T u b e r k e l b a z i l l e n in M i l c h , B u t t e r usw. v o n p e r l s ü c h t i g e n Kühen 17. F.HERR und M. BENINDE, Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter 18.

ALBRECHT SPECK, D i e B e z i e h u n g der S ä u g l i n g a e r n ä h r n n g z u r E n t -

stehung der Lungentuberkulose

Seite

3 3 47 58 67 81 102 130 165 165 174 190 217 226 256 269 295

300 300 336 336 356

Inhalt

X

Seite

19.

20. 21.

Statistische und ethnographische Beiträge zur Frage über die Beziehungen zwischen Säuglingsernährung und Lungenschwindsucht 374 A . OSTERMANN, Infektionschancen beim Genuß von Milch und Milchpräparaten von perlsüchtigen Kühen 394 B R U N O HEYMANN, Weitere Beiträge zur Frage über die Beziehungen zwischen Säuglingsernährung und Tuberkulose 408 BRUNO H E Y M A N N ,

II.

Die Eintrittswege der Tuberkelbazillen in den Tier- und Menschenkörper.

OSCAR N E N N I N G E R , Über das Eindringen von Bakterien in die Lungen durch Einatmung von Tröpfchen und Staub 2 3 . L U D W I G P A U L , Über die Bedingungen des Eindringens der Bakterien der' Inspirationsluft in die Lungen 24. H . F I N D E L , Vergleichende Untersuchungen über Inhalations- und Fütterungstuberkulose. (Mit einer Tafel) 2 5 . H . REICHENBACH, Experimentelle Untersuchungen über die Eintrittswege des Tuberkelbacillus 2 6 . J O H . A L E X A N D E R , Das Verhalten des Kaninchens gegenüber den verschiedenen Infektionswegen bei Tuberkulose und gegenüber den verschiedenen Typen des Tuberkelbacilltis 27. B A L L I N , Das Schicksal inhalierter Schimmelpilzsporen 2 8 . B R U N O HEYMANN, Versuche an Meerschweinchen über die Aufnahme inhalierter Tuberkelbazillen in die Lunge 2 9 . K Ö H L I S C H , Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbazillen durch Inhalation von trockenem Sputumstaub 3 0 . H . REICHENBACH und B O C K , Versuche über die Durchgängigkeit des Darms für Tuberkelbazillen 3 1 . C A R L F L Ü G G E , Die Infektionswege bei Tuberkulose 22.

32. 33.

34. 35. 36. 37. 38.

39.

III. Die persönliche Disposition zur Tuberkulose. Die Ubiquität der Tuberkelbazillen und die Disposition zur Phthise OETTINGEB, Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose

433 457 496 547 569 581 592 611 644 660

CARL FLÜGGE,

IV. Die Bekämpfung der Tuberkulose. Die Bekämpfung der Tuberkulose F R A N Z STEINITZ, Die Beseitigung und Desinfektion des phthisischen Sputums N O E T E L , Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker und die Desinfektion von mit Auswurf beschmutzten Kleidern . C A R L F L Ü G G E , Verbrennbare Spuckfläschchen und Taschen*""eher für Phthisiker H E R R , Das Pasteurisieren des Rahms als Schutz gegen die . erbreitung der Tuberkulose durch Butter CARL FLÜGGE,

CARL

FLÜGGE,

Untersuchungen Erklärung der Tafel

675 687 705 .712 741 762 765

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden 782 818

A.

Luft mit tuberkelbazillenlialtigen Tröpfchen.

1. Über die Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft und des Transports von Keimen durch Luftströmungen.1 Yon Carl Flügge. Die Bedingungen für den Übergang lebender Keime von feuchten und trockenen Flächen in die Luft sowie für den Transport der mit Keimen beladenen Tröpfchen oder Stäubchen durch Luftströme sind nocht nicht so sorgfältig studiert und noch nicht so sicher erkannt, wie es der hygienischen Bedeutung dieser Fragen entspricht. Bezüglich der A b l ö s u n g von Keimen besteht eine nicht ausgeglichene Divergenz zwischen den experimentellen Resultaten NÄGELI s und BÜCHNERS und denen SOYKAS. NÄGELI hat unsere Vorstellungen über das Verhalten staubförmiger Bestandteile zur Luft in vieler Beziehung geklärt dadurch, daß er aus bekannten physikalischen Tatsachen die Bedingungen für die Ablösung staubförmiger Elemente von nassen und trockenen Oberflächen und für das Schweben und Fortbewegen der in die Luft aufgenommenen Elemente ableitete und rechnerisch erläuterte. E r deduzierte insbesondere, daß von der Oberfläche keimhaltiger Flüssigkeiten durch Verdunstung und selbst durch heftigen Wind keine Keime weggeführt werden, solange nicht Wellenbildung und Verspritzen der Flüssigkeit zur Bildung feinster in die Luft geschleuderter Tröpfchen führt. 2 NÄGELI und BÜCHNER 3 haben diese Behauptungen durch Experimente zu stützen gesucht, die allerdings nur in einer kurzen vorläufigen Mitteilung beschrieben sind. Sie leiteten durch ein mit 1 Veröffentlicht unter dem Titel „Über kuftinfektion" iu: Zeitschrift für Hygiene und Infekt. Bd. 25. 1897. - N Ä G E L I , Die niederen Pilze. München 1S77. S. 107. 3 Sitzungsberichte der Bayr. Akademie der Wissenschaften. München, 7. Juni 1879. — Untersuchungen über niedere Pilze. München 1882. S. 124 ff. 1*

4 faulenden Lösungen beschicktes U-Rohr Luftströme von 10 bis 20 m pro Sekunde Geschwindigkeit, und erhielten dabei keine Ablösung von Keimen; denn ein zweites mit dem ersten verbundenes U-Rohr, das Nährlösung enthielt, blieb steril. Demgegenüber hatte S O Y K A 1 bei seinen Versuchen schon Infektion einer vorgelegten Nährlösung beobachtet, wenn er einen Luftstrom von 3 cm Geschwindigkeit pro Sekunde über eine faulende Flüssigkeit streichen ließ. Noch geringere Geschwindigkeiten genügten, um beim Durchtreten von Luftströmen durch Flüssigkeit Keime aus der letzteren fortzutragen und exponierte Nährsubstrate zu infizieren. Der Streit zwischen N Ä G E L I und SOYKA ist nicht zu Ende geführt; der Tot hat beide Forscher bald nacheinander abgerufen. N Ä G E L I wendete gegen SOYKA hauptsächlich ein, daß er die eintretende Luft nieht sicher von zufällig vorhandenen Keimen befreit habe; er habe den dazu bestimmten Wattepfropfen nicht genügende Aufmerksamkeit zugewandt. N Ä G E L I meint, daß die Trübung der Nährlösungen in den SOYKA sehen Versuchen eben durch jene Luftkeime bedingt war. Andererseits ist auch die Versuchsanordnung N Ä G E L I s nicht einwandfrei. Die Angabe, daß ein Luftstrom von 10 und 20 m Geschwindigkeit pro Sekunde auf die Versuchsflüssigkeiten eingewirkt habe, kann nicht anders verstanden werden, als daß bei u n g e h i n d e r t e m Luftdurchtritt durch die verwendeten Köhren die Luft mit solcher Geschwindigkeit hindurchtrat; n a c h Einschaltung der Wattepfropfe, welche die in der einströmenden Luft enthaltenen Keime abfiltrieren sollten, muß die Geschwindigkeit außerordentlich viel geringer gewesen sein, so daß dieselbe da, wo der Luftstrom mit der Faulflüssigkeit in Berührung trat, vielleicht nur 1 bis 2m oder noch weniger betrug. Mir ist es wenigstens nicht gelungen, beim Hindurchschicken kräftigster Luftströme durch Glasrohre verschiedener Weite auch nur hinter einem pilzdicht schließenden Wattestopfen mehr wie 2-8 m Geschwindigkeit zu erzielen. Auch dies ist nur möglich, wenn eine Einziehung der Röhre das Vorrutschen des Pfropfens hindert; ohne eine solche wird der Pfropf herausgeschleudert. Steigert man die Geschwindigkeit immer höher, so wird der Pfropf so fest gegen die Einziehung gepreßt, daß er undurchgängiger wird und der Effekt nicht größer, sondern geringer ist. Nur wenn 1 Sitzungsberichte der Bayr. Akademie der Wissenschaften. 3. Mai 1879.

München

Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft usio.

5

man clie Wattepfropfen in Rohren von sehr viel weiterem Querschnitt anbringt, geht mehr Luft durch; aber die Keimdichtigkeit solcher Pfropfen ist sehr zweifelhaft. Hätte N Ä G E L I wirklich jenseits der m e h r f a c h e n von ihm verwendeten Wattepfropfen Ströme von 10 bis 20 m Geschwindigkeit gehabt, dann würde vermutlich, wie sich aus den unten mitgeteilten Versuchen ergibt, auch ein Verspritzen der Faulftüssigkeit und dadurch Infektion der Vorlage stattgefunden haben. Die Schwierigkeit, in einwandfreier Versuchsanordnung starke Luftströme über Flüssigkeitsoberflächen fortzubewegen, lag offenbar zur Zeit der N Ä G E L I sehen Experimente in der Notwendigkeit, die Keime der einströmenden Luft a b z u f i l t r i e r e n . Erst seit wir in der Verwendung von R e i n k u l t u r e n s p e z i f i s c h e r , in der Luft nicht vorkommender Bakterienarten eine Methode haben, die es überflüssig macht, die eintretende Luft mit Wattepfropfen zu behandeln und keimfrei zu machen, gelingt es, die Stromstärken beliebig zu steigern und diejenigen festzustellen, durch welche eine Ablösung von Keimen von Flüssigkeitsoberflächen erfolgt. Unter welchen Bedingungen von t r o c k e n e n Flächen kernhaltige Partikel losgerissen und in die Luft übergeführt werden, darüber liegen nur einige Versuche von SCYKA vor. SOYKA ließ Luft d u r c h ein staubförmiges Pulver streichen, das aus gefaultem Blut hergestellt war; die Luft gelangte von da in sterile Nährlösung. Schon bei einer Geschwindigkeit von 4-65 cm pro Sekunde führte der Luftstrom Keime über; und selbst bei 8 mm pro Sekunde waren im unteren Teil der abführenden Röhre rote Partikelchen aus dem Blutstaub erkennbar, die allerdings nicht bis in die vorgelegte Nährlösung fortgetragen wurden. Leitete er Luft ü b e r , nicht durch den Blutstaub, so erfolgte ein Keimtransport erst bei 11cm Geschwindigkeit. Die Versuchsanordnung SOYKA s gibt auch hier den von N Ä G E L I erhobenen Einwänden Raum. Außerdem sind die Versuche in bezug auf Material und Geschwindigkeit zu wenig variiert, als daß die gefundenen Zahlen als maßgebend angesehen werden könnten. Einige Jahre später hat W E H N I C H 1 Versuche über die Ablösung und den Transport von Luftkeimen mitgeteilt. Im ganzen bestätigte er die Angaben N Ä G E L I s; nur wenn Luftbläschen durch eine Flüssigkeit hindurchtreten, oder wenn Gärung und Schaumbildung auf der Flüssigkeit stattfindet und beim Platzen der Blasen ein Hinüberspritzen von Flüssigkeitsteilchen erfolgte, wurde die vorgelegte 1

VIRCHOWS

Archiv.

1830.

B d . 79.

6

Carl

Flügge

sterilisierte Nährlösung infiziert. Bei seinen Versuchen über die Übertragbarkeit von Bakterienstaub glaubte WERNICH gefunden zu haben, daß nur dann Entwicklung auf dem neuen Nährsubstrat eintritt, wenn alte Nährsubstanz mit übergeschleppt wird. Diese und ähnliche offenbar unrichtige Folgerungen sind auf Fehler in der Versuchsanordnung, die in damaliger Zeit kaum vermeidlicli waren, und auf die ausschließliche Anwendung sehr geringer Geschwindigkeiten (Luftströme unter 1 cm pro Sekunde) zurückzuführen. In einem gewissen Gegensatz zu den SOYKA sehen Resultaten stehen ferner die Ergebnisse von Versuchen, welche STERN 1 vor einigen Jahren in meinem Institute ausführte. Steriler feinster Staub, der mit spezifischen Keimen 'Sporen von Bac. megaterium) imprägniert war, wurde auf verschiedene gleich große Holztäfelchen, Stücke von Tapeten, Leinwand, Wollstoffen usw. lose aufgelagert, und dann wurden einige Proben Luftströmen ausgesetzt. Diese Proben wurden darauf in Kulturschalen mit verflüssigtem Nährsubstrat übergössen und die ausgewachsenen Kolonien gezählt; dasselbe geschah mit den dem Luftzuge nicht ausgesetzten Proben. Zwischen beiden ließ sich k e i n konstanter Unterschied feststellen. Eine irgend erhebliche Ablösung von Stäubchen hatte daher sicher nicht stattgefunden, obwohl die Geschwindigkeit der Luftströme bis zu 2*1 und 2• 5 m pro Sekunde betrug. Noch weniger sind wir orientiert über die Bedingungen der F o r t b e w e g u n g von kernhaltigen Tröpfchen oder Stäubchen, n a c h d e m sie in die Luft übergeführt sind. Aus STEENS Versuchen wissen wir nur, daß in völlig ruhiger Zimmerluft nach 1 ] / 2 bis 3 Stunden fast alle Staubteilchen sich zu Boden gesenkt haben, und daß eine erhebliche Fortführung eines Teiles der in der Luft schwebenden Keime erst bei sehr starker Ventilation, d. h. 6- bis 7facher Erneuerung der Luft pro Stunde, gelingt. Diese Ventilation würde im Innern des Zimmers, je nach der Entfernung von den Ventilationsöffnungen, einen Luftstrom von 10 bis 20 bis 30 mm pro Sekunde voraussetzen. Zweifellos ist es sehr wünschenswert, daß wir genauer, als dies aus den vorstehend referierten bisherigen Versuchen möglich ist, die Geschwindigkeiten kennen lernen, welche auf in der Luft schwebende Tröpfchen und Stäubchen verschiedener Art fortbewegend wirken; daß wir wissen, wie sich die Verteilung der letzteren im ruhigen, im ventilierten Zimmer und im Freien gestaltet; daß wir ferner er1

Zeitschrift f ü r Hygiene.

Bd. 7.

Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft usw. fahren, welche Krankheitserreger in der Form solcher durch die Luft transportierbarer Stäubchen und Tröpfchen lebensfähig bleiben und somit von der Luft aus infizieren können. Es ist klar, daß von der Erkenntnis dieser Verhältnisse unsere Anschauungen über die Verbreitungsweise der parasitären Keime wesentlich beeinflußt werden müssen. Im Laufe der letzten 5 Jahre habe ich über die hier interessierenden Vorgänge zahlreiche Versuche angestellt, deren Ergebnisse zum Teil ganz anders ausgefallen sind, als ich erwartet hatte, und die mich auf Grund der nachstehend mitgeteilten Versuche zu der Überzeugung geführt haben, daß wir in vielen Beziehungen unsere Ansichten über das Zustandekommen der Luftinfektion und speziell über die Rolle der in die Luft übergeführten Tröpfchen und Stäubchen bei der Verbreitung ansteckender Krankheiten modifizieren müssen. I. Versuche über die A b l ö s u n g von Keimen von feuchten und trockenen Flächen. Einen Teil der hierher gehörigen Versuche hat bereits E. HAMin seiner Inaugural-Dissertation 1 mitgeteilt; jedoch hatten wir damals eine genaue Messung der Geschwindigkeit der Luftströme unterlassen und das Material noch nicht genügend variiert. Vor allen Dingen mußte die von den früheren Beobachtern verwendete Methode der Filtration der zutretenden Luft durch Wattepfropfen verlassen werden. Statt dessen benutzten wir ausschließlich R e i n k u l t u r e n des Bac. prodigiosus und des Bac. megaterium, mit welchen sterilisierte Glasröhrchen gefüllt, oder mit welchen sterilisierte Erde oder Kleiderstoffe u. dgl. imprägniert wurden. Als Vorlage zum Abfangen der abgelösten Keime diente entweder ein WILLIAMsches Rohr 2 mit Lävuloseauskleidung, dessen Inhalt nach Beendigung des Versuches ausgespült und auf Agarplatten verteilt wurde (in dieser Weise wurden etwa 80 Prozent der passierenden Keime abgefangen); oder die Luft wurde direkt über Schalen oder durch Röhren mit Agarauskleidung geleitet, letzteres namentlich dann, wenn ein quantitatives Auffangen aller losgelösten Keime nicht beabsichtigt war. Der Bakteriengehalt der einströmenden Luft war niemals störend Die Versuche wurden in einem ruhigen Zimmer unter Vermeidung BURGER

1 2

Breslau 1892. Zeitschrift für Hygiene.

Bd. 15, S. 170.

8

Carl

Flügge

von Staub angestellt, und alsdann kamen immer nur relativ wenig fremde Keime auf den Nähr substraten zur Entwicklung, welche die Beobachtung der Kolonien der Versuchsbakterien nicht beeinträchtigten, zumal letztere gerade mit Rücksicht auf ihr besonders schnelles und charakteristisches Wachstum auf den verwendeten Nährböden ausgewählt waren. Die Luftströme, die bei dieser die Wattefilter vermeidenden Versuchsanordnung in beliebiger Stärke zur Wirkung gelangen konnten, wurden teils von einem Wasserventilator (Konstruktion von DANNEBERG und QUANDT) geliefert, der aber bei einigermaßen engen Vorlagen viel zu wenig Luft förderte; teils von einem kräftigen Kautschukballon; in der Hauptsache aber von zwei großen, zum Treten eingerichteten Blasebälgen, durch deren verschiedene Belastung (bei den stärksten Strömen mehr als 20 kg) die Stromstärke variiert wurde, Die Messung der Geschwindigkeit der Luftströme erfolgte durch ein mehrfach neu geeichtes RECKNAGELsches Anemometer. Riefen die Ströme bei dem Querschnitt des Rohres, der zur Aufnahme des Anemometers erforderlich war, keine Drehung mehr hervor, so erfolgte die Bestimmung durch Messen des in einer gewissen Zeit (1 Minute) in einen graduierten Gasometer einströmenden Luftquantums. Die Ablösung von W a s s e r f l ä c h e n wurde so geprüft, daß in 2 cm weite Glasrohre mit leicht aufwärts gebogenen Enden Aufschwemmung von Prodigiosus eingefüllt wurde. Die Rohre wurden dann in einem größeren Glaskasten aufgestellt und der Boden des letzteren mit Agarschalen bedeckt. Das in das Glasrohr mündende Abströmungsrohr des Gebläses traf in einem Winkel von ungefähr 45 0 die Flüssigkeitsoberfläche. Unter solchen Bedingungen trat bei einer Geschwindigkeit des Luftstromes von nahezu 1 m pro Sekunde bereits schwache Wellenbildung auf der Oberfläche ein, jedoch ohne daß Keime sich ablösten. Dies begann vielmehr erst bei einer Geschwindigkeit von etwa 4 m pro Sekunde, welche Schäumen der Flüssigkeit und Zerstäuben an der Glaswand hervorrief. Die Platten enthielten alsdann schon nach einer Versuchsdauer von 15 Minuten Hunderte von Kolonien. Die Versuche wurden darauf mit der Modifikation wiederholt, daß das Rohr zu 1/3 mit einer Schicht Boden (Sand mit Feinkies gefüllt und dieser mit Prodigiosusaufschwemmung so stark durchtränkt wurde, daß auf der absichtlich uneben gemachten Oberfläche einzelne Ansammlungen von Flüssigkeit sich herstellten. Auch dann

Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft usw.

9

war ein Luftstrom bis zu 1 m pro Sekunde nicht imstande, Ablösung von Keimen zu bewirken. Bei etwa 4 m Geschwindigkeit bildeten sich aber auf den kleinen Wasserflächen Wellen, die gegen die angrenzenden Kies- und Sandteilchen getrieben und hier vermutlich zerstäubt wurden; hier waren die in der Nähe der Ausmündung des Rohres aufgestellten Platten mit Prodigiosuskolonien bedeckt. Ahnlich fielen die Versuche aus, wenn die Luft über grobe Kleiderstoffe strich, die mit Prodigiosusaufschwemmung so imprägniert waren, daß teilweise Ansammlungen der Flüssigkeit auf der Oberfläche sich bildeten. Nach dem Ausfall dieser — vielfach variierten — Versuche besteht die Ansicht N Ä G E L I S , daß durch Verdunstung oder durch Luftströme, welche über die intakte Oberfläche einer Flüssigkeit Irinwegstreichen, k e i n e Ablösung von Keimen erfolgt, zu Eecht. Erst bei einer gewaltsamen Trennung der Oberfläche kommt es zur Bildung feiner Tröpfchen, und erst mit diesen können Keime fortgeführt werden. Eine solche Tröpfchenbildung erfolgt aber durchaus nichi erst in so extremen Fällen, wie es N Ä G E L I annahm, sondern dazu kommt es in der Natur und unter praktischen Verhältnissen s e h r h ä u f i g . Schon ein Luftstrom von 4 m Geschwindigkeit, d . h . ein mäßiger, die Blätter der Bäume bewegender Wind, wie er im Freien während des größten Teils des Jahres weht, ist imstande, von Wasserflächen, z. B. von Regenwasserpfützen, von nassen Blättern usw. keimhaltige Tröpfchen loszureißen. In welchem Maße dies geschieht, das wird außer von der Geschwindigkeit des Windes von dem Winkel, in welchem er auf die Flüssigkeitsoberfläche auftrifft, und von der Konfiguration der begrenzenden festen Flächen abhängen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird sich im Freien jedenfalls ungemein häufig ein Übergang von Keimen in die Luft in Form von Flüssigkeitströpfchen vollziehen, und nicht erst bei Strömen, die über 20 m pro Sekunde hinausgehen. Dies entspricht auch der alltäglichen Erfahrung über das sichtbare und fühlbare Verspritzen von bewegten Wasserflächen aus. Unter besonderen Verhältnissen wird im Freien die Masse der so in die Luft gelangten keimhaltigen Tröpfchen recht bedeutend sein; z. B. in der Nähe des brandenden Meeres, durch Mühlräder, Dampfschiffräder, von nassen Baumblättern aus u. dgl. Aber auch im geschlossenen Eaume kommt es viel häufiger, als man gewöhnlich denkt, zu einem Ubergang feiner Tröpfchen aus Flüssigkeiten in die Luft. Bei jedem Eingießen einer Flüssigkeit in eine andere, beim Auftreffen eines Tropfens oder eines Flüssigkeitsstrahles auf

10 feste oder flüssige Flächen, beim Hantieren mit nasser Wäsche, beim Aufwaschen der Zimmer, namentlich aber auch beim Sprechen, Husten, Niesen usw. bilden sich — wie sich aus den weiter unten genauer mitgeteilten Experimenten ergibt — kleine, in die Luft übergehende Tröpfchen. Ferner aber müssen wir — das möge hier gleich vorweg hinzugefügt werden — noch darin unsere bisherige Meinung ändern, daß diese Tröpfchen nur für kürzeste Strecken und kürzeste Zeiten in der Luft verbleiben. Wie im folgenden nachgewiesen ist, vermögen vielmehr die m i n i m a l s t e n L u f t s t r ö m u n g e n solche T r ö p f chen auf große E n t f e r n u n g e n f o r t z u f ü h r e n , sie in allen Teilen eines Wohnraumes und selbstverständlich ebenso im Freien zu verbreiten. Immer finden sich unter den verspritzten Tröpfchen kernhaltige von solcher Kleinheit,, daß ein Schweben in der Luft ihnen für lange Zeit garantiert ist, bis sie sich schließlich an irgend einer festen Fläche absetzen oder bis das Wasser verdunstet. Wir werden somit viel mehr als bisher eine Aufnahme von Keimen in T r ö p f c h e n f o r m in die Luft in Rechnung ziehen müssen. Läßt man über die nasse Oberfläche einer Boden- oder Kleiderprobe so lange einen mäßigen Luftstrom gehen, daß die Flüssigkeit verdunstet und unter die Oberfläche des Bodens oder Kleiderstoffes sinkt, dann hört jede Ablösung von Keimen auf. Solange das Material noch etwas feucht ist, bewirken selbst Luftströme bis zu 60 m pro Sekunde keinen Übergang von Keimen, mag man die Versuche noch so viel variieren. In dieser Beziehung bestätigen also die Experimente vollkommen die NÄGELischen Deduktionen. Nach dem vollständigen Eintrocknen des Materials kann dagegen unter gewissen Umständen Ablösung erfolgen. Läßt man Boden oder Stoffproben im Luftstrom trocknen, so erfolgt ein Ankleben der Keime an die festen Flächen, und Ströme von 5 m Geschwindigkeit und darüber schaffen nichts fort. Steigert man die Geschwindigkeit auf 30 bis 60 m pro Sekunde, dann erfolgt bei eingetrockneter Erde, die feine Stäubchen enthält, ziemlich starke Uberführung von Keimen in die Vorlage; bei einer 15 Minuten dauernden Einwirkung des Stromes ergab letztere 40 bis 70 Prodigiosuskolonien. Es ist wahrscheinlich, daß die bei dieser Stromstärke unvermeidlichen Erschütterungen des Rohres eine Lockerung der zusammengeklebten Masse bewirkt und so die Uberführung kleiner losgelöster Elemente unterstützt haben. — Lockert man künstlich die eingetrocknete Erde, dann genügen oft schon Ströme von 5 m, um reich-

Bedingungen des Übergangs von Keimen in die Luft

usw.

11

lieh Staubteilchen mit Keimen fortzuführen. J e nach der Beschaffenheit der E r d e verschiebt sich dieser Grenzwert. Kleiderstoffe ließen auch bei stärksten Geschwindigkeiten keine Keime los. Erst wenn man sie beim Sterilisieren überhitzt und dadurch mürbe und zur Ablösung von Faserteilehen geneigt macht, gehen letztere und mit ihnen Keime in die L u f t über. Reibt man ferner die Stoffproben, die mit Prodigiosus imprägniert sind, leicht mit einer anderen rauhen Stoffprobe, so gelingt es zuweilen schon mit einem Strom von 5 m Geschwindigkeit reichliche Keime in die Vorlage überzuführen. Bei einigen Stoffen, insbesondere bei Leinwand, gelang dies jedoch überhauj>t nicht. Ganz anders verhält sich feine E r d e oder Staub, die im trockenen Zustande l o s e auf glatte oder rauhe Flächen, Glas oder Holz oder Stoffproben, a u f g e s c h ü t t e t werden. Bei f e i n s t e m Material beginnt hier die Ablösung schon bei einer Geschwindigkeit von w e n i g ü b e r 1 m pro Sekunde; beispielsweise ergab ein Versuch mit abgestuften Geschwindigkeiten folgendes Resultat: (Trockener Staub mit Prodigiosus, in einem Glasrohr von 17 mm Durchmesser 1 mm hoch aufgeschichtet. Luftstrom durch Auslaufflasche erzeugt und abgestuft.) 4 m Geschw. = viel Prodigiosus j l - 3 mGeschw. = mehrereKol.Prod. 2-1 m „ = ,, ! 1 -03 ,, = kein Pfodigiosus u. S i ? 11 .

s "a. rt s w [J2^ tl I i (35 cd ® . iäg J2 ® 2 B ig .2

(mm pro Set.)

15

Dauer der Aspiration 5 Stund.

5

5



3

5



Kolonienzahl in Rohr A

in Bohr B

Gelatine Gelatine verflüssigt verflüssigt 55 125 45

18

in Rohr C

auf Platte

40

300

7

konfluier. Kolonien

3

22 2 2

Verspritzung infektiöser Tröpfchen beim Husten

73

Y. N i e s e n . Die Versuchsperson brachte sich durch Schnupftabak 5 bis 8 mal zum Niesen. Im Glaskasten wurden a l l e Platten mit unzähligen Kolonien bedeckt. Ein Versuch im Zimmer von 50 cbm und dann ein solcher im Zimmer von 300 cbm Inhalt ergab noch bis auf eine Entfernung von 9 m reichlichste Besäung der Platten, wie aus folgender Tabelle hervorgeht. Versuch im Glaskasten

Versuch im Zimmer von 300 ccm

Versuch im Zimmer von 50 cbm

PlattenPlattenPlattenPlatt- abstand Kolonien- Platt- abstand Kolonien- Platt- abstand Kolonienzahl zahl Nr. Nr. Nr. in ccm zahl in ccm in ccm

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

40 90 160 185 165 175 150 95 80 125 110 90

o "3 "o



QJ

SP

M N a

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

100 200 350 450 600 150 200 550 500 550 300 250

275 175 120 60 40 75 5 35 10 18 69 80

1

1 2 3 4 5 6 7 8

400 400 500 500 650 700 700 900

45 35 17 90 83 75 50 85

Nachdem die vorstehenden Experimente zweifellos erwiesen hatten, daß schon leises Sprechen, in höherem Grade lautes Sprechen und in noch erheblich stärkerem Maße Husten und Niesen bakterienhaltige Tröpfchen aus der Mundflüssigkeit zu bilden vermag, die so fein sind, daß sie aufwärts bis zur Zimmerdecke und horizontal bis auf 9 m und mehr durch die Luft fortgetragen werden, fragte es sich, ob denn auch k r a n k h a f t e m u c i n h a l t i g e E x k r e t e , wie phthisisches und pneumonisches Sputum, einer Zerlegung in ebensolche feine Tröpfchen fähig sind. B. Versuche mit künstlichein Verspritzen von Sputum. Ich versuchte die Verspritzung in folgendem Apparat: Ein 70 Liter fassender Turm aus Blech mit konischem, in ein Ansatzrohr übergehendem Dach wurde mittels eines unteren Ansatzrohres mit der Wasserleitung verbunden und während des Versuches mit

74

bestimmter, an einem Wasserstandsrohr abzulesender Geschwindigkeit gefüllt. Die hierdurch, komprimierte Luft des Turmes trat durch das obere, stark verlängerte Ansatzrohr in eine kleine weithalsige Flasche A, in welcher sich eine Schicht Sputum und, in diese eintauchend, ein kleines Sprayrohr (aus zwei rechtwinklig ineinander gerichteten Glasröhren mit feiner Öffnung bestehend) befand. Durch die eingetriebene Luft wurde ein langsames, mäßiges Verspritzen des Sputums bewirkt und die in die Luft übergeführten Tröpfchen wurden von dem Luftstrom aufwärts in einen Blechzylinder B von 1 m Höhe und 28 cm Durchmesser geführt, von diesem in ein Reagenzglas C mit 5 ccm Kochsalzlösung, von da in eine Flasche mit konzentrierter Schwefelsäure. Die Geschwindigkeit des Luftstromes in dem vertikalen Blechzylinder B ließ sich leicht berechnen und schwankte in den einzelnen Versuchen zwischen B und 15 mm pro Sekunde. Waren die schwächsten unter diesen Strömen imstande, bakterienhaltige Tröpfchen 1 m aufwärts und in das Röhrchen C überzuführen, so waren sie so klein und leicht, wie es für die natürliche Luftinfektion vorausgesetzt werden muß; und es ist dann auch wahrscheinlich, daß beim Husten, Niesen usw. ebenso feine Exkrettröpfchen selbst aus mucinhaltigem Material gebildet werden. Verwendet wurde teils p n e u m o n i s c h e s , teils p h t h i s i s c h e s Sputum. Ersteres war meist so geballt und enthielt so wenig Flüssigkeit, daß ein geringer Zusatz von Wasser (auf 10 Teile Sputum 1 bis 2 Teile Wasser) erforderlich war. Es entspricht dies der Verdünnung, welche die Sputumteile in der Mundhöhle durch das Mundsekret sicher sehr häufig und mindestens erleiden. Wurde jede Verdünnung unterlassen, so war es nicht immer möglich, durch den sehr feinen Spray ein Verspritzen hervorzurufen. Unter natürlichen Verhältnissen beim Husten usw. findet jedenfalls eine viel kräftigere und gröbere Zerlegung statt. Das benutzte p h t h i s i s c h e Sputum war ebenfalls sehr zähe; trotzdem war es hier nicht unbedingt erforderlich, Wasser zuzufügen, die Verspritzung in feinere Tröpfchen gelang auch regelmäßig in konzentriertem Zustande. Nach Beendigung jedes Versuches wurde die Kochsalzlösung im Röhrchen C auf die Anwesenheit der spezifischen, zum Versuche verwendeten Bakterien untersucht; und zwar bei Verwendung von pneumonischem Sputum nur durch subkutane Übertragung auf Mäuse und eventuell nach dem Tode derselben durch Lungenausstrichpräparate; bei Verwendung von phthisischem Sputum teils durch intraperitoneale Übertragung auf Meerschweinchen, meist aber durch mikroskopische

Verspritzung

infektiöser

Tröpfchen beim Husten

75

Prüfung nach vorausgegangenem Sedimentieren oder Zentrifugieren der Kochsalzlösung. Die Resultate ergeben sich aus folgender Tabelle. Pneumonisches Sputum. V e r d ü n n t (10 T. Sputum + Vers.-Nr. 1 2 3 4 5

Dauer des Versuches

Geschwindigkeit des Luftstromes

1 bis 2 T. Wasser). Prüfungsmodus

Resultat

11/2 Stunden 10 mm pro Sek. subkutane Injektion (Maus) positiv negativ 8 11 II II II n ^ 1 1 1 1 II I I n » positiv n u f 11 n 6 II II !! II n 11 Unverdünnt.

1 2 3 4 5 6 7

2 Stunden n

))

10 mm pro Sek. subkutane Injektion (Maus) negativ 10 „ II II n positiv 10 „ "I 10 „ negativ II J! 12 „ ii II II 12 ii II 1 1 1M » 11 D 11 11 12 „ Phthisisches Sputum.

V e r d ü n n t (10 T. Sputum +

1 bis 2 T. Wasser).

Vera.-Nr.

Dauer des Versuches

Geschwindigkeit des Luftstromes

Prüfungsmodus

Resultat

1 2 3 4 5

1 Stunde n 55 5) >1

10 mm pro Sek. 9 ), » f i) » 6 11 II 6 II ii

mikroskopisch

positiv ii ii ii ii

»

ii ii ii

Unverdünnt. 1 2 3

2 Stunden 2 „ 4 „

14 mm pro Sek. mikroskopisch intraper. Inj. bei Meerschw. 12 » II mikroskopisch 3 II II

positiv 11 11

Nach dem Ausfall dieser Versuche war es kaum mehr zweifelhaft, daß a u c h m u c i n r e i c h e E x k r e t e durch die intensive Zerlegung und Verspritzung, welche dieselben beim Husten und Niesen

76

und bis zu einem gewissen Grade schon beim Sprechen erfahren, in Form feinster Tröpfchen in die Luft übergeführt werden, und daß also dieser Infektionsmodus unter natürlichen Verhältnissen bei vielen Krankheiten eine Rolle spielt. Als solche Krankheiten kommen vermutlich alle in Betracht, bei welchen die Erreger gelegentlich auf der Schleimhaut des Mundes, des Rachens und Nasenraums, des Kehlkopfes und der Bronchien sich befinden; ganz besonders diejenigen Krankheiten, bei welchen reichliches Husten und Niesen ein fortgesetztes Verstreuen von Tröpfchen bewirkt, und wo reichliches, die Erreger enthaltendes Exkret geliefert wird. Die Gefahr dieses Infektionsmodus wird somit am größten sein bei I n f l u e n z a und anderen ansteckenden k a t a r r h a l i s c h e n A f f e k t i o n e n der Nase, des K e h l k o p f e s und der B r o n c h i e n ; ferner bei M a s e r n und K e u c h h u s t e n im Anfangsstadium; ferner bei P h t h i s e ; bei kont a g i ö s e r P n e u m o n i e ; bei P e s t p n e u m o n i e ; bei D i p h t h e r i e (namentlich nach Intubation); bei L e p r a und P o c k e n . Zum vollgültigen Beweise dafür, daß bei solchen Krankheiten die natürlichen Exkrete auch wirklich beim Husten, Niesen usw. so verspritzt werden, wie ich durch meine Versuche nachgewiesen hatte, war es indes noch wünschenswert, an Kranken selbst einige Experimente vorzunehmen und unter voller Beibehaltung natürlicher Verhältnisse den Nachweis der infektiösen Tröpfchen zu führen. Von Patienten, die an einer der oben aufgezählten Krankheiten litten, standen mir nur P h t h i s i k e r zur Verfügung. Dieselben sind offenbar für solche Versuche nicht gerade das günstigste Material. Die Ausscheidung der Bazillen ist meist zu ungleichmäßig, der Husten tritt mehr periodisch und am stärksten zu Zeiten auf, wo die Verwendung zu Experimenten nicht tunlich ist. Auch waren selbstverständlich alle vorgeschrittenen Stadien für meine Versuche ungeeignet. In Fällen von Influenza, von leprösen Affektionen der Nase und des Mundes, bei intubierten Diphtheriekranken liegen die Verhältnisse für ein positives Ergebnis solcher Versuche gewiß günstiger. C. Versuche über Verspritzung infektiöser Tröpfchen beim Husten der Phthisiker. Ehe ich meine eigentlichen Versuche mit Phthisikern begann, vergewisserte ich mich darüber, daß ihr Mundsekret zeitweise Tuberkelbazillen enthielt. Ich stelle mir nicht vor, daß von dem beim Hustenstoß ausgeworfenen, den Mund rauh passierenden

Verspritzung infektiöser Tröpfchen beim Husten

77

geballten Sputum leicht Tröpfchen abgelöst werden; bleibt aber ein Rest des Sputums, wie es sicher oft geschieht, in der Mundhöhle zurück, besteht dann, wie es gleichfalls sehr häufig ist, Hustenreiz noch längere Zeit fort und folgen nun zahlreiche Hustenstöße, die gar kein neues Sputum herauf befördern, dann muß die Gelegenheit für ein Yerspritzen besonders günstig sein. Ich habe 2U Phthisiker aus den verschiedensten Stadien in der Weise untersucht, daß ich während einer hustenfreien Zeit die Schleimhaut der Wange und des weichen Gaumens mit einem kleinen Wattetupfer abwischte und den Abstrich mikroskopisch untersuchte. U n t e r 20 P h t h i s i k e r n h a t t e n 9 T u b e r k e l b a z i l l e n in i h r e m M u n d s e k r e t , meist in großer, zuweilen in geradezu enormer Menge. Zunächst versuchte ich dann, den Nachweis verspritzter tuberkelbazillenhaltiger Tröpfchen einfach dadurch zu erbringen, daß ich vor den Patienten in Kopfhöhe und in 1 / 2 bis 1 m Entfernung Objektträger hinlegte und diese nach einer Versuchsdauer von 1 bis 11 /, Stunden in der üblichen Weise färbte und auf Tuberkelbazillen untersuchte. Leider mußte ich aus äußeren Gründen mich auf ambulante, also in nicht vorgeschrittenen Stadien befindliche Kranke beschränken, und bei diesen war ich wiederum auf Tageszeiten angewiesen, wo sie sehr wenig husteten. Manche Patienten husteten während des Versuches ü b e r h a u p t n i c h t ; andere hatten nur ein leichtes Hüsteln, bei dem kein Verspritzen zu erwarten war. Dennoch wurden bei 4 von 21 K r a n k e n r e i c h l i c h e T u b e r k e l b a z i l l e n g e f u n d e n . Offenbar müssen solche Versuche systematischer mit richtigerer Auswahl des Krankenmaterials und der Tageszeit und womöglich in einem Krankenhause angestellt werden. Die spezielle Bearbeitung dieses Teiles des Themas hat Herr Dr. HEYMANN übernommen (s. die folgende Abhandlung). Mir lag besonders noch daran, bei einzelnen Patienten, für welche ich in den Objektträgerversuchen ein Verspritzen nachgewiesen hatte, den neuen Modus der Infektion auch durch T i e r v e r s u c h e in einwandfreier Weise zu erhärten, und dabei namentlich j e d e a n d e r e A r t der Luftinfektion mit vollster Sicherheit a u s z u schließen. Ich stellte daher zunächst folgenden Versuch an: Der mehrfach erwähnte Glaskasten wurde gründlich desinfiziert. In diesen trat der Patient ein, nachdem er einen vorher desinfizierten langen Laboratoriumsmantel angezogen, seine Stiefel mit Gummischuhen vertauscht, auch Gesicht und Hände mit Sublimatlösung desinfiziert hatte. Es sollte auf diese Weise dem Einwand begegnet werden,

78

Paul

Laschtschenko

daß die Luft durch irgendwelche an Kleidern usw. a n g e t r o c k n e t e und verstäubte Sputumreste infiziert sei. In dem Kasten waren 5 Petrischalen, jede mit etwas Kochsalzlösung gefüllt, aufgestellt, teils in Kopfhöhe, teils in den obersten Ecken des Kastens in 90 bis 170 cm Entfernung vom Hustenden; später wurden statt der Schalen Porzellanteller exponiert, und zwar nur oberhalb Kopfhöhe. Der Patient blieb, ruhig auf einem Stuhle sitzend, 1 bis l 1 ^ Stunden im Apparat (eine längere Ausdehnung des Versuches wurde dem Patienten lästig). Während dieser Zeit hustete der Patient häufig, teils infolge des vorhandenen Hustenreizes, teils absichtlich infolge meiner Aufforderung. Die Hustenstöße waren jedoch nicht heftiger als gewöhnlich. Nach Beendigung des Versuches wurde der Inhalt der Schalen, bzw. Teller gesammelt und einem oder zwei Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Die Resultate ergeben sich aus folgender Tabelle: VersuchsNr.

Dauer des Versuches

1

1 Stunde

2 3 4 5 6 7 8 9

IV2 Standen 17, „ 1'/, „ l'/a ,, 2 17» „ l 1 /. 17. „

Prüfungsmodus

Resultat

intraperitoneale Injektion bei Meerschweinchen » J1 Ii i> >> J» >) II >5 JT »J JI

positiv negativ positiv negativ V

Ii

>>

!>

n

)!

-I

positiv

Von 9 Versuchen waren somit 4 p o s i t i v verlaufen, d. h. die betreffenden Meerschweinchen gingen nach 6 bis 8 "Wochen an ausgesprochener Tuberkulose ein. D e r Beweis d a f ü r , daß der P h t h i s i k e r die i h n u m g e b e n d e L u f t d u r c h die H u s t e n s t ö ß e mit T r ö p f c h e n f l ü s s i g e n S p u t u m s e r f ü l l e n k a n n , welche l e b e n d e u n d v i r u l e n t e T u b e r k e l b a z i l l e n e n t h a l t e n , ist also in e i n w a n d f r e i e r Weise und i n s b e s o n d e r e u n t e r A u s s c h l u ß jeder Beteiligung trockener Sputumteilchen erbracht. Es liegt nahe, daran zu denken, ob man nicht durch einen Ventilationsstrom, den man durch eine Waschflasche leitet, und durch Übertragung der Waschflüssigkeit auf Versuchstiere in noch empfindlicherer Weise den Nachweis dieser Luftinfektion führen kann. Ich habe auch solche Versuche angestellt, aber ich möchte nicht

Verspritzung

infektiöser

Tröpfchen beim

Husten

79

empfehlen, dieselben zu wiederholen oder großen Wert darauf zu legen. Das Quantum Luft, das man durch die Waschflaschen hindurch aspirieren kann, ist immer nur ein relativ kleiner Bruchteil der großen für eine ungestörte Atmung des Menschen erforderlichen Luftmasse; will man mehr Luft durch die Waschflasche leiten, so muß man dieselbe zu schnell durchtreten lassen, so daß die Zurückhaltung suspendierter Teile nicht mehr sicher erfolgt. Den ersten Versuch der Art stellte ich so an, daß ich mittels einer Wasserstrahlluftpumpe die Luft aus dem Glaskasten aussog; dieselbe strich außerhalb des Kastens zunächst durch Kochsalzlösung, dann durch Schwefelsäure, dann durch eine Gasuhr. Der Patient blieb 5 Stunden in dem Kasten, in welchem aber dieser lange Aufenthalt nur möglich war, wenn die Tür halb geöffnet blieb, so daß sich ein ausgiebiger Luftwechsel vollzog. Nach Ablauf der 5 Stunden war nur 1 cbm Luft in raschem Strome durch die Kochsalzlösung gegangen; letztere blieb, wie es kaum ander-s zu erwarten war, wirkungslos gegenüber Meerschweinchen. In weiteren Versuchen wurde die Aspiration mit einem Blasebalg bewirkt, der 0-6 cbm pro Stunde forderte. Ferner wurde die Schicht der Kochsalzlösung höher gewählt, das Gefäß für dieselbe aber mit einer Erweiterung versehen, die ein Überreißen verhinderte. Die Dauer des Aufenthaltes des Patienten im Kasten betrug 4 bis 5 Stunden. Eesultate negativ. Die Aspiration wurde in zwei ferneren Versuchen so gesteigert, daß pro Stunde 2 cbm Luft die Waschflüssigkeit passierten. Der Patient blieb zunächst etwa 1 Stunde im (nicht luftdicht) geschlossenen Kasten; dann hustete er noch während 4 Stunden durch eine Öffnung derjenigen Wand, welche der Wand mit der Aufsaugeöffnung gegenüber lag, in den Kasten hinein. Von diesen Versuchen fiel einer negativ aus; im zweiten wurden in dem Sediment der Waschflüssigkeit sechs zweifellose T u b e r k e l b a z i l l e n n a c h g e w i e s e n ; daneben fanden sich auch Mundepithelien und andere Bakterien. Endlich wurde der letzte Versuch 3 mal noch in der Weise modifiziert, daß mehrere Patienten hintereinander angehalten wurden, durch die erwähnte äußere Öffnung in den Kasten hineinzuhusten. Die Dauer jedes Versuches betrug insgesamt 5 Stunden. Die Kautelen gegen eine Beteiligung trockener Sputumteile waren wie früher, die Patienten mußten sich Bart, Gesicht, Hände usw. sorgfältig desinfizieren, und nachdem sie in einem anderen Zimmer ihre Kleider abgelegt hatten, einen desinfizierten Mantel anziehen. Der Nachweis der Tuberkelbazillen in der Waschflüssigkeit wurde nicht mikro-

80

Paul Laschtschenko: Verspritzung infektiöser Tröpfchen beim Husten

skopisch, sondern mittels intraperitonealer Infektion von Meerschweinchen geführt — einer Methode, die manchmal vielleicht schwieriger zu positiven Resultaten führt, als die mikroskopische Untersuchung, weil unter den mikroskopisch nachweisbaren Tuberkelbazillen viele abgestorben sind, die aber immerhin als Indikator für das Vorhandensein infektiöser Sputumteile angesehen werden können. Von drei Versuchen fielen zwei negativ aus. Im dritten g i n g e i n e s d e r zwei g e i m p f t e n T i e r e a n T u b e r k u l o s e i n f o l g e d e r i n t r a p e r i t o n e a l e n I n f e k t i o n z u g r u n d e . — Es läßt sich also auch in dieser Weise die Infektiosität der von Hustenstößen getroffenen Luft erweisen; aber es ist schwer, die erforderlichen Luftquantitäten in einer für die Untersuchung brauchbaren Weise zu sammeln. Gerade aus diesem Nachweis, daß in größerer Entfernung vom Hustenden erst große Luftquanta positive Ausschläge geben, ist der für die praktischen Verhältnisse ungemein beruhigende Schluß zu ziehen, daß die Luft um einen Phthisiker nicht etwa breiartig mit Tuberkelbazillen erfüllt ist, und daß nicht etwa jeder Atemzug genügt, um solche Bazillen zu inhalieren, sondern daß erst die Aufnahme größerer Luftmengen oder eine stärkere Beladung der Luft, wie sie in engen Räumen oder bei der Häufung zahlreicher Kranker vorkommen kann, die Chancen einer Infektion gewährt. Ist freilich ein Mensch dauernd in der Umgebung eines Phthisikers, atmet er hier täglich seine 9 cbm Luft ein, und stellen diese, wie es oft der Fall ist, einen erheblichen Bruchteil der gesamten in das Zimmer eintretenden Luft dar, so wird es an einer gelegentlichen Inhalation von Tuberkelbazillen wohl nicht fehlen. Um diese Verhältnisse noch weiter zu klären, bedarf es offenbar noch zahlreicher weiterer Untersuchungen. Ein Teil derselben ist im hiesigen Institut bereits von anderen Kollegen in Angriff genommen; zum Teil beabsichtige ich selbst noch die Untersuchungen fortzusetzen, insbesondere darüber, wie weit die individuell sehr verschiedene Art des Sprechens und des Hustens die Ausstreuung bakterienhaltiger Tröpfchen beeinflußt.

Bruno Heymann:

Die Ausstreuung

infekt. Tröpfchen durch Phthisiker

81

5. Über die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen beim Husten der Phthisiker.1 Von Dr. med. Bruno Heymann in Breslau (z. Z. Leiter der Wutschutzabteilung des hyg. Instituts). Obschon die nachstehend mitgeteilten Untersuchungen der Herren Kollegen STICHEB und BENINDE die bisher unbewiesenen Anschauungen über die Verbreitungsmöglichkeit lebenden tuberkulösen Materials durch angetrocknetes und verriebenes Sputum in positivem Sinne entschieden haben, so deuten sie andererseits doch auch mit Sicherheit darauf hin, daß von einer so erheblichen Bedeutung dieses Infektionsweges, wie COBNET und die Mehrzahl der anderen Autoren, ja fast die gesamte ärztliche Welt nach ihm angenommen hat, keine Rede sein kann. Um so mehr mußte es von Interesse sein, genauer zu prüfen, ob und inwieweit ein anderer Infektionsmodus in Rechnung zu ziehen sei, nämlich die Ausstreuung des Virus durch jene feinen Tröpfchen, die, wie FLÜGGE nachgewiesen hat, von jedem Menschen beim Sprechen, Husten und Niesen abgeschleudert werden und vermöge ihrer außerordentlichen Leichtigkeit imstande sind, längere Zeit in der Luft zu schweben und hierbei, ungeahnt schwachen Luftströmen folgend, Mikroorganismen in lebensfähigem Zustande weithin zu transportieren. Bindende Beweise für die wichtige Rolle, welche die beim Husten verspritzten Tröpfchen speziell bei der Verbreitung der Phthise spielen, wurden bereits durch Versuche Dr. LASCHTSCHENKOS mit Phthisikern erbracht. Diese Versuche, kurz berichtet in dem FLÜGGE sehen Aufsatz „Über die nächsten Aufgaben zur Erforschung der Verbreitungsweise der Phthise" (s. S. 47) und genauer mitgeteilt in der vorstehenden Arbeit LASCHTSCHENKOS, haben ergeben, „daß der hustende Phthisiker die umgebende. Luft mit feinsten tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen zu verunreinigen vermag, die eine Zeitlang in der Luft schweben und dort von anderen Menschen eingeatmet werden können". Immerhin waren noch eine ganze Anzahl Fragen, z. B. die Bedingungen der Verspritzung, die Häufigkeit ihres Vorkommens, die Morphologie der Tröpfchen u. a. m. offen geblieben, deren Beantwortung aus Mangel an Zeit und 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 30. 1899.

FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

6

82

Bruno Heymann

geeignetem Material Dr. LASCHTSCHENKO nicht möglich war. Die Fortsetzung der LASCHTSCHENKO sehen Versuche und ihre Ergänzung in der angegebenen Richtung wurde mir von Herrn Prof. F L Ü G G E übertragen.

Läßt man Phthisiker über Objektträger, die auf einem Tische in nicht allzu weiter Entfernung — etwa J / a m von der Mundöffnung — vor ihnen ausgelegt sind, u n g e z w u n g e n hinweghusten, so wird man fast stets nach mehr oder minder langer Zeit auf den Gläsern kleine Tröpfchen wahrnehmen, die nach kurzem antrocknen und dann fixiert und nach den üblichen Methoden gefärbt werden können. Die Reichlichkeit der Tröpfchenproduktion ist bei verschiedenen Patienten verschieden. Es gibt Patienten, deren Objektträger bereits nach wenigen Minuten mit Tröpfchen übersäet sind, so daß sie gruppenweise zu ganzen Lachen zusammenfließen, während andere selbst nach mehrstündiger Sitzung nur spärliche Tröpfchen auf den Objektträgern abgesetzt haben. Das Studium über die Ursachen dieser Verschiedenheiten und damit die feinere Methodik der Versuchsanordnung muß weiteren s y s t e m a t i s c h e n Untersuchungen an einem großen, der genaueren Beobachtung zugänglichen Krankenhausmaterial mit der Möglichkeit autoptischer Nachprüfung vorbehalten bleiben. Immerhin können wir nach unseren, an relativ wenigen Patienten gemachten Erfahrungen einige Momente herausgreifen, die uns für die Produktion der Tröpfchen nicht ohne Bedeutung zu sein scheinen: der Allgemeinzustand des Patienten,, die Intensität des Hustenreizes, der Sitz der Erkrankung, gewisse Tageszeiten, besondere gewohnheitsmäßige Eigentümlichkeiten in der Kopf und Mundhaltung beim Husten u. a. m. Wir werden späterhin, im Anschluß an die Schilderung der Tröpfchen, noch einmal darauf zurückkommen und vielleicht auch aus ihrer morphologischen Beschaffenheit einige Anhaltspunkte für diese Fragen gewinnen. Neben der individuellen Verschiedenheit in der Tröpfchenzahl bei v e r s c h i e d e n e n Patienten finden wir aber natürlich auch Differenzen auf den Objektträgern d e s s e l b e n Patienten, in dem Sinne, daß die entfernter liegenden Objektträger weniger Tröpfchen aufweisen als die näheren, eine Tatsache, die wohl am leichtesten daraus zu erklären ist, daß das beim Husten verspritzte Material.in einem Kegel seinen weiteren Weg nimmt, also in immer größerer Verdünnung, je weiter es sich von der Mundöffnung entfernt, und hierbei

Die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen durch Phthisiker

83

alle etwas schwereren Partikel zunächst auf den näheren Objektträgern abgesetzt werden. Die Form der Tröpfchen ist entweder schön kreisrund oder mehr oval ausgezogen. Größere sind häufig unregelmäßig gestaltet. Die ovalen Tröpfchen sind wahrscheinlich nichts anderes als ursprünglich runde, in denen sich die Proportionen der Durchmesser beim Aufprallen in der Flugrichtung unter der Einwirkung der treibenden Kraft verschoben haben. Die feinsten Tröpfchen zeigen fest ausnahmslos kreisrunde Form. Allein auch diese kreisrunden Scheiben geben uns kein rechtes Bild von der Gestalt des Tröpfchens während seines Fluges, insbesondere nicht von seiner Größe. Denn es ist klar, daß sich das Tröpfchen beim Aufschlagen und Antrocknen abplatten und damit einen größeren Durchmesser aufweisen wird, als beim freien Schweben durch die Luft. Jedoch können diese Unterschiede in der Tat nur äußerst geringe sein, da es sich an und für sich meist schon um minimale Werte handelt. Bestimmt man nämlich mit Hilfe eines Mikrometers den Durchmesser der Tröpfchen, so zeigt sich, daß derselbe bis auf 30 bis 40 jtt herabsinken kann. Es würde demnach der Rauminhalt eines solchen kleinsten Tröpfchens 14130 ¡t? •= 0-000014130 cmin betragen. Tröpfchen von so minimaler Beschaffenheit sind bei einiger Übung und intensiver Färbung noch eben mit bloßem Auge erkennbar. Von den auf den Objektträgern abgesetzten Tröpfchen sind nun niemals alle ohne Ausnahme bazillenhaltig. Durchmustert man eine große Anzahl Präparate bei verschiedenen Patienten, so kann man schließlich dazu kommen, sozusagen einen N o r m a l t y p u s d e s b a z i l l e n h a l t i g e n T r ö p f c h e n s aufzustellen. Dasselbe zeigt drei gesonderte, konzentrisch gelagerte Zonen: eine zentrale, eine darum gelagerte Zellschicht und eine fast zellenlose Mantelschicht. Die zentrale Zone besteht aus einem fädigen, zum Teil aus Fibrin, zumeist aus Schleim bestehendem Gerüst, in dessen Maschen sich zahlreiche Leukocyten, sowie Tuberkelbazillen in größerer oder geringerer Menge, manchmal zu ganzen Kolonien vereinigt, vorfinden. Die Schleimflocke, in welche solchergestalt die geformten Elemente eingebettet sind, ist häufig ein in sich geschlossenes Ganzes, oft aber auch eftie mehr aufgelockerte und nach der Peripherie hin Ausläufer aussendende Masse. Ganz vereinzelt glückte es auch, in ihr feine Bündel von elastischen Fasern darzustellen. Die Leukocyten sind in allen größeren Flocken wohlerhalten und tiefblau gefärbt. In den kleineren Flocken hingegen fällt häufig die bizarre Verzerrung ü*

84

Bruno

Heymann

der Kerne, ihre Verziehung manchmal zu langen Fäden mit undeutlicher Färbung und unsicherer Kontur auf. Die um den zentralen Kern gelagerte Schicht zeigt im wesentlichen große, dem Munde entstammende Plattenepithelzellen; in ihr finden sich meist nur wenige Bazillen, offenbar und häufig noch nachweisbar aus dein zentralen Kern abgesprengte und lose mit ihm zusammenhängende Elemente. Hierum lagert sich als dritte Schicht ein oft nur aus Schleim bestehender oder nur wenige Formelemente enthaltender Mantel. Derselbe zeigt oft eine auffallende Fältelung, deren Bedeutung ich an späterer Stelle besprechen werde. Mehrmals wurden, hauptsächlich in der zentralen Zone, amorphe, ja zum Teil kristallinische, bräunlich gefärbte Körnchen gefunden, wahrscheinlich Blutfarbstoff. Leider konnte bei dem geringen Material die TEICHMANN sehe Häminreaktion nicht ausgeführt werden. Endlich hätten wir als letzte Elemente der Tröpfchen noch andere Bakterien als die Tuberkelbazillen zu erwähnen. Wie bereits bemerkt, finden sich die letzteren hauptsächlich in der zentralen Flocke, besonders wenn dieselbe nicht zu sehr aufgelockert ist, während die anderen Bakterien, Staphylokokken, Streptokokken, Mundspirillen ,u. a. m., fast ausschließlich in den beiden peripheren Zonen, liegen. Von diesem Normaltypus — Typus I — kann man ungezwungen zwei andere ableiten, die durch Uberwiegen .des einen oder anderen Bestandteiles entstanden gedacht werden können. Zunächst finden sich Tröpfchen, die lediglich oder fast ganz aus einer Schleimflocke der oben beschriebenen Art bestehen. Diese, übrigens relativ seltenen Tröpfchen — nennen wir sie Tröpfchen vom Typus I I — sind auf Bazillengehalt stets dringend verdächtig; sie sind fast stets Bazillenträger und manchmal von ihnen geradezu übersät. So kamen z. B. in einem ca. 500 fi großen Tröpfchen über 200 Bazillen zur Beobachtung, von denen natürlich viele bis dicht an die Peripherie heranreichten. Diese Tröpfchen sind, wie erwähnt, nur von einem ganz geringen Schleimmantel (mit nur sehr spärlichen Epithelzellen) umgeben (Fig. 6). Sie stellen offenbar das Ausgangsmaterial dar, das direkt von dem Erkrankungsherde aus abgeschleudert wurde und fast ohne Aufenthalt in der Mundhöhle nach außen gelangte. Es ist leicht vorzustellen, daß g r ö b e r e Partikel dieses Materials oft erst noch längere Zeit in der Mundhöhle verbleiben, bevor sie ausgehustet werden.. Hierbei wird durch die Bewegungen der Zunge

Die Ausstreuung infektiöser

Tröpfehen durch Phthisiker

85

beim Sprechen und Genießen von Speisen oder wenn der Husten noch anhält und sich oft wiederholt, eine ausgiebige Hin- und Herbewegung der Partikel und dadurch eine Zerkleinerung und feinere Verteilung des Bazillenmateriales, sowie Umhüllung derselben mit den Formeiemeuten und dem Schleim des Mundes stattfinden, kurz, es werden die dreischichtigen Tröpfchen entstehen, die wir eingangs als Normaltypus geschildert haben. Aus dem Normaltypus wird ferner leicht ein dritter abzuleiten sein, der eine noch weitere Zerkleinerung voraussetzt. Derselbe wird durch Tröpfchen von meist sehr geringer Größe (Fig. 7) dargestellt, die fast nur aus Schleim bestehen und nur wenige Mundepithelien

Fig. 6. Größe 40 p. Gut erhaltene tiefblaue Leukocytenkerne. Sehleimflocke Typ. II. Bei a Tuberkelbazillen.

Fig. 7. Größe 52—60 Blasse, deform. Leukocytenkerne. Typ. III. Seitz Ok. 1, homog. Imm. >/i» (Vergr. 570). Bei a Tuberkelbazillen.

und Leukocyten enthalten. Letztere sind meist sehr undeutlich konturiert und auffallend blaß gefärbt, als wären sie durch längere Einwirkung seitens der Mundsekrete etwas „anverdaut". Tuberkelbazillen finden sich in ihnen oft gänzlich isoliert, oft zu 2 oder 3, und zwar sehr oft in der Peripherie. Man könnte nun annehmen, daß ein noch weiteres Verarbeiten letztgenannter Tröpfchen zu noch feineren Elementen führen müßte, die dann lediglich aus Schleim und einem Bazillus oder aus einer Zelle und einem Bazillus bestehen würden. Doch sind derartige feinste Partikel mit einer einzigen Ausnahme, in welcher der Zusammenhang mit einem in der Nähe liegenden größeren bazillenhaltigen Tröpfchen nicht sicher auszuschließen war, nie zu unserer

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Beobachtung gekommen. Der Grund hierfür ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß d e r Schleim, in dem die Bazillen eingehüllt sind, zu zäh für eine ^ o feine Verteilung ist. Denn bazillenlose Tröpfchen von der vorausgesetzten Struktur (nur Schleim und eine einzige Epithelzelle z. B.) findet man häufig genug vor. Allerdings ist dann der Schleim meist auch nicht so blau gefärbt, wie in den bazillenhaltigen Tröpfchen, sondern oft viel blasser, manchmal geradezu durchsichtig und mikroskopisch ohne besondere Belichtung nicht wahrnehmbar. Erwägt man die Bedeutung dieser drei Typen, so wird man nicht fehlgehen, anzunehmen, daß die jeweilige Struktur nicht unwesentlich für die Flugweite des betreffenden Tröpfchens sein wird, in dem Sinne, daß Tröpfchen gleicher Größe um so weiter fliegen werden, je weniger Formelemente sie in sich bergen, daß demnach die Tröpfchen des 3. Typus für eine Verbreitung der Bazillen in weitere Entfernung besonders geeignet sein werden. Diese Annahme bestätigt sich auch an den ausgelegten Objektträgern; denn wir konnten verschiedentlich mit großer Deutlichkeit konstatieren, daß der Typus I auf den näheren, der Typus I I I auf den entfernteren Objektträgern besonders häufig anzutreffen war. Dazu kommt, daß die stark schleimhaltigen Tröpfchen oft nicht Tröpfchen im eigentlichen Sinne, sondern nur luftgefüllte Bläschen zu sein scheinen. Es läßt sich nämlich konstatieren, daß manchmal die auf den Objektträgern sichtbaren, kreisrunden Scheiben im Zentrum eine mehr oder weniger runde, helle Stelle haben (Fig. 8). Der Rand derselben ist oft etwas dunkler gefärbt und zeigt hier und da Fältelungen und Einrisse. Erstere Fig. 8.

finden sich gleichzeitig oft auch an der Peripherie der Scheibe. Wie hat man sich dieses Bild zu erklären? Nehmen wir an, daß diese Gebilde als Bläschen den Mund verlassen haben und auf den ausgelegten Objektträger aufprallen: so wird sich zu dem enormen .Innendruck (mehrere Atmosphären!), der auf jeden Punkt der dünnen Schleimmembran wirkt, nun plötzlich noch repulsiv die lebendige Kraft gesellen, mit welcher der intensive Hustenstoß das Bläschen abschleuderte, und es sprengen. Hierbei wird, eine gleichmäßige Beschaffenheit der Membran vorausgesetzt, der Einriß vorzugsweise gegenüber der Aufschlagsstelle erfolgen, die Luft wird daraus entweichen, die dem Objektträger zugewandte Hälfte des Bläschens wird sich unter Fältelung der Peripherie dem Glase flach anlegen, während die andere eingerissene Hälfte über ihr zusammen-

Die Ausstreuung infektiöser Tröpfehen durch Phthisiker

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sinken wird, wie ein kreisrunder Ring auf einer kreisrunden Scheibe, und so wird schließlich das gefärbte Präparat einen wegen der doppelten Lage tiefer gefärbten Ring mit einem helleren mit radiären Einrissen versehenen Zentrum ergeben müssen. Zu dieser Erklärung paßt auch die Beobachtung, daß die schweren Elemente, wie Leukocyten und Bazillen, sich manchmal ringförmig um das hellere ausgesparte Feld gruppieren, wohl die Folge davon, daß sie bei der Explosion von der Rißstelle fortgeschleudert werden. Fernerhin spricht für diese Deutung, daß man in weiterer Entfernung von der MundöfFnung derartige „Ringtröpfchen" nicht mehr findet. Denn die treibende Kraft wird sehr bald so klein werden, daß die Membran erfolgreich Widerstand leistet. Dazu kommt, daß dieselbe durch Austrocknung fester, sowie daß das ganze Bläschen durch Luftdiffusion kleiner wird, — alles Momente, die den Einriß erschweren müssen. Ob zahlreiche verschleuderte Teilchen den Charakter von lufthaltigen Bläschen haben, ob die Bildung derselben durch gewisse Lippenbewegungen und Hustenstöße besonders befördert wird, oder ob auch unter anderen Verhältnissen mehr Bläschen als Tröpfchen gebildet werden, das muß vorläufig unentschieden bleiben. Die Bearbeitung dieser experimentell sehr subtilen, für die Praxis übrigens belanglosen Frage ist mit vielen Schwierigkeiten verknüpft. Außer den bazillenhaltigen Tröpfchen finden wir natürlich auch viel bazillenlose. Dieselben können jedem der drei Typen angehören. Immerhin ist bemerkenswert., daß nur selten ein größerer, in die oben beschriebene, fädige Schleimflocke eingelagerter kompakter Leukocytenhaufen bazillenfrei ist. Nur bei einem einzigen Patienten haben wir dies etwas öfter beobachtet, während hingegen ein anderer Patient, der wochenlang reichlich derartige bazillenhaltige Flocken verspritzt hatte, plötzlich fast völlig diese Bestandteile und damit auch fast ganz die Bazillen in den, im übrigen mit gewohnter Reichlichkeit verspritzten Tröpfchen vermissen ließ. Woraus man diese eigenartigen Verschiedenheiten bei einem und demselben Patienten ableiten kann, wollen wir später darzutun versuchen. Jedenfalls dürfen wir aus diesen Beobachtungen wohl den Schluß ziehen, daß das ursprünglich bazillenhaltige Material derartige Flocken sind, und sich daher bei der Durchsuchung überhusteter Objektträger die Aufmerksamkeit stets zunächst auf diese wird lenken müssen. Wovon wird nun die größere oder geringere Reichlichkeit 1. der Verspritzung an und für sich und 2. des b a z i l l e n h a l t i g e n Materials abhängen?

88 Zunächst wird eine wichtige Vorbedingung für eine etwas reichlichere Verspritzung eine größere Menge von Sputummaterial sein. Dasselbe setzt sich aus den von dem Krankheitsherd losgelösten Partikeln und den Produkten der Bronchial-, Tracheal-, Rachen- und Mundsekretion zusammen. Jedoch wird die Eeichlichkeit an sich noch nicht die Verspritzung zu begünstigen imstande sein; im Gegenteil wird dieselbe manchmal zur Expektoration in geschlossenen Ballen führen. Viel wichtiger ist jedenfalls das gegenseitige Mischungsverhältnis der einzelnen Bestandteile. Das Material muß eine bestimmte Konsistenz haben, deren Zähigkeit einen maximalen Grad nicht überschreiten darf. Nur relativ d ü n n f l ü s s i g e Sputa führen im allgemeinen zu einer reichlichen Verspritzung, eine Tatsache, die wir bisher bei a l l e n unseren Patienten beobachten konnten. Diese Konsistenz nun ist einmal abhängig von der Eigenart des Krankheitsprozesses, der ja bald zu mehr eitriger, bald zu mehr seröser Sekretion neigt. Zweitens darf man hierbei der Salivation wohl auch eine bedeutsame Rolle zuerteilen. Es gibt Patienten, die eigentlich an einer steten Hypersekretion von Speichel leiden, welche wahrscheinlich durch die Kieferbewegungen beim Husten, durch die Ansammlung von Sputum in der Mundhöhle, gewisse Geschmacksreize durch dasselbe u. a. ständig angeregt und unterhalten wird und vielleicht manchmal mit die Schuld an gewissen, bei Phthisikern nicht selten beobachteten Magenbeschwerden trägt. Abgesehen von diesen pathologisch bedingten Ursachen erhöhter Speichelsekretion gibt .es noch eine große Zahl Gelegenheitsursachen, wie der Genuß von Speisen, Sprechen, gewisse psychische Momente. Gleichzeitig werden die hierbei ausgeübten Bewegungen mit der Zunge, den Lippen und den Wangen geeignet sein, das Sputummaterial zu verarbeiten und zu zerkleinern, ein Punkt, auf den wir später noch besondere Rücksicht nehmen wollen. Daß hierbei auch überhängende Barthaare und Zahnlücken, nicht ohne Belang sein werden, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Mit der Produktion leicht verspritzbaren Materials ist aber die Möglichkeit reichlicherer Verspritzung nur zur Hälfte gegeben. Der andere Faktor wird dargestellt durch die Eigenart der treibenden Kräfte. Es muß an dieser Stelle betont werden, daß nach unseren Erfahrungen das bedeutungsvollste Moment für die Verspritzung in der I n t e n s i t ä t der H u s t e n s t ö ß e zu suchen ist. Nicht der schwere, durch lange Krankheitsdauer geschwächte und vielleicht unter Schmerzen hustende Patient wird seine entferntere Umgebung mit Krankheitskeimen gefährden — bei ihm wird vielmehr die Kontakt-

Die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen durch Phthisiker

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infektion eine bedeutsame Bolle spielen —, sondern gerade der nocli muskelstarke, dem ungewohnten Hustenreiz unbehindert nachgebende, seiner Umgebung vielleicht noch gänzlich unverdächtige Patient im ersten Stadium seiner Erkrankung. Angesichts dieser Tatsache werden die Gedanken unwillkürlich auf die erschreckende Verbreitung der Phthise innerhalb gewisser Fabrikbetriebe gelenkt, in denen die Arbeiter in schlecht ventilierten, mit reizendem Staub oder Gas erfüllten Räumen dicht nebeneinander oft schwerer, zu tiefer Inspiration nötigender Arbeit obliegen, und wo somit unserem Infektionsmodus Tür und Tor geöffnet sind. Neben der Stärke der Hustenstöße kommen für die Yerspritzung noch einige andere individuelle Eigentümlichkeiten beim Husten in Betracht, die sich nur schwer schildern lassen. Sie beruhen auf besonderen, gewohnheitsmäßigen Stellungen des Halses, des Kopfes, der Lippen usw. beim Husten. Wenn man Patienten beim Husten beobachtet, so nimmt jeder einzelne von ihnen immer wieder eine ganz bestimmte Stellung ein, und durchaus nicht jede disponiert zur Verspritzung des Sputums, sondern manche bricht z. B. die Gewalt des Hustenstoßes. Als besonders günstig für die Verspritzung beobachteten wir kurze, bellende Hustenstöße mit etwas gespitzten Lippen. Mit alledem haben wir jedoch erst eine Analyse der Verspritzungsbedingungen überhaupt zu geben versucht, Weit komplizierter werden die Verhältnisse offenbar noch liegen müssen, wenn es gleichzeitig zu einer reichlicheren Ausstreuung t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e n Materials kommen soll. Denn nach unseren Erfahrungen geht die Reichlichkeit der verspritzten Tröpfchen mit der Zahl der Tuberkelbazillen in ihnen durchaus nicht immer Hand in Hand; es gibt Phthisiker, die stark husten und massenhaft Tröpfchen schon nach wenigen Minuten auf den ausgelegten Objektträgern absetzen und trotzdem keine oder nur sehr wenige Bazillen mit abgeschleudert haben, während andere weit weniger reichlich verspritzen, dafür aber fast jedes Tröpfchen mit Bazillen beladen. Woraus sind diese Differenzen abzuleiten? Zunächst ist es wohl klar, daß ein bazillenreiches Sputum ceteris paribus eher zu einer ausgiebigen Verspritzung infektiösen Materials führen wird, als ein bazillenärmeres. Nun kennt aber die klinische Erfahrung von jeher (LICHTHEIM 1 ) eine Anzahl Erkrankungsformen 1 LICHTHEIM, Zur diagnostischen Verwertung der Tuberkelbazillen. schritte der Medizin. 1883.

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der Phthise, die durch besonders hohen Bazillengehalt im.Sputum ausgezeichnet sind, und diese werden es sein, auf die sich unser Verdacht bei Beurteilung der Gefährlichkeit eines Patienten für seine Umgebung vor allem richten wird. Wir wissen, daß nicht die ganz langsam verlaufende, chronische Phthise und noch viel weniger die akute Miliartuberkulose zu einer reichlichen Bazillenproduktion neigt, sondern vielmehr die mäßig schnell verlaufenden, bald remittierenden, bald exazerbierenden Destruktionsprozesse mit allmählicher Einschmelzung des Gewebes und Kavernenbildung. Bei diesen aber wird für unsere Frage die Lokalisation ganz besonders zu berücksichtigen sein. Je näher ein solcher, von lockeren, bröckligen Gewebsfetzen gebildeter Erkrankungsherd an einem größeren Bronchus liegt, je weiter er mit ihm kommuniziert, desto häufiger und leichter werden infektiöse Partikel ohne stärkere Umhüllung mit Schleim und Eiter in die Mundhöhle und von da durch Verspritzung nach außen gelangen können. Dementsprechend werden wir eine besondere Gefährlichkeit den Erkrankungen der oberen Luftwege einschließlich der Mundhöhle zuerkennen müssen. Allerdings müssen wir hierbei einschränkend bemerken, daß Kehlkopfkranke wegen des mangelhaften Stimmbandschlusses meist nur schwach husten und daher wenig verspritzen. Hingegen möchten wir nicht unterlassen, die große Bedeutung der tuberkulösen Affektionen des Nasenrachenraums und der Mundhöhle in dieser Hinsicht zu betonen, und hierbei auch an die von verschiedenen Autoreh (DUNCHUNSKI, 1 DMOCHOWSKI, 2 KRÜCKMANN 3 u. a.) festgestellte Häufigkeit der tuberkulösen Erkrankungen der Tonsillen und Zungenbalgdrüsen bei Phthisikern und an ihr konstantes Vorkommen bei Fütterungsversuchen mit tuberkulöser Milch (BAUMGABTEN4) erinnern. Allein auch die bazillenhaltigen Produkte der tieferen Partien werden, obschon sie häufig im Innern von großen Schleim- und Eiterballen in die Mundhöhle gelangen, oft genug verspritzt werden 1 DUNSCHUNSKI, Über die sekundären Erkrankungen der Tonsillen und Zungenbalgdrüsen bei Phthisikern. Gasetta lekaska. 1 8 8 9 . Nr. 1 5 . Eef. B A U M GABTEN s Jahresberichte. 1888. 8 DMOCHOWSKI, Über sekundäre Affektionen der Nasenraehenhöhle bei Phthisikern. (Aus dem patholog. Institut von Prof. BKODOWSKI in Warschau.) ZIEGLER S Beiträge. Bd. 1 6 . ® KRÜCKMANN, Über die Beziehungen der Tuberkulose der Halslymphdrüsen zu der der Tonsillen. (Aus dem pathol. Institut zu Rostock.) VIRCHOWS Archiv 1894. Bd. 138. 'S. 534. 4 BAUMGARTEN, Jahresberichte. 1 8 8 4 . Bemerkungen zu KRÜCKMANNS oben zitierter Arbeit: Über die Beziehungen der Tuberkulose usw. A. a. 0.

Die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen durch Phthisiker

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können, wenn sie in letzterer die notwendige Verarbeitung und Zerkleinerung erfahren. Diese aber erfolgt vor allem durch die Bewegungen der Zunge beim Sprechen und Husten und durch den Genuß von Speisen, ein Punkt, der zweifellos von Bedeutung ist. Denn wenn es auch richtig ist, daß die frühen Morgenstunden mit ihren erfahrungsgemäß häufigen und schweren Hustenparoxysmen besonders reichliche Verspritzungsperioden zeitigen werden, so sind darum die anderen Tageszeiten, besonders nach den Mahlzeiten, doch nicht zu vernachlässigen. Zu diesen Ursachen der Verarbeitung gröberer Sputumballen gesellen sich dann noch mancherlei individuelle Eigentümlichkeiten beim Husten und Expektorieren, die mit besonderen Lebensgewohnheiten zusammenhängen. So gibt es Patienten, die an Tabakkauen gewöhnt, die Sputumballen noch minutenlang im Munde herumwälzen, ja sogar mit den Zähnen zerbeißen, andere, die mit geschlossenen Lippen husten und das Sputum von nachfolgenden Hustenstößen geradezu schaumig peitschen lassen. Angesichts dieser vielfältigen und verwickelten Bedingungen der Verspritzung tuberkulösen Materials beim Husten könnte man nun leicht zu der Ansicht neigen, daß ihr Vorkommen nur ein seltenes sein werde. Das ist jedoch durchaus nicht der Fall. Von 35 P a t i e n t e n , die ich über Objektträger hatte hinweghusten lassen, h a t t e n 14, d. h. a l s o 4 0 P r o z . , t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e T r ö p f c h e n v e r s p r i t z t , davon etwa die Hälfte mit zum Teil erschreckender Reichlichkeit. Hierzu möchte ich noch bemerken, daß es sich dabei nicht etwa um besonders ausgesuchtes Patientenmaterial handelte, sondern daß ich absichtlich alle möglichen Formen der Phthise heranzog, selbst wenn sie mir für die Verspritzung weniger geeignet zu sein schienen. So waren Patienten dabei, die in der Tat gar nicht verspritzten; andere wieder verspritzten reichlich, hatten aber schon im Sputum so wenig Bazillen, daß ihr Vorkommen in den abgesetzten Tröpfchen von vornherein unwahrscheinlich sein mußte. Ferner wurde der größte Teil dieser Versuche zur Zeit sehr warmer und milder Witterung angestellt, während welcher die meisten Patienten weit weniger husten, und ein Patient, der kurz vorher bei kühlem, regnerischem Wetter sehr zahlreiche Bazillen verspritzt hatte, plötzlich mit dem Rückgänge seines starken Hustens nur bazillenfreie Tröpfchen lieferte. Ebensowenig wurde die Tageszeit berücksichtigt. Die meisten Versuche sind vormittags von 10 bis 12 oder nachmittags von 4 bis 6 Uhr angestellt, also keineswegs Zeiten besonders starken Hustens. Schließlich aber ist noch hervorzuheben,

92 daß die Patienten nicht im mindesten zum Husten animiert, sondern lediglich angewiesen wurden, falls sie husten müßten, dies in der Richtung der ausgelegten Gläschen zu tun. Wie wenig hierbei irgend ein Zwang oder eine Kontrolle ausgeübt wurde, beweist wohl am besten der Umstand, daß einmal ein Patient während der Sitzung einschlief. Wir sehen also, daß eine g r o ß e A n z a h l P h t h i s i k e r zum Teil f e i n s t e , t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e T r ö p f c h e n b e i m H u s t e n abschleudert.

Diese Tröpfchen können nun ein zwiefaches Schicksal haben. Entweder — dies wird besonders bei den gröberen Partikeln der Fall sein — senken sie sich sehr bald auf die Gegenstände der Umgebung herab, setzen sich auf ihnen fest und können vielleicht gelegentlich einmal, durch Kontakt oder durch grobe mechanische Gewalten von der Unterlage entfernt und als feine Stäubchen aufgewirbelt, zu neuen Infektionen Veranlassung geben, oder — und dies müssen wir besonders bei den feinsten Tröpfchen annehmen — sie werden noch längere Zeit in der Luft schweben und hierbei in den Inspirationsstrom eines anderen Menschen gelangen können. Es fragte sich daher weiterhin, ob diese Tröpfchen auf ihrem Fluge durch die Luft I n f e k t i o n e n h e r b e i f ü h r e n könnten, ob sie a t e m b a r wären. Wie bereits S. 54 erwähnt wurde, hatten TAPPEINEB und einige andere vergeblich versucht, Tiere durch Anatmen- bzw. Anhustenlassen zu infizieren, und später hatte WISSEMANN 1 — wohl ohne Kenntnis von diesen Vorarbeiten — in seiner Entgegnung an FLÜGGE den Vorschlag gemacht, „in einer Lungenheilanstalt (wo die Behandlung des Auswurfs eine sorgfältige ist) neben jeden Phthisiker ein Meerschweinchen in einen numerierten kleinen Drahtkäfig zu setzen und ständig in dessen Nähe zu belassen". Gewiß wäre ein derartiger Versuch „einfach, billig und der natürlichen Bedingung entsprechend"; allein „für die in Rede stehende Frage entscheidend", wie WISSEMANN meint, wäre er durchaus nicht. Denn die Möglichkeit der Inhalation t r o c k e n e r , sei es beim Husten abgeschleuderter oder im Taschentuche verriebener oder durch Kontakt verschleppter Sputumteilchen, wie es selbst bei großer Vorsicht 1 WISSEMANN, Über die nächsten Aufgaben zur Erforschung der Verbreitungsweise der Phthise. Deutsche med. Wochenschrift. 1897. Nr. 40 u. 51.

Die Ausstreuung

infektiöser

Tröpfchen durch Phthisiker

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vorkommen kann, muß bei einem wochenlängen Verbleib der Versuchstiere in dem Phthisikerzimmer doch wohl ohne weiteres zugegeben werden. Um auch diesem Einwand zu begegnen, verfuhr ich bei meinen Versuchen, Meerschweinchen durch direktes Anhusten von Phthisikern < infizieren zu lassen, folgendermaßen: Ich stellte meine sämtlichen Versuche in einem besonderen unbewohnten, von Phthisikern niemals betretenen großen Zimmer an, in dem die Aufrührung von Staub stets sorgfältig vermieden wurde. Sodann ließ ich einen Kasten aus starkem Eisenblech (35 cm hoch, 35 cm breit, 40 cm tief) anfertigen, dessen eine Wand an einem kreisrunden, in der Mitte gelegenen Ausschnitt ein 30 cm langes, 15 cm im Durchmesser haltendes Ansatzrohr trug. V e r s u c h I. In den Kasten wurden 6 Meerschweinchen gebracht und etwa 14 Tage lang je 1 */2 bis 2 Stunden von einem Phthisiker durch das Rohr hindurch angehustet. Der Boden des Kastens war mit Torfstreu bedeckt. In das Ansatzrohr wurden zur Kontrolle Objektträger gelegt. Dieselben wiesen oft nach kurzer Zeit bereits reichlich Tröpfchen auf, und zwar besonders im vorderen Teile des Rohres, während die mehr hinten gelegenen nur sehr feine Tröpfchen, manchmal makroskopisch überhaupt nicht mehr erkennen ließen. Mehrmals wurden auch Objektträger an den Innenflächen des Kastens angebracht. Dieselben zeigten weder makroskopisch, noch mikroskopisch jemals Tröpfchen. Die Phthisiker, welche für diese, wie für die anderen Versuche benutzt wurden, befanden sich sämtlich in Behandlung der inneren Abteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau, deren Leiter, Hrn. Primärarzt Prof. Dr. B U C H W A I D , sowie seinen Herren Assistenten ich für ihr freundliches Entgegenkommen auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank sage. War die Sitzung beendet, so wurde das Ansatzrohr vorsichtig seitlich verschoben, die Tiere herausgenommen und der ganze Kasten sogleich in strömendem Wasserdampf sterilisiert. Dies war dadurch sehr erleichtert, daß die dem Ansatzrohr gegenüberliegende Wand aus besonders festem Material hergestellt war und eine stundenlange Erhitzung mit mehreren Bunsenbrennern vertrug, während das Ansatzrohr wie ein Schornstein dem abströmenden Dampf durch eine enge Öffnung im Deckel den Abzug gewährte. Man brauchte also nur einige Liter Wasser in den Kasten zu gießen und mehrere Stunden zu erhitzen. Vor Beginn der neuen "Sitzung wurde der Wasserrest und die feuchte Torfstreu entfernt und der Kasten sorgfältig mit ganz sauberen Tüchern getrocknet. Die Tiere vertrugen den stundenlangen, durch Tage fortgesetzten Aufenthalt in dem Kasten sehr gut. Nur ein einziges starb schon 3 Tage nach Beginn des Versuches. Bei der Sektion zeigte sich eine enorme allgemeine Adipositas und fettige Degeneration aller Organe, einschließlich des Herzmuskels. Die übrigen 5 Tiere blieben sämtlich bis nach Beendigung des Versuches leben (s. das beigelegte Protokoll). Eines von ihnen starb leider bald nachher und bot bei der Sektion nichts Bemerkenswertes dar. Die 4 anderen starben nach ca. 4 Wochen sämtlich binnen 2 Tagen (vielleicht infolge des

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Transports bei plötzlich eingetretener, sehr kalter Witterüng). Sie hatten s ä m t l i c h g e s c h w o l l e n e B r o n c h i a l d r i i s e n , in denen b e i 2 T i e r e n T u b e r k e l b a z i l l e n n a c h w e i s b a r w a r e n . Da sich im Lungengewebe wie in den anderen Organen keinerlei ältere tuberkulöse Veränderungen vorfanden, und für die Annahme einer frischen Spontaninfektion nicht der mindeste Anhaltspunkt vorlag, so sind wir gewiß zu der Annahme berechtigt, -daß die Tiere durch die beim Husten abgeschleuderten Sputumpartikel infiziert wurden. Immerhin erschien es bei dieser Versuchsanordnung noch nicht genügend gesichert, daß nicht vielleicht doch in der Torfstreu oder im Kasteninnern oder am Pell der Tiere angetrocknetes und zerstäubtes Sputum die Infektion hervorgerufen habe. Auch erschien uns die Versuchsanordnung insofern ungünstig, als die Tiere eng aneinander geschmiegt in der Tiefe des Kastens saßen und den Hustenstößen oft gar nicht ausgesetzt waren. Aus diesen Gründen verfuhr ich nunmehr auf folgende Weise. Versuch II. Die Versuchstiere wurden nicht zusammen in einen großen, sondern jedes für sich in einen kleinen länglichen, allseitig verschließbaren Blechkasten gebracht, der an seiner schmalen Vorderwand einen kleinen runden Ausschnitt zur Aufnahme des Halses des Tieres hatte. Von demselben ragte also nur der Kopf heraus und konnte auf den Hustenden zu gerichtet werden. Das Kästchen wurde etwas erhöht und von der vorderen Kante abgerückt auf ein niederes Tischchen gestellt, an dem der Patient so Platz nahm, daß seine Knie die Vorderbeine des Tischchens und ein diese verbindendes Brett berührten. Vor dem Kästchen wurden bei jeder Sitzung Objektträger ausgelegt. Der Versuch wurde nun so arrangiert, daß von den 6 Versuchstieren immer 3 von 3 verschiedenen, in gehörigen Abständen nebeneinander sitzenden Patienten etwa l1/» bis 2 Stunden angehustet wurden. War diese Zeit vergangen, so wurde der Kopf der Tiere mit Sublimat sorgfältig abgewaschen, sodann aus der Halsöffnung befreit und die anderen 3 Tiere weitere l1/» bis 2 Stunden dem Versuche ausgesetzt. Diese im Grunde recht anstrengende Prozedur vertrugen die Tiere über Erwarten gut, wozu allerdings wohl wesentlich der Umstand beitrug, daß sie im Hospitale selbst der Obhut eines 'zuverlässigen und mit der Wartung von Tieren vertrauten Dieners übergeben werden konnten, und ihnen so täglich der Transport durch die Winterkälte vom Institut ins Hospital und wieder zurück erspart blieb. So hielten sich denn die Tiere alle ohne Ausnahme noch lange "nach Beendigung des Versuches am Leben und wurden, nach zeitigstens 8 Wochen, mit Chloroform oder Äther getötet. Obschon bei einigen die Bronchialdrüsen deutlich geschwollen waren, so gelang es doch bei k e i n e m e i n z i g e n , in ihnen Tuberkelbazillen oder andere mikroskopische oder makroskopische Zeichen tuberkulöser Erkrankung nachzuweisen. Dieses im Vergleiche zum ersten Versuche überraschend negative Resultat war wohl auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Einmal war das Patientenmaterial keineswegs besonders geeignet, stand aber leider — und damit hatten wir im Verlaufe der Arbeit noch öfters zu kämpfen — zu jener Zeit nicht anders zur Verfügung. Denn obschon sehr zahlreiche Phthisiker, wie wir oben

Die Ausstreuung infektiöser Tröpfchen durch Phthisiker

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gezeigt haben, tuberkelbazillenhaltige Tröpfchen beim Husten verspritzen, so sind für derartige Versuche doch nur verhältnismäßig wenige wirklich brauchbar. Vor allem nämlich darf der betreffende Patient noch in keinem zu schweren Stadium seiner Krankheit stehen, da er j a noch imstande sein muß, längere Zeit aufrecht außerhalb des Bettes zu sitzen. Andererseits muß er öfters husten und reichlich Sputum produzieren, was bei den leichteren Kranken oft nicht der Fall ist. Schließlich gehört zu diesen Versuchen auch ein gewisser Grad von persönlicher Willfährigkeit seitens der Patienten. Die zu diesem Versuche herangezogenen Patienten waren nun meist Phthisiker geringer Schwere mit schwachem Hustenreiz und mäßig reichlichem Sputum. Nur ein einziger von ihnen befand sich in einem vorgeschrittenen Stadium und verspritzte mäßig reichlich Bazillen, bekam aber nach den ersten Versuchstagen eine schwere Hämoptoe und konnte nicht mehr an dem Versuche teilnehmen. Eine weitere Erschwerung des Versuches kann man darin erblicken, daß das verspritzte Material nicht, wie in Versuch I , konzentriert wurde, sondern sich nach allen Seiten hin frei verteilen konnte, und damit die Chance, daß es in den Inspirationsstrom der Tiere geriet, entschieden vermindert war. Ferner mußte es als ein Mangel des Versuches betrachtet werden, daß die Entfernung des Hustenden von dem Versuchstiere nicht genügend fixiert, vielmehr der Willkür des Patienten ein ziemlich weiter Spielraum gelassen war. Endlich aber wurde gelegentlich auch beobachtet, daß die drei Patienten, die Stunden lang sich selbst überlassen allein in dem Zimmer eingeschlossen waren, allerlei Allotria, selbst mit den Tieren, trieben, anstatt ihre Aufmerksamkeit dem Versuche zuzuwenden. Demzufolge wurde ein neuer Versuch III in folgender Weise angestellt: Zunächst fanden wir unter einer größeren Anzahl von Patienten einen gut geeigneten, der demnächst fast ausschließlich zu diesem Versuche herangezogen wurde. Derselbe verspritzte reichlich Bazillen und war auch im übrigen fähig und willig zum Versuche. Weiterhin ergab sich als einfache Konsequenz der beiden ersten Versuche eine Kombination derart, daß das Tier innerhalb seines kleinen Kastens so in den großen gestellt wurde, daß sein Kopf in dem kreisförmigen Ausschnitte sichtbar war, jedoch nicht in das (gegen Versuch I um 10 cm verkürzte) Rohr selbst hineinragte. Auf diese Weise trat eine Konzentration des verspritzten Materials ein, wie sich auch an den ausgelegten Objektträgern zeigte. Außerdem war der Patient angewiesen, beim Husten sein Gesicht bis dicht an die Rohröffnung heranzubringen , hatte also stets denselben Abstand von 20 cm von dem Tiere. Zu dem Versuche wurden zwei Meerschweinchen benutzt, die abwechselnd jeden 2. Tag etwa 3 Stunden angehustet wurden. Der Patient befand sich allein im Zimmer. Beide Tiere wurden 8 W o c h e n nach Beendigung des Versuches mit Chloroform getötet. Bei der Sektion fanden sich bei dem einen ges c h w o l l e n e B r o n c h i a l d r ü s e n ohne Bazillenbefund, bei dem anderen hingegen ein g r o ß e s , v e r k ä s t e s B r o n c h i a l d r ü s e n p a k - e t m i t m a s s e n h a f t e n T u b e r k e l b a z i l l e n , t y p i s c h e L u n g e n t u b e r k u l o s e und zahlreiche kleine tuberkulöse Knötchen im Netz und dem Mesenterium.

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Der einzige Mangel, der diesem Versuche anhaftete, war die Kleinheit des jedesmal zur Verwendung kommenden Tiermaterials. Es wurde daher in V e r s u c h IV und V eine Wiederholung in genau derselben Weise vorgenommen. Nur wurden, um allen Einwänden zu begegnen, außerhalb der Versuchszeit, im Versuchszimmer noch zwei Kontrolltiere zum Beweis dafür aufgestellt, daß der Zimmerstaub keine Infektion hervorzurufen imstande wäre. Leider erkrankten die beiden Tiere des Versuches IV wenige Tage nach Beginn des Versuches an akuten Verdauungsstörungen. Eines von ihnen starb und zeigte bei der Sektion einen schweren Magendarmkatarrh mit zahlreichen Blutungen, während sich das andere langsam wieder erholte und nach einigen Wochen zusammen mit den beiden Tieren des Versuches VI nochmals den Versuch aufnehmen konnte. Von diesen drei Tieren hatte nur e i n e s , zum Versuch V gehöriges, bei der Sektion, die ca. 6 Wochen später nach Tötung mit Chloroform erfolgte, eine erbsengroße, m i t b r ö c k l i g e m K ä s e g e f ü l l t e B r o n c h i a l d r ü s e . Obschon es nicht glückte, wohlerhaltene Tuberkelbazillen in Ausstrich- oder in Schnittpräparaten nachzuweisen, so wiesen die letzteren doch so typische Tuberkel mit durchaus c h a r a k t e r i s t i s c h e n R i e s e n z e l l e n auf, daß auch von Seiten des hiesigen Prosektors die tuberkulöse Natur der Erkrankung mit völliger Sicherheit anerkannt wurde. Außerdem fanden sieh in den Biesenzellen schwach gefärbte, bröcklig zerfallene Stäbchen, wie sie auch von anderer Seite in Riesenzellen beschrieben sind. Die beiden Kontrolltiere wurden nach ca. 10 Wochen getötet und wiesen keine pathologischen Veränderungen auf. Diese Erfolge ermutigten uns zu einer Wiederholung in größerem Maßstabe. V e r s u c h VI. Ein mittelgroßes Zimmer unseres Instituts wurde ausgeräumt, die Türen zu den Nebenräumen gut abgedichtet und hierauf auf einem 65 cm hohen Tischchen folgende Etagere aufgebaut: An zwei senkrechten eisernen Stativen wurden mittels starker Klemmen in einer Höhe von 20 und 50 cm über der Tischfläche zwei starke Pappdeckel von 30 cm Breite und 80 cm Länge horizontal angebracht, und auf dieselben je fünf Tiere in den kleinen Blechkästen mit Halsausschnitt, wie sie bereits bei den früheren Versuchen benutzt worden waren, im Halbkreise aufgestellt. Vor diese Etagere wurde ein großer, quadratischer Schirm von 25 cm Seitenlänge gebracht, der in seiner Mitte einen kreisrunden Ausschnitt von 20 cm Durchmesser trug. Der tiefste Punkt des Ausschnittes lag 30 cm über der Tischfläche, der höchste demnach in der Höhe der 2. Etage. Der Schirm selbst hatte einen horizontalen Abstand von 20 cm von dem vordersten Rande der Etagen. Diese Vorrichtung hatte den Zweck, die Entfernung des Patienten von den Tieren zu fixieren, ohne ihm beim Husten eine unbequeme Lage aufzuzwingen. Sie betrug für die nächststehenden Tiere 25, für die weitesten 45 cm von der Mundöffnung. Der Patient, an Phthise mittlerer Schwere leidend, der mäßig reichlich verspritzte, legte vor Beginn des Versuches seinen Rock ab und zog einen langen, desinfizierten Mantel an. Die Tiere verblieben während des ganzen Versuches in dem Zimmer.

Die Ausstreuung

infektiöser

Tröpfchen durch Phthisiker

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Außer den Versuchstieren waren in demselben Zimmer noch zwei Kontrolltiere untergebracht. Nachdem wir uns überzeugt hatten, daß sich auf ausgelegten Objektträgern noch an den äußersten Ecken selbst der 2. Etage, also in einer Entfernung von über 1/2 m f e i n s t e b a z i l l e n h a l t i g e T r ö p f c h e n abgesetzt hatten, wurde der Versuch begonnen, mußte aber leider nach einigen Tagen unterbrochen werden, weil die zur Kontrolle vor den Tieren ausgelegten Objektträger bewiesen, daß der Patient, wohl unter dem Einfluß außerordentlich milden Wetters, weit weniger wie früher hustete und nur sehr spärlich verspritzte. Erst nach Wochen, als ein Witterungswechsel eintrat, wurden die Versuche wieder aufgenommen; indessen verspritzte der Patient nie wieder so reichlich wie im Beginn des Versuches. Um so notwendiger erschien es uns, die Sitzungen möglichst oft zu wiederholen, zumal man den Tieren eine zu lange Sitzungsdauer niemals zumuten durfte und oft genug Pausen von einigen Tagen gemacht werden mußten. In denselben wurde das Zimmer öfters mit Formalindämpfen desinfiziert. Von den zehn Tieren starb eines schon nach vier Sitzungen ohne eruierbare Ursache, ferner ein zweites nach einigen Wochen wahrscheinlich an einer Magendarmerkrankung. Die Magenschleimhaut sah auffallend blaß und schlaff aus; der Mageninhalt war dünnflüssig, grünlich, etwas übelriechend. Auf der Darmschleimhaut fanden sich vereinzelte Blutungen. Ein drittes Tier starb spontan ca. 5 Wochen nach Beendigung des Versuches. Es war außerordentlich abgemagert, hatte ein schweres Ekzem am Bücken (eine Folge gegenseitigen Beißens) und zeigte bei der Sektion neben geschwollenen Inguinaldrüsen, Ascites, schlaffen und allgemein atrophischen Organen nur eine etwas auffallende feste Hyperämie der Lungen und geringe Schwellung der Bronchialdrüsen. Tuberkelbazillen konnten darin nicht gefunden werden. Ein viertes Tier hingegen, das ca. 2 Wochen nach Beendigung des Versuches starb, wies makroskopisch die t y p i s c h e n Z e i c h e n e i n e r t u b e r k u l ö s e n E r k r a n k u n g der Bronchialdrüsen und Lungen auf (s. Protokoll). Da jedoch in dem Käse der erkrankten Drüsen Tuberkelbazillen nicht nachgewiesen werden konnten, wurde derselbe in einem desinfizierten Mörser mit etwas steriler Bouillon verrieben, und mit der Emulsion zwei Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Dieselben wurden n a c h ca. 8 W o c h e n getötet und zeigten eine überaus schwere A b d o m i n a l t u b e r k u l o s e m i t s i c h e r e m Bazillenbefund. Die übrigen sechs Tiere blieben am Leben und wurden erst nach einigen Monaten getötet. Wie das Protokoll zeigt, fanden sich bei einer ganzen Anzahl von ihnen verdächtige Veränderungen an Bronchialdrüaen und im Lungengewebe, indes versagte meist der Nachweis von Tuberkelbazillen. Nur e i n m a l konnte mit Sicherheit die tuberkulöse Natur der Affektion durch den N a c h w e i s von T u b e r k e l b a z i l l e n erhärtet werden. Die oben erwähnten Kontrolltiere waren im vorliegenden Versuche leider nicht zu verwerten, weil, wie sich herausstellte, der Diener, der einige Male in unserer Abwesenheit den Versuch hatte aufstellen müssen, auch diese Kontrolltiere hatte anhusten lassen. Beide wurden nach ca. 2 Monaten, getötet. Das eine derselben bot bei der Sektion durchaus normalen Befund, das andere dagegen geschwollene und verkäste Lymphdrüsen mit Tuberkelbazillen. FLÜGGE, Tuberkulose

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liehen oder natürlichen Sputumtröpfchen ganz besonders geltend machen. Die Versuche wurden derart angestellt, daß tuberkelbazillenreiches Sputum durch 10 Minuten langes Schütteln vollständig homogenisiert, die homogene Flüssigkeit in den Buchneb sehen Zerstäubungsapparat gegossen und das Sprayrohr desselben durch eine Bohrung in der Wand des gut abgedichteten Glaskastens auf eine größere Reihe von PETKi-Schalen gerichtet wurde, die in einer gewissen, durch Prodigiosusversuche seitens des Herrn Dr. Matsuuba im hiesigen Institut als Optimum erkannten Entfernung von ca. 40 bis 60 cm auf einer Etagère offen aufgestellt waren. Nachdem mittels eines kräftigen Gebläses mindestens 1 Stunde lang ein intensiver Spray unterhalten war, wurde mehrere Stunden gewartet, dann mit Vorsicht der Kasten geöffnet und die Hälfte der Platten bei gewöhnlichem Tageslicht (nicht direkter Sonne), die andere Hälfte im Dunkeln bei gewöhnlicher Zimmertemperatur aufbewahrt. Nach gewisser Zeit (s. die Tabelle IV), bei einigen Versuchen zunächst täglich, wurde je eine belichtete und eine unbelichtete Platte mit steriler Bouillon begossen, mindestens 10 Minuten lang mittels steriler Federfahne abgerieben und die Flüssigkeit Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. In derselben Weise wurden Platten verarbeitet, die gelegentlich der Taschentuch- und Schwebedauerversuche von Patienten befristet worden waren. Wie die Tabelle IV zeigt, wurden im ganzen je sechs derartige Versuchsreihen mit künstlichen und natürlichen Sputumtröpfchen mit insgesamt 96 Platten angestellt und dieselben von 12 Stunden bis 90 Tagen aufbewahrt, obschon es fast selbstverständlich erschien, daß mit diesem Endtermin weit über das Ziel hinausgegangen sein würde. Diese Vermutung wurde durch die schließlichen Ergebnisse bestätigt; denn es zeigte sich, wie aus Tabelle IV ersichtlich, daß selbst die im Dunkeln aufbewahrten, natürlichen Tröpfchen nur. höchstens 18 Tage lang infektionstüchtige Tuberkelbazillen enthielten, während dies bei den belichteten nur 3 Tage lang der Fall war. Noch ungünstigere Bedingungen boten die k ü n s t l i c h e n Spraytröpfchen ihren Insassen; sie waren, in den vor Licht geschützten nur 7, in den ungeschützten sogar nur. 2 Tage lang nachweisbar. Aus alledem darf man den Schluß ziehen, daß die mit Sputumtröpfchen verschleuderten Tuberkelbazillen nur ein kurzes Leben fristen können. Nur in solchen Fällen, wie in Versuch.III, wo makroskopisch deutlich sichtbare, gröbere Partikel deponiert werden*

128

Bruno Heymann

besteht eine längere Widerstandsdauer. Derartige Partikel kommen für die f e r n e r e Umgebung des Patienten kaum in Betracht. Wohl aber senken sie sich' in seiner nächsten Nähe nieder und sind dann vom Standpunkte der Kontaktinfektion oder, falls stärkere mechanische Einwirkungen ihre trockene Loslösung von der Unterlage herbeiführen, vom Standpunkte der Staubinfektion zu berücksichtigen. Aber auch die feineren Elemente dürfen keineswegs im Vertrauen auf die soeben geschilderte Kurzlebigkeit der Tuberkelbazillen unbeachtet bleiben. Man muß sich nur vergegenwärtigen, daß man jedenfalls mit einer Lebensdauer von mehreren Tagen zu rechnen hat, und daß in dieser Zeit, bei einer oft monatelangen, starken Husten- und Ausstreuungsperiode, den kampfesuntauglich gewordenen Individuen sogleich stets neue, lebensfrische nachfolgen und ihre gelichteten Reihen ergänzen.

IV. Z u s a m m e n f a s s e n d e B e t r a c h t u n g ü b e r W e s e n u n d P r o p h y l a x e der T r ö p f c h e n i n f e k t i o n . Seit F L Ü G G E S erster Mitteilung über die Ausstreuung tuberkelbazillenhaltiger Tröpfchen beim Husten hat man vielfach versucht* die Gefahren, welche von dem neu entdeckten Infektionswege und der bis dahin ausschließlich gefürchteten Staubinfektion ausgehen, in ihrer gegenseitigen Größe abzuschätzen. Abgesehen davon, daß derartige Erwägungen unsere praktischen Maßnahmen nicht leiten dürfen, sondern wir, wie oft genug betont worden ist, „den Feind fassen müssen, wo er nur immer erscheint," selbst wenn er vielleicht in geringerer Menge und in leichter zu bekämpfender Weise auftritt,, will es mir auch scheinen, als wenn ein solcher Vergleich kaum durchführbar wäre. Bei den außerordentlich großen Verschiedenheiten, welche die beiden Infektionswege ihrem ganzen Wesen nach bieten, wird vielmehr je nach den gerade gegebenen Verhältnissen bald der eine, bald der andere im Vordergrund stehen. Die Produktion tuberkelbazillenhaltiger Tröpfchen kann, wie auch zahlreiche andere Autoren bestätigt haben, oft schon in der kurzen Zeit einer Versuchssitzung außerordentlich beträchtlich sein, und muß, wenn sie mit der gleichen Stärke tage- und monatelang besteht, die nähere und entferntere Umgebung des Patienten mit einer erheblichen Menge infektiösen Materials erfüllen. Daß derartig lange Perioden reichlicher Ausstreuung in der Tat vorkommen, haben wir mehrfach beobachten können. Meist allerdings erleidet die Menge

Verbreitung der Phthise durch ausgehustete Tröpfchen

129

der verschleuderten Tröpfchen durch Änderungen des Krankheitsprozesses u. dergl. Schwankungen. So habe ich einige Male gesehen, daß Patienten, die sonst sehr reichlich tuberkelbazillenhaltige Tröpfchen verspritzen, beim Eintritt warmen Wetters oder bei wesentlicher Verschlimmerung ihres Leidens fast plötzlich ihre gefährliche Eigentümlichkeit verloren. Auch im Laufe des Tages wechselt, wie auch M O E L L E R 1 beobachtete, die Reichlichkeit der Tröpfchenausstreuung. Demnach kann es nicht wunderbar erscheinen oder als wesentliche Einschränkung der Häufigkeit ihres Vorkommens angesehen werden, wenn bei einer Reihe in e i n m a l i g e n Sitzungen zu ungeeigneter Tageszeit geprüfter Patienten die Erscheinung nicht nachzuweisen ist. Wie ich bereits in meiner ersten Arbeit aussprach, glaube ich vielmehr auch jetzt noch daran festhalten zu können, daß wohl im Verlaufe j e d e r Phthise Phasen mehr oder weniger reichlicher Verspritzung eintreten, eine Anschauung, die von M O E L E R U. a. geteilt wird. Eine größere Gleichförmigkeit wie in der Menge herrscht offenbar im Bau und physikalischen Verhalten der ausgestreuten Tröpfchen; denn die Nachuntersuchungen anderer Autoren wie die eigenen neuen Versuche haben meine früheren Beobachtungen in allen wesentlichen Punkten bestätigt. Von ganz besonderer Bedeutung ist hierbei die übereinstimmende Angabe, daß die maximale Entfernung der Ausstreuung nur ausnahmsweise 1 m überschreitet. Desgleichen ist auch der zeitliche Aufenthalt der Tröpfchen in der Luft sowie ihre Ablenkbarkeit durch, den natürlichen Verhältnissen entsprechende, Luftströme eng begrenzt. Zwar ist der Nachweis schwebender Tröpfchen zweimal noch 1 / 2 Stunde nach den letzten Hustenstößen geglückt, und es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß gelegentlich längere Zeit schwebende Tröpfchen möglich sind. Diese gehören aber zweifellos stets zu den feinsten Elementen, und als solche gewähren sie wiederum, wie meine Versuche gezeigt haben, ihren spärlichen Insassen nur eine sehr kurze Zeit Existenzbedingungen, so daß spätere Infektionen durch dieselben vermutlich nicht zustande kommen können. Versuchen wir, uns aus alledem ein Bild von dem Umfang der Tröpfcheninfektion unter n a t ü r l i c h e n Verhältnissen zu machen, so ist nicht zu bezweifeln, daß sie vor allem für die n ä c h s t e Umgebung des Patienten eine überaus bedeutsame Rolle spielen wird. Durch direktes Anhusten ist eine unmittelbare Übertragung der 1

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FLÜGGE, Tuberkulose

H. Ziesché

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tuberkelbazillenhaltigen Elemente von Mund zu Mund bis auf eine Entfernung von 1 m durchaus möglich; und damit ist ein Infektionsweg erschlossen, welcher den Krankheitserregern die günstigsten Bedingungen zur Ansiedelung in einem neuen Organismus bietet und in dieser Hinsicht alle anderen natürlichen Infektionsmöglichkeiten weit überragt. Daß aber das praktische Leben sehr häufig derartige gefährliche Annäherungen mit sich bringt, bedarf kaum einer ausführlichen Erläuterung. Bei dem engen Zusammenleben von Eheleuten, von Mutter und Kind, besonders so lange es noch im zartesten Alter steht und oft stundenlang im Schöße oder auf dem Arme der Mutter deren Hustenstößen ausgesetzt ist, werden oft die günstigsten Bedingungen zur Einatmung ausgestreuter Tröpfchen gegeben sein. Aber auch bei Krankenwärtern, bei den gemeinsamen Arbeitern in Fabrikräumen, Werkstätten, Bureaus u. dergl. wird die häufige Wiederkehr oder die lange Dauer der Gefahr zur Infektion gesunder Menschen führen können.

7. Über die quantitativen Verhältnisse der Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker.1 Von Dr. med. H. Ziesché, z. Z. Assistent an der mediz. Klinik in Breslau. Die Möglichkeit einer Übertragung der Tuberkulose von Mensch zu Mensch h a t man vorzugsweise gefolgert aus dem Ergebnis von Versuchen an Tieren, die in ähnlicher Weise wie der Mensch für Tuberkulose empfänglich sind. Insbesondere konnten Meerschweinchen, die am meisten zu derartigen Versuchen verwendet worden sind, auf die verschiedenste Weise infiziert werden, durch direkte Einimpfung der Tuberkelbazillen, durch Fütterung und durch Aufnahme der Krankheitserreger in den Inspirationstraktus. Speziell Experimente mit der Inhalation von Sputum oder Kultur haben, von T Ä P P E I N E R ( 1 ) angefangen, eine große Anzahl von Forschern in der mannigfaltigsten Weise variiert, so daß kein Zweifel mehr darüber besteht, daß auch durch Einatmung der trocken oder feucht verstäubten Tuberkelbazillen die Erkrankung der Tiere zustande kommen kann. Die am Meerschweinchen gewonnenen Erfahrungen dürfen vermutlich mit der 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 57. 1907. S. 50—82.

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tuberkelbazillenhaltigen Elemente von Mund zu Mund bis auf eine Entfernung von 1 m durchaus möglich; und damit ist ein Infektionsweg erschlossen, welcher den Krankheitserregern die günstigsten Bedingungen zur Ansiedelung in einem neuen Organismus bietet und in dieser Hinsicht alle anderen natürlichen Infektionsmöglichkeiten weit überragt. Daß aber das praktische Leben sehr häufig derartige gefährliche Annäherungen mit sich bringt, bedarf kaum einer ausführlichen Erläuterung. Bei dem engen Zusammenleben von Eheleuten, von Mutter und Kind, besonders so lange es noch im zartesten Alter steht und oft stundenlang im Schöße oder auf dem Arme der Mutter deren Hustenstößen ausgesetzt ist, werden oft die günstigsten Bedingungen zur Einatmung ausgestreuter Tröpfchen gegeben sein. Aber auch bei Krankenwärtern, bei den gemeinsamen Arbeitern in Fabrikräumen, Werkstätten, Bureaus u. dergl. wird die häufige Wiederkehr oder die lange Dauer der Gefahr zur Infektion gesunder Menschen führen können.

7. Über die quantitativen Verhältnisse der Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker.1 Von Dr. med. H. Ziesché, z. Z. Assistent an der mediz. Klinik in Breslau. Die Möglichkeit einer Übertragung der Tuberkulose von Mensch zu Mensch h a t man vorzugsweise gefolgert aus dem Ergebnis von Versuchen an Tieren, die in ähnlicher Weise wie der Mensch für Tuberkulose empfänglich sind. Insbesondere konnten Meerschweinchen, die am meisten zu derartigen Versuchen verwendet worden sind, auf die verschiedenste Weise infiziert werden, durch direkte Einimpfung der Tuberkelbazillen, durch Fütterung und durch Aufnahme der Krankheitserreger in den Inspirationstraktus. Speziell Experimente mit der Inhalation von Sputum oder Kultur haben, von T Ä P P E I N E R ( 1 ) angefangen, eine große Anzahl von Forschern in der mannigfaltigsten Weise variiert, so daß kein Zweifel mehr darüber besteht, daß auch durch Einatmung der trocken oder feucht verstäubten Tuberkelbazillen die Erkrankung der Tiere zustande kommen kann. Die am Meerschweinchen gewonnenen Erfahrungen dürfen vermutlich mit der 1

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Über TröjrfchenausStreuung durch hustende Phthisiker

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nötigen Vorsicht auf den Menschen übertragen werden. Es ist anzunehmen, daß die Empfänglichkeit für Tuberkulose beim Menschen sicher nicht geringer ist, als beim Meerschweinchen. Während man nämlich nach den bekannten Zusammenstellungen der neuesten Zeit [ F R A N Z (2), N A E G E L I (3)] beim Menschen außerordentlich häufig Tuberkulose findet, ist spontane Tuberkulose beim Meerschweinchen nach dem übereinstimmenden Urteile aller erfahrenen Beobachter außerordentlich selten, so daß das Überwiegen der Tuberkulose beim Menschen kaum allein durch die größere Eespirationskapazität und durch die ausgedehntere Infektionsgelegenheit (Husten und Auswurf der Erkrankten) erklärt werden kann, sondern daß wohl auch die besonders verbreitete Empfänglichkeit eine Rolle dabei spielen muß. — Außerdem besitzen wir aber eine fast unübersehbare Kasuistik von Übertragungen von Mensch auf Mensch; einzelne dieser Fälle haben fast den Wert von Experimenten. Es erscheint daher kaum mehr notwendig, Beweise für die Übertragbarkeit der tuberkulösen Erkrankungen zu erbringen. Dagegen herrschen noch große Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise, in welcher diese Übertragung in der Mehrzahl der Fälle erfolgt. Eine kurze Übersicht der verschiedenen Möglichkeiten der Infektion zeigt uns, daß teils durch Wunden die Bazillen direkt in die Gewebe gelangen und lokale oder in seltensten Fällen auch allgemeine Tuberkulose verursachen können. Hierher gehören Infektionsversuche aus vorbakterieller Zeit von V I L L E M I N (4) und die Beobachtungen vieler anderer späterer Forscher, wie die von E D E L S BERG (5), HOLST (6), M E R K L E N (7), TSCHEB,NING (8) U. a. — Teils erfolgt zweifellos in einer Anzahl von Fällen die Infektion vom Darm aus durch Perlsuchtbazillen in Milch und Butter. Doch haben diese Infektionsarten anscheinend geringere Bedeutung für die n a t ü r l i c h e Verbreitung der w i c h t i g s t e n tuberkulösen Erkrankung, der L u n g e n p h t h i s e . Die verbreitetste Infektionsquelle ist hier offenbar das Sputum der Phthisiker, und Infektionen mit diesem können zunächst dadurch zustande kommen, daß K o n t a k t e die Übertragung von Sputumteilchen — feucht oder trocken — auf die Schleimhaut des Mundes oder der Nase Gesunder bewirken. Die Kontakte können sich dabei in der Weise vollziehen, daß die Bazillen mit Fingern oder Gebrauchsgegenständen direkt in den Mund gebracht werden, wie die Untersuchungen von VOLLAND (9), B A L D W I N (10), DIEUDONNF: (11) gezeigt haben. Bei Kindern spielt diese Art der Infektion sicher eine nicht zu unterschätzende Rolle, die durch Erziehung zur Rein9*

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Ziesche

lichkeit vielleicht erheblich eingeschränkt werden kann. Bei E r w a c h s e n e n hat dieser Ansteckungsmodus eine geringe Bedeutung denn auch bei weniger reinlichen Menschen, bei denen eine Berührung der Nasen- oder Mundschleimhaut mit schmutzigen Fingern öfters vorkommen mag, ist die Intensität des Kontaktes doch wohl zu gering und die Dauer der Berührung zu kurz, als daß — abgesehen von Ausnahmefällen — eine Ablösung der Keime von infizierten Fingern öfters zustande kommen könnte. Zweitens können die Tuberkelbazillen mit der eingeatmeten Luft in Mund und Rachen oder nach dem Verschlucken in den Darm gelangen und von da auf Lymphbahnen zur Lunge vorrücken. Drittens werden eingeatmete Tuberkelbazillen direkt bis in die feineren Bronchien aspiriert. Ob die eingeatmeten Tuberkelbazillen mehr Gefahr auf dem einen oder auf dem anderen Wege bedingen und welcher häufiger eingeschlagen wird, darüber müssen noch weitere Untersuchungen entscheiden. Hier ist zunächst nur daran festzuhalten, daß die tuberkelbazillenhaltige eingeatmete Luft Infektionen veranlassen kann. Dabei ist aber die Form noch genauer zu berücksichtigen, in welcher sich die Tuberkelbazillen in der Luft vorfinden. Einmal ist es b a z i l l e n h a l t i g e r f e i n s t e r S t a u b , der durch leichte Luftbewegungen in die Höhe und zum Schweben gebracht und so eingeatmet werden kann [CORNET ( 1 2 ) , TAPPEINEK (1)]. In die Staubform können die Bazillen übergeführt werden entweder durch Austrocknung und Verstäubung von sorglos auf den Fußboden ausgeworfenem Sputum oder durch feinste Fasern von Taschentüchern und Kleidern, die mit Sputum verunreinigt sind und die dann Gelegenheit gehabt haben, völlig auszutrocknen; oder durch präformierten feinsten Staub, der durch ausgehustete Sputumtröpfchen mit Tuberkelbazillen beladen ist. Zweitens finden sich die Tuberkelbazillen in der Luft in Form von feinsten Tröpfchen, die vom Phthisiker beim Husten verschleudert werden [ F L Ü G G E (13), LASCHTSCHENKO (18), HEYMANN (19)]. Es ist hygienisch nicht gleichgültig, ob die Luft häufiger und mehr Gefahr bietet durch infektiöse trockene Stäubchen oder Tröpfchen. In dieser Beziehung vertreten COKNET und F L Ü G G E mit seinen Schülern den entgegengesetzten Standpunkt. Daß auch trockener Sputumstaub infektionsfähig sein kann, hat F L Ü G G E nicht geleugnet, aber nach seiner Ansicht sind die positiv ausgefallenen Experimente unter solchen Bedingungen angestellt, daß sich aus ihnen kein Schluß auf die Häufigkeit dieses Infektionsmodus in praxi ziehen läßt.

Über Tröpfchenausstreuung

durch hustende Phthisiker

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Das Sputum war künstlich getrocknet, die in Verwendung gekommenen Sputummengen waren sehr groß; die Loslösung der Stäubchen wurde durch übertrieben kräftige Manipulationen bewirkt und zur Verbreitung der Stäubchen wurden Luftströme angewandt, wie sie in Wohnstuben gar nicht vorkommen. S T I C H E R ( 1 5 ) gelang es nur bei Luftströmungen von 1 m pro Sekunde, das gesetzte Ziel zu erreichen. Bei Strömungen von 10 bis 30 cm pro Sekunde, also Luftbewegungen, die noch lebhafte Zugempfindung hervorrufen, gelang es in keinem Falle mehr, bei den Versuchstieren Inhalationstuberkulose zu erzeugen. Im täglichen Leben hat nur das am Fußboden angetrocknete Sputum Aussicht durch kräftige Reibung losgelöst und des weiteren verstäubt zu werden. Bei dem gesteigerten Sinne für Reinlichkeit, der sich fortschreitend im öffentlichen Leben wie im Wohnhaus kundgibt und welche sicherlich zum Teil eine Folge der so populär gewordenen CORNET sehen Prophylaxebestrebungen ist, ist angetrocknetes Sputum nur verhältnismäßig selten an Stellen des Fußbodens zu finden, von wo es durch stärkere Kräfte, wie z. B. beim Gehen losgelöst werden könnte. Häufiger findet es sich an Kleidern und vor allem an Taschentüchern. Doch müssen, wie die experimentellen Untersuchungen gezeigt haben, diese völlig trocken sein, ehe eine Loslösung von Staubteilchen statthat; und in diesem Zustand kommt ein täglich benutztes und in normalen Abständen erneuertes Taschentuch selten. Die häufige Bildung feinster tuberkelhaltiger Tröpfchen beim Husten und die leichte Infizierbarkeit von Versuchstieren durch solche Tröpfchen ist dagegen von allen bestätigt, die nach F L Ü G G E experimentell über diese Frage gearbeitet haben. Auch CORNET ( 1 2 ) hat die Bedeutung der Tröpfcheninfektion nicht etwa auf Grund abweichender Versuchsergebnisse, sondern nur auf Grund einer völlig unrichtigen Berechnung angezweifelt, in welcher er die gesamten in einem Sputum enthaltenen Tuberkelbazillen ohne weiteres als auf feinste flugfähige Stäubchen verteilt in Ansatz bringt, während er selbst früher wiederholt betont hat, wie schwer sich Sputum in wirklich staubförmige Teilchen zerlegen läßt und wie selten dies unter natürlichen Verhältnissen möglich ist. — Die experimentellen Nachprüfungen von ENGELMANN ( 2 1 ) , F R A E N K E L ( 2 2 ) , M O E L L E R (23), K O E N I G E R ( 2 4 ) u. a. haben dagegen die Anschauungen der F L Ü G G E schen Schule durchaus bestätigt. Ihnen gesellen sich aus neuerer Zeit noch einige weitere, weniger bekannte Arbeiten hinzu, auf die ich hier hinweisen möchte. So teilt PETTERSON ( 1 6 ) mit, daß von

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H. Ziesche

10 Meerschweinchen, welche in einem mit Tuberkelbazillen enthaltenden Sputumstaub versetzten Käfig gehalten wurden, nur eins tuberkulös wurde; demgegenüber wurden alle 150 Meerschweinchen, welche PETTERSON Tuberkelbazillen enthaltende zerstäubte Flüssigkeitspartikelchen einatmen ließ, nach einem Monate tuberkulös, und mit einer Nährbodenplatte bekleidete und vor dem Munde Tuberkulöser befestigte Spiegelplatten wurden in 92 Prozent durch die lediglich beim Husten projizierten Partikelchen (23 unter 25 Fällen) mit Tüberkelbazillen verunreinigt. In einer früheren Versuchsreihe ließ derselbe Autor (44), um die F L Ü G G E sehe Tröpfchentheorie zu studieren, Patienten während des Hustens einen Spiegel, mit drei angehefteten Deckgläschen versehen, eine Fläche von 16 qcm bildend, in 10 bis 15 cm Entfernung vor den- Mund halten. 27 von 29 Versuchen fielen positiv aus. Nach einer Exposition von 1 bis 10 Tagen konnte PETTERSON bis 1000 Bazillen an der Fläche zählen. Mit den Tröpfchen, die während einer Exposition von 7 bis 14 Tagen an einer Glasscheibe von 17 :10 cm Größe haften geblieben waren, ließen sich Meerschweinchen durch Inhalation tuberkulös machen. Ferner versuchte SORGO (3'i) zu zeigen, wieviel gefährlicher für die Infektion die Tröpfchenverstreuung der Bazillen ist, als deren Niedersinken und späteres Aufwirbeln mit dem Staube. Ein Meerschweinchen erhielt einige Kubikzentimeter physiologischer Kochsalzlösung eingespritzt, welche eine tuberkulöse Patientin e i n i g e M i n u t e n angehustet hatte. Tod nach 8 Wochen an miliarer Abdominaltuberkulose. Ein zweites Tier wurde mit dem Staub der Tasche injiziert, in welchem dieselbe P e r s o n Taschentuch und Spuckglas zu tragen pflegte. Tod nach 5 Monaten unter so geringen Veränderungen, daß es sehr fraglich erschien, ob das Meerschweinchen überhaupt allein an einer Tuberkulose gestorben sei. „Es bedarf wohl eigentlich keines Beweises, daß eine Infektion von Mensch zu Mensch unter sonst gleichen Verhältnissen die gefahrbringendere sein muß, als ein Infektionsmodus, der die Möglichkeit einer bereits erfolgten hochgradigen Abschwächung, vielleicht sögar Abtötung durch Austrocknung, Belichtung, Einfluß von ungünstigen Temperaturen bietet." Auch BING (36) ist in einigen Untersuchungen über die Verunreinigung der Luft mit Tuberkelbazillen im Krankenzimmer der Phthisiker zu dem Ergebnis gekommen, daß die Infektion durch mit dem Staub aufgewirbelte Bazillen gegenüber der direkten Tröpfcheninfektion eine nur untergeordnete Bedeutung hat und bestätigt die Ergebnisse der Forschungen FLÜGGES und seiner Schüler.

Über Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker

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Außerdem sind in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen, die auf Grund statistischer Zusammenstellungen und praktischer Beobachtungen für die Lehre von der Tröpfcheninfektion eintreten. Erwähnt sei zunächst eine Statistik, die MOSNY (29) 1902 veröffentlicht hat und in der er sich mit Infektionen in der Familie beschäftigt. MOSNY findet, daß die Übertragung der Phthise von einem Ehegatten auf den anderen häufiger vorkommt, als die von den Eltern auf Kinder oder unter Geschwistern; es scheint also bei besonders naher Berührung, beim Schlafen in einem Bett, die Infektionsgefahr erhöht zu sein. Ferner weist er auf die zweifellosen Übertragungen hin. die in Hospitälern beobachtet sind (von 102 Krankenwärterinnen des Hotel Dieu zu Paris starben 82 an Tuberkulose). Alle diese Übertragungen, die um so häufiger auftreten, je intimer das Zusammenleben mit dem Phthisiker ist und je länger dieses dauert, führt MOSNY vorzugsweise auf die Tröpfcheninfektion zurück. In der von B E R N A R D - M O S N Y (39) verfaßten Monographie über die Tuberkulose heißt es: „ . . . La transmission directe par les gouttelettes bacillifères, que projecte le phthisique quand il tousse . . . nous donne l'explication de l'extrême fréquence de la contagion familiale et plus particulièrement de la contagion conjugale, les risques de contamination étant directement proportionels à la fréquence, à la durée, à l'intimité des contacts." Ferner hat H I L L I E R (33) an der Hand der Gesundheitsberichte der Stadt Manchester von 1902 die Wichtigkeit der Tröpfchenverstreuung für die Tuberkuloseverbreitung studiert. Die notwendigen Erhebungen und Untersuchungen wurden von. den beamteten Ärzten — médical officers of health — vorgenommen, so daß die Statistik das größte Vertrauen verdient. Die gewöhnlichste Quelle der Ansteckung ist ein schwindsüchtiger Verwandter; 330 Fälle von Tuberkuloseübertragung wurden untersucht. Mit Ausnahme von 23 Fällen wurde die Infektion s t e t s auf Husten und Sprechen eines anderen Phthisikers zurückgeführt. „The views, that infection by Tröpfchen infection is a more potent factor in spreading the disease than the infection which arises from desiccated and pulverized sputa, is supported to a considérable degree by this record of Manchester cases." Zwei Gründe scheinen H I L L I E R für die Bedeutung der Tröpfchen besonders zu sprechen. 1. „Die Bazillen in den kleinen Tröpfchen haben eine hohe Virulenz, denn sie kommen von ihrem natürlichen Nährboden und sind wahrscheinlich infektionstüchtiger als die im

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H. Ziesohe

Staube, die lange der Austrocknung und wohl auch dem Lichte ausgesetzt waren. 2. Wenn sich die Tröpfchen zu Boden setzen, so bilden sie allerfeinste Stäubchen, die außerordentlich schnell trocknen und daher sehr schnell wieder aufgenommen werden können." Die Bedeutung dieser letzterwähnten Tatsache hat neuerdings KIRSTEIN ( 3 1 ) experimentell dargetan. Endlich hat noch BOEG ( 3 5 ) in den ursprünglichen Verhältnissen der Färöer, in Dörfern, in welche die Tuberkulose erst frisch eingebrochen war, den Infektionswegen nachgeforscht. Die CoBNETsche Hypothese von der Wichtigkeit der Staubinfektion konnte er nur selten bestätigt finden. „Dagegen desto zahlreichere Fälle, die FLÜGGES Hypothese bestätigen, nämlich daß das frische und virulente, während des Hustens als feine Tropfen in die Luft verspritzte Expektorat der Phthisiker die gewöhnliche Ansteckungsursache sei. In nicht weniger als 262 von den 342 Fällen von Lungenphthisis hat sich nämlich Ansteckung der Art nachweisen lassen, also in 77 Prozent der Fälle."

Wenn somit auch für das Vorhandensein einer Infektionsverbreitung durch Tröpfchenverstreuung die erbrachten Beweise als vollauf genügend anerkannt werden müssen, so zeigt ihr Ring doch noch eine kleine Lücke. Bisher hatten sich alle Forscher vorzugsweise nur mit der Art der Tröpfchenbildung [KOENIGER ( 2 4 ) ] und Tröpfchenzerstreuung beschäftigt [HEYMANN (19)] und sich mit der Feststellung begnügt, daß gelegentlich hustende Phthisiker Tröpfchen in reichlicher Menge verstreuen, in denen Tuberkelbazillen vorhanden sind. Mit unseren wachsenden Kenntnissen über den quantitativen Gang der Infektion bei verschiedenen Krankheiten, hat aber auch die Frage nach der Z a h l der in dieser Weise ausgestreuten Erreger das größte Interesse gewonnen. Wir wissen jetzt, daß das endgültige Urteil über die Bedeutung des einzelnen Infektionsweges vorzugsweise von den Quantitätsverhältnissen der Infektionsgelegenheiten, in diesem Falle also von den in der Atmungsluft zeitweise vorhandenen Bazillen, abhängig ist. Erst quantitative Feststellungen vermögen uns ein richtiges Bild zu geben von der Gefahr, mit welcher speziell der Hustende und Tröpfchen verstreuende Phthisiker seine Umgebung bedroht. Daher habe ich in einer größeren Anzahl von Versuchen die Zahl der in b e s t i m m t e r Z e i t und im B e r e i c h eines b e s t i m m t e n R a u m e s ausgeworfenen Tröpfchen und Tuberkelbazillen bei hustenden Phthisikern zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten bestimmt.

Über Tröpfchenausstreuung

durch hustende

Phthisiker

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Die Methodik meiner Tröpfchenversuche war im großen der auch den früheren Versuchen zugrunde gelegten gleich; nur machte der Zweck der Experimente, quantitativ vergleichbare Werte zu erhalten, einige Abänderungen notwendig. Ambulante Phthisiker, bei denen Bazillen im Sputum gefunden waren, wurden angewiesen, während einer halben Stunde vorkommenden Falles und ohne jede Anstrengung auf eine 18 cm im Quadrat messende Glasplatte zu husten, die vertikal in einer Entfernung von 40 bis 80 cm vor ihnen in Mundhöhe aufgestellt bzw. aufgehängt war.1 Darauf wurde diese Glasplatte sorgfältig getrocknet, in Ätheralkohol fixiert und in toto nach der bekannten Weise gefärbt. Da bei der großen Ausdehnung der Glasplatte ein Erwärmen des zur Anwendung kommenden Karbolfuchsins nicht möglich war, so wurde sie durch längere Zeit, 6 bis 9 Stunden, in die kalte Farbe gelegt. Darauf folgte die Entfärbung und Gegenfärbung mit Korallinmethylenblau. Kontrollversuche hatten die Brauchbarkeit der Methode erwiesen. Nachher wurden die großen Platten in kleinere Stücke zerschnitten und mikroskopisch .untersucht. Die Unbequemlichkeiten, die das Arbeiten mit solchen großen Platten im Gefolge hatte, führten bald zu folgender Verbesserung der Methode: An Stelle der großen Platten traten zwölf Objektträger englischen Formates, die, in einen passenden Blechrahmen gespannt genau die gleiche Größe von 324 qcm hatten. Auch die Färbung konnte nunmehr nach der alten ZIEHL sehen Methode: Erhitzen in konzentriertem Karbolfuchsin, Entfärben in 5proz. Schwefelsäure und Nachfärben mit Methylenblau 1:5000 vorgenommen werden. Die Nachfärbung mit Korallinmethylenblau hatte sich weniger bewährt, weil sich leicht wolkige Niederschläge bildeten, welche die Übersicht außerordentlich erschwerten. Nach dieser Behandlung erscheinen die Objektträger auf weißer Unterlage rein durchsichtig, während sich die Tröpfchen, je nach ihrer Herkunft aus dem Munde oder tieferen Teilen, als schwach blaue, unbestimmt umgrenzte oder tief blaue Kreise mit scharfer Grenze darstellten. HEYMANN (19) hat in seiner ersten Arbeit eine Schilderung der 1 Das Auffangen der Tröpfchen mittels v e r t i k a l e r Platten ist unvollständig; nachweislich werden feinste Tröpfchen von diesen vielfach zurückgeschleudert und nicht fixiert. Das Auslegen horizontaler Platten war aber für meine Versuche noch weniger brauchbar, weil alsdann gleichmäßige Bedingungen zu schwer herzustellen sipd. Schließlich mußte ich den gleichmäßigeren vertikalen Platten den Vorzug geben, bei diesen aber vorkommendenfalls den nicht fixierten Anteil der Tröpfchen in Rechnung ziehen.

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Morphologie der Tröpfchen gegeben, der nur noch wenig hinzuzufügen ist. Er unterscheidet drei Typen von Tröpfchen; ein Normaltypus besteht aus drei Schichten, einem zentralen Kern aus Fibrin und Leukocyten, einem konzentrischen Kreise aus Mundepithelien gebildet und einem zweiten aus schwach gefärbtem Schleime mit wenig stärker gefärbten Fäden sich zusammensetzend. Davon abgeleitet findet sich eine zweite Art, die fast nur aus dem leukocytenreichen Kern, mit schmaler Schleimschicht besteht, und eine dritte, die nur aus Epithelien und Schleim sich zusammensetzt. Wenn man nur eine Einteilung auf Grund der Formelemente vornehmen und dabei vor Ausnahmen nicht zurückschrecken will, so ist diese Einteilung wohl genügend. Zieht man es indes vor, g e n e t i s c h die Entstehung der Tröpfchen zu verfolgen, so wird man eine andere Einteilung anwenden. Die für uns wichtigen Tropfen sind die zumeist bazillenhaltigen, welche dem HEYMANN sehen Typus I I entsprechen. Sie zeigen sich als kleine bis mittelgroße Tröpfchen von bald runder, bald ovaler Form. Sie enthalten keine Mundepithelien und fast nie Begleitbakterien, wie Streptokokken und Diplokokken, aber f a s t s t e t s Tuberkelbazillen in größerer oder kleinerer Anzahl. Häufig sind überraschend viele Bazillen in einem Tröpfchen zu zählen; in einem Falle fand ich Tröpfchen, die bei starker Vergrößerung — Zeiss Oc. 4, Olimmersion — 6, 14 und 17 Gesichtsfelder groß waren und 433, 373 und 587 Bazillen enthielten. Vermischen sich diese Tröpfchen, die direkt aus den Bronchien stammen und die ich daher im. folgenden als B r o n c h i a l t r ö p f c h e n bezeichnen werde, mit Speichel, und schlagen sie senkrecht auf die Unterlage auf, so entsteht der HEYMANN sehe Normaltypus, den ich auch, aber nur relativ selten, zu beobachten Gelegenheit hatte. Durch innigere Vermischung der Bronchialtröpfchen mit Speichel im Munde entsteht H E Y M A N N S Typus III. Diese letzten beiden Gruppen stelle ich als M u n d t r ö p f c h e n den reinen B r o n c h i a l t r ö p f c h e n gegenüber. Von der größten Wichtigkeit sind gerade diese B r o n c h i a l t r ö p f c h e n , die im Achsenstrome des Bronchus fortgerissen mit großer Geschwindigkeit und Kraft ohne jeglichen Aufenthalt im Munde in die Außenluft gelangen. Sie haben eine größere Propulsivkraft als die Mundtröpfchen, wie in einer Röhre mit strömender Flüssigkeit der Axialfaden eine größere Geschwindigkeit hat als die Randzonen. Man kann dies leicht demonstrieren; hat man einen gut verstreuenden Patienten, der indes infolge großen Speichelreichtums auch

Über Tröpfchenausstreuung durch hustende Phtkisiker

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viele Mundtröpfchen verbreitet, so braucht man nur die Entfernung der Vorlage vom Hustenden zu vergrößern. Die trägeren Mundtropfen, die infolge ihrer Größe auch schwerer sind, bleiben dann zurück und fallen zu Boden, während die Bronchialtröpfchen das Glas erreichen und nunmehr vorherrschen. Ein anderer Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liegt in der Verteilung der Tröpfchen dem Räume nach. Auf der vorgestellten Glasplatte findet man die Bronchialtröpfchen ziemlich regelmäßig im Zentrum des Verstreuungskreises, während die Mundtröpfchen sich an der Peripherie anhäufen. Natürlich wird durch Veränderung der Kopfhaltung und der Mundstellung dieses Verhalten oft verwischt. Die M u n d t r ö p f c h e n sind zum k l e i n s t e n T e i l e bazillenhaltig. Die bazillenhaltigen Tröpfchen entstehen, wenn Bronchialtröpfchen auf ihrem Wege durch den Mund sich mit Speichel vermischen und rasch beim nächsten Hustenstoße wieder herausgeschleudert werden. Die meisten Mundtröpfchen sind aber bazillenfrei und unschuldig; sie enthalten häufig andere Bakterien wie Streptokokken, Diplokokken, Mundstäbchen usw. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei der Propagation anderer Infektionskrankheiten wie der Streptokokken-Angina, der Diphtherie usw., bei denen man die Erreger zum Teil beständig und in großer Menge im Munde findet, Mundtröpfchen die Hauptrolle spielen. Bei der Phthise sind sie von untergeordneter Bedeutung. Daß auch im Speichel Tuberkulöser Tuberkelbazillen gelegentlich gefunden werden, hat schon LASCHTSCHENKO ( 1 8 ) nachgewiesen, und auch ich habe mich davon überzeugt, konnte sie aber viel seltener finden. Auch M O E L L E B (23) vermochte bei Patienten, die nicht kurz zuvor gehustet hatten, nur selten im reinen Mundspeichel Tuberkelbazillen nachzuweisen. Die geringe Infektiosität der Mundtröpfchen beruht außerdem darauf, daß die beim Husten verschleuderten Speicheltröpfchen relativ groß sind; sie fallen deshalb und wegen der nur geringen Propulsivkraft, die ihnen innewohnt, bald zu Boden. Die Tuberkelbazillen des Speichels stammen von den beim Auswerfen im Munde zurückbleibenden Sputumteilen. Zum größten Teile werden diese wieder verschluckt, oder beim nachträglichen Hüsteln und Räuspern noch herausgebracht. Die Auswaschung der Bazillen aus dem meist zähen Sputum geht anscheinend nur langsam und unvollkommen vonstatten.

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H.

ZiescM

Endlich findet man noch eine Tröpfchenform, die HEYMANN nicht erwähnt hat, nämlich die H a n t e l f o r m . Diese hat ihre theoretische Wichtigkeit für die Frage, ob die verstreuten Tröpfchen homogener Natur sind oder nicht. Wären sie durchaus homogen, so müßten sie im schiefen Aufprall ellipsoide Formen annehmen, wie das nach HEYMANNS Erfahrung auch hin und wieder vorkommt. Häufiger kommt es indes zur Bildung der Hantelformen, einem Oval, das durch einen mehr oder minder ausgezogenen Stiel mit einem zweiten Oval in Verbindung steht. Die Entstehung dieser Bildungen ist vermutlich dadurch zu erklären, daß viele Tröpfchen durch die Einschlüsse, die sie enthalten, inhomogen werden und daß nun beim Aufschlagen der schwerere Teil die Tendenz hat, sich weiter fortzubewegen, als der leichtere. Besonders geeignet zur Hantelformbildung sind die kleinen Bläschen mit inhomogener Wandung, die ja auch des öfteren zur Beobachtung kommen und schon von HEYMANN beschrieben worden sind. Die Mundtropfen, wie sie durch Sprechen entstehen und deren Genese KOENIGEH ( 2 4 ) so ausgezeichnet dargestellt hat, sind also relativ ungefährlich. Damit fällt der Einwand fort, der hin und wieder, besonders von Anstaltsärzten gemacht wurde, daß die Konsequenzen der Tröpfcheninfektion unmenschlich und somit vom medizinischen Standpunkt zu beanstanden seien. Die quantitativen Resultate meiner Untersuchung sind in der am Schluß befindlichen Tabelle I zusammengestellt. Ich habe im ganzen 30 Patienten (in insgesamt 62 Versuchen) untersucht, von denen 22 mit irgendwelchem bemerkenswerten Befund in der Tabelle registriert sind. Die große Mühe und der erhebliche Zeitaufwand, welchen die genaue Durchmusterung derartiger Präparate verlangt, machte es mir leider unmöglich, eine noch größere Anzahl von Kranken zu untersuchen. Versucht man solche Präparate länger als 3 Stunden hintereinander genau zu durchmustern, so übersieht man sicher eine große Anzahl von Bazillen. Üherhaupt sind alle gefundenen Bazillenzahlen M i n i m a l w e r t e . Es geht dies daraus hervor, daß bei w i e d e r h o l t vorgenommenen Kontrollzählungen schon früher gezählter Objektträger durch mich oder andere s t e t s m e h r Bazillen gefunden wurden. An manchen Stellen liegt auch der Leukocytenteppich so dicht, daß eine große Anzahl von Tuberkelbazillen unbemerkt und ungezählt bleibt. Ich glaube, daß man die registrierten Werte noch beträchtlich erhöhen müßte, um den wahren Gehalt an Tuberkelbazillen zu bekommen. Vielleicht hat auch die allmählich bessere Übung im Unter-

Über Tröpfehenausstreuung durch hustende Phthisiker

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suchen das bei den w i e d e r h o l t untersuchten Personen häufig zutage getretene Resultat beeinflußt, daß im zweiten Falle die Bazillen in einem höheren Prozentsatze und in größerer Menge gefunden wurden, als bei der ersten Untersuchung. Das von mir untersuchte Krankenmaterial entstammte in der Mehrzahl der Phthisikerabteilung des hiesigen s t ä d t i s c h e n W E N Z E L HANCKEschen K r a n k e n h a u s e s , dessen Leiter, Herrn Primärarzt Dr. D K E W I T Z , ich für sein liebenswürdiges Entgegenkommen zu größtem Danke verpflichtet bin. Auch Herr Sekundärarzt Dr. SCHELLSCHMIDT erleichterte mir in jeder Weise mein Vorgehen, wofür ich ihm bestens danke. Es wurden nur Patienten untersucht, die Tuberkelbazillen im Sputum hatten, doch wurde keine Rücksicht darauf genommen, ob dieselben zahlreich oder spärlich waren. Die Untersuchungen erstreckten sich über einen großen Teil des Jahres und fanden zu jeder Tageszeit statt, da ich mir auch über zeitliche Unterschiede in der Verstreuung der Bazillen ein Urteil bilden wollte. Von den 30 Personen, die zur Untersuchung kamen, verstreuten 12 = 40-0 Prozent Bazillen. Diese Zahl stimmt zufällig überraschend mit der von HEYMANN (20) 1899 gefundenen Quote überein, von dessen Versuchspersonen 40-0 Prozent Bazillen ausstreuten. Interessant ist der Vergleich der e i n m a l mit den ö f t e r s untersuchten Personen. Während bei den ersteren in 12-5 Prozent der Fälle Tuberkelbazillen durch Tröpfchen verbreitet wurden, betrug der Prozentsatz bei öfter untersuchten Personen 78-9 Prozent; es verstreuten also fast 4 / 5 aller m e h r m a l s untersuchten Personen bazillenhaltige Tröpfchen. Erwähnen möchte ich noch, daß ich in der ersten Zeit meiner Untersuchungen w e i t schlechtere Resultate hatte als später, und daß ich bei wiederholter Durchmusterung älterer Präparate auch da noch, zum Teil reichlich, Bazillen fand, wo ich zunächst einen negativen Befund notiert hatte. Es mahnt dies zur Vorsicht bei der Anstellung ähnlicher Untersuchungen. Es würde entschieden unrichtig sein, wollte man aus einer Anzahl nur je e i n m a l untersuchter Personen und ohne vorhergehende längere Einübung speziell auf solche Untersuchungen Schlüsse bindender Art über die Frequenz des Tröpfchenverstreuens ziehen. Auf Grund meiner längere Zeit festgesetzten Erfahrungen zweifle ich nicht daran, daß, wie es schon HEYMANN vermutet hat, j e d e r P h t h i s i k e r in i r g e n d e i n e m S t a d i u m s e i n e r K r a n k h e i t e i n m a l B a z i l l e n in f l u g f ä h i g e n T r ö p f c h e n e n t l e e r t u n d auf d i e s e W e i s e I n f e k t i o n e n v e r a n l a s s e n k a n n .

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H. Ziesche

Die Untersuchungen -von B L U M E (27) machen es sogar wahrscheinlich, daß eine gewisse Tuberkelbazillenverstreuung noch erheblich öfter bei Phthisikern vorkommt, als man bisher annahm. BLUME konnte nämlich in solchen Fällen, wo ihm wegen mangelnden Auswurfes die bakteriologische Sicherung der Diagnose nicht möglich war, Bazillen noch dadurch nachweisen, daß er die Patienten anhielt, einen Objektträger während 8 bis 10 Tagen jeden Morgen anzuhüsteln. Er fand dann in den fixierten und nach ZIEHL gefärbten Präparaten Tuberkelbazillen, bei einigen vereinzelt, bei anderen auch in Konglomeraten in Bronchialtröpfchen. Es scheint danach eine Tröpfchenverstreuung selbst bei den im Anfangsstadium sich befindenden Kranken stattzufinden, deren häufigem Räuspern und Hüsteln ohne kräftigere Hustenstöße man bisher kaum Beachtung geschenkt hat. Betrachten wir das Verhältnis der Mund- zu den B r o n c h i a l tröpfchen, so sehen wir, daß in der Mehrzahl der Fälle die ersteren im Übergewichte sind. In den 62 Versuchen war nur sechsmal das Verhalten ein umgekehrtes (Nr. 13, 49, 50, 51, 59 und 60). Dreimal handelte es sich dabei um akute Katarrhe mit vermehrter Sekretion, flüssigem Sekrete und dadurch angeregtem Hustenreize; dreimal war dies bei einer Patientin der Fall, die bei ausgedehnter Zerstörung des Oberlappens mit weiter Bronchialkommunikation außerordentlich geringe subjektive Symptome zeigte. Bei ihr hatte sich das normale Verhalten umgekehrt; die Bronchialtröpfchen waren stets in der Mehrzahl. Die Gesamtanzahl der verbreiteten Tröpfchen ist sehr verschieden und hängt von verschiedenen Faktoren, von der Flüssigkeit oder Zähigkeit des.Sekretes, der Kraft des Hustens usw. ab. Im allgemeinen verstreuen a m b u l a n t e Patienten, die noch wohlauf sind und infolge der, durch die Bewegung erhöhten Zirkulation auch mehr sezernieren, m e h r Tröpfchen als schwache, bettlägerige Kranke. Stark fiebernde Phthisiker mit trockenem Hals und Mund verstreuen beinahe gar nicht, aber dann fast nur Bronchialtropfen. Die Anzahl der verstreuten Bazillen schwankt ebenfalls innerhalb weiter Grenzen. Es sind hier die verschiedenen Umstände, Stadium der Krankheit, Körperkraft, vorangegangene Bewegung, Fieber usw. wirksam, die bereits HEYMANN in ihrer Bedeutung gewürdigt hat. Nächst den wenigen Patienten, die auch bei wiederholter Untersuchung keine Bazillen liefern, zeigen die geringsten Befunde jene, die nur hin und wieder wenig oder mehr Bazillen entleeren, wenn

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besondere günstige Verhältnisse, wie vermehrte Bewegung, akute katarrhalische Affektionen u. a. m. vorliegen. Die kleinste Anzahl der nachgewiesenen Bazillen betrug 3 (20), um in anderen Fällen auf 67 (4), 136 (6), 352 (25), 952 (60), 1445 (49), ja bis zu der ganz exorbitanten Höhe von 2 0 1 7 4 Bazillen in einem Bereich von 324 qcm zu steigen. Die F r a u , welche die letzteren Werte (Nr. 49 — 51) lieferte, zeigte eine weit fortgeschrittene Tuberkulose; fast die ganze obere Hälfte der linken Lunge war zerstört; man hörte in diesem Bereiche feuchtes, großblasiges Rasseln. Die Frau, früher Zigarrenarbeiterin, war seit 2 Jahren verheiratet, Mutter eines zweijährigen Knaben. Die subjektiven Störungen waren auffallend gering. Die F r a u versorgte ihre Häuslichkeit und leistete noch Nebenarbeit als Zigarrendreherin. Sie klagte nur hin und wieder über Schmerzen und Müdigkeit. Nachtschweiße waren wenig vorhanden und wurden nicht störend empfunden. — W a s die S c h w a n k u n g e n im Umfang der Tröpfchenausstreuung und speziell ihre Verteilung nach Tageszeit und Jahreszeit anlangt, so haben wir bisher darüber keine sicheren Angaben. Leider ist auch mein Material nicht groß genug, um die aus ihm gezogenen Schlüsse verallgemeinern zu können. Diese und ähnliche, vielleicht auch praktisch nicht unwichtige Fragen werden wohl erst beantwortet werden können, wenn das große Material der Volksheilstätten zu planmäßigen Versuchen verwandt werden wird. Ich habe meine Untersuchungen in Zwischenräumen von je vier Stunden geordnet und so folgendes Ergebnis bekommen. Es hatten ein p o s i t i v e s Ergebnis bei Versuchen von: Zeit

Prozent

Anzahl der untersuchten Fälle

7—11 Uhr früh 11-3 „ 3-7 „ 7 — 11 „ abends 11-3 „ 3-7 „

31-2 62-5 64-7

32 7 15 3 3 2

— — —

Wir sehen also, daß von früh um 7 Uhr an die Tröpfchenverstreuung zuerst schnell, dann langsam bis um 7 Uhr abends zunimmt. In späteren Abendstunden und während der Nacht habe ich nur wenige Untersuchungen anstellen können, so daß eine Prozentberechnung nicht zulässig ist. Daß Nachts und am frühen Morgen

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wenig Verstreuung beobachtet wurde, das liegt offenbar daran, daß auf der mir zur Verfügung stehenden Krankenabteilung kurz vor dem Schlafengehen den Kranken Narkotika gegeben wurden, um die Nachtruhe zu sichern. Wie prompt die Wirkung ist, zeigt der Ausfall unserer Versuche. Gegen früh läßt dann die Wirkung nach. Erst am späteren Morgen macht sich die Reaktion auf die lange Sekretstauung bemerkbar, und mit dem Husten setzt auch stärkere Verstreuung ein. Bei einem Patienten Hag. (Nr. 27 bis 42), der deutlich, aber in mäßigen Grenzen Tröpfchen verstreute, habe ich wiederholt den Einfluß der Tageszeit im Laufe des Tages auf die Anzahl der ausgehusteten Bazillen festzustellen gesucht. Ein irgendwie gesetzmäßiges Verhalten konnte ich aber dabei nicht linden. Das einzige, was sich mit Sicherheit auch hier bemerkbar machte, war die deutliche Wirksamkeit der abendlichen Morphiumgabe. Im übrigen wächst offenbar die Tröpfchenverbreitung mit dem Husten, und dieser nimmt nach dem Aufstehen, nach heftiger Bewegung, angeregter Unterhaltung, kurz nach allen Einflüssen zu, die eine Steigerung der Blutbewegung und damit eine Erhöhung der Sekretionsgeschwindigkeit im Gefolge haben. J e nachdem der Zeitpunkt der Untersuchung nahe oder entfernt von einer solchen erhöhenden Ursache liegt, finden sich auch mehr oder weniger bazillenhaltige Tröpfchen auf der Vorlage. Auch über die Bedeutung der verschiedenen Jahreszeiten und der Witterungsverhältnisse auf die Intensität der Tröpfchenverstreuung konnte ich wenig Sicheres feststellen. Am Ende des Winters und zu Beginn des Frühjahrs scheinen wohl mehr bazillenhaltige Tröpfchen ausgehustet zu werden; und die Ursache dafür sind wohl die in jenen Zeiten häufig akquirierten Katarrhe der Phthisiker, wie j a auch die Mortalität der Phthisiker in diesen Zeiten aus dem gleichen Grunde erhöht zu sein pflegt. Unter meinen Patienten war das Verhältnis der Tröpfchenverstreuer zu denen, die keine Bazillen auswarfen, in den verschiedenen Monaten folgendes: Insgesamt untersucht

Bazillenfreie Tröpfchen verstreuten

Bazillenhaltige Tröpfcheu verstreuten

.

18

11 6

.

15 14

7 9 9

Monat Januar . Februar März . April .

o

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(Fortsetzung.) Monat Mai . . . Juni. . . Juli . . . August. . September Oktober . November. Dezember .

Insgesamt untersucht

Bazillenfreie Tröpfchen verstreuten

Bazillenhaltige Tröpfchen verstreuten

1 1 0

0 2 2

1 3 2



















8 2

6 2

2 0

Versucht man nunmehr, die q u a n t i t a t i v e n Ergebnisse meiner Beobachtungen für die A b s c h ä t z u n g d e r I n f e k t i o n s g e f a h r zu verwerten, welche aus der Tröpfchenverstreuung hustender, Phthisiker sich ergibt, so wird es vor allem nötig sein, einen bestimmten Begriff von derjenigen B a z i l l e n z a h l zu bekommen, welche zu einer wirksamen Infektion durch Inhalation erforderlich i s t Da diese Zahl sich nur experimentell und daher nicht für den Menschen festlegen läßt, müssen wir uns mit Ermittelungen an Versuchstieren begnügen. Von der Anzahl Bazillen, welche bei diesen zur sicheren Infektion durch Inhalation ausreicht, werden wir unter gewissem Vorbehalt einen Rückschluß ziehen können auf die für den Menschen mindestens nötige Ziffer von eingeatmeten Tuberkelbazillen; und es wird sich dann fragen, inwieweit die von mir in feinsten ausgestreuten Tröpfchen hustender Phthisiker gefundene Menge von Tuberkelbazillen zur Deckung dieser Ziffer ausreicht. Uber das Quantum der zur Infektion von Meerschweinchen erforderlichen inhalierten Bazillen liegen Versuche aus früherer Zeit vor von GEBHARDT ( 2 6 ) und von PREYSS (27). Beide arbeiteten mit phthisischem Sputum; die Feststellung der Bazillenzahl erfolgte durch mikroskopische Zählung einer genau gemessenen Probe; von den einzelnen Verdünnungen inhalierten die Tiere ein bestimmtes Quantum (GEBHARDT) oder mittels des gleichen Sprays eine bestimmte Zeitlang (PBEYSS). GEBHARDT fand, daß inhalierte Sputumverdünnungen in dieser Weise noch tödliche Tuberkulose verursachten, wenn etwa 4 0 0 Tuberkelbazillen eingeatmet wurden; PREYSS fand einmal sogar 36 Bazillen noch wirksam, ein anderes Mal 48 Bazillen unwirksam. Neuerdings hat F I N D E L mit genaueren Methoden die bei der Inhalation erforderliche Infektionsdosis bestimmt (siehe die Arbeit im vorliegenden Band). FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

10

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Er hat dabei auch unterschieden diejenige Bazillenmenge, welche in der Atemluft eingeatmet werden muß, und diejenige, welche nach Abzug der in Nase, Eachen usw. zurückbleibenden Bazillen wirklich bis zu den Bronchien vordringen müssen. Der letztere Anteil beträgt etwa 60; zwar gelingt die Infektion auch schon mit kleineren Mengen, aber sie ist unsicher; während 60 eindringende Bazillen in jedem Falle tödliche Tuberkulose veranlassen. Damit 60 Bazillen in die Bronchien gelangen, müssen aber m i n d e s t e n s 200 B a z i l l e n e i n g e a t m e t w e r d e n , von denen mehr als 2/3 in Nase, Eachen usw. stecken bleiben bzw. verschluckt werden. Es fragt sich nun zunächst, ob die für das Meerschweinchen als erforderlich erkannte Dosis auf den Menschen übertragen werden darf. Hierfür kommt einmal in Betracht, ob der Prozentsatz der aus der Einatmungsluft in Nase, Rachen usw. zurückgehaltenen Keime beim Menschen größer ist als beim Meerschweinchen. Bedenkt man den kräftigeren Inspirationsstrom des Menschen, andererseits die außerordentliche Enge der Zugangswege zum Respirationstraktus beim Meerschweinchen, so wird man'kaum annehmen können, daß der Mensch in dieser Beziehung "besser geschützt sei. — Vielleicht ist aber die Minimaldosis Bazillen, welche nach dem Eindringen in die feineren Bronchien tuberkulöse • Erkrankung veranlaßt, beim Menschen, schon wegen des großen Unterschiedes in Größe und Gewicht des Körpers und der Organe viel erheblicher als beim Meerschweinchen? Auch in dieser Beziehung wird man keine allzu großen Differenzen erwarten dürfen. Für das Schicksal der bis in die feineren Bronchien vorgedrungenen Bazillen hauptsächlich entscheidend ist die sog. Disposition, d. h. die Fähigkeit des Körpers, durch Schutzvorrichtungen der eindringenden Krankheitserreger Herr zu werden. Die Disposition ist aber, wie wir aus der enormen Verbreitung und dem häufigen tödlichen Ende der menschlichen Tuberkulose sehen, beim Menschen außerordentlich groß, vermutlich eher größer als beim Meerschweinchen. Die für letztere als erforderlich ermittelte Einatmungsdosis wird daher für den Menschen wohl etwas höher liegen, aber gewiß zu einer wirksamen Infektion ausreichen, wenn man sie zwei- bis dreimal höher ansetzt. — Andererseits werden minimalste Mengen inhalierter Bazillen auch beim Menschen sicher nicht Infektion bewirken, weil die Chancen, daß sie in die feineren Bronchien gelangen, auf Epithellücken treffen oder in Lymphbahnen eindringen können, zu gering sind. Rechnen wir demnach, daß auch für den Menschen etwa 200 bis 400 Tuberkelbazillen mit der Atemluft aufgenommen werden müssen,

Über Tröpfchenausslreuung

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Phthisiker

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um Infektion zu bewirken; und sehen wir zu, ob die Verhältnisse bei der Tröpfchenverstreuung der Phthisiker nach meinen Versuchen so liegen, daß die Aufnahme von so viel Bazillen seitens eines Gesunden innerhalb einer kurzen Zeitspanne erfolgen kann. Auf den von mir benutzten Glasplatten von 324 qcm fanden sich binnen einer halben Stunde bei neun Untersuchungen mehr, zum Teil e r h e b l i c h mehr als 200 Tuberkelbazillen. Durch den menschlichen Inspirationsstrom werden außerdem jedenfalls die verstreuten Tröpfchen aus einem erheblich größeren Luftbereich in die Lunge eingeführt; die Glastafel schneidet aus dem ganzen Verstreuungskreise nur ein relativ kleines Segment heraus. Andererseits habe ich bei 23 Einzeluntersuchungen in einer halben Stunde keinen Bazillus gefunden; und in 20 Untersuchungen weniger als 200. Es kommt hinzu, daß die Annäherung meiner Versuchsplatte an den hustenden Phthisiker eine ziemlich große war, im Mittel 60 cm, also größer als vielfach unter praktischen Verhältnissen; ferner daß die Platte eine halbe Stunde d a u e r n d dem Husten in der gleichen Entfernung exponiert war, was auch in der Praxis nicht gerade häufig vorkommt Weiter ist in Rechnung zu. ziehen, daß sicher nur die kleinen Bronchialtröpfchen von ca. 20 bis 60 p Durchmesser Aussicht haben, bis in die feineren Bronchien zu gelangen. Eine genauere Scheidung nach der Größe der Bronchialtröpfchen habe ich in meinen Versuchen unterlassen. Das Verhältnis der feineren zu den gröberen wechselt sehr stark; bei größerer Entfernung der auffangenden Platte treten die gröberen mehr zurück. Wie ich oben hervorhob, ist es andererseits sehr fraglich, ob bei etwas größerer Entfernung die feinsten Tröpfchen auch wirklich auf den Objektträgern aufgefangen werden; Versuche mit Tröpfchen eines sehr feinen Sprays lassen Zweifel hieran als durchaus berechtigt erscheinen. So sind noch viele Unsicherheiten vorhanden, die eine genauere quantitative Abschätzung der in den Tröpfchen gebotenen Infektionsquelle vorläufig sehr erschweren. Dennoch wird man sich im allgemeinen über die Gefahr, die von der Tröpfchenverstreuung ausgeht, etwa folgendes Bild machen können: Sicher kommen außerordentlich selten so reichliche oder so dicht mit Bazillen besetzte kleine Bronchialtröpfchen vor, daß schon ein kurzer Aufenthalt in der Nähe des Phthisikers ausreicht, um die zur Infektion erforderliche Bazillenmenge in die Einatmungsluft zu 10*

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Ziesché

liefern. K u r z d a u e r n d e s Zusammensein mit einem Phthisiker und gelegentliches Anhusten führt daher wohl f a s t n i e m a l s zur Infektion. Dagegen wird bei d a u e r n d e m , n a h e m Zusammensein die infektiöse Grenzzahl leicht erreicht. Ein halbstündiges Verweilen in n ä c h s t e r N ä h e des Phthisikers liefert noch relativ geringe Chancen; in meinen Versuchen neunmal unter 52. Erst bei noch stärkerer zeitlicher Ausdehnung des intimen Verkehrs werden die Chancen erheblich. Demnach wird z. B. der Verkehr einer phthisischen M u t t e r mit ihrem in den ersten Lebensjahren befindlichen K i n d e fast unfehlbar zur Infektion dés Kindes führen. Es ist unausbleiblich, daß die Mutter täglich stundenlang sich in nächster Nähe des Kindes befindet, und wenn sie auch bei kräftigeren Hustenstößen sich abwendet, so wird diese Maßregel doch so oft von unvollkommener Wirkung sein, und schon das kaum merkliche Hüsteln führt so leicht zur Tröpfchenverstreuung, daß das Kind zweifellos häufig Tröpfchen einatmet. Wohl mag die Mutter monatelang keine Tuberkelbazillen verstreuen; es wird dennoch hier und da zweifellos zu einer Periode stärkerer Infektionsgefahr kommen. — Weniger leicht werden schon E h e g a t t e n und andere Familienmitglieder sich infizieren. Der d a u e r n d e Aufenthalt in nächster Nähe während des Hustens ist hier viel leichter zu Vermeiden und wird entschieden häufiger vermieden. — Ebenso ist die gemeinsame A r b e i t s s t ä t t e nicht durchweg gefährlich, und die Gefahr kann durch entsprechendes Verhalten des hustenden Phthisikers einerseits, des Gesunden andererseits sehr erheblich herabgedrückt werden. — N i c h t leicht vermeidbar wird die Tröpfcheninfektion bei dem P f l e g e p e r s o n a l auf Phthisikerstationen sein. Bei der Pflege eines einzelnen Kranken ist der andauernde Aufenthalt in größter Nähe noch zu umgehen, etwa ebenso wie bei Ehegatten (ein verständiges Verhalten des Kranken vorausgesetzt!). In Pflegeanstalten mit ambulanten, meist noch kräftigen Kranken braucht ebenfalls eine Infektion des Personals durchaus nicht zustande zu kommen. Dagegen ist bei b e t t l ä g e r i g e n Kranken im letzten Stadium, die fortgesetzt Hilfeleistungen und zu diesen große Annäherung des Pflegepersonals erfordern, die Gefährdung des letzteren beträchtlich; und wenn der Pfleger eine -große Anzahl solcher hilfloser Kranker zu warten hat, so befindet er sich fast dauernd in einer stark mit infizierenden Tröpfchen erfüllten Luft. — Arzte sind relativ wenig gefährdet Im Ausstreuungsbereich der Hustenden brauchen sie nur für kürzeste Fristen zu verweilen. Wohl

Uber Tröpfohenausstreuung

durch hustende Phthisiker

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atmen sie längere Zeit die Luft der mit Phthisikern belegten Erankensäle; aber nach den Ergebnissen aller darüber angestellten Untersuchungen wird es kaum jemals vorkommen, daß diese Luft so zahlreiche Tröpfchen (bzw. Stäubchen) mit Tuberkelbazillen enthält, daß die zur Infektion erforderliche Dosis zustande kommt. Die größeren mit Bazillen beladenen Tröpfchen setzen sich schon in etwa 1 m Entfernung vom Hustenden zu Boden und die feinsten, vereinzelte Bazillen enthaltenden Schwebeteilchen werden auf sehr große Luftmengen verteilt. — Vollends gelegentliche Unterhaltungen mit Phthisikern, Besuche in Sanatorien und Phthisikerkrankenhäusern, oder gemeinsames Essen, Spazierengehen u. dgl. mit Phthisikern sind n i c h t geeignet, Gesunde mit Infektion zu bedrohen, falls nur die einfachsten Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden. Unterläßt man freilich diese, so kann a u s n a h m s w e i s e auch der Arzt und der gelegentliche Besucher eine zur Infektion ausreichende Bazillenmenge inhalieren. Die von mir beobachtete Frau Nie. z. B. verstreute an drei verschiedenen Untersuchungstagen jedesmal so stark, daß recht wohl auch ein kürzerer Aufenthalt im Bereich ihrer Hustenstöße ausreichen konnte, um mehr als 400 Tuberkelbazillen in die Einatmungsluft überzuführen. Solche Fälle mögen bei den bekannt gewordenen Infektionen von Ärzten tatsächlich im Spiel gewesen sein. Da es dem Kranken schlechterdings nicht anzusehen ist, ob und in welchem Maße er Tröpfchen verstreut, sollte in j e d e m Falle die Vorsicht, daß der Gesunde sich während des Hustens außerhalb des Bereichs, der direkten Hustenstöße hält, beachtet werden. Erst auf Grund der quantitativen Feststellungen müssen wir event. unsere Vorstellungen von der Infektionsgefahr, die von der Tröpfcheninfektion ausgeht, modifizieren. Auf der einen Seite konnte sie bisher unterschätzt werden, weil man die Anzahl der in dieser Weise aufgenommenen Bazillen für belanglos ansah; viel häufiger aber wurde die Tröpfcheninfektion überschätzt und dahin mißverstanden, daß jedes kurze Zusammensein mit einem hustenden Phthisiker notwendig zu Infektionen führen mußte. Daraus entsprang ein Mangel an Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Praxis; man sah, daß sehr oft Gesunde mit Phthisikern verkehren, ohne angesteckt zu werden und man hielt dies für unmöglich, wenn die Tröpfcheninfektion zu Eecht bestehen sollte. Und so wurden die Zweifel an der Bedeutung dieses Infektionsmodus um so stärker, je unbeschränktere Wirksamkeit man ihm auf Grund der Experimente zuschrieb. Erst die Erkenntnis, daß offenbar eine gewisse Zahl von Tuberkelbazillen erforderlich ist, um Inhalationstuberkulose zu bewirken, und daß eine

150 solche Zahl erst bei l ä n g e r dauerndem Aufenthalt in n ä c h s t e r N ä h e des hustenden Phthisikers durch Tröpfchenverstreuung in den Bereich der Einatmungsluft des Gesunden gelangt, läßt unsere praktischen Erfahrungen durchaus im Einklang mit den experimentellen Ergebnissen erscheinen. Unter denjenigen Autoren, welche in letzter Zeit die Bedeutung der Tröpfcheninfektion auf Grund der praktischen Erfahrungen völlig bestritten haben, ist namentlich SAUGMANN hervorzuheben, der durch eine sorgfältige Enquete das Verschontbleiben der Sanatorienärzte und der Kehlkopfärzte von Tuberkulose zu erweisen suchte und die Tröpfcheninfektion mit diesem Verschontbleiben für unvereinbar erklärte. SAUGMAHN (20) hat an eine große Zahl von an Lungenheilstätten beschäftigten. Ärzten Fragebogen gesandt und zu ermitteln gesucht, ob diese Herren innerhalb ihrer Anstaltstätigkeit sich infiziert haben oder nicht. E r hat auf diese Weise von 180 Ärzten, die durchschnittlich 3 Jahre sich mit Tuberkulösen beschäftigt hatten und dann noch S l / 2 Jahre beobachtet waren, verwertbare Antworten erhalten. Nicht selten flössen die Nachrichten über die Ärzte, über die berichtet wird, erst aus zweiter und dritter Quelle. Von den 180 Ärzten, die geeignete Angaben machten, haben 9 angegeben, daß sie nach oder während ihrer Tätigkeit in Heilstätten tuberkulös erkrankt sind. Bei einem (Fall 5) handelt es sich anscheinend um eine Laboratoriumsinfektion mit Thimotheebazillen. Von den übrigen 8 Ärzten nimmt SAUGMANN an, sie hätten sich bis auf 2 schon vorher infiziert. Der Beweis für diese Meinung kann kaum als sicher erbracht angesehen werden und die Fälle lassen sich mit dem gleichen Rechte als Infektionen in den Anstalten auffassen. Es würde das also ein Zustandekommen der Infektion bei 4 - 4 Prozent der Ärzte bedeuten. — Mit einer solchen Zahl harmonieren auch andere Beobachtungen. Ich verweise hier nur auf die Statistik von WILLIAMS (37) über 180 Ärzte, die 1846 bis 1882 am Brompton Hospital für Lungenkranke tätig waren und von denen 9 tuberkulös wurden (also der gleiche Prozentsatz wie in der SAUGMANN sehen Statistik). Ferner teilt SCHAPEB (38) mit, daß in der Charité junge kräftige Ärzte, die sicherlich früher frei von Tuberkulose waren, des öfteren infiziert wurden. Ich selbst kenne ein Beispiel, das ich leider nicht des näheren ausführen darf, wo in einer allgemeinen Poliklinik im Laufe von 3 Jahren drei junge Ärzte, die bei Antritt der Stellung völlig gesund waren, vermutlich infolge von Ansteckung im Beruf tuberkulös wurden.

Über Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker

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Es würde aber durchaus unrichtig sein, wollte man gerade unter den Ärzten der Lungenheilstätten einen besonders hohen Prozentsatz von beruflich Infizierten erwarten. Wie ich oben bereits ausführte, werden die Ärzte durchaus nicht in besonders hohem Maße gefährdet, weil sie bei einiger Vorsicht nicht dauernd genug im Bereich stärkerer Tröpfchenverstreuung verweilen. SAUGMANN meint allerdings, daß dies bei der Untersuchung der Kranken doch der Fall sei, da ja auch seitlich von der Richtung der Hustenstöße und sogar hinter dem Patienten Tröpfchen mit Tuberkelbazillen von HEYMANN nachgewiesen seien. SAUGMANN übersieht dabei, daß es sich hier um vereinzelte, spärliche Tuberkelbazillen enthaltende Tröpfchen gehandelt hat, die für eine quantitativ ausreichende Infektion n i c h t in Betracht kommen. Im Gegenteil kommt der Arzt bei der ganzen Untersuchung des Patienten mit seiner Einatmung kaum für einen Moment in die gefährlichsten zentralen Teile des Ausstreuungsbereichs des Hustenden, vollends nicht während der Hustenstöße. Die Gefahr, in welcher der Arzt sich befindet, läßt sich jedenfalls gar nicht vergleichen mit derjenigen, in welcher sich z. B. das Pflegepersonal und Angehörige, vor allem Kinder, beim Zusammenleben mit dem Phthisiker befinden. Ich gebe zu, daß SAUGMANN eine größere Gefährdung der Ärzte erwarten mußte, wenn er annahm, daß jedes verstreute Hustentröpfchen zur Infektion fuhren kann. Eine solche Ansicht ist eben nur mißverständlicherweise von einigen Autoren aus den F L Ü G G E sehen Versuchsergebnissen gefolgert. F L Ü G G E . selbst hat stets darauf hingewiesen, daß zur richtigen Einschätzung der Infektionsgefahr eine genauere q u a n t i t a t i v e Kenntnis der Tröpfchenverstreuung gehöre. Berücksichtigt man aber die in dieser Richtung jetzt angestellten Untersuchungen^ so entspricht die in der Praxis beobachtete Gefährdung der Sanatorienärzte durchaus den Vorstellungen, die wir aus den experimentellen Feststellungen über Umfang und Häufigkeit der Tröpfchenausstreuung uns bilden mußten. SAUGMANN hat aber noch ein anderes frappierendes Ergebnis bei seiner Enquete erhalten. Er hat unter 64 Kehlkopfärzten keinen gefunden, der an Tuberkulose erkrankt ist. Schon MOBITZ SCHMIDT ( 3 9 ) hat in seinem Handbuch „Die Krankheiten der oberen Luftwege" das Verschontbleiben der Kehlkopfärzte hervorgehoben. Die Tatsache erscheint um so auffallender, als gerade für das Laryngoskopieren die VerStreuung tuberkelbazillenhaltiger Tröpfchen durch mehrfache Untersuchungen festgestellt ist. SAUGMANN selbst teilt mit, daß er z. B. an seinen Brillengläsern nach dem Laryngoskopieren

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Tuberkelbazillen hat nachweisen können; ähnliche Beobachtungen machte B. Fbänkel (22). Die genauesten Untersuchungen rühren von Moelleb (23) her. Daß dieser am Kehlkopfspiegel Sputumteilchen mit Tuberkelbazillen fand, ist ohne Belang; aber auch an dem Reflektor, an der Lehne eines Stuhls usw. fand er nach dem Laryngoskopieren tuberkelbazillenhaltige Tröpfchen. Ferner konstatierte er bei 75 Untersuchungen des eigenen Nasenschleims (nach 2 1 / 2 stündiger Sprechstunde mit zahlreichen Lungen- und Kehlkopfuntersuchungen) einmal einen T.B., einmal 4, und ein drittes Mal ein Häufchen von 6 bis 8 Bazillen. Z weifellos findet also beim Laryngoskopieren Tröpfchenverstreuung seitens des Kranken statt. — Aber auch hier wird erst eine Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse zu einem richtigen Urteil führen, und um in dieser Richtung einen genaueren Einblick zu gewinnen, stellte ich selbst noch eine Reihe von Untersuchungen an. Ich ging zu diesem Behufe in der Weise vor, daß ich in ganz ähnlicher Weise wie bei den schon besprochenen Verstreuungsversuchen, 12 Objektträger, die zusammen einen Raum von 324 qcm einnahmen, in einen Rahmen einspannte, der durch Bänder leicht in frontaler Stellung an dem Reflektor des Untersuchers angebracht werden konnte. Bei einiger Übung konnte man durch die Gläser hindurch ganz gut laryngoskopieren und intralaryngeale Eingriffe vornehmen. Das Gesicht des Untersuchers war so völlig geschützt und die beim Husten etwa versprayten Tröpfchen wurden auf den Objektträgerü aufgefangen. Nach jedem Spiegelversuche wurden die Objektträger vorsichtig fixiert und weiterhin, wie schon im ersten Teile der Arbeit beschrieben, behandelt. Die Versuche beim Kehlkopfspiegel konnte ich dank der Güte des Herrn Professor Dr. Hinsbeeg zum großen Teile in der hiesigen Universitätspoliklinik für Kehlkopfkranke anstellen. Ihm, sowie seinen Assistenten bin ich für ihre freundliche Hilfe sehr zu Dank verpflichtet. Einer der Assistenten, Herr Dr. Fkeytag, ist leider inzwischen an einer Phthise gestorben, die schon vor seiner laryngologischen Tätigkeit bestanden hat. Da die Versuche alle in übereinstimmender Weise ausfielen, möchte ich hier nur zur Erläuterung meines Vorgehens ein Versuchsprotokoll ausführlich wiedergeben, im übrigen aber meine Resultate in einer Tabelle zusammenfassen.

Über Tröpfchenausstreuung durch hustende Pkthisiker

153

Versuch IV. U n t e r s u c h e r : Dr. S.

P a t i e n t : Frau S. Z.

24. III. 05. Ausgedehnter Lungenbefund. Die gesamte Larynxwand verdickt. Ulzerationen auf der hinteren Larynxwand. Beide Stimmbänder therapeutisch verschorft. T h e r a p e u t i s c h e r E i n g r i f f : Kokainisieren, Atzung der Ulzerationen mit Milchsäure. 5'59' 0" Kokainisiert. Zweimal lautiert. Dauer 5 Sek. 6-0' 10" „ Hustet stark „ 2 6-0^ 30"









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Die Durchschnittsentfernung des Arztes vom Kranken beträgt etwa 40 cm. Die Gesamtdauer des Eingriffes beträgt 3 Min. 54 Sek., die Dauer t a t s ä c h l i c h e n i n t r a l a r y n g e a l e n A r b e i t e n s 81 Sekunden.

Die Zusammenstellung der auf dem Wege ähnlicher Versuche gewonnen Befunde gibt Tabelle II. Es ist überraschend zu sehen, wie relativ wenig Ausbeute an Tröpfchen und Bazillen die Spiegelversuche gegeben haben. Besonders deutlich tritt das bei Versuchen 63 bis 67 zutage, die an Personen vorgenommen wurden, die ich schon vorher auf ihr Verstreuungsvermögen (vgl. Tabelle I, Nr. 49 bis 51, 59 bis 61 und 27 bis 42) untersucht hatte. Während alle drei Versuchspersonen bei kräftigem Husten Bazillen verstreut hatten, zum Teil sogar außerordentlich viel .(Fall Nie.), konnte bei den Spiegelversuchen nur einmal ein Bazillus nachgewiesen werden. Auch die Zahl der verstreuten Tröpfchen war sehr klein, Bronchialtröpfchen fehlten fast ganz. Aber auch bei den Kehlkopfphthisikern, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, war ein gleiches Verhalten zu bemerken. Nur einige Male konnte ich v e r e i n z e l t e Tuberkelbazillen nachweisen, während im Sputum bei allen Patienten mehr oder minder zahlreiche Bazillen gefunden waren. Dieses zunächst überraschende Ergebnis findet seine Erklärung

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im Verhalten des Untersuchers sowohl, als auch in besonderen Verhältnissen des Kranken. Was den Untersucher anlangt, so wendeten alle Kehlkopfärzte, die ich darauf hier zu beobachten Gelegenheit hatte, fast unbewußt gewisse Vorsichtsmaßregeln an. Im Augenblick, wo der Arzt merkt, daß der Untersuchte husten will, weicht er zurück. Der Gespiegelte, der dem unangenehmen Reiz zu entgehen trachtet, nimmt seinen Kopf auch zurück; so wird im Momente des Hustens der Abstand zwischen Arzt und Patient bis auf mindestens 80 bis 90 cm vergrößert. Außerdem wendet der Arzt seinen Kopf im entscheidenden Moment- zur Seite und bringt ihn so zum größten" Teile außerhalb des Zerstreuungskreises des Hustenden. Der untersuchende Arzt hat sehr bequem die Zeit, sich im rechten Augenblicke sozusagen in Sicherheit zu bringen, denn er sieht die gefahrdrohende Larynxkontraktion im Spiegel. Ferner habe ich bei fast allen Kehlkopf ärzten bemerkt, daß sie im entscheidenden Momente den Atem instinktiv, häufig ohne sich dessen selbst bewußt zu werden, anhielten und auch dadurch die Inhalationsgefahr verminderten. Alle diese, in fast jedem Falle zu beobachtenden Maßnahmen können aber den geringen Bazillenbefund nicht erklären. Es müssen noch andere Faktoren mit im Spiele sein, und diese liegen in der Person des während des Kehlkopfspiegelns hustenden Phthisikers selbst. Um die hier in Frage kommenden Verhältnisse klarlegen zu können, muß ich kurz auf die Mechanik der Expektoration und Physiologie des Hustens eingehen. Die Expektoration ist die Folge von drei verschiedenen Vorgängen, der Tätigkeit der Flimmerepithelien des Respirationstraktes, der Wirksamkeit der sich peristaltisch kontrahierenden Bronchialmuskulatur [HENLE (40)] und endlich jenes reflektorisch ablaufenden Bewegungskomplexes, den wir als Husten bezeichnen. Sind die Sekretmassen erst in die feineren Bronchi gelangt, so werden sie in stiller, andauernder Arbeit von den Flimmerepithelien oralwärts geschafft, die in ihrer Wirkung von der Peristaltik der Bronchialmuskulatur unterstützt werden. Durch einen Reiz im Bronchus und der Trachea wird nun die gewaltsame, durch Glottisschluß zunächst behinderte Exspiration herbeigeführt, die wir Husten nennen. Durch den zeitweisen Glottisverschluß wird der intratracheale Druck, der für die Herausbeförderung der Sekretmassen von entscheidender Bedeutung ist, wesentlich erhöht. Nun pfeift im

Über Tröpfekenausstreuung durch hustende Phthisiker

155

Momente, wo der Glottisverschluß gelöst und die Bahn wieder frei wird, die Luft unter kräftigem Druck heraus und reißt die Sekretmassen mit sich fort. Das ist der Vorgang beim typischen Husten. Der Husten kann aber auch o h n e G l o t t i s v e r s c h l u ß zustande kommen, wie Beobachtung am tracheotomierten Tiere und Menschen, sowie die beim L a r y n g o s k o p i e n gewonnene Erfahrung zeigt. Bei fehlendem oder mangelhaftem Glottisverschluß ist der Exspirationsdruck in der Trachea, der für die Herausbeförderung der Sekretmassen vor allem wichtige Intrachealdruck, weit geringer als in der Norm. ABON (41) hat Gelegenheit gehabt, hierüber beim tracheotomierten Menschen, bei dem dieselben Verhältnisse vorliegen wie beim fehlenden Glottisschluß, Messungen anzustellen. Er fand den Druck bei einem und demselben Menschen verschieden, je nachdem dieser durch den Larynx oder durch die Trachealfistel atmet. Atmung durch Larynx

Atmung durch Trachealfistel

+ 78-8 mm H g 76-6 94' 2 91.2 80-4 89-2 85-0 82-0

+ 23-0 mm H g 34-8 51-6 42-0 40-6 42-8 50*4 40-6 48-0

Die Unterschiede liegen klar zutage; beim Atmen durch den Larynx beträgt der Maximalwert 94-2, beim Atmen durch die Trachealwunde 51-6 mm Hg. Tatsächlich dürfte der intratracheale Druck des gesunden Menschen aber noch höher sein, wie aus Beobachtungen von GEIGEL (42) hervorgeht, der Werte von 150 bis 160 mm feststellen konnte. Der intratracheale Druck beim gesunden mit Glottisschluß atmenden Menschen kann also unter Umständen bis a c h t m a l größer sein als beim kranken, der mit fehlendem oder mangelhaftem Glottisschluß hustet; es wird somit das Husten unter letzteren Umständen auch einen achtmal geringeren Expektorationswert haben als bei normalen Verhältnissen. Betrachten wir nun das Husten der Kehlkopfphthisiker. Wie husten sie, wie verhält sich ihr Larynxverschluß? F ü r einen großen Teil der Kranken — solche mit Ulzerationen an den Taschen- und Stimmbändern oder mit Infiltraten an der hinteren Larynxwand ist ein normaler Glottisverschluß ein Ding der Unmöglichkeit.

156 Aber auch allen anderen Patienten, die wir kehlkopfspiegeln, erschweren wir den festen Glottisverschluß sehr durch unsere Verhaltungsmaßregeln. Wir pflegen ihnen zu sagen: „Atmen Sie ruhig und tief, damit Sie nicht zu husten und nicht zu würgen brauchen." Nun sitzen die Leute mit weit geöffneter Glottis da, und sobald wir merken, daß eine Würgbewegung entsteht, halten wir sie wieder zum ruhigen Atmen an. Die Kranken vermeiden aber auch schon von selbst den Glottisschluß nach Kräften, weil er der Anfangspunkt der reflektorischen Würgbewegung ist, die ihnen natürlich unangenehm ist. Kommt es zum festen Glottisverschluß, so folgt fast sicher eine heftige Würgbewegung, infolge welcher der Patient zurückweicht und die Untersuchung unterbrochen werden muß. Es kommt somit beim Patienten, der laryngoskopiert wird, nur relativ selten zu einem plötzlichen unvorhergesehenen Husten; meist erfolgt dieser dann mit mangelhaftem oder fehlendem Glottisschluß. Kommt es aber auch einmal zu einem richtigen, kräftigen Hustenstoße, so sieht der spiegelnde Arzt dies schon vorher im Kehlkopfspiegel und hat, da er ja sowieso wegen der darauf folgenden Würgbewegungen die Untersuchung oder den therapeutischen Eingriff unterbrechen muß, Zeit genug, sich zur Seite zu wenden und aus dem Bereiche des gefährdenden Yerstreuungskegels zu bringen. Hustet der Kranke mit mangelndem Glottisschluß, so ist die notwendige Folge davon, daß er auch viel weniger heraushustet und viel weniger Bazillen verstreut. Letztere können stammen: 1. aus den Bronchien, 2. vom schleimigeitrigen Belege der Larynxulzerationen und 3. aus dem Munde. Die Exspirationskraft ist aber bei dem mangelhaften Husten im allgemeinen zu gering, um Bronchialtröpfchen heraufzubringen, mindestens sind sie außerordentlich selten. Der Beleg der Kehlkopfulzera ist von äußerst zäher, eitrig-schleimiger Beschaffenheit. Wir wissen aus der Arbeit S T I C H E R S (15), welch große Kraft notwendig ist, aus solchem Schleim Tröpfchen frei zu machen. Somit bleiben vorzugsweise nur noch die Mundtröpfchen, die in gewisser Zahl verstreut werden, die aber, wie wir schon im ersten Teil unserer Untersuchungen gesehen haben, sehr selten Tuberkelbazillen enthalten. Die geringe Ausbeute, die wir in unseren Spiegelversuchen hatten — im ganzen nur drei Tuberkelbazillen — entspricht durchaus diesen Anschauungen. Tatsächlich ist also die Infektionsgefahr für die Kehlkopfärzte bei weitem nicht so groß, als man es von vornherein anzunehmen geneigt ist. — Natürlich kann auch ein Kehlkopfarzt sich infizieren; bleibt er nach der Beendigung der

Über Tröpfehenausstreuung

durch hustende Phthisiker

157

therapeutischen Eingriffe, wo der Patient meist einigemale kräftig zu husten pflegt, noch eine Zeitlang in nächster. Nähe des Kranken und im Bereich von dessen Hustenstößen, so wird. er zweifellos das nötige Quantum Bazillen einatmen können. Aber wenn eine solche unnötige Annäherung vermieden und die einfachsten Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden, erreicht die Zahl der in verstreuten Tröpfchen enthaltenen Bazillen nicht die infektiöse Dosis. Das zeigen nicht nur meine Versuche, sondern ebensowohl die von M O E L L E R angestellten, der ja z. B. im eigenen, nach der Sprechstunde sorgfältig untersuchten Nasenschleim 72mal keinen einzigen Bazillus, und 3 mal nur vereinzelte fand. Im ganzen sollte man die Beweiskraft einer solchen Enquete, wie sie SAUGMANN veranstaltet hat, nicht zu hoch veranschlagen. SATJGMANN versandte Fragebogen an fünfzig laryngologische Polikliniken; nur aus acht bekam er die erbetenen vollständigen Ärztelisten. Es liegt doch sehr nahe daran zu denken, daß ein Teil der Polikliniken, die n i c h t geantwortet haben, unangenehme Erlebnisse oder wenigstens zweifelhafte Resultate in bezug auf die Infektion ihrer Ärzte zu verzeichnen hatten und deshalb nicht antworteten. Kommt eine berufsmäßige Infektion zustande, so kann der Verdacht entstehen, daß die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln in der betreffenden Poliklinik nicht richtig gehandhabt sind; und einer solchen Kritik wird sich der Leiter des Instituts selbst dann nicht gern aussetzen, wenn der Fall zweifelhaft liegt und nach seiner Überzeugung die Erkrankung schon vor der laryngoskopischen Tätigkeit entstanden ist. In dem von mir erwähnten Fall, wo ein Assistent der Breslauer Poliklinik an Phthise starb, bin ich nicht zu Diskretion verpflichtet worden, weil die frühere Infektion sicher war. Von den anderen oben von mir zitierten Erkrankungen von Assistenten, wo die berufliche Infektion keineswegs auszuschließen war, habe ich nur unter der Zusicherung völliger Verschwiegenheit genauere Nachricht erhalten. Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, daß das von SATJGMANN gesammelte Material a u s g e w ä h l t und deshalb unbrauchbar ist; warum sollte denn unter einer s >« > > w N TP Ì

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162

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Versuchstiere durch versprengte Tröpfchen mit Tuberkelbazillen infiziert werden können; die Tatsache, daß die Phthisiker reichlich feinste Tröpfchen mit Tuberkelbazillen verstreuen; die mehrfach gelungenen Versuche, Meerschweinchen durch direktes Anhusten von Phthisikern zu infizieren; endlich die analoge Rolle der infektiösen Tröpfchen bei Lungenpest, Influenza und anderen infektiösen Katarrhen, Diphtherie, Genickstarre usw., wo eine Verbreitung durch trockene Stäubchen wegen der Widerstandslosigkeit der Erreger ganz ausgeschlossen ist — alles dies gibt zusammen ein so gewichtiges Beweismaterial, daß nur eine fanatische Gegnerschaft die Bedeutung der Tröpfcheninfektion leugnen kann. Als ein Versuch, zum besseren Verständnis der Tröpfcheninfektion beizutragen, ist auch die vorliegende Arbeit anzusehen, deren Hauptinhalt sich folgendermaßen zusammenfassen läßt: 1. Bei einmaliger Untersuchung finden sich unter Phthisikern, deren Sputum Tuberkelbazillen enthält, nur 30 bis 40 Prozent, die beim Husten Tröpfchen verstreuen. Bei wiederholten Untersuchungen derselben Patienten steigert sich dieser Prozentsatz erheblich. 2. Die Tröpfchen entstammen teils der Mundflüssigkeit und enthalten daün selten Tuberkelbazillen; teils liegen Bronchialtröpfchen vor, die sehr häufig tuberkelbazillenhaltig und oft sehr reich daran sind. 3. Die binnen einer halben Stunde auf einer in 40 bis 80 cm Entfernung aufgestellten Glasplatte aufgefangenen Tröpfchen enthalten in etwa 20 Prozent der Untersuchungen über 400 und bis 20000 Tuberkelbazillen; in 80 Prozent keine oder weniger als 400 Bazillen. 4 . Auf Grund der von G E B H A R D , PBEYSS, F I N D E L an Versuchstieren angestellten Experimente werden wir annehmen müssen, daß mindestens 200 bis 400 Tuberkelbazillen, vielleicht sogar noch mehr, in der Einatmungsluft erforderlich sind, um beim Menschen eine Infektion hervorzurufen. 5. Demnach erfolgt eine Infektion durch Tröpfchenverstreuung nicht bei kurzdauerndem Zusammensein mit einem Phthisiker; nicht wenn der Gesunde den Bereich der direkten Hustenstöße und ein Nahekommen auf mehr wie einen Meter vermeidet, oder wenn der Hustende sich während der Hustenstöße abwendet. Arzte sind auch bei der Untersuchung von Phthisikern nur wenig gefährdet. 6. Dagegen führt das dauernde enge Zusammensein von Mutter und Kind häufig zur Infektion; weniger häufig ist dies bei

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hustende Phthisiker

163

Eheleuten der Fall. K r a n k e n p f l e g e r sind namentlich bei bettlägerigen, hilflosen Phthisikern der Tröpfcheninfektion stark exponiert. 7. Kehlkopfärzte sind bei den anscheinend gefährdenden Untersuchungen und therapeutischen Eingriffen relativ wenig durch Tröpfcheninfektion gefährdet, weil der Kranke bei offener Glottis wenig Tuberkelbazillen verstreut und weil der A r z t im übrigen in der L a g e und gewöhnt ist, sich der Aufnahme ausgehusteter Bronchialtröpfchen zu entziehen.

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1880.

p. 743.

Rev. des scienc. médic. 1 8 8 8 . Nr. 5 2 . 8. TSCHERNING, Fortschritte der Medizin. 1885. S. 65. 9. VOLLAND, Zeitschrift für klin. Medizin. Bd. 23. 1 0 . BALDWIN. Transact. of Americ. climatolog. associai. 1898. 11. DIEUDONNÉ, Münchener med. Wochenschrift. 1901. Nr. 48. 8. 1439. 12. CORNET, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1889. Bd. 5. S. 192. — 1889. Bd. 6. S. 65. — 1891. Bd. 10. S. 455. 13. FLÜGGE, Deutsche med. Wochenschrift. 1897. Nr. 23. S . 665, 758. — Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1897. Bd. 25. S. 179. — 1899. Bd. 33. S. 107. — 1901. Bd. 38. S . 1 . 14. N E I S S E R , Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1898. Bd. 27. S. 175. 15. STICHER, Ebenda. 1899. Bd. 30. S . 163. 16. PETTERSON, Nord, medie. Ark. 1901. Abt. 2. S. 163. 1 7 . GOTSCHLICH, Inaug.-Dissertation. Breslau 1 9 0 2 . 18. LASCHTSCHENKO, Zeitschrift f. Hygiene u. Infekt. 1899. Bd. 30. S. 125. 1 9 . HEYMANN, Ebenda. 1 8 9 9 . Bd. 3 3 . S . 1 3 9 . — 1 9 0 1 . Bd. 3 8 . S . 2 1 . 20. SAUGMANN, Zeitschr. f. Tuberk. u. Heilst. Bd. 6. S . 125. 2 1 . ENGELMANN, Inaug.-Dissertation. Berlin 1 8 9 8 . 22. FRAENKEL, Berliner klin. Wochenschrift. 1899. S. 21. 2 3 . MOËLLER, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1 8 9 9 . Bd. 3 2 . S . 2 0 3 . 24. KOENIGER, Ebenda. 1900. Bd. 31. S. 119. 25. BLUME, Berliner klin. Wochenschrift. 1905. Nr. 42. S. 1072. 26. GEBHARDT, VIRCHOWS Archiv. 1890. Bd. 119. S. 127. 27. P R E Y S S , Münchener med. Wochenschrift. 1891. S. 418. 28. BARTHEL, Wiener klin. Wochenschrift. 1906. S. 217. 7.

MERKLEN,

11*

164

B. Ziesché:

Über Tröpfchenausstreuung

durch hustende

Phihisiker

29. MOSNY, Ann. d'hygièn. publ. 1902. T. XLVII. p. 289. 30. Ebenda. 1904. T. IV. p. 15. 31. SORGO, Wiener klin. Wochenschrift. 1904. Nr. 17. S. 725. 32. BROUARDEL et GILBERT, Nouveau traité de médecine et de thérapeutique publié en fascicules. Paris, Bailli ère et fils, 1906. — BERNARD et MOSNY, Tuberculose. 1906. Pasc. 4. S. 97 u. 100. 33. HILLIER, Brit. med. Journ. 1903. S. 592. 34. KIRSTEIN, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1800. Bd. 35. S. 123 — 1905. Bd. 50. S. 186. 35. BOEQ, Ebenda. 1904. 36. L- H. BING, Norsk magazin for Lsegevidenskaber. 1904. Nr. 82. 37. WILLIAMS, Brit. med. Journ. Sept. 1882. 38. SCHAPER, Tuberculosis. 1904. Bd. 2. S. 543. 39. M. SCHMIDT, Lehrbuch der Laryngologie. 40. HENLE, Zeitschrift für ration. Medizin. 1844. Bd. 1. S. 249. 41. AHOK, VIRCHOWS Archiv.

klin. Medizin. 42.

1892.

Bd. 129.

S. 429. — Zeitschrift f ü r

1904. Bd 54. S. 136.

GEIOEL, VIRCHOWS A r c h i v .

1900.

B d . 161.

S. 183.

43. v. BEHRING, Kasseler Vortrag, Marburg 1903. — Deutsche med. Wochenschrift. 1903. S. 689. 44. PETTERSON, Nord. med. A r k .

1900. Bd. 3?. p. 1.

B.

Luft mit tuberkelbazillenhaltigem Staub.

8. Die Verbreitung der Phthise durch staubförmiges Sputum.1 Von Carl Flügge. Vor etwa 1 1 / 3 Jahren wies ich in einem Aufsatze in der „Deutschen medizinischen Wochenschrift", betitelt: „Über die nächsten Aufgaben zur Erforschung der Verbreitungsweise der Phthise", darauf hin, daß unsere Kenntnisse über die vom Sputum der Phthisiker ausgehende Infektionsgefahr dringend der Ergänzung bedürfen. Einmal sei es nicht nur nicht erwiesen, sondern durch die b i s h e r i g e n Experimente eher unwahrscheinlich gemacht, daß das als ausschließlich gefährlich angesehene trockene Sputum in Staubform Inhalationstuberkulose hervorrufen könne; zweitens sei experimentell erwiesen, daß auch den beim Husten der Phthisiker verspritzten Tröpfchen eine gewisse Rolle bei der Verbreitung der Phthise zukomme. Wie ich ausdrücklich gegenüber den unrichtigen Angaben mancher Autoren hervorheben möchte, habe ich n i c h t behauptet, daß die Infektiosität des t r o c k e n e n Sputumstaubes überhaupt n i c h t bestehe. Ich habe nur gezeigt, daß die bisherigen Experimente ungleichmäßig und zweideutig, namentlich im Vergleich zu den Inhalationsexperimenten mit verspritztem flüssigem Sputum, ausgefallen sind, und daß daher ein vollgültiger Beweis für die Infektiosität des trockenen Sputums bis j e t z t n i c h t erbracht ist. Der häufige negative Ausfall der früheren Inhalationsversuche mußte zunächst den Verdacht nahe legen, daß die Tuberkelbazillen in so feinen Teilchen, wie sie für den Lufttransport Bedingung sind, einen Grad der Austrocknung erfahren, der ihre Virulenz und Lebensfähigkeit schwächt. Über diesen Punkt stellte M . NEISSEB2 Versuche 1 2

Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 30. 1899. S. 107—117. Siehe die folgende Arbeit.

166

Carl

Flügge

an. NEISSEB prüfte verschiedene Bakterien, die er einem ausgesucht feinen Staube beimischte, auf ihre Yerstäubbarkeit durch Luftströme von verschiedener Geschwindigkeit. Verrieb er den Staub mit kleinen Mengen phthisischen Sputums und ließ er dann durch einen Luftstrom von 3 bis 5 mm pro Sekunde die feinen Staubteile 80 cm aufwärts führen, so ließen sich meistens infektionstüchtige Tuberkelbazillen in der Vorlage nachweisen. Die Versuche gelangen nicht so ausnahmslos und mit so geringen Strömen, wie z. B. bei Staphylokokken und Sarcina, aber doch ist der Tuberbazillus zweifellos unter die leicht verstäubbaren Bazillen einzureihen. Weshalb waren aber dann so zahlreiche Versuche früherer Autoren, bei Meerschweinchen durch verstäubtes Sputum Inhalationstuberkulose zu erzeugen, fehlgeschlagen? Darauf gibt die unten abgedruckte Arbeit von S T I C H E R 1 Antwort Auch S T I C H E B gelang es zunächst nicht, unter Anwendung des nach NEISSEB S Vorschrift präparierten sputumhaltigen Staubes bei Tieren Inhalationstuberkulose hervorzurufen, obwohl er durch einen ungemein engen Inhalationsraum — einen über den Kopf des Tieres gezogenen Kautschukbeutel — die Wirkung seines Materiales möglichst konzentrierte. Der Mißerfolg lag offenbar daran, daß der größte Teil des Sputums mit dem Staube feuchte Konglomerate bildete, die zwar durch den sehr kräftigen Luftstrom durch den Inhalationsraum getrieben wurden, aber von dem schwachen Inspirationsstrome nicht angesogen werden konnten. Die daneben etwa vorhandenen trockenen Elemente waren aber vermutlich zu wenig zahlreich, als daß mit einiger Wahrscheinlichkeit von ihnen etwas in das geringe vom Tier inspirierte Luftvolum hätte gelangen können. Dagegen vermochte STICHEB fast ausnahmslos bei den Versuchstieren Inhalationstuberkulose hervorzurufen, wenn er reichliches, an Läppchen oder Brettchen vollkommen angetrocknetes Sputum scharf verrieb und nun mit kräftigem Gebläse — Strömen von I m pro Sekunde und mehr — die sichtbar stark stauberfüllte Luft in den engen Inhalationsraum eintrieb. Ging er dagegen mit der Geschwindigkeit der- Luftströme herunter, auf 10 bis 30 cm pro Sekunde, also immerhin auf Ströme, die noch lebhafteste Zugempfindung hervorrufen, so gelang es in keinem F a l l e mehr, bei den Versuchstieren Inhalationstuberkulose zu bewirken. Jetzt wurden die ganz groben Stäubchen und Fasern nicht in den Inhalationsraum mitgeführt, sondern nur die etwas feineren 1

Siehe S. 190.

Phthiseverbreitung

durch

staubförmiges

Sputum

167

Teilchen; diese aber füllten vermutlich die Luft zu wenig, um die Respirationsluft infektionstüchtig zu machen. Wenn frühere Versuche mißlangen, so lag das mithin daran, daß entweder das Material nicht trocken genug war und dann nicht in hinreichender Menge leichte Stäubchen lieferte; oder daß nicht genügend kräftige Ströme angewendet wurden, die eine größere Menge Stäubchen von verschiedenem Kaliber mitreißen konnten; oder auch der Inhalationsraum war ungeeignet dadurch, daß er zu groß war und ein Absetzen der Stäubchen zu sehr begünstigte. Ein stärkerer Gehalt der Luft an Bazillen muß namentlich deshalb vorhanden sein, weil das Atemvolumen der Versuchstiere so ungemein gering und ihr Inspirationsstrom so schwach ist. Nur bei trockenem, leicht stäubendem Ausgangsmateriale und Füllung der Luft mit zahlreichen feinsten Partikelchen ist auf einen positiven Ausfall der Versuche zu rechnen. Immerhin gelingen in der geschilderten Weise die Inhalationsexperimente mit trockenem Sputumstaube. Auch Cobnet hat kürzlich durch trockenen Sputumstaub Inhalationstuberkulose bewirkt, und zwar, indem er teils mit einem Blasebalg den Versuchstieren infizierten Staub in den Mund blies, teils die Tiere in den Staubwolken hielt, die durch Kehren eines mit angetrocknetem Sputum bedeckten Teppichs aufgewirbelt wurde. Daß also die I n f e k t i o n von Meerschweinchen durch Inh a l a t i o n staubförmigen phthisischen Sputums unter Einhaltung gewisser Versuchsbedingungen gelingt, daran ist durchaus nicht mehr zu zweifeln. Aber diese Versuchsbedingungen weichen von den in der P r a x i s vorhandenen und für menschliche Wohnungen geltenden Bedingungen doch außerordentlich stark ab. Das Sputum ist künstlich getrocknet, die verwendete Sputummasse relativ groß, die Ablösung der Stäubchen ist durch übertrieben heftige Manipulationen bewirkt, stärkste Luftströme. wie sie in Wohnräumen gar nicht vorkommen, haben den Staub über ganz kurze Wegstrecken zum Versuchstiere transportiert. Paßte Stichek die Versuchsbedingungen nur in einem Punkte den Verhältnissen der Praxis mehr an, indem er z. B. die Geschwindigkeit der Luftströme herabminderte, dann gelang die Erzeugung von Inhalationstuberkulose bei Meerschweinchen schon nicht mehr. Mit Recht kann man indessen einwenden, daß das Experiment insofern Bedingungen einführt, welche einem positiven Ausfalle der Versuche ungünstig sind, als die verwendeten Meerschweinchen ein

168

Carl

Flügge

relativ schwaches Reagens auf die Anwesenheit infektiöser Luftstäubchen darstellen. Das Quantum Luft, das sie einatmen, ist zu gering -T- in der Minute nur 75 ccm — und macht einen zu kleinen Bruchteil der gesamten keimbeladenen Luft — in den S T I C H E B sehen Versuchen ca. 4 Prozent — aus, als daß man bei einiger "Verdünnung der Keime noch Infektion erwarten könnte. Ferner ist der Inspirationsstrom bei den Versuchstieren so schwach, daß es mittels desselben nicht leicht gelingen wird, aus einem stärker bewegten Luftstrome die schwebenden Keime zu aspirieren. In dieser Beziehung muß man suchen, das Experiment zu -verfeinern, so daß dasselbe auf den Menschen mit seinem 100 mal größeren Atemvolumen und viel kräftigeren Inspirationsstrome sich übertragen läßt. Verzichtet man darauf, die Versuchstiere direkt durch Inhalation zu infizieren, so läßt sich in der Tat durch viel feinere Reagentien feststellen, ob unter bestimmten Bedingungen ein Transport, wenn auch nur spärlicher feinster Sputumteile, durch einen Luftstrom stattfindet oder nicht. Es gelingt dies dadurch, daß man die ganze, zum Versüche benutzte Luft in eine Vorlage mit etwas Flüssigkeit übertreibt und letztere mikroskopisch untersucht oder intraperitoneal Meerschweinchen injiziert. Selbst ganz vereinzelte, lebensfähige Keime müssen sich durch dieses Verfahren nachweisen lassen, und wir werden durch Anwendung desselben die Bedingungen, an welche die Luftinfektion durch trockenes Sputum geknüpft ist, experimentell präzisieren können. Auch solche Versuche wurden von S T I C H E B ausgeführt. Sie ergaben, daß durch Ströme von 10 cm Geschwindigkeit ziemlich reichlich Bazillen in die Vorlage befördert wurden, bei geringeren Geschwindigkeiten (1 cm) auch noch vereinzelte, aber so spärlich, daß sie mikroskopisch kaum mehr auffindbar waren, während die intraperitoneale Impfung mit einem größeren Teile des Vorlageninhaltes gewöhnlich noch wirksam war. Unter Anwendung feinster Reagentien konnten wir uns also von der Existenz feiner, trockener und doch virulente Tuberkelbazillen beherbergender Stäubchen überzeugen, die selbst durch schwächste Luftströme noch transportabel sind. Auch dies Resultat läßt indes nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die P r a x i s zu. Zwar sind die Luftströme so reduziert, daß eine Übertragung der experimentellen Resultate auf die praktischen Verhältnisse statthaft ist. Aber die sonstigen Versuchsbedingungen weisen doch noch erhebliche Abweichungen auf.

Phthiseverbreitung durch staubförmiges Sputum

169

Manche derselben werden wir in Kauf nehmen dürfen, weil eben im Experiment übertrieben werden s o l l , damit man kräftige Ausschläge erhält; eine Reduktion entsprechend der Abweichung der natürlichen Bedingungen wird dann immer noch möglich sein. Daß in den STICHER sehen Versuchen die gesamten, durch intensivstes Reiben und Zerren von Leinwandläppchen, oder durch Aneinanderreihen von Holzbrettchen abgelösten Sputumteile in Rechnung gezogen wurden, das ist eine zulässige Übertreibung, die nur eine Reduktion der Z a h l der aufgefundenen Bazillen für die Verhältnisse der Praxis erfordern würde. In demselben Sinne ist das Auffangen der gesamten 200 Liter Luft, die mit dem ganzen verstäubten Material beladen war, in eine der genauesten Untersuchung zugängliche Vorlage als statthafte Übertreibung anzusehen. Aber e i n e Bedingung ist in den STICHEB sehen Versuchen eingeführt, die vielleicht von ganz ausschlaggebender Bedeutung für die Ablösung und den Transport der Keime ist und möglicherweise auch nicht annähernd in dieser Weise in der Praxis in Betracht kommt: die v o l l k o m m e n e T r o c k e n h e i t des zur Verstäubung gelangten Sputummateriales. Positive Befunde bei schwächeren Luft9trömen hatte STICHES n u r d a n n zu verzeichnen, wenu er das Sputum an Leinwandläppchen oder Brettchen bis zur absoluten Wasserfreiheit im Exsikkator ausgetrocknet hatte. Es mußte mithin, ehe man Folgerungen aus diesen Versuchen zog, festgestellt werden, ob denn unter praktischen Verhältnissen eine so v o l l k o m m e n e A u s t r o c k n u n g des Sputums häufiger stattfindet, bzw. wie sich bei dem Grad der Austrocknung, der in der Praxis wirklich vorkommt, die Verstäubung vollzieht. Eine Ergänzung der STICHEE sehen Versuche in dieser Richtung hat B E N I N D E 1 ausgeführt. E r experimentierte mit Taschentüchern, welche von Phthisikern benutzt und mit deren Sputum verunreinigt waren. Solche Taschentücher hatte COBNET als die gefährlichste Quelle verstäubter Tuberkelbazillen bezeichnet, da das Taschentuch beim Tragen in der Tasche so besonders leicht und vollkommen austrocknen könne, und da beim Hantieren mit solchen Tüchern gute Gelegenheit zum Ablösen von feinsten Fasern und Stäubchen gegeben sei. Vorweg sei hervorgehoben, daß BENINDE mit solchen von einem Phthisiker benutzten Taschentüchern genau die gleichen Resultate erzielte wie STICHEB, wenn er sie v o l l k o m m e n im E x s i k k a t o r 1

Siehe unten.

170 trocknete. Auch Luftströme von 1 cm Geschwindigkeit, führten von diesen Tüchern, wenn sie stark gerieben und gezerrt wurden, Tuberkelbazillen in die Vorlage über, so daß ihr Nachweis dort mikroskopisch und durch Tierimpfung gelang. Anders mit Taschentüchern, die der Patient benutzt und nur d u r c h T r a g e n in der T a s c h e g e t r o c k n e t hatte. War das Taschentuch einigermaßen reichlich beschmutzt und wurde es dann aucb noch einen Tag unbenutzt in der Tasche getragen, um möglichstes Trocknen eintreten zu lassen, so wurde selbst durch starke Lufströme n i c h t s von Keimen in die Vorlage übergeführt. Erst wenn das Taschentuch nur 2 Stunden benutzt war, wenig Sputum enthielt, trotzdem aber noch einen vollen Tag in der Tasche getragen war, konnten durch s t a r k e Luftströme spärliche Tuberkelbazillen fortgeführt werden. Das eintägige unbenutzte Tragen in der Tasche bewirkte dabei eine Feuchtigkeitsverminderung um 60 Prozent. S c h w a c h e Ströme ließen bei solcher Versuchsanordnung keine Tuberkelbazillen übergehen; der restierende Feuchtigkeitsgehalt von 40 Prozent verhinderte offenbar noch die Bildung so leichter Stäubchen, daß ein Transport durch schwache Ströme möglich gewesen wäre. Durch längeres unbenutztes Tragen in der Tasche — mindestens 2 Tage — ließ sich allerdings der Feuchtigkeitsgehalt der Taschentücher weiter herabdrücken, bis auf 14 Prozent der gesamten Wassermenge. Dann gelang auch die Ablösung und der Transport von Tuberkelbazillen mit schwachen Strömen, freilich in viel geringerem Maße, als wenn auch jener letzte Rest von Feuchtigkeit durch künstliches Trocknen entfernt war. Trotz im übrigen forzierter Versuchsbedingungen — intensivstes, fortgesetztes Reiben und Zerren der Tücher, Sammlung der g a n z e n von 400 Liter Luft mitgeführten Staubmasse in einer Vorlage — gelang also der Transport von Sputumteilchen aus benutzten Taschentüchern n u r dann, wenn dieselben b e s o n d e r s g ü n s t i g e n A u s t r o c k n u n g s b e d i n g u n g e n aasgesetzt waren. In der Praxis werden für gewöhiilich die Taschentücher benutzt, bis sie zu feucht sind und werden dann mit neuen vertauscht. Daß ein wenig Sputum enthaltendes Taschentuch bis zu einer die Luftinfektion ermöglichenden Trockenheit in der Tasche getragen wird, das wird sehr selten vorkommen. Aber es w i r d natürlich hier und da vorkommen. Und auch auf dem Fußboden k a n n gelegentlich völliges Eintrocknen von Sputum und Verbreitung zu feinem Staube vorkommen. In der Regel wird

Phthiseverbreitung durch staubförmiges Sputum

171

indessen auch hier das Sputum schwerlich den nötigen Grad von Trockenheit und Zerkleinerung erfahren. Jede feuchte Reinigung des Fußbodens unterbricht den Trocknungsprozeß und entfernt einen Teil des Sputums. In nur einigermaßen reinlich gehaltenen Wohnungen werden sich v ö l l i g getrocknete Sputumreste kaum finden. Dagegen in unsauberen Wohnungen, in Werkstätten, Bureaus usw. wird, wenn phthisisches Sputum häufiger auf den Fußboden gelangt, sicher trockener Sputumstaub sich bilden können, der gelegentlich lebende Tuberkelbazillen in die Luft überführt. Daß aber die Wohnungsluft h ä u f i g e r mit solchem infektiösen Staub beladen wird und daß wir diesen als eine uns vielfach bedrohende Infektionsquelle zu betrachten haben, dagegen sprechen doch manche Erwägungen. Zuvörderst ist nach direkten Beobachtungen die ganze Masse des in der Wohnung verbleibenden Sputumstaubes offenbar gering. Das lehren die Untersuchungen des Wohnungsstaubes auf Tuberkelbazillen. Die Versuche von v. W E H D E , G U A E N E K J , BATTMGABTEN, C O B N E T u. a., aus der L u f t von Phthisikerräumen infektiösen Staub zu gewinnen, schlugen fehl; nur R E M B O L D konnte, wenn er absichtlich aufgewirbelten Staub in dem Wattepfropfen eines Aspirators sammelte, zwei seiner Versuchstiere infizieren. Aber auch der Staub, den C O B N E T bei seinen ausgedehnten Untersuchungen in Krankenhäusern und Wohnungen durch Abwischen von Wandflächen, Bettleisten usw. mittels eines feuchten Schwammes sammelte, hatte häufig keine Wirkung bei intraperitonealer Impfung von Meerschweinchen oder infizierte nur einen Bruchteil der Tiere, selbst dann, wenn der Staub Räumen entnommen wurde, wo die Phthisiker ihr Sputum auf den Fußboden oder ins Taschentuch entleerten. Aber meist ein leichten der Luft

nicht nur der Gehalt des Staubes an Tuberkelbazillen ist geringer, sondern vor allem fehlt es im Wohnraum an so und f e i n e n Sputumteilchen, daß dieselben längere Zeit in schweben könnten. In den Versuchen von S T I C H E R und B E N I N D E resultierte nur dann ein geringfügiger Transport durch schwache Luftströme, wenn das Sputummaterial k ü n s t l i c h vollkommen g e t r o c k n e t war. Selbst dann aber sank die Ausbeute mit der Abnahme der Stromstärke so rasch ab, daß der Anteil der l e i c h t transportablen und zu einem längeren Aufenthalt in der Luft geeigneten Stäubchen sicher ein ä u ß e r s t g e r i n g f ü g i g e r ist. Und dabei wurde die Bildung und Ablösung feinster Teilchen durch das vollständige Trocknen und das intensive Reiben und Zerren n o c h b e s o n d e r s b e g ü n s t i g t . — Unter p r a k t i s c h e n Verhältnissen wird

172

Carl Flügge

dieser Anteil der leicht schwebenden Stäubchen noch um vieles geringer ausfallen. Das mucinhaltige Sputum ist nach dem Antrocknen sehr schwer in so feine Splitter zu zerlegen, daß l e i c h t e s t e r Staub daraus entsteht. Die g r ö b e r e n Stäubchen bieten aber bei weitem nicht die gleiche Infektionsgefahr. Sie werden nur gelegentlich, beim Kehren, Bürsten usw., durch Hantierungen aufgewirbelt, eine Strecke vorwärts und aufwärts getragen und dort so lange gehalten, als starke, Zugempfindung veranlassende, Ströme das Zimmer durchsetzen und die Luft s i c h t b a r mit gröberem Staub erfüllt ist; sobald jene Manipulationen und die stärkeren Luftströme aufhören, setzen sie sich auf irgend welchen Flächen ab. Daß solche gröberen Teilchen häufiger in den Bereich der Atemluft eines Menschen kommen und die Eingangswege zum Respirationstraktus passieren, ist nicht anzunehmen. Eine ganz erheblich größere, andauernde Gefahr würden jedenfalls feinste, längere Zeit schwebende, durch schwache Luftbewegung auch aufwärts beförderte Stäubchen darstellen; aber gerade solche Stäubchen sehen wir nur äußerst spärlich aus phthisischem Sputum hervorgehen. Auch COBNET 1 spricht sich in seiner ersten Arbeit über die Verbreitung der Tuberkelbazillen dahin aus, daß von dem auf den Fußboden gespuckten und angetrockneten Sputum nur der allerkleinste Teil ein so feines Pulver bilden wird, daß es sich längere Zeit in der Luft suspendiert halten kann, zumal wenn wir bedenken, daß starke Luftströmungen im Zimmer nicht in Betracht kommen. — „Wer einmal versuchte, selbst gut getrocknetes Sputum im Mörser zu zerreiben und sehr fein zu pulverisieren, der wird mir bestätigen, daß es gar keine so leichte Aufgabe ist, ein wirklich feines Pulver zu erhalten, das einige Zeit in der Luft suspendiert bleibt. Die darüber herrschenden Vorstellungen, als ob man nur mit dem Fuße über getrocknetes Sputum zu streichen habe, damit sich sofort eine ganze Staubwolke von Infektionskeimen erhebe, ist absolut falsch. Der Mucingehalt des Sputums hindert bis zu einem gewissen Grade die Pulverisierung." . . . . Ferner S. 305: „Es war auffallend, daß . . . in dem einen Saale, in dem gerade die schwerst erkrankten Phthisiker lagen, zwar an einer Stelle, direkt hinter dem Phthisiker, aber nicht einmal auf dem 3 m vom nächsten Bett abstehenden Spinde Bazillen sich fanden. Ferner, daß in dem Separatzimmer, in welchem ich mit fein gepulverten Tuberkelbazillen experimentierte, zwar unmittelbar an meinem Arbeitstisch sich sehr viele Bazillen gefunden 1

Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

Bd. 5. S. 285 u. 305.

Phthiseverbreitung

durch staubförmiges

Sputum

173

haben, nicht aber an einer, mehrere Meter entfernten, weit größeren Fläche. . . . Würde es sich ergeben, daß die Verbreitung in relativ beschränkten Kreisen stattfindet, besonders wenn nicht bedeutendere Luftströmungen stattfinden, wie im Freien oder bei Zugluft, so wäre das darauf zurückzuführen, daß die Tuberkelbazillen infolge ihres außerordentlich zähen Menstruums meist nur als relativ große Körperchen, zusammen oder mit anderen Gegenständen verklebt, vorkommen." Diesen Ausführungen CORNETS kann ich mich auf Grund der Ergebnisse unserer Experimente vollkommen anschließen. CORNET hat das große Verdienst, zuerst auf die Gefahr des ausgetrockneten Sputums, zugleich aber auch auf die Einschränkungen hingewiesen zu haben, denen diese Gefahr durch die Schwierigkeit unterliegt, mit der sich feinste Stäubchen aus dem Sputum bilden. — CORNET hat es damals nicht für erforderlich gehalten, experimentelle Beweise für die Infektiosität des Sputamsstaubes zu erbringen. Diese Lücke habe ich in der Weise auszufüllen versucht, daß wir durch geeignete Experimente zugleich über die Wahrscheinlichkeit, mit welcher diese Infektionsgefahr uns in der Praxis bedroht, einigen Aufschluß erhalten. Das Ergebnis dieser Versuche lautet dahin, daß eine I n f e k t i o n mit v e r s t ä u b t e m , t r o c k e n e m S p u t u m zweifellos möglich ist, daß sie aber r e l a t i v s e l t e n zustande kommen wird, weil die Bildung f e i n s t e r , leicht durch die Luft transportabler S t ä u b c h e n nur aus völlig t r o c k e n e m Sputum und selbst dann nur in sehr beschränktem Maße sich vollzieht. Für die Praxis ergibt sich für die Gefahr der Verbreitung von Tuberkelbazillen in Form trockenen Luftstaubes folgendes: In Räumen, in welchen phthisisches Sputum auf dem Fußboden oder Gegenständen angetrocknet ist, und wo die Luft sichtbar mit gröberem Staube erfüllt ist, sei es durch trockene Reinigung des Wohnraums und Zugluft, sei es durch den Verkehr und die Hantierungen zahlreicher Menschen (Werkstätten), oder durch fortgesetzte mechanische Erschütterungen (Bahnwagen) kann Infektion durch Luftstaub erfolgen. Auch unter diesen Umständen bietet indes meist erst fortgesetzter, längerer Aufenthalt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Infektion. — Eine gelegentliche Entleerung des Sputums ins Taschentuch, erhöht die Infektionsgefahr in n i c h t nennenswerter Weise. A u s z u s c h l i e ß e n ist die Infektion durch trockenen Sputumstaub am leichtesten und sichersten dadurch, daß alles Sputum in Spucknäpfe oder Spuckfläschchen oder Taschentücher, die nach beendeter Benutzung zu desinfizieren bzw. zu vernichten sind, entleert

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Max

Neisser

wird, wie dies auf C O B N E T S Mahnungen hin jetzt meist geschieht.— Nebenbei ist in Bäumen, wo Phthisiker verkehren, trockene Reinigung möglichst zu vermeiden, bzw. die Räume sind nicht von Menschen zu benutzen, solange die Luft mit sichtbarem Staub erfüllt ist.1

9. Über Luftstaubinfektion.2 Von Dr. M a x N e i s s e r , z. Z. Professor und Leiter des hygienischen Instituts in Frankfurt a./M.

Die bekannten Infektionserreger verlassen den erkrankten Menschen in flüssiger Umhüllung, als Sputum, Dejektion, Eiter usw., und zwar erfolgt die Ausstreuung dieses Materials in Form von größeren oder kleineren Partikeln, deren kleinste die beim Husten, Niesen und beim Verspritzen von Flüssigkeiten entstehenden Tröpfchen sind. Auf d i r e k t e m und indirektem Wege können von neuem Infektionen erzeugt werden. Für die gröberen, sinnlich wahrnehmbaren Partikel wird der direkte Weg der im allgemeinen seltenere und, weil leicht vermeidbar, hygienisch weniger in Betracht kommende sein. Während er z. B. bei der Gonorrhoe den fast ausschließlichen Übertragungsmodus darstellt, ist er z. B. bei der Diphtherie außerordentlich selten. Gleichwohl kommt er auch hier vor, wie die Augendiphtherie bei Ärzten beweist, welche einem Hustenanfall während der Tracheotomie ausgesetzt waren. Diese Art der direkten Infektion mit gröberen Partikeln ist insofern hygienisch von nicht sehr großer Bedeutung, als sie zur Voraussetzung den intimsten Verkehr mit dem Kranken hat. Dies war aber der bisher allein bekannte Weg der direkten Übertragung. Neuerdings hat nun F L Ü G G E 3 nächgewiesen, daß auch jene kleinen, sinnlich n i c h t wahrnehmbaren Partikel, wie sie vor1 KOEHLISCH hat neuerdings weitere Versuche über die Inhalation von trockenem tuberkelbazillenhaltigen Staub angestellt, in dem teils die wirksame Dosis für diese Form' der Infektion genauer festgestellt, teils geprüft wurde, ob in den natürlichen Infektionsquellen die wirksame Dosis Bazillen enthalten sei. Da die Arbeit von KOEHLISCH sich vorzugsweise mit der Art des Eindringens der trockenen Tuberkelbazillen in die Lunge beschäftigt, habe ich sie weiter unten bei der Besprechung der „Eintrittspforten" mitgeteilt, es sei aber hier ausdrücklich auf die dort auch über die „Infektionsgelege,nheiten" gemachten Angaben verwiesen. FLÜGGE. s Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 27. 1898. S. 176—198. 3 Ebenda. 1897. Bd. 25. S. 179.

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Max

Neisser

wird, wie dies auf C O B N E T S Mahnungen hin jetzt meist geschieht.— Nebenbei ist in Bäumen, wo Phthisiker verkehren, trockene Reinigung möglichst zu vermeiden, bzw. die Räume sind nicht von Menschen zu benutzen, solange die Luft mit sichtbarem Staub erfüllt ist.1

9. Über Luftstaubinfektion.2 Von Dr. M a x N e i s s e r , z. Z. Professor und Leiter des hygienischen Instituts in Frankfurt a./M.

Die bekannten Infektionserreger verlassen den erkrankten Menschen in flüssiger Umhüllung, als Sputum, Dejektion, Eiter usw., und zwar erfolgt die Ausstreuung dieses Materials in Form von größeren oder kleineren Partikeln, deren kleinste die beim Husten, Niesen und beim Verspritzen von Flüssigkeiten entstehenden Tröpfchen sind. Auf d i r e k t e m und indirektem Wege können von neuem Infektionen erzeugt werden. Für die gröberen, sinnlich wahrnehmbaren Partikel wird der direkte Weg der im allgemeinen seltenere und, weil leicht vermeidbar, hygienisch weniger in Betracht kommende sein. Während er z. B. bei der Gonorrhoe den fast ausschließlichen Übertragungsmodus darstellt, ist er z. B. bei der Diphtherie außerordentlich selten. Gleichwohl kommt er auch hier vor, wie die Augendiphtherie bei Ärzten beweist, welche einem Hustenanfall während der Tracheotomie ausgesetzt waren. Diese Art der direkten Infektion mit gröberen Partikeln ist insofern hygienisch von nicht sehr großer Bedeutung, als sie zur Voraussetzung den intimsten Verkehr mit dem Kranken hat. Dies war aber der bisher allein bekannte Weg der direkten Übertragung. Neuerdings hat nun F L Ü G G E 3 nächgewiesen, daß auch jene kleinen, sinnlich n i c h t wahrnehmbaren Partikel, wie sie vor1 KOEHLISCH hat neuerdings weitere Versuche über die Inhalation von trockenem tuberkelbazillenhaltigen Staub angestellt, in dem teils die wirksame Dosis für diese Form' der Infektion genauer festgestellt, teils geprüft wurde, ob in den natürlichen Infektionsquellen die wirksame Dosis Bazillen enthalten sei. Da die Arbeit von KOEHLISCH sich vorzugsweise mit der Art des Eindringens der trockenen Tuberkelbazillen in die Lunge beschäftigt, habe ich sie weiter unten bei der Besprechung der „Eintrittspforten" mitgeteilt, es sei aber hier ausdrücklich auf die dort auch über die „Infektionsgelege,nheiten" gemachten Angaben verwiesen. FLÜGGE. s Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 27. 1898. S. 176—198. 3 Ebenda. 1897. Bd. 25. S. 179.

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nehinlich beim Husten, Niesen usw. entstehen, die Möglichkeit einer d i r e k t e n Infektion darbieten. Und da die Ausstreuung dieses Materiales dabei eine große ist und unzweifelhaft sich viele Meter weit erstreckt, so ist dieser Infektionsmodus ein gefährlicher und weit verbreiteter. Erfolgt also bei einer Krankheit ein besonders reichliches Ausstreuen der Erreger auf diese Weise (z. B. durch häufiges Husten, Niesen) und ist gleichzeitig die Disposition für diese Erkrankung eine ziemlich allgemeine, so werden derartige Epidemien in Kürze einen enormen Umfang annehmen müssen. Auf diese Weise kann man sich Influenzaepidemien zwanglos erklären. Die direkte Übertragung des Infektionserregers in die für diesen Erreger notwendige Eintrittspforte bietet augenscheinlich für eine neue Infektion große Chancen. Es ist aber diese Gefahr zeitlich und örtlich an die Person des Infektionsträgers gebunden; denn auch die feinsten Tröpfchen sind in wenigen Stunden aus der Luft verschwunden. Und dieser Umstand ist für die Gesamtheit insofern von Wichtigkeit, als die direkte Infektion von einem Infektionskranken aus nur verhältnismäßig wenige, mit der Gefahr im allgemeinen bekannte Personen treffen wird, eine Ausstreuung infektiösen Materiales von einem gesunden Infektionsträger aus aber nur relativ selten und in geringem Maße geschehen wird. Anders liegen die Chancen bei der i n d i r e k t e n Übertragung. Sie ist insofern ungleich weniger sicher, als sich mit jeder Station, die in den Weg eines Infektionserregers von einem Herde zu einer neuen Ansiedelung eingeschaltet ist, die Anzahl der möglichen Kombinationen mehrt, von denen nur eine Bedeutung hat, diejenige nämlich, daß der lebende Infektionserreger an die zur Infektion geeignete Stelle gelangt. Bei jedem dieser Zwischenglieder wiederholt und vervielfältigt sich die Möglichkeit des Unterganges des Infektionserregers durch Austrocknung, Mangel an Nährmaterial usw. Aber eine andere Gefahr ist mit der indirekten Übertragung verknüpft, diejenige der zeitlich und örtlich u n b e s c h r ä n k t e n Verschleppung, häufig genug in einer Form, welche die Herkunft von einem Infizierten nicht mehr erkennen läßt. Zu der indirekten Übertragung gehört auch die bisher noch wenig untersuchte I n f e k t i o n durch den L u f t s t a u b , welche das Thema dieser Arbeit darstellt. Die Übertragung ist hierbei so vorzustellen, daß ausgestreutes Infektionsmaterial antrocknet, zu Staub zerfällt und durch Luftbewegung an die notwendige Eintrittspforte gelangt. Da somit auf dem Wege des Infektionserregers nur eine Station eingeschaltet zu sein braucht, so wird die Chance dieses

176

Max

Neisser

Modus auf gleicher Stufe stehen etwa mit der von infizierten Nah-, rungsmitteln, Instrumenten usw. Eine b e s o n d e r e Gefahr, bietet dieser Modus noch dadurch, daß dabei eine sehr reichliche Verteilung des Infektionsmateriales stattfindet, daß dies in einer sinnlich nicht wahrnehmbaren Form geschieht, und daß eine Übertragung auch ohne das Zwischenglied des menschlichen Verkehrs, allein durch Luftbewegung möglich ist. Um so mehr erscheint es gerechtfertigt, auf diese Frage einzugehen. Die erste Vorbedingung für das Zustandekommen einer derartigen Infektion ist das Antrocknen größerer oder kleinerer infektiöser Partikel an irgend welchen Gegenständen. Durch Verwitterung und unter Mitwirkung mechanischer Momente, wie Zerreiben, Klopfen, Bürsten usw. muß dieses Material in Staubform verwandelt werden. Allerdings stellt man sich das gewöhnlich leichter vor, als es der Fall ist. Es hängt das sehr von der Beschaffenheit des Materiales ab, und die Vorstellung, als ob jedes eintrocknende Sputum in kurzer Zeit in Staubform überginge, ist sicherlich nicht richtig. Auf diese Frage soll indessen später noch eingegangen werden. Des weiteren ist ein A u f w i r b e l n des entstandenen Staubes durch Bewegung oder dergleichen nötig; denn wir wissen jetzt, daß zum Aufwirbeln auch eines feinen Staubes Luftströme von mehreren Zentimetern Geschwindigkeit erforderlich sind, wie sie wohl beim Gehen, Fegen usw. entstehen. Der einmal aufgewirbelte Staub braucht dann nur noch durch Luftbewegung an die zur Infektion geeignete Stelle transportiert zu werden. Und für diesen Transport kommen die in einem Zimmer stets vorhandenen Luftströme sehr wohl in Betracht. Man braucht sich bloß der Sonnenstäubchen zu erinnern, um einzusehen, wie lange einmal aufgewirbelter Staub schwebend erhalten und wie weit er so transportiert werden kann. Bei direkten Versuchen im hiesigen Institut 1 ist Staub noch bei Geschwindigkeiten von 0-3 bis 0-4 mm pro Sekunde eine gewisse Strecke weit senkrecht transportiert worden. Es mag auffallen, daß bisher nur die Luftbewegungen im Z i m m e r und nicht die ungleich stärkeren im F r e i e n in Betracht gezogen worden sind. Es ist indessen schon von FLÜGGE betont worden, daß eine derartige Infektion im F r e i e n als ein „hygienisches Kuriosum" anzusehen ist. Man vergegenwärtige sich nur, welcher Zufall es wäre, wenn ein im Freien aufgewirbelter infektiöser Staub zu einer geeigneten Infektionspforte gelangte. Denn selbst angenommen, ein 1

Siehe S. 16.

177

Luftstrom transportiere einen Infektionserreger, ohne ihn erst in Häusern, Bäumen usw. abzusetzen, — Zwischenglieder, deren jedes einen zerstörenden Einfluß durch die Konkurrenz anderer Bakterien, durch Sonnenbestrahlung usw. ausübt — direkt auf einen Menschen zu, so wird selbst eine gering abweichende Richtung des Luftstromes genügen, um das Eindringen z. B. in Nase oder Mund zu verhindern. Hat doch selbst bei W i n d s t i l l e die Luft noch eine Bewegung von etwa 1 m pro Sekunde. Und bei den gewöhnlich im Freien herrschenden Luftströmen hat der im Vergleich dazu schwache Inspirationsstrom nicht die Kraft, Staubpartikel aus ihrer Richtung zu bringen. Eine größere Oberfläche zur Ablagerung des Staubes bieten die Kleider. Aber die Kleidung müßte schon sehr reichlich mit Infektionserregern bedeckt sein, wenn eine Chance dafür sein sollte, daß von der Kleidung aus die Infektionskeime zur Eintrittspforte gelangen. Es ist deshalb durchaus berechtigt, wenn man die Übertragung von Infektionserregern durch den Luftstaub im F r e i e n als außerhalb der für die Gesamtheit in Betracht kommenden Gefahren liegend ansieht. Beschränkt man somit die Fragestellung auf die Übertragung durch den in Z i m m e r n schwebenden Luftstaub, so scheidet man damit auch jene großen Geschwindigkeiten, wie sie im Freien vorkommen, aus und hat es nur noch mit relativ schwachen Luftströmungen zu tun. Das aber ist ein Punkt, der unseres Erachtens bei den bisherigen hierauf bezüglichen Untersuchungen nicht genügend berücksichtigt worden ist. Es liegen über diese Frage verschiedene Versuchsreihen 1 vor. Bei der einen hat man versucht, direkt aus der Luft pathogene Keime aufzufangen. Allein da man diese Versuche gewöhnlich in Krankenzimmern angestellt hat, in denen Kranke sich befanden, so 1

Die vollständige Literatur über dieses Thema in kritischer Form enthält die unter Prof. K B U S E S Leitung von G E R M A N O angefertigte Arbeit: „Die Übertragung von Infektionskrankheiten durch die Luft." Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 24. S. 403. — Bd. 25. S. 439. — Bd. 26. S. 66 u. 273. Dem Literaturverzeichnis wäre -nur noch eine neuere Arbeit von H O N S E I . L : „Zur Frage der Choleraübertragung durch die Luft", Arbeiten aus dem pathol. Institut zu Tübingen, 1896, Bd. 2, Heft 2, hinzuzufügen. So wichtig und interessant die G E R M A N O sehe Arbeit ist, so löst sie, wie aus dem Folgenden ersichtlich, nur die Frage der Staub-Kontaktinfektion, nicht aber die der StaubLuftinfektion. Es erklären sich daraus auch die differenten Schlüsse über die Verstäubbarkeit der einzelnen Bakterienarten. FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

178

Max Neisser

hat man hierbei auch mit jenen kleinsten T r ö p f c h e n zu rechnen, von denen schon mehrfach die Rede war. In anderen Fällen, in denen man die .Luft leerer Operationssäle untersucht hat, hat man häufig Staphylokokken, vereinzelt auch Streptokokken gefunden. Da indessen die Identifizierung der pathogenen Streptokokken und Staphylokokken auch heute noch nicht als sicher anzusehen ist, so sind diese Befunde mit einer, gewissen Reserve aufzunehmen. Auch bei einer zweiten Gruppe von Versuchen sind die Luftströmungen außer Betracht geblieben, indem man die Infektionserreger auf Staub verschiedener Sorte antrocknen ließ und den Staub nach einer gewissen Zeit natürlicher oder künstlicher Trocknung auf die Lebensfähigkeit der betreffenden Bakterien untersuchte. Diese Untersuchungen sind zur Lösung jener Frage geeignet, inwieweit überhaupt infizierter Staub noch gefährlich sein kann (Kontakt), nicht aber zur Klärung des in Rede stehenden Themas. In einer ferneren Reihe von Versuchen hat man die Anordnung getroffen, Staub, den man mit Bakterien infiziert hatte, durch ein Gebläse in Nährlösungen überzuführen und so auf die Lebensfähigkeit der betreffenden Bakterienart zu untersuchen. Aber hierbei war insofern eine wesentliche Abweichung von den natürlichen Bedingungen gesetzt, als dabei Luftströme von einer Stärke angewendet wurden, wie sie wohl im Freien, nicht aber im Zimmer vorkommen. Nur auf die letzteren ist aber, wie erwähnt, Rücksicht zu nehmen. Bei diesen verschiedenen Stäubversuchen hat man den Staub trocken werden lassen, entweder „völlig trocken" oder „lufttrocken", und. dann weiter verwendet. Aber gerade dieser Punkt bedarf der Aufklärung. Denn wir wissen nicht, wann ein Staub „völlig trocken" ist und wir wissen ferner nicht, ob ein „lufttrockener" Staub vers t ä u b b a r ist. Und nur auf die V e r s t ä u b b a r k e i t kommt es an. Mag ein Staub noch so trocken oder feucht sein, — wenn er unter unseren Bedingungen v e r s t ä u b bar ist, so kommt er für unsere Frage in Betracht. Die Verstäubbarkeit eines Staubes, der aus gleichschweren, gleichgroßen und gleichgestalteten Partikeln besteht, über eine gewisse Strecke hinweg, hängt nur ab vom Feuchtigkeitsgehalt des Staubes, bzw. von der Stärke des Luftstromes. So ist auch ein relativ feuchter Staub durch einen genügend starken Luftstrom eine Strecke weit transportierbar, und es entspricht jede Luftstromstärke einem Maximum des Feuchtigkeitsgrades, das von dem Staub nicht überschritten werden darf, wenn dieser Staub von diesem Luftstrom noch transportierbar sein soll. Ist er feuchter, so bilden sich, gleiche Ver-

Über

179

Luftstaubinfektion

teilung der Feuchtigkeit vorausgesetzt, Konglomerate, welche von diesem Luftstrom eben nicht mehr über die gegebene Strecke transportiert werden können. Dieses Maximum des Feuchtigkeitsgrades eines Staubes für einen Luftstrom von gegebener Stärke wird sich nur schwer direkt bestimmen lassen, gleichwohl müssen wir es aber zum Zwecke des Experimentes herzustellen suchen. Denn nur, wenn der Staub dieses Maximum des Feuchtigkeitsgrades besitzt, wenn er also gerade so feucht ist, daß ihn Luftströme von gegebener Stärke über eine gewisse Strecke noch zu transportieren vermögen, — nur dann bietet er für die Konservierung der mit ihm transportierten Bakterien die günstigste Chance. Und diese werden wir natürlich herzustellen suchen müssen. Zeigt sich dann z. B., daß selbst dieser maximal feuchte Staub Bakterien in lebendem Zustande unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr zu transportieren vermag, so gilt das gleiche erst recht auch für Staub, der trockener ist. Es war bisher eine g l e i c h m ä ß i g e Verteilung der Feuchtigkeit im Staube vorausgesetzt worden; das ist aber tatsächlich nicht zu erreichen. Es bilden sich vielmehr bei der Mischung von Staub und Wasser, auch beim gründlichsten Durchrühren, die verschiedenartigsten Konglomerate. Es bleiben Teile scheinbar ganz trocken, während andererseits größere und kleinere Konglomerate entstehen. Schütteln wir jetzt diesen Staub auf und lassen wir auf ihn einen Luftstrom von gegebener Stärke einwirken, so kann dreierlei geschehen: War der Staub zu feucht, so wurde gar nichts davon transportiert, war er zu trocken, so wurde alles übergeführt. Lag der Feuchtigkeitsgehalt in der Mitte dieser Extreme, so wurde ein Teil des Staubes über die gegebene Strecke transportiert, ein anderer, zu feuchter, wurde nicht so weit geführt oder konnte gar nicht bewegt werden. Der übergeführte Teil besteht dann aus Partikeln mit dem verschiedensten Feuchtigkeitsgehalt bis zu jenem, den wir oben als den maximalen bezeichnet haben. Beide Teile des Staubes, der übergeführte und der nicht mehr übergeführte, werden sich äußerlich nicht wesentlich unterscheiden, sie sind aber möglicherweise völlig verschieden in ihrem Konservierungsvermögen gegenüber Bakterien. Es ist sehr wohl möglich, daß in dem restierenden, weil zu feuchten Teile Bakterien sich noch erhalten können, deren Leben in dem transportierten, also trockeneren Teile unmöglich ist. Ein solcher Staub würde dann noch durch Kontakt infektiös sein, aber nicht mehr durch seine s c h w e b e n d e n Teile. Nimmt man hinzu, daß in getrocknetem Staube ebenfalls Konglomerate verschiedenster Feuchtigkeit vorhanden sind, so ergibt 12*

180 sich, daß man, wenn die Frage der Staubluftinfektion studiert werden soll, den Staub erst in jene 2 Teile zerlegen muß, in den unter gegebenen Bedingungen transportierbaren und den dann nicht mehr transportierbaren. Der letzte Punkt, welche L u f t s t r o m s t ä r k e n bei diesen Versuchen zu berücksichtigen sind, ist an der Hand der mehrfach erwähnten Arbeit von FLÜGGE, leicht zu beantworten. Der fühlbare „Zug" hat danach (bei etwa 15 °C.) eine Geschwindigkeit von ungefähr 10 cm pro Sekunde. Aber derartig starke Ströme kommen nur örtlich und zeitlich beschränkt vor. D i e j e n i g e n L u f t s t r ö m e , denen der Z i m m e r s t a u b sein Schweben u n d seinen T r a n s p o r t verd a n k t , haben eine ungleich geringere Geschwindigkeit und betragen etwa 1 bis . 4 mm pro Sekunde. Das sind also die Geschwindigkeiten, mit denen in unserem Falle zu experimentieren ist, und aus diesem Grunde sind die mit Gebläsen angestellten Versuche, in denen ungleich größere Geschwindigkeiten verwendet wurden, nicht beweiskräftig. Nach dem bisher Gesagten läßt sich der P l a n für unsere Versuche leicht präzisieren. Es war ein möglichst feiner Staub zu sterilisieren, zu trocknen, mit einer Aufschwemmung der zu untersuchenden Bakterienart zu infizieren und gründlich zu verreiben. Dieser Staub war alsdann aufzuschütteln und nun eine Strecke weit (wir wählten 80 cm bis 1 m) entgegen seiner Schwere durch einen Liiftstrom von der erwähnten Geschwindigkeit fortzuführen. Der Feuchtigkeitsgrad des Staubes war so zu wählen, daß der größte Teil des Staubes überging, daß aber ein Rest übrig blieb, der nicht etwa aus an sich gröberen Elementen zusammengesetzt war, sondern nur durch die Feuchtigkeit entstandene Konglomerate jener feinen Elemente enthielt. Die Gleichmäßigkeit des Materiales war durch die Versuchsanordnung zu verwirklichen. Danach mußte er aufgefangen und auf die Lebensfähigkeit der betreffenden Bakterien untersucht werden. Bakterienarten, welche diesen Weg in lebendem Zustande nicht mehr passieren konnten, waren dann als „nicht verstäubbar" in dem entwickelten Sinne anzusprechen. Vorbereitung des Staubes. Aktenstaub (aus hiesigen Gerichten) wurde im Siebsatz geschüttelt, die feinsten Elemente wurden mit einem Blasebalg durch eine Eeihe von doppelt tubulierten Flaschen hindurch in eine lange, weite, mit großem Wattebausch verschlossene Röhre hineingetrieben. Nur das in dieser Röhre angesammelte Material wurde verwendet, dessen Feinheit sich darin zeigte, daß es allmählich

Über

Luflslaubinfektion

181

den 10 cm langen Wattebausch völlig durchdrang. Dieser Staub wurde in kleinen Glasfläschchen 4 Stunden lang im Dampf sterilisiert und darauf etwa 4 bis 6 Stunden bei 80 bis 100° im Trockenofen getrocknet. Er wurde dann unter Zerreiben mit sterilem Grlasstabe in eine trockene, sterilisierte, etwa 20 cm hohe, schmale Flasche mit weitem Hals gegeben und zwar in der Menge von etwa 30 ccm. Die Infektion dieses Staubes geschah mit einer konzentrierten wässerigen Aufschwemmung einer Agarkultur (etwa 2 ccm steriles Wasser auf ein völlig bewachsenes 24 stündiges Agarröhrchen) und zwar waren für 30 ccm Staub etwa 20 bis 30 Tropfen von der Aufschwemmung erforderlich. Indessen lassen sich hierfür Zahlen nicht angeben, es gehört dazu eine gewisse Übung. Man muß, aus den oben erörterten Gründen, möglichst viel zusetzen, darf aber die Verstäubbarkeit des Staubes dadurch nicht zu sehr herabsetzen. Häufig genügen 1 oder 2 Tropfen, welche über das Maß hinzugefügt werden, um eine Verstäubbarkeit unmöglich zu machen. m Zum Verreiben des Staubes mit der Aufschwemmung wurde ein steriler, starker Glasstab verwendet, der in die Flasche kam und sie an Länge um etwa 6 cm überragte. Glasstab und Flaschenhals wurden dann überzogen mit einem kleinen Gummieisbeutel (sogen. Ohreisbeutel), der am Flaschenhalse völlig dicht schloß und so ein gefahrloses Verreiben ermöglichte. Die Desinfektion des Gummibeutels geschah mit Sublimat, das mit sterilem Wasser entfernt wurde. Darauf folgte Trocknen des Beutels außen und (durch Umwenden) iDnen mittels eines Tuches und bei ganz gelinder Wärme im Trockenschrank. Das Verreiben des Staubes mit der Aufschwemmung geschah möglichst ausgiebig und dauerte etwa 5 bis 15 Minuten. Auch hierbei inuß man mit Vorsicht verfahren, wenn man nicht bei manchen Arten schon durch zu langes Verreiben ein Absterben der. betreffenden Bakterienart erleben will. Auf das Verreiben folgte vorsichtige Entfernung des Gummibeutels und des Glasstabes, Abwischen des infizierten Flaschenrandes mit sublimatgetränktem Wattebausch und Aufsetzen eines doppelt durchbohrten, mit zwei verschieden langen Glasröhrchen versehenen, völlig trockenen Gummistopfens. Die Flasche mit dem so vorbereiteten Staube wurde nun angesetzt an den eigentlichen Verstäubungsapparat. Das Prinzip dieses Apparates bestand darin, daß durch das aus einem Wasserturm ausfließende Wasser — dessen Meuge an dem geeichten Wasserstandsrohre abzulesen war — ein konstanter Aspirationsstrom hergestellt wurde. Die A s p i r a t i o n wurde gewählt, damit bei etwa eintretenden Defekten in Schläuchen usw. der infektiöse Staub nicht, wie es bei der P u l s i o n der Fall gewesen wäre, in die Umgebung gelangte. Der Weg der aspirierten Luft war nun folgender. Sie trat ein bei A durch ein 20 cm hohes steriles Wattefilter von 5 cm Durchmesser (zur Abhaltung der Luftkeime eingeschaltet), gelangte darauf durch die sterile Flasche und Schlauchverbindung' B in die Flasche C, welche den infizierten Staub enthielt. Der in O befindliche Staub wurde durch beständiges kräftiges Schütteln

182

Max

Neisser

aufgewirbelt und durch den durchtretenden Luftstrom in den eigentlichen Verstäubungsraum D fortgeführt. Es war dies eine senkrecht stehende, etwa 80 cm lange Blechröhre von bekanntein Durchmesser, mit deren unterem Ende die Staubflasche G, mit deren oberen Ende das Auffangekölbchen E mittels Schläuchen verbunden war. Das kleine sterile Kölbcheu E war mit etwa 20 ccm sterilen Wassers beschickt und mit doppelt durchbohrten, mit Glasröhrchen versehenen Gummistopfen verschlossen, derart, daß der eintretende Luftstrom und mit ihm der transportierte Staub durch das Wasser hindurch trat. Der Staub wurde hier zum weitaus größten Teile deponiert, die Luft perlte hindurch und gelangte durch den Verbindungsschlauch F in den Kolben 6 mit starker Salpetersäure, die bestimmt war, etwa mitgerissene Keime zu vernichten. Nach dem Passieren einer letzten Vorlage H, welche zur Neutralisierung etwa mitgerissener Salpetersäure dünne Kalilauge enthielt, gelangte der

Luftstrom in den blechernen Wasserturm J , der etwa 70 Liter Wasser faßte und durch einen großen Messinghahn eine Abstufung der ausfließenden Wassermenge ermöglichte. Um die Geschwindigkeiten in dem Verstäubungsraum D möglichst variieren zu können, wurde nicht nur die Menge des ausfließenden Wassers geändert, sondern es wurden auch als D Blechröhren von sehr verschiedenem, bekanntem Durchmesser verwendet, deren größte einen Durchmesser von 12 cm hatte, während der Durchmesser der engsten Röhre 2 cm und derjenige der mittleren 4 cm betrug, s. Fig. 11 l\ D%. War so die Menge des in der Zeiteinheit ausfließenden Wassers und der Querschnitt von D bekannt, so war damit nach der Formel: nGeschwindigkeit i • j- i_ •, des ,] Luitstromes t iL t. = Volumen des pro , Sek. ausfließend. Wassers Querschnitt der Röhre D auch die Geschwindigkeit des Luftstromes in der Röhre D bekannt. Auf diese Weise ließ sich die Geschwindigkeit des Luftstromes in D von 1 inm bis 400 mm

183 pro Sekunde variieren. Die Desinfektion der Röhre D geschah entweder in einem eigens dazu hergestellten hohen Dampftopfe oder — und das war die Regel — durch langes Schütteln mit lpromill. Sublimat, zu welchem Zwecke die Röhren, um das Entweichen der L u f t beim Eingießen zu ermöglichen, ein seitliches, verschließbares kleines Ansatzrohr besaßen. Das Sublimat wurde durch größere Mengen Alkohol entfernt, der Alkohol durch Äther, dessen Dämpfe durch die untere Öffnung von D abgesogen wurden.

Verlauf der Versuche. Die Versuche wurden derart angestellt, daß der infizierte Staub in G so lange aufgeschüttelt und verstäubt wurde, bis sich das Wasser im Kölbchen E durch den einströmenden Staub intensiv schwarz färbte. Das dauerte bei geringen Geschwindigkeiten manchmal 20 bis 25 Minuten, bei größeren nur wenige Minuten. Darauf wurde die Verstäubung unterbrochen und Kölbchen E und Staubflasche C auf das Vorhandensein der betreffenden Bakterienart untersucht. Wurde dieselbe Staubprobe zu mehreren Versuchen (höchstens drei) mit verschiedenen Geschwindigkeiten benutzt, so wurde die kleinste Ge schwindigkeit zuerst, die größte zuletzt angewendet. Der Staub in der Staubflasche C wurde einfach derart untersucht, daß einige Ösen in das betreffende Nährmedium (Agar, Gelatine) übertragen wurden. Es dienten diese Proben zugleich als Kontrollproben, welche erweisen sollten, daß in dem betreffenden Staube der lebende Infektionserreger wirklich vorhanden war und daß er ferner durch die Staubpartikel in seinem Wachstum auf der Platte nicht behindert wurde. Der Inhalt des Kölbchena E wurde gewöhnlich vollständig zum Plattengießen (5 bis 10 Platten) verwendet, und nur, wenn zu große Staubmassen den Inhalt von E in einen dünnen Brei verwandelt hatten, begnügte ich mich mit einem Teile der Masse. Die Aussaat geschah auf P l a t t e n , um eine gewisse quantitative Vergleichung zu ermöglichen. Es zeigte sich nämlich, daß bei geringen Geschwindigkeiten manchmal g a n z v e r e i n z e l t e Keime lebend in die Vorlage mit übergingen, wohl auch dadurch, daß die Geschwindigkeiten nicht immer präzise eingehalten werden konnten, sondern manchmal durch augenblickliche Verstopfungen und nachfolgende Beseitigung des Hindernisses gewissen Schwankungen unterlagen. Wären nun — und das geschah einige Male — diese Keime statt auf Platten in Bouillon verpflanzt worden, so hätte man jedes Urteil verloren. Denn erst aus dem Vergleich dieser winzigen Anzahl von Keimen mit jener enormen Zahl, die bei wirklich verstäubbaren Arten aufgefangen wird, und die sich auch bei derselben Art zeigt, sofern größere Geschwindigkeiten angewendet werden, erst aus diesem Vergleich gewinnt man das Urteil, daß diese wenigen Keime (gegenüber 4 bis 6 Millionen zur Verstäubung verwendeten) als zufällige Verunreinigungen anzusehen sind.

Zunächst wurden einige Vorversuche mit nichtpathogenen Arten angestellt.

184

Max

Neisser

I. V e r s u c h m i t einem f e i n e n T a l k p u l v e r , das mit Heub a z i l l e n - S p o r e n r e i c h l i c h v e r s e t z t und in d i e s e m Z u s t a n d e s e i t J a h r e n im I n s t i t u t a u f b e w a h r t war. Geschwindig- Geschwindigkeit in Milli- keit in Zenti- Dauer der metern metern Verstaubung pro Sekunde pro Sekunde 1-9 + 5-1 +

30 Minuten 5

Art der Untersuchung

Resultat

Gelatine- u. Agarplatt.

dicht übersät

Wie zu erwarten war, sind demnach diese leichten Sporen, an geeignetem Material angetrocknet, noch durch schwächste Luftströme (1-9 mm pro Sekunde) in großen Mengen verstäubbar. Man sieht daraus, wie gefährlich für unsere bakteriologischen Arbeiten der schwebende Zimmerstaub werden kann. Manche scheinbar unerklärliche Verunreinigung findet vielleicht so ihre Erklärung. Zugleich zeigt der Versuch, daß unsere ganze Versuchsanordnung nicht an etwaigen negativen Resultaten schuld sein kann. Ein anderes Verhalten zeigte der Bacillus prodigiosus. II. V e r s u c h mit P r o d i g i o s u s . Es wurden 1- bis 3tägige Kulturen aufgeschwemmt und mit sterilem Staub verrieben, wie früher beschrieben.

Geschwindig- Geschwindigkeit in Milli- keit in Zenti- Dauer der Vermetern metern pro Sekunde pro Sekunde stäubung 22 +

47 9-6 5—6 4-3 1-6 — 1-5 -

+ + + +

Art der Untersuchung

8 Minuten Gelatine- u. Agarplatten

5 5 8 5 30 30

jj „ „ „ „ „

Resultat

Bemerkungen

Sehr Staub nach d. reichlich Versuch aus d. Verstäubungsflasche entnommen. + »i

» >)

»

6 Platten

0 0

1



>!

+ +

1 Das Zeichen + hinter der Zahl bedeutet den positiven Ausfall des Versuches; das Zeichen — hinter der Zahl bedeutet den negativen Ausfall des Versuches.

185 Diese Versuche bedürfen kaum eines Kommentars. Sie zeigen in einwandfreier Weise, daß der Bacillus prodigiosus in Staubform durch Luftstrftme von mehr als 4 cm pro Sekunde Geschwindigkeit verstäubbar ist. Es geht ferner aus ihnen hervor, daß der Bazillus durch jene schwache ( 1 - 5 : 1 * 6 mm) Luftströme nicht lebendig über eine gewisse Strecke transportiert werden kann. Die Untersuchung des Staubes in der Staubflasche nach dem Versuche beweist, daß in diesem massenhaft lebende Prodigiosuskeime vorhanden waren, daß also das Fehlen der Keime in dem Auffangekölbchen nicht darauf zurückzuführen ist, daß ein Staub verstäubt wurde, der gar keine lebenden Prodigiosuskeime enthielt. Es seien hier einige weitere Versuche mit Prodigiosus mitgeteilt. b. Geschwindig- GeschwindigDauer der keit iu Milli- keit in ZentiVermetern metern stäubung pro Sekunde pro Sekunde 1—2

30 Minuten

1-4

30



Art der Untersuchung Gelatine- u. Agarplatten ii

Resultat

Bemerkungen

1 Kolonie im ganzen Staub nachher + 5 Kolonien

Diese beiden Versuche scheinen im Widerspruch mit den vorher berichteten zu stehen; denn einzelne Prodigiosuskeime sind noch bei 1-4 mm lebendig angekommen.1 Und doch kann man deshalb von einer leichten Verstäubbarkeit des Prodigiosus bei dieser Geschwindigkeit nicht reden. Denn von den vielen Milliarden von Keimen, die eingesät waren, ist ein so geringer Bruchteil nur lebend verstäubt worden, daß dieser Bruchteil, wenn man die hygienische Nutzanwendung in Betracht zieht, gleich Null erscheint. Es ist sogar nicht völlig ausgeschlossen, daß diese wenigen Keime infolge von Druckschwankungen während des Versuches, wie sie vorkommen, mit fortgerissen worden sind. Einige weitere Versuche mit Prodigiosus seien noch angeführt, in denen die Auffangeflüssigkeit nicht zu P l a t t e n verarbeitet wurde, sondern zur Anreicherung erst in eine Anzahl B o u i l l o n r ö h r c h e n 1 Auch frühere Versuche in einem Zimmer des hiesigen Instituts hatten gezeigt, daß Prodigiosus in Staubform weit verbreitet werden k a n n . Hierbei sind, abgesehen von der großen Menge des entwickelten feinsten Staubes, offenbar die für den Akt des Verstäubens notwendigen stärkeren Luftströme von Einfluß gewesen.

186

Max

Neisser

verteilt und nach 48 stündigem Wachstum auf Agarplatten übertragen wurde. Geschwindig- Geschwindigkeit in Milli- keit in Zenti- Dauer der Vermetern metern pro Sekunde pro Sekunde stäubung 2-04 —

2-7

+

Art der Untersuchung

21 Minuten 5 Bouillonröhrchen, davon 3 auf Agar ausgestrich. 23 „ ji

Resultat

0 +

Bemerkungen

Staub ebenso untersucht +

Aus diesen beiden Versuchen geht nur soviel hervor, daß Prodigiosus bei 2-04 mm n i c h t verstäubbar ist; der weitere Schluß aber, daß er bei 2-7 mm verstäubbar sei, ist nicht berechtigt; denn es fehlt bei dieser Art der Untersuchung (mittels Bouillon) an jedem Urteil über die A n z a h l der verstäubten Keime, und erst das gibt, wie eben gezeigt wurde, ein richtiges Bild. Zum Schluß seien noch zwei Versuche mit Prodigiosus angeführt, weil sie für die Erklärung der beobachteten Tatsachen von Bedeutung sind. Die Verstäubung geschah hierbei auf die gewöhnliche Weise, auch bei denselben geringen Geschwindigkeiten, nur betrug die Länge des Verstäubungsraumes nicht 80 cm, sondern nur 15 cm. Geschwindig- Geschwindigkeit in Milli- keit in Zenti- Dauer der Vermetern metern pro Sekunde pro Sekunde stäubung 1-4 +

29 Minuten

31 +

10



Art der Untersuchung 6 Platten (Agar und Gelatine) >»

Resultat

Bemerkungen

| Länge des sehr reichlich 1 Verstäub.[ Baumes übersät | = 15 cm

Es folgt somit aus den Prodigiosusversuchen, daß Stäubchen von einem Gewichte, das einen senkrechten Transport dieser Stäubchen über eine Strecke von 80 cm durch Luftströme von mehr als 4 cm pro Sekunde zuläßt, daß diese Stäubchen lebende Prodigiosuskeime zu tragen vermögen. Ebenso vermögen Stäubchen, die durch Luftströme von 1-4 mm pro Sekunde eine Strecke von 15 cm senkrecht transportiert werden können, noch lebende Prodigiosuskeime zu tragen. Nicht aber befindet sich Prodigiosus lebendig auf Stäubchen, die durch diese Geschwindigkeiten (1-5, 1-6, 2.04 mm pro Sekunde) über 80 cm senkrecht getragen werden. Und da das Gewicht der Stäubchen, ceteris paribus vom Feuchtigkeitsgrade abhängt,

187 so darf man wohl vermuten, daß es der F e u c h t i g k e i t s g r a d ist, welcher den Tod des Prodigiosus auf diesen Stäubchen herbeiführt, und daß mit dem Augenblicke, wo die Stäubchen den Trockenheitsgrad (also das Gewicht) erreicht haben, um bei diesen geringen Geschwindigkeiten über die Strecke von 85 cm senkrecht verstäubbar zu sein, für den Prodigiosus die Möglichkeit der Existenz aufhört. Eine weitere Frage läßt sich aus den vorliegenden Versuchen nicht mit Sicherheit beantworten, diejenige nämlich, ob der Bacillus prodigiosus als ein im hygienischen Sinne verstäubbares Bacterium gelten kann, ob er durch den schwebenden Luftstrom getragen — vorausgesetzt, daß er pathogen wäre — neue Infektionen hervorrufen könnte. Denn daß er bei 4 cm pro Sekunde verstäubbar ist, beweist dafür noch nichts. Es müßte dafür sein Verhalten bei Geschwindigkeiten von 4 bis 6 mm pro Sekunde erwiesen sein. Wir können vielleicht die Grenze noch etwas weiter ziehen und sagen, d a ß B a k t e r i e n , die d u r c h L u f t s t r ö m e von 1 cm pro S e k u n d e ü b e r eine S t r e c k e von etwa 80 ein in g r o ß e r Menge t r a n s p o r t i e r t w e r d e n k ö n n e n , als v e r s t ä u b b a r g e l t e n können. Für den Bacillus prodigiosus wurde diese Frage aus naheliegenden Gründen nicht untersucht. Von n i c h t pathogenen Arten wurde noch Sarcina lutea und • ein typhusähnlicher Bacillus untersucht. 1 Alle drei verhielten sich ähnlich wie der Bac. prodigiosus. Von p a t h o g e n e n Arten zeigten sich M i l z b r a n d s p o r e n und pyogene S t a p h y l o k o k k e n verstäubbar. Nicht verstäubbar waren Pneumokokken, C h o l e r a v i b r i o n e n , P e s t b a z i l l e n , D i p h t h e r i e b a z i l l e n und S t r e p t o k o k k e n (mit letzteren wurden allerdings nur wenig Versuche angestellt). T y p h u s b a z i l l e n zeigten sich bei den gewöhnlich im Zimmer herrschenden Geschwindigkeiten n i c h t über eine Strecke von 80 cm verstäubbar, wohl aber auf 15 cm; ihre Verstäubbarkeit bleibt daher nur etwas hinter der festgesetzten Grenze zurück. Zum Schluß sei eine Versuchsreihe erwähnt, die sich auf den wichtigsten Krankheitserreger, den T u b e r k e l b a c i l l u s , bezog. Die Versuche wurde derart angestellt, daß unverdünntes oder achtfach verdünntes phthisisches Sputum (das auf seine Reichhaltigkeit zuvor geprüft war) mit der üblichen Staubmenge verrieben und verstäubt wurde. Der Inhalt des Auffangekölbchens wurde dann Meer1

Das Folgende ist gegen das Original gekürzt.

FLÜGGE.

188

Max Neisser

schweinchen intraperitoneal injiziert, ebenso der in der Staubiiasche restierende Staub. Jede Probe wurde auf zwei Meerschweinchen verteilt. Von dem Kölbcheninhalt wurden etwa 5 ccm eingespritzt. Die Meerschweine wurden wöchentlich gewogen. Bei den Sektionen wurden gewöhnlich vier verschiedene Stellen auf Tuberkelbazillen untersucht, die Drüsen des großen Netzes, die retroperitonealen Drüsen, das Bauchfell und ein Organ (gewöhnlich Milz).

Nummer |

Versuche mit Bacillus tuberculosis. Bei 3 bis 5 mm pro Staub vor Sek. Geschwindigkeit dem Versuch verstäubter Staub

Untersuchung des restierenden Staubes

+ 0

+

0 0

+ 0

+ +

3

+ +

+ +

+ +

4

+

+ +

+

1

+

Bei etwa 20 cm pro Sek. Geschwindigkeit verstäubter Staub

+

+ 2

0

+

+

+ bedeutet, daß das Versuchstier an Tuberkulose starb. 0 bedeutet, daß das Versuchstier am Leben blieb.

Es zeigt die vorstehende Tabelle zunächst, daß stets ein infektiöser Staub zur Verstäubung kam, wie der Tod der acht Tiere beweist, welche mit dem restierenden Staube infiziert wurden. Es ergibt sich ferner, daß derartiger Staub bei Verstäubung mit größeren Geschwindigkeiten (20 cm) und sogar bei Verstäubung mit geringen Geschwindigkeiten (3 bis 5 mm) noch infektiös wirkt, denn es starben von je acht solchen Tieren sechs bzw. fünf. Der Umstand, daß bei beiden Geschwindigkeiten einzelne Tiere am Leben blieben, erklärt sich wohl aus den Quantitätsverhältnissen und ist in jedem Falle von geringerer Beweiskraft als der überwiegend oft eingetretene Tod der Versuchstiere. Es hätte somit der Tuberkelbazillus als unter unseren Bedingungen verstäubbar zu gelten. Es ist hier vielleicht angezeigt, auf die h y g i e n i s c h e N u t z a n w e n d u n g unserer Versuche hinzuweisen. Wenn wir gefunden haben, daß einzelne Bakterienarten in unseren künstlichen Staubgemengen unter den günstigsten Bedingungen n i c h t verstäubbar

189 waren, so ist der Schluß berechtigt, daß auch mit natürlichem Staube diese Bakterien nicht verstäubt werden. Wenn wir aber bei unserer Anordnung eine Verstäub barkeit anderer Arten konstatieren, so ist damit ohne weiteres noch nicht gesagt, daß diese Bakterien mit j e d e m schwebenden Zimmerstaube lebend transportiert werden können. Denn in unseren Versuchen hatte der Staub den maximalen Feuchtigkeitsgrad, bot demnach die günstigsten Bedingungen, wie sie durchaus nicht immer vorzukommen brauchen. Bei der Tuberkulose speziell erhebt sich nach Beantwortung unserer b i o l o g i s c h wichtigen Frage noch eine fernere, ebenso wichtige, ob denn überhaupt aus tuberkelbazillenhaltigem Material ein derartig feiner Staub entsteht. Soviel ist sicher, daß man, wenn tuberkulöses Sputum auf einer glatten Fläche austrocknet, noch nach Wochen starke mechanische Momente anwenden muß, um einen einigermaßen feinen Staub herzustellen. Ob das aber beim Zerreiben durch Zertreten, Bürsten usw. stattfindet und in welchem Umfange das der Fall ist, das sind Fragen, die einer besonderen Beantwortung bedürfen. So unwahrscheinlich uns dieser Modus der Tuberkelbazillenstaubentstehung erscheint, daß nämlich ausgehustetes Sputum antrocknet und durch mechanische Momente in absehbarer, für die Konservierung der Bazillen nicht zu langer, Zeit in jenen feinsten Staub übergeht — so sehr erscheint ein anderer, neuer Modus der Staubentstehung der besonderen Prüfung wert, derjenige nämlich, daß die oft erwähnten kleinsten, unsichtbaren Tröpfchen sich auf feinen Staub niederlassen und so selbst alsbald in feinsten Staub übergehen. Um die Eesultate noch einmal kurz zusammenzufassen, so i s t eine V e r b r e i t u n g d u r c h den s c h w e b e n d e n Z i m m e r s t a u b u n m ö g l i c h bei Bacillus diphtheriae Bacillus typhi abdominalis Bacillus pestis

Vibrio cholerae asiaticae Pneumococcus Streptococcus pyogenes (?).

Diese Verstäubbarkeit ist aber nach dem b i o l o g i s c h e n Verh a l t e n der I n f e k t i o n s e r r e g e r nicht auszuschließen bei dem Staphylococcus pyogenes aureus Bacillus anthracis (sporogen) Bacillus pyocyaneus Meningococcus Bacillus tuberculosis.

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Roland

Sticher

10. Über die Infektiosität in die Luft übergeführten tuberkelbazillenhaltigen Staubes.1 Von Dr. med. Boland Sticher, Privatdozent in Breslau, f 1907. Bisher war allgemein die Annahme verbreitet, daß das angetrocknete und dann staubförmig zerkleinerte Sputum die wesentlichste Ansteckungsquelle der Phthise repräsentiere. Als Stütze dieser Annahme dienten einmal die Untersuchungen von COKNET. Derselbe fand den Staub in solchen Räumen, wo die Phthisiker das Sputum ins Taschentuch oder auf den Boden entleert hatten, wo also die beste Gelegenheit zum Eintrocknen und Verstäuben des Sputums gegeben war, infektiös für intraperitoneal damit geimpfte Meerschweinchen. Wie schon FLÜGGE betont hat, geht aus diesen Befunden aber keineswegs hervor, daß der gesammelte tuberkelbäzillenhaltige Staub auch wirklich als L u f t staub existiert hat oder später als solcher existieren konnte und somit für die Bewohner des Zimmers die Gefahr der Infektion d u r c h E i n a t m u n g bot. Die Tuberkelbazillen können vielmehr an jene Stellen, wo der Staub entnommen wurde, durch V e r s c h l e p p u n g f l ü s s i g e n Sputums, z. B. durch Berührungen mit beschmutzten Händen oder Taschentüchern, geraten sein; oder beim Husten verspritzte Sputumtröpfchen sind dorthin verschleudert; oder aber die Bazillen gehören g r ö b e r e n getrockneten Sputumteilchen an, die z. B. bei der Reinigung des Zimmers durch mechanische Aktionen aufgewirbelt und durch Zugluft eine Strecke weit durch die Luft transportiert sind, die aber nach kürzester Frist wieder aus der Luft niedergefallen sind und somit nicht für meßbare Zeit die Gefahr der Luftinfektion dargeboten haben. Bei allen drei Entstehungsarten konnte der gesammelte Staub nach i n t r a p e r i t o n e a l e r Injektion bei Meerschweinchen Tuberkulose hervorrufen, ohne daß damit erwiesen war, daß dieser trockene Staub I n h a l a t i o n s t u b e r k u l o s e auszulösen vermochte. Dazu gehören leichteste und kleinste Staubpartikel, die imstande sind, längere Zeit in der Luft zu schweben und durch geringfügige Luftbewegungen transportiert zu werden. Diese Transportfähigkeit ist ferner an völlige Trockenheit des Staubmaterials gebunden; und ob unter natürlichen Verhältnissen das angetrocknete Sputum in so kleine 1

Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 30. 1899. S. 163—192.

Infektion durch tuberkelbazillmhaltigen Staub

191

und leichte Partikel zersplittert und ob in völlig trockenen feinsten Staubteilchen die Tuberkelbazillen Leben und Virulenz bewahren, das blieb durch alle jene Versuche völlig unentschieden. Eine zweite Stütze konnte jene Annahme der Infektiosität des Sputumstaubes durch Versuche erhalten, bei welchen man Meerschweinchen und andere geeignete Versuchstiere fein zerstäubtes trockenes Sputum inhalieren ließ. Allerdings mußten diese Versuche in einer den natürlichen Verhältnissen einigermaßen entsprechenden Weise angeordnet sein. Verwendet man gewaltsame, mechanische Zerkleinerung und heftige Luftströme, so war es von vornherein wahrscheinlich, daß dann eine Infektion der Versuchstiere gelingen werde. Aber aus solchen Versuchen durfte man nicht folgern, daß durch Inhalation des gewöhnlichen Luftstaubes in Wohnräumen Infektionen erfolgen. Hier kommen nur geringe Luftgeschwindigkeiten und feinste Stäubchen in Betracht und es fragt sich, ob von dem Sputum, das am Fußboden oder am Taschentuch antrocknet, leicht transportabele, virulente Stäubchen sich häufiger loslösen. Nun sind aber die meisten, selbst mit übertrieben starken Luftströmen angestellten Versuche durchaus nicht eindeutig positiv ausgefallen. SIRENA und P E R N I C E , DE TOMA, CADÉAC und MALET, C E L L I und GUARNIEBI hatten bei solchen Inhalationsversuchen vielfach negative Resultate, während im Gegensatz dazu die Versuche ausnahmslos positiv ausfielen, wenn verspritztes f l ü s s i g e s Sputum von den Versuchstieren eingeatmet wurde. Nur bei einem letzthin von CORNET1 angestellten Experiment wurde fast durchgängig ein positives Ergebnis erzielt. COENET hielt Meerschweinchen längere Zeit in einem Zimmer, in welchem er durch Abkehren von .einem Teppich, der mit Sputum imprägniert war, mit einem scharfen Besen Staubwolken erzeugte. Von den in 7 bis 134 cm Höhenlage im Zimmer aufgestellten 48 Tieren akquirierten im Verlauf der Versuche 46 Tuberkulose. Bei diesem Versuch wurden aber eben solche gewaltsame Mittel zur Verstäubung des Sputums verwendet, daß Folgerungen daraus für die natürlichen Verhältnisse unzulässig sind. Die Frage der Infektiosität des t r o c k e n e n S p u t u m s war somit bisher noch eine offene, und hier war der Punkt, wo notwendig neue Experimente einsetzen mußten. NEISSER 2 hat nun bereits 1 2

Berliner klin. Wochenschrift. 1898. Nr. 14. M. NEISSER, vgl. die vorstehende Arbeit.

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Sticher

gezeigt, daß ausgesucht feiner, in bestimmter Weise nachträglich mit Sputum vermischter Staub unter der Einwirkung schwacher Luftströme Tuberkelbazillen in lebendem, virulentem Zustand zu transportieren vermag. Es war aber weiter noch zu ermitteln, ob die in einem tuberkulösen Sputum enthaltenen Keime bei einem von den n a t ü r l i c h e n Verhältnissen nicht allzusehr abweichenden Zerkleinerungsmodus in infektionstüchtigem Zustande eine gewisse Strecke weit durch mäßige Luftströme transportiert werden und Inhalationstuberkulose bei Tieren auslösen können; ferner inwieweit bei Variierung der Bedingungen die Verhältnisse dieses Infektionsmodus sich ändern. Auf Anregung von Herrn Prof. FLÜGGE habe ich durch eine Keihe von Versuchen diese Fragen zu beantworten versucht. Es galt zunächst, in einer ersten Versuchsreihe die Experimente der früheren Autoren mit übertrieben starken Luftströmen, eventuell mit gewissen Änderungen der Versuchsanordnung nachzuprüfen, dann aber neue Versuche unter Bedingungen, die bezüglich der angewandten Luftströme den natürlichen Verhältnissen besser entsprechen, anzufügen.

I. Inhalationsversuche mit tuberkelbazillenhaltigein Material bei Anwendung starker Luftströine. Der negative Ausfall mancher früher angestellten Versuche konnte sehr wohl darauf beruhen, daß die Konzentration der Tuberkelbazillen. in der Atmungsluft zu gering war. In einem für mehrere Tiere eingerichteten Käfig, wie ihn die meisten Untersucher wählten, findet eine derartige Verteilung des tuberkelbazillenhaltigen Staubes statt, daß der Gehalt der Luft an Tuberkelbazillen ein verhältnismäßig geringer ist; in Anbetracht des minimalen Quantums Luft, welches das Meerschweinchen einatmet, hatten daher die Versuche nur dann mit einiger Wahrscheinlichkeit Aussicht auf ein positives Resultat, wenn — wie es bei dem letzten von CORNET gewählten Verfahren geschah — die gleichen Tiere längere Zeit hindurch den staubführenden Luftströmen exponiert wurden. In dem Bestreben, dieses umständlichere Verfahren zu umgehen und an den nur einmal exponierten Tieren das bazillenhaltige Material in möglichst konzentrierter Weise vorüberzuführen, konstruierte ich folgenden Apparat, der mit geringen Modifikationen für alle Versuche der ersten Reihe Anwendung fand (s. Fig. 12).

Infektion

durch tuber kelbazillenhaltig en

Staub

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Ein gewöhnlicher Kautschuk-Eisbeutel (4) runden Formats erhielt an dem der Öffnung gegenüberliegenden Punkt des Bodens eine.zweite, kreisrunde Öffnung von 3 0 bis 3-5 cm Durchmesser. An dem Umfange dieses Loches wurde ein etwa 3 cm hoher kragenartiger Aufsatz (B) aus Kautschuk mittels Vulkanisierens in einer dem Holzring korrespondierenden Stellung angebracht. Dieser einerseits gut abschließende, andererseits nachgiebige Kragen war dazu bestimmt, über den von Haaren befreiten Hals des leicht gefesselten Versuchstieres gezogen zu werden. In dem Holzring des Beutels befand sich ein Kautschukstopfen, dessen zwei Bohrungen je ein Glasrohr führten. Durch das eine wurde die Luft von dem Staubentwickelungsapparat her in weiter unten zu beschreibender Weise eingetrieben, durch das andere wich sie aus dem „Inhalations"-Raum wieder aus, um nach Passieren einer zu Kontrolluntersuchungen eingeschalteten Vorlage (C) und einer während der Dauer des Versuches im Glühen erhaltenen Kupferspirale (D) in den Abzug geleitet zu

Fig. 12. werden. Der Staubentwickelungsapparat bestand bei den ersten drei Versuchen aus einer Flasche (E), in welcher durch fortwährendes Schütteln bazillenhaltiger, feinster Staub aufgewirbelt wurde, bei den acht folgenden Versuchen aus einem gewöhnlichen Eisbeutel, in dem Leinwandläppchen mit angetrocknetem Sputum geknetet, zerrissen und umhergeschüttelt wurden. Durch ein zuführendes Rohr wurde Luft mittels eines starken Gebläses ( F ) in den Staubentwickelungsraum hineingetrieben; dieselbe drang unter Fortreißen von Staubpartikelchen in den oben beschriebenen Inhalationsraum vor. Bei den ersten drei Versuchen, wo eine feine Verteilung des feuchten Sputums in dem trockenen Staube nicht leicht herzustellen und die Bildung grober Partikelchen nicht ganz zu vermeiden w ar > wurde zwischen Staubentwickelungs- und Inhalationsraum eine Vorlage (G) eingeschaltet, die dem Absitzeu jener groben Partikel dienen sollte. Bei allen Versuchen erhielt das in den Inhalationsraum führende Rohr innerhalb des letzteren noch eine rechtwinkelige Knickung, um ein FLÜGGE, Tuberkulose

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direktes Einblasen des staubführenden Luftstromes in die Atemwege des Versuchstieres auszuschließen. Das Gebläse wurde rhythmisch komprimiert, etwa 32 Hübe pro Minute in möglichst gleich bemessenen Intervallen. Um eine ungefähre Vorstellung von der Geschwindigkeit des durch unser Gebläse erzeugten Luftstromes zu erhalten, bestimmten wir die Menge Wassers, welche bei einem Hub des Gebläses verdrängt wurde; sie ergab sich als 50 ccm. Die Geschwindigkeit des Luftstromes in dem 4 mm weiten, zuführenden Röhrchen des Inhalationsraumes betrug darnach im Moment des Hubs ca. 1 m. Mittels des geschilderten Apparates prüfte ich zunächst bei drei Vorversuchen, wie die hier gewählte Methode der Verstäubung und Inhalierung von den Versuchstieren — es gelangten ausschließlich Meerschweinchen zur Verwendung — vertragen wurde, und wie lange ich den Versuch jedes Mal ohne Schädigung des Meerschweinchens ausdehnen konnte. 1. V o r v e r s u c h . Meerschweinchen, 275 g schwer. Verstäubungsmaterial: feingesiebter, sterilisierter Staub. Dauer des Versuches: 10 Minuten. Das Tier zeigt nach Abnahme der Kappe keinerlei Beschwerden; es befindet sich dauernd wohl. 2. V o r v e r s u c h . Meerschweinchen, 280 g schwer. Verstäubungsmaterial: das gleiche. Dauer des Versuches: 30 Minuten. Dauernd gutes Befinden des Tieres. 3. V o r v e r s u c h . Meerschweinchen, 370 g schwer. Verstäubungsmaterial: das gleiche. Dauer des Versuches: 45 Minuten. Das Tier übersteht den Versuch gut. Da es jedoch gegen Ende des Versuches sehr unruhig wurde, schien es mir geraten, die Dauer eines Inhalationsversuches nicht über 45 Minuten auszudehnen. 1. u n d 2. V e r s u c h (28. Sept. 1897). Die Herstellung des tuberkelbazillenhaltigen Staubes erfolgte zunächst nach dem von M. N E I S S E R in seiner vorstehend abgedruckten Arbeit angegebenen Verfahren. Voraussichtlich mußte mit dem von N E I S S E R benutzten, zum Transport von Tuberkelbazillen selbst bei schwachen Strömen nachweislich geeigneten künstlichen Staubgeinisch auch Inhalationstuberkulose bei empfängliehen Tieren sich hervorrufen lassen. 10 ccm feingesiebten Aktenstaubes werden in einem Pulverfläschchen 4 Stunden lang im strömenden Dampf sterilisiert, dann im Heißluftsterilisator bei etwa 70° getrocknet. Nach dem Erkalten werden 20 Tropfen verdünnten, an Tuberkelbazillen überaus reichen, von anderen Bakterien möglichst freien Sputums zugesetzt; es wird ein über die Öffnung der Flasche herausragender Glasstab eingebracht und über Glasstab und Flaschenhals ein an dem letzteren gut schließender Kautschukbeutel (Ohr-Eisbeutel) gezogen. Mit Hilfe des Glas-

Infektion durch tuberkelbaxillenhaltigen

Staub

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stabes wird Sputum mit Staub gründlich verrieben und möglichst gleichmäßig untermischt. Sodann wird Kautschukbeutel und Glasstab entfernt, der mit zu- und ableitendem Rohr versehene Stopfen aufgesetzt und die Flasche in den Apparat eingeschaltet. Das Versuchstier, 260 g schwer, 1 wird in der oben beschriebenen Weise mit dem Kopf in den „Inhalations"-Beutel eingebracht. Mittels des Gebläses werden nunmehr unter häufigem Schütteln der Verstäubungsflasche '/» Stünde lang, und zwar pro Minute etwa 32 Luftstöße in gleichen Intervallen erzeugt. Das Verhältnis von Flüssigkeitsmenge zu Staubquantum in der Verstäubungsflasche war so bemessen, daß nach Beendigung der Verstäubung nur wenige Partikelchen infolge größerer Feuchtigkeit an den Wänden des Fläschchens haften geblieben sind; die übrige Staubmenge ist durch die Luftstöße aus der Verstäubungsflasche herausgetrieben worden. Die schwereren, gröberen Partikelchen haben sich in der zwischen Verstäubungs- und Inhalationsraum eingeschalteten Flasche abgesetzt. Die leichtesten haben den Inhalationsraum passiert und einen deutlichen Niederschlag auf dem Böden der Vorlage, welche wir in das vom Inhalationsraum ableitende Kohr noch eingeschoben hatten, hervorgerufen. Nach Beendigung des Versuches wird das Tier von der Kappe befreit; der Kopf, besonders Schnauze und Nasenlöcher, die sichtbar bestaubt sind, werden zur Beseitigung etwa anhaftender Keime mit einer zweiprozentigen Lysollösung abgewaschen. Es wird sofort ein neuer Versuch angestellt. Ein zweites Tier (Anf.-Gew. 265 g) erhält die Kappe. Eine neue Verstäubungsflasche, die genau wie die zuerst verwandte vorbereitet ist, wird eingefügt; es wird in gleicher Weise — diesmal 3/« Stunden lang — verstäubt. Die beiden Versuchstiere werden gesondert gehalten. 4 Um Gewißheit darüber zu erlangen, ob das verwandte Verstäubungsmaterial überhaupt noch infektionstüchtige Keime enthielt, wurde nach Beendigung des zweiten .Versuches der in den beiden Verstäubungsflaschen noch zurückgebliebene Staub zusammengeschüttet, mit sterilem Wasser aufgeschwemmt und ca. 4 bis 5 ccm davon einem Meerschweinchen (Anf.-Gew. 365 g) in die Bauchhöhle injiziert. Nun waren, wie oben bereits erwähnt, in der Verstäubungsflasche nur die Partikelchen von größerem Feuchtigkeitsgrad zurückgeblieben, was daraus hervorging, daß sie in immerhin größeren Klümpchen an der Flaschen wand hafteten. Wir wollten aber gleichzeitig auch die Frage entscheiden, ob diejenigen leichtesten Partikelchen, welche bis in den Inhalationsraum vorgedrungen waren, ja sogar denselben passiert hatten, noch infektionstüchtige 1

Ich habe mich darauf beschränkt, die Zahlen der Anfangsgewichte meiner Versuchstiere anzugeben, die Gewichtskurven während der Krankheit hier nicht registriert. Ich habe Tiere von ganz verschiedenem Gewicht, im allgemeinen zu Inhalationstieren die schwächeren, zu Kontrolltieren die stärkeren, benutzt. Eine dem Fortschreiten der Tuberkelbazillen proportionale Gewichtsabnahme blieb häufig aus. 3 Es wurden zu den Versuchen stets neu beschaffte Tiere (mit einer Ausnahme, s. u.) und zu ihrer Aufbewahrung zumeist neu angekaufte (anderenfalls mit Formalin desinfizierte) Kästen benutzt. 13*

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Keime enthielten. Zu diesem Zweck war die Vorlage in dem Abgangsrohr vom Inhalationsraum eingeschaltet. Der am Boden des Vorlagefläschchens angetroffene Staub wurde aufgeschwemmt, und je 3 bis 4 ccm der Aufschwemmung auf zwei Meerschweinchen (Anfangsgewicht 380 und 330 g) intraperitoneal verimpft. (Zur Vermeidung von Versuchsfehlein wurde bei diesem wie bei allen folgenden Versuchen stets dasjenige Material, welches a priori die geringsten Chancen zur Infektion hatte, also hiör dasjenige aus der Vorlage, zuerst verimpft.) Es bestand nun noch die Möglichkeit, daß die Keime zwar bis in jene Vorlage gelangt waren, auf dem Wege aber inzwischen — etwa unter dem Einfluß hochgradiger Austrocknung — ihre Virulenz eingebüßt hatten; dann mußte wohl der Tierversuch negativ ausfallen, der mikroskopische Nachweis aber vielleicht gelingen. Es wurden zahlreiche Präparate in der Weise angefertigt, daß von dem in der Vorlage zurückgebliebenen Staub sowohl wie von der mit diesem hergestellten Aufschwemmung Proben entnommen, mit Hühnereiweiß auf Deckgläschen fixiert und auf Tuberkelbazillen hin untersucht wurden. Der mikroskopische Nachweis war mit Sicherheit nicht zu erbringen. Von vornherein schien j a auch die Aussicht in Anbetracht der für eine mikroskopische Untersuchung so ungünstigen Beschaffenheit des Materials eine nur sehr geringe; die dicken, undurchsichtigen Staubpartikelchen mußten die etwa anhaftenden Tuberkelbazillen verdecken; dies ging auch daraus hervor, daß selbst bei Untersuchung des Ausgangsmaterials in der Verstäubungsflasche, in welche doch reichlich tuberkelbazillenhaltiges Sputum eben eingebracht war, der mikroskopische Nachweis trotz zahlreicher Präparate nicht gelang. So blieb zur Entscheidung der Fragen der Ausfall des Tierversuchs abzuwarten. Zuerst stirbt nach 4 Wochen daa mit dem Ausgangsmaterial geimpfte Tier, dann nach 6 Wochen fast gleichzeitig die beiden mit Staub aus der Vorlage infizierten Meerschweinchen, alle drei an ausgedehnter Peritonealtuberkulose. (Die Diagnose auf Tuberkulose ist hier, wie überhaupt in keinem Falle, nicht gestellt, wenn nicht auch der Nachweis der Tuberkelbazillen geführt wurde.) Nach 7 Wochen stirbt eins der Inhalationstiere, o h n e daß die Sektion irgend einen Anhaltspunkt für Tuberkulose ergibt. Nach 8 Wochen wird das zweite Inhalationstier getötet; es finden sich k e i n e Anzeichen bestehender Tuberkulose. 3. V e r s u c h (6. Oktober 1897). Das Verstäubungsmaterial wird in genau derselben Weise wie bei Versuch 1 und 2 hergestellt; es gelangt ein ungemein bazillenreiches Sputum zur Verwendung. Um eine gründliche Durchmischung des Sputums mit dem Staub auch noch während der Dauer des Versuches zu ermöglichen, wird der zunächst Wie bei Versuch 1 und 2 mit verdünntem Sputum gut verriebene Staub in einen Kautschukbeutel (Ohr-Eisbeutel) übergefüllt und dieser Beutel zum Verstäubungsraum gemacht, indem der mit zu- und ableitendem Kohr versehene Stopfen in den Hals des Beutels eingebunden wird. Dadurch ist es ermöglicht, während des Versuches durch Kneten des Beutels ein fortwährendes, inniges Vermischen des Staubes mit den Sputumteilchen vorzunehmen. Die Versuchs-

Infektion

durch tuber kelbazillenhaltigen

Staub

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anordnung ist im übrigen die gleiche wie bei Versuch 1 und 2; sämtliche Teile des Apparates sind inzwischen einer sorgfältigen Desinfektion unterworfen worden und absolut trocken. Es wird ein Meerschweinchen (Anf.-Gew. 295 g) 25 Minuten lang in den Inhalationsraum gebracht. Zur Kontrolle werden nach Beendigung des Versuches drei Tiere intraperitoneal geimpft, und zwar je eines mit Material aus dem Staubentwickelungsraum (Anf.-Gew. 485 g), aus der Vorlage O (eingeschaltet zwischen Staubentwickelungs- und Inhalationsraum; Gew. 355 g), endlich aus der Vorlage C (eingeschaltet in dem vom Inhalationsraum ableitenden Rohr; Gew. 255 g). Die mikroskopische Untersuchung des zur Verimpfung benutzten Staubes wird in Anbetracht der geringen Aussicht auf Erfolg (vgl. Versuch 1 und 2) nicht vorgenommen. Von den Tieren stirbt nach einer Woche das Inhalationstier und das aus der Vorlage geimpfte Kontrolltier; bei k e i n e m findet sich ein Anhaltspunkt für beginnende Tuberkulose. Die beiden anderen Kontrolltiere gehen nach Ablauf von i Wochen an typischer Peritonealtuberkulose ein.

Somit gelang es in keinem der drei bisher beschriebenen Versuche, Inhalationstuberkulose zu erzeugen, obwohl in zwei Fällen nachweisbar infektionstüchtige Keime den Inhalationsraum passiert hatten. Ehe wir uns zu weiteren Versuchen unter den gleichen Bedingungen entschlossen, die vielleicht — in größerer Anzahl angestellt — gelegentlich auch zu einem positiven Resultat geführt hätten, schien es angezeigt, nach Gründen für diesen negativen Ausfall zu suchen, die eventuell eine Änderung der Versuchsanordnung empfehlenswert erscheinen ließen. Zunächst lag der Einwand nahe, daß das Bauchfell ein ungleich feineres Reagens auf Tuberkelbazillen ist, als die Lunge. Die weiteren Versuche — um dies vorweg zu nehmen — entkräfteten indes diesen Einwand. — Ein weiterer Einwurf aber war nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: die Tuberkelbazillen haften bei der bisher gewählten Herstellungsweise infolge der unvollkommenen Verteilung von Sputum und Staub hauptsächlich an gröberen Partikelchen; es ist nun bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, daß diese durch Feuchtigkeit zusammengehaltenen Verbände von Staubpartikelchen den Inhalationsraum passieren, ohne eingeatmet zu werden, indem sie im Moment des Luftstoßes am Meerschweinchen vorübergehen, ohne d u r c h den s c h w a c h e n I n s p i r a t i o n s s t r o m a u s i h r e r B a h n a b g e l e n k t zu w e r d e n , im Moment der Pause aber sich nicht schwebend erhalten und vielleicht überhaupt zu schwer sind, um von dem schwachen Inspirationsstrom angesogen zu werden. — Feinste t r o c k e n e Partikel sind andererseits vermutlich in so geringer Menge vorhanden gewesen, daß die Aufnahme des an sich so minimalen Quantums von Atemluft keine Infektionschancen bot.

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Der Fehler unserer Versuchsanordnung bestand also darin, daß wir nicht — wie eigentlich beabsichtigt war — a u s s c h l i e ß l i c h trockenes Material verstäubten. Wir setzten somit für die Möglichkeit der Inhalation relativ ungünstige Versuchsbedingungen. — Um diese zu verbessern und auch den natürlichen Verhältnissen mehr zu nähern, ließen wir bei den folgenden Versuchen tuberkulöses Sputum an Leinwandläppchen antrocknen, und diese Läppchen wurden dann in einem an Stelle der Verstäubungsflasche eingeschalteten Beutel geknetet und zerrissen. Dadurch erhielten wir ein gleichmäßig trockenes Verstäubungsmaterial, in dem die Tuberkelbazillen in größerer Anzahl (es konnte konzentriertes Sputum zum Antrocknen benutzt werden) und in einigermaßen gleichmäßiger Verteilung suspendiert waren. Daß durch das stärkere Austrocknen die Virulenz und Lebensfähigkeit der Tuberkelbazillen nicht geschädigt wurde, durften wir nach dem Ausfall der NEissEBschen Versuche (s. oben) mit Sicherheit erwarten.. 4. u n d 5. V e r s u c h (8. Oktober 1897). Frisch aus der Wäsche gekommenes, sogen. Neeseltuch wird in rechteckige Läppchen von 8 :16 cm zerschnitten. Zehn Läppchen werden mit mäßig verdünntem, reichlich tuberkelbazillenhaltigem, an anderen Bakterien möglichst armem Sputum gut getränkt, indem sie — an zwei Zipfeln mit Pinzetten gefaßt — durch das in eine flache Schale ausgegossene Sputum mehrmals durchgezogen werden. Darauf werden sie, über Drahtgestellen ausgebreitet, 24 bis 36 Stunden lang im Brütofen bei 22 bis 24° getrocknet. Die so vorbereiteten Läppchen, an denen grob sichtbare Feuchtigkeit nicht wahrzunehmen ist, werden in einen Kautschukbeutel (gewöhnlichen Eisbeutel) gesteckt, und dieser wird als Staubentwickelungsraum in den Apparat eingefügt. Im übrigen bleibt die Versuchsanordnung die gleiche; nur wird die bei den vorigen Versuchen dem Absitzen grober Staubpartikel dienende Flasche ausgeschaltet, so daß die Reihenfolge der einzelnen Teile des Apparates nunmehr folgende ist: Gebläse, Staubentwickelungsraum, Inhalationsraum, Vorlage. Es werden nacheinander zwei Tiere in den Inhalationsraum gebracht, das erste für 30, das zweite für 45 Minuten (Gew. 230 und 305 g). Während des Versuches wird durch Kneten, Zerren und Zerreißen der Läppchen im Verstäubungsbeutel, sowie durch fortgesetztes Schütteln des letzteren für hinreichende Staubentwickelung und -aufwirbelung gesorgt. Die Hübe des Gebläses folgen einander zeitweise in raschestem Tempo (bis 60 pro Minute). Es erscheinen bald gelbliche Stäubchen und feinste Fäserchen in dem vom Staubentwickelungsbeutel abführenden Röhrchen, im weiteren Verlauf des Versuches auch in den folgenden Röhren; schließlich kann man den gleichen Staub auch am Boden der Vorlage in Gestalt eines äußerst feinen, dünnen Niederschlages wahrnehmen. Nach Beendigung des Inhalationsversuches werden

Infektion durch tuberkelbaxillenhaltigen

Staub

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zwei Kontrolltiere intraperitoneal geimpft; das eine (Gew. 320 g) erhält Ausgangsmaterial , d. h. den mit sterilem Wasser herausgespülten Staub aus dem unmittelbar vom Yerstäubungsbeutel ableitenden Röhrchen; das andere (Gew. 260 g) erhält den mit sterilem Wasser aufgeschwemmten Bodensatz der Vorlage. Da hei diesem Versuch ein neues Verstäuhungsmaterial zur Verwendung kam, das nicht aus undurchsichtigen Partikelchen, sondern aus feinen, durchscheinenden Päserchen bestand, so wurde der m i k r o s k o p i s c h e Nachweis der Tuberkelbazillen wiederum versucht. Es wurden Proben von dem Bodensatz der Vorlage auf neun frische, gut gesäuberte Deckgläschen übertragen und mit Hühnereiweiß fixiert. In sämtlichen Präparaten fanden sich zum Teil sehr reichlich (in jedem vierten Gesichtsfeld, bisweilen noch häufiger) Tuberkelbazillen; dieselben waren relativ selten an Fäden haftend, häufiger in Zelldetritus eingebettet anzutreffen. Der Tierversuch erwies, daß dieselben zum Teil noch infektionstüchtig sein mußten, sowie auch, daß sie bei dem hier gewählten Verstäubungsmodus von der Lunge aus zu infizieren vermochten. Das erste Versuchstier ging nach ca. 4 Wochen, das zweite nach 6 Wochen a n T u b e r k u l o s e d e r L u n g e n z u g r u n d e . Im Gegensatz zu den bisher sezierten, an Peritonealtuberkulose eingegangenen Meerschweinchen (vgl. auch die Kontrolltiere desselben Versuches) fanden sich bei den beiden Inhalationstieren tuberkulöse Prozesse nur in den L u n g e n und B r o n c h i a l d r ü s e n ; in sämtlichen Abschnitten beider Lungen zahlreiche, kaum stecknadelkopfgroße, graue Knötchen; die Bronchialdrüsen stark geschwellt; in Ausstrichpräparaten von Lunge und Bronchialdrüse zahlreiche Tuberkelbazillen; alle anderen Organe werden makroskopisch frei von Tuberkulose befunden. Die beiden Kontrolltiere starben nach 4 Wochen an typischer Tuberkulose der Peritonealhöhle; Lungen frei. 6. u n d 7. V e r s u c h (11. Oktober 1897). Die Versuche sind eine Wiederholung der vorigen. Nur wird diesmal unverdünntes Sputum (vom gleichen Phthisiker) an Taschentuchstoff, und zwar 48 Stunden lang im Brütofen bei 22° angetrocknet. Es werden zwei Inhalationstiere, das erste 30 Minuten, das zweite 45 Minuten lang in den Apparat gebracht (Gew. 260 und 310 g). Es dauert diesmal längere Zeit, bis die ersten Fäserchen in dem vom Staubentwickelungsraum ableitenden Eöhrchen auftreten; zugleich macht sich in dem letzteren ein leichter, feuchter Beschlag bemerkbar, so daß die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß mit Eücksicht auf das unverdünnte, in dicker Schicht angetrocknete Sputum ein längeres und intensiveres Austrocknen angezeigt gewesen wäre. Es wird daher mit vorläufiger Ausschaltung des Inhalationsraumes zunächst so lange Luft durch den Verstäubungsbeutel getrieben, bis die Tröpfchen im ableitenden Rohr verschwinden, dann der Versuch in gewohnter Weise angestellt. Der Ausfall entspricht ganz demjenigen der vorigen Versuche (4. und 5.). Das Inhalationstier vom stündigen Versuch s t i r b t nach 5 Wochen an T u b e r k u l o s e d e r L u n g e n und Bronchialdrüsen. Das Inhalationstier vom 3 /iStündigen Versuch wird nach 8 Wochen durch Chloroform getötet: in a l l e n

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Sticher

L u n g e n l a p p e n verstreut kleine graue Knötchen, im rechten Unterlappen ein größerer, grau verfärbter T u b e r k e l ; Bronchialdrüsen im Inneren bereits verkäst; Ausstrichpräparate von Lunge und Bronchialdrüse positiv; Milz enthält ebenfalls Tuberkel; Nieren und Leber frei. Von den zwei entsprechend wie bei Versuch 4 und 5 geimpften Kontrolltieren geht das mit Ausgangsmaterial infizierte (Anf.-Gew. 470 g) nach 5 Wochen ein, ohne daß die Sektion einen Anhalt für Tuberkulose ergibt; das aus der Vorlage geimpfte (Anf.-Gew. 485 g) stirbt nach 11 Wochen an allgemeiner Tuberkulose, die nach dem Bauchbefund (Tuberkel an der Impfstelle und Adhäsionsbildung, sehr starke Schwellung der retroperitonealen Drüsen) als primär von der Peritonealhöhle ausgehend aufgefaßt werden muß. Mit dem Ausfall dieses letzten Tierexperimentes stimmt das Resultat der mikroskopischen Untersuchung des Inhaltes der Vorlage überein, bei welcher in zwei von acht Präparaten vereinzelt, aber sicher Tuberkelbazillen nachweisbar waren; an einer Stelle sah man die Bazillen neben anderen Bakterien (Kokken) an einer Leinwandfaser wie Fliegen an einer Leimrute anhaften. 8. u n d 9. V e r s u c h (14. Oktober 1897). Um ein gründliches Austrocknen der auch dieses Mal wieder mit unverdünntem Sputum" getränkten Läppchen zu erzielen, wird zur Herstellung der Läppchen statt der Leinwand wieder das porösere Nesseltuch verwandt; außerdem werden die etwa 30 Stunden bei 22° vorgetrockneten 10 Läppchen noch einige Tage zur intensiveren Austrocknung im Exsikkator über Chlorcalcium gehalten, und zwar fünf (verwandt zu Versuch 8 und 9) 2 Tage lang, die übrigen fünf (verwandt zu Versuch 10 und 11) 9 Tage lang. Die Anzahl der Lappen wird in der Absicht vermindert, etwa noch vorhandene, vereinzelte Stellen, die nicht absolut trocken sind, durch den darüber streichenden Luftstrom schneller auszutrocknen. Damit die geringere Anzahl der Läppchen keine Beeinträchtigung der Infektionschancen nach sich ziehe, wird der Beginn des ersten Versuches erst von dem Moment an gerechnet, wo die zur Inhalationskappe führende Röhre im ganzen Verlauf mit Fasern bedeckt ist. Es werden in bekannter Weise zwei Versuchstiere verwandt und zwei Kontrollimpfungen vorgenommen. Das zum stündigen Versuch benutzte Meerschweinchen (Gew. 250 g) s t i r b t n a c h 6 W o c h e n an L u n g e n - und Bronchialdrüsen-Tuberkulose (andere Organe frei); das zum 3 / 4 stündigen Versuch verwandte Tier (Gew. 355 g) geht nach 4'/ s Wochen ein, ohne daß die Sektion einen Anhalt für Tuberkulose ergibt. Von den beiden Kontrolltieren stirbt nach 4 Wochen das mit Ausgangsmaterial geimpfte (Anf.-Gew. 643 g) an Netz- und Bauchfelltuberkulose (Lungen frei); nach 3 Monaten stirbt das aus der Vorlage geimpfte (Anf.-Gew. 425 g) an allgemeiner Tuberkulose, doch ist auch hier die Tuberkulose in den Netz- und Retroperitonealdrüsen am weitesten vorgeschritten. Die im Anschluß an die Versuche vorgenommene mikroskopische Untersuchung des Staubniederschlages in der Vorlage hatte in zehn Präparaten jedesmal reichliche Tuberkelbazillen ergeben; dieselben fanden sieh teils in zelligem Detritus (die Häufchen der Zellreste bis zu 1 j i Gesichtsfeld groß), teils an feinsten Fäserchen haftend.

Infektion durch tuberkelbazillenhattigen

Staub

201

10. und 11. Versuch (21. Oktober 1897). Fünf Läppchen von gleicher Herkunft wie die das letzte Mal verwandten ; noch intensiver getrocknet. Die Fäserchen erscheinen sehr schnell in den zum Inhalationsraum leitenden Röhren. Die beiden Inhalationstiere, je 1I2 Stunde in den Apparat gebracht (Anf.-Grew. 240 und 320 g), gehen gleichzeitig nach Ablauf eines Monats an T u b e r k u l o s e der L u n g e n und Bronchialdrüsen ein (andere Organe frei). Die beiden Kontrolltiere sterben 1 Tag später als die Versuchstiere, das aus der Vorlage geimpfte (Anf.-Grew. 460 g) an reiner Bauchfelltuberkulose; das mit Ausgangsmaterial infizierte (Anf.-Gew. 465 g) zeigt bereits Verallgemeinerung der Tuberkulose, doch ist aus den hochgradig geschwellten, prall mit käsigem Inhalt gefällten Netzdrüsen und den ausgedehnten knötchenreichen Adhäsionen im Bereich der Impfstelle der primäre Sitz leicht ersichtlich. In jedem der mikroskopischen Präparate, welche aus dem in der Vorlage aufgefangenen Material angefertigt wurden, waren sehr reichlich Tuberkelbazillen gefunden worden; als Träger derselben dienten Fasern und Zelltrümmerhaufen, letztere zum Teil wieder 1/5 bis , / 4 Gesichtsfeld groß.

Die Bedingungen und Ergebnisse der bisher angestellten Versuche sind in der folgenden Tabelle I kurz zusammengestellt. Die Resultate der ersten Versuchsreihe können wir dahin zusammenfassen : Wir haben tuberkelbazillenhaltiges Sputum an Leinwandläppchen angetrocknet; wir haben den Grad der Trockenheit so weit gesteigert, daß grob sichtbar oder fühlbar keine Spur von Feuchtigkeit mehr wahrzunehmen war; wir haben die angetrockneten Sputumteilchen mechanisch von ihrem Träger abgelöst und starke Luftströme auf sie einwirken lassen; wir haben solchen Luftströmen Meerschweinchen ausgesetzt und diese von den Lungen aus mit Tuberkulose infiziert. Damit ist der Beweis erbracht, d a ß T u b e r k e l b a z i l l e n u n t e r dem E i n f l u ß s t a r k e r L u f t s t r ö m e in i n f e k t i o n s t ü c h t i g e m Z u s t a n d e v e r s t ä u b t werden können. Die negativen Resultate früherer Experimentatoren, sowie die unserer eigenen ersten Versuche sind wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Luft des Atemraumes einen zu geringen Gehalt an leicht transportablen Stäubchen führte, und daß das geringe Atemquantum der Versuchstiere und die Unmöglichkeit, durch den schwachen Inspirationsstrom der letzteren aus stark bewegter Luft schwebende Partikel abzulenken und zu inhalieren, nicht gebührend berücksichtigt wurde. Es fragte sich nun aber weiter, wie sich die Infektionschancen gestalten, wenn wir, in allmählicher Annäherung an die natürlichen

202

Roland Sticher

1

30 Min.

0

2

Verdünntes Sputum mit feinstem Staub vermischt.

45 „

0

3

Desgl.

25 „

0

4

Läppchen aus Nesseltuch, mit verdünntem Sputum getränkt, bei 22° 24 bis 36 Stunden getrocknet.

30 „

+

45 „

+

30 „

+

5 6 7 8 9 10 11

Läppchen aus Leinwand, mit unverdünntem ¡Sputum getränkt, 2 Tage bei 22° getrocknet. Nesseltuchläppchen, mit unverd. Sputum getränkt, 30 Stunden bei 22°, 2 Tage im Exsikkator getrocknet.

Mit Ausgangsmaterial geimpfte Tiere Aus der Vorlage geimpfte Tiere

Verstäubungsmodus

Dauer des Versuches

Inhalationstier

Nr. des Versuches

Tabelle I.

+

++

Vergeblich versucht.

++

0

Nicht versucht.

+

In 9 Präparaten z. T . sehr reichlich Tuberkelbazillen.

+

In 2 von 8 Präparaten vereinzelt und in Häuf. Tuberkelbazillen.

+

In 10 Präparaten reichlich Tuberkelbazillen.

+

In allen angefertigten Präparaten Tuberkelbazillen.

+

0 45 „

+

30 „

+ +

45 „

0

Nesseltuchläppchen 30 „ mit unverd. Sputum getränkt, 30 Stunden bei 22°, 9 Tage im Exsikkator getrocknet. 30 „

+ + +

Mikroskopischer Tuberkelbazillen-Nachweis in dem Staub der Vorlage

Verhältnisse, die bisherigen Experimente in mancher Beziehung modifizieren. 1. Erwünscht war es, die Antrocknung des Sputums nicht nur auf Leinwandlappen vor sich gehen zu lassen, sondern noch ein anderes Material zu benutzen, das für die natürlichen Verhältnisse gleichfalls sehr in Betracht kommt. Die an Lungentuberkulose Leidenden entleeren ihren Auswurf häufig auf den Fußboden. Er trocknet dort an, wird durch die Stiefelsohlen mechanisch abgelöst

Infektion

durch tuberkelbazillenhaltigen Staub

203

und — falls hinreichend kleine Partikelchen gebildet werden — durch Luftströme transportiert werden können. Dieser Verstäubungsmodus sollte in einer Anzahl weiterer Versuche nachgeahmt werden. 2. Wir hatten bisher die Entfernung zwischen dem Verstäubungsund dem Inhalationsraume unberücksichtigt gelassen, bzw. sehr kurz gewählt; es war zu bedenken, daß speziell zum Zustandekommen einer Infektion mit Fußboden- oder Taschentuchstaub die Partikelchen unter natürlichen Verhältnissen einen ungleich weiteren Weg zurückzulegen haben. Wir konnten von vornherein die Vermutung nicht zurückweisen, daß mit der Länge des Weges die Infektionschancen bedeutend sinken würden, sei es infolge Schädigung der Bazillen während des Transportes, sei es infolge raschen Absitzens der nur schwer sich erhebenden, schnell wieder zu Boden sinkenden gröberen Partikel. Wir haben daher in den folgenden Versuchen die Strecke, welche die Staubteilchen zurücklegen müssen, um vom Verstäubungs- zum Inhalationsraume zu gelangen, etwas größer bemessen, sind aber bei einigen Versuchen auch wieder zur früher verwandten Entfernung zurückgegangen. 3. Die weitaus wichtigste Modifikation betraf die Geschwindigkeit der verwandten Luftströme. Mit dieser mußten wir erheblich herabgehen, wir mußten versuchen, die in unseren Wohnräumen vorherrschenden Luftgeschwindigkeiten zu reproduzieren und auf das zu verstäubende Material einwirken zu lassen. Durch diese geringen Luftströme können sicher nur die den allerfeinsten und leichtesten Partikelchen anhaftenden Tuberkelbazillen transportiert werden, die entweder schon, bevor sie in die Luft gelangen oder während ihres Transportes den höchsten Grad der Austrocknung erleiden müssen; es fragt sich, ob so feine Partikel in genügender Menge von dem Versuchsmateriale sich ablösen lassen und als Träger vollvirulenter Tuberkelbazillen fungieren können. 4. Die Austrocknung war in zuverlässigerer Weise als bisher bis zum äußersten Grade zu treiben. Je trockener und infolgedessen leichter unser Verstäubungsmaterial war, desto bessere Chancen boten wir voraussichtlich für die Inhalation desselben. Einen zuverlässigen Maßstab für den Feuchtigkeitsgehalt unseres Materiales gab uns das G e w i c h t an die Hand; wir trockneten die sputumgetränkten Objekte so lange im Chlorkalziumexsikkator, bis keine Gewichtsabnahme mehr konstatiert werden konnte. — Die auf Grund dieser Erwägungen angestellten Versuche seien im folgenden ausführlich beschrieben.

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II. Inhalationsversuche mit tuberkelbazillenhaltigem Material bei Anwendung schwacher Luftströine. Der zu den folgenden Versuchen verwandte Apparat bestand aus folgenden sechs Teilen: dem Verstäubungsraume, dem Staubleiter, dem Inhalationsraume, der Vorlage, der Desinfektlons- und Aspirationsvorrichtung (s. Fig. 13). Als Verstäubungsraum diente, wie bei bei den vorigen Versuchen, ein Eisbeutel (4); als Staubleiter ein 2 cm im Durchmesser fassendes, 1 in langes, an den Enden konisch zulaufendes Blechrohr (B), das, vertikal gestellt, mittels kurzer KautschukSchläuche einerseits mit dem Verstäubungs-, andererseits mit dem Inhalationsraume ((7) in Verbindung stand. Der Inhalationsraum war folgendermaßen

Fig. 13, beschaffen: ein länglicher Blechkasten mit vier rechteckigen und zwei quadratischen Flächen war an seinen vier länglichen, rechteckigen Flächen geschlossen, während die beiden kleineren, quadratischen offen standen. In die vordere, quadratische Öffnung ließen sich vermöge seitlich angebrachter Kiefen zwei Einsätze (ein unterer und ein oberer) einschieben, von denen jeder an der Berührungslinie einen die Mitte einnehmenden, halbkreisförmigen Ausschnitt hatte; so war es ermöglicht, das durch die hintere, quadratische Öffnung des Kastens eingebrachte Meerschweinchen mit dem Kopfe in dem Ausschnitte der vorn eingeschobenen Einsätze zu fixieren. Eine kleine Kappe aus Blech verschloß die hintere Öffnung des Kastens; eine größere Blechkappe wurde von vorn bis zu einer bestimmten Marke über den Kasten vorgeschoben und dadurch ein etwa 8 cm tiefer, 13 cm hoher und breiter Vorraum geschaffen, in welchen lediglich der gut und bequem fixierte Kopf des Meerschweinchens hineinragte. In den Boden des so geschaffenen Inhalationsraumes war in der

Infektion

durch tuberkelbazillenhaltigen

Staub

205

Mitte ein kleiner Trichter eingelassen, welcher mit dem oberen Ende des Staub' leiters durch ein kurzes Kautschukröhrchen verbunden war; ein in die Decke des Inhalationsraumes eingeführter Trichter stand durch ein kurzes Röhrchen mit der Vorlage (D) in Verbindung. Die Vorlage bestand aus einem Erlenmeyerkölbchen, dessen Boden mit sterilem Wasser bedeckt war; das zuleitende Röhrchen tauchte in die Flüssige keit ein. Als Desinfektionsvorrichtung diente eine mit Schwefelsäure gefüllte Flasche (E), die der Luftstrom nach seinem Austritt aus der Vorlage noch passieren mußte. Die Aspiration wurde bewirkt durch einen hohen, etwa 70 Liter "Wasser fassenden Blechzylinder (F) mit Auslaufvorrichtung, dessen oberes, konisch zulaufendes Ende durch einen Schlauch mit dem aus der Schwefelsäureflasche ableitenden, kurzen Röhrchen verbunden war. An dem Wasserstandsrohre des Zylinders lasen wir ab, wie viel Flüssigkeit in einem bestimmten Zeitabschnitte (V2, 1, 5 Minuten) ablief; eine vorher berechnete Tabelle sagte uns, wie viel Zentimeter pro Sekunde zur Zeit die Geschwindigkeit des Luftstromes im Staubleiter betrug. Das Austrocknen des Verstäubungsmaterials geschah in der Weise, daß wir sechs mit unverdünntem Sputum getränkte Leinwandläppchen (quadratisch, von 5 cm Seitenlänge) in dünnwandige, eigens hierzu angefertigte Schälchen übertrugen und je drei derselben ip einen Cblorealciumexsikkatov brachten. Die Exsikkatoren bestanden aus einer mattgeschliffenen Glasscheibe, einer großen Glasglocke mit breitem, mattgeschliffenem Rande; unter der Glasglocke befand sich ein Gestell mit drei Etagen, von denen die oberste zur Aufnahme der Schälchen bestimmt war, während auf die beiden unteren flache Schalen mit frisch ausgeglühtem Chlorcalcium gestellt wurden. Die Exsikkatoren wurden stets, um eine Schädigung der Tuberkelbazillen durch das Sonnenlicht zu verhüten, vor Licht geschützt aufbewahrt. — Wie rasch die Austrocknung unseres Materials erfolgte, zeigte die in Zwischenräumen von 2 bis 3 Tagen vorgenommene Wägung. Wir nahmen die Schälchen einzeln heraus, versahen sie während der Zeit der Wägung mit dem zugehörigen, aufgeschlifienen Deckel und wogen sie auf der chemischen Wage ab. Ich gebe beispielsweise die Zahlen an, die ich bei den zwei Wägungen der zuerst angesetzten Läppchen (inklusive Schälchen) ermittelte; es betrug das Gewicht derselben: 1. 2. 3. 4. 5. 6. '

nach 2 Tagen:

nach 5 Tagen:

36-5559 46-2774 32-3112 40-0842 44-4757 35-2242

36-5557 46-2745 32-3112 40-0835 44-4735 35-2237.

Obwohl die Abnahme nur noch im Maximum 2 bis 3 mg betrug und der Fehlergrenze sich näherte, ließen wir die Schälehen doch noch weitere 3 Tage im Exsikkator. Dann erst wurde der Versuch angestellt. Hierzu übertrug ich die Läppchen mit ausgeglühten Pinzetten in den Verstäubungsbeutel, der, wie alle Teile des Apparates, bis zur Vorlage völlig trocken war Ich brachte das Meerschweinchen nach Abscheeren der Halshaare in den Inhalationsraum, dessen

206

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Fugen ich — um ein Ansaugen von Luft durch dieselben zu verhüten — sorgfältig verkittete. Nun ließ ich den vorher mit Wasser gefüllten Zylinder auslaufen und dadurch Luft durch den Apparat hindurchstreichen. Gleichzeitig rieb, knetete und zerriß ich durch die Wand des Verstäubungsbeutels die darin befindlichen Läppchen und wirbelte den so erzeugten Staub durch heftiges Schütteln des Beutels auf; Fäserchen in dem vom Verstäubungsraiime unmittelbar ableitenden Röhrchen zeigten mir bald an, daß ein Ansaugen von Staub stattfand. Welche Geschwindigkeit sollte nun beim Ansaugen in dem Staubleiter erzeugt werden? Ich wählte bei diesem wie bei den nächstfolgenden Versuchen als Durchschnittsgeschwindigkeit etwa 10 cm pro Sekunde, d. h. einen Luftstrom, den wir nach den Untersuchungen F L Ü G G E S 1 eben noch als Zugempfindung wahrnehmen. Dabei war jedoch zu bedenken, daß einerseits die im bewohnten Teile des geschlossenen Zimmers vorherrschenden Luftströme ganz erheblich geringer sind, als die noch eben empfundenen Luftbewegungen, daß aber andererseits auch im Zimmer unter besonderen Verhältnissen, z . B . in der Nähe eines Fensters und einer Ventilationsöffnung oder beim Gehen und durch Hantierungen gelegentlich auch schnellere Luftströme für kürzere Zeit zustande kommen werden. Die ausschließlich schwachen Luftströme sollten in einer gesonderten (dritten) Versuchsreihe geprüft werden. Dagegen beabsichtigten wir bei den folgenden Versuchen durch gelegentliches Einschalten kräftiger Luftströme, welche die im Durchschnitt inne gehaltenen (von 10 cm pro Sekunde) zeitweise unterbrechen, Verhältnisse zu schaffen, die für einen Transport der Stäubcheri möglichst günstige waren und unter natürlichen Verhältnissen kaum je übertroffen werden. ,12. Versuch (26. Februar 1898). Die während 65 Minuten angewandte Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 7 bis 8 cm pro Sekunde; 1 Minute lang wurde ein Luftstrom von ca. 30 cm, 5 Minuten lang ein solcher von 20 cm pro Sekunde durch den Apparat geschickt. Nach Beendigung des Versuches, den das Inhalationstier gut übersteht, werden zwei intraperitoneale Kontrollimpfungen vorgenommen; ein Meerschweinchen erhält den Staub aus dem vom Verstäubungsbeutel ableitenden Eöhrchen, mit sterilem Wasser aufgeschwemmt, ein zweites die Flüssigkeit aus der Vorlage. Da die letztere kaum sichtbar getrübt ist, erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß nur wenig Staub in dieselbe gelangt ist; es wird von einer mikroskopischen Untersuchung auf Tuberkelbazillen als aussichtslos Abstand genommen. Von den Tieren stirbt das zur Inhalation verwandte nach 5 Wochen, das mit Ausgangsmaterial infizierte nach 2 Wochen. Makroskopisch kein Anhalt für Tuberkulose. In Bronchialdrüsen- und Lungenausstrichpräparaten vom ersteren, in Netzdrüsenausstrichen vom letzteren -Tiere keine Tuberkelbazillen zu finden. Das aus der Vorlage geimpfte Meerschweinchen wird nach 5 Monaten getötet; bei der Sektion findet sich in den Organen nichts für Tuberkulose Verdächtiges. 1

s. S. 26.

Infektion durch tuberkelbazillenhaltigen

Staub

207

13. Versuch (4. März 1898). Sechs Leimvandläppchen werden mit unverdünntem Sputum getränkt, nach 3 und 5 Tagen gewogen; die Gewichtszahlen der beiden Wägungen differieren sämtlich nur um Dezimilligramme; daher werden die Läppchen am 5. Tage benutzt. Die Versuchsanordnung ist ganz diejenige des vorigen. Die während 55 Minuten inne gehaltene Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 8 bis 10 cm pro Sekunde. Sie wird 5 Minuten lang auf 14 cm, 1 Minute lang auf 30 cm gesteigert. Das Inhalationstier, welches- den Versuch gut übersteht, geht schon nach 5 T a g e n ein. Die Sektion ergibt eine weit v o r g e s c h r i t t e n e Tuberkulose, die nicht nur die Lungen, sondern auch die Bronchial-, Retroperitoneal- und Schenkeldvüsen, sowie auch die Milz betroffen und zum Teil bereits hochgradig verändert hat. Offenbar war also ein bereits an Tuberkulose erkranktes Tier zu dem Versuche verwandt worden; das Meerschweinchen war vor 2 Monaten mit einem zweiten, noch gesunden zugleich angekauft worden, noch nicht zu Versuchen benutzt, aber wohl vor oder nach dem Kauf einer Infektion mit Tuberkulose ausgesetzt gewesen. Das mit dem Ausgangsmateriale geimpfte Kontrolltier stirbt nach 3 Wochen an interkurrenter Krankheit; doch lassen sich in einer geschwellten Retroperitonealdrüse vereinzelte Tuberkelbazillen nachweisen. Das aus der Vorlage infizierte Kontrolltier geht nach 4 l / t Wochen ein, ohne daß die Sektion einen Anhalt für Tuberkulose ergibt. 14. und 15. Versuch (22. März 1898). In vier Exsikkatoren werden zwölf mit unverdünntem Sputum getränkte Läppchen bis zur Gewichtskonstanz (8 Tage lang) getrocknet; sechs davon gelangen beim 14., die übrigen sechs bei dem sofort angeschlossenen 15. Versuche zur Verwendung. Die Geschwindigkeit des Luftstromes während des 14. Versuches beträgt im Durchschnitt (45 Minuten lang) 8 bis 10 cm pro Sekunde; 5 Minuten lang kommt eine Geschwindigkeit von 15 cm pro Sekunde zur Anwendung; auch werden zum Schluß einige kurze, kräftigere Luftströme erzeugt. Die Geschwindigkeit des Luftstromes während des 15. Versuches hält sich im Durchschnitt auf 9 bis 10 cm pro Sekunde (schwankt von 7 bis 11 cm); am Schlüsse des im ganzen 55 Minuten dauernden Versuches werden ebenfalls einige kurze Luftstöße hervorgebracht. Das zuerst verwandte Inhalationstier stirbt nach 2 l /j Wochen (Sektionsbefund negativ); das zum zweiten Versuche benutzte wird nach 4 Monaten getötet, ohne daß ein Anhaltspunkt für beginnende T u b e r k u l o s e gefunden wird. Das mit Ausgangsmaterial geimpfte Kontrolltier wird nach 4 Monaten getötet; Sektionsbefund negativ. Von den zwei aus der Vorlage geimpften Tieren stirbt das erste nach 1 Woche an Peritonitis; das zweite magert ab und geht nach 7 Wochen ein; eine stark geschwellte, harte Retroperitonealdrüse ist t u b e r k u l ö s (in vier von sechs Ausstrichpräparaten mäßig reichlich Tuberkelbazillen).

208 16. und 17. V e r s u c h (28. März 1898). Zwölf Brettchen aus Rotbuchenholz, 50 mm lang, 25 mm breit, 7 mm dick, werden auf der einen Fläche mittels grober Feile gerauht, während die glatte Fläche durch einen Tapeziernagel kenntlich gemacht wird. Die rauhen Flächen werden mit unverdünntem, tuberkulösem Sputum beschickt, darauf die Brettchen — mit den glatten Flächen nach unten gekehrt — auf Drahtgestellen im Exsikkator getrocknet. In der Absieht, auch hier bis zur Gewichtskonstanz zu trocknen, kontrollierten wir die Gewichtabnahme bei einem der Brettchen mit der Wage; Brettchen inclusive Wägegläschen wog: nach i Tagen:

nach 6 Tagen:

nach S Tagen:

83-9160 33-8424 33-7867. Obwohl hier eine Abnahme noch um Zentigramme stattfand, glauben wir doch in der Annahme nicht fehl zu gehen, daß die nunmehr noch abgegebene Feuchtigkeit dem Holze selbst, nicht den darauf befindliehen Sputumpartikelchen entzogen würde, da keines der Läppchen so lange Zeit zum Austrocknen erfordert hatte und da auch den Brettchen nicht die geringste Spur oberflächlicher Feuchtigkeit mehr anhaftete. Wir verwandten daher am 8. Tage je sechs der Brettchen zum 16. und 17. Versuche. Die Brettchen wurden in den Verstäubungsbeutel eingebracht nnd während des Versuches mit ihren rauhen Flächen gegeneinander gerieben, der hierbei sich ablösende Staub durch häufiges Schütteln des Beutels aufgewirbelt. Wir erzeugten beim 16. Versuche eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 8 bis 10 cm pro Sekunde (ca. 45 Minuten lang); 5 Minuten lang steigerten wir sie auf 14 cm, 8 Minuten lang auf 17 cm pro Sekunde; auch einige momentane kräftige Luftströme wurden eingeschaltet. Die Luftströme während des 17. Versuches maßen 25 Minuten lang durchschnittlich 8 bis 9 cm, 25 Minuten lang etwa 25 cm pro Sekunde; zum Schluß erzeugten wir einige kurze, noch etwas stärkere Ströme. Die Inhalationstiere wurden nach 4, bzw. 4*/2 Monaten getötet. Sektionsbefund absolut n e g a t i v . Das mit Ausgangsmaterial (Staub aus dem vom Verstäubungsraume ableitenden Röhrchen) geimpfte Kontrolltier wird nach Ablauf von 4 Monaten getötet; es finden sich eine größere Anzahl zum Teil bohnengroßer, zentral verkäster, tuberkulöser Drüsen des Netzes, auch retroperitoneal gelegene von gleicher Beschaffenheit: primäre Peritonealtuberkulose, daran sich anschließend allgemeine Tuberkulose. Von den beiden aus der Vorlage geimpften Kontrolltieren geht das eine nach 10 Tagen ohne nachweisbare Ursache ein. Das andere stirbt nach ca. 9 Wochen; Befund der gleiche wie bei dem mit Ausgangsmaterial geimpften: allgemeine Tuberkulose, am weitesten vorgeschritten in der Bauchhöhle (das Netz ist in einen großen derben Klumpen verwandelt, die Retroperitonealdrüsen sind stark geschwellt).

Uber die Inhalationsversuche der zweiten Keihe (hei Anwendung schwacher, bzw. mittlerer Luftgeschwindigkeiten) ist in folgender Tabelle summarisch berichtet:

Dimen- Menge der Mit AusNr. des Dauer Angewandte sionen des durchInhalations- gangsmaterial Aus der VorVerVerstäubungsmodus des geimpftes lage geimpfte tier suches Versuches Luftgeschwindigkeiten Staub- gesogenen Tiere leiters Luft Tier 6 Leinwandläppchen, nach 5 Wo65 Min. 7—8 cm pro Sek., 1 m hoch, nach 5 Monat, mit unverd. Sputum 2 cm im chen gestorb. v o r z e i t i g getötet; ca. 70 Min. 1 „ 30 „ , 126 Liter getränkt, im ExsikkaDurchKeine keine gestorben 5 „ 20 „ tor 8 Tage getrocknet messer Tuberkulose Tuberkulose. 6 Leinwandläppchen, nach 5 Tagen nach 3 Wonach mit verdünntem an einer chen gestorb. 4'/j Wochen Sputum getränkt, im älteren In- In einer Drüse gestorben; Exsikkator 5 Tage fektion geTuberkelkeine getrocknet storben bazillen Tuberkulose 45 Min. 8—10 cm, nach 2 */, Woa) nach 8 Taje 6 Leinwand5 „ 15 „ , chen gestorb., gen gest., läppchen, mit unzum Schluß einige kurze, nichts nach 4 Mon. b) nach 7 Wokräftige Luftströme verdünntem Sputum Verdächtiges chen gest.; gestorben. je 88 „ getränkt, im K e i n e nach 4 Mon. 55Min. 7—11 cm, nur in einer Exsikkator 8 Tage gestorben. Tuberkulose Drüse zum Schluß einige kurze, getrocknet Keine Tuberkelkräftige Luftströme Tuberkulose bazillen. ca. 45 Min. 8—10 cm, nach 4 Mon. 5 » 14 „ , gestorben. je 6 Brettchen, mit a)nach 10 Ta8 Keine nach 4 Mon. gen gest., » »i unverdünntem einige kräftige Stöße Tuberkulose gestorben. — b) nach 9 WoSputum beschickt, im je 100 „ chen gest. 25 Min. lang 8—9 cm, nach 4'/tMon. Allgemeine Exsikkator 8 Tage 2? „ „ 25 „ , —Allgemeine gestorben. Tuberkulose getrocknet einige kurze, kräftige Tuberkulose Keine Ströme Tuberkulose

Infektion durch tuberkelbazülenhaltigen

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Welche Schlüsse sind wir nun aus den bisher angestellten Versuchen zu ziehen berechtigt? Zunächst haben uns die Wägungen des sputumgetränkten Materials gelehrt, daß dasselbe bei sorgfältiger Trocknung bereits nach 3 Tagen nur noch minimale Mengen Feuchtigkeit abgibt, daß es — im Chlorcalciumexsikkator gehalten — bereits nach 5 Tagen als absolut trocken anzusehen ist. Wir dürfen danach annehmen, daß wir auch in der Mehrzahl der Versuche der ersten Reihe mit hochgradig ausgetrocknetem, bei Versuch 10 und 11 mit absolut trockenem Sputum gearbeitet haben. Daß ein solches absolut trockenes Material von vornherein, d. h. vor der Verstaubung mit Tuberkulose zu infizieren imstande ist, beweist der Umstand, daß die Kontrolltiere zu Versuch 13 und 16 bis 17 (mit Staub aus dem vom Verstäubungsraum ableitenden Röhrchen geimpft) Tuberkulose akquirierten. Daß aber zugleich mit dem absolut trockenen Material selbst bei Anwendung von nur mittleren oder schwachen Luftströmen infektionstüchtige Tuberkelbazillen verstäubt wurden und in den Bereich der Inhalationstiere gelangten, geht daraus hervor, daß von den aus der Vorlage geimpften Tieren in den beiden letzten Versuchen je eines mit Tuberkulose infiziert wurde; der Luftstrom, welcher den Inhalationsraum bereits passiert hatte, führte hier noch infektionstüchtige Tuberkelbazillen. Wie ist es nun zu erklären, daß die Infektion der I n h a l a t i o n s tiere bei Anwendung schwacher Luftströme a u s b l i e b ? Das L u f t q u a n t u m , welches bei den Versuchen mit starken und denjenigen mit schwachen Geschwindigkeiten dem Tier zugeführt wurde, war etwa das gleiche. Bei den Versuchen der ersten Reihe beförderten wir mit einem Hub 50 ccm, d. h. in der Minute (bei durchschnittlich 32 Hüben) etwa 1600 ccm, während des Versuchs also 48 bis 72, bei gesteigerter Hubfrequenz bis 100 und mehr Liter Luft. Bei den Versuchen mit Aspiration wurden 88 bis 126, im Durchschnitt 100 Liter Luft während eines jeden Versuches durchgesogen. Dieses Luftquantum war aber in beiden Fällen q u a l i t a t i v sehr verschieden, indem bei Anwendung der starken Geschwindigkeiten bedeutend mehr Staub fortgerissen und weit schneller zum Tier transportiert wurde. W i r hätten demnach auf einen positiven Ausfall unserer Inhalationsversuche nur dann rechnen können, wenn wir die Tiere stundenlang immer neuen, mit abgelöstem Staub gefüllten Luftmengen aussetzten, bzw. den Versuch von geringerer Dauer häufig mit demselben Tier wiederholten.

Infektion

durch tuberkeWazillenhaltigen

Staub

211

N u n wurde jedoch schon der Versuch von einstündiger D a u e r nicht i m m e r gut von den Tieren vertragen, obwohl wir durch A n bringung einer verschließbaren Ventilationsvorrichtung es ermöglichten, ab u n d zu während der D a u e r des V e r s u c h e s für eine rasche E r n e u e r u n g der L u f t i m Inhalationsraum z u sorgen. W i r m u ß t e n daher für die ferneren V e r s u c h e , bei denen noch schwächere Luftströme zur A n w e n d u n g k o m m e n sollten, von einer Infektion der Tiere durch I n h a l a t i o n g a n z a b s e h e n , u n d m u ß t e n uns darauf beschränken, den erfolgten Übergang von Tuberkelbazillen durch mikroskopische U n t e r s u c h u n g und intraperitoneale V e r i m p f u n g des Vorlageninhaltes zu prüfen. D i e i n dieser W e i s e erhaltenen Resultate g e s t a t t e t e n bis zu einem g e w i s s e n Grade Rückschlüsse auch auf die E n t s t e h u n g der Inhalationstuberkulose, da mit d e m gleichen, völlig trockenen Staub die Infektion durch E i n a t m u n g gelungen war, sobald wir für eine g e n ü g e n d e Konzentration der Tuberkelbazillen in der A t e m l u f t Sorge getragen hatten. 1«. V e r s u c h (14. April 1898). Das abführende Röhrchen des Staubleiters wird mit dem zuführenden der Vorlage durch einen kurzen Kautschukschlauch verbunden, der Inhalationsraum dadurch ausgeschaltet. Zwölf Läppchen, 3 Wochen lang im Exsikkator getrocknet (12 Tage vor der Benutzung wurde bereits Gewichtekonstanz festgestellt), gelangen in der üblichen Weise zur Verstäubung. Höhe des Staubleiters 1 m. Dauer des Versuches 1 Stunde. Die Geschwindigkeit des Luftstromes wird konstant auf 8 bis 10 cm pro Sekunde gehalten. Das aus der Vorlage geimpfte Tier geht, allmählich stark abmagernd, binnen 2 Monaten an Tuberkulose des Peritoneums ein. Das mit Staub aus dem vom Verstäubungsraum direkt ableitenden Röhrchen geimpfte Tier wird nach 31/« Monaten getötet, ohne daß bei der Sektion etwas für Tuberkulose Sprechendes gefunden wird. 19. V e r s u c h (14. Mai 1898). Anordnung die des vorigen; nur wird statt des 1 m langen Staubleiters ein solcher von m Länge gewählt. Acht Läppchen, 2l/a Wochen getrocknet, 3 werden /4 Stunden lang unter Anwendung eines konstanten Luftstromes von 10 cm verstäubt. Die Flüssigkeit in der Vorlage trübt sich bald sichtlich; beim Aufsprudeln setzen sich Fäserchen an der Wand des Erlenmeyerkölbchens ab, die durch ihre rötliche und weißliche Farbe deutlich ihre Herkunft von dem mit rotem Saum durchzogenen Taschentuch erkennen lassen. Nach Beendigung des Versuches werden zwei Tiere aus der Vorlage geimpft; ein anderes erhält zur Kontrolle ein in gleicher Weise wie die acht zur Verstäubung benutzten zubereitetes Läppchen in eine Hauttasche. Der Rest der Flüssigkeit in der Vorlage wird mit Eiweiß auf Deckgläschen fixiert und mikro14*

212 skopisch untersucht; der Nachweis von Tuberkelbazillen gelingt verhältnismäßig leicht in mehreren Präparaten; stellenweise findet man Häufchen von Bazillen einer größeren Flocke anhaftend. Die Tiere werden nach 3 Monaten getötet. Von den aus der Vorlage geimpften Tieren hat eines Peritonealtuberkulose, bei den anderen ist für Tuberkulose kein Anhalt. Das mit Ausgangsmaterial geimpfte Tier weist eine stark geschwellte, tuberkulöse Schenkeldrüse auf. 20. V e r s u c h (22. Mai 1898). Zur Verwendung gelangen zwölf Brettchen, die 7 Wochen lang im Exsikkator getrocknet wurden. Diese lange Austrocknungadauer war nicht beabsichtigt, sondern war die Folge davon, daß aus äußeren Gründen der Versuch längeren Aufschub erleiden mußte. — Von den zwölf Brettchen wurden zunächst sechs 40 Minuten lang im Verstäubungsbeutel verarbeitet, darauf die übrigen sechs ebenso lange Zeit. Der Staub wird mittels konstanter Luftgeschwindigkeit (8 bis 10 cm pro Sekunde) eine Strecke von '/« m aufwärts transportiert. Zwei Tiere werden aus der Vorlage, zwei weitere zur Kontrolle geimpft; von den letzteren erhält eines den Holzstaub des vom Verstäubungsraum abführenden Röhrchens intraperitoneal, ein anderes den im Innern des Kautschukbeutels (an der Innenfläche des Stopfens, im Halsteil des Beutels) angesammelten Holzstaub subkutan. Der in der Vorlage noch zurückgebliebene Best wird vergeblich auf Tuberkelbazillen hin untersucht. Von den Tieren gehen zwei nach 3 Wochen ein, die beiden anderen werden nach 12 Wochen getötet; bei keinem derselben ein positiver Befund. 21. V e r s u c h (27. Mai 1898). Elf Läppchen, 10 Tage im Exsikkator getrocknet, werden 60 Minuten lang unter Anwendung eines konstanten Luftstromes von 9 bis 10 cm und eines Staubleiters von 1 j i m Länge verstäubt. Zwei Tiere werden aus der Vorlage, zwei zur Kontrolle geimpft; von den letzteren das eine mit Staub, der in den Staubleiter noch nicht eingetreten war, intraperitoneal, das andere mit einem wie die übrigen zubereiteten Läppchen subkutan. Der mikroskopische Nachweis von Tuberkelbazillen in der Vorlageflüssigkeit wird nicht versucht. Von den Tieren geht das eine aus der Vorlage geimpfte nach einer Woche an interkurrenter Krankheit ein. Die drei anderen werden nach etwa 12 Wochen getötet; eines derselben, und zwar ein aus der Vorlage geimpftes, hat Tuberkulose. 22. V e r s u c h (13. Juni 1898). Sechs Läppchen, 17 Tage lang im Exsikkator getrocknet, werden */4 Stunden bei einem konstanten Luftstrom von etwa 3-5 cm verstäubt; als Staubleiter dient ein 4 cm im Durchmesser fassendes, '/, m hohes Rohr. Ein Meerschweinchen wird mit Staub aus dem ersten Röhrchen (Ausgangsmaterial), zwei andere mit Flüssigkeit aus der Vorlage geimpft.

Infektion durch tuberkelbazillenhalligen

Staub

213

Die Proben zur mikroskopischen Untersuchung werden aus dem nach Injektion der Versuchstiere noch zurückbleibenden Rest der Vorlägeflüssigkeit genommen. Wir bekommen dadurch die in Wasser isoliert aufgefangenen Staubpartikelchen, eines vom anderen getrennt, was für die Beurteilung der Größenverhältnisse der Staubteilchen von Wichtigkeit ist. Es werden fünf Präparate angefertigt; in jedem Tuberkelbazillen. In einem Präparat in jedem 4. bis 5. Gesichtsfeld; in einem zweiten einmal in drei Gesichtsfeldern hintereinander. Die Bazillen haften an Plöckchen, die etwa 1/7 bis */» des Gesichtsfeldes einnehmen; in einem Präparat findet man Tuberkelbazillen mit anderen Bakterien zusammen an einem Fädchen haftend; in zwei Präparaten sind die Tuberkelbazillen etwas weniger zahlreich. Von den Tieren des Versuches geht ein aus der Vorlage, geimpftes nach 2 Monaten an allgemeiner Tuberkulose ein; typischer Befand an der Impfstelle. Das zweite aus der Vorlage geimpfte und das mit Ausgangsmaterial infizierte Meerschweinchen werden nach 9 Wochen getötet; bei beiden findet sich vorgeschrittene Bauchfelltuberkulose. Die noch folgenden sieben Versuche werden unter ziemlich den gleichen Bedingungen angestellt: die Geschwindigkeit des Luftstromes ist bei den einzelnen Versuchen konstant, sie variiert zwischen 1 cm und 3 mm; als Staubleiter dient ein 12 cm im Durchmesser fassendes Kohr von 1 m Länge; die Zeit des Versuches beträgt zweimal über 1 Stunde. Der Nachweis der Tuberkelbazillen in dem Material, welches wir in der Vorlage auffingen, gelang stets; nur scheinen die je nach dem Material und besonders der angewandten Luftgeschwindigkeit differierenden mikroskopischen Befunde noch eine gesonderte Beschreibung zu verdienen; dieselbe sei in folgendem kurz gegeben. 23. V e r s u c h (14. Juni 1898). Material: Läppchen. Dauer 1 Stunde. Geschwindigkeit 0- 5 cm pro Sekunde. Die Proben werden wie bei Versuch 22 entnommen. In fünf Präparaten wird nichts gefunden, in einem sechsten zwei Bazillen, durch mehrere Gesichtsfelder getrennt; der eine davon liegt ganz isoliert, der zweite haftet an einer winzigen Flocke. 24. V e r s u c h (15. Juni 1898). Material: Brettchen. Dauer 1 Stunde. Geschwindigkeit 0-5 cm pro Sekunde. In Anbetracht der geringen Geschwindigkeit des Luftstromes und mit Böcksicht auf das eine mikroskopische Untersuchung erschwerende Material (Holzstaub statt Leinwandstaub) scheint es uns vorteilhaft, die Aussichten für den mikroskopischen Nachweis der Tuberkelbazillen dadurch zu verbessern, daß wir nicht mehr Proben der Vorlageflüssigkeit entnehmen, sondern den im zuführenden Eöhrchen der Vorlage an der Krümmung abgesetzten Staub auf Deckgläschen bringen und untersuchen. Wir bekommen nun freilich die Staubpartikelchen nicht bloß isoliert, sondern häufig zusammengeballt, so daß wir über die Größe der bazillenführenden Stäubchen hier weniger Klarheit erhalten. Trotz eifrigen Durch-

214

Roland

Sticher

suchens gelingt es nur in drei von sechs Präparaten, Tuberkelbazillen nachzuweisen, in dem ersten derselben ein Bacillus an einer etwa 1 / s des Gesichtsfeldes einnehmenden Flocke, zwei isolierte. Im zweiten ein Bacillus an einem etwa gesichtsfeldgroßen Haufen mittels Eiweiß zusammengebackener Krümelchen. Im dritten zwei fragmentierte Bazillen mit Kokken, zugleich an einer kleinen Flocke haftend. 25. V e r s u c h (16. Juni 1898). Material: Brettchen. Dauer l 1 /« Stunde. Geschwindigkeit 3 mm pro Sekunde. Als Untersuchungsmaterial wird einmal der im zuführenden Eöhrchen der Vorlage angesammelte Staub (kaum sichtbar), außerdem das Sediment der auszentrifugierten Vorlageflüssigkeit genommen. Nach sehr langem Durchsuchen findet man in einem von sechs Präparaten einen einzigen Tuberkelbacillus; derselbe haftet an einer Flocke, die etwa 3mal so breit und 5mal so lang ist, als der Bacillus. Die Proben zeigen im allgemeinen sehr wenig und nur kleinste Staubkrümelchen. 26. V e r s u c h (23. Juni 1898). Material: Läppchen. Dauer 1 Stttnde. Geschwindigkeit 8 mm. Proben dem zuführenden KShrchen der Vorlage entnommen. Sechs angefertigte Präparate sämtlich positiv. Im ersten eine etwa '/« Gesichtsfeld große, einheitliche Flocke in einer Fadenschlinge mit ca. 20 anhaftenden Tuberkelbazillen; im zweiten findet man einen Bacillus an einer kleinen Flocke, in der Umgebung Zellkerne, nach langem Weitersuchen noch einen ebensolchen, acht Gesichtsfelder nach diesem einen ganz isolierten (Flocken in der Nachbarschaft), endlich noch ein Häufchen von fünf Bazillen an einer größeren Flocke, die ihrerseits einem Fädchen anhaftet. In den übrigen vier Präparaten sind die Bazillen etwas spärlicher, in jedem trotz langen Suchens nur an einer Stelle Bazillen gefunden. 27. V e r s u c h (24. Juni 1898). Material: Läppchen. Dauer 1 Stunde. Geschwindigkeit 0-5 cm pro Sekunde. Vier Präparate negativ; im fünften zwei dicht nebeneinander gelagerte Bazillen an einem größeren Komplex von Flocken (zusammen '/» Gesichtsfeld einnehmend); in einem sechsten Präparat nach längerem Suchen ein Bacillus an einer fädchenumschlungenen Flocke. 28. V e r s u c h (25. Juni 1898). Material: Brettchen. Dauer 1 1 l t Stunde. Geschwindigkeit 0-5 cm. Vier Präparate negativ; im fünften nach langem Suchen ein Bacillus, der mit Kokken zusammen an einer Flocke haftet; diese Flocke wiederum steht mit einem etwa den fünften Teil von ihrer Größe messenden, undurchsichtigen Stäubchen in Verbindung. Ein sechstes Präparat negativ.

Infektion durch luberkelbazillenhaltigen Staub

215

29. V e r s u c h (26. Juni 1898). Material: Brettchen. Dauer 3 / 1 Stunden. Geschwindigkeit 1 cm pro Sekunde. Sechs Präparate angefertigt, alle positiv. In zwei Präparaten erat nach längerem Suchen je ein Bacillus, in den übrigen jedesmal mehrere Bazillen. Wiederholt Bazillen an einer Flocke, diese an einem undurchsichtigen Staubkorn haftend angetroffen; bisweilen mehrere Flocken an einem Staubkorn, größere Komplexe. Der Ausfall der Tierimpfungen der letztbeschriebenen Versuche ist aus der folgenden Tabelle III, die zugleich eine Gesamtübersicht über die Bedingungen und Resultate der dritten Versuchsreihe gibt, zu ersehen.

Die letzte Versuchsreihe hat mithin ergeben, daß bei Verwendung von absolut trockenem Material und schwachen Luftströmen der in die Vorlage übergetriebene Staub zwei Drittel der intraperitoneal geimpften Meerschweinchen infiziert hat. Noch besseren Aufschluß über die quantitativen Verhältnisse gibt die mikroskopische Untersuchung des in die Vorlage übergegangenen Staubes. Nur bei Abkürzung der Wegstrecke (auf 1 j i m) und interkurrierenden stärkeren Strömen waren die Bazillen reichlich vertreten und mühelos zu finden. Bei Strömen von 0-3 bis 1 cm Geschwindigkeit und 1 m Wegstrecke waren nur g a n z v e r e i n z e l t e B a z i l l e n trotz anhaltenden Suchens und Anfertigung von je 6 Präparaten zu finden; meist war sogar die Mehrzahl der Präparate negativ, und die g e s a m t e A u s b e u t e betrug 1 oder 2 Bazillen. Dies Resultat wurde erreicht bei a b s o l u t e r T r o c k e n h e i t d e s g a n z e n zum Versuch verwendeten, sehr reichlichen S p u t u m s ; ferner bei so i n t e n s i v e r , m e c h a n i s c h e r B e a r b e i t u n g der getrockneten Läppchen, bzw. Brettchen, daß ungefähr die ganze verstäubungsfähige Masse in möglichst feinen Staub verwandelt wurde; endlich bei Uberführung von 100 bis 260 Liter der staubgefüllten Luft in die Vorlage und Auffangen des Staubes dieser ganzen Luft in einem kleinen Wasserquantum. Die Bedingungen des Experimentes waren daher, trotzdem die Luftbewegung und das Material zur Verstäubung einigermaßen den natürlichen Verhältnissen genähert wurde, immer noch k ü n s t l i c h e n o r m g e s t e i g e r t und mit den in der Praxis vorliegenden Bedingungen kaum vergleichbar. Aber da die früheren Versuche selbst bei ähnlich und stärker übertriebener Anordnung keine eindeutigen Resultate ergeben hatten, war es zunächst indiziert, in dieser Beziehung zu einem sicheren Urteil zu kommen und die Grenzen un-

216

Roland Stioher: Infektion

Staub Nr. des Versuches

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MikroGeimpft skopischer Nachweis

2 Meerschweinchen intraperitoneal.

Beding ungen

Geschwindigkeit des Luftstroms pro Sekunde

Nr. des Versuches und Datum

Präparate aus dem Absätze der Vorlagenflüssigkeit und des Zufuhrrohres, ja sogar in der Flüssigkeit der Vorlage konnte ich sie mühelos nachweisen. In jedem Gesichtsfelde zeigten sich jetzt auch reichliche gefärbte Zellkerne, die bei den früheren Untersuchungen nur in wenigen Präparaten ganz vereinzelt zu finden waren. Im folgenden seien die Versuchsbedingungen und -ergebnisse tabellarisch zusammengestellt:

2 Tiere intraperitoneal.

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H

Sektionsbefund

Negativ.

Beide Tiere am 5. September getötet. Keine tuberkulösen Veränderungen wahrnehmbar.

Negativ.

Beide getötet am 5. September. Befund bei dem ersten negativ. Das andere zeigt tuberkulöse Veränderungen am Bauchfell, Leber, Milz und Netz. Lungen normal.

Von 8 Präparaten konnten in zweien T.B. nachgewiesen werden. Zellkerne sehr selten.

Das erste Tier starb schon am 27. Juni. Das andere am 6. September getötet. Ausgesprochene tuberkulöse Veränderungen an Leber, Milz, Netz und Peritoneum. Lungen normal.

Negativ.

Beide Meerschw. am 6. September getötet. Bei beiden tuberkulösen Veränderungen an Netz, Leber u. Milz. Lungen normal.

Max Berlinde

224

(Fortsetzung.) •SP« o •B S ft ® •Bedingungen

Mikro> g g 3 Ge- skopischer impft Nachweis e> S o g.t3.öaQ m

Sektionsbefund

Ss Das Tuch wiederum etwa 2 Stdn. benützt u. 1 Tag in d. Hosentasche getragen. Röhrenweite: 2 cm. Füllungen: 7. Menge d. ausgelaufenen Wassers: 7 X 60 Liter. Taschentuch 2 Stdn. benützt und 1 Tag in der Eosentasche getragen. Röhrenweite: 12 cm. Füllungen: 7. Menge des ausgelauf. Wassers: 7 X 60 Liter. Benützungszeit wiederum 2 Std., dann noch 11/2 Tag in der Hosentasche getr. Röhrenweite:2cm. Füllungen: 6. Äusgel. Wassermenge: 6 x 60 L. Tuch l T a g in d. Hosentasche getrag., nachdem es vorher 2 Stdn. benützt war. Röhrenweite: 12cm. Füllungen: 7. Ausgel. Wassermenge: 7 X 60 L. Im E x s i k k a t o r ausgetrockn.Tuch. Röhrenweite: 12 cm. Füllungen: 6. Ausgelaufene Wassermenge: 6 x 60 L. Im E x s i k k a t o r getrocknet. Röhrenweite: 12 cm. Füllungen: 6. Ausgelaufene Wassermenge: Gx60 Liter. 2 Stdn.benützt. 2 v o l l e T a g e i. d.Tasche getragen. Röhrenweite 12 cm. Füllungen: 6. Ausgel. Wassermenge • 6 x 60 L. Dass. Tuch wie bei XI., nur im E x s i k k a t o r vollkommen ausgetrocknet. Röhrenweite: 12 cm. Füllungen: 6. Ausgel. Wassermenge: 6 x 60 L.

10 cm

I cm

2 Tiere intraperitoneal.

Vereinzelte T.B. nachgewiesen Auch hin und wieder einige Zellkerne. Negativ.

Negativ.

Beide getötet am 6. September. Bei beiden Bauchfelltuberkulose. Lungen normal. Am 18. Juli das eine Tier gestorben; nichts Verdächtiges. Das zweite am 8. Sept. getötet. Unterleibsorgane vollkommen normal. Beide Tiere sind gesund, als sie am 9. September getötet wurden.

Negativ.

Bei beiden Tieren absolut normaler Befund am 9. September.

Reichlich Bazillen.

Beide Tiere zeigen typische Tuberkulose der Unterleibsorgane. Beide Tiere tuberkulös.

Reichlich Bazillen.

Bazillen u. Bei beiden wird Tuberkulose Zellkerne in größerer konstatiert. Anzahl gefunden. Reichlich Beide Tiere Bazillen. tuberkulös

Verbreitung der Phthise durch verstäubtes Sputum

225

Aus diesen Versuchen sind folgende Schlüsse zu ziehen: Die von P h t h i s i k e r n b e n u t z t e n T a s c h e n t ü c h e r lassen, s o b a l d sie r e i c h l i c h e s , f r i s c h e s S p u t u m e n t h a l t e n , k e i n e s t a u b f ö r m i g e n P a r t i k e l mit T u b e r k e l b a z i l l e n los, die selbst durch k r ä f t i g e L u f t s t r ö m e eine Strecke weit durch die Luft fortgeführt werden könnten. Erst dann, wenn die Tücher wenig Sputum enthalten und dann noch etwa einen T a g u n b e n u t z t in der T a s c h e g e t r a g e n werden, können dieselben so weit austrocknen, daß tuberkelbazillenhaltige Teilchen durch s t a r k e L u f t s t r ö m e fortbewegt werden. S c h w a c h e S t r ö m e (1 cm pro Sek.) bewirken a u c h dann k e i n e n T r a n s p o r t . Dagegen erfolgt letzterer leicht auch durch s c h w a c h e S t r ö m e , wenn das Tragen des unbenutzten Tuches in der Tasche noch länger gedauert oder vorher k ü n s t l i c h e s T r o c k n e n des Taschentuches im Exsikkator stattgefunden hat. Bei allen künstlichen Verstäubungsversuchen mit Sputum ist daher das völlige Austrocknen eine Abweichung von den natürlichen Verhältnissen, welche sehr bedeutend ins Gewicht fällt und die Zahl der positiven Ergebnisse ungemein zu steigern geeignet ist. F ü r die Abschätzung der M e n g e n der von den Taschentüchern losgerissenen Tuberkelbazillen ist die geringe Zahl der in meinen Versuchen mikroskopisch gefundenen Bazillen und Zellkerne bemerkenswert. Dabei ist zu bedenken, daß die mechanischen Prozeduren, welche die Ablösung der Stäubchen vom Taschentuch bewirken sollten, sehr e n e r g i s c h e und a n h a l t e n d e waren, so daß in dieser Beziehung das Experiment Bedingungen setzte, die in der Praxis nie a n n ä h e r n d erreicht werden; ferner, daß der g e s a m t e Gehalt der durchstreichenden 400 Liter Luft an Stäubchen zur Untersuchung gelangte. Man wird darnach annehmen müssen, daß von Taschentüchern nur s e l t e n Sputumteilchen sich loslösen, welche durch die Luft zu anderen Menschen fortgetragen werden können. Ausnahmsweise kann dies geschehen, wenn mäßig beschmutzte Taschentücher mehrere Tage unbenutzt in einer dem Körper unmittelbar anliegenden Tasche getragen werden; alsdann aber auch nur, solange gerade durch Reiben und Zerren an den Tüchern die Ablösung unterstützt wird. — Außerdem ist voraussichtlich das Sputum, welches an den Rändern und Innenflächen der Taschen einer längeren Trocknung ausgesetzt ist, besser befähigt, in kleinen, durch die Luft transportablen Teilchen abgerieben und losgelöst zu werden. — Im ganzen wird aber eine FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

15

226 irgend a n h a l t e n d e Beladung der Luft eines Zimmers mit den von Taschentüchern abgelösten tuberkelbazillenhaltigen trockenen Partikeln nicht stattfinden; sondern die Gelegenheit, in dieser Weise Tuberkelbazillen zu inhalieren, wird auf Zeiten von kurzer Dauer und Ausnahmefälle beschränkt sein, die höchstens den anhaltend mit dem Phthisiker zusammen Lebenden mit einer gewissen Gefahr bedrohen.

12. Untersuchungen über die Verbreitung der Phthise durch trockenen Sputumstaub.1 Von Dr. med. Bruno Heymann iu Breslau. Ebensowenig wie beim Abschluß der S. 81 mitgeteilten Versuchsreihen die noch vorhandenen Lücken in der Lehre von der Tröpfcheninfektion verborgen bleiben konnten, ließen sich die Mängel übersehen, welche die Lehre von der S t a u b i n f e k t i o n zurzeit noch aufweist. Auch COBNET, der Begründer und eifervolle Verfechter der Staubinfektionstheorie, führte in Anerkennung der bisher ungenügenden experimentellen Beweise für das Zustandekommen der Inhalationstuberkulose durch verstäubtes Sputum gelegentlich seines Vortrags in der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 16. März 1898 zwei neue Versuche vor, welche „unter peinlichster Nachahmung der natürlichen Verhältnisse die Frage zu einem endgültigen Abschluß bringen sollten". Der eine Versuch bestand darin, daß COKNET Sputum auf Glasplatten antrocknete, die trockene Masse zerrieb und unter Ausschaltung der gröberen Partikel die feineren und feinsten Staubteilchen mittels eines Gebläses auf eine Entfernung von 10 bis 20 cm Meerschweinchen entgegentrieb, von denen die Hälfte durch einen perforierten Knebel zur Mundatmung gezwungen war, die andere frei durch die Nase atmete. Der Erfolg war die Infektion sämtlicher Tiere. — Die Anordnung des zweiten Versuchs war derart, daß auf einen Teppich gestreutes Sputum zusammen mit darüber gestreutem Staub 2 Tage getrocknet und dann nach verschiedenen Tagen „mit einem scharfen Besen einige Minuten stark gefegt wurde, so daß sich eine förmliche Wolke von Staub erhob". Der Inhala1 Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 38. lfiOl. S. 28—30 u. 49—93.

226 irgend a n h a l t e n d e Beladung der Luft eines Zimmers mit den von Taschentüchern abgelösten tuberkelbazillenhaltigen trockenen Partikeln nicht stattfinden; sondern die Gelegenheit, in dieser Weise Tuberkelbazillen zu inhalieren, wird auf Zeiten von kurzer Dauer und Ausnahmefälle beschränkt sein, die höchstens den anhaltend mit dem Phthisiker zusammen Lebenden mit einer gewissen Gefahr bedrohen.

12. Untersuchungen über die Verbreitung der Phthise durch trockenen Sputumstaub.1 Von Dr. med. Bruno Heymann iu Breslau. Ebensowenig wie beim Abschluß der S. 81 mitgeteilten Versuchsreihen die noch vorhandenen Lücken in der Lehre von der Tröpfcheninfektion verborgen bleiben konnten, ließen sich die Mängel übersehen, welche die Lehre von der S t a u b i n f e k t i o n zurzeit noch aufweist. Auch COBNET, der Begründer und eifervolle Verfechter der Staubinfektionstheorie, führte in Anerkennung der bisher ungenügenden experimentellen Beweise für das Zustandekommen der Inhalationstuberkulose durch verstäubtes Sputum gelegentlich seines Vortrags in der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 16. März 1898 zwei neue Versuche vor, welche „unter peinlichster Nachahmung der natürlichen Verhältnisse die Frage zu einem endgültigen Abschluß bringen sollten". Der eine Versuch bestand darin, daß COKNET Sputum auf Glasplatten antrocknete, die trockene Masse zerrieb und unter Ausschaltung der gröberen Partikel die feineren und feinsten Staubteilchen mittels eines Gebläses auf eine Entfernung von 10 bis 20 cm Meerschweinchen entgegentrieb, von denen die Hälfte durch einen perforierten Knebel zur Mundatmung gezwungen war, die andere frei durch die Nase atmete. Der Erfolg war die Infektion sämtlicher Tiere. — Die Anordnung des zweiten Versuchs war derart, daß auf einen Teppich gestreutes Sputum zusammen mit darüber gestreutem Staub 2 Tage getrocknet und dann nach verschiedenen Tagen „mit einem scharfen Besen einige Minuten stark gefegt wurde, so daß sich eine förmliche Wolke von Staub erhob". Der Inhala1 Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 38. lfiOl. S. 28—30 u. 49—93.

Verbreitung der Phthise

durch

227

Sputumstaub

tion dieses Staulies waren 36, wiederum zum Teil geknebelte, Tiere ausgesetzt, von denen 24 auf einer Stellage dicht neben dem Teppich in Etagen von 6, 40, 95 und 184 cm Höhe in Kästen saßen, wäliren'd die 12 anderen in einem Stalle etwa 3 m von dem Teppich entfernt in einer Höhe von 1 / 2 m über dem Fußboden aufgestellt waren. Auch hier waren die Tiere der ersten Reihe sämtlich tuberkulös, während von der zweiten Reihe eins nur sehr geringe, ein anderes keine Veränderungen aufwies. Wurde nun mit diesen Versuchen die Frage der Staubinhalationstuberkulose tatsächlich zum Abschluß gebracht? Wenn man nichts weiteres im Auge hat, als die M ö g l i c h k e i t dieses Infektionsweges an sich, so wird man die Frage unbedingt bejahen können. Weit vorsichtiger aber wird unser Urteil ausfallen müssen, wenn es sich um die Verallgemeinerung dieser unter künstlich gesteigerten Versuchsbedingungen gewonnenen Ergebnisse auf die natürlichen Verhältnisse handelt. Allerdings schreibt COKNET, daß die letzteren peinlich nachgeahmt und „täglich in der Wohnung, in der Fabrik bei Anwesenheit unreinlicher Phthisiker gegeben" seien. Gleichwohl erscheint uns dies nicht richtig. Abgesehen von dem ersten Versuche, dessen künstlich sehr fein zersplittertes Staubmaterial auf ganz kleine Entfernungen mit intensiven Luftströmen Tieren zum Teil in den künstlich aufgesperrten Rachen hineingetrieben wurde, wird auch der -2. Versuch nicht als das Abbild alltäglicher Vorkommnisse hingenommen werden können. Oder ist es wirklich der Fall, daß bei dem alltäglichen Reinigen unserer Zimmer „förmliche Wolken" von Staub auffliegen? Und selbst wenn dies unter besonders unsauberen Verhältnissen bei Anwendung besonders scharfer Besen und heftiger Bewegungen vielleicht hin und wieder geschieht, so bleibt doch zu erwägen, ob auch die Menge der aufgewirbelten i n f e k t i ö s e n Staubpartikel nennenswert groß, ihre Schwebefähigkeit eine beträchtliche und ihr Gewicht ein sehr geringes und demnach zur I n h a l a t i o n geeignetes sein wird. Erst die Kenntnis dieser Faktoren wird ein Bild von der Bedeutung des aufgewirbelten Staubes für die Inhalationstuberkulose gewähren können. Bei COKNETs Teppichversuch sind zweifellos recht grobe, zu einer Rolle als Luftstaub und zum Transport durch Luftströme überhaupt nicht befähigte Sputumteile durch das kräftige Hantieren mit dem Besen m e c h a n i s c h verschleudert und den Versuchstieren zugeführt. Auch S T I C H E R S 1 Experimentaluntersuchungen, in denen das Material einer intensiven 1

S. 190. 15*

228 Trocknung und ähnlich starken Zerkleinerung unterlag, wie in COENETS erstangeführtem Versuch, konnten nicht die praktische Bedeutung der Staubinhalation klarlegen. Für dieselbe sprechen höchstens die vielerwähnten zahlreichen Befunde von Tuberkelbazillen, welche COBNET im Staube von entfernteren Möbeln und höheren Stellen unreiner Phthisikerzimmer konstatierte. Gesetzt selbst, daß dieser Nachweis in der Tat häufig erbracht worden wäre, so kann er uns doch keine Aufklärung darüber geben, ob es sich nicht vielleicht lediglich um gröbere, mechanisch verschleuderte Partikel gehandelt hat, die nach schnellem Absinken ihre Rolle gänzlich ausgespielt haben, oder um schwer ablösbare, angetrocknete Tröpfchen oder Sputumreste, welche auf dem Wege des Kontakts durch frischbeschmutzte Taschentücher, Hände u. dgl. an die betreffende Stelle gebracht wurden. CORNETS, sowie die nach seinem Vorgänge gewonnenen Untersuchungsergebnisse späterer Autoren, sind demnach bei dieser Fragestellung entschieden unzureichend. Nach alledem war es wünschenswert, auch über diese Grundlagen unserer Tuberkuloseprophylaxe nochmals größere Versuchsreihen anzustellen. Vielleicht ergaben weitere Wohnungsuntersuchungen gewisse Prädilektionsstellen des tuberkelbazillenhaltigen Staubes, und damit Rückschlüsse auf seine Ablösbarkeit und Flugfähigkeit. Außerdem sollte diesen Fragen auch auf experimentellem Wege näher getreten und eingehende, künstlich gesteigerte Versuche über die Bildung und Schwebedauer trockenen Sputumstaubes angestellt werden, und zwar unter steter Berücksichtigung ihrer Vergleichbarkeit mit Tröpfchenversuchen.

I. Versuche über die Bildung und Flugfähigkeit staubförmigen tuberkulösen Sputums. Wie bereits eingangs kurz erwähnt wurde, haben die bisher veröffentlichten Versuche die Bedingungen der Bildung i n h a l i e r b a r e n , infektiösen Staubes keineswegs geklärt. Da nur solche Stäubchen zur Infektionsvermittelung geeignet sein werden, welche eine außerordentlich leichte Ablösbarkeit und Flugfähigkeit besitzen, so ist klar, daß es sich nur um feinste Elemente handeln kann. Derartig feine Sputumteilchen sind aber, wie auch OORNET schreibt, außerordentlich schwer herzustellen, und es fragte sich, ob die Bedingungen hierzu unter n a t ü r l i c h e n Verhältnissen häufig gegeben sind oder

229 nicht. Es kam also darauf an, zu ermitteln, wie viel f e i n e , zu l a n g e r S c h w e b e d a u e r und weitem T r a n s p o r t b e f ä h i g t e S t ä u b e h e n sich unter einer großen — a b s i c h t l i c h s t a r k ges t e i g e r t e n — Staubmasse finden, die durch Prozeduren hergestellt ist, wie sie mit geringerer Intensität auch in der Praxis vorgenommen werden. — Die Versuche wurden wie die Tröpfchenversuche im Glaskasten angestellt. Aus der einen Seitenwand desselben war eine größere Scheibe entfernt und über die Öffnung ein weiter Sack von Mosettigbattist gespannt, dessen angenagelte Ränder vielfach umgeschlagen und mit Paraffin ausgegossen waren. Derselbe diente zur Aufnahme des zur Staubaufwirbelung dienenden Werkzeugs und zum Manipulieren mit demselben (vgl. Fig. 10). Zur Gewinnung möglichst natürlichen Materials ließ ich Bretter verschiedener Bearbeitung (gehobelte, mit Anstrich versehene, unveränderte alte Originaldielen) von Phthisikern mit reichlich bazillenhaltigem Sputum bespucken und zusammen mit einer geringen Menge mäßig fein gesiebten, darauf gestreuten, sterilen Korridorstaubes (in den ersten Versuchen Kieselguhrerde) einige Tage bei Zimmertemperatur trocknen. Hierauf wurden die Bretter mittels Schrauben auf dem Boden des Kastens vorsichtig angeschraubt, bzw. die Teppiche lose angenagelt und das stauberregende Werkzeug in den Sack eingebunden. Dasselbe bestand entweder aus bleibeschwerten Holzschrubbern (von 3 kg im Versuch I und 6 kg Gewicht in den späteren Versuchen), deren dem Boden zugekehrte Fläche mittels eingeschlagener Nägel uneben gemacht war und die Oberfläche grober Schuhsohlen darstellen sollte, oder aus Kokosfaserbesen oder Rohrklopfern, wie sie vielfach in Haushaltungen benützt werden. Ihre Handhabung ging mittels des Sackes, der eine Exkursion nach innen und außen von je x/2 m gestattete, ohne jede Schwierigkeit in durchaus ungezwungener Weise vor sich. Außer den Dielen und Teppichen ließ ich von Phthisikern auch Taschentücher bespucken, gewisse Zeit in der Tasche herumtragen, um sie dann im Innern des Battistsackes zu kneten und zu reiben, und so die eventuelle Ablösung tuberkelbazillenhaltiger Fäserchen zu studieren. — Die Auffangung des Materials geschah wie bei den Tröpfchenversuchen entweder durch aufgestellte, nach verschieden langer Zeit mittels Zugschnüren von außen lüftbare Platten oder mittels der früher geschilderten Aspiration durch Vorlagen und Trichter, die hier weit stärkere Ausschläge versprach, weil die Menge des produzierten Staubes im Interesse eines positiven Ausfalles des Experiments absichtlich sehr hoch getrieben wurde.

230

Bruno

Heymann

Versuche über die B i l d u n g und Schwebedauer s t a u b f ö r m i g t u b e r k u l ö s e n S p u t u m s in r u h i g e r Luft. Dieselben wurden mit Teppichen und Taschentüchern nach Ablauf der soeben beschriebenen Vorbereitungszeit angestellt. Die Versuchsanordnung war hierbei folgende: Im Inneren des Kastens wurden in einer Höhe von 120 und 170 cm zwei Etagen aus weitmaschigem Drahtgeflecht hergestellt, die zur Aufstellung von bouillongefüllten Platten dienten. Dieselben trugen am Deckel die schon früher beschriebene Armierung mit Bleigewicht und nach außen führender Zugschnur. Die Platten beider Etagen standen in genau gleicher Anordnung da. J e zwei zusammengehörige wurden stets gleichzeitig geöffnet und zwar zunächst zwei während der Manipulation offen, während das nächste Paar 10 bis 15 Minuten nach Schluß derselben, die anderen in Abständen von 10 bis 30 Minuten nach ihnen gelüftet wurden. I m einzelnen war die Anordnung und das Ergebnis der Versuche folgende: V e r s u c h I. 30. 1.1901. Reichlich bespuckter, 4 Tage lang getrockneter, auf ein Polsterkissen aufgebundener Teppich. Eohrklopfer. Eröffnung der Platten nach 10, 30, 45, 60 Minuten, nach 1 '/2 und 2 Stunden nach Schluß des Klopfens. Zwei T i e r e p o s i t i v , g e i m p f t mit dem M a t e r i a l d e r b e i d e n w ä h r e n d des K l o p f e n s g e ö f f n e t e n P l a t t e n der o b e r e n u n d u n t e r e n Etage. Alle anderen negativ. V e r s u c h II. 28.11.1901. 5 Tage getrockneter, sehr reichlich bespuckter Teppich. Rohrklopfer. Eröffnung der Platten 10, 20, 30, 45, 60 Minuten und 1 x/3 Stunden nach dem Klopfen. E i n T i e r p o s i t i v , g e h ö r i g zu d e r w ä h r e n d des K l o p f e n s g e ö f f n e t e n P l a t t e der u n t e r e n E t a g e . A l l e anderen negativ. V e r s u c h III. 15. II. 1901. Reichlich bespuckte Taschentücher, die Patient '1 Tage in der Tasche getragen, worauf sie bis zur Verarbeitung noch 1 Tag bei Zimmertemperatur dalagen. Mit mäßiger Gewalt (fast ausschließlich mit einer Hand) geknetet und gezerrt. Eröffnung der Platten nach 10, 20, 30, 45, 60 Minuten und nach l l / j Stunden. E i n T i e r p o s i t i v , g e h ö r i g zu d e r w ä h r e n d des R e i b e n s g e ö f f n e t e n P l a t t e der u n t e r e n E t a g e ; es hatte im Leberhylus eine linsengroße, im Innern verkäste Drüse, in der massenhaft T u b e r k e l b a z i l l e n nachweisbar waren. A l l e a n d e r e n T i e r e n e g a t i v . V e r s u c h IV. 19. II. 1901. 2 Tage getrocknete, reichlich bespuckte Taschentücher, die fast ausschließlich innerhalb des Sackes mit einer Hand gerieben und ein wenig geschwenkt werden. Eröffnung der Platten nach 15, 30, 45, 60 Minuten, V[ t und l'/s Stunden. Die w ä h r e n d des R e i b e n s geö f f n e t e n P l a t t e n , s o w i e die n a c h 15 u n d 45 M i n u t e n g e ö f f n e t e n P l a t t e n der o b e r e n u n d die n a c h 60 M i n u t e n g e ö f f n e t e P l a t t e d e r u n t e r e n E t a g e e r w i e s e n sich a l s t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g .

Verbreitung

der Phthise

durch

Sputumstaub

231

V e r s u c h V. 25. II. 1901. ca. 48 Stunden getrocknete, reichlich bespuckte Taschentücher, die, wie im vorigen Versuch, mäßig gerieben und ein wenig geschwenkt werden. Mit Ausnahme der nach 15 Minuten geöffneten Platte der oberen Etage erwiesen sich a l l e P l a t t e n , d i e w ä h r e n d d e s R e i b e n s , s o w i e 15 u n d 30 M i n u t e n n a c h d e m s e l b e n g e ö f f n e t w a r e n , a l s infiziert. E s zeigt sich also, daß die von den T e p p i c h e n mittels starker mechanischer Manipulation losgelösten tuberkelbazillenhaltigen Stäubchen eine ü b e r a u s g e r i n g e S c h w e b e d a u e r haben, während von d e n 4 8 S t u n d e n getrockneten Taschentüchern bazillentragende F ä s e r c h e n in zwei V e r s u c h e n noch 3 0 bzw. 6 0 Minuten nach dem E e i b e n i n der L u f t schwebten. V e r s u c h e über die Bildung und S c h w e b e d a u e r staubf ö r m i g e n , t u b e r k u l ö s e n S p u t u m s in b e w e g t e r Luft. D i e Versuchsanordnung schloß sich i m wesentlichen, a b g e s e h e n von den durch das Material bedingten, notwendigen Änderungen, a n die Technik der vorbesprcchcncn Tröpfchcnvorsuche an. W i e bei d i e s e n , so suchten wir auch hier mittels der großen W a s s e r t ü r m e e v e n t u e l l bazillenführende P a r t i k e l in Vorlagen abzufangen u n d veri m p f t e n d i e s e l b e n auf Meerschweinchen. I m einzelnen war die A n ordnung der Versuche folgende: V e r s u c h I. 31. V. 1900. Ungehobelte, nur oberflächlich gesäuberte Originaldielenbohlen von '/» 1 m Größe, welche mit reichlich tuberkelbazillenhaltigem Sputum in mäßiger Menge bespuckt sind. Bestreuung mit Kieselgurerde und Trocknung etwa 6 Tage. Mit einem bleibeschwerten (3 kg), angerauhten Schrubber abgerieben. Der Aspirationstrichter nur J/2 m über dem Fußboden. 3 /4 stündige Aspiration während des Pegens. Die Vorlage enthält bereits nach etwa 20 Minuten einen sichtbaren Staubbeschlag. Die zweite Aspiration erfolgt wiederum 3 / 4 Stunden lang 3/4 Stunden nach Beendigung des Pegens. K e i n Tier positiv. V e r s u c h II. 6. VI. 1900. Dasselbe 5 Tage lang getrocknete Material. Der Aspirationstrichter befindet sich 140 cm über dem Boden, wie in allen folgenden Versuchen. Die den angerauhten Schrubber beschwerende Bleiplatte hat ein Gewicht von 6 kg. Während des, 1/2 stündigen Pegens erscheint nach kurzem deutlich sichtbarer Staub in der Vorlage. Ebenso beschlägt sich das zuführende Knie der zweiten und dritten Vorlage während der 1/2 Stunde nach Beendigung des Pegens s / 4 Stunden lang bzw. 5 / 4 Stunden nach Beendigung des Fegens 3 4 Stunden lang fortgesetzten Aspiration. D a s z u r V o r l a g e I I g e h ö r i g e T i e r p o s i t i v , d. h. es h a b e n n o c h Vs S t u n d e n a c h B e e n d i g u n g d e s F e g e n s i n f e k t i ö s e S t ä u b c h e n in d e r K a s t e n l u f t g e s c h w e b t . V e r s u c h III. 19. VI. 1900. Gehobelte, ungestrichene, reichlich mit Sputum bespuckte Dielenbretter von derselben Größe. Die übrige Ver-

232

Bruno

Reymann

suchsanordnung wie bei Versuch II Aspiration während des Fegens, sowie s/4 Stunden lang nach Beendigung des Fegens. positiv.

1

/2 stündigen K e i n Tier

V e r s u c h IV. 26. VI. 1900. Anordnung wie III. Aspiration während des " / « s t ä n d i g e n Fegens, sowie je s / 4 Stunden lang '/« und l 3 / 4 Stunden nach Beendigung des Fegens. S ä m t l i c h e Tiere n e g a t i v . Die spärlichen Ergebnisse der eben geschilderten Versuche ließen den Gedanken aufkommen, daß die Bestreuung mit Kieselgurerde vielleicht die Schuld daran trüge. Es wurde daher in den nächsten Versuchen in noch größerer Annäherung an die natürlich gegebenen Verhältnisse die Bestreuung mit grob gesiebtem, sterilem Korridorstaub vorgenommen, während alle übrigen Versuchsbedingungen wie bisher innegehalten wurden. V e r s u c h V. 19. VII. 1900. Nicht gehobelte, reichlich bespuckte Dielenbretter, die 3 Tage lang bei sehr warmer Witterung getrocknet sind. Bestreuung mit grob gesiebstem, sterilem Komdorstaub. Schwerer, angerauhter Holzschrubber. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, l1/» Stunden nach Beendigung des Fegens 1 Stunde lang, sowie wiederum 1 Stunde nach 2 stündiger Pause. K e i n Tier p o s i t i v . V e r s u c h VI. 28. VII. 1900. Gehobelte, 5 Tage getrocknete, reichlich bespuckte Dielenbretter. Bestreuung mit grob gesiebtem Korridorstaub. Schwerer Holzschrubber. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, 1 Stunde nach Beendigung des Fegens 1 Stunde lang, sowie noch 1 Stunde nach 2stündiger Pause. A l l e Tiere n e g a t i v . V e r s u c h VII. 8. VIH. 1900. Mit Ölfarbe gestrichene Dielenbretter, reichlich bespuckt und 5 Tage getrocknet. Bestreuung mit sterilem, grob gesiebtem Korridorstaub. Schwerer, angerauhter Holzschrubber. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, sowie 1 Stunde nach Beendigung des Fegens 1 Stunde lang und 1 Stunde nach Inständiger Pause. Alle Tiere n e g a t i v . V e r s u c h VIII. 16. VIII. 1900. Mit demselben Anstrich versehene, 7 Tage lang getrocknete Dielenbretter. Die Bearbeitung geschah mittels eines neuen Stubenbesens aus Kokosfasern. Aspiration während des l 1 ^ stündigen Fegens, sowie 1 Stunde nach Beendigung des Fegens 1 Stunde lang. K e i n Tier positiv. V e r s u c h IX. 28. VII. 1900. Abgehobeltes, ungestrichenes Dielenbrett. 8 Tage getrocknet. Bestreuung mit sterilem Korridorstaub. Kokosfaserbesen. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, dann nach 1'/jstündiger Pause 1 Stunde lang, nach weiterer 1 stündiger Pause wiederum 1 Stunde. A l l e Tiere n e g a t i v . V e r s u c h X. 4. X. 1900. Alter, mit grob gesiebtem, sterilem Korridorstaub bestreuter, stark bespuckter Teppich von über 1/2 qm Größe. Derselbe wird lose auf den Kastenboden aufgenagelt. 6 Tage lang getrocknet. Kokosfaserbesen. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, darauf nach 1 stündiger Pause 1 Stunde lang, sowie nach 2stündiger Pause wiederum 1 Stunde lang aspiriert. In der Vorlage I erschien schon nach ca. 15 Minuten deutlich feiner rötlicher Staub im Knie der Vorlage. Auch die Vorlage II ließ mit

Verbreitung der Phthise durch Sputumstaub

233

bloßem Auge schon nach etwa */« Stunde einen feinen Staubniederschlag erkennen, während die dritte Vorlage denselben kaum sichtbar darbot. Das zur Vorlage I gehörige Tier vorzeitig gestorben; a l l e anderen n e g a t i v . V e r s u c h XI. 13. X. 1900. Die Anordnung des Versuchs war der vorigen gleich. Aspiration während des 1 stündigen Fegens, sodann nach 1 stündiger Pause 1 Stunde lang, und wiederum nach 1 stündiger Pause 1 Stunde lang. B e i d e z u r V o r l a g e I und dem T r i c h t e r I ( w ä h r e n d des Pegens!) gehörige Tiere positiv. V e r s u c h XII. 25. X. 1900. Mit grob gesiebtem, sterilem Korridorstaub bedeckter, mäßig stark bespuckter Teppich, der lose auf einem gepolsterten Kissen aufgebunden wird. Dasselbe liegt auf einer Kiste, so daß sich der Aspirationstrichter etwa 1 m über dem Teppich befindet. Ausklopfen mit einem rohrgeflochtenen Teppichklopfer. Aspiration während des 1 ständigen Klopfens 1 Stunde lang nach s/4 stündiger Pause, sowie nach 1 stündiger Pause wiederum 1 Stunde. B e i d e z u r V o r l a g e I und zum T r i c h t e r I ( w ä h r e n d des Klopfens!) g e h ö r i g e T i e r e p o s i t i v . V e r s u c h XIII. 1. XI. 1900. Reichlich bespuckte, 1 bis 2 Tage in der Tasche herumgetragene Taschentücher, die innerhalb des Battistsackes gegeneinander gerieben werden. Die Entfernung der Tücher von dem Aspirationstrichter beträgt hierbei ca. 1 m. Aspiration während des 1 stündigen Reibens, ferner 1 Stunde lang nach 1 stündiger Pause, sowie nochmals 1 Stunde lang nach weiterer 1 stündiger Pause. Das zur Vorlage I gehörige Tier starb vorzeitig; d a s zum T r i c h t e r I ( w ä h r e n d des Reibens!) g e h ö r i g e p o s i t i v , die anderen negativ. V e r s u c h XIV. 6. XI. 1900. Mäßig bespuckter, mit sterilem Korridorstaub bestreuter, auf ein gepolstertes Kissen lose aufgebundener Teppich. Rohrklopfer. Aspiration während des '/«stündigen Klopfens, 2 Stunden nach Beendigung des Klopfens 1 Stunde lang, sowie nach einer Pause von l*/2 Stunden nochmals 1 Stunde. A l l e Tiere n e g a t i v . V e r s u c h XV. 15. XI. 1900. Bespuckte, 36 bis 48 Stunden in der Tasche herumgetragene Taschentücher. Dieselben werden fast ausschließlich mit e i n e r Hand 1 Stunde lang gerieben. Aspiration während des 1 stündigen Reibens, sowie nach '/ 2 stündiger Pause noch 1 Stunde lang. D r e i , z u r V o r l a g e I und dem T r i c h t e r I, s o w i e zur V o r l a g e II ( w ä h r e n d des Reibens bzw. '/i Stunde nachher) g e h ö r i g e T i e r e p o s i t i v . E s zeigt sich also, daß die von bespuckten Teppichen und Dielen durch Klopfen und F e g e n abgelösten Stäubchen schon n a c h k ü r z e s t e r F r i s t w i e d e r v o l l s t ä n d i g a b s i n k e n und (mit einer einzigen Ausnahme in Versuch II, bei dem übrigens nicht natürlicher Staub, sondern Kieselgurerde verwandt war) bereits 10 Minuten n a c h Beendigung des Klopfens oder Fegens nicht mehr nachweisbar sind. Nur die feinen Taschentuchfäserchen machen in einem Versuch eine Ausnahme, indem sie noch nach 1 / 2 Stunde in der Luft nachweisbar waren.

234 Vergleichen wir die Stäubchen- und Tröpfchenversuche, so scheint es vielleicht auf den ersten Blick, als wenn die positiven Ergebnisse bei den Stäubchen viel reichlicher wären. Doch muß man sich vergegenwärtigen, daß die beiden Versuchsreihen eigentlich gar nicht miteinander vergleichbar sind, und daß die Versuchsbedingungen für die Stäubchen ungleich günstiger liegen, als für die Tröpfchen. Gegenüber den bereits besprochenen großen technischen Schwierigkeiten bei der Sammlung genügend reichen Tröpfchenmaterials steht für die Stäubchenversuche die Möglichkeit außerordentlicher k ü n s t l i c h e r Steigerung durch reichlichst bespuckte Teppiche von relativ ansehnlicher Größe und durch Anwendung starker Manipulationen offen und damit eine Anhäufung von Staubmaterial, angesichts deren die erzielten positiven Resultate stark hinter unseren Erwartungen zurückbleiben. Wie groß in W i r k l i c h k e i t der Anteil der feinsten flugfähigen Elemente im tuberkelbazillenhaltigen Staube ist, das wird erst durch genauere Untersuchungen über den in Wohn- und Krankenräumen von Phthisikern sich vorfindenden Staub zu ermitteln sein. Über derartige Untersuchungen soll im folgenden Abschnitt berichtet werden.

II. Versuche über das Vorkommen von Tubexkelbazillen in Phthisikerräumen. Die Versuche CORNETS, sowie die nach seinem Vorgange angestellten Untersuchungen späterer Autoren über den Gehalt von Phthisikerräumen an Tuberkelbazillen weisen, wie in der Einleitung bereits angedeutet, in zweierlei Richtung beträchtliche Lücken auf. Zunächst ergibt eine gründliche Durchsicht der bisher publizierten Versuche durchaus kein so reichliches Material einwandsfreier positiver Befunde von vor Kontakt- oder Tröpfcheninfektion gesicherten Stellen, als dies vielfach angenommen wird. CORNET berichtet in seinem Buche über die Tuberkulose, daß bisher 400 Staubproben in Phthisikerräumen untersucht worden seien. Seine eigene Arbeit umfaßt davon, nach Abzug der durch vorzeitigen Tod der Tiere verlorenen Proben, etwa ein Drittel und betrifft Staubentnahmen angeblich ausschließlich von solchen Stellen, wo direktes Behusten, Anspucken oder Verunreinigen durch mit Sputum beschmutzte Finger, Tücher, Gefäße usw. „fast u n d e n k b a r " war. „Mit Vorliebe," schreibt er, „wählte ich die hinter dem Kopfe des Patienten befindliche Wand,

235 sowie die mittleren Querleisten am Kopfende des Bettgestelles, besonders da, wo dieses an die Wand anstieß und also monate-, vielleicht jahrelang nicht berührt worden war, ferner hochhängende Bilder und Uhrgehäuse usw." Gleichwohl können wir CORNETS Annahme nicht beitreten. Denn weder ist, wie unsere Tröpfchenversuche gezeigt haben, die Wand hinter dem Kopfe des Patienten vor der Bespritzung mit tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen gesichert, noch können Kontaktinfektionen selbst an scheinbar ganz geschützten Bettleisten völlig ausgeschlossen werden. Bezüglich der zweiterwähnten Entnahmestellen aber zeigt eine genauere Betrachtung der Protokolle CORNETS, daß er zwar eine Reihe derartig hoher Punkte mit in den Bereich seiner Untersuchungen einbezogen, daß er sie aber meist nicht von den tieferliegenden Stellen, z. B. von Bettleisten oder der Bettwand getrennt hat, sondern sämtliche Untersuchungsstellen ein und desselben Raumes nur mit einem e i n z i g e n Schwämmchen abgerieben, seine Versuchstiere also mit einem Probegemisch von stark exponierten und wenig exponierten Stellen geimpft hat. Damit aber ist eine Beziehung der Ergebnisse auf eine besondere Ortlichkeit schlechterdings ausgeschlossen. Fassen wir seine sämtlichen Entnahmen zusammen, so ergibt sich, daß nur eine einzige, nicht mit Schwämmchen, sondern mittels aufgestellter Glasschalen gewonnene Staubprobe 1 bis 1 }/.z m über dem Fußboden liegt, drei Proben von Wandflächen ohne bestimmte Angabe der Entfernung vorhanden sind, während fast alle anderen teils direkt aus der Nähe des Patienten, teils zwar von höheren und entfernteren Stellen stammen, aber mit dem gleichen Schwämmchen wie die vorgenannten entnommen worden sind. Unzweifelhafte, d. h. mit anderem Staube unvermischte Proben von höheren Stellen finden sich nur etwa zwölf; dieselben sind sämtlich negativ. Aber selbst wenn die Proben in größerer Anzahl ein positives Resultat ergeben hätten, so wäre damit der Beweis für die Gefährlichkeit des betreffenden Staubes als Infektionsvermittler durch die Luft nicht erbracht gewesen. Eine solche kann nur den f e i n s t e n Elementen zugesprochen werden, und nur eine Technik, welche die Entnahme lediglich feiner, trockener Stäubchen gewährleistet, kann uns verwertbare Resultate liefern. Daß aber CORNETS Methode nicht nur zur Aufnahme gröberer Partikel, sondern außerdem auch festsitzender Tröpfchen und der durch Kontakte hingelangten Sputumteile ganz besonders geeignet ist, liegt auf der Hand und haben wir durch unsere Versuche geradezu beweisen können. — Angesichts dieser Einwände habe ich zur Staubentnahme zunächst nur feine,

236 sterile, t r o c k e n e T u s c h p i n s e l benützt, welche in einem mit Korkstopfen fest verschlossenen, sterilen Reagensglas transportiert wurden. Jede Probe wurde mit besonderem Pinsel entommen. Die weitere Verarbeitung erfolgte möglichst bald nach der Rückkehr ins Institut in der Weise, daß ca. 5 ccm steriler Bouillon in sterile Petrischalen gegossen, sodann der Pinsel hineingetaucht wurde, so daß er sich vollsog, und kräftig wieder ausgepreßt wurde. Die herausquellende, oft stark getrübte Flüssigkeit wurde einem Meerschweinchen möglichst vollständig intraperitoneal injiziert. Die Entnahmen geschahen in K r a n k e n h ä u s e r n und in P r i v a t wohnungen. Für unsere hiesigen Verhältnisse kam von ersteren hauptsächlich das große städtische Hospital in Betracht, in dem stets Phthisiker in sehr großer Zahl behandelt werden. Doch wurden auch die anderen Krankenhäuser mit in den Bereich der Untersuchungen einbezogen. Für die Staubentnahme in Privatwohnungen wurden mir, wie schon erwähnt, von einer größeren Reihe von Herren Kollegen geeignet scheinende Adressen zur Verfügung gestellt. Dieselben betrafen fast ausschließlich Patienten der Armen- und Kassenpraxis und boten schon dadurch meistens die gesuchten Verhältnisse dar. Trotzdem wurden auch unter diesen Wohnungen noch eine Anzahl ausgeschaltet, wenn wir unerwartete Sauberkeit und Ordnung antrafen oder der betreffende Patient (Kinder) voraussichtlich wenig Sputum lieferte, bzw. sich sehr wenig zu Hause aufhielt. Die P r o b e n selbst wurden von möglichst verschiedenen Stellen des Krankenzimmers entnommen, zunächst aus der Nähe des Patienten, von seinem Bette, der Bettwand (1/2 bis 1 qm), seinem Lehnstuhl usw., dann aber auch von weiteren und ganz entfernten Stellen, wo direkter Kontakt oder direktes Behusten ausgeschlossen war, z. B. die oberen Leisten der Türfassungen, hohe Schränke, Uhrgehäuse, Bilderrahmen u. dgl., in Krankensälen mehrfach von hochgelegenen Offnungen der Ventilationsanlagen. Häufig wurde, gewissermaßen zur Kontrolle, eine Probe vom Fußboden entnommen. Der mit dem Pinsel gewonnene lockere Staub war in Privatzimmern mehr körnig und grob als in Krankenhäusern, wo er meist nur aus einem feinen Pulver oder einem wolligen Gespinst bestand, das sich unter dem Mikroskop als feinste, von der Patientenwäsche und Kleidung losgelöste Fäserchen darstellte, ein Befund, auf den ich später noch ausführlicher zurückkommen werde. Ich lasse nun die genauere Beschreibung der einzelnen Entnahmestellen nebst den Resultaten der Verimpfung der entnommenen Staubproben auf Meerschweinchen folgen:

237

Versuche

über das V o r k o m m e n von Tuberkelbazillen im Staub von P r i v a t z i m m e r n ; E n t n a h m e mittels Pinsels.

I. 20. IV. 1900. R., Uferstr. 21. Enges kleines Zimmer, überall viel Staub und Schmntz, da Patientin seit Wochen schwer krank und zur Aufrechterhaltung der Ordnung unfähig ist. Sehr starker Husten mit überaus reichlicher Verspritzung tuberkclbazillenh altiger Tröpfchen, wie bei den Taschentuchversuchen, zu denen Patientin herangezogen wurde, festgestellt wurde. Reichlicher Auswurf in einen niedrigen, mit wenig Wasser gefüllten Spucknapf, manchmal auch ins Nachtgeschirr, selten ins Taschentuch. Vier Tiere mit 4 Proben vom Vertikow, einer Schrankdecke, einem Wandspiegel und dem Kopfende des Bettes geimpft. E i n s p o s i t i v , vom K o p f e n d e des B e t t e s . IL 18. V. 1900. T., Hedwigstr. 20. Sehr enge schmutzige Wohnung, die dem Patienten, seiner Frau und seinem Kinde zum Wohnen, Kochen und als Waschraum dient. (Das Kind wegen tuberkulöser Knochenerkrankung in Behandlung der chirurgischen Klinik.) Starker Husten, besonders früh reichlicher Auswurf, zumeist in einen Eimer, nahe am Kochherd. In der Nähe steht Geschirr mit Speisen und Getränken. Vier Tiere (5 bis 8) mit Proben von einer Schrankdecke und vom oberen Sims einer Wanduhr, von Bilderrahmen und dem unteren Zimmerbord geimpft. Eins vorzeitig an Pneumonie gestorben, wodurch die dritte Probe verloren, alle anderen negativ. I I I . 18. V. 1900. Barbier K., Ohlauerstr. 41. Sehr ärmliche Verhältnisse. Enge, mit schräg abfallender Decke versehene Bodenkammer, gleichzeitig Wohnraum und Küche. Auf der Diele ein Haufen Haare. Der Kranke ist seit Monaten schwer leidend, liegt viel zu Bett, hustet stark und ist fast aphonisch. Seine junge Frau sieht phthisisch aus. Keine Kinder. Überall massenhaft Staub und Schmutz. Vor allem ist der Boden sehr unsauber, wahrscheinlich Sputumflecke. Sehr reichlicher Auswurf ins Nachtgeschirr, jedoch zweifellos auch auf den Boden. Der vorhandene Spucknapf ist leer, mit einer Staubschicht bedeckt, jedenfalls schon sehr lange unbenutzt. Vier Tiere (9 bis 12) von der Kopf lehne des Bettes, von der oberen Umrahmung des Spiegels weit über Kopfhöhe, von einem Bilderrahmen in Kopfhöhe und vom unteren Zimmerbord geimpft. Alle negativ. IV. 18. V. 1900. M., Schießwerderstraße 41. Kleiner Alkoven, der gerade für das Bett Raum bietet, in dem Patient seit 8 Wochen schwer krank daniederliegt. Seit einigen Tagen in extremis, seine Frau hustet auch stark. Überall reichlich Staub. Jetzt nur noch schwacher Husten, doch bis vor einigen Tagen heftiger Husten mit reichlicher Expektoration ins Nachtgeschirr. Vier Tiere (13 bis 16) von einem Kleiderhaken am Fußende des Bettes, von der Bettkopf lehne, von der oberen Kante eines Bildes in der Nähe des Kopfendes des Bettes hoch über Kopf höhe, sowie vom unteren Zimmerbord geimpft. Sämtlich negativ. V. 18. V. 1900. P., Schneiderin, Schießwerderstr. 13. Mit einer Schwester zusammenlebende Patientin von etwa 30 Jahren. Das einzige, ziemlich geräumige

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Zimmer ziemlich sauber, doch wird darin viel mit wolligen und leinenen Stoffen gearbeitet und Maschine genäht. Mäßig schwerer Zustand, angeblich nur früh stärkerer Husten und bei schnellem Laufen. Ziemlich spärlicher Auswurf ins Nachtgeschirr, manchmal ins Taschentuch, angeblich nie auf die Diele. Vier Tiere (17 bis 20) mit 4 Proben von der Kopfleiste des Bettes, von dem Vertikow in Kopfhöhe, von der Schrankdecke, sowie vom unteren Zimmerbord aus einer vor direktem Bespucken fast sicher geschützten Ecke geimpft. 1 ( l e t z t e P r o b e : Z i m m e r b o r d ) p o s i t i v , alle anderen negativ. VI. 18. V. 1900. K., Friedlichste. 64. Ärmliche, aus einem Zimmer bestehende Wohnung. Geringe Sauberkeit. ¡I8jähriger, schwerer Phthisiker. Sehr starker Husten, reichlicher Auswurf ins Nachtgeschirr, doch neben demselben auf dem Boden deutliche Sputumspuren. Vier Tiere (21 bis 24) mit 4 Proben vom Kopfende des Bettes, dem oberen Sims eines Schrankes weit über Kopf höhe, dem Sims eines Glasschrankes in Brusthöhe und dem unteren Sims desselben Schrankes etwa 10 cm über dem Fußboden geimpft. E i n T i e r p o s i t i v v o m K o p f e n d e d e s B e t t e s , alle anderen negativ. VII. 21. V. 1900. M., Schuhmacher, Flurstraße 8. Sehr enge, ärmliche Verhältnisse. Eine kleine Küche und ein enges, dunkles und feuchtes, nach einem düsteren Hofe zu gelegenes Hinterzimmer, an dessen Fenster Patient meist in einem großen Stuhle sitzt. Langjährige, schwere Phthise, starker Husten mit ziemlich reichlichem Auswurf in einen niedrigen, mit Wasser gefüllten Spucknapf. Überall viel Staub und Schmutz, am Boden Flecke, die vielleicht von Sputum herrühren. Vier Tiere (25 bis 28) mit Staub von der Kopf lehne des Bettes, von Bilderrahmen an der Bettwand in Brusthöhe, von der Decke eines hohen Schrankes und vom Zimmerbord in der Nähe des Bettes geimpft. Sämtlich negativ. VIII. 21.'V. 1900. G., Matthiasstr., Hinterhaus. Patientin ist vorgestern gestorben. Junge, seit einigen Monaten, den Sehilderungen nach, sehr schwerkranke Phthisica, die zusammen mit mehreren jüngeren Geschwistern das eine Zimmer bewohnte. Seit vielen Wochen bettlägerig. Eeichlicher Auswurf, angeblich nur ins Nachtgeschirr. Das Krankenzimmer, in dem viel Maschine genäht und mit Stoffen hantiert wird, befindet sich noch völlig unverändert. Überall viel Staub und Schmutz. Vier Tiere (29 bis 32) mit 4 Proben von dem Kopfende des Bettes, von einer Spiegelleiste über demselben in Brusthöhe, von einer Bilderleiste über Kopfhöhe und vom unteren Zimmerbord geimpft. Sämtlich negativ. IX. 21. V. 1900. St., Schweizerstr. 18 III. Sehr ärmliche Verhältnisse. Schwerleidende, sehr viele Jahre kranke Phthisica, die mit ihrer 10jährigen Tochter zusammen ein schmales Zimmer bewohnt. Starker Husten, viel Auswurf in den Eimer, ins Nachtgeschirr, manchmal ins Taschentuch. Ein Taschentuch, offenbar reichlich mit Sputum durchfeuchtet, liegt auf einem Möbelstück. Auf den Boden wird [angeblich nie gespuckt, obschon derselbe verdächtige Flecke aufweist. Überall viel Staub und Schmutz.

Verbi-eitung der Phthise

durch Sputumstaub

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Vier Tiere (33 bis 36) mit 4 Proben von der Kopf lehne des Bettes, einem Bild in der Nähe desselben, von der Decke eines Schrankes und vom unteren Zimmerborde geimpft. Sämtlich negativ. X. 21. V. 1900. G-, Pöpelwitzerstr. 30a. Wohnung besteht aus zwei Zimmern, einer Küche, in welcher die Frau des Patienten täglich viele Stunden wollene Strümpfe mit der Maschine strickt, und sich auch der Patient nebst einem stark skrofulös aussehenden Kinde von 4 Jahren vorzugsweise aufhält. Das zweite Zimmer sieht sauber aus und scheint kaum benützt zu werden. In der, also gleichzeitig als Wohnraum dienenden Küche, überall massenhaft mit Wollfasern untermischter Staub und Schmutz, Boden fleckig. Patient hustet stark; reichlicher Auswurf in ein mit wenig Wasser gefülltes Nachtgeschirr, vielleicht auch ins Taschentuch, welches, trotzdem das Expektorieren in dasselbe in Abrede gestellt wird, offenbar mit Sputum befeuchtet ist. Vier Tiere (37 bis 40) mit 4 Proben vom Kopfende des Bettes, von einer Bilderleiste über demselben, einer Zeitungstasche aus Holzschnitzarbeit und vom unteren Zimmerbord geimpft. Sämtlich negativ. XI. 25. V. 1900. G., Lessingstr. 4. Sehr ärmliche Verhältnisse. Ein kleines, enges Hinterzimmer, in welchem die Patientin, die 15jährige Tochter der Inhaberin der Wohnung, vor einigen Stunden gestorben ist. Alles noch gänzlich unverändert. Patientin seit vielen Wochen bettlägerig. Starker Husten, reichlicher Auswurf in ein mit Wasser gefülltes, kleines, neben dem Bett stehendes Töpfchen, angeblich nie auf den Boden oder ins Taschentuch. Der Vater und 4 Schwestern der Patientin im Laufe der letzten 4 Jahre an Phthise gestorben, zum Teil in dieser Wohnung. (Die Mutter sieht nicht phthisisch aus, ist groß und robust gebaut, etwas asthmatisch, jedoch sonst angeblich nie krank gewesen. Im zweimal untersuchten Morgensputum keine Tuberkelbazillen gefunden.) Vier Tiere (41 bis 44) mit Proben von der Kopflehne des Bettes, von Bilderleisten an der Bettwand über Kopfhöhe, von der oberen Türfassung und vom Zimmerbord geimpft; d a v o n e i n s ( B e t t k o p f l e h n e ) p o s i t i v . XII. 26. V. 1900. W., Mariannenstr. 6, Keller. Überaus ärmliche, selten traurige Verhältnisse. Patientin liegt in einem ganz schmalen, ihrem Bett eben Raum gewährenden Zimmer seit vielen Monaten schwer krank darnieder; jetzt anscheinend in extremis. Seit einiger Zeit nur noch schwacher Husten, das Sputum wird mit Mühe in ein im Bette gehaltenes Wasserglas entleert. Ihr Mann vor einem Jahre an Phthise gestorben. 3 kleine Kinder, von denen das älteste, ca. 10 Jahre alte, die gesamte Wirtschaft und den nebenan liegenden Kram von Vorkostwaren usw. zu besorgen hat. Überall beispielloser Schmutz und Staub. Vier Tiere (45 bis 48) von der Kopf lehne des Bettes, von einem Uhrgehäuse weit über Kopfhöhe, von einem zum Aufhängen von Wäsche dienenden Rahmen über Kopfhöhe und vom Zimmerborde geimpft. E i n s p o s i t i v , v o n d e r K o p f l e h n e d e s B e t t e s , die anderen negativ. XIII. 28. V. 1900. K., Barbier, Ohlauerstr. 41 III. 2. Entnahme. Privathaus-Pinselversuch III.) Verhältnisse gegen früher unverändert.

(Vgl.

240 Vier Tiere (49 bis 52) von einem Bilde an der Bettwand über Kopf höhe, von einer Uhr über Kopfhöhe, einem Spiegel über Kopfhöhe und vom unteren Zimmerbord geimpft. Sämtlich negativ. XIV. 2. VI. 1900. K., Kurze Gasse 16. Sehr schmales einfensteriges Zimmer, in dem Patientin mit 3 kleinen Kindern wohnt und kocht. Seit einem halben Jahre starker Husten, reichlicher Auswurf in den Eimer. Wegen bevorstehender Feiertage relative Sauberkeit, jedoch noch immer an den Entnahmestellen ziemlich viel Staub mit Ausnahme des Bettgestelles. Vier Tiere (53 bis 56) mit Proben von der oberen Fläche eines Schrankes, vom Kopfende des Bettes, von Bilderrahmen weit über Kopf höhe und von anderen Bilderrahmen über Kopfhöhe an der Bettwand geimpft. Sämtlich negativ. XV. 22. VI. 1900. G., Pöpehvitzerstr. 30 a. (2. Entnahme. Vgl. Privathaus-Pinselversuch X.) Zwischen der ersten und zweiten Entnahme „großes Aufräumen", trotzdem schon wieder, namentlich in dem Küchenraum, massenhaft wollhaltiger Staub, doch diesmal auch in der wenig benützten „guten Stube" ziemlich viel Staub. Patient schläft in letzterer. Vier Tiere (57 bis 60) mit 4 Proben von der Decke eines sehr staubigen Schrankes im Küchenraum, von der Oberleiste der Küchentür, sowie vom Schrank in der Bettnähe und einem Bilde an der Bettwand geimpft. Sämtlich negativ. Versuche über das Vorkommen v o n Tuberkelbazillen in Krankenhäusern; Entnahme mittels Pinsels. I. 25. V. 1900. Medizinische Klinik, Extrazimmer. Geräumiges, helles, sehr sauberes Zimmer, jedoch auf den höher gelegenen Stellen reichlich feiner Staub. Vier Tiere (1 bis 4) mit 4 Proben von der oberen Kante der Betttafel des Patienten S., des Patienten E., von der oberen weit über Kopf höhe liegenden Kante eines Spiegels, sowie vom unteren Zimmerbord geimpft. 1 T i e r p o s i t i v v o n d e r B e t t t a f e l d e s P a t i e n t e n E., die anderen negativ. II. 22. VI. 1900. Ä. H. H., Station 12. Großer, heller Kaum. 4 zum Teil schwere Patienten. Vier Tiere (5 bis 8) vom oberen Ofensims weit über Kopfhöhe, von einer oberen Türleiste, von dem oberen Rand einiger Betttafeln, sowie von dem mit feinflockigem, weißem Staub bedeckten Ofenrohr weit über Kopf höhe geimpft. 1 zu d e r l e t z t e n P r o b e ( O f e n r o h r ) g e h ö r i g e s T i e r p o s i t i v , die anderen negativ. III. 2. VII. 1900. Fränckelsches Ho3pital. Mittelgroßes Zimmer. Zwei Phthisiker mäßigen Grades. Vier Tiere (9 bis 12) mit 4 Proben vom oberen Türsims, vom Kopfende des Bettes des Patienten N., vom oberen Rand einer anderen Tür, sowie von der elektrischen Klingel neben dem Kopfe des Patienten geimpft. 1 T i e r , z u r e r s t e n P r o b e v o m o b e r e n T ü r s i m s g e h ö r i g , p o s i t i v , die anderen negativ.

241 IV. 15. VI. 1900. Wenzel -Hanckesches Krankenhaus. Kleines zweifensteriges Zimmer, in dem 2 phthisische Patientinnen, die eine 14 Tage, die andere 3 Wochen gelegen. Ölanstrich, peinliche Sauberkeit. Vier Tiere (13 bis 16) mit 4 Proben vom oberen Türsims, vom oberen Rande der am Kopfende des Bettes befindlichen Krankentafel des Patienten M., sowie des Patienten N. und vorn Fensterrancle neben dem Bette des letzteren geimpft. Sämtlich negativ. V. 5. VII. 1900. A. H. H , Station 23. 5 zum Teil schwere Phthisiker. Vier Tiere (17 bis 20) mit 4 Proben von Bettstellen, von einer oberen Türleiste, der Oberleiste einer anderen Tür und einem sehr hoch gelegenen, stark staubigen Ofensims geimpft. Zwei Tiere vorzeitig gestorben, so daß Probe 2 und 4 verloren. Die beiden anderen negativ. VI. 12. VII. 1900. A. H. H., Station schweren Grades. Vier Tiere (21 bis 24) mit 4 Proben von einer Türoberleiste, vom oberen Sims einer den Betten näheren Tür geimpft. 1 T i e r p o s i t i v , die übrigen negativ.

25. 5 Patienten mittelschweren und von der Bettleiste eines Patienten, des Ofens, sowie von der Oberleiste zu d e r e r s t e n P r o b e g e h ö r i g e s

VII. 12. VII. 1900. A. H. H., Station 6. 4 Phthisiker, darunter 1 sehr schwer (S). Sechs Tiere (25 bis 30) mit 4 Proben von der Betttafel des Patienten S., von der Umrahmung der Ventilationsöffnung weit über Kopfhöhe, von der Decke eines Schränkchens und von Bilderrahmen in derselben Höhe geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben, wodurch die letzte Probe verloren, die übrigen negativ. VIII. 14. VII. 1900. A. H. H., Station 1. Schmales Zimmer mit 4 Betten, in 3 davon Phthisiker. Vier Tiere (31 bis 34) mit 4 Proben VOD dem Papprahmen eines hoch hängenden Plakats, von der oberen Leiste der Tür, von einem Schränkchen in Kopfhöhe und von Betttafeln geimpft. Sämtlich negativ. IX. 17. VII. 1900. A. H. H., Station 6 (2. Entnahme). Großes geräumiges Zimmer. 5 zum Teil schwere Phthisiker. Vier Tiere (35 Isis 38) mit 4 Proben Von Bilderrahmen weit über Kopfhöhe, von den hinteren mit feinem Staub bedeckten Flächen von Betttafeln, von der oberen Fläche eines Schränkchens in Kopfhöhe, von den Kopflehnen einiger Phthisikerbetten geimpft. Sämtlich negativ. X. 17. VII. 1900. A. H. H . , Station 5, Zimmer 58; 9 zum Teil sehr schwere Phthisiker. Vier Tiere (39 bis 42) mit 4 Proben vom Sims der sehr hoch gelegenen Verkleidung der Ventilationsöffnung, der Türoberleiste eines weit über Kopfhöhe gelegenen Medizinschränkchens, sowie der Hinterseite der Betttafel des Patienten N. geimpft. Sämtlich negativ. XI. 21. VII. 1900. A. H. H., Station 25 (2. Entnahme). Mehrere mittelschwere Patientinnen. Vier Tiere (43 bis 46) mit 4 Proben von der Hinterwand der Betttafel der Patientinnen N. und W., der Oberleiste der Tür, sowie einem hoch gelegenen Ofensims geimpft. Sämtlich negativ. FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

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XII. 23. VII. 1900. Station 23 (2. Entnahme). Vier Tiere (47 bis 50) mit 4 Proben von der Oberleiste einer Tür, von der hinteren bestäubten Fläche der Betttafel des Patienten S., von der oberen Leiste einer zweiten Tür, sowie von einem hoch gelegenen Ofensims geimpft. Sämtlich negativ. XIII. 25. VII. 1900. A. H. H., Kaufmannszimmer. Mittelgroßes, wie eine Privatwohnung ausgestattetes Krankenzimmer, in dem ein Phthisiker seit 7 Wochen behandelt wird. Zumeist im Bett. Auf allen höher gelegeneu Möbeln usw. sehr viel Staub. Vier Tiere (51 bis 54) mit 4 Proben von der Bettlehne, von einem Schrank über Kopf höhe, von einer sehr hohen, oberen Leiste der Tür, sowie von der spanischen Wand geimpft. Sämtlich negativ. XLV. 25. VII. 1900. A. H. H., Station 5, Zimmer 58. Mehrere zum Teil schwere Patienten. Vier Tiere (55 bis 58) mit 4 Proben von der Hinterwand der Betttafel des Patienten L., von der sehr hoch gelegenen, mit flockigem Staub bedeckten Umrahmung der Ventilationsöffnung, von der Decke eines Schränkchens weit über Kopfhöhe, sowie von der oberen Leiste einer Tür geimpft. Sämtlich negativ. XV. 25. VII. 1900. A. H. H., Station 24. Seit vielen Monaten 6, zumeist sehr schwere, phthisische Patienten, von denen im Laufe der letzten 3 Tage 2 gestorben sind. Vier Tiere (59 bis 62) mit 4 Proben von der Bettstelle des Patienten R., von der Hinterseite einiger Betttafeln, von der Bettstelle des Patienten S., sowie von dem mit sehr reichlichem, flockigem Staub bedeckten, sehr hoch gelegenen Ofenrohr geimpft. Sämtlich negativ. XVI. 25. VII. 1900. A. H. H., Station 5, Zimmer 59. Mehrere, zum Teil sehr schwere Phthisiker. Vier Tiere (63 bis 66) mit 4 Proben von der Decke eines mit reichlichem, flockigem Staub bedeckten, hohen Schränkchens, von einer von den Betten weit entfernt stehenden, seit sehr langer Zeit nicht benutzten, mit reichlichem, flockigem Staub bedeckten, spanischen Wand, von der Hinterwand der Betttafel des Patienten F., sowie vom Sims der hoch gelegenen Ventilationsöflnung geimpft. E i n T i e r , zu der von der s p a n i s c h e n W a n d gen o m m e n e n P r o b e g e h ö r i g , p o s i t i v , die anderen negativ. D a s E e s u l t a t dieser U n t e r s u c h u n g e n ist, daß in P r i v a t z i m m e r n w i e i n K r a n k e n h ä u s e r n n u r j e 5 v o n 59 bzw. 61 P r o b e n ( = 8 P r o z e n t ) l e b e n d e T u b e x k e l b a z i l l e n e n t h i e l t e n . E s ist damit erwiesen, daß sich t r o c k e n e r , t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e r S t a u b nur in sehr g e r i n g e r M e n g e in d e n P h t h i s i k e r r ä u m e n vorfindet. Immerhin mußte die geringe Ausbeute im Vergleich zu COENETS Befunden auffallen und, gewissermaßen zur Kontrolle der mittels der P i n s e l m e t h o d e gewonnenen Ergebnisse, eine Wiederholung der Versuche unter Befolgung der S c h w ä m m c h e n m e t h o d e COENETS wünschenswert machen.

Verbreitung der Phthise durch Sputumstaub

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Versuche über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in Privatzimmern; Entnahme mittela Schwämmchen.

Entsprechend dem soeben besprochenen Ziele schlössen wir uns nach Möglichkeit Cobnets Technik an. Die Entnahme der Staubproben geschah mittels walnußgroßer, aus bestem Material hergestellter, feuchter, steriler Schwämmchen, welche an einem kurzen, festen Stiel aus Holz oder Knochen befestigt waren und in einem kleinen, mit Korkstopfen fest verschlossenen, sterilen Glaszylinder aufbewahrt wurden. Jede Probe wurde mit besonderem Schwämmchen entnommen. Die aufgenommene Staubmasse war zumeist so bedeutend, daß wir, zur Einschränkung der Tierverluste, die oft breiartig dicke, trübe Bouillonaufschwemmung fast stets auf zwei Tiere verteilten. Trotzdem hatten auch wir, wie die Tabellen zeigen, noch recht hohe Verluste durch vorzeitigen Tod ¿:u beklagen, wenn auch nicht die Hälfte, wie dies bei Cobnet der Fall war. Im übrigen wurden die Versuche den Pinselversuchen durchaus analog angestellt. Insbesondere waren wir bemüht, womöglich dieselben Krankenräume wie früher zur Untersuchung heranzuziehen. Wir lassen nun die einzelnen Entnahmestellen nebst ihren Ergebnissen kurz folgen: I. 30. IX. 1900. K., Ohlauerstraße 47. (Vgl. Privathaus-Pinselversuch III und XIII.) Patient ist vor einer Woche gestorben, die Wohnung seitdem unberührt geblieben, insbesondere auch das Bett des Patienten noch an derselben Stelle. Derselbe war 6 Wochen vor seinem Tode fest bettlägerig. Elende Dachkammer. Überall viel Staub und Schmutz. An den Wänden grüner, abschilfernder Anstrich. 4 Proben von der Bettwand und zwei entfernteren, vor direktem Behusten geschützten Wänden. Je ein Tier (1 bis 4) geimpft. Sämtlich negativ. II. l . X . 1900. P., Schießwerderstraße 15. (Vgl. Privathaus-Pinselversuch V.) Patientin vor 14 Tagen nach viertägigem Krankenlager gestorben. Niedrige, enge Wohnung. Obwohl angeblich nach dem Tode alles gründlich mit Besen abgefegt und „mit Wacholder und Bernstein ausgeräuchert" wurde, findet sich überall massenhaft Staub und Schmutz. Die mit der verstorbenen Patientin gemeinsam wohnende Frau P. hustet auch stark und sieht sehr phthiseverdächtig aus. 4 Proben von der Decke des Zimmers, dem Schranke, sowie dem unteren und oberen Teile der Bettwand. Je ein Tier (5 bis 8) geimpft. Sämtlich negativ. III. 2. X. 1900. St., Schweizerstraße 18. (Vgl. Privathaus-Pinselversuch IX.) Patientin sieht viel schlechter als bei der ersten Entnahme aus, hustet besonders früh sehr viel. Reichlicher Auswurf, stets in den Eimer, angeblich nie auf den Boden, obschon derselbe verdächtige Flecke aufweist, zweifellos manchmal ins Taschentuch, wovon ich mich während der Probeentnahme selbst über16*

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zeugen konnte. Patientin ist als Plätterin tätig. Das kleine, sehr schmale Zimmer nebst Vorraum zum Kochen trägt entschieden Spuren dauernder Verwahrlosung. Staub überall in reichlicher Menge an den Stellen, wo wenig hantiert wird, z. B. an den Rahmen der Wandbilder, deren zum Teil reich verschnörkelte, geschnitzte Holzrahmen mit dickem Staube bedeckt sind. Ihnen gegenüber pflegt Patientin am Plättbrett zu arbeiten und hustet wahrscheinlich häufig in dieser Richtung. Die Entfernung von ihrem Munde bis zu den Bildern dürfte hierbei höchstens 8/4 bis 1 in betragen. 5 Proben von dem Bettgestell, der Bettwand, einer entfernten Wand, den Bilderrahmen und dem Fußboden. 6 Tiere (9 bis 14) geimpft. 2 vorzeitig gestorben, die anderen sämtlich negativ. IV. 3. X. 1900. Gr., Pöpelwitzerstraße. (Vgl. Privathaus-Pinselversuch X.) Patient vor ca. 36 Stunden gestorben, nachdem er 3 Wochen bettlägerig gewesen war. Reichlicher Auswurf, zumeist ins Nachtgeschirr, wahrscheinlich in der letzten Zeit auch vielfach ins Taschentuch. 6 Proben vom Bettgestell, von verschiedenen Partien der Bettwand, sowie von einer entfernteren Wand, von einem, von dem Patienten vor seiner Bettlägerigkeit vielfach benutzten, Lehnstuhl sowie von einer entfernteren Wand nebst oberer Türleiste und von der Schrankdecke in einem kleineren Nebenzimmer, in dem Patient sich früher viel aufhielt. 10 Tiere (15 bis 24) geimpft. 5 vorzeitig gestorben, so daß eine Probe völlig verloren gegangen, 2 p o s i t i v ( B e t t w a n d , t i e f e r e Partie, und Lehnstuhl). V. 4. X. 1900. M., Flurstraße 8. (Vgl. Privathaus-Pinselversuch VII.) Patient scheint gegen früher etwas gebessert. Ist zur Zeit des Besuches ausgegangen, arbeitet wieder ein wenig, soll relativ wenig husten und auswerfen, angeblieh nie auf den Boden. Doch finden sich auf demselben, namentlich um geinen Arbeitsplatz herum, zahlreiche, verdächtige Flecken. Auf den Schränken und an den Bilderrahmen viel Staub. Ebenso auf dem Fußboden. 10 Tiere (15 bis 24) mit Proben von der Kopfleiste des Bettes, der Bettwand, der Fensterwand, an der Patient arbeitet, von einer entfernteren Wand, sowie von dem Fußboden geimpft. 4 Tiere vorzeitig gestorben, wodurch eine Probe verloren (entfernte Wand). Alle anderen negativ. VI. 16. X. 1900. S., Kl. Scheitnigerstraße 461. Armseligste Verhältnisse. Sehr kleine, luft- und lichtlose Stube, in welcher der seit 4 Wochen bettlägerige Patient, ein langjähriger Phthisiker im Alter von 45 Jahren, bis zu seiner gestern erfolgten Überführung ins städtische Allerheiligenhospital mit seiner Frau und 5 Kindern von 1 bis 12 Jahren zusammenwohnte. Für sämtliche Personen drei elende Betten. Überall furchtbarer Schmutz und Staub. Starker Husten und reichlicher Auswurf, angeblich nur in Eimer und Nachtgeschirr; doch trägt der Boden die Spuren darauf gespuckten Sputums. 8 Tiere (35 bis 42) mit 4 Proben vom Bettgestell, der Bettwand, der Decke eines Schrankes und einer entfernteren Wand geimpft. 5 Tiere vorzeitig gestorben, wodurch eine Probe verloren (entfernte Wand). J e e i n zu den d r e i anderen Proben gehöriges Tier positiv. VII. 17. X. 1900. R., Waterloostraße 26. Sehr ärmliche, recht unsaubere Verhältnisse. Patientin seit etwa 4 Jahren krank, 41 Jahre alt. Viel zu Bett.

245 Starker Hasten. Viel Auswarf ins Taschentuch, Nachtgeschirr, „auf die Diele weniger". Jedoch sieht der Fußboden stark fleckig aus. 6 Tiere (43 bis 48) mit 3 Proben von der Kopf lehne des Bettes, einer entfernteren Wand und dem Fußboden geimpft. Sämtlich negativ. VIII. 24. X. 1900. Gr., Mohnhauptstraße 25IV. Wohnung eng und lichtlos; kleine Küche, worin Patientin sich viel aufhält, und Wohnstube, wo sie zusammen mit ihrem 20jährigen Sohne schläft. Derselbe „hüstelt" auch, ist von 12 Kindern das einzig überlebende. Alle anderen nach Aussage der Arzte erblich belastet gewesen. Ihr Mann sehr viele Jahre krank, vor 3/4 Jahren in derselben Wohnung an Schwindsucht gestorben. Patientin selbst hustet viel und wirft viel aus, besonders früh, angeblich in einen Spucknapf, der aber im Augenblicke der Entnahme weit hinten unter einem Bett steht, angeblich soeben gereinigt worden und nur aus Vergeßlichkeit nicht wieder an seinen Platz vor dem Bette gebracht worden sein soll. Der Spucknapf sieht jedoch staubig aus und läßt vermuten, daß er schon lange unter dem Bett gestanden hat. Wahrscheinlich befürchtet die Frau einen Znsammenhang meiner Untersuchungen mit der Polizei, dem Desinfektionsamt und dergl. und sagt nicht die Wahrheit. In diesem Sinne ist auch die Aussage, daß sie nachts unter den Spucknapf noch Papier lege, um die Umgebung vor Beschmutzung zu schützen, nur mit Vorbehalt hinzunehmen. Auf den Boden wird angeblich gar nicht gespuckt; in der Tat finden sich auch nirgends Spuren von Sputum auf demselben. Wahrscheinlich wird meist in den Küchenausguß expektoriert. Die Küche ist mäßig sauber, die Wohnstube sehr sauber. 10 Tiere (49 bis 58) mit 5 Proben von der Bettstelle, der Bettwand, von einer auf eine Entfernung von ca. 1 */j m dem viel benützten Lehnstuhl gegenüberliegenden Wand der Küche, von der oberen Kante eines Spiegels und von dem Fußboden der Küche geimpft; davon drei vorzeitig gestorben, wodurch eine Probe (Bettwand) verloren. 1 T i e r , z u r P r o b e : W a n d v i s - à - v i s d e m L e h n s t u h l g e hörig, positiv. IX. 30. X. 1900. St, Mohnhauptstraße 15 part. Saubere, tapezierte Wohnung, besser situierte Leute. Enges, wahrscheinlich seit Monaten nicht gründlich gereinigtes Krankenzimmer mit reichlicher Stanbansammlung. Patientin, ein junges Mädchen von 28 Jahren, seit ca. 2 Jahren krank. Seit Mitte September ununterbrochen in dem jetzigen Bett und Zimmer. Reichlicher, blutiger Auswurf, s e i t v i e l e n W o c h e n n u r i n s T a s c h e n t u c h . 8 Tiere (59 bis 66) mit 5 Proben von einem Eckbrett über dem Kopfende des Bettes, von der Bettwand, von der entfernten Wand, von der Bettstelle und dem Fußboden geimpft Ein Tier vorzeitig gestorben. Alle anderen negativ. X. 11.11.1901. St. bei Steinsetzer Ph. Kleine, sehr enge und unordentliche Wohnung. Uberall viel Staub und Schmutz. Alter, seit 4 Wochen bei seinem Schwiegersohn wohnender, viele Jahre kranker Mann; ante exitum. Besondere Wartung seitens seiner Angehörigen scheint nicht möglich zu sein. Patient befindet sich offenbar stundenlang, auch während der ganzen Dauer der Staubentnahme, allein. Spuckt, soweit es seine Hilflosigkeit gestattet, ins erhöht stehende Nachtgeschirr, doch auch ins Taschentuch, wahrscheinlich unter starker Beschmutzung seiner Hände, Kissen und Bettstelle. 8 Tiere

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(67 bis 74) mit 4 Proben, von der oberen Leiste einer hohen Tür, vom Bett und Bilderrahmen an der Bettwand, von Kähmen entfernt hängender Bilder und von der Decke eines entfernt stehenden Schrankes geimpft. 3 p o s i t i v , wovon eins zur T ü r l e i s t e , die b e i d e n a n d e r e n zur B e t t w a n d und zum Bett gehören. XI. 11.11.1901. K., Monteur, Adalbertstraße 29. Junger, seit einigen Monaten kranker Phthisiker. Starker Husten, besonders früh; sehr reichlicher Auswurf, angeblich nur ins Nachtgeschirr und in den Spucknapf. Großes, zweifenstriges Zimmer. Überall sehr viel Staub. 8 Tiere (75 bis 82) mit vier Proben von der Bettstelle, vom Uhrgehäuse und Bilderleisten, von der oberen Platte eines Vertikows, vom Fußboden geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben. Alle anderen negativ. XII. 14.11.1901. K., Monteur, Adalbertstraße. (2. Entnahme, vgl. XI.) 6 Tiere (83 bis 88) mit 3 Proben von einem sehr hohen Spiegel, einer hoch hängenden Lampenglocke und der Decke eines Schrankes geimpft. Drei Tiere vorzeitig gestorben, wodurch die erste Probe ganz verloren ging. Alle anderen negativ. XIIL 21.11.1901. St., Marienstraße 8III. Äripliche, unsaubere Verhältnisse. Patientin, ältere Frau, hustet zwar viel, hat aber wenig Auswurf, der angeblich nur in den Eimer entleert wird. Überall reichlich Staub und Schmutz. 8 Tiere (89 bis 96) mit 4 Proben von Bettwand, Bild über dem Bett, Schrankdecke und Bilderrahmen geimpft. Alle Tiere negativ. XIV. 25.11.1901. R., Marienstraße 8 III. Sehr enge, kleine Wohnung. Patient ist ein mittelschwerer, seit langer Zeit kranker Phthisiker. Starker Husten und sehr reichlicher Auswurf, angeblich stets in den Spucknapf. Bings um denselben Flecke auf dem Boden. Überall viel Staub und Schmutz. Acht Tiere (97 bis 1 Ol) mit 4 Proben vom Bett, vom Spiegelrahmen, von einem Bild über dem Sofa und von der Decke des Kleiderschrankes geimpft. Vier Tiere vorzeitig gestorben, wodurch die zweite Probe ganz verloren. Alle anderen Tiere negativ. XV. 26. II. 1901.' R., Marienstraße 8 III. (2. Entnahme, vgl. Versuch XIV.) Mäßige Verspritzung von tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen durch Objektträgerversuch festgestellt. 10 Tiere (105 bis 114) mit 5 Proben von der oberen Türleiste, dem Sims des Kleiderschrankes, dem Fußboden in der Nähe des Spucknapfes, der Bettwand und dem Bild über dem Bett geimpft. Sechs vorzeitig gestorben, wodurch die zweite Probe völlig verloren. Alle anderen negativ.

E r g e b n i s : Von 114 mit Staub geimpften Meerschweinchen blieben 78 bis zum Schluß des Versuchs am Leben, 36 starben vorzeitig. Von ersteren wiesen 10 = 12-8 Prozent Tuberkulose auf. Sie waren mit 9 von den im ganzen entnommenen 57 Staubproben geimpft. Es waren mithin 15-8 Prozent der Staubproben t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g , davon jedoch nur 2 = 3-5 Prozent, bei denen Kontakte sicher ausgeschlossen waren.

Verbreitung der Phthise durch Sputumstaub

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Untersuchungen von Zimmerstaub in Krankenhäusern; Entnahme mittels Schwämmchen. I. 5.X. 1900. A. H. H., Station 6. Großes Zimmer, gegenwärtig nur mäßig belegt. Unter den Patienten zwei schwere Phthisiker, einer in Agone, einer seit ca. 3 Monaten in dem Zimmer (S.). 6 Tiere (1 bis 6) mit Proben von der Bettwand des Patienten S., dem Bettgestell desselben Patienten, der Bettwand des Patienten L., dem Bettgestell desselben Patienten, sowie einer weit über Kopfhöhe gelegenen Ventilationsöffnung an der Gegenwand der Patienten S. und L., an der direktes Behusten ausgeschlossen, geimpft. E i n T i e r p o s i t i v ( W a n d f l ä c h e des P a t i e n t e n L.), zwei vorzeitig gestorben, wodurch die Probe von der Bettstelle des Patienten L. verloren. II. 8. X. 1900. A. H. H., Absonderungshaus Station 24. Mittelgroßes, ziemlich niedriges Zimmer. Augenblicklich 5 phthisische Frauen,' darunter 2 sehr schwere (M. und A.). Dauernd von Phthisikerinnen belegt. Bis zur Decke Ölanstrich. In den Spiralunterlagen der Betten dichter Staub. Ferner viel Staub auf der oberen Türleiste. 8 Tiere mit Proben von der Bettstelle und Bettwand der Patientin M., von der Wand neben der Tür, wo direktes Behusten sicher ausgeschlossen, vom Bettgestell und der Bettwand der Patientin A., vom unteren Zimmerbord in der Nähe des Bettes M. und von der oberen Türleiste geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben, von den übrigen 4 p o s i t i v z u r B e t t s t e l l e der P a t i e n t i n A., z u r o b e r e n T ü r l e i s t e u n d zum Zimmerbord gehörig. III. 10. X. 1900. A. H. H., Station 5, Zimmer 59. Mehrere mittelsehwere Phthisiker. Geräumiges, anscheinend recht sauberes Zimmer. Die in den. Pinselversuehen positiv befundene spanische Wand (siehe Krankenhaus-Pinselversuch Nr. XVI) steht noch an derselben Stelle in einer von den Betten weit entfernten Ecke. Sie wird nicht benutzt und ist auch jetzt an den Holzleisten dick mit Staub bedeckt. 8 Tiere (15 bis 22) mit 4 Proben von der spanischen Wand, von der Türleiste, von dem Sims einer hoch gelegenen Ventilationsöffnung, sowie von dem Gitter derselben geimpft. Beide zur spanischen Wand gehörige Proben vorzeitig gestorben, alle anderen negativ. IV. 10. X. 1900. A. H. H., Station 5, Zimmer 58. Großes geräumiges, helles Zimmer. 8 teils schwere, teils mittelsehwere Phthisiker. 6 Tiere (23 bis 28) mit 3 Proben von der Decke eines in der Nähe eines Phthisikerbettes, doch vor direktem Husten geschützt stehenden Schränkchens, von der Wand zwischen den Betten zweier schwerer Phthisiker und der Bettwand und Bettstelle des bereits Monate lang an derselben Stelle liegenden Phthisikers D. 1 T i e r p o s i t i v von der e r s t e n P r o b e ( S c h r ä n k c h e n ) , die anderen negativ, 2 vorzeitig gestorben, wodurch die letzte Probe ganz verloren. V. 12. X. 1900. A. H. H., Station 12, Absonderungshaus, Männerstation. 5 zum Teil sehr schwere Phthisiker, von denen einzelne bereits monatelang in demselben Räume liegen. 10 Tiere (29 bis 38) mit 5 Proben von einem weit über Kopf höhe liegenden Ofenrohr, von einer vor direktem Behusten geschützten, ölgestrichenen Wandfläche, von einer Bettwand, sowie dem Bettgestell der

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Patienten S. und M., sowie ferner des Patienten W . und schließlich vom unteren Zimmerbord. 2 Tiere vorzeitig gestorben, 2 p o s i t i v zu d e r W a n d h i n t e r dem P a t i e n t e n W. u n d dem u n t e r e n Z i m m e r b o r d g e h ö r i g . VI. 18. X . 1900. A. H. H., Station 25. Großes geräumiges Zimmer, in dem mehrere phthisische Patienten liegen. Einige davon schon' seit mehreren Wochen. Die Wärterin des Saales ist als außerordentlich ordnungsliebend und sorgfältig berühmt. 8 Tiere (39 bis 46) mit 4 Proben von der Bettwand der Patienten L. und K., von dem Obersims einer vor direktem Behusten geschützten T ü r , von dem Obersims einer gleichfalls geschützten anderen T ü r , von der Bettwand des Patienten K., sowie seiner Bettstelle geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben, 2 p o s i t i v v o n d e n b e i d e n l e t z t e n P r o b e n (Obersims einer Tür, Bettwand und Bettstelle des Patienten K.). VII. 19.X. 1900. A. H. H., Station 23. Großes Zimmer mit unverkennbar sorgsamer Beinigung. Augenblicklich 6, zum Teil sehr schwere Phthisiker. 8 Tiere (47 bis 54) mit 4 Proben von der W a n d und Kopflehne des Bettes des Patienten H., von der W a n d und Bettstelle des Patienten S., von der vor direktem Husten geschützten Oberleiste der T ü r , sowie schließlich von einer mit mäßigem Staub bedeckten ca. 2'/ s bis 3 m vom Spucknapf entfernt liegenden Zimmerecke. 2 Tiere vorzeitig gestorben, 5 p o s i t i v v o n d e r e r s t e n ( P a t . H.), z w e i t e n ( P a t . S . ) u n d v i e r t e n P r o b e ( Z i m m e r e c k e ) . VIII. 23. X. 1900. A. H. H., Zimmer 58. 11 zum Teil sehr schwere Phthisiker. 12 Tiere (55 bis 66) mit Proben von der Bettwand und Bettstelle der Patienten M., T. und S. (siehe Privathaus-Schwämmchenversuch Nr. VI), sowie von einem Plakat an der Bettwand des Patienten M., der Luftheizung ,Jioch über dem Bett des Patienten D. und dem Zimmerbord geimpft. 7 Tiere vorzeitig gestorben, wodurch 3 Proben gänzlich verloren. 1, z u r B e t t s t e l l e d e s P a t i e n t e n S. g e h ö r i g , p o s i t i v . IX. 23.1.1901. Station 25, Zimmer 212. 10 Tiere (67 bis 76) mit Proben Vom Obersims einer entfernten T ü r , vom Obersims einer nahen T ü r , von der Bettwand und dem Bettgestelle der Patienten M. und S., sowie von dem in der Mitte des Zimmers angebrachten, weit über Kopf höhe liegenden, staubbedeckten Arm der Gaslampe. 2 Tiere vorzeitig gestorben; 1, z u r B e t t w a n d d e s P a t i e n t e n S. g e h ö r i g , p o s i t i v . X. 30.1.1901. A. H. H., Station 23, Zimmer 211. 6 zum Teil schwere Phthisiker. 10 Tiere (77 bis 86) von dem Waschgestell der Bettwand und dem Bettgestell der Patienten A. und N., von der vor direktem Behusten geschützten Oberleiste der T ü r , sowie von dem Gasarm und der Gaslampe in der Mitte des Zimmers (weit über Kopf höhe) geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben; 3 z u r B e t t w a n d d e r P a t i e n t e n A. u n d N. g e h ö r i g e T i e r e p o s i t i v . X I . 30.1.1901. A. H. H., Station 25, Zimmer 227. 5 phthisische Patientinnen, darunter eine sehr schwere. 10 Tiere (87 bis 96) mit 5 Proben von der Oberleiste einer nahen, der Oberleiste einer entfernten Tür, sowie von der Bettwand' und dem Bettgestell der Patientinnen G., D. und E. geimpft. 1 Tier vorzeitig gestorben, 4 z u m O b e r s i m s d e r n a h e n T ü r u n d z u r B e t t w a n d d e r P a t i e n t i n D. g e h ö r i g e T i e r e p o s i t i v .

Verbreitung der Phthise durch

Spuiumstaub

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XII. 1. II. 1901. A. H. H., Station 5, Zimmer 58. Augenblicklich nur zwei Phthisiker; doch lagen in dem Zimmer häufig mehr phthisische Patienten. 10 Tiere (97 bis 106) mit 4 Proben von der Bettstelle und Bettwand der Patienten P. und M., von dein oberen, zumeist mit dickem, flockigem Staub bedeckten Teil der Luftheizungsöffhung, sowie von der vorderen, mit feinem Pulverstaub bedeckten Verzierung derselben geimpft. 2 Tiere vorzeitig gestorben, a l l e a n d e r e n p o s i t i v . XIII. 1.II. 1901. A. H. H., Statiop 25. Um genauere Anhaltspunkte über den Effekt des Aufräumens zu gewinnen, wurden die Oberwärterinnen der Stationen 23 (Siehe den folgd. Versuch XIV) und 25 veranlaßt, das gewöhnliche Aufräumen in einem, von Phthisikern stark belegten Zimmer bis Nachmittag 3 Uhr zu verschieben und erst nach geschehener Vereinbarung vornehmen zu lassen. Das diese Arbeit besorgende Personal wurde von dem eigentlichen Zweck dieser Anordnung nicht verständigt. Gegen a / 4 3 Uhr wurde dann der mittelgroße, mit schwarz gebeizter Oberfläche versehene Tisch des Krankensaales mittels steriler Schwämmchen sorgfaltig abgerieben, wobei sich die Schwämmchenoberfläche mit einer geringen Staubschicht bedeckte, und hierauf das Aufräumen der Zimmer vorgenommen. Dasselbe geschieht derart, daß die schwerkranken Patienten aus ihren Betten herausgehoben und, wenn möglich, auf nebenstehende Stühle gesetzt bzw. in Nachbarbetten gelegt werden. Weniger kranke Patienten ordnen sich ihr Bett selbst. Dieses „Bettmachen" besteht darin, daß die Decken herausgelegt, die darunter liegenden dreiteiligen Roßliaarkissen aufgenommen, aufgeschüttelt, geschwenkt und auf einen Stuhl herausgelegt werden. Hierauf erfolgt die Graderichtung und Zurechtstopfung des Bettstrohsacks, sowie die Uberspannung der Kissen mit Leinentüchern, deren Zipfel mit kräftiger Spannung um die scharfkantigen Pfosten des eisernen Bettgestells herumgeschlagen und festgebunden werden. Sowohl die Decken wie die Betttücher werden energisch geschwenkt und glatt gestrichen. Entstehen schon dadurch starke Luftbewegungen im Zimmer, so werden dieselben noch durch die gleichzeitig geöffneten Fenster und die vielfach hin und her gehenden Personen vermehrt, die nicht selten zur Herbeiholung von neuem. Wasser, Bürsten u. dergl. heraus und herein gehen und Gegenzug erzeugen. Die Folge davon ist, daß bereits nach kurzem ein feiner Staub auf den schwarzen Tischflächen zu sehen ist, welcher sieh im Verlaufe der nächsten 15 bis 20 Minuten zusehends vermehrt und mit dem Schwämmchen mindestens ebensoviel Staub aufnehmen läßt, wie vor dem Aufräumen, wo es sich um den Niederschlag vieler Stunden handelte. Nach dem Betten wird der Fußboden, sowie die Bettstellen und Möbelstücke feucht aufgewischt, doch kommt es hierbei selbstverständlich, um es nebenbei zu erwähnen, oft vor, daß im Phthisikerzimmer benützte Lappen auch in anderen Räumen verwendet werden. Nach Ablauf von 30 Minuten wurde nun der Tisch wiederum mit sterilen Schwämmchen sorgfaltig abgerieben und die Proben wie sonst verarbeitet. Außer dem großen Tisch wurde in Station 25 nach dem Aufräumen auch die Platte eiues fern von Phthisikerbetten stehenden, mit deutlicher Staubschicht überzogenen Nachttischchens abgerieben. Es wurden also im ganzen 5 Tiere (107 bis 111) mit 3 Proben geimpft H i e r v o n w a r e n b e i d e n a c h dem A u f -

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r ä u m e n e n t n o m m e n e n p o s i t i v , während sich die vor dem Aufräumen genommene Probe als unschädlich erwies. XIV. 2. II. 1901. A. H. H., Station 23, 2. Aufräumeversuch. Anordnung wie bei XIII, Station 23. 5 Tiere (112 bis 116) mit 3 Proben vom Tisch vor und nach dem Aufräumen und von dem staubigen Mittelsims des Ofena während des Aufräumens. 1 Tier vorzeitig gestorben, wodurch die letzte Probe verloren, die anderen negativ. XV. 6. IL 1901. Reservehaus, Zimmer 8. 5 Phthisiker, die seit ca. 14 Tagen in dem neu errichteten Reservehaus Unterkommen gefunden haben. 4 Tiere (117 bis 120) mit 2 Proben vom hoch gelegenen Türsims, sowie vom Zimmerbord geimpft. 1 vorzeitig gestorben, alle anderen negativ. XVI. 6. II. 1901. Reservehaus, Zimmer 9. 5 Phthisiker, darunter 2 sehr schwere. 4 Tiere (121 bis 124), mit Proben vom hoch gelegenen Sims einer Tür, sowie einer zweiten Tür, bei denen direktes Behusten ausgeschlossen war, geimpft. Sämtlich negativ. XVII. 6. II. 1901. Reservehaus, Zimmer 7. 5 Phthisiker, darunter ein Patient (G.), der unter außerordentlich starkem Hustenreiz mächtige Mengen von Sputum expektoriert und sein Nachttischchen, sowie seine weitere Umgebungwahrscheinlich mit Tröpfchen bespritzt. Objektträgerversuch verweigert. 6 Tiere (125 bis 181) mit 3 Proben vom Obersims einer Tür in der Nähe des Patienten G., jedoch weit über Kopf höhe, vom Obersims einer zweiten Tür, bei der direktes Behusten ausgeschlossen, sowie vom Bettgestell und der Bettwand des Patienten G, geimpft. 1 vorzeitig gestorben, 2 z u r e r s t e n P r o b e gehörige Tiere positiv.

Ergebnis: Von 131 mit Staub aus Krankensälen geimpften Meerschweinchen starben 28 vorzeitig. Von den überlebenden 103 Tieren wiesen 36 = 35 Prozent Tuberkulose auf. Sie waren mit 25 von im ganzen 62 Staubproben geimpft, so daß 40-3 Prozent aller Staubproben tuberkelbazillenhaltig waren; jedoch nur 4 == 6-4 Prozent, bei denen Kontakte auszuschließen waren. Wie zu erwarten, fand sich also in der Tat unter den mittels feuchter Schwämmchen entnommenen Proben ein ungleich viel höherer Prozentsatz positiver, als in den mittels Pinseln gewonnenen, nämlich in Privatzimmern 15 Prozent, in Krankenhäusern sogar 40 P r o z e n t Diese Resultate bestätigen demnach unsere Anschauung, daß zwar durch Kontakte und durch Staubtransport gelegentlich stärkerer Aktionen infektiöse Partikel auch in größerer Entfernung vom Kränken zur Ablagerung kommen können, daß sie aber zumeist fest haften oder gröberer Natur und einer l e i c h t e n Ablösung und Rückkehr in die Luft .nicht fähig sind, wie dies auch die künstlichen Versuche in ganz zweifelloser Weise dargetan haben.

Verbreitung der Phthise durch

Sputumstaub

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Das Gesamtergebnis vorstehender Staubuntersuchungen ist: Von 239 Sta u b p r o b e n , die a u s den K r a n k e n z i m m e r n von P h t h i s i k e r n e n t n o m m e n w a r e n , e n t h i e l t e n 44 = 18-4 P r o z e n t v i r u l e n t e T u b e r k e l b a z i l l e n , u n d zwar die a u s K r a n k e n s ä l e n s t a m m e n d e n 123 P r o b e n 30mal ( = 24.3 P r o z e n t ) , die aus P r i v a t w o h n u n g e n s t a m m e n d e n 116 P r o b e n n u r 14mal ( = 12 Prozent). Für die Krankenhäuser tritt demnach ein auffallend ungünstigeres Verhältnis zutage als für die Privatwohnungen. Diese Tatsache muß um so mehr überraschen, als sie, lediglich durch die tiberzahl der positiven Schwämmchenproben in den Krankensälen bedingt, in völligem Widerspruch zu CORNETS Befunden zu stehen scheint. CORNETS positive Proben stammen gerade umgekehrt zum groß eren Teile aus Privatzimmern, zum geringeren aus Krankensälen, und die darauf begründete Anschauung, daß die unvorsichtigere Behandlung des Sputums seitens der P r i v a t p a t i e n t e n die Schuld an der größeren Verbreitung des Infektionsstoffes gerade in i h r e r Umgebung trage, wurde ja bekanntlich der Ausgangspunkt für COENETS allseitig anerkannte Maßregeln zur Verhütung tuberkeibazillenhaltigen Staubes. Diese Differenz zwischen COENETS und meinen Ergebnissen läßt sich offenbar in folgender Weise erklären: Zunächst ist kaum anzunehmen, daß COBNET sauberer gehaltene K r a n k e n s ä l e als mir zur Untersuchung vorlagen. Im Gegenteil: In den mituntersuchten Krankenräumen des Irrenhauses und des Zellengefängnisses gibt COBNET selbst gewisse Übelstände an, welche positive Befunde von vornherein wahrscheinlich machten. Eher wäre schon möglich, daß P r i v a t w o h n u n g e n zum Ausfall positiver Ergebnisse jetzt weniger günstige Aussichten bieten wie früher. Während CORNETS Arbeit zu einer Zeit vor sich ging, in welcher die gegen die Tuberkulose gerichteten prophylaktischen Maßregeln im Publikum, ja selbst unter den Ärzten kaum schon Verständnis fanden, wird man jetzt, dank dem unermüdlichen Wirken CORNETS, selbst in den Kreisen, in welchen diese Untersuchungen angestellt sind, nur noch selten Menschen antreffen, die keine Kenntnis davon haben, daß der Auswurf Schwindsüchtiger ansteckend ist und vorsichtige Behandlung erheischt. So habe ich nur wenige Patienten angetroffen, die das Geständnis, auf den Boden zu spucken, von selbst abgegeben hätten; die meisten wiesen diese Zumutung mit Entrüstung zurück- und benutzten gewiß in der Hauptsache Eimer, Spucknäpfe u. dgl., wenn auch häufig genug verdächtige Bodenflecke keine strenge Befolgung der, zumeist von den Ärzten unter ernster Belehrung gegebenen, Vorschriften argwöhnen ließen.

252 Jedoch will mir scheinen, als wenn damit die große Differenz unserer beiden Versuchsergebnisse keineswegs genügend erklärt wäre. Ich glaube vielmehr, daß die COBNETsehen Zahlen zu einem derartigen weittragenden Vergleiche überhaupt ungeeignet sind. COBNET hat bei. dem hohen Tierverlust, den er bei seinen Versuchen zu beklagen hatte, nur 40 verwertbare Proben aus Krankenhäusern inkl. Irrenanstalten und Zellengefängnis und 47 Proben aus Privatzimmern zur Verfügung. Von denselben ergaben sich für die Krankenhäuser 18, für die Privatzimmer 21 positive. Dieses Resultat geht aber der Zahl der Proben aus der nächsten Umgebung des Patienten direkt parallel. Dieselben betreffen 15 und 20 Proben von dem Bettgestell, der Bettwand und dem Arbeitsplatz. Wir kommen also zu dem Schluß, daß die DORNET sehen Zahlen für die Frage der Verbreitung der Tuberkelbazillen in Krankenhäusern und Privatzimmern kaum verwertbar sind, sondern lediglich für die Beurteilung ihres Vorkommens in schmutzigen und sorgfältiger gehaltenen Räumen. COBNET s Ergebnisse können uns nur lehren, daß die dem Anhusten und Berührungen mehr ausgesetzte, nähere Umgebung unsauberer Phthjsiker mehr infektiöse Partikel meist gröberer Struktur enthält, als die Umgebung sauberer Patienten. Bei meinen eigenen Untersuchungen könnte das Überwiegen der infektiösen Krankenhausproben zunächst darauf zurückgeführt werden, daß in den Privatzimmern mehr gegen Kontakt geschützte und entferntere Proben ausgewählt wurden als in den Krankensälen. Das ist aber — wie sich aus den Protokollen ergibt — mit größter Sorgfalt vermieden. Dagegen geben uns einen gewissen Schlüssel zu diesen eigentümlichen Befunden die künstlichen Versuche. Dieselben haben uns gelehrt, daß die Bildung und Verbreitung flugfähiger Stäubchen von der Menge und Art des Ausgangsmaterials und seiner mechanischen Behandlung abhängt. Bezüglich der Menge ist es gewiß richtig, daß die Anhäufung von infektiösen Massen in Krankensälen mit fast ausschließlich phthisischen Patienten eine gewisse Erklärung für die größere Zahl der positiven Befunde wie in Privatwohnungen abgeben kann; doch darf man nicht vergessen, daß andererseits wieder eine beträchtliche Menge von dem unter unhygienischen Privatverhältnissen flott werdenden infektiösen Material in Krankenhäusern durch die Spucknäpfe endgültig ausgeschaltet wird. Weit mehr wird die Art des Ausgangsmaterials und seine mechanische Behandlung für die stärkere Verbreitung in den letzteren verantwortlich zu machen sein. Wie schon früher auseinandergesetzt, enthält der Staub der Krankensäle neben einem feinkörnigen

253 Material noch häufig feinste Fäserchen und Flöckchen, welche sich von dem Strohsack, der Bettwäsche, der Kleidung und dem Taschentuch des Patienten sehr leicht loslösen und überaus flugfähig sind, wie man neben unseren künstlichen Versuchen auch daraus schließen kann, daß wir solche Fäserchen nicht selten gerade au sehr hoch gelegenen, im übrigen fast staubfreien Stellen vorfanden. Dieses an sich schon feinere Material der Krankensäle unterliegt nun aber viel stärkeren und häufigeren mechanischen Insulten, als sie unter Privatverhältnissen vorkommen, namentlich beim Aufräumen der Krankensäle, wie wir unter genauerer Schilderung der hierbei stattfindenden Manipulationen durch den Versuch 13 direkt zu beweisen in der Lage waren. Die Folge davon ist, daß sich während des Aufräumens eine große Menge sichtbaren Staubes auf allen Gegenständen niederschlägt, in welchem zahlreiche feinste Fäserchen schon mikroskopisch zu erkennen sind. Ganz anders liegen die Verhältnisse in den Privatkrankenzimmern. Hier ist die Hauptmenge des Staubes weitaus gröber und für einen Transport eventuell auf ihn abgesetzter Tuberkelbazillen ungeeigneter. Gleichzeitig wird eine so reichliche Entwickelung von Staub aus der nächsten Nähe des Patienten, namentlich in der ärmeren Bevölkerung, sehr viel weniger statthaben als in Krankenhäusern. Der Mangel an Wartepersonal verbietet das häufige Umlegen und Umbetten des Patienten, die Sorgen monatelanger Krankheit lassen die sonstigen Erfordernisse der Ordnung und Reinigung des . Krankenzimmers zurücktreten, die Selbständigkeit des Privatpatienten läßt zugunsten seiner Bequemlichkeit und Empfindsamkeit gegen alles Hantieren an ihm und seiner nächsten Umgebung die Hintenansetzung der Sauberkeit eher zu, wie in Krankenhäusern, wo das Wartepersonal in erster Linie Ordnung und Reinlichkeit zu berücksichtigen verpflichtet ist. Ein fernerer begünstigender Umstand für den positiven Ausfall derartiger Untersuchungen in Krankenhäusern liegt wohl darin, daß die Insassen der letzteren zum Teil nicht dauernd bettlägerig sind, sondern mehrere Stunden außer Bett zubringen, auch zu Hilfeleistungen beim Reinigen usw. herangezogen werden. Dadurch erfolgt eine weit ausgiebigere Ausstreuung von Sputumteilchen mittels der Hände, Taschentücher und Kleidung der Patienten. Im Gegensatz hierzu waren in den meisten untersuchten Privatzimmern die Kranken fest ans Bett gefesselt. — Schließlich sind die Proben wohl immer noch nicht zahlreich genug gewesen, um eine feststehende Regel einzuleiten; je nach der Auswahl der Räume und der Eigenart der Bewohner werden die Resultate sich wechselnd gestalten.

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III. Zusammenfassende Betrachtang über Bedentang and Prophylaxe der Stäubcheninfektion. Offenbar ist zur Bildung trockenen, tuberkelbazillenhaltigen Materials in der Nähe des Patienten wohl stets die Möglichkeit gegeben. - Dasselbe resultiert aus den gröberen rings um ihn niederfallenden und festsitzenden Tröpfchen, sowie namentlich aus Sputumresten, welche an der beschmutzten Hand oder dem Taschentuch haften und durch Weiterübertragung zur Infektion des Bettes, der nächstgelegenen "Wand, der nächsten Möbelstücke und Gebrauchsgegenstände, dann aber über die nächste Umgebung hinaus zur Infektion alles überhaupt Erreichbaren führen können. Unter unsauberen Privatverhältnissen werden noch grobe Vernachlässigungen in der Behandlung des Sputums, vor allem beim Auffangen im Taschentuch, oder bei der Expektoration auf den Boden zu einer Vermehrung des freien, tuberkulösen Materials beitragen. Diese Möglichkeit ist durch die vereinzelten positiven Befunde bei der Untersuchung des Staubes aus Phthisikerzimmern erwiesen. Allein es wäre verfehlt, mit COBNET diesem Staube sogleich auch die Fähigkeit zuzusprechen, unter gewöhnlichen Verhältnissen und häufiger, ja sogar ausschließlich Infektionen durch die Luft zu vermitteln. Hierzu gehört, wie wir wissen, eine äußerst feine und leichte, den in den Wohnräumen herrschenden, geringen Luftströmen nachgebende Beschaffenheit der infizierten Staubteilchen. Diese aber wird im allgemeinen nicht angetroffen. COKNET hat selbst auf die Schwierigkeit der mechanischen Herstellung feinster Stäubchen hingewiesen, die man im allgemeinen zu unterschätzen geneigt ist. Hier sei zunächst an den energischen Widerstand erinnert, welchen die Tröpfchen, wie wir haben zeigen können, jedem Versuch einer trockenen Ablösung von ihrer Unterlage entgegensetzen. Sie werden somit zur Bildung feinster Partikel nur wenig beitragen. Aber auch aus anderem Material und unter viel günstigeren Bedingungen entstehen offenbar nur in sehr geringem Maße trockene flugfähige Partikel. Unsere Versuche haben gezeigt, daß es selbst mit Hilfe heftiger, langdauernder Manipulationen nicht gelingt, von tagelang getrockneten, sehr reichlich bespuckten Teppichen oder Dielen infektiöse Stäubchen loszulösen, welche sich auch nur 10 Minuten in einer Höhe von etwa 1 m hätten halten können. Nur die von den Taschentüchern abgeriebenen Stofffäserchen machen hierbei eine gewisse Ausnahme.

Verbreitung der Phthise durch Sputumstaub

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Aber nicht genug, daß die Versuchsergebnisse spärlich sind, so müssen wir sie sogar gegenüber den im Leben gegebenen, natürlichen Verhältnissen noch zweifellos als künstlich stark gesteigert erachten. Wie erwähnt, stellten die Versuchsbedingungen eine außerordentliche Übertreibung der praktischen Verhältnisse dar. Für die Teppiche und Dielen liegt dies auf der Hand. Aber auch für die Taschentücher muß dies zugegeben werden, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dieselben eine ganze Stunde lang in den engen Raum des Glaskastens andauernd gedrückt und gezerrt wurden. Ein weit richtigeres Bild von dem Vorkommen feinster infektiöser Stäubchen gewinnen wir durch die direkte Untersuchung des Staubes in den Krankenzimmern, vor allem durch die mittels Pinsel entnommenen Proben. Die Zahl der dabei gefundenen positiven Resultate ist aber sehr gering; und wo eine positive Probe gefunden wurde, da lag fast immer noch die Möglichkeit vor, daß die Tuberkelbazillen nicht durch schwebende Stäubchen, sondern durch Berührungen an die Entnahmestelle gelangt waren, und ebenso war es möglich, daß ein demnächstiger Übergang in die Luft geräde für die mit Tuberkelbazillen beschwerten Stäubchen nicht in Frage kam. Dazu muß man bedenken, daß der entnommene Staub einen erheblichen Teil der im Laufe mehrerer Tage gebildeten und von der Luft transportierten Staubteilchen repräsentierte, die überhaupt für die Infektion der Insassen mittels dieses Modus in Betracht kommen konnte. Wenn aus den Staubuntersuchungen auf die Beschaffenheit und Infektionsgefahr der Atemluft geschlossen wird, so liegt darin auch schon eine künstliche Übertreibung, die man aber in Kauf nehmen muß, weil nach allen Erfahrungen direkte Luftuntersuchungen in Phthisikerräumen gar keine Aussicht auf positive Ausschläge haben. Unter besonderen Verhältnissen, in Fabriken, in Werkstätten, in Eisenbahnen, kurzum an allen den Orten, wo Hantierungen zahlreicher Menschen und starke Erschütterungen in Frage kommen, wird es ganz zweifellos zur Bildung feinen Staubes und beim Vorhandensein reichlichen phthisischen Sputums zu dauernder Erfüllung der Luft mit infektiösen Stäubchen kommen; allein diese Momente treten in unseren Wohnungen viel mehr zurück, und selbst unter den der Ausstreuung offenbar günstigeren Verhältnissen der Krankenhäuser wird ein stärkerer Gehalt der Luft an infektiösen Stäubchen nur vorübergehend sich finden.

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F.

Gotschlich

13. Die Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Bäumen mit starkem Menschenverkehr.1 Von Dr. med. F. Gotschlich, z. Z. Sanitätsbeamter in Ägypten. Uber das Vorkommen des tuberkulösen Virus außerhalb des Organismus und den Infektionsmodus bei der Phthise liegen schon vor COBNETS2 bekannter Arbeit Versuche von verschiedenen Autoren vor, die sehr wechselnde Resultate zeitigten, und sowohl von CORNET, als auch später unter anderen von HEYMANN3 bezüglich ihrer Verwertbarkeit für die Frage der Verbreitungsweise und Bekämpfung der Phthise einer eingehenden Kritik unterzogen worden sind. COBNET hatte zuerst mit Sicherheit Tuberkelbazillen im Staub der von Phthisikern bewohnten Bäume nachgewiesen. Nach seinen Untersuchungen ist die Gefahr,, tuberkulöses Virus im Staub anzutreffen, recht erheblich: in Krankenhäusern in 47-6 Prozent, in Irrenanstalten in 17-6 Prozent, in Privatwohnungen von Phthisikern in 43-6 Prozent der Proben. Als wesentliche Infektionsquelle bezeichnete COBNET den trocknen Sputumstaub, der in jenen Räumen sich bilden soll, wo Spucknäpfe fehlen und wo Fußboden und Taschentuch mit Sputum verunreinigt werden. COBNETS Befunde fanden ihre Bestätigung in zahlreichen Untersuchungen anderer Autoren. Jedoch hat seine Arbeit auch in mehrfacher Hinsicht Angriffe erfahren, zunächst bezüglich seiner Annahme, daß dem trockenen Sputumstaub die ausschließliche oder doch weitaus wichtigste Rolle bei der Übertragung der Phthise zukomme. Diese Frage wurde ganz besonders akut, als im Jahre 1897 von FLÜGGE4 die allgemeine Aufmerksamkeit auf einen anderen, bisher weniger bekannten Infektionsmodus durch feinste bazillenhaltige Tröpfchen gelenkt wurde, und es gelungen war, durch diese beim Sprechen, Husten und Niesen verspritzten Tröpfchen experimentell Infektionen zu erzeugen. Hinsichtlich des uns hier wesentlich interessierenden Infektionsmodus durch trockenen flugfähigen Staub, wurde durch Versuche von NEISSEB,5 STICHEB und BENINDE 8 bewiesen, daß der Tuberkel1 2 3 4 6 6

Veröffentlicht: Inaugural-Dissertation. Breslau 1903. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1889. Bd, 5. HEYMANN, Ebenda. 1899. Bd. 30. FLÜGGE, Allgem. med. Zentralzeitung. 1897. Nr. 66. NEISSEB, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1 8 9 8 . Bd. 2 7 . STICHER und BENINDE, Ebenda. 1 8 9 9 . Bd. 3 0 . COBNET,

Verbreitung

der

Tuberkelbazillen

im

Staub

von

Räumen

257

bacillus verstäubbar ist, und daß Infektionen durch verstäubtes Sputum möglich sind. Freilich waren die positiven Resultate in. diesen Versuchen nur durch künstliche Steigerung der Versuchsbedingungen zu erreichen. Teils wurden stärkere Luftströme angewendet, teils fand ein künstliches Austrocknen der Verstäubungsobjekte im Exsikkator statt. Durch weitere Versuche von HEYJIANN 4 gelang es, auch über die Qualität des tuberkulösen Staubes und damit über die größeren oder geringeren Infektionschancen seitens desselben interessante Aufschlüsse zu erhalten. Es zeigte sich, daß die Loslösung feinster bakterienhaltiger Stäubehen und die Schwebedauer derselben abhängig von dem jeweiligen Vehikel der Bakterien ist. So zeigten Taschentuchfäserchen eine Schwebedauer von 3 0 — 6 0 Minuten, während der an Teppiche und Dielen angetrocknete Sputumstaub sich bald nach dem Abreiben in kürzester Zeit wieder absetzte. Diese Stäubchen letzterer Kategorie bleiben also nicht für einen irgend längeren Zeitraum im Bereich der Einatmungsluft und können somit für die Einatmung der Bewohner eines Zimmers nicht in Betracht kommen. Durch diese Stäubchen erklärt sich z. B. auch die relativ hohe Zahl ( 3 1 Prozent) positiver Resultate, zu der PEATJSSNITZ 1 bei der Untersuchung des Teppichstaubes von Eisenbahnwagen gelangte. Nach den erwähnten Versuchen, insbesondere denen von BENINDE und von HEYMANN erschienen also die Chancen einer Infektion durch trockenen Sputumstaub unter n a t ü r l i c h e n Verhältnissen, wo stärkere Luftströme, künstliches Austrocknen und so energische Hantierungen, wie im Experiment, nur höchst selten in Betracht kommen, geringer als man früher annahm. Demgegenüber müßten allerdings COBNETS häufige Befunde von Tuberkelbazillen in Staubproben aus Krankensälen und Privatwohiningen von Phthisikern sehr auffällig erscheinen. HEYMANN 2 hat indessen durch Kontrolluntersuchungen gezeigt, daß COBNET in der Tat nicht Proben f l u g f ä h i g e n Staubes vor sich hatte, sondern einmal infolge der Verwendung von f e u c h t e n Schwämmchen zur Entnahme vermutlich auch festhaftende, angetrocknete Tröpfchen und Sputumteile abgewischt hatte, andererseits von Stellen entnommen hat, wo ein Hingelangen von tuberkulösem Kontagium durch Berührungen durchaus nicht ausgeschlossen war. Unter 59 positiven Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1901. Bd. 38. Archiv für Hygiene. 1 8 9 1 . Bd. 1 2 , und Münchener med. 1893. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1901. Bd. 38.

1

HEYMANN,

2

PKAUSSNITZ,

Wochenschrift. 3

HEYMANN,

FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

17

258

F.

Goischlich

Proben stammten 28, also 50 Prozent von Bettgestellen. Endlich hat COBNET häufig Proben vom Fußboden und unteren Wandteilen gemischt mit solchen von hochgelegenen Stellen, die mit bezug auf Kontaktinfektion einwandfrei sind, indem er mit seinen Schwämmchen ganze Wändflächen abrieb. Diese Versuchsfehler wurden von H E Y M A N N einmal durch Anwendung t r o c k e n e r weicher Haarpinsel zur Staubentnahme, andererseits dadurch vermieden, daß er seine Proben nach der Lökalisation sonderte. Das Resultat dieser Untersuchungen war, daß in P r i v a t z i m m e r n von Phthisikern wie in Krankenhäusern n u r j e 5 von 59 bzw. 61 P r o b e n ( = 8 Prozent) lebende Tuberkelbazillen enthielten. Wenn man davon noch einige positive Resultate, bei denen die Entnahmestelle nicht ganz einwandfrei war, wie z. B. „Unterer Zimmerbord", „Bettstelle und Bettwand", „Kopflehne des Bettes" in Abzug bringt, so kann man die hier angegebenen Zahlen noch reduzieren und die Infektionsgefahr noch geringer anschlagen. Bei weiteren Versuchen unter Anwendung der CoBNETschen f e u c h t e n Schwämmchen betrug der Prozentgehalt an positiven Proben für P r i v a t z i m m e r von Phthisikern 15, für K r a n k e n h ä u s e r 40. Insgesamt enthielten von 239 Proben' 44 ( = 18-4 Prozent) virulente Tuberkelbazillen. Davon kamen auf Krankenhäuser 123 Proben mit 30 positiven (24-3 Prozent), auf Privatzimmer 116 Proben mit 14 positiven (12 Prozent). Den h o h e n Prozentsatz (40 Prozent) in K r a n k e n s ä l e n erklärt einmal durch Anwendung der Schwämmchenmethode, durch die eben nicht allein flugfähiger Staub, sondern auch festhaftende Sputumteile entnommen wurden. Ferner beobachtete er aber, daß es in Krankensälen, besonders während des Aufräumens zur Bildung feinster Kleider- und Bettfäserchen kommt, die, wie er früher experimentell gezeigt hatte, eine erhebliche Schwebedauer besitzen; in Privatzimmern, besonders in vernachlässigten, wo die Indolenz der Insassen und der Schwächezustand der Kranken ein intensives Reinigen und damit auch die Bildung so feinen Staubes verhindert, fand er meist gröberen Staub vor. Auch bieten offenbar ambulante Phthisiker, wie sie sich in jedem Hospital finden, mehr Gelegenheit zur Ausstreuung des Kontagiums, als Kranke, welche dauernd ans Bett gefesselt sind. Durch diese Kontrolluntersuchungen H E Y M A N N s war also bewiesen, daß Infektionschancen durch f l u g f ä h i g e n Staub in K r a n k e n h ä u s e r n und P r i v a t w o h n u n g e n von P h t h i s i k e r n a l l e r d i n g s b e s t e h e n , aber auch nicht in dem Grade, wie es nach CORNETS Resultaten scheinen könnte.

HEYMANN

Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Räumen

259

Es ist nun von großer Bedeutung, zu ermitteln, ob und inwieweit solche Infektionschancen auch in R ä u m e n bestehen, die dem ö f f e n t l i c h e n V e r k e h r zugänglich sind und in welchen sich gelegentlich Phthisiker, vorzugsweise aber ansteckungsfähige, nicht phthisische Menschen aufhalten. Darüber durch Versuche eine zutreffende Anschauung zu gewinnen, war schon im 38. Band der Zeitschrift für Hygiene, S. 5, als ein Desiderat hingestellt. A priori war anzunehmen, daß in öffentlichen Lokalen mit starkem Menschenverkehr, wo häufige Erschütterungen vorkommen und „dauernd starke Staubbildung" stattfindet, wie in Wartesälen, Straßenbahnwagen, Fabriken, Bureaus usw., auch tuberkelbazillenhaltiger Staub anzutreffen sei, zumal ir^solchen Lokalen prophylaktische Maßregeln (Aufstellung von Spucknäpfen usw.) häufig noch vermißt werden. Die Größe der Infektionsgefahr in solchen Räumen darf man nicht etwa, wie es häufig geschieht, nach der Menge des überhaupt vorhandenen und die Luft erfüllenden Staubes schätzen, sondern einerseits nach der Menge des produzierten Sputums bzw. der Anzahl der dort verkehrenden Phthisiker, andererseits nach der räumlichen Verteilung und Verdünnung des Kontagiums je nach der Größe des Lokals und der Distanz der Arbeitsplätze, endlich auch nach dem Mangel an prophylaktischen Maßnahmen. Staubreichtum k a n n ganz belanglos sein; von manchen Staubsorten wird sogar ein günstiger Einfluß gegenüber der Empfänglichkeit für Tuberkulose behauptet, so z. B. vom Kohlenstaub. Für die Richtigkeit dieser Behauptung sprechen die Resultate der Statistik der Kohlenarbeiter und Bergleute. Auch der Straßenstaub scheint nach CORNETS Statistik der Berliner Straßenkehrer und Droschkenkutscher quoad Tuberkulose relativ bedeutungslos zu sein. Höchstens dann darf man in Staubreichtum der Luft eines Raumes oder einer Gegend ein d i s p o n i e r e n d e s Moment für die Entstehung der Phthise erblicken, wenn gleichzeitig Phthisiker vorhanden sind, welche das Kontagium ausstreuen und so die Möglichkeit zur Bildung flugfähigen tuberkulösen Staubes schaffen. Von D Ü K C K 1 ist experimentell nachgewiesen, daß in der Tat Staubinhalation die Ansiedlung verschiedener pathogener Bakterienarten, Staphylo- und Streptokokken, Diplococcus lanceolatus usw. in der Tiefe des Respirationstraktus begünstigt. Auf diese Weise ist vielleicht das Zustandekommen von Sekundärinfektionen bei der Phthise zu erklären; allerdings ist es fraglich, ob auch der gewöhn1

DÜRCK, Archiv für klin. Medizin.

1897.

B d . 58. 17*

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F. Qotschlieh

liehe S t r a ß e n - und W o h n u n g s s t a u b , den DÜRCK ZU seinen Versuchen nicht benutzt hat, durch m e c h a n i s c h e Reizung eine derartige Begünstigung der Ansiedelung pathogener Bakterien ebenfalls bewirken kann; und ebenso ist es fraglich, ob diese Staubarten nicht andererseits durch die an ihnen haftenden akzidentellen Bakterien eine vielleicht noch bedeutungsvollere Unterstützung der Tuberkelbazillen zu liefern imstande sind. Wenn z. B. „staubfreie" Luft eines Kurortes besonders gerühmt wird, so kann damit jedenfalls nur das Fehlen jener d i s p o n i e r e n den Wirkung staubiger Luft gemeint sein; daß die staubige Luft eo ipso Phthise bewirke, auch ohne daß Phthisiker ihr das spezifische Kontagium beigemengt haben, das ist eine nicht mehr haltbare Vorstellung. Ebenso mag die Luft in einer Fabrik, wo stäubendes, aber von Tuberkelbazillen freies Material verarbeitet wird, noch so staubig sein, die Gefahr der Infektion mit Phthise beginnt erst von da ab, wo Phthisiker das Kontagium dort reichlicher ausstreuen. Wie groß nun in Wirklichkeit in verkehrsreichen Räumen die Gefahr einer Einatmung von Tuberkelbazillen in Staubform geschätzt werden muß, darüber sollten direkte Untersuchungen Aufschluß geben, die ich auf Anregung von Herrn Geheimrat F L Ü G G E nach Analogie der Versuche von HEYMANN unternommen habe. Die Untersuchungen wurden angestellt in den Wartesälen der Bahnhöfe, in den Bureaus von Verwaltungsbehörden mit zahlreichem Personal, in großen Arbeitssälen von Fabriken u. dgl. Ich bediente mich bei den Entnahmen der auch von HEYMANN verwendeten trockenen weichen Haarpinsel, die in Reagensröhrchen aus stärkerem Glas mit durchbohrtem Korkstopfen, der zur Aufnahme des Pinselschafts dient, im Trockenschrank bei 160° sterilisiert wurden. Die Entnahmen wurden mit wenigen Ausnahmen während der Anwesenheit des Publikums bzw. der Beamten und Arbeiter vorgenommen, und zwar kamen auf je ein Lokal etwa 5 — 12 Proben. Die Proben stammten fast sämtlich aus Kopfhöhe oder über Kopf höhe, von Stellen, wo reichlich Staub abgelagert war; nur wenige Proben wurden von tiefer liegenden Gegenständen entnommen. Je eine Probe wurde mit 5 ccm steriler Bouillon in steriler Petrischale mittels des Pinsels verrührt, bis eine mehr oder weniger dickschwarze Aufschwemmung entstand, welche dann mit steriler Spritze einem Meerschweinchen intraperitoneal injiziert wurde. Proben von gleichartigen Stellen wurden ab und zu vermischt, um größere Staubmengen zu gewinnen. Von besonders interessierenden Stellen wurden mehrere

Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Räumen

261

Proben entnommen und der gleichen Anzahl Meerschweinchen injiziert. Die Tiere wurden, soweit sie nicht spontan starben, nach 4 bis 5 Monaten mit Chloroform getötet und in der üblichen Weise seziert. Bei der Sektion fanden sich häufig bedeutende Staubmengen im Netz und auf dem Peritoneum, wo sie in der Umgebung der Impfstelle lokale Entzündung mit Verklebungen und Verwachsungen hervorgerufen hatten. Eine Angabe der Größe der in Betracht kommenden Lokale erübrigt sich; eine Vorstellung darüber ist wohl jedem geläufig. Spucknäpfe wurden in den Fabriken vermißt, in Bureaus und Wartesälen waren sie vorhanden. Dagegen ist es eine allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz vorhandener Spucknäpfe in den Wartesälen und trotz angeschlagenen Verbots in den Straßenbahnwagen auf den Fußboden gespuckt wird. Im folgenden seien die Details der Entnahmen für jeden einzelnen F a l l beschrieben. I. 3. II. 1902. Vormittags. Oberschlesischer Bahnhof, Wartesaal IV. Klasse. Ziemlich starker Verkehr. 5 Staubentnahmen von: 1. Tafel an der Wand rechts vom Eingang; 2. Leiste über einer Bank vom Eingang; 3. Büfettschrank; 4. Büfettschrank, andere Stelle; 5. Tafel an der Wand links vom Eingang. Das zu Probe 3 gehörige Tier stirbt spontan am 15. II. 1902. Die Sektion ergibt eine eitrige Peritonitis und Cyanose aller Organe. Die übrigen 4 Tiere werden am 9. V. 1902 mit normalem Befund seziert. II. 8. III. 1902. Vormittags. Bureaus der Königl. Regierung, während der Dienststunden. 10 Staubentnahmen von: 1. Zimmer Nr. 11; verschiedene Stellen: Schreibtisch, Akten, Bücherschrank, Spiegel. Das Zimmer wurde vor einem halben Jahre von einem Phtliisiker benützt und ist nach dessen Tode mit Formalin desinfiziert worden. 2. Zimmer Nr. 53; Aktenstaub hinter dem Beamten. 3. Zimmer Nr. 53; aus dem Innern des Schreibtisches. 4. Zimmer Nr. 53; über dem Schreibtisch. Dieses Zimmer ist Arbeitsplatz eines Phthisikers. 5. Staub von den Akten der Kanzlei. 6. Zimmer Nr. 86. 7. Zimmer Nr. 26. 8. Zimmer Nr. 4. 9. Zimmer Nr. 1. ' 10. Zimmer Nr. 3. Der in letztgenannten Zimmern entnommene Staub stammte von Akten und Schreibtischen. 8 Tiere wurden am 29. VIII. 1902 mit normalem Befund seziert; das zu Probe 3 gehörige war gravid. Die zu Probe 1 und 2 gehörigen

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F. Gotschlioh

hatten säugende Junge und wurden am 25. IX. 1902 ebenfalls mit normalem Befund seziert. III. 20. III. 1902. Freiburger Bahnhof, Wartesaal III. und IV. Klasse. Mittags. Mäßiger Verkehr. 6 Staubentnahmen von: 1. Kleiderständer I, links neben der Tür zum Bahnsteig. 2. Kleiderständer II, ebenda. 3. Tafel rechts neben derselben Tür. 4. Reklameschild neben der Eingangstür. 5. Tafel rechts neben derselben Tür. 6. Tafel am Büfett. Das zu Probe 2 gehörige Tier stirbt spontan am 10. IV. 1902. Die Mesenterialdrüsen scheinen etwas vergrößert zu sein. Ausstrichpräparate ergeben einen negativen Befund. Die übrigen werden am 29. VIII. 1902 mit Chloroform getötet und mit normalem Befand seziert; Nr. 1 ist gravid. IV. 20. III. 1902. Märkischer Bahnhof, Wartesaal IV. Klasse (für polnische Arbeiter). Mittags. Kein Verkehr. 6 Staubentnahmen von: 1. Büfett. 2. Leiste über den Bänken neben dem Büfett. 3. Leiste über den Bänken gegenüber dem Büfett. 4. Leiste an der Tür zum Bahnsteig. 5. Leiste von der linken Eingangstür. 6. Leiste von der rechten Eingangstür. Tier Nr. 1 stirbt am 25. III. 1902. Die Sektion ergibt Leberabszeß und rechtsseitiges Pleuraexsudat. Die übrigen werden am 29. VIII. 1902 mit Chloroform getötet. Nr. 5 u. 6 zeigen starke Verwachsungen der Intestina und Staubflecken auf dem Peritoneum, die anderen sind normal. V. 14. IV. 1902. Odertorbahnhof, Wartesaal III. und IV. Klasse. Vormittags. Mäßiger Verkehr. 9 Staubentnahmen von: 1. Gaskandelaber an der Tür zum Bahnsteig. 2. Gaskandelaber in der Mitte des Saals. 3. Gaskandelaber in der Nähe der Eingangstür. 4. Reklameschild. 5. Tafel mit Angabe der Ankunfts- und Abfahrtszeiten. 6. Kasten an der Wand (für galvan. Elemente). 7. Spiegel I am Bahnsteig. 8. Spiegel I I in der Nähe derselben Wand. 9. Spiegel III am Eingang. Tier Nr. 1 stirbt am 17. IV. 1902 an septischer Peritonitis (es bestand Gravidität). Die übrigen 8 werden am 25. IX. 1902 mit normalem Befund seziert 4 davon sind gravid. VI. 29. IV. 1902. Wagen der Breslauer Depot Elbingstraße. Vormittags. Die Wagen Tage benützt und befinden sich zur Reinigung stammen von den Leisten, Ventilationsklappen

elektrischen Straßenbahn im wurden am vorhergehenden im Depot. Die Staubproben und Beleuchtungskörpern im

Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Räumen

263

Innern des Wagens, sämtlich ungefähr aas Kopfhöhe. Von den drei benützten Linien verkehrt die eine, Linie Scheitnig-Königsplatz, zwischen den Königlichen Universitätskliniken und dem städtischen Allerheiligenhospital. Die beiden anderen, die Linie Kleinburg-Odertorbahnhof und die Gürtelbahn, sind die am meisten frequentierten der Stadt. 9 Proben von: 1. Linie Scheitnig, Wagen Nr. 202. 2. Linie Scheitnig, Wagen Nr. 283. 3. Linie Scheitnig, Wagen Nr. 251. 4. Linie Gürtelbahn, Wagen Nr. 245. 5. Linie Gürtelbahn, Wagen Nr. 225. 6. Linie Gürtelbahn, Wagen Nr. 292. 7. Linie Kleinburg, Wagen Nr. 334. 8. Linie Kleinburg, Wagen Nr. 343. 9. Linie Kleinburg, Wagen Nr. 311. Zwei Tiere sterben spontan; Nr. 8 am 3. V. 1902; die Sektion ergibt Lebetabszeß; Nr. 2 am 18. V. 1902 ohne pathologischen Befund. Die übrigen werden am 26. IX. 1902 seziert und zeigen ebenfalls keinerlei krankhafte Veränderungen. VII. 22. V. 1902. Bureaus der Eisenbahnbetriebsdirektion. Mittags, während des Dienstes. 12 Staubproben; dieselben stammen von Akten, Schreibtischen und Kleiderständern und sind sämtlich etwa in Konfhöhe entnommen. 1. Zimmer 55 a, Verkehrsbureau. 2. Zimmer 55 a, Verkehrsbureau. 3. Zimmer 56, Verkehrsbureau. 4. Zimmer 56, Verkehrsbureau. 5. Zimmer 56, Verkehrsbureau. 6. Zimmer 71a, Rechnungsbureau. 7. Zimmer 71a, Rechnungsbureau. 8. Zimmer 83, Rechnungsbureau. Dienerzimmer. 9. Zimmer 83, Rechnungsbureau, Dienerzimmer. 10. Zimmer 62, Verkehrsbureau, Dienerzimmer. 11. Zimmer 39, Bureau der Direktion. 12. Hauptkasse. Drei Meerschweinchen sterben spontan: Nr. 11 am 25. V. 1902 an septischer Peritonitis; Nr. 12 am 27. V. 1902 Leberabszeß; Nr. 5 am 28. V. 1902. Lumbaiabszeß und linksseitige Pleuritis. Die übrigen werden am 1. X. 1902 mit Chloroform getötet. Sektionsbefund: Fast bei allen Tieren mehr oder weniger starke Verwachsungen der Intestina und Staubeinlagerungen auf dem Peritoneum. Keinerlei tuberkulöse Veränderungen. VIII. 30. V. 1902. Staubentnahme in einer großen Schuhfabrik. mittags während der Arbeit. 6 Proben von: 1. Arbeitsplatz eines Phthisikers. 2. Von demselben Platz. 3. Arbeitsplatz eines vor kurzem verstorbenen Phthisikers. 4. Von demselben Platz. 5. Arbeitsraum für Frauen (Zuschneiderei der Oberteile). 6. Reparaturwerkstatt.

Vor-

264

F. Gotschlich

Sämtliche 6 Tiere werden am 3. X. 1902 mit Chloroform getötet. Die Sektion ergab bei vieren völlig normalen Befund. Nr. 1 zeigt starke Staubeinlagerungen im Netz und auf dem Peritoneum. Nr. 4 außerordentlich starke Schwellung der Drüsen des Mesenteriums und des Netzes. Dieselben sind erbsen- und bohnengroß, graurötlich, hart und zeigen auf dem Durchschnitt nirgends Verkäsung. Im mikroskopischen Ausstrichpräparat finden sich sowohl im Drüsen- wie im Lungengewebe massenhaft Rundzellen, hingegen keine Tuberkelbazillen. Die Vermutung, daß es sich um einen Tumor handle, findet ihre Bestätigung im Schnittpräparat, das denselben Befund zeigt. Auch in Milzausstrichen finden sich keine Tuberkelbazillen. IX. 4. VI. 1902. Staubentnahme in einer Schlosserei während der Mittagspause. Es wurden 8 Proben entnommen, von den einzelnen Arbeitsplätzen vor den Fenstern sowie von der Wand der Werkstatt. Dem Staub sind Metallpartikelchen (Eisenfeilspäne) beigemischt. Sämtliche Tiere blieben gesund und ergaben am S. X. 1902 ein negatives Sektionsresultat. Bei 2 Tieren wurden Verwachsungen der Därme und der Leber an die Bauchwand beobachtet. X. 5. VI. 1902. Kammgarnspinnerei. Nachmittags während der Arbeit. Es wurden 9 Proben entnommen, welche sämtlich starke Beimengungen von Wollfasern enthielten. 1. Kämmerei im Erdgeschoß. 2. Kämmerei im Erdgeschoß. 3. Spinnerei im I. Stockwerk. 4. Spinnerei im II. Stockwerk. 5. Spulenraum im III. Stockwerk. 6. Spulenraum im III. Stockwerk. 7. Gartenhaus, II. Stock (Frühstücksraum für Arbeiter). 8. Durchgang für Arbeiter im Parterre. 9. Durchgang für Arbeiter im I. Stock. Ein Tier stirbt spontan am 15. VI. 1902, die anderen werden am 15. X. 1902 mit Chloroform getötet. Sektionsbefund bei allen negativ. XI. 16. VI. 1902. Saal der neuen Börse. Nachmittags während des Aufräumens und Reinigens. 10 Staubproben von: 1. Hölzerner Schrank an der Eingangstür von der Garderobe aus. 2. Pfeilerreihe, rechterseits vom Eingang über den Bänken. 3. Leiste über dem Schalter für Telegramm-Ausgabe. 4. Leiste über dem Schalter für Telegramm-Annahme. 5. Obere Leiste eines Kastens für Kurszettel. 6. Obere Leiste eines zweiten Kurszettelkastens. 7. Pfeiler der Kurszettelwand. 8. Pfeiler der gegenüberliegenden Wand an der Garderobe. 9. Anschlagskasten i n der Garderobe. 10. Derselbe (andere Stelle). Sämtliche Tiere bleiben gesund und ergeben am 16. X. 1902 ein negatives Sektionsresultat.

Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Räumen

265

X I I . 26. X I . 1902. Straßenstaub von der Tiergartenstraße in Kopfhöhe entnommen, nach vorhergegangener mehrwöchentlicher Trockenheit. Zehn Staubentnahmen von: 1—6. Zaunsattel und Rosetten des Gitterzaunes der Klinik für Hautkrankheiten. 7. Kandelaber vor der chirurgischen Klinik. 8. Kandelaber an der Hansastraße. 9. Ebenso auf der gegenüberliegenden Seite. (In letzterer Probe findet sich eine deutliche Beimengung von Ziegelstaub von dem in der Nähe befindlichen Neubau herrührend.) 10. Kandelaber am alten Depot der städtischen Straßenbahn. Um eine Anschauung über die im flugfähigen Straßenstaub vorkommenden Arten von Spaltpilzen zu gewinnen, werden neben der Tierimpfung auch Agarplatten unter Anwendung des K r u s e sehen Pinsels mit dem Staube bestrichen. Es wuchsen wesentlich Heubazillen, nur sehr spärliche Luftkokken. Drei der geimpften Tiere starben spontan; Nr. 10 an malignem Odem am 28. X I . 1902; Nr. 6 und 7 am 29. X I . 1902 an akuter Peritonitis: Ödem der Bauchdecken, Rötung und Schwellung des Peritoneums, das hier und da mit einigen weißlichen Flöckchen bedeckt ist, starke Injektion der Intestina. Die übrigen sieben werden am 23. I I I . 1903 mit Chloroform getötet und ergaben ein negatives Sektionsresultat. Das negative Resultat in diesem Versuch stand nach C o r n e t s 1 Erfahrungen und zahlreichen Versuchen anderer Autoron zu erwarten. — Nur in einem Falle sollen solche Untersuchungen des Straßenstaubes ein positives Resultat gezeitigt haben: E s sind dies die Versuche von Marpmann, 2 welcher im Leipziger Straßenstaub an einem sehr frequentierten Knotenpunkt Tuberkelbazillen gefunden haben will. Jedoch sind seine Befunde als völlig wertlos anzusehen. Denn einmal sind die Art der. Entnahme (Zusammenschaben mit Kartenblättchen), ferner die Entnahmestellen („Fußweg, Rinnstein, Fahrstraße") durchaus nicht einwandfrei; denn die Stellen waren vor direktem Kontakt mit Sputum bzwAuspucken nicht geschützt, und es lag in keiner Weise Sicherheit vor, daß die entnommene Probe auch wirklich f l u g f ä h i g e r Staub war. Andererseits gründet sich der Nachweis lediglich auf die mikroskopische Feststellung von „ B a z i l l e n r e s t e n " in dem durch Digerieren und Kotieren vorbehandelten und mit Chemikalien gemischten Staub, aus dem Marpmann nach einstündiger Sterilisierung(!) in Nährbrühe Tuberkelbazillen auf Agar in Sauerstoffatmosphäre (!) herausgezüchtet haben will. Eine Meerschweinchenimpfung ist in seiner Publikation nicht erwähnt. E s ist zu bedauern, daß diese durchaus unzureichenden Untersuchungen immer wieder in der Literatur zitiert und zu Schlußfolgerungen verwertet werden. X I I I . 22. X I I . 1902. Medizinische Männerpoliklinik, nachmittags nach Schluß der Sprechstunde. Sieben Staubentnahmen von: 1. Kleiderständer neben der Chaiselongue, auf welcher die Patienten untersucht werden. 1 2

Cobnet, Die Tuberkulose. Wien 1899. S. 48. Marpmann, Centralblatt für Bakteriologie. Bd. 14.

S. 229.

266 2. Paravant an derselben Stelle. 3. Fensterbrett an derselben Stelle. 4. Umgebung des Spucknapfes (Wand und Fußboden). 5. Apparat zu gymnastischen Zwecken. 6. Instrumentenschrank. . 7. Schreibtisch, an dem die Ordinationen gegeben werden. Ausstriche auf Agarplatten ergaben einen ähnlichen Befund wie im vorigen Falle. Drei Tiere starben vorzeitig, die übrigen wurden am 18. III. 1903 getötet. Sämtliche Tiere ergaben ein negatives Sektionsresultat. XIV. 23. XII. 1902. Medizinische Frauenpoliklinik, nachmittags nach Schluß der Sprechstunde. 6 Staubentnahmen von: 1. Instrumentenschrank dicht an der Untersuchungschaiselongue. 2. Bordbrett an der Wand neben dem Waschtisch. 3. Spiegel über dem Waschtisch. 4. Schrank neben einer anderen Chaiselongue. 5. Von derselben Stelle wie in Nr. 4. 6. Portiere dicht am Spueknapf. Zwei Tiere starben vorzeitig, die anderen werden am 20. III. 1902 getötet. Sektionsresultat bei allen negativ. XV. 3.1.1903. Staubentnahme in einer Baumwollspinnerei. Nach Angabe des Direktors sind Erkrankungen und Todesfälle an Phthise, besonders unter den Arbeiterinnen nach vorausgegangenen Geburten vorgekommen. Es wurden 6 Staubentnahmen von den verschiedenen Arbeitsplätzen in Kopfhöhe gemacht. Dem Staub sind reichlich Baumwollfasem beigemischt. Drei Tiere starben spontan, zwei am 1. I. 1903, eines am 8.1. 1903. Das erste zeigte hämorrhagische Exsudate im Pleuraraum und Bauchhöhle. Im mikroskopischen Präparat und auf Agarplatten kurze Stäbchen mit Polfärbung, nach G R A M entfärbt. Das zweite ergab keinen pathologischen Befund, daB dritte beiderseitige Pneumonie. Die anderen drei wurden am 20. HI. 1903 mit Chloroform getötet und ergaben ein negatives Sektionsresultat. Insgesamt wurden also 119 Tiere geimpft, von denen 21 ( = 1 7 - 6 Prozent) an Sekundärinfektion vorzeitig zugrunde gingen. Die übrigen 98 überstanden die Impfung gut und kommen allein für das Untersuchungsresultat in Betracht. D i e Tierverluste waren also auch hier relativ gering. Jedoch erscheint es mir n a c h meinen Erfahrungen nicht berechtigt, aus dieser niedrigen Ziffer, wie WAGNEB1 es tut, einen Schluß auf besondere hygienische Einrichtungen der untersuchten E ä u m e ziehen zu wollen. Der gänzlich n e g a t i v e Ausfall der Versuche beweist nicht, daß in öffentlichen Lokalen absolut keine Infektionschancen bestehen, sondern nur, daß dieselben relativ sehr geringe, offenbar minimal kleine sind. Die Versuchsreihe war nur entsprechend der in öffent1

F.

WAGNEB,

Inaug.-Dissertation.

Zürich 1903.

Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Bäumen

267

liehen Räumen sicherlich sehr großen Verdünnung des tuberkulösen Kontagiums noch nicht ausreichend groß. Zweifellos besteht eine so hochgradige Verdünnung, die angesichts des Rauminhaltes derartiger Lokale (Wartesäle großer Bahnhöfe) und angesichts der doch nur vorübergehend dort befindlichen relativ geringen Anzahl phthisischer Personen, welche Sputum produzieren, so bedeutend erscheint, daß die Aussicht, dort in einigen Stichproben flugfähigen Stäubes lebende Tuberkelbazillen zu finden, ungefähr einer qualitativ bakteriologischen Luituntersuchung im Freien gleichkommen mag. Auch ist zu berücksichtigen, daß die Tuberkelbazillen in Form feinster Stäubchen eine relativ kurze Lebensdauer haben, und daß deshalb der ältere Staub nicht mehr den ursprünglichen Gehalt an Tuberkelbazillen aufweist. Sobald freilich im gleichen Raum die Zahl der Phthisiker zunimmt, oder auch der Raum, auf den sich das Sputum eines Phthisikers verteilt, entsprechend kleiner wird, dann erhält man auch positive Ausschläge bei der Untersuchung in Kopfhöhe abgelagerten Staubes. Das ist der Fall in Krankensälen und Privatzimmern von Phthisikern, wo ein weit größeres tuberkulöses Ausgangsmaterial für flugfähigen Staub dauernd auf einen kleinereu Raum zusammengedrängt ist, und doch betragen auch hier die positiven Resultate nur 8 Prozent der Proben. Um zahlenmäßig die Infektionschancen in öffentlichen Lokalen angeben zu können, erscheint mir neben einer Erweiterung der Versuchsreihe noch wichtig, in der Wahl des Entnahmeortes mehr elektiv zu verfahren* Offenbar wird dort eine Infektionsgefahr am ehesten zu erwarten sein, wo phthisisches Personal stundenlang sich in relativer Dichtigkeit findet, wo Spucknäpfe fehlen und das Sputum am Fußboden trocken und verstäubbar werden kann, und wo es endlich zur Bildung jener spezifisch leichtesten Stäubchen kommen kann, zu deren Ausstreuung derjenige Phthisiker Veranlassung gibt, der seine Hände, Kleidung und Taschenbuch mit Sputumresten beim Abwischen von Mund und Bart zu verunreinigen pflegt. Auch im Freien werden vermutlich die Chancen, Tuberkelbazillen anzutreffen, verschieden sein; in der Nähe von Heilanstalten, Polikliniken usw. besteht vielleicht eine gewisse Häufung; bisher sind diese Häufungen nicht nachweisbar; dazu sind größere Proben erforderlich und hierzu bedarf es wiederum einer Eliminierung der Begleitbakterien durch Desinfizientien, um vorzeitige Tierverluste zu vermeiden und so das Tiermaterial ausgiebiger verwerten zu können; mit Versuchen in dieser Richtung bin ich beschäftigt, und vielleicht dürften bei Anwendung solcher elektiver Methoden die Versuchsresultate wenigstens teilweise positiv ausfallen.

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F. Ootsohlich: Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von

Räumen

Nach vorstehenden Versuchen ist es gewiß n i c h t berechtigt, von einer U b i q u i t ä t der Tuberkelbazillen zu sprechen. Die entnommenen Staubproben bilden freilich nur einen relativ kleinen Bruchteil des ganzen in die oberen Luftschichten gelangten Staubes, und wenn solche Staubbildung sich Tag für Tag wiederholt, und fortgesetzt zahlreiche Menschen diese Luft atmen, so werden g e l e g e n t l i c h Infektionen trotz jener negativen Befunde vorkommen, und die Aufnahme von Tuberkelbazillen möglich sein, die den Stichproben entgehen. Aber andererseits ist zur Infektion mittels Einatmung von trocknen Stäubchen eine viel größere Menge von Tuberkelbazillen erforderlich, als zur Infektion eines Meerschweinchens durch intraperitoneale Impfung. — Erst bei d a u e r n d e m Aufenthalt in solchen. Räumen ändert sich die Sache, namentlich wenn in Bureaus, Fabriken usw. der dauernde Aufenthalt in der Nähe eines Phthisikers statthat. Hier ist der Staub ö r t l i c h u n g l e i c h w e r t i g , und die Nachbarn des phthisischen Arbeiters werden der Infektion am meisten exponiert sein. Hier darf allerdings die Gefahr nicht unterschätzt werden und es sind Schutzmaßregeln am Platze. Nicht allein die größeren Sputummassen müssen in Näpfe und Fläschchen aufgenommen werden, wozu verbrennbare Kartongefäße 1 weitaus am besten geeignet sind, sondern es muß auch gefordert werden, daß die stets tuberkelbazillenhaltigen Taschentücher der Phthisiker mit besonderer Vorsicht behandelt werden. Leinene Tücher dürfen nie länger als einen Tag getragefl werden; da das aber schwer zu kontrollieren ist, wäre es besser, in Arbeitsstätten usw. verbrennbare Papiertaschentücher zu benützen, von denen drei Stück jetzt zum Preise von einem Pfennig hergestellt werden und für einen Tag fast stets ausreichend sind. In Bureaus und Fabriken sollte die Verwendung dieser Tücher möglichst obligatorisch gemacht werden. Zur Beseitigung der Gefahr, die von jenen so sehr infektionstüchtigen tuberkelbazillenhaltigen Kleiderfäserchen ausgeht, würde endlich eine regelmäßig, etwa jeden Sonnabend nach Arbeitsschluß erfolgende Kleiderdesinfektion zu empfehlen sein, die sich mit Dampf oder Formaldehyd in schonendster und billiger Weise ausführen läßt. Im Rückblick auf die bisher gesammelten Erfahrungen über die Verbreitungsweise der Phthise läßt sich wohl behaupten, daß die Gefahr der Aufnahme von Tuberkelbazillen in der Nähe des Kranken, in seinem Zimmer, im Krankensaal, beim unmittelbaren Verkehr mit ihm außerordentlich viel größer ist, als in irgendwelchen öffent1

S.

unten die in Abschnitt IV abgedruckte Mitteilung von

FLÜGGE.

Fritz Hirstein: Lebensfähigkeit von Taberkelbazilllen im Staub

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liehen, auch noch so staubigen Lokalen. Die Gefahr der Bazillenaufnahme ist also nicht ubiquitär, und die Entscheidung über Infektion fällt nicht etwa allein der Disposition zu, sondern der Kranke bildet das Zentrum der Infektion. Die Tuberkulose muß, je weiter wir mit unserer Erkenntnis vordringen, immer schärfer als eine ausgesprochen kontagiöse Krankheit bezeichnet werden. Wer die Krankheit akquiriert, ist voraussichtlich mit einem Phthisiker für längere Zeit in nahe Berührung gekommen. Wer keine Gelegenheit hat, mit einem Phthisiker öfter nah zu verkehren, der hat nur sehr geringe Infektionschancen, auch dann, wenn er stundenweise öffentliche Lokale besucht und die üblichen Verkehrsmittel benützt.

14. Über die Dauer der Lebensfähigkeit von Tuberkelbazillen an flugfähigen Stäubchen.1 Von Dr. Fritz Hirstein, früherem I. Assistenten des hygienischen Instituts in Breslau, z. Z. Kreisarzt in Stettin. Daß der Tuberkelbacillus verstliubbar ist und daß Infektionen durch verstäubtes Sputum möglich sind, ist von einer .Reihe von Schülern FLÜGGES und von CORNET bewiesen. Um ein Bild von den Infektionschancen durch trockenen Sputumstaub zu gewinnen, hat bekanntlich zuerst CORNET 2 Staubprobeu aus Krankensälen, Privatwohnungen von Phthisikern auf Tuberkelbazillen untersucht und recht erhebliche Zahlen gefunden: in Krankenhäusern 47-6 Prozent, in Irrenanstalten 17-6 Prozent und in Privatwohnungen von Phthisikern 43-6 Prozent positive Resultate. Durch ausgedehnte und exakte Nachprüfungen von HEYMANN 3 hat sich jedoch gezeigt, daß CORNET bei seinen Versuchen keineswegs immer f l u g f ä h i g e n Staub vor sich hatte, der für das Zustandekommen einer Luftinfektion durch Sputumstaub in Betracht kommen. Unter Vermeidung der Versuchsfehler CORNETs fand HEYMANN in Krankenhäusern und in Privatzimmern von Phthisikern nur 8 Prozent positive Proben. Demnach ist die Infektionsgefahr in derartigen Räumen durch trockenen f l u g f ä h i g e n Sputumstaub doch bedeutend geringer, wie es nach den Untersuchungen von COUNET scheinen könnte. 1 2 3

Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 50. 1905. S. 186—214. CORNET, Ebenda. 1889. Bd. 5. HEYMANN, Ebenda. 1899. Bd. 30.

Fritz Hirstein: Lebensfähigkeit von Taberkelbazilllen im Staub

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liehen, auch noch so staubigen Lokalen. Die Gefahr der Bazillenaufnahme ist also nicht ubiquitär, und die Entscheidung über Infektion fällt nicht etwa allein der Disposition zu, sondern der Kranke bildet das Zentrum der Infektion. Die Tuberkulose muß, je weiter wir mit unserer Erkenntnis vordringen, immer schärfer als eine ausgesprochen kontagiöse Krankheit bezeichnet werden. Wer die Krankheit akquiriert, ist voraussichtlich mit einem Phthisiker für längere Zeit in nahe Berührung gekommen. Wer keine Gelegenheit hat, mit einem Phthisiker öfter nah zu verkehren, der hat nur sehr geringe Infektionschancen, auch dann, wenn er stundenweise öffentliche Lokale besucht und die üblichen Verkehrsmittel benützt.

14. Über die Dauer der Lebensfähigkeit von Tuberkelbazillen an flugfähigen Stäubchen.1 Von Dr. Fritz Hirstein, früherem I. Assistenten des hygienischen Instituts in Breslau, z. Z. Kreisarzt in Stettin. Daß der Tuberkelbacillus verstliubbar ist und daß Infektionen durch verstäubtes Sputum möglich sind, ist von einer .Reihe von Schülern FLÜGGES und von CORNET bewiesen. Um ein Bild von den Infektionschancen durch trockenen Sputumstaub zu gewinnen, hat bekanntlich zuerst CORNET 2 Staubprobeu aus Krankensälen, Privatwohnungen von Phthisikern auf Tuberkelbazillen untersucht und recht erhebliche Zahlen gefunden: in Krankenhäusern 47-6 Prozent, in Irrenanstalten 17-6 Prozent und in Privatwohnungen von Phthisikern 43-6 Prozent positive Resultate. Durch ausgedehnte und exakte Nachprüfungen von HEYMANN 3 hat sich jedoch gezeigt, daß CORNET bei seinen Versuchen keineswegs immer f l u g f ä h i g e n Staub vor sich hatte, der für das Zustandekommen einer Luftinfektion durch Sputumstaub in Betracht kommen. Unter Vermeidung der Versuchsfehler CORNETs fand HEYMANN in Krankenhäusern und in Privatzimmern von Phthisikern nur 8 Prozent positive Proben. Demnach ist die Infektionsgefahr in derartigen Räumen durch trockenen f l u g f ä h i g e n Sputumstaub doch bedeutend geringer, wie es nach den Untersuchungen von COUNET scheinen könnte. 1 2 3

Veröffentlicht: Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 50. 1905. S. 186—214. CORNET, Ebenda. 1889. Bd. 5. HEYMANN, Ebenda. 1899. Bd. 30.

270 Neuerdings suchte nun GOTSCHLICH 1 über die Infektionschancen in Räumen, welche dem öffentlichen Verkehre dienen und in welchen sich gelegentlich auch Phthisiker aufhalten, Aufschluß zu gewinnen. Die Versuche wurden nach Analogie derjenigen von HEYMANN unter sorgfältiger Auswahl der Entnahmestellen der Staubproben vorgenommen, so daß nur flugfähiger Staub zur Verwendung kam. In 119 Staubproben von 15 verschiedenen Räumlichkeiten konnte jedoch GOTSCHLICH kein einziges Mal Tuberkelbazillen nachweisen. Die Infektionschancen scheinen demnach in derartigen Räumen (Wartesäle großer Bahnhöfe u. dgl.) relativ geringe zu sein, jedenfalls zum Teil bedingt durch die hochgradige Verdünnung des ausgestreuten Virus. Andererseits ist zu bedenken, daß bei GOTSCHLICH s Versuchen nur kleine Bruchteile des vorhandenen Staubes zur Untersuchung kamen, und daß daher eine experimentelle Prüfung der Lebensdauer der Tuberkelbazillen in der Form feinster Stäubchen für ein zuverlässiges Urteil über die Größe der Infektionsgefahr durch tuberkelbazillenhaltige Stäubchen nicht zu entbehren ist. In einer früheren Arbeit 2 hatte ich die Beantwortung dieser Frage bereits ins Auge gefaßt; jedoch habe ich damals aus äußeren Gründen nur orientierende Vorversuche mit Prodigiosusbazillen und Staphylokokken ausführen können. Ich habe daher um so lieber eine Anregung des Herrn Geheimrat FLÜGGE, diese Versuche wieder aufzunehmen, Folge gegeben.

Da vermutlich die Lebensdauer der Tuberkelbazillen von der Qualität des als Vehikel dienenden Staubes nicht zum geringen Teil abhängig ist, wurden verschiedene Methoden eingeschlagen, tuberkelbazillenbehaftete Stäubchen zu gewinnen. Die Versuche zerfallen in 4 Kategorien: 1. Versuche mit flugfähigem, mit feinsten tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen beladenem Aktenstaub; 2. Versuche mit feinstem tuberkelbazillenhaltigem Sputumstaub; 3. Versuche mit feinsten tuberkelbazillenbehafteten Kleiderfasern ; 4. Versuche mit feinstem tuberkelbazillenbehaftetem Straßenstaub. Den Versuchen sub 1. lag der Gedanke zugrunde festzustellen, ob und wie lange von feinstem flugfähigen Staube, auf den von 1 GOTSCHLICH, Die Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staub von Bäumen mit starkem Menschen verkehr. Inaug.-Dissertation. Breslau 1903. 2 KIRSTEIN, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1902. Bd. 39.

271

Phthisikern feinste tuberkelbazillenhaltige Tröpfchen ausgesät werden, nach der Ausstreuung der letzteren eine Infektionsgefahr zu befürchten ist Bei der Anstellung der Versuche sub 1. wurde folgendermaßen vorgegangen: Aktenstaub von hiesigen Gerichten wurde fein gesiebt. Der feinste Anteil dieses Staubes kam in eine Saugflasche. Von hier aus wurde der Staub vermittelst eines Blasebalges durch eine zweite leere Saugflasche und von da endlich in eine Glasglocke getrieben, welche auf eine Mattscheibe luftdicht aufgesetzt war. Unter der Glasglocke befand sich eine runde Scheibe, welche 12 bis 14 gewöhnliche, gereinigte Objektträger trug. Diese waren dazu bestimmt, den in der angegebenen Weise in seine feinsten Bestandteile zerlegten Staub aufzufangen. Es wurde nun so lange Staub in die Glasflasche übergetrieben, bis die ausgelegten Objektträger vollkommen mit dem Staube bedeckt waren. Auf diese Weise wurden nacheinander 40 Objektträger mit einer dichten Lage feinsten Staubes bedeckt. Es blieb noch übrig, die so beschickten Objektträger einem feinsten tuberkelbazillenhaltigen Spray auszusetzen. Zu diesem Zwecke kamen die mit den Objektträgern beladcnen Scheiben in einem Glaskasten von 70 cm Höhe, 60 cm Breite und 50 cm Tiefe. In der Mitte einer Seitenwand befand sich eine Öffnung, durch welche der tuberkelbazillenhaltige Spray durch ein Glasrohr eingeführt wurde. In einer gegenüberliegenden Ecke befand sich eine zweite Öffnung, durch welche die eingetriebene, mit feinsten Tröpfchen beladene Luft abströmen konnte. Letztere gelangte mittels eines durch einen Fensterrahmen geführten Glasrohrs direkt ins Freie. Auf dem Boden des Kasteps waren außer den Scheiben mit den staubbeladenen Objektträgern noch einige Deckgläschen deponiert, welche zur Kontrolle der Art und der Zahl der aufgefallenen tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen dienten. Der erste derartige Versuch wurde am 10. XII. 1902 vorgenommen. Zur Versprayung gelangte ein tuberkulöses Sputum ( G A F F K Y S Tabelle Nr. VIII). Dasselbe wurde mit drei Teilen Wasser verdünnt und durch Schütteln mit Quarzsand in eine homogene Masse verwandelt. Nachdem noch zwei Meerschweinchen zur Kontrolle mit der Sprayflüssigkeit infiziert worden waren, wurde die Verspritzung mit dem B Ü C H N E R sehen Zerstäuber vorgenommen. Der tuberkelbazillenhaltige Spray wurde von letzterem direkt ohne Schlauchverbindung in den Kasten geleitet. Die auf diese Weise produzierten Tröpfchen sind von solcher Feinheit, daß ihr Einströmen höchstens als schwacher Nebel wahrgenommen wird. Es wurden auf diese Weise einige Kubikzentimeter der Sputumflüssigkeit verspritzt. Nach Beendigung der Versprayung zeigten sich die Kontrolldeckgläschen mit vereinzelten Tuberkelbazillen gleichmäßig bedeckt, so zwar, daß auf 20 bis 30 Gesichtsfelder ein Tuberkelbacillus kam.

272

Fritz

Kirstein

Die aufgefallenen Tröpfchen beherbergten meist nur einen, selten mehrere Bazillen, und zwar waren die feinsten Tröpfchen so klein, daß ihr Durchmesser durch die Länge des verspritzten Tuberkelbacillus dargestellt wurde. An ihn schloß sieh die blau gegengefärbte Tröpfchenmasse als kreisförmige Fläche an. Zur Feststellung der Dauer der Lebensfähigkeit der an dem feinsten Staub haftenden Tuberkelbazillen wurde in zweifacher Weise verfahren. Einmal wurde in bestimmten Intervallen nach Besprayung des Staubes mit tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen derselbe ohne weiteres auf lebensfähige Tuberkelbazillen hin untersucht. In einer zweiten Versuchsreihe wurde der in dieser Weise infizierte Staub in denselben Intervallen daraufhin geprüft, ob seine flugfähigen Bestandteile nach Fortführung durch Luftströme von bekannter Stärke noch lebensfähige Tuberkelbazillen trügen. Bei dem ersten Versuche wurden in Abständen von 2, 3, 5 und 8 Tagen die staubbedeckten besprayten Objektträger, welche — wie in allen übrigen Versuchen — während der ganzen Versuchszeit in dem Glaskasten dem diffusen Tageslichte ausgesetzt waren, in folgender Weise untersucht: Zunächst wurden an jedem Termine je zwei Objektträger mit 15 ccm Nährbrühe abgeschwemmt und von der schwärzlich aussehenden Flüssigkeit je 5 ccm einem Meerschweinchen intraperitoneal einverleibt. Zur Prüfung der Lebensdauer der Tuberkelbazillen an den f l u g f ä h i g e n Stäubchen, welche jeweils an denselben Terminen vorgenommen wurde, war eine besondere Versuchsanordnung erforderlich, die in folgender Weise getroffen wurde. Dieselbe schloß sich an die schon von N E I S S E R 1 getroffene Versuchsanordnung an. In einer Flasche b wurde der infizierte Staub von den Objektträgern abgeschüttelt und von hier aus durch einen Luftstrom von bekannter Stärke in eine senkrecht stehende Blechröhre o entgegen der Schwere weitergeführt. Die nachströmende Luft mußte zuvor (vgl. Fig. 14) die Flasche a , eine Saugflasche, passieren, in deren Hals eine zum Schutze gegen Verunreinigungen mit Watte versehene Glasröhre eingelassen war. Der infizierte Staub wurde in einer 15 ccm physiologischer Kochsalzlösung enthaltenden Waschflasche d aufgefangen. An letztere schloß sich eine mit Schwefelsäure gefüllte Flasche e an, welche etwa mitgerissene Tuberkelbazillen abfangen sollte. Eine leere Flasche f verband diese mit einem Wasserturme g. Durch entsprechende Stellung des Ausflußhahnes desselben konnte die Geschwindigkeit des Luftstromes in der Röhre e auf genaue Weise bestimmt werden. Die zum ersten Versuche verwendete Blechröhre war 1 m lang und hatte einen Durchmesser von 4 cm. Die Geschwindigkeit des Luftstromes in der Röhre berechnet sich leicht aus der pro Sekunde abfließenden Wassermenge, geteilt durch den Querschnitt der Röhre. 1

Siehe S. 182.

Lebensfähigkeit von Tuberkelbazilten im Staub

273

Im ersten Versuche wurde die abfließende Wassermenge so reguliert, daß in der Rohre eine Geschwindigkeit des Luftstromes von 8 cm pro Sekunde den Staub transportierte. Es wurde also ein ziemlich starker Luftstrom gewählt.

Fig. 14. Apparat zum Aufsaugen feinster flugfähiger Stäubchen. a Flasche für die nachströmende Luft, b Schüttelflasche, c Aspirationsrühre, d Waschflasche, e Flasche mit konz. Schwefelsäure, f leere Flasche, g Wasserturm. Die schon nach kurzer Zeit durch den aspirierten Staub trübe gewordene Waschflüssigkeit wurde nach Beendigung der Aspiration auf drei Meerschweinchen durch intraperitoneale Injektion verteilt. FLÜGGK, T u b e r k u l o s e

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274

Fritz Kirstein • ® a) fl bB , d n t a? s 2 § ® 0.2 M N w - h (u sm -g I 3f> So a j a o g 'a M 'S' H3 •s o s : c 3 S a — 2 X g. S . g o 00 ri -u ~Eh § £ TO N " S ® oM 's __ N ^ 3 " a) H w fl S fijsll S s .s 0 dp^ a O ¿2 5 O m - . a> ^ Ss31 « ai' •uCO ® 'g®m ® ¿A f =3-2^43 a a H autraj OJ U n-i — y — JS ^ ËP < to 'a ^ ÎOSo32 03 * S S-« a 03 -S-B-S §"= S .421-5 "3 cD ¿ S •a'S ,2 oa S .S ~ â) à3(U o O S 13 -a H P3Sa m a S> ^_ oa ri -a f61 fl 2 ho p o ce 0 3 rt 2 ci S« I§ S0 0 a1 aeh» an Eh H—CO 02 a -i— œ X « -H 0^1 g 3® >

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Es zeigt sich also, daß e r s t nach 14 T a g e n die T u b e r k e l b a z i l l e n sowohl in der abgelagerten Staubmasse wie in dessen feinstem durch geringste Luftströme flugfähigen Anteil a b g e s t o r b e n waren; nach 8 Tagen wurden in beiden Fällen noch lebensfähige Tuberkelbazillen angetroffen. In meiner oben zitierten Arbeit ist angegeben, daß die mit feinsten Tröpfchen verspritzten Tuberkelbazillen durchschnittlich 5 Tage nach der Verspritzung abgestorben seien. Die drei neuerdings angestellten Versuche haben jedoch ergeben, daß die Grenze des Absterbens doch noch weiter hinauszurücken ist, daß also ein Absterben häufig erst 8 bis 14 Tage nach der Verspritzung erfolgt. Wie erklären sich diese divergierenden Resultate? Nach Ausweis der mikroskopischen Präparate dürfte in der. Tröpfchengröße und transportierten Bazillenmenge der Grund nicht zu suchen sein. Beide Male glaube ich die feinsten überhaupt zu gewinnenden Tröpfchen erzielt zu haben, wenn auch auf verschiedene Weise. Die etwas abweichenden Resultate dürften vielmehr in folgendem begründet sein: Einmal sind die beiden früheren Versuche in Monaten mit längerer Tagesdauer — Oktober und März —, diese jedoch im Dezember, Januar und Februar angestellt. Zum andern wurden damals die bazillentragenden Tröpfchen auf .Glas, diesmal auf Staub aufgefangen. Gerade auf letzteren dürften nun manche Bazillen so gefallen sein, daß sie einen größeren Schutz gegen die Wirkung des diffusen Tageslichtes hatten. Endlich ist noch zu erwähnen, daß in den beiden ersten Versuchen die zwei den Ausschlag gebenden Meerschweinchen aus äußeren Gründen schon 50 bzw. 60 Tage nach der Infektion getötet wurden, während in diesem Versuche eine Tötung erst 3 bis 4 Monate aach der Infektion erfolgte. In einer Verschiedenheit der Tuberkelbazillenstämme dürfte der Grund für die Verschiedenheit der erhaltenen Resultate nicht zu suchen sein, da die letzten drei Versuche übereinstimmend ausfielen, obwohl jedesmal ein Sputum anderer Herkunft gewählt wurde. Jedenfalls dürfte jetzt daran festzuhalten sein, daß die mit f e i n s t e n T r ö p f c h e n v e r s p r i t z t e n T u b e r k e l b a z i l l e n im diff u s e n T a g e s l i c h t im a l l g e m e i n e n erst n a c h 8 bis 14 Tagen a b s t e r b e n , eine Dauer der Lebensfähigkeit, welche von keinem bekannten Krankheitserreger (abgesehen von gewissen pathogenen

281 Kokken und Bakteriensporen) auch nicht annähernd erreicht wird (vgl. Tabelle X V I meiner oben zitierten Arbeit). Diese Tatsache läßt die Bedeutung der Tröpfcheninfektion für die Ausbreitung der Tuberkulose durch Staub erheblioher erscheinen, als man bisher annahm. Die z w e i t e K a t e g o r i e der Versuche hatte die Beantwortung der Frage nach der Lebensdauer der in f e i n s t e n S p u t u m s t ä u b c h e n eingeschlossenen Tuberkelbazillen zum Gegenstand. Die Gewinnung feinsten tuberkulösen Sputumstaubes hatte naturgemäß einige Schwierigkeit und wurde in folgender Weise erzielt: Feiner steriler Quarzkies wurde auf einer etwa 40 em langen und 20 cm breiten Glasplatte in einer etwa '/s cm hohen Schicht aufgetragen. Auf der-

Fig. 15. Apparat zur Gewinnung feinen Sputumstaubes. a Doppelgebläse, b Zerstäubungsflasche, e Glasglocke zum Auffangen des gewonnenen Staubes, d Kupferspirale. selben wurden ca. 200 ccm tuberkelbazillenhaltigen Sputums (GAFFKYS Tabelle Nr. IX) in ziemlich dicker Schicht ausgebreitet. Letzteres haftete nach achttägiger Aufbewahrung bei Zimmertemperatur dem Quarzsand fest an. Nun wurde die ganze Masse mit einem Messer vorsichtig von der Glasplatte gelöst, was ziemlich leicht und ohne sichtbare Staubentwicklung gelang. Darauf wurde die Masse in eine Literflasche, in welcher durch Schütteln Sputumstäubchen sich bilden sollten, gebracht und noch 2 Tage in einem Brutschrank bei 30° C aufbewahrt. In letzterem waren zwecks energischer Trocknung eine Reihe von Schalen mit Chlorcalcium ausgestellt. D i e Gewinnung und das Auffangen des feinsten Sputumstaubes wird durch die beigegebene Fig. 15 erläutert. D i e die angetrocknete

282

Fritz

Hirstein

Sputummasse enthaltende Zerstäubungsflasche b ist mit einem Kautschukgebläse a und mit einer Glasglocke c verbunden, unter welcher sich wieder eine Reihe von Objektträgern zum Auffangen der Stäubchen befinden. Trotz kräftigen Schütteins löste sich bei den ersten Stößen nichts von dem angetrockneten Material los. Erst allmählich entstand bei weiterem energischen Schütteln ein ganz feiner weißlicher Staub, und zwar jetzt in ziemlichen Mengen. Derselbe wurde mit Hilfe des Doppelgebläses o in die Glasglocke c übergetrieben und setzte sich zum größten Teil auf den am Boden derselben befindlichen 13 Objektträgern ab. Die entweichende tuberkelbazillenhaltige Stäubchen führende Luft mußte zunächst eine im Glühen erhaltene Kupferspirale d passieren und wurde dann in einen durch eine Lockflamme erwärmten Abzugskanal geführt. Auf die geschilderte Weise waren nach verhältnismäßig kurzer Zeit die exponierten Objektträger mit einer dichten Lage gelblichweißen Sputumstaubes bedeckt. Im ganzen wurden so am 14. Februar 1903 viermal 13 Objektträger mit tuberkulösem Sputumstaub beschickt. Dieselben wurden analog den ersten Versuchen in dem Glaskasten dem diffusen Tageslichte ausgesetzt. Direkte Besonnung war ferngehalten. Es sei generell hier bemerkt, daß bezüglich der Belichtung in allen folgenden Versuchen dieselben Bedingungen vorlagen. Die mit dem Sputumstaub hergestellten Deckglaspräparate zeigten wohlerhaltene Tuberkelbazillen, die zum Teil einzeln lagen, häufiger jedoch zu kleinen Häufchen von 4 bis 10 Bazillen zusammengelagert waren. Außerdem sah man Kokkenhäufchen, nicht mehr scharf umschriebene Zellkerne und kleinste Quarzpartikel in den Präparaten. Unmittelbar nach Beendigung der Zerstäubungen wurden drei Meerschweinchen mit dem Sputumstaub von drei Objektträgern intraperitoneal infiziert. In Intervallen von 2, 6, 12 und 25 Tagen wurden die weiteren Prüfungen auf die Lebensdauer der Tuberkelbazillen in den gewonnenen Stäubchen in der für die Versuche der ersten Kategorie bereits beschriebenen Weise ausgeführt Zum Transport der Stäubchen wurde in diesen wie in allen folgenden Versuchen die Geschwindigkeit eines Luftstroms von 3 bis 4 mm in der NEISSEBschen Röhre innegehalten. Das Ergebnis des Versuchs gibt die folgende Tabelle IV wieder. Die Tabelle zeigt also, daß nur die K o n t r o l l t i e r e tuberkulös wurden, daß jedoch die T u b e r k e l b a z i l l e n in den nur 2 T a g e g e l a g e r t e n S t ä u b c h e n bereits a b g e s t o r b e n waren. Dieser auffallende Befund dürfte wohl darin zu suchen sein, daß eine relativ lange Zeit zum Trocknen der Sputummasse verwendet, femer auch darin,

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Lebensfähigkeit

von Tuberkelbazillen

im Staub

293

Zusammenfassung und Schlußbemerkungen. Am Schlüsse meiner oben zitierten Arbeit, welche sich hauptsächlich mit der Dauer der Lebensfähigkeit von mit feinsten Tröpfchen verspritzten pathogenen Bakterien beschäftigte, glaubte ich auf Grund einiger Befunde einer relativ längeren Lebensdauer von Prodigiosus und Staphylokokken in Staub- als in Tröpfchenform zu der Annahme berechtigt zu sein, daß die Tuberkelbazilleri in den aus trockenen Sputummassen hervorgegangenen Stäubchen ihre Lebensfähigkeit länger bewahren, als wenn sie mit feinsten Tröpfchen verschleppt wurden. Die damalige Versuchsanordnung war jedoch nicht derart, daß gröbere, nicht flugfähige Stäubchen mit Sicherheit ausgeschaltet wurden. Durch die oben beschriebene, im hiesigen Institut getroffene Versuchsanordnung konnte der flugfähige Staubanteil, in einfacher Weise von dem übrigen getrennt, zur Untersuchung gelangen. Die nunmehr zum Abschluß gebrachten Versuche, welche, soweit sie flugfähige Stäubchen betreffen, in folgender Tabelle Nr. IX übersichtlich zusammengestellt sind, entsprachen indes nicht ganz der früheren Auffassung. T a b e l l e IX. Dauer der Lebensfähigkeit von Tuberkelbazillen an bzw. innerhalb flugfähiger Stäubchen. Art des

Staubes

Mit feinsten tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen infizierter Aktenstaub. Tuberkelbazillenhaltiger Sputumstaub. Tuberkelbazillenbehaftete Kleiderfasem. Tuberkelbazillenbeliafteter Straßenstaub.

Zeitpunkt des Absterbens der an flugfähigen Stäubchen haftenden Tuberkelbazillen nach der Zerstäubung1 Zwischen 8 und 14 Tagen Zwischen 4 und 7 Tagen Zwischen 5 und 10 Tagen Zwischen 3 und 8 Tagen

Die Versuche haben also das überraschende Ergebnis gehabt, daß die Lebensdauer der Tuberkelbazillen innerhalb bzw. an flugfähigen Stäubchen eine ziemlich engbegrenzte ist. Es ist jedoch zu bedenken, daß sich die gefundenen Werte auf die im diffusen Tageslicht gehaltenen Stäubchen beziehen, für die 1

Die „links" stehende Zahl bedeutet noch p o s i t i v e s , die „rechts" stehende dagegen n e g a t i v e s R e s u l t a t beim Tierversuch.

294

Fritz Kir stein: Lebensfähigheit von Tuberkelbazillen im Staub

wenig belichteten bzw. in dunklen Bäumen befindlichen Stäubchen ist eine entsprechend längere Lebensdauer der daran haftenden Tuberkelbazillen anzunehmen, wie dies ja bereits für die mit feinsten Tröpfchen verspritzten im Kellerdunkel gehaltenen Tuberkelbazillen von mir nachgewiesen ist. Von Interesse ist die Tatsache, daß diejenigen Stäubchen am längsten lebensfähige Tuberkelbazillen aufwiesen, welche vermittelst feinster Tröpfchen damit behaftet wurden. Bisher nahm man an, daß die Tuberkelbazillen, welche durch beim Husten usw. verspritzte Tröpfchen ausgestreut wurden, nach ihrem Niederfallen nicht mehr die Gefahr der Luftstaubinfektion böten. Dies ist sicherlich zutreffend, wenn die Bazillen mit den Tröpfchen auf blanke Flächen aufgefallen waren, an denen sie je festhaften, nicht aber, wenn sie, wie in unseren Versuchen, auf feinste flugfähige Stäubchen trafen. Das letztere dürfte unter praktischen Verhältnissen nicht selten vorkommen. Von diesem Gesichtspunkte aus erfahren auch manche positiven Resultate bei Staubentnahmen in Privatzimmern und Krankensälen von Phthisikern eine andere Beleuchtung. Unter den positiven Staubproben, die dabei von den Autoren gefunden wurden, dürfte sich wohl auch die eine oder andere befinden, welche auf die geschilderte Weise sekundär zum Träger von Tuberkelbazillen geworden ist. Daß für die Tuberkelbazillen in flugfähigen Sputumstäubchen, an flugfähigen Kleiderfasern und Straßenstäubchen eine geringere Dauer der Lebensfähigkeit als an den durch Tröpfchen infizierten Stäubchen konstatiert wurde, erklärt sich wohl so, daß die meisten Tuberkelbazillen unter dem Einflüsse der vorausgehenden notwendigen Trocknung und der Zerkleinerung ihres Vehikels stark geschädigt werden. Unter den flugfähigen, durch mechanische Zertrümmerung hervorgegangenen infektiösen Stäubchen haben die von sputumbeschmutzter Kleidung und Taschentüchern herrührenden feineren Faserstäubchen noch mit am längsten lebensfähige Tuberkelbazillen gezeigt.

Noetel: Sputumreste

an der Kleidung des

Phthisikers

295

15. Die Bedeutung der Sputumreste an der Kleidung des Phthisikers.1 Von Oberarzt Dr. Noetel, z. Z. in Münster i. W.

Daß an den Kleidern unter Umständen Sputumreste haften, darf eigentlich ohne weiteres vorausgesetzt werden. Denn bei plötzlich eintretenden Hustenstößen, beim Einstecken der Taschentücher in die Tasche, beim Abwischen der Lippen mit der Hand werden bei vielen Phthisikern Sputumreste an die Kleider, vornehmlich an die Rockklappen und an die Taschenleisten abgewischt; von dort können^sie durch B e r ü h r u n g e n weiter verbreitet werden, oder sie trocknen auf den Kleidern an und werden durch allerhand Manipulationen, besonders bei der Reinigung der Kleider, in S t a u b f o r m abgelöst und erst nach mehr oder minder langem Schweben in der Luft in der Umgebung abgelagert. Bereits HEYMANN2 hat darauf hingewiesen, daß der flugfähige tuberkelbazillenhaltige Staub, den er in Krankenhäusern sammeln konnte, aus einem feinen Pulver oder wolligem Gespinst besteht, das sich unter dem Mikroskop vorzugsweise als ein Gewirr von feinsten, von der Patienten wasche und -kleidung losgelösten Fäserchen darstellte. Da im übrigen über die Häufigkeit und Menge des Vorkommens von Tuberkelbazillen an Phthisikerkleidern noch nichts bekannt ist, versuchte ich mir hierüber durch eine besondere Untersuchungsreihe eine gewisse Orientierung zu verschaffen. Das Material suchte ich in der armen Bevölkerung, wo naturgemäß am unvorsichtigsten mit dem Sputum umgegangen wird. Durch Vermittlung hiesiger Ärzte, denen ich dafür zu Dank verpflichtet bin, gelang es mir, sechs Phthisiker zu bewegen, mir ihre Kleider für kurze Zeit zu überlassen. Mehr Material konnte ich infolge des Mißtrauens der Bevölkerung nicht beibringen, doch werden wir sehen, daß die gewonnenen Versuchsergebnisse zur Beurteilung des Grades der vorliegenden Infektionsgefahr vollkommen ausreichen. Um von den Kleidern die an den Fasern haftenden trocknen Sputumreste zu gewinnen, deren Ablösung jedoch unter möglichst natürlichen Verhältnissen herbeizuführen, wurde folgendermaßen ver1 2

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 48. 1904. S. 13—17. HETMANK, Ebenda. Bd. 38.

296

Noetel

fahren: Die Kleidungsstücke wurden in einem Glaskasten von ca. 3 cbm Inhalt aufgehängt. Zwei nebeneinander liegende Scheiben dieses Kastens waren ersetzt durch sackartig zusammengenähte, mit der geschlossenen Seite dem Kasteninnern zugekehrte Streifen von Mosettigbatist. Den Boden des Kastens bedeckten vollkommen zwei große Glasscheiben. Dort, wo beide zusammenstießen, war an der einen eine ca. 5 cm im Durchmesser betragende halbkreisförmige Öffnung ausgeschnitten, unter dieser lag ein bei jedem Versuch erneutes Stück schwarzes Papier. Es wurden dann mit beiden in die Mosettigbatistsäcke gesteckten Händen die im Schrank aufgehängten Kleider gefaßt und mäßig, ohne gewaltsames Scheuern, aneinander gerieben. Es wurden stets die Rockspiegel, die Vorderflache des Rocks, die Taschenleisten und -klappen, sowie die speziell zur Aufnahme des Taschentuchs dienenden Taschen bearbeitet. Eine Stunde später, nachdem sich alle Fasern abgesetzt haben mußten, wurde durch ein kleines, nahe über dem Boden des Kastens angebrachtes Fenster ein an einem Stab befestigtes, starkes, rechteckiges Gummistück eingeführt, mit diesem der abgesenkte Staub auf das unter dem Ausschnitt liegende Glanzpapier zusammengekehrt, und letzteres vorsichtig herausgenommen. Dann wurden der Gummiwischer, die Plätten und die Batistsäcke sorgfältig mit Sublimat abgerieben und außerdem der Kasten mitsamt diesem Inhalt mit einer weit über das Erforderliche herausgehenden Formalinmenge desinfiziert. Das im wesentlichen aus feinen Fäserchen bestehende Material wurde in sterile Mörser gebracht, mit 5 ccm Bouillon aufgeschwemmt und so lange verrieben, bis der Staub die Kanüle der P B A V A Z sehen Spritze ungehindert passieren konnte. Von diesem Ausgangsmaterial wurden außerdem die 10- und 100 fache Verdünnung hergestellt. Je 1 oder 2 Meerschweinchen wurden darauf mit der Originalaufschwemmung ( = Originaltier), je 1 oder 2 andere mit der 10 fachen Verdünnung (= Yio Tier) bzw. mit der 100 fachen Verdünnung ( = V100 Tier) intraperitoneal injiziert. Eine Übersicht der Ergebnisse zeigt umstehende Tabelle. Das Resultat war überraschend. Die Kleidung von fünf Versuchspersonen enthielt durchweg reichlich virulente Tuberkelbazillen; die negativen Ergebnisse des 3. Versuchs mögen darauf zurückzuführen sein, daß die geschützt liegende Weste weniger der Beschmutzung ausgesetzt ist, Hose und Rock jedoch erwiesenermaßen nur einigemal getragen waren. Daß in den beiden ersten Versuchen die Verdünnungen stärkere Ausschläge gaben, dürfte auf die

Sputumreste an der Kleidung des Phthisikers

297

im Anfang nicht rationelle Behandlung des Ausgangsmaterials bei der Aufnahme in die Pravazspritze zurückzuführen sein; wurde dabei nicht mit besonderer Vorsicht verfahren, so setzten sich die reichlichen suspendierten Teile und mit ihnen etwa vorhandene Keime rasch wieder ab. Es ist durch diese Versuche wahrscheinlich gemacht, daß die täglich mit den Kleidern vorgenommenen Hantierungen, selbst die gewöhnliche Reinigung, eine reichliche Ablösung von tuberkelbazillenhaltigen Fasern bewirken werden. Ausdrücklich bemerkt sei, daß die untersuchten Kleidungsstücke keineswegs etwa grobe, deutlich erkennbare Sputumreste zeigten. In diesen dünnen, dem A u g e e n t z o g e n e n Schichten können sich die Tuberkelbazillen lange halten, das beweisen die Versuche 5 und 6, in denen das Material seit 3 und 5 Wochen angetrocknet war. — Die Versuchsergebnisse lassen ferner erkennen, daß wir die Kleidung wohl eines jeden einigermaßen reichlich Auswurf liefernden Phthisikers als reichlich mit Tuberkelbazillen imprägniert ansehen müssen; denn selbst der mit der Gefahr der Sputumverschleppung wohl vertraute und aufmerksame Phthisiker wird auf die Dauer seine Kleidung, namentlich die Taschen und Taschenränder von Sputumresten nicht frei halten können, wenn er den ärmeren Ständen angehörig, jahrelang denselben Rock, dieselbe Hose trägt. Wer aber gar, und das sind heutzutage noch weitaus die meisten, in der Beseitigung des Sputums achtlos ist, muß dasselbe an seinen Kleidern geradezu in gefährlicher Weise magazinieren. Wie schon erwähnt, geben die Kleiderfasern am ehesten zur Bildung f l u g f ä h i g e n Materials Anlaß. Es berührt daher eigentümlich, wenn man die Scheu vor dem trocknen Füllmaterial der Spucknäpfe vergleicht mit der gänzlichen Außerachtlassung dieser tatsächlich vorhandenen, sehr wichtigen tJrsprungsstätte für verstäubbares Kontagium. Aber nicht nur die Möglichkeit der Bildung flugfähigen Materials bei der Eeinigung macht die Vernichtung der an den Klieidern haftenden Tuberkelbazillen zur Pflicht, sondern mehr denn irgend ein anderes Vehikel sind Kleider (— und die Bettwäsche, die hier ohne weiteres mit einbegriffen werden kann —) geeignet zur Verschleppung der Phthise mittels Kontakte oder Staub auf völlig fremde Personen. Die Kleider werden dem Schneider zur Reparatur übergeben, sie werden nach dem Tode des bisherigen Inhabers von seinen Angehörigen benutzt oder weiter gegeben. Sie werden verkauft und infizieren den Käufer und dessen etwaige Abnehmer. In Fabriken können Arbeitskittel, von Mitarbeitern weiter getragen,

298

Noetel

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8. III. 1899 1 sehr verdächtig 8. III. 1899 Tuberkulose 88. III. 1899 wenig verdächtig 8. III. 1899 verdächtig 8. III. 1899 nicht verdächtig 9. III. 1899 verdächtig 10. III. 1899 nicht verdächtig 10. III. 1899 nicht verdächtig 12. III. 1899 Tuberkulose

4. V. 1899 negativ

30. IX. 1899 negativ

26. IV. 1899 28. IV. 1899 16.V. 1899 29. IX. 99. 19. XII. 99. Tuberkulose Tuberkulose Tuberkul. Tuberkul. Tuberkul. 16. Y. 1899 Tuberkulose i 16, V. 1899 i negativ 19. V. 1899 Tuberkulose 19. V. 1899 Tuberkulose 20. V. 1899 20. XI. 1899 negativ Tuberkulose 20. V. 1899 negativ 3. VII. 1899 negativ

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30. IX. 1899 Tuberkulose 6. VII. 1899 nagativ ]

1 Die in den ßnbriken angeführten Zahlen entsprechen den Tagen der Probeentnahme.

346

F. Herr und M. Berlinde

Diese wechselnden Befunde sind wohl zum größten Teil dadurch zu erklären, daß die Ausmerzung der hochgradig tuberkulösen Kühe mit verschiedener Sorgfalt geschieht. Besonders auffallend war das Verhalten der großen Sammelmolkerei Nr. 7 mit 100 Prozent tuberkelbazillenhaltiger Butter. Eine genaue Untersuchung der Herden hätte wohl Aufschluß geben können; doch war eine solche nicht ausführbar, da in der betreffenden Molkerei die Milch von etwa 50 großen Herden gesammelt wird. Genaue Erkundigungen bei den in Betracht kommenden Tierärzten verliefen insofern resultatlos, als von diesen angegeben wurde, daß eine besonders starke Verseuchung der Herden dieser Molkerei auch speziell mit Eutertuberkulose nicht vorliege, daß vielmehr die Herden dieser sowie der nicht tuberkelbazillenhaltige Butter liefernden Molkereien gleichmäßig verseucht seien. Allzuviel Wert möchten wir aber auf diese Angaben nicht legen, da eine genaue Durchmusterung aller in Betracht kommenden Herden von den Tierärzten nicht genommen ist. Nehmen wir aber an, daß alle Herden gleichmäßig verseucht und speziell auch Euter- und generalisierte Tuberkulose annähernd gleichmäßig verteilt seien, so bleibt es unerklärlich, daß die eine Molkerei stets tuberkulöse Butter liefert, die andere nur ausnahmsweise. Es mußte daher der Verdacht entstehen, daß in der A r t des M o l k e r e i b e t r i e b e s die Ursache für die widersprechende Erscheinung liege. Infolge dessen wurde die Molkerei Nr. 7 und Nr. 25 einer genauen Besichtigung während des Betriebes von dem einen von uns (HEER) unterzogen; insbesondere wurde auch darauf geachtet, ob nicht der am Schluß des Separierens in der Zentrifuge verbleibende Rahm ausgeschöpft und dem übrigen Rahm zugesetzt wurde. Es ließ sich jedoch keinerlei Abweichung, die auf das Ausscheiden bzw. Zurückhalten der Tuberkelbazillen hätte Einfluß haben können, nachweisen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die stets infektiöse Butter liefernde Molkerei bei gegen 40°, die einwandfreie Butter produzierende bei 28° zentrifugierte. Nun war zwar durch die Arbeiten von BANG, SCHEURLEN und OBERMÜLLFB bereits gezeigt, daß die Zentrifuge die Tuberkelbazillen nicht alle auszuschleudern vermag, doch schien es nicht unwesentlich, die Versuche nochmals unter besonderer Berücksichtigung gewisser Gesichtspunkte anzustellen. Zunächst sollte bei denselben der Temperatur, bei welcher die Prozedur vorgenommen wurde, besondere Beachtung geschenkt werden. Denn es war anzunehmen, daß bei intensiverer Entrahmung, unter dem Einfluß höherer Temperaturen, auch ein stärkeres Mitreißen der Bakterien, speziell' der

Über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter

347

Tuberkelbazillen in den Rahm stattfinden könnte. Zweitens aber sollten diese Versuche auch vollkommen den Verhältnissen, wie sie in den Molkereien vorliegen, entsprechen. Von den Untersuchungen von BANG (23), SCHEUELEN (21) und OBERMÜLLER (22) sind es eigentlich nur die von BANG, welche sich an die praktischen Verhältnisse anlehnen. Denn nur dieser benutzte zu seinen Versuchen Milch von tuberkulösen Kühen, während die beiden anderen Autoren künstlich mit Tuberkelbazillen infizierte Milch verwendeten. Es ist klar, daß die Versuche der letzten wohl allgemein wertvolle Anhaltspunkte für das Verhalten der Tuberkelbazillen in Milch während des Zentrifugierens geben, nicht aber auf die Praxis bedingungslos übertragbar sind; sind doch schon die Mengen der durch Suspendieren von Reinkulturen in die Milch gebrachten Tuberkelbazillen — bei SCHEUELEN 3 0 0 bis 1 0 0 0 in einem Gesichtsfelde — so groß, wie sie in Molkereibetrieben nie vorkommen. Weiterhin aber war auch die Dauer des Zentrifugierens und die Zahl der Umdrehungen — und zwar bei allen drei Untersuchungen — anders als bei den Alfascparatorcn, die jetzt allgemein in Molkereibetrieben angewendet werden. Die großen Separatoren, die SCHEÜRLEN auch benutzte, kamen bei seinen Untersuchungen über das Verhalten der Tuberkelbazillen nicht zur Verwendung. Es lag somit die Aufgabe vor, einige Versuche darüber anzustellen, wie sich die Tuberkelbazillen bei dem modernen Zentrifugenbetrieb bei Innehaltung verschiedener Temperaturen verhalten. Als orientierende Vorversuche sollten zunächst einige Untersuchungen über das Verhalten der gewöhnlichen Milchbakterien dienen, und zwar kam ein Alfaseparator, eine Handzentrifuge und das SWARTZ sehe Aufrahmverfahren zur Anwendung. In einer Molkerei wurden Milchproben während des Zentrifugierens entnommen, und zwar von der zulaufenden Vollmilch, der ablaufenden Magermilch und vom Rahm. Davon wurden sogleich Platten gegossen, und zwar stets mit einer bestimmten, bei allen Versuchen benützten Öse. Der Alfaseparator arbeitete mit 4600 Umdrehungen in der Minute. Bei den bei 28 und 40° angestellten Versuchen zeigte es sich nun, daß übereinstimmend mit den SCHEURLEN sehen Resultaten im Rahm bedeutend mehr Keime waren als in der Magermilch und oft noch mehr als in der Vollmilch. Dasselbe Resultat ergab sich bei Vollmilch, Magermilch und Rahm, wenn die Milch eine Minute lang bei 2400 bis 3000 Umdrehungen mit der Handzentrifuge behandelt wurde — die Versuche mit der Handzentrifuge wurden bei 11 und 35° angestellt.

348

F. Herr und M. Beninde

Es zeigte sich ferner, daß die Temperatur keinen wesentlichen Einfluß auf die Keimverteilung hat. Beim SWABTZ sehen Aufrahmungsverfahren war der Übergang der Bakterien in den Rahm ganz besonders stark. Das Verhältnis der Keimzahl war: im Eahm in der Magermilch im Bodensatz

111722 1365 4080.

Dabei sei bemerkt, daß die hohe Keimzahl im Eahm nicht etwa durch bewegliche Bakterien hervorgerufen wurde, sondern vorwiegend durch unbewegliche. War nun durch diese Versuche bestätigt, daß die Fettkügelchen bei jeder Art der Entrahmung die Bakterien mit sich reißen, so sollte der nächste Versuch darüber Aufschluß geben, ob dieses auch auf die Tuberkelbazillen zutrifft und in welche Teile der Milch und deren Produkte beim modernen Molkereibetrieb die Tuberkelbazillen besonders übergehen. In der Voraussetzung, daß in der Milch beider von uns näher untersuchten Molkereien stets Tuberkelbazillen sein mußten, war das Fehlen derselben in der einen und das dauernde Vorhandensein der Tuberkelbazillen in der anderen Butter nur dadurch zu erklären, daß in der einen Milch stets s e h r wenige, in der anderen stets sehr viele Bazillen sein mußten. Durch vergleichende Versuche mit beiden Sorten konnte man demnach hoffen zu erfahren, in welche Teile der Milch die Tuberkelbazillen hauptsächlich übergingen. Zu diesem Behuf wurde während des Separierens mit sterilen Flaschen Vollmilch, Magermilch, Rahm sowie später Schlamm, Butter und Buttermilch entnommen und von Schlamm nur etwa 1 / s ccm, von allen anderen Proben 3 bis 4 ccm auf je drei Meerschweinchen überimpft. Den Ausfall der beiden Versuche zeigt die folgende Tabelle: M o l k e r e i Nr. 7. Lebte nach M o l k e r e i Nr. 25. Lebte nach Milch der Milch der bei 38 0 zentrifugiert bei 28° zentrifugiert. j Impfung Impfung Vollmilch

15 Tage

multiple Abszesse ; in der Bauchhöhle i:

10 Wochen, getötet

mittelstarke Tuber- j kulose

10 Wochen, getötet

mittelstarke Tuberkulose :



nicht verimpft, da Flasche auf dem Transport ausgelaufen war

Über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter

349

(Fortsetzung.) Lebte nach M o l k e r e i Nr. 25. Lebte nach M o l k e r e i Nr. 7. Milch Milch der der Impfung bei 28° zentrifugiert . Impfung bei 380 zentrifugiert Rahm

3 Tage 12 Wochen, getötet >>

Magermilch

3 Tage 9 Wochen, getötet

Buttermilch

3 Tage 9 Wochen, getötet j»

Butter

3 Tage 4 Wochen, gestorben 10 Wochen, getötet

Zentrifugenschlamm

1 Tag 9 Wochen, getötet »

10 Tage tot gebissen 4 Wochen, geringe Tuberkulose getötet ziemlich starke normal 5 Wochen, Tuberkulose getötet Peritonitis 5 Wocheu, negativ getötet ziemlich starke 6 Wochen, ii Tuberkulose getötet unverdächtig 11 Wochen, jj getötet Peritonitis 5 Wochen, geringe Tuberkulose getötet ziemlich starke mäßig starke TuberTuberkulose kulose 14 Tage, kein Befund )» 7» >J gestorben Peritonitis 7 Wochen, hochgradige Tuberkulose getötet Abszesse in der »> »> j» >> Bauchhöhle, geringe » » JJ Tuberkulose hochgradige Tuberkulose 1 Tage, Peritonitis Peritonitis gestorben hochgradige Tuber- 5 Wochen, sehr hochgradige getötet Tuberkulose kulose starke Tuberkulose >j » » Peritonitis nicht verdächtig

Wie die Tabelle zeigt, war leider dadurch, daß dieses Mal auch d i e Molkerei erheblich verseuchte Milch führte, bei der die Butterproben früher einwandfrei gewesen waren, ein Aufschluß darüber nicht möglich, ob durch die Zentrifuge der Tuberkelbazillengehalt im Kahm so verringert werden kann, daß die daraus gewonnene Butter nicht mehr infektiös wirkt. D o c h folgt aus den beiden Versuchen, daß in allen Bestandteilen der Milch trotz Zentrifugierens Tuberkelbazillen vorhanden sind, also sowohl in der Sahne, Magermilch, Buttermilch, Butter und im Schlamm, und daß die Temperatur keinen entscheidenden Einfluß auf das Ausschleudern der Tuberkelbazillen hat.

350 Bei Nr. 25 trat die merkwürdige Erscheinung auf, daß der Rahm nicht infektiös war, obgleich die übrigen Teile sämtlich Tuberkelbazillen enthielten. Dies ist aber wiederum nur ein Beweis dafür, daß bei Impfungen mit kleinen Mengen sichere Resultate nicht zu erzielen sind; denn in der g a n z e n Masse der Sahne waren sicher Bazillen vorhanden, was durch die aus ihr gewonnene infektiöse Butter erhärtet wird. Ebenso auffällig ist das Ausbleiben der Infektion bei der Magermilch von Nr. 7, wenn man es mit dem Erfolg von Nr. 25 vergleicht, zumal die Obduktionsbefunde dafür sprechen, daß Nr. 7 im ganzen stärker infiziert war als Nr. 25. Doch war nach den Yorversuchen mit den gewöhnlichen Milchbakterien sowie auch nach den Versuchen von BANG, SCHEUBLEN und OBEBMÜLLEB mit Tuberkelbazillen nur ein geringer Ubergang in die Magermilch zu erwarten, wofür auch die vorliegenden Versuche sprechen. Bedeutungsvoll ist jedenfalls, daß die tuberkulösen Veränderungen am hochgradigsten bei dem mit Butter und Schlamm infizierten Tiere waren, so daß man diese beiden Teile wohl als die gefährlichsten ansehen muß. Weiter aber läßt ein Vergleich der beiden Versuche darauf schließen, daß die Menge der Tuberkelbazillen schon in der Milch von Nr. 7 größer war als in der von Nr. 25, und es erscheint uns daher die Behauptung nicht unberechtigt,« daß n i c h t Mängel des Molkereibetriebes, etwa des Zentrifugierens, sondern die H e r d e n für das konstante Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter von Nr. 7 anzuschuldigen sind. Das plötzliche Hervortreten von Tuberkelbazillen bei Nr. 25 war unerwartet, doch läßt sich dafür wie auch für alle die Fälle, in denen Tuberkelbazillen in Milch und Milchprodukten intermittierend gefunden wurden, eine Erklärung aufstellen. Das tuberkulöse Euter wird wahrscheinlich ebenso wie die tuberkulöse Lunge nicht immer oder wenigstens keine größeren Mengen Tuberkelbazillen absondern, so daß die Mischmilch bei der großen Verdünnung, die sie erleidet, entweder frei von Tuberkelbazillen sein oder dieselben nur in so geringen Mengen enthalten wird, daß die geringen Impfmengen wirkungslos bleiben werden. Brechen jedoch frische Herde in die Milchgänge durch, so wird die Milch plötzlich mit tuberkelbazillenhaltigem Material überschwemmt und die gesamte Sammelmilch verseucht werden. Solche p l ö t z l i c h e n Durchbrüche werden gewiß bei den intermittierenden positiven Befunden in der Butter ebenso eine Rolle spielen, wie d a u e r n d stark sezernierende Herde

Über das Vorkommen

von Tuberkelbazillen

in der Butler

351

und gehäufte derartige Erkrankungen bei den Fällen k o n s t a n t e r Infektiosität der produzierten Butter. Deshalb muß in erster Linie darauf gedrungen werden, daß Kühe mit lokaler Euter- oder mit generalisierter Tuberkulose sofort ausgemerzt werden. Die übrigen lokalisierten Tuberkulosen stehen bei der Verbreitung der Tuberkelbazillen in Milch und Milchprodukten gegen die ebengenannten sehr im Hintergrunde; doch wird man bei tuberkulösen Kühen nie sicher sein, ob nicht das Euter, wenn auch nur durch kleinste Herde, mitergriffen ist; und es ist daher die Milch jeder tuberkulösen Kuh als eine Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten zu betrachten, und ganz b e s o n d e r s die B u t t e r aus solcher Milch, da sie die Tuberkelbazillen in konzentrierter Form enthält. Bei unseren Versuchen mit ihrem aus den verschiedensten Produktionsstellen herangezogenen Ausgangsmaterial lag auch die Erwägung nahe, ob die kleinen oder großen Betriebe einen größeren Anteil an der Lieferung infektiöser Butter hätten. Interessanterweise zeigt sich nun, daß n u r große Dominien und Saminelmolkereien tuberkelbazillenhaltige Butter geliefert haben. Doch tragen wir Bedenken, hieraus einen verallgemeinernden Schluß zu ziehen, zumal K O R N sämtliche 2 0 Proben seiner Untersuchungen aus kleinen Betrieben bezogen hatte und trotzdem 23-5 prozentige Tuberkulose konstatieren konnte. Betrachten wir nun zum Schluß noch die Resultate, welche die einzelnen Autoren bei Butteruntersuchungen an den verschiedensten Orten erhalten haben, so fällt es auf, daß dieselben in den denkbar weitesten Grenzen schwanken, in dem Maße, daß bei den verschiedenen Untersuchungen die Butterproben in 0 bis 100 Prozent Tuberkulose hervorriefen. So fanden: BRUCAFEBRO

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„(15 • 5

Proz.)

Diese verschiedenen Resultate stehen in direktem Gegensatz zu der Tatsache, daß die Tuberkulose unter den Rindern fast überall in Deutschland gleichmäßig verbreitet ist, 1 und erfordern zu ihrer Aufklärung eine eingehende Sichtung und Kritik. Zunächst lassen sich die extrem hohen Prozentzahlen von OBEBMÜLLEB (I. Untersuchung) und von KABINOWITSCH (III. und IV. Untersuchung) sehr wohl damit erklären, daß bei diesen Untersuchungen, wie auch bei denen von HORMANN-MOBGENBOTH, nicht Wert darauf gelegt wurde, zu erweisen, wieviel B u t t e r p r o d u k t i o n s s t e l l e n verseucht sind, sondern ob und wie oft sich überhaupt in Butter Tuberkelbazillen finden, und daß in diesem Sinne die Butterproben aus e i n e r zufällig verseuchten Handlung bezogen wurden, bei der offenbar die Verhältnisse ganz ähnlich wie bei unserer Molkerei Nr. 7 mit ebenfalls 100 Prozent tuberkelbazillenhaltiger Butterproben lagen. Aber auch bei den übrigen Untersuchungen der zitierten Arbeiten ist mit einzelnen Ausnahmen nicht genügend hervorgehoben, ob die Butterproben aus verschiedenen P r o d u k t i o n s s t e l l e n stammten. Denn wenn sie auch aus verschiedenen H a n d l u n g e n entnommen wurden, so war damit noch nicht sicher gestellt, daß sie auoh verschiedenen Ursprung hatten, weil naturgemäß Molkereien und Güter ihre Butter oft gleichzeitig an verschiedene Handlungen liefern. Wie sehr es aber für eine richtige Schätzung der Verbreitung der Tuberkelbazillen in der Butter darauf ankommt, nur Proben aus zweifellos verschiedenen Produktionsstellen und zwar in größerer Zahl zu verwenden, das sehen wir aus unseren Versuchen: D i e P r o d u k t i o n s stellen, deren P r o b e n Tuberkelbazillen enthielten, beh e r r s c h e n s a m t u n d s o n d e r s den B r e s l a u e r M a r k t . Fast obenan steht die Molkerei Nr. 7 mit 100 Prozent infektiöser Butter, während die Produktionsstellen, in deren Butter sich keine Tuberkelbazillen fanden, entweder gar nicht nach Breslau liefern oder nur in geringen Mengen. Hätten wir demnach nur aus den großen und größeren Butterhandlungen unsere Proben bezogen, so hätten wir vorwiegend Butter der infizierten Molkereien erhalten und wären 1

Eine Ausnahme macht Baden mit 3-56 Prozent Rindertuberkulose.

Über das Vorkommen

von Tuberkelbazillen

in der Butter

353

zu bedeutend ungünstigeren Resultaten gekommen.. Vielleicht lagen ähnliche Verhältnisse bei P e t r i s und Grönings Versuchen vor. Bei den Untersuchungen des letzteren Autors ist es jedoch auch nicht ausgeschlossen, daß Infektionen mit tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen die Resultate (47 Prozent) der im ganzen kleinen Versuchsreihe etwas hoch getrieben haben; denn Gröning hat weder histologische Untersuchungen noch Kulturen oder Organüberimpfungen angestellt und gibt selbst an, daß er bei den tuberkulösen Tieren pathologische Veränderungen angetroffen habe, wie sie sonst bei tierischer Tuberkulose nicht zu sehen sind. Die völlig negativen Resultate von Schuchard und Rabinowitsch (I. Untersuchung) sind bei der großen Zahl von Butterproben (Schuchard 40, Rabinowitsch 80) zum mindesten als Ausnahme zu bezeichnen, zumal Rabinowitsch bei der Wahl der Proben Wert auf verschiedene Herkunft gelegt hat. Doch kommen für uns auch nicht alle 80 Proben in Betracht, sondern nur die in Berlin untersuchten 30, und von diesen 30 Proben müssen wiederum bei der Prozentberechnung noch die ausgeschaltet werden, bei denen alle mit der gleichen Butterprobe geimpfte Tiere nach 7 bis 14 Tagen getötet wurden. Außerdem geht aus der Arbeit nicht genügend sicher hervor, daß in allen Fällen von Infektion mit den tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen sicher eine verdeckte Tuberkulose ausgeschlossen war. Zahl der tuberkelbazillenhaltigen Butter

Roth . . . Schuchard . Gröning . . Petri . . . Rabinowitsch Korn Weissenfels . Ascher . . . Obermüller . Herr-Beninde Es würde das einem

20 42 17 102 30 14 17 32 22 1 45

2 0 8 33 0 1 3 . 3 . 2 . 1 7 (5) 342 60 Prozentsatz von 17-5 entsprechen.

1

Nach Abschluß der Arbeit ist eine Veröffentlichung von H E R B E R T ( 2 4 ) in Tübingen erschienen, nach der er bei 126 Butterproben keinmal TuberkelFLÜGGE, T u b e r k u l o s e

23

354

F. Herr und M. Beninde

Es ist wichtig, an der Hand der Literatur einen annähernd richtigen Durchschnittswert für die Verseuchung der Butterproduktionsstellen festzulegen. Dabei dürfen jedoch nur die Untersuchungen voll berücksichtigt werden, in denen die Proben verschiedener Herkunft waren, also jeder Probe eine andere Bezugsquelle zugrunde lag. Die Untersuchungen, welche nur Proben einer Produktionsstelle verwendeten, z. B. OBEBMÜLLER (I. Untersuchung) und RABINOWITSCH (IV. Untersuchung) können natürlich nur als eine Bezugsquelle mit positivem Resultat aufgeführt werden (siehe S. 353).

Fassen wir zum Schluß kurz die Resultate der vorliegenden Arbeit zusammen, so ergibt sich folgendes: 1. Unter 45 Butterbezugsquellen lieferten 11-1 Prozent bzw. 15-5 Prozent tuberkelbazillenhaltige Butter. 2. Eine Butterquelle lieferte dauernd infektiöse Butter, während bei anderen der Befund wechselnd war. 3. Bei Butteruntersuchungen ist das OBEBMÜLLER sehe Verfahren zur Herstellung des Impfmaterials dringend anzuempfehlen. 4. Bei verdächtigen Obduktionsbefunden sind Organübertragung in die vordere Augenkammer von Kaninchen zu machen, bzw. zugleich subkutane Übertragung auf Meerschweinchen. 5. Die bisher beschriebenen tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen machen bei Injektion in die vordere Augenkammer von Kaninchen weder der Iristuberkulose ähnliche Veränderungen noch sonst krankhafte Erscheinungen. 6. Der histologische Befund genügt nicht zur Stellung der Diagnose Tuberkulose; ebenso ist das färberische Verhalten nicht immer als differential-diagnostisches Mittel zwischen Tuberkelbazillen und den ihnen ähnlichen Stäbchen zu verwenden. 7. Bei 15 Butterproben wurden tuberkelbazillenähnliche Stäbchen in Reinkultur erhalten. 8. Der Molkereibetrieb hat keinen nachweisbaren Einfluß auf die völlige Ausscheidung der Tuberkelbazillen aus Milch und Milchprodukten. 9. Bei infizierter Milch können sich Tuberkelbazillen in der aus ihr gewonnenen Magermilch, Buttermilch, Sahne, Butter und im Schlamm finden. bazillen fand. Nehmen wir dieses Kesultat hinzu, so würde der Prozentsatz tuberkelbazillenhaltige Butter führender Produktionsstellen auf 13 Prozent fallen.

Über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter

355

10. Butter und Zentrifugeaschlamm sind am stärksten infektiös. 11. Der nach den bisherigen Butteruntersuchungen sich ergebende annähernde Durchschnittswert für die Verseuchung von Butterproduktionsstellen beläuft sich auf 60 von 444 = 13 Prozent.

Literaturverzeichnis. 1. RABINOWITSCH, Zur Frage des Vorkommens von Tuberkelbazillen in der Marktbutter. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1897. Bd. 26. S. 90. 2. OBERMÜLLER, Über Tuberkelbazilien in der Marktbutter. Vorläufige Mitteilung. Hygienische Rundschau. 1897. S. 713. 3 . P E T R I , Bemerkungen über die Arbeit des Hrn. Dr. OBERMÜLLER: Uber Tuberkelbazillen in der Marktbutter. Ebenda. 1897. S. 811. 4 . OBERMÜLLER, Bemerkungen zu vorstehender Notiz. Ebenda. S . 8 1 2 . 5 . HORMANN U. MORGENBOTH, Uber Bakterienbefunde in der Butter. Ebenda. 1898. S. 218. 6. MOELLER, Mikroorganismen, die den Tuberkelbazillen verwandt sind und bei Tieren eine miliare Tuberkelkrankheit verursachen. Deutsche med. Wochenschrift. 1898. Nr. 24. S. 376. 8. GRASSBERGER, Uber die nach intraperitonealer Injektion von Marktbutter bei Meerschweinchen entstehenden Veränderungen. Münchener med. Wochenschrift. 1899. Nr. 11 u. 12. 9 . RABINOWITSCH , Weitere Untersuchungen zur Frage des Vorkommens von Tuberkelbazillen in der Marktbutter. Deutsche med. Wochenschrift. 1899. S. 5. • 10. OBERMÜLLER, Weitere Mitteilungen über Tuberkelbazillenbefunde in der Marktbutter. Hygienische Rundschau. 1899. S. 57. 11. G . M A T E R , Zur Kenntnis der säurefesten Bakterien aus der Tuberkulosegruppe. Centraiblatt für Bakteriologie. Bd. 26. Nr. 11/12. 12. K O R N , Zur Kenntnis der säurefesten Bakterien. Ebenda. 1899. S. 532. 13. HORMANN-MOROENROTH, Weitere Mitteilungen über Tuberkelbazillenbefunde in Butter und Käse. Hygienische Rundschau. 1898. S. 1081. 14. H E S S E , Ein neues Verfahren zur Züchtung von Tuberkelbazillen. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 31. S. 502. 15. P E T R I , Zum Nachweis der Tuberkelbazillen in Butter u. Milch. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. 1898. S. 1. 1 6 . BRÜSAPERRO, Giornale di med. veter. prat. Torino 1 8 9 0 . Fase. 2 / 3 . p. 2 0 1 . 1 7 . ROTH, Correspondenzblatt für Schweizer Arzte. 1 8 9 4 . S . 5 2 1 . 18. SCHÜCHARD, Inaugural-Dissertation. Marburg 1 8 9 6 . 1 9 . GRÖNINO, Centraizeitung für Veterinär-, Viehmarkt- und SchlachthofAngelegenheiten. 1897. Nr. 14 u. 15. 20. WEISSENFELS, Über Bakterien in der Butter und einigen anderen Milchprodukten. Berliner klin. Wochenschrift. 1899. Nr. 48. 23*

356 2 1 . SCHEUELEN , Über die Wirkung des Zentrifugierens auf Bakteriensuspensionen, besonders auf die Verteilung der Bakterien in der Milch. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. 1891. Bd. 17. S. 269. 22. OBERMÜLLEB, Über Tuberkelbazillenbefunde in der Marktmilch. Hygien. Rundschau. 1895. Nr. 19. S. 878. 23. BANG , Verbreitung der Tuberkulose unter den Haustieren. Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulose. Berlin 1899. 24. HEBBEET, Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Marktbutter. Centraiblatt für Bakteriologie. 1900. Bd. 27. Nr. 1 0 / 1 1 . 25. ASCHEB, Untersuchungen von Butter und Milch auf Tuberkelbazillen. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 32. S. 329.

18. Die Beziehung der Säuglingsernährung zur Entstehung der Lungentuberkulose.1 Von Dr. med. Albreoht Speck in Breslau, früherem Assistenten am Institut. Die verschiedenen Wege, auf denen der Tuberkelbacillus in den menschlichen Körper eindringt, sind in den letzten Jahren einem eingehenden Studium unterworfen, und in dem Streit darüber, welcher von diesen Wegen der gewöhnliche und am häufigsten betretene sei, schienen bisher die meisten Forscher darüber einig zu sein, daß die vom Phthisiker ausgehusteten Tuberkelbazillen die gefährlichste Infektionsquelle darstellen und daß viele Menschen infolge ihrer in weiter Verbreitung vorhandenen Disposition durch den dauernden Verkehr mit einem Phthisiker ernstlich gefährdet werden. Demgegenüber legte in jüngster Zeit v. B E H R I N G in einem auf der 75. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte gehaltenen Vortrage, sowie in späteren Publikationen eine gänzlich abweichende Auffassung an den Tag, indem er die Hypothese aufstellte, daß die Tuberkulose, in Sonderheit die Lungenschwindsucht, auch des Erwachsenen fast stets im Säuglingsalter ihren Anfang nehme. Nach dieser Hypothese ist nämlich zum Zustandekommen der Schwindsucht notwendig die sogenannte „postgenitale" Disposition des betreffenden Individuums; und zwar besteht diese Disposition in einer im infantilen Alter erlittenen Infektion mit Tuberkelbazillen, v. B E H R I N G sagt darüber: „So komme ich denn zu dem Schluß, daß in der Tat zur Entstehung der menschlichen Lungenschwindsucht eine spezifische Disposition erforderlich ist, aber nicht im Sinne einer von Ewigkeit her gewissen Individuen des Menschengeschlechtes 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

1904. Bd. 48. S. 27.

356 2 1 . SCHEUELEN , Über die Wirkung des Zentrifugierens auf Bakteriensuspensionen, besonders auf die Verteilung der Bakterien in der Milch. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. 1891. Bd. 17. S. 269. 22. OBERMÜLLEB, Über Tuberkelbazillenbefunde in der Marktmilch. Hygien. Rundschau. 1895. Nr. 19. S. 878. 23. BANG , Verbreitung der Tuberkulose unter den Haustieren. Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulose. Berlin 1899. 24. HEBBEET, Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Marktbutter. Centraiblatt für Bakteriologie. 1900. Bd. 27. Nr. 1 0 / 1 1 . 25. ASCHEB, Untersuchungen von Butter und Milch auf Tuberkelbazillen. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 32. S. 329.

18. Die Beziehung der Säuglingsernährung zur Entstehung der Lungentuberkulose.1 Von Dr. med. Albreoht Speck in Breslau, früherem Assistenten am Institut. Die verschiedenen Wege, auf denen der Tuberkelbacillus in den menschlichen Körper eindringt, sind in den letzten Jahren einem eingehenden Studium unterworfen, und in dem Streit darüber, welcher von diesen Wegen der gewöhnliche und am häufigsten betretene sei, schienen bisher die meisten Forscher darüber einig zu sein, daß die vom Phthisiker ausgehusteten Tuberkelbazillen die gefährlichste Infektionsquelle darstellen und daß viele Menschen infolge ihrer in weiter Verbreitung vorhandenen Disposition durch den dauernden Verkehr mit einem Phthisiker ernstlich gefährdet werden. Demgegenüber legte in jüngster Zeit v. B E H R I N G in einem auf der 75. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte gehaltenen Vortrage, sowie in späteren Publikationen eine gänzlich abweichende Auffassung an den Tag, indem er die Hypothese aufstellte, daß die Tuberkulose, in Sonderheit die Lungenschwindsucht, auch des Erwachsenen fast stets im Säuglingsalter ihren Anfang nehme. Nach dieser Hypothese ist nämlich zum Zustandekommen der Schwindsucht notwendig die sogenannte „postgenitale" Disposition des betreffenden Individuums; und zwar besteht diese Disposition in einer im infantilen Alter erlittenen Infektion mit Tuberkelbazillen, v. B E H R I N G sagt darüber: „So komme ich denn zu dem Schluß, daß in der Tat zur Entstehung der menschlichen Lungenschwindsucht eine spezifische Disposition erforderlich ist, aber nicht im Sinne einer von Ewigkeit her gewissen Individuen des Menschengeschlechtes 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

1904. Bd. 48. S. 27.

Säuglingsernährung

und

Lungentuberkulose

357

zugewiesenen Disposition, auch nicht im Sinne einer irgendwie von Vorfahren erworbenen Disposition, die dann auf die Deszendenten erblich übertragen wird, sondern im Sinne einer durch infantile Infektion erworbenen Disposition, die auf dem Umwege über die Skrofulose und ihre Folgezustände in der Lungenspitzenverkäsung ihre erste charakteristische Manifestation erfährt. Die Lungenschwindsucht ist bloß das Ende von dem einem Schwindsuchtskandidaten schon an der Wiege gesungenen Liede." Ermöglicht und erleichtert wird nach v. B E H R I N G die Infektion des kindlichen Körpers durch gewisse anatomische Bedingungen. Der Epithelüberzug der Schleimhäute ganz junger Kinder ist noch nicht ganz so widerstandsfähig und lückenlos wie der von älteren Individuen, und vor allem erweist sich der kindliche Darm in den ersten Lebenstagen als durchlässig für alle Arten von Bazillen, also auch für die Tuberkelbazillen. Die Gelegenheit, die Bazillen in der kritischen Zeit dieser Durchgängigkeit der Darmschleimhaut, also in den ersten Lebenstagen, aufzunehmen, glaubt v. B E H R I N G in der Ernährung der Säuglinge gefunden zu haben; die nicht mit Muttermilch ernährten Säuglinge werden häufig Tuberkelbazillen in ihren Verdauungstraktus bekommen; diese durchwandern den durch das Epithel nur ungenügend geschützten, durchlässigen Darm, werden in den Lymphdrüsen aufgespeichert und bilden somit jene verhängnisvolle und für eine spätere Schwindsuchtsentstehung so wichtige postgenitale Disposition des Individuums. „Die Aufnahme tuberkulösen oder perlsüchtigen Materials", sagt v. B E H R I N G , „durch den Verdauungskanal führt bei den Säuglingen fast stets nur zu einem Latenzstadium der Tuberkulose, macht die infizierten Organismen weniger widerstandsfähig gegen spätere gelegentliche Neuinfektionen durch den Tuberkelpilz und ist die Quelle der Phthisis der Erwachsenen." Obwohl v. B E H R I N G auch andere Möglichkeiten des Hineingelangens von Tuberkelbazillen in den Mund des Säuglings, wie Angehustetwerden usw. nicht in Abrede stellt, erklärt er doch die in der Milch liegende Infektionsquelle bei weitem für die häufigste, indem er den Satz aufstellt: „Die S ä u g l i n g s m i l c h ist die H a u p t q u e l l e f ü r die S c h w i n d s u c h t s e n t s t e h u n g . " 1 * v. BEHRING hat sich darüber beklagt, daß SPECK unter „Säuglingsmilch" ohne weiteres Kuhmilch und unter den als Infektionserreger in Betracht kommenden Tuberkelbazillen ohne weiteres Perlsuchtbazillen verstanden habe; v. BEHRING behauptet, er habe die „Säuglingsmilch" nur in dein Sinne als Infektionsquelle bezeichnet, daß durch die Milchnahrung des Kindes nicht nur

358

Albrecht Speck

Gegenüber dieser Hypothese, die, wenn sie richtig wäre, eine völlige Umwälzung in der ganzen Tuberkulosefrage hervorrufen würde, hat F L Ü G G E 1 eine Reihe von Bedenken geltend gemacht und hat namentlich darauf hingewiesen, daß doch sehr viele Beobachtungen über Vorkommen von Phthise bei Menschen, die im Säuglingsalter Tiermilch überhaupt nicht getrunken haben, gegen die v. B E H R I N G sehe Behauptung sprechen. Auf Anregung von Hrn. Geheimrat F L Ü G G E habe ich mich bemüht, die tatsächliche Berechtigung dieses Einwandes durch eine besondere Enquete und durch die Beschaffung eines größeren Zahlenmaterials ziffernmäßig zu prüfen. Zunächst möchte ich früherer ähnlicher Erhebungen gedenken, dann die von mir selbst eingeleitete Enquete näher beschreiben, und schließlich die Ergebnisse aus dem ganzen in solcher Weise gewonnenen Zahlenmaterial zusammenstellen. Zwei Arbeiten haben sich bereits früher mit der vorliegenden Frage beschäftigt. Die eine ist enthalten in Band I von „Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose" von JACOB und PANNWITZ, 1901. In diesem Werke, welches mannigfaltige interessante Zusammenstellungen über die Yerbreitungsweise der Tuberkulose gibt, ist über die Ergebnisse einer bei einer Anzahl von Lungenheilstätten angestellten Sammelforschung berichtet, deren Material durch Fragebogen gewonnen wurde. Auf diesen Fragebogen, welche die Patienten der Heilstätten mit Hilfe der Anstaltsärzte ausfüllen sollten, fandsich u. a. auch die Frage: „Mit welcher Art von Milch wurden Sie ernährt?" Von 3295 Patienten, welche sich an der Sammelforschung beteiligten, gaben 2921 auf diese Frage eine bestimmte Antwort. Unter den brauchbaren 2921 Antworten waren die einzelnen Ernährungsweisen wie folgt vertreten: die Perlsuchtbazillen der Kuhmilch, sondern auch alles in den Darm des Kindes geführt werden kann, was an Tuberkelbazillen durch Kontakte, Anhusten usw. in den Mund des Kindes gelangt. — Diese nachträgliche Deutung des v. BEHRING sehen Satzes muß entschieden zurückgewiesen werden. Als „Quelle" der Infektion kann die Säuglingsnahrung nicht bezeichnet werden, wenn sie nur den durch Kontakte und Anhusten in den Mund des Kindes gelangten Tuberkelbazillen als Vehikel für den Transport in den Darm dient; und statistisch darf der Tuberkelbazillenimport durch Säuglingsmilch mit dem Tuberkelbazillenimport durch Kuhmilch sehr wohl identifiziert werden, weil die Fälle, in denen tuberkulöse Mütter ihre Säuglinge mit reichlich tuberkelbazillenhaltiger Frauenmilch infizieren, sicher außerordentlich selten sind. — Vgl. BBAÜEBS Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. 3. Heft 2. FLÜGGE. 1 Deutsche med. Wochenschrift. 1904. Nr. 5 u. Nr. 8.

Säuglingsernährung und Lungentuberkulose

359

Muttermilch 1877 Kuhmilch 443 Gemischt 525 Ziegenmilch 25 Mutter- und Ziegenmilch . . . 43 Kuh- und Ziegenmilch . . . . 1 Nährpräparate 7 Nach Ansicht der Verfasser sind für die Beurteilung der Frage der kindlichen Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Kuhmilch von den angeführten Zahlen für die Möglichkeit einer Infektion nicht in Betracht zu ziehen und somit auszuschalten: 1. die 1877 ausschließlich mit Frauenmilch ernährten, 2. die 7 mit Nährpräparaten aufgezogenen, 3. die 25 mit Ziegenmilch und die 43 mit Mutter- und Ziegenmilch ernährten Patienten, weil „bei Ziegen Eutertuberkulose bisher verhältnismäßig selten konstatiert wurde". Somit würde sich im Ergebnis dieser Sammelforschung das Verhältnis der Patienten, bei denen eine infantile Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Kuhmilch ausgeschlossen ist, zu denen, wo eine solche möglicherweise vorhanden war, wie 1952:969 oder annähernd wie 2 : 1 stellen. Dieses Resultat deutet in unzweifelhafter Weise darauf hin, daß die weit überwiegende Menge der Phthiseerkrankungen ohne jede Beteiligung der Kuhmilch an der Säuglingsernährung zustande kommt. Die Verfasser betonen indes diese Schlußfolgerung nicht, weil damals die Behauptung v. B E H R I N G S von dem ganz überwiegenden Einfluß der Kuhmilch auf die Phthisefrequenz noch nicht aufgestellt war. Es handelt sich für die Verfasser nur um die Frage, ob die ätiologische Bolle der Kuhmilch überhaupt aus den statistischen Ergebnissen unzweifelhaft zu entnehmen sei, und eine bestimmte Antwort hierauf können sie nicht geben, weil bei den 969 mit Kuhmilch genährten Kindern die Beeinflussung durch Kochen der Milch unsicher ist und weil auch bei diesen Kindern andere Infektionsquellen nicht mit Sicherheit auszuschließen sind. Die zweite für unsere Frage wichtige Arbeit ist in der Deutschen Medizinalzeitung (März 1904) erschienen und lautet: „Beitrag zur Frage von der Bedeutung der Säuglingsernährung für die Entstehung der Lungentuberkulose" von Dr. SCHBÖDEE, dirig. Arzt der neuen Heilanstalt für Lungenkranke zu Schömberg. Auch diese Arbeit stützt sich auf Erhebungen an Heilstätten-Patienten, unterscheidet sich aber von der vorhergehenden in folgendem Punkte. Während

360 und P A N N W I T Z die Frage nach der Ernährung im Säuglingsalter nur nebenbei unter einer ganzen Reihe anderer Fragen aufstellten, ist die Arbeit von SCHRÖDER in der bestimmten Absicht geschrieben, für die Frage der kindlichen Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Milch Material beizubringen. SCHRÖDER gelangt bei seinen Erhebungen zu folgenden Zahlen: Im ersten Halbjahr des Lebens künstlich ernährt 61 = 23 Proz. durch Mutter oder Amme ernährt . 203 = 77 „ Diese Zahlen sind nach Angabe des Verfassers das Ergebnis von Beobachtungen, die er seit dem Jahre 1901 an seinen durchweg den besseren Ständen angehörenden Patienten angestellt hat. Bei der Deutung dieser Ergebnisse kommt er zu folgendem Schlüsse: „Unsere Erhebungen sind nun nicht etwa imstande, v. B E H R I N G S Theorie umzustürzen, sie modifizieren sie aber jedenfalls und schränken seine Behauptungen ein. Die Nahrung des Säuglings in der gebräuchlichen Form wird nicht ausschlaggebend für die Infektion mit tuberkulösem Material, nicht ihre Hauptquelle sein." Schließlich ist noch eine Notiz zu erwähnen, die sich ebenfalls auf an Heilstätten-Patienten angestellte Erhebungen stützt und sich in dem Jahresberichte des Hrn. Dr. SERVAES über die Heilstätte Glückauf aus dem Jahre 1901 findet. Hier waren von 99 Patienten ernährt: mit Mutterbrust . 63 „ Flasche. . . 30 „» beidem . . . 6. Auch hier verhalten sich also die Brustkinder zu den Kuhmilchkindern abnähernd wie 2:1. JACOB

Zur Gewinnung eigenen Beweismaterials blieb auch mir nur der "Weg der Sammelforschung über die Ernährungsweise einer möglichst großen Anzahl von Phthisikern, da eine statistische Registrierung über die Ernährung in der Kindheit bei der Meldung von Todesfällen oder Erkrankungen an Phthise bis jetzt nirgends stattfindet. Ich hielt mich bei meiner Enquete vor allem an die Patienten in den Heilstätten, wo eine so große Anzahl unserer Lungenschwindsüchtigen sich befindet, und wo für eine möglichste Vollständigkeit und Genauigkeit der Angaben am meisten Garantie gegeben ist. Ich habe mich dabei nicht auf die öffentlichen Heil-

Säuglingsernährung

und Lungentuberkulose

361

statten Deutschlands beschränkt, sondern habe auch die bekannteren Privatheilstätten in den Kreis meiner Nachforschungen gezogen und wiederum von letzteren nicht nur die deutschen, sondern auch solche aus der Schweiz, Frankreich, Italien und Österreich. Die Erhebungen wurden in der W e i s e angestellt, daß an die Leiter der Anstalten Zirkulare folgenden Inhalts versandt wurden: Sehr geehrter Herr Kollege! Für Erhebungen über den Einfluß der Säuglingsnahrung auf die Entstehung der Tuberkulose sind mir solche tuberkulöse Patienten von größtem Interesse, deren Ernährungsweise im Säuglingsalter (bis mindestens inkl. des 3. Monats) bekannt ist. Sie würden mich daher, sehr geehrter Hr. Kollege, zu großem Danke verpflichten, wenn Sie mir über diejenigen in Ihrer Anstalt befindlichen tuberkulösen Patienten, welche zuverlässigen Bescheid über ihre Ernährung in der Kindheit geben können, eine kurze Übersicht anfertigen lassen und mir in anliegendem Kuvert freundlichst zustellen wollten. Dabei bitte ich folgende Fragen gütigst berücksichtigen zu wollen: Wie viele Kranke wurden als Säuglinge bis zum Alter von mindestens 3 Monaten ausschließlich mit Muttermilch ernährt? Wie viele mit Kuhmilch? Wie viele mit Frauen- und Kuhmilch gemischt, bzw. mit Milchsurrogaten? Bei wieviel Kranken waren sichere Angaben nicht zu erhalten? Lassen sich in einzelnen Fällen bestimmte Vermutungen über die Quelle der Infektion aufstellen, und welche? Unterschrift. Durch diese wenigen F r a g e n glaubte ich bei möglichst geringer Inanspruchnahme der Herren Anstaltsleiter doch die wesentlichsten Punkte herausgegriffen zu haben, die für meinen Zweck in Betracht kamen. E i n zweites, ähnlich lautendes Zirkular wurde außerdem an ca. 2 0 0 (vorwiegend Breslauer) praktische Ärzte und Leiter von Kliniken und Polikliniken versandt; es hatte folgenden Wortlaut: Sehr geehrter Herr Kollege! Für Erhebungen über den Einfluß der Säuglingsnahrung auf die Entstehung der Tuberkulose sind mir solche tuberkulöse Patienten von größtem Interesse, deren Ernährungsweise im Säuglingsalter (bis mindestens inkl. des 3. Monats) bekannt ist. Sie würden mich daher, sehr geehrter Hr. Kollege, zu großem Danke verpflichten, wenn Sie möglichst über jeden in Ihrer Behandlung befindlichen Patienten, welcher zuverlässigen Bescheid bezüglich seiner Ernährung in der Kindheit geben kann, einen der anliegenden Zettel freundlichst ausfüllen und mir in anliegendem Kuvert wieder zustellen wollten. Ziehen Sie mündliche Mitteilung vor, so bitte ich um gefl. Angabe, wann einer meiner Assistenten zu Ihnen kommen darf. Unterschrift.

362

Albrecht

Speck

Die beigefügten Fragezettel lauteten: 1. Name des Erkrankten (Anfangsbuchstaben)? 2. Alter? 3. Beschäftigung? 4. Wie wurde der Kranke als Säugling bis zum Alter von mindestens 3 Monaten inkl. ernährt? Erhielt er ausschließlich Muttermilch? Ammenmilch? Kuhmilch allein? Frauen- und Kuhmilch gemischt? Milchsurrogate ? (Nicht Zutreffendes zu durchstreichen.) 5. Bestehen bestimmte Vermutungen über dieOuelle der Infektion? Name des Arztes: Weitere Formulare sind vom hygienischen Institut zu beziehen. In beiden Zirkularen habe ich als für die Milchinfektion vorzugsweise in Betracht kommend die ersten 3 Lebensmonate angenommen und daher die Angaben über Ernährung mindestens bis zum Ablaut dieser Zeit erbeten, v. BEHEING hat sich bei Aufstellung seiner Hypothese von der auf der Durchlässigkeit des kindlichen Darmkanals beruhenden Infektion durch die Milch weder in seinem Kasseler Vortrage noch in seinen späteren Publikationen genauer darüber geäußert, bis zu welchem Zeitpunkte er diese Eigenschaft des kindlichen Darmkanals als bestehend annimmt. Er spricht stets nur von „sehr jungen" Kindern und von „infantiler" Infektion. Das Material, auf welches sich diese Anschauung gründet, sind offenbar die von v. BEHEING mit jungen Meerschweinchen angestellten Versuche. Bei diesen Versuchen ging v. BEHRING von der Beobachtung aus, „daß genuine Eiweißkörper die Intestinalschleimhaut neugeborener Fohlen, Kälber und kleinerer Laboratoriumstiere ebenso unverändert durchdringen und ebensolche Wirkungen auf den Gesamtorganismus ausüben, wie wenn man sie direkt in die Blutbahn hineinbringt, während erwachsene Individuen aller Tierarten die genuinen Eiweißkörper erst verdauen und in sogenannte Peptone umwandeln müssen, ehe sie die Intestinalschleimhaut passieren können-'. Auf Grund dieser Beobachtung machte er Verfütterungsversuche mit Bakterien, zunächst mit abgeschwächten Milzbrandbazillen, an neugeborenen Meerschweinchen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, „daß dieselbe Kultur nach Verfütterung bei etwas älteren Meerschweinchen den Milzbrandtod noch bewirkt, wenn die Tiere den

Säuglingsernährung und Lungentuberkulose

363

7. Lebenstag noch nicht überschritten haben". Ähnliche Experimente hat v. B E H B I N G auch mit Tuberkelbazillen angestellt; hier gelang es ihm auch ältere Tiere auf diese Weise zu infizieren, wenn die Menge der Bazillen besonders reichlich bemessen wurde. Auf Grund dieser Experimente und gewisser pathologisch-anatomischer Beobachtungen nahm v. B E H B I N G dieselbe Durchlässigkeit auch für die kindliche Intestinalschleimhaut an; und angesichts des so sehr kurzen Zeitraumes von wenigen Tagen, währenddessen der Tierdarm diese Eigenschaften aufweist, erscheint für den Menschen die entsprechende Zeit mit mindestens 3 Monaten wohl reichlich hoch bemessen. Übrigens fand sich in den meisten etwas genauer detaillierten Antworten der Heilstätten und auch mancher Ärzte eine viel längere Dauer der Brusternährung für die größte Anzahl der Patienten angegeben. Was im übrigen die Zuverlässigkeit des eingesandten Materials anlangt, so scheint sie so groß wie überhaupt möglich zu sein. Die Diagnose: Lungentuberkulose wurde in der Mehrzahl der Fälle, namentlich in den Heilstätten, nicht nur auf Grund des erhobenen klinischen Befundes gestellt, sondern auch noch durch den positiven Ausfall der Tuberkulinprobe oder den Nachweis von Tuberkelbazillen im Sputum gestützt. Wenn es auch gelegentlich einmal vorkommen mag, daß in die Heilstätten ein Patient aufgenommen wird, der an einer anderen Krankheit leidet, so werden doch diese Leute meist, sobald sich das bei der genaueren Beobachtung herausstellt, sogleich wieder entlassen, und ich glaube daher, daß in dieser Beziehung die Angaben fehlerfrei sind. Auch in bezug auf die Genauigkeit in der Beantwortung der Fragen über Ernährung ist wohl das Möglichste geleistet. Es geht dies schon daraus hervor, daß relativ viele Patienten angeführt wurden, bei denen eine genaue Angabe über die Ernährung nicht zu erhalten war. Außerdem haben fast alle Anstaltsleiter erst die Patienten an ihre Eltern oder Verwandten schreiben lassen, um über die betreffende Frage eine möglichst genaue Auskunft zu erhalten. Endlich habe ich auch bei der Sichtung des Materials jeden Fehler vermieden, der die Zahl der mit Kuhmilch ernährten Kinder herabdrücken konnte. So wurden alle mit Surrogaten ernährten Patienten ohne weiteres zu der Kuhmilchernährung dazu gerechnet, in dem Gedanken, daß oft wohl diese Surrogate mit Kuhmilch vermengt werden, die nicht genügend abgekocht sein könnte. Auch die Ernährung mit Schaf- und Ziegenmilch wurde der Kuhmilchernährung gleichgeachtet, obwohl Eutertuberkulose bei diesen Tieren zu den

364

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reichen verkästen Tuberkeln, Milz- und Lebertuberkulose.

Nekrose der Injektionsstelle. 34*

532

H. Findel

T a b e l l e V.

Versuch III.

25. I. 06 vormittags

also jetzt 0-01 g Tb. in 20ccm H 2 0 aufgeschwemmt.

1 ccm = 0-5 mg Tb.

Dauer \ Menge der der In- i inhalierten Tb. halation , nach in Minuten Zahl | mg

Getötet oder gestorben f nach

¡0-0000633 2180 get. 26 Tagen

Gewicht des Tieres Kinn- u. in g Halsdrüsen 480

Bronchialdrüsen + kleines walnußgroßes Paket, z. T. zentral verkäst

4

¡0-00005

1744

desgl.

450

4

0-00005

1744

desgl.

440

4

0-00005

1744-

desgl.

450

3

0-0000347 1210

f 23 Tagen

330

+ haselnußgr. Paket, z. T. zentral verkäst

3

0-0000347 1210 get. 23 Tagen

340

+ wie bei Nr. 20

3

0-0000334 1160

desgl.

270

2

0-0000232

812

desgl.

330

+ wie bei Nr. 20 +

2

0-0000232

812

desgl.

340

2

0-0000232

812

desgl.

330

0-0000116

406

desgl.

340

0-0000122

425

desgl.

420

wie bei Nr. 20 linsengroß

wie bei Nr. 20

+

wie bei Nr. 20

wie bei Nr. 20 + wie bei Nr. 20 + wie bei Nr. 20

haselnußgvoßes Paket, z. T. verkäst + wie bei Nr. 30

K o n t r o l l t i e r e g e i m p f t mit 0-1 ccm der A u s g a n g s intraperitoneal

|

i t

5 Tagen

t 23



340

Keine Tuberkulose nachweis-

370

Nekrose der Injektionsstelle.

Untersuchungen über Inhalations-

und Fütterungstuberkulose.

Die Aufschwemmung aus Versuch I verdünnt 1 Liter Atemvolumen ^ 0 - 0 0 0 0 3 5 7 m g =

533

1:10,

1 2 5 0 Tuberkelbazillen.

Sektionsbefund Bemerkungen Lungen

Milz

+ Uber 100 bis linsengroße, graue Tuberkel mit gelbem Zentrum

+? Etwas vergrößert, Follikel geschwollen

+ wie bei Nr. 20 +

+? wie bei Nr. 20

wie bei Nr. 20

+? Vs X vergrößert, Follikel geschwollen

+ wie bei Nr. 20

+? wie bei Nr. 20

+ wie bei Nr. 20 + wie bei Nr. 20

+? wie bei Nr. 20

Dieselbe Dosis und derselbe Effekt wie bei den Tieren Nr. 16 u. 17. Mesenterial- usw. drüsen frei Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrüsen. Beginnende Tub. in der Milz?

Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrüsen

+ wie bei Nr. 20 + Etwa 100 linsengroße graue Tuberkel mit gelbem Zentrum

1

4/2 x vergrößert, ein Tuberkel

+ wie bei Nr. 27 +

+? wie bei Nr. 20 + ,

wie bei Nr. 27

nicht vergrößert, zwei Tuberkel

+ Etwa 80 linsengroße graue Tuberkel mit gelbem Zentrum

+ leicht geschwollen, drei Tuberkel

+ wie bei Nr. 30 l ö s u n g III = 0 - 0 5 mg = bar.



1750000

Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen, Bronchialdrüsen und Milz

Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrüsen. Tuberkelbazillen.

In der Milz ein erbsengroßer Abszeß mit Pneumokokken ähnlichen Bakterien.

Tuberkulose a l l e r Drüsen, der Milz, Leber und des Peritoneums. Lungen frei. Bronchialdrüsen kaum geschwollen.

584

H. Findel T a b e l l e VI. Versuch Die Aufschwemmung des Versuches III wird 1:4 verdü: 1 ccm = 0-125 mg Tb.: 1 Liter Atemvolui

14 i § a s * t3 Menge der S fe Ö.S inhalierten Tb. Getötet oder gestorben t ¡¡5H in nach ® s 3 a es o mg Zahl a Q'-S

00 £ -T3

£

Cs ing

u

5

0-0000145 518 get. 20 Tagen 330

35

5

0- 0000148 538 get. 26



350

36

5

0.0000145 518

50



340

37

4 0 0000122 427 get. 27



420

38

3

0-0000083 290 get. 26



250

39

3

0-0000083 290

t

50



270

40

3

0-0000086 300

t

53



300

t

Kinn- und Halsdrüsen

Bronchialdrüsen

etwas groß

kirschkerngroßes Paket, z. T. zentral verkäst

Mesenterial- Portaldi drüsen

+

bohnengroßes leichte Schwellang Paket, z.T. zentral verkäst ? -f+ + erbsengroß über walnuß- leicht kirscM groß, i mit kleinen großes, fast geverki ganz ver- schwolgelben kästes Paket Herden len



+ haselnußgroßes Paket, z. T. zentral verkäst





+ lymphoide wie bei Nr. 37 Hyperplasie, leicht

+

+

+

+

wie bei Nr. 36 wie bei Nr. 36



+ wie bei'

+ Derse be Sekti

Untersuchungen über Inhalations-

und FüMerungstuberkulose

535

25. I. 1900. Nachmittags. also sind 0 - 0 0 2 5 m g Tb. in 2 0 c c m H a O aufgeschwemmt. = 0 - 0 0 0 0 0 8 9 3 m g = 313 Tuberkelbazillen. Sektionsbefund: Inguinaldriisen

Bemerkungen Mite

Leber

Lunge

Nach 20 Tagen Tuberkulose der Lungen und Broncnialdrüsen.

+ \ 60—80 graue miliare bis j stecknadelkopfgroße ! Knoten mit gelblichem | Zentrum. Daneben frische Pneumonie + wie bei Nr. 34

+ über erbsenroß, größere [äseherde als jn den Halsdrüsen

f

j•

60—80 erbsengroße, oft konfluierende Herde, ganz verkäst. Daneben zahlreiche, frische, graue hirsekorngroße ganz graue Tuberkel wie bei Nr. 34

+ wie bei Nr. 36

'

kleine Leber-

+

Cirrhose, zahlreiche Tuberkel

— ?

nicht vergrößert, nur einzelne Follikel Stärker geschwollen

Nach 50 Tagen 4schwere Allum das Doppelte ver- gemeintubergrößert, zahl- kulose. Das Tier ist am 32. Tage reiche mit Milzbrand Tuberkel geimpft.

+

leicht vergrößert 2 Tuberkel

+ wie bei — den Tieren Nr. + 36 und Nr. 40. befund

Dieselbe Dosis und derselbe Effekt wie im Versuch III bei Nr. 30 u. 31. Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen und Broncnialdrüsen

Etwa 50 z. T. konfluierende, graue bis linsengroße Knoten mit gelbem Zentrum + wie bei Nr. 36

Dasselbe nach 26 Tagen, daneben beginn. Tuberkulose der Milz?

wie bei Nr. 36 wie bei Nr. 36

Allgemeintuberkulöse schwersten Grades nach 50 u. 53 Tagen. Die Tiere sind am 32. Tage zu einem Milzbrandversuche benutzt.

H. Findel

536

T a b e l l e VI. •a

s

Menge der inhalierten Tb. Getötet oder gestorben f >i .3 nach S « Zahl mg CÔ o Q--S

'S 13

£

o in g

0-0000053

186 get. 26 Tagen 270

0-0000053

186

40

280

0-00000538 188

t

40

0-00000277

97

t

15

0-00000277

97

t

15



260

0-00000277

97 get. 26



240



290

250

Kinn- und Halsdrüsen

Bronchialdrüsen

Mesenterial- Portaldrüsen drüsen

wie bei Nr. 37

+ + Halsdrüsen haselnußklein erbsen- großes zentral groß mit verkästes Paket gelben Herdchen

wie bei Nr. 36

wie bei Tier Nr. 42

etwas vergrößert,weich lymph.Hyperplasie, leicht + klein haselnußgroßes Paket, zentral z.T. verkäst

K o n t r o l l t i e r e g e i m p f t mit 0-1 und 0-3ccm der A u s Intraperit. mit 0 • 1 ccm t = 0-0125 mg = 437 000 Tb.

46 Tagen 310

Intraperit. mit 0 • 3 ccm t = 0-0375 mg = 1321 000 Tb.

48



370

Allgemeintuberkulose schwersten Grades.

Untersuchungen über Inhalations- und Fütterungstuberkulose

537

(Fortsetzung.) Sektionsbefund: Bemerkungen

Inguinaldrüsen

Lunge

Milz

Leber

Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen und Bronchialdrüsen

25—30 graue linsengroße Knoten mit gelbem Zentrum

+

Axillardrüsen, groß, als die Halsdrüsen, gelbe Herde. Inguin. norm. +

+ 30—35 z. T. konfluierende erbsengroße ganz verkäste Herde

+ wie bei Nr. 42

Axillardrüsen frei, Inguinaldrüsen größer wie die Halsdrüsen.

+ 2 x vergrößert zahlreiche Tuberkel

Cirrhose, Tuberkel

+

wie bei Nr. 42

nicht vergrößert, aber zahlreiche Tuberkel

Nach 15 Tagen beginnende Tuberkulose der Lungen (mikroskopisch sicher nachgewiesen).

2 hirsekorngroße graue Knötchen, Pneumonie Einzelne miliare graue Knötchen, Pneumonie

+

3 graue über stecknadelkopfgroße Knoten mit gelbem Zentrum

g a n g s l ö s u n g IV.

Allgemeintuberkulose mittleren Grades nach 40 Tagen

nicht vergrößert 2 Tuberkel

(1 ccm = 0-125mg T u b e r k e l b a z i l l e n . )

I

Nach 26 Tagen Tuberkulose der Lungen, Bronchialdrüsen und Milz

538

H. Findel

T a b e l l e VII. Es sind in der Ausgangslösung 1 ccm = 0-025 mg Tb. 1 Liter Atemvolumen 11 M 6 a S-o

i

3

Menge der inhalierten Tb. Getötet oder gestorben in ö f nach rag Zahl

u ©

CG 0} 1 u ® H -o i- Kinn- und O Halsdrüsen ing

49

10 0-00000627 218 get. 26 Tagen 460

50

10 0-00000627 218 get. 50



460

51

8 0-000005

175 get. 26



450

52

8 0-000005

175 get. 50



460

53

6 0-00000355 122 t

25



360

54

6 0-00000355 122 get. 50



370

55

5 0-00000305 107 t

26



410

56

5 0-00000305 107 get. 50



410

57 58

5 0*00000314 110 t 4 0-0000024 84 t

n 18

„ „

460 420

59

4 0-0000024

84 T 25



400

leichte Schwellung

Bronchialdrüsen

Mesenterial- Portaldrüsen drüsen

+?

erbsengroßes Paket, markige Schwell.

+ + erbsengroß über walnußkleine gelbe großes verHerde kästes Paket

+?

nur Kinn- erbsengroßes drüse hartes Paket kl. erbsengroß linsengroß





linsengroß

über erbsengroß hart

Kinndrüse linsengroß

+ walnußgroß z. T. verkäst

+?



erbsengroß gelbe Heide —

+

kirschkerngr. z. T. verkäst

Halsdrüsen linsengroß



+ über walnußgroßes verkästes Paket

linsengroß



kirschkerngr. mit gelben Herden



+ erbsengroß gelbe Herde



linsengroß





















Untersuchungen über Inhalations' und Fütterungstuberkulose

539

Versuch V. 26. II. 06. 0-0005 g Tb. in 20ccm H a O aufgeschwemmt. = 0-000001785 mg = 63 Tuberkelbazillen. Sektionsbefund: Inguinaldrüsen

s Ia

Bemerkungen Lungen

+ ? Vereinzelte graue, unregelmäßige luftleere Stellen 1 über erbsengroßer ganz verkästerTuberkel, daneben zahlreiche frische graue bis stecknadelkopfgroße. Ausgedehnte Atelektasen daneb + 1 grauer stecknadelkopfgroßer Knoten

2 alte erbsengroße verkäste Tuberkel, daneben zahlr. frische graue, hirsekorngroße Atelektasen |

Etwa dieselbe Dosis wie in Versuch IV bei dem Tiere 38, der Effekt aber viel geringer Nach 50 Tagen hier fertig 2malvergröß. derselbe Effekt wie bei 39 und 40 dege- zahlreicheTuberkel neriert Makroskop. unsicher, mikroskop. aber sichere beg.Tuberk. Ungefähr dieselbe Dosis wie 41 u. 42 aber geringer. Effekt Nach 50 Tagen bei 2malvergröß. etwa gleicher Dosis zahlreieheTu- auch derselbe Effekt wie bei 43 berkel

Pneumonie + 1 über erbsengroßer verkäster Tuberkel, daneben zahlreiche frische kleine graue ? Pneumonie. Einzelne graue luftleere Stellen + 2 alte erbsengroße, verkäste Tuberkel, daneben zahlr. frische kleine graue Pneumonie

Pneumonie

wie bei Nr. 52

Auch mikroskop. nicht — ? vergrößert, ganz sicher zu entscheiFollikel ge- den, obauchTuberkul., aber sehr wahrscheinl. schwollen + Bei 55, 56, 57 etwa 2malvergröß, dieselbe Dosis wie bei Nr. 44, 45, 46, Effekt Tuberkel aber geringer Mikroskop, sämtliche Lymphzellenanhäuf. stark gegen Norm vergrößert, besonders die an den Teilungsstellen der Bronchien u. die in den Bronchialscheiden

540

H. Findel

Lfde. Nummer dei3 Tieres

T a b e l l e VII. i g

Menge der a:S inhalierten Tb. Getötet oder gestorben in "S « f nach 0> S05 mg A .2 — i ^ -4-3 N SS "S

tn Ol h

37 ?» 11 150 11 37 11 150 11 37 11 150 gest. 76 getöt. 57 ii 57 ii 37 ii 65

ii

des Tuberkelbacillus

553

Fütterung.

Sektionsbefund

Ohne pathologischen Befund desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. Schwere allgemeine Tuberkulose Ohne pathologischen Befund desgl. Ohne pathologischen Befund Schwöre allgemoincTuberkulose. Lungen ganz mit Tuberkeln durchsetzt, sämtliche Drüsen stark geschwollen. Milz stark vergrößert und mit tuberkulösen Knoten durchsetzt In der Lunge etwa 10 z. T. yerkäste Tuberkel. In der Milz tuberkulöse Knoten, sämtl. Lymphdrüsen, besonders die Halsdrüsen stark geschwollen, eine Halsdrüse verkäst Befund wie bei 15 Hals-, Mesenterial- und Bronchialdrüsen stark geschwollen und verkäst, in der Lunge 1 Tuberkel

Noch viel mehr zugunsten der Inhalation verschiebt sich aber das Verhältnis, wenn wir berücksichtigen, daß nur ein kleiner Teil der versprayten Bazillen wirklich in die Lunge der Versuchstiere gelangt sein kann, daß wir also, wie es ja im Plan der Versuche lag, einen sehr großen Fehler zugunsten der Fütterung gemacht haben. W i e groß dieser Fehler ist, davon können wir uns wenigstens eine annähernde Vorstellung durch folgende Überlegung machen. Die Verluste bei der Inhalation setzen sich aus folgenden Faktoren zusammen: 1. Die Versuche fanden im Freien an einem windigen Tage statt. Durch den Wind wird der aus dem Trichter kommende Luftstrom verdünnt, die Tiere atmen also nicht nur die Luft, die den

554

H. Reichenbach

Spray passiert hat, sondern auch Außenluft ein. Die Größe dieses Verlustes auch nur schätzungsweise anzugeben, ist unmöglich. 2. Ein Teil der inhalierten Bakterien bleibt in den oberen Atemwegen hängen und kommt nicht in die Lungen. Nach F I N D E L beträgt diese Menge zwei Drittel der überhaupt aspirierten Bakterien. 3. Die von den Meerschweinchen in der Versuchszeit eingeatmete Luftmenge ist viel kleiner, als diejenige, die in derselben Zeit den Spray passiert. Diese letztere beträgt unter den geschilderten Versuchsbedingungen 6 0 . 1 0 . 1 7 5 ccm = 105 Liter, das Atemvolum der Meerschweinchen etwa 3 Liter. Die Tiere können danach also ^

o

= ^r der den Spray verlassenden Luftmenge und oD

damit der in ihr enthaltenen Bakterien eingeatmet haben. Unter Berücksichtigung dieser beiden Korrektionen wäre also die Verhältniszahl mit 3 . 3 5 = 105 zu multiplizieren, sie würde also 3500.105 = 367500 betragen. Dabei ist aber der Verlust durch den Wind, der sicher nicht unbeträchtlich ist, immer noch außer acht gelassen. Es gelingt also auch mit dieser einfachen, ohne jede Schwierigkeit überall herzustellenden Versuchsanordnung, die gewaltige Überlegenheit des Inhalationsweges auf das schlagendste zu demonstrieren. Tatsächlich haben auch bereits einige Untersucher1 auf briefliche Mitteilung hin diese Versuchsanordnung nachgeprüft und sind im wesentlichen zu denselben Resultaten gekommen, wie ich. Auch C A L M E T T E 2 hat sich davon überzeugt, daß es auf diese Weise mit aller Sicherheit gelingt, mit wenigen Bazillen beim Meerschweinchen eine Inhalationstuberkulose hervorzurufen. Er wendet aber ein, daß bei dieser Anordnung keine natürliche Infektion zustande käme, daß die Tiere eines großen Teiles ihrer natürlichen Schutzmittel beraubt wären, und daß man auf die Art der Infektion des Menschen aus diesen Tierversuchen keine Schlüsse ziehen könne. Was den ersten Einwand anlangt, so muß ich zu meinem Bedauern gestehen, daß er mir nicht ganz verständlich ist. Kann man überhaupt bei einem Tier, das, wie das Meerschweinchen, selten oder garnicht spontan an Tuberkulose erkrankt, von natürlicher Infektion und natürlichen Schutzmitteln reden? und worin sollen diese 1

Z. B. PFEIFFER und FSIEDBEHGER.

D e u t s e h e med. Wochenschrift.

1907.

Nr. 39. S. 1577. Die Angabe der Autoren, daß die Versuchsanordnung von FINDEL herrühre, beruht auf einem Mißverständnis. 2 Verhandlungen der VI. Internationalen Tuberkulose-Konferenz in Wien 1907.

Experiment. Untersuchungen üb. die Eintrittswege des Tuberkelbacillus

555

natürlichen Schutzmittel gegen die Inhalation von Tuberkelbazillen bestehen? Atmen muß doch das Tier, und wenn es atmet, so gelangen auch die in der Luft enthaltenen, bazillenbeladenen Tröpfchen in die Lungen, und wenn sie h i n e i n g e l a n g e n , führen sie unfehlbar zur Entstehung der Tuberkulose. Daß das Meerschweinchen spontan nicht an Tuberkulose erkrankt, hegt nicht etwa an besonderen Schutzmitteln, sondern an der mangelnden Infektionsgelegenheit. Schafft man diese, bringt man etwa das Tier in die Nähe eines hustenden Phthisikers, so erkrankt es ebensogut spontan an Tuberkulose, wie hier in den künstlichen Versuchen. Wenn aber Herr CALMETTE etwa meinen sollte, daß in meinen Versuchen ein besonders tiefes oder forziertes Atmen stattgefunden hätte, wodurch ein leichteres Hineingelangen der Tröpfchen in die Lungen begünstigt wäre, so muß ich das entschieden bestreiten. Die Tiere sitzen in ihrem Kasten vollständig ruhig und atmen in vollständig normaler Weise. Weiter ist von CALMETTE gegen die Bedeutung dieser Versuche eingewendet worden, daß ein Organ zwar sehr empfänglich für Tuberkulose sein könne und trotzdem als Eingangspforte für die Infektion nicht in Betracht zu kommen brauche. Als Beispiel führt er an, daß sich bei Ziegen durch Injektion in die Brustdrüse eine schwere, rasch zum Tode führende Eutertuberkulose erzielen lasse, und daß trotzdem eine primäre Tuberkulose des Euters nicht vorkäme. Aber dieser Vergleich ist doch nicht zutreffend — a u s s c h l a g g e b e n d ist doch auch h i e r wieder der U m s t a n d , ob das b e t r e f f e n d e Organ G e l e g e n h e i t h a t , auf n a t ü r l i c h e m W e g e mit Tuberkelbazillen in B e r ü h r u n g zu kommen. Beim Z i e g e n e u t e r ist das allerdings nicht der Fall, aber zur Aufnahme in die L u n g e des Menschen ist Gelegenheit genug vorhanden.

II. Versuche an Ziegen. Durch die eben geschilderte vereinfachte Methodik war die Möglichkeit gegeben, die vergleichenden Versuche auf beliebige andere Tiere auszudehnen, und zwar auch auf solche, bei denen wegen ihrer Größe der Inhalationsapparat nicht in Anwendung kommen konnte. Am wünschenswertesten erschien es zunächst, das Verhalten der Ziege gegenüber beiden Infektionsarten zu untersuchen, und zwar deshalb, weil der eifrigste Verfechter der Lehre von der intestinalen Infektion, dessen Arbeiten die meiste Beachtung gefunden

556

II. Beichenbach

haben und auf den sich auch v. BEHRING 1 beruft, CALMETTE, seine entscheidenden Versuche an Z i e g e n angestellt hat. Die erste Mitteilung von CALMETTE und GÜÉRIN kann als typisches Beispiel für den oben dargelegten Trugschluß gelten. In der ganzen Arbeit ist von der Inhalation überhaupt nicht die Eede; nur aus der Tatsache, daß es gelingt, bei Ziegen durch Fütterung eine Lungentuberkulose hervorzurufen, schließen die Verfasser, daß bei Menschen die Lungenschwindsucht vorwiegend intestinalen Ursprungs sei. In den späteren Mitteilungen,2 in denen sie über Wiederholung der Versuche an Eindern berichten, fühlen die Verfasser allerdings selbst die Notwendigkeit, die Möglichkeit der Inhalation in Erwägung zu ziehen. Eigene Experimente haben sie aber auch hier nur an zwei Meerschweinchen und nur mit trockenen Tuberkelbazillen angestellt. Diese wurden 20 Minuten lang in einer dichten Staubwolke von pulverisierten Tuberkelbazillen gehalten und gleich darauf getötet. Trachea, Ösophagus und Lungen wurden auf weitere Tiere verimpft. Zwei mit dem Ösophagus geimpfte Tiere wurden beide tuberkulös, von zwei mit der Trachea geimpften nur eins und von vier mit Lungenstückchen geimpften nur zwei. Die Verfasser schließen aus diesen Versuchen, und zwar mit Recht, daß von eingeatmetem trockenem Staube nur ein sehr kleiner Teil wirklich in die Lungen gelangt. Wenn die Verfasser dann aber weiterhin sagen, daß kein Beweis dafür vorläge, daß diese wenigen, in die Lunge gelangten Bazillen eine Erkrankung hervorgerufen hätten, so kann dem mit derselben Berechtigung entgegengehalten werden, daß ebenso durch nichts bewiesen ist, daß eine Erkrankung n i c h t stattgefunden hätte. Es ist zu bedauern, daß die Verfasser keine eigentlichen Infektionsexperimente, insbesondere solche mit bazillenhaltigen Tröpfchen angestellt haben. Statt dessen zitieren sie nur die negativen Resultate anderer Forscher, die bei intratrachealer Injektion und bei trockener Verstäubung von Tuberkelbazillen keine Infektion der Lungen erzielt werden konnten. Die positiven Ergebnisse, die z. B. NOCARD und ROSSIGNOL sowohl bei trockner, als bei feuchter Zerstäubung erhielten, sind nach den Verfassern nicht den in die Lunge gelangten, sondern den verschluckten Bazillen zuzuschreiben, und den Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung hielten sie für erbracht, als es ihnen gelang, durch Fütterung mit der Schlundsonde dieselben Lungenveränderungen in derselben Zeit hervor1

v. BEHRING, Beiträge zur experimentellen Therapie. Heft 11, S. 80 a. * CALMETTE et GDÉHIN, Origine intestinale de la tuberculose pulmonaise etc. II. u. III. mémoire. Annales de l'Institut Pasteur. 1906. S. 353 u. 609.

Experiment. Untersuchungen üb. die Eintrittswege des Tuberkelbacillus

557

zurufen, wie sie N O C A E D und R O S S I G N O L durch Inhalation erzielt hatten. Auch hier hätte eine quantitative Überlegung die Verfasser stutzig machen können. Sie haben zur Infektion der Tiere auf intestinalem Wege sehr große Dosen, bei Ziegen 200 mg, bei Rindern 250 mg gebraucht. Nun ist es doch in höchstem Grade unwahrscheinlich, daß bei Inhalationsexperimenten, und besonders bei der feuchten Verstäubung, solche gewaltigen Mengen in die Mundhöhle gelangt und verschluckt worden sind. Jedenfalls mußte versucht werden, ob nicht für die Infektion auf dem Luftwege viel kleinere Mengen ausreichen, und zwar so kleine Mengen, daß der unfreiwillig verschluckte Anteil auf keinen Fall zur Infektion vom Darme aus führen konnte. Unter diesem Gesichtspunkte sind die folgenden Versuche an Ziegen angestellt. Der Plan der Versuche war derselbe, wie bei den Meerschweinchen; es sollten gleiche Mengen inhaliert und verfüttert werden. Bei der Abmessung der Fütterungsdosen sollte wieder die gesamte versprayte Menge als in die Lunge gelangt angesehen werden. Da aber von vornherein anzunehmen war, daß für die Fütterung sehr viel größere Dosen nötig sein würden, so habe ich, um an Tiermaterial zu sparen, nur einem Tierpaar wirklich gleiche Dosen zugegen und zwar 1 mg. Von da an bin ich bei der Inhalation mit den Dosen herunter, und zwar auf 0,1 und 0,01 mg, gegangen, bei der Fütterung hinauf, und zwar auf 5 und 25 mg. Tier 1 und 4, 2 und 5 und 3 und 6 waren von demselben Wurf, 1, 2, 4 und 5 vier Wochen, 3 und 6 drei Wochen alt. Die Anordnung bei der Inhalation war genau dieselbe wie bei den Meerschweinchen, die Fütterung geschah mit der Flasche und zwar war die Tuberkelbazillenaufschwemmung mit etwa 50 ccm Milch vermischt. Die Fütterung machte keine Schwierigkeiten, die Tiere tranken die Milch willig aus, nur bei Nr. 5 gingen einige Kubikzentimeter verloren. Die benutzte Kultur, Typus bovinus, war 8 Wochen alt, aber in den letzten 14 Tagen noch kräftig gewachsen. Die Versuche fanden am 24. April 1907 statt, am 31. Mai, also 37 Tage später, wurde das Tier Nr. 1, welches 1 mg inhaliert hatte, getötet. Bei der Sektion zeigten sich die Lungen vollständig durchsetzt von kleinen, etwa hanfkorngroßen Tuberkeln, die zum Teil, besonders in den Oberlappen, konfluierten; einige von ihnen zeigten im Zentrum schon deutliche Verkäsung. Alle übrigen Organe waren vollständig normal. Von Lymphdrüsen waren die Bronchialdrüsen stark geschwollen, taubeneigroß, aber nicht verkäst. Die Kinn- und.

558

H. Reichenbach

Halsdrüsen waren bohnengroß, Portaldrüse haselnußgroß, die Mesenterialdrüsen haselnuß- bis taubeneigroß. Am 19. Juni, also nach 56 Tagen wurden die beiden anderen Inhalationstiere, welche 0,1 und 0,01 mg erhalten hatten, getötet, ebenso das Tier 6, das mit 25 mg g e f ü t t e r t war. Um über die normale Größe der Lymphdrüsen Aufschluß zu erhalten, wurde gleichzeitig ein gesundes Tier, das nie mit Tuberkelbazillen in Berührung gekommen war, getötet. Die beiden Inhalationstiere boten annähernd denselben Befund; bei beiden waren die Lungen mit gut kirschkerngroßen, zum größten Teil verkästen Tuberkeln durchsetzt. Bei Nr. 2 waren die Tuberkel zahlreicher als bei Nr. 3. Die Bronchialdrüsen waren bei beiden etwa walnußgroß und zeigten im Innern verkalkte Stellen, die Halsdrüsen hatten die Größe einer Bohne. Die Mesenterialdrüsen waren gegen die des normalen Tieres etwas vergrößert, zeigten aber keinen pathologischen Befund. Alle übrigen Organe waren vollständig normal. Daß gefütterte Tier, Nr. 6, zeigte an keinem Organ — mit der einzigen unten erwähnten Ausnahme — einen pathologischen Befund. Von den Bronchialdrüsen hatte eine die Größe einer Bohne, alle übrigen waren klein. Die Mesenterialdrüsen waren aber entschieden vergrößert und besaßen in der äußeren Schicht eine Anzahl verkalkter Stellen. Deutliche Tuberkel konnten aber makroskopisch nicht nachgewiesen werden. Die größte von ihnen bildete einen Strang von 5 cm Länge und 1 J / 2 c m Durchmesser. Hals- und Kinndrüsen erbsen- bis bohnengroß, Portaldrüse haselnußgroß. Die mikroskopische Untersuchung der Mesenterialdrüsen ergab das Vorhandensein zahlreicher Tuberkel mit verkästem, meistens auch verkalktem Zentrum. An der Peripherie fanden sich zahlreiche Riesenzellen mit zerfallenden schwach gefärbten Tuberkelbazillen. Wohl erhaltene, gut gefärbte Tuberkelbazillen konnten trotz eifrigen Suchens nicht aufgefunden werden. Das zweite Fütterungstier, Nr. 5, welches 5 mg erhalten hatte, wurde am 6. August, also nach 104 Tagen getötet. Der Befund war ganz ähnlich, wie bei Nr. 6. In keinem Organ konnte irgend ein pathologischer Befund konstatiert werden. Nur die Mesenterialdrüsen waren ebenfalls vergrößert, die größte bildete wieder einen Strang von 5 cm Länge und von 2 cm Durchmesser, die kleinsten waren haselnußgroß. Auch diesmal fanden sich wieder verkalkte Stellen, aber nur ganz vereinzelt, keine deutlichen Tuberkel. Die mikroskopische Untersuchung ergab, außer einer starken Schwellung der Lymphfollikel, keine pathologischen Veränderungen. Die bei

Experiment. Untersuchungen üb. die Eintrittswege des Tuberkelbaeillus

559

der Sektion konstatierten vereinzelten verkalkten Stellen konnten nicht wieder aufgefunden werden. Das dritte Fütterungstier, Nr. 4, ist noch am Leben, hat sich ganz normal entwickelt und erfreut sich des besten Wohlbefindens. Was zunächst mit absoluter Sicherheit aus diesen Ziegenversuchen hervorgeht, ist, daß auch hier, ebenso wie bei den Meerschweinchen, nicht davon die Rede sein kann, daß die beobachtete Tuberkulose der Lungen vom Darm aus durch verschluckte Bazillen entstanden ist. Eine Erkrankung der Lungen durch Fütterung wurde in diesen Versuchen überhaupt nicht erzielt, selbst nicht durch das 2500 fache der Dosis, die bei der Inhalation noch sicher zur Infektion geführt hat. Allerdings haben sich in den Mesenterialdrüsen, bei beiden Fütterungstieren Veränderungen gefunden, die bei Nr. 6 sicher, bei Nr. 5 mit großer Wahrscheinlichkeit auf tuberkulöser Infektion beruhen; es ist aber keineswegs sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich, daß von hier aus bei längerer Lebensdauer der Tiere die Infektion weiter gegangen wäre und zu einer allgemeinen Tuberkulose geführt hätte. Dagegen spricht schon der Umstand, daß der Prozeß in den 48 Tagen, welche zwischen der Tötung des ersten und zweiten Fütterungstieres lagen, keine Fortschritte gemacht hat. Im Gegenteil, der mikroskopische Befund läßt schon bei dem ersten Tiere darauf schließen, daß die in die Drüsen gelangten Tuberkelbazillen bereits abgetötet waren. Aber selbst, wenn man annehmen wollte, daß sogar die 5 mg zur Infektion des Tieres geführt hätten, würde sich immer noch eine gewaltige Überlegenheit der Inhalation ergeben. Die zur I n f e k t i o n e r f o r d e r l i c h e F ü t t e r u n g s d o s i s w ü r d e a u c h d a n n n o c h 500 m a l so g r o ß s e i n , wie die b e i d e r I n h a l a t i o n ü b e r h a u p t v e r s p r a y t e n i e d r i g s t e Menge. I n Wirklichkeit liegt die kleinste Dosis für die Inhalation natürlich noch viel niedriger; die unterste Grenze wurde überhaupt nicht erreicht, und von der versprayten Menge von 0-01 mg konnte, wie oben bei den Meerschweinchenversuchen dargelegt ist, nur ein Bruchteil wirklich in die Lungen gelangen.

III. Fütterung von Meerschweinchen mit wiederholten kleinen Dosen. In den eben geschilderten Versuchen wurden absichtlich für die Fütterung nur einmalige Gaben verwandt, da es ja darauf ankam, direkte Vergleichszahlen zwischen den beiden Infektionswegen

560

H. Reichenbach

zu erhalten, und davor allen Dingen auch der Nachweis geführt werden s o l l t e , daß die bei der I n h a l a t i o n v e r s c h l u c k t e n B a z i l l e n n i c h t zur I n f e k t i o n vom Darm aus führen konnten. Nun ist aber von verschiedenen Seiten, und mit besonderem Nachdruck in letzter Zeit von C a l m e t t e und Guübin, betont worden, daß die Wirksamkeit der intestinalen Einverleibung durch mehrmalige Wiederholung der Dosen ganz außerordentlich gesteigert wird. Die Ausführungen der Verfasser gipfeln in dem Satze, daß eine einmalige intestinale Infektion mit mäßigen Bazillenmengen nach ungefähr drei Monaten heilen kann und dann — nach einer neueren Mitteilung1 — zur Immunität führt, daß dagegen eine zweioder mehrmalige Einverleibung derselben Dosis, wenn sie innerhalb einiger Tage oder Wochen stattfindet, immer zu einer schweren Allgemeininfektion führt. Diese Angaben beziehen sich nur auf die m e h r m a l i g e W i e d e r h o l u n g derselben, für sich allein unzureichenden Dosis. Nun liegt aber doch auch sicher die Möglichkeit vor, mit einer e i n m a l i g e n Gabe, wenn sie nur groß genug ist, tödliche Infektion zu erzielen. Es entsteht also noch die Frage, ob eine bei einm a l i g e r Gabe unzureichende D o s i s wirksam werden kann, nicht nur dadurch, daß man sie wiederholt, sondern auch dadurch, daß man sie auf mehrere D o s e n v e r t e i l t , mit anderen Worten, ob der untere Grenzwert für die tödliche Infektion sich ändert, je nachdem, ob man die Menge auf einmal gibt, oder auf mehrere Gaben verteilt Diese Frage, die von C a l m e t t e und GuSbin nicht aufgestellt ist, schien mir für den Vergleich mit dem Inhalationsweg die wichtigste zu sein, da es ja möglich war, daß durch die Verteilung der Gesamtmenge auf mehrere kleine Dosen eine Verschiebung des Verhältnisses zugunsten der Verfütterung eintreten würde. Allerdings mußte dann auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß auch die Inhalation bei mehrmaliger Einverleibung kleiner Dosen an Wirkung gewönne. Diese letztere Frage habe ich zuerst experimentell zu prüfen versucht, die Versuche sind aber daran gescheitert, daß es mir nicht geglückt ist, mit der Einzeldosis unter der wirksamen Größe zu bleiben. Ich habe in Anbetracht der FiNDEL'schen Ergebnisse, der zur Infektion 20 bis 62 Bazillen für nötig erachtet, Einzeldosen von 1 CALMETTE et GCÉBIN, Contribution à l'étude de la vaccination- des bovidés contre la tuberculose par les voies digestives. Annales de l'Institut Pasteur, Bd. 21. 1907. S. 525.

Experiment.

Untersuchungen üb. die Eintrittswege

des Tuberkelbacillus

561

3 bis 10 Bazillen und als geringste Gesamtdosis 3 x 3 Bazillen verwandt; sämtliche Tiere, auch die mit 3 x 3 Bazillen, wurden tuberkulös, wenn sie auch nur wenige, manchmal sogar nur einen Tuberkel aufwiesen. Ich habe also die wirksame Dosis noch niedriger gefunden als F I N D E L , was vielleicht einer größeren Virulenz der von mir benutzten Kultur zuzuschreiben ist. Offenbar ist das Meerschweinchen für diese Versuche viel zu empfindlich; wahrscheinlich genügt eben ein einziger, an eine geeignete Stelle der Lunge gelangter Bacillus, um einen Tuberkel zu erzeugen. Vielleicht läßt sich durch Versuche an dem viel weniger empfindlichen Kaninchen, das in dieser Hinsicht wohl dem Menschen näher steht, die Frage eher zur Entscheidung zu bringen. Sehr gut dagegen eignet sich das Meerschweinchen, um die Wirkung wiederholter kleiner Dosen bei der Verfütterung zu studieren. Um zunächst die sicher wirksame Einzeldosis zu ermitteln, wurde eine Reihe von 20 Meerschweinchen mit einmaligen Gaben von 0>5 bis 10 mg gefüttert. Die Fütterung dieser Tiere hat freundlichst Herr Dr. A L E X A N D E R übernommen. Es ergab sich, (s. Tabelle III), daß sämtliche Tiere, die weniger als 10 mg erhalten hatten, gesund blieben, während 10 mg in allen Fällen zur Infektion genügten. Man muß also annehmen, daß die wirksame einmalige Dosis zwischen 5 und 10 mg gelegen ist. Diese Dosis ist erheblich niedriger, als sie von U E T E N H E I M E R 1 gefanden wurde, der für erwachsene Meerschweinchen Mengen von ca. 150 mg für erforderlich hält. Wahrscheinlich beruht der Unterschied aber nur darauf, daß U F F E N H E I M E B bei erwachsenen Tieren 7

i

überhaupt keine geringeren Mengen als 150 mg angewandt hat, und nur aus dem langsamen Verlauf der Krankheit den Schluß zieht, daß diese Dosis der Minimaldosis nahe käme. Natürlich könnten auch Virulenzunterschiede hierbei eine Rolle spielen. Noch viel niedriger als ich, hat-ORTH 2 die wirksame Dosis gefunden, der bei Injektion in das Rektum mit 0-1 mg in Milch verriebener Bazillen sichere Infektion erzielen konnte. Hier ist zweifellos das Vehikel von großem Einfluß gewesen, da O R T H selbst angibt, daß bei Aufschwemmung in physiologischer Kochsalzlösung mit dieser Dosis keine sichere Wirkung erzielt wurde. Wie weit auch die Art der Applikation mitgewirkt hat, ist ohne eingehendere Versuche nicht zu entscheiden.3 U F F E N H E I M E R , Archiv für Hygiene. 1906. Bd. 55. S. 1. Verhandlungen der VI. Internationalen Tuberkulosekonferenz in Wien. ' Während der Korrektur erhalte ich Kenntnis von einer unter KOLLES Leitung angefertigten Arbeit von L A F F E B T (Arbeiten aus dem Institut zur 1

2

FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

36

562

II. Reichenbach

In meinen Versuchen ist die Verabreichung der Bazillen durchweg in der früher geschilderten Weise durch Vermischung der im Achatmörser sorgfältig verriebenen, in Wasser aufgeschwemmten Kultur mit Mohrrübenbrei geschehen. Ich habe absichtlich diesen Modus der Verabreichung gewählt, hauptsächlich, weil er gegenüber der — vielleicht wirksameren — Darreichung in Milch wenigstens bei erwachsenen Meerschweinchen entschieden den natürlicheren Weg der Infektion darstellt. Die Verabreichung in Milch hätte ferner die Anwendung der Sehlundsonde nötig gemacht, da die Meerschweinchen nur sehr schwer dazu zu bringen sind, freiwillig Milch zu saufen. Die Anwendung der Schlundsonde glaubte ich aber vermeiden zu sollen, in der — vielleicht etwas übertriebenen — Furcht, daß dabei durch Aspiration eine direkte Infektion der Lunge eintreten könnte. Die ORTH sehe Methode der rektalen Injektion, durch welche sieh dieses zweite Bedenken hätte beseitigen lassen, war mir damals noch nicht bekannt Die w i e d e r h o l t e F ü t t e r u n g , deren Ausführung Herr Dr.. W. KOHN übernommen hatte, konnte an 17 Tieren durchgeführt werden. Der Versuch war ursprünglich in größerer Ausdehnung angelegt, leider aber fielen noch vor Beendigung der Fütterung eine Anzahl der Tiere einer Seuche zum Opfer. Die Fütterung geschah, wenn nicht äußere Umstände es verhinderten, täglich, die Einzeldosen betrugen 0*02 bis 1-0 mg. Diese Dosen wurden 5- bis 72mal wiederholt. Die Gresamtdosen betrugen 1-02 bis 20 mg. Die Resultate der Versuche zeigt Tabelle III. Es hatten also 10 mg, auf 10 Dosen von 1mg verteilt, ebenso wie die Einzeldosis von 10 mg zur Infektion genügt, während 10 Einzeldosen von 0-5 mg ebenso wie die einmalige Gabe von 5-0mg wirkungslos blieben. Hier hatte es also noch keinen Unterschied gemacht, ob die Dosen auf einmal, oder auf Einzelgaben verteilt, gegeben wurden. Sobald aber die Anzahl der Einzeldosen steigt, zeigt sich eine beträchtliche Erhöhung der Wirkung: 20 mal 0-2 mg führten schon zur Infektion, 30mal 0-2 blieben allerdings wieder wirkungslos, aber mit 57 mal 0-1, 63mal 0*1 und 72 mal 0-1 wurde wieder sichere Infektion erreicht. Ja sogar die geringe Gesamtdosis von 1-02 mg, auf 51 Einzeldosen von 0-02 mg verteilt, hatte — wenigstens bei zweien von vier Tieren — eine Infektion Erforschung d'er Infektionskrankheiten in Bern. Heft 1. Jena, Fischer, 1908). IMe Arbeit kommt sowohl bezüglich der Fütterungs- wie auch der Inhalationsdosis fast genau zu demselben Resultat wie ich.

Experiment.

Untersuchungen üb. die Eintrittswege

T a b e l l e III. Getötet oder Nr. des Dosis gestorben Tieres mg nach Tagen 457 458 459 460 461 402 401 403 404 405 452 453 454 455 456 406

0-5 0-5 0-5 0-5 0-5 1-0 1.0 1-0 1-0 1-0 5-0 5-0 5-0 5-0 5-0 10-0

gest. 73 getöt. 158 „ 158 » 158 „ 158 gest. 1 getöt. 76 „ 172 „ 172 „ 172 gest. 20 getöt. 36 „ 52 „ 67 „ 103 gest. 20

407

10-0

getöt.

30

408

10-0



46

409

10'0



62

410

10-0



123

des Tuberkelbacillus

563

Fütterung.

Sektionsbefund Pneumokokkensepsis. Keine Tuberkulose. Ohne pathologischen Befund. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. desgl. Pneumokokkensepsis. Kein^ Tuberkulose. Ohne pathologischen Befand. Ohne pathologischen Befund. Ohne pathologischen Befund. Ohne pathologischen Befund. Hals- und Mesenterialdrüsen etwas geschwollen, sonst ohne pathologischen Befund. Mesenterialdrüsen geschwollen, erbsengroß. Mikroskopisch Tuberkelbazillen nachzuweisen. Mesenterial- und HalsdrQsen kirschkerngroß. Mikroskopisch Tuberkelbazillen nachzuweisen. Vereinzelte, teils verkäste Tuberkel in der Lunge. Milz stark vergrößert, von tuberkulösen Knoten durchsetzt. Sämtliche Lymphdrüsen, auch die Bronchialdrüsen stark geschwollen. Schwere allgemeine Tuberkulose der Lungen, Milz, Leber. Sämtliche Lymphdrüsen geschwollen. Portaldrüse haselnußgroß, verkäst und verkalkt. Bronchialdrüsen verkäst.

zur Folge. E s s c h e i n t a l s o , a l s ob i n n e r h a l b gewisser Grenzen w e n i g e r die Größe der E i n z e l d o s e , als der Zeitraum, w ä h r e n d d e s s e n die F ü t t e r u n g f o r t g e s e t z t wird, den A u s s c h l a g gibt. Der untere Grenzwert wurde in diesen Versuchen nicht ganz erreicht, es ist demnach nicht unmöglich, daß auch noch kleinere Einzeldosen als 0 - 0 2 mg, wenn sie genügend lange Zeit gegeben werden, oder noch kleinere Gesamtdosen als 1 m g , wenn sie auf genügend lange Zeit verteilt werden, zur Infektion führen können. 36*

564 Daß allerdings der Grenzwert sehr viel tiefer liegt, ist nicht anzunehmen, da schon bei diesen Dosen die Wirkung nur bei der Hälfte der Tiere und nur sehr langsam eintrat. Diese somit nachgewiesene Erhöhung der Wirksamkeit durch Verteilung auf kleine Einzelgaben ist in mehrfacher Hinsicht, von Interesse. Am wenigsten Bedeutung möchte ich dem Umstand beilegen, daß dadurch eine geringe Verschiebung des zahlenmäßigen Verhältnisses der Wirksamkeit von Fütterung und Inhalation, zugunsten der Fütterung eintritt. Denn wenn man sich vorstellt, welche Eiesenmenge auch noch die kleinste Einzelgabe, 0-02 mg = 800000 Bazillen, die 50 mal wiederholt werden mußte, um wirksam zu werden, gegenüber der kleinsten Inhalationsdosis (nach, meinen Versuchen 9 Bazillen), die bei einmaliger Anwendung zur Infektion führt, bedeutet, so bleibt immer noch eine ganz ungeheure Überlegenheit des Inhalationsweges bestehen. Beachtenswerter dagegen erscheint es, daß diese gewissermaßen kumulative Wirkung kleiner Einzelgaben für die Entstehung der menschlichen Tuberkulose, soweit überhaupt aus den Tierexperimenten Schlüsse zulässig sind, insofern von Bedeutung werden kann, als man geradp beim Menschen annehmen muß, daß die Aufnahme von Tuberkelbazillen in den Darm öfter hintereinander erfolgt. Allerdings wird man dem entgegenhalten können, daß auch die Aufnahme durch Inhalation sich oft wiederholt, und daß es keineswegs ausgeschlossen ist, daß auch hier eine ähnliche Erhöhung der Wirkung durch die Wiederholung stattfindet. IV. Versuche mit Ausschluß des Nasenrachenraumes. Durch die im vorhergehenden geschilderten vergleichenden Ver, suche ist der Beweis erbracht, daß bei richtig angestellten Inhalationsexperimenten der erzielte Erfolg nicht den unabsichtlich verfütterten Bazillen zuzuschreiben ist. Es wäre nun aber noch der Einwand möglich, daß die Bazillen zwar nicht durch den unteren Teil des Verdauungstraktus aufgenommen werden, wohl aber durch den oberen Teil, daß sie „durch die Schleimhaut des Nasenrachenringes hindurch in die Lymphgefäße des Halses und von da aus in den Thoraxraum und in die Lungen gelangen" (v. BEHRING). 1 Daß beim Menschen auf diesem Wege eine Infektion der Lungen wirklich 1 v. BEHRING, Beitrag zur Lehre von den Infektionswegen der Tuberkulose. Tuberkulosis. Bd. 6. 1907. S. 423.

Experiment. Untersuchungen üb. die Eintrittswege

Tabelle IV.

des Tuberkelbacillus

565

Fütterung mit wiederholten kleinen Dosen.

tn a V Getötet ^ .3 *{ÖH£> 3 oin £am .2 'S© !-i iD N ^ c o Tage nach Sektionsbefund C a S"« Ci Tötng.(x) Tage

®S "S » •8 s S "

:

495

100

4. VI.

X

6. XI.

155

+

496

100

4. VI.

X

6. XI.

155

+

497 503 502

100 1 000 1 000

4. VI. 4. VI. 4. VI.

X

6. XI. 9. VU 6. XI.

155 35 155

544 547 546 549 550 548 552

10 000 10 000 10 000 25 000 25 000 25 000 50 000

6. VII. 6. VII. 6. VII. 6. VII. 6. VII. 6. VII. 6. VII.

t 22. VII. 112.VIII. X 6. XI. 118.VIII. t 18. IX. X 6. XI.

553 554

50 000 50 000

6. VII. 6. VII.

t X

t

2.VIII.

16 37 123 43 74 123 27

X

6. IX. 6. XI.

62 123

X

+

Befund

20 bis 30 teilweise verkäste Tb. in der Lunge. Andere Organe frei Besonders im Unterlappen deutliehe Tuberkel. Ebenso



+

Zieml. zahlr. Tb. in den Lungen. Bronchialdr. etwas geschwollen

— —

+

2 Tuberkel in der Lunge



+ 1 Zahlreiche bis haselnußgroße ver-

+ | käste Tuberkel. Organe frei + Mikroskopisch beginnende Tuberkulose j Zahlr. Tuberkel in der Lunge. + i Leber, Milz usw. frei. Bronchial-t1 drüsen etwas geschwollen

576

Joh. Alexander

Da ;um Dosis a £ © ä des in mg der InfekTodes (|) (1 mg = 40 bzw. der tion Mill. Baz.) Tötng.(x) T a g e

Resul tat

Nr. des Versuchstieres

T a b e l l e IV. Fütterung von Typus humanus.

462

5-0

6. I V .

t 18. IV.

12

464

5-0

6. IV.

1 2 4 . VIII.

140

463

5-0

6. IV.

X 12. I X .

159



445

10-0

26. I I I .

t 15. VI.

81



26. m :

X 9. VII. 105



26. I I I .

x

9. I X .

167



16



105



170





446

100

447

100

449

25-0

26. I I I .

t 11-IV.

448

25-0

ae. m .

x

450

25.0

26. I I I .

X 12. I X .

441

40-0

22. I I I .

t

7. IV.

16



439

50-0

22. I I I .

X

22. IV.

31



440

500

22. i n .

X

6.V.

45



451

50-0

26. I I I .

X 12. I X .

443

100-0

26. I I I .

t

442

100-0

26. i n .

X

444

180*0

26. I I I .

;

9. V I I .

170



13



27. V.

62



X 26. IV.

31



8. IV.

Befund

Milz weiter geimpft, negativ

Wiederholte Fütterung.

536

3x25 0

zuletzt 1. V I I .

x 13. VII.

534

3X25 0

1. V I I .

+ 22. V I I .

535

3x25 0

1. V I I .

f

537

3x25 0

541

6x 5 0

12

•—

21



2.1.

185



1. V I I .

+ 9.1.

192



4. VII.

t 13. VII.

9



538

6X 5 0

4. V I I .

X

64



540

6X 5 0

4. V I I .

f 12. X I I .

167



539

6x 5 0

4. V I I .

t

180

— .

6. I X . u

Milz auf Meerschweinchen verimpft, negativ

Enteritis, keine Zeichen von Tuberkulose Milz und Mesenterialdrüsen verimpft, negativ

des Kaninchens

gegenüber

524

Dosis iu mg (1 mg = 40 Mill. Baz.

Nr. des I Versuchstieres I

T a b e l l e V.

523

6

0-1 X 0-1

522

6

X

527

0-1

0-5

526

4

525 528

6

530

X

0-5

X 0-5 2 mg

3x2 10 mg

531 533

2

X

10

532

2

X

10

568 569 566 567

5 X

10

5 5 5

X

10 10

X

10

X

I

! ¿

des jg s der Infek-; Todes (f)| bzw- der i tion Tötng.(x) Tage VI. 7 VI. bis 7 3 . VII. 5. VI. bis X 3 . VII. 5 . VI. X zuletzt 1. VII. X zuletzt 3. VII. X 5 . VI. x 5.

5.

14. VII.! 3. XI.

40 62



4. I X .

91



24. II.

236

_

24. X I I . 7. X I .

174 155

_

29. VI. x 7. X I . 5 . VI. x 19. VII. zuletzt 28. VI. 122. VII. zuletzt 28. VI. X 7. X I . zuletzt 10. VII. f 13. VIII. 1 0 . VII. 1 1 7 . VIII. 1 0 . VII. t 2 o . v m . 10. VII. t 13. I.

131 45

M 50 50 50 500 500 500

FLÜGGE, Tuberkulose

Befund



128

d a> — ja



Vereinzelte glasige Knötchen. Mikroskopisch nicht Tuberkulose Ebenso. Mesdr. usw. normal



24 132

_

34 38 41 187

— —

Eitrige Pleuritis und Pericarditia. Lunge zu einem großen Teil vereitert. Tuberkelbazillen nicht gefunden; aber schwierig zu untersuchen

Intravenöse Injektion von Typus humanus. Datum

5K £3 ® des der Infek- Todes (|) bzw. der tion Tötng.( x )j Tage 23. 23. 23. 23. 23. 23.

577



6. X I .

Dosis

Infektionswegen

F ü t t e r u n g von Typus bovinus.

Datum

T a b e l l e VI.

in mg

den verschied.

Resultat

Verhalten

III III. III. III. III. III.

x x x x x X

|s

8.V. 10. I X . 10. I X . 10. I X . 10. I X . 10. IX.

Befund

46

170 170 170 170 170 37

Joh. Alexander

578

T a b e l l e VI. Dosis d

Ol

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596

Bruno Heymann

Tiere getötet, um den Respirationstrakt auf die Gegenwart von hineingelangten Keimen zu prüfen. — Diese Untersuchung der Lungen wurde mittels Verfertigung mehrerer Quetschpräparate und Yerimpfung von Lungenstücken in die Bauchhöhle durchgeführt." Angesichts der vielfach irrtümlichen Verwertung der KOVÄCSschen Versuchsergebnisse habe ich die — hier ausschließlich interessierenden — Inhalationsversuche nach den Originalprotokollen in Tabelle I kurz zusammengestellt. Am bedeutsamsten ist hiernach der direkte N a c h w e i s von Tuberkelbazillen (einmal) im Kehlkopf und (zweimal) in der Lunge sofort nach der Inhalation. Bemerkenswert ist ferner die Beschränkung der pathologischen Befunde ausschließlich auf die Submaxillar-, Cervical-, Tracheal-, Bronchialdrüsen und die Lungen, während am Intestinaltraktus und seinen regionären Drüsen Abnormes nicht gefunden wurde. Allerdings hat sich KOVÄCS offenbar nur mit ihrer m a k r o s k o p i s c h e n B e s i c h t i g u n g begnügt. Hier wie auch bei der Untersuchung der in der Tabelle aufgeführten Organe wäre eine ausgedehntere Anwendung der Verimpfung auf andere Tiere erwünscht gewesen. Nur in zwei Fällen, und zwar mit Lungen, ist von ihr Gebrauch gemacht worden; beide Male mit n e g a t i v e m Ergebnis. Dieser, besonders bei dem Tier I) 1 (mit positivem Bazillenbefund im Kehlkopf) auffällige Mißerfolg erklärt sich indes unschwer aus dem wahrscheinlich nicht recht geeigneten Inhalationsmaterial, das infolge der tagelangen scharfen Trocknung wohl nur noch teilweise virulent und außerdem vielleicht zu grobkörnig war; es ist ja eine längst bekannte Tatsache, daß mit trockenem, staubförmigem Material Inhalationsexperimente mit Tuberkelbazillen sehr häufig mißlingen (vgl. die unten abgedruckte Arbeit von KOEHLISCH). Nur so erklären sich auch die spärlichen positiven Ausschläge überhaupt: Von sechs überlebenden Tieren erweisen sich nur zwei infiziert. Besser war offenbar das Verstäubungsmaterial bei der zweiten Versuchsreihe: Hier sind von fünf überlebenden Tieren vier sicher infiziert, das fünfte hat stark geschwollene Cervical- und Bronchialdrüsen, sowie in der Lunge Knötchen, über deren Natur allerdings weitere Angaben fehlen. Doch sind auch bei diesen Tieren selbst 2 Monate nach der Inhalation die Veränderungen relativ gering. KOVÄCS kommt dadurch, daß er die Erschwerung der Versuchsbedingungen nicht genügend würdigt, zu einer Unterschätzung des „direkten BazillenimpQrts mit dem Inhalationsstrom" gegenüber der „lymphohämatogenen" Lungeninfektion vom Darm aus, welche ihm bei Verfutterung g r o ß e r Dosen Tuberkelbazillen-Reinkultur mehrfach gelang. Er hätte sicher ganz andere Eindrücke aus seinen

Aufnahme inhalierter Tuberkelbazillen in die Luvge

597

Versuchsreihen gewonnen, wenn er zur Inhalation einen Spray feiner Tröpfchen benutzt hätte, oder einen künstlich aufgewirbelten, ausgewählten Staub, wie ihn KOEHLISCH (siehe unten) benutzte. 1 BAETEL und NEUMANN setzten alte und junge Meerschweinchen in einem besonderen Inhalationsapparat einem Spraynebel von Tuberkelbazillen-Reinkulturaufschwemmung verschieden starker Konzentration (1 mg Kultur Menschentuberkelbazillen pro Kubikzentimeter in 1la-, Vio" u n d Vic prozentiger Verdünnung) 2 bis 5 Minuten lang aus, töteten die Tiere verschieden lange nach der Inhalation und untersuchten die in der Tabelle I I aufgeführten Organe makround mikroskopisch, sowie durch subkutane Weiterimpfung von Organstücken in toto. F ü r die Lungen erwies sich letzteres Vorgehen als unanwendbar; die so geimpften Tiere gingen in kurzem an schwerem Hautemptysem usw. zugrunde. Die Verfasser haben daher weiterhin die Lungenstücke „mit Bouillon oder destilliertem Wasser verrieben, die Emulsion filtriert und das Filtrat verimpft". Unter Weglassung der makro- und mikroskopischen Befunde, welche nur einmal [bei Reihe I, 5 in der angegebenen Weise] von dem Impfergebnis abweichen, habe ich wiederum aus den Originalprotokollen die Resultate der Weiterimpfungen in Tabelle I I zusammengestellt. Es zeigt sich, daß die Lungen von 20 Inhalationstieren nur neunmal die geimpften Tiere infiziert haben, und zwar, mit Ausnahme der Versuchsreihe IV, frühestens erst 2 Tage nach der Inhalation. Als Ursache für diese auffälligen Resultate haben BAETEL und NEUMANN selbst ungenügende Zerkleinerung des Lungengewebes, zu starke Verdünnung und die Filtration des Impfmaterials erkannt. Als sie bei der Reihe IV die Lungen, „mit etwas Quarzsand und Wasser in t o t o fein zerrieben und die g a n z e Emulsion o h n e v o r h e r i g e s F i l t r i e r e n je einem Meerschweinchen subkutan injizierten", erwiesen sich die Lungen s o f o r t nach der Inhalation s ä m t l i c h tuberkelbazillenhaltig. Der Einwand ungeeigneter Technik trifft aber auch a l l e ü b r i g e n Weiterimpfungen der ersten drei Reihen; denn auch für sie stellt die Reihe IV einen ausschlaggebenden Kontrollversuch dar: In letzterer ergeben die Tonsillen nach gleicher Vorbereitung wie die Lungen durchwegs positive, bei den drei anderen Reihen durchwegs negative Resultate. Bei den Versuchsreihen I b und I I b dürfte neben diesen technischen Mängeln wohl noch eine allzu kleine Inhalationsdosis für die negativen Ergebnisse verantwortlich zu machen sein. Unter diesen Umständen fällt es schwer, aus 1 B A R T E L und N E U M A N N , Über experimentelle Inhalationstuberkulose beim Meerschweinchen. Wiener klin. Wochenschrift. 1906. Bd. 19. Nr. 7 u. 8.

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Aufnahme inhalierter

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599

den Versuchsreihen weitergehende Schlüsse abzuleiten, wenn man nicht gerade geneigt ist, den Autoren auf das unsichere Gebiet der „lymphoid hyperplastischen Drüsenveränderungen mit negativem Impfversuch" zu folgen. Beachtenswert ist immerhin, daß die Bazillen stets z u e r s t in den L u n g e n , dann, nach 8 Tagen, in den Bronchialdrüsen und erst nach 12 Tagen auch in den Mesenterialdrüsen nachzuweisen waren. Ein sicheres Urteil darüber, ob inhalierte Tuberkelbazillen wesentlich auf d i r e k t e m Wege die'Lungen erreichen nnd infizieren oder erst nach der Passage durch die lymphatischen Organe des Rachens und seiner Adnexe oder des Darmes, läßt sich demnach auf Grund der vorliegenden Versuche nicht fällen. — Wohl können wir uns aus analogen Versuchen mit feinsten Körperchen und mit anderen Bakterien eine vorläufige Ansicht bilden, und diese lautet zweifellos zugunsten des d i r e k t e n I m p o r t s . A R N O L D 1 hat in seinen bekannten Untersuchungen den Beweis geführt, daß feinste S t ä u b c h e n in die Tiefe des Lungenparenchyms inspiriert werden; verschiedenste Autoren haben nach ihm diese Ergebnisse bestätigt, in neuester Zeit die zahlreichen in B A L L I N s vorstehender Arbeit aufgeführten Forscher. B A L L I N konnte bei seinen Inhalationsversuchen mit Schimmelpilzsporen auch durch mikroskopische Untersuchung den Weg der Pilzsporen verfolgen; er fand sie ausnahmslos in reichlicher Menge in den Alveolen und bereits nach kurzer Frist im interstitiellen Gewebe. — Daß ebenso auch feinste T r ö p f c h e n beim Atmen direkt bis in die Alveolen gelangen, haben Versuche von VON S C H R Ö T T E R 2 jun. und H E R Y N G 3 gezeigt, welche gefärbte Flüssigkeiten versprayten. Für mit Bakterien beladene Tröpfchen ist von B U C H N E R 4 , H I L D E B R A N D T 6 , WYSSOKOWITSCH 6 , N E N N I N G E R 7 , PAUL8, H A R T L und H E R R M A N N 9 durchaus das gleiche Verhalten 1

ABHOLD,

Untersuchungen über Staubinhalation

und Staubmetastase,

Leipzig 1885. 1 VON SCHRÖTTER jun. Nach freundl., durch Tafeln belegter Mitteilung nicht veröffentlichter Vorversuche zu der gemeinsam mit K A P R A L I K verfaßten Arbeit über Tuberkulininhalationen. Wiener klin. Wochenschrift. 1904. Nr. 21. 3 HERYNG, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der Kehlkopfkrankheiten. SPRINGER. Berlin 1905. 4 BUCHNER, Archiv für Hygiene. 1888. Bd. 8. 5 HILDEBRANDT, Beiträge zur pathol. Anatomie. Bd. 2. 6 WYSSOKOWITSCH, Mitteilungen aus Dr. BREHMERS Heilanstalt in G-örbersdorf. 1889. 7 NENNINGER, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt 1901. Bd. 38. 8 PAUL, ebenda. 1902. Bd. 4 0 . 9 HARTL und HERRMANN, Wiener klinische Wochenschrift. 1905. Nr. 30.

600

Bruno Heymann

festgestellt worden. Die von P A U L eingehend erörterten und nachgeprüften theoretischen Bedenken SAENGEK S 1 sowie BUTTEKSACKS* werden durch diese Ergehnisse hinfällig. Es ist in der Tat kaum zu verstehen, wie nach dem positiven Ausfall so unzähliger Versuche mit analogen Elementen manche Autoren nun gerade für Tuberkelbazillen doch noch die Möglichkeit des direkten Weges in die Lungen in Abrede stellen oder nur „unter durchaus unnatürlichen Bedingungen" zugeben. Da jedoch dieser Einwand eine endgültige Widerlegung bislang nicht erfahren hat, da namentlich die quantitative Abstufung der Infektionsdosis und das Vermeiden reichlich vorhandener Versuchsfehler in den bisherigen Experimenten nicht genügend berücksichtigt war, habe ich versucht, die bestehende Lücke auszufüllen, und berichte im folgenden über einige speziell mit dem Tuberkelbacillus angestellte Versuchsreihen, bei welchen ich mich zum Nachweis der Bazillen teils der biologischen, teils der mikroskopischen Methode bedient habe. I. Versuche mit biologischer Prüfung. Zu den Versuchen wurde der von F I N D E L 3 beschriebene Inhalationsapparat benutzt, in welchem die Versuchstiere (Meerschweinchen von 300 bis 500 g Gewicht) ohne jede Fesselung in durchaus natürlicher Weise einem feinsten, aus einer Tuberkelbazillenaufschwemmung entwickelten, Spraynebel ausgesetzt wurden und dabei eine quantitativ berechenbare Menge Bazillen einatmeten. Die Aufschwemmung wurde stets frisch mit Menschentuberkelbazillen in einer Konzentration von 0-5 oder 0-1 mg Kultur pro Kubikzentimeter dest. Wasser hergestellt und hierbei auf homogene Verteilung der Bazillen peinlichst geachtet. Die Inhalationsdauer belief sich auf 5 Minuten (in der 2. Versuchsreihe), auf 10 (in der 1.) und auf 50 Minuten (in der 3. Versuchsreihe); die Zeiten und Konzentration entsprachen nach der F I N D E L sehen Kechnung der Aufnahme von etwa 10000 Bazillen in der ersten Reihe, von 100000 Bazillen in der zweiten und von 1 Million in der dritten. — Nach beendeter Inhalation wurden die Tiere herausgenommen und je eins nach 1 Stunde, nach 12, 24, 3 X 24 und 6 x 24 Stunden durch Nackenschlag getötet. Nach Befeuchtung des ganzen Felles mit öpromill. 1

SAENQER, M ü n c h e n e r m e d . W o c h e n s c h r i f t .

1901.

N r . 21 u . VIRCHOWS

Archiv. Bd. 179. ' BÜTTEMACK, Zeitschrift für klinische Medizin. Bd. 39. 3 FINDET., Vergleichende Untersuchungen über Inhalations- und Fütterungstuberkulose. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. 1907. Bd. 57.

Aufnahme inhalierter Tuberkelbazilleíi in die Lunge

601

Sublimatlösung und seiner vorsichtigen Entfernung von der Brustund Bauchfläche erfolgte sodann mit immer gewechselten, sterilen Instrumenten die Eröffnung der Brusthöhle und die Herausnahme der Brustorgane im ganzen. Nun wurden von den Lungen zunächst die äußersten Zipfel der Unterlappen („Lungenzipfel"), hierauf, unter Umgehung der Partien an der Lungenwurzel, noch größere Stücke von den einzelnen Lappen ( „ L u n g e n r e s t " ) abgetragen, schließlich die B r o n c h i a l d r ü s e n vorsichtig von der Trachea abpräpariert, und diese drei Materialien gesondert in sterilen Porzellanmörsern unter Zusatz von steriler Kochsalzlösung so fein zerrieben, daß selbst von dem Lungenrest fast die gesamte Masse mittels Pravazspritze mit weiter Kanüle Meerschweinchen injiziert werden konnte. Die Tiere vertrugen die Injektion sehr gut; kein. einziges von ihnen ist kurz nach der Injektion oder aus anderer Ursache vorzeitig zugrunde gegangen. Die Obduktionsbefunde sowie die Versuchsbedingungen im einzelnen ergeben sich aus den nachfolgenden Protokollen und Tabellen. V e r s u c h s r e i h e I. Fünf Tiere inhalieren in je 10 Minuten langer Sitzung je 10000 Tuberkelbazillen, werden nach den oben genannten Zeiten getötet und ihre Brustorgane in der beschriebenen Weise auf Meerschweinchen weitergeimpft. Die Termine ihres spontanen Todes bzw. ihrer Tötung sowie die Sektionsergebnisse sind in Tabelle I I I zusammengestellt. Aus derselben geht hervor, daß die Lungen s e l b s t in den p e r i p h e r s t e n T e i l e n b e r e i t s 1 Stunde nach der I n h a l a t i o n und ebenso zu allen s p ä t e r e n T e r m i n e n T u b e r k e l b a z i l l e n e n t h a l t e n , während sie in den B r o n c h i a l drüsen erst nach 3 Tagen nachzuweisen waren. Sehr auffällig ist es, daß nach 6 Tagen die Bronchialdrüsen wiederum ein negatives Impfergebnis haben. V e r s u c h s r e i h e II. Fünf Tiere inhalieren in je 5 Minuten langer Sitzung je 100000 Tuberkelbazillen. Tötung und weitere Verarbeitung wie in Versuchsreihe I. Die Obduktionsbefunde bei den Impftieren enthält Tabelle IV. Dieselbe stimmt mit Tabelle I I I vollständig überein. Auch hier erweist sich die Lunge b e r e i t s kurz nach der I n h a l a t i o n und später in allen ihren T e i l e n i n f e k t i ö s , die B r o n c h i a l d r ü s e n erst nach 3 Tagen. Auch hier haben letztere 6 Tage nach der Inhalation wiederum keinen Impfeffekt.

602

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Zahl der Sporen in d. Filtern (w) 3.

Zahl der in die Lunge gelangten Tb. 4.

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400 g

6 600

ca.

50

2

365 g

7 000

ca.

55

3 4 5

370 g 300 g 440 g

9 000 14 500 15 000

ca. ca. ca.

70 100 110

6 7

400 g 400 g

35 000 50 000

ca. ca.

270 400

8

380 g

87 000

ca.

680

9

380 g

90 000

ca.

700

10

360 g

113 000

ca.

880

11

330 g

140 000

ca. 1 000

12

320 g

160 000

ca. 1 250

13

430 g

385 000

ca. 3 000

14

360 g

555 000

ca. 4 000

15

300 g

1 830 000

ca. 15 000

Sektionsbefund 5. In beiden Lungen je 1 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen erbsengroß, verkäst. In linker Lunge 1 Tuberkel. Tb. mikroskop. nachgewiesen. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. In rechter Lunge 3 Tuberkel, 2 rechte Bronehialdrüsen bohnengroß , die eine verkäst. Sonst nichts. Nichts Krankhaftes. In linker Lunge 1 Tuberkel. Linke Bronchialdrüse etwas mehr als erbsengroß, kein Käse. In linker Lunge 4, in rechter 1 Tuberkel. Beide Bronchialdr. bohnengroß. Käseherde. In rechter Lunge 2 Tuberkel, in linker 1. Beide Bronchialdr. bohnengroß, verkäst. In beiden Lungen je 4 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen bohnengr., verkäst. In linker Lunge 6, in rechter 3 Tuberkel. Beide Bronchialdr. erbsengroß. Keine Verkäsung. In linker Lunge 1, in rechter 6 Tuberkel. Linke Bronchialdr. hanfkorn-, rechte bohnengroß, verkäst. In rechter Lunge 6, in linker 2 Tuberkel. Kechte Bronchialdr. bohnen-, linke erbsengroß. Beide verkäst. Pneumokokkensepsis. Ganze Lunge pneumonisch infiltriert. Nichts von Tuberkelbazillen. In rechter Lunge 2, in linker 4 Tuberkel. Bronchialdr. kaum vergrößert.

620 Schwankungen des Quotienten

Köhlisch

nicht berücksichtigt, sondern nur

der aus sechs Versuchen der Tabelle I abgeleitete Mittelwert von 7 Prozent. Tatsächlich werden aber auch bei den Versuchen der Tabelle II ähnliche Schwankungen wie in Tabelle I, also zwischen 4 und 10 Prozent, vorgekommen sein und das berechnete Resultat weicht dann vom wahren Wert ziemlich erheblich ab. Immerhin ist, selbst wenn man den niedrigsten überhaupt vorgekommenen Quotienten der Tabelle I zur Rechnung heranzieht, die unsicher wirkende Minimaldosis von Tuberkelbazillen noch auf 30; die sicher wirksame auf 230 Bazillen zu bestimmen; und dies sind im Vergleich zu F I N D E L S und R E I C H E N B A C H S Berechnung der Minimaldosis bei Tröpfcheninhalation relativ hohe Werte. Für letztere stellen 4 bis 5 Bazillen bereits die bei Meerschweinchen gelegentlich wirksame und höchstens 50 Bazillen die sicher wirksame Dosis dar. Im übrigen war in meinen Versuchen eine, wenn auch nicht regelmäßige Zunahme der Zahl der Tuberkel und der Veränderung der Bronchialdrüsen mit der Zahl der eingeatmeten Tuberkelbazillen zu erkennen. Bis etwa 400 Tuberkelbazillen im Durchschnitt finden sich 0 bis 3, zwischen 400 und 700 1 bis 5, darüber 6 bis 9 Tuberkel in den Lungen. Allerdings hört diese Gesetzmäßigkeit, wie wir unten sehen werden, bei weiterer Steigerung der Dosen auf. Die zweite, der vorigen parallel gehende Versuchsreihe von 15 Tieren, bei der ich den Staub statt mit Kultur mit Sputum, das im Kubikzentimeter 30 Millionen Tuberkelbazillen enthielt, imprägnierte, gab leider kein Resultat. Die Tiere erkrankten sämtlich nicht, auch nicht die intraperitoneal bzw. subkutan geimpften Kontrolltiere. Ich habe die Ursache dieses Ausfalles nicht aufklären können. Sicher hat es nicht etwa daran gelegen, daß bis zur Verwendung des imprägnierten Staubes zuviel Zeit verstrich. Der Staub wurde hier wie immer tunlichst binnen 24 Stunden nach seiner Fertigstellung, d. h. etwa 48 Stunden nach der Expektoration des Sputums verwandt, und dabei soviel als möglich vom Lichte abgesperrt. Die Feststellung der Bazillenzahl pro Kubikzentimeter geschah bei diesen und bei den folgenden Versuchen in der Weise, daß dasselbe Sputum zunächst durch Schütteln mit Sand homogenisiert wurde; nach Filtration wurde je 1 Tropfen davon aus einem Tropfapparat, der pro Kubikzentimeter eine bestimmte Anzahl Tropfen ergab, auf einem Deckglas von bekannter Größe ausgebreitet, und auf diesem wurden die gefärbten Bazillen mit Zählokular gezählt (vgl. die vorstehende Arbeit von ALEXANDER).

Untersuchungen

über die Infektion

mit Tuberkelbaxillen

621

Indessen hatte sich meine Yersuchsanordnung entschieden noch nicht nach jeder Richtung hin bewährt. Infolge des Lufteinblasens hielt sich die entwickelte Staubwolke nicht lange genug im Apparat; sie wurde zu schnell, bei kleineren Mengen schon binnen 1/a Minute, von der entweichenden Luft in den Wattebausch des Zylinders H

Fig. 19. V e r s t ä u b u n g s a p p a r a t der f o l g e n d e n A Verstäubungsapparat mit Trichter. B Kleiner Käfig G Elektromotor. B Dessen Achse mit Windrad E. D Dx J Akkumulatoren. 0 Filter. F Schlauch zum

Versuchsreihen. für das Versuchstier. Stative für den Motor. Wasserturm.

geführt. Versuche, die ich darüber anstellte, indem ich nach einer bestimmten Zeit, z. nach 1 oder 2 Minuten, die Absaugefilter auswechselte, ergaben, daß in den letzten 8 bis 9 Minuten oft weniger als 1 / I0 derjenigen Keimzahl in die Filter kam, die während der 1. Minute hineingelangte. Geringfügige Änderungen im Verhalten der Meerschweinchen, Schwankungen in der Atemfrequenz und im Atemtypus während der ersten sehr kurzen Zeit, wo die Luft stark mit Staub beladen war, mußten daher von erheblichem Einfluß auf die Zahl von Stäubchen und Bazillen sein, die in der Lunge vorgefunden

622

Köhlisch

wurde; und vielleicht erklärten sich aus der kurzen Dauer der e i g e n t l i c h e n Verstäubungsperiode auch die beträchtlichen Schwankungen im Faktor , wie sie Tabelle I zum Ausdruck bringt. Um diesen Fehler zu verringern, konstruierte ich daher nach den Angaben von Prof. REICHENBACH, dem ich für seine Hilfe zu großem Danke verpflichtet bin, einen anderen Inhalationsapparat (s. Fig. 19). A ist wieder der zylindrische Atemraum, der jedoch nur oben einen Trichter, unten dagegen einen horizontal abschließenden Boden hat und mit drei Fußen aus Eisenband fest auf dem Tisch aufgeschraubt ist. C ist ein Elektromotor, der mit dem Akkumulator F betrieben wird. Die sehr lange Achse des Motors geht mit ihrem freien Ende durch den Trichter bis dicht über den Boden des Kastens und trägt an diesem Ende ein Windrad E. Dieses dreht sich im Sinne des Uhrzeigers, und zwar so, daß der Staub angesaugt, d. h. also von unten nach oben gewirbelt wird. Der Motor wird von den Stativen D und D' gehalten. Der Schlauch F geht wieder zum Wasserturm, vermittels dessen die Luft aus dem Apparat durch die Filter 0 gesaugt wird.

Die Versuche, die ich mit diesem Apparat zur Bestimmung des Faktors ~

angestellt habe, sind in Tabelle I I I aufgeführt.

^ Laufende Nr. der Versuche

T a b e l l e III. Versuche am Windradapparat zur Bestimmung des Quotienten mit Staub aus Baumwollspinnerei.

1 2 3 4 5 6 7 8

Gewicht des Tieres

Gewicht der Lunge

2.

3.

Summe der in den Filtern In Lunge Dauer des wiedergefun- wiederVersuchs denen Keime gefunden (m)

480 320 320 580 300 400 250 390

g „ „ „ „ „ „ „

3.117 1-68 1-97 4-012 1-5 3-56 1-94 1-5

g „ „ „ „ „ „ „

4.

5.

6.

10 Minuten 10 Vi Stunde

280000 232000 600000 1363000 946000 904000 1143000 5556000

28 700 17000 28800 45000 10000 24000 16800 46000

y. » /s 1 1 1

Dies zeigt, daß der Faktor 2-67 Prozent

I) „ „ „

~

Von den im Liter Luft enthaltenen Keimen kommen also in die Lungen 7. 10 Prozent

,

7"1

>>

3-2 1-05 2-67 1-5 0*83

„ „ „ „ „

mit einem Gesamtdurchschnitt von

zwischen 0-83 Prozent und 10 Prozent schwankt,

also in sehr weiten Grenzen.

Die Grenzen werden jedoch enger, wenn

Untersuchungen

über die Infektion

mit

Tuberkelbaxillen

628

gleichzeitig die Dauer der Versuche berücksichtigt wird. Bei einer Stunde Versuchsdauer schwanken die Werte zwischen 0-83 und 2-67 Prozent, also im Mittel 1-7 Prozent; bei 30 Minuten zwischen 1-5 und 4-7 Prozent, also im Mittel 3 Prozent; bei 10 Minuten Versuchsdauer zwischen 7-1 und 10 Prozent, im Mittel also 8-5 Prozent. Der Grund mag zum Teil darin liegen, daß sich mit der Zeit die engen Eingangswege zum Respirationstraktus der Tiere etwas mit Staub verstopfen. T a b e l l e IV. Versuche am Windradapparat. Staub aus Baumwollspinnerei mit Sputum eines Phthisikers imprägniert. b _ l . L_ ü . ~ 13' ~"¥

J-ü mmf ij S 1.

h

Zahl der Sporen in C3T3®g denFiltern Q (m)

4.

560

270

U60

„ = V«

Zahl der Tuberkelbazillen in den Lungen

Sektionsbefund

5.

6.

Rechter Unterlappcn 1 Tuberkel, Rechter Oberlappen 1 Tuberkel, Linker Oberlappen 1 Tuberkel, Beide Bronchialdrüsen bohnengroß, stark verkäst. 1000000 ? vorzeitig Linker Oberlappen 1 Tuberkel, abgebrochen, Linke Bronchialdrüae bohnengroß, l stark verkäst. mindest. 7000 Rechter Unterlappen 1 Tuberkel, ca. 8200 1 Std. 6400000 Linker Unterlappen 1 Tuberkel, Linke Bronchialdrüse bohnengroß, verkäst, Rechte Bronchialdrüse etwas mehr als erbsengroß. Linker Unterlappen 2 Tuberkel, ? ? ? VerLinker Oberlappen 1 Tuberkel, unglückt, Rechter Oberlappen 1 Tuberkel, Filter zerLinke Bronchialdrüse kirschgroß, brochen Rechte Bronchialdrüse bohnengroß, beide stark verkäst.

270 g ¡SOMin.j

250 .

10 Min. = Vi 30 „ = '/s

300000

ca. 670

Es mußten daher offenbar der Berechnung der einzelnen Versuche je nach deren Zeitdauer v e r s c h i e d e n e Quotienten zugrunde gelegt werden. Selbst dann war das berechnete Resultat immer noch als ein relativ unsicheres anzusehen, da auch bei Einhaltung der gleichen Zeitdauer der Versuche sehr starke Schwankungen vorkommen. — Bis zu einem gewissen Grade tritt in Tabelle III auch

624

Köhlisch

eine Abhängigkeit zwischen Körper- bzw. Lungengewicht und der Menge der eingeatmeten Sporen hervor, die aber nicht konstant genug war, um in den folgenden Rechnungen berücksichtigt zu werden. T a b e l l e V. . Versuche am Windradapparat. Staub aus Baumwollspinnerei mit Sputum eines Phthisikers imprägniert. b

_=

a

3

L

~T 5 )

Jf

( b e i 1 0 Min - i'i* — II » OU 3® >! ii/98 l )> 1! /• 0 fi0

w Zahl der »H •+A a, u Zahl der O' M®r © „ Ü Sporen in Tuberkel¡25 •n ¡s® ® 3 8 g den Filtern bazillen in § 2 Ü5 ^ U > den Lungen . («) 1. 2.3. 4. 5. 1 330 g 10 Min. 2 240 „ 5 „ 3 B30 „ '/, Std. 4 250 „ 10 Min.

9000 12 000 35000 24000

5

260 „ 15 „

6

240 „ 15 Min.

7

ca.

7J

450 600 600 1200

34000

>)

1500

120000

}I

3600

520 „ »/, Std. 1000000

Ii

18000

Sektionsbefund 6. Nichts Krankhaftes Nichts Krankhaftes Nichts Krankhaftes Rechter Unterlappen 1 Tuberkel, Bechte Bronchialdrüse nur mäßig geschwollen Rechter Unterlappen 1 Tuberkel, Rechte Bronchialdrüse erbsengroß, verkäst Rechter Mittellappen 1 Tuberkel, Rechte Bronchialdrüse etwas über erbsengroß, verkäst Rechter Unterlappen 2 Tuberkel, Rechte Bronchialdrüse bohnengroß, verkäst

Die Tabellen IY und V geben die Eesultate der mit Tuberkelbazillen angestellten Inhalationsversuche wieder, zu welchen der neue Ishalationsapparat und wiederum der Staub aus der Baumwollspinnerei benutzt wurde. Letzterer war in den Versuchen der Tabelle IV und V mit phthisischem Sputum imprägniert. Das Ergebnis dieser Versuche läßt sich dahin zusammenfassen, daß 450 und 600 Tuberkelbazillen noch unwirksam waren, während ca. 700 Bazillen bereits Tuberkelbildung bewirkt hatten. In den Versuchen der Tabelle IV waren die pathologischen Veränderungen bei gleicher Dosis etwas stärker als in den Versuchen der Tabelle V. In Tabelle VI ist dann noch eine Versuchsreihe mit Kulturbazillen und dem gleichen Staub zugefügt. Hier waren einmal ca. 400 Bazillen positiv, ein anderes Mal freilich 2000 negativ.

Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbazillen

625

Tabelle VI. Versuche am Windradapparat. Staub aus Baumwollspinnerei mit Kultur-Tuberkelbazillen imprägniert.

fH Gez wicht 73 (Jes Tieres 1. 2.

Zeit, während der das Tier den Staub geatm. hat 3.

1 2

250 g 5 Minuten ? ? ? 5 „

3

4

5

520 „

1

6

480 „

20 Min.

Zahl der Zahl der geSporen atmeten in den TuberkelFiltern bazillen (m) 4. 5. ca. „

400 4300

310 g '/« Stunde 365000 1500000 340 „ V* V



2000 4000

2000000



3000

3900000



18 500



24000 260000

Sektionsbefund 6. Nichts Krankhaftes. Rechter Oberlappen 1 Tuberkel, Linker Öberlappen 1 Tuberkel. Linke Bronchialdrüse bohnengroß, verkäst. Hechte Bronchialdrüse erbsengroß, auch verkäst. Nichts Krankhaftes. Linker Oberlappen 2 Tuberkel, Linker Mittellappen 2 Tuberkel, Linker Unterlappen 2 Tuberkel, Rechter Unterlappen 3 Tuberkel, Linke Bronchialdrüse 1 stecknadelkopfgroßerKäseherd, beide bohnengroß, sonst nichts. Linker Oberlappen 3 Tuberkel, Linker Unterlappen 4 Tuberkel, Rechter Oberlappen 1 Tuberkel, Rechter Unterlappen 2 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen bohnengroß, nicht verkäst. Linker Unterlappen 2 Tuberkel, Rechter Unterlappen 1 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen bohnengroß, rechte verkäst.

Im ganzen harmonieren die Resultate der letzten Versuche mit denen der Tabelle II, so weit man dies bei den starken Schwankungen des Quotienten ^ überhaupt erwarten durfte. Da der neue Apparat die Größe der Schwankungen kaum gebessert hatte, lag der Gedanke nahe, daß vielleicht auch die Art des Staubes an diesen beteiligt und für die vorliegenden Versuche nicht recht geeignet sei. Der Baumwollstaub bestand aus sehr verschiedenartigen, in bezug auf Schwebefähigkeit vielleicht sehr ungleichen Elementen. Da das Aufwirbeln des Staubes keineswegs immer mit der gleichen Energie erfolgte, so konnte bald ein größerer, FLÜGGE, Tuberkulose

40

626

Köhlisch

bald ein kleinerer Teil des Staubes schwebend erhalten werden und für die Inhalation in Betracht kommen. Sicher entsprach auch der Baum wollstaub, den ich ursprünglich nur gewählt hatte, weil er sehr leicht aufzuwirbeln war, nicht den natürlichen Verhältnissen; und ich habe daher eine weitere Versuchsreihe mit Wohnungsstaub zugefügt, den ich von Schränken und Regalen des Instituts sammelte und noch mit einem Zusatz von feinsten, durch Zerreiben eines Taschentuchs gewonnenen Stofffasern versah. Für diesen Staub bestimmte ich in den in Tabelle VII zusammengestellten Versuchen wiederum den Quotienten-^-. Ich erhielt nun viel konstantere Resultate. Der Mittelwert ist 2 Prozent = 1/60, und von diesem kommen Abweichungen bis 1-3 und andererseits bis 2-86 Prozent vor. Auch der Einfluß der Differenzen in der Zeitdauer verwischt sich. Der Wohnungsstaub ist offenbar ein Material, welches in allen seinen Teilen gleichmäßiger schwebefähig ist, als der aus sehr verschiedenwertigen Anteilen zusammengesetzte Baumwollstaub. Die Tabellen VIII und IX geben die bei den einzelnen Versuchen erhaltenen Zahlen. In der ersten Reihe beginnt die Infektion erst von etwa 2000 Bazillen an, ist sogar bei ca. 4000 einmal noch negativ; in der zweiten Reihe erfolgt einmal bei etwa 300 Bazillen Infektion, aber bei mehreren stärkeren Dosen wieder nichts und erst bei nahezu 4000 Bazillen abermals Infektion. Im ganzen liegen also die wirksamen Dosen höher als beim Baumwollstaub; sie nähern sich den Werten, die letzterer bei längerer Versuchsdauer ergeben hat. Schwankungen der Bazillenzahl sind indes immer noch reichlich vorhanden. Das wird auch kaum zu vermeiden sein, da die Gleichmäßigkeit der Verteilung der bazillentragenden Stäubchen in der Atmungsluft niemals auch nur annähernd so vollkommen erreicht werden wird, wie bei feinen Spraytröpfchen. Um mit versprayten Tuberkelbazillen noch einen genaueren Vergleich zu ermöglichen, habe ich dasselbe phthisische Sputum, mit dem in den Versuchen der Tabelle IX der Wohnungsstaub imprägniert war, zu einem quantitativ abgestuften Versprayungsversuch im Inhalationsturm benutzt. Das Resultat ist in Tabelle X niedergelegt. Die gleichzeitige Sektion beider Tierreihen nach Ablauf von 4 Wochen machte einen geradezu verblüffenden Eindruck. Bei den Staubtieren höchstens vereinzelte Knötchen, bei größeren Dosen auch nicht entsprechend vermehrt; dagegen bei den Spraytieren Übersäung der Lunge mit Tuberkeln, deren Zahl schon bei

Untersuchungen

über die Infektion

mit

Tuberkelbaxillen

627

T a b e l l e VII. Versuche am Windradapparat zur B e s t i m m u n g des

Quotienten

Lfnde. Nr.

mit W o h n u n g s s t a u b . Gewicht des Tieres

1.

2.

1 2 3 4 5 6 7 8

180 170 290 180 220 220 600 560

Summe Dauer In Lunge Von den im Liter Gewicht der in den Filtern wieder- L u f t enthaltenen des der wiedergefunKeimen kamen Lunge Versuchs denen Keime gefunden also in dieLungen 3.

g . g g g g g g g

1-18 1-44 2-15 1-6 1-53 1-8 3-98 3-6

g g g g g g g g

4.

5.

6.

7.

10 Min. 10 „ 10 „ 10 „ V, Stde. Vj » 1 „ 1 „

100 000 170 000 1 000 000 150 000 300 000 785 000 1 300 000 620 000

2 860 3 300 18 000 2 550 5 000 10 000 30 000 14 000

2 • 86 Proz. 1-9 „ 1-8 „ 1-6 „

Tabelle Versuche am

1-7 1-3 2-3 2-3

„ „ „

VIII.

Windradapparat.

W o h n u n g s s t a u b mit S p u t u m eines Phthisikers imprägniert. =

a

~

J_ Ä 20" F

~

J. 50"

Lfnde. Nr.

L Gewicht des Tieres

Dauer des Versuchs

Zahl der Sporen in den Filtern (m)

Zahl der Tuberkelbazillen in d. Lungen

Sektionsbefund

1.

2.

3.

4.

5.

6.

1 2 3 4 5

225 200 200 210 230

v» stde. 5 Min. 10 „ 10 „ 15 „

500 000 1 000 000 1 230 000 2 500 000 2 600 000

ca. ca. ca. ca. ca.

6

230 g

15

2 900 000

ca. 2900

7

220 g

4 bis 6 Mill. Platten sehr dicht gewachsen, so daß nicht genau zu zählen

etwa 4 bis 6000

g g g g g



Vi Stde.

500 1000 1200 2500 2600

Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Rechter Oberlappen 2, linker 1 Tuberkel. Beide Bronchialdr. erbsengroß, verkäst. Rechter Oberlappen 1 Tuberkel. Rechte Bronchialdr. erbsengroß, großer Käseherd darin. Nichts Krankhaftes.

40*

628

Köhlisch

Tabelle IX. Versuche am Windradapparat mit Wohnungsstaub, imprägniert mit demselben Sputum, mit dem die Versuche der Tabelle X anl =

Lfnde.Nr.

gestellt sind. Gewicht des Tieres

1.

2.

1 2

270 g 460 g

20Min. 10 „

20 000 100 000

3 4 5 6

280 400 350 410

10 „ 10 „ Vi Std.

100 000 200 000 700 000 1 100 000

=

Zahl der Zeit, währ, Zahl der der d. Tier Sporen in Tuberkelden Staub d. Filtern bazillen in d. Lungen •geatmet (m) 4. 5. 3.

g g g g

1

»

4. VI. 08. 4. VI. 08.

4. VI. 4. VI. 4. VI. 4. VI.

08. 08. 08. 08.

Sektionsbefund 6. Nichts Krankhaftes. In rechtem und linkem Oberlappen je 1 Tub. Beide Bronchialdrüsen bohnengroß, käsig. Milz leicht geschwollen, einige LymphknötchenSchwellungen. Nichts 'Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. In rechtem Ober- und linkem Unterlappen j e 1 Tuberkel. Beide Bronchialdr. bohnengroß, verkäst.

Tabelle X. Versuche am Inhalationsturm mit verspraytem Sputum eines Phthisikers. £ ®

a i.

Zeit, während der das Tier den Sputumspray geatmet hat 2.

Zahl der Tuberkelbazillen in den Lungen 3.

Gewicht des Tieres beim Versuch 4.

l

5 Minuten

50

280 g

2

5

50

250,,



Sektionsbefund 5. Linker Unterlappen 7, rechter Unterlappen 10, rechter Oberlappen 5 Tuberkel (Sa. 22). Rechte Bronchialdrüse bohnengroß, verkäst, linke erbsengroß, hart. Milz 3 cm lang, 2 cm breit, starke Lymphfollikel. Linker Unterlappen 10, linker Oberlappen 6, rechter Unterlappen 10, rechter Oberlappen 8 (Sa. 34) Tuberkelknoteu. Im übrigen wie vorig. Beide Bronchialdrüsen bohnengroß.

Untersuchungen

über die Infektion mit

Tabelle X.

3

10 Minuten

Lfde. Nr. 1.

Zeit, während der das Tier den Sputumspray geatmet hat 2.

Zahl der Tuberkelbazillen in den Lungen 3.

629

(Fortsetzung.) Gewicht des Tieres beim Versuch 4.

100

280 g

4

5



100

270 „

5 6

5 20

„ „

100 400

250,,

7 8 9

5 10 20

»

500 1000 2000

275,, 270 „ 265 „



Tuberkelbazillen

270 „

Sektionsbefund 5. Über 50 Tuberkel in den Lungen. Im übrigen wie vorig. Außerdem Portalu. Mesenterialdrüsen erbsengroß, hart, kein Käse. Reichlich Tuberkel iit wachsender Menge, Zählen wird immer schwieriger. Beide Bronchialdrüsen bohnengroß, verkäst. Im übrigen wie vorig. Keine Mesenterialdrüsenschwell. Wie voriges Tier. Wie voriges Tier, nur viel mehr Tuberkelknoten. Weitere Zunahme. Fast wie das nächste Tier. In den Lungen Knoten an Knoten. Beide ßronchialdrüsen bohnengroß, verkäst. Milz 3:1,5 cm, Lymphknötchen stark geschwollen. Tier sehr mager, wiegt nur 260 g.

der kleinsten Dosis von 50 Bazillen über 20 betrug; und bei einer Dosis von 2000 Bazillen, die in Staubform noch unsicher war und unter Umständen keinerlei Veränderung hervorrief, eine so dichte Lagerung der Tuberkel, Knoten an Knoten, daß man eigentlich nicht wußte, womit das Tier noch geatmet hatte. Inhalation bazillenhaltiger Tröpfchen bewirkt daher nach allen vorliegenden Versuchen in viel kleineren Dosen und viel gleichmäßiger Infektion, als Inhalation bazillenhaltigen Staubes. Von letzterem wird ein erheblich größerer Anteil als bei den Tröpfchen in den Eingängen zum Respirationstraktus zurückgehalten; nur 2 bis 7 Proz., gegen 33 Prozent bei den Tröpfchen, gehen im Mittel bis zu den feinsten Bronchien durch. Von den in Staubform durchgedrungenen Tuberkelbazillen bewirkt aber ferner nur ein kleinerer Bruchteil Infektion, während die in Tröpfchenform hingelangten Bazillen fast ausnahmslos Tuberkelbildung veranlassen. Dieser Unterschied erklärt

630

Köhlisch

sich wohl daraus, daß die Stäubchen einer nachträglichen Beseitigung und einer Schädigung durch die Schutzeinrichtungen des Körpers mehr ausgesetzt sind, als die bazillenhaltigen Schleimtröpfchen. Die Stäubchen, die sich an die Wand der Bronchien ansetzen, bilden vermutlich einen Reiz für die Auslösung der Flimmerbewegung, durch die sie schleunigst, ehe die in einem trockenen Schleimklümpchen an ihnen festgeklebten Bazillen Schaden stiften können, wieder entfernt werden. Für eine Auslösung des im gleichen Sinne wirksamen Hustenreizes sind wohl die in Betracht kommenden Staubelemente zu klein. • F ü r die Teilchen, die der Flimmerbewegung entgangen sind, wird ebenfalls in Betracht kommen, daß das kleine Schleimklümpchen erst erweicht werden muß, ehe der darin enthaltene Bacillus aggressiv vorgehen kann. Das erfordert Zeit, und während dieser hat vielleicht der Körper schon Schutzkräfte am Ort der Invasion entfaltet, die zunächst nur gegen den Fremdkörper gerichtet sind, aber mit diesem auch den Bazillus treffen. Schon beim Eintrocknen und Zerlegen zu feinstem Staub wird eine teilweise Schwächung der Tuberkelbazillen eintreten; viele von ihnen werden nicht mehr imstande sein, den wohlvorbereiteten Kampf zu überstehen, den der Körper gegen sie eröffnet, sobald sie aus der umschließenden Hülle frei werden. Ob man da in erster Linie an die Phagocytose denken muß, lasse ich dahingestellt. Das f l ü s s i g e , bazillenhaltige Schleimtröpfchen aber mischt sich sofort mit dem die Bronchien auskleidenden Schleim, der von gleicher Beschaffenheit ist, wie" das Substrat des Vehikels. Das Tröpfchen liefert daher keinen Eeiz für die Auslösung der Flimmerbewegung, und der Tuberkelbacillus kann sofort ungeschwächt und vollvirulent gegen das noch unverteidigte Epithel zum Angriff vorgehen.

II. T e i l . Zur Beantwortung der zweiten Frage, ob und in welchem Umfang unter den Verhältnissen der n a t ü r l i c h e n U m g e b u n g des Menschen durch Inhalation verstäubter Tuberkelbazillen Infektion erfolgen kann, wiederholte ich zunächst den bekannten COBNETschen, angeblich unter voller Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse angestellten Teppichversuch. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom über diesen Versuch, bei dem er

16. März 1 8 9 8 berichtete COBNET

Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbazillen

631

auf einem Teppich angetrocknetes tuberkulöses Sputum mit scharfem Besen in einem Zimmer so kräftig zusammenkehrte, daß mächtige Staubwolken aufwirbelten und er selbst stark in Schweiß geriet; trotz eines Kopf und Körper deckenden Überkleides konnte COHNET im eigenen Nasenschleim nach Beendigung des Versuchs Tuberkelbazillen nachweisen. Das Ergebnis war, daß 46 von 48 in der nächsten Umgebung des Teppichs exponierten Meerschweinchen an Tuberkulose erkrankten. Bei meiner Wiederholung des Versuchs benutzte ich einen Glaskasten von etwa 3 cbm Inhalt; in diesen setzte ich 9 Meerschweinchen in Höhen von 0,5, 1,0 und 1,5 m und zwar in jeder Höhe 3. Der Kasten wurde dann von außen sorgfältig abgedichtet. Zwei Scheiben des Kastens waren in der schon früher von HEYMANN (S. 119) beschriebenen Weise herausgenommen und durch einen Sack von Mosetigbattist ersetzt, in dessen Mitte der Stiel des zum Staubaufwirbeln benutzten Werkzeugs fest eingebunden war. Ich stellte 2 Versuche an, das eine Mal trocknete ich bei ca. 35° bis 40° C. Sputum an einem Brett an, das ich dann auf dem Boden des Kastens annagelte. Darauf streute ich Straßenstaub, zerrieb das trockne Sputum mit einem Holzschrubber (der den mit Straßenstaub behafteten Stiefeln entsprechen sollte), und wirbelte dieses Staubgemenge mit einem scharfen Reiserbesen tüchtig auf. Die 9 Meerschweinchen blieben 2 Stunden, während deren ich in Pausen von etwa 10 Minuten immer wieder Staub aufwirbelte, in dem Kasten. Beim zweiten Versuch trocknete ich das Sputum in derselben Weise an einem alten Smyrnateppich an, der dann mit dem Reiserbesen tüchtig gefegt wurde. Ein Tier (Tabelle XL Nr. 9) starb zu früh (nach 9 Tagen) wahrscheinlich infolge einer kolossalen Bißwunde am Rücken. Es zeigte noch keine Erscheinungen von beginnender Tuberkulose. Die übrigen 17 Tiere wurden nach etwa 6 Wochen getötet und obduziert. Nach dieser Frist lassen sich die primären, durch Inhalation entstandenen Lungenherde meist noch gut scheiden von den späteren, nach Verkäsung jener ersten Herde, sekundär etablierten tuberkulösen Veränderungen. Wartet man noch länger mit der Sektion, dann wird die Ausgangsstelle des Prozesses zu sehr verwischt. Solche vorgeschrittene Stadien hatte offenbar COHNET bei einem Teil der Tiere seines Teppichversuchs vor sich; leider macht er keine Angabe, wie lange nach der Inhalation die Sektion vorgenommen war. Tötung

632

Köhlisch

nach 23 bis 28 Tagen gibt bei Inhalationsversuchen die reinsten Bilder und hätte vermutlich auch in diesem Falle die deutlichsten Befunde ergeben. 15 Tiere zeigten (vgl. Tabellen XL und XII.) als primäre Lokalisationen meist nur 1 oder 2 mindestens hanfkorngroße, z. T. schon verkäste Tuberkel in den Lungen, daneben kirschgroße verkäste Bronchialdrüsen und eine frische disseminierte Miliartuberkulose. — Ein Unterschied in der Ausdehnung des primären Prozesses etwa zwischen den Tieren der unteren und oberen Etage war nicht zu bemerken. — 2 Tiere zeigten nichts krankhaftes. Eine annähernde Berechnung der Mengen von Tuberkelbazillen, welche bei diesen Versuchen in der stauberfüllten Kastenluft den Meerschweinchen zur Verfügung standen bzw. von ihnen eingeatmet wurden, ergibt folgendes: Beide Male verwandte ich 30 ccm eines Sputums, das in 1 ccm etwa 5 Millionen Tuberkelbazillen enthielt. Es wurden also in jedem Versuch gegen 150 Millionen Tuberkelbazillen verstäubt, die in den 3 cbm Luft, die der Glaskasten faßt, durch stets erneutes Aufwirbeln während 2 Stunden schwebend erhalten wurden. Wenn 3 cbm Luft 150 Millionen Tuberkelbazillen enthalten, so enthält 1 Liter Luft 50000 Tuberkelbazillen. Das Meerschweinchen atmet in 10 Minuten 3 Liter Luft, in 2 Stunden 36 Liter Luft. In diesen konnten also enthalten sein 1800 000 Tuberkelbazillen. Nehmen wir nach meinen vorstehend mitgeteilten Versuchen mit dem Inhalationsapparat an, daß nur 2 Prozent der verstäubten Bazillen in die Lunge gelangen, so hätte jedes Meerschweinchen ca. 36000 Tuberkelbazillen während des Versuches in die Lunge aufgenommen. Nun ist allerdings wohl nicht das ganze trockene Sputum vom Brett bzw. Teppich losgelöst; ferner werden die losgelösten Teile nicht sämtlich in so feinen Staub übergeführt sein, daß sie gut flugfähig waren. Auch ist ein Teil — vielleicht die Hälfte — des ganzen Staubes während des Versuchs zur Ablagerung an Stellen gekommen, von wo er nicht wieder aufgewirbelt wurde. So mag im ganzen vielleicht nur Yio der berechneten Zahl von Tuberkelbazillen in die Lunge der Tiere gelangt sein; das wären 3600 Bazillen und das ist in der Tat eine Zahl, welche nach meinen früheren Feststellungen in der Form von Wohnungsstaub zu jenen spärlichen tuberkulösen Herden in der Lunge führt, die ich bei der Sektion fand. Auch der Umstand, daß 2 Tiere frei von Tuberkulose blieben, zeigt, daß die Bazillenzahl des Staubes in diesen Versuchen sich, an der Grenze der wirksamen Dosis bewegt hat.

Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbazillen

Tabelle XI.

I. COBNETscher Versuch (mit Brett).

Sektionsbefund 3. Oben 1,50 m hoch Oben 1,50 m hoch Oben 1,50 m hoch (S. Bemkg.) Mitte 1m hoch

Mitte 1m hoch

Mitte 1m hoch

Unten 0,50 mh. Unten 0,50 m hoch Unten 0,50 m hoch

633

In link. Lunge 1 verkäst. Tuberkel. Rechte Bronchialdr. wie eine kleine Kirsche groß, verkäst. Leber voller Stecknadelkopfes gelb. Absz. Milz doppelt so grof als normal, weich. In linker Lunge 1, in rechter 2 verkäste Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen fast kirschgr., verkäst. Milz doppelt so groß als normal. In rechter Lunge 1 verkäster Tuberkel. Rechte Bronchialdrüse fast kirschgroß, verkäst. In Leber massenhaft stecknadelkopfgroße Abszesse. Milz wie Nr. 2. In beiden Lungen je 1 hanfkomund 4 hirsekorngr. Tuberkelknoten. Zahlreiche frische submiliare Knoten. Bronchialdrüsen kirschgroß, Käsesäcke. Milz sehr groß, starke Schwellung der Lymphkörperchen. Portaldrüse bohnengroß, hart, keine Käseherde In beiden Lungen zusammen 4 z. T. verkäste Tuberkel. Viele submiliare Knötchen. Milz stark vergrößert, Lymphkörperchensch wellung, einige Tuberkel. Portaldrüse fast bohnengroß. Bronchialdrüsen fast kirschgroß, verkäst. In der Leber zahlreiche stecknadelkopfgroße Abszesse. In rechter Lunge 2 hanf korngroße Knoten, einer verkäst. Rechte Bronchialdrüsen kirschgroß, verkäst. Portal- u. Qeocoecaldrüsen erbsengroß, hart. Milz vergrößert, Lymphkörperchen geschwollen. In der Leber kleine eitrige Abszesse. Nichts Krankhaftes. Bronchialdrüsen kaum hanf korngroß. In jeder Lunge 1 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen kirschgroß, verkäst. Im Käse der Drüsen wie der Tuberkel werden massenhaft Tuberkelbazillen nachgewiesen. Nichts Krankhaftes zu finden.

Bemerkungen I

4.

Tier saß unruhig und fiel während des Versuches herunter. Lag 1 Stunde am Boden, also direkt auf der Staubquelle. Offenbar schon allgemeine disseminierte Miliartuberkulose. Diesen Befund boten übrigens auch die meisten andern Tiere dieser Tabelle, ohne daß ich es besonders notierte.

Am 10. Tage spontan gest., wahrscheinlich infolge gr. Bißwunde auf dem Rücken.

634

Köhliseh

T a b e l l e XII.

IL CoRNETScher Versuch (mit Teppich). 24. III. 08. Sektionsbefund

l.

Bemerkungen 4.

Oben 1,50 m hoch

Oben 1,50 m hoch Oben 1,50 m hoch Mitte 1 m hoch Mitte 1 m hoch

Mitte 1m hoch Unten 0,50 m hoch Unten 0,50 m hoch

Unten 0,50 m hoch

In jeder Lunge 1 verkäster hanfkorngr. Tuberkel, zahlreiche submiliare, frische. Linke Bronchialdrüse bohnen-, rechte erbsengroß, in beiden Käseherde. Portaldrüse bohnengroß, darin 6 Käseherde. Milz voller geschwollener Lymphknoten, einige Tuberkeln. In Leber kleine, gelbe stecknadelkopfgroße Abszesse. In jeder Lunge 1 Tuberkel. Beide Bronchialdrüsen kirschgroß, stark verkäst. Milz geschwollen, Portaldrüse erbsengroß. In Leber wenige Abszesse. In jeder Lunge 1 Tuberkel, zahlreiche submiliare. Bronchialdr. kirschgr., stark verkäst. Milz stark geschwoll., voller großer Lymphknötehen. Portaldr. bohnengroß, hart, ohne Käse. In Leber kleine Abszesse. Nichts Krankhaftes.

Offenbar schon disseminierte Miliar-Tuberkulose

In linker Lunge 1 verkäster Tuberkel. Linke Bronchialdr. bohnengr., mit Käseherden. Rechte erbsengroß, weich. Milz etwa doppelt so groß als normal, voller geschwollener Lymphknoten. Portaldrüse erbsengroß, jedoch weich. InLunge zahlr. submil. Knötchen. In Leber kleine Absz. In jeder Lunge 1 Tuberkel. Bronchialdrüsen verkäst, zu einem pflaumengroßen Paket vereinigt. Follikelschwellung in der Milz. Portaldrüse etwas über hanfkorngroß. In rechter Lunge 1 Tuberkel, käsig. Rechte Bronchialdrüse kirschgroß, käsig. In Lunge reichlich submiliare Knötchen. Follikelschwellung in der Milz. Portaldrüse erbsengroß, hart. In rechter Lunge 1 Tuberkel. Rechte Bronchialdrüse bohnengroß mit reichlich Käse, linke erbsengroß, weich. Follikelschwellung der Milz. Portaldrüse erbsengroß, weich. In Lungen submiliare Knötchen. In linker Lunge 2 Tuberkel. Linke Bronchialdr. kirschgroß, verkäst. Rechte Bronchialdrüse erbsengroß, weich. Milz vergrößert, Follikelschwellung, Portaldrüse erbsengroß, weich. Ueocoecaldrüse hanfkorngroß.

Wie Nr. 1

Wie Nr. 1

Wie Nr. 1

Wie Nr. 1

Untersuchungen

über die Infektion

mit

Tuberkelbazillen

635

Unter welchen Verhältnissen war aber diese Grenzdosis von Bazillen im Staub erlangt? Entsprechen diese den natürlichen Verhältnissen in menschlichen Wohnungen? Ganz gewiß nicht. Die Beschmutzung mit Sputum war stark übertrieben; auch CORNET veiwendete das ganze, von einem Patienten von 7 bis 11 Uhr entleerte Morgensputum, von dem unter natürlichen Verhältnissen doch sicher nur Bruchteile auf Fußboden oder Teppich gelangt wären. Dann ist es in den Versuchen unverzüglich getrocknet und nach dem Trocknen aufgewirbelt, während in praxi das vollständige Eintrocknen und die Verstäubung von wechselnden Zufälligkeiten abhängt. Vor allem aber wird unter natürlichen Verhältnissen niemals ein Teppich oder Fußboden mit einem „scharfen" Besen so bearbeitet, wie es in den Versuchen geschah, sondern das Fegen erfolgt mit Haarbesen, die nur vorhandene feinste trockene Stäubchen aufzuwirbeln vermögen. Die kräftigen Bewegungen mit dem straffen Besen schleuderten durch mechanische Kraft fortgesetzt auch gröbere und schwerere Staubteilchen in den Atembereich der Versuchstiere, und dem Wiederabsetzen dieser eigentlich gar nicht flugfähigen Partikel wurde immer aufs neue entgegengearbeitet. — Endlich lag in der zeitlichen Ausdehnung des Versuchs eine starke Übertreibung. Beim Fegen eines Fußbodens oder Teppichs findet doch nur für wenige Minuten ein stärkeres Aufwirbeln von grobem Staub statt; während in den Versuchen die dichte Staubwolke 2 Stunden lang unterhalten wurde (COBNET macht über die Dauer seines Versuchs keine Angaben). Es ergibt sich aus COBNET s und meinen Versuchen zwar zweifellos, daß sich aus phthisischem Sputum ein Staub herstellen läßt, dessen Einatmung Tuberkulose der Lunge hervorrufen kann. Aber die Bedingungen, die dazu erforderlich sind, die Menge des in feinen Staub überführbaren Sputums, die lange fortgesetzte Aufwirbelung dieses Staubes, die große Zahl von Tuberkelbazillen, die eingeatmet werden muß, um tuberkulöse Veränderungen zu bewirken — sind in der alltäglichen Umgebung des Menschen nicht erfüllt. Es lassen sich solche Verhältnisse denken und konstruieren; wenn z. B. größere Mengen phthisisches Sputum in ein Abteil eines Eisenbahnwagens entleert werden, dort Gelegenheit finden anzutrocknen und durch die mechanischen Erschütterungen des Wagens fortwährend aufgewirbelt werden; oder wenn in einer Wohnung Kinder auf einem Fußboden oder Teppich spielen, der eine Zeitlang vorher stark bespuckt und dann dem Trocknen ausgesetzt war; oder wenn in einer solchen Wohnung durch Fegen, Klopfen, Bürsten der früher be-

636

Köhlisch

spuckten Teile langdauernd Staub aufgewirbelt wird und Kinder in diesem Staub sich aufhalten. Das sind doch aber alles Ausnahmefälle. Für gewöhnlich wird ein Eisenbahnabteil nicht so bespuckt und nicht so schlecht gereinigt, daß die zurückbleibenden antrocknenden Sputumteile noch eine ernstliche Gefahr repräsentieren; und auch unter den desolatesten Wohnungsverhältnissen kommt eine solche Sputumausstreuung und eine so irrationelle Reinigung kaum vor, daß der Tuberkelbazillengehalt des Luftstaubes an den jener Teppichversuche heranreicht. Eine ausgedehntere Gefahr der natürlichen Wohnungsverhältnisse würde dagegen nur dann vorliegen, wenn der f l u g f ä h i g e tuberkelbazillenhaltige Staub, der bei gelegentlichem Fegen und bei Hantierungen aller Art sich erhebt, und bei ruhiger Luft und Fehlen von Erschütterungen auf Tischen, Stühlen, Schränken usw. sich ablagert, des öfteren so viel Tuberkelbazillen enthält, daß es f ü r eine I n f e k t i o n durch Inhalation ausreicht. Dieser Staub ist ja nach HEXMANNS Untersuchungen — auch wenn nur trocknes Sammeln in einiger Höhe des Zimmers eingehalten wird, um sicher nur flugfähigen Staub zu erhalten — in einem gewissen Prozentsatz tuberkelbazillenhaltig und infektiös für Meerschweinchen bei s u b k u t a n e r oder i n t r a p e r i t o n e a l e r Einverleibung. Daraus können wir aber noch nicht ersehen, ob der Tuberkelbazillengehalt solchen Staubes auch Infektion durch I n h a l a t i o n zu bewirken vermag; und erst wenn dies der Fall wäre, hätten wir das Recht von der Gefahr solchen Staubes für das Zustandekommen einer Inhalationstuberkulose zu sprechen. Ich habe* daher im folgenden noch zwei Versuchsreihen angestellt, welche zur Beantwortung dieser Frage beitragen sollten, und in denen ich den gesammelten Staub teils von Versuchstieren inhalieren ließ, teils, zum Vergleich mit den früheren Untersuchungen HEYMANNS, subkutan einverleibte. Bei der ersten Versuchsreihe, deren Resultate in Tabelle XIII aufgeführt sind, verwendete ich Staub aus hiesigen Wohnungen von Schwindsüchtigen. Bei der zweiten Reihe (Tabelle XIV) benutzte ich Staub aus den Phthisikersälen einiger Krankenanstalten. Geeignete Wohnungen von Phthisikern wurden mir von Breslauer Armenärzten und von der Fürsorgestelle der Landesversicherungsanstalt nachgewiesen. Ich bemühte mich, hygienisch möglichst desolate Verhältnisse herauszufinden, und wurde darin von den Herren Kollegen in dankenswertester Weise unterstützt; einige haben

Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbazillen

637

mich persönlich durch ihre Armenpraxis geführt. Obwohl ich auf diesen Gängen reichlich Gelegenheit hatte, Großstadtelend schlimmster Art kennen zu lernen, fand ich doch nirgends das, was ich eigentlich suchte, nämlich eine möglichst schmutzige Wohnung, deren kranke Bewohner ihr Sputum in größerer Menge auf den Fußboden entleeren, es dort in angetrocknetem Zustande zertreten und in Staubform aufwirbeln. Auch in der elendesten Behausung fand ich am Bett des Kranken oder in einer Ecke des Zimmers einen Eimer, einen zerbrochenen Topf oder irgend ein Gefäß vor, in das der Kranke sein Sputum entleerte. Wenn auch Flecken auf dem Fußboden in der Nähe des Eimers beweisen, daß einzelne Sputa gelegentlich neben das Gefäß geraten, so handelt es sich denn doch nicht um solche Mengen yon Sputum und um eine solche Beladung der Luft mit tuberkelbazillenhaltigem Staub, daß nach meinen Versuchen darin eine häufigere Ursache für die Verbreitung der Phthise gefunden werden könnte. Die Herren Kollegen sagten mir auch des öfteren, daß ich solche Verhältnisse, wie ich sie suchte, überhaupt nicht mehr in einem Kulturlande, oder zum mindesten nicht in den Städten finden würde; dafür sorge der Verkehr mit zahlreichen Menschen, die bereits eine Krankenhaus- oder Heilstättenbehandlung durchgemacht haben, die Anschläge betreffend das Ausspuckverbot in den Straßenbahnwagen, in öffentlichen Lokalen usw. und schließlich noch der durch solche Aufklärung gesteigerte natürliche Ekel vor dem Auswurf. Die Entgegnung „es ¡sei ihnen zu ekelerregend" wurde mir auch oft von Kranken zuteil, wenn ich fragte, ob sie wohl ihr Sputum auf die Erde entleerten. — Nach Angabe der hiesigen Ärzte bedarf es auch bei einem erstmaligen Besuch kaum einmal des ärztlichen Rates, den Auswurf in einem besonderen Gefäß zu sammeln. Viel schwieriger durchzusetzen sei es, daß kranke Eltern sich nicht mit ihren Kindern beschäftigen; und ich selbst habe Kinder auf dem Arm oder gar im Bett kranker Eltern mehrfach gefunden. Inwieweit die Entleerung des Auswurfs in das Taschentuch, die ich gelegentlich beobachtete, eine Gefahr für die Umgebung werden kann, lasse ich dahingestellt. Das Antrocknen und eventuelle Verstäuben vollzieht sich hier wohl entschieden leichter; ob aber die relativ großen, nach meinen Versuchen zur Infektion erforderlichen Mengen von Tuberkelbazillen häufig auf diese Weise in Staubform in die Luft gelangen, darüber kann ich kaum urteilen, möchte es aber bezweifeln, zumal anscheinend das Taschentuch immer nur

638

Köhlisch

aushilfsweise beim Spazierengehen oder während der Reinigung des Speigefäßes benutzt wird. Den Staub entnahm ich ähnlich wie HEYMANN, d. h. ich fegte ihn mit feinen Tuschpinseln auf Regalen, Schränken, Türsimsen, Bilderrahmen zusammen und transportierte ihn in kleinen Glasfläschchen. Entnahme vom Fußboden habe ich vermieden, weil dabei auch gröbere Partikel in die Proben gekommen wären, die bei dem starken künstlichen Aufwirbeln in meinem Inhalationsapparat wohl in die Atemluft übergehen konnten, aber nicht durch die unter natürlichen Verhältnissen in Betracht kommenden Luftströme und mechanischen Bewegungen. — Der Staub wurde fast immer unmittelbar, nur ausnahmsweise nach kurzer Aufbewahrung im Dunkeln, verwendet. Mikroskopisch bestand er aus Asche- und Kohlestäubchen, viel feinen, amorphen, nicht näher zu bestimmenden Elementen und reichlich Kleiderfasern, hauptsächlich Wolle und Baumwolle. Von den etwa 70 Phthisikerwohnungen, deren Adressen mir die Herren Kollegen überließen, schieden eine Anzahl von vornherein nach den Angaben, andere bei Besichtigung der Verhältnisse aus. Benutzt habe ich nur die Wohnungen von Kranken mit möglichst florider Phthise, reichlichem Auswurf und positivem Bazillenbefund. So blieben nur etwa 15 Wohnungen als brauchbar übrig. Von einigen derselben möchte ich wenigstens ein ungefähres Bild durch folgende Skizzierung entwerfen: 1. Paul Sp. 35 J. Piastenstraße. Kleiner Vorraum, kleine Küche, daneben ein schmales einfenstriges Zimmer (3-50:2-00 m), an dessen einer Längswand 2 Betten, gegenüber Ofen, Sopha, Spind nur eben Platz haben. Hier hält sich der Kranke meist auf. Am Bett ein Eimer mit etwas Wasser gefüllt, darin einige Sputa. Reichlicher Husten. — Frau und ein Säugling halten sich meist in der Küche auf. — Staub entnommein vom Spind, einigen Bilderrahmen und einer Wanduhr über dem Sopha. 2. Paul H. 45 J. Sternstraße. Wohnung unter dem Dach nach dem Hof. Niedrige Küche, daneben ebenso niedriges, kleines Schlaf- und Wohnzimmer, einfenstrig. H. ist dauernd bettlägerig, hustet viel. Über seinem Bett ein Bild, am Fußende des Bettes ein etwa mannshoher Schrank, stark bestaubt. Von beiden Staubentnahme. Auf einem Stuhl am Bett ein altes Glas, in welches das Sputum entleert wird. 3. Theodor W. 50 J. Herzogstraße, Hinterhaus. Die aus dunklem Vorraum, gleichzeitig Küche, einem niedrigen, größeren, zweifenstrigen Wohnzimmer (4:3 m) und einem einfenstrigen, kaum 2 m breiten

Untersuchungen über die Infektion mit Tuberkelbaxillen

689

Schlafzimmer bestehende Wohnung liegt über einer Silberwäsche, von der aus Salpetersäuredämpfe beim Öffnen der Fenster in die Räume dringen. Der Kranke ist dauernd bettlägerig, hustet sehr viel. Am Bett ein alter eiserner Kochtopf, darin Sputa. Daneben auf der mit Sand bestreuten ungestrichenen Diele einige Flecken, die wohl von Auswurf herrühren mögen. An einem Bettpfosten ein rotes, schmutziges Taschentuch „zum Mundwiachen". Am Fußende des Bettes ein Sopha, am Kopfende ein mannshoher Schrank mit viel altem Gerümpel. Darauf viel Staub. Gegenüber vom Sopha, ohne daß ein Gang dazwischen bleibt, ein etwa mannshohes Schreibspind. Staubentnahme von diesen Spinden. Die ganze Wohnung macht einen sehr schmutzigen Eindruck. Übrigens hat die Familie einige schulpflichtige und kleinere Kinder — die der Vater angeblich nie ins Bett nimmt — und hält zwei Schlafburschen. 4. Keinhold L. 28 J. Wörtherstraße. Küche und Wohnzimmer miteinander nicht verbunden, sondern beide nur vom Korridor aus zu erreichen. Zwei Fenster nach dem Hof. Im Wohnzimmer das sehr schmutzig ist, zwei Betten, ein Tisch, Kinderwagen, darin ein Säugling, am Kopfende des Krankenbetts ein mannshoher Kleiderschrank. Der Kranke ist dauernd bettlägerig, hustet viel. Am Bett ein blecherner Topf mit Wasser für Sputum. Staubentnahme von dem Kleiderschrank, einem Bild über dem Krankenbett und einem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Die Inhalation des in dieser Weise gesammelten Staubes erfolgte teils mit dem Gebläseapparat (1. Modell), teils mit demWindradapparat (2. Modell). Als Versuchstiere wurden nur Meerschweinchen verwendet. Trotzdem die Tiere bis zu 2 Stunden in einer überaus dichten Staubwolke saßen, sind s ä m t l i c h e Versuche der beiden Reihen n e g a t i v ausgefallen (s. Tabellen X I I I und XIV). Von den zugehörigen 13 Kontrolltieren, die ich teils intraperitoneal, wie HEYMANN, teils subkutan mit dem Staub impfte, erkrankten zwei Tiere (15-4 Prozent, bei HEYMANN 18-4 Prozent) und zwar eins, das mit Staub aus Wohnungen intraperitoneal geimpft war, und eines, das mit Staub aus dem Phthisikersaal des Allerheiligen-Hospitals subkutan geimpft war. Obwohl also Tuberkelbazillen, wie wir sehen, in dem Staub vorhanden waren, ist doch k e i n e s von den Tieren, die große Mengen dieses Staubes g e a t m e t haben, erkrankt.

Durch die vorstehenden Versuche kommen wir, glaube ich, zu einer zutreffenderen Anschauung von der Gefahr der Staubinfektion bei der Verbreitung der Tuberkulose, als sie bisher in weiten Kreisen angenommen wurde.

640

Köhlisch T a b e l l e XIII.

Lfde.Nr. |

Versuche mit Inhalation von Staub aus Phthisikerwohnungen.

1.

Zeit, währ, Gewicht der d. Tier des den Staub Tieres geatm. hat 2.

3.

I) I m 1

390 g

2

500 g

3

550 g

Sektionsbefund (nach 4 bis 6 Wochen)

Bemerkungen

4.

5.

Gebläseapparat.

Nichts Krankhaftes. 15 Min. V, Stde. In Lunge 1 verdächtiger Knoten, jedoch ohne Riesenzellen und Tuberkelbazillen. Bronchialdrüsen erbsengroß, histologisch ohne krankhaften Befund. 1 Bronchialdrüse anMeerschweinchen intraperitoneal weitergeimpft. Dieses erkrankt nicht und zeigt bei Sektion nichts Krankhaftes, auch keine Knötchen in den Lungen. Demnach ist der Knoten in der Lunge als Lymphknoten anzusehen. In Lunge 1 verdächtiger Knoten, der sich jedoch mikroskopisch sicher als Lymphknoten erweist. Bronchialdrüsen erbsengroß, histologisch normal. Mit einer von ihnen 1 Meerschweinchen intraperitoneal geimpft. Sektion nach acht Wochen nichts Krankhaftes.

1

II) I m W i n d r a d a p p a r a t . 4

350 g

5

340 g

6 7

300 g 310 g

10 Min. 15 „

20 30

„ „

Nichts Krankhaftes. Tn Lungen nichts Krankhaftes, Bron- Saß mit Nr. 8 chialdrüsen kaum hanfkorngroß. Leber im selben und Milz voller hirsekorn- bis erbsenKäfig. großer Abszesse. Mesenterialdrüsen bis bohnengroß, ganz vereitert Aus dem Eiter werden gezüchtet fast nur Diplokokken, die den Meningokokken ähnlich sehen, Gram-negativ sind, jedoch auf gewöhnlichem Agar wachsen. 2 Meerschweinchen intraperitoneal geimpft, davon zeigt nach 6 Wochen bei der Sektion keines krankhafte Veränderungen. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes.

Untersuchungen über die Infektion

mit

Tuberkelbazillen

641

Lfde. Nr.

Tabelle XIII. (Fortsetzung.)

1.

Zeit,währ, Gewicht der d. Tier des den Staub Tieres geatm. hat 3. 2.

8

330 g

30 Min.

9

320 g 450 g

1 Std.

10 11 12 13 14 15 16 17 18

Sektionsbefund (nach 4 bis 6 Wochen)

Bemerkungen

4.

5.

An Lungen und Bronchialdrüsen nichts Krankhaftes. Hirsekorn- bis erbsengroße Spontan geAbszesse in Leber und Milz. Milz kaum storben nach 26 Tagen vergrößert. Mesenterialdr. bis pflaumengroße Eitersäcke. Im Eiter und den Abszeßwänden finden sich Diplokokken, Tuberkelbazillen können nieht nachgewiesen werden. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes. Nichts Krankhaftes.



360 g 255 g 350 g

*

1t

*

»

400 g 420 g 380 g 520 g 365 g

17, 2 2 2 2

11

„ „ ' „ „ „

Tabelle XIV.

Nichts Krankhaftes. In rechter Lunge 3 hanfkorngroße Lymphknoten. Nichts Krankhaftes. Nichts Nichts Nichts Nichts

Krankhaftes. Krankhaftes. Krankhaftes. Krankhaftes.

Versuche mit Staub aus Krankenanstalten. Gewicht des Tieres 3.

Quelle des Staubes

Zeit, während der das Tier den Staub geatmet hat 4.

Sektionsbefund (nach 4 Wochen) 5.

Im G e b l ä s e a p p a r a t . 1

Wartezimmer der Landesfürsorgeanstalt für Lungenkranke

2

Phthisikersaal im Allerheiligenhospit.

3 4 5 6 7

??

15 Min.

Nichts Krankhaftes.

II) I m W i n d r a d a p a r a t . Nichts Krankhaftes. 400 g Vj Std.

» » » V V

FLÜGGE. T u b e r k u l o s e

300 310 300 485 370

g g g g g

Va i) 1 „ 1 2 2

„ „

Nichts Nichte Nichts Nichts Nichts

Krankhaftes. Krankhaftes. Krankhaftes. Krankhaftes. Krankhaftes. 41

642

Köhlisch

Gewiß ist die Gefahr einer Infektion durch trockenen Staub, wie er sich unter natürlichen Verhältnissen in Phthisikerwolinungen findet, nicht ganz abzuleugnen. Es müssen aber, wenn auf diesem Wege Infektionen innerhalb der Wohnungen zustande kommen sollen, eine Anzahl begünstigender Momente zusammentreffen und dies wird nicht gerade häufig der Fall sein. Solche Momente sind: 1. Das Sputum muß auf den Fußboden oder ins Taschentuch entleert werden und hier völlig eintrocknen. Daß ein hinreichend vollständiges Austrocknen bei Taschentüchern selten vorkommt, ist von Beninde erwiesen. Auch das vollständige Austrocknen auf dem Fußboden erfolgt nicht immer leicht; namentlich unter ärmlichen Wohnungsverhältnissen ist häufig die Luft zu feucht und zu wenig bewegt. Dauert es längere Zeit bis zum vollen Austrocknen, so wird unterdes die Belichtung schwächend auf die Tuberkelbazillen wirken. 2. Das Sputum muß nach dem Trocknen fein zerrieben werden. Bei dem an Taschentüchern v ö l l i g angetrockneten Sputum gelingt dies relativ leicht. Das am Fußboden befindliche Sputum wird aber nur genügend zerkleinert, wenn es sich an reichlich begangenen Stellen befindet; und dies wird sehr selten vorkommen. Wo sich Sputumflecke auf dem Fußboden finden, da ist es gewöhnlich in Ecken und Winkeln oder neben den Speigefäßen, also an Stellen, die selten begangen werden. In jedem Falle wird nur ein relativ kleiner Bruchteil des angetrockneten Sputums so zerkleinert werden, daß daraus Splitter in Staubform entstehen (vgl. die Versuche H e t MANNS, S. 230). 3. Von den entstandenen Sputumstäubchen geht der größte Teil nur durch mechanische Bewegungen vorübergehend in die Luft über und setzt sich sehr bald wieder zu Boden. Nur während der Einwirkung der mechanischen Bewegung können diese Staubanteile eingeatmet werden; also namentlich während der trockenen Reinigung des Zimmers. Der Anteil der wirklich Aug- und schwebefähigen Teilchen ist dagegen stets außerordentlich gering. 4. Trotzdem müssen die in Staubform eingeatmeten Tuberkelbazillen, um Infektion hervorzurufen, in sehr reichlicher Menge vorhanden sein; denn nach meinen Untersuchungen gehen bei der Inhalation von tuberkelbazillenhaltigem Wohnungsstaub im Mittel nur etwa 4 Prozent bis in die feineren Bronchien; und außerdem wirkt aus den S. 630 angeführten Gründen von den hierher gelangten Tuberkelbazillen bei weitem nicht jeder einzelne infektiös, sondern erst mehr als 2000 Bazillen rufen sichere Infektion hervor. Um daher mit

Untersuchungen

über die Infektion

mit Tuberkelbazillen

643

trockenem Wohnungsstaub durch Inhalation Tuberkulose zu bewirken, dazu gehören bei Meerschweinchen mindestens 50000 eingeatmete Tuberkelbazillen, beim Menschen vielleicht noch erheblich mehr! Weder bei der Einatmung feinsten schwebenden Staubes, noch bei der gelegentlichen, kurz dauernden Einatmung mechanisch aufgewirbelten gröberen Staubes werden häufiger solche Mengen virulenter Bazillen in der Atemluft vorhanden sein. Alle diese Momente müssen bei der Einschätzung der Gefahr der Staubinhalation gewürdigt werden. Wenn C o r n e t darauf verweist, daß das auf den Fußboden gespuckte Sputum gleichsam ein großes Reservoir darstelle, aus dem immer wieder feinste Staubteilchen nachrücken, und wenn er gar annimmt, daß für gewöhnlich die gesamtem Bazillen des Auswurfs in trockenen Staub übergehen und eingeatmet werden können, so ist das eine ganz enorme Überschätzung dieses Infektionsmodus. C o b n e t will durch solche Hinweise die Überlegenheit der Staubinfektion über die Tröpfcheninfektion erläutern. Aber ganz mit Unrecht! Man braucht nur zu erwägen, daß gerade bei der Tröpfcheninfektion der hustende Phthisiker ein wirklich unerschöpfliches Reservoir darstellt, aus welchem fortgesetzt Tröpfchen in infektiöser Form in die Luft übergehen. Und hier werden die Tröpfchen von den erkrankten Stellen des einen Menschen ohne jede Beeinflussung durch die Umgebung direkt in die Atemluft anderer Menschen gebracht; ferner dringt ein volles Drittel der Tröpfchen bis in die feinsten Bronchien vor, und fast jeder einzelne dorthin gelangte Tuberkelbacillus vermag Infektion zu bewirken. Bei der Tröpfcheninhalation kommen also alle jene Momente in Wegfall, welche das ausgeworfene Sputum erst vorbereiten und in feinen trockenen Staub überführen müssen, ehe der relativ weite und indirekte Weg bis in die Atemluft anderer Menschen und zu den Ansiedelungsstätten der Tuberkelbazillen von den Sputumbazillen zurückgelegt werden kann. Eigentlich sind es nur die kurzen Zeiten der trockenen Zimmerreinigung, die in etwas ausgiebigerer Weise die Gefahr der Weiterverbreitung für die Bewohner eines Zimmers mit sich bringen; und diese Gefahr kann durch die Art der Reinigung, durch gleichzeitige Zuglüftung, durch tunlichstes zeitweises Verlassen des Zimmers seitens der Bewohner usw. erheblich herabgemindert werden, Maßnahmen, die in den allermeisten Fällen in praxi schon jetzt getroffen werden. Zu erwägen ist noch die Möglichkeit, ob nicht bei der Staubinhalation der Anteil, welcher in Mund, Nase, Rachen usw. zurück41*

644 bleibt, bzw. in den Darm übergebt, von h i e r aus in den Körper eindringen kann. Die Verhältnisse liegen bei der Staubinhalation insofern eben anders, wie bei der Tröpfcheninfektion, als der Anteil, der in den ersten Wegen haften bleibt, bzw. durch Flimmerbewegung und Hustenstöße dahin zurückkommt, viel erheblicher ist, als bei den Tröpfchen; und auch gröbere, zahlreiche Tuberkelbazillen enthaltende Staubteilchen können nach mechanischer Aufwirbelung bis in die oberen Eingangswege geführt werden, während sie für einen Transport bis zu den feineren Bronchien nicht flugfähig genug sind. Ich halte es recht wohl für möglich, daß durch inhalierten Staub gelegentlich Halsdrüsen- oder Cervicaldrüseninfektionen zustande kommen, deren weiterer Verlauf und Ausgang dann außerordentlich verschieden sein kann. Für Infektion vom Darm aus ist dagegen selbst der verschluckte relativ große Anteil von tuberkelbazillenhaltigen Stäubchen für gewöhnlich noch als ungenügende Dosis anzusehen.

30. Versuche über die Durchgängigkeit des Darms für Tuberkelbazülen.1 Von Prof. H. Seicheitbach und Stabsarzt Bock in Breslau. In der Beweisführung für die intestinale Entstehung der Tuberkulose spielt bei vielen Autoren die Behauptung, daß die Darmwand normalerweise für Bakterien durchlässig sei, eine wichtige Rolle. Es soll auf diese Weise die frühe und vorzugsweise Erkrankung der Lungen erklärt werden, die sonst mit der Annahme der intestinalen Infektion im Widerspruch stehen würde: die Bazillen sollen während der Verdauung die intakte Darmwand passieren, mit dem Lymphstrom durch die Mesenterialdrüsen hindurchgehen und durch den Ductus thoracicus in den kleinen Kreislauf und so in die Lungen gelangen, wo sie stecken bleiben und zur Erkrankung führen. Schon v. B E H B I N G hat in seinem Kasseler Vortrage .darauf hingewiesen, daß der Darm junger Meerschweinchen für Milzbrandbazillen leicht durchlässig sei — später haben dann B A R T E L (1), C A L M E T T E ( 2 ) , SCHLOSSMANN (3), R A V E N E L (4), PAWLOWSKY (5) ebenfalls 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt Bd. 60.

644 bleibt, bzw. in den Darm übergebt, von h i e r aus in den Körper eindringen kann. Die Verhältnisse liegen bei der Staubinhalation insofern eben anders, wie bei der Tröpfcheninfektion, als der Anteil, der in den ersten Wegen haften bleibt, bzw. durch Flimmerbewegung und Hustenstöße dahin zurückkommt, viel erheblicher ist, als bei den Tröpfchen; und auch gröbere, zahlreiche Tuberkelbazillen enthaltende Staubteilchen können nach mechanischer Aufwirbelung bis in die oberen Eingangswege geführt werden, während sie für einen Transport bis zu den feineren Bronchien nicht flugfähig genug sind. Ich halte es recht wohl für möglich, daß durch inhalierten Staub gelegentlich Halsdrüsen- oder Cervicaldrüseninfektionen zustande kommen, deren weiterer Verlauf und Ausgang dann außerordentlich verschieden sein kann. Für Infektion vom Darm aus ist dagegen selbst der verschluckte relativ große Anteil von tuberkelbazillenhaltigen Stäubchen für gewöhnlich noch als ungenügende Dosis anzusehen.

30. Versuche über die Durchgängigkeit des Darms für Tuberkelbazülen.1 Von Prof. H. Seicheitbach und Stabsarzt Bock in Breslau. In der Beweisführung für die intestinale Entstehung der Tuberkulose spielt bei vielen Autoren die Behauptung, daß die Darmwand normalerweise für Bakterien durchlässig sei, eine wichtige Rolle. Es soll auf diese Weise die frühe und vorzugsweise Erkrankung der Lungen erklärt werden, die sonst mit der Annahme der intestinalen Infektion im Widerspruch stehen würde: die Bazillen sollen während der Verdauung die intakte Darmwand passieren, mit dem Lymphstrom durch die Mesenterialdrüsen hindurchgehen und durch den Ductus thoracicus in den kleinen Kreislauf und so in die Lungen gelangen, wo sie stecken bleiben und zur Erkrankung führen. Schon v. B E H B I N G hat in seinem Kasseler Vortrage .darauf hingewiesen, daß der Darm junger Meerschweinchen für Milzbrandbazillen leicht durchlässig sei — später haben dann B A R T E L (1), C A L M E T T E ( 2 ) , SCHLOSSMANN (3), R A V E N E L (4), PAWLOWSKY (5) ebenfalls 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt Bd. 60.

Versuche über die Durchgängigkeit des Darms für Tuberkelbaxillen

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die physiologische Bakteriendurchlässigkeit des Darmes zur Stütze ihrer Anschauungen herangezogen. Nun liegt allerdings eine ganze Reihe von Arbeiten vor, aus denen eine solche physiologische Durchlässigkeit des Darmes hervorzugehen scheint; ebenso zahlreich sind aber die Autoren, die ein Hindurchwandern der Bakterien auf das entschiedenste in Abrede stellen. Ein Teil der außerordentlich schroffen Widersprüche zwischen den einzelnen Ansichten läßt sich aus der verschiedenen Methodik, gegen die sich häufig schwer wiegende Einwände erheben lassen, und aus der Verwendung verschiedener und verschieden alter Versuchstiere erklären, — ein anderer Teil bedarf aber zweifellos noch weiterer Aufklärung, so daß die Frage trotz der großen vorliegenden Literatur immer noch nicht als spruchreif angesehen werden kann. Es ist daher auch nicht unsere Absicht, die gesamte Frage der Bakteriendichtigkeit der Darmwand an dieser Stelle zu besprechen, zumal da sie in einer anderen, demnächst erscheinenden Arbeit von dem einen von uns (R.) ausführlich behandelt werden wird. Wir wollen uns hier darauf beschränken, die Frage zu erörtern, die für die Entstehung der Tuberkulose die wichtigste ist, die Frage nämlich, ob T u b e r k e l b a z i l l e n durch die Darmwand hindurch und weiter zu den Lungen gelangen können. Aus der bisherigen Literatur über diese Frage, läßt sich trotz ihres Umfanges kein genügend klares Bild gewinnen. Wohl kann man mit Sicherheit sagen, daß unter gewissen Umständen ein Durchtritt der Tuberkelbazillen möglich ist; über die näheren Bedingungen aber, unter denen er zustande kommt, und über die Bedeutung, die er für das Zustandekommen der Infektion besitzt, ist noch keineswegs Klarheit erzielt. Zum Teil liegt das wohl an der sehr verschiedenen und nicht immer glücklichen Fragestellung der einzelnen Arbeiten, zum Teil aber auch daran, daß in dem Bestreben, mit möglichster Sicherheit einen Durchtritt zu erreichen, häufig unter so extremen Bedingungen gearbeitet ist, daß die Resultate jeden Wert für die Beurteilung der wirklichen Verhältnisse verlieren. Zur besseren Übersicht über ihre Ergebnisse, wird es zweckmäßig sein, die bisher vorliegenden Arbeiten in drei Gruppen einzuteilen. Zu der e r s t e n G r u p p e sind diejenigen zu rechnen, in d e n e n eine I n f e k t i o n der V e r s u c h s t i e r e d u r c h die i n t e s t i n a l e E i n v e r l e i b u n g von T u b e r k e l b a z i l l e n zu erzielen versucht worden ist. Dies ist die weitaus umfangreichste Gruppe — schon aus der Zeit vor der Entdeckung des Tuberkelbacillus liegen eine

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H. Reichenbach und Bock

Reihe von Mitteilungen über positive Fütterungsresultate mit Sputum oder Perlsuchtmaterial vor. Für uns von Interesse sind aber nur diejenigen Untersuchungen, bei denen eine einigermaßen genaue Dosierung der verfütterten Tuberkelbazillen vorgenommen wurde, da von der Größe der Dosis im wesentlichen der Erfolg abhängt. So ist denn auch fast allen positiven Versuchen gemeinsam, daß sehr große, weit über die natürlichen Verhältnisse hinausgehende Mengen gegeben wurden. Beispielsweise ist die wirksame Dosis gefunden worden für Ziegen zu 2 0 0 mg (CALMETTE), für Meerschweinchen zu 1 0 mg (CALMETTE u n d BBETON) (6), (REICHENBACH) (7), z u 1 2 m g (LAFFEBT) (8).

Bei Kaninchen scheint eine Infektion vom Darm aus sehr schwierig zu sein — 50 mg Typus bovinus waren unsicher und 180 mg Typus humanus waren völlig wirkungslos (ALEXANDER) (9). In den Versuchen von BABTEL war trotz sehr hoher Dosen (bis zu 5 GlyzerinAgar-Kulturen) und sehr langer Beobachtungszeit (bis 172 Tage) nur ein Eindringen der Bazillen in die Lymphdrüsen ohne makroskopisch sichtbare Veränderungen eingetreten. Außer von der Größe der Dosen scheint der Erfolg auch von der Art des Vehikels abhängig zu sein; Milch gibt besonders gute Resultate (CALMETTE, OBTH) (10). Auch die Art der Einverleibung dürfte eine Rolle spielen, vielleicht sind die sehr niedrigen Werte, die OBTH bei Injektion in das Rektum als tödliche Dosis für Meerschweinchen gefunden hat, 0-1 mg, mit auf den Modus der Einverleibung zurückzuführen. Im ganzen läßt sich das Resultat aller dieser Versuche dahin zusammenfassen, daß es bei den meisten Versuchstieren gelingt, mit genügend großen Dosen eine Infektion vom Darm aus zu erzielen. Der Verlauf der Infektion wird übereinstimmend so geschildert, daß zunächst die Mesenterialdrüsen erkranken, daß dann die Milz, häufig auch gleichzeitig mit ihr die Lunge und die übrigen Lymphdrüsen ergriffen werden. Immer aber vergeht längere Zeit, bis eine m a n i f e s t e Tuberkulose, bzw. der Tod des Tieres eintritt. Ein D u r c h t r i t t durch die Darmschleimhaut- hat also in diesen Versuchen sicher stattgefunden, über die Schnelligkeit des Durchtritts aber und die Menge der durchgetretenen Bazillen sagen sie noch nichts aus. In der zweiten Gruppe ist nun der Versuch gemacht, die Schnelligkeit des Durchtritts durch die Darmwand experimentell zu ermitteln. Die Untersuchungen sind durchweg so angestellt, daß die Versuchstiere vor dem Zustandekommen einer manifesten Tuber-

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kulose getötet, und daß dann die einzelnen Organe, teils mikroskopisch, teils durch den Tierversuch, auf das Vorhandensein von Tuberkelbazillen geprüft wurden. In diese Gruppe gehört ein Teil der Versuche von B A K T E L (1). B A E T E L konnte bei einem Kaninchen, das zwei Tage gehungert hatte, und dann an zwei aufeinander folgenden Tagen 11 Glyzerin-Agarkulturen mit Milch vermischt erhalten hatte, 5 S t u n d e nach der letzten Nahrungsaufnahme, also mindestens zwei Tage nach Beginn der Fütterung, in der Mesenterialdrüse in einem Ausstrichpräparat zwei leuchtend rot gefärbte Stäbchen vom Aussehen der Tuberkelbazillen nachweisen. Schnittfärbung und Tierversuch ergaben negatives Resultat. Bei weiteren Versuchen mit etwas kleineren Dosen (1 bis 3 Glyzerin-Agarkulturen) wurde ein Durchtritt in die Mesenterialdrüsen erst vom 18. Tage an konstatiert. Aber auch hier ist der Befund an dem Impftier keineswegs so, daß sich die Diagnose auf Tuberkulose mit Sicherheit stellen ließe; erst am 20. Tage wurde an dem Impftier durch den Nachweis von Tuberkelbazillen sichere Tuberkulose festgestellt. Von B A E T E L s Meerschweinchenversuchen kommen hier zwei in Betracht: beide Tiere wurden mit je einer Glyzerin-Agarkultur gefüttert. Bei dem einen, das nach 16 Tagen getötet wurde, ergab sich bei dem mit den Mesenterialdrüsen geimpften Probetier ein allenfalls als Tuberkulose anzusehender Befund, bei dem zweiten, das nach 23 Tagen getötet wurde, enthielten die Mesenterialdrüsen sichere Tuberkelbazillen. Dieser Befund hat nichts Überraschendes, wenn man bedenkt, daß beide Tiere mit einer auch intestinal sicher tödlichen Dosis gefüttert waren. Auch die meisten Versuche von KOVACS ( 1 1 ) gehören hierher. Diese Versuche beanspruchen deshalb besonderes Interesse, weil sie wenigstens zum Teil mit relativ kleinen Dosen angestellt sind. Die Resultate sind aber sehr unregelmäßig: positive und negative Befunde wechseln fortwährend miteinander ab, und auch in dem Ergriffenwerden der einzelnen Organe läßt sich keine bestimmte Reihenfolge feststellen. Bei kleineren Dosen (0-2 bis 0-6 mg), in Milch verabreicht, ist nach 7 Stunden Leber und Mesenterialdrüse positiv, Lunge negativ, nach 7 Tagen Lunge positiv, Leber und Milz negativ, nach 10 Tagen Lunge, Milz negativ, Leber wieder positiv, nach 52 Tagen nur Mesenterialdrüse positiv. Ähnlich verhält es sich bei großen Dosen (10 bis 12 mg). Nach 24 Stunden Milz, Lunge, Cervikaldrüsen positiv, nach 2 Tagen nur Submentaldrüsen, bei einem andern Tiere nur Cervikaldrüsen positiv, nach 4 Tagen Milz,

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Leber und Bronchialdrüsen, nach 10 Tagen wieder nur Mesenterialdrüsen positiv. Nach 22 und 31 Tagen wurden bereits Tuberkel in der Lunge nachgewiesen. Ebenso unregelmäßig verlief eine dritte Reihe. Zweifellos haben also bei diesen Versuchen von KOVACS Zufälligkeiten eine große Rolle gespielt, welche die Verwertung der Resultate erschweren. Jedenfalls bedürfen einige der Ergebnisse, und besonders die Beobachtung, daß auch bei kleineren Dosen sich schon nach 7 Stunden in Leber und Mesenterialdrüsen Bazillen finden, der Nachprüfung. Weitere Versuche in dieser Richtung sind von ORTH ( 1 0 ) auf der Wiener Tuberkulosekonferenz mitgeteilt worden. Danach ist es ihm in Gemeinschaft mit L Y D I A RABINO WITSCH gelungen, bei Meerschweinchen nach rektaler Injektion einer Bazillenaufschwemmung schon vom dritten Tage an Bazillen in den Mesenterialdrüsen und in der Lunge, später auch in der Leber nachzuweisen. Über die Größe der verwandten Dosen ist in der kurzen Mitteilung leider nichts enthalten, da aber OBTH an einer anderen Stelle angibt, daß 0-1 mg bei rektaler Einverleibung bereits sicher zu tödlicher Infektion führt, so darf man wohl annehmen, daß auch bei diesen Versuchen keine allzu großen Dosen angewandt sind. Vielleicht erklärt aber auch hier die Art der Applikation die rasche Wirkung. Schließlich gehört .hierher noch ein Versuch, an Ferkeln, den L. RABINOWITSCH ( 1 2 ) in Gemeinschaft mit OBERWARTH angestellt hat. Drei Ferkeln von 5 Wochen wurden nach Unterbindung des Oesophagus durch eine Magenfistel große Mengen von Tuberkelbazillen (1-2 bis 3 g) in den Magen gebracht. Die Tiere wurden nach 22 Stunden, 3 Tagen und 21 Tagen getötet. Schon nach 22 Stunden waren im Blut, in der Lunge und in den Mesenterialdrüsen Tuberkelbazillen nachzuweisen, bei den später getöteten Tieren auch in Leber, Niere und Leberdrüse, bei dem 21tägigen Tiere wieder nur in Blut, Lunge und Mesenterialdrüsen. Für die normalen Verhältnisse wird man aus diesem Versuch schwerlich Schlüsse ziehen dürfen. Die Tiere waren durch die Operation, wie die Verfasser selber angeben, sehr heruntergekommen, außerdem waren die verabreichten Kulturmengen sehr groß. Daß hierdurch der Durchtritt durch den Darm in abnormer Weise begünstigt worden ist, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Die Untersuchungen der zweiten Gruppe haben also noch kein ganz einheitliches Bild geliefert. Man wird aber zugeben müssen, daß von verfütterten Bazillen, besonders wenn sie in sehr großen Dosen

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gegeben werden, oder wenn sonst begünstigende Umstände vorhanden sind, schon in den ersten Tagen nach der Fütterung einzelne die Darmwand, eventuell auch die Mesenterialdrüsen passieren und in den Kreislauf und in die Organe gelangen können. Daß aber die Zahl dieser Bazillen nicht bedeutend ist, darf man wohl aus der Unregelmäßigkeit der Resultate folgern. Eine ganz andere Frage ist es nun, mit welcher sich die Untersuchungen der d r i t t e n G r u p p e beschäftigen. Mit dem langsamen Durchtritt vereinzelter Bazillen ist offenbar den Anhängern der intestinalen Entstehung wenig gedient; wenn die Darmdurchlässigkeit eine wesentliche Stütze für ihre Theorie abgeben soll, so kann nicht der Nachweis genügen, daß von einer ungeheuren in den Darm gebrachten Bazillenmenge während eines langen Zeitraumes einige wenige den Darm passieren, um dann noch größtenteils in den Mesenterialdrüsen stecken zu bleiben, sondern es muß nachgewiesen werden, d a ß a u c h b e i k l e i n e n D o s e n e i n e so g r o ß e Z a h l von B a z i l l e n so r a s c h in d e n K r e i s l a u f u n d in d i e L u n g e g e l a n g t , daß i h r e W i r k u n g sich mit der der I n h a l a t i o n vergleichen l ä ß t . Es ist deshalb auch immer besonderer Wert darauf gelegt, eine gewissermaßen p h y s i o l o g i s c h e D u r c h l ä s s i g k e i t der Darmwand für Bakterien, die auf der Höhe der Verdauung und zwar besonders der Fettverdauung, in Erscheinung treten soll, experimentell festzustellen. Das sind die Untersuchungen, die ich in der dritten Gruppe zusammenfassen möchte. Zunächst liegt hier eine Reihe von Untersuchungen am Hunde vor. NICOLAS und DESCOS ( 1 3 ) haben im Jahre 1 9 0 2 H u n d e n große Mengen von Tuberkelbazillen in einer fetten Suppe verabreicht und haben in gewissen Fällen die Bazillen nach 3 Stunden im Ductus thoracicus mikroskopisch und durch Meerschweinchenimpfung nachweisen können. In ähnlicher Weise haben B I S A N T I und P ANISSET (14) 6 Hunden, die 24 Stunden vorher auf Wasserdiät gesetzt waren, eine tuberkelbazillenhaltige Suppe verabreicht und 4 bis 5 Stunden darauf im Herzblut bei vieren von ihnen Tuberkelbazillen durch den Tierversuch nachgewiesen. Auch RAVENEL (4) hat eine Versuchsreihe an Hunden angestellt: die Tuberkelbazillen wurden ihnen in einer Emulsion von geschmolzener Butter mit der Schlundsonde beigebracht und ebenfalls bei 8 von 10 Tieren nach 3 l j 2 bis 4 Stunden im Chylus und den Mesenterialdrüsen nachgewiesen. Gegen die Versuche von NICOLAS und DESCOS sowohl wie gegen die von B I S A N T I und PANISSET läßt sich der Einwand erheben, daß

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H. Reiohenbach und Bock

die Autoren mit übertrieben großen,Dosen gearbeitet haben, die doch vielleicht eine, wenn auch mikroskopisch nicht nachweisbare Schädigung des Darmepithels verursacht haben. Vermutlich ist das Zustandekommen einer solchen Schädigung auch durch das Hungern der Versuchstiere unterstützt worden. R A V E N E L hat die von ihm angewandten Dosen nicht angegeben. Bei seinen Versuchen war aber die Möglichkeit einer Schädigung des Darmes dadurch gegeben, das er die Hunde eine Zeitlang vorher mit Rizinusöl behandelt hat, um den Darm von allen fremden Stoffen zu befreien, die die Schleimhaut hätten verletzen können. Wir möchten es aber nicht für ausgeschlossen halten, daß gerade diese Behandlung mit Rizinusöl erst recht eine Darmreizung zustande gebracht und damit die Durchlässigkeit' erhöht hat. Auffallen muß auch bei diesen Versuchen, daß immer nur ein gewisser Prozentsatz der Hunde positive Resultate gibt. Wenn es sich wirklich um ein physiologisches Phänomen handelte, so wäre doch zu erwarten, daß alle Hunde gleichmäßig reagierten. Entweder müssen hier also ungewöhnlich große individuelle Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Tieren bestehen, oder das Zustandekommen des Versuches muß von unbekannten, und deshalb vom Experimentator nicht zu beherrschenden Umständen abhängig sein. Eine große Bedeutung werden wir aber diesen Hundeversuchen überhaupt nicht zuerkennen können, da die Hunde vom Darm aus so gut wie überhaupt nicht zu infizieren sind. Eine viel größere Bedeutung haben für uns die Versuche, die an t u b e r k u l o s e e m p f ä n g l i c h e n T i e r e n a n g e s t e l l t sind. Da sind zunächst zwei vollständig negative Kaninchenversuche von B A R T E L ZU erwähnen. In dem ersten erhielt ein 6 Monate altes Kaninchen nach 24 stündigem Hungern 2 Glyzerin-Agarkulturen; nach 6 Stunden getötet, hatte es in den Mesenterialdrüsen k e i n e Bazillen. Das zweite Tier war 3 Wochen alt, bekam 8 GlyzerinAgarkultüren und wurde 2 Stunden nach der Nahrungsaufnahme getötet — auch hier konnten keine Tuberkelbazillen nachgewiesen werden. Das Hauptinteresse gebührt aber den Versuchen an unserm gebräuchlichsten und empfänglichsten Tuberkulose Versuchstier, dem Meerschweinchen. Hierher könnte man wohl noch den einen, bei Gruppe 2 schon besprochenen Versuch von KOVACS rechnen, der beim Meerschweinchen 7 Stunden nach der Fütterung Tuberkelbazillen in Leber und Mesenterialdrüse auffand. Eine besondere Stellung nehmen die Versuche von SCHLOSSMANN u n d

E N G E L (3)

ein.

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SCHLOSSMANN und E N G E L experimentierten ausschließlich an j u n g e n Meerschweinchen, deren Darm nach der Anschauung von BEHRINGS besonders durchlässig sein soll. Da es den Autoren besonders auf den Nachweis in den Lungen ankam, haben sie nur die Lungen untersucht, und, um jedes unabsichtliche Hineingelangen von Keimen, etwa durch Aspiration, zu vermeiden, eine recht komplizierte Versuchsanordnung getroffen. Sie haben die Tuberkelbazillen nicht verfüttert, sondern sie direkt auf operativem Wege in den Magen gebracht: die Wunde wurde durch Yerschorfung mit dem Paquelin und durch Naht geschlossen und die etwa auf das Peritoneum gelangten Bazillen durch Abwaschen mit Sublimatlösung so gut wie möglich unschädlich gemacht. Eine durchaus treffende Kritik dieser Versuchsanordnung, der wir uns in jeder Beziehung anschließen können, ist bereits in der Arbeit von F I N D E L gegeben: die Verfasser haben, um e i n e Fehlerquelle — das Hineingelangen von aspirierten Keimen in die Lungen — auszuschließen, eine Fehlerquelle, die nur bei positivem Ausfall der Versuche in Betracht gekommen wäre, andere, viel schlimmere Fehlerquellen — Eröffnung der Blutbahn, Infektion des Peritoneums — Malträtierung des Tieres — eingeführt. Eine Beweiskraft vermögen wir deshalb den SCHLOSSMANN-ENGEL sehen Versuchen trotz ihres durchweg positiven Ausfalls nicht zuzuerkennen.

Eine Nachprüfung dieser Untersuchungen durch R A V E N E L ( 1 5 ) ergab denn auch einen wesentlich geringeren Prozentsatz der positiven Resultate: von 5 0 nach der Methode von SCHLOSSMANN und E N G E L behandelten Tieren war nur bei 28 ein Ubergang der Tuberkelbazillen in die Lungen nachzuweisen. Mit vollständig negativem Erfolge sind aber von STHASSNEB die Versuche wiederholt worden, der in klarer Erkenntnis der Fehlerquellen arbeitete, und dem deshalb die Vermeidung der Fehler gelang. In den STRASSNEE sehen Versuchen konnten bei einer Reihe von 30 Tieren nur bei zweien die Bazillen in der Lunge nachgewiesen werden, und bei diesen beiden war im Protokoll besonders bemerkt, daß kleine Mengén der Emulsion auf das Peritoneum gelangt seien. Diese beiden positiven Versuche können gewissermaßen als Kontrolle dienen, sie beweisen, wie dringend nötig es ist, jede Infektion des Peritoneums zu vermeiden. Wahrscheinlich ist hierin die Hauptfehlerquelle der SCHLOSS1 MANN sehen und auch der R A V E N E L sehen Experimente zu suchen. 1

In der während dea Druckes zu unserer Keantms gelangten ausführlichen Mitteilung (Proc. of the Pathol. Soc. of Philadelphia. 1907. Bd. 10) wird diese Fehlerquelle von K A V E N E L selbst zugegeben.

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Es haben also auch die Untersuchungen der dritten Gruppe ebensowenig, wie die der zweiten, zu einer vollen Aufklärung geführt. Auf Anregung von Herrn Geheimrat Flügge haben wir deshalb eine Nachprüfung dieser Versuche vorgenommen. Bei der Nachprüfung waren folgende Gesichtspunkte maßgebend: es sollte vor allen Dingen Gewicht darauf gelegt werden, die Untersuchungen unter möglichst natürlichen Bedingungen anzustellen. Besonders sollte alles vermieden werden, was irgend wie eine Darmreizung oder sonst eine Schädigung des Tieres verursachen konnte. Die Dosis der Bazillen durften deshalb nicht zu hoch genommen werden, sie durften ferner nicht in einem unnatürlichen Vehikel und nicht in unnatürlicher Weise verabreicht werden. Wir haben deshalb zunächst auch von allen den Vorsichtsmaßregeln, welche gegen die Aspiration in die Lungen und gegen Rückströmen des Mageninhaltes in die Mundhöhle (Uffenheimer [17]) getroffen werden könnten, also auch von der rektalen Injektion, abgesehen. Denn die genannten Fehlerquellen kommen doch nur in Betracht bei positivem Ausfall der Versuche; fallen sie negativ aus, so ist damit eo ipso dor Beweis geliefert, daß die Fehlerquellen nicht mit gewirkt haben. Wir meinen deshalb, daß man, ehe man zu komplizierten Versuchsanordnungen oder gar zu einem operativen Eingriff sich entschließt, zunächst einmal versuchen sollte, ob überhaupt die Versuche so ausfallen, daß der Verdacht auf ein unbeabsichtigtes Hineingelangen von Keimen in die Lunge entstehen kannn. Erst wenn das der Fall ist, sollte man die Anordnungen ändern. Verfährt man nicht nach diesem Prinzip, greift man von vornherein zu komplizierteren Methoden, so läuft man Gefahr, statt des einen Fehlers, den man vermeiden will, andere, schlimmere in Kauf nehmen zu müssen. Bis zu einem gewissen Grade läßt sich die Frage, ob in der Lunge vorgefundene Keime durch Aspiration oder auf hämatogenem Wege dorthin gelangt sind, auch ohne jede Komplikation der Versuchsanordnung entscheiden. Wie nämlich aus den gleichzeitig veröffentlichten Versuchen von Oettinger hervorgeht, werden die in den kleinen Kreislauf gelangten Bakterien keineswegs ganz oder zum größten Teil in der Lunge zurückgehalten — im Gegenteil — die meisten von ihnen passieren ungehindert die weiten Lungenkapillaren, um sich in den übrigen Organen, besonders in Milz und Leber, festzusetzen. Es ist also nicht gut denkbar, daß Bakterien auf hämatogenem Wege nur in die Lungen gelangen: wenn sie in Leber und Milz fehlen, so

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spricht das dafür, daß eine direkte Aspiration in die Lungen stattgefunden hat, soweit nicht ein Transport auf dem Lymphwege in Frage kommt. Die Untersuchung der Leber oder der Milz dient also zum Schutze gegen diesen Versuchsfehler — mit dieser Kontrolle ist sogar die Anwendung der Schlundsonde, die wir nach unseren Erfahrungen sonst widerraten würden, unbedenklich. Die nach diesen Gesichtspunkten ausgeführten Versuche erstrecken sich auf 4 Hunde und 27 Meerschweinchen. Sämtliche Tiere mit Ausnahme zweier Hunde, die ca. 8 Wochen alt waren, waren erwachsen. Die meisten Tiere erhielten kleine, nicht tödliche Dosen von Tuberkelbazillen und wurden 4 bis 6 Stunden nach der Aufnahme der Bazillen getötet und verarbeitet. Wir haben aber später, als sich durchweg negative Resultate ergaben, auch größere Dosen und längere Zeiten verwandt, um festzustellen, ob oder wann überhaupt ein Durchtritt stattfände. Der Tuberkelbazillenstamm, Typus humanus, war derselbe, der zu den früheren Versuchen von REICHENBACH gedient hatte. Die abgewogene Kulturmenge wurde im Achatmörser sorgfältig verrieben und in Form einer feinen Emulsion dem Futter zugesetzt. Als Vehikel diente bei den Hunden ausschließlich Sahne, die Meerschweinchen erhielten zum größten Teil die Bazillen mit Rübenbrei gemischt. Denn zweifellos sind Milch und Sahne für erwachsene Meerschweinchen keine adäquaten Nahrungsmittel: es erschien von vornherein gar nicht ausgeschlossen, daß bei Verwendung einer so ungewohnten Nahrung eine, wenn auch geringfügige Darmreizung hervorgerufen und damit der Durchtritt der Bazillen begünstigt würde. Da aber andererseits nach den Versuchen bei Hunden der Fettgehalt der Nahrung den Durchtritt zu begünstigen scheint, haben wir auch einige Versuche mit Milch bzw. Sahne angestellt. Die Meerschweinchen sind aber nicht dazu zu bringen, freiwillig Milch zu saufen und ein längeres Hungernlassen wollten wir vermeiden. So mußten die Tiere teils mit der Schlundsonde gefüttert werden, teils wurde die bazillenhaltige Sahne mit Rübenbrei gemischt und dann, wenn auch erst nach einigem Widerstreben, von den Tieren genommen. Die Tötung geschah bei den Meerschweinchen durch Nackenschlag, der, wenn er richtig ausgeführt wird, sofort tödlich ist und jedenfalls keine krampfhaften Inspirationsbewegungen zur Folge hat. Die Hunde wurden durch einen Schlag auf den Kopf betäubt und durch Verblutenlassen aus der Carotis getötet; dabei kamen einigemale in der Agone heftige Inspirationen vor.

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H. Reichenbach und Bock

Bei den Meerschweinchen ist bei der Herausnahme der Lungen aufs sorgfältigste darauf zu achten, daß der Ösophagus nicht verletzt wird. Ein Durchschneiden des Ösophagus führt, wie ein Kontrollversuch zeigte, unfehlbar dazu, daß Tuberkelbazillen auf die Lungen gelangen. Auf diese Weise können natürlich vollständig falsche Eesultate erhalten werden. Der Nachweis der Tuberkelbazillen in den Organen geschah durchweg durch den Tierversuch. Etwa 1 g der Organe, oder wenn sie kleiner waren, die ganzen, wurden den Meerschweinchen in die Bauchhöhle gebracht. Besonderen Wert haben wir auf die möglichst weitgehende Zerkleinerung der Organe gelegt. Die Zerkleinerung wurde — durch Zerhacken mit scharfen Messern und nachheriges Verreiben im Pozellanmörser — so weit getrieben, daß die Masse eine weite Pravazkanüle ohne Schwierigkeiten passierte, sich also leicht den Probetieren injizieren ließ. Die Resorption war bei den meisten Organen bei der nach 8 Wochen erfolgten Tötung der Probetiere vollständig, nur von den Lungen fanden sich noch kleine Reste, meistens im Netz eingebettet, vor. Untersucht wurden größtenteils Lungen, Bronchialdrüsen und Mesenterialdrüsen, in einigen. Fällen Lungen, Leber und Mesenterialdrüsen. Die Untersuchung der Leber wurde dann vorgenommen, wenn die Gefahr vorlag, daß durch Aspiration Bazillen in die Lunge gelangten, also vor allem bei den mit der Schlundsonde gefütterten Tieren und bei den Hunden, die bei ihrem hastigen Saufen sehr große Neigung zum Verschlucken haben. Die Resultate der Versuche sind in den folgenden Tabellen I und II zusammengestellt. Was zunächst die Ergebnisse bei den Hunden anlangt, so ist bei einem von den vieren zweifellos ein Durchtritt von Bazillen anzunehmen. Merkwürdigerweise ist das aber nicht bei dem Tiere der Fall, das die höchste Dosis — 150 mg — erhalten hat, auch nicht bei einem von den jungen Tieren, sondern bèi einem ausgewachsenen Hunde, der die für einen Hund nicht übermäßige Dosis von 20 mg erhalten hatte. Worauf das verschiedene Verhalten beruht, vermögen wir nicht zu sagen — es ist leider versäumt worden, den Darm des Tieres auf das Vorhandensein von Verletzungen oder Parasiten zu untersuchen. Auffallig war aber, daß die Mesenterialdrüsen besonders groß erschienen; im Protokoll ist ausdrücklich hervorgehoben, daß die Mesenterialdrüsen wesentlich größer waren, als bei Hund I, obwohl dieser das größte Tier war. Der positive Lungenbefund bei den beiden anderen Hunden ist, da Leber und Mesenterialdrüsen vollständig negativ waren, nach

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1 g 0-3g

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1 g O-lg

ii

ii

ii

ii

desgl. In Sahne mit Rübenbrei vermischt. Frißt 5 Stunden. In Sahne mit Rübenbrei. Frißt 1 Stunde. 42

658

H. Reichenbach und Bock

dem oben Gesagten zweifellos auf ein Verschlucken bei dem hastigen Saufen, vielleicht auch auf eine Aspiration von Bazillen in der Agone zurückzuführen. Daß die in die Lungen gelangten Mengen nicht sehr reichlich waren, geht daraus hervor, daß nur die größeren Mengen, l g , zur Infektion geführt hatten, während 0-1 g sich bei beiden Tieren als wirkungslos erwies. Es muß demnach bei Hunden immerhin mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß bei einzelnen Tieren auch bei nicht allzu übertriebenen Dosen ein rascher Durchtritt durch den Darm stattfindet. Es ist aber nach allem, was wir über die Tuberkuloseempfänglichkeit der Hunde wissen, nicht sehr wahrscheinlich, daß der betreffende Hund, wenn er am Leben geblieben wäre, eine weitergehende Tuberkuloseinfektion davongetragen hätte. Jedenfalls wäre es durchaus unzulässig, daraus den Schluß ziehen zu wollen, daß beim Hunde häufiger eine Infektion auf dem intestinalen Wege vorkäme. Spontane Tuberkulose kommt beim Hunde so gut wie überhaupt nicht zur Beobachtung — die 20 mg des Versuches sind aber den in Wirklichkeit in Betracht kommenden Mengen gegenüber immer noch eine ins Ungeheure übertriebene Dosis. Ganz eindeutig sind die Versuche an den Meerschweinchen ausgefallen. Hier ist nicht ein einziges Mal ein Durchtritt von Bazillen zu verzeichnen, der als physiologischer aufgefaßt werden könnte. Nur zweimal haben überhaupt Bazillen die Darmwand passiert, das eine Mal am dritten Tage nach einer Infektion mit dreimal 3-5 mg, einer Dosis, die nach früheren Versuchen als tödlich anzusehen ist; — hier waren die Bazillen in den Mesenterialdrüsen und in den Lungen zu finden, — das zweite Mal nach einer fünfmaligen Gabe von 1 mg, also am fünften Tage nach der ersten Dosis. Diese Menge hätte höchst wahrscheinlich nicht zu einer allgemeinen Tuberkulose geführt — die Bazillen fanden sich auch nur in den Mesenterialdrüsen und waren nicht in den Kreislauf gelangt. Sonst wurde kein Durchtritt beobachtet, auch nicht bei den mit Milch gefütterten Tieren und auch nicht bei denjenigen Tieren, die eine nach sonstigen Erfahrungen sicher tödliche Dosis erhalten hatten. Ein unbeabsichtigtes Hineingelangen in die Lunge war ebenfalls in keinem Falle, auch nicht bei den Schlundsondentieren, vorgekommen.1 Wir können also mit Sicherheit sagen, daß beim Meerschweinchen bei F ü t t e r u n g mit nicht allzu übertriebenen 1 Allerdings wurden drei Tiere, bei denen die Schlundsondenfütterung nicht ganz glatt verlief, sofort ausgeschieden. Von diesen starben zwei nach einigen Wochen an einer schweren, sicher primären Lungentuberkulose.

Versuche über die Durchgängigkeit

des Darms

für Tuberkelbazillen

659

D o s e n von T u b e r k e l b a z i l l e n ein rascher D u r c h t r i t t d u r c h die D a r m w a n d nicht s t a t t f i n d e t . Dieses Resultat war von vornherein zu erwarten — es stimmt ausgezeichnet überein mit den Erfahrungen, die bei Fütterungsversuchen bei Meerschweinchen gemacht sind. Auch hier spricht alles dafür, daß die Infektion auf dem langsamen Durchtritt vereinzelter Bazillen beruht, die sich zum größten Teil in den Mesenterialdrüsen festsetzen und sich dann langsam, wohl auf dem Lymphwege, weiter verbreiten. Wenn ein rascher Durchtritt bis in den Kreislauf stattfände, so müßte die Wirkung der Fütterung mit einigermaßen reichlichen Dosen der der intravenösen Injektion gleichkommen — es wäre gar nicht zu verstehen, wie so enorme Unterschiede zwischen Inhalation und intravenöser Injektion einerseits und Fütterung andererseits vorhanden sein könnten, Unterschiede sowohl in der nötigen Dosis, wie im pathologischen Befund, wie vor allen Dingen in der Zeitdauer des Prozesses. Eine rasche und vorzugsweise Erkrankung der Lungen nach Fütterung mit, Tuberkelbazillen ist also bei Meerschweinchen von vornherein nicht zu erwarten — und umgekehrt kann man annehmen, daß wenn eine solche auftritt, die Infektion n i c h t auf intestinalem Wege erfolgt ist.

Literatur. Klinisches Jahrbuch. 1 9 0 5 . Bd. 1 4 , Heft 4 , S . 3 3 7 . Annales de l'Institut Pasteur. 1 9 0 5 . 3 . SCHLOSSMANN u. ENGEL, Deutsche med. Wochenschr. 1 9 0 6 . Nr. 2 7 , S . 1 0 7 0 . 4. RAVENEL, Berl. klin. Wochenschrift. 1908. Nr. 16, S. 788. 5. PAWLOWSKY, Zeitschrift für Tuberkulose. 1908. Bd. 12, Heft 1, S. 31. 6 . CALMETTE U. BRETON, Annales de l'Institut Pasteur. 1907. 7 . REICHENBACH, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 6 0 . 8. L A F F E R T , Arbeiten aus dem Institut zur Erforschung der Infektionskrankheiten in Bern. Jena 1908. Heft 1. 9. ALEXANDER, Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 60. 10. ORTH , Bericht über die VT. Internat. Tuberkulose-Konferenz zu Wien. 11. KovÄcs, ZIEGLERS Beiträge. 1 9 0 7 . Bd. 4 0 . 1 2 . L. RABINOWITSCH U. E . OBERWARTH, Berl. klin. Wochenschr. 1 9 0 8 . Nr. 6 . 1 3 . NICOLAS U. D E S C O S , Ref. Journal de Physiol. et de pathol. générale. 1902. Nr. 5. 14. BISANTI u. PANISSET, Ref. Sémaine médicale. 1905. 1905. S. 56. 15. RAVENEL, Bericht über die VI. Internat. Tuberkulose-Konferenz zu Wien. 16. STRASSNER, Münohener med. Wochenschrift. 1907. Nr. 36, S . 1774. 1 7 . UFFENHEIMER, Deutsche med. Wochenschrift. 1906. Nr. 4 6 . 1.

BARTEL,

2.

CALMETTE U. GUÉRIN,

42*

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31. Die Infektionswege bei Tuberkulose. Referat, erstattet auf der Internationalen Tuberkulose-Konferenz in Wien, September 1907, von Carl Flügge in Breslau. A. L e i t s ä t z e . 1. Im Experiment läßt sich bei verschiedensten Versuchstieren (Meerschweinchen, Kaninchen, Ziegen, Kälbern, Hunden) durch wenige (bei Meerschweinchen erwiesenermaßen unter 50) in Tröpfchenform mit der Luft eingeatmete Tuberkelbazillen Lungentuberkulose hervorrufen. Die Inhalation repräsentiert einen Infektionsmodus, welcher in bezug auf die sehr niedrige untere Grenze der infektiösen Dosis sich der gleichfalls sehr wirksamen subkutanen Infektion anreiht, aber dieser in bezug auf die Schnelligkeit des Verlaufs der Erkrankung noch überlegen ist. 2. Daß die Einatmung wirklich einen Teil der mit der Luft in Tröpfchenform inhalierten Tuberkelbazillen bis in die feinsten Bronchien führt, davon kann man sich leicht überzeugen, indem man kurz nach der Inhalation die periphersten Teile der Lunge auf Meerschweinchen verimpft. Letztere gehen dann an Impftuberkulose zugrunde. 3. Werden Tuberkelbazillen verfüttert, so daß sie nur vom Darm oder vom Eachen aus in den Körper eindringen können, so sind m i l l i o n e n f a c h größere Bazillenmengen, als bei der Inhalation, zur Hervorrufung manifester Krankheitserscheinungen erforderlich; der Ausbruch der letzteren und das tödliche Ende treten viel später ein. 4. Inhalierte Bazillen werden daher nicht — wie von einigen Autoren behauptet ist — erst dadurch wirksam, daß ein Teil derselben verschluckt wird und vom Darm oder vom Bachen aus eindringt. Dagegen kann es sehr wohl bei Fütterungsversuchen (namentlich bei Verwendung von Sonden) vorkommen, daß eine Aspiration kleinster Mengen bazillenhaltiger Nahrung stattfindet und daß diese zu einer so schnellen Entwicklung einer Lungeninfektion führt, wie sie bei rein intestinaler Fütterungstuberkulose nie beobachtet wird. 5. Ist somit nach dem Ausfall der Experimente der Infektionsweg durch Inhalation zweifellos weit gefährlicher als die Infektion vom Darm aus, so ist doch daraus noch nicht ohne weiteres ein Schluß statthaft auf die Bedeutung des einen und des anderen ' Veröffentlicht: Tuberkulosis.

1907.

Bd. 6.

661

Weges für die n a t ü r l i c h e Verbreitung der Tuberkulose. Vielmehr kommt hierfür in Betracht, inwieweit Gelegenheit zur Aufnahme von Tuberkelbazillen auf jedem der beiden Wege unter natürlichen Verhältnissen gegeben ist. Bietet sich Gelegenheit zur Aufnahme von Tuberkelbazillen in den Darm sehr häufig, dagegen zur Aufnahme durch Inhalation selten oder gar nicht, so verliert letzterer Weg trotz seiner im Experiment erwiesenen weit größeren Gefährlichkeit ganz an praktischer Bedeutung. 6. Die Infektionsgelegenheiten verhalten sich sehr ungleich; sie liegen z. B. für den Menschen wesentlich anders, wie für die landwirtschaftlichen Nutztiere. Werden Schweine und Kälber mit Milch von tuberkulösen Kühen aufgezogen, so überwiegt diese Infektionsgelegenheit vollständig, und die Tiere gehen sämtlich an intestinaler Infektion (bzw. an Aspirationstuberkulose) zugrunde. Zur Aufnahme von Tuberkelbazillen aus der Luft ist hier wenig Gelegenheit. — Die der intestinalen Infektion entgangenen Kinder können dagegen an Inhalations-Tuberkulose erkranken. Sie werden wahrscheinlich durch den Aufenthalt in der Nähe hustender tuberkulöser Kühe gefährdet, durch welche die Luft mit tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen erfüllt wird. 7. Für den M e n s c h e n liegen die Infektionsgelegenheiten verschieden, je nach Sitten und Gebräuchen. Unter Umständen kann bei Kindern intestinale Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Milch oder Butter oder auch durch das Indenmundbringen mit Sputum beschmutzter Finger entstehen; um so häufiger, je verseuchter der Milchstall bzw. je vernachlässigter die Pflege des Kindes ist, und je sorgloser der Phthisiker mit seinem Sputum umgeht. Bei einiger Vorsicht pflegt aber die auf diese Weise in den Darm gelangte Tuberkelbazillen menge nicht auszureichen, um Infektion zu bewirken. Dagegen repräsentieren eine sehr verbreitete Infektionsquelle die vom Phthisiker oft in großen Mengen ausgehusteten und der Luft seiner nächsten Umgebung beigemischten tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen; weniger tuberkelbazillenhaltiger Staub, da die Bildung feinster flugfähiger Stäubchen aus Sputum schwierig und selten ist. Im dauernden Verkehr mit einem Phthisiker ist die Gelegenheit zur Inhalation tuberkelbazillenhaltiger Tröpfchen sehr häufig gegeben; namentlich im Verkehr zwischen Mutter und Kind, nicht selten auch bei Pflegerinnen, bei Eheleuten, bei Arbeitern an gemeinsamer Arbeitsstätte. Durch Sitten und Lebensgewohnheiten wird auch diese Infektionsgelegenheit selbstverständlich stark beeinflußt.

662

Carl

Flügge

Da die Inhalation tuberkelbazillenhaltiger Luft als ein besonders gefährlicher Inhalationsweg erkannt ist, der schon bei kleinsten Mengen Bazillen Infektion vermittelt, und da die Gelegenheit zur Benutzung dieses Weges häufig vorhanden ist, kommt zweifellos der weitaus größte Teil aller Übertragungen von Tuberkulose auf Menschen durch Inhalation der von Phthisikern verstreuten Tuberkelbazillen zustande. B, Referat. Bis vor wenigen Jahren wurde ziemlich allgemein angenommen, daß beim Menschen Tuberkulose teils durch Kontakte von Sputum und Einführung von Sputumteilen in Mund und Darm entsteht, teils durch Genuß der Milch von perlsüchtigen Kühen, teils durch Inhalation der vom hustenden Phthisiker verstreuten Tröpfchen bzw. angetrockneten Sputumstaubes. Die Inhalation bewertete man meist am höchsten, ohne daß indes genauere quantitative Abschätzungen versucht wurden. Diesen Standpunkt habe ich z. B. noch in der 1902 erschienenen 5. Auflage meines „Grundrisses der Hygiene" eingenommen. Ausdrücklich betone ich dort, daß namentlich bei Kindern die Kontakte und die intestinale Aufnahme von Sputum vermutlich „sehr zahlreiche" Infektionen veranlassen. Auch die Milchinfektion bezeichne ich als bedeutungsvoll, falls, wie ich hinzufüge, die Perlsuchtbazillen trotz der neuerdings von K O C H geäußerten Zweifel auch für den Menschen infektiös sein sollten; und daran, daß ihnen Infektiosität bis zu einem gewissen Grade zukommt, ist nach den Untersuchungen der letzten Jahre wohl nicht zu zweifeln. Ich glaube, daß die im Jahre 1902 von mir und ebenso von vielen anderen Autoren gegebene Darstellung der Übertragungsweise der Tuberkulose frei ist von jeder fanatischen Einseitigkeit und daß sie auch heute noch im wesentlichen richtig ist. 1903 trat dann B E H R I N G mit der Behauptung auf, daß die Übertragung der Tuberkulose ganz vorzugsweise beim Säugling einsetze und auf intestinalem Wege zustande komme; die Inhalationstuberkulose trete völlig in den Hintergrund, und wo sie vorzukommen scheine, da liege in Wirklichkeit meist eine Aufnahme der Tuberkelbazillen von den Lymphbahnen des Nasenrachenraumes oder vom Darm aus, also eine intestinale Infektion im weiteren Sinne, vor. Noch heute steht v. B E H R I N G auf diesem Standpunkt. In dem soeben ausgegebenen Heft 9 der „Tuberculosis" sagt er: „Vorweg ist

Die

Infektionswege

bei

Tuberkulose

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der vielfach bis vor kurzem verbreitete Irrtum zurückzuweisen, daß die auf dem Inhalationswege durch den Mund und die Nase in den Nasenrachenraum gelangten Tuberkelbazillen auf respiratorischem Wege in das Lungengewebe hineingelangen müßten. Experimentelle und klinische Erfahrungen liefern uns vielmehr den Beweis, daß die inhalierten Bazillen hauptsächlich oder ausschließlich durch die Leukocyten der intestinalen Lymphfollikel in die Lymphbahnen und von hier aus entweder in die Blutbahn transportiert werden können oder zu lokalisierter Lymphdrüsentuberkulose führen." Besonders gestützt wurden die Behauptungen v. BEHRINGS durch die Versuche von CALMETTE und GUÉEIN, von SCHLOSSMANN und ENGEL U. a. Drei Behauptungen sind es namentlich, die von den genannten Autoren aufgestellt und verteidigt werden. 1. Die komplizierten engen Eingangswege zum Respirationstraktus lassen körperliche Elemente überhaupt nicht bis zu den feinen Bronchien und zu den Alveolen durchtreten. Daher gelingt es nicht, feinste Stauchen in größerer Menge durch Inhalation in die Lunge einzuführen. Auch Inhalationsversuche mit versprayten Bakterienaufschwemmungen mißlingen, oder Fehlversuche sind wenigstens sehr häufig. Endlich ist der mikroskopische Nachweis von inhalierten Tuberkelbazillen in Schnitten von normalen Kinderlungen nie geglückt, obwohl dies doch gelingen müßte, wenn öfter Tuberkelbazillen inhaliert werden. Diese Behauptungen sind jedoch durch die neueren Experimente nach jeder Richtung hin gründlich widerlegt. Ich will nur die Arbeiten von HELLER und WOLKENSTEIN aus dem KOLLE sehen Institut in Bern, von Kuss und LOBSTEIN in Angicourt, von FROSCH, der im GAEFKYsehen Institut arbeitete, hervorheben, die alle mit leblosen staubförmigen Elementen arbeiteten und deren Transport durch den Inhalationsstrom bis in die Alveolen leicht und sicher nachweisen konnten. In meinem Institut hat WINDSCHÜGL Versuche mit demselben Resultat angestellt; sehr schöne mikroskopische Bilder bekommt man nach Versuchen, wie sie früher HILDEBBAND und neuerdings BALLIN anstellte, mit Inhalation von Schimmelpilzsporen. Geradezu unzählige Versuche sind ferner mit versprayten Bakterienaufschwemmungen und speziell mit Aufschwemmungen von Tuberkelbazillen gemacht worden. Ich verweise nur auf die kürzlich erschienene Arbeit F I N D E L S , der in meinem Institut an zahlreichen Versuchstieren teils ohne, teils mit Tracheotomie Inhalationsversuche anstellte. Selbst auf kleinste Dosen — 200 eingeatmete, 50 in die Lunge gelangte Bazillen — hin war nach höchstens

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Carl

Flügge

20 T a g e n die Lunge der Inhalationstiere von Tuberkeln durchsetzt, während die übrigen Organe gar nicht oder in sehr geringem Grade in Mitleidenschaft gezogen waren. Diese Versuche, die durchaus mit den früheren Versuchen von GEBHARD, PREYSS U. a. harmonieren, sind in meinem Institut von REICHENBACH an jungen Ziegen, von ALEXANDER an Kaninchen weitergeführt; sie sind nicht nur mit Kulturaufschwemmungen, sondern auch mit Sputum angestellt; überall zeigte sich die Inhalation als sicherster Infektionsmodus (nur mußten bei Kaninchen die Dosen erheblich höher gewählt werden als bei Meerschweinchen). Nach brieflicher Mitteilung hat auch PFEIFFER in Königsberg die gleichen Ergehnisse mit Inhalationsversuchen gehabt. Ferner hat Dr. HEYMANN in meinem Institut den exakten Nachweis geliefert, daß durch die Inhalation mäßiger Dosen die Bazillen bis in die feinsten Verzweigungen der Lungen gelangen, und zwar dadurch, daß er kurz nach beendeter Inhalation die unter allen Kauteleri entnommenen periphersten Lungenteile auf Meerschweinchen überimpfte. Diese Tiere gingen s ä m t l i c h an Tuberkulose ein. Fehlresultate haben wir überhaupt nicht gehabt. (Nur unter den Kaninchen finden sich hier und da, aber selten, Tiere, die offenbar bis zu einem gewissen Grade refraktär gegen Tuberkulose sind und erst größeren Dosen erliegen. Dies wird aber bei Kaninchen genau in derselben Weise bei j e d e r a n d e r e n Art der Infektion beobachtet.) Wenn in früherer Zeit einige Autoren zu negativen Ergebnissen bei Inhalationsversuchen gekommen sind, so liegt dies wohl hauptsächlich daran, daß sie den Spray nicht fein genug gewählt haben. Gleichmäßig gute Resultate erzielt man mit dem Buchnerspray, der einen äußerst feinen Tröpfchennebel verbreitet; ein grober Spray kann unter Umständen Tröpfchen liefern, die zur Inhalation absolut nicht geeignet sind und die auch in Größe den vom hustenden Menschen verstreuten Tröpfchen durchaus nicht gleichen. Die Tröpfchen müssen, um den Hustentröpfchen analog zu sein, zum großen Teil höchstens 40 Mikren messen. Sobald man diese Bedingung einhält, und für gleichmäßig feine, sorgfältig filtrierte Aufschwemmung sorgt, ist ein Fehlversuch so gut wie ausgeschlossen. Unnatürliche Methoden, wie z. B. Injektion in die Trachea, haben wir überhaupt nicht angewendet. Was schließlich das Fehlen von Tuberkelbazillen auf Schnitten normaler Kinderlungen betrifft, so beruht die Annahme, daß hier positive Befunde erwartet werden dürfen, auf einer falschen Rechnung, die schon F I N D E L richtiggestellt hat. F I N D E L hat gezeigt,

665 daß, wenn ein Kind 100 Tuberkelbazillen in die Lunge bekommen hat, doch erst in je 500000 Gesichtsfeldern ein Bazillus erwartet werden kann. Aus all den zahllosen neueren Experimenten geht somit mit größter Bestimmtheit hervor, daß durch Inhalation selbst sehr kleiner Mengen von Tuberkelbazillen innerhalb kürzester Frist Lungentuberkulose hervorgerufen werden kann. Dieses Ergebnis kann nur in Zweifel gezogen werden, wenn neue fehlerfreie Versuchsreihen ein gegenteiliges Resultat ergeben. Vorläufig müssen die Zweifel an der Wirksamkeit des Inhalationsmodus doch wohl fallen gelassen werden. 2. Die weitere Behauptung der Gegner der Inhalationslehre geht dahin, daß Tuberkelbazillen vom Darm ans oder vom Nasenrachenraum aus äußerst rasch, innerhalb weniger Stunden, in die Lungen gelangen und dort festen Fuß fassen können. Selbst leblose Stäubehen sollen leicht denselben Weg einschlagen und in der Lunge sich ablagern können. Auch nach dieser Richtung sind in der letzten Zeit sehr zahlreiche Versuche ausgeführt. Mit leblosen Stäubchen arbeiteten dieseben oben genannten Autoren, weiche auch die Inhalation solcher Stäubchen studiert haben; sie haben bei intestinaler Einverleibung fast durchweg n e g a t i v e Resultate zu verzeichnen gehabt. Nur hier und da sind im Bereich einzelner Bronchien Ablagerungen der Staubteilchen aufgetreten, und diese Befunde werden allgemein dadurch erklärt, daß zuweilen ganz zweifellos eine Aspiration in die Trachea stattfindet, wenn bei hastigem Fressen, plötzlich beschleunigter Atmung usw., Verschlucken eintritt. Von denVersuchen mit Einverleibung von l e b e n d e n B a k t e r i e n in den Darm möchte ich nur diejenigen hervorheben, bei welchen Tuberkelbazillen zur Verwendung kamen. Mit diesen hatte SCHLOSSMANN ein Experiment ausgeführt, das anscheinend den raschen Übertritt der Tuberkelbazillen aus dem Darm in die Lungen mit Bestimmtheit nachwies. Aber genau dieses selbe Experiment ist von STBASSNER im F R A N K E L sehen Institut in Halle wiederholt ausgeführt mit völlig entgegengesetztem Resultat. Sobald bei der Injektion in den Magen das Hineingelangen von Bazillen in die Peritonealhöhle vollständig sicher vermieden wurde, war ein Durchgang der Tuberkelbazillen in die Lunge durch Verimpfung von Lungenstücken auf Meerschweinchen n i c h t zu konstatieren. Auch hier wird man die an Zahl so viel größeren und offenbar mit Berücksichtigung aller Fehlerquellen angestellten Versuche STRASSNERS einstweilen als die entscheidenden ansehen müssen.

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Carl Flügge

Unzählige Versuche wurden ferner angestellt, um auf mehr n a t ü r l i c h e m W e g e intestinale Infektion mit T u b e r k e l b a z i l l e n hervorzurufen. Solche Versuche waren ja zweifellos bereits früher in großer Zahl gelungen, aber allerdings stets mit außerordentlich großen Dosen von 100 Milligramm Kulturmasse und mehr. Wir sind zu n e g a t i v e n Resultaten gelangt, sobald wir k l e i n e und m i t t l e r e Dosen verwendeten. Dabei wurde für eine sehr gleichmäßige Aufschwemmung und eine feine Verteilung im flüssigen oder breiigen Fütterungsmaterial, meist dünnem Mohrrübenbrei, besondere Sorge getragen. Bei Meerschweinchen gelang eine regelmäßige Infektion erst mit Dosen, die 10 mg Kultur und mehr betrugen. Bei Kaninchen waren selbst 180 mg, bei Hunden 172 mg, bei jungen Ziegen 25 mg gänzlich erfolglos. Bei den Meerschweinchen mit positivem Ergebnis war zwischen dem 12. und 20. T a g e nach der Fütterung bei der Sektion nur S c h w e l l u n g der Mesent e r i a l d r ü s e n zu konstatieren; erst zwischen dem 46. und 62. T a g e trat der erste Beginn der Lungenerkrankung auf. Mit mittleren Dosen von */5 mg ( = 8000000 Bazillen) aufwärts gelang STEASSNEE die Infektion von Meerschweinchen bei einmaliger Injektion direkt in den Magen. Die gleiche Dosis erwies sich aber auch bei der Verfütterung als ausreichend, wenn sie oft wiederholt gereicht wurde. Eine g e r i n g e Anzahl von Wiederholungen genügte noch nicht, um positiven Ausschlag zu geben; Meerschweinchen erkrankten z. B. nach fünfmal 0-2 mg oder nach zehnmal 0-5 mg noch nicht; ebenso Kaninchen nach fünfmal 10 mg (Perlsucht), Hunde nach 40 mal 4 mg (Perlsucht) noch nicht. Dagegen zeigten Meerschweinchen deutliche Tuberkulose, die 20 mal 1 mg, ferner solche, die 70 mal 0-1 mg erhalten hatten. Nach 50 maliger Verfütterung sogar von 1/50 mg ( = 800000 Tuberkelbazillen) zeigte ein Meerschweinchen nach 3 Monaten Schwellung der Mesenterialdrüsen, wobei es einstweilen dahingestellt bleiben muß, ob dieser Prozeß sich zurückgebildet, oder zu weiterem Vorschreiten der Tuberkulose Anlaß gegeben haben würde. Wir haben aus diesen Experimenten den Schluß zu ziehen, daß ein rascher Übergang von Tuberkelbazillen aus dem Darm in die Lunge nicht erfolgt. Die angeblich hier bestehende direkte Lymphgefäßverbindung ist offenbar nicht vorhanden; wie dies auch aus den genauen Untersuchungen MÖSTS hervorgeht. Verfütterung von Tuberkelbazillen kann zweifellos zur Tuberkulose führen, jedoch nur auf dem Wege, daß zunächst die Mesenterial-(bzw. Portal-)drüsen erkranken und daß erst relativ spät eine Lungenaffektion sich an-

Die Infektionswege

bei

Tuberkulose

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schließt; meist wohl erst dann, wenn Verkäsung der Drüsen und Einbruch in die Blutbahn stattgefunden hat. Ferner ist von größter Wichtigkeit, daß relativ sehr große Dosen zur Infektion auf intestinalem Wege erforderlich sind; bei einmaliger Aufnahme ist diese Dosis enorm; nur bei sehr häufig und regelmäßig wiederholter Einverleibung können auch mittlere Dosen infizierend wirken. Von der enormen quantitativen Überlegenheit des Inhalationsweges über den Verfütterungsweg im Experiment kann man sich am leichtesten dadurch überzeugen, daß man z. B. 10 ccm Aufschwemmung von 0-1 mg Kultur herstellt, davon 0-2 ccm, also 1/50 der Aufschwemmung, inhalieren läßt und den ganzen Rest verfüttert; die Tiere, welche inhaliert haben, sterben unfehlbar an Lungentuberkulose; die Fütterungstiere bleiben gesund. 3. Die Gegner der Inhalationslehre behaupten, daß, wenn anscheinend durch Inhalation Tuberkulose entsteht, dies nicht durch die in die Lunge inhalierten Bazillen geschehe, sondern durch die viel größere Menge von Bazillen, welche auch bei der Inhalation stets in den Nasenrachenraum und in den Darm gelangt. Diese Behauptung läßt sich auf Grund der im vorstehenden besprochenen Versuche auf das allerbestimmteste zurückweisen. Da die Dosis für die intestinale Infektion so sehr viel höher liegt, als die für Infektion durch Inhalation; und da die Zeit, bis eine Lungenerkrankung auftritt, bei intestinaler Infektion selbst bei sehr großen Dosen so viel länger dauert, als bei der Infektion durch direkte Inhalation, so ist es völlig unmöglich, daß die intestinale Infektion sich in den Vordergrund schiebt, solange gleichzeitig die Möglichkeit zur Infektion durch Inhalation gegeben ist. Lassen wir inhalieren und wird dabei ein Teil der Bazillen verschluckt, so kann dieser Teil vom Intestinaltraktus aus doch nicht m e h r leisten, als wenn wir die ganze Bazillenmenge, einschließlich der im ersten Versuch inhalierten, verschlucken lassen. Wir können aber sogar das 100fache, das 1000fache der Bazillenmenge verfüttern, die zur Infektion durch Inhalation vollständig ausreicht, und wir bekommen dann immer noch keine Infektion vom Darm aus; lassen wir aber einen Bruchteil inhalieren, so ist in kürzester Frist die Lungenerkrankung da. Da muß also der Inhalationsweg doch noch etwas b e s o n d e r e s leisten! Nicht die intestinale Infektion kann in Konkurrenz mit der Inhalation diese eventuell zurückdrängen, sondern umgekehrt, die Inhalationsinfektion arbeitet so viel schneller, und ist so viel gefährlicher, daß, wenn bei der Kreuzung des Aspirationsund des Deglutitionsweges in der Tat ein kleiner Bruchteil der ver-

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Carl Flügge

fütterten Bazillen durch Aspiration in die Lungen gerät, dieser Bruchteil die größte Gefahr bringt. Nebenbei kann gewiß auch ein Eindringen der beim Inhalationsversuch verschluckten Bazillen vom Eachenring oder vom Darm aus erfolgen; aber das führt nur bei großen Dosen zu tuberkulösen Veränderungen, und die dann i n h a l i e r t e entsprechend große Dosis führt viel zu rasch zum Tode. Nur e i n e s könnte man sich vorstellen, daß nämlich das Bes o n d e r e der Inhalation, was dieser das Übergewicht gibt, darin liege, daß bei der Inhalation die Bazillen auch in gewisse bei der Fütterung freibleibende Teile des Nasenrachenraumes gelangen, von denen auf lymphogenem Wege besonders schnelle Aufnahme stattfindet. Aber die Überlegenheit der Inhalation bleibt nach unseren Versuchen a u c h bestehen, wenn man den Nasenraum ganz abschließt und die Tiere durch den Mund atmen läßt. Auch dieser Einwand ist daher hinfällig.

Die vorstehenden Ergebnisse der neuen experimentellen Untersuchungen haben unsere Auffassungen über die Bedeutung der einzelnen Infektionswege erheblich geklärt. Nun kommen freilich für die Bedeutung bei der n a t ü r l i c h e n Verbreitung der Tuberkulose außer den Infektions wegen, wie ich stets betont habe, auch noch die Infektionsgelegenheiten sehr in Betracht, und es wird sich fragen, inwieweit unter natürlichen Verhältnissen der eine oder der andere Infektionsmodus durch die Lage der Infektionsquellen zu größerer Bedeutung gelangt. Selbstverständlich sind, wie ich dies schon in meinen Leitsätzen betont habe, die Infektionsgelegenheiten sehr verschieden je nach Sitten und Gebräuchen, nach Wohlhabenheit, Wohnungsverhältnissen usw. In letzter Zeit sind die Infektionsgelegenheiten durch Sputumberührung und durch tuberkelbazillenhaltige Nahrung besonders hoch eingeschätzt. Die Sputumberührung soll namentlich bei kleineren Kindern die sogenannte Schmierinfektion in sehr vielen Fällen bewirken. Es ist nicht zu leugnen, daß beim Betreten unsauberer Phthisikerwohnungen sehr leicht die Vorstellung erweckt werden kann, daß eine solche Schmierinfektion häufig zustande kommt; der Fußboden ist unsauber, enthält gewiß häufig Sputumteile, die Kinder rutschen einen großen Teil des Tages auf dem Fußboden umher und stecken häufig die beschmutzten Finger in den Mund.

669 Nun wird man aber doch, nachdem wir kennen gelernt haben, daß nur große oder oft wiederholte mittlere Dosen vom Darm aus zur Infektion ausreichen, versuchen müssen, Anhaltspunkte zu gewinnen für eine tunlichst ziffernmäßige Vorstellung von der Menge Bazillen, welche bei der Schmierinfektion in Mund und Darm gelangt. Darüber hat Dr. OSTEBMANN zahlreiche Untersuchungen in solchen Phthisikerfamilien angestellt, bei denen die Unsauberkeit in den Wohnungen und die Sorglosigkeit im Umgehen mit dem Sputum nichts zu wünschen übrig ließ. Unter 42 ausgesuchten Kindern, welche in solchen Verhältnissen lebten, wurden durch gründliches Abwaschen der Hände und Verimpfen der Waschflüssigkeit auf Meerschweinchen nur viermal Tuberkelbazillen nachgewiesen und nur einmal in größerer Menge (so daß noch eine Verdünnung der Waschflüssigkeit 1:100 zur Infektion genügte). Bemerkt sei, daß die Phthisiker selbst häufiger Tuberkelbazillen an den Händen hatten. Ebenso sind Pfleger von schwerkranken Phthisikern in dieser Beziehung offenbar stärker exponiert. Ich glaube, daß doch die Mahnungen COENETS und die steten Hinweise der Ärzte, der Gemeindeschwestern usw., das Entleeren des Sputums auf den Fußboden bedinge besondere Gefahren für die Umgebung, dahin gewirkt haben, daß diese Unsitte selbst in den ärmlichsten und unreinlichsten Familien sich mehr und mehr verloren hat. Man wird daher die Kontaktinfektion auch bei Kindern, so wenig man sie völlig bestreiten oder unter entsprechenden Wohnungsverhältnissen gering einschätzen darf, doch auch nicht als allgemein sehr erheblich annehmen dürfen. Es ist immer zu bedenken, welch enorme Massen von Tuberkelbazillen auf einmal bzw. wie oft mittlere Mengen in den Mund gelangen müssen, um auf diesem Wege zur Infektion zu führen; die erforderliche Grenzdosis wird, außer unter ganz besonders disponierenden äußeren Verhältnissen, nicht allzuhäufig erreicht werden. Auch der mehrfach angestellte BAETELSche Meerschweinchenversuch in Phthisikerwohnungen ist keineswegs immer für die Schmierinfektion beweisend; er ist unter Umständen eher eine Prüfung auf Gelegenheit zu Inhalationstuberkulose, als auf Schmierinfektion, da sich nach unseren Untersuchungen die Tiere auch durch Schnuppern und Einatmen tuberkelbazillenhaltigen Staubes, also nicht auf intestinalem Wege, infizieren können. Infektion durch Milch und Milchprodukte findet gleichfalls zweifellos in gewissem Umfange statt; aber auch hier fragt es sich,

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Carl

Flügge

obwohl häufiger die zur intestinalen Infektion erforderliche Bazillenmenge vorhanden ist. Eine experimentelle Untersuchung nach dieser Richtung führte uns zu dem Resultat, daß in roher Milch, Butter, ferner in sogenannter saurer Milch sicher solche Mengen von Perlsuchtbazillen in den Menschen eingeführt werden können, daß voraussichtlich eine Infektion vom Darm aus die Folge ist. Aber anderseits liegt auch hier wieder in der vom Darm aus erst wirksamen hohen Grenzzahl ein mächtiger Schutz gegen eine zu weite Verbreitung dieses Infektionsmodus; ein weiterer Schutz ist gewiß in der verbreiteten Gewohnheit gegeben, die Milch Kindern stets in abgekochtem Zustande zu reichen; und endlich kommt drittens vermutlich noch die geringere Virulenz der Perlsuchtbazillen gegenüber dem Menschen in Betracht. So wenig daher dieser Infektionsmodus abzuleugnen ist, so wenig ist es anderseits zulässig, auf die vorliegenden Versuchsergebnisse und Erfahrungen hin ohne weiteres eine ausgedehnte Gefährdung der Menschen durch die Perlsuchtbazillen der Milch und Butter anzunehmen. Da bei der Beurteilung der Häufigkeit der natürlichen Infektionsgelegenheiten das Experiment einigermaßen versagt, müssen wir versuchen, auf anderem Wege Aufklärung zu erhalten: und dazu sind pathologische Befunde am Menschen, statistische Enqueten und Erfahrungen aus der Praxis geeignet. Von pathologischen Befunden möchte ich nur die Resultate hervorheben, die GASTET 1 soeben veröffentlicht hat, und aus denen hervorgeht, daß auch im Kindesalter überwiegend die Atmungsorgane als Eintrittspforte der Tuberkelbazillen anzusehen sind; und daß ferner Perlsuchtbazillen nur sehr selten bei der Infektion beteiligt sind. — Statistische Enqueten haben ferner ergeben, daß in verschiedenen Ländern, wo Kuhmilch und Milchprodukte überhaupt nicht genossen werden, die Tuberkulose ganz die gleiche Verbreitungsziffer zeigt, wie in milchreichen Ländern, so namentlich in Japan, in der Türkei und in Grönland. Neuere Erkundigungen haben auch für gewisse Gegenden Rumäniens (nach BABES), ferner ftir einen Teil der ägyptischen Bevölkerung, nämlich Berber und Armenier, nach den Angaben von v. BECKER, GÖBEL, GOTSCHLICH, eine sehr große Sterblichkeit an Phthise dargetan, obwohl Milch und Milchprodukte diesen Bevölkerungsgruppen so gut wie unbekannt sind. Auch innerhalb Europas lassen sich ähnliche Beobachtungen machen, über die HETMANN bereits berichtet hat. 1 Zur Frage der Infektionswege der Tuberkulose, „Tuberculosis". Nr. 9. S. 437 ff.

1907.

Die Infektionswege

bei

Tuberkulose

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Die Beweiskraft solcher gehäufter und völlig das gleiche Resultat ergehender Enqueten und Erfahrungen ist gewiß nicht zu unterschätzen. Sehr wichtig wäre es, wenn wir auch für die Bedeutung der Kontaktinfektion einen derartigen statistischen oder Erfahrungsmaßstab hätten. In der Tat lassen sich auch in dieser Richtung recht wohl gewisse Anhaltspunkte gewinnen. Offenbar kann sich nämlich die sogenannte Schmierinfektion der Kinder vorzugsweise nur bei einer ä r m e r e n und u n r e i n l i c h e n Bevölkerung häufen, wo weder die Erwachsenen vor dem Verunreinigen des Fußbodens mit Sputum, noch die Kinder vor dem Berühren dieser Sputa und dem Einbringen der beschmutzten Finger in den Mund zurückschrecken. Wo nur etwas Reinlichkeit, Erziehung und „Kinderstube" vorhanden ist, da muß die sogenannte Schmierinfektion ganz zurücktreten. Nun ist ja gewiß die Tuberkulose bei der ärmeren Bevölkerung stärker verbreitet, als bei den Wohlhabenden. Das gezwungene, enge Zusammenleben mit Angehörigen und Arbeitsgenossen muß die verschiedensten Infektionsgelegenheiten und die ungenügenden hygienischen Verhältnisse werden wahrscheinlich die Empfänglichkeit steigern. Aber man kann sich doch nicht der Erkenntnis verschließen, daß auch unter den Wohlhabenden und solchen, die sicher eine gute Kinderstube durchgemacht haben, die Tuberkulose außerordentlich stark verbreitet ist. Das zeigen statistische Zusammenstellungen, wie sie z. B. für Breslau vorliegen und ergeben, daß die Wohlhabenden doch eine recht ansehnliche Minorität ausmachen. Das zeigen aber auch die vielen Kranken aus den Kreisen der Wohlhabenden, die wir an der Riviera, am Genfer See, in der Schweiz, am Adriatischen Meer, auf Korsika und in den verschiedensten Privatsanatorien treffen. Diese ganze große Zahl von Phthisikern ist doch vermutlich nicht durch Schmierinfektion erkrankt (und auch nicht durch Milchinfektion, schon weil in diesen Kreisen ungekochte Kuhmilch Kindern wohl nie verabreicht wird). In zahlreichsten Fällen muß dann eben die d r i t t e Infektionsgelegenheit in Betracht kommen; die Inhalation der vom Phthisiker oft in großen Mengen ausgehusteten und der Luft seiner nächsten Umgebung beigemischten tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen oder des Sputumstaubes. Auch neuere Feststellungen ergeben immer wieder, daß bei jedem a n d a u e r n d e n und n a h e n Verkehr mit einem hustenden Phthisiker die Gefahr, Tuberkelbazillen in Tröpfchenform in einer für die Infektion ausreichenden Zahl zu inhalieren, eine

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Carl Flügge: Die Infektionswege bei Tuberkulose

recht große ist. Im Verkehr zwischen Mutter und Kind, bei Pflegerinnen, bei Eheleuten, bei Arbeitern an gemeinsamer Arbeitsstätte stellt die Einatmung ausgehusteter Tröpfchen gewiß die wesentlichste Infektionsgelegenheit dar, und ihre Gefahr wird besonders erhöht durch den Nachweis, daß im Experiment schon so außerordentlich kleine Mengen Bazillen sichere Infektion vermitteln. Dieser Infektionsmodus wird auch unter ärmlichen Verhältnissen die Verbreitung der Phthise in erster Linie beherrschen. Denn auch da, wo zu Kontaktinfektionen reichlich Gelegenheit gegeben ist, finden sich fast stets reichliche Mengen ausgehusteter Tröpfchen in der Einatmungsluft der Kinder; und da der letztere Infektionsweg so viel gefährlicher ist, und so viel rascher zur tödlichen Erkrankung führt, muß die Wirkung der Kontakte durch die Tröpfcheninhalation in den Hintergrund gedrängt werden. Die zahlreichen Kinder, die schon im Säuglingsalter an Lungentuberkulose sterben, sind wohl alle durch Tröpfcheninfektion oder durch Inhalation von Staub von infizierten Taschentüchern und Kleidern erkrankt; wo diese Gelegenheiten vorhanden sind, kommt die Kontakt- und Nahrungsinfektion gar nicht zur Geltung. Bei fehlender Inhalationsinfektion kann die Kontaktinfektion wirksam werden; sie erzeugt bei Kindern anscheinend meist Drüsentuberkulose, die entweder ausheilen oder später in Phthise übergehen kann. Im späteren Alter treten die Kontakte sehr viel mehr zurück und die Tröpfchen- und Staubinfektion kommt wiederum ganz überwiegend in Betracht, freilich nur bei d a u e r n d e m , i n t i m e m Verkehr (wohin ich, nebenbei gesagt, den Verkehr zwischen Arzt und Patient nicht rechne). Indem wir so in zwangloser Weise den Erfahrungen der Praxis Rechnung zu tragen suchen, gewinnen wir meiner Ansicht nach für die Bedeutung der einzelnen Infektionswege bei der natürlichen Verbreitung der Tuberkulose eine einigermaßen zutreffende Abschätzung, von der ich glauben möchte, daß sie auch durch die Ergebnisse weiterer Untersuchungen nicht allzusehr verschoben werden wird.

32. Die Ubiquität der Tuberkelbazülen und die Disposition zur Phthise.1 Von Prof. Carl Flügge in Breslau. Wiederholt ist in den letzten Jahren die Ansicht ausgesprochen, daß die Tuberkelbazillen u b i q u i t ä r verbreitet seien; und es wird gefordert, daß man bei der Bekämpfung der Tuberkulose der Ubiquität des Erregers und den daraus für die Bekämpfung sich ergebenden Konsequenzen gebührend Rechnung trage. Diese Konsequenzen liegen klar zutage: Infiziert wird durch einen ubiquitären Bacillus sozusagen jeder. Aber nicht aus jeder Infektion entsteht eine mit schwerer Erkrankung verlaufende oder tödliche Phthise; sondern dazu ist eine besondere D i s p o s i t i o n era er forderlich. ^ Menschen sterben an Phthise; e / 7 bekommen zwar gelegentlich ihren Bacillus, aber sterben an anderen Krankheiten, nicht an Phthise, weil sie für diese nicht disponiert sind. Da mithin die Disposition so ausschlaggebend ist, und da andererseits ein ubiquitär verbreiteter Bacillus sich nimmermehr ausrotten läßt, so ist es das einzig richtige, nur auf eine Bekämpfung der Disposition auszugehen. Durch diese Verschiebung der Angriffsfront ist zugleich der Phthisiker, der kranke Mensch, nicht mehr das Zentrum aller unserer bisherigen Abwehrmaßregeln geblieben; die Scheu vor ihm, die Furcht vor Ansteckung, das Bestreben, jeden Kranken zu isolieren, sind geschwunden. Die erfolgreiche Bekämpfung der individuellen Disposition soll vor allem durch Förderung der allgemeinen Hygiene und durch soziale Reformen geschehen. Auf gesunde, sonnenbelichtete Wohnung, gute Nahrung, viel Spazierengehen, Fernhalten von Sorge und Not ist für breiteste Schichten der Bevölkerung Bedacht zu nehmen. Ich glaube, daß ich im vorstehenden die Ansichten einer großen Zahl von Ärzten richtig wiedergegeben und ihnen sozusagen „aus der Seele" gesprochen habe. — Weg mit der törichten Bazillen1

Veröffentlicht: Deutsche mediz. Wochenschrift. 1904. Nr. 5. 43*

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Carl Flügge

furcht! Kein unsinniger Kampf gegen die Bazillen!, das sind die jetzt gern gehörten und gern nachgesprochenen Schlagworte. Mögen mir nun aber die Anhänger dieser volksbeglückenden Lehre doch gestatten, einige Einwände vorzutragen, die mich wenigstens vorläufig noch hindern, ihr zuzustimmen.

I. Die Ubiquität des Tuberkelbaciilus. Nicht zu bezweifeln ist zunächst, daß das Kontagium der Tuberkulose sehr stark verbreitet ist, dadurch, daß kranke Menschen das Kontagium in i h r e r näheren U m g e b u n g ausstreuen. Dies geschieht erstens in Form des ausgehusteten Sputums der Phthisiker. Die Ansteckung daran kann sich vollziehen durch Berührung (auf dem Boden kriechende Kinder, durch den Mund der Mutter infizierte Lutscher usw.), oder durch Einatmung des nach dem Eintrocknen und mechanischem Zerkleinern entstehenden Sputumstaubes. Namentlich von letzterem stellt man sich gern vor, daß er nicht nur in der Nähe des Kranken, sondern überall, wo Menschen verkehren, auf der Straße, in Bahnwagen, Restaurants usw. in solcher Menge vorhanden sei, daß erhebliche Infektionschancen resultieren. Direkte Untersuchungen unter Benutzung unseres feinsten Reagens, der Meerschweinchenimpfung haben dies jedoch nicht bestätigen können. Für den Tuberkelbazillengehalt des Straßenstaubes wird leider immer noch eine Angabe MAKPMANNS angeführt, die auf Untersuchungen mit völlig unbrauchbarer Methode basiert (vgl. die Kritik in der Dissertation von GOTSCHLICH, Breslau 1903). Spätere Untersuchungen führten fast ausnahmslos zu negativen Resultaten. Selbst bei der Untersuchung frischer, nicht eingetrockneter und verstäubter Sputa von der Straße hatte G A I T K T keine positiven Ergebnisse. Die ambulanten Phthisiker liefern offenbar in ihrem Tagessputum nicht häufig Tuberkelbazillen. In geschlossenen Räumen, Wartesälen der Bahnhöfe, Polikliniken, großen Bureaus untersuchte GTOTSCHLICH sehr zahlreiche Proben von Staub, der sich in Kopfhöhe abgelagert hatte, mithin flugfähig gewesen war und eventuell eingeatmet werden konnte. Er fand niemals Tuberkelbazillen. Selbst in Wohnungen von Phthisikern sind nach HEYMANN S zahlreichen Untersuchungen relativ selten Tuberkelbazillen in dem in Kopfhöhe abgelagerten Staub enthalten; mehr, wenn der untere Zimmerteil feucht abgewischt wurde, womit aber offenbar gar kein Maß des f l u g f ä h i g e n , atembaren Staubes gegeben ist. (Nur in den

Die

Ubiquität

der Tuberkelbazillen

und die Disposition

zur Phthise

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im November zur Beförderung von zahlreichen Phthisikern benutzten Eisenbahnwagen Berlin-Meran fand PBAUSSNITZ — begreiflicherweise — zweimal im zusammengekehrten Staube des Fußteppichs und Fußbodens Tuberkelbazillen, während die übrigen Untersuchungen selbst hier negativ ausfielen.) Der Grund, weshalb in allen jenen öffentlichen Lokalen und ebenso in den meisten Phthisikerwohnungen kein tuberkelbazillenhaltiger Staub gefunden wird, liegt offenbar darin, daß das Sputum jetzt fast ausnahmslos in Spucknäpfen gesammelt und daß dadurch ganz die Möglichkeit ausgeschlossen wird, es nach dem Eintrocknen mechanisch zu zerkleinern und in feinen Staub zu verwandeln. Nur von Taschentüchern und Kleidern werden gelegentlich Fasern mit feinsten Sputumresten sich ablösen. Aber alle diese Stäubchen füllen die Luft — wie wir auf Grund zahlreicher experimenteller Untersuchungen sagen können — in einiger Konzentration nur in nächster Nähe ihres Entstehungsortes; sie erfahren beim Transport auf weitere Entfernung rascheste Verdünnung. Infektionschancen kommen durch sie voraussichtlich nur bei längerem Zusammenleben mit Phthisikern zustande. Ein Einatmen infektiöser Stäubchen wird zwar auch bei kurzem Aufenthalt, in der Nähe von Phthisikern gelegentlich vorkommen können; aber es ist unwahrscheinlich, daß solche ganz vereinzelte Keime jedesmal bis zu den geeigneten Invasionsstätten vordringen. Erst die stetig wiederholte Einatmung vereinzelter Erreger beim dauernden Zusammenleben mit dem Phthisiker bringt eine entsprechend größere Infektionsgefahr mit sich. Sehr instruktiv und beachtenswert sind ferner die bereits vor 12 Jahren angestellten Versuche von PBEYSZ1). Derselbe fand bei Inhalationsversuchen mit stark verdünntem und verspraytem Sputum an Meerschweinchen, daß die Einatmung von etwa 40 Tuberkelbazillen noch nicht zu einer Erkrankung führt, daß dagegen die drei- bis vierfache Menge sicher Tuberkulose hervorruft. Auch bei Menschen wird zweifellos erst von einer gewissen Zahl eingeatmeter Bazillen an auf eine wirksame Infektion gerechnet werden dürfen. Die zweite Art der Verstreuung von Kontagium ist das Aushusten von Tröpfchen. Eine Aufnahme der in dieser Form schwebenden Keime kann gleichfalls nur in nächster Nähe des Kranken erfolgen, wo sie mit Sicherheit, oft in großer Menge schwebend, nachzuweisen sind bei solchen Hustenstößen, welche Tuberkelbazillen in den Mund und nach außen befördern. Letzteres 1

Münchener medizinische Wochenschrift.

1891.

Nr. 24, 25.

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Carl

Flügge

ist bei vielen Phthisikern Torzugsweise nur nachts und morgens der Fall; erst in vorgeschrittenen Fällen auch über Tag. Weiterhin setzen sich die ausgehusteten Tröpfchen ab und trocknen auf ihrer Unterlage fest an. Sie können zwar, wie das Experiment lehrt, von da mit feinstem Staub wieder in die Luft geführt werden, doch sind dazu besondere begünstigende Umstände erforderlich, die selten vorliegen. Abgesehen von der ständigen nächsten Umgebung des Kranken ist daher in den Eäumen mit Menschenverkehr auch von den durch Tröpfchen verschleuderten Bazillen nichts nachzuweisen. Man könnte einwenden: die Methoden sind eben nicht fein genug zum Nachweis der ubiquitär verbreiteten Bazillen; es wird zu wenig Staub und Luft in Untersuchung gezogen. Es mag sein, daß manche Bazillen übersehen werden. Aber sicher ist die Verdünnung der Tuberkelbazillen im Staub und in der Luft der Verkehrsräume eine sehr starke im Vergleich zu der Luft in der nächsten Umgebung eines hustenden Phthisikers. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß es nicht noch einmal hier und da einem Beobachter gelingt, in beliebigem Staube Tuberkelbazillen zu finden. Aus solchen vereinzelten Befunden darf nur nicht gleich gefolgert werden, daß ernste Infektionschancen an allen Orten mit Menschenverkehr vorliegen. Es sind auch z. B. Typhusbazillen zufällig einmal im Wasser der Berliner Wasserleitung zu typhusfreier Zeit gefunden; aber daraus hat man doch nicht geschlossen, daß die Typhusbazillen so allverbreitet sind, daß die Infektion überall ebensogut vyie in der Nähe des Kranken sich vollziehen kann. Trägt man die Intensität der Infektionschancen mit Tuberkelbazillen farbig auf, so müßte auf Grund unserer Befunde um jeden Tröpfchen und feinste Stäubchen mit Tuberkelbazillen verstreuenden Phthisiker eine sehr dunkle Zone gezeichnet werden, während die weitere Umgebung immer hellere Töne erhalten müßte, die auf der Straße, in großen Verkehrslokalen u. dgl. kaum mehr farbig erscheinen. Die Infektionen durch ausgehustete Tuberkelbazillen werden sich daher ganz vorwiegend beim ständigen Zusammenleben mit Tuberkelbazillen verstreuenden Phthisikern vollziehen, ungleich seltener dagegen durch den Verkehr an Orten, wo gelegentlich auch ambulante Phthisiker sich stundenweise aufhalten. Die d r i t t e Verbreitungsart des Kontagiums ist die durch Milch und Butter von perlsüchtigen Kühen. Wir müssen rechnen, daß namentlich alle Milch aus Sammelmolkereien Tuberkelbazillen enthält. In der Butter sind im Mittel in 10 bis 15 Prozent der Proben

Die Ubiquität der Tuberkelbazillen und die Disposition zur Phthise

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Tuberkelbazillen gefunden. Nach K O C H ist jedoch eine Infektion des Menschen auf diesem Wege sehr selten. Die Perlsuchtbazillen scheinen nicht immer an den Menschen sich anpassen zu können; ferner ist nach den Beobachtungen der pathologischen Anatomen der Darm eine relativ ungünstige Lokalisationsstätte und vielleicht auch eine weniger geeignete Aufnahmestätte. Durch KOSSELS Versuche scheint allerdings erwiesen, daß zuweilen die Perlsuchtbazillen im Menschen wuchern und sogar schwere Erkrankung verursachen können. Auch kommen für eine Aufnahme der Bazillen außer dem Darm auch die Rachenadnexa in Frage. Immerhin haben die seitherigen Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte dafür erbracht, daß die Perlsuchtbazillen der Milch und der Butter in irgend größerem Umfange und etwa mit ähnlicher Häufigkeit wie die vom Phthisiker ausgestreuten Tuberkelbazillen Infektionen veranlassen. v. B E H B I N G behauptet freilich neuerdings, „daß die Säuglingsmilch die H a u p t q u e l l e für die Schwindsuchtsentstehung sei". Ausreichende Beweise für diese Behauptung hat er indessen meines Erachtens nicht erbracht. Die Beobachtung, daß bei jungen säugenden Tieren der Darm leichter durchgängig ist für Mikroben, reicht zur Begründung einer solchen Behauptung nicht aus. Dagegen sprechen sehr viele Erfahrungen g e g e n diese Annahme. Vor allem die nicht zu bezweifelnde Tatsache, daß in den ersten Wochen — und nur in diesen läßt sich auch beim menschlichen Säugling eine abnorme Durchgängigkeit des Darmes konstatieren (CZERNY) — alle Kinder mit den s e l t e n s t e n A u s n a h m e n mit g e k o c h t e r Milch ernährt werden. Da die Tuberkelbazillen durch 85° in 1 Minute abgetötet werden, kann man schon auf Grund dieser Tatsache nicht annehmen, daß häufiger Perlsuchtbazillen in infektionstüchtigem Zustand in den Darm der Säuglinge gelangen. Im späteren Alter, vom zweiten Jahre an, würde die Butter, die v. B E H B I N G nicht in Betracht zieht, viel eher in Frage kommen. Aber dann hat der Darm seine abnorme Durchgängigkeit längst eingebüßt, und gelegentliche Invasionen mögen vielleicht eher durch die Rachenadnexa erfolgen. Gegen die v. B E H B I N G sehe Hypothese lassen sich außer dem oben erwähnten, schon allein ausreichenden Argument noch eine ganze Reihe von anderen wichtigen Bedenken geltend machen. So 1. die Erfahrung, daß die Häufigkeit der Todesfälle an Phthise mit dem Lebensalter zunimmt, zum Teil vermutlich (leshalb, weil die größte Menge der Infektionen erst im späteren Leben sich vollzieht. Während im Jahre 1900 in Preußen auf 10000 Lebende im Alter von 3 bis 15 Jahren 5 bis 7 Todesfälle an Tuberkulose kommen,

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Carl Flügge

steigt diese Ziffer für das Alter von 15 bis 20 auf 15, für das Alter von 20 bis 25 auf 25 und nimmt dann allmählich zu, so daß auf das Alter von 50 bis 60 Jahren 37, auf das Alter von 60 bis 70 Jahren 47 Todesfälle an Phthise entfallen; 2. das starke Überwiegen der Phthisemortalität bei der männlichen, durch ihren Beruf exponierten Bevölkerung gegenüber der weiblichen, von dem Alter von 20 Jahren an aufwärts. In der städtischen Bevölkerung Preußens verhält sich z. B. im Alter von 40 bis 50 Jahren die Phthisikermortalität bei Männern und Frauen wie 76:43; 3. die Beobachtungen über den Einfluß mancher Berufsarten und Gewerbe auf die Entstehung und Verbreitung der Phthise, z. B. im Steinhauergewerbe, in der Zigarrenfabrikation (Bbaueb); 4. zahlreiche Einzelbeobachtungen über die Akquirierung der Phthise im späteren Lebensalter, von Villemins erster Beobachtung über die Kontagiosität der Phthise an; 5. alle Beobachtungen über Vorkommen von Phthise bei Menschen, die im Säuglingsalter Tiermilch überhaupt nicht getrunken haben; 6. die statistischen Berichte über Gegenden und Orte, in welchen die Kinder mehr als in anderen Gegenden an der Brust genährt werden, in denen die Tuberkulosesterblichkeit dennoch nicht zurücksteht, hinter Lokalitäten, wo die Ernährung mit Kuhmilch vorherrscht; 7. die Tuberkulosefrequenz in solchen Ländern, in denen Rindviehund Tiermilch überhaupt nicht existieren oder in denen letztere doch nicht in breiteren Volksschichten zur Ernährung der Säuglinge benützt werden kann. — Die drei letzten Argumente bieten auch keinen Baum für die Annahme wenigstens einer disponierenden Rolle dér Milchinfektion der Säuglinge. Ich habe nach den angedeuteten Richtungen hin genauere ziffermäßige Zusammenstellungen angeregt und hoffe, das gewonnene Material bald vorlegen zu können. Einstweilen möge die Infektion durch Perlsucht als ihrem Umfange nach strittig aus der vorliegenden Betrachtung so viel als möglich ausscheiden. Wir haben nun aber noch zwei weitere Mittel, um festzustellen, wie häufig die Tuberkelbazillen auf allen drei Wegen zusammen, durch Sputum, durch ausgehustete Tröpfchen und durch Milch und Butter, den Menschen infizieren. Das erste Mittel ist die genaue Untersuchung eines größeren Sektionsmaterials auf tuberkulöse Herde, inklusive der kleinen und ausgeheilten, die immerhin eine Infektion bedeuten. Derartige Untersuchungen sind in letzter Zeit von Sohlenker, Nägeli und von Schmobl und Bubkhakdt 1 ausgeführt. 1

Münchener medizinische Wochenschrift.

1903. Nr. 29.

Die TJbiquität der Tuberkelbaxillen und die Disposition %ur Phthise

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SCHLENKER verfügte nur über 100, NÄGELI über 500, die letzten Autoren über 1400 Sektionen. SCHLENKER fand bei 66 Prozent der Leichen tuberkulöse Affektionen, NÄGELI bei 93 Prozent, BUBKHAKDT bei 91 Prozent. In einem Teil dieser positiven Fälle handelte es sich um letale Tuberkulose; in einem anderen Teile um latente aktive Tuberkulose, d. h. frische Verkäsungen, deren Verlauf durch interkurrierende tödliche Krankheiten unterbrochen wurde; in einem erheblichen Bruchteil endlich um latente inaktive Tuberkulose, im wesentlichen verkalkte Prozesse. Die zweite Methode, um über die Verbreitung tuberkulöser Infektionen ein Urteil zu gewinnen, ist die Tuberkulinprüfung. Y. BEHRING zitiert den Bericht eines österreichischen Militärarztes Dr. FRANZ, wonach 61 bis 68 Prozent der Mannschaften zweier Eegimenter auf Tuberkulin reagiert haben. Aus allen diesen Beobachtungen muß zweifellos gefolgert werden, daß ein s e h r g r o ß e r P r o z e n t s a t z der Menschen mit Tuberkelbazillen infiziert wird. Früher hat man diesen Prozentsatz unterschätzt; die neueren subtileren Untersuchungsmethoden haben auch die leichten und ausheilenden Infektionen ans Tageslicht gezogen. Es wiederholt sich damit das gleiche, wie bei anderen parasitären Krankheiten; auch bei Cholera, Typhus, Diphtherie usw. haben wir erst in den letzten Jahren die leichteren Erkrankungen zu erkennen gelernt und haben erst dadurch von dem Gesamtumfang der Infektionen eine Vorstellung gewonnen. Nun ist nur leider bei der Tuberkulose ein Fehlschluß an diese Befunde geknüpft worden, den man bei Cholera und Typhus vermieden hat. Man folgert: weil so viele Menschen mit Tuberkelbazillen infiziert werden, ist der Tuberkelbacillus ubiquitär verbreitet, d. h. ist nicht der Verkehr mit phthisischen Kranken maßgebend, sondern die Infektion kann überall erfolgen, und niemand kann sich der Aufnahme von Tuberkelbazillen entziehen, auch wenn er den Verkehr mit Phthisikern noch so sehr meidet. Zu diesem Schlüsse liegt gar keine Berechtigung vor. W o wir unter den Erwachsenen so viele langsam tödlich verlaufende und so viele schwere nach langer Erkrankung ausheilende Phthisen haben; wo jeder Erkrankte Monate und Jahre mit seinen Angehörigen, mit seinen Arbeitsgenossen, mit Freunden in langdauerndem, intimem Verkehr steht, da sollte doch wohl dieses Zusammenleben mit den Kranken vollauf ausreichen, um s e h r zahlreiche Infektionen zu erklären. Es liegt gar kein Bedürfnis vor, aus der großen Frequenz leichter tuberkulöser Erkrankungen zu folgern, daß ein Teil von

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Carl

Flügge

diesen notwendig ohne Zusammenleben mit Phthisikern durch ubiquitäre Tuberkelbazillen entstanden sind. Soll daher mit „Ubiquität des Tuberkelbacillus" nur bezeichnet werden, daß infolge der vielen Phthisiker die Ansteckungsmöglichkeit im Zusammenleben mit diesen außerordentlich verbreitet sei, so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden. Soll aber mit Ubiquität gesagt sein, daß der Tuberkelbacillus in unserer ganzen Umgebung verbreitet ist, ohne wesentlichen Unterschied, ob wir uns in der Nähe von Phthisikern befinden oder fern von solchen, so ist dieser Begriff der Ubiquität aus den bisher vorliegenden Beobachtungen und Erfahrungen keineswegs abzuleiten. Nun hat jedoch nach unseren bisherigen Gepflogenheiten die Bezeichnung „Ubiquität" entschieden die l e t z t g e n a n n t e Bedeutung. Als „ubiquitäre" Krankheitserreger bezeichnen wir solche, bei denen die Ansteckung am Kranken ganz in den Hintergrund tritt, weil in jeder gewohnheitsmäßigen menschlichen Umgebung, bzw. auf der Haut und den Schleimhäuten des gesunden Menschen die betreffenden Krankheitserreger verbreitet sind. Die eitererregenden Staphylokokken und Streptokokken, die Pneumokokken, die im Mund- und Bachensekret gesunder Menschen häufig gefunden werden, die Tetanusbazillen, die in jedem Straßenstaub, in Hof- und Gartenerde vorkommen, diese alle bezeichnet man als* ubiquitäre Parasiten. Gerade die Ubiquität der Erreger gibt der Verbreitungsweise dieser Krankheiten ein so besonderes Gepräge, indem der Kranke in keiner Weise in den Mittelpunkt der Ausbreitung tritt, sondern diese nur ganz ausnahmsweise für einen engen Bereich beeinflußt. An dieser Bedeutung der „Ubiquität" müssen wir festhalten. Dann aber dürfen wir nicht von einer Ubiquität der Tuberkelbazillen reden; denn eine solche geht allein aus der Tatsache der großen Verbreitung tuberkulöser Infektionen durchaus nicht hervor. Vielleicht erregt aber manchem doch die ungewöhnlich hohe Ziffer — 91 und 93 Prozent — Bedenken, welche N Ä G E L I und B U E K H A B D T für die Frequenz der tuberkulösen Infektionen ermittelt haben. Sollten diese alle wirklich auf Zusammenleben mit Phthisikern zurückgeführt werden können? Um jene Zahlen richtig zu würdigen, muß das den Sektionsbefunden zugrundeliegende Material etwas genauer berücksichtigt werden. Wie mir N Ä G E L I brieflich auf meine Anfrage mitteilte, entstammt sein Material ganz vorzugsweise den in der Industrie, namentlich in Spinnereien, beschäftigten Arbeitern. Auch das Dresdener Material rekrutiert sich selbstverständlich größtenteils

Die Ubiquität der Tuberkelbazillen und die Disposition zur Phthise

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aus der Arbeiterschaft industrieller Betriebe. In diesen Kreisen wird es aber in der Tat schwer sein, Menschen zu finden, die nicht gelegentlich längere Zeit mit einem Phthisiker aus der Zahl ihrer Angehörigen oder ihrer Arbeitsgenossen in Verkehr gestanden haben. Bei der überaus starken Verbreitung der Phthise in jenen Kreisen ist tatsächlich dort eben j e d e r der Infektion ausgesetzt. Aber dabei ist es doch jedesmal der K r a n k e , von dem die Infektion stammt, und nicht „ubiquitär" verbreitete Bazillen. In anderen Bevölkerungskreisen wird es unschwer gelingen, erwachsene Menschen zu treffen, die niemals bewußterweise mit einem Phthisiker längere Zeit in nahem Verkehr standen; z. B. unter Landleuten, Offizieren und Unteroffizieren, Geistlichen usw. Unter diesen wird man auch solche treffen, die mit Muttermilch genährt und somit der Aufnahme von Perlsuchtbazillen im Säuglingsalter ebenfalls entgangen sind. Wenn solche ausgewählte Menschen auf Tuberkulin reagieren, so würde man eher berechtigt sein, diese Infektionen auf Rechnung ubiquitärer Tuberkelbazillen zu setzen; obwohl auch hier noch in Rechnung gezogen werden müßte, daß ein unbewußter Verkehr mit Phthisikern — wie viele husten monatelang, ohne daß sie dem Bedeutung beilegen und als Phthisiker erkannt werden! —• den Anlaß zur Infektion gegeben hat. Und wenn nun wirklich eine A n z a h l von Infektionen nachgewiesen wird, für welche eine Beziehung zu Kranken nicht zu ermitteln ist, so kann auch damit eine „Ubiquität" der Bazillen noch nicht als erwiesen gelten. Die Fragestellung muß quantitativ sein: wo findet sich die Hauptmasse der Erreger in infektionsfähigem Zustande? Und darüber kann doch gär kein Zweifel bestehen, daß wir im Ausstreuungsbereich des hustenden Phthisikers eine relativ starke Häufung von Bazillen haben, die für den in seiner Nähe dauernd sich Aufhaltenden gar nicht bedeutungslos sein k a n n . Tritt aber das vom Kranken ausgeschiedene Kontagium derart in den Vordergrund, dann haben wir eben kein Recht, von „Ubiquität" der Krankheitserreger zu sprechen, auch wenn bei dieser und jener Infektion die Beziehungen zum Kranken verborgen bleiben.

II. Die individuelle Disposition. In neuerer Zeit hat man in den oben zitierten Untersuchungen N ä g e l i s und Bübkhabdts, sowie in den Resultaten der Tuberkulinprüfungen eine neue wichtige Bestätigung gefunden für die ausschlag-

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gebende Eolle der Disposition. Bei einem so überraschend großen Prozentsatz der Menschen finden sich tuberkulöse Herde, die nur ganz geringfügig entwickelt und vollständig ausgeheilt sind. Bei so vielen Menschen, die kein äußeres krankhaftes Symptom darbieten, beobachten wir eine Reaktion auf Tuberkulin. Zum manifesten Erkranken, zum Ausbruch der Phthise bedarf es also zweifellos nicht bloß des Bacillus, sondern noch einer besonderen Körperdisposition. Daraus wird dann die Lehre abgeleitet, daß ohne die Disposition die Aufnahme des Kontagiums irrelevant ist und der Verkehr mit dem Phthisiker in beliebiger Weise gestattet werden darf. Nur die Disponierten haben allerdings nach wie vor Grund, die Nähe des Phthisikers zu meiden. Bei der Aufstellung dieser Lehre hat man indes die Zahlenv e r h ä l t n i s s e ignoriert, bzw. unrichtig dargestellt und ist dadurch zu einer ganz unmotivierten Überschätzung der Disposition gelangt. Gewöhnlich wird behauptet, daß x/7 aller Todesfälle durch Tuberkulose zustande komme; 6/7 sind durch andere Erkrankungen veranlaßt. Da aber die neueren Untersuchungen bei 91 bis 93 Proz. — sagen wir meinetwegen 100 Prozent — der Leichen tuberkulöse Herde nachweisen, so ist bei 6/7 der Menschen Infektion zwar eingetreten, hat jedoch infolge mangelnder Disposition zu keiner Erkrankung geführt. Läge die Sache so, so wäre in der Tat die Lehre von der Disposition berechtigt, und die übergroße Mehrzahl — ®/7 — der Menschen könnte der Infektion im Vertrauen auf die relative Seltenheit der Disposition mit Ruhe entgegensehen. Aber jene Zahlen sind entschieden unrichtig. Das : / 7 bezieht sich auf alle Todesfälle, inklusive derjenigen mit nicht angegebener Todesursache (in der preußischen Statistik 10 Prozent) und denjenigen der Kinder (etwa 35 Prozent). Daß die Kinder hier nicht in Betracht gezogen werden dürfen, weil bei ihnen Phthise viel seltener vorkommt, das haben NÄGELI und BUBKHABDT richtig erkannt; die von ihnen gefundenen Verbreitungsziffern für Tuberkulose (93 Prozent bzw. 91 Prozent) beziehen sich nur auf die Erwachsenen. Unter den Kindern bis zum 18. Jahre fand NÄGELI nur bei 18 Prozent tuberkulöse Herde, BUBKHABDT bei 38 Prozent. Es wiederholt sich hier die alte Erfahrung, daß eine Todesursachenstatistik nur Sinn hat, wenn ein bestimmtes L e b e n s a l t e r berücksichtigt wird. Man kann sonst, wenn man z. B. ein Sektionsmaterial mit zahlreichen Kindern verarbeitet, eine beliebig geringere Tuberkulosehäufigkeit herausrechnen, die aber für den vorzugsweise in Frage kommenden Erwachsenen gar keine Bedeutung haben würde. Besser wäre es

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freilich, wenn man die Berechnung in Prozenten der Todesfälle, der selbst unter der Beschränkung auf eine bestimmte Altersgruppe noch mancherlei Fehler anhaften, ganz vermeiden, und statt dessen eine Berechnung in Prozenten der Lebenden der gleichen Altersklasse einsetzen könnte. Letzterer Weg ist aber in diesem Falle leider nicht gangbar, weil wir nicht ziffernmäßig feststellen können, wie viele progressive Tuberkulosen sich bei den Infizierten entwickeln werden. Begnügen wir uns daher notgedrungen mit einer Berechnung, durch welche das Prozentverhältnis der ausgeheilten und der progressiven Tuberkulosen zu den gesamten Sterbefällen der Erwachsenen im Alter von 18 bis 60 Jahren festgelegt wird, und halten wir uns hierbei namentlich an das ausgezeichnet untersuchte Material von BÜBKHABDT. Hier fanden sich unter 1262 Sektionen der Erwachsenen: bei 37 Prozent letale Tuberkulose; bei 16-5 Prozent latente aktive Tuberkulose, d. h. Fälle, in denen durch interkurrierende andere Todesursachen das Umsichgreifen des tuberkulösen Prozesses abgebrochen wurde; bei 37-5 Prozent inaktive latente Tuberkulose, d. h. ausgeheilte (verkalkte) tuberkulöse Herde, und bei 9 Prozent nichts von Tuberkulose. Wie viele unter den 1262 Erwachsenen waren nun disponiert? So disponiert, daß sie an der akquirierten Tuberkulose starben, 37 Prozent. Außerdem waren an verkäsenden Prozessen erkrankt 16>5 Prozent; von diesen wird zweifellos der größte Teil den Disponierten zugezählt werden müssen. Das macht zusammen etwa 50 Prozent. Dazu kommt aber sicher noch ein Teil der Fälle mit ausgeheilter Tuberkulose; hier haben gewiß manchmal während des Lebens recht merkliche Erkrankungen bestanden, die über die damalige Disposition des Infizierten keinen Zweifel lassen. Hat sich der Prozeß unter fortgesetzter Behandlung und Pflege schließlich der Ausheilung zugewandt, so gehört darum der Mensch doch nicht zu den Nichtdisponierten und war jedenfalls nicht immun genug, um sich ungestraft Infektionen aussetzen zu können. So steigt die Zahl der Disponierten unter den Erwachsenen von 18 bis 60 Jahren auf gewiß 60 bis 70 Prozent; und die Zahl der Nichtdisponierten sinkt entsprechend auf 30 bis 40 Prozent. Von letzteren sind sogar noch diejenigen in Abzug zu bringen, die vielleicht nur deshalb bei der Sektion gar keine Tuberkulose aufweisen, weil sie der Infektion überhaupt nicht ausgesetzt waren; oder die nur deshalb von größeren Herden frei sind, weil sie zeit-

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Carl Flügge-. Die Ubiquität

der Tuberkelbazillen

usw.

weise und gerade in der Periode, wo sie der Infektion ausgesetzt waren, zufällig nicht disponiert waren. Die Disposition des erwachsenen Menschen zu Phthise ist daher•— das ersehen wir gerade aus der neueren sorgfältigen Sektionsstatistik — ganz u n g e w ö h n l i c h groß; so groß, wie wir es hei kaum einer anderen parasitären Krankheit beobachten. Bezüglich der Cholera, des Typhus, der Diphtherie lehrt uns die häufige Auffindung der Erreger bei Gesunden oder kaum merklich Erkrankten (bei der Cholera außerdem der Ausfall der Selbstinfektionsversuche), daß die Zahl der nicht disponierten Menschen immerhin beträchtlich ist. Sie ist so groß, daß hier in der Tat mancher wohl sagen könnte, „ich fürchte das Kontagium nicht im Vertrauen auf meinen gesunden Körper und das Fehlen einer Disposition". In der Praxis verläßt man sich aber auch bei diesen Krankheiten doch besser nicht auf die Disposition; da, wo reichliche Ausstreuung von Kontagium stattfindet, wird niemand die üblichen Vorsichtsmaßregeln, die auf Fernhaltung und Vernichtung des Kontagiums oder auf spezifische Immunisierung hinausgehen, entbehren wollen. Aber nun gar bei der Tuberkulose! Wenn über die Hälfte oder zwei Drittel der Erwachsenen disponiert sind, wer wird dann fortgesetzten Infektionen sich aussetzen mögen im Vertrauen darauf, daß er zu jenem nichtdisponierten Drittel gehört? Ja, wenn wir nur wenigstens mit einiger Sicherheit wüßten, worin denn die Disposition oder Immunität der Phthise besteht! Nach Bbehmeb sind Menschen mit relativ kleinem Herzen, langem Thorax und großem Lungenvolum disponiert; nach anderen sollen chronische Katarrhe des Respirationstraktus, Masern, Keuchhusten disponierend wirken; die fortdauernde Einatmung gewisser gewerblicher Staubarten, Diabetes usw. befördern einen ungünstigen Verlauf der Infektion; v. Behring behauptet neuerdings — jedoch ohne genügende Beweise —, daß vorzugsweise Störungen im Intestinaltraktus Disposition liefern. Mit diesen positiven Angaben ist aber die ganze Keihe der disponierenden Momente schwerlich erschöpft, und es wird wohl niemand behaupten wollen, daß die Aufnahme des Kontagiums ohne jede Gefahr sei, wenn die aufgezählten Momente ausgeschlossen werden können. Als erschwerender Umstand kommt noch hinzu, daß die Disposition graduell außerordentlich verschieden ist und offenbar selbst bei dem gleichen Individuum stark wechselt. Schon der Verlauf, vieler Phthisen zeigt dies. Jahrelang besteht schwere oder leichtere Erkrankung; dann können lange Perioden des Stillstandes

Oettinger:

Disposition

der Lunge zur Erkrankung

an Tuberkulose

687

interkurrieren, um plötzlich wieder akuten Exazerbationen Platz zu machen. Aber auch gegenüber ersten Infektionen wird der Körper desselben Individuums, je nach dem Ernährungszustand, nach dem Verhalten der beteiligten Schleimhäute usw., bald mehr, bald weniger Widerstand entgegensetzen. Den modernen Anschauungen entspricht es, wenn neuerdings besonders u n g ü n s t i g e s o z i a l e Verhältnisse, schlechte Wohnung und Ernährung, Kummer und Not als disponierend zu Phthise bezeichnet werden. Beweise dafür sind schwer zu erbringen. Unter der Arbeiterbevölkerung wird eine höhere Frequenz der Phthise sich ungezwungen aus dem engen Zusammenleben mit Angehörigen und Arbeitsgenossen und aus der dadurch gesteigerten Infektionsgelegenheit erklären lassen. Ob darüber hinaus eine gesteigerte Disposition vorliegt, das ist nicht leicht zu entscheiden. Bereist man die Riviera, den Genfer See und die unzähligen sonstigen in der Schweiz, im Schwarzwald, im Taunus, im Harz, am Adriatischen Meer usw. gelegenen Kurorte für Lungenkranke aus wohlhabenden Kreisen, so gewinnt man jedenfalls den Eindruck, daß die Disposition auch bei günstigster sozialer Lage recht verbreitet sein muß. — Selbst im V e r l a u f der Phthise macht sich in vielen Fällen ein ungünstiger Einfluß schlechterer sozialer Lage nicht bemerkbar. Armenärzte, Polikliniken und namentlich Versicherungsanstalten kennen genug unbemittelte Phthisiker, die Jahre hindurch nahezu gleichen Befund aufweisen und Exazerbationen immer wieder überwinden. Andererseits sieht man häufig bei gutsituierten Phthisikern unaufhaltsames Vorschreiten der Krankheit. Diese totale Unsicherheit in bezug auf das Wesen der Disposition zur Phthise macht eine praktische Ausnutzung dieser Eigenschaft einstweilen völlig unmöglich.

33. Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose.1 Von Dr. med. Oettinger, Assistent am Institut. Die Lehre, daß die Eingangspforte der Tuberkulose in den weitaus meisten Fällen im Darme zu suchen sei, hat in der Erklärung der Tatsache, daß häufig die Lunge das allein oder doch am schwersten erkrankte Organ ist, eine gewisse Schwierigkeit zu über1

Veröffentlicht: Zeitschrift f. Hygiene u. Infekt. Bd. 60.

Oettinger:

Disposition

der Lunge zur Erkrankung

an Tuberkulose

687

interkurrieren, um plötzlich wieder akuten Exazerbationen Platz zu machen. Aber auch gegenüber ersten Infektionen wird der Körper desselben Individuums, je nach dem Ernährungszustand, nach dem Verhalten der beteiligten Schleimhäute usw., bald mehr, bald weniger Widerstand entgegensetzen. Den modernen Anschauungen entspricht es, wenn neuerdings besonders u n g ü n s t i g e s o z i a l e Verhältnisse, schlechte Wohnung und Ernährung, Kummer und Not als disponierend zu Phthise bezeichnet werden. Beweise dafür sind schwer zu erbringen. Unter der Arbeiterbevölkerung wird eine höhere Frequenz der Phthise sich ungezwungen aus dem engen Zusammenleben mit Angehörigen und Arbeitsgenossen und aus der dadurch gesteigerten Infektionsgelegenheit erklären lassen. Ob darüber hinaus eine gesteigerte Disposition vorliegt, das ist nicht leicht zu entscheiden. Bereist man die Riviera, den Genfer See und die unzähligen sonstigen in der Schweiz, im Schwarzwald, im Taunus, im Harz, am Adriatischen Meer usw. gelegenen Kurorte für Lungenkranke aus wohlhabenden Kreisen, so gewinnt man jedenfalls den Eindruck, daß die Disposition auch bei günstigster sozialer Lage recht verbreitet sein muß. — Selbst im V e r l a u f der Phthise macht sich in vielen Fällen ein ungünstiger Einfluß schlechterer sozialer Lage nicht bemerkbar. Armenärzte, Polikliniken und namentlich Versicherungsanstalten kennen genug unbemittelte Phthisiker, die Jahre hindurch nahezu gleichen Befund aufweisen und Exazerbationen immer wieder überwinden. Andererseits sieht man häufig bei gutsituierten Phthisikern unaufhaltsames Vorschreiten der Krankheit. Diese totale Unsicherheit in bezug auf das Wesen der Disposition zur Phthise macht eine praktische Ausnutzung dieser Eigenschaft einstweilen völlig unmöglich.

33. Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose.1 Von Dr. med. Oettinger, Assistent am Institut. Die Lehre, daß die Eingangspforte der Tuberkulose in den weitaus meisten Fällen im Darme zu suchen sei, hat in der Erklärung der Tatsache, daß häufig die Lunge das allein oder doch am schwersten erkrankte Organ ist, eine gewisse Schwierigkeit zu über1

Veröffentlicht: Zeitschrift f. Hygiene u. Infekt. Bd. 60.

688

Oettinger

winden. Zur Erklärung muß meist die Annahme dienen, daß die Tuberkelbazillen, nachdem sie die Darmwand, ohne Spuren zu hinterlassen, passiert hätten, nachdem sie in den Lymphstrom und dann in die Blutbahn aufgenommen worden seien, zunächst in die Lunge gelangten und von dieser wie von einem Filter abgefangen würden. So schreiben SCHLOSSMANN und ENGEL 1 : „Der Weg, den die Bazillen dabei zurücklegen, ist derselbe, der für die Nahrungsstoffe präformiert ist; vom Darm aus werden die Tuberkelbazillen genau wie Fetttröpfchen oder Farbpartikelchen resorbiert; sie passieren wie diese oder mit diesen die unversehrte Darmwandung und ebenso die mesenterialen Lymphdrüsen, kommen auf diese Weise durch den mesenterialen Lymphstrom in den Ductus thoracicus, in das rechte Herz und von hier aus in die Lungen. Diese Überlegung, so natürlich und einfach sie erscheinen mag, ist früher anscheinend kaum angestellt oder doch zu wenig beachtet worden. Die logische Folgerung aus ihr ist aber, daß bei oder trotz enterogener Infektion die Lunge die erste und eventuell auch einzige Ablagerungsstätte der Bakterien bedeuten muß." Schon vorher hatten sich CALMETTE und G U É B I N 2 ähnlich geäußert: „Iis (die Tuberkelbazillen) sont alors charriés par la lymphe jusque dans le canal thoracique, puis dans la veine sous-clavière gauche, puis dans le coeur droit, d'où ils sont lancés par l'artère pulmonaire dans le réseau capillaire du poumon. Celui-ci, enserré dans un lacis conjonctif extrêmement dense, les arrête comme une bougie filtrante retient les microbes. . Diese Anschauungen schienen durch Experimente gestützt zu sein, denn Fütterungsversuche führten in der Tat zur Erkrankung der Lunge, und zwar häufig nur der Lunge. Später wurden zum Beweise auch die Versuche von VANSTEENBERGHE und GBYSEZ 8 herangezogen, die bei der Verfütterung von Kohle, Tusche und dergl. diese Stoffe l e d i g l i c h in der Lunge wiederfanden. Für alle diese Befunde ist aber noch eine andere Erklärung möglich. Es gilt allgemein als außerordentlich schwierig, bei Fütterungsversuchen — sei es auf natürliche Weise, sei es mit der Schlundsonde — Inhalation oder Aspiration von verfüttertem Material völlig zu vermeiden. Wenn also nach der Verfütterung von Bakterien und E N G E L , Zur Frage der Entstehung der LungentuberDeutsche med. Wochenschrift. 1906. Nr. 27. S CALMETTE et G U É B I N , Origine intestinale de la tuberculose pulmonaire. Annales de l'Institut Pasteur. 1905. Bd. 19. 3 VANSTEENBERGHE und G R Y S E Z , Sur l'origine intestinale de l'anthracose pulmonaire. Annales de l'Institut Pasteur. 1905. Nr. 12. 1

kulose.

SCHLOSSMANN

Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose

689

oder Kohlenstaub und dergl. die Lunge allein erkrankt oder Bakterien oder Kohlenstaub enthält, so kann das auch auf d i r e k t e m Transport in die Lungen durch Inhalation oder Aspiration beruhen. Dem scheint aber die Beobachtung entgegenzustehen, daß auch bei sicherer Vermeidung jeder Aspirationsmöglichkeit, z. B. bei direkter Injektion von Tuberkelbazillen in die Blutbahn oder bei intraperitonealer Infektion häufig die Lunge als einziges Organ an Tuberkulose erkrankt. Diese bei verschiedenen Versuchstieren immer wieder beobachtete Tatsache scheint allerdings darauf hinzudeuten, daß die Lunge, die als e r s t e s Organ von den in die Venen aufgenommenen Bazillen erreicht wird, sie gleichsam wie ein Filter zurückhalte und daher allein erkranke. In der Tat ist diese Behauptung schon vor längerer Zeit aufgestellt worden. Bereits im Jahre 1893 schrieb BORREL:1 „Par l'injection de cultures pures de tuberculose humaine dans la veine de l'oreille du lapin, on détermine dans le poumon un processus tuberculeux, dont on peut suivre les diverses phases avec la chronologie la plus rigoureuse. Le p o u m o n est le p r e m i e r o r g a n e , où sont envoyés les bacilles après leur introduction dans le système circulatoire; il r e t i e n t d a n s l e f a ç o n d'un f i l t r e l a p l u s g r a n d e p a r t i e d e s b a c i l l e s i n j e c t é s . " Auch außerhalb des Kreises der Verfechter der enterogenen Lungentuberkulose ist diese Anschauung verbreitet. So schreibt A U F R E C H T : 2 „ . . . . dann übernehmen weiterhin die Gefäße den Transport desselben 3 zu den einzelnen Organen, unter denen die Lunge als das am meisten gefährdete Organ sich erweist. Die Ursache dieser besonderen Gefährdung der Lunge liegt klar auf der Hand. Wenn die in Lymphdrüsen enthaltenen Bazillen durch die Wand der Gefäße, welche in den Drüsen selbst liegen oder ihnen anliegen, in das Gefäßlumen gelangen, dann müssen sie, sobald es sich um Venen handelt — und dies scheint meist der Fall zu sein — , mit dem Blute nach dem rechten Herzen und von hier ausschließlich in die Lungengefäße geführt werden." Nach CORNET 4 ist bei allgemeiner Verbreitung der Tuberkulose durch die Blutbahn die Zahl der Tuberkel in der Lunge oft größer, „weil dieses Organ das erste Filter bei intravenöser Injektion bildet". 1

BORREL,

Pasteur. 2

1905.

3 *

Tuberculose pulmonaire expérimentale.

Annales de l'Institut

1893.

A U F R E C H T , Pathologie und Therapie der Lungenschwindsucht. S. 90. Des Tuberkelbacillus. CORNET, Die Tuberkulose. I. S. 138.

FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

44

Wien.

690

Oeitinger

Aber die dieser Anschauung zugrunde liegenden Beobachtungen lassen auch noch eine andere Deutung zu. Wenn beim Eindringen von Tuberkelbazillen in die Blutbahn nur die Lunge erkrankt, andere Organe aber frei bleiben, so braucht das nicht notwendig auf ein Abfangen aller oder der meisten Keime durch die Lunge zurückgeführt zu werden. Es kann vielmehr auch auf einer gegenüber den anderen Organen gesteigerten D i s p o s i t i o n des Lungengewebes zur tuberkulösen Erkrankung beruhen. Wenn die gleiche Zahl von Bakterien, die in anderen Organen noch keine tuberkulösen Veränderungen hervorruft, in der Lunge wegen der größeren „Disposition" dieses Organs bereits als Krankheitsursache wirkt, dann bildet natürlich die alleinige Erkrankung der Lunge keinen Beweis dafür, daß sie mechanisch wie ein Filter, alle Keime zurückgehalten habe. Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten entscheiden zu können, ist es notwendig, von der Erkrankung der Organe ganz abzusehen, dagegen festzustellen, wie sich intravenös injizierte Bakterien oder Farbstoffteilchen kurze Zeit nach der Injektion quantitativ auf die verschiedenen Organe verteilen. Solche Untersuchungen liegen für Kohle- und Farbstoffaufschwemmungen bereits vor, sie fehlten aber bisher für Bakterien. Die Versuche mit Kohlenstaub usw. haben alle zu demselben, eindeutigen Resultat geführt, sowohl die älteren von P O N F I C K , 1 HOFFMANN und L ANGEBHANS, 2 RÜTIMEYER, 3 als auch die neuerdings zur Nachprüfung der Versuche von VANSTEENBERGHE und GRYSEZ ausgeführten Experimente (SCHULTZE, 4 H E L L E R u n d WOLKENSTEIN, 6 B E I T Z K E 8 U. a.). PONFICK hat zwar bei seinen Untersuchungen die Lungen gar nicht berücksichtigt, aber er fand die Milz stets ganz gefüllt. H O F F MANN und LANGERHANS, sowie R Ü T I M E Y E R , die außer den Lungen vorwiegend die Leber und die Milz untersuchten, fanden diese Organe stets viel stärker gefüllt als die Lungen. Neuerdings ist SCHULTZE zu folgendem Resultat gekommen: „Was die Verteilung

Archiv. 1 8 6 9 . Bd. 4 8 . S . 1 . und LANGEHHANS, Ebenda. S. 303. 3 RÜTIMEYER, Archiv für experimentelle Pathologie. 1881. Bd. 14. S. 393. 4 SCHULTZE, Gibt es einen intestinalen Ursprung der Lungenanthrakose? Zeitschrift für Tuberkulose. Bd. 9. Heft 5. 6 HELLER und WOLKENSTEIN, Die Bedeutung der experimentellen Lungenanthrakose für die Frage nach der Entstehung der Lungentuberkulose. Zeitschrift für Tuberkulose. 1907. Bd. 11. Heft 3. 6 BEITZKE, Über den Ursprung der Lungenanthrakose. VIBCHOWS Archiv. Bd. 187. S . 183. 1

PONFICK, VIBCHOWS

2

HOPFMANN

Die Disposition

der Lunge zur Erkrankung

an Tuberkulose

691

der Körper in den einzelnen Organen anbetrifft, so möchte ich nachdrücklich darauf hinweisen, daß ich niemals die Lungen allein affiziert fand, wie die Franzosen 1 beobachtet haben wollen, sondern stets alle Organe, am stärksten Milz, dann Leber und Knochenmark, weniger die Lunge. Es stimmt das vollkommen überein mit den Injektionsversuchen P O N F I C K S , H O I T M A N N S und LANGEBHANS' usw. die nach Injektionen von Zinnober in die Blutbahn, und zwar in die Venen, niemals die Lungen allein, sondern fast alle Organe mit Ausnahme des Gehirns von den Körperchen erfüllt sahen. Auch der Grad der Füllung stimmt mit meinen Versuchen überein; am stärksten war Milz und Leber, geringer die Lunge befallen." Damit ist einwandfrei festgestellt, daß leblose kleinste Teilchen die Lunge ungehindert passieren, und es liegt nahe, ein ähnliches Verhalten der Lungen auch Bakterien gegenüber anzunehmen. Auch aus theoretischen Gründen ist es wenig wahrscheinlich, daß die Lunge ein wirksames Bakterienfilter darstelle. Die Lungenkapillaren übertreffen die Tuberkelbazillen wie die meisten übrigen Bakterien so beträchtlich an Größe, daß von einem einfachen „Steckenbleiben" der Bazillen keine Rede sein kann. Nach T E N D E L O O 2 erhöhen allerdings die vielfachen Schlängelungen der Kapillaren „die physikalische Gelegenheit zum Hängenbleiben'-. Seine Behauptung, daß Schlängelungen und Krümmungen die Ablagerung kleinster Körperchen begünstigten, weil diese ebenso wie die Flüssigkeitsteilchen infolge der Zentrifugalkraft gegen die konvexen Seiten der Bogen geschleudert würden, hält S A W A D A 3 selbst bei der Annahme eines sehr differenten spezifischen Gewichts von Blut und Bazillen für sehr wenig wahrscheinlich. Auch die R e i b u n g an den Kapillarwandungen dürfte gerade im kleinen Kreislauf eine sehr geringe Kolle spielen, da die Geschwindigkeit, mit der das Blut im kleinen Kreislauf strömt, außerordentlich groß ist. STEWART hat durch Injektion von Salzlösungen in die Blutbahn und Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit ermittelt, daß die Dauer des kleinen Kreislaufs etwa 3 bis 4 Sekunden oder sogar noch weniger beträgt (TIGERSTEDT). Nach einer anderen Methode hat T I G E R S T E D T 4 nachgewiesen, daß die 1

S

VANSTEENBEBQHE u n d GRTSEZ.

TENDELOO, Studien über die Ursachen der Lungenkrankheiten. Wiesbaden 1902. S. 97. 3 SAWADA, Zur Kenntnis der hämatogenen Miliartuberkulose der Lungen. Deutsches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 76. S. 343. * TIGERSTEDT, Der kleine Kreislauf. Ergebnisse der Physiologie, II, 2. Wiesbaden. 1903. U*

692

Oettinger

Stromgeschwindigkeit des Blutes in den Lungen sehr groß ist. Er zieht aus seinen Versuchen den Schluß; „Es steht also außer jedem Zweifel, daß das Blut die Lungengefäße sehr schnell passiert, was den Beweis dafür abgibt, daß der Widerstand in denselben sehr gering ist." So hält es auch SAWADA für „völlig ausgeschlossen, daß einzelne Bazillen in den Lungenkapillaren festgehalten werden". Er hat dagegen gefunden, daß von den weiten Alveolarkapillaren viel kleinere, etwa 4 bis 5 mal so enge Kapillaren abzweigen, die die Lymphknötchen der Lunge versorgen. Er nimmt daher an, „daß die im Blute kreisenden einzelnen Bazillen die die Alveolen umspinnenden Kapillaren ungehindert passieren, daß sie aber in der Lunge fixiert werden, wenn sie in die von den Alveolarkapillaren abzweigenden engen Kapillaren der Lymphknötchen gelangen." Auch aus dieser Beobachtung, deren Richtigkeit bisher nicht nachgeprüft worden ist, würde hervorgehen, daß nur ein T e i l der im Blute kreisenden Keime von der Lunge abgefangen wird, der Rest aber in den großen Kreislauf übergeht, um in dem reichen Kapillargebiet von Leber und Milz, wo der Blutstrom eine sehr große V e r l a n g s a m u n g erfährt, abgefangen zu werden. Aus dieser von vornherein wahrscheinlichen Annahme erklärt es sich wohl, daß in einer älteren Arbeit von WTSSOKOWITSCH 1 „über die Schicksale der ins Blut injizierten Mikroorganismen" lediglich Leber, Milz, Nieren und Knochenmark auf ihren Bakteriengehalt untersucht wurden, nicht aber die Lungen. Aus den zahlreichen Versuchen WTSSOKOWITSCH s geht bereits hervor, daß die intravenös injizierten Bakterien in allen Organen des Körpers abgelagert werden. Aber wegen des Fehlens von Lungenbefunden ist gerade der uns hier vorwiegend interessierende Vergleich der Lunge mit den anderen Organen in bezug auf ihre filtrierende Wirkung unmöglich. Diese Lücke auszufüllen war der Zweck einiger Versuche, die ich auf Veranlassung des Herrn Geheimrat FLÜGGE angestellt habe. In der Versuchsanordnung schloß ich mich eng an WTSSOKOWITSCH an. Als Versuchstiere wurden Kaninchen benutzt. Die Injektion erfolgte stets in die Ohrvene, und zwar mittels einer Pravazspritze. Es wurden 1 bis 2 Ösen frischer, meist 24 stündiger 1 WYSSOKOWITSCH, Über die Schicksale der ins Blut injizierten Mikroorganismen im Körper der Warmblüter. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 1. H. 1.

Die Disposition

der Lunge zur Erkrankung

an Tuberkulose

693

1. V e r s u c h . B. p r o d i g i o s u s . Nach 1 Stunde

Nach 4'/j Stunden

Zahl der Verhältnis Kolonien auf der Organe zueinander 4 Platten Lunge (0 • 15 g) Leber (0-3 g) Milz (0-15 g) Blut (1 ccm)

50

1

120000 13000 360

1200 260

Zahl der Verhältnis Kolonien auf der Organe 4 Platten zueinander Lunge (0-2 g) Leber (0-4g) Milz (0-1 g) Blut (1 ccm)

8 48

1 3

320 23

80

2. V e r s u c h . S t a p h y l o c o c c u s a l b u s . Injiziert: ca. 7 5 0 0 0 0 0 0 0 . Nach 4 Stunden

Nach 1 Stunde |

Lunge (0-2 g) Leber (0 • 3 g) Milz (0-2 g) Blut (1 ccm)

Zahl der Kolonien auf allen 4 Platten

Verhältnis der Menge der in den Organen gefund. Keime

Verhältnis Zahl der Kolonien auf der Organe 4 Platten zueinander

200

1

Lunge(0-2g)

24

1

28000 28000 400

100 150

Leber (0-2 g) Milz (0-lg)

1200 1200 100

50 100

i Blut (1 ccm)

3. V e r s u c h . B. p r o d i g i o s u s .

Injiziert: ca. 6 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Bazillen. Nach 3 Stunden

Nach 1 Stunde

Zahl Verhältnis der Kolonien der Organe auf allen 4 Platten zueinander

Zahl Verhältnis der Kolonien der Organe auf allen zueinander 4 Platten Lunge . . Leber . . . Milz . . . Blut (1 ccm).

1200 75000 50000 5—6000

1 60 40

Lunge Leber Milz .

. . . . . .

Blut (1 ccm)

300 24000 40000 ca. 4500

1 80 140

694

Oettinger

4. V e r s u c h . 1 Großer Sporenbildner.

Injiziert ca. 1 0 0 0 0 0 0 0 Bazillen.

Nach lVs Stunden Zahl der Kolonien auf allen 4 Platten Lunge

.

.

.

.

1

Leber

200

Milz

0

Blut (1 ccm)

.

.



5. V e r s u c h . Schweinerotlaufbazillen

(Bouillonkultur).

Nach 1 Stunde

Nach 3 Stunden

Zahl der Verhältnis Kolonien auf der Organe allen 4 Platten zueinander Lunge . .

6

1

Lunge

.

160

25

Leber

. .

4000

700

Leber . Milz

Zahl der Kolonien auf allen 4 Platten 0 0

Milz

5—600

6. V e r s u c h . Mäusetyphusbazillen. Nach 1 Stunde

Nach 4 Stunden

Zahl der Verhältnis Kolonien auf der Organe allen 4 Platten zueinander

Zahl der Verhältnis Kolonien auf d. Organe allen 4 Platten zueinand.

Lunge .

.

10 000

1

Lunge .

.

.

4 600

Leber .

.

150 000

15

Leber .

.

.

30 000

Milz

.

6-5

120 000

12

Milz

.

.

16 000

3-5

.

Blut (1 ccm)

220

.

Blut (1 ccm) .

Bei diesem Versuche wurde nur 1 Kaninchen injiziert.

1

Die Bisposition

der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose

695

7. Versuch. Typhusbazillen. Injiziert 1700000000. -

Nach 4 Stunden

Nach 1 Stunde

Zahl der Verhältnis Kolonien auf d. Organe allen 4 Platten zueinand.

Verhältnis Zahl der Kolonien auf d. Organe allen 4 Platten zueinand. .

10 000

1

Lunge.

1 200

1

Leber .

.

380 000

38

Leber .

130 000

100

Milz

.

380 000

38

Milz

2 000 000

166

Lunge . .

Blut (1 ccm) .

3 500

Blut (1 ccm)

.

1 200

8. Versuch. 1 A g g l u t i n i e r t e Typhusbazillen.

Injiziert 500000000.

Nach 1 Stunde || Verhältnis Zahl der Kolonien auf d. Organe allen 4 Platten zueinand. Lunge .

.

.

1

40 000

1

Lunge .

.

.

7 000

Leber .

.

.

18 000

2-4

Milz

.

.

13 000

1-8

Blut (1 ccm) .

0

Leber .

.

.

60 000

1-5

Milz

.

.

75 000

1>9

Blut (1 ccm) .

36

.

Nach 4 Stunden Zahl der Verhältnis Kolonien auf d. Organe allen4Platten! zueinand.

.

Kultur, aufgeschwemmt in 1 bis 2 ccm physiologischer Kochsalzlösung, injiziert. In den meisten Fällen wurde die Zahl der Bazillen ungefähr bestimmt, indem von einer starken Verdünnung der Injektionsflüssigkeit Gelatineplatten gegossen wurden. In jedem Versuche wurden zwei Kaninchen behandelt. Nach 1 Stunde und nach 3 bis 4 Stunden wurden die Tiere getötet und sofort seziert. Die Organe wurden in sterile Schalen gebracht; kleine Stückchen von Lunge, Milz und Leber wurden fein verrieben und zu Gelatineplatten ausgegossen. In den ersten beiden Versuchen wurde von jedem Organ nur ein sehr kleines Stückchen, dessen Gewicht festgestellt wurde, in je einem Bouillonröhrchen zerquetscht und verrieben, dann wurden von 1

Je 1 Öse Typhusbazillen wurde in 1 ccm hochwertigen agglutinierenden Typhusserums (Eselserum) in einer Verdünnung von 1: 2000 verrieben. Nachdem makroskopisch komplette Agglutination eingetreten war, erfolgte die Injektion.

696

Oettinger

jedem Bouillonröhrchen 4 Platten gegossen. Im 3. Versuch kamen von jedem Organ zwei Stückchen zur Verarbeitung und von jedem Bouillonröhrchen wurden 2 Gelatineplatten angelegt. In den folgenden Versuchen wurde erheblich mehr Material verarbeitet. Größere Stücke der Organe, und zwar -von verschiedenen Stellen, wurden auf Holzbrettchen zu einem möglichst feinen Mus zerhackt; von diesem Mus wurden 4 Messerspitzen, zusammen etwa 1 g, in je einem Gelatineröhrchen fein verteilt und ausgegossen. Außerdem wurde in den meisten Versuchen J/2 bis 1 ccm Blut, gewöhnlich Herzblut, zu Platten verarbeitet. Die Auszählung der Platten erfolgte stets gleichzeitig, und zwar womöglich mit der Lupe. War das Wachstum zu dicht, so wurde die Zahl der Kolonien entweder durch mikroskopische Zählung ermittelt oder nur schätzungsweise angegeben. Außer einem Staphylococcus albus kamen nur Bazillen zur Injektion, und zwar sollten Bazillen von möglichst verschiedener Größe und Form benutzt werden, damit etwaige darauf beruhende Unterschiede festgestellt werden könnten. Da zu Fütterungsversuchen häufig Bacillus prodigiosus verwendet wird, habe ich auch zunächst mit diesem gearbeitet, dann kam ein sehr großer Sporenbildner — aber in sporenfreiem Zustand — zur Verwendung, ferner Schweinerotlauf, Mäusetyphus und Typhus. In allen diesen Versuchen waren die Bakterien zu möglichst fein verteilten Aufschwemmungen verrieben worden. Da es sich aber bei der Verbreitung von Tuberkelbazillen durch die Blutbahn häufiger um das Eindringen von gröberen Partikelchen, etwa beim Einbruch verkäster Drüsen in eine Vene, handeln dürfte, so sollte auch ein Versuch über das Verhalten größerer Bazillenkonglomerate angestellt werden. Ich benutzte dazu Typhusbazillen, die durch den Zusatz eines hochwertigen agglutinierenden Eselimmunserums in einer Verdünnung von 1:2000 zu makroskopisch sichtbaren, gröberen Flocken zusammengeballt waren. Die Resultate der einzelnen Versuche sind nebenstehend tabellarisch zusammengestellt. Das übereinstimmende Resultat dieser Versuche ist also, daß weitaus der größte Teil der in den kleinen Kreislauf gelangten Bakterien die Lungen wieder verläßt. Wenn die Bakterien — wenigstens zum Teil — gröbere Konglomerate bilden, wie im 8. Versuche, ist die Zahl der in der Lunge festgehaltenen Keime bedeutend größer; aber auch dann passiert immer noch die Mehrzahl ungehindert die Lungen. Von einer Wirkung der Lunge als Bakterienfilter, wie B O B B E L meinte, kann keine Rede sein. Da man eine

Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose 697 solche vermeintliche Filterwirkung wohl in erster Linie auf mechanische Ursachen zurückführen müßte, so sind wir wohl berechtigt, das Ergebnis der mit so mannigfachen Bakterien angestellten Versuche auch für Tuberkelbazillen gelten zu lassen. Immerhin muß auch an die entfernte Möglichkeit gedacht werden, daß das Lungengewebe Tuberkelbazillen — unabhängig von mechanischen Ursachen — gewissermaßen elektiv festhalte. Daher war es entschieden wünschenswert, auch einen Versuch mit Tuberkelbazillen zu machen. Allerdings ist schon mehrfach festgestellt worden, daß bei der Injektion von Tuberkelbazillen in die Blutbahn alle Organe Bazillen aufnehmen, und nur genauere quantitative Bestimmungen fehlen begreiflicherweise. So konnten NEÜMANN und W I T T G E N S T E I N 1 „schon 1/3 Stunde nach der Injektion und ebenso in lückenloser Reihe auch noch nach 35 Tagen in allen zur Verimpfung gekommenen Organen2 Tuberkelbazillen durch den Impfversuch nachweisen". Auch STKAÜS und GAMALEIA 3 fanden einige Wochen nach intravenöser Injektion Tuberkelbazillen (sowohl von lebenden als auch von abgetöteten) gut färbbare Bazillen in allen Organen. Eine genauere Bestimmung der von den einzelnen Organen aufgenommenen Bakterienzahl ist natürlich sehr erschwert, da wir ja zur Feststellung des Bakteriengehalts darauf angewiesen sind, die Organe auf Meerschweinchen weiterzuverimpfen. Immerhin schien es lohnend, durch Herstellung und Weiterverimpfung von abgestuften Verdünnungen wenigstens eine annähernde quantitative Bestimmung zu versuchen. Zu diesem Zwecke wurden einem Kaninchen 2 mg einer Tuberkulosekultur (Typus humanus), sorgfältigst verrieben, in die Ohrvene injiziert. Nach 3 Stunden wurde das Tier getötet; Milz, Leber und Lungen wurden herausgenommen und auf Holzbrettchen fein verhackt. Von dem Organbrei wurde etwa l g in 10 ccm Kochsalzlösung aufgeschwemmt, und davon wurden vier Verdünnungen, 1:10 bis 1:10 4 , hergestellt. Von jeder Verdünnung wurde 1 ccm einem Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Außerdem wurde 1 ccm Blut in einer Verdünnung von 1:100, 1:10000 und 1:100000 Meerschweinchen injiziert. 1 N E U M A N N und WITTGENSTEIN, Das Verhalten der Tuberkelbazillen in den verschiedenen Organen nach intravenöser Injektion. Wiener klin. Wochenschrift. 1906. Nr. 28. 2 Lunge, Leber, Milz, Ovarien u. a. 8 STRAÜS et GAMALEIA, Contribution à l'étude du poison tuberculeux. Archives de médecine expérimentale et de l'anatomie pathologique. 1891. S. 705.

698

Oettinger

Leider hat der Versuch seinen Zweck nicht erfüllt: bei keinem der untersuchten Organe ist durch die Verdünnungen die untere Wirksamkeitsgrenze überschritten worden. Mit Ausnahme der mit Blutverdünnungen geimpften und zweier in der Zwischenzeit gestorbener Tiere zeigten alle Meerschweinchen 8 Wochen nach der Infektion schwere tuberkulöse Veränderungen. Wenn somit der eigentliche Zweck des Versuchs nicht erreicht wurde, zahlenmäßige Angaben über die Verteilung der Tuberkelbazillen in den einzelnen Organen nach intravenöser Injektion zu gewinnen, so bestätigt er doch, daß alle Organe sehr zahlreiche Bazillen erhalten, daß also auch von Tuberkelbazillen keineswegs der größte Teil in den Lungen abgefangen wird. Bei den Schwierigkeiten des quantitativen Versuchs mit Tuberkelbazillen glaubte ich von einer Wiederholung des Versuchs einstweilen absehen zu können. — "Rin weiterer Anhaltspunkt für das Verhalten der Tuberkelbazillen war wohl bis zu einem gewissen Grade durch einen Versuch mit einem anderen säurefesten Stäbchen zu gewinnen. Ich wählte hierfür einen Thimoteebazillus. Die Versuchsanordnung blieb unverändert, nur wurden von jedem Organbrei Oberflächenausstriche auf Agar und Agarplatten hergestellt. Das Resultat ergab sehr große Differenzen zwischen den Organen: Milz und Leber enthielten pro Gramm etwa 20 mal so viel Bazillen wie die Lunge. Nun ist aber noch ein Einwand möglich. Bei allen Versuchen sind sehr große, zum Teil ganz ungeheuere Bakterienmengen injiziert worden. Es war die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß sich eine geringere Zahl von Bakterien, die etwa' nach der Verfiitterung großer Mengen in die Blutbahn überträte, anders verhalte und ganz in den Lungen stecken bliebe. Irgend eine mechanische Erklärung für ein solches differentes Verhalten einer kleinen Bakterienzahl wäre zwar nicht zu finden, — aber in der Tat ist diese Möglichkeit von manchen Autoren für das verschiedene Verhalten der Organe gegenüber großen und kleinen Dosen intravenös infizierter Tuberkelbazillen verantwortlich gemacht worden. So bemerken SCHLOSSMANN und ENGEL:1 „Ob alsdann2 eine diffuse miliare Tuberkulose oder aber eine isolierte Tuberkulose der Lungen und der Bronchialdrüsen entsteht, ist eine quantitative Frage. Wird eine allzu große Menge Tuberkelbazillen gleichzeitig aufgenommen, so kommt es zur Überschwemmung des ganzen Körpers; 1

SCHLOSBMANN u n d

2

Nach der Aufnahme von Tuberkelbazillen in die Blutbahn.

ENGEL, a . a .

0.

Die Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose

699

ist deren Menge gering, so werden sie in den Lungen bzw. in den Bronchialdrüsen zurückgehalten." Ich habe deshalb noch einen Versuch mit intravenöser Injektion minimaler Bakterienmengen angestellt, und zwar gemeinschaftlich mit Herrn Professor REICHENBACH, der einen solchen Versuch zu anderen Zwecken vornehmen wollte. Einem Kaninchen wurden 1000, einem zweiten 10000 Prodigiosusbazillen in je 1 ccm Kochsalzlösung in die Ohrvene injiziert. Davon, daß die Aufschwemmungen nur etwa 1000 und 10000 Keime enthielten, überzeugten wir uns durch gleichzeitig gegossene Agarplatten. Nach 30 bis 40 Minuten wurden die Tiere getötet. Ungefähr 1 g von Lunge, Leber, Milz und Mesenterialdrüsen wurde in Reibschalen unter Zufügung einiger Kubikzentimeter Bouillon zu möglichst homogenen Aufschwemmungen verrieben. Die Aufschwemmungen wurden auf je 4 bis 6 Agarplatten und 5 bis 7 Bouillonröhrchen vollständig verteilt. Ferner wurde 1 ccm Herzblut zu 3 bis 4 Agarplatten verarbeitet. Nach 2 bis 3 Tagen wurden von den getrübten Bouillonröhrchen Abstriche auf Kartoffeln angelegt. Das Resultat dieser Versuche war folgendes: 11. Versuch. B. prodigiosus. Injiziert: 10000 Bazillen. L u n g e (0-95 g): Auf allen 5 Agarplatten keine Kolonie. Von 5 Bouillonröhrchen enthalten 2 Prodigiosus. L e b e r (0-85 g): Auf 2 Agarplatten keine, auf 2 Platten je 1, auf 2 Platten je 2, auf einer Platte 3 Kolonien. Alle 7 Bouillonröhrchen enthalten Prodigiosus. Milz (0 • 4 g, d.i. etwa die halbe Milz): Auf 4 Agarplatten 1 Prodigiosuskolonie. Von den Bouillonröhrchen enthalten S Prodigiosus. M e s e n t e r i a l d r ü s e n (1 • 15 g) und B l u t (1 ccm): Frei von Prodigiosus. 12. Versuch. B. P r o d i g i o s u s . Injiziert: 1000 Bazillen. L u n g e (0• 6 g): In 4 Agarplatten und in 5 Bouillonröhrchen ist k e i n Prodigiosus gewachsen. Leber (1-1 g): Auf 5 Agarplatten 1 Prodigiosuskolonie. Ferner ist in 1 Bouillonröhrchen Prodigiosus gewachsen. Milz (0-6g): Von 4 Platten enthalten zwei je 1, eine 2 Kolonien. Von 6 Bouillonröhrchen enthalten 5 Prodigiosus. M e s e n t e r i a l d r ü s e n (0-9 g) und B l u t ('/j ccm) sind frei von Prodigiosus.

Das Ergebnis dieser Versuche beweist ganz eindeutig, daß auch sehr wenige im Blute kreisende Bazillen keineswegs von der Lunge abgefangen werden. Natürlich kann und soll aus dem völlig negativem Lungenbefund im 10. Versuch (1000 injizierte Bazillen) nicht

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Oettinger

gefolgert werden, daß in solchen Fällen kein einziger Bacillus in der Lunge haften bleibt. Dazu war doch bei der minimalen Bakterienzahl der untersuchte Teil der Lungen zu klein. Soviel aber ist sicher, daß die Zahl der von der Lunge aus dem Blute aufgenommenen Keime ganz außerordentlich gering ist, und daß ihr Verhältnis zu den von der Leber und von der Milz aufgenommenen nicht anders ist, als wenn sehr zahlreiche Bazillen im Blute kreisen. Diese Versuchsergebnisse lassen aber die Tatsache ganz unberührt, daß so oft bei intravenöser Injektion von Tuberkelbazillen, oder bei irgendwelchen anderen Infektionsarten, bei denen eine Aufnahme der Bakterien in die Blutbahn stattfindet (z. B. Infektion der Harnblase, Y. BAUMGABTEN) die Lunge a l l e i n von allen Organen erkrankt. Nur kann als Grund dafür nicht eine mechanische Disposition der Lunge zur Aufnahme größerer Bakterienmengen aus der Blutbahn angesehen werden. Vielmehr kann es sich nur um eine im Vergleich zu den anderen Organen erhöhte Disposition des Lungengewebes zur Erkrankung — bei der Aufnahme derselben oder einer geringeren Bakterienzahl — handeln. Zu demselben Resultat sind auf Grund einer interessanten Beobachtung NEUMANN und WITTGENSTEIN 1 gekommen. Sie haben Hunden Tuberkelbazillen intravenös injiziert und die Tiere nach verschieden langer Zeit, das erste eine halbe Stunde nach der Injektion, getötet. Teile der Organe (Leber, Milz, Lungen, Ovarien u. a.) wurden sofort auf Meerschweinchen verimpft; der Rest wurde längere Zeit in vitro aufgehoben und nach 22 bis 25 Tagen weiterverimpft. Die sofort verimpften Organstückchen erwiesen sich sämtlich als infektiös (s. o.). Nach der Aufbewahrung waren nur noch die Lungenstückchen imstande Tuberkulose hervorzurufen, Leber und Milz aber hatten ihre krankheiterregende Kraft eingebüßt. In keinem Falle konnte durch die Verimpfung der 3 Wochen lang aufbewahrten Proben von Leber und Milz eine Tuberkulose der Impftiere hervorgerufen werden. Diese Beobachtung kann sicherlich mit der Tatsache der vorwiegenden Erkrankung der Lungen bei den mannigfachsten Infektionsarten in Verbindung gebracht werden. „Es scheint sich darin die auffallend geringe Widerstandsfähigkeit des Lungenparenchyms einer Tuberkelbazilleninvasion gegenüber zu bekunden." Allerdings machen sich NEUMANN und WITTGENSTEIN selbst noch den oben behandelten Einwand: „Freilich könnte man dabei noch an die Möglichkeit einer besonders starken Bazillenanhäufung in den Lungen denken, 1

NEUMAKN und WITTGENSTEIN, a. a. 0 .

Die Disposition der Lunge %ur Erkrankung an Tuberkulose

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da ja bei intravenöser Injektion die Bazillen zunächst die Lungenkapillaren passieren müssen, bevor sie in den allgemeinen Kreislauf gelangen, und daher besonders günstige Gelegenheit finden, daselbst in großer Menge abgefangen und zurückgehalten zu werden, in einer Menge, der gegenüber die Tuberkelbazillen entgiftende Kraft des Lungenparenchyms nicht mehr gewachsen wäre." Aber auf Grund meiner Versuche glaube ich berechtigt zu sein, diesen Einwand als unzutreffend zu bezeichnen. Unter normalen Verhältnissen wenigstens wird nur ein Teil der Bakterien in den Lungen abgefangen, der größte Teil geht in den allgemeinen Kreislauf über. In demselben Sinne ist auch das Resultat des einen Versuchs von NEUMANN und W I T T G E N S T E I N ZU deuten, bei dem ein Hund 35 Tage nach der intravenösen Injektion getötet wurde. Obwohl alle Organe ein positives Impfresultat ergaben, ließen nur die Lungen makroskopisch tuberkulöse Erkrankungen erkennen. Auch in den Versuchen von STRAUS und GAMALEIA, WO bei mikroskopischer Untersuchung in a l l e n Organen Bazillen gefunden wurden, wiesen nur die Lungen krankhafte Veränderungen auf. Natürlich sind bei der Disposition der Lunge zur E r k r a n k u n g die quantitativen Verhältnisse von Bedeutung. So erhielten STEAUS und G A M A L E I A krankhafte Veränderungen in den Lungen nur dann, wenn die Injektionsflüssigkeit gröbere Bazillenhaufen enthielt, so daß auch die Lunge zahlreiche Bazillen aufnehmen mußte. Benutzten sie aber äußerst fein verteilte Bazillen, so daß wahrscheinlich nur ganz vereinzelte in der Lunge stecken blieben, so blieben die Veränderungen aus. Es wäre interessant gewesen, in diesen Fällen den Bakteriengehalt der Organe zu ermitteln; leider ist er nicht untersucht worden. Es mag dahingestellt bleiben, ob nicht im lebenden Gewebe noch andere Ursachen, wie z. B. die reichlichere Sauerstoffzufuhr in der Lunge, mitwirken. Unsere Versuche über das Schicksal der ins Blut injizierten Bakterien berechtigen uns aber noch zu einer zweiten Schlußfolgerung, die für die Beurteilung von Fütterungsversuchen von Bedeutung ist, und zwar um so mehr, als ja häufig zu solchen Fütterungsversuchen die von mir benutzten Bakterienarten, namentlich Prodigiosus, verwendet worden sind. Man kann mit Sicherheit behaupten: wenn nach der Verbitterung von Bakterien lediglich die Lungen bakterienhaltig gefunden werden, so ist ihre Infektion nicht auf hämatogenem Wege erfolgt, sondern direkt durch Inspiration in die Lungen. Denn wenn die Infektion durch Bazillen herbeigeführt wird, die die Darm wand und die Mesenterialdrüsen durchwandert

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Oettinger: Disposition der Lunge zur Erkrankung an Tuberkulose

haben und in die Lymphbahnen und in den Blutstrom aufgenommen worden sind, dann müssen auch die anderen Organe, namentlich Leber und Milz, Bakterien enthalten. Ganz dieselbe Schlußfolgerung hat SCHULTZE 1 aus seinen Kohlestaubversuchen gezogen. Er fand nach der Verfütterung von Kohle in Übereinstimmung mit VANSTEENBERGHE und G-BYSEZ 2 Kohleteilchen n u r in der Lunge, sonst in keinem Organ. Er hält es für vollkommen ausgeschlossen, daß die Kohleteilchen durch Resorption vom Darmkanal aus über den Ductus thoracicus auf dem Blutwege in die Lunge gelangt seien. „Denn gelangen unlösliche Substanzen (Ruß, Kohle, Tusche) in das rechte Herz und den Kreislauf, dann muß, wie wir aus den Gefäßinjektionsversuchen wissen, ein Teil der Körper die weiten Lungenkapillaren passieren und in Milz und Leber liegen bleiben und sichtbar sein, genau so wie bei Injektionen in die Peritonealhöhle." Wenn nach der Verfütterung von Kohle nur die Lungen Kohlestäubchen enthalten, dann ist es vollkommen sicher, daß sie direkt, durch Inhalation, hineingelangt sind. Dieser Satz gilt in vollem Umfange auch für Bakterien. Der Aufzählung SCHULTZE s: „Ruß, Kohle, Tusche" müssen wir noch „Bakterien" zufügen. Als Ergebnis der Versuche kann ich also zusammenfassen: I. Daß nach dem Übertritt von Tuberkelbazillen in die Blutbahn — bei den mannigfachsten Infektionsarten — häufig die Lungen allein oder vorwiegend erkranken, liegt nicht an einer größeren Disposition der Lunge die B a k t e r i e n z u r ü c k z u h a l t e n , sondern an einer erhöhten Disposition des Lungengewebes, auch auf die Invasion weniger Bazillen m i t e i n e r E r k r a n k u n g zu r e a g i e r e n . II. In der Blutbahn kreisende Bakterien werden ebenso wie andere korpuskulare Elemente (Kohle, Ruß, Tusche) in allen Organen des Körpers abgelagert, und zwar in der Lunge in viel geringerem Maße als in der Milz und in der Leber. III. Wenn Bazillen nach ihrer Verfütterung lediglich in der Lunge gefunden werden, während Milz und Leber frei sind, dann ist es völlig sicher, daß sie nicht auf dem Blutwege in die Lunge gelangt sind. 1

SCHULTZE, a . a .

S

VANSTEENBEBGHE

0. und

GKYSEZ, a .

a.

0.

34. Die Bekämpfung der Tuberkulose.1 Von Prof. Carl Flügge in Breslau. Da die Bekämpfung der Tuberkulose auf Grund der Disposition zurzeit völlig versagt, so sind wir einstweilen angewiesen auf eine B e k ä m p f u n g des K o n t a g i u m s . Und eine solche ist um so eher durchführbar, als nicht eine ubiquitäre Verbreitung der Tuberkelbazillen besteht, sondern die Ausstreuung sich um den K r a n k e n k o n z e n t r i e r t . Es müssen also Maßregeln eingreifen, welche die Verbreitung des Kontagiums auf die in der Umgebung des Krankeu lebenden Menschen erschweren, bzw. unmöglich machen. Dies kann geschehen durch die Befolgung folgender Vorschriften: Der Auawurf ist stets in einen Spucknapf zu entleeren (ob dieser trockene oder nasse Füllung erhält, ist für die Verbreitung ganz gleichgültig). Da rasch wirksame und praktisch verwendbare Desinfektionsmittel für Sputum nicht existieren und die Reinigung der Spucknäpfe Schwierigkeiten bereitet, ist die Verwendung der verbrennbaren Karton-Spucknäpfe (auch für die Armenpraxis) dringend anzuraten. Ist ein Spucknapf nicht erreichbar, so soll der Kranke ein Spuekfläschchen (Modell K N O P F oder ein verbrennbares aus Karton) benutzen; oder der Auswurf ist audnahmsweise ins Taschentuch zu entleeren. Die dazu benutzten Taschentücher, ebenso die Tücher, mit welchen Sputumreste von Mund und Bart abgewischt, oder welche bei heftigem Husten vor den Mund gehalten waren, sind höchstens einen Tag zu benutzen, weil sonst solches Austrocknen stattfinden kann, daß sich Fasern mit trockenen Sputumteilchen ablösen. Empfehlenswert ist für diese Zwecke die Benutzung von Papiertaschentüchern, die - nach dem Gebrauch verbrannt werden (10 Stück 3'/i Pf.). Sputumreste gelangen bei den meisten Kranken noch an die Kleider (Tascheneingang) und an die Finger. Letztere sollen häufig, unbedingt nach merklicher Beschmutzung mit Spntnm, gründlich mit Seife und Wasser gereinigt werden; beschmutzte Oberkleider sind tunlichst häufig durch Abbürsten mit 10 Promille Sublimatlösung oder durch Formaldehyd in der Desinfektionsanstalt zu desinfizieren. Die Tröpfcheninfektion ist dadurch einzuschränken, daß, wenn der Phthisiker sich in der Nähe von anderen Menschen befindet, er sich von diesen 1

Veröffentlicht: Deutsche medizin. Wochenschrift. 1904. Nr. 5.

KIXOGE,

Tuberkulose

706 w ä h r e n d d e r H u s t e n s t ö ß e fernhält und den Kopf abwendet oder das Taschentuch vor den Mund hält. In gemeinsamen Arbeitsräumen, Bureaus und dergleichen betrage der Abstand zwischen den Köpfen der Arbeitenden mindestens 1 m. Wo ohne Betriebsstörung zwischen den Köpfen der Schreibenden oder zwischen beqachbarten Arbeitsplätzen trennende Zwischenwände sich anbringen lassen, unterstützt und erleichtert dies die übrigen Maßnahmen. Im Schlaf- bzw. Krankenzimmer kann die Abgrenzung des Bettes durch einen Vorsetzer aus glattem Stoff von Vorteil sein. Wenn irgend möglich, soll aber das Bett des Phthisikers in einem besonderen Baum untergebracht werden; und über T a g ist ein Zusammendrängen von anderen Menschen in der Nähe des Phthisikers zu vermeiden. Wo die Wohnungsverhältnisse die Befolgung dieser Vorschrift nicht gestatten, ist der Kranke womöglich aus der gefährdeten Umgebung herauszubringen durch Überführung in eine Heilstätte (Heimstätte, Rekonvaleszentenheim). Insbesondere ist für Perioden der Verschlimmerung des Leidens eine zeitweise Aufnahme in solche Anstalten ins Auge zu fassen. In manchen Fällen wird die Beschaffung einer anderen Wohnung mit der Möglichkeit der Isolierung des Kranken in einem besonderen Räume anzustreben sein. Von Phthisikern verlassene Wohnungen sind durch geschulte Desinfekteure zu desinfizieren.

Die mächtige Entwickelung der Heilstättenbewegung, sowie die aller Orten in Bildung begriffenen Vereine zur Bekämpfung der Phthise machen es in weitem Umfange möglich, auch den in bezug auf die Wohnung hier aufgestellten Forderungen gerecht zu Werden. Zu hoffen ist, daß bald durch gesetzliche Bestimmungen (Meldepflicht beim Ableben, beim Wohnungswechsel und in den besondere hygienische Bedenken erregenden Fällen) die Durchführung der prophylaktischen Maßnahmen möglichst erleichtert werde. Unberechtigterweise hört man immer wieder den Vorwurf, daß die Bekämpfung des Kontagiums inhuman sei, daß sie Bazillenfurcht und die Scheu vor dem Kranken groß züchte. Es weiß aber doch jetzt jedes Kind, daß die Phthise ansteckend ist, und das kann und darf unmöglich verschwiegen werden. Wohl aber wollen wir uns bemühen, dem Phthisiker bestimmte Maßnahmen an die Hand zu geben, bei deren Einhaltung er seine Umgebung nicht mehr gefährdet. Und diese Maßnahmen sind so überaus einfacher Natur und bestehen zum großen Teil in so selbstverständlichen Anstandsregeln, daß ihre Befolgung und damit die Erziehung der weitesten Kreise zu einem die Umgebung nicht gefährdenden Verhalten nicht als schwierig angesehen werden kann. Andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß die Folgen dieser Maßnahmen ungemein bedeutsam sein müssen. Freilich wird es Kranke geben, die sich nicht raten lassen und die nach wie vor ihre Umgebung gefährden, und andere, bei denen ausnahmsweise

Die Bekämpfung

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der Tuberkulose

jene Maßnahmen sich nicht durchführen lassen. Infolgedessen wird immer hier und da Kontagium verstreut werden. Aber wir gehen gar nicht darauf aus, — wie es fälschlicherweise immer behauptet wird — a l l e Bazillen zu vernichten. Das ist durchaus nicht erforderlich. Sondern wenn wir im Laufe der nächsten Jahre nur l h> 1 / 3 v o n dem jetzt verstreuten Kontagium unschädlich machen, und wenn wir gerade die gefährlichsten Ausstreuungen beseitigen, so führt das schon zweifellos zu einem bedeutenden, p r o g r e s s i v z u n e h m e n d e n Absinken der Infektionen. Schon sind einige Staaten in der Lage, für den Erfolg einer derartigen zielbewußten Bekämpfung sogar eine ziffernmäßige Bestätigung durch die Statistik heranzuziehen; und sicher werden wir auf diesem Wege von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine weitere Abnahme der Tuberkulosefrequenz erzielen. Leider werden die aus einer besseren Erkenntnis der Verbreitungsweise der Phthise abgeleiteten, oben zusammengestellten Vorschriften zur Verhütung der Ansteckung neuerdings vielfach entstellt durch das Hineinbeziehen der s o z i a l e n P r o b l e m e . So überaus wichtig und erstrebenswert eine Besserung der sozialen Lage der Arbeiter ist, so sollten doch diese Bestrebungen nicht in dem Grade wie es jetzt üblich ist, mit hygienischen Maßnahmen verquickt oder gar verwechselt werden. Gewiß wird eine Besserung der sozialen Verhältnisse eine Besserung des allgemeinen Gesundheitszustandes mit sich bringen. Aber die sozialen Reformen beanspruchen sehr lange Zeiträume; die dringenden hygienischen Reformen, namentlich gegenüber den uns am stärksten bedrohenden Seuchen, sollen jene überholen. Denn wir können, wenn wir zielbewußt und fußend auf richtiger Erkenntnis der Ätiologie vorgehen, gegenüber der Phthise große Erfolge erzielen auch o h n e daß die Besserung der sozialen Lage im gleichen Tempo vorwärts schreitet. Auch bei anderen parasitären Krankheiten hat die auf Grund der Erkenntnis ihrer spezifischen Verbreitungsweise und der Biologie ihrer Erreger eingeleitete Bekämpfung zu erstaunlichen, zum Teil geradezu radikalen Erfolgen geführt, o h n e daß irgendwie soziale Reformen daran beteiligt waren. Gehen doch die großartigen Erfolge solchen s p e z i f i s c h e n Vorgehens klar aus der Geschichte der Seuchen hervor. Wohl das eklatanteste Beispiel sind die P o c k e n , die in Deutschland durch rationelle Anwendung einer spezifischen Immunisierung getilgt sind, ohne Anwendung allgemeiner Hygiene und ohne irgendwelche Änderung der sozialen Zustände. Ebenso hat die D i p h t h e r i e ihre Schrecken eingebüßt, weil wir jetzt spezifisch therapeutisch und 45*

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Carl Flügge

immunisierend vorgehen können, nicht weil die allgemeinen hygienischen Verhältnisse sich geändert haben. Die C h o l e r a bekämpfen wir durch zielbewußtes Vorgehen gegen den Erreger, nachdem uns dessen spezifische Verbreitungsart und Lebenseigenschaften bekannt geworden sind. Die P e s t wird durch die gegen ihre besondere Verbreitüngsart gerichteten Maßregeln selbst in den unsaubersten und ärmlichsten Quartieren in Alexandrien und Oporto wirksam bekämpft. Bessere soziale und hygienische Verhältnisse können zweifellos die Anwendung der spezifischen Maßregeln vielfach'erleichtern; aber nirgends ist es nötig gewesen, erst eine solche Besserung abzuwarten, ehe man erfolgreich mit jenen vorgehen konnte. Auch die Bekämpfung der L e p r a in Norwegen ist ein Beispiel, das deutlich zeigt, wie eine Seuche mit zweckmäßigen Isolierungsmaßregeln bekämpft und getilgt werden kann, ohne daß man die allgemeinen hygienischen Verhältnisse zu beeinflussen sucht. Selbst die Bekämpfung der t i e r i s c h e n P a r a s i t e n lehrt uns das gleiche; ohne Änderung der sozialen Lage bekommen wir durch spezifisches Vorgehen, nämlich durch eine geeignete Fleischkontrolle, eine enorme Abnahme bzw. ein völliges Verschwinden dieser Parasiten. Augenblicklich steht unter den sozialen Bestrebungen die Besserung der Wohnungsverhältnisse an erster Stelle. Auch die Phthise hat man neuerdings als eine „ W o h n u n g s k r a n k h e i t " angesprochen, die angeblich verschwinden wird, wenn die Arbeiterwohnungen geräumiger und sonniger geworden und mit Lüftungsvorrichtungen versehen sind. Es ist schade, daß die Bezeichnung „Wohnungskrankheit" der Phthise angehängt ist; sie ist entschieden n i c h t r i c h t i g . Die Ausbreitung der Phthise, die Übertragung des Kontagiums auf Gesunde hängt nicht sowohl von der Wohnung an sich ab, sondern von der Gruppierung der Gesunden um den Phthisiker und von dem Verhalten beider; n i c h t die W o h n u n g ist das Maßgebende, sondern die Art des Z u s a m m e n l e b e n s mit dem P h t h i s i k e r , vorzugsweise in Familie und Arbeitsgenossenschaft. Die Wohnung kommt dabei unter Umständen ganz in Wegfall; die Übertragung kann sich auch „im Freien" vollziehen. Bringt jemand seine Tage auf dem Kurplatz einer Lungenheilanstalt im steten nahen Verkehr mit hustenden Phthisikern zu, so nimmt er dort gerade so gut wie in der Wohnung das Kontagium auf. Bei gemeinsamer Feld- und Streckenarbeit sind die Arbeiter oft dauernd in so naher Berührung, daß dort eine Ansteckung durch Tröpfchen, Stäubchen und Kontakte sich sehr wohl vollziehen kann. — Wohnt ferner in einer engen Wohnung ein Phthisiker allein, so ist

Die Bekämpfung der Tuberkulose

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diese für die Verbreitung der Phthise bedeutungslos. Arbeitet aber der Phthisiker über Tag in nächster Nähe von zahlreichen Arbeitsgenossen, so wird dadurch die Gefahr der Ausbreitung sehr groß. Wohnt andererseits eine Familie in einer geräumigen Wohnung, drängt sich aber in dieser die Familie in unzweckmäßiger Weise in einem Räume, ja in einem Teil des Raumes — wie man es oft erlebt — eng zusammen, so ist die Ausbreitungsgefahr trotzdem erheblich. Von dem V e r h a l t e n d e s P h t h i s i k e r s , von seiner Befolgung der oben skizzierten Vorschriften hängt offenbar viel mehr ab, als von der Beschaffenheit der Wohnung. Bei rücksichtslosem Verhalten ist der Phthisiker selbst in der opulentesten Wohnung ungemein gefährlich. Zweifellos ist es leichter, in einer Wohnung mit mehreren Räumen die oben gegebenen Vorschriften zu erfüllen und Ansteckung zu verhüten, als in Wohnungen, die nur aus einem engen Räume bestehen. Aber selbst in solchen ist durch verständige Erziehung des Phthisikers, durch eine gewisse Abgrenzung desselben und namentlich durch Benutzung der Heil- und Heimstätten eine ganz erhebliche Hilfe zu schaffen, schon längst ehe es möglich ist, jeder solchen Familie eine aus mehreren Räumen bestehende Wohnung zu gewähren. In bedauerlicher Weise werden mit der Wohnungsreform vielfach auch noch die unter dem Deckmantel der Hygiene auftretenden Bestrebungen der Licht- und Luftfanatiker verknüpft. „ S o n n i g e Wohnungen soll man den Phthisikern geben, denn die Sonne ist der schlimmste Feind der Bakterien, sie tötet alle Tuberkelbazillen ab!" — Jawohl, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß alle Bazillen in dünner Sputumschicht der Sonne frei ausgesetzt werden! Wenn der Phthisiker sich also die sonnenbeschienenen Stellen des Fußbodens aussucht und hier sein Sputum in dünner Schicht ausbreitet, dann wird eine Abtötung durch die Sonne ermöglicht. Aber in den meist vom Phthisiker bevorzugten Ecken und Winkeln bleiben die Bazillen am Leben und unter irgend einer Bedeckung, in Tüchern, an Kleidern usw. ebenfalls. Durchschnittlich wird es bezüglich der Übertragungsgefahr kaum einen erheblichen Unterschied machen, ob der Phthisiker in einer besonnten oder in einer nicht besonnten Wohnung lebt. Daß trotzdem aus anderen Gründen, namentlich mit Rücksicht auf die psychische Wirkung, eine sonnige Wohnung für den Phthisiker vorzuziehen ist, darüber ist kein Wort zu verlieren. Aber wir wollen uns über die wahren Motive und Folgen dieser Bevorzugung nicht Täuschungen hingeben.

Carl

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Flügge

Dasselbe gilt von der „Lüftung" der Wohnung. Sie kann die Gefahr der Verbreitung und Übertragung der Keime höchstens gelegentlich steigern, kaum jemals herabsetzen. Sie ist aus anderen Gründen entschieden wünschenswert, aber für die Bekämpfung der Kontagien nicht wichtig genug, um so, wie es jetzt vielfach geschieht, in den Vordergrund geschoben zu werden. Gehen wir ohne diesen Ballast nebensächlicher Bestrebungen, nur geleitet von der auf experimentellem Wege erlangten Erkenntnis der Verbreitungsweise der Phthise, in unserem Kampfe gegen die Tuberkulose vor, so werden wir sicherlich bessere Erfolge haben. Schließlich ein Wort noch über die Bekämpfung der Infektionen durch Milch und Butter, die ich auf Grund der vorliegenden Erfahrungen und Experimente als selten vorhanden annehmen möchte, bis etwa die gegenteilige Behauptung durch Beweise genügend gestützt ist. Es ist offenbar nicht schwer, die in dieser Weise drohenden Infektionen noch weiter herabzumindern. Das kurzdauernde Kochen der Säuglingsmilch geschieht schon ganz allgemein und muß immer wieder nachdrücklichst in Erinnerung gebracht werden. Armut hindert niemand an der Anwendung dieser einfachsten Schutzmaßregel. Gibt es trotzdem noch indolente und leichtsinnige Mütter, welche nicht einmal soviel Sorgfalt auf die Ernährung der Säuglinge verwenden, so mögen sie die Folgen tragen; die besondere Gefährdung dieser Kategorie von Menschen muß dann eben bestehen bleiben. Zwar hat letzthin v. B E H B I N G 1 das Kochen der Säuglingsmilch beanstandet mit dem Hinweis, daß der frischen, rohen Milch eine gewisse bakterizide Kraft zukomme. Wir haben indes keinen Grund, diese Eigenschaft der Milch, die in tieferen Darm abschnitten schwerlich überhaupt zur Geltung gelangen wird, so hoch einzuschätzen, daß wir deshalb das in mehrfacher Beziehung nützliche kurze Kochen der Milch unterlassen müßten. Wenn v. B E H R I N G die große Säuglingssterblichkeit gerade mit der Gepflogenheit des Abkochens der Milch in Beziehung bringt, so übersieht er, daß jene hohe Sterblichkeit sich fast nur auf die drei heißen Monate beschränkt, daß sie ganz von der Höhe der Sommerhitze abhängt und in Ländern mit kühlem Sommer überhaupt nicht auftritt. Nur in der heißen Jahreszeit bereitet eben trotz des Kochens die rationelle Behandlung und namentlich die kühle Aufbewahrung der Milch breiten Volksschichten sehr 1

Die Therapie der Gegenwart. 1904. Heft 1.

Die Bekämpfung der Tuberkulose

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große Schwierigkeiten, und die Folgen davon machen sich in Gestalt zahlloser Darmerkrankungen der Säuglinge bemerkbar. In den neun kühleren Monaten kommen diese Störungen relativ selten vor, und eine schädliche Wirkung der kurzgekochten Milch auf normale Säuglinge ist zu keiner Zeit von den in diesen Fragen vor allem kompetenten Kinderärzten beobachtet. Es erscheint daher sehr gewagt, das Kochen der Milch durch eine schwache Formolzugabe zu ersetzen. Vorläufig ist auf Grund des Preußischen Ministerial-Runderlasses vom 27. Mai 1899 durch Polizeiverordnung in fast allen Städten Milch, welche i r g e n d w e l c h e chemische Konservierungsmittel enthält, vom Verkehr ausgeschlossen. Um dieses wohlmotivierte Verbot zugunsten des v. BEHRING sehen Vorschlages wieder aufzuheben, dazu müßten denn doch mehr und gewichtigere Gründe als bisher vorgebracht werden. F ü r die Tuberkelbazillen der Butter haben bereits mehrere Autoren das Pasteurisieren des Rahms empfohlen, und HERR hat in meinem Institut gezeigt, daß man dieses ohne Schwierigkeiten durchzuführen in der Lage sein würde, falls wirklich die Gefahr, die von der Butter ausgeht, sich als irgend erheblich herausstellen sollte. So ist auch gegen diese Infektionsgefahr zu helfen, selbst ohne Immunisierung des Rindviehs. Ist aber das neue BEHRING sehe oder ein anderes Verfahren imstande, unsere Herden von Perlsucht zu befreien, so ist das im Interesse der Landwirtschaft sicher mit Freuden zu begrüßen, und auch für die Verbreitung der menschlichen Tuberkulose würde es die vollständigste Verstopfung dieser Infektionsquelle bedeuten. Möchten die vorsthenden Zeilen dahin wirken, daß die mite Unrecht geschmähte und so gut begründete Bekämpfung des vom kranken Menschen ausgestreuten Tuberkulosekontagiums wieder mehr in den Vordergrund gerückt werde.

Franz

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Steinitx

35. Die Beseitigung und Desinfektion des phthisischen Sputums.1 E i n B e i t r a g z u r P r o p h y l a x e der P h t h i s e . Von Dr. Franz Steinitz, früherem Assistenten des Instituts. Die Beseitigung frischen tuberkulösen Sputums geschieht bis jetzt entweder durch Ausschütten des unverändert aufbewahrten Sputums in die zur Aufnahme anderer Abfallstoffe dienenden Kanäle und Gruben und mechanische Entfernung der Reste durch Nachspülen mit Wasser oder durch vorherige Behandlung mit chemischen oder thermischen Mitteln. Die Auffangung des Sputums in einer geringen Menge Wassers und seine Vermischung in unverändertem Zustand mit den häuslichen Abwässern stützt sich auf die durch TOMA, BAUMGABTEN, F A L K und F I S C H E R gemachten Beobachtungen, daß die Tuberkelbazillen in Fäulnisgemischen spätestens nach wenigen Wochen zugrunde gehen. Allein die allgemeine Gültigkeit dieser Beobachtung hat neuerdings durch die interessanten Versuche M U S E 8 HOLD s eine sehr bedeutsame Einschränkung erfahren. Derselbe konnte in Kanalwasser noch nach 197 Tagen, in Kanaljauche aus einem Anschlußrohr der Berliner Kanalisation, trotzdem sie im Freien gehalten wurde und vorübergehend eingefroren war, noch nach 1 9 4 Tagen lebende Tuberkelbazillen nachweisen. A U C I I M O E L L E B 3 konnte in dem Berieselungswasser der Rieselfelderanlage der Heilanstalt Beizig und an Radieschen, die auf den Rieselfeldern gewachsen waren, lebende Tuberkelbazillen nachweisen. Angesichts dieser Tatsachen werden wir von vornherein denjenigen Methoden den Vorzug geben, die das Sputum vor der Überführung in die Abwässer unschädlich machen, besonders, da es sonst leicht zur Verbreitung von Sputumresten durch Hände, Wischtücher u. dgl. kommt. Eine radikalere Eliminierung der Krankheitserreger ist nicht nur wünschenswert, sondern absolut nötig. Eine solche kann zunächst erfolgen durch Füllung der Spucknäpfe mit D e s i n f i z i e n t i e n . Dieselben müssen vor allem die er1

Veröffentlicht: Zeitschr. f. Hygiene u. Infekt. Bd. 38. S. 118—151. Über die Widerstandsfähigkeit der mit dem Lungenauswurf herausbeförderten Tuberkelbazillen in Abwässern, im Flußwasser und im kultivierten Boden. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. 17. S. 56. 8 MOELLER, Zur Sputumbeseitigung. Zeitschr. f. Tuberkulose u. Heilstättenwesen. Bd. 2. 2

MUSEHOLD,

Die Beseitigung und Desinfektion des phthisischen Sputums

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forderliche Wirkung innerhalb relativ kurzer Zeit äußern, sodann aber auch ohne Belästigung (durch unangenehmen Geruch) oder gar Schädigung des Kranken und seiner Umgebung anwendbar sein. Schließlich dürfen sie auch keinen zu hohen Preis besitzen, um allen Schichten der Bevölkerung zugänglich zu sein. Die erste ausführliche Arbeit über die Desinfektion tuberkulösen Sputums erschien zugleich mit K O C H S grundlegender Publikation über die Ätiologie der Tuberkulose und unter seiner Leitung von SCHILL und F I S C H E R . 1 Diese Autoren haben die Wirksamkeit einer Reihe von Desinfektionsmitteln gegen tuberkulöse Sputa geprüft und gefunden, daß frisches Sputum von absolutem Alkohol, 3 prozentiger Karbolsäure und gesättigtem Anilinwasser nach 20 Stunden unschädlich gemacht wurde, wenn sie es mit der 8- bis 12 fachen Menge Desinfiziens übergössen und das Gemisch gut einrührten. Mischten sie jedoch Sputum und Desinfiziens zu g l e i c h e n Teilen zueinander, so genügte bei Karbolsäure erst eine 5 prozentige Lösung nach 24 Stunden zur Abtötung; und noch viel ungeeigneter zeigte sich Sublimat, das in 2 Promille Lösung zu gleichen Teilen mit Sputum gemischt, selbst nach 24 Stunden keinerlei desinfizierende Wirkung ausübte. Sublimat wurde daher von SCHILL und F I S C H E R als unbrauchbar für die Sputumdesinfektion erachtet, während sie die Karbolsäure als geeignet empfahlen. In der Tat hat auf dem Boden dieser Versuchsergebnisse die Karbolsäure eine überaus weite Verbreitung zur Auffüllung von Spucknäpfen gefunden. Immerhin hat es nicht an Autoren gefehlt, die auch ihr auf Grund ungünstiger Versuchsresultate die unbedingte Desinfektionssicherheit absprechen mußten und sie, zugleich auch ihres Geruches und ihrer Giftigkeit wegen, durch andere Desinfektionsmittel zu ersetzen suchten. So hat G E R L A C H 2 bei vergleichenden Versuchen mit 5 prozentigen Lösungen von Lysol, Karbolsäure und Kreolin gefunden, daß nur das erstere das o h n e U m r ü h r e n zugesetzte tuberkulöse Sputum innerhalb von 3 Stunden völlig unschädlich machte, während die anderen beiden Mittel selbst nach 24 Stunden keine Wirkung gehabt hatten. Zu ähnlichen Resultaten kam SPENGLER.8 Auch er konstatierte an 10 prozentigen Lösungen von Aseptol, Kreolin, Karbolsäure und Lysol, die in gleicher Menge 1 S C H I L L und F I S C H E R , Uber die Desinfektion des Auswurfs der Phthisiker. Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. II. S. 131. 2 G E R L A C H , Über Lysol. Zeitschrift für Hygiene u. Infekt. Bd. 10. 3 SPENGLER, Untersuchungen über Desinfektion tuberkulösen Sputums. Münchener med. Wochenschrift. 1891. Nr. 45.

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Franz

Steinitz

mit Sputum ohne Umrühren gemischt wurden, daß nur das Lysol (nach 12 Stunden) Abtötung zustande brachte, während die anderen drei Mittel selbst nach 24 Stunden völlig versagten. Beide Autoren stehen daher nicht an, das Lysol als hervorragend geeignetes Desinfiziens für Spucknäpfe zu empfehlen, ein Vorschlag, dem WEICKEK,1 MEISSEN2 und viele andere gefolgt sind. Allein auch dieses Mittel dürfte wegen seines hohen Preises (pro Kilo ca. 2 Mark) für eine allgemeinere Einführung kaum zu empfehlen sein. Noch einige andere Agentien sind experimentell geprüft und auf Grund der Versuchsergebnisse zur Desinfektion frischen Sputums empfohlen. TBAUGOTT3 hat 1 prozentige und 1 Promille Jodtrichloridlösung mit gut emulsioniertem Sputum versetzt, gründlich verrührt und hierbei schon nach 1 Stunde die Abtötung der Tuberkelbazillen gesehen, ein Erfolg, der unseres Wissens von anderer Seite keine Nachuntersuchung an unverriebenen Sputumballen erfahren hat, aber jedenfalls zu weiterer Prüfung dieses Mittels ermutigte. Andere wirksam gefundene'Desinfizientien wie Anilindämpfe und Alkohol sind für praktische Zwecke wegen ihres starken Geruchs oder ihres zu hohen Preises nicht verwertbar. Aus alledem geht hervor, daß wir ein voll befriedigendes chemisches Desinfektionsmittel für frisches Sputum bis jetzt nicht besitzen. Selbst den sichersten haftet als empfindlicher Mangel die Notwendigkeit einer stunden- ja tagelangen Einwirkungsdauer an, wenn man die volle Sicherheit der beabsichtigten Wirkung haben will. Es wird demnach sehr häufig in der Praxis die Gefahr bestehen, daß nicht völlig desinfiziertes Material der ßeinigung überwiesen, und daß damit die Möglichkeit einer weiteren Ausbreitung des Infektionsstoffes gegeben wird. Eine Reihe von Autoren sind daher unter Verzicht auf jedes chemische Mittel für die Einführung thermischer Desinfektionsmethoden eingetreten. Dieselben können in der Sterilisierung des Materials durch strömenden Wasserdampf, in Kochen oder in Verbrennen bestehen. Schon SCHILL und FISCHES4 fanden, daß 30 Minuten langes Kochen tuberkulöses Sputum unschädlich macht, und daß eine Abtötung der Tuberkelbazillen durch Erhitzen in strömendem 1 WEICKER, Beiträge zur Frage der Volksheilstätten. Zeitschrift für Krankenpflege. 1896. 4 MEISSEN, Deutsche Medizinalzeitnng. 1890. 3 TRAUOOTT, Einige Ergänzungen zur Praxis der Desinfektion. Zeitschr. für Hygiene u. Infekt. Bd. 14. 4 A. a. 0.

Die Beseitigung

und Desinfektion

des phthisisehen

Sputums

715

Wasserdampf sogar schon nach 15 Minuten erfolgt; sie empfehlen daher diese Methode zur praktischen Verwendung. Auch GRANCHER und DE GENNES 1 kamen, nach zahlreichen Versuchen mit chemischen Mitteln (Kupfersulfat, Karbolsäure, Pottasche, Sublimat) zu dem Schluß, daß die Desinfektion mit heißem Wasserdampf jenen weitaus überlegen sei, und gaben hierzu geeignete Apparate an. In demselben Sinne haben auch B L U M E N F E L D 2 und K I R C H N E B 3 Dampfapparate angegeben, in denen in einfacher Weise das frische Sputum innerhalb der Behälter in strömendem Dampf sterilisiert werden kann. Der KIRCHNEB sehe Apparat scheint in Lazaretten und Anstalten sich gut bewährt zu haben. Gleichwohl eignen sich alle diese Methoden kaum für das größere und namentlich ärmere Publikum. Abgesehen von den nicht unerheblichen Kosten, die durch den relativ hohen Prozentsatz der in der Hitze zerspringenden Speigläser noch gesteigert werden, ist ein Verständnis für die Handhabung des Apparates namentlich bei der ärmeren Bevölkerung nicht vorauszusetzen, und selbst in den gebildeten Ständen wird den mit Desinfizientien gefüllten, leicht zu füllenden und zu reinigenden Spucknäpfen stets der Vorzug gegeben werden. Auch das bloße A u s k o c h e n der Sputumgefäße ist nicht ohne praktische Schwierigkeiten. Zuvörderst muß es mindestens 1 / î Stunde andauern, wenn der Desinfektionseffekt ein sicherer sein soll. Sodann ist aber auch die übliche große Form der Spucknäpfe zumeist zum Auskochen in Töpfen ungeeignet, falls man nicht etwa über Spucknäpfe verfügt, die selbst als Kochtopf dienen können. Als bestes und anscheinend einfachstes Mittel zur Vernichtung frischen Sputums bleibt somit seine Verbrennung übrig. Natürlich ist hierzu seine Auffangung in brennbarem Material nötig. So hat PBAITSNITZ 4 die Auffangung des Sputums in Holzwolle empfohlen, v. W E I S M A Y B 5 in Torfmull und zwar, nach dem Vorgang v. SCHBÖTTEBS, 6 in verbrennet DE G E N N E S , Sur la désinfection des crachoirs des TuberRevue d'Hygiène. 1888. * BLUMENFELD , Apparat zur Desinfektion von Sputum und anderen -Abgangsstoffen für Krankenanstalten. Ärztliche Polytechnik. Bd. 10. • KIRCHNER, Über die Notwendigkeit und die beste Art der Sputumdesinfektion bei Lungentuberkulose. Archiv für Hygiene. Bd. 12. 4 PRAUSNITZ, Die Verwendung der Holzwolle als Füllmaterial für Spucknäpfe. Münchener med. Wochenschrift. 1891. s v. WEISMAYR, Die Übertragung der Tuberkulose durch das Sputum und deren Verhütung. Aus v. SCHRÖTTER: Die Tuberkulose. Verein Heilanstalt Alland. Braumüller, Wien 1898. 6 v. SCHRÖTTER, Über den gegenwärtigen Stand der Frage der Errichtung eigener Heilstätten für die Tuberkulose. Allgem. Wiener med. Zeitg. 1892. 1

culeux.

GRANCHER

Franz Steinitz

716

baren, billigen Papiermachégefafien. Auch MJÖEN 1 hat im Grefsensanatoriüm bei Christiania derartige, leicht verbrennbare Papierspuckgefäße eingeführt und ist wie v. SCHEÖTTEB und y. W E I S M A T E mit denselben sehr zufrieden. Trotzdem haben sich einige Stimmen (COBNET 2 ) gegen ihre Verwendung erhoben, und zwar besonders deshalb, weil es bei trockener oder halbfeuchter Füllung leicht zu einer Ablösung infektiöser Stäubchen und zu ihrer Uberführung in die Luft kommen könne. Daß dies nicht zu fürchten ist, ist unter anderem durch die Arbeiten F L Ü G G E S und NEISSEBS über die Bildung bakterienhaltigen Staubes nachgewiesen und kann durch neuere Arbeiten, wie die von BECK,3 der zwecklos übertriebene Versuche ohne alle Messung der Luftgeschwindigkeiten anstellte, keine Widerlegung erfahren. Daß die bisher empfohlenen Formen, soweit sie uns bekannt geworden sind, noch verbesserungsfähig sind, ist gewiß anzuerkennen, und soll späterhin noch Berücksichtigung finden. Neben der Vernichtung des frischen Materiales hat aber die praktische Sputumprophylaxe auch auf diejenigen Sputumanteile Rücksicht zu nehmen, die durch Kontakt oder auf dem Wege der Tröpfcheninfektion die Umgebung des Patienten infizieren und als mehr oder w e n i g e r t r o c k e n e Partikel seinem Taschentuch, seiner Kleidung, den Gegenständen und Wänden seines Zimmers anhaften. Hier sind natürlich so radikale Verfahren wie Verbrennen der infizierten Gegenstände nicht immer durchführbar; wir sind zum Teil auf eine Desinfektion mit Dampf, kochendem Wasser oder chemischen Mitteln, bei der Wohnungsdesinfektion sogar nur auf letztere angewiesen. SCHILL und F I S C H E B , die in ihrer bereits mehrfach erwähnten Arbeit auch mit angetrocknetem Material arbeiteten, hatten die Anschauung, daß dasselbe sehr viel schwerer zu desinfizieren sein würde als frisches Sputum und stellten zahlreiche Versuche mit den verschiedensten chemischen Mitteln an getrocknetem Sputum in Pulverform an. Indessen zeigte sich, daß das hierzu verwandte Material zu alt geworden war und auch bei Kontrollimpfungen zum Teil versagte, so daß die mit feuchtem und getrocknetem Material gewonnenen Ergebnisse nicht vergleichbar sind. Vor allem muß die unzulängliche Wirksamkeit des Sublimates auch für trockenes Material Das Grefsensanatorium bei Christiania. Zeitschrift für Tuber1901. Bd. 2. 4 COBNET, Die Tuberkulose. Wien 1899. S. 458. * BECK, Über die sanitäre Unzulässigkeit von mit Trockenmaterial gefällten Spuckkästchen. Wiener med. Wochenschrift. 1900. 1

kulose.

MJÖEN,

Die Beseitigung und Desinfektion des phlhisisehen Sputums

717

als nicht bewiesen erachtet werden. Andererseits brachten Versuche von JAEGER 1 eine Bestätigung der kräftigen Wirksamkeit der Karbolsäure. Derselbe tauchte an Seidenfäden angetrocknete Sputumoder ReiDkulturmassen in das Desinfiziens ein oder überstrich sie mit letzterem. Dabei konnte er mit einem Gemisch von 4proz. roher Karbolsäure und 2proz. Salzsäure Sputum, sowie mit 5proz. Karbolsäure Tuberkelbazillenreinkultur schon nach 5 Minuten abtöten. Sublimat wurde, wohl unter dem Eindruck der von SCHILL und FISCHER gemachten Erfahrungen, gar nicht geprüft; Chlorkalk (1:2 Wasser) hatte eine sehr unsichere Wirkung. Später wurden lOproz. Chlorkalklösungen von DELÜPINE und RANSOME 2 sehr warm empfohlen. Dieselben fanden, daß eingetrocknetes Sputum gänzlich desinfiziert wurde, wenn es in jene Lösungen eingetaucht oder 1 Minute lang wiederholt damit gebürstet wurde. Allein alle diese Versuche sind nicht imstande, darüber Auskunft zu geben, wie weit sie dem praktischen Bedürfnisse einer Taschentuch- oder Kleiderdesinfektion würden Eechnung tragen können. Weder für die einen noch für die anderen Objekte liegen praktische Versuche vor; man muß aber gewiß Anstand nehmen, die Ergebnisse der eben berichteten zumeist mit Seidenfäden angestellten Untersuchungen auf die genannten Objekte zu übertragen. Auch für die Desinfektion der Wohnung und ihre Einrichtungsgegenstände ist vielfach auf Grund derartiger Versuche eine Empfehlung des einen oder anderen Mittels versucht worden. So haben GERLACH 3 und SPENGLER 4 das Lysol, DEL&PINE und RANSOME Chlorkalklösungen zum Besprengen der Wände in die Praxis eingeführt wissen wollen. Ausgedehnte Versuche über die Desinfektion von angetrocknetem tuberkulösem Sputum mit Sublimat liegen aus neuerer Zeit von BOKDONI-TJEFREDUZZI 5 und OTTOLENGHI 6 vor. Ersterer tritt an der Hand zahlreicher Versuche, deren Originalbeschreibung mir leider nicht zugänglich war, nach OTTOLENGHI s Bericht dafür ein, daß man sich bei der Desinfektion tuberkulöser Wohnungen mit 1 J A E O E R , Untersuchungen über die Wirksamkeit verschiedener chemischer Desinfektionsmitrel bei kurzdauernder Einwirkung auf Infektionsstoffe. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. 5. 2 D E L £ P I N E et RANSOME, British med. Journal. Febr. 1895. S. 349. 3 A. a. O. 4 A. a. 0 . 5 B O R D O N I - U F F R E D U Z Z I , Archivio per le scienze mediche. (Cit. bei O T T O -

LENQHI a . 6

a.

0.)

Über die Desinfektion der tuberkulösen Sputa in WohnZeitschrift für Hygiene und Infekt. Bd. 35.

OTTOLENGHI,

räumen.

718

Franz

Steinitx

1 Promille Sublimatlösung nicht begnügen dürfe, sondern mindestens eine 3 Promille Lösung mit einem Zusatz von 5 Promille Salzsäure verwenden müsse, um gut erhaltene, wenig beschmutzte Wände und Fußböden sicher zu desinfizieren, während weniger gut erhaltene Flächen sogar eine Steigerung der Konzentration bis 7- bis 8 Promille nötig machen. OTTOLENGHI verfuhr bei Nachprüfung dieser Angaben so, daß er frisches Sputum mit einem sterilen Glasstabe auf weißes Papier ausbreitete und bei 15 bis 20° 8 bis 10 Tage trocknen ließ; dann schnitt er eine Probe aus und spritzte mit einem Spray das Desinfiziens so lange auf dieselbe, bis sie triefte und tropfte. Erst 24 Stunden später verimpfte er die im Dunkeln in einer Petrischale aufbewahrte Probe subkutan oder intraperitoneal auf Meerschweinchen. So fand er, daß 3 Promille Sublimatlösung, selbst wenn sie mit NaCl oder HCl versetzt war, völlig unwirksam gegen eingetrocknetes Sputum war. Dagegen erfolgte sichere Desinfektion bei Benutzung von 5 Promille Sublimatlösung (eventuell unter Zusatz von 10 Promille NaCl), 8 Promille Sublimatkochsalzlösung oder 7 • 5 Promille Sublimatlösung (unter Zusatz von 12-5Promille HCl). lOprozentiges Lysol desinfizierte angetrocknetes Sputum stets. lOprozentiges Formalin, das OTTOLENGHI angeregt durch eine Arbeit (JEHMICHENS, 1 der an sterilen glatten Holzbrettchen angetrocknetes tuberkulöses Sputum durch 5 Minuten lange Einwirkung von lprozentiger Formalinlösung desinfiziert hatte, prüfte, ergab von zwei Fällen nur einmal einen positiven Erfolg; Kalkmilch versagte ganz. Gegen die Yersuchsanordnung OTTOLENGHI s, der auf Grund seiner Resultate für die Praxis Sublimat empfiehlt, läßt sich einwenden, daß die Proben erst 24 Stunden nach Beschickung mit der Desinfektionsflüssigkeit verimpft wurden. Die tatsächliche Zeit der Desinfektionswirkung entzieht sich hierbei unserer Beurteilung. Würde man das OTTOLENGHI sehe Verfahren in die Praxis einführen, so müßte man nach diesen Versuchen nach Besprengung der Wände bzw. der infizierten Gegenstände noch 24 Stunden abwarten müssen, um eines sicheren Desinfektionseffektes gewiß zu sein. Abgesehen davon lassen die OTTOLENGHI sehen Resultate auch deshalb keinen Schluß auf die Verwertbarkeit der Methode in der Praxis zu, weil OTTOLENGHI nur gleichmäßig, noch dazu auf glattes Papier aus1

(JEHMICHEN, Beiträge zur Desinfektionslehre.

Gesundheitsamte.

1895. Bd. 11.

Arbeiten aus dem Kaiserl.

Die Beseitigung

und Desinfektion

des phthisischen

Sputums

719

gestrichenes Sputum in den Bereich seiner Versuche gezogen hatte, und weil ferner die gleichmäßige Befeuchtung der infizierten Flächen in der Praxis außerordentlich viel schwieriger gelingt als bei den in kleinem Maßstabe angeordneten Versuchen. Einen prinzipiellen Umschwung erfuhr die Wohnungsdesinfektion durch Einführung des gasförmigen F o r m a l d e h y d s . Formaldehyd •wurde auch auf seine Wirksamkeit gegen angetrocknetes tuberkulöses Sputum gelegentlich geprüft. So konstatierten W A L T E R , P F U H L , ARONSON,

VALAGUSSA, M Ö L L E R , V A I L L A R D u n d

LSMOINE,

FAIRBANKS

und F L Ü G G E 1 die Wirksamkeit des Formaldehydes gegenüber tuberkulösem Sputum, das an Seidenfäden, Glas-, Gaze-, Leinwand- oder Tuchstückchen angetrocknet war. Systematische Untersuchungen über die Desinfektion des tuberkulösen Sputums durch Formaldehyd liegen aber noch nicht vor; vor allem wissen wir nichts über seine Wirksamkeit gegenüber Sputum, das unter natürlichen Verhältnissen auf dem Fußboden eingetrocknet ist. Die noch ziemlich unzureichenden Erfahrungen auf dem Gebiete der Desinfektion tuberkulöser Sputa einerseits, die große Wichtigkeit derselben für eine energische Prophylaxe der Phthise andererseits ließen erneute systematische Untersuchungen über die Desinfektion des frischen, des an Wäsche angetrockneten und des in Wohnungen verstreuten tuberkulösen Sputums wünschenswert erscheinen. Über die Resultate derartiger von mir im Laufe des Jahres 1900 angestellten Versuche möchte ich im folgenden berichten. I. Desinfektion von frischem Sputum. In Anlehnung an die vorzüglichen Resultate, die T R A U G O T T 2 mit Jodtrichlorid gehabt hatte, begann ich meine Untersuchungen mit der Prüfung des Jodtrichlorids. a) D e s i n f e k t i o n von f r i s c h e m Sputum mit J o d t r i c h l o r i d . V e r s u c h I. Von einer 5 prozentigen Stammlösung von Jodtrichlorid wurden 1 prozentige, */, prozentige, 1 Promille und '/2 Promille Lösungen hergestellt und je 30 ccm derselben in je ein Becherglas gebracht. Hierauf wurde in jedes Gläschen ein ca. 3 ccm großer Ballen mäßig bazillenreiches eitriges Sputum hereingegossen und ohne Umrühren 2 Stunden lang offen im Zimmer stehen gelassen. Hierbei veränderte sich die 1 prozentige Lösung, indem sie sich stark trübte. 1 2

Siehe den umfassenden Literaturbericht in A. a. 0.

OTTOLENGHIS

Arbeit.

720

Franz Steinitx

Das Sputum sank zu Boden, verlor seine schleimige Beschaffenheit und bildete einen leicht verrührbaren Brei. Die 1 Promille Lösung trübte sich weniger stark. Auch in ihr sank das Sputum zu Boden, blieb aber geballt und behielt ihr Aussehen. Die 1 Promille Lösung trübte sich nur wenig. Das Sputum blieb geballt, wurde aber scheinbar koaguliert, während die '/s Promille Lösung weder selbst eine Veränderung erfuhr noch das Sputum sichtbar veränderte. Nach Ablauf von 2 Stunden wurde die 1 prozentige Lösung abgegossen, der zurückbleibende breiige Bodensatz mit sterilisiertem Wasser aufgeschwemmt und einem Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Gleich darauf, möglichst schnell hintereinander , wurde aus der 5 Promille, 1 Promille und '/i Promille Lösung je ein Sputumballen herausgefischt, unter Bouillonzusatz in sterilen Mörsern verrieben und gleichfalls intraperitoneal injiziert.

Das Ergebnis war, daß nur das Tier, welches mit Sputum aus der 1 prozentigen Lösung geimpft war, gesund blieb, während alle anderen an zumeist sehr schwerer Tuberkulose erkrankten, eines von ihnen sogar bereits nach 16 Tagen mit schweren Organveränderungen zugrunde ging. Der Mißerfolg dieses ersten Versuches mit stärkeren Verdünnungen legte den Gedanken nahe, nochmals stärkere, der wirksamen Konzentration näher liegende Lösungen zu versuchen und auch die Einwirkungsdauer zu steigern. Dies geschah im V e r s u c h II. Von der 5 prozentigen Stammlösung wurden 1 prozentige, Vi prozentige und 1 / t prozentige Lösungen hergestellt, je 2 Bechergläser mit 40 ccm derselben gefüllt, analog dem Versuch I , je 4 ccm Sputum in jedes Gläschen gegossen und ohne Umrühren stehen gelassen. Je 3 Gläser wurden nun 1 und 3 Stunden dem Desinfiziens ausgesetzt. Hierbei zeigte sich, daß, wie im Versuch I , die 1 prozentige Lösung sich stark trübte und das Sputum unter allmählichem Absinken und roter Verfärbung auf dem Boden des Gefäßes zerfasert und krümlig wurde. Bei der prozentigen Lösung waren die Veränderungen des Sputums ähnlich, nur daß noch einige schleimige Partikel zurückblieben, während in der 1 / 1 prozentigen Lösung die schleimige Beschaffenheit des Sputums bestehen blieb. Die weitere Verarbeitung wich insofern vom Versuch I etwas ab, als nach Ablauf der festgesetzten Zeit die desinfizierte Lösung aus den 3 Bechergläsem abgegossen und durch steriles Wasser ersetzt wurde. Erst nachdem dasselbe gewechselt war, wurde ein Sputumballen herausgefischt, in Bouillon verrieben und intraperitoneal verimpft.

Es ergab sieb, daß diesmal selbst die 1 prozentige Lösung bei 3stündiger Dauer zur Abtötung der allerdings ü b e r a u s zahlreichen Tuberkelbazillen n i c h t genügt hatte, sondern sämtliche Tiere des Versuchs teils spontan an Tuberkulose starben, teils nach ihrer Tötung mit Chloroform tuberkulöse Veränderungen aufwiesen. Dieses unerwartete ßesultat sollte durch einen im wesentlichen gleich angeordneten Versuch nochmals geprüft werden.

Die Beseitigung und Desinfektion

des phthisisehen

Sputums

721

V e r s u c h III. Wie früher wurden auch hier 3—4 ccm Sputum zu 40 ccm 1 prozentige, / t prozentige (2 Bechergläser) und lU prozentige Jodtrichloridlösung zugebracht und 1 Stunde (in der l / s prozent. Lösung 1 und 3 Stunden, in der Prozent. Lösung 3 Stunden) belassen. Auch hier wurde das Sputum, besonders in den Vi prozent. Lösung 3 Stunden) belassen. Auch hier wurde das Sputum, besonders in den hoch konzentrierten Lösungen, bräunlich und zerfiel in feinkörnige, bei der V« prozent. Lösung etwas gröbere, krümelige Massen. Dieselben wurden nach Ablauf der Desinfektionszeit mit sterilem Wasser ausgewaschen, und die feinpulverige Emulsion injiziert, während von den Bröckeln der prozentigen Lösung einige mit sterilem Wasser verrieben und dann verimpft wurden. l

Das Resultat des Versuchs war, daß das Sputum nur noch in der 1 / i prozentigen Lösung seine Virulenz bewahrt hatte und das geimpfte Tier infizierte, während alle übrigen Tiere gesund blieben. Das Gesamtergebnis der Desinfektionsversuche mit Jodtrichlorid ist demnach, daß seine Wirkung eine überaus unsichere ist, so zwar, daß gelegentlich 1/t prozentige Lösungen die Tuberkelbazillen nach einer Stunde abgetötet hatten, in einem anderen Falle aber selbst die 3 stündige Einwirkung einer 1 prozentigen Lösung dazu nicht ausreichend war. Daß Tbaugott in den oben berichteten Versuchen so gute Resultate mit Jodtrichlorid gehabt hatte, beruhte lediglich auf der innigen Durchmischung des Sputums mit dem Desinfiziens, mit welcher aber in der Praxis natürlich nicht zu rechnen ist

Ein anderes Mittel, welches angesichts der guten Verwendbarkeit in gasförmigem Zustande zum Zwecke der Zimmerdesinfektion auch zur Prüfung seiner Wirksamkeit in gelöstem Zustande anregte, war das Formalin. b) D e s i n f e k t i o n von f r i s c h e m . S p u t u m m i t F o r m a l i n . Aus dem käuflichen, 40 Prozent Formaldehyd enthaltenden Formalin (SCHEBINO) wurden durch Zusatz von destilliertem Wasser 10 prozentige und 2»5 prozentige Formalinlösungen ( = 4 prozentige und 1 prozentige Formaldehydlösungen) hergestellt und 2 Bechergläser mit je 40 ccm der 10 prozentigen Lösung, 3 Bechergläser mit der gleichen Menge der 2 • 5 prozentigen Lösung beschickt. Hierauf wurden in jedes Becherglas ca. 3 ccm eines überaus tuberkelbazillenreichen Sputums gebracht und in den beiden ersten Bechergläsern 1, bzw. 3, in den 3 letzten Bechergläsem 1, 2 und 3 Stunden ohne umzurühren belassen. Hierbei bekam das Sputum eine eigenartige, derbe Konsistenz, welche die Herausnahme von Sputumteilen nach Ablauf der betreffenden Zeit mit aus4-ft FLÜOOB, Tuberkulose

722

Franx, Steinilz

geglühter Pinzette ohne jede Schwierigkeit ermöglichte. Die herausgenommene Masse wurde sodann 1—2 mal in 20—30 ccm sterilen Wassers geschüttelt, mit steriler Bouillon in sterilem Mörser zu einer Emulsion verrieben und Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Dieselben vertrugen die Injektion im allgemeinen gut. Nur ein einziges Tier starb am 2. Tage nach der Injektion und wurde sogleich durch ein mit demselben Material (4 prozentiges Formaldehyd 3 Standen) geimpftes Tier ersetzt. Das Ergebnis war, daß sämtliche Tiere des Versuches tuberkulös wurden, demnach das Formalin selbst in hohen Konzentrationen und bei langer Einwirkung eine Abtötung nicht erzielen konnte. c) D e s i n f e k t i o n von f r i s c h e m Sputum mit K u p f e r s u l f a t . Das Kupfersulfat war schon von GBANCHEE und de GENNEB 1 geprüft und unbrauchbar gefunden. Da aber in den erwähnten Versuchen die Konzentrationen nur niedrige (5 prozentige Lösungen) waren, so erschien mir bei der Billigkeit und dien sonst guten Leistungen des Desinfiziens eine Wiederholung der Desinfektionsversuche mit höher konzentrierten Lösungen angebracht. Zu 40 ccm einer $0, 15 und 10 prozentigen Kupfersulfatlösupg wurden 3 g eines bazillenreichen Sputums gebracht und 6 Stunden stehen gelassen. Hierauf wurden Ballen aus der Lösung herausgefischt, mit sterilem Wasser möglichst sorgfältig abgewaschen, mit Bouillon verrührt und intraperitoneal Meerschweinchen injiziert. Dieselben starben '/t—1 Stunde nach der Injektion unter schwersten Intoxikationserscheinungen, so daß von weiteren Versuchen mit diesem Mittel Abstand genommen wurde. d) D e s i n f e k t i o n von f r i s c h e m Sputum mit Salzsäure. Versuch I. Aus der käuflichen 25 prozentigen Salzsäure vom spez. Gewicht 1 • 124 wurden 4, 2 '/»prozentige Lösungen hergestellt, je 40 ccm der ersten in ein Becherglas, der 2. und 3. Lösung in 2 Bechergläser gefüllt, mit 3—4 ccm sehr bazillenreichen Sputums beschickt und zum Teil eine, zum Teil 3 Stunden stehen gelassen. Hierbei wurde das Sputum faserig, krümelig und. sank fast ganz zu Boden. Nach Ablauf der beabsichtigten Einwirkungszeit wurde ein Sputumballen aus der Salzsäure in steriles Wasser überführt, und hier die saure Beaktion mit 1 prozentigem Ammoniak abgestumpft, so daß sie für Lackmus ungefähr neutral wurde. Hierauf wurde das Material in sterilem Mörser mit einer geringen Menge Bouillon verrieben und Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Sämtliche geimpfte Tiere wiesen nach ihrem, zumeist spontan erfolgenden Tode schwere tuberkulöse Veränderungen auf. 1

A. a. O.

Die Beseitigung und Desinfektion

des phihisisohen

Sputums

723

V e r s u c h IL Anordnung wie bei Versuch I unter Fortlassung der 4 prozentigen Lösung. Wiederum sämtliche Tiere tuberkulös. . V e r s u c h III. Unter Beibehaltung aller sonstigen Versuchsbedingungen kam eine 3 und 5 prozentige Lösung für je eine und drei Stunden, sowie eine 4 prozentige Lösung für 3 Stunden in Anwendung. D a s Ergebnis war, daß sämtliche Tiere mit Ausnahme desjenigen, dessen Impfmaterial der 3 stündigen Einwirkung der 5 prozentigen Lösung ausgesetzt gewesen war, tuberkulös wurden. V e r s u c h IV. Angesichts der außerordentlich geringen Desinfektionswirkung der Salzsäure wurde noch ein Versuch mit sehr starken Konzentrationen angestellt, und zwar mit 15, 12 und 9 prozentigen Lösungen; dieselben wirkten l 1 /. Stunden auf die Sputumballen ein, welche in der Flüssigkeit ihre Form behielten, beim Herausnehmen aber bröckelig zerfielen. Die 3 geimpften Tiere hatten k e i n e r l e i tuberkulöse Veränderungen. Erwies sich demnach die Salzsäure wenigstens in so hohen Konzentrationen als sicheres Desinfiziens, so sollte schließlich noch im S a l z s ä u r e v e r s u c h V geprüft werden, ob sich nicht vielleicht die Wirkung auch der niedrigen Konzentrationen d u r c h E r h i t z e n s t e i g e r n ließe. Zu diesem Zwecke wurden je 3 bis 4 ccm Sputum mit 40 ccm einer kochend heißen, 21/, und 5 prozentigen Salzsäure übergössen und 1 Stunde in der warmen Lösung belassen, um dann herausgenommen und in der gewöhnlichen Weise weiter verarbeitet zu werden. D a s Ergebnis war, daß die geimpften Tiere g e s u n d blieben. D a s Gesamtergebnis der Versuche mit reiner Salzsäure war demnach, daß eine sichere Abtötung entweder erst durch sehr hohe oder durch niedrige Konzentrationen in h e i ß e m Zustande erfolgt. D a schon SCHILL und FISCHEB eine starke Wirksamkeit des A l k o h o l s beobachtet hatten, so wurde in folgendem durch Z u s a t z v o n B r e n n s p i r i t u s geprüft, ob sich vielleicht eine Steigerung der desinfizierenden Kraft der bloßen Salzsäure erzielen ließe. e) D e s i n f e k t i o n v o n f r i s c h e m S p u t u m m i t s a l z s a u r e m A l k o h o l . V e r s u c h I. Wie gewöhnlich kamen reichlich 4 ccm des wenig geballten, fast nur aus Eiter bestehenden und zahlreiche Bazillen enthaltenden Sputums in je 40 ccm der Desinfektionsflüssigkeit, und zwar eines 2-5 prozentigen und 5 prozentigen salzsauren Alkohols vor. Derselbe wurde durch Vermischen von 10 bzw. 46*

724

Franz Steinitx

20 ccm der gewöhnlichen Salzsäure mit 90 bzw. 80 com Brennspiritus dargestellt. Damit keine allzu rasche Verdunstung eintrat, wurde das Bechergläschen mit einem Trichter bedeckt gehalten. Das Sputum sank sofort zu Boden und gerann. Nach der abgelaufenen Zeit (für die 2-5 prozentige Lösung 1 und 3 Stunden, für die 5 prozentige Lösung 1 und 2 Stunden) wurde das Desinfiziens abgegossen, die geronnenen Sputumflocken mit Wasser gewaschen und die Waschflüssigkeit für Lackmus neutralisiert. Hierauf wurde ein Teil der Flöckchen in der Reibschale mit steriler Bouillon sehr gründlich verrieben und intraperitoneal injiziert.

Das Ergebnis war, daß nur dasjenige Tier, dessen Impfmaterial der 3 stündigen Wirkung der 2 1 / 2 prozentigen Lösung ausgesetzt gewesen war, gesund blieb, während die drei anderen zuip Teil an schwerer Tuberkulose erkrankten. Zur Sicherung dieser Eesultate wurde der Versuch in genau gleicher Weise mit einem anderen Sputum wiederholt. II. D e s i n f e k t i o n s v e r s u c h mit s a l z s a u r e m A l k o h o l . Das Sputum war mäßig reich an Tuberkelbazillen, aber Behr geballt. Beim Einbringen in die Desinfektionsflüssigkeit sank es zwar auch unter, zeigte aber sonst relativ wenig makroskopische Veränderung. Die Bechergläser blieben offen stehen. Die weitere Behandlung des Materials geschah wie in -Versueh I.

Auch hier ergab sich, daß nur die 2-5 prozentige Lösung bei 3 stündiger Einwirkung eine Abtötung der Tuberkelbazillen herbei« geführt hatte. Von den drei anderen Tieren starb eins vorzeitig an Pseudotuberkulose, die beiden anderen wurden tuberkulös. Nachdem somit keines der bisher geprüften Desinfizienten zu einem recht befriedigenden Ergebnis geführt hatte, wurde unter dem Eindrucke der besseren Erfahrungen BOBDONI - UFFBEDÜZZIS 1 und OTTOLENGHIS2 nochmals die Desinfektion mit Sublimat versucht. Vor allem war zu prüfen, ob nicht das von SCHILL und FISCHEB gewählte Mischungsverhältnis von Sputum und Desinfiziens zu gleichen Teilen für die schlechten Ergebnisse verantwortlich zu machen war und für praktische Zwecke zweifellos zulässige, weit größere Zusätze von Sublimatlösung zu dem Sputum die gewünschten Erfolge hätten. Eine erneute Prüfung des Sublimates auf seine Wirksamkeit dem tuberkulösen Sputum gegenüber war um so mehr berechtigt, weil die SCHILL sehen und FISCHEB sehen Angaben über die Unbrauchbarkeit des Sublimates, die sich, ohne nachgeprüft zu werden, in der ganzen Tuberkulöseliteratur immer wieder vorfinden, nur auf einen ungenügenden Versuch gestützt sind. Die einzigen Autoren, die 1

A. a. O.

» A. a. 0 .

Die Beseitigung und Desinfektion

des phthisischen

Sputums

725

späterhin das Sublimat nachgeprüft haben, sind GRANCHEB und 1 Ihre Versuche waren so angestellt, daß 2 ccm Sputum mit 40 ccm 1 prozentiger Sublimatlösung innig gemischt und 24 Stunden stehen gelassen wurde. Alle Tiere starben vorzeitig; das eine Meerschweinchen, das die Injektion 6 Wochen überstanden hatte, zeigte keine tuberkulösen Veränderungen. DE GENNES.

f) D e s i n f e k t i o n von f r i s c h e m S p u t u m m i t S u b l i m a t . V e r s u c h I. Zu je 40 ccm einer frisch bereiteten 5 Promille und 3 Promille Sublimatkochsalzlösung wurden je 4 ccm sehr bazillenreichen Sputums zugebracht und 1'/» Stunden stehen gelassen. Hierauf wurde je ein Ballen herausgefischt, gründlich mit sterilem Wasser abgewaschen und nach Verreibung mit Bouillon intraperitoneal injiziert. Von den beiden geimpften Tieren blieb dasjenige, welches mit Sputum aus der 5 Promille Lösung geimpft war, gesund, das andere starb an schwerer Abdominaltuberkulose. "V e r s u c h II. Ballen desselben sehr bazillenreichen Sputums, welches in Versuch I benutzt worden war, wurden in gleicher Weise zu 40 ccm einer 10, 4, 2 und 1 Promille Süblimatkochsalzlösung zugesetzt. Infolge der dicken Konsistenz des Sputums kam mit Ausnahme der ersten Probe beim Ausgießen stets mehr als 4 ccm Sputum in die Desinfektionsflüssigkeit hinein, so daß das Verhältnis vom Sputum zur Sublimatlösung entschieden k l e i n e r wie 1 : 1 0 war. Einwirkungsdauer l 1 /, Stunden. Die weitere Verarbeitung des Materials geschah wie bei Versuch I. Das Ergebnis war, daB mit Ausnahme des zur 10 Promille Lösung gehörigen Tieres alle tuberkulös wurden. — Obschon dieses ungünstige Resultat in dem quantitativen Mißverhältnis zwischen Sputum und Desinfiziens seinen Grund haben konnte, so erschien doch die Nachprüfung mit längerer Einwirkungsdauer erwünscht. Dieser Forderung trug der nächste Versuch Bechnung. V e r s u c h III. In genau gleicher Weise wie bei Versuch I und I I wurden Sputumballen einer 5, 3 und 1 Promille Lösung auf 3 Stunden, einer 2 Promille Lösung auf 31/, Stunden und außerdem einer 1 pro mill. Lösung auf 6 Stunden ausgesetzt, wie stets verarbeitet und Tieren injiziert. Nur dasjenige Tier, welches mit dem 3 Stunden in der 1 Promille Lösung desinfizierten Sputum geimpft war, wurde tuberkulös. Alle anderen blieben gesund. 1

A. a. O.

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Franz Steinitx Versuch IV.

Wie in den eben beschriebenen Versuchen wurden Sputumballen (meist mehr 'wie 4 ccm, einmal sogar 7 ccm) zu 40 ccm einer 1, 2 und 5 Promille Sublimatkochsalzlösung zugesetzt und in der 1 pro mill. 5, 6 und 8 Stunden, in der 2 Promille 4 Stunden, in der 5 Promille 2 bis 3*/« Stunden belassen und dann wie früher weiter verarbeitet und verimpft. Es ergab sich, daß eine Abtötung der Tuberkelbazillen durch die 1 pro mill. Lösung nach 5 und 8 Stunden, sowie durch die 6 pro mill. Lösung nach 2 und 8»/, Stunden erfolgt war, während das Material aus der 1 pro mill. Lösupg (6 Standen Einwirkung) und aus der 2 pro mill. Lösung (4 Stunden Einwirkung) noch zum Teil starke und schnell anwachsende tuberkulöse Veränderungen erzeugte.

Das Gesamtergebnis der Sublimatkochsalzversuche ist demnach das, daß 5 pro mill. Sublimat bereits nach l J / 2 Stunden eine Abtötung bewirkt, während dieselbe bei 2 pro mill. Lösung erst nach 3 bis 5, bei 1 pro milL Lösung erst nach 6 bis 8 Stunden erfolgt Wie bei Salzsaure wurde nun auch bier der Versuch gemacht, die "Wirkung der niedrigen Konzentrationen durch Alkoholzusatz zu verstärken. g) D e s i n f e k t i o n v o » f r i s c h e m Sputum mit S u b l i m a t a l k o h o l . Von einer 4 prozentigen Sublimatkochsalzlösung werden 71/» und 2'/a ccm auf je 100 ccm mit Breimspiritus aufgefüllt, so daß 3 und 1 Promille Sublimatalkohollösungen entstehen. Von denselben werden je 2 Bechergläschen mit 40 ccm gefOllt, hierauf 3 bis 4 ccm Sputum zugesetzt und l 1 /, bzw. 3 Stunden darin belassen. Dasselbe koagulierte deutlich und konnte zur weiteren, wie stets erfolgenden Verarbeitung leicht aus dem Desinfiziens herausgehoben werden.

Von den 4 geimpften Tieren hatten die beiden Tiere, deren Impfmaterial nur Stunden dem Desinfiziens (3 und I pro mill.) ausgesetzt gewesen war, Tuberkulose, die beiden anderen blieben gesund. II. Desinfektion von sputumhaltigen Taschentüchern mittels chemischer Mittel. Die zu den Versuchen verwendeten Taschentücher wurden nach der Aufnahme des Sputums 1 bis 4 Tage liegen gelassen. Die einen enthielten daher völlig angetrocknetes, die anderen noch relativ feuchtes Sputum. Gerade durch die Verwendung dieser verschiedenen Stadien von Austrocknung sollten die wechselnden Verhältnisse der Praxis möglichst nachgeahmt werden.

Die Beseitigung

und Desinfektion

des phthisisehm

Sputums

727

a) V e r s u c h m i t J o d t r i c h l o r i d . Die Versuche wurden derart angestellt, daß Leinwandtücher von 20: 20 cm Größe mit frischem, bazillenreichem Sputum in einer Menge von ca. 2 ccm infiziert, zusammengeknüllt und vor Licht geschützt aufbewahrt wurden. Eins von ihnen wurde nach 24 Stunden, nach deren Ablauf das Sputum stark angetrocknet war, in 200 ccm einer 2-5 Promille Lösung von Jodtrichlorid gebracht und 31/« Stunden darin belassen. Hierbei färbte sich das Tuch violett, die mit Sputum beschmutzten Stellen safirangelb bis grünlich. DaTauf wurde eine beschmutzte Partie mit sterilem Spatel abgeschabt, mit Bouillon stark verrieben und einem Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Ein zweites Taschentuch kam nach 3 Tagen auf 3 1 /, Stunden in 1 Promille Jodtrichloridlösung, ein drittes, gleich altes, auf 1 Stunde in 2 pro mill., ein viertes, gleich altes, auf 4 Stunden in '/* Promille Jodtrichloridlösung. Die Menge derselben betrug nicht 200, sondern nur 150 ccm. Die weitere Verarbeitung nach Ablauf der Einwirkungszeit ging wie bei dem ersten Taschentuch vor sich. Zur Kontrolle wurde ein mit dem gleichen Sputum infiziertes Taschentuch 4 Tage nach der Infektion mit destilliertem Wasser abgespült und wie die desinfizierten Tücher weiter verarbeitet. D a s Ergebnis dieser Versuche war, daß nur die niedrigste Konzentration, nämlich die 0 - 5 pro mill. Lösung, trotz einer 4 ständigen Einwirkung zur Ahtötung der Bazillen nicht völlig genügt hatte, und das betreffende Tier an einer (nur wenig ausgebreiteten) Tuberkulose erkrankte; die 8 anderen Tiere blieben gesund, während das Kontrolltier an schwerster Abdominaltuberkulose nach 5 W o c h e n zugrunde ging. b) D e s i n f e k t i o n v o n s p u t u m h a l t i g e n T a s c h e n t ü c h e r n tnit F o r m a l i n . Aus der käuflichen 40 prozentigen Formalinlösung wurde eine 2'/i prozentige Lösung hergestellt und derselben 4 Taschentücher verschieden lange Zeit ausgesetzt, und zwar kam das erste, 3 Tage alte, auf 1 Stunde in 100 ccm der Lösung, das zweite, ebenso alte, auf 2 Stunden in die gleiche Menge, das dritte, nur einen Tag alte, auf 4Vi Stünden in 200 ccm, und das vierte, 2 Tage alte, auf 5 Stunden in die gleiche Menge der Lösung. Die weitere Behandlung und Gewinnung von Impfmaterial von dem völlig koagulierten Sputum geschah wie früher. D e r Erfolg war, daß nur dasjenige Tier tuberkulös wurde, dessen Taschentuch nur 1 Stunde lang der Desinfektionswirkung ausgesetzt gewesen war. Die 3 anderen Tiere blieben gesund. E s ergab sich also eine sehr viel stärkere Wirkung des F o r malins auf die sputumbeschmutzten, mäßig getrockneten Taschentücher wie auf frisches, frei in das Desinfektionsmittel übertragenes Sputum.

728 c) D e s i n f e k t i o n von s p u t u m b e s c h m u t z t e n T a s c h e n t ü c h e r n mitttels Sublimats. V e r s u c h I. 2 f r i s c h infizierte Taschentücher wurden auf 2 Stunden in je 200 com einer 3, bzw. 5 Promille Sublimatlösung gebracht, sowie ferner 14 Stunden alte Taschentücher auf 41/» Stunden in je 200 ccm einer 5, 3 und 1 Promille Lösung, und wie bei den früheren Versuchen weiter verarbeitet. Die mit dem desinfizierten Material geimpften 5 Tiere blieben sämtlich gesund, während ein Kontrolltier, das mit gleichfalls an einem Taschentuche angetrockneten Sputum geimpft worden war, an typischer Tuberkulose zugrunde ging. V e r s u c h IL 40 Stunden alte, infizierte Taschentücher wurden auf 41/, Stunden in je 200 ccm einer 6, 3 und 1 Promille Sublimatkochsalzlösung gelegt und in der gewöhnlichen Weise zur Injektion verwandt. Die 3 geimpften Tiere blieben gesund. V e r s u c h III. Vor 64 Stunden infizierte, im Dunkeln aufbewahrte Taschentücher worden auf 4'/ 4 Stunden in 200 ccm eineT 5, 3 und 1 Promille Sublimatkochsalzlösung gebracht und wie stets verarbeitet Keines der 8 geimpften Tiere wurde tuberkulös. V e r s u c h IV. Vor 91 Stunden infizierte Taschentücher wurden auf 41/» Stunden in 200 ccm einer 6, 3 und 1 Promille Lösung gelegt und das Sputum nach Verreibung mit Bouillon wie stets verimpt. Alle 8 Tiere blieben frei von Tuberkulose.

Die Versuche über die Desinfektion von mit tuberkulösem Sputum infizierten Taschentüchern ergeben, daß sowohl Jodtrichlorid wie Formaldehyd in Konzentrationen, die bei frischem Sputum unwirksam sind, einen genügenden Desinfektionseffekt haben. Die Superiorität des Sublimats ist aber absolut klar; für mit Sputum infizierte Wäsche scheint das Sublimat von ganz zuverlässiger Wirkung. III. Versuche über die Verwendbarkeit der gasformigen Formalin-Desinfektion für Kleider und Wohnungen von Phthisikern. Die Versuche wurden in einem 112 cbm großen, mit 3 großen Fenstern versehenen Zimmer angestellt, dessen Mobiliar aus einem großen, runden Keidel'schen Schachtofen, einem Regal, einem

Die Beseitigung und Desinfektion des phthisischen Sputums

729

Abzug, 2 langen Tischen, sowie dem früher und später für andere Arbeiten mit tuberkulösem Material benutzten großen Glaskasten nebst einem kleinen Tische zur Aufstellung von Stativen usw. bestand. Vor dem Versuche wurde der Abzug, sowie eine nach dem Korridor führende Ventilationsöffnung und die Tür abgedichtet, während auf eine Abdichtung der Fenster in den späteren Versuchen trotz ihrer Größe verzichtet wurde; da sich herausstellte, daß sie sehr gut schlössen. Als Testobjekte dienten aus Originaldielen geschnittene Holzbrettchen von 1 cm Dicke und 6 x 4 cm Größe, Dieselben wurden zunächst im strömenden Dampf l 1 ^ Stunde sterilisiert und hierauf von einem phthisischen Patienten in meiner Gegenwart bespuckt. Daß ich hierzu stets Personen mit sehr bazillenreichem Auswurf wählte, brauche ich kaum besonders hervorzuheben. Da sich in den späteren Versuchen zuweilen die Patienten weigerten, die Brettchen zu bespucken, so wurde dann das Bespucken dadurch nachgeahmt, daß große, mit einer Pincette aus dem frischen Sputum herausgehobene Ballen auf die Brettchen fallen gelassen wurden. Die auf den exponierten Objekten abgesetzten Sputumballen waren zumeist 2 bis 3 mm hoch, dickschleimig und wurden bis zur Verwendung sorgfältig vor einer Zerstörung ihrer einheitlichen Struktur gehütet. Nach 24 stündiger, bei warmem Wetter oft schon nach 6 bis 9 stündiger Aufbewahrung bei Zimmertemperatur waren sie auf den Brettchen zu einer dünnen Kruste angetrocknet, so daß auch beim Hantieren mit ihnen nichts mehr abfloß. Ein längeres Warten um weitere 24 Stunden änderte an der Beschaffenheit d«r Proben nichts Wesentliches. Außer den 24 und 48 Stunden Alten Testproben wurden aber auch in 2 Versuchen noch ältere, 4 bis 10 Tage getrocknete Brettchen benutzt, sowie in Versuch I 2 Brettchen mit ganz frischem Sputum. Ganz frische Sputa wurden absichtlich nicht (außer in Versuch I) zu den Versuchen verwendet, weil eine praktische Zimmerdesinfekti'oy so gut wie nie mit diesen zu rechnen hat. Auch eine übermäßige künstliche Steigerung der Schichten von angetrocknetem Sputum brauchte im Grunde nicht berücksichtigt zu werden. Wo derartige Verhältnisse ausnahmsweise vorliegen, müssen sie dem Desinfektor in's Auge fallen, und die Instruktion weist ihn an, „grob beschmutzte Stellen des Fußbodens reichlich mit Sublimatlösung zu befeuchten". Trotzdem wurde in den Versuchen mit angetrocknetem Sputum die Grenze der Schichtdecke sehr weit gewählt, weil es von Interesse war, festzustellen, inwieweit noch eine Gasdesinfektion als wirksam anzusehen ist und von welcher Grenze

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Franz

Steinitz

ab diese versagt und durch Behandlung mit flüssigem Desinfiziens ersetzt werden muß. Nach Ablauf der Eintrocknungsfrist wurden die Brettchen frei an verschiedenen Stellen des Zimmers ausgelegt und der Wirkung der Formalindämpfe ausgesetzt. Dieselben wurden von außen durch das Schlüsselloch mittels des Breslauer Apparates entwickelt und zwar in sogenannter doppelter Konzentration, d. h. in einer Menge von 5 grm Formaldehyd pro Kubikmeter. Die Einwirkungsdauer betrug danach in den ersten Versuchen nur 3 bis 4 Stunden, in den späteren länger, biß 7 Stunden. Hierauf erfolgte die Desodorisierung mit der entsprechenden Menge Ammonik und. schließlich die Herausnahme der Proben. Dieselben hatten jetzt zumeist eine festere Konsistenz wie vorher, so daß die ganze Schicht mit dem Messer schneidbar war. Die Verarbeitung geschah möglichst bald, und zwar in der Weise, daß die Holzstückchen mit Bouillon übergössen, die Sputum8chicht etwas erweicht und in der Flüssigkeit mit einem sterilen Messer abgekratzt wurde. Nachdem die so gewonnene Masse im sterilen Mörser möglichst fein zeririeben war, wurde sie in sterile Spritzen mit breiten Öffnungen eingesogen und Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Dieselben hielten den Eingriff gut aus. Wofern sie im Verlaufe von 8 Wochen nicht spontan starben, wurden sie mit Chloroform getötet, sorgfältig seziert und verdächtige Organveränderungen durch den Nachweis von Tuberkelbazillen sichergestellt. Gleichzeitig mit dem desinfizierten Material gelangten auch im übrigen ganz gleichgewonnene und behandelte Holzbrettchen zur Verarbeitung und Verimpfang auf Kontrolltiere. In dieser Weis6' wurden 7 Versuche angestellt, deren genauere Beschreibung ich nun folgen lasse. Versuch I. 4. IV. 1900. Eine Anzahl Brettchen worden von einem Patienten mit sehr bazillenreichem Sputum bespuckt und 24 Stunden bei Zimnfertemperatur getrocknet. Außerdem wurden noch einige Brettchen kurz vor dem Versuche bespuckt. Nach Abdichtung von Abzug und Ventilationsöfinung wurden folgende Proben ausgelegt: 1. Brettchen, 24 Stunden alt, vertikal in der SW-Zimmerecke; 2. Brettchen, 24 Stunden alt, vertikal in der SO-Ecke; 8. Brettchen, 24 Stunden alt, horizontal in der Mitte des Zimmerbodens; 4. Brettchen, frisch bespuckt, vertikal in der SO-Ecke; 5. Brettchen, frisch bespuckt, horizontal in der Mitte des Zimmerbodens. 5 g Formaldehyd pro Kubikmeter. Einwirkungsdauer 3 Stunden. Von den mit dem abgeschabten und in Bouillon aufgeschwemmten Material geimpften 5 Meerschweinchen starben 8 an einer unglücklicher Weise auftretenden Epidemie von Pfeifferscher Pseudotuberkulose, ohne daß irgend ein An-

Die Beseitigung und Desinfektion des phthisisehm

Sputums

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halt für eine gleichzeitige Infektion mit echter Tuberkulose gewonnen werden konnte. Von den 3 anderen blieb das zu Probe 2 gehörige Tier gesund, während das andere, zu Probe 5 gehörige Tier tuberkulöse Veränderungen an der Impfstelle und den Abdominalorganen aufwies. V e r s u c h II.

3. V. 1900.

Reichlich bespuckte Brettchen, zum Teil 48 Stunden, zum Teil 24 Stunden getrocknet. Die Aufstellung der Brettchen war folgende: 1. Brettchen, 48 Stunden alt, horizontal in der SW-Ecke; 2. Brettchen, 24 Stunden alt, horizontal auf dem Fußboden am Begal; 3. Brettchen, 48 Stunden alt, horizontal am Regal auf dem Fußboden; 4. Brettchen, 24 Stunden alt, horizontal neben dem Tisch an der S W a n d ; 5. Brettchen, 48 Stunden alt, horizontal vor dem Kohr in der SO-Ecke; 6. Brettchen, 24 Stunden alt, horizontal auf dem Fußboden. Außerdem wurde 7. ein frischer Sputumballen 22 Stunden vor dem Versuch an den unteren Zimmerbord und anliegenden Ölanstrich aufgestrichen und der Desinfektion ausgesetzt. — Abdichtung von Abzog, Ventilationsöffimng und T ü r ( n i c h t der Fenster). 5 g Formaldehyd pro Kubikmeter. Einwirkungsdauer 3 ' / j Stunden. Die mit dem abgeschabten Sputum geimpften Tiere blieben mit Ausnahme eines einzigen gesund. Dasselbe gehörte zur Probe 4, einem 24 Stunden alten, horizontal auf dem Fußboden gelagerten Brettchen. V e r s u c h III.

18. V. 1900.

Reichlich zum Teil vor 7, zum Teil vor 4 Tagen bespuckte Brettchen. Die Sputumschicht war bei sämtlichen Brettchen s e h r h o c h , das Sputum selbst eitrig geballt; es enthielt so viele Bazillen) daß man in einem Ausstrich Reinkultur vor sich zu haben meinte. E s wurden ausgelegt:. 1. Brettchen, 7 Tage alt, horizontal in der S W - E c k e ; 2. Brettehen, 7 Tage alt, horizontal auf dem Fußboden neben einem großen im Zimmer stehenden Glaskasten; 3. Brettchen, 4 T a g e alt, horizontal auf dem Tisch an der S-Seite; 4. Brettchen, 4 Tage alt, horizontal neben dem Ofen auf dem Fußboden; 5. Brettchen, 4 Tage alt, horizontal auf dem F u ß b o d e n ; 6. Brettchen, 4 Tage alt, horizontal in der SO-Ecke hinter dem Rohr; 7. Brettchen, 4 Tage alt, horizontal auf dem Fußboden an der N-Wand. — A b d i c h t u n g der Tür, des Abzugs, der Ventilationsöffhung. 5 g Formaldehyd pro Kubikmeter. Einwirkungsdauer 31/» Stunden. Sämtliche, mit dem abgeschabten Material geimpfte Tiere wurden hochgradig tuberkulös. V e r s u c h IV.

1. VI. 1900.

Mit demselben Sputum beschickte, 10 Tage getrocknete Brettchen. D a s Sputum ist zu einer dicken gelblichen, zusammenhängenden Kruste eingetrocknet. D i e ' Brettchen wurden folgendermaßen ausgelegt: 1. horizontal auf dem Fußboden in der Nähe des Ofens; 2. horizontal in der von Tisch und Südwand gebildeten Ecke; 3. in der von Türrahmen und unterem Zimmerbord gebildeten Ecke; 4. horizontal auf dem Boden des erwähnten Glaskastens, dessen T ü r e n geöffnet waren; 5. horizontal in der S-Ecke hinter dem Rohr; 6. horizontal unter einem Rohr an der N-Wand, 10 cm über dem Fußboden. — Abdichtung

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Franz Steinitz

von Abzug, Ventilationsöfinung und Tür. Formaldehydmenge wie oben. Einwirkungsdauer 3'/«. Stunden. Sämtliche Tiere, mit Ausnahme des zu Probe 1 gehörigen, bei dem eine größere Menge des Impfmaterials bei der Injektion verloren ging, wiesen zum Teil schwere tuberkulöse Veränderungen der Abdominalorgane auf. V e r s u c h V. 23. VII. 1900. Mit Sputumballen beschickte, 24 Stunden getrocknete Brettchen. Die in frischem Zustande über 3 mm dicke Schicht ist nach der Trocknung dünner, als in den beiden vorigen Versuchen. Die Verteilung dpr Brettchen war folgende: 1. horizontal in der SW-Ecke; 2. in der von Regal und W-Wand gebildeten Ecke; 3. horizontal auf dem Fußboden zwischen Ofen und Regal; 4. in der von Türrahmen und unterem Zimmerbord gebildeten Ecke, 10 cm über dem Fußboden; 5. horizontal auf dem Fußboden in der Zimmermitte; 6. horizontal in der SO-Ecke hinter dem Rohr; .7. horizontal auf dem Fußboden. — Abdichtung von Tür, Ventilationsöfinung und Abzug. Formaldehydmenge wie oben. Einwirkungsdauer 7 Stunden. Von den 7 mit dem abgeschabten Sputummaterial geimpften Tieren blieben nur die zu Probe 2, 8, 5 und 7 gehörigen Tiere gesund , die anderen 3 erkrankten an Abdominaltuberkulose. Die betreffenden Brettchen lagen sämtlich an schwer zugänglichen Stellen. V e r s u c h VI. 26. VII. 1900. Mit sehr tuberkelbazillenreichem Sputum beschickte, 24 Stunden getrocknete Brettchen. Dicke der Sputumscbicht in frischem Zustande ca. 2 mm. Die Auslegung der Brettchen war folgende: 1. horizontal in der SW-Ecke; 2. horizontal auf dem Fußboden, fast in der Zimmermitte; 3. horizontal auf dem Fußboden neben dem Glaskasten; 4. horizontal in der von Türrahmen und unterem Zimmerbord gebildeten Ecke; 5. in der SO-Ecke hinter dem Rohre; 6. horizontal an der Nordwand; 7. horizontal zwischen N-Wand und. Ofen. — Abdichtung: Tür, Ventilationsöfinung, Abzug. Formaldehydmenge wie oben. Einwirkungsdauer 5 Stunden. Sämtliche geimpften Tiere blieben gesund. V e r s u c h VII. 4. VHI. 1900. Mit bazillenreichen Sputumballen beschickte Brettchen. Frische Sputumschicht, 2 mm dick, nach 23 Stunden zu ganz dünner Schicht zusammengetrocknet Die Aufstellung der Brettchen erfolgt folgendermaßen: 1. horizontal in der NW-Ecke hipter dem Ofen; 2. horizontal in der von Schrank und S-Wand gebildeten Ecke; 3. horizontal an der Nordwand; 4. horizontal in dem Winkel zwischen Wand und zurückgeschlagener Tür des Glaskastens; 5. horizontal auf dem Fußboden am Schrank an der Ostwand; 6. horizontal im Regal; 7. horizontal hinter dem Rohr in der SO-Ecke. — Abdichtung von Tür, Abzug und Ventilationsöfinung, n i c h t der Fenster. Doppelte Konzentration. Einwirkungsdauer 4s / 4 Stunden. Von sämtlichen geimpften Tieren wurde kein einziges tuberkulös.

Die Beseitigung und Desinfektion

des phihisischen

Sputums

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Die Resultate der Desinfektion tuberkulösen Sputums mit Formaldehyd sind ziemlich ungleichmäßige. Immerhin genügen sie, um Schlüsse über ihre Verwertung zu gestatten. Wiederholt waren die Erfolge gegenüber dickeren angetrockneten Sputumschichten mangelhaft. In diesen Fällen lagen die abnorm dicken Krusten den Brettchen nicht glatt an, sondern hoben sich vielfach blasig von denselben ab. Derartig dicke, feste Schichten vermag aber der Formaldehyd in Gasform offenbar nicht zu durchdringen. Von Bedeutung ist dabei wohl auch die schwierige Durchfeuchtung. SPENGLER 1 hat konstatiert, daß Desinfektion von Sputum nur dann eintritt, wenn es den nötigen Feuchtigkeitsgehalt aufweist, daß sie bei trockenem Sputum also nicht erfolgt, selbst wenn neben dem Formalin genügende Wassermengen verdampft werden. Es ist daher zweckmäßig, die Verdampfung von Wasser besonders reichlich vor sich gehen zu lassen, ferner auch die Einwirkungsdauer zu verlängern, um Zeit zur Durchfeuchtung der Krusten mit Kondenswasser zu gewähren. Schließlich könnte sogar ein vorheriges Anfeuchten des Fußbodens mit Wasser in Frage kommen. Dies alles gilt aber nur für starke, deutlich sichtbare, angetrocknete Sputumschichten; und diese sind, wie schon hervorgehoben, durch reichliches Übergießen mit Sublimatlösung vor Beginn der Formalindesinfektion speziell zu desinfizieren. Was dann im Zimmer noch verbleibt, sind sicher nur dünne, angetrocknete Massen, verwischte Reste von Sputum an Wänden, Möbeln, Stoffen, Reste, die von der Reinigung zurückbleiben, tuberkelbazillenhaltiger Staub u. dgl. m. Diese, dem bloßen Auge sich entziehenden Massen werden nach meinen Versuchen sämtlich sicher durch Formaldehyd desinfiziert, und demnach kann auch für Fälle von Phthise die praktische Wohnungsdesinfektion mittels Formaldehyd dringend empfohlen werden. Im vorstehenden konnte ich den Nachweis führen, daß nur Sputumteile, welche in Taschentüchern aufgenommen und teilweise angetrocknet sind, sowie solche, welche in nicht grob sichtbaren, trockenen Schichten an Teilen der Wohnung haften, sicher und relativ leicht desinfiziert werden können, daß es dagegen sehr schwierig ist, frische Sputumassen mit Hilfe von chemischen SPENGLER, Unter welchen Voraussetzungen desinfizieren Formalindämpfe? Zentralblatt für Bakteriologie. 1900. Bd. 28. 1

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Desinfizientien unschädlich zu machen. Hier muß also womöglich eine Vernichtung durch Hitzeeinwirkung und eine derartige Aufsammlung des Sputums versucht werden, daß die Hitze sich leicht applizieren läßt. Zur Aufnahme des Sputums dienen Spucknäpfe, S p e i g l ä s e r o4er Spuckflaschen und Taschentücher. a) Spucknäpfe. Die Industrie hat sich schon seit längerer Zeit der Frage der Spucknäpfe zugewandt und eine Beihe mehr oder weniger sinnreicher , Konstruktionen auf den Markt gebracht Dieselben sind aber meist kompliziert eingerichtet und teuer (z. B. der Hochspucknapf -von Dr. NCK. HANICKA, der hygienische Spucknapf von WEINBEBGEB, von M. CLEMENS CHBIST D.R.G. 9 6 9 1 3 und viele andere). Wir müssen uns hier auf den Standpunkt stellen, den COBNET in seinem Lehrbuche „Die Tuberkulose" vertritt; lediglich einfache, möglichst große Glas- oder Porzellanschalen mit hohem Bande, die event. zur Vermeidung des Ausleckens seitens Tiefen mit einem flachen Trichtereinsatz zu versehen sind, können praktisch in Frage kommen. Hingegen können wir keineswegs eine Füllung derselben mit Wasser gut heißen. Die Gefahren eines Verspritzens oder Verschüttens des Sputums beim Beinigen der Spucknäpfe sind zu groß; überdies bietet das Absterben der Tuberkelbazillen in den Abwässern keine Sicherheit, worauf schon VON WEISMAYB aufmerksam gemacht hat, und was die schon erwähnten Untersuchungen von MÜSEHOLD und MoBLLer zur Genüge dargetan haben. Es ist demnach die Füllung der Spucknäpfe mit einer wirksamen Desinfektionsflüssigkeit wünschenswert; als solche eignet sich nach meinen Versuchen am besten eine 1 bis 3 pro mill. Subliinatlösung, die aber auch erst nach 3- bis 6-stündiger Einwirkung volle Abtötung leistet, und es daher erforderlich machtf daß der Spucknapf nach beendeter Benutzung noch längere Zeit unter der Einwirkung des Sublimats bleibt Mit Bücksicht auf diese Komplikation und auf die Giftigkeit des Sublimats wird man in zahlreichen praktischen Fällen von der chemischen Desinfektion absehen müssen. — Erhitzen der Spucknäpfe in Wasser oder Damf ist, wie oben schon ausgeführt wurde, in Privatwohnungen und namentlich in ärmeren Kreisen, nicht durchführbar. Wir werden daher immer wieder zu Versuchen mit verbrennbaren Spucknäpfen gedrängt

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Solche sind bereits verschiedentlich in Handel gebracht, z. ß. Spucknäpfe von Papiermache, in verschiedenster Ausführung, von 2 L Ö W I T & Co. (nach v. SCHRÖTER, 1 V. WEISMAYR). Sehr hübsch ist 3 die Ausführung der von M J Ö E N empfohlenen Spucknäpfe; dieselben sind zur besseren Undurchlässigkeit mit einem harten Lack überzogen. Die Anforderungen an solche Näpfe lassen sich folgendermaßen präzisieren: 1. Sie sollen einen Querdurchschnitt von nicht mehr als 19 bis 20 cm haben, weil sie sonst in die Feuerung der gewöhnlichen Ofen nicht hineinpassen. Der Durchmesser soll aber auch nicht wesentlich geringer sein, damit ein Danebenspucken vermieden wird. 2. Das Material darf unter dem Einfluß des Sputums und selbst des Wassers für mindestens 3 Tage nicht weich und durchlässig werden. Dies ist offenbar durch Bestreichen der äußeren Fläche mit hartem Lack leicht zu erreichen und bei dem von MJÖEN angegebenen schon ausgeführt. 3. Um die Annäherung von Hunden und Katzen zu hindern, ist eine Imprägnierung mit Earbol u. dgl. unter Umständen wünschenswert. 4. Die Verbrennung wird erleichtert, wenn die Innenfläche mit harzigen Substanzen überzogen ist, während die äußere Lackschicht zweckmäßig schwer verbrennlich hergestellt wird. Spucknäpfe, die allen diesen Anforderungen entsprechen, werden von der Firma F I N G E R H U T & Co. in Breslau fiir den Preis von 3 1 / a Pfg. pro Stück fabriziert. Dieser Preis ist geringer als die Ausgabe für irgend eine Desinfektion, sei es mit chemischen Desinflzientien, sei es durch Kochen. Zur Füllung der verbrennbaren Spucknäpfe kann natürlich nicht eine größere Flüssigkeitsmenge benutzt werden. Wohl aber ist feuchtes, poröses Material noch brauchbar, und selbst das Vorhandensein einer dünnen Schicht Flüssigkeit ermöglicht noch die Verbrennung, wenn man vor dem Einsetzen in den Ofen einen Löffel Petroleum aufgießt. — Die obfen genannte Firma liefert Spucknäpfe mit leicht anzufeuchtenden Einlagen, die aber auch sehr wohl z. B. durch feuchten Kaffeesatz oder feuchte Sägespäne vertreten werden können. Aber auch trockene Füllung mit feiner Holzwolle (PRAUSSNITZ),* Torfmull (v. WEISMAYR),5 Sägespänen oder, trockenem Kaffeesatz ist durchaus empfehlenswert Wiederholt sind zwar Bedenken geäußert gegen dieses „stäubende" Füllmaterial. Es ist aber leicht, es nicht 1

A. a. 0.

• A. a. 0.

* A. a. 0.

PRAUSSNITZ, Die Verwendung der Holzwolle (Packwolle) als Füllmaterial für Spucknäpfe. Münchener med. Wochenschrift. 1891. 4

5

A. a. 0.

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vollkommen staubtrocken werden zu lassen; in benutzten Spucknäpfen geschieht dies schon durch Sputum selbst. Was aber beim Anstoßen oder beim Hineinspucken aus trockenem Füllmaterial verstäubt, das sind sicher keine mit Sputum und Tuberkelbazillen beladene Staubteilchen. Diese bilden sich nach COBNETS und FLÜGGES Versuchen erst bei völliger Austrocknung und außerdem intensiver mechanischer Bearbeitung durch Treten, Reiben usw. Bei einer Magazinierung des Sputums in ruhig stehenden Spucknäpfen ist eine solche Ablösung oder ein Transport von tuberkelbazillenhaltigen Stäubchen zweifellos ausgeschlossen. Vielleicht läßt sich einmal im Experiment die Anordnung so treffen, daß doch einmal ein Sputumteilchen die Bänder des Spucknapfes überschreitet; wolle man doch aus einem solchen Kuriosum nicht einen ernsten Einwand entnehmen, wo sich unvermeidlich und immer so manche Tuberkelbazillen auch unseren sorgfältigsten prophylaktischen Maßnahmen entziehen! — Für ganz unzulässig halte ich Einwendungen auf Grund von Versuchen, wie sie letzthin 1 BECK veröffentlicht hat. Derselbe brachte Sputum in mit feinem Streusand gefüllte Spucknäpfe, nahm nach einer gewissen Zeit die Sputum sandklumpen aus dem Spucknapf heraus, legte sie auf eine blanke Metallplatte und versuchte nun, ob sich beim. Anblasen mittels Blasebälgen makroskopisch sichtbare Partikel von den Ballen loslösten. Die Beobachtung, daß dies schon nach einer Eintrocknungsdauer von 2 4 Stunden gelang, genügte BECK ZU dem Schlüsse, daß die Gefahr der Verstaubung infektiösen Materials aus trocken gefüllten Spucknäpfen und damit die Möglichkeit weiterer Infektionen sehr groß sei Allein diese Behauptung entbehrt jedes sicheren Beweises. Zunächst wird zweifellos die künstliche Entfernung der Klumpen aus der übrigen Sandmasse eine Lockerung ihrer peripheren Schichten herbeifuhren und eine Loslösung von Teilchen begünstigen. Sodann ist aber nicht der mindeste Anhalt dafür erbracht, daß die abgelösten Partikel nicht nur Sandteilchen, sondern sputumhaltige Stäubchen waren, daß sie lebende Tuberkelbazillen mit sich führten und eine leichte Flugfähigkeit besaßen. Schließlich fehlen aber auch alle genaueren Angaben über die Geschwindigkeit der verwandten Luftströme, über deren Querschnitt, sowie über den Winkel, unter welchem dieselben auf die Sandklumpen wirkten. Die mit trockenem oder feuchtem Material gefüllten verbrennbaren Spucknäpfe scheinen mir demnach vor allen übrigen weitaus ' A. a. ö.

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den Vorzug zu verdienen. Auf diese Weise beseitigen wir das Sputum am gründlichsten; derjenige, der die Verbrennung besorgt, setzt sieb keiner Beschmutzung aus, die Manipulation ist mit dem geringsten Zeitaufwand erledigt, und die Kosten sind niedriger, als bei jedem anderen rationellen Verfahren. Die Beschaffung dieser Spucknäpfe sollte daher durch zahlreiche Verkaufsstellen und durch öffentliche Empfehlungen möglichst erleichtert werden. b) S p u c k f l ä s c h c h e n . Eine in Krankenhäusern untergeordnete, bei ambulanten Patienten um so wichtigere Rolle in der Prophylaxe der Phthise spielen die zuerst von DETTWEILEB eingeführten Spuckfläschchen.

Das

DETT-

WEILEB sehe Fläschchen hat ebenso wie die späterhin modifizierten Fläschchen von LIEBE1 und AXMANN2 den Fehler einer ungenügenden Desinfektionsmöglichkeit. Denn die zur Desinfektion allein tauglichen Sublimatlösungen erfordern zu lange Einwirkungsdauer und greifen die bei allen Fläschchen vorhandenen Metallteile an; andererseits kann auch ein Auskochen wegen des dicken Glases nicht immer riskiert werden. Zwar ist bei dem AXMANN sehen Fläschchen ein Auskochen möglich, nachdem der Metalldeckel und Ring entfernt sind; doch sind hierzu, wie LIEBE3 mit Recht betont, beide Hände nötig und ein Beschmutzen derselben ist kaum venneidlich. Als einen Fortschritt müssen wir das von PETIT angegebene aus Nickel konstruierte Fläschchen, das aber wegen des hohen Preises (8 Mk.) keine allgemeine Verbreitung finden wird, und das aus Aluminium bestehende KNOPF sehe Fläschchen bezeichnen. Dasselbe ist billiger (das Stück kostet etwa 5 ML), hübsch ausgeführt und kann, da es ganz aus Metall besteht, unbedenklich ausgekocht werden. Eine ausgedehnte Verbreitung desselben scheint mir ein wesentlicher Fortschritt der Sputumdesinfektion für die Fälle zu sein, wo überhaupt Spuckfläschchen anwendbar sind. In sehr vielen Fällen sind aber Spuckfläschchen ausgeschlossen. Nur in Lungenheilanstalten und an Kurorten für Phthisiker können sie auf Anordnung der Ärzte eine gewisse Verbreitung erlangen. Beim Fehlen einer steten Überwachung und sfraffen Disziplin werden sie nur Zeitschrift für Krankenpflege. 1898. Nr. 4. Eine neue sterilisierbare „aseptische" Flasche für den Auswurf. Deutsche med. Wochenschrift. 1900. Nr. 12. * L I E B E , Kritische Bemerkung zu dem vorstehenden Aufsatz AXMANNs. Ebenda. 1900. Nr. 19. 1

LIEBE,

» AXMANN,

FLÜGGE, Tuberkulose

47

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Franz

Steinitx

selten benutzt, weil diese Behandlung des Sputums dem Patienten selbst unappetitlich ist und bei seiner Umgebung leicht Anstoß erregt. Außerdem ist es unvermeidlich, daß Teile des Sputums häufig am äußeren Rande des Fläschchens hängen bleiben, und daß dadurch die Hände, Taschen und sonstige Teile der Kleidung beschmutzt werden. Eine Ergänzung oder besser ein Ersatz der Spuckfläschchen ist daher für die große Mehrzahl der praktisch in Betracht kommenden Fälle von Phthise entschieden wünschenswert c) Taschentücher. Die Aufnahme des Sputums in das Taschentuch ist von COBNET als ein gefährliches, allgemein zu verbietendes Verfahren bezeichnet worden, weil „das im Taschentuch enthaltene Sputum auch unter gewöhnlichen Verhältnissen schon in wenigen Stunden in einen vollkommen infektionstüchtigen Pulverzustand übergeführt sein kann" und . . . „einzelne von den vielen Millionen Bazillen von so feinen Staubteilchen eingeschlossen und getragen sein werden, daß sie auch in die engsten Luftwege eindringen können . . ." Allein C O B N E T hat diese Gefahr entschieden überschätzt Die Versuche von STIOHEH, BENENDE und H E Y M A N N haben gezeigt, daß die Möglichkeit der Ablösung feiner tuberkelbazillenhaltiger Faseln erst dann in Betracht kommt, wenn das Taschentuch mehr als einen Tag in der Tasche getragen wird und namentlich, wenn es nur geringe Mengen Sputum enthält Achtet man also auf häufige Erneuerung des Taschentuches, so ist die Aufnahme von Sputum in dasselbe wohl zulässig. Da das Taschentuch nebenbei am angenehmsten und unauffälligsten ist* so sollte es keinesfalls völlig verboten werden. Noch ein Umstand aber ist zu berücksichtigten, der die Entleerung des Sputums in das Taschentuch geradezu nahelegt: Die Sputumreste, welche unvermeidlich an den Lippen und dem Bart hängen bleiben, werden stets in das Taschentuch abgewischt. Gerade diese, meist dünn verstrichenen Schichten aber sind es, welche am leichtesten eintrocknen und zur Bildung höchst flugfähiger, infektiöser Staubfäserchen geeignet sind. Wenn wir also die Aufnahme des Sputums selbst in das Taschentuch verbieten und, wie es unabweisbar ist, lediglich zum Abwischen der Sputumreste zulassen, so vermeiden wir die Gefahr ganz gewiß nicht, ja wir verringern sie nicht einmal. Es ist demnach durchaus wünschenswert, daß das Verbot der Expektoration in das Taschentuch völlig fallen gelassen wird; das

Die Beseitigung und, Desinfektion des phthisischm Sputums

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Taschentuch darf entschieden zur Aufnahme des Sputums benutzt werden. Wenn dies aber gestattet wird, so muß schärfer denn je betont werden, daß das Taschentuch womöglich nur 12 Stunden, eventuell kürzere Zeit gebraucht wird. Ferner muß für eine zweckmäßige, sichere Desinfektion der benutzten Tücher Sorge getragen werden. Dieselbe kann durch 1 / 2 stündiges Kochen oder Einlegen in 1 pro Mille Sublimatlösung auf 5 Stunden erfolgen. Für die Wohlhabenden bietet die Befolgung dieser Vorschriften keine Schwierigkeit, und diese haben somit im Taschentuch das angenehmste Mittel, um in den Fällen, wo ein Spucknapf nicht erreichbar ist, das Sputum zu beseitigen. Weit schwieriger wird ähnliches auch der ärmeren Bevölkerung zugänglich zu machen sein. Die Kostspieligkeit und Umständlichkeit der eben genannten Desinfektionsverfahren machen hier die Anwendung gewöhnlicher Taschentücher unmöglich. Wir müssen auch hier derjenigen Methode den Vorzug geben, die mit dem geringsten Aufwand von Zeit und Geld eine radikale Beseitigung des infektiösen Materials gewährleistet. Dies ist bei Verwendung von billigen leinenen Taschentüchern der Fall, wie sie zuerst von S C H U B E B T 1 in Vorschlag gebracht wurden, die am besten jeden Abend verbrannt werden. Noch geeigneter sind für den vorliegenden Fall p a p i e r n e Taschentücher, die unabhängig von SCHUBEBT J A E G E R 2 empfahL Dieselben wurden von der Göppinger Papierfabrik zum Preise von 1-1 Pfg. pro Stück hergestellt. Nach einer schriftlichen Mitteilung Dr. J A E G E B S hat aber neuerdings die Fabrik die Herstellung der Taschentücher wieder aufgegeben. Durch japanische Kollegen sind wir auf recht brauchbare Papiertaschentücher aufmerksam gemacht worden, wie sie in Japan ausschließlich als Taschentücher in Gebrauch sind. Derartige feste, schwer zerreißliche Papiertücher sind zum Preise von 10 Mark pro 1000 Blatt bei der Firma Rex & Co., Berlin, in einer Größe, die das Göppinger Format um das Doppelte übertrifft, erhältlich und für den Gebrauch von Phthisikern recht geeignet. Damit die Papiertaschentücher, die durch Bespucken unbrauchbar gemacht worden sind, nicht fortgeworfen zu werden brauchen und dadurch zur Infektionsquelle werden, müssen sie so lange auf1

SCHUBEBT, Ein Vorschlag zur Bekämpfung der Weiterverbreitung der

Tuberkulose.

Medizinische Revue für Balneologie.

Jahrg. 1. Nr. 8.

* JAEGER, Die Transportmittel gewisser Infektionsstoffe und Vorschläge

zur Vernichtung derselben am Krankenbett, im Haashalt und im Verkehr. Deutsche med. Wochenschrift. 1894. Nr. 18. 47*

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Franz Steinitz: Die Beseitigung und Desinfektion des Sputums

bewahrt werden, bis sie verbrannt werden können. Wir haben zu diesem Zwecke kleine Täschchen aus feingewebigem Stoffe, mit Leinwand gefüttert (besser eignet sich noch Wachstuch), herstellen lassen, die beim Manne mittels zweier Knopflöcher leicht hinten an der Hose unter dem Rocke unsichtbar angebracht, bei Frauen, durch ein Band fixiert, bequem in der Rocktasche aufbewahrt werden können. Sie sollen zur Aufnahme der zerknüllten Taschentücher dienen und müssen von Zeit zu Zeit in Sublimatlösung (3 pro Mille 2 bis B Stunden, lpromilL 5 bis 8 Stunden) gelegt oder ausgekocht werden. Besondere Bedeutung hat diese Beseitigung des Sputums in Eisenbahnwagen und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Hier ist die Aufstellung von Spucknäpfen oft aus Platzmangel oder aus ästhetischen Gründen unmöglich, die Benutzung von Spuckfläschchen für den Kranken unangenehm und daher ebenfalls meist ausgeschlossen. Es bleibt demnach hier als einzige Möglichkeit einer zweckmäßigen und angenehmen Aufbewahrung des Sputums die Verwendung von Taschentüchern übrig. Am besten wird sich der Reisende schon beim Antritt der Reise mit einem Paket papierner Tücher versehen. Auch könnte in Automaten auf den Perrons oder in den Wartesälen der Ankauf ermöglicht werden. Die benutzten Tücher sind auf freien, von menschlichen Wohnungen abliegenden Strecken ohne weiteres fortzuwerfen; andernfalls sind sie in den soeben beschriebenen Täschchen zu sammeln. Auf Kurpromenaden würde am besten die Sammlung in Drahtkörben erfolgen, deren Inhalt allabendlich zu verbrennen wäre.

Rekapitulieren wir die im vorstehenden geprüften Maßnahmen, so ergibt sich: 1. Das frische Sputum ist aufzufangen: entweder in verbrennbaren Spucknäpfen, die mit trockenem oder angefeuchtetem Material gefüllt sein können, oder in Spucknäpfen, die durch Kochen desinfiziert werden können, oder in Spuckfläschchen, die gleichfalls durch Kochen desinfizierbar sind, oder in Taschentüchern, die durch Kochen oder Einlegen in lpromill. Sublimatlösung auf 5 Stunden zu desinfizieren sind, oder in Papiertaschentüchern, die verbrannt werden. 2. Wohnung und Kleider phthisischer Menschen sind folgendermaßen zu desinfizieren: Die grob beschmutzten Stellen der Wohnung, an denen Sputum oder sputumverdächtige Massen sichtbar sind,

Noetel: Die Unschädlichmachung des Ausiourfs der Phthisiker

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sind mit einer 2 pro Mille Sublimatlösung gründlich zu befeuchten In gleicher Weise stark beschmutzte Wäschestücke sind auf 3 Stunden in die Sublimatlösung einzulegen. Im übrigen sind die Wohnung und die von dem Patienten benutzten Kleider und Gegenstände mit Formaldehyd zu desinfizieren.

36. Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker und die Desinfektion von mit Auswurf beschmutzten Kleidern.1 Von Dr. Noetel, Oberarzt im Inf.-Reg. Nr. 13 in Münster i. W. Der Schutz sowohl gegen Berührungen von phthisischem Sputum, wie gegen dessen. Eintrocknung und Verstaubung muß sich e r s t e n s auf die ausgespuckten Sputuniteile erstrecken, die in unschädlicher Weise in Speigefäßen aufzusammeln und zu beseitigen sind; z w e i t e n s auf die mit Sputumresten beschmutzten Kleider und Taschentücher. I. Die Aufsammlung des phthisischen Sputums in Speigefäßen und dessen Unschädlichmachung. Zur Zeit sind die gebräuchlichsten Methoden einerseits die Desinfektion des Auswurfs durch Kochen oder Einstellen der Gefäße in strömenden Dampf, andererseits die Desinfektion durch Chemikalien. Die radikalste Form der Sputumvernichtung, die Verbrennung desselben mitsamt den Auffanggefäßen, hat sich infolge mancher Vorurteile noch wenig eingebürgert. Vor allem wird gegen die Verbrennung der Einwand erhoben, daß dann die Füllung der Spucknäpfe mit t r o c k e n e m Material erfolgen müsse und darin liege die Möglichkeit einer Verstreuung angetrockneten Kontagiums. Es wird für sicherer gehalten, das Sputum in Näpfen mit flüssiger Füllung zu sammeln und den Inhalt dann zu desinfizieren. Im Folgenden möchte ich die Irrigkeit dieser Anschauungen darlegen. Wir verfügen über kein Desinfektionsverfahren, das leicht und sicher den feuchten Inhalt von Spucknäpfen desinfiziert. Die 1

Veröffentlicht: Zeitschr. f. Hygiene u. Infekt. Bd. 48. S. 1—12 u. 18—26.

Noetel: Die Unschädlichmachung des Ausiourfs der Phthisiker

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sind mit einer 2 pro Mille Sublimatlösung gründlich zu befeuchten In gleicher Weise stark beschmutzte Wäschestücke sind auf 3 Stunden in die Sublimatlösung einzulegen. Im übrigen sind die Wohnung und die von dem Patienten benutzten Kleider und Gegenstände mit Formaldehyd zu desinfizieren.

36. Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker und die Desinfektion von mit Auswurf beschmutzten Kleidern.1 Von Dr. Noetel, Oberarzt im Inf.-Reg. Nr. 13 in Münster i. W. Der Schutz sowohl gegen Berührungen von phthisischem Sputum, wie gegen dessen. Eintrocknung und Verstaubung muß sich e r s t e n s auf die ausgespuckten Sputuniteile erstrecken, die in unschädlicher Weise in Speigefäßen aufzusammeln und zu beseitigen sind; z w e i t e n s auf die mit Sputumresten beschmutzten Kleider und Taschentücher. I. Die Aufsammlung des phthisischen Sputums in Speigefäßen und dessen Unschädlichmachung. Zur Zeit sind die gebräuchlichsten Methoden einerseits die Desinfektion des Auswurfs durch Kochen oder Einstellen der Gefäße in strömenden Dampf, andererseits die Desinfektion durch Chemikalien. Die radikalste Form der Sputumvernichtung, die Verbrennung desselben mitsamt den Auffanggefäßen, hat sich infolge mancher Vorurteile noch wenig eingebürgert. Vor allem wird gegen die Verbrennung der Einwand erhoben, daß dann die Füllung der Spucknäpfe mit t r o c k e n e m Material erfolgen müsse und darin liege die Möglichkeit einer Verstreuung angetrockneten Kontagiums. Es wird für sicherer gehalten, das Sputum in Näpfen mit flüssiger Füllung zu sammeln und den Inhalt dann zu desinfizieren. Im Folgenden möchte ich die Irrigkeit dieser Anschauungen darlegen. Wir verfügen über kein Desinfektionsverfahren, das leicht und sicher den feuchten Inhalt von Spucknäpfen desinfiziert. Die 1

Veröffentlicht: Zeitschr. f. Hygiene u. Infekt. Bd. 48. S. 1—12 u. 18—26.

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Noetel

trockene Füllung bietet durchaus keine größere Gefahr der V e r s t r e u u n g und ist aus verschiedenen Gründen vorzuziehen; sie empfiehlt sich ganz besonders dann, wenn verbrennbare Auffanggefäße benutzt werden, denn dadurch wird die Verbrennung des Sputums im Gefäß ermöglicht. Was den Effekt der Desinfektion durch Siedehitze angeht, so scheint nach W E B E B 1 die Dampfdesinfektion den Vorzug vor dem Kochen zu verdienen, da auch zähes, klumpiges Sputum dünnflüssig wird; infolge dessen ist man der Vernichtung der Tuberkelbazillen sicher und die nachfolgende Reinigung bequemer; beim Kochen dagegen lösen sich, wie M O E L L E B 2 angibt, die Sputumballen infolge der Gerinnung des Eiweißes bedeutend schwerer und können selbst nach 10 Minuten langem Kochen noch lebensfähige Tuberkelbazillen beherbergen. Die Dampfdesinfektion wird mehrfach in Lungenheilstätten geübt, doch ist dieselbe kostspielig und erfordert einen Apparat und eine besonders geschulte Bedienung. Ein gewisser Prozentsatz der Gläser springt, eine nachherige Reinigung derselben ist unumgänglich, aber unappetitlich. Wird das Sputum gekocht, so wird mehrfach so verfahren, daß das Sputum aus Flaschen und Näpfen in einen großen Kochkessel geschüttet und dort vernichtet wird, ein schon dadurch unzweckmäßiges Verfahren, daß die Aufnahmegefäße wieder eine besondere Reinigung und Desinfektion für sich erfordern. Zu der Überzeugung von den Mängeln der Dampfdesinfektion sind auch mehrfach Leiter und Ärzte in Heilanstalten gekommen. M O E L L E B 3 und S O B O T A 4 sprechen sich gegen Dampfdesinfektion und Kochen, T H O B N 6 gegen Kochen aus. Trotzdem sich schon im Großbetriebe Schwierigkeiten herausstellten, hat man mit Rücksicht auf den zuverlässigen Effekt die Dampfdesinfektion auch für den Kleinbetrieb einzuführen gesucht. Sämtliche Apparate sind aber zu kostspielig, selbst der von B O F I N G E K 8 angegebene nach dem Prinzip des KOCH sehen Dampftopfes konstruierte Kessel kann nur bei besser situierten Patienten Eingang finden. Außerdem würde man schon deshalb auf Wider1 8 8 4 6 8

Zeitschrift für Tuberkulose. Bd. 2. Heft 5. Ebenda. Bd. 2. Heft 8. Ebenda. Bd. 2. Heft 2. Tuberculosis. Vol. I. Nr. 7. Zeitschrift für Tuberkulose. Bd. 4. Heft 2. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte.

Bd. 20. Heft 1.

Die Unschädlichmachung

des Auswurfs

der PMhisiker

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stand stoßen, weil es dem gewöhnlichen Mann unsympathisch ist, mit dem Auswurf vor seiner endgültigen Vernichtung noch besondere, recht unbequeme und zeitraubende Manipulationen vorzunehmen. Mit ähnlichen Schwierigkeiten hat man beim Kochen des Sputums zu rechnen; im Kleinbetrieb würde auch der regelmäßig auftretende üble Geruch bedenklich sein. Die Desinfektion des Sputums mittels Chemikalien würde zwar keinen besonderen Apparat erfordern, die Handhabung würde bedeutend einfacher sein, aber diese Methode ist nur dann verwendbar, wenn die einfache Vermischung der Sputumballen mit einer nicht zu giftigen Desinfektionsflüssigkeit die Vernichtung der Tuberkelbazillen in einigermaßen kurzer Zeit garantiert. Wir kennen bisher aber kein einziges Desinfektionsmittel, das allen diesen Anforderungen vollauf genügt. Schon die Vielzahl der empfohlenen Chemikalien beweist, daß ein schnell und zuverlässig wirkendes Mittel noch nicht gefunden ist. Von vornherein wenig geeignet sind Stoffe, die mit dem Sputum innig gemischt werden müssen; denn ein solches Verrühren des Sputums ist eine unappetitliche Operation. Noch ungeeigneter erscheint die Metode von CRAMEB,1 der aus der von ihm empfohlenen Desinfektionsflüssigkeit — Bazillol — nach einiger Zeit die groben Sputumballen durch Gazefilter abfiltrieren und die filtrierten Ballen verbrennen lassen will. In letzter Zeit haben sich besonders STEINITZ 2 und BOFINGEK 3 eingehend mit der Wirksamkeit chemischer Mittel gegenüber phthisischem Sputum befaßt. STEINITZ prüfte Jodtrichlorid, Formalin, Kupfersulfat, Salzsäure, Salzsäurealkoholmischungen, die aber unzuverlässig, vielfach erst nach gründlicher Durchmischung oder aber in zu hoher Konzentration und erst nach langer Dauer wirkten. Die beste Wirkung hatte nach STEINITZ Sublimat. Eine 1 pro mill. Lösung tötete nach 6 bis 8 Stunden, eine 2 pro mill. nach 3 bis 5 Stunden, eine 5 pro mill. nach l J / 2 Stunden die Tuberkelbazillen ab. BOFINGER konnte, wie auch andere, diese günstige Wirkung des Sublimats nicht bestätigen, fand im übrigen Karbolsäure, Formalin, Kresolseifenlösung, Liq. Natr. und Kai. hypochlorosi, Soda, Sanogen, Lip. alum. acet. konzentriert und in 50 prozentiger Lösung entweder unzuverlässig, oder nach zu langer Zeit oder erst nach gründlicher Durchmischung mit dem Sputum wirksam; die Empfehlung des rohen 1 2 3

Münchener med. Wochenschrift. 1901. Nr. 41. Zeitschrift für Hygiene u. Infektion. Bd. 38. A. a. O.

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Noetel

Holzessigs scheitert nach BOFINGEE an der Unbeständigkeit der Zusammensetzung des Präparates. THOM,1 und unabhängig von ihm ROEPKE, 2 zogen die schleimauflösende Wirkung der Alkalien in Betracht, nach deren Zusatz das Desinfiziens die der Sputumhülle beraubten Tuberkelbazillen schnell und sicher abtöten müßte. THOM hat Versuche mit alkalisch gemachten Lösungen von Kresolpräparaten angestellt; um vollständige Wirkung zu erzielen, mußte das Sputum etwa mit der 10 fachen Menge der Lösung vermengt werden, die Einwirkungsfrist schwankte zwischen 12 und 24 Stunden; um das rasche Untersinken der Sputumballen zu verhüten, mußte die Lösung durch Zusatz von Alkalisalzen schwerer gemacht werden; zur Beseitigung des üblen Geruchs war Zusatz von Lavendelöl erforderlich. Einer allgemeinen praktischen Einführung dieses Verfahrens müssen die großen Mengen und vor allem die lange Zeit bis zur vollendeten Einwirkung hindernd im Wege stehen. ROEPKE will allerdings mit stark alkalischen Sublimat-Lysoformund Karbollysoformlösungen schon nach spätestens 4 Stunden Verflüssigung des Sputums und nach 8 Stunden völlige Abtötung der Tuberkelbazillen erreicht haben. Auch das ist aber immer noch ein viel Zeit beanspruchendes teueres Verfahren. Und schließlich müßte immer noch die praktische Erfahrung namentlich in der armen Bevölkerung, wo die Ansteckungsgefahr am größten, die Erziehung zur sorgfältigen Behandlung des ansteckenden Auswurfs am schwersten ist, darüber entscheiden, ob die Verwendung chemischer Desinfizientien durchführbar ist. In mehrfacher Beziehung diesen Methoden überlegen ist offenbar das Verbrennen des Sputums in und mit den Speigefäßen. ' Allerdings ist letzteres nur durchführbar bei Füllung der Speigefaße mit trockenem oder nahezu trockenem, absorbierend wirkendem Material Und gerade dieser Umstand wird besonders benutzt, um das ganze Verfahren zu diskreditieren. Man glaubt vielfach noch, die Füllung der Speigefäße mit Flüssigkeiten gewähre allein Schutz gegen ein Verstreuen trockener Sputumteile; von jeder Füllung mit trockener, poröser Masse, Sägespänen, Kaffeesatz, Sand usw. fürchtet man ein gelegentliches Herausschleudern infizierter 1 s

A. a. 0. Zeitschrift für Med.-Beamte. 1903. Nr. 5.

Die Unsohädlichmachung des Auswurfs

der

Phthisiker

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Stäubchen durch Luftströmungen. Außerdem wird auch der Vorwurf erhoben, daß die trockene Füllung unästhetischer sei. Um auf letzteren Punkt zunächst einzugehen, so vermag ich nicht anzuerkennen, daß die Sputumballen, die in einer Flüssigkeit herumschwimmen, appetitlicher aussehen, als das auf trockenem Füllmaterial abgelagerte Sputum. Ja, es wird durch die verbrennbaren Bettspucknäpfe mit Deckel dem Patienten der Anblick des Sputums viel besser entzogen, als wenn er fortwährend die Ballen im mit Wasser gefüllten Speiglas vor sich sehen muß. Auch die Verbrennung in der Küchenfeuerung hat man wohl als besonders unappetitlich beanstandet. Dieselben Autoren aber, die sich daran stoßen, empfehlen das Kochen des Sputums auf dem Herde. Was ist unappetitlicher? Das den Blicken entzogene in der Feuerung unschädlich gemachte Sputum oder das neben dem Suppentopfe auf dem Herde brodelnde Sputum? Ernster zu nehmen sind die immer wieder gehörten Einwände, daß trockenes F ü l l m a t e r i a l I n f e k t i o n s g e f a h r bedinge. Diese Vorstellungen fußen wohl zum Teil auf mißverständlicher Auffassung einiger Versuchsergebnisse COBNET s, denen zufolge es unter anderem gelang, durch energisches Fegen eines stark bespuckten, gänzlich getrockneten Teppichs bei Meerschweinchen, die dem aufgewirbelten Sputumstaube ausgesetzt waren, Inhalationstuberkulose zu erzeugen. Während nun COBNET selbst die beschränkte Bedeutung der Infektionsgefahr durch verstäubtes Sputum für die Praxis richtig würdigte, übertrug man dennoch diese übertriebene Anordnung ohne weiteres auf das in besonderen Speigefäßen magazinierte und der weiteren Zerkleinerung und Verstäubung völlig entzogene Sputum. Zwar haben FLÜGGE und seine Schüler im Jahre 1899 1 nachgewiesen, daß eine Infektion mit verstäubtem, trockenem Sputum nur dann zustande kommt, wenn erstens ein völliges Austrocknen des Sputums stattfindet; wenn dann zweitens eine mechanische Zerkleinerung in feinste Partikel (Verreibung durch die Fußsohle oder durch Hantierungen) folgt; und wenn so kräftige Luftströme vorhanden sind, daß sie die Staubpartikelchen loslösen, in die Luft überführen und eine Zeitlang dort schwebend erhalten können. Jeder, der sich mit der Herstellung flugfähigen Staubes aus angetrocknetem Material befaßt hat, weiß, welcher groben Gewalteinwirkung es bedarf, bis das Material genügend zerkleinert ist. Auch COBNET 2 betont dies 1

Zeitschrift f. Hygiene u. Infekt. Bd. 30. * Ebenda. 1899. Bd. 5. S. 285.

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zur Genüge. — Derartige zur Verstäubung erforderliche Bedingungen sind bei einem im Speigefäß aufgesammelten Sputum sicher nicht gegeben. Man glaubte indes, dieser vermeintlichen Gefahr der Verstäubung in Spucknäpfen nur durch Feuchthaltung des Sputums entgehen zu können. Hätte man wenigstens die Füllung mit einer desinfizierenden Flüssigkeit zur Pflicht gemacht, dann hätte diese Maßregel doch einen Schein von Berechtigung gehabt. Indes man empfahl als Füllung Wasser und hielt die Verhaltungsmaßregeln bei der Reinigung und Desinfektion für nebensächlich. Zum ersten Male wurde unter Verpönung der Trockenfüllung die Wasserfüllung zur Pflicht gemacht in einem heute noch als maßgebend angesehenen Gutachten der Wissenschaftl. Dep. f. d. Medizinalwesen vom 5. XI. 1890. Es heißt dort: „Der Spucknapf ist so weit, daß leichtes Verschütten vermieden wird, mit Wasser zu füllen. Die verschiedentlich aufgeworfene Frage, ob der Inhalt des Speibeckens zu desinfizieren sei vor dem Ausgießen, möchten wir verneinen. Chemische Mittel berühren die Ballen nur von außen, bewirken dort Gerinnung der Eiweißstoffe und dringen nicht weiter ein. Kochen wäre sicher, aber kaum zu erzielen. Somit bleibt nur das Ausgießen in die Abfuhröhre oder Tonnen, wo der Auswurf feucht und deshalb unschädlich bleibt." Als daraufhin Klagen, nicht sowohl über die Infektionsgefahr, sondern über Unzuträglichkeiten bei der Hantierung laut wurden, empfahl ein zweites Gutachten vom 20. V. 1892 ausdrücklich die Beibehaltung der Wasserfüllung, obwohl zugegeben war, „Füllung der Spucknäpfe mit angefeuchteten Sägespänen hat diese Nachteile nicht, und letztere können leicht durch Verbrennen zerstört werden." Doch heißt es weiterhin: „Das Austrocknen der Füllung der Spucknäpfe im Sommer würde noch viel leichter (zu ergänzen: als die Verdunstung des zur Füllung verwandten Wassers) erfolgen, da die Verdunstungsfläche um vieles größer wäre. • Man würde im Hochsommer und in heißen Zimmern „meistens Spucknäpfen mit einer Trockenfüllung begegnen, die die Zerstäubung des Auswurfs besonders begünstigt". Diese nunmehr 13 und 10 Jahre zurückliegenden Erlasse werden noch heute immer wieder erneut in Erinnerung gebracht und von den Behörden zur Nachachtung empfohlen. Noch am 20. Juli 1901 ermahnt ein Erlaß des zuständigen preußischen Ministers, die im Gutachten vom 5. November 1890 enthaltenen Maßregeln durchzuführen, und mehrfache aus den Veröffentlichungen des Kaiserl. Gesundheitsamt ersichtliche Erlasse in den Bundesstaaten, preußischen

Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker

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Provinzen und Stadtgemeinden schließen sich in ihren Verordnungen über die Bekämpfung der Tuberkulose stellenweise wörtlich den obigen Gutachten an. Leider räumte auch das im Jahre 1900 erschienene Tuberkulosemerkblatt des Kaiserl. Gesundheitsamts mit dieser unpraktischen und nicht unbedenklichen Anordnung nicht auf, sondern empfiehlt Aufstellen von Spucknäpfen mit „feuchter Füllung" und glaubt, jede Ubertragungsgefahr auszuschließen durch den Zusatz „in kurzen Zeiträumen unschädlich (am besten durch Auskochen) zu beseitigender Füllung". Ist wohl anzunehmen, daß der Laie diese Beseitigung wirklich vornimmt? Werden wohl die in öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen usw. aufgestellten Spucknäpfe ausgekocht? Heißt es doch selbst in dem Gutachten d. w. Dep. f. d. Medizinalwesen: „Kochen wäre sicher, a b e r k a u m z u e r z i e l e n ! " Auch KNOPF rät in seiner vom Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulose preisgekrönten Schrift: „Die Tuberkulose als Volkskrankheit und deren Bekämpfung" u. a. auch Wasserspucknäpfe für den Phthisiker an, deren Inhalt, wenn irgend möglich, in einen besonderen Topf gegossen und ausgekocht werden soll. Ebenso sollen für Fabriken, Läden usw., kurz überall da, wo viel Menschen verkehren, mit Wasser gefüllte Spucknäpfe aufgestellt sein, welche regelmäßig gereinigt werden. Angeblich fußend auf den COBNET sehen Anschauungen äußert sich auch MÖSLES:1 „Spuckschalen von Porzellan, Glas, Eisenblech, zu einem Drittel mit Wasser gefüllt, sind ein notwendiges Hausgerät nicht nur für alle Krankenanstalten, sondern auch für alle Privatwohnungen. In allen öffentlichen Lokalen sind Spuckschalen aufzustellen." Der um die Fürsorge der Phthisiker in den Wohnungen so hochverdiente Stadtrat PTJETTEB 2 in Halle a. S. äußert sich ebenfalls: „Es wird ferner darauf gesehen, daß in den Wohnungen mit Wasser gefüllte Spucknäpfe aufgestellt werden". Angesichts dieses hartnäckigen Festhaltens so weiter Kreise an der Vorstellung der Zerstäubungs- und Infektionsgefahr von Sputum aus Speigefäßen mit trockener Füllung, glaubte ich, durch besondere Versuche noch einmal feststellen zu sollen, ob tatsächlich das an trockenem Füllmaterial angetrocknete Sputum allmählich so zerfallen 1 2

Heft 4.

Zeitschrift für Tuberkulose. Bd. 1. Hft. 2. Die Bekämpfung der Schwindsucht in den Wohnungen. Ebenda. Bd. 8.

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und so zerkleinert werden kann, daß durch Luftströme, wie sie in Wohnungen vorkommen, flugfähige Partikel mit Tuberkelbazillen fortgeführt werden.1 Wenn eine Ablösung durch die natürlichen Luftströme zustande käme, müßte man schon mit bloßem Auge auf geeigneter Unterlage beobachten können, daß der Inhalt eines solchen Spucknapfes, namentlich wenn dieser mehrere Tage gestanden hat, bei jeder stärkeren Luftbewegung teilweise zerfällt, losgelöst wird und allmählich die Umgebung des Napfes mit kleinen Krümeln des Materials bestäubt. Um mir hierüber Aufschluß zu verschaffen, füllte ich Spucknäpfe mit verschiedenem trockenem Material. In Betracht kommt: 1. Sand. 2. Sägemehl, beim Zerkleinern des Holzes mit Handsägen gewonnen. Enthält viel feinste, leicht stäubende Teilchen, belästigt schon bei der Einfüllung durch die Staubentwickelung; ist in größeren Mengen schwer erhältlich und aus allen diesen Gründen für die Füllung von Spucknäpfen nicht zu empfehlen. 3. Sägespreu, durch Kreis- und Bandsägen hergestellt Leichter in größeren Quantitäten zu beschaffen. Die feinsten, leicht stäubenden Teile des Sägemehls fehlen auch hier nicht, können aber durch Drahtnetz abgesiebt werden. 4. Holzwolle; grobe saugt das Sputum nicht auf und ist daher nicht verwendbar, feinere Sorten sind ausreichend aufsaugungsfähig. 5. K a f f e e s a t z , überall erhältliches Material, leicht verbrennbar und zur Füllung von Spucknäpfen sehr geeignet. Es kann bereits getrocknet oder auch in dem halbfeuchten Zustand eingefüllt werden, in dem man es nach der Bereitung des Kaffees gewinnt; beim Stehen an der Luft trocknet es in letzterem Falle bald soweit aus, daß seine Verbrennung in den Näpfen auf keine Schwierigkeiten stößt. In Anstalten mit starkem Konsum von verbrennbaren Spucknäpfen kann die Verbrennung dadurch erleichtert werden, daß man den Kaffeesatz vorher mit Salpeterlösung imprägniert. Auf die mit diesem verschiedenen Material gefüllten Spucknäpfe wurden Sputumballen mit der Pinzette fallen gelassen und auf dem Füllmaterial ausgebreitet. Mehrere solche Spucknäpfe standen Wochen lang auf einem ca. 2 m im Durchmesser haltenden Blatt 1 Ich erspare mir hier eine nochmalige Kritik der bereits von STEINITZ a. a. 0 . genügend gewürdigten, völlig unbrauchbaren Versuche von BECK (Uber die sanitäre Unzulässigkeit von mit Trockenmaterial gefüllten Spuckkästchen. Wiener med. Wochenschrift 1900), der die Gefährlichkeit trockenen Füllmaterials aus der Tatsache herleiten wollte, daß er von Sputumsandklumpen, die er aus dem Spucknapfe herausnahm, sichtbare Partikel ablösen konnte, wenn er sie mit einem Blasebalg anblies.

Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker

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weißen Papiers mitten in einem viel begangenen Zimmer in der Nähe der hauptsächlichsten Passage. Während 5 Wochen blieb das Gefüge der Sputumballen unverändert, niemals wurde während des Vorbeigehens die geringste Aufwirbelung bemerkt, niemals lagen auf der fortlaufend sorgfältig kontrollierten Papierscheibe Partikel des Füllmaterials. Weiterhin wurden solche Spucknäpfe 6 Tage lang täglich 1 / i Stunde dem Luftzug einer schnell hin und her bewegten Tür ausgesetzt, so daß ein Luftstrom von 0-90 bis 1-40 m Geschwindigkeit sich über das Sputum hin bewegte, ohne daß Aufwirbelung und Ablösung von Teilchen bemerkbar wurde. Durch den Luftzug zwischen gegenüber liegenden Fenstern oder Türen können noch stärkere Luftströme hervorgerufen werden. Aber auch bei Spucknäpfen, die 2 Stunden mitten auf dem Fußboden in einem Raum standen, in welchem an einem stürmischen Tage durch Offnen zweier gegenüberliegender Fenster unerträglicher Zug hervorgerufen wurde, fand keine Ablösung von Teilchen des Füllmaterials statt. Allerdings befanden sich die Näpfe, wie stets unter natürlichen Verhältnissen, nicht im Bereich des die oberen Schichten des Zimmers durchsetzenden stärksten Luftstromes. Es schien weiterhin erwünscht, auch noch zahlenmäßige Angaben für die Geschwindigkeiten von Luftströmen zu gewinnen, welche dazu gehören, um von frisch eingefülltem und länger gestandenem, völlig lufttrockenem Material Partikel abzulösen und herauszuschleudern. Ich stellte daher folgende Versuche an: In der Mitte einer ausgemessenen Strecke wurden die wie zu den oben erwähnten Versuchsreihen vorbereiteten Spucknäpfe auf einem großen, ca. 1-50 m Duchmesser messenden, an den Rändern umgebogenen Blech aufgestellt. Sodann wurde eine meßbare Luftbewegung durch einen Fächer aus Pappe erzeugt, der nach dem Takte eines Metronoms mehrere Minuten lang über den Näpfen mit der Hand hin und her bewegt wurde. Aus der Länge der Strecke und der Anzahl der Exkursionen ließ sich leicht ein ungefährer Anhalt für die Geschwindigkeit der über die Näpfe sich bewegenden Luftströme gewinnen. In dieser Weise konnte ich Luftströme in verschiedenen Abstufungen bis hinauf zu etwa 6 m erzeugen. Es leuchtet ein, daß in der Versuchsanordnung eine starke Übertreibung natürlicher Verhältnisse besteht. Der durch den Fächer erzeugte Luftstrom traf ungeschwächt auf die Füllung auf; ferner äußerte er nicht, wie es unter natürlichen Verhältnissen fast stets der Fall sein wird, vorübergehend seine Wirkung, sondern täglich stets mehrere Minuten lang kontinuierlich in zwei entgegengesetzten

750

Noetel

Richtungen. Hierdurch mußte die Auflockerung des Materials bedeutend erleichtert werden. D i e Resultate dieser Versuche sind in folgender Tabelle zusammengestellt: T a b e l l e I. Geachwindigk. d. Luftstromes, bei welchem Art des Fttllmaterials

K a f f e e s a t z mitSputum imprägniert, mehrere Wochen getrocknet . . Desgleichen Kaffeesatz, vor 24 Stdn. mit Sputum beschickt Desgleichen, nach 48 Stunden ii > >i „ ,, i ,i * Tagen

Bewegung im Materialteilchen Füllmaterial sichtbar wird herausgeschleudert werden

ca. 2 m

ca. 3 m ca. 3 m

ca. 4-5m

nicht zu erzielen

»

»

4m 4m 4m 4 in • 3-5 m 3m

Kaffeesatz, 3 Tage getrocknet, dann mit Sputum beschickt, darauf wieder 3 Tage getrocknet Desgleichen, vor 4 Tagen mit Sputum beschickt Desgleichen, mehrere Näpfe vor24Std. mit Sputum beschickt S ä g e m e h l , vor 24 Std. mit Sputum beschickt Desgleichen, nach 3 Tagen f I II ^ >> i 2 S ä g e s p r e u , nicht abgesiebt, mehrere Näpfe nach 1 bis 6 Tagen . . . H o l z w o l l e(fein), mehrere Näpfe nach 1 bis 6 Tagen

bei über 5 m am Rande geringe Ablösung ebenso

bei 4-5 m beginn. Ablösg.

3-5 m

bei 5 m



3m

bei 4—5 m



über 5 m

l-8m l-2bisl-5m

,,

nicht zu erzielen bei bei bei bei bei

2 • 4 m beginnend 2m „ 2m . 2—3 m „ 2m „

über 2 m

wie oben'

nicht zu erzielen

nicht zu erzielen

S a n d , mehrere Näpfe nach 1 bis 6 Tg. Trotz der absichtlich übertriebenen Versuchsanordnung ist somit bei Füllung mit S a n d und H o l z w o l l e eine merkliche Ablösung selbst dann n i c h t zu erzielen gewesen, wenn das Sputum in den Näpfen 6 Tage eingetrocknet war. Bei Füllung mit K a f f e e s a t z

Die

Unschädlichmachung des Auswurfs der PMhisiker

751

waren erst nach 3 bis 4 tägigem Eintrocknen bei einer Luftgeschwindigkeit von 5 m pro Sekunde kleine Partikelchen abzulösen, namentlich von den Randpartien, die gar nicht mit Sputum bedeckt waren. Nur bei dem — wie oben ausgeführt wurde — an und für sich als Füllmaterial nicht geeigneten Sägemehl und nicht abgesiebter Sägespreu konnten bereits Luftströme von 2 m Geschwindigkeit Ablösung, anscheinend nicht bloß von unbenetzten Teilen, bewirken. Diese Versuche enthielten freilich nach zwei Eichtungen Fehlerquellen. Einmal könnten auch bei nicht sichtbarer Verstreuung doch mit bloßem Auge unsichtbare Teilchen mit Tuberkelbazillen zur Ablösung gelangt sein. Andererseits war es nicht ausgemacht, daß die beobachteten verstreuten Partikel mit Tuberkelbazillen beladen waren; denn die mit Sputum benetzten und auch nach dem Eintrocknen dadurch beschwerten Teilchen werden selbstverständlich nicht so leicht flugfähig sein, wie die unbenetzten Teile des Füllmaterials. Um beiden Fehlerquellen gerecht zu werden, stellte ich eine zweite Versuchsreihe in der Weise an, daß ich die verstreuten Partikel auf einer mit steriler Lävuloselösung bestrichenen Papierunterlage auffing, sie von da sorgfältig Bammelte, mit etwas Bouillon verrieh und letztere Meerschweinchen intraperitoneal injizierte. Die Luftbewegung wurde täglich in derselben Weise wie in der vorigen Versuchsreihe hergestellt; sie wurde bei den Näpfen mit Sägemehlfüllung auf 3 bis 4 m, bei den übrigen Füllmaterialien auf 5 bis 5 m pro Sekunde gesteigert. Die Näpfe wurden in der Zwischenzeit dunkel gehalten. Am Schluß des Versuchs wurde zur Kontrolle je ein Tier mit oberflächlich abgekratztem Inhalt geimpft. Von diesen Kontrolltieren ging eines vorzeitig an eitriger Peritonitis ein; die übrigen verendeten nach 7 bis 13 Wochen an ausgebreiteter Tuberkulose. Über die Resultate dieser Versuchsreihe gibt die umstehende Tabelle I I Auskunft. Demnach hat nur bei einem 5 Tage nach der Beschickung mit Sputum trocken aufbewahrten Sägemehl-Spucknapf eine Ablösung von Teilchen stattgefunden, welche Tuberkelbazillen enthielten. Bei den übrigen ebenso behandelten bzw. kürzere Zeit getrockneten Sägemehl-Spucknäpfen hat sich mit unserem feinsten Eeagens auf Tuberkelbazillen — der Meerschweinchenimpfung — keine Verstreuung von Bazillen nachweisen lassen. Die anderen Füllmaterialien haben zu einem durchweg negativen Ergebnis geführt.

752

Noetel

Tabelle II. Art des Füllmaterials

Geschwindigkeit des Luftstromes

Resultat der Tierimpfung

Meter

S a n d , bis zu 6 Tagen getrock. Feine Holzwolle.

5—6 5—6

K a f f e e s a t z , 5 Tage getrock. » ^ » n 1 V Tag „ 2 Tage „ 11

6 6 6 6 6 6 6 5 4 4 4 3—4 3

»

3

»

it

^ 5 6

» »

» 11

Sägemehl, n

»

„ !> I)

»

77 71

1 Tag getrock. 2 Tage „ 8 j, » ^ II II 5 II II

71 17 7}

6

»

»

3 5

II II

II II

»

2—3 5 4

i Material zur Impfung war [nicht zu gewinnen, da keine J Ablösung stattfand getötet n. 5Mon. völlignegativ ebenso getötet n. 4l/4Mon. get., negativ ebenso ebenso 2 Tieren. 4'/4Mon. get.,negativ ebenso ebenso 2 Tiere n. 4'/|Mon. get., negativ ebenso ebenso ebenso 1 Tier naeh 3 Monaten krank, getötet Tuberkulose, 1 zweites Tier nach 41/, Mon. getötet, negativ. 2 Tiere n. 4VsMon. get., negativ 1 Tier n. 4'/ s Mon. get., negativ ebenso

Dabei sei nochmals auf die übertriebene Versuchsanordnung hingewiesen. In der Praxis wird es sicher nie vorkommen, daß ein solches Füllmaterial 5 Tage lang völlig trocken, ohne Zufuhr frischen Sputums, gehalten und daß dann ein so heftiger Luftstrom direkt über den Spucknapf geleitet wird. Und sollte dies Kuriosum wirklich einmal vorkommen, so ist damit kein Argument gegen die Trockenfiillung gegeben; denn sicher kann auch bei feuchter Füllung durch einen zufälligen Stoß infektiöser Inhalt einmal in die Umgebung gelangen; und ein a b s o l u t e s Ausschließen jeder Infektionsgefahr durch die Art des Füllmaterials kann gar nicht unsere Aufgabe sein, schon weil da, wo Phthisiker sich aufhalten, stets kleine Teile des Sputums auf den Fußboden, an Kleider, Möbel usw. gelangen werden, die weit gefährlicher sind als gelegentlich verschleuderte Spuren des Füllmaterials der Spucknäpfe. Mögen die Übervorsichtigen schließlich auf Grund vorstehender Versuche das Sägemehl als Füllmaterial für Spucknäpfe verwerfen, weil einmal unter besonders begünstigenden Verhältnissen mit Tuberkel-

Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker

753

bazillen beladene Teilchen herausgeschleudert sind, — die sämtlichen übrigen Füllmaterialien: Sand, feine Holzwolle und Kaffeesatz sind als v ö l l i g e i n w a n d f r e i zu bezeichnen und sind genau so infektionssicher wie feuchte Füllungen. Vor diesen haben sie sogar den V o r t e i l voraus, daß durch Erschütterungen und zufällige Stöße nicht so leicht ein Hinausgelangen des Spucknapfinhalts möglich ist; ferner den nach meiner oben näher begründeten Ansicht außerordentlich großen Vorteil, daß das Sputum durch Verbrennen mitsamt dem Spucknapf und dem Füllmaterial sicher und ohne zeitraubende oder unappetitliche Arbeit unschädlich gemacht werden kann. Die gegen das trockene Füllmaterial der Spucknäpfe erhobenen Einwände sind daher v ö l l i g u n b e r e c h t i g t , und es wäre, namentlich im Interesse einer weiteren Einführung verbrennbarer Spucknäpfe dringend erwünscht, wenn namentlich die behördlichen Bestimmungen in dieser Richtung einer Revision unterzogen würden. Eher wird es nicht möglich sein, das törichte, bei Ärzten und Laien fest eingewurzelte Vorurteil, daß Spucknäpfe mit. trockenem Füllmaterial der Verbreitung des Kontagiums Vorschub leisten, zu beseitigen.

II. Die Beseitigung der Sputumreste an der Kleidung des Phthisikers. Die vorhergehenden Ausfuhrungen betrafen die Vernichtung des grob sichtbar ausgehusteten Sputums. Es bleibt aber im Kampfe gegen die Tuberkulose noch eine erhebliche Lücke, wenn man nicht auch die gefährlichen infektiösen Sputumreste beseitigt, wie sie nach dem Abwischen der Lippen in den Taschentüchern und an den Kleidern zurückbleiben. Diese Reste sind deshalb so gefährlich, weil sie leicht eintrocknen und zur Bildung flugfähiger, infektiöser Staubfäserchen geeignet sind (vgl. meine S. 295 abgedruckten Untersuchungen). — Bezüglich der T a s c h e n t ü c h e r ist es nicht so schwierig, der Eintrocknung und Bildung flugfähiger Stäubchen vorzubeugen. S T E I N I T Z 1 schlägt vor, Taschentücher nicht länger als 12 Stunden tragen zu lassen und dann durch halbstündiges Kochen oder langes Lagern in 1 pro Mille Sublimatlösung zu desinfizieren. Für die arme Bevölkerung empfehlen sich billige verbrennbare 1

STEINITZ,

Zeitschrift für Hygiene und Infekt.

FI.ÜOOK, Tuberkulose

Bd. 3 8 . 48

754

Noetel

Papiertaschentücher, welche in leicht zu desinfizierenden Wachstuchtäschchen getragen werden. Wie aber macht man die an den Kleidern der Phthisiker haftenden Sputumreste unschädlich? Ein Desinfektionsverfahren für Kleider und Uniformen muß — abgesehen von sicherer Desinfektionswirkung — mehrere Bedingungen erfüllen. Es darf in erster Linie die Kleidungsstücke nicht schädigen, es muß bequem zu handhaben sein und darf den Träger auch nicht zu lange Zeit der notwendigen Kleidungsstücke berauben. Die erste Bedingung schließt die Dampfdesinfektion und das Einlegen der Kleidungsstücke in Desinfektionslösungen aus. Dagegen läßt sich vielleicht Formaldehyd verwenden, welcher bekanntermaßen keine Spuren hinterläßt. Leider erschien aber die Wirkungsweise des Formaldehyds gegenüber tuberkulösem Sputum noch nicht genügend geklärt, und insbesondere über die Wirkung auf an Kleidern angetrocknetes Sputum liegen noch zu wenig Versuche vor. Um das bisher Bekannte zu rekapitulieren, so stellte zunächst H E S S 1 Versuche zur Zimmerdesinfektion mit dem T E I L L A T sehen Autoklaven an. Verdampfte er 1 Liter Formochlorol und 250 ccm Wasser in einem Baume von 204 cbm, so war feuchtes und angetrocknetes Sputum in Schalen, sowie an Leinwandläppchen angetrocknetes Sputum nach 197 2 Stunden abgetötet, ebenso wenn er einen Baum von 50 cbm mit 250 Formochlorol und 750 Wasser desinfizierte. In einem dritten Versuch, in dem drei ineinandergehende Zimmer von insgesamt 406 chm mit 1550 ccm Formochlorol desinfiziert wurden, waren feuchte, etwas unzugänglich aufgestellte Sputumproben nicht abgetötet. STEINITZ,2 der mit dem Breslauer Apparat arbeitete, ließ Sputumballen auf sterilisierte Brettchen fallen und erhielt, wenn er nach der Breslauer Vorschrift 5 g Formalin auf den Kubikmeter nahm, nach 3, aber auch nach 7 Stunden ungleichmäßige Besultate bei dicken Schichten. Bei Versuchen mit dünner Schicht trat Abtötung nach 4 3 / 4 Stunden ein. Ferner liegen Versuchsergebnisse über Zimmerdesinfektion vor, die im Auftrage des Schweizer Bundesrates an der Universität Bern im Jahre 1899 mit dem Breslauer Apparat nach den üblichen Vorschriften ausgeführt wurden. Diesen zufolge war die Desinfektionskraft gegenüber feuchten Sputumballen unzuverlässig, an Papierschnitzes angetrocknetes Sputum wurde dagegen sicher desinfiziert. Formaldehyd als Desinfektionsmittel.

1

HESS,

8

STEINITZ, a . a , O .

Marburg 1901.

Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker

755

Zu guten Resultaten ist auch JÖBGENSEN 1 gekommen, obwohl er ziemlich dicke Sputumschichten — Kleiderstückchen wurden mm dick mit tuberkulösem Auswurf bestrichen und bei Zimmertemperatur getrocknet — angewandt hat. Sämtliche Proben wurden mit 2-5 g pro Kubikmeter in 7 bis 11 Stunden abgetötet. Ferner berichtet B O N H O F E 2 über Versuche, die unter seiner Leitung von W E B B E R angestellt sind, und bei denen es ebenfalls gelang, mit 5 g Formaldehyd pro Kubikmeter und 7 stündiger Einwirkung sowohl frischen wie eingetrockneten Auswurf unschädlich zu machen. Von 59 Einzelproben erwiesen sich drei nach der Behandlung noch als infektiös, und auch bei diesen wird der Mißerfolg nicht der mangelnden Wirkung des Formaldehyds, sondern ungünstigen Nebenumständen zugeschrieben. Diese Ergebnisse beweisen jedenfalls, daß es möglich ist, tuberkulöses Sputum in nicht allzu dicker Schicht durch Formaldehyd zu desinfizieren, und demgegenüber fallen die ungünstigen Resultate, wie sie vereinzelt von anderen Autoren berichtet werden, nicht allzu schwer ins Gewicht. Am weitesten ist wohl S P E N G L E B 3 gegangen, der eine Vernichtuug der Tubekelbazillen „auch in dünnen trockenen Sputumlagen und selbst im feuchten Sputum etwas dickerer Lage (1 bis 2 mm) nach F L Ü G G E S Methode für vollkommen ausgeschlossen" erklärt. Bei der Beurteilung der SPENGLEB sehen Versuche ist aber zu berücksichtigen, daß zur Desinfektion nicht das jetzt geübte Breslauer Verfahren, sondern Formalinpastillen in Verbindung mit Wasserdampf angewandt sind, und daß der Beweis für die Lebensfähigkeit der Bazillen nach der Desinfektion nicht, wie bei allen bisherigen Untersuchungen durch den Tierversuch, sondern durch ihre Vermehrung auf einem besohderen Nährboden erbracht wurde. Wenn es nun auch sehr wenig wahrscheinlich ist, daß die Züchtung ein empfindlicheres Reagens auf die Lebensfähigkeit der Tuberkelbazillen darstellen sollte, als der Tierversuch, so ist doch die M ö g l i c h k e i t zuzugeben, daß in den früheren Untersuchungen, wenn das Tierexperiment negativ ausfiel, noch ein Teil der Bazillen lebensfähig geblieben war und nur seine Virulenz eingebüßt hatte. Auch dann wäre immerhin noch zu erwägen, ob man sich nicht für praktische Zwecke mit diesem Virulenzverlust begnügen könnte. Jedenfalls dürfen aus den SPENGLEB sehen Angaben, zumal nach den 1 2 3

JÖBGENSEN, Zeitschrift für Hygiene n. Infekt. Bd. 65. S. 237. BONHOFF, Berliner klin. Wochenschrift. 1904. Nr. 19. SPENGLER, Zeitschrift für Hygiene und Infekt.

Bd. 42.

S. 90.

48*

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Noetel

völlig negativen Ergebnissen, die bei ihrer Nachprüfung im Marburger Institut erzielt wurden,1 keine Folgerungen für die Praxis gezogen werden. Es war also begründete Hoffnung vorhanden, daß es gelingen würde, Kleidungsstücke mit Formalin zu desinfizieren, zumal da es sich hier doch ausschließlich um dünne Sputumschichten handelt. Auch betrafen die ausgeführten Versuche dii Desinfektion von Zimmern, während man Kleider allein auf einen unverhältnismäßig engen Raum beschränken kann, in welchem große Mengen Formalin um so intensiver zu wirken imstande sind. Es liegt deshalb nahe und ist auch schon von anderen Seiten empfohlen, kleinere, besonders zu diesem Zweck hergerichtete Räume oder gewöhnliche Kleiderschränke zur Desinfektion von Kleidern mittels Formalin zu benutzen. Immerhin aber erschienen Ergänzungen in dieser Beziehung wünscheiiswert, da die bisherigen Verfahren in mancher Hinsicht der Verbesserung bedürftig sind und vor allem, weil bei den Versuchen niemals tuberkulöses Sputum als Testobjekt verwendet war. Es seien zunächst die diesbezüglichen Verfahren mit ihren Versuchsergebnissen geschildert. Die ersten Versuche mit strömendem Formaldehyddampf wurden im Jahre 1897 von W A L T E R 2 angestellt. Er leitete die in einem TBILLAT sehen Autoklaven entwickelten Dämpfe durch einen zylindrischen 130 x 50 cm großen Kessel aus Blech, der mit dem zu desinfizierenden Material (Kleider, Werg), beschickt war. Die Resultate waren zufriedenstellend, da die Testobjekte auch im Innern der Gegenstände abgetötet wurden. Mit Tuberkelbazillen wurde nicht gearbeitet. Der Formaldehy'dverbrauch betrug 1/a bis 1 Liter der T B I L L A T sehen Formalin-Chlorcalciummischung. Auch P E T B U S C H K Y 3 und H I N Z 4 bedienten sich zur Erzeugung der Formaldehyddämpfe des T E I L L A T sehen Autoklaven; statt des von W A L T E B angewandten Blechkessels benutzten sie aber einen gewöhnlichen Kleiderschrank. Als Testobjekte benutzten sie Diphtheriebazillen, Staphylokokken und Milzbrandsporen, die in Serum getränkt, auf Leinewand und an .

1

BONHOFF, a . a . 0 .

Zeitschrift für Hygiene und Infekt. Bd. 26. S. 454. Deutsche med. Wochenschrift. 1898. S. 528. 4 H I N Z , Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Verwendbarkeit des Formaldehyds zur Desinfektion von Kleidungsstücken und Wohnräumen Kiel 1900. 8

WALTER,

8

PETBUSCHKY,

Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker

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Seidenfäden angetrocknet waren. Es gelang ihnen nach 1 Stunde bei B Atm. Druck unter Verbrauch der in 1 Liter Formochlorol enthaltenen Formalinmengen, die Desinfektion auch der in den Taschen der Kleider befindlichen Testproben herbeizuführen, die in einem Schrank von 0-615 cbm Inhalt aufgehängt waren; bei doppelter Menge und 2 stündiger Einwirkung wurde auch bei Pelzsachen, falls die Ärmel nach außen geschlagen waren, die gleiche günstige Wirkung erzielt. Dieselbe war jedoch nicht zu erreichen, wenn die Testproben in sogenannten toten Winkeln, in Stiefelspitzen und in den Zwischenräumen zwischen den Besenborsten angebracht waren. Demnach können, wie HINZ die Ergebnisse zusammenfaßt, auch die widerstandsfähigen Infektionserreger bei Anwendung großer Mengen Formaldehyd abgetötet werden. Diese geschilderte Schrankdesinfektion bildet einen Teil des sogenannten D a n z i g e r Verfahrens, demzufolge alle zur Dampfdesinfektion ungeeigneten Männer-, Frauen- und Kinderkleider im Schrank mittels Formalin desinfiziert werden. PEAUSNITZ und ROSITZKY 1 arbeiten mit dem Sprayverfahren, d. h. außen entwickelter Wasserdampf wird in den Schrank geleitet und reißt dort vermittelst eines nach Art der sogenannten Fixierröhrchen konstruierten Gebläses Formalin aus einer Schale und verteilt es im Baume. Die Angaben von PBAUSNITZ lassen kein vollständiges Urteil über die Brauchbarkeit des Verfahrens zu. ROSITZKT dagegen äußert sich ausführlicher. Er hing in einen Schrank von 1 cbm Inhalt die Kleider frei auf, an deren Außenfläche und in deren Taschen Diphtherie-, Staphylokokken-, Bacterium coli- und Kotproben angebracht waren. Bei einer, durch 0-5 Liter Wasser hervorgerufenen Versprühung von 100 ccm Formalin, verdünnt mit 50ccm Wasser, wurden nach 9 stündiger Einwirkung sämtliche in den äußeren Rocktaschen befindliche Proben abgetötet. Coli- und Kotproben in den inneren Rocktaschen wuchsen nach 65 bzw. 85 Stunden. Die in letzter Zeit von v. ESMABCH 2 und VOGES 3 angegebenen Methoden, die mit Druckverminderung im Desinfektionsraum arbeiten, kommen trotz ihrer, wie es scheint, guten Wirksamkeit hier nicht in Frage, da sie noch nicht für die Anwendung in der Praxis aus1

Münchener med. Wochenschrift.

2

v. ESMABCH, Hygienische Rundschau. 1902. 8. 961. VÖDES, Centraiblatt für Bakteriologie. Bd. 32. Originale.

3

1899. S. 314.

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Noetel

gearbeitet sind und auf jeden Fall einen teuren und komplizierten Apparat erfordern. Diese bisher üblichen Schrankdesinfektionsverfahren weisen zweifellos einige Mängel auf. H I N Z braucht bei seinem Verfahren zur Desinfektion des Schrankes eine Menge Formalin, die nach nach der Breslauer Methode zur Desinfektion eines Raumes von 120 cbm ausreicht. Obendrein wird die Methode sehr kostspielig und umständlich durch den Gebrauch des teuren TRILLAT'schen Autoklaven, dessen Bedienung besondere Schulung voraussetzt und der allmählich durch die einfacheren Apparate, welche verdünntes Formalin verdampfen, verdrängt sein dürfte. Die großen Formalinmengen müssen während der Prozedur eine ganz erhebliche Geruchsbelästigung hervorrufen. Auch nach öffnen des Schrankes muß, falls keine Desodorisation, welche übrigens wiederum sehr erhebliche Ammoniakmengen erfordern würde, vorgenommen wird, die Verdunstung des Formaldehyds aus den Kleidern geraume Zeit in Anspruch nehmen. Handlicher ist zweifellos das von PBAUSNXTZ und ROSITZ KY eingeführte Verfahren, welches in G r a z zur Anwendung gelangt. Doch sind gegen die Versprühung gewisse Einwände erhoben worden. Alle Sprayapparate, auch die einfachsten, sind Verstopfungen der Öffnungen sehr leicht ausgesetzt und erfordern sorgfältige Reinigung nach dem Gebrauche Tritt aber Verstopfung ein, dann muß dies jedes Mal den Neubeginn der Desinfektion zur Folge haben. Auch dürfte die lange Dauer — unter Umständen 9 Stunden — unangenehm empfunden werden. Diese Mängel, die Umständlichkeit der Hantierung, der enorme Formalinverbrauch bei dem einen, die Möglichkeit unfreiwilliger Unterbrechung und die lange Dauer bei dem anderen Verfahren legten allein schon den Gedanken nahe, die Methode der Schrankdesinfektion zu verbessern, um sie allgemeiner Einführung zugänglich zu machen. Nicht zum mindesten aber lag mir daran, die Wirkungsweise verdünnten Formalins gegenüber an Kleidern a n g e t r o c k n e t e m p h t h i s i s c h e m S p u t u m genauer zu präzisieren. Von vornherein suchte ich die schützende Schicht des Sputums dadurch möglichst unwirksam zu machen, daß ich nach dem Vorgange von S P E N G L E B 1 die trockenen Sputumkrusten durch Einführung reichlicher Wasserdämpfe in den Schrank zu durchfeuchten und 1

Centraiblatt für Bakteriologie.

1900. Abt. 1.

Die Unschädlichmachung des Auswurfs

der Phthisiker

aufzuweichen suchte. Der Formaldehyd gewinnt dann offenbar wirksameren Zutritt zu den in der Tiefe liegenden Bazillen. Bei orientierenden Yorversuchen stellte es sich heraus, daß ein gewöhnlicher Schrank, wie ihn P E T R U S C H K Y und R O S I T Z K Y benutzen, bereits nach Verdampfung relativ geringer Wassermengen aus dem Leim geht und Risse bekommt. Dieser zunächst zu beseitigende Mangel wurde dadurch gehoben, daß die Innenfläche des Schrankes allenthalben mit Zinkblech ausgeschlagen wurde. Im übrigen gestaltete sich die sehr einfache technische Anordnung folgendermaßen: In die Rückseite im unteren Drittel der Schrankes wurde ein kleines Loch gebohrt, durch welches das Kupferrohr des Formalinbzw. Ammoniakapparates in den Schrank hineinragte. Dann wurde der mit Kleidern beschickte Schrank in der üblichen Weise mit Wattestreifen abgedichtet; darauf wurden die Wassermengen und gleich im Anschluß daran das verdünnte Formalin aus dem „Breslauer Apparat" verdampft; um das überschüssige Kondenswasser abzuleiten, erhielt die den Boden des Schrankes bekleidende Zinkplatte leicht konkave Form und in der Mitte ein Abflußrohr, das in eine untergestellte Schale führte. Nimmt man die Verdampfung in einem Zimmer vor, so empfiehlt es sich, w ä h r e n d der Formalinentwickelung das Fenster geöffnet zu lassen. Nach Beendigung der Verdampfung dringen aus einem gut gedichteten Schranke keine belästigenden Dämpfe heraus. Die für eine ausreichende Desinfektion erforderlichen Formalinmengen mußte ich zunächst rein empirisch bestimmen, da wegen der Kleinheit des Raumes und der großen Oberfläche der Kleider die gewöhnliche, lediglich die Größe des zu desinfizierenden Raumes in Betracht ziehende Berechnungsart nicht zur Anwendung gelangen konnte. Um in kürzerer Zeit einen ungefähren Anhalt für die Menge Formalin und die notwendige Dauer der Desinfektion zu bekommen, machte ich orientierende Vorversuche, bei denen ich als Testprobe einen sehr resistenten Staphylokokkenstamm verwandte. Anfänglich strich ich Bouillonaufschwemmungen auf sterilisierten Kleiderstoff auf. Bei den letzten Versuchen mischte ich das Testmaterial mit homogenisiertem bronchitischem Sputum, um die Verhältnisse denen des tuberkulösen Sputums möglichst zu nähern. Der Schrank wurde voller Kleider gehängt, so daß sie sich in großer Ausdehnung eng berührten und teilweise gegeneinander gepreßt wurden; die infizierten Zeugstücke, meist 3 bis 5 cm im Geviert

760

1Voetel

messend, wurden teils an zugänglichen Stellen, teil in den Taschen und zwischen den dicht gelagerten Kleidern angebracht. Nach jeder Desinfektion wurde der Schrank mit der entsprechenden Menge Ammoniak desodorisiert. So ermittelte ich, daß nach vorausgegangener Verdampfung von 2 Liter Wasser eine Menge von 90 ccm Formalin mit 250 Wasser verdünnt, nach einer Stunde alle Staphylokokken abgetötet hatte. Nunmehr schritt ich zu den eigentlichen Sputumversuchen. Als Testmaterial nahm ich ein Gemisch mehrerer, schwer tuberkulösen Individuen entstammender Sputa. Diese vermischte ich durch Rühren und strich sie auf sterilisierte Stoffproben auf, die ich im Brutschrank über Nacht antrocknete und dann unter Ausschluß des Lichtes aufbewahrte. Daß das Material in der Tat stark infektiös war, bewies die hochgradige Abdominaltuberkulose der Kontrolltiere 6 bzw. 8 Wochen nach der Impfung. Die Kontrollimpfungen wurden aus erklärlichen Gründen mit den am längsten aufbewahrten Proben vorgenommen. Die vorbereiteten Probestücke, ebenfalls 3 bis 5 cm im Geviert messend, wurden teils auf den mäßig dicht nebeneinander aufgehängten, sich mit großen Flächen eng berührenden, aber nicht gegeneinander gepreßten Kleidungsstücken, teils in deren überlagerte Taschen eingesteckt. Dann wurde der Schrank abgedichtet und zunächst das Wasser, im Anschluß daran gleich das Formalin verdampft Die Verdampfung von 2 Liter Wasser nahm bis zu s / 4 Stunde, die des Formalins etwa 1 / i Stunde in Anspruch. Während der Wasserverdampfung entwickelte sich eine, der Desinfektionswirkung jedenfalls günstige hohe Temperatur, bis zu 80 und 90°. Nach Ablauf der Einwirkungsdauer wurde die entsprechende Menge Ammoniak eingelassen. Würden die Kleider 1/4 Stunde später herausgenommen, so waren sie leicht durchfeuchtet, waren aber nach halbstündiger Auslüftung trocken und geruchlos. Die Testproben wurden in einer Schale mit steriler Bouillon ausgedrückt, dann wurde zunächst die beschickte Seite des Stoffes mit einem Scalpell abgekratzt, die Fasern in der Bouillon verrieben und die Masse Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Die VersuchsergebnisBe lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: In einem mäßig dicht gepackten Schrank von 0-5 cbm Inhalt reicht eine Menge von 90 ccm Formalin und 250 ccm Wasser nach vorausgegangener Verdampfung von 2 Liter Wasser auch nach 5 stündiger Wirkung nicht aus, um selbst unverdeckte Proben angetrockneten Sputums vollständig zu desinfizieren. Nimmt man die

Die Unschädlichmachung des Ausumrfs der Phthisiker

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doppelte Konzentration: 180 ccm Formalin und 700 Wasser, dann genügt allerdings schon 1 Stunde, um offen zugängliche Tuberkelbazillen abzutöten. Aber erst 5 stündige Einwirkung tötet auch die in bedeckten, überlagerten Proben enthaltenen ab. Geht man mit der Formalinmenge auf 135 ccm herunter und fügt 500 ccm Wasser hinzu, so genügen 3 Stunden ebenfalls zur Abtötung offener Proben. Es ist aber zweifelhaft, ob das Formalin während dieser Zeit auch in verdeckte Proben genügend eindringt. 5 stündige Einwirkung wirkt dagegen auch auf letztere genügend ein. Die Kleider müssen, wenn man nach diesem Verfahren arbeitet, höchstens 5% Stunden entbehrt werden, und können dann sofort wieder getragen werden. Gewöhnliche Anzüge vertragen mehrere täglich aufeinander folgende Desinfektionen ganz gut, ohne aufgebügelt werden zu müssen, ebenso kann man gewöhnliche Uniformen ohne jede Schädigung nach diesem Verfahren behandeln. Die Kosten einer einmaligen Desinfektion sind nicht bedeutend; nimmt man Mengen von 180 Formalin, 60 Ammoniak und etwa 3 Liter Wasser an, so ergeben sich etwa 85 Pfennige für die einmalige Desinfektion. Das Verfahren würde wohl in erster Linie überall da angebracht sein, wo häufige Desinfektionen von Kleidern notwendig sind, also z.B. in Krankenhäusern; dann in Fabrikbetrieben, wo die Desinfektion der Arbeitsmäntel auf diese Weise bequem und billig bewerkstelligt werden kann; ferner beim Militär und bei anderen Behörden, wo Uniformen zu desinfizieren sind. Auch der praktische Arzt dürfte sich dieses Verfahrens in seiner Wohnung bedienen können, um Arbeitsmäntel und Anzüge nicht aus dem Hause geben zu müssen und letztere nicht der unvermeidlichen Beschädigung auszusetzen, die bessere Kleidungsstücke bei der Dampfdesinfektion stets erfahren. Vor allem aber lag mir daran darauf hinzuweisen, daß die Kleider der Phthisiker wegen der erheblichen Infektionsgefahr durch die in denselben enthaltenen Tuberkelbazillen unbedingt einer periodisch wiederholten Desinfektion bedürfen; und auch hierzu dürfte das beschriebene Verfahren, das zweckmäßig in den Desinfektionsanstalten neben der für andere Zwecke nicht zu entbehrenden Dampfdesinfektion eingerichtet wird, wegen seiner kurzen Dauer, seiner Billigkeit und der schonenden Behandlung der Kleider sich empfehlen.

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Carl

Flügge

37. Verbrennbare Spucknäpfe, Spuckfläschchen und Taschentücher für Phthisiker.1 Von Prof. Carl Flügge in Breslau. Verbrennbare Spucknäpfe mit verbrenbarem Füllmaterial sind bereits von v. SCHRÖTTEK und v. WEISMATE in Wien, sowie von MJÖEN, dem Chefarzt des Gr eisen - Sanatoriums bei Christiania, empfohlen und mit Erfolg eingeführt. Auch nach meiner Überzeugung verdient die Aufsammlung des Sputums von Phthisikern in verbrennbaren Gefäßen vor jedem anderen Verfahren der Sputumdesinfektion und Sputumbeseitigung den Vorzug. Ich habe diese Überzeugung insbesondere gewonnen durch die von STEINITZ im hiesigen hygienischen Institut neuerdings ermittelten Schwierigkeiten, die sich einer sicheren und billigen Sputumdesinfektion in den Weg stellen; ferner durch die von verschiedenen Leitern von Lungenheilstätten mir berichtete Erfahrung, daß die Reinigung der Spucknäpfe und Spuckflaschen auf immer größeren Widerstand bei dem Dienstpersonal stößt und oft in ungenügender, bezüglich der Verbreitung des Kontagiums nicht einwandfreier Weise geschehen muß. Auf meine Anregung hat daher die hiesige Firma FINGERHUT & Co.8 einige Muster hergestellt, die mir nunmehr nach vielfach wiederholten Versuchen und zahlreichen Abänderungen, bei welchen mich mein Assistent Herr Dr. B. HEYMANN unermüdlich unterstützt hat, für den praktischen Gebrauch geeignet erscheinen, und zwar habe ich außer größeren Spucknäpfen auch kleine Bettspucknäpfe und Spuckfläschchen aus Karton anfertigen lassen. Die Firma FINGERHUT & Co. liefert jetzt: 1. H a n d s p u c k g e f ä ß e für bettlägerige Patienten, bzw. für die Nacht, mit oder ohne Deckel (Bettspucknäpfe). Dieselben sind mit schwach feuchtem oder lufttrockenem Kaffeesatz zu füllen und nach Bedarf zu wechseln. Die abnehmbaren Deckel können mehrfach benützt werden. 2. T a s c h e n s p u c k g e f ä ß e (Spuckfläschchen) für nicht bettlägerige Patienten in Zigarrentaschenformat. Beim Gebrauch kann die Öffnung durch geringen Druck auf die Seiten des in der Hohlhand gehaltenen Gefäßes verbreitert werden. Die Getäße sind selbst 1 2

Veröffentlicht: Zeitschrift für Tuberkulose. Gartenstraße 21.

1902. Bd. 3.

Heft 1.

Verbrennbare Spucknäpfe, Spuekfläschehen usw. für Phthisiker 763 bei ziemlich starker Füllung mit Auswurf undurchlässig; die Einlage von Holzstoff saugt die Feuchtigkeit so vollständig auf, daß sie ohne weiteres in der Tasche getragen werden können. Selbstverständlich kann ein Fläschchen nur für begrenzte Sputummengen ausreichen und muß bei einer gewissen Füllung gewechselt werden. — Für Anstalten empfiehlt sich die Aufstellung von Kästen mit ungebrauchten Gefäßen und anderen Kästen zum Ablegen von gebrauchten Gefäßen. 3. Z i m m e r s p u c k n ä p f e , auch mit in der Mitte durchlochtem Deckel, wie bei den üblichen Spucknäpfen aus glasiertem Ton, Steingut usw. Sie sind namentlich auch in Korridoren, Wandelhallen u. dergl. aufzustellen; ihre Anbringung über dem Fußboden (eventuell bis zu Brusthöhe) ist anzuraten und durch billige Rohrgestelle oder -wandgehänge zu ermöglichen. Die Näpfe sind mit lufttrockenem Kaffeesatz zu füllen. Ihre Dimensionen sind so bemessen, daß die Verbrennung in jedem gewöhnlichen Zimmerofen vorgenommen werden kann.

4. T a s c h e n t ü c h e r aus Seidenpapier. Dieselben sollen lediglich zum Abwischen von Auswurfsresten dienen, die nach dem Aushusten stets noch an Mund und Bart hängen bleiben. Zur Aufnahme des ganzen Sputums sollen sie nur ganz a u s n a h m s w e i s e benutzt werden, z. B. während der gemeinsamen Mahlzeiten oder bei ähnlichen Gelegenheiten, wo die Benutzung von Spuckfläschchen Anstoß erregt. Die benützten Tücher werden in das Spuckfläschchen oder in ein besonderes Papiertäschchen gesteckt, das 5 bis 10 zusammengedrückte Tücher aufnehmen kann und nach der Füllung samt dem Inhalte verbrannt wird.

764

Carl Flügge: Verbrennbare Spucknäpfe usw. für

Phthisiker

Ausdrücklich hervorheben möchte ich, daß die Füllung der Spucknäpfe mit l u f t t r o c k e n e m K a f f e e s a t z absolut keine Gefahr für die Verbreitung von Sputumteilchen im trockenen Zustande bietet. Innerhalb der Spucknäpfe kommt es, wie durch einfache Versuche leicht kontrolliert werden kann, n i e zu einer solchen mechanischen Zerkleinerung des angetrockneten Sputums, daß ein Verstäuben stattfinden kann. Bei entsprechend häufigem Wechsel der Näpfe ist außerdem auch die Austrocknung nicht stark genug, um selbst sputumfreie feinste Kaffeesatzteile in die Umgebung gelangen zu lassen. — Ein anderes ähnlich geeignetes, überall umsonst erhältliches Füllmaterial ist mir nicht bekannt geworden. Die Verbrennung des Sputums stößt in lebhaftem Feuer auf gar keine Schwierigkeiten. Um die vollständige Verbrennung auch bei schwächerem Feuer und zur Sommerszeit mittels eines ganz kleinen Holzfeuers zu ermöglichen, ist die Holzstoffeinlage der Spuckfiäschchen mit etwas Salpeter getränkt Ebenso kann der Kaffeesatz, nachdem er ausgebreitet und lufttrocken geworden ist, mit Salpeterlösung imprägniert werden. Auf 1 j t Liter = 250 g Kaffeesatz nimmt man etwa 100 cm einer Lösung von 200 g Salpeter in 1 Liter Wasser. Kaffeesatz und die Salpeterlösung werden in einem Topfe durchgerührt, die dickbreiige Masse dann auf Stein- oder Eisenplatten 1 bis 2 Stunden flach ausgebreitet und darauf zur Füllung verwendet Durch diese Imprägnierung ist auch ein Verstäuben des Füllmaterials noch sicherer ausgeschlossen. — Ein großer Spucknapf bedarf zur Füllung ca. 100 g Kaffeesatz; der zur Imprägnierung dieses Quantums erforderliche Salpeter kostet etwa 2 / s Pfennig. Im übrigen hat die Firma FINGEBHUT & CO. die P r e i s e für die von ihr gelieferten Artikel auf meinen Wunsch so billig wie möglich festgesetzt, nämlich: Taschenspeigefäße (Spuckfläschchen) wasserdicht 3 x/a Pfg. per Stück, dieselben nach einfachstem Muster . . . . 23/i Bettspucknäpfe, rund oder viereckig, wasserdicht S 1 ^ dieselben nach einfachstem Muster . ... 21/i s Deckel zu diesen /4 Bettspucknäpfe mit Patentdeckel, wasserdicht . 5 dieselben weiß lackiert 7 Fußbodennäpfe, wasserdicht, große Form, rund 8 dieselben weiß lackiert 12 Fußbodennäpfe, wasserdicht, mittelgroße Form . 4 dieselben weiß lackiert 11 Taschentücher aus Seidenpapier 2 5 x 2 5 cm. . 3l/2 „ „ 10 „

Herr: Abtötung der Tuberkelbazillerl im Rahm durch Pasteurisieren

765

In größeren Lungenheilanstalten dürfte sich die e i g e n e H e r s t e l l u n g der verbrennbaren Gefäße durch Kranke oder durch Personal der Anstalt empfehlen. Die Gefäße müssen dann noch einfacher konstruiert sein und stehen den käuflichen selbstverständlich in einiger Beziehung nach, sind aber durchaus brauchbar; die Herstellung eines Spuckfläschchens kostet etwa 2-5 bis 3 Pfg., eines Bettnapfes ebensoviel und eines Zimmerspucknapfes 4 Pfg. Ich denke mir, daß in mancher Anstalt die Selbstanfertigung gern eingeführt und als ein Mittel zur Beschäftigung eines Teiles der Insassen willkommen geheißen wird. Wo dies Bestreben nicht mitspricht, ist der Bezug der F I N G E B H U T sehen Gefäße einfacher und kaum teuerer. . Die Kosten für den Verbrauch von verbrennbaren Gefäßen betragen je nach der Sputummenge für einen Kranken 4 bis 10 Pfg.; die meisten ambulanten Kranken werden pro Tag mit einem Spuckfläschchen = ca. 3 Pfg. und drei Taschentüchern = 1 Pfg. auskommen; bettlägerige Kranke mit einem Bettspucknapf = etwa 3 Pfg. Die größeren Zimmerspucknäpfe reichen dann für einen Tag für mehrere Patienten aus. — Die Kosten sind jedenfalls geringer als die Ausgabe für irgend eine wirksame Desinfektion des Sputums, und wir erreichen durch die Verbrennung die gründlichste und sicherste Vernichtung des Auswurfs, die sich denken läßt. Es würde mich freuen, wenn die Herren Kollegen, welche Phthisiker in Anstalten oder in Einzelwohnungen zu behandeln haben, über die Verwendbarkeit der Kartongefäße praktische Erfahrungen sammeln wollten, die selbstverständlich allein über die Brauchbarkeit des Verfahrens zu entscheiden haben.

38. Das Pasteurisieren des Rahms als Schutz gegen die Verbreitung der Tuberkulose durch Butter.1 Von Stabsarzt Dr. Herr in Posen, früherem Assistenten des Instituts. Die zahlreichen Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter haben gezeigt, daß die Marktbutter nicht nur häufig virulente Tuberkelbazillen enthält, sondern sie haben sogar, wie aus den Arbeiten von O B E B M Ü L L E B , EABINOWITSCH, H E B B U N D B E N I N D E hervorgeht, ergeben, daß ein und dieselbe Bezugsquelle oft Monate lang 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

Bd. 38.

S. 182.

Herr: Abtötung der Tuberkelbazillerl im Rahm durch Pasteurisieren

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In größeren Lungenheilanstalten dürfte sich die e i g e n e H e r s t e l l u n g der verbrennbaren Gefäße durch Kranke oder durch Personal der Anstalt empfehlen. Die Gefäße müssen dann noch einfacher konstruiert sein und stehen den käuflichen selbstverständlich in einiger Beziehung nach, sind aber durchaus brauchbar; die Herstellung eines Spuckfläschchens kostet etwa 2-5 bis 3 Pfg., eines Bettnapfes ebensoviel und eines Zimmerspucknapfes 4 Pfg. Ich denke mir, daß in mancher Anstalt die Selbstanfertigung gern eingeführt und als ein Mittel zur Beschäftigung eines Teiles der Insassen willkommen geheißen wird. Wo dies Bestreben nicht mitspricht, ist der Bezug der F I N G E B H U T sehen Gefäße einfacher und kaum teuerer. . Die Kosten für den Verbrauch von verbrennbaren Gefäßen betragen je nach der Sputummenge für einen Kranken 4 bis 10 Pfg.; die meisten ambulanten Kranken werden pro Tag mit einem Spuckfläschchen = ca. 3 Pfg. und drei Taschentüchern = 1 Pfg. auskommen; bettlägerige Kranke mit einem Bettspucknapf = etwa 3 Pfg. Die größeren Zimmerspucknäpfe reichen dann für einen Tag für mehrere Patienten aus. — Die Kosten sind jedenfalls geringer als die Ausgabe für irgend eine wirksame Desinfektion des Sputums, und wir erreichen durch die Verbrennung die gründlichste und sicherste Vernichtung des Auswurfs, die sich denken läßt. Es würde mich freuen, wenn die Herren Kollegen, welche Phthisiker in Anstalten oder in Einzelwohnungen zu behandeln haben, über die Verwendbarkeit der Kartongefäße praktische Erfahrungen sammeln wollten, die selbstverständlich allein über die Brauchbarkeit des Verfahrens zu entscheiden haben.

38. Das Pasteurisieren des Rahms als Schutz gegen die Verbreitung der Tuberkulose durch Butter.1 Von Stabsarzt Dr. Herr in Posen, früherem Assistenten des Instituts. Die zahlreichen Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Butter haben gezeigt, daß die Marktbutter nicht nur häufig virulente Tuberkelbazillen enthält, sondern sie haben sogar, wie aus den Arbeiten von O B E B M Ü L L E B , EABINOWITSCH, H E B B U N D B E N I N D E hervorgeht, ergeben, daß ein und dieselbe Bezugsquelle oft Monate lang 1

Veröffentlicht: Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

Bd. 38.

S. 182.

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Herr

infektiöse Butter liefern und demnach den dauernden Konsumenten mit vielleicht ernster Gefahr bedrohen kann. Denn obwohl sich nicht nachweisen läßt, wie groß die Zahl der tuberkulösen Erkrankungen infolge von Genuß infektiöser Butter ist, da Milch und Butter meist aus ein und derselben Quelle stammen, und bei allen bisherigen Ermittelungen nur die Milch als ätiologischer Faktor in Betracht gezogen ist, so spricht jedenfalls die Tatsache, daß die Tuberkelbazillen in der Butter eher reichlicher vorhanden sind, als in der entsprechenden Voll- oder Magermilch, daß ferner in der Milch die Tuberkelbazillen meist vor dem Genuß durch Kochen abgetötet werden, dafür, daß die Butter unter Umständen in höherem Grade als die viel angeschuldigte Milch Infektionen vermitteln wird. Angesichts dieser Möglichkeit drängt sich nun die Frage auf, in welcher Weise wir der eventuellen Gefahr auf das Wirksamste begegnen können. Die gründlichste Maßregel wäre das Ausmerzen aller tuberkulösen Milchtiere. Ein derartiger "Vorschlag ist öfter gemacht und von einzelnen begüterten Besitzern zur Erlangung einwandfreier Kindermilch auch ausgeführt worden; doch lassen sich solche Maßnahmen wohl in einzelnen Fällen, sehr schwer aber, aus finanziellen Gründen, im allgemeinen durchführen.1 Sehr viel würde allerdings schon erreicht werden, wenn unter staatlicher Beihülfe die manifesten Euter- und Allgemeintuberkulosen ausgeschieden würden. Jedenfalls müssen, solange nicht volle Garantie dafür besteht, daß die Herden frei von Tuberkulose sind, Maßnahmen getroffen werden, die eine Verbreitung der Tuberkulose durch Milch und Milchprodukte verhüten. Diese Maßregeln sind aber ganz besonders für die Butter zu verlangen. Bei Voll- und Magermilch liegt es in der Hand des Konsumenten, die Nahrungsmittel durch Abkochen vor dem Gebrauche unschädlich zu machen, und durch Belehrung kann hier viel getan werden, zumal das Abkochen der Milch schon aus Gründen der Haltbarkeit gern geübt wird. Bei der Butter aber ist ein Erhitzen ohne völlige Vernichtung ihres Wohlgeschmacks unmöglich. Es muß demnach bereits der Rahm derart erhitzt werden, daß die daraus hergestellte Butter einwandfrei wird. Während man nun in Schweden und Dänemark das P a s t e u r i s i e r e n des Rahms schon 1

In Belgien ist trotzdem nach einer Mitteilung (Milehzeitung, 1899, S. 553) der Kampf gegen die Tuberkulose in der Weise aufgenommen. Es wurden allein in einem Monat 1313 Stück Bindvieh geschlachtet. Der Staat leistet Entschädigung, wenn der Besitzer die von der Regierung gestellten Bedingungen erfüllt.

Abtötung

der Tuberkelbaxillen

im Rahm

durch Pasteurisieren

767

in ausgedehntem Maße übt, steht man in Deutschland dem Verfahren im allgemeinen noch immer ablehnend gegenüber, und zwar scheut man nicht allein die Verteuerung der Anlage und des Betriebes, sondern macht vor allem geltend, daß Butter aus pasteurisiertem Rahm minderwertig sei, sich kürzere Zeit halte und einen gewissen Kochgeschmack habe, der ja bei über 70° erhitzter Milch, wie allgemein anerkannt wird, sicher vorhanden ist. Ein weiterer Grund gegen die Einführung des Rahmpasteurisierverfahrens in den Molkereibetrieb liegt darin, daß seitens der Hygieniker zur sicheren Abtötung der Tuberkelbazillen ein d i s k o n t i n u i e r l i c h e r Pasteurisierbetrieb verlangt wird. Nach den Untersuchungen von BITTE» 1 über das Pasteurisieren der Milch genügt nämlich erst ein 30 Minuten langes Erhitzen der Milch auf 68 um die Tuberkelbazillen sicher abzutöten. Er verlangt infolgedessen, und weil auch die Milch bei dieser Erhitzung keinen Kochgeschmack annimmt, daß bei dieser Temperatur und Einwirkungsdauer pasteurisiert werde. Daß aber bei einer so ausgedehnten Einwirkungsdauer nur der diskontinuierliche Betrieb genügende Sicherheit für die Abtötung der Tuberkelbazillen gibt, liegt auf der Hand, da es sich bei kontinuierlichem Durchlaufen der Milch durch den Pasteurisierapparat sehr schwer erreichen läßt, daß a l l e Milchteilchen 30 Minuten bei 68° verharren. Dieser diskontinuierliche Betrieb ist praktisch schwer durchführbar und erhöht die Betriebsspesen nicht unwesentlich. So lag denn die Frage nahe, ob man nicht doch vielleicht ohne Schädigung der Butterqualität höhere Temperaturen verwenden, dagegen die Zeit ihrer Einwirkung herabsetzen und damit unter voller Garantie für die Abtötung der Tuberkelbazillen auch einen k o n t i n u i e r l i c h e n Betrieb einrichten könnte. Daß dieser, nach Beseitigung der hygienischen Bedenken, schnell Eingang in die Molkereien finden würde, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Was in erster Linie die T e m p e r a t u r , bei der der Rahm pasteurisiert werden soll, anbetrifft, so könnte man annehmen, daß es ebenso wie bei der Milch zweckmäßig wäre, nicht über 70° hinauszugehen, um die Butter vor Annahme des Kochgeschmacks zu bewahren. Doch sind die Geschmacksveränderungen der Milch nicht direkt auf die der Butter zu übertragen; denn die Milch wird in dem Zustande, in dem sie den Pasteurisierapparat verläßt, genossen, während der Rahm noch ein für den Geschmack der 1

BITTEE,

Zeitschrift für Hygiene u. Infekt.

Bd. 8.

Herr

768

Butter wahrscheinlich ausschlaggebendes Säuerungsverfahren durchmacht. Dafür sprechen auch die Erfahrungen, die man in Dänemark gemacht hat. Zwar war man nach allgemeiner Einführung der Rahmpasteurisieruug bei 85° der Ansicht, daß die Qualität der Butter sich verschlechtert hätte, doch führte man das auf ungenügende Kenntnis der erforderlichen Behandlung zurück nnd hoffte schon damals, die eventuellen Schwierigkeiten beseitigen zn können.1 Daß dies in der Tat möglich ist, beweisen die Erfolge der Rahmpasteurisierung in Schweden. Hier wird geradezu Wert darauf gelegt, beim Pasteurisieren möglichst hohe Temperaturen anzuwenden, mindestens bis auf 85°, um einen schlechten Beigeschmack der Butter zu vermeiden, der bei Temperaturen unter 75° öfter auftreten soll, und daß damit das Richtige getroffen ist, beweisen die Angaben,2 daß von den Anteilsmeiereien 80 Prozent, von den Gutsmolkereien 56 Prozent, von den Ankaufsmolkereien 63 Prozent pasteurisieren und diese mit Pasteurisierung arbeitenden Betriebe 51*7 Prozent feinste Butter I. Klasse und nur 12-9 Prozent minderwertige Butter lieferten, während die Molkereien ohne Pasteurisierung des Kahms nur 16-3 Prozent feinste und 40-8 minderwertige Butter produzierten. Auch die Versuche von FABBINGDON und RÜSSEL3 zeigen, daß kein Unterschied im Wohlgeschmack der Butter von pasteurisiertem und nichtpasteurisiertem Rahm vorhanden sei. Die Autoren fanden nur, daß die pasteurisierte mehr süß, glatt und quarkartig schmecke und die Körnung und Festigkeit etwas geringer sei. Ebenso spricht sich auch zugunsten des Pasteurisierverfahrens der 37. Bericht des Königlich Dänischen Versuchslaboratoriums aus. Die Qualität der Butter werde durch das Pasteurisieren besser, ohne daß die Butterausbeute merklich geringer würde. Ein besonderer Vorteil der Pasteurisierung besteht schließlich noch darin, daß die Haltbarkeit der Butter aus pasteurisiertem Rahm nach allen einschlägigen Berichten besser ist, als bei der aus nicht pasteurisiertem. Sprechen nun schon die eben angeführten Erfahrungen dafür, daß die Butterqualität unter dem Pasteurisieren des Rahmes auch 1

So warnte man z. B. davor, zu konzentrierten Rahm zur Butterbereitung zu benutzen, da die zur Säuerung benutzten Beinkulturen oder bei Zusatz von Buttermilch die Buttermilchbakterien in dem Falle zu schlechte Ernährungsbedingungen fänden und dadurch die Qualität der Butter beeinträchtigt würde. ' NILS ENGSTRÖM, Tidskrift för Landmän. Ref. Milchzeitung. 1898. S. 711. 3 Ref. Milchzeitung. 1898.

Abtötung

der Tuberkelbaxillen

im Rahm

durch Pasteurisieren

769

bei Temperaturen über 70° nicht leidet, so war es doch wichtig, durch Versuche nochmals die noch immer nicht ganz beseitigten Einwände gegen das Pasteurisieren auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Die folgenden Experimente haben demnach die Aufgabe, festzustellen, ob das Pasteurisieren die Qualität der Butter im allgemeinen schädige, ob der Kochgeschmack des Rahmes auf die Butter übergehe, und ob die Temperaturen unter 70° oder höhere Wärmegrade bessere Resultate beim Pasteurisieren liefern. Zu dem Zwecke wurden in einer hiesigen großen Molkerei einige Rahmpasteurisierversuche bei verschiedener Temperatur gemacht. Als Pasteurisierapparat diente ein altes Modell von B I T T E « und SEIDENSTICKER, das 7 0 Liter faßte. Nach dem Erhitzen wurde der Rahm mittels eines SCHMIDT sehen Kühlers auf 14° abgekühlt, dann zur Unterstützung der Säuerung mit 3 bis 5 Litern nicht pasteurisierten Rahms versetzt und am Abend desselben Tages angewärmt — dieses ist, wenn man sich nicht der sogenannten Reinkulturen bedienen will, notwendig, um eine rechtzeitige gute Säuerung zu erzielen. Der am folgenden Tage sauer gewordene Rahm wurde alsdann in einem Handbutterfaß verbuttert und die so gewonnene Butter mit der von derselben n i c h t pasteurisierten Sahne im großen hergestellten verglichen. Die Geschmacksprüfungen der Proben wurden nicht nur von den Angestellten der Molkerei, sondern auch von mehreren anderen mit feinem Geschmack begabten und unparteiischen Personen vorgenommen. 1. Versuch: bei 30 Minuten langer Einwirkungsdauer von 65°. Die Butter wurde für weniger gut, von auffälligem Geschmack, weniger erfrischend, körnig, von einer Dame sogar für schlecht erklärt. 2. Versuch: bei 20 Minuten langer Einwirkung von 69 bis 70°. Auch hier wurde die Butter allgemein für weniger gut erklärt. 3. Versuch: 10 Minuten lange Einwirkungsdauer von 75°. Der Rahm hat deutlichen Kochgeschmack. Die Butter wurde für wesentlich besser gehalten als die bei 65 und 69 bis 70° pasteurisierte; von mehreren Personen wurde kein Unterschied zwischen dieser und der nicht pasteurisierten Butter gefunden. Als einziger Fehler wurde angegeben, daß sie nicht so erfrischend und weniger nach Sahne schmecke. 4. Versuch: 5 Minuten lange Einwirkung von 90°. Starkem Kochgeschmack des Rahmes. Hier wird allgemein kein Unterschied zwischen pasteurisierter und nicht pasteurisierter Butter gefunden, ja erstere wird von mehreren Personen sogar für besser gehalten FLÜGGE, T u b e r k u l o s e

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Herr

als letztere. Ein Kochgeschmack tritt bei der Butter nicht im mindesten hervor. Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß die Qualität der Butter durch zweckmäßiges Pasteurisieren des Rahmes nicht geschädigt wird, daß insbesondere der Kochgeschmack des Rahmes nicht auf die Butter übergeht und daß das Pasteurisieren bei hohen Temperaturen, wie auch in Schweden beobachtet ist, bessere Resultate gibt, als wenn man niedrige Wärmegrade anwendet. Ist es demnach angängig, ohne Schädigung der Butterqualität hohe Pasteurisiertemperaturen zu benutzen, so wird damit auch die Möglichkeit gegeben, die Zeit des Pasteurisierens auf ein derartiges Minimum herabzudrücken, daß die Einführung des kontinuierlichen Betriebes beim Pasteurisieren ohne hygienische Bedenken ins Auge gefaßt werden kann. Dazu gehört aber in erster Linie, daß die T e m p e r a t u r und ihre E i n w i r k u n g s d a u e r zur Abtötung aller T u b e r k e l b a z i l l e n sicher genügt und diese beiden Faktoren für jedes einzelne Milchteilchen gewährleistet sind. Bezüglich der Resistenz der Tuberkelbazillen in flüssigen Medien gegen Hitze liegen in der Literatur eine ganze Reihe von Untersuchungen vor, so von MABTXN, BONHOFF, S C H I L L und F I S C H E B , F Ö B S T E B und seinen Schülern, B I T T E » U. a. Doch lassen sich aus allen diesen Arbeiten nicht die zur Erzielung einer sicheren Abtötung erforderlichen Grenzwerte ableiten, welche geradq beim Pasteurisieren in Betracht kommen und deren Feststellung von der allergrößten Wichtigkeit ist; denn erst dann wird sich für die am zweckmäßigsten erscheinende Pasteurisiertemperatur auch die notwendige Einwirkungsdauer festlegen lassen, die man in praxi zur Sicherheit lieber noch etwas überschreiten wird. Überblickt man die Resultate der bisher veröffentlichten Versuche über die Resistenz der Tuberkelbazillen gegen Hitze in feuchten Medien, so zeigt sich, daß bei Temperaturen unter 60° die Einwirkungsdauer eine sehr lange sein muß, um eine Abtötung der Tuberkelbazillen herbeizufuhren. So genügen bei 50 0 nach BONHOFF noch nicht 60 Minuten (Bouillonkultur), nach M A R T I N 2 bei tuberkulösem Organsaft nicht 5 und nach F Ö H S T E E 3 bei tuberkulöser Milch nicht einmal 12 Stunden zur Abtötung, während bei 55° nach F Ö B S T E B die Abtötungsgrenze zwischen 3 und 6 Stunden liegt. Bei 60° hat F Ö R S T E S (tuberkulöse Milch) noch nicht nach 45 Minuten, 1

1 BONHOFF, Hygien. R u n d s c h a u . 1892. Nr. 23. * MABTIN, Ref. Centralblätt für Bakteriologie. 1888. S. 521. 3 FÖHSTEE, Hygien. R u n d s c h a u . 1892. Nr. 20. — 1893. Nr. 15.

Abtölung

der Tuberkelbazillen

im Rahm durch Pasteurisieren

771

dagegen schon nach 2 0 Minuten bei Bouillonkulturen völlige Vernichtung der Tuberkelbazillen gesehen. Bei 70° reicht nach Y E R S I N 1 und F Ö R S T E R eine 1 0 Minuten, ja nach B A N G 2 und F Ö B S T E B sogar schon eine 5 Minuten lange Einwirkungsdauer aus, während S O E M A N I 3 und G A L T I E R 4 bei 1 0 Minuten noch keine Abtötung sahen. M A R T I N hat bei tuberkulösem Saft eine 4 - bis 7 stündige Einwirkungsdauer von 73 bis 75° als unzureichend gefunden, eine Beobachtung, an deren Einwandslosigkeit man wohl einigen Zweifel hegen wird. Bei Temperaturen von 75° und darüber nimmt die Widerstandsfähigkeit nach allen Erfahrungen schnell ab und nur von S O R M A N I wird angegeben, daß sich die Tuberkelbazillen in einem Gemisch von Milch und tuberkulösem Sputum bei 10 Minuten langer Einwirkung von 90° lebend erhalten hätten. Dieser Angabe steht jedoch die von F Ö R S T E R gegenüber, daß die Tuberkelbazillen bei 90° in 2, bei 95° in 1 Minute abgetötet wurden, während allerdings bei 80° eine Einwirkungsdauer von 1 Minute nicht genügte. Dagegen wird nach den Versuchen von H E I M 5 die Infektiosität tuberkulösen Sputums vernichtet., sobald dasselbe auf 80 bis 85° erhitzt wird. BONHOFF

Die Verschiedenheit dieser Angaben beruht wohl darauf, daß einmal keine einheitliche Anordnung der Experimente beobachtet, dann aber auch sehr verschiedenes Material, wie Organsaft, Sputum, Sputum und Milch, Reinkulturen in Bouillon usw. verwendet wurde, das sich der Hitze gegenüber sehr verschieden verhält. Dann muß man aber auch in Betracht ziehen, daß die verschiedenen Stämme von Tuberkelbazillen nicht gleich widerstandsfähig gegen Hitze zu sein brauchen, obgleich dabei die Unterschiede, nach Analogie mit anderen (nicht sporenbildenden) Bakterien, nicht allzugroß sein können. Es erschien demnach wünschenswert, noch eine Reihe Versuche darüber anzustellen, wie sich speziell im Eahm das Absterben der Tuberkelbazillen durch hohe Temperaturen vollzieht. Diese Untersuchungen sind jedoch, wenn man möglichst zuverlässige Resultate haben will, nicht ohne Schwierigkeiten. Alle Versuche, die in der Weise angestellt sind, daß die Bazillensuspension in Milch, Bouillon usw. eine bestimmte Zeit in ein Wasserbad von bestimmter Temperatur gebracht wurden und daß dann die ganze Dauer des Aufenthalts als abtötende Zeit angenommen wurde, sind nicht einwandfrei. In Wirklichkeit sterben die Bakterien schneller, da ja nach dem Volum der zu erwärmenden Flüssigkeit 1

5

Erwähnt von DE MAN, Archiv für Hygiene. Bd. 1 8 . 4 Ebenda. ' SORMANI, Ebenda. GALTIBR, Ebenda. Deutsche militär-ärztliche Zeitschrift 1 8 9 3 .

YERSIN,

* BANG, HEIM,

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Herr

und deren Art verschieden lange Zeit verfließt, bis die Suspensionsflttssigkeit die Temperatur des Wasserbades angenommen hat. Diese Fehlerquelle hat DE MAN dadurch auszuschalten versucht, daß er die Suspensionen in Glasröhren brachte, die zu Kapillaren ausgezogen waren und nach der Füllung abgeschmolzen wurden. Bevor er den Abtötungsversuch bei einer bestimmten Temperatur ausführte, beobachtete er durch Kontrollversuch die Zeit, die zur Erwärmung der in den Röhrchen befindlichen Flüssigkeit auf die Temperatur des Wasserbades nötig war. Diese addierte er zu der Zeit, bei welcher er die Widerstandskraft der Tuberkelbazillen prüfen wollte und konnte auf diese Weise feststellen, in welcher Zeit eine konstante Temperatur die Tuberkelbazillen abtötete. Dieser Versuchsanordnung schloß ich mich zunächst in dem Teil meiner Versuche an, in dem es sich um Prüfung hoher Temperaturen mit möglichst kurzer Einwirkungsdauer handelte. Die Erwärmung der Flüssigkeit bei den von mir. benutzten Glasröhren gebrauchte jedoch bis zu 2 Minuten, um genau auf die Temperatur des Wasserbades zu kommen; wenn z. B. das gefüllte Böhrehen in ein Wasserbad von 90° tauchte, stieg zwar zunächst das in dem Röhrchen enthaltene Thermometer schnell, um dann aber in den achziger Graden bis l 3 / 4 Minuten zu verweilen, eine Einwirkungsdauer, die für das Abtöten der Tuberkelbazillen nicht ohne Belang ist. Diese Ungenauigkeit schaltete ich in den folgenden Versuchen durch eine Abänderung des von DE MAN geübten Verfahrens aus. Von einer langen Glasröhre gleicher Wandstärke und gleichen Durchmessers wurden etwa 4 ccm haltende Gläschen angefertigt und an beiden Enden in Kapillaren ausgezogen. Alsdann wurde ein Rohrstück nur an einer Seite ausgezogen und abgöschmolzen, mit etwa 4 ccm Rahm gefüllt und ein dünnes Thermometer hineingesteckt. Durch Einstellen des so versorgten Röhrchens in kochendes Wasser konnte nun durch mehrfache Versuche festgestellt werden, wie lange der Rahm zu seiner Erwärmung auf die gewünschten Temperaturen gebraucht. Auf 70° stieg die Temperatur nach 30 Sekunden 75° 32 80° 37 bis 38 85° 43 bis 46 90° 53 bis 55 95° 55 bis 58 1 1 Bei den Versuchen wurden als Vorwärmezeiten bei 80° 37', bei 85° 43', bei 90° 53', bei 95° 55' angewendet.

Abtötung der Tuberkelbazillen im Rahm durch Pasteurisieren

773

Als Wasserbad wurde ein hohes Blechgefäß mit doppelter Wandung und Filzumkleidung gewählt. Die Temperatur schwankte darin um höchstens etwa 1/2° C. Als Versuchsmaterial wurde Rahm mit tuberkulösem Sputum durch Schütteln in einer Schüttelflasche innig vermengt Die Tuberkelbazillen konnten darin leicht mikroskopisch nachgewiesen werden. Dieses Gemenge wurde in ein oben beschriebenes Glasröhrchen eingesogen und letzteres dann zugeschmolzen, wobei darauf geachtet wurde, daß möglichst wenig Luft in dem Röhrchen zurückblieb. Das Röhrchen wurde dann in ein Körbchen aus feinem Drahtgeflecht gelegt, das mit einem in der Höhe des Röhrchens stehenden Thermometer armiert war. Nun wurde z. B. in dem Abtötungsversuch bei 90° das Körbchen 53 Sekunden lang in kochendes Wasser eingetaucht, dann schnell in das danebenstehende Wasserbad von 90° gehängt, um hier die gewünschte Zeit au verbleiben. Die Zeitmessung erfolgte mittels einer die Sekunden anzeigenden Arretieruhr. Hierauf wurde das Körbchen mit Inhalt in Wasserleitungswasser gestellt und bis auf 12 bis 13° abgekühlt Der ganze Inhalt wurde schließlich einem Meerschweinchen intraperitoneal injiziert. Auf diese Weise wurde Rahm mit suspendierten Ttiberkelbazillen auf verschiedenen Temperaturen verschieden lange erwärmt und zwar mit umstehendem Resultat (siehe Tabelle I). Zu dieser Tabelle ist zu bemerken, daß bei den Versuchen von 65 bis 68° die Erhitzung des Materials in Reagensröhrchen auf dem Wasserbade stattgefunden hat ohne Berücksichtigung des zur Erwärmung bis auf diese Temperater erforderlichen Zeitaufwandes. Bei den Versuchen Nr. 8 bis 16 starb das Kontrolltier nach 5 Tagen; doch kann man annehmen, daß die Tuberkelbazillen lebend und virulent waren, da sich im Ausstrich von Bauchhöhlenflüssigkeit Häufchen und reichlich Tuberkelbazillen fanden, und zwar scheint der Befund deshalb für die Infektiosität des Rahmes zu sprechen, weil in derselben Versuchsreihe Nr. 15 85° 3 Minuten, bei dem das Tier in derselben Zeit starb, sich keine Tuberkelbazillen fanden. Bei Nr. 14 84° i l j 2 Minuten starb das Tier ebenfalls zu früh, und es fand sich an der Blase ein kleiner, abgekapselter Herd von Infektionsmaterial, in dem sich einige Tuberkelbazillen fanden; dieselben waren jedenfalls durch die sie umgebenden Fettmassen vor der Resorption geschützt worden. Daß dieselben abgetötet waren, kann man daraus entnehmen, daß in demselben Versuch mit demselben Material schon bei niederer Temperatur und kürzerer Zeit

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9. bis 23. III. gestorben an hochgrad. Tuberkulose

30. III. bis 9. VI. Tuberkulose

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im Rahm durch Pasteurisieren

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Kontrolle

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ii ii II nach 7 Wochen Junge geworfen. Gesund, kein Befand j gestorben

»> i> keine Tuberkulose kein Befand

» II ziemlich starke Tuberkulose sehr geringe Tuberkulose kein Befand

kein Befund keine Tuberkulöse kein Befund

Bemerkungen

Abtötung der Tuberkelbazillen 775

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Herr

776

eine Abtötung erfolgt war. Ferner sprechen dafür die Erfolge von Nr. 20 bis 29. Bei einer später angestellten 4. Versuchsreihe1 wurden zur Stützung der ersten 3 Versuchsreihen nochmals Temperaturen von 90, 85 und 80° gewählt; dieses schien deshalb notwendig, um der vielfach vertretenen Ansicht, daß die verschiedenen Tuberkelbazillenstämme verschiedene Resistenzfähigkeit besäßen, Rechnung zu tragen und die Widerstandsfähigkeit der Tuberkelbazillen gegen die beim Rahmpasteürisieren besonders in Betracht kommenden Temperaturen der Sicherheit halber mehrfach zu prüfen. Außerdem wurden noch Temperaturen bis herab zu 65° bei dem Versuch angewandt,! um möglichst für. alle beim Pasteurisieren in Betracht kommenden Temperaturen die Abtötungsgrenze festlegen zu können. Die Resultate dieser Versuchsreihe sind aus nachstehender Tabelle II zu entnehmen. Nach den 4 Versuchsreihen zu schließen, liegt die Abtötungsgrenze bei 65° zwischen 10 und 15 Minuten. Die Abtötung bei 65° in 15 Minuten stimmt mit dem DE MAH sehen Versuche überein. Bei 70° lag der Abtötungswert zwischen 1 und 5 Minuten. Bei 75 und 73° war bereits nach 5 Minuteri den Tuberkelbazillen ihre Infektiosität genommen; ob aber schon 3 Minuten dazu genügen, läßt sich ebenso wie bei 70° und 3 Minuten nicht mit Sicherheit sagen, da beide Tiere zu früh eingingen. Jedenfalls wurden 12 Tage nach der Injektion bei einem Tier. Tuberkelbazillen an der Impfstelle gefunden. Die außerordentliche Spärlichkeit derselben und das völlige Fehlen derselben beim Kontrolltier könnten dafür sprechen, daß es abgetötete, mit dem Material injizierte Bazillen waren. Bei 80° genügte ein 5 Sekunden langes Einwirken dieser Temperatur nicht zur Abtötung; auch bei 1 Minute langer Einwirkung waren bei dem vorzeitig gestorbenen Tier 16 Tage nach der Impfung Tuberkelbazillen an der Impfstelle nachweisbar, während bèi dem Kontrolltier nach ca. 9 Wochen keine tuberkulösen Erscheinungen vorhanden waren. Dieser Grenzwert ist als nicht sicher festgelegt zu betrachten. Bei 3 Minuten langer Einwirkung von 80° werden die Tuberkelbazillen aber sicher abgetötet Bei 85 0 und höheren Temperaturen genügt eine 5 Sekunden lange Einwirkungsdauer, um den Tuberkelbazillen ihre Infektiosität zu nehmen. 1

Dieselbe wurde nach. meiner Versetzung nach Posen im hygienischen Institut daselbst ausgeführt, dessen Direktor, Hrn. Prof. WEBNICKE, ich für die Erlaubnis zur Anstellung der Versuche und für die Überlassung des Materials zu Dank verpflichtet bin.

Abtötung der Tuberkelbazillen im Rahm durch Pasteurisieren

777

T a b e l l e II. Einwirkungsdauer der Temperatur

Lebensdauer

Befund

30.1. bis 4. III. Hochgrad. Tuberkulose der Leber T.-B. durch Kultur und Milz; geringere der Lungen. reinStarke Tuberkulose der Achsel- u. Schenkeldrüsen. Verkäsung der gezUcbtet. Injektionsstelle. Tuberkelbazillen in den befallenen Organen.

Kontrolleimpfung für die folgende Serie

30.1. bis 27. III.

Ausgesprochene Tuberkulose in allen Organen.

30.1. bis 4. IV. Keinerlei Anzeichen von Tubergetötet kulose.

90°

5 Sekund.

85°

30.1. bis 28. II. Weder an der Impfstelle noch gestorben sonst am Körper Anzeichen von Tuberkulose. 5 Sekund.

80°

75°

75®

1 Minute

1 Minute

3 Minuten

desgl.

desgl.

30.1. bis 4. IV. getötet

Keine Anzeichen von Tuberkulose.

30.1. bis 4. IV. getötet

desgl.

desgl.

desgl.

30.1. bis 4. IV. gestorben

desgl.

30.1. bis 4. IV. getötet

desgl.

30. I. bis 4. IV. getötet

desgl.

30.1. bis 8. II. Nekrose der Haut an der Injektionsstelle mit geringem, käsigem gestorben Herd, in dessen käsigem Eiter zwei Tuberkelbazillen gefunden werden. Beide Schenkeldrüsen leicht geschwollen. Tuberkelbaz. im Ausstrich nicht nachweisbar. 30. I. bis 2. II. Brand "der Bauch- u. Brusthaut. Keine Tuberkelbazillen in den gestorben brandigen Partien nachweisbar. Keine tuberkulös. Veränderungen.

70»

Bemerkungen

5 Minuten

30.1. bis 4. VI. getötet

Keine Anzeichen von Tuberkulose.

Tod durch Pneumonie

778

Herr

T a b e l l e IL Einwirkungsdauer der Temperatur

70®

S Minuten

Lebensdauer

66°

1 Minute

10 Minuten

Befund

Bemerkungen

30. I. bis 8. II. Verkäsung an der Injektionsstelle. gestorben Im käsigen Eiter 1 Tuberkelbaz. n. Durchsicht mehrere Präparate. SO. I. bis 28. U. An der Injektionsstelle eine Hautnekrose. Keine Verkäsung; Organe normal bis auf leichte Pneumonie. 30.1. bis 8. II. gestorben

70"

(Fortsetzung.) '

Kleine verkäste Stelle am Infektionsort; im Käse ziemlich reichlich Tuberkelbazillen. Das Tier war totgebissen.

80.1. bis 4. IV. Verkäsung der Achseldrüse rechts. getötet Tuberkulose der Leber , und Milz sehr stark; vereinzelte Knötchen in der Lunge. Tuberkelbazillen durch Organausstrich nachgew. 30.1. bis 18.11. Verkäsung der Injektionsstelle; 1901 geschwollene Achseldrüsen. Im gestorben käsigen Eiter reichlich Tuberkelbazillen, im Achseldriieenausstrich spärlich Tuberkelbazillen. •

30.1. bis 4. IV. getötet

Keine Anzeichen von Tuberkulose.

Trägt man die Abhängigkeit der Abtötung der Tuberkelbazillen im Bahm von der Temperaturhöhe und der Dauer der Einwirkung der Temperatur g r a p h i s c h auf, so ergibt sich ungefähr nachstehendes Bild (s. Figur 21 auf S. 779). Aus den Versuchen geht hervor, daß der Tod der Tuberkelbazillen oder richtiger gesagt der Verlust ihrer Infektionsfähigkeit erheblich schneller stattfindet, als man bisher annahm. Jedenfalls wird ein bei 85° 5 Sekunden lang pasteurisierter Bahm, da er Meerschweinchen nicht mehr infiziert, den weit weniger empfänglichen Digestionsapparat des Menschen nicht mehr zu gefährden imstande sein, und auch eine aus so vorbereitetem Bahm hergestellte Butter wird für die Gesundheit der Konsumenten keine Gefahr in sich bergen. Die kurze Zeit, die beim Erhitzen auf 85° und höhere Temperaturen genügt, um Tuberkelbazillen im Bahm abzutöten, gestattet

1

Äbtötung der Tuberkelbazillen im Rahm durch Pasteurisieren

779

es aber auch, von einem diskontinuierlichen Betriebe beim Pasteurisieren abzusehen und den k o n t i n u i e r l i c h e n zuzulassen,und somit ein schweres Hindernis für die allgemeine Einführung des Rahmpasteurisierens hinwegzuräumen. Nun wäre es aber für die praktische Nutzanwendung obiger Resistenzversuche nicht richtig, die fast momentane Erhitzung des Rahmes auf 85° als das einzig Richtige hinzustellen. Es ist dieses nur die äußerste Grenze, bis zu der man h e r a b gehen kann, nach oben zu ist man aber an diese Grenze nicht gebunden, da selbst ein Erhitzen auf 90° und, wie mir aus einer großen Molkerei Böhmens bekannt ist, bis auf 95° der Butterqualität nicht schadet, gegen etwa vorhandene Tuberkelbazillen aber einen noch größeren Schutz gewährt. »5» 90"

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Fig. 21. Abhängigkeit des Absterbens der Tuberkelbazillen in Kahm von der Temperatur und der Daser der Erhitzung.

— bedeutet einen Versuch, in dem die T.-B. abgetötet waren; + einen solchen, in dem sie am Leben blieben; ± ? einen Versuch mit zweifelhaftem Resultat.

Weiterhin wird man in der Praxis die Einwirkungsdauer der Temperaturen von 85 0 und darüber so ausdehnen, daß selbst kleine Lässigkeiten in der Bedienung der Apparate, sowie unkontrollierbare Zufälligkeiten während des Betriebes den Effekt des Verfahrens nicht beeinflussen können. Unseres Erachtens würde eine Einwirkungsdauer von 2 Minuten bei 85° u n t e r allen Umständen genügende Sicherheit für die erfolgte Abtötung von Tuberkelbazillen bieten und keinen zu großen Zeitverlustfilr den Betrieb bedeuten. Selbstverständlich müssen schließlich die Pasteurisierapparate für den

780

Herr

kontinuierlichen Betrieb derart konstruiert sein, daß sie volle Garantie dafür bieten, daß alle Teilchen des zu pasteurisierenden Rahmes nicht nur auf mindestens 85° kommen, sondern auf dieser Temperatur auch mindestens 2 Minuten verbleiben. Dieses ist aber nur möglich, wenn der Apparat mit sog. gezwungener Führung der Milch arbeitet. Solche Apparate werden z. B. vom Bergedorfer Eisenwerk hergestellt, sind schon vielfach im Betriebe, und es gelingt nach den in der Milchzeitung (1899, S. 354) veröffentlichten Versuchen mit solchen Apparaten, die oben angesetzte Temperatur und Zeiteinwirkung auf Milph bzw. Rahm zu erreichen.1 Fassen wir die Resultate der vorstehenden Versuche kurz zusammen, so ergibt sich folgendes: 1. Die Gefahr der Verbreitung von Tuberkulose durch den Genuß tuberkelbazillenhaltiger Butter läßt sich durch das Pasteurisieren des Bahmes beseitigen. 2. Das Pasteurisieren des Rahmes bed Temperaturen von 75—90 ° hat keinen nachteiligen Einfluß auf die Qualität der Butter; es scheint!sogar, daß mit der Höhe der Pästieurisiertemperatur die Güte der Butter zunimmt. Der Kochgeschmack des Rahmes geht nicht in die Butter über. 1 Der Bergedorfer Pasteurisierapparat mit gezwungener Flüssigkeitaführung und mit Behälter für längere Temperaturerhaltung ist so gebaut, daß einerseits die Milch gezwungen ist, in einer dünnen Schicht an der Heizfläche entlang ¡hoch zu steiget, so daß jedes Teilchen möglichst schnell auf die Erhitzungstemperatur gebracht wird und daß andererseits die erhitzte Milch sich in größerer Menge in dem Apparat ansammelt, also noch längere Zeit auf der gewünschten Temperatur erhalten wird, bevor sie aas demselben austritt* Der Apparat besteht aus einem doppelwandigen äußeren Behälter, in dessen Zwischenraum Dampf geführt wird. An dem luftdicht schließenden Deckel ist ein Zylindermantel befestigt, welcher bis fast auf den Boden hinabreicht. Zwischen dem inneren Zylindermantel und dem doppelwandigen äußeren Behälter ist auf der . Achse mittels Armen ein Zylinder mit hohlem Boden drehbar angeordnet. Mantel nnd Boden dieses Zylinders tragen Rührflügel. Die zu erhitzende Milch tritt durch ein Bohr in der Mitte des Bodens ein, ist gezwungen, zwischen Boden und Seitenwandungen -hindurch in die Höhe zu steigen, wobei sie durch das Bührwerk gründlich gemischt und am Anbrennen gehindert wird. Die erhitzte Milch tritt alsdann über den Band des rotierenden Zylinders, gelangt zwischen den Wänden desselben und des Zylindermantels bis auf den Böden des Zylinders und steigt in diesem allmählich in die Höhe, um schließlich durch ein Rohr im Deckel abzufließen. Um auch für die zuerst auslaufende Milch die lange TemperatureinWirkung zu sichern, wird ein „Vorwärmer" benutzt, der die Milch auf 75 bis 800 anwärmt, schon bevor sie in den Pasteurisierapparat eintritt.

Ablötung der Tuberkelbazillen im Rahm durch Pasteurisieren

781

3. Ein 5 Sekunden langes Pasteurisieren des Rahmes bei 85° C. beseitigt die Gefahr der tuberkulösen Infektion vollständig. 4. Für die Praxis empfiehlt sich ein Pasteurisieren des Eahmes bei 85° mit einer Dauer von 2 Minuten. Dafür ist die Anwendung von Pasteurisierapparaten mit sog. gezwungener Bahmführung Bedingung. 5. Für die vom hygienischen Standpunkt eventuell zu fordernde Einfuhrung gesetzlicher Bestimmungen über das Pasteurisieren des zur Butterbereitung dienenden Kahmes sind durch die vorstehenden Versuche die nötigen experimentellen Unterlagen gegeben.

39. Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen. Von Carl Flügge. 1. Die l e i t e n d e n G e s i c h t s p u n k t e bei A u f s t e l l u n g des Versuchsplans. Für die Erkenntnis der Entstehungsweise der Tuberkulose des Menschen kommen in erster Linie die klinische Beobachtung und der pathologische Befund in Betracht. Aber diese Methoden sind hervorragend leistungsfähig nur, insoweit das Vorschreiten und der Ablauf des Krankheitsprozesses i n n e r h a l b des ergriffenen Menschen in Frage kommt. Wohl läßt sich auch der erste Beginn der Erkrankung in solcher Weise feststellen. Aber hierbei kann es fraglich bleiben, ob von dem Ort der ersten Erkrankung aus auch auf die Eintrittsstelle der Krankheitserreger in den Körper Rückschlüsse möglich sind. Dies gelingt nur unter der Voraussetzung, daß die erste Eintrittsstelle mit manifester Erkrankung reagiert ;— und das wird von einigen Beobachtern bestritten —; und ferner unter der Voraussetzung, daß nicht die gleiche pathologische Veränderung von verschiedenen Eintrittswegen aus hervorgerufen werden kann — wie z. B. der Lungentuberkel auf bronchogenem und hämatogenem Wege. Fast niemals ißt aber aus den klinischen Symptomen und aus den pathologischen Befunden zu entnehmen, in welcher Form die Bazillen zu der infizierten Stelle gelangt und von welchen Infektionsquellen sie geliefert sind; ob also z. B. eine tuberkulöse Halsdrüse durch Kontakte mit Sputum, oder durch die Einatmung von Tuberkelbazillen in Staub- oder Tröpfchenform, oder durch die AufDahme aus Milch oder Butter perlsüchtiger Kühe infiziert ist, das bleibt vorläufig unaufgeklärt. Nur insofern kann in neuester Zeit wenigstens ein Rückschluß auf eine vom Menschen oder von der Kuh herrührende Infektion an pathologischem Material gewonnen werden, als die Kultur der an der erkrankten Stelle gefundenen Bazillen deren Herkunft erkennen

Carl Flügge: Rückblick auf die Ergebnisse der vorsteh. Untersuchungen

783

läßt. Nach der Meinung einiger Autoren ist auch dies nicht einmal sicher, weil der Übergang des einen Typus in den anderen nicht ausgeschlossen werden kann. So bleibt denn der Hygiene, als derjenigen Disziplin, welche sich mit dem Verhalten der Krankheitsursachen innerhalb der äußeren Umgebung des Menschen und vor ihrem Eintritt in den Körper zu befassen hat, ein weites Feld der Tätigkeit. Um die Verbreitungsweise der Erreger kennen zu lernen, bedarf es vor allem der genaueren Untersuchung der Infektionsgelegenheiten; wir müssen sehen, wo in der natürlichen Umgebung des Menschen an seiner Kleidung, an Gebrauchsgegenständen, in der Wohnung, in der Atemluft, in Nahrungsmitteln — das Kontagium sich findet und in welchen Mengen es hier vorkommt. Die Beeinflussung der Infektionsgelegenheiten durch Alter, Beschäftigung, Sitten und Gewohnheiten, Wohlhabenheit usw. muß festgestellt werden, um Anhaltspunkte für eine rationelle Bekämpfung der Infektionsquellen zu gewinnen. Bei anderen Krankheitserregern ist der Nachweis ihrer Aufenthaltsstätten in der menschlichen Umgebung meist durch Plattenkultur möglich, die uns zugleich über die Menge der vorhandenen Erreger orientiert. Für den Tuberkelbacillus ist aber leider diese Methode nicht anwendbar, und es bleibt nur die Übertragung des untersuchten Materials auf Versuchstiere als brauchbares Mittel zum Nachweis übrig. Wird nun die Übertragung, wie es gewöhnlich geschieht, subkutan oder intraperitoneal bei den übermäßig empfindlichen Meerschweinchen vorgenommen, so ist eine minimale Zahl von Tuberkelbazillen, vielleicht schon ein einziger, zur Infektion ausreichend. Man prüft dann also mit einem ganz unnatürlichen, übertrieben feinen Infektionsmodus, der seine Berechtigung hat, solange man nur die Frage stellt: sind in dem untersuchten Material Tuberkelbazillen vorhanden oder nicht? — der aber seine Berechtigung verliert, wenn die Frage lautet: sind in dem Material so viel Tuberkelbazillen und in solcher Form, daß auf dem zugehörigen Infektionswege unter natürlichen Verhältnissen Infektion eintreten kann? So ist der in Wohnungen gesammelte Staub, so cter Staub von Kleidern, der Schmutz der Hände, so ist Milch und Butter mittels subkutaner oder intraperitonealer Meerschweinchenimpfung auf einen Gehalt an Tuberkelbazillen untersucht. Nur in seltenen Fällen hat man eine ungefähre Orientierung über deren Menge dadurch versucht, daß man das Material in abgestuften Verdünnungen verimpft hat.

784

Carl

Flügge

Aber um die von einer bestimmten Infektionsquelle ausgebende Gefahr richtig zu beurteilen, müßte man offenbar den a d ä q u a t e n Infektionsweg anstatt jener subkutanen oder intraperitonealen Impfung zur Anwendung bringen. Der Wohnungsstaub, von dem man Infektion durch Inhalation befürchtet, müßte als schwebender Luftstaub von den Versuchstieren inhaliert werden; Milch und Butter müßte man so, wie sie im Milchhandel häufig vorkommen, an Tiere verfüttern; den Schmutz der Hände müßte man intrastomachal einverleiben. Der Ausfuhrung dieser Methodik stellen sich allerdings so erhebliche Schwierigkeiten entgegen, daß sie auch in unseren Versuchsreihen nur ausnahmsweise zur Anwendung gekommen ist (HEYMANN bei der Inhalation von Hustentröpfchen, KÖHLISCH bei der Inhalation von tuberkelbazillenhaltigem Staub). Es gibt aber noch einen anderen Weg, um zu einer richtigen Einschätzung der Infektionsquellen zu gelangen. Man kann die verschiedenen Infektionswege am Tier auf ihre Gangbarkeit prüfen und untereinander vergleichen. Man findet dann, daß auf dem einen Wege sehr viel mehr Bazillen zur Infektion erforderlich sind, als auf dem anderen, und daß auch die Schnelligkeit der Infektion entsprechend variiert. Nun wäre es freilich falsch, direkt nach den Ergebnissen dieser Tierversuche über die Leistungsfähigkeit der Infektionswege auf die Infektionsgefahr unter natürlichen Verhältnissen zurückzurechnen; sondern das einzig zulässige und richtige ist, die tunlichst quantitativ erforschte Infektionsgelegenheit nunmehr mit dem gleichfalls quantitativ geprüften a d ä q u a t e n Invasionsweg in Beziehung zu setzen — nicht aber mit solchen, die für die in Rede stehende Infektionsquelle belanglos sind. Die Inhalation kommt so gut wie gar nicht in Betracht, wenn in der Umgebung phthisische Menschen fehlen, aber die Produkte von perlsüchtigen Tieren reichlich vorhanden sind; und die Darminfektion fällt fast ganz aus, wenn Nahrungsmittel mit Perlsuchtbazillen fehlen und wenn es sichr um eine reinlich gewöhnte, den Eontakten mit Sputum nicht ausgesetzte Umgebung handelt. Berücksichtigen wir neben den zugehörigen Infektionswegen auch die Infektionsgelegenheiten tunlichst quantitativ, so läßt sich in der Tat eine Rechnung aufstellen, welche über die Infektionsgefahr eine Orientierung verschafft. Kennt man die Mengen Tuberkelbazillen, welche auf einem bestimmten Infektionswege zur Infektion genügen, so ist zu fragen, ob in der natürlichen Infektionsquelle, welche mit Hilfe dieses Infektionsweges wirksam wird, häufiger die

Rückblick

auf die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

785

betreffende Menge von Tuberkelbazillen enthalten ist. Haben wir z.B. erkannt, daß 400 Millionen Tuberkelbazillen die Grenzdosis darstellen, die noch eben vom Darm aus infektiös wirkt, so prüft man nun, ob die Nahrungsmittel, wie sie üblicherweise zur Ver. fügung stehen und verzehrt werden, häufiger diese Menge Bazillen enthalten, bzw. ob in der Eegel erheblich weniger vorhanden sind. Oder: wenn festgestellt ist, daß 50 inhalierte Tuberkelbazillen in Tröpfchenform zur Infektion genügen, so muß die Luft in der Umgebung von Phthisikern darauf untersucht werden, ob sie häufiger in dem Quantum Luft, das zur Einatmung gelangt, jene Menge Bazillen enthält, bzw. innerhalb welcher Zeit der Aufenthalt in der Nähe eines Phthisikers zur Einführung dieser Bazillenzahl in die Lunge ausreicht. Selbstverständlich darf aus den in einem Einzelfall angestellten Rechnungen kein allgemein gültiger Schluß abgeleitet werden. Erst zahlreiche Beobachtungen über die Menge der in einer Infektionsquelle enthaltenen Bazillen und Berechnungen darüber, ob diese Menge auf dem zugehörigen Infektionswege wirksam werden kann, berechtigen zu einer d u r c h s c h n i t t l i c h e n Charakterisierung der von einer Infektionsquelle ausgehenden Infektionsgefahr. Hier und da gelingt es auch, auf einem anderen Wege die Gefahr einer Infektionsquelle näher zu kennzeichnen: z. B. indem das Material darauf geprüft wird, ob die vorhandenen Tuberkelbazillen sich dort in solcher Form befinden, daß sie auf dem zugehörigen Infektionswege leicht befördert werden können. Liegt ein aus Sputum hervorgegangener Staub vor, so ist dieser nie in seiner Gesamtheit als inhalationsfähig anzusehen, sondern diese Eigenschaft kommt nur feinsten, leicht schwebefähigen Elementen zu. Sondert man nun im Einzelfall die gröberen und die feigeren Anteile, so kann man eventuell schon daraus, daß der letztere sehr gering ausfällt, entnehmen, daß die Gefahr der Infektion unbedeutend ist. Schließlich kommt noch eine dritte Untersuchungsmethode in Betracht, die unter Umständen über die Bedeutung einzelner Infektionsquellen recht verläßliche Auskunft geben kann: das sind statistische Erhebungen. Wo in Familien, Bevölkerungsgruppen oder ganzen Völkern infolge von Sitten und Gebräuchen, Beschäftigungsweise usw. eine Infektionsquelle ganz zurücktritt, oder wo eine andere in besonders hohem Grade gesteigert ist, da kann aus den statistischen Zahlen über die Tuberkulosefrequenz ein Schluß FLÜGGE, Tuberkulose

30

786

Carl Flügge

darauf gezogen werden, in welchem Maße eine einzelne Infektionsquelle die Verbreitung der Tuberkulose beeinflußt. Natürlich ist ein solcher Schluß nur zulässig, wenn bei den Erhebungen allen .den Fehlern gebührend Rechnung getragen wird, welche so leicht den Wert statistischer Ergebnisse trüben. Will man schließlich durch kritische Anwendung der aufgezählten Methoden zu einer richtigen Anschauung über die Verbreitungsweise der Tuberkulose gelangen, so ist noch ein wichtiger Faktor zu berücksichtigen: die i n d i v i d u e l l e Disposition. Die Zahl der auf einem bestimmten Eintrittswege in den Körper gelangten Tuberkelbazillen entscheidet nicht allein über das Schicksal der Erreger im Körper und über das Zustandekommen einer Erkrankung: sondern auch die Disposition des Körpers und der einzelnen Organe ist hierfür von größter Bedeutung. Experimentell lassen sich viele hierher gehörige Fragen nur an Versuchstieren behandeln; dann wird man nur mit großer Vorsicht von diesen auf dien Menschen zurückschließen dürfen, und pathologische Befunde und Untersuchungen am lebenden Menschen müssen unbedingt zur Ergänzung herangezogen werden. Zum Teil fällt daher die Frage der Disposition aus dem Arbeitsbereich der hygienischen Institute heraus und kann in solchen nur lückenhaft behandelt werden. — Haben wir durch Untersuchungen der skizzierten Art die Verbreitungsweise der Tuberkulose genauer kennen gelernt, so lassen sich zweifellos besser als bisher die für eine rationelle Bekämpfung der Krankheit erforderlichen Unterlagen beschaffen. Vielfach wird allerdings der Standpunkt vertreten: „eine Bekämpfung gelingt auch ohne genauere Erkenntnis; wir müssen eben a l l e Infektionsquellen verstopfen, mögen sie Bpärlich oder reichlich fließen, mag von ihnen aus ein betretener oder ein schwieriger InfektioüB'weg in's Innere des Körpers fuhren, und mag der Mensch für den betreffenden Infektionsmodus mehr oder weniger empfänglich sein". — Da aber jede praktische Bekämpfungsmaßregel einen Aufwand an Geld, Zeit, Arbeit und außerdem eine gewisse Sorgfalt und Selbsbeschränkung erfordert, und da wir deshalb nicht erwarten dürfen, daß ein großes Aufgebot von Maßnahmen stets vollkommen und ohne Ausfall durchgeführt wird, so ist es sicher wünschenswert, die g e f ä h r l i c h s t e n und h ä u f i g s t e n Quellen der Infektion als solche zu kennen, diese zuerst und am vollständigsten zu verschließen, dagegen bei selten ernstliche Gefahr bedingenden Infektionsgelegenheiten von weitgehenden allgemeinen Maßnahmen abzusehen. Auf diese Weise werden wir sehr viel mehr erreichen, als wenn gegen jede entfernte

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen 787 Möglichkeit einer Infektion mit den gleichen rigorosen Vorschriften vorgegangen wird, wie gegen die häufigsten und gefahrlichsten Infektionsgelegenheiten. 2. Luft mit tuberkelhäzillenhaltigen Tröpfchen als Infektionsquelle. Den größten Baum nehmen im vorliegenden Bande die Untersuchungen über den Tuberkelbazillengehalt der Luft in der Umgebung von Phthisikern ein. In dieser Beziehung waren zunächst unsere allgemeinen Vorstellungen über die Bedingungen des.Übergangs von keimbeladenen Tröpfchen und Stäubchen in die Luft und über den Transport dieser Teilchen durch Luftströmungen zu klären und nach der quantitativen Seite hin auszubauen. Speziell studiert sind dann zunächst die tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen, welche durch die Hustenstöße des Phthisikers in die ihn umgebende Luft übergeführt werden. Die Arbeiten von LASCHTSCHENKO, HEYMANN und ZIESCHF: haben die Bedeutung dieser Infektionsquelle klargelegt. Sie haben gezeigt, daß etwa 40 Prozent der Phthisiker feine Tröpfchen verstreuen, bei wiederholter Untersuchung 80 Prozent und mehr; daß die Zahl der in feinen Bronchialtröpfchen ausgeschiedenen Tuberkelbazillen binnen 1j2 Stunde und in 40 bis 80 cm Entfernung vom Hustenden nicht selten über 400, zuweilen erheblich mehr beträgt; daß ferner durch künstlich in ebenso feine Tröpfchen zerlegte Aufschwemmungen von Tuberkelbazillen sehr leicht die verschiedensten Tiere zu infizieren sind; daß es endlich auch gelingt, Meerschweinchen dadurch zu infizieren, daß sie von Phthisikern angehustet werden. — Von anderen Beobachtern sind die Befunde vollauf bestätigt; auch direkte Infektion von Meerschweinchen durch Anhusten erzielte MOELLEB in einer Versuchsreihe aus dem Jahre 1899 und in einer neueren, über welche er auf dem Hygiene-Kongreß in Berlin berichtete. — Erwähnt sei noch, daß RAVENEL die Bazillenverstreuung bei Hustenstößen auch bei tuberkulösen Kühen nachweisen konnte. Für denjenigen, dem dieser Infektionsmodus etwas Befremdendes hat, möge darauf hingewiesen werden, daß der gleiche Modus bei einer ganzen Reihe von anderen Krankheiten, bei Lungenpest, Influenza, anderen infektiösen Katarrhen der Luftwege, Meningokokken-Pharyngitis, Diphtherie u. a. m., offenbar in erheblichem Grade, bei einzelnen Krankheiten, deren Erreger gegen Austrocknen empfindlich sind, vielleicht sogar auschließlich wirksam ist. 50*

788

Carl Flügge

Hier liegt demnach eine Infektionsgelegenheit vor, die auch für die Verbreitung der Tuberkulose von großer Bedeutung ist. Nicht nur die Häufigkeit ihres Vorkommens und die Ausgiebigkeit, mit der sie immer aufs neue, Tag für Tag, oft stundenlang, beim hustenden Phthisiker in Funktion tritt, sondern auch die Erwägung, daß die Krankheitserreger in Form der Tröpfchen direkt vom Krankheitsherd losgelöst und in kürzester Frist, ohne einer Schädigung durch äußere Einflüsse ausgesetzt gewesen zu sein, bis in die feinsten Bronchien des Gesunden gelangen, daß sie ferner hier das chemisch und biologisch gleiche Substrat vorfinden, in dem sie bisher gelebt hatten, daß sie daher gar nicht als Fremdkörper wirken und Flimmerbewegung oder andere Schutzvorrichtungen des Körpers auszulösen vermögen — dies alles muß zu der Überzeugung führen, daß diese Infektionsquelle als sehr gefährlich anzusehen ist, zumal sie — wie wir sehen werden — noch durch einen besonders leicht gangbaren Invasionsweg unterstützt wird. Trotzdem soll die von den Hustentröpfchen des Phthisikers drohende Gefahr auch nicht überschätzt werden, wie dies von anderen vielfach geschehen ist. Im Gegensatz hierzu ist in den vorliegenden Publikationen stets auf die Grenzen hingewiesen, durch welche unter natürlichen Verhältnissen der Wirkungsbereich auch dieser Infektionsquelle eingeschränkt wird. Die t a t s ä c h l i c h bestehende Infektionsgefahr läßt sich ungefähr in folgender Weise charakterisieren: „Außerordentlich selten kommen so reichliche oder so dicht mit Bazillen besetzte kleinste Bronchialtröpfchen in der einen hustenden Phthisiker umgebenden Luft vor, daß schon ein kurzer (bis halbstündiger) Aufenthalt in nächster Nähe oder auch ein längerer Aufenthalt in mehr als 1 m Entfernung Infektionschancen bietet. Erst bei l ä n g e r d a u e r n d e m , wiederholtem, nahem Zusammensein mit einem Phthisiker tritt eine ernstliche Gefährdung ein; und im täglich fortgesetzten intimen Verkehr wird die Gelegenheit zur Einatmung infektiöser Mengen von Tuberkelbazillen in Tröpfchenform sehr erheblich sein. 3. L u f t mit t u b e r k e l b a z i l l e n h a l t i g e n S t ä u b c h e n a l s Infektionsquelle. In den ersten Jahren nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus wurde tuberkelbazillenhaltiger Staub auf Grund der COBNET sehen Untersuchungen als die hervorragendste Infektionsquelle der Tuberkulose angesehen. COKNET untersuchte 1 4 7 Proben von Staub aus

Rückblick auf die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

789

Zimmern von Phthisikern oder aus Krankensälen, in welchen Phthisiker lagen, und er konstatierte in 40 dieser Proben durch Uberimpfung auf Meerschweinchen Tuberkelbazillen. Positive Befunde hatte er nur da, wo die Phthisiker achtlos mit ihrem Sputum umgingen und es auf den Fußboden oder ins Taschentuch entleerten. Unter diesen Verhältnissen sollte das Sputum antrocknen, zu kleinen Partikelchen zerrieben werden, und damit sollten so feine Staubpartikelchen mit Tuberkelbazillen in die Luft übergehen, daß eine Infektion durch Inhalation zustande kommen kann. COBNET hat sich durch seine Untersuchungen entschieden ein großes Verdienst erworben. Er war der erste, der den in der Umgebung des Menschen gelegenen Infektionsquellen der Tuberkulose nachspürte, der ferner auf einen zweifellos in Betracht kommenden und bis dahin zu wenig gewürdigten Modus der Infektion nachdrücklichst aufmerksam machte und der gleichzeitig auf einfache Mittel hinwies, um diese Art von Infektion zu verhüten, indem er vorsichtiges Umgehen mit dem Auswurf ein Magazinieren desselben in Spucknäpfen und ein Verbot, auf den Fußboden oder ins Taschen* tuch zu spucken, empfahl. Trotzdem steht es außer allem Zweifel, daß COBNET die Bedeutung der Staubinhalation in quantitativer Beziehung nicht richtig eingeschätzt hat. Seine Untersuchungen mußten zu einer starken Überschätzung dieses Infektionsmodus führen, weil er den Staub feucht entnahm und öfters auch von Stellen, die gegen Berührung mit Sputum nicht sicher geschützt waren. Bei Phthisikern unter ungünstigen Wohnungsverhältnissen ist es selbstverständlich, daß von dem achtlos behandelten Sputum kleine Teilchen durch Taschentücher, durch Reinigungsprozeduren, durch Anfassen mit verunreinigten Händen usw. an alle möglichen Stellen des Wohnraumes verbreitet werden; und beim feuchten Abwischen von Wohnungsteilen müssen daher leicht auch solche Tuberkelbazillen in die Proben gelangen, die niemals staubförmig waren und für die Staubbildung gar nicht in Betracht kommen. — Eine weitere, noch bedeutsamere Überschätzung ergab sich daraus, daß die Proben Meerschweinchen intraperitoneal eingeimpft wurden; wir wissen jetzt, daß bei dieser Methodik die spärlichste Anzahl von Bazillen zur Infektion genügt, während zu einer Infektion durch Inhalation ungleich größere Mengen erforderlich sind. Darauf, daß die Infektionsquelle des tuberkelbazillenhaltigen Luftstaubs von COBNET überschätzt sei, weisen in der Folge eine Reihe von Versuchen hin, bei denen es nicht oder nur ausnahms-

790

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weise gelang, Tiere mit getrocknetem und verstäubtem phthisischen Sputum durch Inhalation zu infizieren. CORNET betonte außerdem selbst, daß es außerordentlich schwer sei, bazillenhaltiges Sputum in feinste, durch schwache Luftströmungen transportierbare Stäubchen zu zerreiben. Meine Mitarbeiter, NEISSER, STICHER, B E N I N D E , HEYMANN, GOTSCHLICH, K I R S T E I N , N O E T E L und KÖHLISCH haben es deshalb unternommen, genauere Untersuchungen über die Bildung tuberkelbazillenhaltigen Staubes, sowohl vom Fußboden, wie von Taschentüchern und Kleidern aus, und über die Transportfähigkeit dieser Stäubchen durch Luftströme anzustellen. Aus diesen Versuchen ergab sich, daß erstens eine Zerkleinerung zu feinsten Stäubchen und ein Übergang dieser in die Luft nur möglich ist bei völlig getrocknetem Matena! • Gerade dieses völlige Austrocknen wird sich am Fußboden oft sehr langsam vollziehen. Mit Kecht hat E U B N E R 1 darauf hingewiesen, daß in ärmlichen Wohnungen fast stets eine abnorm hohe Luftfeuchtigkeit vorhanden ist, BO daß die Verhältnisse für ein vollständiges Austrocknen ungünstig liegen. E s wurde ferner festgestellt, daß Taschentücher ein so vollständiges Austrocknen, wie es zum Ablösen von Fasern erforderlich ist, eigentlich nur dann erfahren, wenn sie wenig mit Sputum verunreinigt sind und dann längere Zeit unbenutzt in der Tasche getragen werden. Des weiteren wurde ermittelt, daß die tuberkelbazillenhaltigen Stäubchen, die sich am Fußboden nach intensivem .Zerreiben der getrockneten Masse bilden, nur während starker mechanischer Aktionern bis zu Kopfhöhe aufgewirbelt werden können, daß sie aber sofort aus der Luft wieder abgeschieden werden, sobald jene mechanischen Aktionen wieder vorüber sind. Von Taschentüchern, an denen Sputum eingetrocknet war, konnten Fasern, die nach dem Eintrocknen durch Zerreiben in die Luft übergeführt wurden, noch am längsten in der Luft nachgewiesen werden; vereinzelte Fasern fanden sich noch nach 15 und 30 Minuten. Zu dieser gefahrlicheren Kategorie von Stäubchen gehören namentlich aueh die Sputumreste, die an Kleider gewischt und an diesen angetrocknet sind; hier ist das Eintrocknen ein sehr vollständiges und zu feinstem Zerreiben geben die Hantierungen reichlichen Anlaß. Bei allen diesen Versuchen zeigte sich dann aber weiter, daß die Tuberkelbazillen des Sputums, bis es zur Staubbildung kommt, und während sie in Staubform lagern, ziemlich rasch geschädigt 1

Bericht über den Tuberkulosekongreß in Berlin 1899.

Rückblich auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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werden; und zwar bewirkt das diffuse Tageslicht bereits eine völlige Abtötung innerhalb 3 bis 10 Tagen. Den Ergebnissen dieser Versuche entsprechen vollständig die zahlreichen Beobachtungen, welche demnächst von HEYMANN mit einwandfreierer Methodik über die Verbreitung der Tuberkelbazillen im Staube der Wohnungen und Krankenzimmer angestellt sind. Von 120 in ausgesucht ungünstigen Phthisikerwohnungen oder in Krankenzimmern gesammelten Proben, die aber nur mit trockenem Pinsel entnommen wurden, damit man der Staubnatur des Materials sicher sein konnte, waren nur 8 Prozent tuberkelbazillenhaltig; wurden unter gleichen Verhältnissen die Proben mit feuchten Schwämmchen entnommen, so fanden sich 15 Prozent positive Proben aus Privatzimmern und 40 Prozent aus Krankensälen. Aber auch diese Untersuchungen gaben immer noch eine übertriebene Vorstellung von der w i r k l i c h e n Infektionsgefahr, weil die Proben nur durch Verimpfung auf Meerschweinchen und nicht durch Inhalation auf ihre Infektiosität untersucht wurden. In der Folge sind auch von anderen Beobachtern ähnliche Resultate gewonnen. Ganz oder fast ganz negative Untersuchungen von Staubuntersuchungen hatten K R Ü G E R , KASTNEB, BOLLINGER zu verzeichnen; K I R C H N E R hatte einmal einen positiven Befund (jedoch mit Verimpfung auf Meerschweinchen!) im Staube einer Montierungskammer, in der drei Phthisiker nacheinander beschäftigt waren. In der Heilanstalt Wald fand W A G N E B unter einer größeren Anzahl von Proben aus Phthisikerräumen und Liegehallen 8 Prozent positiv. Bei allen diesen Versuchen wurden die Proben durch subkutane oder intraperitoneale Impfung von Meerschweinchen geprüft. Eine ausgedehnte Untersuchung in Räumen mit starkem Menschenverkehr und nur gelegentlichem Aufenthalt von Phthisikern stellte GOTSCHLICH an, und zwar mit dem Resultat, daß selbst bei der Verimpfung der Proben auf Meerschweinchen nicht ein einziges Mal ein positives Resultat erzielt wurde. Den Versuch, statt der subkutanen Impfung den z u g e h ö r i g e n Infektionsweg auf den Luftstaub anzuwenden, hat zuerst COBNET angestellt. Leider hat er aber nicht den gesammelten Staub aus Phthisikerwohnungen, so wie er sich wirklich unter natürlichen Verhältnissen darbietet, inhalieren lassen, sondern er hat den Staub künstlich hergestellt, und zwar dadurch, daß er an einem Teppich größere Mengen von Sputum antrocknen ließ und dann durch kräftiges Fegen mit scharfem Besen die angetrocknete Masse in dichten Staubwolken aufwirbelte; von einer größeren Anzahl von

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Meerschweinchen, die diesen Staubwolken ausgesetzt war, wurde bei fast allen Tuberkulose konstatiert. — Den gleichen Versuch hat KÖHLISCH kürzlich wiederholt, unter tunlichster Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse. Auch in seinem Versuch sind die meisten Meerschweinchen an Tuberkulose erkrankt, nachdem er in einer die natürlichen Verhältnisse weit übertreffenden Weise (ich wüßte nicht, daß es jemals in einer Wohnung vorkommt, daß ein Teppich derart bespuckt und nach dem Trocknen mit scharfem Besen im Wohnzimmer abgekehrt wird) ein Zerkleinern und Aufwirbeln des angetrockneten Sputums bewirkt hatte. KÖHLISCH konnte berechnen, daß nur ein sehr kleiner Bruchteil der in die Luft übergegangenen Bazillen zur Infektion gelangt sein konnte; denn obwohl enorme Bazillenmengen den Luftraum erfüllt hatten, und auf die Einatmungsluft jedes Tieres allermindestens 3 bis 4000 Bazillen entfielen, zeigten die Tiere nur ganz vereinzelte primäre Lungentuberkel und zwei wiesen gar keine krankhafte.Veränderungen auf. Im Gegensatz zu diesem stark übertriebenen Versuch stellte dann aber noch einige Inhalationsexperimente mit natürlichem Staub aus Ehthisikerräumen an, und zwar in einem Apparat, in welchem der Staub durch mechanische Bewegung fortgesetzt aufgewirbelt und im Schweben erhalten wurde. Hier ergab sich ein ausnahmslos n e g a t i v e s Resultat, während bei subkutaner Verimpfung auf Meerschweinchen das Ergebnis zweimal positiv war. — Warum die Inhalation des Staubes so relativ hohe Dosen verlangt, das geht aus den weiter unten zu besprechenden Versuchen von KÖHLISCH über die Gangbarkeit dieses Infektionsweges für Staubteilchen hervor. Luft mit tuberkelbazillenhaltigem Staub ist somit als Infektionsquelle nur dann in Rechnung zu ziehen, wenn Staubteilchen von einem reichlich mit Sputum imprägnierten, rasch und vollständig getrockneten Substrat durch mechanische Zerkleinerung fortdauernd in die Luft verschleudert werden. Wer in einer solchen Luft sich längere Zeit aufhält, .kann sich zweifellos infizieren. Feine Staubteilchen, die ohne mechanische Beihilfe in die Luft übergehen und sich hier längere Zeit schwebend erhalten können, enthalten dagegen in der Regel nur geringfügige, zur Infektion durch Inhalation nicht ausreichende Mengen von Tuberkelbazillen. Im Vergleich mit den bazillenhaltigen Hustentröpfchen ist der tuberkelbazillenhaltige Luftstaub eine Infektionsquelle, die bei weitem nicht so häufig und fortgesetzt die Umgebung bedroht, sondern bei welcher die Gefahr von allerlei Zufälligkeiten abhängt. Der Weg KÖHLISCH

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen 793 vom frischen Auswurf bis zum Hingelangen in die Bronchien in Form von trockenen Stäubchen ist weit und indirekt; das Eintrocknen muß rasch erfolgen, das Zerkleinern muß geschehen sein, ehe die Lichtwirkung sich zu stark bemerkbar macht; diejenige Feinheit der Partikel, die zur Flugfähigkeit erforderlich ist, läßt sich schwer herstellen; immer bedarf es ziemlich starker Luftströme oder noch besser eines mechanischen Verschleuderns, um die Staubteilchen in die Atemluft überzuführen; und schließlich ist die Zeit, während welcher sie in der Atemluft suspendiert bleiben, meist zu kurz, als daß die erforderliche ziemlich große Zahl von Bazillen aufgenommen werden könnte, — Es gibt zweifellos Situationen, in denen die Staubinhalation eine wichtige Rolle spielt (z. B. für die mit der trockenen Reinigung infizierter Wohnungen und Kleider Betrauten; sodann in stark infizierten und ungenügend desinfizierten Eisenbahnwagen; ferner auch in MALMS Beobachtung über die Infektion von Rindern in einem Tierstall); aber die Gelegenheiten sind ungleich seltener, und auch noch mit Hinblick auf die unten betonte schwierigere Passage der Stäubchen auf dem zugehörigen Infektionsweg entschieden weniger gefährlich, als die Hustentröpfchen. 4. F ü r K o n t a k t e g e e i g n e t e I n f e k t i o n s q u e l l e n . Frisches, angetrocknetes und staubförmiges Sputum auf dem Fußboden, an Taschentüchern, Kleidern, Gerätschaften usw. findet sich in der Umgebung von Phthisikern bei schlechter sozialer Lage und Unreinlichkeit der Bewohner zweifellos sehr verbreitet; bei Reinlichkeit und unter günstigeren sozialen Verhältnissen wird dagegen die Ausbreitung stark zurücktreten. Bei der außerordentlichen Verschiedenheit, der diese Infektionsquelle ausgesetzt ist, geben selbst ausgedehntere quantitative Untersuchungen wenig Aufklärung über ihre d u r c h s c h n i t t l i c h e Verbreitung. Bemerkt sei nur, daß unter besonders ungünstigen Wohnungsverhältnissen beispielsweise auf dem Fußboden in der Hälfte der Proben (feuchte Entnahme) Tuberkelbazillen nachgewiesen wurden; an einigen Stellen noch nach lOOfacher Verdünnung. Die Infektion von dieser Infektionsquelle aus wird vorzugsweise durch Vermittelung der Finger geschehen, die, nachdem sie mit der Infektionsquelle in Berührung gebracht sind, in Mund oder Nase eingeführt werden. Eine quantitative Abschätzung läßt sich daher besser applizieren an denjenigen Teil der Tuberkelbazillen, welcher auf die Hände übergegangen ist, und eventuell an den Anteil, welcher

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im Munde zur Ablösung gelangt. OSTEBMANN hat an Kindern von Phthisikern unter ausgesucht ungünstigen Wohnungsverhältnissen den Gehalt der Hände an Tuberkelbazillen dadurch untersucht-, daß er die Hände gründlich abwusch und teils das konzentrierte, teils das in Abstufungen verdünnte Waschwasser Meerschweinchen injizierte. Unter 42 Proben fand er vier positiv, einmal noch in einer Verdünnung von 1:100. Man wird daraus schließen dürfen, daß in den üblichen Wohnräumen von Phthisikern eine Beschmutzung der Hände mit Sputum in solcher Verdünnung, daß es zur Infektion eines Meerschweinchens ausreicht, doch nicht häufig vorkommt, während hier und da gewiß infektiöse Mengen sich finden werden. Was die Ablösung der an die Hände übergegangenen Tuberkelbazillen im Munde betrifft, so wird man annehmen können, daß sie beim Kinde in der Regel eine ziemlich vollständige ist. Dagegen reichen nach OSTEBMANN s Ermittelungen die flüchtigen Berührungen der Schleimhäute, wie sie beim Erwachsenen in Betracht kommen, nur selten zu einer erheblicheren Ablösung aus. Muß man somit zugeben, daß beim Kinde für eine Aufnahme von Tuberkelbazillen durch Kontakte bei ungünstigen Wohnungsverhältnissen ziemlich bedeutende Chancen bleiben, so darf doch gerade bei dieser Infektionsart nicht vergessen werden, auch die Leistungsfähigkeit des vorwiegenden Infektionsweges vom Darm aus quantitativ zu berücksichtigen. Daraus, daß man dies unterlassen hat, ist wohl hauptsächlich die Überschätzung der Kontaktinfektion in den letzten Jahren herzuleiten. Ist man mit jedem Nachweis vereinzelter Bazillen in der Umgebung oder an den Händen eines Kindes zufrieden, und sieht man darin sofort den Beweis der Infektionsgefahr, so bewegt man sich auf entschieden unrichtiger Basis; über die Bedeutung der Infektionsgefahr können solche Erhebungen erst etwas aussagen, wenn gleichzeitig der zugehörige Infektionsweg gebührend berücksichtigt wird. Dies ist — zunächst abgesehen von dem direkten Eindringen von der Schleimhaut des Mundes und der Nase aus — hauptsächlich der Eintritt vom Darm aus, und um von hier aus zu infizieren, dazu gehören, wie wir unten sehen werden, außerordentlich große Mengen Tuberkelbazillen. Für. eine erheblichere Rolle der Kontaktinfektion ist in den letzten Jahren vor allem die Behauptung ins Feld geführt, daß gerade in dem Alter, wo die Kontaktinfektion am verbreitetsten ist, die Tuberkulosesterblichkeit der Kinders besonders ansteige. Das sind aber ganz unrichtige, nur auf einer mißbräuchlichen Verwertung von Sektionsmaterial beruhende Behauptungen. Richtig angestellte

Rückblick

auf

die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

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statistische Erhebungen zeigen vielmehr, daß im Gegenteil im 2. bis 5. Lebensjahr ein starkes Absinken der Phthise-Mortalität stattfindet. Ein zweites eindrucksvolles Argument für die Bedeutung der Kontaktinfektion ist durch die BAKTHEL'schen Meerschweinchenversuche geliefert. BARTHEL hat zuerst mehrere Meerschweinchen einer Phthisikerfamilie übergeben und nach mehrwöchentlichem Aufenthalt in der betreffenden Wohnung und nachdem die Bewohner sich möglichst intim mit den Tieren beschäftigt hatten, die Tiere anf das Bestehen tuberkulöser Veränderungen untersucht. Dabei ergab sich ein positives Resultat jedoch nur dann, wenn die Tiere bei Phthisikern untergebracht waren, die unter ausgesucht ungünstigen Verhältnissen lebten. Waren die Verhältnisse nur um ein weniges günstiger, so wurde eine natürliche Infektion dieser Tiere nicht erzielt. OSTEEMANN hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es außerdem ganz zweifelhaft ist, ob die positiven Ergebnisse wirklich auf Kontaktinfektion zurückzuführen seien; es ist nach seinen Versuchen eher wahrscheinlich, daß Staubinhalation oder Tröpfcheninhalation oder mit Tuberkelbazillen verunreinigte Nahrungsmittel die Infektion bewirkt haben; für eine Aufnahme analog der Kontaktinfektion scheint das Meerschweinchen gar nicht recht geeignet zu sein. Auch sprechen gerade diese Meerschweinchenversuche schlagend dafür, daß gelegentliche, aber nicht ausnahmsweise gehäufte Infektionsquellen unter natürlichen Verhältnissen selbst einem so überaus empfänglichen Tier gegenüber oline Wirkung bleiben. Über die erwähnten Invasionen des durch Kontakte eingeführten Kontagiums von der Schleimhaut des Mundes und der Nase aus fehlt es noch an genügenden Beobachtungen über die wirksame Grenzdosis und namentlich über die Rolle, die hier Läsionen der Schleimhaut und eine besondere Disposition spielen. Daß derartige Momente mitwirken, muß man wohl annehmen, da sonst die Entstehung von Lupus und von primären tuberkulösen Affektionen des Mundes sehr viel häufiger beobachtet werden müßte. — Immerhin sind diese Erkrankungen mit ihrem gelegentlichen langsamen Vorschreiten bis zur Lungentuberkulose zum Teil auf Kontakte zurückzuführen. 5. M i l c h und B u t t e r von p e r l s ü c h t i g e n T i e r e n als Infektionsquelle. Noch mehr als bei den Kontakten hat bei den tierischen Nahrungsmitteln eine ungeeignete Methodik zur unrichtigen Einschätzung der Infektionsgefahr geführt. Solange nur bewiesen werden

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sollte, daß überhaupt Tuberkelbazillen in tierischen Nahrungsmitteln enthalten sind, konnte man mit der intraperitonealen Einverleibung von 1 oder 2 ccm Milch oder von einer entsprechenden Menge Butter in das Meerschweinchen äuskommen. Wollte man aber den U m f a n g dieser I n f e k t i o n s g e f a h r unter natürlichen V e r h ä l t nissen abschätzen, dann mußte selbstverständlich q u a n t i t a t i v ermittelt werden, wie viel Tuberkelbazillen in den gebräuchlichen tierischen Nahrungsmitteln sich finden; und ferner mußte unbedingt damit verglichen werden die Bazillenmenge, welche auf intestinalem Wege zur Infektion erforderlich ist. Bis zu einem gewissen Grade konnte man auch unter Beibehaltung der Methode der Meerschweinchenimpfung zu einer quantitativen Einschätzung gelangen, wenn man nämlich das zu untersuchende Material stufenweise verdünnte und mit diesen Verdünnungen soweit ging, daß sie schließlich nicht mehr infektiös wirkten. Das ist aber nur versucht mit der eitrigen Milch von eutertuberkulösen Kühen und in diesem Falle mußte allerdings die Verdünnung sehr weit getrieben werden, ehe man an eine unwirksame Grenze kam. Mit der in ü b l i c h e r W e i s e zum Konsum gelangenden Milch sind solche Verdünnungsversuche nicht angestellt; mit Recht, weil man sicher.fast lauter negative Resultate erhalten hätte, denn schon die Einimpfung der unverdünnten Proben bewegte sich meist an der Grenze der Wirksamkeit. So hat A N D E B S O N bei Prüfung der Washingtoner Marktmilch noch kürzlich zahlreiche Proben auf je 2 Tiere verimpft, von denen dann häufig das eine Meerschweinchen tuberkulös geworden, das andere gesund geblieben ist — ein Zeichen, daß der Gehalt der Proben an Bazillen ein minimaler war. O S T E B M A N N hat versucht, aus den zahlreichen bisherigen Milch- und Butteruntersuchungen Durchschnittswerte zu entnehmen für den Tuberkelbazillengehalt der Marktware. Seine Annahme, daß in infizierter Milch häufiger 1000 Bazillen in 1 ccm sich finden können und in 1 g Marktbutter 100 Bazillen, ist sicher nicht niedrig gegriffen, und nach früherer Betrachtungsweise würde man gewiß nicht anstehen, diese Ziffern als den Beweis einer sehr großen Infektionsgefahr anzusehen. Nun ist aber durchaus bei dieser Infektionsquelle wie bei den übrigen die Gangbarkeit des zugehörigen Infektionsweges in Betracht zu ziehen; und wie wir unten sehen werden, ist auf diesem Wege zu einer wirksamen Infektion die Einfuhr so großer Bazillenmengen erforderlich, daß dadurch die Einschätzung eine völlig andere wird. Wir gelangen vielmehr zu dem Urteil, daß nur in recht seltenen Fällen diese Infektionsquelle eine wirkliche Gefahr darstellt.

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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Auch auf anderem Wege hat man die Häufigkeit der tuberkulösen Infektion durch Nahrungsmittel festzustellen versucht. Man hat darauf hingewiesen, daß doch manche Beobachter bei den Sektionen p r i m ä r e tuberkulöse Lokalisationen im D a r m ziemlich häufig beobachtet haben. Die große Mehrzahl der Pathologen leugnet dies freilich und hält das Vorkommen primärer Darmherde für außerordentlich selten. Wenn aber wirklich hier und da höhere Frequenzzahlen von primärer Darmtuberkulose beobachtet sind, so darf daraus auch noch nicht auf eine größere Bedeutung der Infektion d u r c h N a h r u n g geschlossen werden. Denn jene Darmaffektionen können genau so gut durch Einführung menschlicher Bazillen in Form von Kontakten, Staub u. dgl. und Verschlucken derselben verursacht sein. Welcher Anteil der Darmaffektionen auf diese, welcher auf die Nahrungsmittel entfällt, ist nicht zu entscheiden, aber jedenfalls ist die Konkurrenz namentlich der Kontakte durchaus nicht zu vernachlässigen, und dürfte für die Nahrungsmittelinfektionen nicht allzuviel übrig lassen. Einige Beobachter nehmen außerdem noch an, daß Tuberkelbazillen, auch ohne im Darm Lokalisationen zu hinterlassen, von da in andere Organe, z. B. in die Lunge übergehen können, und halten es deshalb für möglich, daß unter den verschiedensten Formen von Tuberkulose vielleicht eine größere Zahl auf tierische Nahrungsmittel zurückzuführen sei. Diese Möglichkeit zu beweisen oder auch nur wahrscheinlich zu machen, ist indes bisher nicht gelungen, dagegen ist ihre Annahme mit den Ergebnissen verschiedener Untersuchungsreihen schwer vereinbar (s. unten). Nun hat man aber neuerdings durch die Unterscheidungsmerkmale zwischen b o v i n e n und h u m a n e n Bazillen ein Mittel an die Hand bekommen, um bei pathologischen Befunden die Zugehörigkeit der vorhandenen Tuberkelbazillen zu dem einen oder anderen Typus festzustellen. Die bis jetzt in dieser Richtung angestellten Untersuchungen haben, wie H E Y M A N N näher ausgeführt hat, ganz zweifellos dargetan, daß der bovine Typus nur s e h r s e l t e n vertreten ist. W i r sehen, daß da, wo dieser Typus gefunden wird, hauptsächlich Hals- und Mesenterialdrüsen von Kindern das üntersuchungsmaterial geliefert haben; kommt es einmal zu einer Infektion mit perlsüchtiger Milch, so scheinen vorzugsweise diese Drüsen ergriffen zu werden. Darauf kann man, wenn man will, eine Frequenzberechnung gründen, die eine große Beteiligung des bovinen Typus vortäuscht, indem man nämlich das Sektionsmaterial hauptsächlich zusammensucht aus Kindern, welche an Affektionen der Hals- und Mesenterialdrüsen gelitten

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haben. Je mehr man derartiges Material in eine Untersuchungsreihe hineinnimmt, und je mehr man die gewöhnlichen, am häufigsten zum Tode führenden Phthisen des Erwachsenen zurückstellt, um flo v e r h ä l t n i s m ä ß i g mehr bovinen Typus muß man finden. Das ist aber offenbar ein ganz unzulässiges Vorgehen. Erst bei einem Sektionsmaterial, welches in bezug auf Alter der Gestorbenen, Lokalisation des Prozesses usw. den in der Gesamtheit hervortretenden Frequenzzahlen entspricht, könnte die Untersuchung auf bovinen Typus für eine Frequenzberechnung der Infektionsgefahr durch bovine Bazillen verwertet werden. Berücksichtigt man diese Fehlerquelle, so ist, wie HEYMANN zeigen konnte, die Ausbeute an bovinem Typus ganz außerordentlich gering, und die Infektion damit kann nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Nun haben freilich viele Anhänger der alimentären Infektion sich doch noch einen Ausweg offen gelassen: sie behaupten nämlich, der in den Körper gelangte Perlsuchtbacillus vermöge sich allmählich in den Typus humanus umzuwandeln und es sei daher möglich, daß noch eine ganze Menge auch der beim Erwachsenen gefundenen tuberkulösen Affektionen, in denen humane Bazillen nachgewiesen wurden, ursprünglich durch Perlsuchtbazillen hervorgerufen seien. — Die M ö g l i c h k e i t einer Umwandlung (nicht Mutation!) des Typus bovinus in den Typns humanus soll nicht bestritten werden, aber sie gewinnt doch erst Bedeutung, wenn sie wahrscheinlich gemacht und bewiesen wird, und das ist bisher noch nicht geschehen. Zwar hat man hier und da angeblich Ubergangsformen beobachtet. In bezug auf diese wird man sehr vorsichtig sein müssen; in manchen Fällen sind doch wohl nicht genügend alle die Kriterien zur Anwendung gekommen, die wir zur Unterscheidung jener beiden Typen verwenden können; und in anderen läßt sich der Verdacht schwer unterdrücken, ob nicht eine Mischinfektion vorgelegen hat. Aber selbst wenn in seltenen Fällen Kulturen beobachtet werden, die sich weder dem Typus bovinus noch dem Typus humanus vollständig einreihen, so ist von diesem Befund doch noch ein gewaltiger Sprung zu der Behauptung, daß im menschlichen Körper häufig, wenn nicht regelmäßig, eine so vollständige Umwandlung des Perlsuchtbacillus sich vollziehe, daß er vom humanen Typus nicht mehr zu unterscheiden sei! Diese Behauptung muß, ebenso wie jene andere Behauptung, daß die Perlsuchtbazillen ohne Spuren zu hinterlassen, den Darm passieren und sich sogleich in der Lunge lokalisieren, zunächst bewiesen werden, ehe sie da,zu benutzt werden darf, die alimentäre Infektion zu. stützen und deren Gefahren hinaufzuschrauben.

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

das wo ins der

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Auf der anderen Seite widersprechen diesen Behauptungen auf entschiedenste die Ergebnisse einer Methode, die gerade hier, so viel zweifelhafte Experimente und unbewiesene Möglichkeiten Feld geführt werden, von ganz besonderem Wert ist, nämlich s t a t i s t i s c h e n und ethnographischen Erhebungen. Aus den

Zusammenstellungen

von

SPECK und HEYMANN ersehen wir,

daß

mindestens a/3 der in den Heilstätten lebenden Phthisiker einer Milchinfektion im Säuglingsalter, das angeblich besonders leicht zur Aufnahme von Perlsuchtbazillen disponiert sein sollte, überhaupt nicht ausgesetzt waren; daß bei uns in Europa diejenigen Länder und Gegenden, in welchen die Kinder vorzugsweise künstlich genährt werden, keine höhere und oft eine geringere Tuberkulosefrequenz haben, als Gegenden, wo nur Brustnahrung gereicht wird; daß ferner in den letzten Jahren in unserer städtischen Bevölkerung, namentlich auch in Berlin, ein starker Rückgang der Tuberkulose sich bemerkbar macht, während umgekehrt die Zahl der künstlich genährten Kinder bedeutend zu-, die der Brustkinder entsprechend abgenommen hat. — Vor allem ist außerdem für eine ganze Reihe von Ländern^ in welchen absolut keine Milch oder Butter konsumiert wird, die Tuberkulosefrequenz ermittelt; und diese kommt der unserigen durchaus gleich. Wo ist da Raum für eine größere Bedeutung der alimentären Infektion? Bestände diese wirklich, dann müßte das bei den statistischen Erhebungen zum Ausdruck kommen; ist es in so eindeutiger Wei9e nicht der Fall, so kann daraus nichts anderes geschlossen werden, als daß die alimentäre Infektion nur eine geringfügige Rolle in der Verbreitung der Phthise spielt, und diese Annahme entspricht auch der Mehrzahl der auf anderem Wege gewonnenen Untersuchungsergebnisse. 6. Die Infektionswege. Einige seltenere Eintrittswege des tuberkulösen Virus in den Körper sind in den vorstehenden Arbeiten nicht berücksichtigt worden. An der Fähigkeit der Tuberkelbazillen, z. B. durch kleinste Verletzungen der Haut und sogar durch eine äußerlich intakte Haut in den Körper einzudringen, ist nach den neueren Tierversuchen von C. FRANKEL, sowie nach den Beobachtungen über das gar nicht so seltene Vorkommen von Spina ventosa an den Fingern von Kindern nicht zu zweifeln. Als wesentlichste Infektionswege sind in unseren Versuchen nur eingehender behandelt einmal der Weg der E i n a t m u n g , und

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zweitens die i n t e s t i n a l e Infektion im engeren Sinne, also vorläufig ohne Einbeziehung von Mund, Rachen und deren Adnexen, die als Eintrittspforte noch besonderer Studien bedürfen und hier nicht berücksichtigt sind. Der I n h a l a t i o n s w e g

ist früher als der bedeutsamste Eintrittsweg der Tuberkelbazillen in den Körper angesehen, v. BEHBING war der erste, der die Behauptung aufstellte, daß die Inhalation so gut wie gar nicht in Betracht komme, und ihm haben sich später mehrere andere Autoren angeschlossen. — Die Wirksamkeit des Inhalationsweges wird hauptsächlich aus folgenden Gründen angezweifelt: „Körperliche Elemente lind ebenso die Tuberkelbazillen vermögen mit der Einatmung überhaupt nicht bis in die Alveolen zu gelangen. Auch in künstlichen Versuchen gelingt es nicht, unbelebte Stäubchen bzw. Bakterien in Tröpfchen oder als Stäubchen durch Inhalation in die peripheren Lungenteile überzuführen; von Kaninchen inhalierte Tuberkelbazillen konnten daher 1j2 Stunde nach der Einatmung im Lungengewebe auf biologischem Wege, d. L durch Uberimpfung auf Meerschweinchen, nicht nachgewiesen werden." Man muß sich immer wieder wundern über die Bestimmtheit dieser Behauptungen, die sich schließlich doch nur auf einige wenige negativ ausgefallene Experimente stützen, denen zahlreichste ppsitive gegenüberstehen. Namentlich wird immer ein Experiment von WEIIEMINSKX herangezogen, über das nur ein ganz kurzer, für eine Prüfung auf Fehlerquellen ungeeigneter Bericht vorliegt. Ohne Frage sind aber bei manchen Inhalationsversuchen Fehler vorgekommen und werden stets vorkommen. Besonders ein fälschlicher negativer Erfolg ist leicht zu haben: man braucht nur die Spraytröpfchen nicht fein genug zu wählen (40 fi erheblich übertreffend); oder man läßt das Tier in einem Kasten so sitzen, daß es den Kopf vom Spray völlig abwendet; oder, wenn man den Versuch im Freien ausführt, macht man den Abstand zwischen Spray und Kopf des Tieres so groß, daß der Wind die sämtlichen Tröpfchen vorbeitreibt; arbeitet man mit Stäubchen, so können diese zu grob sein, oder die Atemluft des Tieres durchfeuchtet sie rasch und hindert dadurch ihre Flugfähigkeit. Daß derartige und ähnliche Fehler in den paar negativ ausgefallenen Versuchen unzweifelhaft vorgelegen haben, das geht mit hinreichender Bestimmtheit aus den geradezu unzähligen positiven Versuchen hervor, die nicht nur in meinem Institut, sondern mit genau dem gleichen Erfolg in anderen Instituten angestellt sind.

Rückblick auf die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

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In allen experimentellen Disziplinen gilt der Grundsatz, daß, wenn ein Versuch von verschiedenen Beobachtern Hunderte von Malen mit dem gleichen positiven Resultat angestellt ist, auf einen einzelnen abweichenden Befund nicht gleich eine neue Lehre aufgebaut werden darf, sondern daß der Experimentator, der jenen negativen Befund erhoben hat, zunächst prüfen muß, ob er bei öfterer Wiederholung des Versuchs und bei Einübung in die Technik nicht doch ebenfalls positive Resultate erhält. — Die vielen Variationen der positiven Inhalationsversuche seien hier kurz aufgeführt: a) Inhalation von Ruß und anderen unbelebten Staubteilchen, kurz nachher makro- und mikroskopischer Nachweis in den Alveolen (Versuchsreihen von H E L L E K und WOLKENSTEIN und zahlreichen anderen Autoren, im hiesigen Institut von WINDSCHÜGL bestätigt). b) Inhalation von Schimmelpilzsporen, die Tiere sofort, 3 Stunden 6 Stunden usw. nach der Einatmung getötet. Sporen reichlich in den Alveolen nachgewiesen; nach 3 bis 6 Stunden Passage der Alveolarwände, Auskeimen im interstitiellen Gewebe (BALLIN). c) Inhalation versprayter Kulturaufschwemmungen von Prodigiosus, Megateriumsporen usw. Noch intra vitam oder kurz nach der Tötung entnommene Stückchen von den periphersten Teilen der Lunge ergaben große Mengen der inhalierten Keime (NENNINGEB, PAUL).

d) Inhalation von versprayten Tuberkelbazillen. Biologischer Nachweis durch Überimpfung von Lungenstückchen auf Meerschweinchen kurz nach der Inhalation von 10000 Bazillen positiv. — Bei größeren Dosen auch mikroskopisch Nachweis der bis in die Alveolen vorgedrungenen Tuberkelbazillen (HEYMANN). e) Inhalation von versprayten Tuberkelbazillen. Tötung und Sektion der Tiere nach 16 bis 21 Tagen ergibt ausnahmslos ausgebreitete Lungentuberkulose; Abdominalorgane frei (unzählige ältere und neuere Versehe verschiedenster Autoren). — Dieselben Versuche an t r a c h e o t o m i e r t e n Tieren (Kalb, Hunde), nach vollständigem Verheilen der Tracheotomiewunde vorgenommen, ergeben genau das gleiche Resultat (FINDEL). f) Inhalation von tuberkelbazillenhaltigem Staub. Die Versuchstiere zeigen nach 21 bis 24 Tagen deutliche, wenn auch meist nicht zahlreiche Tuberkel in der Lunge (COENET, STICHES, KÖHLISCH). Besondere Versuchsreihen sind noch angestellt, um die Dosen festzulegen, welche durch Inhalation sicher Lungentuberkulose bei den Versuchstieren bewirken. Bei Meerschweinchen geben etwa 100 bis 150 in Tröpfchenform versprayte Bazillen, die in der AtemFLÜGGE, Tuberkulose

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luft enthalten sind, sichere Infektion; 2/3 der eingeatmeten Bazillen bleiben in den Anfängen des Respirationstraktus stecken, 1 j 3 gelangt bis in die feineren Bronchien und in die Alveolen, so daß also 30 bis 50 Bazillen den Ort der Tuberkelbildung erreichen müssen (FINDEL). Beim Kaninchen beträgt die Grenzdosis, welche in die Bronchien gelangen muß, beim Typus bovinus etwa 100 Bazillen, beim Typus humanus, gegen den das Kaninchen außerordentlich viel weniger empfänglich ist, als das Meerschweinchen, etwa 50000 Bazillen (ALEXANDEB). In Form trockenen Staubes inhaliert sind auch beim Meerschweinchen erheblich größere Mengen von Tuberkelbazillen erforderlich; nach den Versuchen von KÖHLISCH gelangen im Mittel nur etwa 4 Prozent der Bazillen bis in die feineren Bronchien, und von diesen bewirken erst etwa 2000 sichere Infektion, so daß also ungefähr 50000 Bazillen zur Einatmung gelangen müssen. Unzweifelhaft ist der Inhalationsweg auf Grund sorgfältigster, nach den verschiedensten Richtungen variierter Prüfungen ein eminent gangbarer Infektions weg, der die Tuberkelbazillen namentlich dann aufs schnellste an ihre günstigste Entwicklungsstätte befördert, wenn sie sich in Form feinster Tröpfchen in der Einatmungsluft finden. Die intestinale Infektion.

Daß neben dem Inhalationsweg auch der intestinale Eintrittsweg Tuberkelbazillen in den Körper befördern kann, das ist seit lange von Niemandem bezweifelt. Schon früh hat man aber die Überzeugung gewinnen müssen, daß sehr große Dosen von Tuberkelbazillen nötig sind, um auf diesem Wege Infektion auszulösen. Wählt man derartige Dosen, so gelingt es, nach einer Reihe von Tagen die Bazillen in den Mesenterialdrüsen und allmählich vorschreitend in Milz, Leber, Lunge auf biologischem Wege nachzuweisen. Neuerdings ist nun von einigen Autoren der intestinale Eintrittsweg ganz in den Vordergrund geschoben. Es wird behauptet, daß Infektion vom Darm aus auch mit angeblich kleinen Dosen von Tuberkelbazillen recht wohl gelinge; zweitens, daß bei der Inhalation von Tröpfchen oder Stäubchen die verschluckten Anteile das eigentlich wesentliche und zur Infektion führende seien; und drittens daß die Tuberkelbäzillen — ebenso wie viele andere Bakterien — vom Darm aus regelmäßig und rasch zur Lunge durchzutreten vermögen, sei es auf direkten Lymphbahnen, sei es auf dem Umwege durch Ductus thoracicus und Blut des rechten Herzens.

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden

Untersuchungen

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Was zunächst die Infektionsmöglichkeit mit kleinen Dosen betrifft, so haben zahlreiche Versuche, die sowohl andere Autoren wie auch meine Mitarbeiter angestellt haben, mit Bestimmtheit ergeben, daß nur sehr große, Dosen bei einmaliger Fütterung zur Infektion führen, bei Meerschweinchen 10 mg Kultur oder 400 Millionen Bazillen. Etwas kleiner werden die Dosen, wenn man wiederholte Fütterung anwendet; z.B. nach 50 bis 100maliger Wiederholung von je 8 Millionen Bazillen ist ebenfalls Erfolg zu verzeichnen. Ferner sollen die Dosen sich verringern lassen durch Zugabe von Milch oder anderem Fett zum Futter oder aber dadurch, daß man den Tieren das Gemenge per rectum injiziert. Die letzteren Prozeduren bedingen aber schon solche Abweichungen von den natürlichen Verhältnissen, daß weitere Schlüsse daraus kaum statthaft sind; bei Meerschweinchen, die niemals Milch oder Fett aufnehmen, ist sogar schon dieser Zusatz entschieden als abnorm anzusehen. Aber auch unter den unnatürlichsten Verhältnissen und bei möglichster Begünstigung der Infektion müssen immer doch Dosen von mehreren M i l l i o n e n Bazillen angewendet werden, so daß eine Überlegenheit des Inhälationsweges über den Fütterungsweg um das 100 000 fache und mehr trotz allem bestehen bleibt. Dieser gewaltige Unterschied in der infizierenden Dosis macht es sehr leicht, auch die zweite Behauptung von Grund aus zu widerlegen, daß bei der Inhalation die v e r s c h l u c k t e n Anteile die eigentlich wirksamen seien. Solange man mit kleinen Dosen unter 100000 Bazillen arbeitet, bekommt man mit Verfutterung n i e m a l s , auch bei häufigster Wiederholung, ein positives Resultat. Läßt man nur ein einziges Mal genau die gleiche oder sogar eine vielfach kleinere Dosis i n h a l i e r e n , so ist unfehlbar nach 21 Tagen die Lunge des Tieres voller Tuberkelbazillen; genau so rascher Erfolg tritt bei tracheotomierten Tieren ein. Daraus geht auf das bestimmteste hervor, daß der verschluckte Anteil völlig belanglos, der inhalierte allein wirksam ist, mag jener auch mehrere Mal größer sein als dieser. — Nur in vereinzelten Fällen, um so häufiger, je hastiger die Tiere fressen und saufen oder je mehr man die Schlundsonde in Anwendung zieht, zeigen intestinal infizierte Tiere das Bild der früh entwickelten ausschließlichen Lungentuberkulose, wie es regelmäßig nach Inhalation beobachtet wird. Diese Fälle sind sicher auf A s p i r a tion zurückzuführen, die, wie man geradezu experimentell nachweisen kann, unter den erwähnten Umständen besonders leicht eintritt. Drittens die Versuche, durch welche ein Durchtritt der Tuberkelbazillen durch den Darm nach Analogie der Fetttröpfchen während 51*

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der Verdauung und ihre glatte Passage zur Lunge erwiesen werden soll. Hier handelt es sich offenbar nicht darum, ob sich ein solcher Durchtritt ausnahmsweise einmal beobachten läßt, sondern darum, ob unter natürlichen Verhältnissen bei normalen Dosen regelmäßig oder doch mindestens sehr häufig ein rascher Durchtritt erfolgt; nur in letzterem Fall könnte von einer ernstlichen Bedeutung dieses Weges für die Tuberkulosefrequenz die Rede sein. Wie sind nun aber in Wirklichkeit diese Versuche angestellt? Entweder sind kolossale Dosen mit reichlicher Fettzugabe verfüttert und die Tiere (hauptsächlich Hunde) haben vorher hungern müssen oder sind mit Rizinusöl behandelt u. dgl. Oder es ist bei Meerschweinchen und Ferkeln die Laparotomie gemacht und große Mengen Tuberkelbazillen sind direkt in den Magen injiziert — eine Operation, bei der eine Infektion auf dem Blut- und Lymphweg nur sehr schwer auszuschließen ist. In diesen Fällen wurden wenige Stunden nach der Einverleibung der Bazillen Lungenstücke auf Meerschweinchen verimpft. Die Resultate waren bei den gefütterten Hunden mehrfach positiv; bei den operierten Tieren wechselnd und anscheinend um so häufiger negativ, je mehr der Operateur auf die spezielle Technik eingeübt war (s. die Arbeit von REICHENBACH und BOCK). In allen Versuchen wurden übergroße Dosen verwendet und abnorme Verhältnisse hergestellt. Soll aus den Experimenten auf eine Art von physiologischem Durchtritt unter natürlichen Verhältnissen geschlossen werden, so kommen offenbar ganz andere Versuchsanordnungen in Betracht; und zwar gibt es zwei richtige Wege: entweder Fütterung mit zur Infektion ausreichenden, am besten auf mehrere Dosen verteilten Mengen von Tuberkelbazillen und Nachweis, daß nun die Tuberkulose in den Lungen ebenso früh und ausschließlich sich etabliert, wie nach Inhalation; oder Fütterung mit kleinen und höchstens mittleren Dosen ohne abnorme Zusätze und Prüfung durch biologisches Experiment, ob und wann in der Lunge Tuberkelbazillen auftreten. Beide Versuchsreihen sind angestellt; die erste von zahlreichen Autoren. Das Resultat ist stets das gewesen, daß niemals nach 16 bis 21 Tagen, wie nach der Inhalation, ausgebreitete Tuberkulose der Lungen vorhanden war; sondern immer kommt es erst zu Veränderungen der Mesenterialdrüsen und nur diese ist nach 16 bis 21 Tagen zu konstatieren; die Lungentuberkel zeigen sich erst in viel späterer Zeit; stets sind dann auch andere Organe ergriffen, wenn auch in diesen die Tuberkel weniger ausgebildet sind wie in den Lungen.

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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Die zweite Versuchsreihe ist von REICHENBACH und BOCK durchgeführt. Hier sind bei Verarbeitung der Lunge 4 bis 6 Stunden nach der Fütterung nur negative Ergebnisse erzielt. Nach Ablauf mehrerer Tage sind in zwei Fällen nach Verbitterung relativ großer Dosen die Mesenterialdrüsen insuffizient geworden; in den übrigen auch dann noch nicht. Nur bei einem Hunde, an dem eine geschwollene Mesenterialdrüse auffiel, ergab eine (sonst unwirksame) Dosis einen Durchtritt innerhalb kurzer Frist. — Zwei ähnliche von B A R T E L an Kaninchen angestellte Versuche sind negativ ausgefallen. "Wie bei dem einen von uns beobachteten Hunde werden gewiß auch beim Menschen gelegentlich Abnormitäten im Verdauungstraktus vorkommen, welche ausnahmsweise den Tuberkelbazillen schnellen Durchtritt bis in die Blutbahnen und in die Organe, unter diesen auch in die Lunge, gestatten. — Aber derartige Fälle dürfen doch niemals zu verallgemeinernden Schlüssen über die Frequenz der intestinalen Infektion unter natürlichen Verhältnissen ausgenutzt werden. Wenn hier und da in einem Experiment mit vielen Millionen Bazillen Durchtritt vereinzelter Erreger beobachtet wird, so erweist das ebensowenig eine „Passage", wie man einen Strom als „passierbar" bezeichnet, wenn ein großes Heer hindurchzükommen versucht hat, wenn aber nur einige Mann das andere Ufer erreichen. Daß in der Norm keine präformierten Lymphwege vorhanden sind, auf denen die Bazillen regelmäßig vom Darm aus nach der Lunge oder nach den Bronchialdrüsen befördert werden könnten, ist durch die sorgfältigen anatomischen Untersuchungen MÖSTS auf da« bestimmteste erwiesen. Und daß auch ein Fortbewegen in den Lymphbahnen bis zu deren Einmündung ins Blut und ein Kreisen im Blut nicht etwa die. Bazillen spezifisch in die Lunge führt, weil diese als „erstes vorgelagertes Filter" fungiert, sondern gleichzeitig und sogar in höherem Maße in die anderen Organe, das ist von O E T T I N G E B erwiesen und im folgenden Abschnitt genauer erörtert. Eine Vorstellung nach der anderen haben die Anhänger einer intestinalen Lungeninfektion als unrichtig erkennen und aufgeben müssen; aber trotzdem wird immer von neuem jedesmal, wenn in einem möglichst unnatürlichen Experiment Bazillen den Darm durchwandert haben, dies nicht nur als ein neuer Beleg „für die Bedeutung der intestinalen Infektion", sondern sogar auch als wichtiges Argument „gegen die Inhalationsinfektion" angeführt. Das ist denn doch ein etwas zu weitgehender Fanatismus!

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7. Persönliche Disposition. Uber die individuelle Disposition ist in den vorstehenden Arbeiten venig enthalten. Nicht etwa, als ob ich den Einfluß dieses Faktors gering schätzte, sondern einfach deshalb, weil wir durch die Arbeiten über andere Fragen völlig absorbiert waren und weil es mir allerdings praktisch und logisch richtig erschien, zunächst die Verbreitungsweise der Tuberkulose bis zu einem gewissen Grade zu klären, ehe eingehendere Studien über Disposition begonnen wurden. — Vorläufig haben wir nur in einigen Punkten einzugreifen versucht, welche die natürliche Disposition betreffen. Ich habe namentlich darauf hingewiesen, wie stark verbreitet nach den neueren Untersuchungen von Nägeli, Bobkhabdt u. a. beim Menschen die Disposition zum Erkranken an Tuberkulose ist,, so zwar, daß etwa 2/3 der Ergriffenen eine ernstliche, 1/3 eine tödliche Erkrankung davontragen. Ferner kommt bei etwa 1/3 der Exponierten, d. h. derjenigen Menschen, die sicher reichlich Gelegenheit hatten, Tuberkelbazillen aufzunehmen, keinerlei Erkrankung zustande oder die Tuberkulose heilt bei ihnen aus, nachdem nur geringfügige pathologische Veränderungen aufgetreten sind; und bei einem weiteren Drittel der Exponierten tritt auch nach vorübergehender schwererer Affektion Ausheilung ein. Daraus folgt einerseits, daß bei starker Exposition durchaus keine günstigen Chancen dafür vorhanden sind, daß jemand gar keine oder nur eine geringe Infektion davonträgt; und sicherlich ist ob nicht berechtigt, wenn jemand etwa, auf seine persönliche Immunität pochend, sich der Gefahr der Aufnahme der Bazillen rücksichtslos aussetzen wollte. Andererseits geht aus jenen Untersuchungen hervor, daß der Mensch auch nicht durchgehend disponiert ist, wie z. B. die Meerschweinchen, bei denen jede kleinste Invasion des Bacillus zum Tode führt. Es gibt vielmehr, wenn auch selten, völlig unempfängliche Menschen, und ziemlich häufig solche, die auf die Aufnahme von Tuberkelbazillen nur wenig reagieren und die Erkrankung rasch überwinden. Beachtenswert ist noch die sehr verschiedene Disposition der Lebensalter. Im ersten Lebensjahre beobachten wir so gut wie gar keine Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Tuberkelbacillus; dann nimmt diese rasch zu, und im mittleren und höheren Alter findet man zahlreichste ausheilende Affektionen. — Außerdem wechselt beim gleichen Individuum die Disposition offenbar mit zeitweisen

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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Schwächungen oder Stärkungen seines Körpers bzw. der exponierten Organe. D a das weitaus am häufigsten ergriffene Organ die L u n g e ist. und von dieser wiederum (abgesehen vom Säuglingsalter) die Lungens p i t z e , so hat man mit Recht die Frage nach der Ursache der natürlichen Disposition speziell auf die Lunge übertragen und gefragt, durch welche Umstände diese zu einer Erkrankung disponiert werde. Diese Fragestellung hat zweifellos zu einem gewissen Fortschritt der Erkenntnis geführt, und namentlich haben die Untersuchungen von TENDELOO und von H A R T unsere Anschauungen bezüglich der Disposition der Lunge geklärt. Kurz zusammengefaßt lehren uns diese Untersuchungen folgendes: Berücksichtigt man zunächst nur die a e r o g e n e Infektion, so kann bei dieser die Ansiedelung entweder schon in einem Spitzenbronchus 3. bis 7. Ordnung, oder von einem der kleinen Bronchien aus peribronchial, oder in den Alveolen erfolgen; ein Teil der aufgenommenen Bazillen kann aber vermutlich auch in die Lymphfollikel des Lungengewebes oder zu den Hilusdrüsen gelangen ynd von dort aus die Ansiedelung bewirken. Dafür nun, daß diese Ansiedelung besonders leicht gerade in den Spitzen erfolgt, und daß bei manchen Menchen die Spitzenansiedelung ganz besonders begünstigt ist, macht H A B T eine pathologische Verengerung der oberen Thorax-Apertur verantwortlich. Durch diese Stenose, als deren Ausdruck auch die ScHMOEL'sche Furche anzusehen ist, soll eine Kompression der Bronchien, der Blut- und Lymphgefäße erfolgen. Die Kompression der Bronchien und die Störung der Atmung liefern wahrscheinlich eine günstige physikalische Gelegenheit zur Ablagerung der mit dem Luftstrom in die Bronchien gelangten Tuberkelbazillen; im stagnierenden Sekret finden diese günstigen Nährboden, nisten sich schließlich in die Bronchialschleimhaut ein und kommen dort zur Wucherung. TENDELOO h a t bereits vor H A R T ' S Publikationen darauf hingewiesen, daß die Bazillen in den paravertebralen, kranialen Bronchien am leichtesten haften, während sie in den kaudalen Bronchiolen weniger leicht Platz greifen. Aber nicht nur bei der aerogenen Infektion, sondern auch bei h ä m a t o g e n e r und l y m p h o g e n e r Entstehung der Lungentuberkulose sind offenbar diese Verhältnisse beteiligt. Durch die Stenose der oberen Thoraxapertur tritt eine Verlangsamung der Blutstromgeschwindigkeit und ebenso der Lymphzirkulation ein; im Bereich der ScHMOBL'schen Furche entstehen infolge der starken Kompression

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der oberflächlich gelegenen Gefäße sogar zirkumskripte DruckAnaemien. Das W a c h s t u m der Tuberkelbazillen erfolgt nach TENDELOO nur an den Stellen, wo die B e w e g u n g s e n e r g i e des L y m p h s t r o m e s den geringsten Wert hat; an dieser Stelle ist zugleich durch die Yerlangsamung der Blutströmung das Gewebe u n t e r e r n ä h r t und es besteht daher eine besondere biochemische Empfänglichkeit desselben für die Wucherung der Bazillen. Die angeführten Momente sind gewiß nicht die einzig disponierenden, aber jedenfalls in vielen Fällen von Disposition beteiligt. Von anderen Momenten sei nur hingewiesen auf die alte BBEHMER'sche Behauptung, daß eine relative Kleinheit des Herzens Disposition zu Lungentuberkulose bedinge. Innerhalb gewisser Altersgrenzen ist die anatomische Grundlage dieser Lehre auch in neuerer Zeit bestätigt (ORTH). Die Kleinheit des Herzens soll ebenfalls hauptsächlich eine Unterernährung und damit eine biochemische Disposition bedingen. Nur ist es wohl nicht richtig, wenn dabei immer n u r von der Arteria pulmonalis und dem rechten Herzen gesprochen wird, während vielleicht die aus dem linken Herzen versorgten Arteriae bronchiales dabei ebenso stark beteiligt sindj ist doch eine strenge Scheidung beider Gefäßbezirke schon durch den Nachweis der Kommunikationen ihrer Kapillargebiete ausgeschlossen. Nun wird aber die Bevorzugung der Lunge bei der hämatogenen und lymphogenen Enstehung der Tuberkulose nicht immer in der geschilderten Weise erklärt, sondern in den letzten Jahren ist häufig eine ganz andere Ursache in offenbar unrichtiger Weise hervorgehoben, und es schien mir nicht unwichtig, dieser Ansicht entgegenzutreten. Es wird nämlich des öfteren behauptet, daß von der Lymphe und dem Blut des rechten Herzens aus stets die Lungen in erster Linie infiziert werden, w e i l sie zuerst das ganze Blut des rechten Herzens aufnehmen; die Lungen sollen wie ein vorgelagertes e r s t e s F i l t e r wirken, welches mechanisch den größten Teil der Keime zurückhält, und dadurch so besonders disponiert sein zur Entwicklung der Lungentuberkulose. OETTINGER hat nun gezeigt, daß diese Vorstellung auf irrtümlichen Voraussetzungen beruht. Gelangen Bakterien in die Blutbahn, so werden sie in den Lungen a m w e n i g s t e n zurückgehalten, obwohl diese zuerst passiert werden, weil im Kapillarnetz der Lunge eine besonders rasche und zur Ablagerung fester Teilchen durchaus nicht geeignete Blutbewegung herrscht; dagegen sind, wie schon aus den früheren Versuchen von WYSSOKOWITSCII hervorgeht, Milz und

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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Leber mit ihrer starken Blutstromverlangsamung die zum Abfangen körperlicher Elemente hervorragend geeigneten Organe. — Freilich wird die Lunge von solchen Körperchen nur dann in geringstem Maße besetzt, wenn diese klein und gleichmäßig verteilt sind; treten aber Ballen und Konglomerate in die Blutbahn über, dann ist auch das Kapillarnetz der Lunge feinmaschig genug, um diese Teile in größerem Umfange zurückzuhalten. Dieser Fall wird öfters vorliegen, wenn z. B. aus einer verkästen Drüse ein Einbruch nicht homogenen Materials in die Bluthbahn erfolgt. Treten aber vereinzelte Bazillen z. B. vom Darm oder von den Drüsen aus in die Blutbahn, so kann für deren Zurückhaltung die Lunge durchaus nicht als besonders exponiert gelten. Der Grund, weshalb wir auch bei Verbreitung der Tuberkelbazillen auf dem Lymph- und Blutwege die Lungehtuberkel so außerordentlich viel stärker entwickelt zu finden pflegen, als die Tuberkel in Leber und Milz, liegt offenbar ganz vorzugsweise in den besseren Wucherungsbedingungen, welche die Lunge den Tuberkelbazillen liefert. Über e r w o r b e n e Disposition bei Tuberkulose liegen abgeschlossene Arbeiten aus meinem Institut nicht vor. Auf diesem Gebiete sind wohl die größten Schwierigkeiten zu überwinden, schon deshalb, weil die erworbene Disposition des Menschen naturgemäß am meisten interessiert, weil wir aber nur mit größter Vorsicht von den bei kleineren Versuchstieren in dieser Beziehung erzielten Resultaten auf den Menschen zurückschließen dürfen. Selbst wenn bei solchen Tieren wirklich einmal eine länger vorhaltende erworbene Immunität beobachtet wird, so ist es deshalb doch noch unsicher, ob beim Menschen überhaupt eine wirkliche erworbene Immunität vorkommt oder ob nicht das, was den Anschein einer Immunität erweckt, nichts anderes ist, als das Fortbestehen einer Erkrankung, während welcher eine Superinfektion nicht zustande kommt, ähnlich wie es neuerdings für die Syphilis angenommen wird. Bei bestehenden Krankheitsherden ist ja zweifellos eine Immunität vorhanden, die auch in der Überempfindlichkeitsreaktion gegen die spezifischen Toxine der Tuberkelbazillen auf Haut und Schleimhäuten zum Vorschein kommt. Einen durch diese Immunität bedingten Schutz des Organismus gegen neue Infektionen von den Schleimhäuten aus müssen wir schon annehmen, weil wir es nur in dieser Weise erklären können, daß neue Selbstinfektionen so selten zustande kommen, obwohl der Erkrankte z. B. seine eigenen Bazillen sehr häufig wieder an andere Stellen der Lunge einatmen wird. Notwendig wird es aber sein, genauer festzustellen, in welchem

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Stadium der Ausheilung tuberkulöser Prozesse dieser Schutz beginnt und aufhört und von welchem Zeitpunkt an Neuinfektionen wieder erfolgen können. In diesen und ähnlichen Fragen werden Versuche an größeren Tieren am ehesten verwertbare Resultate liefern; bis zu einem gewissen Grade vielleicht aber auch Versuche an kleineren Tieren, wie sie in bescheiden ausgestatteten Instituten möglich sind. 8. E i n i g e praktische F o l g e r u n g e n für die Verbreitungsweise der Tuberkulose. Aus vorstehenden Darlegungen ergeben sich einige namentlich für die Verhältnisse der Praxis beachtenswerte Folgerungen: Vor allem muß betont werden, daß eine Ubiquität des Kontagiums nicht vorliegt, aus der gefolgert werden dürfte, daß eine Tilgung des Kontagiums unmöglich ist, und daß nur eine Bekämpfung der Disposition etwas fruchten kann. Durch die überaus zahlreichen Untersuchungen über das Vorkommen von Tuberkelbazillen in unserer Umgebung, und zwar unter Zuhilfenahme des außerordentlich empfindlichen Verfahrens der Meerschweinchenimpfung, ist auf das bestimmteste nachgewiesen, daß eine ubiquitäre Ausstreuung nicht besteht. Noch schärfer muß dies betont werden, seit die Dosierung auf den verschiedenen Infektionswegen genauer bekannt geworden ist. Wenn hier und da auch wirklich ein durch Meerschweinchenimpfung nachweisbarer Bacillus vorkommt, so macht das noch keine Infektionsgefahr für den Menschen aus; zu dieser ist, mag nun die Infektion durch Berührung von frischem oder trockenem Sputum, oder durch Einatmung oder durch Nahrung erfolgen, durchaus eine größere Anzahl von Bazillen erforderlich • und erst eine solche würde daher zu fürchten sein. Wenn trotzdem die Akquirierung der Tuberkulose so leicht und so häufig erfolgt, so liegt das eben daran, daß enorm viele Phthisiker vorhanden sind, die in ihrer näheren Umgebung Kontagium in reichlicher Menge verstreuen. So kommt es, daß in manchen Bevölkerungskreisen im späteren Alter tatsächlich fast jedes Individuum tuberkulös ist. Das zeigen die Sektionsergebnisse N ä g e l i s und B u h k h a e d t s aus der Züricher

und Dresdener Arbeiterbevölkerung (vgl. die Kritik Kbaemehs, Zeitschrift f. Hygiene. Bd. 50). Diese Arbeiter sind sicher alle „exponiert" gewesen. Daß unter den Arbeitsgenossen, Verwandten, Nachbarn, Freunden eines solchen gewerblichen Arbeiters einmal kein einziger Kontagium verstreuender Phthisiker sich befindet, das kommt eben

Rückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden

Untersuchungen

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kaum vor. Aber in anderen Gesellschaftsklassen liegen die Verhältnisse entschieden anders. Sobald die gemeinsame Arbeitsstätte und das gemeinsame Wohnen in Massenquartieren fortfällt, wird schon die Gelegenheit zur Infektion viel weniger allgemein. Arbeiter in kleineren Betrieben, Handwerker, Haushälter, Kaufleute, nun gar ländliche Arbeiter, sind nur dann exponiert, wenn sie zufällig in intimem Verkehr mit einem Phthisiker stehen. Dabei bewirkt ein gelegentliches, vorübergehendes Zusammentreffen mit verstreutem Kontagiuro in der Regel keine Infektion. Recht schlagend wird dies durch die BABTELsehen Meerschweinchenversuche illustriert. Eine Spontaninfektion dieser so überaus empfänglichen Tiere wird bekanntlich so gut wie gar nicht beobachtet. Daß sie sich untereinander nicht infizieren, liegt ohne Frage daran, daß sie keine Tuberkelbazillen nach außen ausscheiden. Aber auch die „ubiquitären", oder sagen wir besser: die gelegentlich von phthisischen Menschen in der Umgebung der Meerschweinchen verstreuten, Bazillen vermögen ihnen gewöhnlich nichts anzuhaben. J a sogar der Aufenthalt in einer ausgesprochenen Phthisikerfaipilie mit ziemlich erheblicher Kontagiumausstreuung führt nicht zur Infektion; sondern erst unter ausgesuchten Bedingungen, wo in desolaten Wohnungsverhältnissen mehrere Phthisiker hausen, ist auf natürlichem Wege Infektion zu erreichen. Auf Grund aller dieser Erfahrungen ist die Redensart, daß „wir alle tuberkulöses Virus aufgenommen haben und alle etwas tuberkulös seien", und noch mehr die Behauptung, daß schon im kindlichen Alter diese Infektion meist begonnen habe, entschieden nicht begründet. Die neueren einfacher applizierbaren Prüfungsverfahren mit Tuberculin, die Ophthalmo- und Cutireaktion, gestatten in willkommener Weise die Durchprüfung eines größeren Menschenmaterials, und haben schon jetzt zu Ergebnissen geführt, die jenen Vorstellungen von der übiquität der Tuberkulose ebenfalls durchaus widersprechen. Andererseits muß betont werden, daß, so wenig wie die kontagiöse Natur der Krankheit bestritten werden darf, ebensowenig aus den Ubertragungsversuchen, die mit dem Kontagium an Versuchstieren angestellt sind, auf g l e i c h e Verhältnisse bei Menschen unter natürlichen Verhältnissen geschlossen werden darf. Schon öfter habe ich darauf hingewiesen, daß Dosierung und Art der Einverleibung in den meisten Tierversuchen ganz enorm von den natürlichen Verhältnissen abweichen. Ich habe in den vorstehenden Arbeiten diese Fehler nach Möglichkeit zu vermeiden gesucht. Aber immer bleibt auch hier noch eine beträchtliche Differenz bestehen gegenüber der Art und

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Weise der Infektion, wie sie sich in Wirklichkeit beim Menschen vollziehen wird. Die stete sehr häufige Wiederholung geringfügiger Bazillenimporte, und die Unterstützung ihres Haftens durch kleinste Schleimhautläsionen, Katarrhe und andere unterstützende Momente spielt hier sicher sehr oft eine Bolle, die wir im Tierversuch kaum nachahmen können. — Nur darf man den Vorwurf künstlich übertriebener Versuche nicht etwa, wie es versucht ist, einseitig der Inhalationslehre machen; weisen doch die Versuche über intestinale Infektion die gleichen Fehler in noch viel höherem Grade auf.' In praxi kommt im Einzelfall — wenn wir von der relativ seltenen Infektion durch Genuß von Milch und. Butter hier absehen — fast ausschließlich die Ausstreuung von Kontagium seitens des Phthisikers in Betracht. In diesem Falle wird die Gefahr der Verbreitung abhängen: 1. vdn dem Umfang der Ausscheidungen des Kranken und von dessen Verhalten in "bezug auf die Ausscheidungen. Manche Phthisiker husten fast gar nicht oder nur in kurzen Perioden des Tages; dann ist die Tröpfchenverstreuung gering und belanglos. Andere husten viel, aber liefern wenig Auswurf und geben deshalb keinen Anlaß zu Kontakt- und Staubinfektion. Wieder andere verstreuen reichlich Tröpfchen und liefern auch viel Auswurf; halten sie sich aber während der Hustenstöße in größerer Entfernung von anderen Menschen, entleeren sie ihr Sputum in besondere Behälter, vermeiden sie die Beschmutzung ihrer Kleider usw., so brauchen sie trotzdem ihre Umgebung nicht zu infizieren. 2. von Zahl, Alter und Verhalten der in der Umgebung des Kranken befindlichen Menschen. — Je zahlreicher diese sind, um so mehr werden sich unter ihnen solche finden, welche die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln außer acht lassen (besonders Kinder). Sorgt die Umgebung dafür, daß während des Hustens des Kranken eine Annäherung unterbleibt, daß Berührungen des Sputums, Aufwirbeln von Staub, gemeinsamer Gebrauch von Schüsseln, Gläsern, Betten, Taschentüchern usw. vermieden wird, so ist selbst bei einer größeren Zahl von in Verkehr stehenden Menschen die Infektion vermeidbar. 3. von ä u ß e r e n Verhältnissen. Enge Wohnung, Mangel an Wäsche, Gerätschaften, kurz schlechte soziale Lage unterstützen in der oben ausgeführten Weise die Ansteckung. Aber auch in geräumigsten Wohnungen kann durch unrichtiges Verhalten des Kranken und der Umgebung (inniges Zusammenleben des

Bückblick auf die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen

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Kranken mit den Angehörigen, häufiger naher Verkehr usw.) die Ansteckungsgefahr recht erheblich werden. 4. von der i n d i v i d u e l l e n D i s p o s i t i o n der umgebenden Menschen. Die Infektionsquellen sind außerdem in der Praxis sehr verschieden zu bewerten, je nach der A r t der E r k r a n k u n g e n , die sie hervorrufen können. I n h a l a t i o n von tuberkelbazillenhaltigen Hustentröpfchen führt rasch zu L u n g e n t u b e r k u l o s e , die bei den stark exponierten Säuglingen wohl immer schnell tödlich verläuft, bei älteren Kindern und Erwachsenen je nach der aufgenommenen Dosis und nach der Disposition kleinere oder ausgebreitetere Lungenherde veranlaßt. Der Teil der Tröpfehen, der in der Nase sich ablagert, kann bei geeigneter Disposition zu Lupus führen. Derjenige Teil, der in Mund und Rachen sich absetzt, kann bei vorliegenden Epithelschädigungen in die Tonsillen oder andere Rachenadnexa eindringen und Halsdrüsentuberkulöse veranlassen. Inhalation von tuberkelbazillenhaltigen S t ä u b c h e n vermag in ähnlicher Weise zu wirken. Meist wird die Lungenaffektion hier weniger leicht zustande kommen; dafür ist die Bazillenmenge, welche in Mund und Rachen zurückbleibt, oder durch Herunterschlucken in den Darm befördert wird, oft größer, und bei besonderer Disposition können diese Bazillen vielleicht sogar ausnahmsweise in die Mesenterialdrüsen und über diese hinaus vordringen. K o n t a k t e führen zu Hauttuberkulose, zu Lupus, in geeigneten Fällen zu Halsdrüsentuberkulose, gelegentlich zu Einwanderung vom D a r m aus. Ebenso können Milch und B u t t e r Halsdrüsentuberkulose und Darminfektion mit ihren verschiedenen Folgen bewirken. Sehr häufig wird es ferner zu k o m b i n i e r t e r Wirkung mehrerer Infektionsquellen kommen. Ein- und derselbe Kranke liefert Gelegenheit zur Inhalation von Tröpfchen und Staub, aber gleichzeitig Gelegenheit zu Kontakten, so daß z. B. für die Infektion der Rachenadnexa ein Anteil der Tröpfchen, ein Anteil der Stäubchen und ein Anteil des durch Kontakte in den Mund gebrachten Sputums in Betracht kommt, außerdem für die Darminfektion verschluckte Stäubchen und ein Anteil der Kontakte. Dabei wird man als Regel ansehen müssen, daß, wenn e i n Krankheitsherd sich bereits etabliert hat, Superinfektionen von Haut und Schleimhaut aus nicht zustande kommen. Wohl aber können gleichzeitig oder kurz nacheinander Lungen- und Halsdrüsen-

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tuberkulöse z. B. durch Tröpfcheninhalation entstehen. Dabei wird es auch darauf ankommen, i n w e l c h e m G r a d e die einzelne Infektionsgelegenheit beteiligt ist. Ist die Tröpfchenverstreuung erheblich, so wird diese die Ausbreitung beherrschen und zum Tode führen, ehe die anderen Affektionen stärker entwickelt sind. Ist aber die Tröpfcheninfektion gering, so prädominieren vielleicht Kontakte und Staub, und es kommt vorzugsweise zur Halsdrüsenoder Mesenterialdrüsentuberkulose oder zu beidem, und der weitere Verlauf einer solchen Drüsentuberkulose kann außerordentlich variieren. Die Vielgestaltigkeit der Infektionsquellen und ihrer Wirkungen ist somit eine ganz außerordentlich große, uud man wird sich nicht wundern dürfen, wenn gewaltige Unterschiede in der Verbreitungsweise der Tuberkulose unter verschiedenen Menschengruppen und Völkern beobachtet werden. Bei uns prävaliert im allgemeinen wohl der Einfluß der Tröpfcheninfektion; er kommt fast allein zur Geltung in besser situierten Kreisen. Unter ungünstigen sozialen Verhältnissen kann dagegen bei Kindern die Kontaktinfektion mehr in den Vordergrund treten. In einem stark austrocknenden Klima, wie Ägypten, und bei rücksichtslosestem Entleeren des Auswurfs kann die Staubinhalation zur häufigsten Infektionsart werden; in Grönland werden statt dessen Tröpfcheninhalation und Kontakte wirksam sein. Bei stark verseuchten Tierbeständen kaiin sich selbstverständlich auch die Milchinfektion in erheblichem. Maße an der Ausbreitung des Kontagiums beteiligen. — Jede einseitige Formulierung würde gegenüber dieser Vielgestaltigkeit der Infektionsgelegenheiten nur zu einem durchaus unrichtigen Bilde von der Verbreitungsweise der Tuberkulose führen. 9. Die Bekämpfung der Tuberkulose. Auf den letzten Tuberkulose-Konferenzen tröstete man sich gern, wenn die entgegengesetztesten Meinungen über Infektionsquellen und Eintrittswege vorgebracht waren, mit der Redensart: „Diese Gegensätze schaden nichts, mit der Bekämpfung bleibt doch alles beim alten." Mit großer Befriedigung wurde dann noch konstatiert, daß wir nach Ausweis der statistischen Zusammenstellungen mit der bisherigen Bekämpfung der Tuberkulose einen ausgezeichneten, stetig fortschreitenden Erfolg gehabt haben. Etwas Vorsicht in bezug auf die Deutung dieser statistischen Daten möchte indes doch angezeigt sein. Der stetigen Abnähme

Rückblick auf die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

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der Tuberkulose in Deutschland in den letzten 20 Jahren stehen wesentlich abweichende Kurven in anderen Kulturländern gegenüber. In England sehen wir ein Herabgehen der Kurve, das aber schon vor 40 Jahren einsetzt; in Irland keinerlei Abnahme; in Osterreich (trotz spärlicher und später Maßnahmen zur Bekämpfung) ein Absinken namentlich in den großen Städten; in den belgischen Städten eine geringe Abnahme, in den französischen Städten eher eine Steigerung der Frequenz — es ist sehr schwer, dieses verschiedene Verhalten aus einheitlicher Ursache zu erklären. Immerhin kann gar nicht geleugnet werden, daß bei uns die Heilstättenbewegung mit allen ihren Adnexen von Erholungsstätten, Fürsorgevereinen usw. kräftig hemmend in den Verlauf der Krankheit und auch in deren Ausbreitung eingegriffen haben muß. Ebenso ist es ganz zweifellos, daß die Kranken- und Invaliditätsversicherung auf eine Abnahme der Tuberkulose hingewirkt hat. Und drittens ist die Erkenntnis des ansteckenden Charakters der Tuberkulose und die allmähliche weite Verbreitung dieser Erkenntnis sicher ebenfalls in dem Sinne einer Verminderung der Ansteckung wirksam gewesen. Inwieweit aber die statistisch feststellbare F r e q u e n z z i f f e r von diesen Momenten beeinflußt wird, das ist eine zum Teil noch offene Frage. Trotz aller Erfolge haben wir andererseits gewiß keinen Anlaß, unsere bisherige Art des Vorgehens gegen die Tuberkulose als abgeschlossen und nicht mehr verbesserungsfähig anzusehen. Vielmehr sollten die Fortschritte in unserer Erkenntnis der Verbreitungsweise der Tuberkulose auch in entsprechenden Verbesserungen unserer Bekämpfungsmaßnahmen zum Ausdruck kommen. — Festgelegt sind diese Maßnahmen namentlich in den Merkblättern und populären Darstellungen, welche an die Insassen von Heilstätten verteilt werden, sowie in behördlichen Erlassen. Auch hier sollte man nicht gar zu konservativ verfahren und von Zeit zu Zeit die Vorschriften den neueren wissenschaftlichen Ergebnissen anpassen. Man darf doch annehmen, daß wir durch die Forschungen der letzten Jahre zu so weit gesicherten Anschauungen über die Verbreitungsweise der Phthise gelangt sind, daß man nicht mehr von einem Stadium sprechen kann, in dem eine Ansicht die andere zu rasch ablöst, als daß die praktischen Maßnahmen nachkommen könnten. Eine kritische Besprechung unserer modernen Bekämpfungsmaßregeln habe ich bereits vor 4 Jahren (S. 705) gegeben. Ich habe heute meinen damaligen Ausführungen wenig hinzuzufügen; die

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betreffenden Merkblätter und Erlasse haben noch kaum eine Änderung erfahren. — So besteht z. B. immer noch die gänzlich unmotivierte und unter Umständen entschieden zu verwerfende Vorschrift der ausschließlichen Füllung der Speigefäße mit Wasser, obwohl NOETEL zur-Genüge dargelegt hat, wie unbegründet die Furcht ist, daß bei trockener Füllung Tuberkelbazillen verstäubt werden könnten. — Auch der Empfehlung ungenügender Desinfektionsmittel für Sputum begegnet man noch häufig; ebenso dem übertriebenen Verbot der Taschentuchbenutzung, die sich für die Sputumreste gar nicht umgehen läßt und vorübergehend auch für das ganze Sputum sehr wohl in Frage kommen kann, ohne (bei kurzem Tragen des Taschentuchs) die Gefahr der Kontagiumverstreuung mit sich zu bringen. — Verbrennbare Kartonspucknäpfe und Papiertaschentücher haben sich inzwischen an vielen Orten namentlich in der Armenpraxis gut bewährt und bieten hier jedenfalls das einzige wirklich sicher funktionierende Mittel zur Vernichtung des Kontagiums. — Zu wenig Aufmerksamkeit wird bis jetzt der Beschmutzung der Kleider mit Sputumresten geschenkt; sie geben zu Kontakten Anlaß, und von ihnen lösen sich besonders leicht tuberkelbazillenhaltige flugfähige Stäubchen ab. Das Tragen waschbarer Überkleider uud periodische Desinfektion der nicht waschbaren Kleider sollte daher mehr empfohlen werden. Vielfach wird auch der Tröpfcheninfektion nicht gebührend Rechnung getragen, zum Teil wohl in der mißverständlichen Auffassung, daß gegen diese Art der Verstreuting doch nichts zu machen sei. Indessen lassen sich die erforderlichen beschränkenden und leicht durchführbaren Bestimmungen in wenige Worte zusammenfassen (s. S. 706). Auch die Gruppierung des Inhalts der Merkblätter ist oft wenig zweckentsprechend; es empfiehlt sich, daß — nach der üblichen Einleitung über die Verbreitungsweise der Phthise — zunächst die spezifische Bekämpfung des Kontagiums gelehrt wird; und hierfür kommt erstens in Betracht das -Verhalten des Kranken und zweitens das Verhalten der Pfleger, Angehörigen usw. In einem letzten Abschnitt sind sodann die üblichen Vorschriften der allgemeinen Hygiene zu geben, da wir irgend welche spezifische Vorschriften zur Bekämpfung der persönlichen Disposition einstweilen nicht zu geben vermögen. In diesen letzten Abschnitt, und n i c h t unter die Maßnahmen gegen das Kontagium, gehören die Ausführungen über den Wert sonniger Wohnungen,, der Lüftung usw. — Im übrigen erfordern die besonderen Verhältnisse, für welche ein Merkblatt be-

Rückblick auf die Ergebnisse

der vorstehenden

Untersuchungen

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stimmt ist, im einzelnen so mancherlei Abweichungen, daß ein einheitliches Schema kaum aufgestellt werden kann. Manchem mag die Art, wie wir den Kampf gegen die Infektionsquellen der Tuberkulose führen, als etwas minderwertige Kleinarbeit erscheinen. Sind wir doch in letzter Zeit bei anderen ansteckenden Krankheiten mit einer großzügigeren Art der Bekämpfung vorgegangen und haben einleuchtendere Erfolge erzielt namentlich durch Anwendung von Immunisierungsverfahren. Aber man kann sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß einer praktisch verwertbaren Immunisierung bei der menschlichen Tuberkulose ganz besondere Schwierigkeiten entgegenstehen, und daß wir auf deren Überwindung unmöglich warten können. Einstweilen" und vielleicht noch für lange Zeit hinaus sind wir vielmehr in der Bekämpfung der Tuberkulose lediglich auf Tilgung der Infektionsquellen und Verhütung der Ubertragung angewiesen, und wir müssen zufrieden sein, wenn wir dieser Art der Bekämpfung durch genauere Erkenntnis der Verbreitungsweise der Krankheit immer mehr eine gesicherte Basis verschaffen.

Fi.üqijk, Tuberkulose

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Erklärung der Tafel. F i g u r 1 stellt die rechte Lunge eines K a l b e s dar, das nach verheilter Tracheotomiewunde durch diese einen Spray von Tuberkelbazillen-Aufschwemmung eingeatmet hatte und nach 25 Tagen getötet wurde. Aufbewahrung der Lunge in K A Y S E H L I N O scher Flüssigkeit. — Der Oberlappen ist von hanf korngroßen, durch die Pleura pulmón, durchscheinende Tuberkeln am stärksten durchsetzt; aber auch Mittel- und Unterlappen sind stark ergriffen. Tracheal- und Bronchialdrüsen stark geschwollen. Neben der unteren Bronchialdrüse zeigt ein Schnitt ins Parenchym auch dort die reichliche Durchsetzung mit Tuberkeln. F i g u r 2. Lunge eines H u n d e s , der durch die verheilte Tracheotomiewunde versprayte Tuberkelbazillen geatmet hatte und 33 Tage später getötet wurde. Der gezeichnete rechte Unterlappen der Lunge (von rechts und hinten gesehen) ist vollständig von Tuberkeln erfüllt, die durch die glatte Pleura hindurchscheinen.