Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in nationales Recht und ihre Koordination mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht: Eine vergleichende Betrachtung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der UVP-Anwendung in Deutschland und Frankreich [1 ed.] 9783428505531, 9783428105533

Die Autorin greift die sehr grundsätzliche Fragestellung der Vereinbarkeit der Strukturen der nationalen Rechtsordnungen

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Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in nationales Recht und ihre Koordination mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht: Eine vergleichende Betrachtung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der UVP-Anwendung in Deutschland und Frankreich [1 ed.]
 9783428505531, 9783428105533

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REBECCA PRELLE

Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in nationales Recht und ihre Koordination mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e I K I o e p f e r, Berlin

Band 114

Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in nationales Recht und ihre Koordination mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht Eine vergleichende Betrachtung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der UVP-Anwendung in Deutschland und Frankreich

Von

Rebecca Prelle

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Prelle, Rebecca:

Die Umsetzung der UVP-Richtlinie in nationales Recht und ihre Koordination mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht : eine vergleichende Betrachtung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der UVP-Anwendung in Deutschland und Frankreich I Rebecca Prelle.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Umweltrecht; Bd. 114) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10553-2

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-10553-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Harnburg im Wintersemester 2000/2001 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Januar 2000 abgeschlossen. Danach erschienene Literatur wurde bis Februar 200 1 berücksichtigt. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur. Er hat mich zu diesem spannenden Thema angeregt und mir während meiner Tätigkeit als seine wissenschaftliche Mitarbeiterin viel Freiraum und große Unterstützung dafür gegeben. Die vielen Gespräche mit ihm waren immer bereichernd. Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Koch für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die vorliegende Arbeit durch die Gewährung einer Druckbeihilfe gefördert. Zu danken habe ich Corinna Mundzeck für Ihre Unterstützung bei der Herstellung einer Druckfassung. Ohne meine Mutter wäre alles bisherige auf keinen Fall möglich gewesen. Sie ist das Fundament. Diese Arbeit widme ich meinem Vater und Theuthard. Hamburg, im März 2001

Rebecca Prelle

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . .. . . .. .. . . .. .. . . . . . . . .. . . . .. .. . . . .. . .. . . . . .. .. . . .. . .. .. . .. .. . . . . .. .. .. . .

17

I. Problemdarstellung .. .. . . . . . . .. .. . . . .. . .. . . .. .. . . .. .. . . . . . . . .. .. . .. .. . .. .. . . .. .

17

II. Aufbau der Arbeit . .. .. . . . . . . .... .. . .. .. .. .. . .. .. . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. . . .. . .. . .. . .

22

B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

I. Der Vorranganspruch des Buroparechts . . .. .. .. . . . .. .. . . .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. . . . .

24

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht, insbesondere das Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Umsetzung von Richtlinien im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

a) Die Richtlinie als Instrument der Harrnonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

b) Richtlinien im Umweltrecht .. .. . .. .. .. . . . .. .. . .. .. . .. . . .. .. . . . .. .. . .. . . ..

30

2. Subjektive Rechte aus Umweltrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

a) Konsequenzen für das deutsche Rechtsschutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

aa) Die Begrenzung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf den Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

bb) Individualrechtsschutz im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

b) Konzeption des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

c) Konzeption des Verwaltungsrechtsschutzes in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

3. Rechtswirkungen nicht oder fehlerhaft umgesetzter Richtlinien im nationalen Recht.. . . . .... . ... ..... . . . . . .. . .. ... . . . ....... . .. . . ................... . . .. . ..

47

a) Unmittelbare Wirkung (zugunsten von Individuen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

b) Unmittelbare Wrrkung der Richtlinie für die nationalen Behörden und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

c) Unmittelbare Wrrkung von Richtlinien im Umweltrecht. . . ......... .. .....

51

d) Richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

8

Inhaltsverzeichnis III. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale allgemeine Verwaltungsrecht

55

1. Autonomie der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts und der Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

2. Das Verhältnismäßigkeilsprinzip als Auslegungsgrundsatz für die Anwendung nationalen Rechts beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . .

59

3. Der einstweilige Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

4. Die EuGH-Rechtsprechung zur Anwendung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts: Rückforderung rechtswidrig vergebener staatlicher Beihilfen

62

5. Prozessuale Präklusionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

6. Nationale Übergangsvorschriften und die UVP-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I. Konzeption der Richtlinie . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

ll. Der integrative medienübergreifende Prüfungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

III. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

IV. Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Materieller Inhalt der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die UVP in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

l. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

2. Anwendungsbereich der UVP . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .

77

3. Inhalt und Ablauf der UVP

78

4. Materieller Inhalt der UVP

83

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

l. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

a) Klagebefugnis: Drittschutz aus der UVP-Richtlinie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

aa) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

bb) Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Inhaltsverzeichnis

9

b) Klagebefugnis: aus dem UVPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Selbständige Klagebefugnis Dritter aus dem UVPG? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Abwehranspruch des enteignend Betroffenen- Unselbständige Klagebefugnis aus dem UVPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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c) Zusammenfassung .. .. .. .. .. . . .. . . .. .. .. . . .. .. .. . . .. . .. . .. . .. . . .. .. . . .. . .. 102 2. Verfahren und gerichtliche Kontrolldichte .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 103 a) Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in Deutschland . . . . . . 106 aa) Der Grundsatz der vollen Tatbestandskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Beurteilungsspielräume der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 cc) Kontrolldichte im Planfeststellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Das Abwägungsgebot im FStrG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Stellenwert der UVP im Rahmen der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen der UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Folgen der fehlerhaften oder fehlenden UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (1) Konkrete Kausalität zwischen UVP-Mangel und Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Der UVP-Mangel als Defizit im Abwägungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . 125 (3) Die Aufhebung der Entscheidung gern.§ 17 Abs. 6 c FStrG....... 126 bb) Das UVP-Verfahren als Sicherung der Richtigkeit der Entscheidung . . 129 (l) Ansicht des OVG Koblenz und des VGH München . . . . . . . . . . . . . . . 129

(2) Ansicht des BVerwG .. ....... .. ...... ....... . .. .... ...... .. ....... 131 cc) Kontrolle inhaltlicher Voraussetzungen der UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (1) Anforderungen an die Form der UVP . . .. . . . . .. . .. . . . . .. . .. .. . .. . . 133 (2) Anforderungen an die Ermittlung . . . .. . . . . . .. . . .. . .. . . . .. .. .. .. . .. 133 (3) Die Untersuchung der Umweltauswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (4) Die Beteiligung der Öffentlichkeit . . .. . . . .. . . . .. . .. . . . . .. .. .. .. . . . 138 (5) Anforderungen an die zusammenfassende Darstellung . . . . . . . . . . . . 140 (6) Anforderungen an die Beschreibung der "Wechselwirkungen" . . . . 142 (7) Anforderungen an die Bewertung .. . . .. .. .. . .. .. . . .. .. . . .. .. . .. . . . 142 (8) Die Untersuchung von Planungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 dd) Zusammenfassung.. . ...... . ..... . ...... .. .. . .. . . . .. . .. . .. .. ...... .. . . 144 3. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

10

Inhaltsverzeichnis

E. Die UVP (Etude d'impact) und ihre verwaltungsgerichtliche Kontrolle in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. "Etude d'impact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Regelungen der "etude d'impact" .. . . . .. . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . .. . .. . . . . . . .. . . . . 153

2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Ausgenommene Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5. Öffentlichkeitsbeteiligung .. . . . .. . .. . . . . .. . . .. .. .. .. . . .. .. . . . .. . . .. . . . . .. .. . . 162 6. Kontrolle der "etude d'impact" durch die Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7. "Berücksichtigung" der "etude d' impact" in der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Il. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Rechtsschutz gegen eine fehlerhafte UVP in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Die Verwaltungsgerichtbarkeit im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen die Verletzung der Vorschriften über die "etude d'impact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Voraussetzungen des ,,recours pour exces de pouvoir" (cas d'ouverture et cas d' annulation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Die Voraussetzungen des ,,interet a agir" .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . 173 cc) Rechtsschutz gegen die Genehmigung einer klassifizierten Anlage 177 c) Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in Frankreich . . . . . . . . 178 d) Fortn- und Verfahrensfehler in Frankreich.. . .. . . .. . .. . ............. .. .. . .. 185 2. Die Rechtsprechung zur UVP . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 189 a) Der französische Urteilsstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Nachprüfung der Voraussetzungen der "etude d'impact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Fehlende "etude d'impact" oder ,,notice d'impact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Die fehlerhafte Durchführung einer "etude d' impact" oder ,,notice d'impact". . ... . ... .. .. ... . . .. . .. . .. .. . . .... .... . .. . .. . .. .... . .. .. ... . . 192 ( 1) Formale Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Inhaltsverzeichnis

11

(2) Inhaltliche Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (a) Maßstab der Proportionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Maßstab der Ernsthaftigkeit und Genauigkeit der "etude d'irnpact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (aa) Beschreibung des Vorher-Nachher-Zustands . . . . . . . . . . . . . 198 (bb) Besonderheiten der örtlichen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (cc) Neuerungen der UVP-Richtlinie in der Rechtsprechung . . 207 (dd) Beispiele für eine intensivere inhaltliche Kontrolle . . . . . . 208 (ee) Maßstab der vollständigen Information der Öffentlichkeit 211 (ff) Beschreibung

der Kompensationsmaßnahmen und Kosten . . .................. . ... . . . ......... . ....... . .. ... 213

(gg) ,,Etude d'impact" und "l'erreur manifeste d' appreciation" .. .. . ....... .. .. ...... .. . . ........... .. ....... . .. . .. 217 3. Zusammenfassung ........ . .. . ................ . ... . .................... . .. . .. 217

F. Vergleichende Betrachtung . . . . .. .. . . .. .. . . .. . . .. . . . . .. .. . . .. . .. .. . . . .. . . . . .. .. .. . 222

I. Gesetzliche Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Unterschiedliche Konzepte im Verwaltungsprozeß und Verwaltungsverfahren und ihre Folgen für die UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

1. Die Konzeption des Verwaltungsprozesses . . .. .. . . . .. .. . . . . .. .. . . . .. . .. . .. . . . 224 2. Konzeption der Verwaltungsverfahren . .. .. . . . . .. . . .. .. . . .. . .. .. . .. .. .. .. . . . . 228 2. Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Klagebefugnis bei fehlender oder fehlerhafter UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP... . ... ... . .. ....... . .. . . .... . . 232

G. Europäische Ansätze zum Verwaltungsverfahren und der gerichtlichen KontroUdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 237

1. Das Verwaltungsverfahren im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Folgen von Verfahrensfehlern . .. .. . . .. .. .. . . .. . .. .. . .. . . .. . . . .. . . . .. . . . . .. . .. 238 3. Verfahrensrechte für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Rechte des einzelnen gegen die Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Rechte des einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Der Umfang der gerichtlichen Kontrolle im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 244

Inhaltsverzeichnis

12

H. Lösungswege zu einer einheitlichen und effektiveren Anwendung der UVP in den Mitgliedstaaten 0

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I. Methoden der Rechtsharmonisierung

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1. Transnationale Methode der Rechtsvergleichung 20

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Rechtsvergleichung durch Kooperation der Gerichte und Verwaltungen

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II. Netzwerk der Kooperation und Information im Umweltrecht und UVP-Recht Illo

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Die Effektivitätssteigerung der UVP durch die transnationale Methode der Rechtsvergleichung 0

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1. Die Umweltverträglichkeitsprüfung unter Ungewißheitsbedingungen 20

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Rechtliche Lösungsansätze zur Bewältigung der Schwierigkeiten mit der UVP oooooooOooOoooOoooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo o o

a) Das Recht auf korrekte Durchführung eines UVP-Verfahrens aus rechtsvergleichender Sicht 0

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b) Die Kausalitätsrechtsprechung aus vergleichender Sicht: Ein ergebnisoffener Umgang mit Verfahrensfehlern als Lösungsansatz o o o o o o o o o o o o o o o o o o o

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Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP: Gestaltungsspielraum der Verwaltung bei der Methodenwahl 0

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Eine UVP-Fehlerfolgenkonzeption

Zusammenfassung

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Literaturverzeichnis Sachwortverzeichnis

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310

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABLEG ABI.EGNr.L ABI.EGNr.C Abs. AJCL AIDA

allg. Anm. AöR Art. AtG AtVfG Aufl. ausf. Az. BauGB BayVBI. Bd. Beschl. BGBI. BlmSchG BlmSchV BNatSchG BR-Drs. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw.

anderer Ansicht alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Nr. L steht für ,,Lois" und enthält die veröffentlichungsbedürftigen Rechtshandlungen Nr. C steht für "Communications" und enthält alle sonstigen Veröffentlichungen Absatz American Journal of Comparative Law L' Actualite juridique - Droit adrninistratif allgemein Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Atomgesetz Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (Atomrechtliche Verfahrensordnung) Auflage ausführlich Aktenzeichen Baugesetzbuch Bayrische Verwaltungsblätter Band Beschluß Bundesgesetzblatt Bundesimmissionsschutzgesetz Verordnung zur Durchführung des Bundesirnissionsschutzgesetzes Bundesnaturschutzgesetz Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise

14

Abkürzungsverzeichnis

ca.

circa

C.A.A

Cour administrative d'appel

C.E.

Conseil d'Etat

CJEG

Cahiers juridiques de 1' electricite et du gaz

CMLRev.

Common Market Law Review

COGEMA

Compagnie generale des materieres nucleaires

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

D.S.

Recueil Dalloz-Sirey

DV

Die Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EELR

European Environmental Law Review

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag über die Europäische Gemeinschaft

Einl.

Einleitung

EPL

European Public Law

erg.

ergänzt

Erl.

Erläuterung

etc.

et cetera

EuG

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften I. Instanz

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechtszeitschrift

EuR

Europarecht

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FLEPNA

Federation Iimousine pour l'etude et la protection de Ia nature

Fn.

Fußnote

Fs

Festschrift

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

Gaz. Pal.

Gazette du Palais

geänd.

Geändert

GenSesehiG

Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungen

GG

Grundgesetz

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

Abkürzungsverzeichnis i.E.

im Ergebnis

insb.

Insbesondere

i.

im Sinne des

s. d.

15

i.V.m.

in Verbindung mit

J.O. JuS

Journal Offiziel Juristische Schulung

JUTR

Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz

KOM

Kommission

KritV

Kritische Vierteljahresschrift

Lit.

Literatur

m.E.

mit Einschränkung

MLR

Modem Law Review

m.w.N

mit weiteren Nachweisen

NJW

numero Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OVG

Oberverwaltungsgericht

P.O.S

Plan d'occupation du sols

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Rec.

Recueil Lebon des decisions du Conseil d'Etat

REDP

Revue europeenne de droit public

RDP

Revue du droit public et de Ia science politique en France et a l'Etranger

RFDA RlW

Revue fran~aise de droit administratif

RJE RL Rn.

Revue juridique de l'environnement

Rs.

Rechtsache

Slg. Sog.

Sammlung Sogenannt(e)

StrlSchV

Strahlenschutzverordnung

T.A.

Tribunal Administratif

Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer

TA Luft

Technische Anleitung zum Schutz gegen Länn

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblatt

u. a.

unter anderem

UBA

Umweltbundesamt

UGB

Umweltgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis

16 UPR Urt.

Umwelt- und Planungsrecht Urteil

u.U.

unter Umständen

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

UVPG UVP-Richtlinie

Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeit von bestimmten öffentlichen und privaten Projekten Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom/von

UVP-VwV V.

VBlBW VerwArch. VG

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verwaltungsarchiv

VGH

Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof

Vgl./vgl.

Vergleiche I vergleiche

vo

Vol. Vorbem.

Verordnung Volumen Vorbemerkung Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VVDStrRL VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwV

Verwaltungsvorschrift

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaft und Wettbewerb Zone d'amenagement concerte

WHG WuW Z.A.C ZAU z.B.

ZfU ZUR

Zeitschrift für angewandte Umweltforschung zum Beispiel Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht

,,Le contröle juridictionnel de I' administration en Europe est Je royaume de Ia diversite" 1

A. Einleitung I. Problemdarstellung Mit der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85 I 337 I EWG)2 und dem darin entworfenen Konzept der vorsorglichen medienübergreifenden Prüfung der Umweltauswirkungen wurde in allen Mitgliedstaaten der EG ein nahezu unbekanntes neues umweltpolitisches Instrument eingeführt.3 Die Umsetzung der UVP-Richtlinie hat daher in den letzten Jahren in Deutschland für erheblichen Diskussionsstoff gesorgt, dessen Schwerpunkte die Gewichtung des Verfahrens, die unklare inhaltliche Tragweite der Richtlinie, daraus resultierende Auslegungsfragen und der Vorgang der Einpassung der UVP mit dem komplexen integrativen Prüfungsansatz in die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen der Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren bildeten.4 Nun, 16 Jahre nach Erlaß der Richtlinie und 11 Jahre nach der Umsetzung in das deutsche Recht, steht nicht mehr die korrekte Umsetzung der UVP im Vordergrund, sondern vor allem ihre Anwendung und Vollziehung in der Praxis. 5 Dabei steht über allem die Frage nach der effektiven Anwendung des UVP-Rechts, die zum einen aus nationaler, Woehrling, REDP 1994, 353. ABI. EG 1985 Nr. L 175/40 ff. geändert durch die Richtlinie v. 14. 3. 1997 (97/11/ EG}, ABI. EG Nr. L 073/5 ff. 3 In Frankreich und den Niederlanden gab es bereits vorher Regelungen über eine Umweltverträglichkeitsprüfung. 4 Zu den Problemen der Umsetzung der UVP: Callies, NVwZ 1996, 339 ff.; Becker, BayVBI. 1990, 353 ff.; Cupei, UVP, 1986; Gassner, UPR 1990, 361 ff.; Soell/Dimberger, NVwZ 1990, 705 ff.; Lange, DÖV 1992, 780 ff.; Beckmnnn, DVBI. 1993, 1335 ff.; Bunge, DVBI. 1987, 819 ff.; Weber/Hellmann, NJW 1990, 625 ff.; Hoppe/Püchel, DVBI. 1988, 1 ff.; Schink/Erbguth, DVBI. 1991,413 ff.; Erbguth, DÖV 1988,481 ff.; Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, S. 55; Ladeur; ZfU 1994, 1 ff.; Wahl, DVBI. 1988, 86 ff.; Peters, UPR 1994, 93 ff.; ders., NVwZ 1995, 209, 215 ff.; zu den Schwierigkeiten im gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsverfahren bzgl. der UVP, Albert, Die umweltpolitische Steuerungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft, 125 ff. 5 Mayen, NVwZ 1996, 319; Kolter, UVP in der Praxis... , 1997; schon Dohle, NVwZ 1989, 705 ff.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, FS für Doering, 1989, 890, der der UVP strukturverändernde Kraft hinsichtlich des verwaltungsrechtlichen Systems in elementaren Punkten zusprach; Hien, NVwZ 1997,425 ff.; Erbguth, NuR 1997,261 ff.; Schink, NuR 1998, 174 ff.; ders., NVwZ 1999, 11 ff.; Schwab, NVwZ 1997,428 ff. I

2

2 Prelle

18

A. Einleitung

aber zum anderen auch und in erster Linie aus europäischer Sicht beantwortet werden muß. 6 Eine effektive Anwendung der UVP kann nur im Kontext mit der effektiven Anwendung in anderen Mitgliedstaaten betrachtet werden. Auf europäischer Ebene geht es vor allem um die Harmonisierung der UVP-Vorschriften und damit auch um die Einheitlichkeit der Anwendung in allen Mitgliedstaaten, um nationale Industriebetriebe vor Wettbewerbsverzerrungen zu schützen und EG-weit einen optimalen Umweltschutz durch Umweltvorsorge zu erreichen.7 Die Erfahrung mit der UVP8 hat nicht zuletzt auch den Erlaß der Änderungsrichtlinie vom 14. 3. 1997 herbeigeführt, mit der die EG eine Effizienzsteigerung der Umweltverträglichkeitsprüfung durch eine Verbesserung des praktischen Vollzugs anstrebt. 9 Die Effektivität der UVP setzt auch effektiven Rechtsschutz voraus, bzw. wird durch effektiven Rechtsschutz gewährleistet. 10 Der Zugang zu den Verwaltungsgerichten und der Umfang der gerichtlichen Kontrolldichte richtet sich wegen fehlender europäischer Regelungen nach wie vor nach den nationalen Bestimmungen und Rechtspraktiken des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrechts. 11 Wegen der vielfältigen verschiedenartigen verwaltungsrechtlichen Strukturen, Konzepte und Traditionen in den Mitgliedstaaten 12 kann dieser Autonomiebereich der Mitgliedstaaten jedoch dazu führen, daß die Ergebnisse der Anwendung des umgesetzten europäischen Rechts oft nicht unerheblich divergieren. 13 So werden in den Mitgliedstaaten Unterschiede hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten, der administrativen Entscheidungsmethoden und der Reichweite der Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte deutlich, die sich auch speziell in der UVP6 V gl. Cupei, Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EG durch die UVP?, 1994; vgl. auch Marr; ZAU 1997, 109 ff. 7 Vgl. Präambel der UVP-Richtlinie, Fn. 2. 8 Vgl. Bericht der Kommission von 1993 über die Anwendung und den Nutzeffekt der UVP in den Mitgliedstaaten, KOM (93), 28. Diese Untersuchung hat ergeben, daß vor allem der sachliche Anwendungsbereich der UVP - die Anzahl der durchgeführten UVP in den Mitgliedstaaten- divergiert. Vgl. auch Schink, DVBI. 1995, 73 ff. Vgl. (up-date) Bericht der Kommission von 1997. 9 Vgl. Erwägungsgründe der Richtlinie 97 I 11 /EG des Rates v. 14. 3. 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337 /EWG, (Fn. 2). 10 Vgl. allg. Pache, DVBI. 1998, 380, 381; speziell bzgl. der Effektivität der UVP: vgl. Weber/Hel/mann, NJW 1990, 1625, 1632; Beckmann, DVBI. 1991, 358; Erbguth/Schink, UVPG, Ein!. Rn. 102; für das französische Recht: vgl. Hibrard, L'etude d'impact de l'environnement, 636; ders. RJE 1981-2, 129, 171. 11 Dazu EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 33176, Slg. 1976, 1989 - Rewe; Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 45176, Slg. 1976,2043- Comet; Magiera, DÖV 1998, 173, 177. 12 Einen anschaulichen Überblick gibt Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 47-145. 13 Vgl. insbes. Pache, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 177, 192, der den Zusammenhang zwischen der Ausgestaltung der nationalen Verfahrensrechte und des Verwaltungsrechts mit der Geltung, Wirksamkeit und dem Vollzug des Umweltgemeinschaftsrechts hervorhebt. Vgl. auch Bleckmann, in: Marcou (Hrsg.), Les mutations du droit de l'administration en europe, 247 ff.; Breuer, JUTR 1992, 155, 160.

I. Problemdarstellung

19

Anwendung des jeweiligen Mitgliedstaates niederschlagen können. Die harmonisierende Richtlinie kann zwar von oben zur Schaffung einheitlichen Rechts beitragen, sie vermag aber nicht, die grundlegenden strukturellen Unterschiede aufzuheben, die zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestehen und von ,.unten" auf das umgesetzte Richtlinienrecht treffen. Es ist deshalb der spannenden Frage nachzugehen, ob das Ziel der Harmonisierung und der einheitlichen Geltung und Verwirklichung der Regelungen der UVP mit der Richtlinie durch die Notwendigkeit der Anknüpfung des umgesetzten europäischen Rechts an das jeweilige nationale Verwaltungsrechtssystem mit den unterschiedlichen Konzeptionen auf der Anwendungsebene tatsächlich erreicht wird. Bisher sind im Zusarnrnenhang mit dem Umgang der Rechtsprechung in Deutschland eher Sätze gefallen wie: ,.allzu hohe Erwartungen an den umweltschützerischen Effekt der UVP wurden gedämpft" 14 oder ,.der bisherige Befund läßt sich durchaus als Indiz für eine Enttäuschung vieler mit der UVP verbundenen Erwartungen bezeichnen" 15 oder .,die Rechtsprechung des BVerwG gibt sie (die UVP) der Bedeutungslosigkeit preis, falls nur im Verfahren eine Prüfung der Umweltfolgen durchgeführt worden ist" 16• Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auch auf die gesetzgebensehen Bemühungen in Deutschland zuriickzuführen, die Zulassungsverfahren zu beschleunigen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. 17 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich folglich nicht mit den Umsetzungsproblemen und-defizitenund daraus resultierenden Divergenzen in den Mitgliedstaaten bezüglich der gesetzlichen Harmonisierung der UVP. Sie setzt sich vielmehr mit der beschriebenen zweiten Ebene 18, der praktischen Anwendung der UVP in den Mitgliedstaaten auseinander und macht insbesondere die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum Kernpunkt der Betrachtung. Da eine Untersuchung der UVP-Anwendungspraxis in allen Mitgliedstaaten den Rahmen der Arbeit sprengen würde, wird hier exemplarisch eine Gegenüberstellung der Rechtspraxis im französischen und deutschen Recht vorgenommen.

Hien, NVwZ 1997,422. Steinberg, DÖV 1996,221,231. 16 Schink, NuR 1998, 174. 17 Vgl. Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (GenBeschlG) v. 12. 9. 1996, BGBI. I, 1354; Verkehrswegep1anungsbeschleunigungsG v. 16. 12. 1991, BGBI. I, 2174; Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (PlVereinfG) v. 17. 12. 1993, BGBI. I, 2123; vgl. auch Starost, NVwZ 1998, 797 ff.; Ronellenfisch, NVwZ 1999,583,584 f.; Gawel, DÖV 1999,281 ff.; Erbguth, UPR 1999,41 ff. 18 Die Wichtigkeit der zweiten Stufe, der Durchsetzung des Europarechts in dem Mitgliedstaaten, wird in der Literatur zunehmend erkannt und diskutiert. Vgl. Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996; Magiera, DÖV 1998, 173, 177, 173 ff.; Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1997; Engelsberger; Der Vollzug europarechtlicher Vorschriften auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 1998. 14

IS

2*

A. Einleitung

20

Ein Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich ist deshalb von besonderem Interesse, weil beide Länder von verschiedenen, nahezu gegensätzlichen Konzeptionen des Verwaltungsrechts geprägt sind. Zwar wurde das deutsche Verwaltungsrecht in seinen Anfängen von französischen Verwaltungsprinzipien, besonders durch den Conseil d'Etat beeinflußt 19, doch sind trotzdem erhebliche Divergenzen vor allem in den Fragen des Rechtsschutzes zu beobachten: Während sich in Deutschland der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz vorrangig an den subjektiven Rechten des Klägers orientiert, ist in Frankreich die Verwaltungsgerichtsbarkeit an der Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit im öffentlichen Interesse, d. h. der objektiven Kontrolle der Legalität des Verwaltungshandelns, ausgerichtet. 20 Diese unterschiedlichen Grundsätze wirken sich auch auf die inhaltliche Kontrolle der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen durch die Verwaltungsgerichte aus. Da gerade die Rechtsinstitute der Klagebefugnis und der gerichtlichen Kontrolldichte für die Effektuierung der Inhalte der UVP-Richtlinie eine entscheidende Rolle spielen, wird sich der Vergleich oder der Versuch eines Vergleichs21 ausschließlich auf diesen Aspekt konzentrieren. Ob sich Konsequenzen aus diesen systeminhärenten Unterschieden für die Anwendung der UVP ergeben haben und gegebenenfalls welche, soll dabei überprüft werden. Es fällt zunächst auf, daß das BVerwG bisher keine einzige Planfeststellung wegen einer fehlenden oder fehlerhaft durchgeführten UVP aufgehoben hat. Fehler im UVP-Verfahren bleiben also folgenlos. 22 In Frankreich dagegen wurden bisher durch die Verwaltungsgerichte zahlreiche Genehmigungen von Vorhaben bei Fehlen und auch bei wesentlichen Mängeln der UVP aufgehoben. Es fällt auch auf, daß sich in Deutschland nur der enteignend Betroffene auf Fehler im UVP-Verfahren berufen kann, während sich in Frankreich jeder Betroffene und sogar auch Umweltschutzverbände gegen eine fehlerhafte UVP wehren können. Ein Problem bildet in diesem Zusammenhang die Frage, wann das Europarecht individuelle Informations- und Umweltrechte schafft, die dann im Rahmen nationaler Verwaltungsverfahren durchzusetzen sind. Es wird auch betrachtet, wie und in welchem Umfang die Gerichte die Umweltverträglichkeitsprüfung inhaltlich überprüfen und welche Anforderungen sich aus der UVP-Richtlinie ergeben, geht es doch vor dem Hintergrund erheblicher Wissensdefizite um die Ermittlung von Risiken. Auf der Betrachtung der tatsächlichen und potentiellen Anwendungsdivergenzen aufbauend, soll dann der Frage nachgegangen werden, wie die Schwierigkeiten der Koordination des europäischen Rechts bzw. des europäisierten nationalen Rechts Vgl. Scheuner; DÖV 1963, 714 ff.; Schwarze, NVwZ 1996, 23. Vgl. Woehrling, REDP, 353, 362, 365; ders., NVwZ 1998, 462 ff., ders., NVwZ 1999, 502 ff. 21 Vgl. zur Methode der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht: Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 74 ff.; vgl. auch Samuel, Int. and Comp. L. Qu. (47) 1998, 817 ff. 22 Vgl. Darstellung bei Hien, NVwZ 1997,422,424. 19

20

I. Problemdarstellung

21

mit den gewachsenen verwaltungsrechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten gelöst werden können. Hierbei ist auch die Frage zu beantworten, ob die Heterogenität in der Anwendungspraxis der UVP neue Methoden der Rechtsvereinheitlichung auf dieser "zweiten Ebene" erforderlich macht, d. h. die Lösung der auftretenden Divergenzen in einer gemeinschaftrechtskonformen Anpassung der Rechtsinstitute des allgemeinen Verwaltungsrechts zu suchen ist. Dies wird auch unter dem Gesichtspunkt der verbleibenden Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien sowie der innerstaatlichen Durchführung von Gemeinschaftsrecht zu untersuchen sein. Es soll problematisiert werden, ob die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch eine Annäherung und Abstimmung der verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten mittels einer flexiblen, innovationsoffenen Methodik erreicht werden kann. Dabei kann neben der Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben der Rechtsvergleich mit anderen Mitgliedstaaten und die Einbeziehung der verschiedenen Systemansätze dazu führen, die Rolle der nationalen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihre Verantwortlichkeitsbereiche23 für die Rechtsangteichung neu, durch eine kooperative und auf Selbstreflexion ausgerichtete Methode, zu bewerten.Z4 Denn eine radikale Anpassung der unterschiedlichen Rechtskonzepte nach dem effet-utile-Prinzip, ohne Rücksicht auf gewachsene Rechtsstrukturen könnte ungeahnte Auswirkungen auf rechtliche Bereiche haben, die mit dem spezifischen europäisierten Bereich, hier der UVP, gar nichts zu tun haben. Dadurch könnte das gesamte gewachsene nationale Verwaltungsrechtssystem aus dem Gleichgewicht geraten. Zugleich besteht aber auch die Möglichkeit und Chance, daß die erforderlichen Anpassungen zu einer Überprüfung und eventuellen Revision oder einem "Modernisierungsschub"25 hergebrachter Konzeptionen des nationalen Verwaltungsrechts führen. 26 Gerade in Deutschland berührt das Europarecht Rechtsbereiche, die auch innerstaatlich höchst umstritten sind.Z7 So werden in bezug auf die UVP Fragen aufgeworfen, die die Beteiligtenstellung im Verfahren, die Geltendmachung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsprozeß, die Fehlerfolgenlehre und auch die inhaltliche Kontrolle der Gerichte betreffen.

23 Vgl. allg. zur Konkurrenzsituation der Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie zu Funktionsverschiebungen, Sendler, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, S. 73 ff.; Pitschas, in: B1ümel I Pitschas, S. 27 ff.; Schwarze, Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, 1974; Bertrams, NWVBL 1997, 3 ff. 24 Vgl. auch Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 45, der zu Recht darauf hinweist, daß eine Harmonisierung des Rechtsschutzes bei einer Bestandsaufnahme der Rechtsschutzsysteme in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede beginnen muß. 25 Schoch, NVwZ 1999,457 ff. 26 Vgl. Ladeur, EuR 1995, 227 ff.; Kahl, DV 1996, 381. 27 Zum Innovationspotential des Gemeinschaftsrechts, Scheuing, in: Hoffmann-Riem/ Schrnidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 289 ff.

22

A. Einleitung

Insofern geht die Fragestellung über eine rechtsvergleichende Darstellung der UVP-Anwendungspraxis in Deutschland und Frankreich hinaus und problematisiert allgemein die Methode einer wirksamen Verknüpfung und Koordination des besonderen europäischen Rechts mit dem jeweiligen nationalen Verwaltungsrechtssystem unter supra- und vor allem transnationalen Gesichtspunkten.

II. Aufbau der Arbeit In ersten Teil der Arbeit soll eine kurze Darstellung der Einwirkung des Europarechts auf das besondere Verwaltungsrecht, insbesondere das Umweltrecht und auf das allgemeine Verwaltungsrecht gegeben werden. Dabei wird sich die Darstellung in erster Linie auf die Grundprinzipien der Wirkung des Europarechts, d. h. vor allem der Wirkung von Richtlinien im deutschen Recht beschränken. Der zweite Teil befaßt sich nach einer kurzen Beschreibung des UVPG mit der Rechtsprechung zur UVP seit lokrafttreten des Gesetzes und behandelt den gerichtlichen Umgang mit der UVP unter dem Aspekt der Rechtsschutzvoraussetzungen und der gerichtlichen Kontrolldichte. Insbesondere soll untersucht werden, welche Folgen Fehler oder Mängel des UVP-Verfahrens haben. Dabei wird sich die Erörterung auf die Rechtsprechung zu der UVP in der straßenrechtlichen Planfeststellung beschränken, da die UVP vor allem in diesem Bereich Bedeutung erlangt hat. 28 Rein praktisch kommt die UVP bei der Genehmigung von Industrieanlagen bisher nicht vor. 29 Im dritten Teil sollen die gesetzlichen Grundlagen der französischen UVP (etude d'impact) sowie die Rechtsprechungspraxis in Frankreich zu der UVP erörtert werden, ebenfalls unter dem Aspekt der Klagevoraussetzungen und der Rechtskontrolle. Auch hier soll besonderes Augenmerk auf die Folgen von UVP-Mängeln gerichtet werden. Anschließend werden die Ergebnisse der Untersuchungen rechtsvergleichend gegenübergestellt und Differenzierungen herausgearbeitet werden. Dabei sollen auch die gemeinschaftsrechtlichen Standpunkte, insbesondere die Aussagen des EuGH und des EuG zu den Inhalten und des Umfangs der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sowie der Bedeutung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren dargestellt werden. Zum Schluß wird sich die Arbeit mit der Frage auseinandersetzen, wie das Recht der UVP in den Mitgliedstaaten kompatibel gemacht werden kann, ohne die traditionellen Rechtsstrukturen zu sehr zu beeinträchtigen und aus der Balance zu 28 Vgl. Schink, NVwZ 1999, 11, 13; Erbguth, in: Koch (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Immissionsschutzrechts, S. 257 ff. 29 Vgl. Schwab, NVwZ 1997,428,429.

II. Aufbau der Arbeit

23

bringen. Es sollen - auf der rechtsvergleichenden Betrachtung der französischen und gemeinschaftsrechtlichen Ansätze aufbauend - Lösungsmöglichkeiten herausgearbeitet werden. Es wird dabei auch die Frage gestellt, welches Verwaltungsrechtskonzept den Umgang mit der Problematik komplexer Sachverhalte arn besten bewältigt. Dabei soll auch der Versuch der Konstruktion eines Netzwerks der Verwaltungen und Gerichte der Mitgliedstaaten unternommen werden, welches möglicherweise auf horizontaler Ebene eine innovationsoffene, flexible Rechtsannäherung in Europa durch eine wachsende gegenseitige Abstimmung hinsichtlich der Steuerungsinstrumente und Rechtsinstitute, zuläßt. Insofern wird die Arbeit arn Ende über das Thema der UVP hinausgehen und allgemein ein Modell, einen Rahmen für die harmonische Zusammenführung verschiedener Rechtsordnungen, beschreiben.

B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht Das Europarecht wirkt in zunehmendem Maße auf das nationale Recht ein und hat in Deutschland nahezu alle Rechtsbereiche erfaßt. Im folgenden soll es nicht um eine Darstellung der vielfältigen Beeinflussung des nationalen Rechts durch das Europarecht gehen, vielmehr werden einzelne Beispiele aus den Bereichen des Umweltrechts und des allgemeinen Verwaltungsrechts das Verhältnis von Europarecht und nationalem Recht, die Grundprinzipien der Wirkung des Buroparechts im deutschen Recht, aufzeigen. Das deutsche Umweltrecht ist auf vielfältige Weise mit den Grundstrukturen des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrechts verzahnt, so daß die Europäisierung des einen Rechtsbereichs nicht losgelöst von der Europäisierung des anderen Rechtsbereichs gesehen werden kann. Mit der Verknüpfung des Buroparechts mit dem nationalen besonderen Verwaltungsrechts, hier des Umweltrechts, werden also europarechtliche Elemente auch in das allgemeine Verwaltungsrecht übertragen.

I. Der Vorranganspruch des Europarechts Die Wurzel und den Kern aller Einwirkungen des Buroparechts auf das nationale Recht bildet der lange Zeit höchst umstrittene 1 Vorranganspruch2 des Gemeinschaftsrechts, der vom EuGH erstmalig 1964 in der Costa/E.N.E.L.-Entscheidung festgestellt wurde? Begründet wurde der Vorrang mit der Bindung der Mitgliedstaaten an die Gründungsverträge der Gemeinschaft, der Qualifizierung der Europäischen Gemeinschaft als eigenständige Rechtsordnung sowie der aus Art. 10 Abs. 2 und 124 EGV resultierenden Verpflichtung, die Ziele der Gemeinschaft zu wahren und zu verwirklichen und europäischen Rechtsetzungsmaßnahmen nicht durch nationale Gesetzgebungsakte ihrer Wirksamkeit zu berauben.5 Insofern entspringt der Vorranganspruch dem stringenten Funktionsanspruch der Gemeinschaft, die VerwirkliVgl. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV /EGV, Art. 1 Rn. 32. Das BVerfG hat diesen Vorranganspruch inzwischen auch bis auf weiteres akzeptiert und seine Überprüfungsbefugnis hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts nur auf Fälle grober Mißachtung des Grundrechtsschutzes durch die Europäischen Gemeinschaften reduziert. BVerfGE 73, 339 (Solange II). 3 EuGH, Urt. v. 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 ff. 4 Es werden die Vorschriften der konsolidierten Fassung des EGV zitiert. 5 EuGH, Urt. v. 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 f. I

2

I. Der Vorranganspruch des Europarechts

25

chung der in den Verträgen genannten Ziele durch einheitliche - somit vorrangige - Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu erreichen. Das europäische Recht gilt also unmittelbar im Recht der Mitgliedstaaten und hat sogar Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht6 . In Deutschland wurde dies durch Art. 23 GG mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung verfassungsrechtlich legitimiert. Die Wirkung des Vorrangs ist nach Auffassung des EuGH und der ganz herrschenden Auffassung in der Literatur jedoch keine zerstörende, sondern lediglich eine verdrängende, also ein Anwendungsvorrang. 7 Insofern wird das nationale Recht nur dann verdrängt, wenn es den Bestimmungen des (unmittelbar wirksamen) Buroparechts widerspricht und lebt wieder auf, wenn das Gemeinschaftsrecht aus irgendwelchen Griinden wegfällt. 8 Außerdem bleibt das dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Recht auf rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar.9 Für die nationalen Gerichte ergibt sich daher die Pflicht, im Fall einer Kollision von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht das letztere uneingeschränkt anzuwenden. Jede nationale Bestimmung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist demnach mit dem Vorrangprinzip des Gemeinschaftsrechts unvereinbar, wenn es die Gerichte daran hindem würde, den Anwendungsvorrang zu befolgen und die innerstaatlichen Vorschriften auszuschalten, die der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts entgegenstehen. 10 Zur Durchsetzung dieses Vorrangprinzips kann sich die Europäische Gemeinschaft des Vorlageverfahrens gern. Art. 234 11 EGV und Vertragsverletzungsverfahrens gern. Art. 226 EGV bedienen. Entscheidend für die Anwendung des Vorranganspruchs ist vor allem, daß der Bürger eines Mitgliedstaates sich auf entgegenstehendes europäisches Recht beruft. Im Rahmen derartiger Verfahren hat der EuGH auf der Basis des Vorrangprinzips verschiedene Instrumente entwickelt, die eine weitergehende Beachtung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gewährleisten sollen. Durch diese richterrechtliche Rechtsfortbildung hat der EuGH in den letzten Jahren entscheidend zur Einwirkung des Buroparechts auf nationale Rechtsstrukturen beigetragen. 12 Darauf soll im folgenden näher eingegangen werden.

EuGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. 11170, S1g. 1970, 1125, 1135. 33 EuGH, Urt. v. 9. 3. 1978, Rs. 106177, Simmenthal II, S1g. 1989, 629 ff. Rn. 17118. s Zur Unterscheidung von Anwendungsvorrang und Ge1tungsvorrang, OpperrTUlnn, Europarecht, § 6 Rn. 632, 633. 9 von Bogdandy I Nettesheim, in: Grabitz I Hilf, EUV I EGV, Art. 1, Rn. 40, 41 . 10 EuGH, Urt. v. 19. 6. 1990; Rs. C-213189, Factortarne, S1g. 1990 I, 2433,2473, Rn. 20; Temple Lang, ELRev. 1997, 3, 5. 11 Allerdings kann der EuGH durch das Vorabentscheidungsverfahren nicht direkt die Onanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts, sondern lediglich einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht feststellen, vgl. Wohlfahn, in: GrabitziHilf, EUV IEGV, Art. 177, Rn. 70. 12 Vgl. zur Rolle des EuGH Ladeur; KritV 1996, 77 ff.; Zuleeg, JZ 1994, 1 ff. 6 7

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht, insbesondere das Umweltrecht Die Europäisierung des nationalen Umweltrechts 13 erfolgt durch das primäre Gemeinschaftsrecht, d. h. durch die Bestimmungen des EG-Vertrages, sowie durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Formen von Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Dabei betreffen die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen in erster Linie die Harmonisierung von Umweltstandards, d. h. Emissionsstandards für Produktionsanlagen, Immissions- und Qualitätsstandards 14, die Benutzung bestimmter Umweltmedien oder Umweltfaktoren 15 oder Mindestvorschriften für die umweltgerechte Herstellung, Verwendung oder Entsorgung von bestimmten Stoffen. 16 Ferner wurde mit der Einfügung der mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 198617 geschaffenen Art. 130 r ff. (jetzt Art. 174 ff.) in den EG-Vertrag die Verwirklichung allgemeiner umweltpolitischer Ziele auf Gemeinschaftsebene unabhängig von der Verwirklichung des (wirtschaftlichen) Binnenmarktes möglich gemacht. 18 Ausdruck hat die zunehmende Bedeutung der Umweltpolitik der Gemeinschaft auch im Vertrag von Amsterdam im Juni 1997 gefunden, in dem sich die Europäische Gemeinschaft im modifizierten Art. 2 EGV zu einer "nachhaltigen Entwicklungspolitik" bekennt und es als Aufgabe ansieht, für ein ,,hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität" zu sorgen. 19 13 Vgl. allg. Fischer, JuS 1999, 320 ff.; Breuer, NVwZ 1997, 833 ff.; Steinberg, AöR 120, (1995), 549 ff.; Demmke, DV 1999, 43 ff.; Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschem Umweltrecht, 1998. 14 Z. B.: Richtlinie des Rates v. 24. 11. 1988 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft, RL 88/609/EWG, ABI. EG Nr. L 336/1 (zuletzt geänd. ABI. EG 1990 L 353/59); Richtlinie v. 22. 3. 1982 betreffend Grenzwerte und Qualitätsziele für Quecksilberableitungen aus dem Industriezweig Alkalichloridelektrolyse, 82/176/ EWG, ABI. EG Nr. L 81/29; Richtlinie des Rates v. 7. 3. 1985 über Luftqualitätsnormen für Schadstoffdioxid, ABI. EG Nr. L 87/1 (geänd. in ABI. EG 1991, Nr. L 377, 48). 15 Z. B.: Richtlinie v. 4. 5. 1976 betreffend die Versehrnutzung infolge der Ableitung bestimmter geflih.rlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft, RL 76/464/EWG, ABI. EG Nr. L 129, 23. 16 Z. B.: Richtlinie des Rates 83/447/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen die Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz, ABI. EG Nr. L 85/40; Richtlinie v. 15. 7. 1991 über das Inverkehrbringen von Ptlanzenschutzmitteln, ABI. EG Nr. L 230/1; Richtlinie v. 16. 9. 1996, 96/59/ EG über die Beseitigung polychlorierter Biphenyle und polychlorierter Terphenyle, ABI. EG Nr. L 243/31; Richtlinie v. 16. 2. 1998, 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, ABI. EG Nr. 123, 1. 17 Inkrafttreten der EEA: 1. 7. 1987, vgl. ABI. Nr. L 169, 29. 6. 1987,4 ff. 18 Vgl. auch Steinberg, AöR 120, (1995), 549, 551; Moench, KJ 1995,214, 220; Roßnagel, NVwZ 1997, 122, 125; Bis zum Inkrafttreten der EEA gab es keine umweltspezifischen Regelungen im EG-Vertrag, d. h. umweltrechtliche Bestimmungen konnten bis dahin nur als Annex zu binnenmarktbezogenen Regelungen oder gern. Art. 308 EGV (ex 235) ergehen.

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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Bis heute hat sich ein europäisches Umweltrecht in Form von mehreren hundert Rechtsakten herausgebildet, welches alle Bereiche des nationalen Umweltrechts erlaßt und damit erheblichen Einfluß auf die Fortentwicklung und Neuorientierung auf diesem Rechtsgebiet nimmt. 20 Die Veränderungen sind für den Beobachter nicht auf die europäische Standardsetzung zurückzuführen, da sich der Umweltschutz in Deutschland schon durch einen sehr hohen Schutzstandard hervorhebt. Die europäischen Regelungen folgen aber oftmals anderen neuen Konzepten21 • So hat das europäische Umweltrecht einige Impulse zur Weiterentwicklung der Handlungsformen im nationalen Umweltrecht gegeben, wie beispielsweise durch Möglichkeiten der Verlagerung der Verantwortung- und Kontrollkompetenzen auf Private, die Bildung von Kooperationsformen zwischen Privaten und Verwaltungsbehörden, die gesteigerte Öffentlichkeitsbeteiligung oder die Regelung eines medien-, sektoren- oder interessenübergreifenden Prüfungsansatzes. Die Integration und Implementation dieser Bestimmungen in das deutsche Umweltrecht gerät mit deren medial ausgerichteten Rechtsformen und Steuerungsinstrumenten in Konflikt und ruft Koordinationsprobleme hervor.22 Beispiele ftir die genannten strukturellen Veränderungen sind die UVP-Richtlinie, die Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt23 , die Öko-Audit-V024, die Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verrnin19 Fischer, JuS 1999, 320 f.; Oppemumn, Europarecht, S. 870, Rn. 2005; Schrader, UPR 1999, 201 ff.; vgl. auch Beschluß Nr. 2179/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24. 10. 1998 über die Überprüfung des Programms der Europäischen Gerneinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung, ABI. Nr. 275 v. 10/10/1998, I ff. 20 Vgl. Textsammlung des europäischen Umweltrechts von Storm/Lohse, EG-Urnweltrecht. 21 Vgl. auch Himmelmann, EG-Urnweltrecht und nationale Gestaltungsspielräurne, S. 133, der die Quellen der neuen Regelungsansätze und Instrumente des europäischen Umweltrechts im angelsächsischen Rechts- und Verwaltungsbereich angesiedelt sieht. 22 Breuer, NVwZ 1997, 833 ff.; ders., Entwicklungen... , 51 ff.; siehe auch Umweltgutachten 1998 des Rates der Sachverständigen für Urnweltfragen, Unterpunkt 40 f.; Krämer, in: Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz... , 51 ff.; Albin/MüllerKraenner, ZUR 1999,77. 23 Richtlinie des Rates v. 7. 6. 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt 90/313/EWG, ABI. EG Nr. L 158,56. Durch diese Richtlinie soll vor allem das Urnweltbewußtsein der Bevölkerung erhöht werden und der einzelne als Kontrollinstanz bzgl. der Einhaltung von Umweltstandards fungieren. Behörden müssen dem einzelnen auf Antrag Informationen über die Umwelt geben, ohne daß der Nachweis eines besonderen Interesses erforderlich ist. Nach deutschem Recht ist das Recht auf Information und Akteneinsicht früher nur nach Maßgabe eines dieses Anliegen legitimierenden subjektiven Rechts im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zulässig gewesen. Mit der Richtlinie wird dem Bürger ein voraussetzungsloser Anspruch auf Zugang zu den umweltrelevanten Informationen gewährt, vgl. § 4 Abs. 1 UIG (Gesetz v. 8. 7. 1994, BGBI. I, 1490); vgl. Hatje, EuR 1998,734 ff. 24 Verordnung v. 29. 6. 1993 Nr. 1836/93 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einer gemeinschaftlichen Öko-Audit-Regelung, ABI. EG Nr. L 168 v. 10. 7. 1993, I. Vgl. Umweltauditgesetz v. 7. 12. 1995, BGBI. I, 1591.

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

derung der Umweltverschmutzung (I.V.U-Richtlinie) für den Betrieb größerer Industrieanlagen25 und die Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Pflanzen und Tiere (FFH-Richtlinie).26 In der Literatur wird z. B. die Problematik der Einführung des ganzheitlichen übergreifenden Umweltschutzes durch das europäische Umweltrecht27 unter den Begriffen "lntegratives Umweltrecht" 28 oder "Integrierter Umweltschutz"29 behandelt.30 Gerade die UVP-Richtlinie soll die verschiedensten Projekts- und Vorhabenstypen erfassen und wirkt deshalb querschnittartig auf die unterschiedlichsten Rechtsbereiche, nicht nur des spezifischen Umweltrechts, ein. Im Schrifttum ist die UVPRichtlinie daher auch als Verfahrens- oder Instrumentenrichtlinie mit Querschnittcharakter bezeichnet worden. 31 Die Richtlinien überschneiden sich zum Teil auch in ihrem Wirkungsbereich, was durchaus zu Problemen in der Umsetzung und Praxis führen kann. 32 In der Literatur wird beispielsweise überwiegend- trotz erheblicher inhaltlicher Divergenzen - eine Harmonisierung der UVP-Richtlinie mit der IVU-Richtlinie gefordert, dabeidesich auf Anlagen beziehen und inhaltlich wechselbezüglich aufeinander verweisen. 33 Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Europäisierung des Umweltrechts hat aber auch die Rechtsprechung des EuGH in den letzten Jahren gespielt. Dazu sollen im folgenden im Rahmen der Beschreibung der Wirkung von Richtlinien einige exemplarische Beispiele erörtert werden.

25 Richtlinie des Rates v. 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Venninderung der Umweltverschmutzung 96/61/EG, ABI. EG Nr. L 257, 26; vgl. zur IVU-Richtlinie: Dolde, NVwZ 1997, 313 ff.; Koch, JUTR 1997, 31 ff.; Becker, DVBl. 1997, 588 ff.; Schäfer, UPR 1997, 444 ff.; Steinberg/Koepfer, DVBl. 1997, 973 ff.; Zöttl, NuR 1997, 157 ff.; Masing, DVBI. 1998,549 ff. 26 Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21. 5. 1992, ABlEG Nr. L206, S. 7. 27 Die EG verfolgt die Konzeption des "Integrierten Umweltschutzes" seit dem 5. Gemeinschaftsprogramm für Umweltpolitik v. 1. 2. 1993 (ABI. EG 11993, Nr. C 138, 1, 5). 28 Di Fabio, NVwZ 1998, 329 ff. 29 Masing, DVBL 1998,549 ff. 30 Zu dem umweltrechtlichen Integrationsprinzip auch Volkmann, Verwaltungsarchiv 1998, 363, 368 ff.; Köck, ZUR 1998, 225; Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999. 31 Breuer, Entwicklungen ..., S. 48; Cupei, Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen ... , 15; Di Fabio, NVwZ 1998,333. 32 Vgl. Schink, NVwZ 1999, 11, 12; Becker, NVwZ 1997, 1167. 33 Becker, NVwZ 1997, 1169; Steinberg/Koepfer, DVBl. 1997,975. 34 Everling, NVwZ 1993, 209, 211; Pemice, EuR 1994, 325; Zuleeg, NJW 1993, 31 ff.; Pieper, DVBl. 1993,705,708.

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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1. Umsetzung von Richtlinien im Umweltrecht a) Die Richtlinie als Instrument der Harmonisierung Das gebräuchlichste Instrument für die Rechtsangleichung im Umweltrecht bildet aufgrund des Subsidiaritätsprinzips gern. Art. 5 EGV die Richtlinie. 34 Die Rechtsgrundlage für den Erlaß von Richtlinien im Bereich des Umweltrechts findet sich entweder in Art. 95 oder in Art. 175 EGV. 35 Nach Art. 249 Abs. 3 EGV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird36, hinsichtlich des Zieles verbindlich, die Wahl der Mittel und Wege zur Umsetzung dieser Ziele bleibt aber den Staaten bzw. ihren verfassungsmäßig zuständigen Organen innerhalb einer bestimmten Frist selber überlassen. 37 Anders als das primäre Gemeinschaftsrecht und Rechtsverordnungen kann die Richtlinie erst durch den Umsetzungsakt - eine Ausführungsvorschrift - innerstaatliche Rechtswirkung entfalten und auch Rechte oder Pflichten für den einzelnen begründen. 38 Insofern soll ein "zweistufiges Rechtsetzungsverfahren 39" erfolgen, d. h. das "ob" bestimmt die Europäische Gemeinschaft, bzw. der Rat der Europäischen Gemeinschaften und das "wie" der Regelsetzung gehört in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Sinn und Zweck der Richtlinie als "Rahmengesetzgebung" ist die optimale Einpassung in nationale Rechtsstrukturen. 40 Allerdings hat der EuGH schon früh strenge Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien konkretisiert. 41 Die Anwendung der Richtlinie muß in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang gesichert sein.42 Der Mitgliedstaat hat innerhalb der gesetzten Frist die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinie unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen. 43 Dabei muß der 35 Nicht unumstritten ist, welche Rechtsgrundlage für welche Art von Richtlinie einschlägiger ist, vgl. auch EuGH, EuZW 1991, 473; vgl. Nachw. der Literatur bei Fischer, JuS 1999, 320,323 f. 36 So steht auch ausdrücklich in der UVP-Richtlinie in Art. 14, daß die Richtlinie an die Mitgliedstaaten gerichtet ist. 37 Grabitz, in: Grabitz/Hilf, EUV /EGV, Art. 189, Rn. 5 ff.; Oppennann, Europarecht, s. 209, Rn. 547 ff. 38 EuGH, Urt. v. 6. 5. 1980, Rs. 102179, Slg. 1980, 1473, Steinberg/Klößner, BayVBI. 1994, 33, 35; die innerstaatliche Wirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien wird im folgenden noch erörtert, vgl. unter B. II. 3. 39 Pemice, EuR 1994, 325; Classen, EuZW 1993,83. 40 Grabitz, in: Grabitz/Hilf, EUV /EGV, Art. 189, Rn. 59. 41 Eine umfassende Darstellung der v. EuGH aufgestellten Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien, soll hier nicht gegeben werden; zu Einzelheiten siehe: Pemice, EuR 1994,325. 42 EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991, Rs. C-131/88, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 825,867. 43 EuGH, Urt. v. 8. 4. 1976, Rs. 48175, Royer, Slg. 1976,497,517.

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

Mitgliedstaat die Richtlinie in einer Weise durchführen, die den Erfordernissen der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des von der Richtlinie intendierten Rechtszustands voll gerecht wird. 44 Dies muß keine wörtliche Übernahme der Regelungen der Richtlinie in einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift bedeuten. Die Übernahme kann auch in einem rechtlichen Rahmen erfolgen, der die Anwendung der in der Richtlinie genannten Zielsetzungen in bestimmter und klarer Weise garantiert, so daß auch einzelne, die evtl. von der Richtlinie begünstigt werden, sich darauf berufen können. 45 Deshalb reichen nach Auffassung des EuGH schlichte Verwaltungspraktiken oder Verwaltungsvorschriften nicht aus.46 Das Wesen der Richtlinie hat sich aus Gründen der einheitlichen Umsetzung inzwischen immer mehr von der ursprünglichen Form als Rahmenbestimmung entfernt und ist mit detaillierteren Regelungen qualitativ in die Nähe der Rechtsverordnung gerückt. 47 Konsequenz dieser detaillierten Bestimmungen und der vom EuGH aufgestellten Anforderungen ist, daß den Mitgliedstaaten kaum noch ein Gestaltungsspielraum bezüglich der Einpassung in nationale Regelungszusammenhänge zugebilligt wird, so daß sich neben allgemeinen Auslegungsfragen auch hieraus Schwierigkeiten bei der Umsetzung ergeben, da gerade die durch Freiraum geschaffene Möglichkeit der Abstimmung von europäischem und nationalem Recht abhanden gekommen ist. 48

b) Richtlinien im Umweltrecht Da das deutsche Umweltrecht eine hohe Regelungsdichte und auch andere Regelungsansätze als das europäische Umweltrecht aufweist, sind solche Probleme in den letzten Jahren überwiegend in Deutschland auf den Sektoren des Gewässerund Immissionsschutzes und des Abfallrechts aufgetreten. 49 Daraus ergibt sich eher die Möglichkeit von Regelungskonflikten. Die Kommission hat daher schon mehrere Vertragsverletzungsverfahren gern. Art. 226 EGV gegen die Bundesrepublik angestrengt, die dann auch zu einer Verurteilung durch den EuGH geführt haben. EuGH, Urt. v. 6. 5. 1980, Rs. 102179, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473, 1486. EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991, Rs. C-131 I 88, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 825, 867. 46 EuGH, Urt. v. 25. 5. 1982, Rs. 96/81, Slg. 1982, 1791; siehe auch im folgenden unter B. II. 1. b). 47 Hilf, EuR 1993, I ff.; Hoppe/ Haneklaus, UVPG, Vorbem., Rn. 26, Pieper, DVBI. 1990, 684,688. 48 Vgl. dazu Steinberg, AöR 120 (1995), 549, 572; Breuer, Entwicklungen ..., S. 26; vgl. auch für Generalklauseln in Richtlinien im Privatrecht, Roth, in: Kötz I Basedow I Hopt (Hrsg.), FS Drobnig (1998) 135 ff., 141. 49 Vgl. Breuer, NVwZ 1997, 833, 834; Steinberg, AöR 1995, 549 ff.; ders. NVwZ 1995, 210 f.; Schwarze, Deutscher Landesbericht, in: Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 139 ff.; Moench, KJ 1995, 215. 44

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II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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Als die prägnantesten Beispiele der Beeinflussung oder besser der Einwirkung des Europarechts auf das deutsche Umweltrecht und auf seine Handlungsinstrumente, die wiederum dem allgemeinen Verwaltungsrecht entstammen, sind die Urteile des EuGH aus dem Jahr 1991 zu der unzulänglichen Umsetzung, bzw. Nichtumsetzung der Luftreinhaltungsrichtlinien über Schwefeldioxid, Schwebestaub50, Blei5 1, der Grundwasse~2 - und Oberflächenwasserrichtlinie53 zu nennen. In erster Linie ging es in allen vier Fällen um die Verurteilung der BRD wegen Verstosses gegen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag, da sie die Richtlinien nicht fristgerecht oder fehlerhaft umgesetzt hatte. Allerdings haben diese Urteile auch unter einem anderen Aspekt besondere Bedeutung für das deutsche Umweltrecht erlangt. Der EuGH mußte sich u. a. mit der Frage auseinandersetzen, ob die Festsetzung von Emissions- und Immissionswerten (Grenzwerte) nach § 48 BimSchG durch die TA Luft54 und die Bestimmung von Wassereinleitungswerten in der Form der in Deutschland gängigen (normkonkretisierenden) Verwaltungsvorschriften den Anforderungen an die Umsetzung der Richtlinien genügt. Das Gericht erklärte diese Umsetzungsform55 aus Gründen der fehlenden Verbindlichkeit und Rechtssicherheit für unzureichend, da die Betroffenen in der Lage sein müßten, sich auf zwingende Vorschriften, d. h. Außenrechtssätze, zu berufen. Verwaltungsvorschriften seien dagegen als bloße Verwaltungspraxis von der Verwaltung selbst naturgemäß abänderbar und würden nicht öffentlich bekannt gemacht werden. 5 6 50 EuGH, Urt. v. 30. 5. 1991, Rs. C-361/88, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 2567 ff. (RL 80/779/EWG des Rates v. 15. 7. 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub, ABl. EG Nr. L 229 1980, 30). 51 EuGH, Urt. v. 30. 5. 1991, Rs. C-59/89, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 2607 ff. (RL 82/884/EWG des Rates v. 3. 12. 1982 betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft, ABI. EG Nr. L 378, 1982, 15). 52 EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991, Rs. C-131/88, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 825 ff. (RL 80/68/EWG des Rates v. 17. 12. 1979, über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe, ABI. EG Nr. L 20 1980, 43). 53 EuGH, Urt. v. 17. 10. 1991, Rs. C-58/89, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 4893 ff. (RL 75/440 I EWG des Rates v. 16. 6. 1975 über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedsstaaten, ABI. EG Nr. 194, 1975, 34). 54 Erste allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BlmSchG, Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft- TA Luft v. 1974 i.d.F. v. 27. 2. 1986, GMBI. 1986, 95. 55 Die Bundesrepublik hat bezüglich der Richtlinien über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub v. 15. 7. 1980, (Fn. 50), und der Richtlinie betreffend den Bleigehalt in der Luft v. 3. 12. 1982, (Fn. 51) keine Umsetzungsmaßnahmen ergriffen, weil sie die die Bestimmungen des BlmSchG und der TA Luft für ausreichend hielt. 56 Dazu EuGH, Urt. v. 28. 2. 1992, Kommission/BRD, Slg. 1991 I, 825 ff. Allerdings hat der EuGH in seinem Urt. zur Grundwasser-RL (Fn. 52) geäußert, daß die Umsetzung einer Richtlinie nicht notwendig eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Gesetzesvorschrift verlangt; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann hierzu ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleistet. (Nach dem Krankenschwester-Urt. des EuGH v. 23. 5. 1985 (Rs. 29/ 84, Slg. 1985, 1661, 1673, Rn. 23) können allgemeine verfassungs- oder verwaltungsrecht-

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

Daher genügt die Umsetzung einer Richtlinie in Form von (nonnkonkretisierenden) Verwaltungsvorschriften nicht den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen. In der Literatur wurden die Entscheidungen des EuGH zum Teil heftig kritisiert, insbesondere wurde dem Gericht vorgeworfen, es habe sich nicht mit der Eigenart der nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift auseinandergesetzt 57 Allerdings war unabhängig von dem Urteil des EuGH die Praxis der nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht stark umstritten. 58 Insofern haben die Urteile auch die Diskussion zur Problematik der nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften neu entfacht. 59 Die Umsetzung der Richtlinien muß nach Auffassung des EuGH durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung erfolgen, zumindest, wenn Rechte oder Pflichten Dritter begründet werden. 60 Folglich wird hier von dem EuGH eine jahrelang geübte, jedoch auch in Deutschland umstrittene Verwaltungspraxis des deutschen Umweltrechts für unzulässig erklärt, die aber auch für die Handlungsformenlehre des allgemeinen Verwaltungsrechts von Bedeutung ist. 61 Das BVerwG hat im Fall der TA-Luft als Reaktion auf das Urteil des EuGH die Verbindlichkeit der TA-Luft nochmals ausdrücklich festgestellt, jedoch mit der Einschränkung, daß die Emissionswerte den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.62

2. Subjektive Rechte aus Umweltrichtlinien

Die genannten Gerichtsentscheidungen sind außerdem Bausteine für eine durch den EuGH vorangetriebene Entwicklung, in der auf der Ebene des Europarechts, insbesondere hier des europäischen Umweltrechts, großzügigere Anforderungen an die Annahme individueller Rechtspositionen und ihrer Einklagbarkeit, gestellt werden. Dies berührt folglich in Deutschland die zentrale Frage nach der europäischen Beeinflussung des nationalen Rechtsschutzes des einzelnen, d. h. der konkreten Möglichkeit einzelner, gegen Umweltbeeinträchtigungen gerichtlich vorzuge-

liehe Grundsätze die Umsetzung durch besondere Rechts- und Verwaltungsvorschriften überflüssig machen... ). 57 Vgl. v. Danwitz, Verwaltungsarchiv. 1993, 73 ff.; Everling, NVwZ 1993, 209, 214. 58 Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 98 Rn. 3a. 59 Vgl. Nachw. bei Schwarze, Deutscher Landesbericht, in: Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 129; vgl. auch Hoppe/Otting, NuR 1998,61 ff. 60 Vgl. auch Hoppe/Otting, NuR 1998,61,69. 61 Schoch, JZ 1995, 109, 111; Wegener, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, S. 146. 62 Vgl. BVerwG, Beseht. v. 10. 1. 1995, UPR 1995, 196; Beseht. v. 21. 3. 1996, UPR 1996,306.

Il. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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hen. 63 So hat der EuGH in den Urteilen zur TA Luft64 seine Forderung nach rechtssatzmäßiger außenverbindlicher Umsetzung der Luftreinhalterichtlinien nicht zuletzt damit begründet, daß die Grenzwertfestlegungen dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen und deshalb die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müßten, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können. Dies sei auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeiten Immissionen zur Folge haben, von ihren Verpflichtungen Kenntnis erlangen könnten. 65 In der Entscheidung zur Grundwasserrichtlinie betont das Gericht das Ziel eines wirksamen Schutzes des Grundwassers der Gemeinschaft, indem es die Mitgliedstaaten durch genaue und detaillierte Vorschriften verpflichtet, eine zusammenhängende Regelung von Verboten, Genehmigungen und Überwachungsverfahren zu erlassen, um Ableitungen bestimmter Stoffe zu verhindern und zu begrenzen. Dieser Schutz des Grundwassers begründet nach Ansicht des EuGH unmittelbar auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, subjektive Rechtspositionen für den einzelnen zu schaffen. Bemerkenswert ist besonders, daß es sich größtenteils um verfahrensrechtliche Bestimmungen handelte. So heißt es in der Entscheidung, daß "die Vorschriften der Richtlinie Rechte und Pflichten des einzelnen begründen sollen. "66 Das Urteil des EuGH zur Oberflächenwasserrichtlinie enthält die Formulierung, daß die Richtlinie den "Schutz der Volksgesundheit" bezwecke, so daß auch hier Fehler bei der Anwendung der vorgesehenen Maßnahmen der Richtlinie, die die "Gesundheit" von Menschen gefährden könnte, von den Betroffenen einklagbar sein müssen. 67 Eine Richtlinie muß nach Auffassung des EuGH durch einen Rechtssatz mit normativer Verbindlichkeit in das nationale Recht implementiert werden, damit einzelne von den Bestimmungen Kenntnis erlangen können, um ihre in der Richtlinie geförderte Position auch geltend machen zu können. Allerdings äußert sich der EuGH nicht klar über die Kriterien, wann eine Richtlinie dem einzelnen Betroffenen einen Anspruch verleiht und unter welchen dogmatischen Voraussetzungen subjektive Gemeinschaftsrechte entstehen, sondern gibt beispielsweise mit dem Regelungszweck des "Gesundheitsschutzes", "Schutz 63 Vgl. allg. Hansmann, NVwZ 1995, 320, 321; Wegener, Rechte des Einzelnen . .. , Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft. . . ; Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts; Breuer, Entwicklungen... ; Clas· sen, Verwaltungsarchiv 1997, 645 ff.; Himmelmann, EG-Umweltrecht und nationale Gestaltungsspielräume... , 136 f.; Gellennann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts... , S. 44; v. Danwitz, DÖV 1996,481 ff.; Schoch, NVwZ 1999,457,461 f. 64 Vgl. EuGH- Entscheidungen (Fn. 50). 65 EuGH, (Fn. 50), S. 2601, Rn. 16. 66 EuGH, (Fn. 52), S. 867, Rn. 7. 67 EuGH, (Fn. 53), S. 4893.

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der Volksgesundheit", "Schutz des Grundwassers" und den Regelungsadressaten "Betroffene" lediglich fallbezogene Hinweise bezüglich der speziellen Richtlinie.68 In dem Urteil zur Grundwasserrichtlinie ist von einem derartigen Schutzzweck überhaupt nicht die Rede69, die Möglichkeit der Geltendmachung von Rechten durch Individuen wird formuliert, ohne den Umfang der Rechte näher zu definieren. In der Literatur sind deshalb die Meinungen geteilt, ob in diesem Fall die Voraussetzungen an ein subjektiv-öffentliches Recht zumindest im weiteren Sinne ausreichend70 oder nicht ausreichend erfüllt sind71 .

a) Konsequenzen für das deutsche Rechtsschutzkonzept

Es ist unklar, auf welche Art und Weise in Deutschland die Begünstigung des einzelnen durch die Richtlinienumsetzung erreicht werden soll und welche Konsequenzen die Eingliederung gemeinschaftsrechtlicher Rechtspositionen für die deutsche Dogmatik des subjektiv-öffentlichen Rechts entfaltet. 72 Aufgrund des Vorrangprinzips und des Effektivitätsgebots scheint es aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive unerläßlich, daß für die vollständige korrekte Umsetzung der Richtlinien individuelle Rechtspositionen auch dann eingeführt werden müssen, wenn nach der deutschen Rechtsprechung möglicherweise aufgrund des fehlenden Schutzzwecks der Norm für das Individuum kein subjektiv-öffentliches Recht gegeben wäre. Vor allem in dem Grundsatzurteil zum Fall Johnston hat der EuGH ausdrücklich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ausgesprochen, alle innerstaatlichen Vorschriften dafür zu erlassen, daß jedermann seine von der Richtlinie "verliehenen Rechte" gerichtlich geltend machen kann. Mitgliedstaaten haben also Maßnahmen zu treffen, die so wirksam sind, daß das Ziel der Richtlinie erreicht wird, und dafür Sorge zu tragen, daß die Betroffenen von den ihnen durch die Richtlinie "verliehenen Rechten" Kenntnis erlangen und die Rechte auch tatsächlich vor den innerstaatlichen Gerichten geltend machen können?3 Die Frage, ob und wann eine Richtlinie Rechte verleiht, die Rechte im Sinne der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht sind, ist jedoch höchst umstritten. 74 68

339.

Ruffert, DVBl. 1998, 69, 71; v. Danwitz, DÖV 1996,481, 482; Pemice, EuR 1994,325,

Vgl. auch Remmert, DV 1996,471, 474. Classen, Verwaltungsarchiv. 1997, 661; Ruthig, BayVBl. 1997, 289 ff.; Schoch, NVwZ 1999,457 ff. 71 Darauf wird noch im folgenden näher eingegangen. 72 Everling, NVwZ 1993, 209, 214. 73 EuGH, Urt. v. 15. 5. 1986, Rs. 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, 1682; nachfolgend: u. a. Urt. v. 15. 10. 1987, Rs. 222/86, Slg. 1987, 4097- Heylens; Urt. v. 23. 4. 1991, Rs. C208/90, Emmott, Slg. 1991 I, 4269, 4298; Urt. 19. 11. 1991, C-6/90 und 9/90, Francovich, 1991 I, 5357, 5413. 69

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aa) Die Begrenzung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf den Individualrechtsschutz Das deutsche Rechtssystem dient in erster Linie dem Individualrechtsschutz. Nach deutschem Recht ist die Klagebefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage in der zentralen Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO geregelt. Danach steht die Klagebefugnis als Ausprägung der Systementscheidung für die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im untrennbaren Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte. 75 Auch die Begründetheit der Klage ist gern. § 113 Abs. I Satz 1, Abs. 5 VwGO an eine Verletzung in eigenen Rechten gekoppelt.76 Die Gerichte dürfen also eine objektiv rechtswidrige Verwaltungsentscheidung nur aufheben, wenn diese gleichzeitig eine Verletzung von Schutznormen für den einzelnen darstellt (Rechtswidrigkeitszusammenhang77 ). Rechtsverletzung setzt also das Vorliegen eines subjektiv-öffentlichen Rechts 78, d. h. eine dem einzelnen durch öffentlich-rechtliche Vorschriften verliehene Rechtsmacht, mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Rechtsinteressen zu verfolgen79, voraus. Ein Verstoß gegen objektives Recht genügt in der Regel nicht. Eine Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins ist natürlich auch durch die verwaltungsgerichtliche Klage beabsichtigt, jedoch steht dieses Motiv erst an zweiter Stelle hinter dem Schutz des Einzelnen. 80 Der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts kann unproblematisch die Möglichkeit einer Rechtsverletzung geltend machen. Die Frage, welche Vorschriften Dritten subjektiv-öffentliche Rechte, d. h. den Status von Betroffenen verleihen und die Abgrenzung zu der tatsächlichen Betroffenheit oder der Popularklage, gehört in der Verwaltungsrechtswissenschaft zu den umstrittensten Themen überhaupt. 81

74 Vgl. auch Wahl, in: SchochiSchrnidt-AßmanniPietzner, VwGO, Vorbem. § 42, Rn. 127 f. 75 Zu der Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwGE 28, 131; zu der in Art. 19 Abs. 4 GG getroffenen (System-)Entscheidung zugunsten des lndividualrechtsschutzes, Schmidt-Aßmann, in: Schoch I Schrnidt-Aßmann I Pietzner, VwGO, Ein!. Rn. 18 ff., 160 ff. 76 Aus diesem Grund wird die Problematik des subjektiv-öffentlichen Rechts eher in der Begründetheil einer Klage relevant, da die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung ausreicht, um eine Klagebefugnis zu bejahen, vgl. auch Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz... , S. 155. 77 Vgl. zum Rechtswidrigkeitszusammenhang: Gerhardt, in: SchochiSchrnidt-Aßmannl Pietzner, VwGO, § 113 Rn. 11 ff. 78 Die Konzeption des subjektiv-öffentlichen Rechts geht auf Jellinek, System der subjektiv-öffentlichen Rechte... , und Bühler; Die subjektiven öffentlichen Rechte . . . , zurück. Vgl. auch Wahl, in: SchochiSchmidt-AßmanniPietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 42 ff. 79 Definition nach Maurer; Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 2. so Krebs, in: FS für Menger, S. 191, 192 f.; Schmitt Glaeser; VerwaltungsprozeßR, Rn. 1. 81 Schmidt-Aßmann hat .,Betroffenheit" als schillemden Begriff bezeichnet, der eine einsehbare rechtliche Antwort aus sich heraus nicht gebe, vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunziDürig, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 120.

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Nach der um die Jahrhundertwende entwickelten Schutznormtheorie82, die bis heute die dogmatische tradierte Grundlage der Rechtsprechung bildet, ist ein solches subjektiv-öffentliches Recht gegeben, wenn eine Vorschrift des öffentlichen Rechts nicht nur Allgemeininteressen dient, sondern daneben oder ausschließlich Individualinteressen verfolgt, wenn sie also den einzelnen gezielt und nicht nur als Rechtsreflex begünstigt. 83 Ein solches subjektives öffentliches Recht müsse sich aus der Vorschrift ergeben und somit durch Auslegung ermittelt werden.84 Bei der Auslegung sei entscheidend, inwieweit die betreffende Norm das geschützte Interesse, die Art der Verletzung und den betroffenen Personenkreis hinreichend klarstelle und abgrenze. 85 Die Schutznormlehre ist zwar auch heute noch die Ausgangsposition der Rechtsprechung für die Ermittlung des Schutzzwecks einer Norm. Sie ist jedoch insofern obsolet, als daß sie vor dem Grundgesetz entwickelt wurde und heute die Grundrechte als Interpretationsmaßstab hinsichtlich der Reichweite der geschützten einfachgesetzlichen subjektiven Rechte mitentscheidend sind.86 Gerade bei der Frage, wann Drittschutz gegeben ist, hat sich die Ansicht weitgehend durchgesetzt, die über die Auslegung der einfachgesetzlichen Normen im "Lichte der Verfassung" eine Lösung anstrebt, d. h. das subjektiv-öffentliche Recht des einzelnen danach beurteilt, wie intensiv die Maßnahme in dessen Grundrechte eingreift und welche kollidierenden Grundrechte anderer möglicherweise die Reichweite des subjektiven Rechts begrenzen. 87 In der Rechtsprechung besteht inzwischen m. E. auch die Tendenz, die Möglichkeit einer direkt auf Grundrechte - zumindest bei Betroffenheit im Kernbereich - gestützten Klage anzuerkennen.88 Die Rechtsprechung ist gleichwohl eher kasuistisch in der Anerkennung von einfachgesetzlichen und grundrechtliehen Schutznormen, gerade in bezug auf Personen, die nicht Adressaten des Verwaltungsakts sind. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, daß die Rechtsprechung eine Gradwanderung unternimmt zwischen der Rechtsschutzeröffnung für den einzelnen und der Funktionserhaltung der Verwaltung, die nicht durch zu viele Klagen in ihrem Handeln behindert werden soll.89 Keine Rechte i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO stellen nach der Rechtsprechung Erwerbschancen, politische, wirtschaftliche, ideelle Interessen Bühler; Die subjektiven öffentlichen Rechte... , S. 21. Kritik an der Schutznormtheorie hat es immer zahlreich gegeben, vgl. nur zusammenfassende Darstellung bei Masing, Die Mobilisierung des Bürgers ... , 111 ff.; König, Drittschutz . .. , lO 1 ff. ; Gerstner; Drittschutzdogmatik . .. , 195 ff. 84 Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 48. 85 BVerwGE 27, 33; 41, 63; 66, 307, 308; vgl. Kloepfer, Umweltrecht, S. 513, Rn. 19. 86 Vgl. Ladeur; VPR 1984, I ff. 87 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 123 ff.; Wahl, in: Schoch/ Schrnidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 42, Rn. 49, 75 ff., 98. 88 Vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schrnidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Rn. 123, 126 ff. 89 Vgl. zur Rolle der Rechtsprechung im Umweltrecht, Kloepfer, Umweltrecht, S. 501 ff. 82 83

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dar. 90 Verfahrensrechte sind nach der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich nicht selbständig einklagbar, es sei denn, aus der Vorschrift ergibt sich eindeutig, daß der einzelne aus der Verfahrensvorschrift allein, ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis, eine Klagebefugnis auf Aufhebung der Entscheidung ableiten können soll. 91 Das wurde aber bisher eher abgelehnt. 92 Folglich können nach Ansicht der Rechtsprechung des BVerwG und der h.M. in der Literatur Verfahrensfehler nur gerügt werden, wenn sie sich auf die materielle Rechtsposition des Klägers ausgewirkt haben, was insbesondere bei der Verletzung von Grundrechten wie Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 3 GG der Fall sein kann. 93 Drittschützende Verfahrensnormen bestehen also nur im Hinblick auf die bestmögliche Verwirklichung materiell-rechtlicher Rechtspositionen. Das BVerfG nimmt subjektive Rechte aus Verfahrensvorschriften jedoch an, wenn die Vorschriften dem Grundrechtsschutz dienen. 94 Bisher hat das BVerwG den Ansatz der Grundrechtsrelevanz bei Verfahrensnormen nur sehr restriktiv angewandt und auch mit materiell-rechtlichen Auswirkungen verknüpft. 95 Eine Popularklage wird durch § 42 Abs. 2 VwGO klar ausgeschlossen. 96 Verbänden steht grundsätzlich kein Klagerecht zu. 97 Sie können also weder die Interessen ihrer Mitglieder noch öffentliche Interessen auf dem Klageweg verfolgen. Ausnahmen bezüglich der Mitwirkung von Verbänden ergeben sich nur aus § 29 BNatSchG i.V.m. den Gesetzen der Bundesländer.98 Gern. § 45 des UGBKomE sollte im Umweltrecht in Zukunft ein anerkannter Verband in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich zur altruistischen Verbandsklage in bestimmten Fällen befugt sein. 99

90 BVerwG, NVwZ 1993, 63; OVG Koblenz, NJW 1986, 2845; BVerwGE 65, 167, 174; BVerwG, NJW 1993, 3003; BayVBI. 1991, 369. 9t BVerwG, NJW 1982, 1564 ff.; 1982, 1507 ff. 92 Vgl. aber§ 29 I Nr. 4 BNatSchG hinsichtlich der selbständigen (absoluten) Verfahrensrechte für anerkannte Naturschutzvereine (BVerwGE 87, 62, 69; 81, 95, 106 ff., BVerwG NVwZ 1998, 395); Beteiligungsrechte für Gemeinden im luftverkehrsrechtlichen Verfahren, für§ 36 BauGB BVerwG NVwZ-RR 1994, 14 ff. 93 BVerwGE 62, 243, 246; 64, 325, 332. 94 BVerfGE 53, 30, 36. 95 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonard, VwVfG, § 45 Rn. 146; BVerwGE 88, 286,288. % Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 59. 97 Schmidt Glaeser; Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 170. 98 Vgl. beispielsweise§ 60 c Nds. NSchG, § 44 BremNSchG; BVerwGE 87, 62, 72; hier ist eine altruistische Verbandsklage möglich. Die anerkannten Naturschutzverbände können in diesen Ländern unabhängig davon, ob ihr Beteiligungsrecht verletzt ist, Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluß erheben, wenn sie der Meinung sind, daß er gegen naturschutzrechtliche Vorschriften verstoße. 99 Kloepfer/Dumer; DVBI. 1997, 1086.

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bb) Inividualrechtsschutz im Umweltrecht Im Umweltrecht spielt die Ermittlung subjektiver Rechte eine besondere Rolle, da zum einen das Umweltrecht vorwiegend auf objektiv-rechtlichen Normen beruht und zum anderen der Großteil der Kläger nicht die Adressaten eines Verwaltungsaktes, sondern Drittbetroffene sind, die sich gegen von einer Anlage ausgehende Emissionen, Immissionen und eine behördliche Genehmigung wehren wollen. Die Schwierigkeit ergibt sich vor allem daraus, wann sich ein Betroffener im Sinne des Umweltrechts von der Allgemeinheit unterscheidet und mit welcher Intensität er in seinen (Grund-)Rechten beeinträchtigt sein muß. 100 Im gemeinwohlorientierten Umweltschutzrecht sind Normen grundsätzlich nur durchsetzbar, wenn ihre objektive Verletzung auch zu einer Beeinträchtigung der Individualgüter Gesundheit und Eigentum des einzelnen führen kann. Daß dies zu einer Einschränkung der Durchsetzbarkeit umweltrechtlicher Normen führt, ist offensichtlich. Dabei muß erwähnt werden, daß die Diskussion über den Umfang der Klagebefugnis und ihrer dogmatischen Grundlagen im Umweltrecht noch längst nicht abgeschlossen ist 101 , wie sich an der seit Jahren immer wieder aufkeimenden Diskussion um die Klageerweiterung für den einzelnen 102, ein Klagerecht für Umweltschutzverbände103 und auch der Auseinandersetzung bezüglich des Umweltgesetzbuches zeigt. 104 Die Rechtsprechung ist auch hier bisher eher zurückhaltend. Andererseits ist aber auch die Tendenz erkennbar, bei der umweltrechtlichen Nachbarklage dem durch Lärm, Rauch oder Abgase gefährdeten Bürger einen Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 GG zu gewähren, problematisch ist hier allerdings immer noch die Abgrenzung der Gesundheitsgefährdungen zu bloßen Belästigungen. 105 Nach der Rechtsprechung ist deshalb auch die Unterscheidung von Vorschriften, die der Gefahrenabwehr oder der Vorsorge dienen, wegweisend. 106 Normen, die wie beispielsweise § 5 Abs. 1 Nr. 1 und auch § 22 Abs. 1 Nr. 1, 2 100 Vgl. nur Krabbenfischerfall, BVerwGE 66, 307; vgl. auch umfassende Darstellung der Problematik von mehrpoligen Verwaltungrechtsverhältnissen: Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992. 101 Vgl. Breuer; DVBI. 1986, 849 ff.; Blankenagel, DV 1993, 1 ff.; Emmert, BayVBI. 1997, VI, VII; BotheiGündling, Neuere Tendenzen im Umweltrecht, S. 197; Sening, BayVBI. 1982, 428; Marburger; Gutachten zum 56. DIT, C.; Steinberg, ZUR 1999, 126 ff. 102 Es gibt vermehrt Stimmen in der Literatur, die die Schutznormtheorie für das Vollzugsdefizit im Umweltrecht verantwortlich machen, vgl. Wegener; in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, S. 148 f.; Epiney, ZUR 1996, 229 ff. 103 V gl. Bender I Sparwasser I Engel, Umweltrecht, 190 ff.; Epiney, NVwZ 1999, 458 ff. 104 StüeriMüller; DVBI. 1998, lOll ff.; Schmidt-Preuß, DVBl. 1998, 867; KokottiLee, JUTR 1998,215 ff. Der Arbeitsentwurf der Kornmission der Unabhägigen Sachverständigen für das Umweltgesetzbuch enthält keine (erweiterte) Regelung des Drittschutzes; Kloepferl Dumer; DVBI. 1997, 1081 ff.; Breuer; JUTR 1998, 161 ff. 105 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 112. 106 Kloepfer; Umweltrecht, S. 514, Rn. 21.

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BlmSchG der Gefahrenabwehr dienen, sind drittschützend, soweit sie die Interessen eines individualisierbaren Personenkreises betreffen. 107 Dies ist insbesondere immer dann der Fall, wenn das Eigentum oder die Gesundheit des Einzelnen betroffen ist. Ein Nachbar 108 kann also gegen eine emittierende Anlage klagen, wenn diese schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorruft. Allerdings ergeben sich wieder Probleme hinsichtlich der Frage, wie weit sich der Einwirkungsbereich einer Anlage erstreckt und wer als Nachbar betroffen sein kann. 109 Das BVerwG fordert eine qualifizierte Betroffenheit, die sich deutlich von den Auswirkungen abheben muß, die den einzelnen wie die Allgemeinheit gleich betreffen. 110 Es kommt in solchen Fällen auf die räumliche Nähe und die Unmittelbarkeit zwischen dem Nachbarn und der Anlage an, allerdings führen auch diese Definitionsversuche nicht immer weiter. Dagegen sind allgemein umweltschützende Normen, also Normen, die das Vorsorgeprinzip verwirklichen, wie z. B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG, nach der Rechtsprechung des BVerwG und h.M. in der Literatur nicht drittschützend 111 , da der Umweltschutz und die Vorsorge wegen der Zielrichtung der Verbesserung der Umweltqualität nur der Reduzierung eines Kollektivrisikos diene. 112 Vorsorge sei unterhalb der Schädlichkeitsschwelle nur gegen hypothetische Gefahren für den einzelnen gerichtet. Anders verhält es sich dann, wenn der Kläger substantiiert geltend machen kann, daß Grenzwerte die Grenze der erforderlichen Schadensvorsorge aufgrund neuer Erkenntnisse nicht treffend konkretisieren, denn die Schutznormen sollen ja eine Gesundheitsgefährdung hinreichend sicher ausschließen.113 § 44 UGB-KomE greift dieses Problem auf und mißt den Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Drittschutz bei, wenn Grenzwerte zur Vorsorge von Risiken festgesetzt worden sind. 114

107 108

Marburger; Gutachten zum 56.DJT, C 57; BVerwGE 55, 250. Vgl. zum Begriff der Nachbarschaft: Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/

Pietzner, VwGO, § 42 Rn. 143 f. 109 Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1997, 161; zu der Bedeutung der technischen Regelwerke bei der Beantwortung dieser Frage, Kloepfer; Umweltrecht, S. 517, Rn. 25 f. IJO BVerwG, NJW 1983, 1507, 1508. 111 BVerwGE 65, 313; Marburger; Gutachten zum 56. DJT, C 61; Jarass, NJW 1983, 2844 ff., der auf die mangelnde Kontrollmöglichkeit der Gerichte hingewiesen hat, wenn die Durchsetzung der Vorsorge allein Sache der Behörde bleibt. 112 Dies wird allerdings kontrovers beurteilt. In der Literatur und Rechtsprechung wird ein Klagerecht aufgrunddes Vorsorgeanspruchs teilweise bejaht, vgl. Wagener; NuR 1988, 71 ff. OVG NRW, DVBI. 1976, 790 ff. 113 BVerwGE 101,347 ff., 361 f.; BVerwG, DVBI. 1998,596. 114 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998.

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Mit der Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG wird auch eine Vorsorgenorm, die aber gleichzeitig eine Gefahrenabwehrnorm darstellt 115, als drittschützend anerkannt. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG normiert die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nach dem Stand der Wissenschaft und Technik. Eine Klagebefugnis wird gewährt, soweit die Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung oder den Betrieb der Anlage nicht das Kollektivrisiko, sondern das Individualrisiko betrifft. 116 Die Individualisierbarkeit des Personenkreises stellt im Atomrecht ftir die Drittschutzfrage eine besondere Schwierigkeit dar. 117 Nach der Rechtsprechung darf der Drittschutz auch nicht exakt bis an die Gefahrengrenze gehen. 118 Daher beurteilt sich die Klagebefugnis nicht allein nach der Entfernung oder Nähe des Betroffenen zu der Anlage, sondern eben nach dem Risiko. 119 So ist das Risiko gesundheitlicher Schäden beispielsweise zu bejahen, wenn die nach § 45 Abs. l StrlSchV höchstzulässigen Dosen am Wohn-, Arbeits- oder dauernden Aufenthaltsort überschritten 120 sind oder nach § 28 Abs. 1 StrlSchV die Störfanplanungsdosis nicht eingehalten worden ist. 121 Der Schutz gegen Störmaßnahmen gern. § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtomG ist unstreitig individualschützend. 122 Aus dem oben gesagten zu der Einklagbarkeit von Verfahrensrechten ergibt sich auch, daß ein Betroffener sich nicht auf ein fehlendes oder fehlerhaftes Planfeststellungsverfahren berufen kann, denn die entsprechenden Vorschriften verleihen dem einzelnen keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition. 123 Anders beurteilt es die Rechtsprechung jedoch bei Verfahrensnormen, die klägerschützende Wirkung haben, wie beispielsweise die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Atomrecht im Hinblick auf Art 2 Abs. 2 GG. 124 Im Wasserrecht wird einem Dritten von der Rechtsprechung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht zugestanden, dessen Position eigentumsrechtlich verfestigt ist. 125 Der allgemeine Grundwasserschutz und die Sicherung von Trinkwasser sind bisher rein öffentliche Belange. 126 Dazu Bender I Sparwasser I Engel, Umweltrecht, Teil 7, Rn. 119 ff. BVerwG, DVBI. 1981, 405 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 107. 117 BVerfGE 61, 82, 114. 11s BVerwG, DVBI. 1986, 190 ff. 119 Bender!Sparwasser!Engel, Umweltrecht, Teil?, Rn. 114. 12o Kloepfer, Verwaltungsarchiv 1985, 371, 383; vgl. auch BVerwGE 101, 347 ff. In diesem Fall hat das BVerwG die Klage gegen ein Kraftwerk zugelassen, obwohl die Grenzwerte nicht überschritten waren. Der Kläger konnte substantiiert geltend machen, daß er auch bei Normalbetrieb der Anlage einem unzumutbaren Risiko ausgesetzt sei, weil die Dosisgrenzwerte die erforderliche Schadensvorsorge aufgrund neuer Erkenntnisse nicht mehr zutreffend konkretisieren würden. 121 BVerwG NVwZ 1998,623 ff., 620 ff. 122 König, Drittschutz... , 94. 123 Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 95 f. 124 Grundrechtsschutz durch Verfahren, vgl. BVerfGE 53, 30 ff.; BVerwGE 61, 256 ff. 125 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, S. 515, Rn. 21. 126 BVerwG, NVwZ 1988, 534. 115

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Allgemein läßt sich feststellen, daß in der Rechtsprechung Normen, in denen ein gewisser Schutzstandard konkretisiert wird, wie z. B. auch außenverbindliche Grenzwerte für Emissionen und lnunissionen, die den Nachbarn vor konkreten Schäden in seinen Grundrechten bewahren sollen (Gefahrenabwehr) in Verbindung mit der gesetzlichen Gefahrenabwehrnorm wie § 5 Abs. I Nr. I BlmSchG, Drittschutz entfalten und eingeklagt werden können. Soweit die Normen jedoch die Bevölkerung allgemein treffen, die Grenzwerte also Vorsorgecharakter besitzen, ist lediglich das öffentliche Interesse betroffen, so daß wegen der fehlenden Individualisierbarkeit die Klage eines Nachbarn unzulässig ist. 127 Ob die Leitwerte der Schwefeldioxid- und Schwebestaubrichtlinie, die dem langfristigen Schutz von Gesundheit und Umweltschutz dienen sowie die Emissionsvorschriften der Grundwasserrichtlinie nach der bisherigen Rechtsprechung in Deutschland drittschützend wären, ist zu bezweifeln, da die Grenzwerte zum einen der Vorsorge dienen und zum anderen keinen individualisierbaren Personenkreis erkennen lassen. Der Gesundheitsschutz betrifft nicht einen bestimmten oder umgrenzten Personenkreis, sondern bezieht sich auf die Gesundheit der Allgemeinheit. Die Klageberechtigung des einzelnen soll also dem Schutz eines unbegrenzten Personenkreises zugute kommen. 128 Es genügt, wenn die Norm des Gemeinschaftsrechts tatsächlich den Schutz des Bürgers bewirkt. 129 Folglich wird mit der Forderung des EuGH, dem einzelnen mit der Umsetzung der Richtlinien Klagerechte auf Einhaltung der Standards und Grenzwerte zu gewähren, die Klagebefugnis in einem Ausmaß erweitert, das nach deutschem Recht bisher unzulässig wäre. 130 Allerdings stellt sich mit der Problematik der wahrscheinlichen, im Zuge der Europäisierung notwendigen Anpassung der deutschen Konzeption vom subjektivöffentlichen Recht die akute Frage nach der Kompetenz der Gemeinschaft zur Entwicklung eines europäischen Verwaltungsprozeßrechts sowie der systemverändernden Wirkung der Anpassung. 131 Beinhaltet die mögliche Anpassung die prozessuale Erweiterung der Klagebefugnis wie sie nach § 42 Abs. 2 I HS VwGO durchgeführt werden könnte oder soll auch das materielle Recht verändert werden, indem durch das Gemeinschaftsrecht neue subjektiv-öffentliche Rechte geschaffen werden 132? Oder lassen sich die Gemeinschaftsrechte durch eine weniger strenge Vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 20; Gerstner, Drittschutzdogmatik.. . , S. 44. v. Danwitz, DÖV 1996, 481 , 485; BVerwGE 65, 313, 320; 65, 165, 167; Kokott, DV 1998, 355. 129 Vgl. auch Classen, NJW 1995,2457. 130 Vgl. auch Ruthig, BayVBI. 1997, 291 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 199. Zu den gemeinschaftsrechtlichen Motiven im folgenden. 131 Zur fehlenden Kompetenz bzw. zur Annexkompetenz der Gemeinschaft, Wegener, Rechte des Einzelnen... , 85 ff.; Kokott, DV 1998, 368; Frenz, DVBI. 1995,408 ff. 132 Dazu v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, S. 244 ff.; ders., DVBI. 1998, 426 ff. Zu den Vor- und Nachteilen der materiell-rechtlichen und prozessualen Lösung, vgl. Darstellung von Kokott, DV 1998, 348 ff.; Wahl, in: Schoch I Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 42 Abs. 2 Rn. 128. 127 128

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

Interpretation des Schutzbereichs der Grundrechte, insbesondere hinsichtlich des Gesundheitsschutzes des einzelnen im Umweltrecht, bewältigen 133 ? Auch im nationalen Recht stellt sich die Frage, wann Vorsorge nahe oder weniger nahe an der Schädlichkeitsschwelle für den einzelnen liegt oder nicht. 134 Von der Problematik der Anpassung des Individualrechtsschutzes im Rahmen der Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen nicht zu trennen, ist auch die Frage des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Denn es stellt sich die Frage, ob der am subjektiv-öffentlichen Recht ausgerichtete Rechtsschutz nicht durch eine intensivere Kontrolldichte, die eher leichter zu erreichende Klage mit einer weniger intensiven Kontrolldichte kompensiert wird. Insofern sind die verschiedenen Kontrolldichtekonzeptionen der Mitgliedstaaten bei einer vergleichenden Betrachtung ebenfalls zu beriicksichtigen. 135 Auch die unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe der Gerichte können in den Mitgliedstaaten den effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts behindern. Daher muß auch das Zusammenspiel, bzw. die Ausgewogenheit zwischen Klagebefugnis und Kontrollintensität als "Gebot der Ausgewogenheit im Verhältnis zwischen administrativen Vollzug und judikativer Kontrolle" bei der Frage der Konsequenzen der Europäisierung für die einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten diskutiert werden. 136 Eine Rechtsschutzintensivierung in Deutschland bei gleichzeitig hoher Kontrolldichte kann zu dem führen, was in der Literatur als "Scherenentwicklung" bezeichnet wurde. 137

b) Konzeption des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzes Zu der Problematik der dogmatischen Voraussetzungen der Individualberechtigung im Gemeinschaftsrecht und der möglicherweise systemverändernden Folgen für das subjektiv-öffentliche Recht haben sich zahlreiche Stimmen in der Literatur geäußert und insbesondere am Maßstab der Schutznormtheorie die Unterschiede und Parallelen der "geforderten" individuellen Rechtspositionen im Gemeinschaftsrecht und dem subjektiv-öffentlichen Recht herausgearbeitet und diskutiert.138 Dabei wurde nicht nur die Rechtsprechung des EuGH zu den Richtlinien, sondern auch die Klagevoraussetzungen gern. Art. 230 Abs. 2 EGV vor dem EuGH Vgl. Ruthig, BayVBI. 1997, 296; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 154. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 140. 135 Breuer, Entwicklungen... , S. 97 ff. 136 Breuer, Entwicklungen... , 97; Kokott, DV 1998, 368 ff. 137 Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBI. 1997,286. 138 v. Danwitz, DÖV 1996,481 ff.; Ruffert, DVBI. 1998,69 ff.; Masing, Die Mobilisierung des Bürgers. .. , 1997; Triantafyllou, DÖV 1997, 192 ff.; Schwarze, Deutscher Landesbericht, in: Europäischer Einfluß... , S. 175 ff.; Scheuing, in: Hoffmann-Riem I Schmidt-Aßmann (Hrsg), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 289 (326 ff.); Wegener, in: 133

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II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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bei Klagen gegen Akte der Gemeinschaftsorgane erörtert, die eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit fordern. Die meisten Autoren sind bei dieser Analyse bezüglich der Richtlinieninhalte zu dem Ergebnis gekommen, daß die Annahme von Individualrechten und ihrer Einklagbarkeit im Gemeinschaftsrecht an keine oder nur sehr vage materiellrechtliche Voraussetzungen und Anforderungen geknüpft ist und sich die Forderung der Einklagbarkeit somit nicht oder kaum von objektiven EG-Recht unterscheidet. 139 Es wird auch von einer großzügigen Rechtsverleihungspraxis gesprochen.140 Zum Teil wird darin auch die Gefahr der Popularklage gesehen. 141 Die meisten Autoren begründen die Voraussetzungslosigkeit oder geringfügigen Kriterien mit den unterschiedlichen Systemansätzen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht Sie weisen auf die sichtbare funktionale Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des gemeinschaftsrechtlichen Individualrechtsschutzes für den Ausbau der Integration und als Mittel der dezentralen Erzwingung des Gemeinschaftsrechts hin, welches mit der deutschen Struktur des subjektiv-öffentlichen Rechts unvereinbar sei.142 Die geforderte Einklagbarkeit durch den Bürger solle das objektive Gemeinschaftsrecht praktisch durchsetzen; für dieses Ziel des "effet utile" würde der Bürger mobilisiert143 oder instrumentalisiert144 kraft "invocabilite". 145 Eine Auffassung drückt diese Intention des Gemeinschaftsrechts besonders treffend aus, indem sie dem Gemeinschaftsrecht die "Einbeziehung des Marktbürgers zur dezentralen Vollzugskontrolle" und somit eine "Tendenz zur funktionalen Subjektivierung" zuschreibt. 146 Dafür sprächen auch die engen Voraussetzungen bei Klagen gegen Handlungen der Gemeinschaftsorgane, da hier wiederum der Zugang des einzelnen zu dem EuGH erschwert werden sollte, um den Vollzug nicht zu behindern. 147

Lübbe-Wolff (Hrsg.) Vollzug des europäischen Umweltrechts, 145, 155.; Kolwtt, DV 1998, 352 ff.; Kahl, ThürVBI. 1994,256,259 ff.; Schach, NVwZ 1999, 457,461. 139 Wegener, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Vollzug des europäischen Umweltrechts, 145 f.; Classen, Verwaltungsarchiv. 1997, 646 ff. 140 Vgl. Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht. . . , S. 197. 141 Breuer, Entwicklungen. .. , S. 15, 96. 142 Siehe B. II. 2. aa); vgl. aber auch a.A, Classen, DV 1998, 645 ff. 143 Masing, Die Mobilisierung des Bürgers... ,1997. 144 Everling, NVwZ 1993, 209, 214; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993, 924, 934; Pemice, NVwZ 1990,414, 423 ff.; EuR, 1994, 325 (340); Wegener, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.): Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 145 ff.; Kokott, DV 1998, 353; Classen, EuZW 1993, 83, 85. 145 v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System. . . , 231. 146 v. Danwitz, DÖV 1996, 481 ff. 147 v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System.. . , 238 ff.

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

Nur vereinzelte Ansichten erkennen bezüglich der gemeinschaftsrechtlichen Forderung nach individuellen Rechtspositionen auch Ansätze der Schutznormlehre und halten die Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem Rechtsschutz für nicht erheblich 148 oder versuchen die These der funktionalen Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts, d. h. die Interpretation der gemeinschaftsrechtlich geforderten Klagebefugnisse als Mittel zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Ziele, zu widerlegen. 149 Der EuGH-Rechtsprechung ist keine eindeutige Dogmatik hinsichtlich der durch Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte zu entnehmen. Dies liegt auch an dem Umstand, daß der EuGH dazu neigt, von Fall zu Fall zu entscheiden, ohne friihere Fälle als Basis für die Entwicklung von Grundsätzen zu nutzen. Die oben genannten Urteile von 1991 sind unmißverständliche Hinweise darauf, daß die Europäische Gemeinschaft subjektive Rechte unter einem anderen funktionalen Gesichtspunkt sieht, als dies bisher in Deutschland praktiziert wird. Eine Unterscheidung zwischen Bestimmungen, die der Vorsorge dienen und solchen, die eine Gefahr abwehren sollen, wird nicht vorgenommen. 150 Es genügt, daß allgemeine Zielsetzungen einer Richtlinie, wie beispielsweise der Schutz des Grundwassers, auch Klagerechte der Bürger an dem Schutz des Grundwassers enthalten sollen. Auch der in dem Urteil zur TA Luft erwähnte Gesundheitsschutz soll als Allgemeinwohlinteresse durch die Möglichkeit der Einklagbarkeit der Grenzwerte durch einzelne gesichert werden. Damit wird das Bestreben der Gemeinschaft offenbar, den einzelnen Bürger stärker für den Abbau der Defizite des Vollzugs im Umweltrecht einzusetzen. Denn diese sollen sich auf die Vorschriften und entsprechenden Standards berufen, um die Durchsetzung - die praktische Wirksamkeit der Richtlinien zu erreichen. 151 Allerdings läßt sich gemeinschaftsrechtlich auch nicht die Einführung einer Popularklage begriinden, da sich nur der Betroffene auf die Richtlinie berufen kann, wenn auch unklar ist, wer als solcher gilt. 152 Es werden auch nur dann individuelle Rechte anerkannt, wenn personenbezogene Rechtsgüter betroffen sind.153 Der deutsche Nachbarbegriff ist allerdings zu eng, wie sich 148 Triantafyllou, DÖV 1997, 192 ff.; vgl. auch Stern, JuS 1998, 771; Classen, Verwaltungsarchiv 1997, 658 ff., der allerdings trotzdem die gemeinschaftsrechtliche Sicht für etwas großzügiger ansieht, aber vor allem auch nur deshalb, weil die deutsche Rechtspraxis im internationalen Vergleich ,,kleinlich" sei. 149 Classen, Verwaltungsarchiv 1997, 645 ff. 150 Vgl. auch Schoch, NVwZ 1999,457, 466; Winter, NVwZ 1999,467,470. 151 Es fehlt eine effektive europäische Exekutive. Daher liegt der Vollzug bei den nationalen Behörden. Da diese die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts oft nicht als Primäraufgabe sehen, soll der Bürger auf Mißstände hinweisen. Vgl. auch Nachweise zu diesem funktionalen Konzept bei Wegener, Rechte des Einzelnen... , S. 44. 152 Vgl. Schwarze, Deutscher Landesbericht, in: Europäischer Einfluß... , 123, 178; Ruffert, DVBI. 1998, 69 ff.; vgl. auch Kahl, ThürVBI. 1994, 260; Classen, in: Kreuzer (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen, S. 120. 153 Ruthig, BayVBI. 1997, 289, 294. Winter benutzt dafür den Begriff "generalisierende Schutznormtheorie", vgl. NVwZ 1999,467,470.

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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in dem Urteil des EuGH zur TA Luft ergibt, in dem das Gericht die Anwendung der TA Luft nur für die unmittelbare Nachbarschaft von genehmigungsbedürftigen Anlagen kritisiert. 154 Ferner zeigt die Einführung eines selbständig einklagbaren Umweltinformationsrechts des einzelnen, daß Verfahrensregelungen, die in Deutschland nicht geltend gemacht werden können- im Gemeinschaftsrecht individualrechtsbegrundend sein können. 155 Die Konturen dieses rechtlichen Interesses des einzelnen lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Äußerungen des EuGH noch nicht ganz klar sehen. Trotzdem ist die allgemeine Feststellung zu treffen, daß im Gemeinschaftsrecht die Individualrechte zumindest eine doppelte Funktion erfüllen. Zum einen dienen sie der Wahrung und Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung, insbesondere der Durchsetzung der Richtlinieninhalte und der Bürger wird durch Ausstattung mit Individualbefugnissen zu diesem Zweck instrumentalisiert. 156 Zum anderen sollen auch die Rechte einzelner verfolgt werden. Welches Motiv in der Gemeinschaft überwiegt, ist nicht immer eindeutig auszumachen, es läßt sich aber schon sagen, daß die funktionale Ausrichtung des Individualrechtsschutzes oftmals offensichtlicher ist. Der Schutz des Bürgers muß nicht unbedingt bezweckt sein, es genügt, daß er bewirkt wird. Dies läßt sich bereits dem Urteil Van Gend & Loos entnehmen, in dem formuliert ist, daß "die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten einzelnen eine wirksame Kontrolle darstellt, welche durch die von der Kommission und den Mitgliedstaaten gern. den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle ergänzt wird". 157 Auch die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien bestätigt dies, da hier nach Fristablauf subjektive Rechte des einzelnen entstehen können, wenn die Richtlinie hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt ist. Im Zusammenhang mit der UVP stellt sich konkret die Frage, ob sich möglicherweise aus dem europäischen eher funktionalen Ansatz der Mobilisierung individueller Rechte und auch Verfahrensrechte für Gemeinschaftsinteressen, Auswirkungen auf die Beteiligtenstellung im UVP-Verfahren und dem Verwaltungsverfahren ergeben. Darauf wird noch einzugehen sein.

Siehe Urteil, Fn. 50. Vgl. Kollmer; NVwZ 1995, 858. 156 RemmeH, Die Verwaltung 1996, 471, 485; vgl. auch Masing, Die Mobilisierung des Bürgers... , S. 175 ff.; Stern, JuS 1998,770,771. 157 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, Rn. 15. Vgl. auch Darstellung bei Classen, Verwaltungsarchiv 1997, 648 ff., der aber in dem Urt. keine Bestätigung der funktionalen Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts sieht, sondern die gemeinschaftsrechtlich geforderten Individualrechte nur als die Grundlage der Kontrolle und nicht die Begründung von Individualrechten als Kontrollmittel interpretiert. 154 155

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

c) Konzeption des Verwaltungsrechtsschutzes in Frankreich

Die Diskrepanz zwischen dem deutschen und europäischen Rechtsschutzkonzept, insbesondere im Hinblick auf die funktionalere Ausrichtung wird bei der Betrachtung der französischen Konzeption des Verwaltungsrechtsschutzes 158 noch deutlicher, denn das französische Modell weist eindeutig Parallelen zu dem gemeinschaftsrechtlichen Konzept auf, vielmehr ist sogar die Orientierung des EuGH am französischen Vorbild offensichtlich. Deshalb ist auch vielfach im deutschen und französischen Schrifttum darauf hingewiesen worden. 159 Während in Deutschland der Rechtsschutz des Einzelnen gegen Maßnahmen der Verwaltung im Vordergrund steht, hat die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit in erster Linie die Aufgabe, die Legalität, die objektive Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins zu kontrollieren. 160 In Frankreich genügt aus diesem Grunde für die häufigste Klageart, den ,,recours pour exces de pouvoir", als Zulässigkeitsvoraussetzung die Geltendmachung eines nachteiligen Interesses an der Aufhebung der gerügten Maßnahme (interet pour agir).161 Auf eine Untersuchung der Norm auf ihren subjektiv-rechtlichen Inhalt kommt es folglich nicht an, es wird auf die bloße tatsächliche Interessenbeeinträchtigung des Klägers durch die Verwaltungsentscheidung abgestellt. Folglich können Drittbetroffene in Frankreich recht problemlos den Zugang zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolle erreichen. Beschränkungen ergeben sich lediglich dann, wenn eine Popularklage droht. Die objektiv-rechtliche Ausrichtung der französischen Anfechtungsklage wird auch daran deutlich, daß die Klage von Verbänden zulässig ist. 162 Auch für die Begründetheit genügt ein Verstoß des angegriffenen Verhaltens gegen objektives Recht. Der französische Verwaltungsprozeß folgt insofern einem anderen Systemansatz als das deutsche Verwaltungsprozeßrecht. Die Eröffnung der Legalitätskontrolle wird durch den Bürger verwirklicht. Er wird also als "surveillant de I'administration" oder "procureur du

Näher siehe unter E. II. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers... , S. 196 ff.; Classen, NJW 1995, 2457, 2461; Everling, NVwZ 1987, I, 5; ders. NVwZ 1993,209, 214; Schwarze, Deutscher Landesbericht, in: Europäischer Einfluß.. . , 123, 178; Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 289 ff.; Rengeling, in: VVDStRL 1993, 215; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System... , S. 231 ff.; Rengelingl Middeke/Gellennann, Rechtsschutz in der EU, 1994; Ruthig, BayVBI. 1997, 292; Wegener, Rechte des Einzelnen. .. , S. 141, 142; Kahl, ThürVBI. 1994, 260 ff.; Schwarze, DVBI. 1999, 261 ff. 160 Fromont, Rechtsschutz ... , 203 ff.; Schwarze, NVwZ 1996, 22, 23; Woehrling, NVwZ 1985, 21; ders.: NVwZ 1998, 463; Fromont, UPR 1983, 186, 187; v. Danwitz, DVBI. 1998, 933; vgl. Bleckmann, in: Marcou (Hrsg.), Les mutations du droit de l'administration en europe, 249; Woehrling, NVwZ 1999, 502 ff. 161 Dazu näher unterE. II. 1. b) bb). 162 Dazu näher, E. II. 1. b) bb). 158

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II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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droit" 163 dazu benutzt, auf staatliche Mißstände hinzuweisen, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins zu bewahren. Der Schutz des Bürgers ist ein wichtiger aber kein entscheidender Punkt in der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit 164 In der Begründetheitsprüfung erfolgt im Unterschied zum deutschen Verwaltungsprozeßrecht keine Kontrollbegrenzung der Gerichte in bezug auf die geltend gemachte Rechtsverletzung, sondern der Kläger kann die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung objektiv und in jeder Hinsicht überprüfen lassen; auf die Verletzung von Schutznormen kommt es nicht an. 165 Die Auswirkungen dieser Verwaltungsrechtsschutzkonzeption werden noch konkret in bezug auf die Anwendung der "etude d'impact" zu untersuchen sein.

3. Rechtswirkung nicht oder fehlerhaft umgesetzter Richtlinien im nationalen Recht

Es drängt sich die Frage auf, welche Rechtsfolge eintritt, wenn die nationale Regelung nicht mit den Vorgaben der Richtlinie übereinstimmt. Bestimmt in diesem Fall immer der Vorranganspruch des Europarechts, daß die nationalen Regelungen unanwendbar bleiben und die Normen der Richtlinie automatisch an ihre Stelle treten oder werden Voraussetzungen für eine derartige Wirkung von Richtlinien verlangt? Die Meinungen im deutschen Schrifttum sind geteilt. Während eine Ansicht das Anwendungsverbot nationaler Regelungen zugunsten der Richtlinien und ihrer Zielsetzung unbedingt befürwortet und die Lücke notfalls mit richterlicher Rechtsfortbildung schließen wi11 166, knüpft die andere Ansicht den Anwendungsvorrang der Richtlinie an bestimmte Kriterien der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie, um einer Regelungslücke aus dem Weg zu gehen. 167 Danach widerspräche es dem Wesen der Richtlinie, das ja gerade durch die Eigenschaft der Zielverwirklichung des Inhalts mittels eines Umsetzungsaktes geprägt ist, wenn die Richtlinie nach Fristablauf anwendbar sein soll, selbst wenn ihr Inhalt wegen ihrer rahmenartigen Konstruktion keine konkrete Aussage zuließe. Der Unterschied zwischen der Richtlinie und der Rechtsverordnung wäre außerdem nach Fristablauf generell völlig aufgehoben. Der EuGH hat im Laufe der Zeit für die unmittelbare Wirkung der Richtlinien im nationalen Recht Kriterien entwickelt.

163 Vgl. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System... , S. 236; Chapus, Droit adrninistratif generai, Bd. I, Rn. 999. 164 Woehrling, VBIBW 1998, 135. 165 Vedel/Devolve, Droit adrninistratif, Bd. 2, 262; Woehrling, VBIBW 1998, 134, 135. 166 Krämer; WiVerw 1990, 138, 149 ff.; Bach, JZ 1990, 1108, 1112. 167 Erbguth!Schink, Ein!., UVPG, Rn. 40 a.

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht a) Unmittelbare Wirkung (zugunsten von Individuen)

Von der oben beschriebenen Problematik der Schaffung subjektiver Rechte durch die Richtlinienumsetzung ist die Frage nach der Entstehung subjektiver Rechte aufgrund der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie zu unterscheiden. 168 Der EuGH hat in seinem Urteil zu dem Fall "Van Gend & Loos" zur unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts allgemein festgestellt, daß aus dem Gemeinschaftsrecht Rechte des einzelnen entstehen können, wenn das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten, Organen der Gemeinschaft oder Dritten eindeutige Verpflichtungen auferlegt. 169 Grundsätzlich sind die Richtlinien nur an die Mitgliedstaaten gerichtet und für diese verbindlich, so daß eigentlich eine subjektive Berechtigung des einzelnen aus einer nicht umgesetzten Richtlinie abzulehnen ist. Zu der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im besonderen hat der EuGH bestimmte strenge Voraussetzungen entwickelt, bei deren Vorliegen auch der einzelne Rechte aus der Richtlinie geltend machen kann. So soll eine nicht fristgerechte oder fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie ausnahmsweise Rechte für den einzelnen begründen, wenn die Richtlinie neben der Bedingung des Fristablaufs170 für ihre Direktwirkung gegenüber dem Bürger inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Bestimmtheit aufweist. 171 Die inhaltliche Unbedingtheit der Richtlinie ist gegeben, wenn die in der Richtlinie angeordnete Rechtsfolge den Mitgliedstaaten oder der EG keinen Ermessensspielraum mehr einräumt. 172 Hinreichende Bestimmtheit der RichUinie liegt vor, wenn die Regelung eindeutig und klar Aufschluß über den sachlichen Regelungsgehalt sowie den betroffenen Personenkreis gibt. 173 Auch einzelne Bestimmungen der Richtlinie können unmittelbar wirksam sein, wenn sie angesichts ihres Gegenstandes geeignet sind, aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und gesondert angewendet zu werden. 174 Der EuGH erklärte diesen Lösungsansatz mit zwei Argumenten. Zum einen fußt die Rechtsprechung des EuGH auf dem aus Art. 10 EGV abgeleiteten Grundsatz des "effet utile", d. h. die unmittelbare Wirkung von Richtlinien soll die einheitliche Rechtsanwendung gewährleisten. 175 Zum anderen begründet das Gericht 168 Dazu Ruffert, ZUR 5/96, 235 ff.; DVBI. 1998, 69, 72.; Classen, Verwaltungsarchiv 1997,652.

169 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, van Gend & Loos, Slg. 1963, I, 10. 170 Inzwischen hat der EuGH festgestellt, daß die Mitgliedstaaten auch vor Fristablauf an die Vorgaben einer Richtlinie gebunden sind, vgl. B. II. 3. b) (Fn. 185). 171 EuGH, Urt. v. 4. 12.1974, Rs. 41/71, Slg. 1974, 1337- van Duyn; Urt. v. 19. I. 1982, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 (70), - Becker; Urt. v. 26. 2. 1986, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723, 748 Marshall; Urt. v. 22. 6. 1989, Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839, 1870- Constanzo. 172 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974, Rs. 41174, van Duyn, Slg. 1974, 1337 ff. 173 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986, Rs. 71/85, Slg. 1986, 3855; Urt. v. 19. I. 1982, Rs. 8/81, Becker, Slg. 1982,53,71. 174 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986, Rs. 71/85, Slg. 1986,3855 ff. ; Urt. v. 19. I. 1982, Rs. 8/ 81, Becker, Slg. 1982, 53 Rn. 29.

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seine Entscheidung damit, daß der Mitgliedstaat sich nicht gegenüber dem "betroffenen" Bürger auf die Nichtumsetzung der Richtlinie berufen können soll, nur weil er seiner Verpflichtung der Umsetzung in innerstaatliches Recht nicht nachgekommen ist. 176 Insofern äußert sich der bekannte venire contra factum proprium-Gedanke. Das BVerfG hat diese Rechtsprechung akzeptiert, wenn es auch die Ansicht geäußert hat, daß die Voraussetzungen der inhaltlichen Unbedingtheit und der hinreichenden Bestimmtheit einer Richtlinie nur selten erfüllt seien. 177 Auch in der EuGH - Rechtsprechung zur unmittelbaren Richtlinienwirkung wird also die Tendenz der Gemeinschaft deutlich, durch die Berufungsmöglichkeit des einzelnen auf eine nicht umgesetzte Richtlinie, die effektive Durchsetzung des Richtlinieninhalts zu steigern. Zugleich werden aber auch die subjektiven Rechte gestärkt.

b) Unmittelbare Wirkung der Richtlinie für die nationalen Behörden und Gerichte

Unklar war lange und ist noch teilweise der Zusarnrnenhang zwischen unmittelbarer Wirkung und subjektiven Rechten des einzelnen. Wenn der EuGH damit argumentiert, daß sich der Mitgliedstaat nicht gegenüber dem Bürger auf die Nichtumsetzung der Behörde berufen dürfe, dann stellt sich die Frage, ob die Berufung des einzelnen auf die Richtlinie und somit auf individualbezogene Rechte Voraussetzung für die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinie ist. Die Beantwortung dieser Frage hat entscheidenden Einfluß auf die Rolle der Gerichte und Verwaltungsbehörden im Rahmen der Wirkung und Anwendung von Richtlinien bzw. lediglich objektiver Richtlinien. Im deutschen Schrifttum herrschte zum Teil die Ansicht, daß die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie voraussetze, daß ein subjektives Recht vorliege, welches die prozessuale Einklagbarkeit der Richtlinie durch den begünstigten Bürger ermögliche. 178 Vorschriften einer Richtlinie sollten also dann unmittelbare Wirkung entfalten, wenn sie Interessen einzelner fördern oder begünstigen.179 Der EuGH stellte in seinen Urteilen zu nicht umgesetzten Richtlinien

175 EuGH, Urt. v. 5. 4. 1979, Rs. 148/78, Ratti, S. 1629, Rn. 21.; Urt. v. 4. 12.1974, Rs. 41/71, Slg.l974, 1337, 1348-vanDuyn. 176 Urt. des EuGH v. 25. 7. 1991, Rs. C-208/90, Emmott, Slg. 1991 I, 4269, Rn. 23; EuGH v. 5. 4. 1979, Rs. 148/78, Ratti, Slg. 1979, 1629, Rn. 22.; Urt. v. 8. 10. 1987, Rs. 80/ 86, Kolpinghuis, Slg. 1987, 3969, Rn. 8. 177 BVerfGE 75, 223, 236 ff. 178 Winter, DVBI. 1991, 647, 659; Papier, DVBI. 1993, 809; Callies, NVwZ 1996, 339, 340; Pemice, NVwZ 1990, 424; Hoppe!Haneklaus, UVPG, Vorbem. Rn. 39. 179 Callies, NVwZ 1996, 339; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . , S. 77. 4 Prelle

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

auch oft auf die Möglichkeit des einzelnen ab, sich unmittelbar auf die Richtlinie zu berufen. 180 Das Urteil vom 11. August 1995 (Großkrotzenburg) hat zu dieser Frage weitere Klärung gebracht. 181 Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens, eingeleitet von der Kommission gegen Deutschland nach Art. 226 Abs. 2 EGV, war die Umweltverträglichkeitsprüfung für einen neuen Krattswerksblock des Wärmekraftwerks Großkrotzenburg. Die Kommission hielt die Anforderungen der UVP-Richtlinie im Genehmigungsverfahren für nicht erfüllt, da die Bestimmungen der UVP nicht angewandt wurden. Hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung der Art. 2, 3 und 8 der UVP-Richtlinie argumentierte die Bundesregierung mit den Definitionsversuchen der oben erwähnten deutschen Literaturauffassung und knüpfte an das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein individueller Rechte durch die Bestimmungen als Voraussetzung für die Bejahung der unmittelbaren Wirkung an. Daher sei die Verwaltung nicht zur Beachtung der UVP-Richtlinie verpflichtet gewesen. Die Entgegnung des EuGH auf dieses Vorbringen birgt die entscheidenden Sätze, nämlich, daß die Frage einer unmittelbar aus einer Richtlinie folgenden Verpflichtung - hier der Verpflichtung der Verwaltung zur Durchführung der UVP - mit der Möglichkeit für den einzelnen, sich gegenüber dem Staat unmittelbar auf inhaltlich unbedingte sowie hinreichend klare und genaue Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie zu berufen, nichts zu tun habe. 182 Insofern ist davon auszugehen, daß der EuGH die unmittelbare Wirkung der Richtlinie unabhängig von dem inhaltlichen Vorliegen subjektiver Rechte annimmt, wenn die Voraussetzungen der Unbedingtheit und hinreichenden Bestimmtheit vorliegen. Die in der Richtlinie verankerte Begünstigung des einzelnen kann also aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie entstehen. 183 Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 25. 1. 1996 zur UVP die Auffassung des EuGH übernommen und formuliert, daß die Einklagbarkeil der Richtlinie - hier der UVP-Richtlinie - durch Individuen nicht als eine Voraussetzung, sondern lediglich als eine Folge der unmittelbaren Wirkung zu sehen sei. 184 Diese von einer Begünstigung des einzelnen losgelösten Betrachtungsweise des EuGH bei der Prüfung der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie entspricht auch den Grundstrukturen der Europäischen Gemeinschaft, die die Stärkung des Individuums nicht allein um der Förderung des Rechtsschutzes willen betreibt, sondern 180 EuGH, Urt. v. 19. 1. 1982, Rs. 8/81, Becker, S1g. 1982, 53, Rn. 25; Urt. v. 22. 6. 1989, Rs. 103/88, Fratelli Constanzo, Slg. 1989, 1839, Rn. 29.; Urt. v. 23. 2. 1994, Rs. C-236/92, Cornitato Cava, Slg. 1994 I, 763, Rn. 19. 181 EuGH, Urt. v. 11. 8. 1995, Rs. C-431/92, Slg. 1995, 257 ff. Vgl. auch Gellermann, DÖV 1996, 436. 182 EuGH, Urt. v. 11. 8. 1995, Rs. C-431/92, Slg. 1995, 257, Rn. 25/26. 183 Vgl. dazu Ruffert, ZUR 1996, 235 ff.; ders. DVBI. 1998, 69, 71 ; ders. CMLR 1997, 307, 315; Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 193; Classen, in: Kreuzer (Hrsg.): Die Europäisierung der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen... , S. 107, 117; Kokott, DV 1998, 354. 184 BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBI. 1996,677, 678.

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den Bürger als Werkzeug einer dezentralen Vollzugskontrolle benutzt, um auf Mißstände in den Mitgliedstaaten aufmerksam zu werden. Ist also die Unmittelbarkeit der Wirkung der Richtlinie zu bejahen, dann muß jedes nationale Gericht und jede Verwaltungsbehörde die Richtlinie von Amts wegen anwenden, auch wenn nationales Recht der Richtlinie entgegensteht. Die Anwendung der unmittelbar wirkenden Richtlinie ist als Ausnahmefall auch vorrangig gegenüber widersprechendem nationalen Recht zu berücksichtigen. Der EuGH hat in einer neueren Entscheidung sogar die Bindungswirkung der Richtlinien für die Mitgliedstaaten vor Ablauf der Umsetzungsfrist festgestellt. 185 Ob die Vorschriften der UVP unmittelbar anzuwenden sind und ob sie gegebenenfalls dem einzelnen Rechte verleihen, soll im Kapitel zur Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur UVP erörtert werden.

c) Unmittelbare Wirkung von Richtlinien im Umweltrecht Im Umweltrecht lassen sich zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien zwei problematische Aspekte aufzeigen. Zum einen geht es um die Frage, ob Umweltschutzrichtlinien überhaupt die Qualität der unmittelbaren Wirkung erreichen können. Aus der Begründung des Urteils des EuGH zur Abfallrahmenrichtlinie 186, in dem das Gericht eine Direktwirkung von Art. 4 der Richtlinie wegen des programmatischen Charakters ablehnte, läßt sich der Schluß ziehen, daß viele Umweltrichtlinien wegen ihrer Eigenschaften als Rahmenregelungen keine unmittelbare Wirkung entfalten können. Zum anderen erweist sich die unmittelbare Wirkung von Richtlinien auf einzelne gerade im Umweltrecht als problematisch, da hier oftmals die Richtlinie doppelte Wirkungsrichtungen aufweist. Einerseits tritt eine Begünstigung für einzelne ein, die jedoch andererseits für andere eine Verpflichtung beinhaltet und sie damit belastend trifft. Die Konstellation der belastenden Wirkung einer Richtlinie kann sowohl im Verhältnis zwischen Staat und Bürger auftreten (vertikal), wenn der Nachteil des einzelnen auf hoheitlichem Handeln beruht, als auch zwischen Privaten entstehen (horizontal), die sich auf die unmittelbare Wirkung der Richtlinie berufen. Der EuGH hat mehrfach entschieden, daß Richtlinien keine unmittelbare Wirkung zu Lasten von Personen entfalten können. 187 Hier zeigt sich ein Widerspruch in der Rechtsprechung des EuGH, da die in das nationale Recht umgesetzten Richtlinien auch zu Lasten Dritter wirken müssen, wenn es die Richtlinie inhaltlich so vorsieht. Vgl. EuGH, 18. 12. 1997, Rs. C-129/96, NVwZ 1998,568. EuGH, Urt. v. 23. 2. 1994, Rs. C-236/92, Cornitato Cava, Slg. 1994 I, 763 ff. 187 EuGH, Urt. v. Rs. 148178, Slg. 1979, 1629- Ratti; Urt. v. 26. 2. 1986, Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 723, Rn. 48; Urt. v. 8. 10. 1987, Rs. 80/86, Kolpinghuis Nijrnwegen, Slg. 1987, 3969, Rn. 9; Urt. v. 13. 11. 1990, Rs. C-106/89, Marleasing, Slg. 1990 I, 49, Rn. 23; Urt. v. 14. 7. 1994, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994 I, 3325, Rn. 24. 185

186

4*

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

Unmittelbare Wirkung könnten im europäischem Umweltrecht z.B solche Bestimmungen entfalten, die Grenzwerte, Höchstwerte oder Höchstkonzentrationen von Stoffen in einem Umweltmedium oder in einem anderen Stoff oder Produkt festsetzen oder Verbote bestimmter Tätigkeiten oder die Verwendung bestimmter Produkte aussprechen. 188 Die Bestimmungen würden gegenüber demjenigen (Dritten) begünstigend wirken, der sich dem Staat gegenüber darauf beruft, andererseits würde die Durchsetzung seines Anliegens dann die Verpflichtung und Benachteiligung anderer Personen, wie z. B. Anlagenbetreiber, Produzenten, Unternehmer, bedeuten. Diese "Dreieckskonstellation: Bürger, Staat, Bürger" oder die "Doppelwirkung von Richtlinien" hat in der Literatur heftige Kontroversen ausgelöst. 189 Ein Teil des Schrifttums schließt sich dem EuGH an und verneint generell eine Direktwirkung belastender Richtlinien. 190 Andere Autoren argumentieren mit dem gängigen Begriff des Vorrangs und setzen die Begünstigung von einzelnen durch die Richtlinie an die erste Stelle vor die Abwehr von Belastungen für andere, da die Interessen des Belasteten schon bei Erlaß der Richtlinie berücksichtigt worden seien. 19 1 Vereinzelte Ansichten in der Literatur argumentieren noch differenzierter und betrachten den Begriff "Belastung" unter dem Aspekt der Unmittelbarkeit und rechtlichen Relevanz genauer oder wägen zwischen Belastung und Begünstigung und dem Adressaten, dem das eine oder andere zukommt, ab. 192 Hier sollen die Fragen der Dreieckskonstellation nicht vertieft erörtert werden. Jedenfalls kann an dieser Stelle die Feststellung getroffen werden, daß die unmittelbare Wirkung der Richtlinie trotz inhaltlicher Unbedingtheit und hinreichender Bestimmtheit nach der Judikatur des EuGH problematisch sein kann, wenn die Begünstigung eines einzelnen in der Richtlinie die gleichzeitige Belastung für einen anderen bedeuten würde. Auch hinsichtlich der UVP-Richtlinie spielt diese Problematik eine Rolle, da die eventuelle unmittelbare Wirkung einzelner Bestimmungen auch Pflichten der Projektträger begründen würde. 193

188 Siehe dazu Beispiele in: Krämer, WiVerw. 1990, 138, 142 ff.; auch I..angenfeld, DÖV 1992, 955. 189 Pemice, NVwZ 1990, 414, 425; Winter, DVBI. 1991, 657; I..angenfeld, DÖV 1992, 955. 190 Jarass, NJW 1991,2665, 2667; Bach, JZ 1990, 1115, 1116. 191 Krämer, WiVerw. 1990, 138, 152; Pemice, NVwZ 1990, 414, 425; Pieper, DVBI. 1990, 684, 686. 192 DazuAlbin, NuR 1997,29 ff. 193 Hoppe/Haneklaus, UVPG, Vorbem., Rn. 39.

II. Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das besondere Verwaltungsrecht

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d) Richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts Die Problematik der Richtlinienwirkung zu Lasten Dritter kann dazu führen, daß derartiges Richtlinienrecht zwar nicht unmittelbar wirksam wird und deshalb das nationale Recht nicht verdrängt, jedoch den nationalen Richter und die nationalen Behörden dazu verpflichtet, das nationale Recht im Sinne der Richtlinie auszulegen und somit auf diese Weise den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Geltung zu verhelfen. 194 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist das nationale Recht unabhängig von dem Vorliegen der Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie immer richtlinienkonform 195 auszulegen. 196 Gerade wenn die Richtlinie keine unmittelbare Wirkung entfalten kann, ist dieses Rechtsinstitut von großer Bedeutung. Insofern haben die Verwaltungen und die Gerichte aus dem Prinzip der Gemeinschaftstreue gern. Art. 10 EGV die Pflicht, das nationale Recht dann im Lichte des Wortlautes und des Zwecks der Richtlinie zu interpretieren, so daß es den Vorgaben der Richtlinie entspricht. 197 Dabei beschränkt sich die richtlinienkonforme Auslegung nicht nur auf die Regelungen des konkreten Umsetzungsakts, sondern ist darüber hinaus für das gesamte nationale Recht, für welches die Inhalte der Richtlinie relevant werden können, anwendbar. 198 Nach Auffassung des EuGH kommt eine richtlinienkonforme Auslegung jedoch nur insoweit in Betracht, als das nationale "kollidierende" Recht Spielräume für eine Gesetzesinterpretation einräumt. 199 Der verdrängende Anwendungsvorrang im Gemeinschaftsrechts erfährt in bezug auf Richtlinien insofern eine Modifizierung, als die Richtlinie trotz ihrer fehlenden unmittelbaren Wirksamkeit im nationalen Recht durch ihren Inhalt auch unmittelbar Wirkung erzeugen kann, jedoch nur dann, wenn es um Rechtsvorschriften geht, die mit der Richtlinie nicht konform gehen, jedoch im Sinne der Richtlinie interpretiert werden können.

EuGH, Urt. v. 22. 6. 1989, Rs. 103/88, Fratelli Constanzo, Slg. 1989, 1839. EuGH, Urt. v. 13. 11. 1990, Rs. C-106/89, Marleasing, Slg. 1990 I, 4135. Dazu auch Jarass, EuR 1991, 211; Lutter, JZ 1992, 593,598. 196 Die Voraussetzungen der Zulässigkeit und die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung sind äußerst umstritten. So divergieren die Ansichten über die Anwendbarkeit der richtlinenkonformen Auslegung vor oder nach Fristablauf der Richtlinie, über die Unabhängigkeit oder Abhängigkeit von der unmittelbaren Wirksamkeit, über die Stellung der richtlinienkonformen Auslegung im Rahmen der nationalen Auslegungskriterien, Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung... (Siehe dazu auch Jarass, EuR 1991, 211 ff., Erbguth/ Schink, UVPG, Rn. 44 a). 197 EuGH, Urt. v. 15. 7. 1982, Rs. 270/81, Rickmers-Linie, Slg. 1982,2771, Rn. 14; Urt. v. 13. 11. 1990, Rs. C-106/89, Marleasing, Slg. 1990 I, 4135, Rn. 8/9. 198 Vgl. Burgi, DVBI. 1995, 772, 775. 199 EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, Rs. 14/83, v. Colson, Slg. 1984, 1921 I 1942. 194 195

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

Davon zu unterscheiden ist die Problematik, wenn Richtlinienrecht in seiner Effektivität behindert wird, weil es auf Rechtsvorschriften stößt, die aufgrund ihrer Zuordnung zu einem anderen Rechtsbereich nicht mehr richtlinienkonform interpretiert werden können, wie sich auch bei der UVP-Richtlinie und ihren Koordinationsschwierigkeiten mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht zeigt. Zur Beseitigung der Schwierigkeiten, die sich aus der Verknüpfung des europäisierten Recht mit dem nationalen Verwaltungsrecht ergeben, bedient sich der EuGH direkt dem "effet utile"-Prinzip und den Gemeinschaftszielen zur Begrundung seiner Rechtsfortbildung, was sich auch als gemeinschaftsrechtskonforme, als eine an dem Maßstab der allgemeinen Ziele der Gemeinschaft orientierten Interpretation der nationalen Vorschriften auffassen läßt. 200 Darauf wird im folgenden noch einzugehen sein.

4. Zusammenfassung Mit der kurzen Darstellung sollte vor allem das Einwirkungspotential von Richtlinien veranschaulicht werden, welche eben entscheidend das nationale Umweltrecht prägen und verändern. Die Richtlinie enthält den verbindlichen Auftrag an die Mitgliedstaaten, neues nationales Recht zu schaffen oder das betreffende vorhandene Recht im Sinne der Richtlinie anzupassen. Richtlinien sind jedoch nicht mehr nur von den Mitgliedstaaten innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen, sondern sie haben sich aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nach Fristablauf als Regelungen auch ohne Umsetzung einen großen Wirkungskreis durch eine Art Mutation zu einem Sanktionsinstrument verschafft, um so dem Gemeinschaftsrecht besser zur Durchsetzung zu verhelfen.Z01 Zwar bleibt also d~e Wirkung der Richtlinie grundsätzlich von der innerstaatlichen Umsetzung abhängig, doch hat sich die Wirkung der Richtlinie insofern verselbständigt, als daß die fehlende Umsetzung (nach Fristablauf) die Richtlinie in unmittelbar wirkendes Recht umwandeln kann, wenn sie hinreichend bestimmt und unbedingt ist. Nicht zuletzt kann das nationale Recht durch die richtlinienkonforme Auslegung eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Änderung erfahren. Diese vom EuGH entwickelten verschiedenen Rechtswirkungen von Richtlinien, wie "unmittelbare Wirkung", ,,richtlinienkonforme Anwendung" bewirken 200 Vgl. zur Unterscheidung richtlinien-und gemeinschaftskonformer Auslegung Ehricke, RabelsZ 1995, 598 ff.; Jarass, EuR 1991, 211, 223; vgl. auch Tonne, Effektiver Rechtsschutz... , S. 298 ff. 201 Seit der Entscheidung zum Fall Franeovieh kann der einzelne sogar Schadenersatzansprüche geltend machen, wenn zwischen der Nichtumsetzung der individuelle Rechte verleihenden Richtlinie und dem entstandenen Schaden ein Kausalzusammenhang gegeben ist (vgl. EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, Rs. C-6/90 und 9/90, Slg. 1991 I, 5357 ff.). Diese Rechtsprechung hat der EuGH auch auf Verstöße gegen Primärrecht ausgedehnt, vgl. EuGH, Urt. v. 5. 3. 1996, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996 I, 1029- Brasserie du Pecheur.

111. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

55

wegen des Vorranganspruchs des Gemeinschaftsrechts, daß die Richtlinien in den Mitgliedstaaten auch in den Fällen der fehlenden oder fehlerhaften Umsetzung unmittelbar gelten. Insofern ist diesen Rechtsinstituten auch die Funktion der dezentralen Vollzugskontrolle zuzusprechen. Zu Koordinationsschwierigkeiten zwischen dem europäischen und dem deutschen Umweltrecht kommt es vor allem dann, wenn die europäische Regelung anderen konzeptionellen Ansätzen folgt, als das deutsche Recht. Dies wiederum macht sich vor allem hinsichtlich der dem Umweltrecht zugrundeliegenden Normen des allgemeinen Verwaltungsrechts bemerkbar. Im Bereich des Umweltrechts enthalten z. B. die Richtlinien nicht selten individualbezogene Regelungen, die Fragen nach der Umsetzung in das schutznormorientierte deutsche Umweltrecht aufwerfen. Hier hilft die unmittelbare Wirkung oder die richtlinienkonforme Auslegung der Richtlinien nicht weiter, da Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts tangiert sind, welche als solche nicht richtlinienkonform interpretiert werden müssen. Für solche Fälle ist ein anderer weiterer Maßstab an das nationale Recht zu legen, welcher sich aus gemeinschaftsrechtlichen Zielen ableitet.

ID. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale allgemeine Verwaltungsrecht 1. Autonomie der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts und der Effektivitätsgrundsatz Die Europäisierung des nationalen Rechts hat sich über die Einwirkung des primären und sekundären europäischen Gemeinschaftsrechts auf die besonderen Rechtsbereiche wie das Umwelt- und Wirtschaftsrecht202 zu den Grundlagen des allgemeinen Verwaltungsrechts203 und damit zu einer stark national geprägten Rechtsmaterie vorgearbeitet. 204 Zahlreiche Veröffentlichungen auf diesem Gebiet bezeugen die Bedeutung, die der ,,Europäisierung des Verwaltungsrechts" von der Rechtswissenschaft durch Analysen der positiven und negativen Folgewirkungen beigemessen wird. 205 Ein Überblick findet sich beispielsweise bei Schach, JZ 1995, 109. Eine Definition des allgemeinen Verwaltungsrechts findet sich bei Schmidt-Aßmann: Als allgemeines Verwaltungsrecht wird bezeichnet der Bestand von Gesetzen, Verfassungsbestimmungen, Rechtsinstituten und Rechtsgrundsätzen, die für alle Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts durchgängige Geltung beanspruchen. (DV 1994, 137). 204 ,,Europäisierung" des Verwaltungsrechts bedeutet nach der Definition Schmidt-Aßmanns, "die Beeinflussung, Überlagerung und Umformung der nationalstaatliehen Verwaltungsrechtsordnungen durch europäisches Rechtsdenken und Rechtshandeln", vgl. in: Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 29. 205 Es liegen zahlreiche Stellungnahmen des Schrifttums zu dieser Problematik vor. Hier nur eine Auswahl: Everling, DVBI. 1983, 649 ff.; ders.: NVwZ 1987, 1 ff.; Schwarze, Euro202

203

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

Ansatzweise hat schon die obige Darstellung die Auswirkungen des europäischen Umweltrechts auf die Anwendung von Verwaltungsvorschriften und auf das subjektive Recht und somit auf verwaltungsrechtliche Grundstrukturen angedeutet. Die Europäische Gemeinschaft besitzt keine Kompetenzen zur Regelung des allgemeinen Verwaltungsrechts 206 , insbesondere des Verwaltungsverfahrens 207 oder des Verwaltungsprozeßrechts 208 • Aber die Beeinflussung des nationalen Rechts durch das Europarecht läßt sich eben nicht losgelöst und selbständig für jede Rechtsmaterie betrachten, sondern jede Veränderung des besonderen Verwaltungsrechts hat auch indirekte Auswirkungen - rechtsnormative Tiefenwirkung209 - auf die zugrundeliegenden Bestimmungen des Verwaltungsrechts. Diese Auswirkungen entstehen, weil das Europarecht aufgrund der fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen im Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht die mitgliedstaatliehen Regelungen zur Durchsetzung seines Rechts in Anspruch nehmen muß. Der direkte Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die EG bildet einen Ausnahmefall. 210 Denn nach der Rechtsprechung des EuGH211 liegt es beim gegenwärtigen Entwicklungsstands des Gemeinschaftsrechts in der Kompetenz und Obligation der Mitgliedstaaten gern. Art. 10 EGV, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen und dafür bei fehlenden gemeinschaftsrechtlipäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 74 ff.; Schmidt-Aßmann, FS für Lerche, 523 ff.; ders.: DVBI. 1993, 924 ff.; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht; ders., DVBI. 1995, 772 ff.; Schoch, JZ 1995, 109 ff.; Classen, NJW 1995, 2457 ff.; ders.: Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit; Kahl, DV 1996, 341 ff.; Bleckmann, in: Marcou (Hrsg.), Les mutations du droit de l'administration en europe, S. 247 ff.; Engel, DV 1992,437 ff.; Classen in: Kreutzer (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedsstaatliehen Rechtsordnungen in der EU, S. 107 ff.; Kadelbach, in: v. Danwitz (Hrsg.), Auf dem Weg zur europäischen Staatlichkeit, S. 131 ff.; Schwarze (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß... ; ders., EuR 1997,419 ff.; von Danwitz, DVBI. 1998, 421; ders., Verwaltungsrechtliches System... ; Stern, JuS 1998, 770 ff.; Kokott, DV 1998, 335 ff.; Arnold, Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in der EG, EuR Beiheft I, 1995, 7 ff.; Pernice I Kadelbach, DVBI. 1996, llOO ff.; Masing, Die Mobilisierung des Bürgers. . . ; Tonne, Effektiver Rechtsschutz. .. , 191 ff.; Schoch, JZ 1995, 109 ff.; ders. NVwZ 1999, 457 ff.; ders. BWffiW 1999, 241 ff.; Schmidt-Aßmann, FS für Winkler, 995 ff.; Wilke, NordÖR 1999, 491 ff.; Stelkens, NVwZ 2000, 155 ff. 206 Kahl, NVwZ 1996,865 ff.; Schoch, JZ 1995, 109, 112. 207 Classen, DV 1998, 307 ff.; Scheuing, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 289 ff.; Schmidt-Aßmann, in: MüllerGraff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der EU, 131 ff. 208 Vgl. Kokott, DV 1998, 338; Stern, JuS 1998, 770 ff.; Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 209 Schoch, JZ 1995, 109, lll. 21o Nach dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung darf die EG Gemeinschaftsrecht nur selbst vollziehen, wenn die Kompetenz ausdrücklich in dem EG-Vertrag vorgesehen ist oder sie in sonstiger Weise für den Vollzug in einem bestimmten Bereich ermächtigt wird, wie z. B. im Wettbewerbsrecht 211 EuGH, Urt. v. 21. 9. 1983, Rs. 205-215/82, Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2633; Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989, 1998- Rewe; Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 45/ 76, Slg. 1976, 2043,2053- Comet.

III. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

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chen Bestimmungen die formellen und materiellen Regelungen des nationalen Rechts anzuwenden. 212 Den Mitgliedstaaten wird also Autonomie hinsichtlich der Verwaltungsorganisation und Durchführung zugestanden. 213 Folglich kommt es zu besonderen Schwierigkeiten, wenn die nationale Verwaltungsbehörde bei einem Sachverhalt mit gemeinschaftsrechtlichen Bezug nationales Verwaltungsrecht mit dessen Institutionen, Verfahren und Formen wegen fehlender supranationaler Regelungen anwendet, welches aber ihrem Wesen nach dem Einsatz im gemeinschaftsrechtlichen Sinne widerspricht. Dann übt die Europäische Gemeinschaft, bzw. der EuGH, aufgrund der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts und zur Gewährleistung der effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die nationale Rechtsmaterie einen Veränderungsdruck aus. Man könnte diese Kollision auch aus der nationalen Perspektive beschreiben. Das nationale Verwaltungsrecht hat Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des europäischen Rechts, da Normen des allgemeinen Verwaltungsrechts die Anwendbarkeit des besonderen europäischen Rechts schmälern oder sogar unmöglich machen können. Wahrend sich bisher in Kollisionsfragen des Europarechts mit entgegenstehendem nationalem Recht der Vorranganspruch des Europarechts durchsetzen konnte, liegt hier wegen der Involvierung verschiedener Rechtsmaterien das Dilemma gerade in dem Mangel an europäischen gesetzlichen Vorgaben. 214 Der Vorrang des Europarechts funktioniert hier also nicht unmittelbar, da es kein umfassend kodifiziertes europäisches Verwaltungs-, Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht als vorrangiges Recht gibt. Auch ein Rückgriff auf die Richtlinie selbst führt hier nicht weiter. Das Schrifttum beschreibt dieses Phänomen als "indirekte" oder "unechte" Kollision. 215 Wie diese Problematik zu lösen ist, ist nicht ganz klar, da ein Verzicht auf die Anwendbarkeit der entsprechenden kollidierenden Normen eine Lücke hinterlassen würde, die das Gemeinschaftsrecht zu schließen nicht in der Lage ist. 216 Das Gemeinschaftsrecht braucht vielmehr die nationalen Regelungen als Werkzeug, um ihren Regelungen zur Geltung im innerstaatlichen Rechtssystem zu verhelfen. 212 Pühs spricht deshalb von "Unvollständigkeit" des Gemeinschaftsrechts, in: Vollzug des Gemeinschaftsrechts..., S. 119 ff.; vgl. auch Wegener, Rechte des Einzelnen.. ., 84 ff., der in der Unvollkommenheit des Gemeinschaftsrechts eine zum Teil bewußte konzeptionelle Entscheidung sieht. 213 Vgl. Pühs, Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts . . ., S. 100; Huber, Das Ziel der Europäischen Integration, § 25 Rn. 1 ff. 214 Vgl. auch Burgi, Verwaltungsprozeß in Europa, 22, 23. 215 Eine Definition findet sich bei v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System. .. , S. 115: Eine indirekte Kollision liegt im allgemeinen vor, wenn Vorschriften verschiedener Sachund Kompetenzbereiche auf einen Sachverhalt in der Weise angewendet werden, daß gerade keine sich ausschließenden Rechtsfolgen miteinander in Widerspruch treten, sondern eine kumulative Anwendung beider Normen erforderlich bleibt. 216 Vgl. auch Kadelbach, in: v. Danwitz, Auf dem Weg zu einer europäischen Staatlichkeit, 131, 134.

B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

58

Auch hier spielt die Rechtsprechung des EuGH, bzw. seine .,richterrechtliche Harmonisierung"217 eine entscheidende Rolle. 218 In der Literatur wird insbesondere in diesem Zusammenhang auch von ,judicial activism" des EuGH gesprochen.219 Wie bereits beschrieben, hat seine Judikatur in zahlreichen Fällen mit der Konkretisierung des Funktionserfordernisses des EG-Vertrages - insbesondere mit der Begründung durch den sich in allen Urteilen wiederfindenden Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts 220 - in Rechtsinstituten wie Anwendungsvorrang, unmittelbare Wirkung von Richtlinien, richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts, ausschlaggebend zur Durchformung und Überformung des nationalen Rechts durch das Europarecht im allgemeinen beigetragen. Diese Rechtsprechung hat der EuGH auch für die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts durch das nationale Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht fortgesetzt, ja intensiviert, in dem er das nationale Recht unter funktionalen Gesichtspunkten des Gemeinschaftsrechts gemeinschaftsrechtskonform interpretiert. 221 Allgemeine Ziele der Gemeinschaft und nicht nur unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht bilden den Maßstab, um widersprechendes nationales Recht für unanwendbar zu erklären. Vor allem auf der Basis der aus der Gemeinschaftstreue des Art. 10 EGV abgeleiteten effektiven und einheitlichen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, gibt es inzwischen unzählige Entscheidungen, die auch im ursprünglich autonomen eigenverantwortlichen Bereich der Mitgliedstaaten die Vorrangigkeit des Buroparechts durch das Vereitelungs- und Diskriminierungsverbot ftir das allgemeine Verwaltungsrecht festsetzen. Danach haben die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erftillung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zu treffen, der Gemeinschaft die Erftillung ihrer Verpflichtungen zu erleichtern und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Ziele des EG-Vertrages gefährden könnten. 222 Die Anwendbarkeit des nationalen Rechts darf also die Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigen. Das nationale Recht dürfe es daher dem Gemeinschaftsrecht nicht .,praktisch unmöglich" machen, sein Regelungsziel zu erreichen (effet utile). Ferner sei das allgemeine Verwaltungsrecht .,im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung anzuwenden". 223 Was hier v. Danwitz, DVBI. 1998,421,423. Dazu Ladeur, EuR 1995, 226, 236 ff., Allg. Schoch, JZ 1995, 109 ff. 219 Vgl. Scheuing, in: Hoffrnann-Riem/ Schrnidt-Aßrnann (Hrsg.): Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 289 ff. 220 Vgl. zum Effektivitätsgebot und seiner Funktion als teleologische Auslegungsmaxime Pühs, Vollzug des Gemeinschaftsrechts, 81 ff. 221 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH, v. Danwitz, DVBI. 1998,421 ff. 222 EuGH, Urt. v. 21. 9. 1983, Rs. 205-215/82, Slg. 1983,2633,2664- Deutsche Milchkontor. 223 EuGH, Slg. 1983,2633, 2665 Rn. 19/22.; Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 45176, Comet, Slg. 1976, 2043, 2053; Urt. v. 19. 11. 1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I 5357, Rn. 43; Urt. v. 16. 12. 1976, Rs. 33176, Rewe, Slg. 1976, 1989, 1998; Urt. v. 25. 2. 1988, Rs. 331/85,376/85 und 378/85, Bianco und Girard, Slg. 1988, 1099, Rn. 12. 217

218

III. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

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durchdringt, ist eine "Kooperationspflicht" der nationalen Gesetzgeber sowie der Behörden und Gerichte, die Gemeinschaftsrecht anwenden. 224 Allerdings ist auch in der Rechtsprechung des EuGH in den letzten Jahren deutlich geworden, daß der Gerichtshof immer öfter die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätze (effet utile I einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts) als Begrundung für die Unanwendbarkeit nationaler Regelungen anführt und die Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Verknüpfung europarechtlicher Regelungen mit nationalen Rechtsstrukturen mehr und mehr zurliekdrängt

2. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Auslegungsgrundsatz für die Anwendung nationalen Rechts beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts Wie aus der Rechtsprechung des EuGH deutlich wird, spielt neben dem Effektivitätsgrundsatz als "ermächtigende" Maxime zur Rechtfertigung gemeinschaftsrechtlich notwendiger Veränderungen des nationalen Rechts auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz225 als "begrenzendes" Auslegungsprinzip eine Rolle. Dies hat seinen normativen Ausdruck auch in Art. 5 EGV (Subsidiaritätsprinzip) gefunden. Das Verhältnismäßigkeilsprinzip ist von entscheidender Bedeutung für den verbleibenden Freiraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben. Bereits in einer Entscheidung des EuGH von 1969 wird die Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Auslegungsmaxime deutlich, denn dort heißt es, daß der am wenigsten belastenden Auslegung der Vorzug zu geben sei, wenn sie genüge, um die Ziele zu erreichen, denen die umstrittene Entscheidung dienen solle. 226 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des EuGH vom 16. 9. 1999, in der das Verhältnismäßigkeitsprinzip für Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zur UVP eine spezifische Ausformung erhalten hat. 227 Es ging um ein vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitspriifung durch das Verwaltungsgericht der Provinz Bozen. Insbesondere ging es in bezug auf ein Projekt zur Umstrukturierung und zur Erweiterung des ehemaligen Militärflughafens Bozen um die Frage, welche umweltpriifungsmäßigen Mindestanforderungen das "Gesetzgebungsverfahren" enthalten muß, um die mit der Richtlinie "verfolgten Ziele einschließlich des Zieles der Bereitstellung der Informationen" zu erreichen. 224 Ladeur. UPR 1996, 420; vgl. zu der Zusammenarbeit der nationalen Gerichte mit dem EuGH: Hirsch, NJW 2000, 1817 ff.; Rodr(guez, NJW 2000, 1889 ff. 225 Vgl. Pache, NVwZ 1999, 1033. 226 EuGH, Urt. v. 12. 11. 1969, Rs. 29/69, Stauder, Slg. 1969, 419, 425. 227 EuGH, 16. 9. 1999, C-435/95, Bozen, Slg. 1999 I, 5613 ff.

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B. Verhältnis des Buroparechts zum nationalen Recht

Zunächst bestätigte der EuGH bezüglich der Umsetzung des Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie das Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Methoden, um die Projekte zu bestimmen, bei denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie erforderlich ist. Die Methode dürfe aber die Erreichung des Zieles der Richtlinie nicht beeinträchtigen, kein Projekt, das erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne der Richtlinie haben könnte, der Prüfung zu entziehen, es sei denn, das von der Prüfung ausgenommene spezifische Projekt lasse nach einer Gesamtbeurteilung keine erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt besorgen. Auch die Genehmigung eines Vorhabens, das eine Prüfung nach der UVP erfordert, in einem eigenen Verwaltungsverfahren ist nach Auffassung des EuGH zulässig, wenn dieses alternative Verfahren in ein bestehendes oder ein nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie einzuführendes nationales Verfahren eingegliedert ist und die Anforderungen der Richtlinie in den Art. 3 und 5- l 0, insbesondere auch die Öffentlichkeitsbeteiligung in Art. 6 der Richtlinie, beachtet. Der Gerichtshof stellt zusammenfassend fest: "Die Anforderungen, denen eine solche Norm sowie das Verfahren, in dem sie erlassen worden ist, entsprechen muß, damit die Ziele der Richtlinie einschließlich des Zieles der Bereitstellung von Informationen erreicht werden, bestehen in der Genehmigung dieses Projekts durch einen besonderen Gesetzgebungsakt, der alle Angaben enthält, die im Hinblick auf die Prüfung der Auswirkungen dieses Projekts auf die Umwelt erheblich sein können."

Die Mitgliedstaaten dürfen also ihr Ermessen hinsichtlich der Umsetzung der UVP-Richtlinie nur soweit ausüben wie das objektive Ziel der Richtlinie erreicht wird. Der EuGH entschied, daß es im Falle der Ermessensüberschreitung Sache der Träger öffentlicher Gewalt eines Mitgliedstaats sei, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, um die Projekte im Hinblick darauf zu überprüfen, ob bei ihnen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen seien, und sie bejahendenfalls einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen. Die nationalen Gerichte müßten feststellen, ob die zuständigen Behörden auf der Grundlage der von ihnen durchgeführten Einzelfallprüfung, die dazu geführt hat, daß das im Ausgangsverfahren streitige Projekt von dem durch die Richtlinie geschaffenen Prüfungsverfahren ausgenommen wurde, die Erheblichkeit der Auswirkungen dieses Projekts auf die Umwelt entsprechend der Richtlinie richtig beurteilt haben. 228 Auch hier akzentuiert der EuGH die Kooperationspflicht der Mitgliedstaaten, insbesondere der nationalen Gerichte. Sie sollen kontrollieren, ob die Anforderungen der Richtlinie beachtet werden.

228

Vgl. auch EuGH, Urt. v. 24. IO. 1996, C-72/95, Slg. 1996, I 5403 ff. Rn. 61.

III. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

61

3. Der einstweilige Rechtsschutz Auch hier kann eine umfassende Darstellung der Verschiedenartigkeit der Beeinflussung des nationalen Rechts durch das Europarechts nicht gegeben werden. Allerdings können einige Beispiele deutlich machen, wie das Effektivitätsgebot je nach dem Interesse der Gemeinschaft für das allgemeine Verwaltungsrecht angewendet wurde und so auch als "Optimierungsgebot"229 des Gemeinschaftsrechts bezeichnet werden kann. Urteile mit derartigen Auswirkungen auf das deutsche Verwaltungsrechts waren z. B. im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes die Entscheidungen zum Fall Tafelweindestillation230 und Zuckerfabrik Süderdithmarschen231 • Da keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen für den einstweiligen Rechtsschutz existieren, sind die nationalen betreffenden Regelungen, eben beispielsweise§ 80 VwGO anzuwenden. Der erste Fall betraf die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO im Zusammenhang mit der europäischen Anordnung232 der Destillation von Wein bei einer übermäßig ertragreichen Ernte, als Winzer gegen behördliche Bescheide Widerspruch einlegten. Der EuGH hat die Unanwendbarkeit des § 80 Abs. 1 VwGO festgestellt mit der Folge, daß die Winzer wegen der sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) der Anordnung den überschüssigen Wein destillieren mußten, ohne durch den Widerspruch bis zum Urteil geschützt zu sein. Begründet wurde dies mit dem Argument, daß sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen könne, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu rechtfertigen. 233 Insofern wird die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs zugunsten des Gemeinschaftsinteresses ausgesetzt, vielmehr sogar die Verpflichtung der Bundesrepublik ausgesprochen, alles zur Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften Erforderliche zu veranlassen. Im zweiten Fall beanspruchten deutsche Zuckerfabriken die Aussetzung von Abgabebescheiden (§ 80 Abs. 5 VwGO) im Rahmen der Marktordnung für Zucker. Dabei zweifelten die Fabriken die Rechtmäßigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Schmidt-Aßmann, DVBL 1993, 924,931. EuGH, Urt. v. 10. 7. 1990, Rs. C-217/88, Kornm./BRD, Slg. 1990 I, 2879 ff.; vgl. auch Jannasch, NVwZ 1999, 495 ff. 231 EuGH, Urt. v. 21. 2. 1991, RS. C-143/88 u. C-92/89, Slg. 1991 I, 415,540 ff.; nachfolgend EuGH, Urt. v. 9. ll. 1995, Rs. C-465/93, Slg. 1995 I, 3761 ff.- Atlanta. 232 Art. 41 der VO über die gemeinsame Marktordnung für Wein (ABLEG Nr. L 54, l, 1979) ermächtigt die Kommission, die obligatorische Destillation von Tafelwein anzuordnen, wenn in einem Weinwirtschaftsjahr mit besonders hohen Erträgen ein Verfall des Weinpreises zu befürchten ist. 233 EuGH, Urt. v. 10. 7. 1990 , Rs. C-217 /88, Komm./ BRD, S1g. 1990 I, 2879 ff., Rn. 26/27. 229

230

62

B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

Rechtsgrundlage an. Hier entschied der EuGH, daß die Behörden bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht die nationalen Regeln über den einstweiligen Rechtsschutz und die Aussetzung durch die analoge Anwendung von Art. 242 EGV ersetzen müssen. Der EuGH hob hervor, daß das Verfahrensrecht nationales Recht sei, jedoch seine einheitliche Anwendung aber ein Grunderfordernis der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung darstelle. Der EuGH gewährte also eine Aussetzung der Vollziehung durch das nationale Gericht nur unter der Voraussetzung, daß das Gericht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftrechtsnorm hat und diese Frage in einem eigenständigen Verfahren gern. Art. 234 EGV dem EuGH vorlegt, dem Antragsteller ein schwerer und irreparabler Schaden droht und das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt wurde.234 Das nationale Gericht hat also bei seiner Entscheidung vor allem ausdrücklich Rücksicht auf das Gemeinschaftsinteresse zu nehmen. Auf diese Begründung aufbauend wird ein dem EG-Vertrag entnommenes Kriterium (Art. 242 S. 2 EGV) in das nationale verwaltungsgerichtliche Aussetzungsverfahren verankert, d. h. unmittelbares Vertragsrecht der Europäischen Gemeinschaft wird als Quelle zur Modifizierung des § 80 VwGO benutzt. Auch hier diente die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts als Argument für das Urteil. Diese Rechtsprechung zu § 80 Abs. 5 VwGO hat der EuGH ebenso auf die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung gern. § 123 VwGO angewendet. Hier wurde als gemeinschaftsrechtliche Interpretationsgrundlage Art. 243 EGV herangezogen.235

4. Die EuGH-Rechtsprechung zur Anwendung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts: Rückforderung rechtswidrig vergebener staatlicher Beihilfen Der Mitgliedstaat, der unter Verletzung von Gemeinschaftsvorschriften (Art. 87 I 88 (ex 92/93) EGV) eine Beihilfe gewährt hat, ist verpflichtet, die Beihilfe aufzuheben und die bereits gewährte Beihilfe von dem begünstigten Unternehmen zurückzufordern.236 Da für die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig gewährter nationaler Beihilfen keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen vorhanden sind, ist die Rückforderung definitiv nach den entsprechenden Normen des nationalen Verfahrens- und Verwaltungsrechts zu beurteilen. 234 Für EG-Mitgliedsstaaten, die einen vorläufigen Rechtsschutz nicht kennen, löst diese Sichtweise des EuGH als Kooperationspflicht Anpassungsbedarf aus. Vgl. auch die Factortarne-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 19. 6. 1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990 I, 2433, die in England die Möglichkeit des Erlasses einstweiliger Anordnungen durchsetzte; vgl. auch Schach, DVBl. 1997,289. 235 EuGH, Urt. v. 9. ll. 1995, Rs. C-465/93, Slg. 1995, 3761- Atlanta Fruchthandel; vgl. auch Urt. v. 26. 11. 1996, Slg. 1996 I, 6065. 236 EuGH, Urt. v. 14. 10. 1985, Rs. 310/85, Slg. 1987,901, 927 - Deufil/Kornrnission.

ill. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

63

Im deutschen Recht werden Subventionen in erster Linie durch Verwaltungsakte gewährt. Folglich beurteilt sich die Rückforderung rechtswidriger Subventionen nach den Vorschriften zur Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten. In § 48 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG finden sich für die Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten und die Rückforderung der erbrachten Geld- und Sachleistungen Beschränkungen, deren Basis vor allem das Vertrauensschutzprinzip darstellt. Die EuGH-Urteile zur Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen haben zwei Aspekte des§ 48 VwVfG für Gemeinschaftsfragen erheblich reduziert oder gar außer Kraft gesetzt. 237 Der EuGH hat das Vertrauensschutzprinzip im Hinblick auf bewilligte Beihilfen insofern eingeschränkt, als daß der Beihilfenempfänger nicht auf die nationale Bewilligung vertrauen dürfe, solange die nationale Behörde nicht die Genehmigung der Kommission eingeholt habe. 238 Dies hat die Konsequenz, daß nationale Beihilfen, die unter Verletzung der Art. 87, 88 EGV bewilligt worden sind, von den Bürgern zurückgefordert werden können, wenn diese sich nicht vergewissert haben, daß das Subventionskontrollverfahren nach Art. 88 EGV durch die Kommission eingehalten wurde. Der nationale Vertrauensschutz, wie er sich in§ 48 VwVfG findet, erfährt im Interesse des Gemeinschaftsrechts zugunsten einer effektiven Durchsetzung Einschränkungen- die Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts darf nicht beeinträchtigt werden. Außerdem wurde die Regelung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG, die ab der Kenntnisnahme der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zu laufen beginnt, für gemeinschaftsrechtliche Fragen insofern außer Kraft gesetzt, als daß die Frist nicht vor der Kommissionsentscheidung beginnen darf. 239 In dem jüngsten Urteil des EuGH vom 20. 3. 1997 zum Fall "Alcan", in dem es um die Rückforderung einer von Rheinland-Pfalz gewährten rechtswidrigen Überbrükkungsbeihilfe an die Firma Alcan ging, wurde sogar entschieden, daß die Ausschlußfristdes § 48 Abs. 4 VwVfG in gemeinschaftrechtlich relevanten Angelegenheiten gänzlich unanwendbar sei. So ist die zuständige Behörde gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, den Bewilligungsbescheid für eine rechtswidrig gewährte Beihilfe gemäß einer bestandskräftigen Entscheidung der Kommission, in der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung verlangt wird, selbst dann noch zurückzunehmen, wenn sie die nach nationalem Recht im Interesse der Rechtssicherheit dafür bestehende Ausschlußfrist hat verstreichen lassen. 240 EuGH, Urt. v. 8. 5. 1990, C-5/89, Slg. 1990,3437,3456. EuGH, Urt. v. 14. 10. 1985, Rs. 310/85, Deufil, Slg. 1987,901, 927; Urt. v. 17. 3. 1989, Rs. C-303/88, Italien-Kommission, Slg. 1991 I, 1433, 1481; Urt. v. 8. 5. 1990, C-5/89, Slg. 1990, 3437, 3458- BUG Alutechnik; Urt. 29. 11. 1988, Rs. 94/87, S1g. 1989, 175- Alcan. 239 EuGH, Urt. v. 8. 5. 1990, Rs. C-5/89, 3453, 3458, Rn. 18; EuGH, S1g. 1997, 1591, 1616- Alcan II; siehe auch BVerwGE 92, S. 81. 240 EuGH, Urt. v. 20. 3. 1997, Rs. C-24/95, EuZW 1997, 276 ff.; vgl. auch Kritik von Scholz, DÖV 1998,261 ff.; a.A. Wink/er, DÖV 1999, 148 ff. 237 238

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

5. Prozessuale Präklusionsnormen Der EuGH hat seine Kompetenzen sogar bis in das (Verwaltungs-)prozeßrecht der Mitgliedstaaten ausgeweitet. Zwei Urteile vom 14. 12. 1995 belegen dies eindrücklich.241 Dort ging es aus europarechtlicher Perspektive um die Frage, ob nationale Gerichte nationale Präklusionsvorschriften anwenden dürfen, die ihre Kontrollkompetenz einschränken oder Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht von Amts wegen immer berücksichtigen müssen. Der EuGH hat entschieden, daß solche Verfahrensnormen dem Gemeinschaftsrecht widersprechen, die die Prüfungsbefugnis der nationalen Gerichte in bezug auf die Einhaltung des Buroparechts einschränken.242 Interessant ist bei diesen Urteilen jedoch, daß der EuGH erstmals Betrachtungen zu der Funktion der entsprechenden Vorschriften im gesamten Verfahren und Verfahrensablauf vor den nationalen Behörden anstellte: "Für die Anwendung dieser Grundsätze243 ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens. " 244

6. Nationale Übergangsvorschriften und die UVP-Richtlinie Der EuGH hat auch hinsichtlich der von den meisten Mitgliedstaaten erlassenen Übergangsvorschriften für die UVP entschieden, daß sich die Mitgliedstaaten "nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen" können, um die Nichteinhaltung "der in den Gemeinschaftsrichtlinien festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen".245 So hat der EuGH festgestellt, daß Art. 12 der UVP-Richtlinie es nicht gestatte, daß ein Mitgliedstaat, der die UVP-Richt1inie nach dem 3. 7. 1988, dem Tag des Ablaufs der Umsetzungsfrist, in seine nationale Rechtsordnung umgesetzt hat, Projekte, für die das Genehmigungsverfahren vor lnkrafttreten des nationalen Gesetzes zur Umsetzung 241 EuGH, Urt. v. 4. 5. 1994, Rs. C-312/93, 14. 12. 1995 - Peterbroeck, Slg. 1995 I, 4599 ff.; Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. C-430 und 431/93, Van Schijnde1, S1g. 1995 I, 4705 ff.; vgl. auch zur Entwicklung dieser Rechtsprechung, Hoskins, ELRev. 21 (1996), 365 ff. 242 V gl. dazu v. Danwitz, UPR 1996, 323 ff. 243 Die Grundsätze, die in den Urteilen Rewe und Comet (Fn. 223) als Vereitelungs- und Diskriminierungsverbot aufgestellt wurden. 244 Vgl. EuGH, Peterbroeck, (Fn. 241), Rn. 14. 245 EuGH, 21. l. 1999, C-150/97, Kommission gegen Portugiesische Republik, Slg. 1999, 259 ff., Rn. 21.

III. Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht

65

dieser Richtlinie aber nach dem 3. 7. 1988 eingeleitet wurde, durch eine Übergangsvorschritt von der in der Richtlinie vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung ausnehme. 246

7. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Probleme der Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts durch die Notwendigkeit der Verknüpfung von gemeinschaftsrechtlichen Regelungen mit nationalen Regelungen entstehen. Das Gemeinschaftsrechts ist wegen fehlender eigener Regelungen grundsätzlich auf das nationale Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht angewiesen, um die Durchsetzung seiner Bestimmungen zu erreichen. Die Durchsetzung und Vollziehung des Gemeinschaftsrechts liegt daher in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nicht selten basieren die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen auf dem nationalen Recht widersprechenden Rechtskonzeptionen und rufen Anpassungszwänge hervor. Der supranationale Vorrang sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bewirken nach der Rechtsprechung des EuGH, daß das allgemeine Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht immer dann europäische Beeinflussung erfährt, wenn es den Vollzug von gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bzw. dem Interesse des Gemeinschaftsrechts in irgendeiner Weise im Wege steht. Hier bedient sich der EuGH einer gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation anband der allgemeinen Ziele der Gemeinschaft, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, um seine richterrechtliche Rechtsfortbildung zu begründen. Die Mitgliedstaaten müssen aufgrundihrer Kooperationspflicht aus Art. 10 EGV die erforderlichen Anpassungen durchführen. Dies ist an den Beispielen zu dem einstweiligen Rechtsschutz gegen gemeinschaftsrelevantes nationales Verwaltungshandeln und der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen deutlich geworden. Die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts darf die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen. Das entscheidende maßgebende und ,,rechtfertigende" Prinzip für die europäische Einwirkung in das nationale Verwaltungsrecht ist das Effektivitätsgebot Der eigenverantwortlichen Vollziehung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten wird also immer dann von dem EuGH Einhalt geboten, wenn durch das Aufeinandertreffen unkoordinierter europäischer und nationaler Regelungen die .,Doppelschranke des Diskriminierungs- und Vereitelungsgebots"247 tangiert und das Ziel der einheitlichen An246 EuGH, 21. I. 1999, C-150/97, Kommission gegen Portugiesische Republik, Slg. 1999, 259 ff.; EuGH, 9. 8. 1994, Rs. C-396/92, Bund Naturschutz in Bayern/Bayern, Slg. 1994, I 3717 ff.; EuGH, 11. 8. 1995, Rs. C-431 /92; Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I 2189 ff. Rn. 28; EuGH, 18. 6. 1998, Rs. C-81 /96, Gedeputeerde Staten van Noord-Holland, Slg. 1998, I- 3923 ff. Rn. 23 - 28; EuGH, 22. 10. 1998, Rs. C-301 /95, Kommission/Deutschland, Slg. 1998, Slg. 1998 I, 6135 ff. 247 v. Danwitz, DVBI. 1998,423.

5 Prelle

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B. Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht

wendunggefährdet ist. In den letzten Jahren hat der EuGH die Freiräume der Mitgliedstaaten bei der Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts immer mehr eingeschränkt. Der Veränderungsdruck auf das allgemeine Verwaltungsrecht durch das Europarechts ist vor allem auf einzelne "Brandherde" bezogen, nämlich dort, wo das Verwaltungsrecht die effektive Anwendung des Europarechts bedroht. Folglich läßt sich auch von einer funktionalen Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts sprechen. Daß sich allerdings aus der punktuellen Einwirkung und den daraus resultierenden punktuellen Anpassungsprozessen auch rechtliche Folgen für die Systematik und die Ausgewogenheit der Rechtsinstitute des allgemeinen Verwaltungsrechts ergeben können, läßt sich denken. Das Europarecht bewirkt jedoch durch seine Impulse für das nationale Recht auch, daß innerstaatlich umstrittene Rechtsbereiche neu hinterfragt, diskutiert und möglicherweise verändert werden. Auf die Frage, inwiefern diese eher punktuellen Einwirkungen bewältigt, d. h. das Gemeinschaftsrecht mit dem nationalen Recht wirksam verknüpft werden kann, soll aber im Anschluß an die Darstellung der Anwendung der UVP durch die Rechtsprechung in Deutschland und Frankreich eingegangen und mögliche methodische Lösungsansätze aufgezeigt werden.

C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten I. Konzeption der Richtlinie Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85 I 337 /EWG) 1 wurde am 27. 6. 1985 nach jahrelanger Diskussion und einer Vielzahl von Kompromissen - gestützt auf Art. 94 und Art. 308 des EG-Vertrages 2 - erlassen. 3 Dieses neue Rechtsinstrument im Dienst der Vorsorge ist entscheidend geprägt von der amerikanischen Gesetzgebung.4 Die Präambel der UVP-Richtlinie bringt das Ziel der Richtlinie deutlich zum Ausdruck, indem sie die Aufgabe der UVP als umweltschützendes Vorsorgeinstrument bei allen technischen Planungs- und Entscheidungsprozessen für bestimmte in der Anlage I, II aufgelistete Projekte formuliert. Mit Hilfe der UVP als förmlichem Verfahren zur Identifizierung, Beschreibung und Bewertung von Umweltauswirkungen sollen schädliche Umweltbeeinträchtigungen frühzeitig (so früh wie möglich) und umfassend, vor der Erteilung der Genehmigung oder Zulassung, erkannt werden. Das soll jedoch nicht heißen, daß umweltunverträgliche Projekte nicht mehr zugelassen werden dürfen; die Auswirkungen sollen eher lediglich erkannt und in die Zulassungsentscheidung einbezogen werden. 5 Die Europäische Gemeinschaft machte durch die UVP-Richtlinie deutlich, daß sie die Zukunft ihrer Umweltpolitik in der Vorsorge vor Umweltauswirkungen, also in der Prävention und nicht in der nachträglichen Bekämpfung von Umweltschäden sieht. Entscheidende Elemente der UVP sind folglich ihre Einordnung im Bereich der Vorbereitung einer Entscheidung (frühzeitig) über die Zulässigkeit eines Vorhabens (Vorhabenbezogenheit) und die umfassende Informationsbeschaffung über die Auswirkungen eines Projekts auf die Umwelt. Die UVP soll "mit den Mitteln der lnterestABLEG 1985Nr.L 175/40ff. Die Art. 130 r ff. EGV Uetzt 175 ff. EGV) sind erst durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) in den EG-Vertrag eingeführt worden. 3 Dazu Erbguth/Schink, UVPG, Ein!. Rn. 3 ff.; zu den Folgen dieses Kompromisses im einzelnen: Sinner, in: WiVerw 2000, 95 ff. 4 Das in dem amerikanischen National Environmental Policy Act (NEPA) von 1969 vorgesehene Environmental Impact Statement für umweltrelevante Projekte, Genehmigungen etc, diente als Vorlage für die EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung. 5 Im deutschen Schrifttum wird daher richtigerweise die UVP eher als Umweltfolgenprüfung bezeichnet, vgl. Schink, NYwZ 1999, 12; Cupei, UVP, 4 ff. 2

5*

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C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung

senartikulation, der Transparenz, der Partizipation und der Publizität" Umweltschutzziele fördem. 6 Daneben kommt in der Präambel der Richtlinie die Intention der Europäischen Gemeinschaft deutlich zum Ausdruck, die unterschiedlichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren, um auf diese Weise ungleiche Wettbewerbsbedingungen bei den Genehmigungsverfahren von umweltrelevanten Industrievorhaben und damit auch evtl. unterschiedliche Investitionsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten abzubauen und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sicherzustellen. 7 Die UVP ist schwerpunktmäßig verfahrensrechtlich konzipiert, d. h. die Prüfung der Umweltauswirkungen eines Projektes soll durch eine als Verfahren ausgestaltete Entscheidungsvorbereitung auf der Zulassungsebene erfolgen. 8 Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie macht dies deutlich, durch den Auftrag an die Mitgliedstaaten, die UVP im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte oder falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer Verfahren oder der Verfahren, die einzuführen sind, umzusetzen. Insofern nimmt die Richtlinie keinen unmittelbaren Einfluß auf die materiellen Zulassungsvoraussetzungen der jeweiligen betroffenen Fachgesetze.9 Die UVP-Richtlinie war gern. Art. 12 innerhalb von drei Jahren nach der Bekanntgabe von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Die Bekanntgabe erfolgte am 3. 7. 1985, die Umsetzungsfrist endete also mit Ablauf des 3. 7. 1988. Am 3. 3. 1997 ist von dem Europäischen Rat eine Richtlinie zur Änderung der UVPRichtlinie vom 27. 6. 1985 erlassen worden. 10 Damit hat der Rat auf die Mängel der Richtlinienkonstruktion und der mitgliedstaatliehen Umsetzung reagiert." Die Änderungen erfassen insbesondere Art. 3, 4 und 5 der Richtlinie. Darauf wird noch einzugehen sein.

II. Der integrative medienübergreifende Prüfungsansatz Eine gerraue Definition der UVP läßt sich aus Art. 3 der Richtlinie entnehmen. Dort heißt es, daß die UVP die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für Doehring, S. 890. Zu den Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft und der Entstehungsgeschichte der Richtlinie, Albert, Die umweltpolitische Steuerungsflihigkeit der Europäischen Gemeinschaften, 17 ff. 8 Erbguth/Schink, UVPG, Ein!. Rn. 5. 9 Hoppe /Haneklaus, UVPG, Vorbem. Rn. 7. IO ABI. EG Nr. 073, 0005 (14. 3. 1997) Die Richtlinie soll bis zum 14. 3. 1999 umgesetzt werden. II Vgl. Becker, NVwZ 1997, 1167 ff.; Schink, NVwZ 1999, 11 ; Sheate, EELR 1997,235 ff. 6

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III. Anwendungsbereich

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Projekts auf Mensch, Fauna und Flora, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen genannten Faktoren und die Auswirkungen auf Sachgüter und das kulturelle Erbe 12 nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls identifiziert, beschreibt und bewertet. Die Prüfung der Umweltauswirkungen eines Projektes auf die aufgeführten Umweltfaktoren soll- wie der Begriff "Wechselwirkungen" deutlich macht - nicht lediglich sektoral, sondern integrativ und medienübergreifend durchgeführt werden. 13 Die Umweltauswirkungen auf einzelne Umweltfaktoren sind folglich nicht nur isoliert, sondern auch die ökologischen Wirkungsbeziehungen und -zusammenhänge der Umweltfaktoren untereinander sind umfassend und in einer Gesamtschau zu erfassen. 14 Die derartige Erweiterung des Prüfungsumfangs der UVP ist das Resultat naturwissenschaftlicher Einsicht, daß eine sektorale Untersuchung von Umweltauswirkungen nur einen kleinen Teil des Ursache- und Wirkungszusammenhangs der Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt zu erfassen in der Lage ist. Nur durch einen ganzheitlichen Prüfungsansatz könne den verschiedenen Wirkungspfaden der Eingriffe in die Natur und den Belastungsverschiebungen, die durch die aufeinanderstoßenden Wirkungen erzeugt werden, den Synergieeffekten und Auswirkungen auf die Umwelt als System, nachgespürt werden. 15 Gegenstand der UVP sind also auch die Folgen der einzelnen Umweltbelastungen, die sich durch ihr Zusammentreffen addieren oder sich gegenseitig verstärken und damit eine neue Größe erzeugen, die über die der einzelnen Wirkungen hinausgeht. 16

111. Anwendungsbereich Der sachlich gegenständliche Bereich der UVP bezieht sich gern. Art. 1 Abs. 1 der UVP-Richtlinie auf öffentliche und private Projekte, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Der Projektbegriff erfaßt gern. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie die "Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen" sowie "sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen." Programme und großräumige Pläne sind bisher noch nicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Inzwischen strebt die Kommission eine Ausdehnung der UVP auf Raumordnungspläne und -programme an. 17 12 In der Änderungsrichtlinie v. 3. 3. 1997 werden die Kultur- und Sachgüter auch von dem Begriff der Wechselwirkungen erfaßt. 13 Hoppe/Haneklaus, Vorbem. UVPG, Rn. 13. 14 Hoppe/Haneklaus, Vorbem. UVPG, Rn. 5. 15 Erbguth/Schink, Ein!. UVPG, Rn. 15; Hoppe/Appold, UVPG, § 2 Rn. 40. 16 Hoppe I Appold, UVPG, § 2 Rn. 40. 17 Die Kommission hat am 4. 12. 1996 einem Entwurffür die strategische Umweltprüfung zugestimmt. Dieser wurde im Mai 1997 als Vorschlag veröffentlicht (ABlEG. 25104/1997 Nr. C 129, S. 14/KOM (96) 511). Darin bekundet die Kommission die Absicht, UVP auch auf Pläne und Programme ausdehnen. Vgl. auch Darstellung bei Schink, NVwZ 1999, 11, 16.

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C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung

In Art. 2 i.V.m. Art. 4 der UVP-Richtlinie i.V.m. den Anhängen I und II ist der Anwendungsbereich der Richtlinie geregelt. Beispielsweise ist eine UVP nach Anhang I verbindlich durchzuführen für Raffinerien, Warmekraftwerke, Kernkraftwerke, Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfalle, Bau von Autobahnen und Schnellstraßen, Seehandelshäfen, Flugplätze etc. Durch die Änderungsrichtlinie wurde der Anhang I deutlich erweitert. So sind verschiedene Projekte, die bisher im Anhang II aufgelistet waren, künftig ab einer bestimmten Größenordnung in jedem Fall einer UVP zu unterziehen. 18 Beispielsweise gilt dies für Abwasserbehandlungsanlagen, Öl-, Gas- und Chemikalienpipelines, Anlagen zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Geflügel und Schweinen und Grundwasserentnahmeoder Grundwasserauffüllungssysteme. In Anhang II werden Projekte aus den Bereichen der Landwirtschaft, des Bergbaus, der Energiewirtschaft, der Bearbeitung von Metallen, der Textil-, Leder-, Holz- und Papierindustrie im einzelnen genannt. Auch hier hat die Änderungsrichtlinie den Anwendungsbereich ergänzt. Hinzugekommen sind Vorhaben der intensiven Fischzucht, Anlagen zur Nutzung von Windenergie zur Stromerzeugung, Errichtung von Einkaufszentren etc. Gern. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten einzelne Projekte ganz oder teilweise von der UVP ausschließen. Verpflichtend ist die UVP nur für die in Art. 4 UVP-Richtlinie i.V.m. Anhang I genannten Projekte, außer der evtl. von den Mitgliedstaaten gern. Art. 2 Abs. 3 UVP-Richtlinie mitgeteilten Ausnahmen19. In Anhang II werden Projekte aufgelistet, für die eine UVP durchzuführen ist, wenn die Mitgliedstaaten der Auffassung sind, daß ihre Merkmale eine UVP erforderlich machen. Allerdings war lange unklar, inwieweit die Mitgliedstaaten im bezug auf Art. 2 Abs. 3 UVP-Richtlinie und der Projekte des Anhangs II einen Ermessensspielraum haben und beispielsweise auch auf eine UVP verzichten können. Das Beurteilungsermessen entbindet die Mitgliedstaaten nicht von einer Umsetzungspflicht, sondern gestaltet lediglich die Auswahl einzelner Projekte beweglicher, wobei die Mitgliedstaaten gern. Art. 4 Abs. 2 2 UA der Richtlinie die Möglichkeit haben, bestimmte Arten von Projekten des Anhangs II zu bestimmen, die stets einer Prüfung zu unterziehen sind und auch bestimmte Kriterien und Schwellenwerte aufzustellen, die festlegen, welche von den Anhang II-Projekten UVP-pflichtig sind. 20 Streitig war hier bislang, ob die aus den oben geDer Bundesrat hat diesen Vorschlag abgelehnt, insbesondere kritisiert, daß der Richtlinienvorschlag wieder ausschließlich Verfahrensrecht enthalte, dessen Vollzug in Deutschland wegen der bestehenden materiellen Standards zu bekannten problematischen Auswirkungen führe (BR-Dr. 277/97). Der UGB-KornE enthält im zweiten Kapitel Vorschriften, die eine Plan-UVP einführen sollen. Vgl. auch Ziekow, UPR 1999,287 ff. 18 Vgl. Becker, NVwZ 1997, 1168 ff. 19 Allerdings handelt es sich in Anhang I um technische Großvorhaben bei denen mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist, so daß Ausnahmen nur in sehr engen Grenzen möglich sind. 20 EuGH, Urt. v. 2. 5. 1996, Rs. C-133/94, Slg. 1996, 1-2323, Rn. 42.

IV. Aufgabenverteilung

71

nannten Kriterien herausfallenden Projekte trotzdem noch einer Einzelfallprüfung bedurften oder ob auf die Durchführung der UVP wegen geringfügiger Umweltauswirkungen tatsächlich verzichtet werden konnte. Der EuGH hat in seinem Urt. v. 22. 10. 1998 zu dieser Frage für Deutschland festgestellt, daß der durch Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessensspielraum durch die in Art. 2 Abs. 1 festgelegte Pflicht begrenzt wird, die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen und keine Klassen der in Anhang II aufgeführten Projekte von dieser Pflicht ausgenommen werden dürfen. 21 Auch für die Niederlande, Irland und Italien hat der EuGH festgestellt, daß beispielsweise Schwellenwertfestsetzungen, die allein auf der Größe des Projekts basieren, ungeeignet sind, den Anspruch der Richtlinie an eine UVP-Pflicht für Projekte des Anhangs II zu erfüllen. Sowohl bei Einzelfallprüfungen als auch bei der Festlegung von Schwellenwerten und Kriterien gern. Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie seien neben Art und Größe des Projekts auch die Eigenheiten möglicher Standorte sowie Kumulationswirkungen zu berücksichtigen. 22 Gern. Art. 1 Nr. 2 der Änderungsrichtlinie v. 3. 3. 199723 wurde Art. 4 UVP-RL insofern präzisiert, als daß Projekte des Anhangs II von der zuständigen Behörde dahingehend untersucht werden müssen, ob ihre wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Umwelt eine Prüfung gern. den Art. 5-10 erfordern, insbesondere werden in einem neu einzuführenden Anhang III die pflichtigen Auswahlkriterien geregelt.24 Die Mitgliedstaaten dürfen eine Einzelfallprüfung vornehmen oder für solche Projekte Schwellenwerte festlegen, bei deren Überschreiten eine UVP durchzuführen ist. Aufgrund der einzuführenden Auswahlkriterien nach Projektmerkmalen, Standort und potentiellen Auswirkungen ist der bisherige Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten nun auch gesetzlich weiter eingeschränkt worden.

IV. Aufgabenverteilung Die Aufgaben der Identifizierung, Beschreibung und Bewertung der Umweltauswirkungen gern. Art. 3 UVP-Richtlinie werden verteilt zwischen Projektträger, Behörde und Öffentlichkeit. Dabei sind die Aufgaben der beteiligten Parteien durch wechselseitige Zusammenarbeit geprägt. Ziel dieser Kooperation ist, mög21 Urt. des EuGH v. 22. 10. 1998, C-301 /95, Kommission gegen Deutschland, Slg. 1998 I, 6135 ff. 22 EuGH, 16. 9. 1999, Rs. C-435/97- Bozen, Slg. 1999 I, 5613 ff.; Urt. v. 24. 10. 1996, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I 5403 ff.- Kraaijeveld; Urt. v. 21. 9. 1999, C-392/96- Kommission gegen Irland, Slg. 1999 I, 5901 ff. 23 Richtlinie ll/97, ABI. EG 1997, Nr. L 73, S. II. 24 Vgl. zu den Auswahlkriterien des Anhang m, RL 97/ll/EG, Fn. 2.

C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung

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liehst vollständige Angaben über die Auswirkungen eines Projektes auf die Umwelt zu erhalten. 25 Die Identifizierung des Projektes ist vorwiegend dem Projektträger zugeteilt. 26 So sind nach Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der UVP-Richtlinie die in Anhang III genannten wesentlichen Angaben durch den Vorhabenträger vorzulegen. Dies umfaßt gern. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie die Beschreibung des Projekts nach Standort, Art und Umfang und der Maßnahmen, mit denen bedeutende nachteilige Auswirkungen vermieden, eingeschränkt und nach Möglichkeit ausgeglichen werden sollen sowie die Darstellung der potentiellen Hauptwirkungen des geplanten Projekts für die Umwelt. Die Angaben sollen in einer nichttechnischen Art und Weise zusammengefaßt werden. Die Einführung des Scoping-Verfahrens, d. h. die gemeinsame Abstimmung über den Untersuchungsrahmen der UVP zwischen Behörde und Vorhabenträger, war bisher keine Pflicht der Mitgliedstaaten. Die Änderungsrichtlinie vom 3. 3. 1997 hat die Einführung zur Pflicht erhoben; allerdings besteht diese Pflicht nur, wenn der Projektträger darum ersucht. Die Umsetzung des Art. 5 Abs. 2 UVP-Richtlinie liegt jedoch weitgehend im Ermessen der Mitgliedstaaten, so daß auch die Möglichkeit einer Beschreibung von alternativen Lösungsmöglichkeiten nach Anhang III Nr. 2 bisher nur fakultativ auferlegt wurde. Mit der Umsetzung der Änderungsrichtlinie wird allerdings gern. Art. 1 Nr. 7 (3) als Art. 5 Abs. 3 der UVP-Richtlinie eine Übersicht über die wichtigsten anderweitigen vom Projektträger geprüften Lösungsmöglichkeiten und die Angabe der wesentlichen Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen als zusätzliche Mindestangabe gefordert. Eine Darstellung der vom Projektträger geprüften Alternativen ist also in Zukunft erforderlich. Auf der Grundlage der Informationen durch den Projektträger soll das weitere Verfahren, insbesondere die Bewertung, durch die Behörde stattfinden. 27 Neben den involvierten Behörden, denen in Art. 6 Abs. 1 der UVP-Richtlinie das Recht zur Stellungnahme gewährt werden solf8 , soll auch die Öffentlichkeit nach Art. 6 Abs. 2 UVP-Richtlinie dadurch beteiligt werden, daß ihr die Informationen über den Genehmigungsantrag, die von dem Projektträger beigebrachten Angaben sowie sonstige bedeutungsvolle Faktoren zugänglich gemacht werden und ihr Gelegenheit gegeben werden soll, sich zu dem Projekt vor seiner Verwirklichung zu äußern.29 Dabei haben die Mitgliedstaaten gern. Art. 6 Abs. 3 UVP-Richtlinie die Kompetenz, im einzelnen zu bestimmen, wie, wo und mit wem die Anhörung und Hoppe I Haneklaus, Vorbem. UVPG, Rn. 6. Identifikation bedeutet hier die Ermittlung als Informationsbeschaffungsvorgang, der alle vorhandenen Erkenntnisquellen auszuschöpfen hat, d. h. die Angaben des Projektträgers, die Stellungnahmen beteiligter Behörden und die Hinweise und Anregungen der Öffentlichkeit. 25

26

Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung. . ., 133 ff. Die Richtlinie 97 I 11 I EG zur Änderung der UVP-Richtline präzisiert die Vorschriften der Behördenbeteiligung. So wird zwingend eine Stellungnahme der zu beteiligenden Behörden verlangt. 29 Erbguth/Schink, UVPG, Ein!., Rn. 17. 27 28

V. Materieller Inhalt der Richtlinie

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Unterrichtung der Öffentlichkeit erfolgen soll. Sinn und Zweck der Einbeziehung der Öffentlichkeit soll die Erweiterung der Informationsbasis der zuständigen Behörde sowie die erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung sein.30 Das Ergebnis sämtlicher Angaben und Stellungnahmen soll dann nach der Änderungsrichtlinie von 1997 gern. Art. 8 der UVP-Richtlinie im Rahmen des Genehmigungsverfahrens berücksichtigt werden. Die Richtlinie von 1985 sprach insoweit nur von dem Ergebnis der UVP, welches berücksichtigt werden sollte. Auch von dieser Entscheidung ist gern. Art. 9 UVP-Richtlinie die betroffene Öffentlichkeit zu informieren, wobei ihr neben dem Inhalt der Entscheidung auch die wesentlichen Entscheidungsgründe mitzuteilen sind, wenn dies in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Durch die Änderungsrichtlinie wird in bezug auf die Bekanntgabe an die Öffentlichkeit das "Trichtermodell"31 aufgegeben und das Wort "betroffene" gestrichen.

V. Materieller Inhalt der Richtlinie Der Großteil der Bestimmungen der UVP-Richtlinie ist verfahrensrechtlich ausgestaltet. Zum Inhalt der einzelnen Prüfungsschritte lassen sich aus der Richtlinie kaum Anhaltspunkte finden. 32 Materielle Standards in Form von Grenzwerten oder Technikfixierungen zur Beurteilung von Umweltverträglichkeit und Risiken fehlen? 3 So wird der Begriff "Wechselwirkungen" ohne weitere Erläuterungen eingeführt. Vor allem die Begriffe des "Bewertens" in Art. 3 der Richtlinie und der "Berücksichtigung" in Art. 8 der Richtlinie des Untersuchungsergebnisses im bestehenden Verfahren, setzen auch einen materiellen Inhalt voraus. Es ist aber unklar, inwieweit das UVP-Ergebnis in dem fachgesetzlichen Zulassungsverfahren berücksichtigt werden soll. Soll damit die Kenntnisnahme der geprüften Umweltbelange gewährleistet werden oder geht die "Berücksichtigung" der UVP im fachgesetzlichen Zulassungsverfahren über eine bloße Kenntnisnahme hinaus? Diese Frage hat auch Auswirkungen auf die rechtsnormative Einbindung der "Berücksichtigung" in die fachgesetzlichen Zulassungstatbestände. In Zulassungsverfahren, in denen die Entscheidung im Rahmen eines Abwägungsoder Ermessensspielraums gefallt wird, ist eine "Berücksichtigung" der UVP ohne weiteres möglich. Schwieriger ist es bei Verfahren, die keinen solchen Abwägungs- oder Ermessensspielraum bei der Entscheidung zulassen, wie beispielsErbguth/Schink, UVPG, Ein!., Rn. 18. Erbguth/Schink, UVPG, Ein!., Rn. 17. 32 Siehe v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System... , S. 256; Püchel, Die materiellrechtlichen Anforderungen der EG - Richtlinie zur UVP.. . 33 Vgl. auch Di Fabio, in: Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz... , der auf den politischen Hintergrund dieser materiellen "Askese" hinweist. Die Mitgliedstaaten konnten sich aufkeine materiellen Standards einigen. .. , S. 183, 186. 3o 31

74

C. Die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung

weise das Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Hier steht die "Berücksichtigung" der UVP bei der Anlagengenehmigung dem Anspruch auf Erteilung einer Anlagengenehmigung bei Erfüllung der normativen Voraussetzungen entgegen. 34

34

Vgl. im folgenden.

D. Die UVP in Deutschland I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) 1. Überblick

Reichlich verspätet ist in Deutschland die UVP-Richtlinie durch das UVP-Umsetzungsgesetz1 (UVP-UG) am 12. 2. 1990 umgesetzt worden. 2 In Kraft getreten sind die Vorschriften im wesentlichen am I. 8. 1990.3 Einer der Gründe für die Verspätung wurde in der Tatsache gesehen, daß die Schwierigkeit der Implementation der UVP-Richtlinie aufgrund der konzeptionellen Unterschiede zwischen der Richtlinie und den tangierten Anlagenzulassungs- und Genehmigungstatbeständen zu spät erkannt wurde. 4 Zunächst herrschte in Deutschland die Ansicht vor, es bestehe im deutschen Recht wegen der angenommenen Eignung des deutschen Verfahrensrechts für die UVP überhaupt kein Umsetzungsbedarf. 5 Diese Auffassung mußte dann revidiert werden, denn die Integration des medienübergreifenden Ansatzes der Richtlinie in die bestehenden medial ausgerichteten Zulassungstatbestände erwies sich als äußerst problematisch. Der maximierte Prüfungsumfang impliziert einen Abwägungs- und Gestaltungsspielraum der Verwaltung bei der Entscheidung, der zwar ohne Probleme in Zulassungstatbestände integriert werden konnte, nicht jedoch mit dem Typus der gebundenen Genehmigungstatbestände, wie beispielsweise §§ 4 ff. BimSchG, kompatibel ist. Die Arbeit wird die Umsetzungsdiskussion im Hinblick auf Defizite oder Vereinbarkeiten des Umsetzungsgesetzes, insbesondere auch der Übergangsregelung des§ 22 UVPG mit der UVP-RL nicht näher betrachten, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde und beschränkt sich somit auf einen Verweis auf entsprechende Rechtsprechung, Aufsätze und Bücher.6 I BGBI. I, (6) 20511990, zuletzt geändert durch das Bau- und Raumordnungsgesetz v. 18. 8. 1997, BGBI. I, 2081 I 1997. 2 Die Umsetzungsfrist war am 3. 7. 1988 abgelaufen. 3 Vgl. auch BNatSchG i.d.F. der Bekanntmachung von 1987, BGBI. I, 889, zuletzt geändert am 30. 08. 1998 (§§ 19 a-19 f. setzen die FFH-Richtlinie um, § 8 Abs. 10 bestimmt das Verhältnis von UVP und Eingriffsregelung); BBergG vom 13. 08. 1980, zuletzt geändert am 6. 06. 1995; BauGB i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. 08. 1997, BGBI. I, 2141; UVP-V Bergbau v. 13. 07. 1990, BGBI. I, 1420; 9. BlmSchV, BGBI. I, 1001, zuletzt geändert am 9. 10. 1996; AtVfV v. 11. 11. 1994, i.d.F. v. 13. 12. 1994, BGBI. I, 280. 4 Ladeur, EuR 1994,227,228. 5 Seeliger, UPR 1982, 177 ff.; dazu Breuer, NVwZ 1997, 838; VGH Mannheim, Urt. v. 7. 8. 1992, UPR 1993, 190.

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D. Die UVP in Deutschland

Das UVPG enthält als Art. 1 des UVP-UG als sog. Stammgesetz eigenständige Leitvorschriften über die Durchführung der UVP, wobei jedoch die entsprechend betroffenen Fachgesetze in dem Artikelgesetz von Art. 2- 12 im Sinne der Richtlinie angepaßt wurden. 7 Davon berührt sind die Umweltgesetze und die Verkehrsplanungsgesetze. So ist gern. § 3 UVPG i.V.m. Anhang die UVP für Bundesfernstraßen durchzuführen, wenn sie eines Planfeststellungsverfahrens nach § 17 FStrG oder eines Bebauungsplans nach § 9 BauGB bedürfen. Die UVP-Pflicht bei der Planfeststellung von Bundesstraßen ist auch in § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG zwingend vorgeschrieben. Das UVPG ist folglich wie eine Art "allgemeiner Teil" vor die Klammer derbesonderen Teile gezogen und soll auf diese Weise dem querschnittsartigen Charakter der UVP gerecht werden. 8 Allerdings haben gern. § 4 UVPG die Vorschriften der Fachgesetze immer Vorrang, wenn in ihnen die Anforderungen der UVP näher bestimmt sind. Die rechtlichen Vorgaben und Maßstäbe des UVPG wurden am 29. 9. 1995 durch den Erlaß der UVP-Verwaltungsvorschrift (UVP-VwV) durch die Bundesregierung gern. § 20 UVPG ergänzt.9 Das Gesetz wurde zuletzt am 18. 8. 1997 modifiziert. 10 Die Änderungsrichtlinie v. 3. 3. 1997 sollte bis zum 15. 3. 1999 in mitgliedstaatliches Recht umgesetzt werden. In Deutschland sollte diese Umsetzung für einen Teil der Vorhaben in dem UGB I erfolgen. 11 Das UGB sollte die verschiedenen Fachgesetze, die jeweils einen bestimmten Bereich des Umweltschutzes betreffen, vereinheitlichen. 12 Für den anderen Teil der Vorhaben sollte die Umsetzung durch eine Novellierung des UVPG durchgeführt werden. Die landesrechtliche Umsetzung sollte je nach Bundesland durch Änderung der je6 Vgl. dazu v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System... , S. 250 ff.; vgl. Steinberg, NVwZ 1995, 215 ff.; vgl. auch Bemerkungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen, DVBI. 1988, 21, 24; Wahl, DVBI. 1988, 86, 89; Hennecke, JUTR. 9 (1989), 117 ff.; Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 52; vgl. auch Bericht der Kommission über die Durchführung der Richtlinie 85/ 337/EWG, KOM (93), Anhang Deutschland, 21 a, in dem die Kommission Deutschland die Fortentwicklung des Genehmigungsverfahrens in Richtung der Planfeststellungsverfahren empfiehlt. Cupei, UVP, 1986; Bartlsberger, DVBI. 1987, 1 ff.; Bunge, Die UVP im Verwaltungsverfahren... ; Erbguth, NVwZ 1988, 969 ff.; ders.: BayVBI. 1983, 129 ff.; ders. DVBI. 1987, 819; Gassner, UPR 1993, 241; Dohle, NVwZ 1989, 697; Bunge, DVBI. 1987, 819; Epiney, ZUR 1996, 229 ff.; Wahl, DVBI. 1988, 86, 89; Jarass, UVP bei lndustrievorhaben, 1987; Hoppe/Püchel, DVBI. 1988, 1 ff.; EuGH, 9. 8. 1994, C-396/92, Bund Naturschutz in Bayern u. a. gegen Freistaat Bayern, S1g. 1994, 3717M; Sinner, WiVerw 2000, 95 ff. 7 Dazu die Begriindung der Bundesregierung in BT-Drucks. 11/3919, 15; Weber/Hellmann, NJW 1990, 1625, 1626. s Erbguth/ Schink, UVPG, § 1 Rn. 1. 9 GMBI. 1995,671. 1o BGBl. I, 2081, 2111. 11 Vgl. Bericht von Stüer/Müller über die 6. Osnabrücker Gespräche zum deutschen und europäischen Umweltrecht; Schmidt-Preuß, DVBI. 1998, 857 ff.; vgl. weiterführend Peters, NuR 1999, 203 ff. 12 Vgl. Arbeitsentwurf v. 5. 3. 1998 für ein Umweltgesetzbuch- Erstes Buch.

I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG)

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weiligen Fachgesetze geschehen. Allerdings wurde den Arbeiten am UGB aufgeund verfassungsrechtlicher Bedenken im Herbst 1999 ein vorläufiges Ende gesetzt.13 Ein Artikelgesetz soll nun die Neuerungen der Änderungsrichtlinie erfüllen.14 Solange dieses noch nicht verabschiedet ist, ist die Änderungsrichtlinie direkt anzuwenden. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG bildet die UVP einen unselbständigen Teil des Zulassungsverfahrens eines Vorhabens, die Prüfung der Umweltverträglichkeit liegt also bei der Behörde, die über die Zulassung oder Genehmigung der betreffenden Anlage entscheidet. Die materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen an ein UVP-Verfahren ergeben sich demnach prinzipiell aus den jeweils einschlägigen Fachgesetzen, die Vorschriften des UVPG haben also eine Art Auffangfunktion. Die einzelnen Elemente der UVP sowie der Verfahrensablauf der Untersuchung der Umweltauswirkungen nach dem UVPG sollen hier kurz skizziert werden.

2. Anwendungsbereich der UVP Der Anwendungsbereich des UVPG bezieht sich zunächst einmal nur auf Vorhaben, die sich in bezug auf ihre Zulässigkeit nach Bundesrecht richten. Für Vorhaben nach Landesrecht liegt es bei den einzelnen Bundesländern, die UVP-Richtlinie selbst umzusetzen. 15 UVP-pflichtig sind Vorhaben, die der Genehmigung oder Zulassung im Rahmen von Zulassungsverfahren bedürfen. Die Projekte sind in § 2 Abs. 2 i. V. m. dem Anhang I und II zu § 3 UVPG aufgelistet. 16 Wann ein derartiges Zulassungsverfahren bzw. eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens anzunehmen ist, welches eine vorangehende UVP erforderlich macht, bestimmt sich nach § 2 Abs. 3 i. V. m. der Anlage zu § 3 Abs. 1 UVPGP Danach stellt eine relevante Entscheidung dar, die Bewilligung, die Erlaubnis, die Genehmigung, der Planfeststellungsbeschluß und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens, sofern sie in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden. § 2 Abs. 3 Nr. 2 UVPG macht deutlich, daß Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG fallen. Dazu Wasielewski, NVwZ 2000, 15 ff. Dazu Koch, ZUR 2000, 359 ff. 15 LUVPG haben bis jetzt Baden Württemberg, Bayern, Hamburg, Berlin und NordrheinWestfalen erlassen. In Hessen liegt der Entwurf bereits seit 1993 vor, ist aber noch nicht verabschiedet worden. In Mecklenburg-Vorpommem ist ein LUVPG in Vorbereitung. 16 Die Änderungsrichtlinie bringt einige Neuerungen hinsichtlich des Anwendungsbereichs. Vgl. Darstellung bei Becker, NVwZ 1997, 1168; Schink, NVwZ 1999, 11, 15. 17 Z. B. Vorhaben i. S. d. §§ 4, 15 BlmSchG i.V.m. dem Anhang zu Nr. 1 der UVPG-An1age, §§ 7, 9b AtG, § 31 Abs. 2 KrW-/ AbfG, § 31 WHG, § 17 FStrG, § 18 AEG, § 14 WaStrG, § 8 LuftVG... 13 14

78

D. Die UVP in Deutschland

Diese Auflistung ist jedoch nicht abschließend, denn die Bundesregierung wird gern. § 3 Abs. 1 Satz 2 UVPG ermächtigt, den Anlagenkatalog auf weitere Vorhaben auszudehnen oder auch zu reduzieren, wenn Vorhaben nicht umweltrelevant sind. Auch die wesentliche Änderung einer Anlage ist gern. § 2 Abs. 2 Nr. 4 UVPG UVP-pflichtig, wenn dadurch erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. In den §§ 13-19 UVPG sind noch Sonderregelungen enthalten über die Durchführung der UVP im vertikal gestuften und parallelen Verfahren, vorgelagerten Entscheidungsverfahren, im Bauleitverfahren sowie in bestimmten fachgesetzlichen Zulassungsverfahren.

3. Inhalt und Ablauf der UVP Das Ziel der UVP ist gern. § 1 Nr. 1I 2 UVPG eine wirksame Umweltvorsorge durch eine frühzeitige und umfassende formalisierte Prüfung der Umweltauswirkungen eines bestimmten, in dem UVPG enumerativ aufgeführten umweltrelevanten Projekts und eine möglichst frühe Berücksichtigung des Untersuchungsergebnisses bei der behördlichen Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens. Der Inhalt und Ablauf der UVP ergibt sich im allgemeinen aus § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG. Danach umfaßt die UVP die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 (einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen) und Nr. 2 UVPG genannten Umweltfaktoren. Das Ergebnis der Prüfung, die Bewertung der Umweltauswirkungen, soll dann im Rahmen des Entscheidungsvorgangs über die Zulässigkeit des Vorhabens berücksichtigt werden. Der integrative medienübergreifende Ansatz als zentrales Element der UVP wird in § 1 Abs. 1 Nr. 1 UVPG i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG deutlich, wonach die "umfassende" Prüfung der Umweltauswirkungen auf die genannten Umweltgüter einschließlich ihrer jeweiligen Wechselwirkungen gefordert wird. Die wesentlichen Verfahrensschritte der UVP sind in §§ 5 - 12 UVPG geregelt. Die erste Phase der UVP bildet die Ermittlung und Beschreibung der Umweltauswirkungen. Nach 0.5.1.1 UVP-VwV ist durch die Ermittlung und Beschreibung "der entscheidungserhebliche Sachverhalt für die Erfüllung gesetzlicher Umweltanforderungen" festzustellen. Die Ermittlung der Umweltauswirkungen umfaßt als Risikoabschätzung eine Bestandsaufnahme des vorhandenen Zustandes der Umwelt im räumlichen Bereich des Vorhabens und eine Prognose der voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens. 18 Es sind also alle entscheidungserheblichen Umweltauswirkungen zu prüfen, die "insbesondere durch die Errichtung oder den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage oder eines sonstigen Vorhabens, ferner durch Betriebsstörungen oder durch Stör- oder Unfalle verursacht werden können." Is Erbguth/Schink, UVPG, Ein!. Rn. 9 c.

I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG)

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Dabei hat die Behörde "die Annahmen zugrundezulegen, die dem allgemeinen Kenntnisstand und den allgemein anerkannten Prüfungsmethoden entsprechen." 19 Ausgangspunkt ist die Unterrichtung der Behörde über das geplante Vorhaben durch den Projektträger. Daran schließt als erste Stufe der Ermittlung, das sog. "Scoping-Verfahren" gern. § 5 UVPG an, wonach die Behörde nach frühzeitiger Erörterung des Gegenstands, des Umfangs und der Methoden der UVP des geplanten Projekts mit dem Projektträger in sog. kooperativer Verwaltungsverantwortung den Untersuchungsrahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung bespricht und den Projektträger schließlich von der Festlegung des Untersuchungsrahmens unterrichtet.20 Im Rahmen des "Scoping-Verfahrens" wird also vorläufig bestimmt, welchen Auswirkungen auf die Umwelt im einzelnen nachgegangen werden soll, die Informationsanforderungen werden spezifiziert. 21 Die Behörde kann den Untersuchungsrahmen später noch erweitern, wenn sich die Notwendigkeit im weiteren UVP-Verfahren ergibt. Die einzelfallbezogene Herausarbeitung des Gegenstands, der Methode und des Untersuchungsumfangs ist von entscheidender Bedeutung für einen objektivierten und optimierten Untersuchungsrahmen und folglich eine effektive und sachgerecht durchgeführte UVP. 22 Bei diesem beratenden Verfahren über den Untersuchungsrahmen können andere Behörden, Sachverständige und Dritte, z. B. Naturschutzverbände, hinzugezogen werden. Im nächsten Schritt der UVP hat der Projektträger gern. § 6 Abs. I UVPG die entscheidungserheblichen Unterlagen beizubringen, wobei sich Inhalt und Umfang der Unterlagen nach den Rechtsvorschriften richten, die für die Zulassung des betreffenden Vorhabens maßgeblich sind. 23 Die entscheidungserheblichen Unterlagen müssen bis zum Beginn des Genehmigungs- oder Zulassungsverfahrens vorliegen, im Falle eines Planfeststellungsverfahrens muß dies so rechtzeitig erfolgen, daß die Unterlagen mit den übrigen Planbestandteilen ausgelegt werden können. 24

§ 6 Abs. 2-4 UVPG legt das Mindestmaß der Angaben (abhängig von den Anforderungen der entsprechenden Fachgesetze) fest. Obligatorische Mindestangaben sind z. B. nach § 6 Abs. 3 Nr. 1-4 UVPG die Beschreibung des Vorhabens mit Angaben über Standort (Bestandsaufnahme der Umwelt im räumlichen Bereich des Vorhabens), Art und Umfang sowie die zu erwartenden Emissionen und Reststoffe (Prognose der voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt), die Erörterung der Möglichkeiten, negative Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden, zu vermindern oder auszugleichen und die voraussichtlich unvermeidbaren erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt unter Berücksich-

2o

Vgl. 0.5.1.1 UVP-VwV. Siehe zu den Einzelheiten auch 0.4 der UVP-VwV.

21

Erbguth/Schink, UVPG, § 2 Rn. 9, § 5, Rn. I; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 8

19

Rn. 70. 22

Erbguthl Schink, UVPG, § 5 Rn. l.

23

Siehe auch 0.5.1.1 der UVP-VwV.

24

Erbguth/Schink, UVPG, § 6, Rn. 2.

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D. Die UVP in Deutschland

tigung des allgemeinen Kenntnisstandes und der allgemein anerkannten Priifungsmethoden. Ferner kann die Behörde gern. § 6 Abs. 4 UVPG vom Vorhabensträger die Vorlage weiterer Angaben wie z. B. die wichtigsten Merkmale der verwendeten technischen Verfahren, die Beschreibung der Umwelt und ihrer Bestandteile, die vom Projektträger geprüften Vorhabenalternativen sowie die wesentlichen Auswahlgründe unter besonderer Berücksichtigung der Umweltauswirkungen verlangen, wenn dies zur Durchführung der UVP erforderlich und dem Träger des Projekts zurnutbar ist. 25 Eine Pflicht zur Alternativenprüfung besteht also bisher grundsätzlich nicht. 26 Allerdings ergibt sich aus den Fachgesetzen, wie z. B. den Planfeststellungsverfahren im Bereich der Verkehrsplanung, daß Alternativen im Rahmen der Abwägung geprüft werden müssen. Auf die Schwierigkeiten, die bei der Zusammenstellung der Angaben aufgetreten sind, ist hinzuweisen. Die Ermittlung wird gern. § 1 Nr. 1 UVPG in umfassender Weise gefordert. Dabei sind die Anforderungen an die Ermittlung stärker, je bedeutungsvoller die zu schützenden Umweltgüter im Verhältnis zu den potentiellen Beeinträchtigungen des Vorhabens und dessen Dimension sind. 27 Insofern liegt ein Großteil der Ermittlung und Beschreibung der Umweltauswirkungen des Projekts beim Vorhabensträger, was also heißt, daß die Untersuchungsverantwortung von der Behörde als Ausdruck des Verursacherprinzips auf ihn übergegangen ist. Die Behörde überprüft lediglich den vorgelegten Tatsachenstoff, ohne eine eigene Untersuchung vorzunehmen. 28 Allerdings braucht die Behörde die vorgelegten Unterlagen nicht zu akzeptieren, sie muß gern. § 24 VwVfG die Unterlagen auf Vollständigkeit kontrollieren. 29 Die Behörde kann sich also nicht auf die Kontrolle der Plausibilität der Angaben und Bewertungen des Vorhabenträgers zurückziehen, sie bestimmt die Ermittlungstiefe und den Ermittlungsumfang und muß die Einhaltung der Vorgaben nachprüfen. 30 25 In der Änderungsrichtlinie wird nicht mehr differenziert zwischen pflichtigen Unterlagen und solchen, die nur beizubringen sind, wenn das dem Vorhabenträger zuzumuten ist. Daher besteht Änderungsbedarf für das UVPG. 26 Besondere Schwierigkeiten bereitet in der Praxis, inwieweit die Behörde ihre Bewertung auch auf Vorhabenalternativen erstrecken muß. Aus Nr. 4.3.2. I 4 und Nr. 5.3.2. S. 3 UVP-VwVergibt sich, daß Vorhabenvarianten nur dann zu bewerten sind, wenn dies durch das jeweilige Umweltfachrecht angeordnet wird. Die UVP-Rl oder das UVPG haben die Bewertung von Vorhabenalternativen im Sinne von Standortvarianten oder der Null-Variante bisher nicht vorgeschrieben. Die überwiegende Auffassung in der Literatur hat das kritisiert, vgl. Erbguthl Schink, UVPG, § 2 Rn. 22 f. 27 Erbguth/ Schink, UVPG, § 2 Rn. 9 d. 28 In der Literatur wird kritisiert, daß durch die Anordnung der Untersuchungslast beim Vorhabenträger das Risiko unzureichender Beschreibung von Umweltauswirkungen bewußt in Kaufgenommen wird. Vgl. auch v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System. .. , S. 268. 29 Zum Verhältnis Amtsermittlung und Mitwirkungspflicht des Anlagenbetreibers, vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für Doehring, 889, 893 ff. 30 Vgl. Hoppe/Haneklaus, UVPG, § 6 Rn. 2.

I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG)

81

Es folgt auf die Beschreibung der Umweltauswirkungen des Vorhabens durch den Vorhabenträger gern. §§ 7, 8 UVPG eine Beteiligung der in ihrem Aufgabenbereich berührten Behörden (auch der berührten Behörden von anderen Mitgliedstaaten sowie sonstiger Nachbarstaaten) und gern. § 9 UVPG der Öffentlichkeit, die auf der Grundlage der nach § 6 UVPG beigebrachten Unterlagen anzuhören ist. 31 Dabei verweist§ 9 Abs. 1 Satz 2 UVPG für die Voraussetzungen des Anhörungsverfahrens als Mindeststandard auf die Vorschriften des § 73 Abs. 3 - 7 VwVfG und damit auf die allgemeinen Anforderungen des Planfeststellungsrechts. Gern.§ 73 Abs. 3 VwVfG müssen die Unterlagen der UVP in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt, einen Monat zur Einsicht ausgelegt werden. Gern. § 73 Abs. 4 VwVfG kann dann jeder Betroffene bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder der Gemeinde Einwendungen gegen das Vorhaben erheben. Diese Einwendungen sind dann gern.§ 73 Abs. 4 VwVfG durch die Anhörungsbehörde mit sämtlichen dort genannten Beteiligten zu erörtern. Diese Verhandlung ist jedoch grundsätzlich nichtöffentlich. Wer Betroffener (Beteiligter) i. S. d. UVPVerfahrens ist, wird allerdings im UVPG nicht näher definiert, auch § 73 VwVfG gibt keinen Aufschluß. Art. 6 Abs. 2 UVP-Richtlinie spricht von "betroffener" Öffentlichkeit und § 73 Abs. 4 VwVfG macht die Einwendungsbefugnis von dem Berührtsein in eigenen Belangen abhängig. Es wird in der Literatur zum Teil angenommen, daß Betroffener derjenige ist, dem auch gern. § 42 Abs. 2 VwGO eine Klagebefugnis zustünde.32 Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 6 Abs. 2 der UVP-Richtlinie verlangt aber eher keine Betroffenheit in subjektiven Rechten, sondern dehnt den Kreis der anzuhörenden Personen auch auf solche aus, die tatsächlich betroffen sind. 33 Auch§ 73 Abs. 4 VwVfG erfaßt eher dem Wortlaut nach alle rechtlichen und tatsächlichen Belange, die durch die Planung möglicherweise berührt werden. 34 Die Phase der Ermittlung ist mit den Äußerungen der Öffentlichkeit gern. § 9 UVPG beendet. § 9 Abs. 1 S. 3 UVPG regelt im Fall einer Änderung der Unterlagen nach der Anhörung, daß eine erneute Anhörung nicht erfolgen muß, wenn keine zusätzlichen und anderen erheblichen Auswirkungen dazu gekommen sind. Daran schließt die Phase der Beschreibung an, d. h. gern. § 11 UVPG wird auf der Grundlage der Unterlagen durch den Projektträger, der Stellungnahmen der Behörden, der Äußerungen der Öffentlichkeit sowie eigener Ermittlungen, eine zusammenfassende wertneutrale Darstellung des Ist-Zustands der Umwelt und der vorhersehbaren Auswirkungen des Vorhabens auf die Umweltgüter und ihren Wechselbeziehungen durch die zuständige Behörde erarbeitet. 35 31 32 33 34

35

Vgl. Kollmer; BayVBI. 1995,449 ff. Vgl. dazu auch Kollmer; NVwZ 1994, 1058. Vgl. Cupei, UVP, S. 163. Busch, in: Knack, VwVfG, § 73, der auf die Gefahr einer Popularklage hinweist. Siehe 0.5.2.1 der UVP-VwV.

6 Prelle

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D. Die UVP in Deutschland

Die Erarbeitung der zusammenfassenden Darstellung soll gern. § 11 Satz 3 UVPG möglichst innerhalb eines Monats nach Abschluß der Anhörung erfolgen. 36 Eine separate Prüfung der Umweltverträglichkeit ist gern. § 11 Satz 4 UVPG nicht erforderlich, sondern es genügt die Darstellung im Rahmen der Begründung der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens?7 Die zusammenfassende Darstellung ist der abschließende Teil der Ermittlung und Beschreibung der Umweltauswirkungen und bildet die Basis für den letzten Verfahrensschritt, die Bewertung der Umweltauswirkungen des Vorhabens auf die in§ 2 Abs. 1 Nr. 1/2 UVPG genannten Schutzgüter durch die Behörde gern. § 12 UVPG. Die Bewertung soll die ermittelten Umweltauswirkungen gewichten auf ihre Hinnehmbarkeit, Vermeidbarkeit und ihren eventuellen Ausgleich. 38 Gern. 0.6.1.1 UVP-VwV wird die Bewertung der Umweltauswirkungen definiert als Subsumtionsvorgang, als die "Auslegung und Anwendung der umweltbezogenen Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Fachgesetze39 (gesetzliche Umweltanforderungen) auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt." Insofern wird die teilweise Auffassung in der Literatur, es dürften nur rein ökologische Umweltstandards Grundlage der Bewertung sein, abgelehnt. 40 Die UVP-VwV gibt trotz des Verweises auf die Fachgesetze noch Orientierungshilfen als subsidiäre Bewertungskriterien (Nr. 0.6.1.2 UVP-VwV). Beispiele sind die Orientierungshilfen für die Bewertung der Auswirkungen auf Fließgewässer, auf die stoffliche Bodenund Luftbeschaffenheit Allerdings sind diese Orientierungshilfen nicht rechtsverbindlich. Die Bewertung soll dann bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens gern. § 12 UVPG in bezugauf eine wirksame Umweltvorsorge nach §§ 1, 2 Abs. 1 Satz 2 und 4 nach Maßgabe der geltenden Gesetze berücksichtigt werden. Insofern ist die abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nicht mehr von dem UVPG erlaßt, sondern richtet sich nach den Verfahren der entsprechenden Fachgesetze. Die UVP endet also mit dem Auftrag der Berücksichtigung der Bewertung bei der nachfolgenden Zulässigkeitsentscheidung. Im Rahmen von Planfeststellungsverfahren läßt sich die Bewertung und der integrative Prüfungsansatz der UVP bei der abschließenden Abwägung berücksichtigen, wenn auch unklar ist, welchen Stellenwert die UVP innerhalb der planensehen Abwägung hat. Problematisch wird die Berücksichtigung der UVP bei Kontrollerlaubnissen, da die Verwaltung bei ihrer Entscheidung über die Genehmigung an normative Voraussetzungen gebunden ist. Danach müßte konsequenterweise ein negati-

36

Erbguth/Schink, UVPG, § 11 Rn. 8.

37

Vgl. 0.5.2.1 UVP-VwV.

38

Erbguth/Schink, UVPG, § 12, Rn. 5.

39 Beispielsweise die Umweltanforderungen in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG, §§ 31 , 1 a Abs. 1 WHG, §§ 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG. 40 Vgl. dazu Gassner, UPR 1996, 429 ff.

I. Das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG)

83

ves Ergebnis der UVP im Rahmen der gebundenen Genehmigungsentscheidung zur Ablehnung der Genehmigung führen. Der betroffenen Öffentlichkeit ist gern. § 9 Abs. 2 Satz 1 UVPG das Ergebnis der Zulassungsentscheidung von der nach dem Fachrecht zuständigen Behörde zugänglich zu machen. Wenn das Vorhaben abgelehnt wird, sind die bekannten Betroffenen und diejenigen, die Einwendungen erhoben haben, zu informieren.

4. Materieller Inhalt der UVP

Eine der umstrittensten Fragen in Deutschland bezüglich der UVP ist die ihrer materiell-rechtlichen Wirkung. Wahrend ein Teil der Literatur in der UVP lediglich Verfahrensregelungen ohne Einfluß auf die einzelnen Umweltfachgesetze sieht41 , gehen andere Autoren davon aus, daß die UVP die bisherigen Umweltgesetze auch inhaltlich erweitert hat. 42 Die UVP-Richtlinie selbst hat lediglich rudimentäre inhaltliche Anforderungen und Maßstäbe für die Ermittlung, Bewertung und Beschreibung von Umweltauswirkungen für die UVP festgelegt43 , welche der Vollziehbarkeit der UVP erhebliche Schwierigkeiten bereiten. 44 So wurde und wird auch noch nach Erlaß der konkretisierenden Verwaltungsvorschriften diskutiert45 , wie tief und in welchem Umfang die Ermittlung der Umweltauswirkungen durchgeführt werden soll, was Umweltauswirkungen bedeuten, was unter dem Begriff der Wechselwirkungen zu verstehen ist46 , anhand welcher Maßstäbe die Bewertung zu erfolgen hat und wie die Bewertung bei der abschließenden Entscheidung zu beriicksichtigen ist.47 Auch die Nutzbarkeit von bestehenden Standards und Vgl. Schmidt-Preuß, DVBI. 1995,485 ff.; Zeit/er; NVwZ 1992, 830, 831. Vgl. Erbguth, NuR 1997, 265, der die UVP-Bestimmungen als janusköpfig bezeichnet, weil sie einerseits Verfahrensrecht darstellen und andererseits der Ennittlung und Bewertung von Umweltbelangen im Rahmen des Ennittlungs- und Bewertungsvorgangs der Abwägung der Planungsentscheidung dienen. Vgl. auch Peters, ZAU 1997, 497 ff.; Schink, NuR 1998, 1173. 43 Mayen, NVwZ 1996, 319; Soell/Dimberger; NVwZ 1990, 705 ff.; Wahl, DVBI. 1988, 86, 87. 44 Vgl. zu dem Problem der "unterentwickelten" materiellen Standards des Gemeinschaftsrechts allgemein Di Fabio, in: Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz. . ., S. 183 ff.; zu den Problemen der Praxis, vgl. Schwab, NVwZ 1997, 4428 ff. 45 Nach Auffassung von Schwab wäre ein geschlossenes Konzept mit konkreten Aussagen über die Relevanz von Stoffen, die zeitlichen und räumlichen Dimensionen, die Untersuchungstiefe, die Meß- und Erhebungsmethoden besser gewesen, als die erlassenen VwV, die abstrakt gefaßt sind, vgl. NVwZ 1997,433. 46 Vgl. auch Peters, NuR 1996, 235 ff.; ders., UVP-Richtlinie, 1994; Gassner; UPR 1996, 429 ff. 47 Vgl. nur Lange, DÖV 1992, 780, 781 ; Peters, UPR 1994, 281; Hoppe/Püchel, DVBI. 1988, 1 ff. ; Hoppe /Appold, DVBI. 1991, 1221 ff.; Engelfried!Haber!Wabner; ZAU 1995, 373 ff.; Gassner; UPR 1996, 429 ff. 41

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D. Die UVP in Deutschland

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Grenzwerten aus dem technischen Anlagenrecht für die UVP und ihren komplexen gesamthaften Ansatz ist umstritten. 48 Vor allem herrscht Unklarheit dariiber, wie der medienübergreifende Priifungsansatz praktisch verwirklicht werden kann, da erhebliche Ungewißheiten bzw. Wissenslücken bestehen.49 Die Ermittlung von Umweltauswirkungen und ihren Wechselwirkungen kann nur soweit gehen, wie die Umwelt und ihre Zusammenhänge naturwissenschaftlich erforscht sind. Es kann im Grunde nur nach Umweltauswirkungen gesucht werden, ohne alles sicher voraussagen zu können.



Die UVP-VwV hat in diesen Punkten etwas Klärung gebracht, wenn auch nicht von der Möglichkeit, spezifische Standards für die UVP zu setzen, Gebrauch gemacht wurde. 51 So z. B. werden Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne des § 2 Abs. l Satz 2 UVPG in 0.3 der UVP-VwV als "Veränderungen der menschlichen Gesundheit oder der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit einzelner Bestandteile der Umwelt oder der Umwelt insgesamt, die von einem Vorhaben im Sinne der Anlage zu§ 3 UVPG verursacht werden", beschrieben. Dabei können Auswirkungen durch Einzelursachen, Ursachenketten oder durch das Zusammenwirken mehrerer Ursachen herbeigeführt werden. Auswirkungen können kurz-, mittel-, und langfristig, insbesondere auch durch die Errichtung oder den bestimmungsmäßigen Betrieb eines Vorhabens, ferner durch Betriebsstörungen oder Unfalle auftreten. Sie können ständig oder nur voriibergehend, aufhebbar oder nicht aufhebbar, positiv oder negativ sein. Der Begriff der "Wechselwirkungen" als Ausdruck des medienübergreifenden gesamthaften Priifungsansatzes der UVP wird aber auch in der UVP-VwV nicht näher konkretisiert. Wechselwirkungen sind als naturwissenschaftlicher Begriff und damit auch als Rechtsbegriff äußerst schwierig zu fassen. Es werden in den 48 Vgl. Nachw. bei Eberhardt, ZAU 1992, 166, 168, 169. Lösungsmöglichkeiten werden von Eberhardt in formalisierten Verfahren, wie der Nutzwertanalyse, der Risikoanalyse, der Kosten-Nutzen-Analyse, der Kosteu-Effektivitätsanalyse gesehen, vgl. ders. in ZfU 1988, 361 ff.; vgl. Schwab, NVwZ 1997, 430, der auch auf die unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Bundesländer über den materiell-rechtlichen Inhalt der UVP hinweist. 49 Wissensdefizite bestehen beispielsweise in folgenden Bereichen: - Öko- und humantoxische Wirkungen verschiedener Schadstoffe, insbesondere in bezug auf synergetische und alekumulative Wirkungen; - umfassende Prognose aller von einem Vorhaben geplanten Vorhaben ausgehenden Umweltauswirkungen (z. B. Kenntnis über Art und Mengen aller bei einem Verfahren freigesetzten Stoffe); - Datenlage über den Zustand der Umwelt vor Durchführung des Vorhabens; - "Funktionsweise" des betrachteten Ökosystems, insbesondere hinsichtlich der Transportund Akkumulationsmechanismen freigesetzter Schadstoffe sowie aller Wechselwirkungen zwischen den Teilbereichen der betrachteten Umwelt; - Eintrittswahrscheinlichkeit von Stör- und Unfallen, vgl. Eberhardt, ZAU, 1992, 166, 168. 50 Die Beseitigung der Wissensdefizite scheitert auch am Zeit- und Finanzaufwand, der bei einem Vorhaben immer begrenzt sein muß, vgl. Eberhardt, ZAU, 1992, 166, 168. 51 Vgl. auch Spoerr; NJW 1996, 85 ff.; Mayen, NVwZ 1996,319 f.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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UVP-VwV lediglich Bewertungskriterien genannt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die rechtliche Vorgabe von Priifungsanforderungen, die sich größtenteils der wissenschaftlichen Erkenntnis über das Zusammenwirken der verschiedenen Umweltauswirkungen entzieht, nicht praktikabel sein kann. So bestimmt Nr. 0.6.2.1 III der UVP-VwV, daß wegen der Unmöglichkeit der quantitativen Gesamtbewertung von Umweltauswirkungen mangels Verrechnungseinheiten, die medienübergreifende Bewertung auf qualitativen Gesichtspunkten beruht, die zueinander in Beziehung zu setzen sind. Dabei genügt ein "bloßes Aneinanderreihen einzelner medialer Bewertungen der Umweltauswirkungen" nicht den Anforderungen. 52 Im besonderen Teil der UVP-VwV zu den einzelnen Vorhaben (1.3.2 UVP-VwV) wird bezogen auf das BimSchG, das WHG und das BNatSchG beschrieben, wie Wechselwirkungen zwischen Umweltgütern entstehen können. Sie ,,können unter anderem durch bestimmte Schutzmaßnahmen verursacht werden, die zu Problemverschiebungen führen." Für Anlagen nach dem BimschG sind beispielsweise Fälle aufgelistet, in denen Schutzmaßnahmen Reststoffe, Abfälle, Abwässer, Abwasserbehandlungsmaßnahmen etc. verursachen. 5 3 Einen der größten Problembereiche bei der Anwendung der UVP bildet die Frage der Beriicksichtigung der Bewertung und somit die materielle Wirkung des UVPG im Rahmen der fachgesetzlichen Zulassungsentscheidungen. So ist Gegenstand kontroverser Stellungnahmen die Bedeutung der Beriicksichtigung der UVPBewertung im jeweiligen Fachrecht, beispielsweise in Form eines Optimierungsgebots für die Auslegung. Auch hier enthält die UVP-VwV keine weiteren präzisierenden Angaben. Insgesamt bieten die VwV wichtige Hilfen, wenn sie auch trotzdem noch viele Fragen hinsichtlich des gesamthaften Priifungsansatzes der UVP sowie den Grundlagen für die Bewertung der UVP unbeantwortet lassen. 54

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP Die Untersuchung der Rechtsprechung zur UVP in Deutschland wird sich auf die Anwendung der UVP in Rahmen des straßenrechtlichen Planfeststellungsrechts konzentrieren, da auf diesem Gebiet die meisten Entscheidungen gefällt worden sind und somit eine recht aussagekräftige Veranschaulichung der Rechtsprechungspraxis zur UVP gegeben werden kann. Die Arbeit wird die Rechtsprechung ausschließlich unter dem Aspekt der Klageeröffnung bzw. Klagebefugnis und der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle betrachten.

52 53 54

Vgl. auch Nachweise der Rechtsprechung, D. li. 2. d) cc). So auch 2.3.2, 4.3.3, 5.3.3, 6.3.3, 16.3.2 UVP-VwV. Vgl. Mayen, NVwZ 1996, 319 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

1. Rechtsschutz Eine selbständige Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gegen die fehlende oder fehlerhafte Durchführung der UVP kann nicht geltend gemacht werden. Der Kläger kann nur gegen die gesamte Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens vorgehen. Aufgrund der Regelung des § 44 a VwGO sind auch nur Klagen gegen die Endentscheidung möglich. Klagen gegen einzelne möglicherweise fehlerhafte Vetfahrensschritte der Zulässigkeitsprüfung während des laufenden Verfahrens, also auch die isolierte Klage gegen einzelne UVP-Vetfahrensschritte oder das UVP-Vetfahren als ganzes, sind unzulässig. 55 Denkbar sind im Hinblick auf eine fehlende oder fehlerhafte UVP die Anfechtungsklage gern. § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO eines Betroffenen gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit oder Genehmigung eines Projekts - beispielsweise eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses - oder die Verpflichtungsklage gern. § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO des Vorhabenträgers, wenn er eine ihn begünstigende Entscheidung erreichen will. Bekanntlich ist wesentliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gern. § 42 Abs. 2 VwGO, daß der Kläger die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung geltend macht. Der Kläger muß also in rechtlich plausibler Weise behaupten, durch die Verwaltungshandlung oder das Unterlassen der erstrebten Verwaltungshandlung in seinen Rechten verletzt zu sein. Es muß also ein subjektiv-öffentliches Recht vorliegen und dieses Recht muß verletzt sein. Es stellt sich die Frage, ob einzelne Vorschriften der UVP-Richtlinie oder des UVPG ein solches subjektiv-öffentliches Recht verleihen, auf dessen Verletzung sich Bürger bei der fehlenden oder fehlerhaften Durchführung der UVP berufen können. Bei der Richtlinie ist die Unmittelbarkeit sowie die begünstigende Wirkung der Richtliniennorm für den einzelnen entscheidend. Für subjektiv-öffentliche Rechte aus dem UVPG kommt es nach der Definition der von der h.A. angewendeten Schutznormtheorie darauf an, ob bei der Zulassung des Vorhabens eine Vorschrift verletzt wird, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz einzelner - Dritter - zu dienen bestimmt ist.

a) Klagebefugnis: Drittschutz aus der UVP-Richtlinie?

An dieser Stelle sollen die Auffassungen der Gerichte, des EuGH und der Verwaltungsgerichte in Deutschland, zu der Frage dargestellt werden, ob sich aus der UVP55 Vgl. Erbguth/Schink, UVPG, Ein!, Rn. 115. Auf dem 56. Deutschen Juristentag wurde von der Abteilung Umweltrecht eine gegen diese Einschränkung des§ 44 a VwGO gerichtete Empfehlung gegeben, diese hat sich bis heute allerdings nicht durchsetzen können. Vgl. Empfehlung des 56. Deutschen Juristentags, Abt. Umweltrecht, B I 9, abgedruckt in NJW 1986, 3063 (3071); kritisch bereits auch Jarass, UVP bei lndustrievorhaben, 101.

Il. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Richtlinie individuelle Rechtspositionen herleiten lassen. Insbesondere geht es dabei um einen möglichen unmittelbaren und eigenständigen Anspruch des einzelnen aus der Richtlinie auf die Durchführung einer förmlichen und korrekten UVP.

aa) Rechtsprechung des EuGH Die Europäische Gemeinschaft hat sich bisher nicht eindeutig und klar zu Individualbefugnissen aus der UVP-Richtlinie geäußert. Allerdings hat der EuGH in seinem Urteil vom 11. 8. 199556 zum Wärmekraftwerk Großkrotzenburg einen Verstoß der BRD gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 10 und 249 EGV i. V. m. der UVP-Richtlinie, insbesondere gegen Art. 2, 3 und 8 der Richtlinie festgestellt, weil die BRD mit Bescheid vom 31. 8. 1989, also vor Umsetzung der Richtlinie, die Errichtung eines neuen Kraftwerksblocks des Wärmekraftwerks Großkrotzenburg ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt hatte. Der EuGH nahm dabei Stellung zu der unmittelbaren Anwendbarkeit der Art. 2, 3 und 8 der UVP-Richtlinie und bejahte eine Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Durchführung der UVP. Das Gericht hält Art. 2, 3, 8 der Richtlinie für hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt und bestätigt somit die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Bestimmungen der UVP-Richtlinie. Dies hat für die nationalen Behörden die Konsequenz, daß sie eine UVP nach den Inhalten des Art. 3 der Richtlinie durchführen und das Ergebnis in den entsprechenden Genehmigungsverfahren berücksichtigen müssen. Die Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP ist folglich als eines der Hauptziele der Richtlinie zu sehen. Ob sich aus dieser objektivrechtlichen Verpflichtung der nationalen Behörden zur Durchführung der UVP aus der UVP-Richtlinie Rechte und Ansprüche des einzelnen auf Durchführung einer UVP ergeben, hat der EuGH jedoch offengelassen.57 Dabei hat das Gericht das Vorbringen der BRD, daß die UVP-Richtlinie keine unmittelbare Wirkung entfalten könne, weil sie keine individuellen Rechte einräumen würde, zurückgewiesen mit der Begründung, daß die Frage der unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung des betreffenden Projektes mit der Möglichkeit des einzelnen, sich gegenüber dem Staat unmittelbar auf eine unbedingte sowie hinreichend klare und genaue Vorschrift einer nicht umgesetzten Richtlinie zu berufen, nichts zu tun habe. 56 EuGH, Rs. C-431/92, Slg. 1995 I, 2189 ff. ,,Artikel 2 der Richtlinie stellt eine unmißverständliche Verpflichtung für die in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Genehmigung der Projekte zuständigen Behörden auf, bestimmte Projekte einer UVP zu unterziehen. Artikel 3 legt den Inhalt der Priifung fest, zählt die Faktoren auf, denen hierbei Rechnung zu tragen ist und räumt der zuständigen Behörde ein gewisses Ermessen hinsichtlich der geeigneten Art und Weise der Durchführung der Priifung nach Maßgabe jedes Einzelfalles ein. Artikel 8 legt den betreffenden nationalen Behörden ferner die Pt1icht auf, die während des Priifungsverfahrens eingeholten Angaben im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu beriicksichtigen". 57 V gl. auch Pechstein, EWZ 1996, 262; Epiney, ZUR 1996, 229 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

In einem anderen Urteil vom 24. 10. 199658 setzte sich der EuGH mit der Frage auseinander, ob sich aus Art. 2 Abs. 1 und 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie eine Verpflichtung zur Durchführung eines Umweltverträglichkeitsberichts für ein Projekt ergibt, wenn ein Mitgliedstaat in seinen nationalen Umsetzungsvorschriften für ein bestimmtes in Anhang II aufgezähltes Projekt unrichtige Kriterien oder Schwellenwerte festgelegt hat und aufgrund der Art, Größe oder dem Standort des Projekts mit erheblichen Auswirkungen für die Umwelt zu rechnen ist. Daran schloß sich noch die Frage des vorlegenden niederländischen Gerichts an, ob sich ein einzelner vor nationalen Gerichten auf diese Verpflichtung berufen könnte. Der EuGH bejahte auch hier die erste Frage und stellte bezüglich der Berufungsmöglichkeit des einzelnen allgemein fest, daß die Richtlinie die Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichte und eine fehlende Berufungsmöglichkeit des einzelnen die praktische Wirksamkeit der Richtlinie abschwächen würde. "Zum Recht eines einzelnen, sich auf die Richtlinie zu berufen, und des nationalen Gerichts, sie zu berücksichtigen, hat der EuGH bereits entschieden, daß es mit der den Richtlinie durch Art. 18959 zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar wäre, grundsätzlich auszuschließen, daß sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Insbesondere in den Fällen, in denen die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die praktische Wirksamkeit einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Bürger sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die nationalen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten, um zu prüfen, ob der nationale Gesetzgeber im Rahmen der ihm vorbehaltenen Befugnis, Form und Mittel für die Umsetzung der Richtlinie zu wählen, innerhalb des in der Richtlinie vorgesehenen Ermessensspielraumes geblieben ist. " 60

Das Gericht äußert sich auch hier nicht konkret in bezug auf die UVP-Richtlinie. Insofern bringt auch dieses Urteil keinen klaren Aufschluß dariiber, ob und welche UVP-Vorschriften der Richtlinie dem einzelnen ein einklagbares Recht verleihen. Es ist auch unklar, welche Personen von den Verpflichtungen der UVP betroffen sein könnten. Die Formulierung des EuGH läßt jedoch den Schluß zu, daß der Gerichtshof die Berufungsmöglichkeit des einzelnen Betroffenen auf Vorschriften der UVP erwartet, wenn der Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie, bei relevanten Vorhaben eine UVP durchzuführen, nicht nachkommt. Dies wird auch in einem weiteren Urteil des EuGH vom 2. 4. 1998 deutlich, in dem es um Klagerechte einzelner gegen die Zuschußbewilligung für die Errichtung zweier Elektrizitätswerke auf den Kanarischen Inseln ging.61 Die Kläger (u. a. Greenpeace) beschwerten sich gegen die durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfungen und machten Rechte aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 8 der UVP-Richtlinie

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EuGH, Urt. v. 24. 10. 1996, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I 5403 ff. In der neuen Fassung des EG-Vertrages Art. 249. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 24. 10. 1996, Rs. C-72/95, Kraaijeveld, Slg. 1996, I 5403 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 10. 1995, C-321/95, Slg. 1998, I 1651 ff.

li. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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geltend. Der Gerichtshof stellte fest, daß sich die angefochtene Entscheidung, "die sich auf die Gemeinschaftsfinanzierung dieser Elektrizitätswerke bezieht, nur mittelbar auf diese Rechte auswirken" könne. Dem Vorwurf der Kläger, daß die Anwendung der Rechtsprechung zur Folge habe, daß ihnen für die von ihnen aus der UVP-Richtlinie abgeleiteten Rechte jeder wirksame Rechtsschutz genommen werde, begegnete der EuGH mit dem Argument, daß Greenpeace in Spanien selbst Rechtsbehelfe gegen die UVP eingelegt habe und "diese Rechte deshalb in vollem Umfang durch die nationalen Gerichte geschützt werden", die gegebenenfalls den EuGH um eine Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV ersuchen können. Auch hier setzt der EuGH nahezu die Rechte des einzelnen aus der UVP-Richtlinie voraus. Das Urteil des EuGH v. 16. 9. 1999 bestätigt eine solche Interpretation ebenfalls.62 Es ging u. a. um die Frage, ob im Falle einer nicht richtliniengetreuen Umsetzung der UVP-Richtlinie Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie eine unmittelbare vertikale Wirkung entfaltet in dem Sinne, daß die Behörden des Mitgliedstaats verpflichtet sind, die in Rede stehenden Projekte einer Prüfung zu unterziehen. Der EuGH entschied, daß sich der einzelne dann, wenn der Gesetzgeber oder die Verwaltung eines Mitgliedstaats das ihnen durch Art. 4 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie eingeräumte Ermessen überschritten habe, vor dem nationalen Gericht auf diese Bestimmungen berufen und dadurch erreichen könne, daß diese nationalen Vorschriften außer Betracht bleiben müssen, die mit den Bestimmungen unvereinbar sind.

bb) Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte Der VGH München hat sich in seinem Urteil vom 24. 8. 199063 zu einem Planfeststellungsbeschluß nach dem FStrG, das vor der Umsetzung der UVP-Richtlinie durch das UVP-UG abgeschlossen war, mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich ein Anspruch auf Durchführung der UVP aus der unmittelbaren Wirkung der UVP-Richtlinie herleitet, d. h. ob die UVP-Richtlinie "Rechte festlegt, die vom einzelnen dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können". In dem Urteil kam es auf die Beantwortung der Frage nicht an, da die Frist für die Umsetzung der Richtlinie noch nicht abgelaufen war. Deshalb äußerte das Gericht lediglich seine Auffassung als "Zweifel daran, daß die Richtlinie "überhaupt" Rechte des einzelnen festlegt. " 64 Begrundet wurden die Zweifel mit der Charakterisierung der UVP als Verfahrens- und Informationsinstrument Daher kam der VGH München zu dem folgenden Ergebnis: Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 9. 1999, C-435/97. VGH München, UPR 1991, 157 ff. 64 ,,Zweifel" daran, daß die Regelungen der UVP-RL Drittschutz vennitteln, äußerte auch das OVG Münster in seinem Urt. v. 29. 9. 1994, NWVBI. 1994, 463 ff. 62

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D. Die UVP in Deutschland "Ohne daß es nach dem oben Gesagten noch darauf ankommen würde, neigt der Senat der Auffassung zu, daß sich einzelne ebensowenig darauf berufen können, daß ein der UVPRichtlinie konformes Verfahren durchgeführt wird, wie sie sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf berufen können, daß ein Planfeststellungsverfahren zu Unrecht nicht durchgeführt worden ist."65

Die unmittelbare Verbindlichkeit der UVP-Richtlinie wurde von dem VG München außerdem abgelehnt, da die Richtlinie zu unbestimmt sei. Es seien verschiedene Varianten zu ihrer Umsetzung denkbar. 66 In einem anderen Urteil vom 26. 1. 199367 zu einem Planfeststellungsbeschluß, in dem die Verlegung einer Bundesstraße festgestellt wurde, bestätigte der VGH München seine Auffassung und lehnte- unabhängig von der Umsetzung der Richtlinie durch das UVPG- ein unmittelbares Recht für Dritte aus der Richtlinie in der Form eines Anspruchs auf Durchführung eines korrekten förmlichen UVP-Verfahrens ab mit der Begründung, daß sich ein derartiger Anspruch "weder dem Wortlaut noch der Zielsetzung der Richtlinie entnehmen lasse". Nach Auffassung des Gerichts würde auch eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie nicht die Gewährung eines subjektiv-öffentlichen Rechts erzeugen, da sich weder aus der Richtlinie noch aus der Präambel der Richtlinie nähere Anhaltspunkte für eine rein verfahrensrechtliche Rechtsposition finden ließen. Der VGH München sieht in der UVP ein Instrument zur Informationsbeschaffung über die Auswirkungen des Projekts auf die natürliche Umwelt einschließlich der menschlichen Gesundheit und trennt davon die Frage der Verarbeitung dieser Informationen, welche Sache der dem nationalen Gesetzgeber überlassenen Zulassungsverfahren sei. Der Rechtsschutz gegen diese Entscheidungen bestimme sich unzweifelhaft nach nationalem Recht und damit auch die Frage, "inwieweit Mängel dieses Verfahrensabschnitts vor Gericht geltend gemacht werden" könnten.68 Die Einräumung von Klagerechten für vorgelagerte Verfahrensstufen für sonst nicht Betroffene widerspricht nach Ansicht des Gerichts der Konzeption der Richtlinie als Informationsbeschaffungsinstrument Auch der VGH Mannheim setzte sich mit der Frage der Rechte einzelner unmittelbar aus der UVP-Richtlinie in seinem Urteil vom 11. 6. 199369 auseinander. Das Gericht kam dabei auch zu dem Ergebnis, daß eine unmittelbare Geltung der Richtlinie zugunsten Dritter nicht in Betracht zu ziehen sei. Nach Auffassung des Gerichts fehlt es bereits an einem die Richtlinie begünstigenden Personenkreis, der sich auf sie berufen könnte oder dem sie subjektive Rechte einräumt. Eine Beteiligung des Bürgers ergibt sich nach Durchsicht aller UVP-Vorschriften für das GeVGH München, UPR 1991, 157, 158. So schon das VG München, NuR 1989, 320. 67 VGH München, NVwZ 1993,906. 68 VGH München, NVwZ 1993,906. 69 VGH Mannheim, UPR 1994, 189 ff.; siehe auch nachfolgend VGH Mannheim, 22. 3. 1995, NVwZ 1996,304 ff. 65

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II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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richt allein aus der Regelung des Art. 6 der Richtlinie über die Unterrichtung der Öffentlichkeit sowie eine Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit. Auch hieraus lehnt das Gericht jedoch eine Berufungsmöglichkeit des einzelnen ab, weil der Kreis der Personen, der durch die Richtlinie begünstigt werden soll, nicht hinreichend bestimmt sei. Die nähere Bestimmung der Einzelheiten der Unterrichtung und der Anhörung lägen gern. Art. 6 Abs. 3 der UVP-Richtlinie bei den Mitgliedstaaten. "Soweit in Art. 6 Abs. 2 von einer Unterrichtung der "Öffentlichkeit" bzw. ,.betroffenen Öffentlichkeit die Rede ist, ist kein bestimmter oder bestimmbarer Personenkreis umschrieben, der hiernach einen Anspruch auf Unterrichtung haben soll. Der Regelung ist nicht zu entnehmen, daß mit der ausdriicklich an die Mitgliedstaaten gerichteten Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit zugleich ein subjektives Recht jedes einzelnen Bürgers des Mitgliedstaats auf Unterrichtung über jedes umweltrelevante Vorhaben in diesem Staat einhergehen soll. Vielmehr werden die Einzelheiten dieser Unterrichtung und Anhörung, insbesondere der betroffene Personenkreis, der Ort der Information, die Art der Darstellung, die Fristen, nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten festgelegt."7o

Daraus folgert das Gericht, daß sich einzelne nicht darauf berufen könnten. Die Zielsetzungen der Bestimmungen der Richtlinie, wie die Harrnonisierung unterschiedlicher Rechtsvorschriften zum Abbau der ungleichen Wettbewerbsbedingungen, der Umweltschutz, die Verwirklichung einer bestimmten Lebensqualität und vor allem die Ausgestaltung als Verfahrensvorschriften, vermittelten keinen lndividualrechtsschutz. Der Bürger habe nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens, folglich könne er erst recht keinen Anspruch auf Durchführung eines Teilverfahrens - als solches wird die UVP von dem Gericht gesehen- haben. 71

Am 3. 9. 1993 präzisierte der VGH Mannheim in seinem Urteil über den Planfeststellungsbeschluß zum Neubau einer Bundesstraße72 seine Auffassung noch, indem er neben der Feststellung der fehlenden Bestimmtheit des von der UVP betroffenen Personenkreises in der UVP-Richtlinie noch darauf hinwies, daß die einzelnen Regelungen der Richtlinieangesichts ihres Gegenstands und der Komplexität der UVP nicht aus dem Gesamtzusarnrnenhang gelöst und gesondert angewendet werden könnten und sich somit auch die individualrechtliche Bedeutung einzelner Vorschriften eriibrige. 70 Genauso OVG Schleswig, Urt. v. 13. 6. 1995, NVwZ-RR 1996, 11 ff. OVG Schleswig, Urt. v. 19. 6. 1996, Az. M 26/96, (hier lehnte das Gericht die Betroffenheit eines Naturschutzverbandes ab, da diese in der UVP-Richtlinie überhaupt nicht erwähnt würden.); BVerwG, 8. 6. 1995, BVerwGE 98, 339; BVerwG, 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. (In dem Fall geht es vor allem um die Vereinbarkeil des § 2 Abs. 2 VerkPBG mit Art. 6 Abs. 2 UVPRL). 7l Eine Revision wurde mit Beschluß des BVerwG v. 12. l. 1994, Buchholz 407.4, § 19 FStrG Nr. 6, abgelehnt. n VGH Mannheim, NuR 1994,234 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

Das Gericht führt weiter aus, daß es sich bei der UVP um einen unselbständigen Teil des Planfeststellungsverfahrens handele, auf dessen Durchführung der Bürger keinen Anspruch habe. 73 Selbst wenn unterstellt werde, daß eine UVP nach der UVP-Richtlinie geboten gewesen wäre, käme eine Aufhebung des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses gern. § 46 LVwVfG nicht in Betracht, da nichts für die konkrete Möglichkeit spreche, daß die Entscheidung ohne diesen Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre. 74 Damit nimmt das Gericht bezug auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG zur Kausalität von Verfahrensmangel und Entscheidungsergebnis.75 In dem betreffenden Fall wird von dem Gericht jedoch ein derartiger Kausalzusammenhang zwischen UVP-Mangel und Entscheidungsergebnis ausgeschlossen. Auch das OVG Lüneburg lehnte in seinem Urteil vom 20. 10. 199376 zu einem angefochtenen Planfeststellungsbeschluß für eine Bundesfernstraße die Möglichkeit einer den einzelnen begünstigenden materiellen oder verfahrensrechtlichen Rechtsposition aus der UVP-Richtlinie ab. Das Gericht begründete dies ebenfalls mit der Beurteilung der Richtlinie als Verfahrensregelung zur Erfassung und Abschätzung der Auswirkungen auf die Umwelt. Eine verfahrensrechtliche Gewährleistung aus der UVP-Richtlinie verneinte das Gericht aus den gleichen Gründen wie der VGH Mannheim. Das BVerwG lehnte mit Beschluß vom 23. 2. 199477 die Zulässigkeit einer Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO gegen die Entscheidung des VGH Mannheim vom 3. 9. 1993 aus denselben Gründen ab. Insbesondere hätte im betreffenden Fall der Beschwerdeführer keine Anhaltspunkte dafür liefern können, daß "ein bisher unberücksichtigt gebliebener Gesichtspunkt geeignet gewesen wäre, die Entscheidung zu beeinflussen." Das Gericht sah sich auch nicht veranlaßt, seine Kausalitätsrechtsprechung zu korrigieren, vielmehr bestätigte es diese erneut. "Der Senat hat wiederholt bekräftigt, daß die Nichteinhaltung von Verfahrensbestimmungen für sich genommen nicht zur Authebung eines Planfeststellungsbeschlusses führt. Hinzukommen muß vielmehr, daß sich der formelle Mangel auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben kann. Der danach erforderliche Kausalzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte."

73 So auch schon im Urt. des VGH Mannheim v. 11. 6. 1993, UPR 1994, 189; nachfolgend VGH Mannheim, 22. 3. 1995, NVwZ 1996,304 ff.; BverwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. 74 VGH Mannheim, NuR 1994,234, 236; siehe auch nachfolgend VGH Mannheim, Urt. v. 22. 3. 1995, NVwZ 1996, 304 ff. 75 BVerwGE, 69, 256, 269; 75, 214 ff. 76 VGH Lüneburg, DVBI. 1994, 770 ff. 77 BVerwG, NuR 1994,290 ff.; NVwZ 1194,688 ff.

li. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Das BVerwG wies auch die Revision gegen eine straßenrechtliche Planfeststellung78 vom 22. 6. 199379 als unzulässig ab, in dem sich die Beschwerde auf die allgemeine Annahme stützte, daß sich die Planfeststellungsbehörde möglicherweise bei gebotener Anwendung der UVP-RL für eine andere Trasse entschieden hätte. Das Gericht hielt die Frage, ob die UVP-Richtlinie (oder Teile davon) nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalte und deshalb die Durchführung der UVP geboten gewesen wäre, zwar für klärungsbedürftig und von grundsätzlicher Bedeutung, lehnte aber die Revision im betreffenden Verfahren wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeil ab, da hier eben nicht die konkrete Möglichkeit bestanden hätte, daß die Entscheidung mit einer durchgeführten UVP anders ausgefallen wäre. 80 Ebenso und mit der gleichen Begründung entschied das BVerwG in seinem Beschluß vom 12. 1. 199481 zu einem Planfeststellungsbeschluß betreffend die Verlegung einer Bundesstraße. Zu der sich möglicherweise aus der UVP-RL ergebenden kausalitätsunabhängigen Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, privaten Dritten bei Verletzung von Verfahrensanforderungen der UVP eine weitergehende Klagemöglichkeit als im nationalen Recht zu eröffnen, äußerte das BVerwG in seinem Urteil vom 18. 5. 199582 zu einem Planfeststellungsbeschluß eines Neubauabschnittes für eine Bundesstraße, daß die Versagung einer kausalitätsunabhängigen Klagemöglichkeit die gerichtliche Durchsetzbarkeil von Verfahrensanforderungen der UVP-Richtlinie vor deutschen Gerichten entsprechenden nationalen Verfahrensanforderungen gleichstelle. Insofern nahm das Gericht zu dem Diskriminierungsverbot des EuGH Stellung. Das Gericht bemerkte zur Frage der möglichen Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der UVP-Richtlinie, daß die Geltendmachung von Verstößen gegen die UVP-Richtlinie nicht übermäßig erschwert würde, da bei möglichen Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten in bezug auf Umweltauswirkungen infolge des Verfahrensverstoßes die Berufung des enteignend Betroffenen darauf Erfolg habe. Mehr würde das EG-Recht nicht fordern. 83 Das BVerwG hat in seiner vielbeachteten 84 Entscheidung vom 25. 1. 199685 zu der Planfeststellung eines Autobahnabschnitts die Auffassung des EuGH in dem Urteil zum Fall Großkrotzenburg vom 11. 8. 199586 aufgenommen, in dem das GeVorhergehend VGHMannheim, 7. 8. 1992, UPR 1993, 190. BVerwG, 4. Senat, 4 B 257/92. 80 Auch der Beschluß des BVerwG über die Revision des Urt. des VGH Mannheim v. 9. 3. 1993 v. 23. 2. 1994, NVwZ 1994,688 ff. enthält keine andere Begründung. 81 BVerwG, 4 B 163/93, Buchholz 407.4 § 19 FStrG Nr. 6. 82 BVerwG, DVBI. 1994, 1013 ff. 83 BVerwG, DVBI. 1994, 1013, 1017. Siehe auch BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. 84 Hien, NVwZ 1997,425 ff.; Erbguth, NuR 1997, 261 ff. 85 BVerwG, DVBl. 1996,677,678. 78

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D. Die UVP in Deutschland

riebt unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil feststellte, daß im Zusammenhang mit der Pflicht der Behörden, bestimmte Projekte einer UVP zu unterziehen, die Herleitung subjektiver Rechte des Einzelnen aus diesen Bestimmungen keine Rolle spiele. Das BVerwG hat jedoch "kaum Anhaltspunkte" für die Normierung subjektiver Rechte durch die UVP-Richtlinie festgestellt. Nach seiner Auffassung hat das Umweltrecht durch die UVP-Richtlinie keine materielle Anreicherung erfahren. Sie enthalte keine Maßstäbe dafür, welcher Rang den Umweltbelangen im Rahmen der Zulassungsentscheidung zukäme. Außerdem ging das BVerwG davon aus, daß sich aus der gemeinschaftsrechtlich begründeten Verpflichtung, eine UVP durchzuführen, keine selbständige Verfahrensposition herleiten ließe. Das Gericht nahm dabei an, daß das Gemeinschaftsrecht den Bestimmungen der UVP-Richtlinie keinen individualrechtlichen Gehalt beimesse mit Ausnahme von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie, wonach Sorge dafür zu tragen sei, daß der "betroffenen" Öffentlichkeit Gelegenheit gegeben werde, sich vor der Durchführung des Projekts zu äußern. Hier "legt die UVP-Richtlinie zugunsten eines bestimmbaren Personenkreises Rechte fest, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können."87 Allerdings kann sich dieses Recht nur auf die Beteiligung am Verfahren und nicht gegen die Entscheidung in der Sache richten. 88 Ferner ergeben sich nach Auffassung des BVerwG gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die unmittelbare Anwendung einer nicht vollständig umgesetzten Richtlinie zu Lasten Privater89. Damit nimmt das BVerwG Bezug auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, die die unmittelbare Begründung von Pflichten Privater durch eine Richtlinie ausschließt. 90 Gerade die Durchführung der UVP basiert auf der Begründung von Handlungspflichten, wie z.B die Mitwirkungspflichten des Anlagenbetreibers. Das BVerwG stellte in diesem Urteil auch allgemeine Überlegungen zu der Vereinbarkeit seiner Kausalitätsrechtsprechung bei Verfahrensfehlern mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit dem Effektivitätsgrundsatz an und bezog sich auf die in dem Johnston-Urteil des EuGH9 1 aufgestellten Grundsätze zur Rechtsschutzgewährleistung. Danach handeln die Mitgliedstaaten nach Auffassung des BVerwG bereits dann gemeinschaftsrechtskonform, wenn sie die Voraussetzungen der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts den Voraussetzungen der Durchsetzung des nationalen Rechts gleichstellten.

Vgl. B. II. 3. b). BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996,4 C 5.94, DVBI. 1996,677,678. 88 BVerwG, Urt. v. 17. 02. 1997, NuR 1998,305 ff. 89 Im betreffenden Fall wäre die Anlagenbetreiberin die "belastete" Private des Anspruchs auf Durchführung der UVP. 90 Vgl. B. II. 3. c). 91 Vgl. B. (Fn. 72). 86 87

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Daß die Kausalitätsrechtsprechung möglicherweise diese Grenze überschreiten könnte, wird schließlich von dem BVerwG verneint: "Durch das nationale Prozeßrecht dürfen freilich nicht so hohe Hürden aufgerichtet werden, daß die Ausübung eines in der Gemeinschaftsrechtsordnung vorgesehenen Rechts hieran praktisch scheitert (vgl. EuGH Slg. 1988, 1799). Abgesehen hiervon muß jedenfalls in den Fällen, in denen gemeinschaftrechtliche Regelungen dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen, den Betroffenen die Möglichkeit offenstehen, die Einhaltung des EGRechts gerichtlich überprüfen zu lassen (Vgl. EuGH 1991, 2567, 2608 ... ). Keiner dieser Gesichtspunkte nötigt dazu, den Kläger allein wegen des Unterlassens einer förmlichen UVP Rechtsschutz zu gewähren. Die Praxis, Verfahrensfehler nur dann als erheblich anzuerkennen, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Sachentscheidung ohne sie anders ausgefallen wäre, schränkt den Rechtsschutz nicht so weitgehend ein, daß das Effizienzgebot nicht mehr angernessen zum Tragen käme. Haben Verstöße gegen die UVPRichtlinie Ermittlungs- oder Bewertungsdefizite zur Folge, so kann sich hieraus unter den in § 17 Abs. 6 lit.c genannten Voraussetzungen ein Aufhebungsanspruch ergeben." 92

cc) Zusammenfassung Der EuGH hat die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen der Artikel 2, 3 und 8 der UVP-Richtlinie festgestellt, die Frage der daraus möglicherweise resultierenden Rechte des einzelnen auf die Durchführung einer UVP jedoch weder bejaht noch verneint. Insofern bleibt noch abzuwarten, welche Position die Europäische Gemeinschaft hinsichtlich der UVP-Vorschriften vertreten wird. Die deutschen Verwaltungsgerichte lehnen einmütig, wenn auch mit teilweise unterschiedlichen Begründungen, ein Recht des einzelnen auf Durchführung einer UVP aus der UVP-Richtlinie ab. Dabei fällt auf, daß sich die Gerichte bei der Beurteilung der Richtlinie und den möglicherweise daraus erwachsenden Rechten für den einzelnen ausschließlich an den Kriterien der Schutznormtheorie orientieren, ohne die gemeinschaftsrechtliche Konzeption der subjektiven Rechte des einzelnen zu berücksichtigen. Die UVP - Richtlinie enthält nach Auffassung der Gerichte von ihrem sachlichen Regelungsgehalt sowie von ihrem Adressatenkreis her keine Rechte, auf deren Verletzung sich der Bürger berufen könnte, da die Vorschriften der Richtlinie im Hinblick auf die Stellung Dritter nicht hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt seien. Dritte können also grundsätzlich keine Rechtsverletzung aufgrund einer fehlenden oder fehlerhaften UVP aus der Richtlinie geltend machen, da die Verminderung ungleicher Wettbewerbsbedingungen, der Schutz von Umweltinteressen sowie einer bestimmten Lebensqualität nicht dem unmittelbaren Schutz des einzelnen dienten. Die UVP ist nach Auffassung der Rechtsprechung in erster Linie ein Instrument zur Informationsbeschaffung für die Auswirkungen eines Vorha92 BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBI. 1996, 677, 678. Vgl. auch BVerwG 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. Urt. v. 19. 5. 1998, UPR 1998, 388.

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D. Die UVP in Deutschland

bens über die Umwelt. Der Vorsorge kommt aber in der Regel nach der Rechtsprechung keine drittschützende Wirkung zu. Lediglich in Art. 6 Abs. 2 UVP-Richtlinie wird durch das BVerwG ein einklagbares Recht des einzelnen Betroffenen auf Anhörung gesehen. Insofern können sich Dritte vor den Gerichten zumindest als Teil der "betroffenen Öffentlichkeit" auf ihr Recht auf Anhörung vor den Verwaltungsgerichten berufen. Das BVerwG setzte sich in seinen Urteilen vom 18. 5. 1995 und 25. I. 1996 ausnahmsweise auch mit der Frage auseinander, ob das Gemeinschaftsrecht Klagemöglichkeiten des einzelnen aus der UVP-Richtlinie, wie z. B. die Klage auf Durchführung einer UVP fordert, auch wenn dies nach den Voraussetzungen des nationalen Rechts nicht zulässig wäre. Dabei bezieht sich das Gericht auf das vom EuGH entwickelte Diskriminierungs- und Vereitelungsverbot. Das Gericht formuliert die Auffassung, daß das nationale Erfordernis der Kausalität von Verfahrensfehler und Entscheidungsergebnis die Geltendmachung von UVP-Verfahrensfehlern nicht übermäßig erschwere, da der enteignend Betroffene sich bei Ermittlungs- oder Bewertungsdefiziten hinsichtlich der Umweltauswirkungen erfolgreich auf den Fehler berufen könne. Dritte, die nicht enteignend betroffen sind, aber trotzdem als Nachbarn eines UVP-pflichtigen Projekts betroffen sind, können sich bis auf Art. 6 Abs. 2 UVP-Richtlinie nicht auf die UVP-Richtlinie berufen. Die Klage wegen Verletzung der UVP-rechtlichen Beteiligungsvorschriften kann sich jedoch nur auf die Beteiligung am Verfahren und nicht gegen die Entscheidung in der Sache richten. Eine weitere Ausnahme des Erfordernisses der individuellen Betroffenheit eines subjektiv-öffentlichen Rechts bildet die Möglichkeit der Klage von anerkannten Naturschutzverbänden gegen ein Vorhaben in manchen Naturschutzgesetzen der Länder.

b) Klagebefugnis: aus dem UVPG An dieser Stelle sollen die Ansichten der Verwaltungsgerichte zu den Rechtsschutzmöglichkeiten Drittbetroffener nach dem UVPG dargestellt werden. 93

aa) Selbständige Klagebefugnis Dritter aus dem UVPG? Nach einhelliger Auffassung der Gerichte kommt den Normen des UVPG keine eigenständige drittschützende Wirkung zu, da die UVP als ein im Verfahrensrecht angesiedeltes Vorsorgeinstrument dem Schutz der Umwelt, also Allgemeininteressen, dient. Das UVPG verleiht also keine selbständige Klagebefugnis, weder aus materiellem Recht noch aus der Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen. 93 Auf eine Darstellung der Klagebefugnis des Vorhabenträgers wird verzichtet, da diese nahezu unproblematisch ist. Vgl. dazu Beckmann, NVwZ 1991,427 ff.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Schon 1991 machte das BVerwG seine Auffassung zu der Rechtsposition bzw. der nicht vorhandenen Rechtsposition Dritter nach dem UVPG deutlich: "Gleichgültig, ob das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung dem Schutz der Umwelt als solcher oder auch dem Schutz des einzelnen dient, hat das Gesetz Dritten nicht die Vertretung der Ziele des Umweltschutzes und der übrigen im Gesetz genannten Gegenstände und Werte "in besonderer Weise" anvertraut."94

Auch der VGH München stellte in seinem Urteil vom 26. 1. 1993 95 ohne nähere Begrundung fest, daß die Vorschriften des UVPG im Fall eines Verstoßes keine Klagebefugnis gewähren, würde doch damit eine dem deutschen Verwaltungsgerichtsverfahren fremde Popularklage eröffnet. "Sie gewähren nach ihrem Sinn und ihrer Zielsetzung aber auch keine selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition, deren Verletzung ein in einem materiellen Recht i.S. von§ 42 Abs. 2 VwGO nicht Betroffener geltend machen könnte." 96

Schon im Zusammenhang mit der möglichen Unmittelbarkeit der UVP-Richtlinie wurde von dem VGH Mannheim in seinen Urteilen vom. 11. 6. 199397 und 3. 9. 199398 in Anlehnung an die Auffassung des BVerwG99 zu Folgen von Verfahrensfehlern formuliert, daß es sich bei den UVP-Vorschriften um reine Verfahrensbestimmungen bezüglich eines unselbständigen Teiles der Genehmigungs- und Zulassungsverfahren handele, deren Nichtbeachtung der Bürger ebensowenig gerichtlich geltend machen könnte, wie er die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens insgesamt nicht erstreiten könnte. 100 Insofern werden in der Rechtsprechung UVP-Vorschriften wie gewöhnliche Verfahrensvorschriften behandelt, die - wie die Verfahrensvorschriften anderer Fachgesetze - nach ständiger Rechtssprechungspraxis Betroffenen keine selbständige Rechtsposition bei einer Verletzung verleihen. Vielmehr muß sich die drittschützende Verfahrensbestimmung auch auf die materielle Entscheidung ausgewirkt haben können. 101 Eine drittschützende Wirkung wird den UVP-Verfahrensvorschriften jedoch in der Rechtsprechung nicht zuerkannt, da die UVP als Instrument der Vorsorge gegen Umweltschädigungen dem einzelnen nicht die Vertretung der Umweltschutzziele anvertraut habe. 102 BVerwG, NVwZ 1991, 162, 165. VGH München, NVwZ 1993,906. 96 So auch in der Entscheidung v. 19. 10. 1993, NuR 1993, 244; Urt. v. 20. 7. 1994, BayVBl. 1995,497, 499; ebenso das OVG Saarland, Urt. v. 29. 4. 1997,2 M 1/96. 97 Siehe Fn. 69. 98 Siehe Fn. 72. 99 Siehe auch späteres Urt. des BVerwG v. 8. 6. 1995, BVerwGE 98, 341 ff. mit Verweisungen auf früherere BVerwG-Entscheidungen. 10o Vgl. nachfolgend VGH Mannheim, 22. 3. 1995, NVwZ 1996, 304 ff.; Urt. des BVerwG, 23. 2. 1994, DVBl. 1994,763. 101 Siehe auch in der Literatur: Dohle, NVwZ 1989, 697, 705; Weber!Hellmann, NJW 1990, 1625, 1632. 94

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7 Prelle

D. Die UVP in Deutschland

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bb) Abwehranspruch des enteignend Betroffenen Unselbständige Klagebefugnis aus dem UVPG? Seit der Mühlheim-Kärlich-Entscheidung des BVerfG 103 ist anerkannt, daß die Verletzung von Verfahrensrechten die Beeinträchtigung materieller Rechtspositionen zur Folge haben kann. Auch das BVerwG hat eine drittschützende Wirkung von Verfahrensbestimmungen dann anerkannt, wenn sich der Verfahrensfehler möglicherweise auf die materiell-rechtliche Position des Betroffenen ausgewirkt hat. So soll sich nach der Rechtsprechung des BVerwG und der Instanzgerichte der enteignend bzw. durch enteignende Vorwirkung Betroffene (§ 19 FStrG) auf die Verletzung von Verfahrensbestimmungen des UVPG berufen können. 104 Grundsätzlich kann sich dieses Recht eines Dritten auf gerechte Abwägung bei komplexen Entscheidungen wie Planfeststellungen nur auf die gerechte Gewichtung seiner eigenen Belange mit den übrigen Belangen beziehen. Das BVerwG hat diesen Grundsatz weiterentwickelt und entschieden, daß für den Fall, daß unmittelbar in Eigentum enteignend eingegriffen wird, eine Berufung des Betroffenen auch auf fremde Belange möglich ist, denn nur eine in jeder Hinsicht rechtmäßig durchgeführte Enteignung sei zulässig. 105 Dies solle auch für die Verletzung von Verfahrensbestimmungen gelten. 106 Die Klagebefugnis des unmittelbar enteignend Betroffenen ist also nicht nur auf die Möglichkeit der Rechtsverletzung eines eigenen Rechts beschränkt, sondern er kann darüber hinaus objektive Rechtsmängel bezüglich des Natur- und Landschaftsschutzes 107 , insbesondere auch die Verletzung von Verfahrensbestimmungen der UVP geltend machen, allerdings nur mit der Einschränkung, daß sich der formelle Mangel möglicherweise auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben können muß. 108 Daß sich mit dieser Rechtsprechung m. E. zumindest in der Begriindetheit einer Klage eine Aufweichung der Schutznormtheorie vollzogen hat, ist nicht zu bestreiten. So entschied das OVG Koblenz 109 in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG, daß der durch einen Planfeststellungsbeschluß enteignend betroffene Kläger sich auf eine Verletzung von Verfahrensbestimmungen über die Priifung BVerwG, Urt. v. 8. 6. 1995, BVerwGE 98, 339, 341. BVerfGE 53, 30 ff. 104 Erbguth/Schink, UVPG, 1996, Ein!., Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, vgl. auch BVerwGE 67, 74, 77; für andere Fachplanungsbereiche, vgl. BVerwGE 72, 15, 25 f. BVerwGE 74, 109, 110; vgl. auch Kühling, Fachplanungsrecht... , Rn. 399 ff. 105 BVerwGE 67, 74, 76; 72, 15; BVerwG, NVwZ 1996, 1012; allgemein Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren... , S. 374 ff. 106 OVG Koblenz, ZUR 1995, 147, 149 f. 107 Vgl. Bender I Sparwasser I Engel, Umweltrecht, S. 108, Rn. 123. 108 BVerwG, NVwZ 1996, 1011, 1012; NVwZ-RR 1996, 253. 109 OVG Koblenz, ZUR 1995, 147, 149 f. 102 103

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der Umweltverträglichkeit berufen kann, die sich unmittelbar nur an die Behörden wenden. Aus der Rechtsstellung des enteignend Betroffenen folge, daß dieser "nicht nur die fehlerhafte Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes, sondern auch die Verletzung an sich nicht drittschützender Verfahrensrechte geltend machen können, wobei allerdings Auswirkungen des Verfahrensfehlers auf das Entscheidungsergebnis möglich sein müßten". Insofern nimmt auch hier das Gericht bezug auf die traditionelle Rechtsprechung des BVerwG zu dem Zusammenhang zwischen Verfahrensfehler und materieller Rechtsposition. Bereits der VGH München konstatierte 110 in seinem Urteil, daß die Nichtbeachtung der Vorschriften über die Umweltverträglichkeit nicht zwangsläufig zu einer Rechtsverletzung führe. 111 "Soweit die Kläger der Ansicht sein sollten, ihr Recht auf "gesetzmäßige Enteignung" sei bereits deshalb verletzt, weil die Urnweltverträglichkeitspriifung betreffende Verfahrensvorschriften verletzt seien, bleibt ihnen der Erfolg jedenfalls deshalb versagt, weil der angefochtene Planfeststellungsbeschluß auf möglichen Verfahrensfehlern nicht beruht." 112

Das BVerwG hat schon im Rahmen der Erörterung der Rechte einzelner aus der UVP-Richtlinie mit Beschluß vom 22. 6. 1993 seine traditionelle Kausalitätsrechtsprechung zu fehlerhaften Verfahrensbestimmungen herangezogen und die Nichtdurchführung der möglicherweise nach der Richtlinie gebotenen UVP deshalb verneint, weil der dann vorhandene Verfahrensmangel sich nicht auf die Entscheidung, den Planfeststellungsbeschluß, ausgewirkt habe. Diese frühe Gleichsetzung der UVP-Vorschriften mit gewöhnlichen Verfahrensvorschriften durch das BVerwG ist Ausgangsbasis aller bundesverwaltungsgerichtlichen Überprüfungen der UVP-VerfahrensmängeL 113 So faßte das BVerwG in seinem Urteil vom 25. 1. 1996 zusammen: "Aus der gemeinschaftsrechtlich begriindeten Verpflichtung, eine UVP durchzuführen, läßt sich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition herleiten. Das BVerwG hat bisher Verfahrenspositionen, die unabhängig von der Möglichkeit einer konkreten rnateriellrechtlichen Betroffenheit geschützt sind, vorn Atomrecht abgesehen (vgl. Urteil vorn 9. 3. 1990-7 C 23.89- BVerwGE 85, 54= DVBI. 1990, 593), weder im Fachplanungsnoch im sonstigen Zulassungsrecht anerkannt (vgl. Urteil vorn 29. 5. 1981-4 C 97.77 -, BVerwGE 62, 243; vorn 15. 1. 1982-4 C 26.78 -, BVerwGE 63, 325 ... ) Diese Linie hat der Senat erst kürzlich auch im Hinblick auf die UVP ausdriicklich bestätigt (vgl. Urteil vorn 8. 6. 1995 114 -4 C 4.94 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 102). Hiervon abzuweiVGH München, NuR 1993, 285 ff. Die Revision gegen die Entscheidung wurde von dem BVerwG mit Beschluß v. 24. 6. 1993 nicht zugelassen, vgl. BVerwG, 4. Senat, 4 B 114/93, VkBI. 1995,210. 112 So auch der VGH Mannheirn, NVwZ 1996, 304, 305; VBlBW 1996, 265, 266. 113 BVerwGE 69, 256; BVerwG, DVBI. 1994, 763 ff.; BVerwG, NuR 1995, 538, 542; vgl. Hien, NVwZ 1997,422,423. 114 "An dem Kausalitätserfordernis für die Annahme einer Rechtsverletzung kann auch der Aspekt nichts ändern, daß das UVPG besondere verfahrensrechtlichen Anforderungen an 110 111

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chen besteht kein Anlaß. Insoweit ist ein Verstoß gegen UVP-Vorschriften entscheidungserheblich nur dann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Dies hat der Senat inzwischen mehrfach bekräftigt. . ." 115

Auch der VGH Mannheim vertritt konsequent diese Linie 116; er befaßte sich allerdings auch mit der Frage, ob die Neufassung des § 17 Abs. 6 c FStrG an dem Kausalitätserfordernis etwas geändert hat. Das Gericht kam aber zu dem Ergebnis, daß diese Vorschrift nur die Ansätze der Rechtsprechung kodifiziert. 117 Sind sich die Verwaltungsgerichte insofern einig, daß sie eine enge Verknüpfung der UVP-Verfahrensvorschriften mit der materiellen Zulassungsentscheidung, dem Planfeststellungsbeschluß sehen, so divergieren ihre Ansichten jedoch bezüglich der Frage, wann ein UVP-Verfahrensfehler entscheidungserheblich für das Abwägungsergebnis der Planfeststellung ist, so daß eine Rechtsverletzung des Klägers vorliegt. Wahrend das BVerwG die konkrete Möglichkeit der Kausalität des tatsächlichen UVP-Mangels auf das Ergebnis der fachlichen Zulassungsentscheidung fordert, lassen einige Instanzgerichte wie das OVG Koblenz und der VGH München die bloße Möglichkeit eines UVP-Verfahrensmangels genügen. Dies soll jedoch erst eingehend im Rahmen des Kapitels über die gerichtliche Kontrolldichte 118 hinsichtlich der UVP erörtert werden. Allerdings hat die Frage schon hier für die Substantiierungslast des Klägers Bedeutung. Das BVerwG hat sich mit dem vom Kläger vorzutragenden Inhalt der Rechtsverletzung und der gedie Ermittlung, Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens stellt. Diese Anforderungen zu erfüllen, ist nicht Selbstzweck, sondern dient der besseren Durchsetzung von Umweltbelangen. Auch soweit ein enteignend Betroffener sich diese Belange zur Verteidigung seines Eigentums zunutze machen kann, kann das seine Rechtsposition nicht verbessern, wenn sein Eigentum auch bei Wahrung besagter Verfahrenserfordernisse in Anspruch genommen worden wäre. Selbst im Atomrecht, in dem die ordnungsgemäße Verfahrensdurchführung in besonderer Weise grundrechtsgewährleistende Funktion hat, muß der Kläger zur Begründung einer Rechtsverletzung geltend machen, "daß sich der von ihm gerügte Verfahrensfehler auf seine materiellrechtliche Position ausgewirkt haben könnte." us BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBI. 1996, 677, 681. l16 VGH Mannheim, Urt. v. 14. 9 . 1995, VGH Rechtsprechungsdienst 1995, Beilage 12, B8; VGH Mannheim, Urt. v. 22. 3. 1995, NVwZ 1996, 304 ff. ll7 Der VGH Mannheim ergänzt diese Ausführungen in seinem Urt. v. 17. 11. 1995, VBIBW 1996, 265 ff.: "Verstöße gegen die in§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 UVPG normierte Verpflichtung die Auswirkungen eines Vorhabens auf den Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen sowie auf Kultur- und Sachgüter zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten, nicht aus sich heraus schon als Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte enteignend betroffener Kläger zu qualifizieren sind. Jedoch können Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung als Mängel der Abwägungsentscheidung ,durchschlagen'. Unverzichtbar ist allerdings, daß sie offensichtlich und von Einfluß auf das Abwägungsergebnis sind(§ 17 Abs. 6 c 1 FStrG), um als Rechtsverletzung enteignend betroffener Kläger zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses führen zu können." us Vgl. D. II. 2.

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genteiligen Auffassung des VGH München und des OVG Koblenz auseinandergesetzt Für die Klagebefugnis des enteignend Betroffenen hinsichtlich vorliegender UVP-Fehler genügt nach seiner Auffassung nicht allein die substantiierte Behauptung, daß ein UVP-Verfahrensmangel vorgelegen hat. Der Kläger müsse vielmehr bisher unberücksichtigt gebliebene Gründe für die konkrete "offensichtliche" Möglichkeit nach § 17 Abs. 6 c FStrG aufzeigen, daß der Mangel kausal für das Abwägungsergebnis gewesen sei und die Planfeststellung bei Vorliegen des UVPVerfahrensschritts anders entschieden hätte. Auch ein enteignend Betroffener könne seine Rechtsposition bei fehlerhafter UVP nicht durchsetzen, wenn sein Eigentum auch bei Wahrung der UVP-Vorschriften in Anspruch genommen worden wäre. Gelegentlich in abstrakt-formelhafter Weise den Einfluß auf das Abwägungsergebnis zu postulieren, sei nicht ausreichend. 119 ,,Einem Kläger, der die Unterlassung einer UVP rügt, wird aufgrund dieser Rechtsprechung nicht eine nur schwer erfüllbare Substantiierungslast aufgebürdet. Ihm wird nicht angesonnen, das Ergebnis der unterbliebenen UVP nachzuzeichnen. Mit seiner Klage hat er vielmehr schon dann Erfolg, wenn er plausibel darlegen kann, wieso die Entscheidung im Falle einer behördlichen UVP möglicherweise anders ausgefallen wäre." 120

Damit äußerte das BVerwG seine Auffassung zu dem Vorwurf, es würde zu einer völligen Überforderung der Kläger und der Gerichte kommen, "wenn im Rahmen eines Prozeßverfahrens sozusagen die UVP schriftsatzmäßig nachgeholt werden müßte." 121 Das Gericht begründete auch hier die Darlegungslast des Klägers mit dem Zweck der Informationserweiterung und der Verbesserung der Methodik der Bewertung der gesammelten Informationen durch die UVP. Der Kläger solle aufzeigen, daß die UVP unter diesen Aspekten unter einem Defizit leide, das sich auf die Entscheidung ausgewirkt haben könnte. In dem Beschluß vom 16. 8. 1995 stellte das BVerwG beispielsweise fest, daß das durch die Vorinstanz gerügte Fehlen der UVP für eine Vorhabenalternative schon deshalb nicht "offensichtlich" genannt werden könnte, weil es die Kläger im gesamten schriftlichen Vortrag nicht als Rechtsfehler angesprochen oder problematisiert hätten. Insofern hat das BVerwG klargestellt, daß sich die Gerichte nicht ohne Aufforderung auf Fehlersuche bei der Abwägung begeben müssen und dürfen, selbst dann nicht, wenn es sich aus der Aktenlage ergeben könnte. In einem anderen Urteil hat das BVerwG den Vorwurf eines Klägers, "die fragmentarischen Einzelelemente der Umweltverträglichkeitsprüfung seien methodisch nicht korrekt ermittelt, es fehle der umweltmedienübergreifende Ansatz", das eingeschlagene Verfahren leiste "dem sektoralen Fachplanungsdenken Vorschub" und die Planfeststellungsbehörde habe es ver-

119 In der Entscheidung v. 16. 3. 1993 äußerte der VGH München, daß die Kläger es versäumt hätten, Vorhabensauswirkungen zu benennen, die nahelegen könnten, daß die Entscheidungsgrundlagen der Planungsunterlagen anders hätten gewichten können. 12o BVerwG, DVBl. 1994,763 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 1996, 304 f. 121 Hier nimmt das BVerwG bezug auf den Inhalt der Revisionsbeschwerde, siehe BVerwG, 23. 2. 1994, DVBl. 1994,763.

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D. Die UVP in Deutschland

säumt, die "Nullvariante" zu prüfen und auch einer UVP zu unterziehen, als pauschaliert und unsubstantiiert abgelehnt. 122

c) Zusammenfassung Insgesamt läßt sich also feststellen, daß eine Anfechtungsklage Dritter gegen die fehlende oder unzureichende Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung aufgrund der strengen Praxis der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen möglich ist. Aus dem UVPG ergibt sich nach der Rechtsprechung für Dritte keine selbständige Rechtsposition weder materieller noch verfahrensrechtlicher Art. Eine selbständige - von einer konkreten Rechtsbeeinträchtigung unabhängige - Verfahrensposition vermittele das UVPG ebensowenig wie andere Fachgesetze. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung der UVP oder ein Anspruch auf Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses aufgrund einer fehlenden oder fehlerhaften UVP wird also verneint. Eine Verletzung des UVPG kann nach Ansicht der Rechtsprechungaufgrund des§ 46 VwVfG lediglich dann Folgen haben, wenn dadurch zugleich auch gegen materiell-rechtliche, dem Schutz des klagenden Dritten dienende Regelungen verstoßen wird. Der häufigste Anwendungsfall ist die Klagemöglichkeit des enteignend Betroffenen, dessen Klagebefugnis sich aus Art. 14 Abs. 3 GG ableitet. Er kann sich, da er nur eine in jeder Hinsicht rechtmäßige Enteignung hinnehmen muß, über die Geltendmachung subjektiver Rechte hinaus auch auf die Verletzung anderer Belange und auch auf Verletzungen von ihn nicht schützenden Verfahrensbestimmungen, also Bestimmungen des UVPG bei der Planfeststellung berufen und somit eine umfassende Kontrolle der UVP-Vorschriften veranlassen. Er kann behaupten, daß die Auswirkungen des jeweiligen Vorhabens auf die Umwelt nicht den Anforderungen der UVP-Vorschriften entsprechend ermittelt, beschrieben, bewertet und als Teil des Abwägungsvorgangs mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt wurden. Seine Klage hätte aber in diesem Punkte nach Ansicht des BVerwG nur dann auch Erfolg, wenn der UVP-Verfahrensfehler möglicherweise zu einem fehlerhaften Ergebnis in der Abwägung hätte führen können. Voraussetzung seiner Klagebefugnis ist also, daß er plausibel geltend machen kann, durch die fehlerhafte oder fehlende UVP in seinem Recht auf gerechte Abwägung verletzt zu sein, weil diese Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis in der Abwägungsentscheidung der Planfeststellung geführt haben. Die Darlegungslast liegt also beim Kläger. Er muß Anhaltspunkte liefern und deutlich machen, daß die behördliche Entscheidung im Falle einer korrekten UVP möglicherweise anders hätte ausfallen können. 123 Es genügt nach Ansicht des BVerwG nicht, wenn der Kläger beispielsweise geltend macht, daß bei einer Planfeststellung nicht 122 123

BVerwG, 20. 5. 1999, UPR 1999, 355 f. BVerwG, Beschluß v. 23. 2. 1994, DVBl. 1994,763.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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die Auswirkungen der Straße auf die Pflanze X untersucht worden sind, wenn es objektiv keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Beachtung der Pflanze X sich auf die Entscheidung ausgewirkt haben könnte. Er kann auch nicht seine Rechtsposition verbessern, wenn sein Eigentum auch bei Wahrung der UVP-Vorschriften in Anspruch genommen worden wäre.

2. Verfahren und gerichtliche Kontrolldichte

Bevor auf den Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle bezüglich der Einhaltung der UVP-Vorschriften eingegangen wird, soll ein kurzer Blick auf die Konzeptionen des Verwaltungsverfahrens und der inhaltlichen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte in Deutschland geworfen werden.

a) Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens in Deutschland

Das Verwaltungsverfahren 124 zeichnet sich in Deutschland vor allem durch seine dienende Funktion aus. 125 Es wird in der Literatur auch von der Rolle des Verfahrens als "Verwirklichungsmodus des Verwaltungsrechts" gesprochen. 126 Das BVerwG äußerte in einem Urteil vom 17. 2. 1997 bezeichnend, daß planungsrechtliche Verfahrensvorschriften keinen Selbstzweck hätten, sondern ihre Beachtung dazu diente, Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis inhaltlich zu begründen. 127 Die Dogmatik des deutschen Verwaltungsprozesses ist von der Ergebnisrichtigkeit der materiellen Sachentscheidung geprägt, d. h. dem Verfahrensrecht wird die Funktion zugesprochen, daß materielle Rechtsachrichtig abzuwickeln. 128 Die zeitweilige Tendenz in der deutschen Rechtsprechung Mitte der 70er Jahre, in Bereichen von Abwägungs- und Beurteilungsspielräumen der Einhaltung des Verfahrens einen höheren Stellenwert einzuräumen 129, hat sich trotz großer Zustimmung und konstruktiven Diskussionsbeiträgen in der Literatur 130 nicht durchsetzen 124 Gern. § 9 VwVfG ist Verwaltungsverfahren i.S. des Gesetzes die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines VA oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlaß des VA oder den Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrags mit ein. Vgl. auch Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 193 ff. 125 Vgl. Bonk, NVwZ 1997, 326; vgl. auch BVerfGE 53, 30, 65. 126 Wahl, VVDStRL 41 (1983), 153.; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren . .. , 30. 127 BVerwG, NuR 1988,305 ff. 128 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 1 Rn. 38. 129 BVerwGE 41,58 ff.; 44, 235 ff.; BVerfGE 53,30 ff. no Vgl. nur Hill. Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht; v. Danwitz, DVBI. 1993, 422 ff.; Ladeur, UPR 1985, 149 ff.; Grimm, NVwZ 1985, 865 ff.; Wahl, NVwZ 1991,417.

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D. Die UVP in Deutschland

können. 131 Vielmehr wurde das Verwaltungsverfahren in den letzten Jahren als Ursache für Investitionsrückgänge in Deutschland als Wirtschaftsstandort gesehen und daher durch Beschleunigungsgesetze zusätzlich geschwächt. 132 Im Vordergrund dieser verwaltungsrechtlichen Tradition steht daher die gerichtliche Kontrolle der materiellen Sachentscheidung. 133 Die Frage, ob Verfahrensund Formfehler vorliegen, wird gerichtlich auch geprüft, da das Verwaltungsverfahren aber nur gewährleisten soll, daß das bereits feststehende Ergebnis auch erreicht wurde, sind die Folgen eines Verstoßes gegen das vorgeschriebene Verfahren eingeschränkt. 134 Denn nur wenn das materielle Ergebnis falsch ist, kann auch eine materielle Rechtsverletzung des einzelnen vorliegen. Im Unterschied zur Verletzung materiellen Rechts führt ein Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift daher in der Regel nicht zur Aufhebung der betreffenden Verwaltungsentscheidung, es sei denn, es handelt sich um Verfahrensfehler mit der verschärften Folge der Nichtigkeit gern. § 44 Abs. 2 Nr. 1-3 VwVfG. 135 Entscheidendes Kriterium ist vielmehr die Beachtlichkeit dieses Verfahrensfehlers. Danach sind zum einen Verfahrensfehler unbeachtlich, die nach§ 45 Abs. 1 VwVfG nachträglich nachgebessert werden können (fehlender Antrag, fehlende Begründung, fehlende Mitwirkungshandlungen von Gremien und von Behörden); seit der 6. VwGO-Novelle 136 ist dies sogar gern. § 45 Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. 137 Zum anderen ist ein Verfahrens- und Formfehler gern. § 46 VwVfG unbeachtlich, wenn offensichtlich ist, daß dieser Verstoß die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat. Die Neufassung des § 46 VwVfG durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz vom 12. 9. 1996 138 macht den alten Streit, ob sich die Norm auch auf Ermessensentscheidungen bezieht, gegenstandslos, da die Frage der tatsächlichen und rechtlichen Alternativlosigkeit "wenn keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden könnte" nicht mehr beantwortet werden muß. 139 § 46 VwVfG bezieht sich heute sowohl auf gebundene Entscheidungen 13 1 Vgl. Hufen, JuS 1999, 313, 314; vgl. Geist-Schell, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, S. 68. 132 Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und andere Gesetze, (6. VwGOÄndG) vom 1. 11. 1996, BGBI. I, 1629. Vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 5 ff. Vgl. im folgenden. 133 v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System... , S. 71 ; Classen, DV 1998, 307 ff.; Kokott, DV 1998, 335. 134 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 1 Rn. 38. 135 Vgl. Storost, NVwZ 1998, 797, 799. 136 Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und andere Gesetze, (6. VwGOÄndG) vom 1. 11. 1996, BGBI. I, 1629; vgl. Stüer, DVBI. 1997,326 ff.; Sodan, DVBI. 1999,729 ff.; Bonk, NVwZ 1997, 320 ff. 137 Vgl. Hatje, DÖV 1997,477. 138 BGBI. I, 1996, 1354. 139 Vgl. Nachw. bei Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 625 ff.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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wie Ennessensentscheidungen. Allerdings hat sich nichts an der Problematik der (hypothetischen) Frage geändert, wann ein Verfahrensfehler faktisch die Entscheidung beeinflußt haben könnte und wann nicht. Für die Rechtsprechung ist die Unbeachtlichkeit von Verfahrensbestimmungen eher die Regel. 140 Das BVerwG hat aufgrundseiner Interpretation von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezüglich der Folgen von Verfahrensfehlern nach § 46 VwVfG die Kausalitätsprüfung entwickelt, nach der Fehler im Verwaltungsverfahren die Aufhebung eines Verwaltungsakts nur herbeiführen können, wenn die Entscheidung in der Sache konkret darauf beruhen kann, weil dann auch eine Rechtsverletzung des einzelnen möglich ist. 141 Die Wesentlichkeit des Verfahrensfehlers 142 beurteilt sich nach Auffassung des BVerwG also nicht aus der Bedeutung der Verfahrensvorschrift selbst, sondern nach den Auswirkungen für das materielle Ergebnis. 143 So führt ein fehlerhaftes Anhörungsverfahren bei einem Planfeststellungsbeschluß in der Regel eher nicht zur Aufhebung der Entscheidung. 144 Das BVerfG hat die Kausalitätspriifung der BVerwG auch gebilligt, selbst dann, wenn Grundrechte einzelner betroffen sind. 145 Auf dem Gebiet des Fachplanungsrechts 146 wurde in den letzten Jahren mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 19. 12. 1991 147, dem Planvereinfachungsgesetz vom 17. 12. 1993 148 und dem GenBeschlG die Bedeutung des Verfahrens weiterhin gemindert. Es wurden Fristverkürzungen im Beteiligungsverfahren, Präklusionsvorschriften und ergänzende Verwaltungsverfahren eingeführt und die Mitwirkungsrechte im Verfahren der Plangenehmigung reduziert. Der geänderte § 17 Abs. 6 lit. c FStrG 149 sieht beispielsweise vor, daß Mängel der Abwägung nur dann erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluß gewesen sind und eine Aufhebung der Planung aufgrund eines erheblichen Verfahrensfehlers nur erfolgen soll, wenn der Fehler nicht behebbar ist, d. h. nicht durch ergänzendes Verfahren oder Planergänzung geheilt werden kann. 150 Ein ofVgl. BVerwG, 19. 5. 1998, NVwZ 1998,961 ff. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonard, VwVfG, § 45 Rn. 139, 140. 142 Vgl. allg. zur Handhabung von Verfahrensfehlern im deutschen Verwaltungsrecht, Geist-Schell, Verfahrensfehler und Schutznormtheorie, S. 56 ff. Die frühere Rechtsprechung ging von der grundsätzlichen Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern aus, vgl. Nachw. bei Geist-Schell, S. 60 ff. 143 Zum Begriff der Wesentlichkeit, Bettermann, FS Ipsen, 288 ff., 293; vgl. auch Degenhart, DVBI. 1981, 201, 202. Vgl. zur unterschiedlichen Interpretation in der Rechtsprechung, Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonard, VwVfG, § 45 Rn. 133. 144 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Leonard, VwVfG, § 73 Rn. 62; Hellmann, Öffentlichkeitsbeteiligung... , 1992. 145 BVerfGE 84, 34, 55. 146 Vgl. Wahl/ Dreier, NVwZ 1999, 606 ff. 147 BGBI. I, 1991, 2174. 148 BGBI. I, 1993, 2123. 149 Vgl. auch§ 75 I a VwVfG. 150 Vgl. dazu auch Peschau, FS frir Kriele, 1213 ff. 140 141

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D. Die UVP in Deutschland

fensichtlicher Mangel ist nach der Rechtsprechung nur gegeben, wenn konkrete Umstände positiv und klar auf einen solchen Mangel hindeuten, wenn aufgrund konkreter Anzeichen alles dafür spricht, daß eine Möglichkeit übersehen worden ist. 151 Wann ein Fehler durch Planergänzung oder ergänzendes Verfahren geheilt werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. 152 Darauf wird u. a. auch im folgenden bezüglich der UVP-Rechtsprechung genauer einzugehen sein.

b) Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in Deutschland

aa) Der Grundsatz der vollständigen Tatbestandskontrolle Die gerichtliche Kontrolle wird von zwei Aspekten entscheidend bestimmt. Zum einen ist die gerichtliche Kontrolle eine Kontrolle am Maßstab des Rechts. 153 Insofern richtet sich die Kontrolle durch die Gerichte nach der Struktur der streitentscheidenden Normen. Zum anderen ist der Rechtsschutz immer am subjektiven Recht und seiner Verletzung orientiert (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so daß eine nur objektive Rechtskontrolle durch die Gerichte ausgeschlossen ist. 154 Das heißt nicht, daß der Schutz des einzelnen nicht auch eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle des Verwaltungshandeins bewirken soll. 155 Diese ist jedoch von zweitrangiger Bedeutung. Grundsätzlich sind alle Verwaltungshandlungen, die in Rechte des einzelnen eingreifen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gerichtlich voll nachprüfbar und auch nachzuprüfen. 156 Das Gericht ist deshalb nach der Rechtsprechung nicht an die von der Behörde getroffenen Feststellungen und Bewertungen gebunden. 157 Allerdings wurden in der Rechtsprechung und Literatur 158 jahrelang Umfang und Grenzen der gerichtlichen Kontrolle diskutiert. Bis heute hat sich keine eindeutige Dogmatik zu den Grundlagen und Grenzen der Verantwortung der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelt. Die Rechtsprechung hat einige Grenzen der gerichtlichen Kontrolle unter bestimmten engen Voraussetzungen akzeptiert. Dabei erwies sich die Rechtsprechung des BVerwG großzügiger als die des Vgl. auch BVerwGE 64,33 ff. Vgl. näher Peschau, FS für Kriele, 1213 ff. IS3 Vgl. Kurzdarstellung bei Schmidt-1\ßmann, DVBI. 1997,283. IS4 Vgl. Gerhardt, in: SchochiSchmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn. 11. ISS Krebs, in: FS für Menger, S. 191, 192 f. IS6 BVerfGE 15, 275, 282; 84, 34 (49, 50), wo der Beurteilungsspielraum nur für die prüfungsspezifischen Bewertungen, nicht für fachliche Fragen akzeptiert wird; vgl. auch BVerfGE 88,40ff. 1s1 BVerfGE49, 89, 136. ISB V gl. nur Bachof, JZ 1955, 97, 98; Wolff, in: Wolff I Bachof I Stober, VerwR I, § 31 I c 4; Bullinger, JZ 1984, 1001, 1009; Redeker, NVwZ 1996, 126, 129; Smeddinck, DÖV 1998, 370 ff. ISI

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II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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BVerfG, welches in mehreren Entscheidungen die Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolle durch das BVerwG mit Blick auf den Grundrechtsschutz der Betroffenen für verfassungswidrig erklärt hat. 159 Ein wichtiger Aspekt für Begrenzungen der gerichtliche Kontrolle in Deutschland ist die Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite und Ermessen auf der Rechtsfolgenseite. Ist der Verwaltung ein Ermessen in ihrem Handeln eingeräumt, dann kontrollieren die Gerichte nur die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzen des eigenverantwortlichen Handelns, die sich aus der Zielvorstellung der Norm ergeben. Die Zielsetzung der Norm muß durch Auslegung unter Beriicksichtigung der Grundrechte festgestellt werden, das Ermessen wird begrenzt durch die Zielsetzung, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Gleichheitssatz. Die Zielvorstellung der Norm wird verletzt bei Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung (§ 114 VwG0). 160 Die Verwaltung muß bei ihrer Entscheidung diese rechtlichen Bindungen beachten. Die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung wird aber nicht dadurch in Frage gestellt, daß das Gericht eine andere Entscheidung für sinnvoller oder zweckmäßiger hält. Die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung wird nicht von der gerichtlichen Kontrolle erlaßt. 161 Ausnahmsweise können die Gerichte das Ermessen der Behörde voll kontrollieren, wenn keine andere Entscheidung in dem betreffenden Fall möglich ist, sich die Wahlmöglichkeit der Behörde auf eine Alternative reduziert und somit eine Ermessensreduktion aufNull vorliegt. 162 Auf der Tatbestandsseite sind grundsätzlich nach ständiger Rechtsprechung alle unbestimmten Rechtsbegriffe gerichtlich voll überpriifbar.163 Eine Bindung der Gerichte an die festgestellten Tatsachen der Behörde ist nach h. M. nicht zulässig. Das Gericht hat den Sachverhalt selbst nachzuvollziehen, wenn die Tatsachenfeststellung von dem Kläger geriigt wird. Auch die Subsumtion dieser Tatsachen unter die unbestimmten Rechtsbegriffe müssen die Gerichte nach der Rechtsprechung selbst vornehmen. 164 Die Tatsachen müssen notfalls auch mit Hilfe von Sachverständigen ermittelt werden. 165 bb) Beurteilungsspielräume der Verwaltung Allerdings ist einschränkend in der Rechtsprechung die Tendenz erkennbar, ausnahmsweise sog. Beurteilungsspielräume der Verwaltung bei der Tatsachenbewer159 BVerfGE 83, 130; 84, 34; vgl. auch Sendler; in: Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz... , S. 246; Sieckmann, DVBl. 1997, 101 ff. 160 Maurer; Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 1 ff. 161 162

Maurer; Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 18. Maurer; Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 24.

163

BVerfGE 61, 82, 111.

164

Maurer; Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 35.

165

Vgl. auch BVerwG NVwZ 1996, 1010; BVerwGE 84, 34, 53; BVerfGE 88, 40, 56, 57.

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tung hinsichtlich bestimmter Normen anzuerkennen, die ausdrücklich wie beispielsweise § 70 Abs. 5 Satz 2 GWB oder nach Auslegung einen solchen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum eröffnen 166 und wegen ihrer Komplexität nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überpriifung unterliegen können. 167 Es gibt jedoch keine Einigkeit über die Kriterien, nach denen ein unbestimmter Gesetzesbegriff einen Beurteilungsspielraum auslöst. Das hat einige Autoren veranlaßt, von einer richterlichen Willkür zu sprechen. 168 Beispielsweise sind solche administrativen Entscheidungsspielräume von dem BVerwG ausnahmsweise bei Prüfungs- und priifungsähnlichen Entscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, wertenden Entscheidungen durch besondere unabhängige Gremien, Risiko- und Prognoseentscheidungen, wie sie beispielsweise im Umwelt- und Technikrecht stattfinden, und auch bei Entscheidungen mit politischer Bedeutung anerkannt worden. 169 Dies ist aber auch von Fall zu Fall zu beurteilen und kann nicht generalisiert werden 170, was sich daran zeigt, daß Prognoseentscheidungen als Wahrscheinlichkeitsurteile bei der polizeirechtlichen Gefahrenbeurteilung oder bei der gewerberechtlichen Zulässigkeitspriifung voll nachpriifbar sind oder auch die Prognose im lmmissionschutzrecht vollständig von den Gerichten kontrolliert wird. 171 § 43 des durch die unabhängigen Sachverständigenkommission vorgelegten UGB-KomE könnte dieser unklaren Situation zumindest auf den ersten Blick 172 ein Ende im Umweltrecht bereiten. Es enthält eine gesetzlich ausdrücklich festgelegte Reduzierung der Kontrolldichte für behördliche Prognosen und Bewertungen, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen. 173

Die Gerichte begrunden die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle in den Ausnahmefällen - wie auch die unabhängige Sachverständigenkommission - mit der besonderen Kompetenz der Sachverständigen oder sonstigen fachkundigen Personen der Verwaltungsbehörden, insbesondere bei der Beurteilung komplexer Sach166 Vgl. die grundlegende Entscheidung zur sog. Normativen Ermächtigungslehre, BVerfGE 61, 82, 111; Bachof, IZ 1955, 97, 100; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 185 ff.; Zum Regel-Ausnahme-Verhältnis, vgl. Schmidt-Aßmann/ Groß, NVwZ 1993,617,620. 167 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Schwarze/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ... , 9, 29. 168 Vgl. Ossenbühl, FS für Redeker, S. 55, 64; Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 126. 169 Vgl. auch Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 23 ff.; Rausch, Kontrolle von Tatsachenfeststellungen. .. , Rn. 61 ff. 170 Vgl. zu den Begründungsansätzen für einen Beurteilungsspielraum Darstellung der Literaturauffassungen bei Sieckmann, DVBI. 1997, 102 ff. 171 Vgl. BVerwGE 85, 368, 379.

172 Breuer, JUTR 1998, 161, 212, weist zu Recht darauf hin, daß die Vorschrift zu pauschal und undifferenziert ist und weiterer prozessualer Prämissen bedarf. 173 Vgl. Kloepfer!Dumer, DVBI. 1997, 1081, 1086; Breuer, JUTR 1998, 161 ff. Vgl. auch die frühere Diskussion um die Einführung eines § 114 a VwVO, Nachw. und Kritik bei Ewer, NVwZ 1994, 140 ff.

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verhalte. Das Gericht prüft dann lediglich wie beim Ermessen der Verwaltung noch die Beachtung der Grenzen dieses Spielraums, wie die korrekte Ermittlung des Sachverhalts, die Einhaltung des vorschriftsmäßigen Verfahrens, die Beachtung allgemeiner Bewertungsmaßstäbe sowie die Sachlichkeit der Erwägungen.174 Hinsichtlich der Anerkennung einer Einschätzungsprärogative der Behörden bei der Tatsachenfeststellung selber sind die Gerichte allerdings äußerst zurückhaltend, wenn es manchmal auch erscheint, daß trotz Verneinung eines Spielraums ein solcher von der Rechtsprechung stillschweigend eingeräumt wird, ohne den Vorgang klar auch als Beurteilungsspielraum der Behörde anzuerkennen. Es sind kaum Fälle bekannt, in denen ein Gericht einen Spielraum bei der Materialselektion ausdrücklich anerkannt hat. Allerdings lassen sich Anhaltspunkte in der Rechtsprechung zum Atomrecht 175 finden, die einen Ermächtigungsspielraum der Behörde bei der Tatsachenwürdigung und auch bei der Tatsachenfeststellung selber zu der Frage der nach Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gegen Schäden einräumen. Auch hier sind nicht die Konkretisierungsschwierigkeiten der Begriffe ausschlaggebend, sondern die Annahme, daß die Exekutive durch ihre verfügbaren Handlungsformen und Entscheidungsverfahren besonders befähigt ist, die Risiken zu ermitteln und zu bewerten. 176 Das BVerfG hat die Problematik der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle bei technischen Entscheidungen erstmalig in der Kalkar-Entscheidung formuliert. 177 Dabei ging es aber vor allem um die Frage, inwieweit sich Behörde und Gerichte auf außerstaatliche Sachverständigengutachten stützen dürfen. Das Gericht differenzierte zwischen "allgemein anerkannten Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik". Bei ersteren könnten sich Behörde und Gerichte darauf beschränken, die herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern zu ermitteln. Bei "Stand der Technik" genügt diese allerdings nicht mehr, hier müßten Gerichte und Behörden gegebenenfalls in den Dialog mit den Technikern treten, um herauszufinden, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist. Dies wird verschärft durch das Hinzutreten des "Standes der Wissenschaft", denn hier müssen über die neuesten technischen Entwicklungen hinaus noch die wissenschaftlichen Erkenntnisse gesammelt werden. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, bei welchem Organ der Schwerpunkt der Ermittlung dieses "Standes der Wissenschaft und Technik" liegt, erfolgte in der Kalkar-Entscheidung jedoch nicht. Dies hat das BVerfG dann in der Sasbach-Entscheidung 178 stärker konturiert. Bereits hier klingt an, daß die Behörde auch hinsichtlich der Feststellung der Tat174 Schmidt-Aßmann, in: Schwarze/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, S. 31, 32; Rausch, Kontrolle von Tatsachenfeststellungen ... , S. 71 ff. 175 Vgl. zur Innovationskraft des Atomrechts, Schmidt-Preuß, DVBI. 2000, 767 ff. 176 BVerfGE 49, 89, 139 f. m BVerfGE 49, 89, 139 f. 178 BVerfGE 61, 82 ff.

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sachen einen Spielraum haben soll, zumindest dann, wenn sonst eine eigene "bewertende" Feststellung durch die Gerichte erfolgen würde. In dem Urteil heißt es, daß die Genehmigungsbehörde im Rahmen normativer Vorgaben und willkürfreier Ermittlungen auch Bewertungen zum Beispiel am Maßstab "des Standes von Wissenschaft und Technik", der Erforderlichkeit der Vorsorge gegen Schäden oder des Schutzes gegen Störungsmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen zu treffen habe und die Gerichte solche Feststellungen und Bewertungen nur auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, nicht aber eigene Bewertungen an deren Stelle setzen solle. 179 In der Wyhl-Entscheidung des BVerwG 180 ging das Berufungsgericht bei der nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG zu treffenden, nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen "Vorsorge gegen Schäden" vom klassischen Gefahrenbegriff des Polizeirechts aus und resultierte daraus, daß der Behörde bei der Bestimmung des Gefahrenbegriffs kein Beurteilungsspielraum zustünde. 181 Das BVerwG lehnte diese Ansicht ab und stellte fest, daß es sich bei dem in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG verwendeten Vorsorgebegriff um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum der Behörde handele. Vorsorge bedeute hier, "daß bei der Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten nicht allein auf das vorhandene ingenieursmäßige Erfahrungswissen zurückgegriffen werden darf, sondern Schutzmaßnahmen auch anband bloß theoretischer Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müßten, um Risiken aufgrund noch bestehender Unsicher-heiten oder Wissenslücken hinreichend zuverlässig auszuschließen." Es müßten auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, deren Wahrscheinlichkeit aufgrund des bisherigen Wissensstands ungewiß seien. Die Gerichte dürften in Ermangelung rechtlicher Maßstäbe die behördliche Bewertung nicht durch eine eigene Bewertung der Risikosituation ersetzen. Daher müßte die Wahl der Methode zur Ermittlung der konkreten Risikofaktoren der Behörde überlassen bleiben. Das BVerwG gestand den Behörden nicht nur einen Spielraum bei der Risikobewertung, sondern auch bei der Risikoermittlung zu. Die Behörde handele "in Ausübung ihrer Kompetenz zur Normkonkretisierung". Eine solche Einschätzungsprärogative der Behörde wurde 1990 auch für die Beurteilung der Betriebssicherheit von Flughäfen, "die Bewertung des hinzunehmenden Maßes an Risiko", anerkannt. 182 Problematisch ist allerdings die Frage, inwieweit die Gerichte die behördlichen Feststellungen zu überprüfen haben, bzw. überprüfen können. Das BVerwG konkretisierte den behördlichen Spielraum bei der Ermittlung des Standes von Wissenschaft und Technik insofern, als daß Unsicherheiten bei der Risikoermittlung- und bewertung nach Maßgabe des sich daraus ergebenden Besorgnispotentials durch t79

180 181 182

BVerfGE 61 , 82, 114, 115. BVerwGE 72, 300 ff. BVerwGE 72,314. BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 ff.

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hinreichend konservative Annahmen Rechnung zu tragen ist. Dabei müsse die Behörde alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in Erwägung ziehen und dürfe sich nicht auf die h.M. verlassen. Die Gerichte sind in diesen Fällen darauf beschränkt zu prüfen, ob die Genehmigungsbehörde die Ermittlung und Bewertung im Rahmen normativer Vorgaben willkürfrei vorgenommen hat. Die Gerichte sollten nur überprüfen, ob die von der Behörde erlassenen normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften auf willkürfreien Ermittlungen beruhen und ob sie zu hinreichend konservativen Abschätzungen führen. Dieser Normkonkretisierungsvorbehalt der Genehmigungsbehörde wurde durch weitere Urteile bekräftigt. 183 Interessant in diesem Zusammenhang ist das Urteil des BVerwG vom 14. l. 1998 zu der Genehmigung des Mülheim-Kärlich-Kraftwerks. Hier wurde von dem OVG Koblenz ein Fehler der Behörde bezüglich der Sicherheitsanalyse bei der Ermittlung der Intensität des Sicherheitsbebens des Kernkraftwerks "nach den eigenen nämlich von der Behörde selbst gewählten - Maßstäben" festgestellt. Es gibt zwar sog. KTA-Regeln, die allerdings geben nur einen Rahmen vor und verweisen im übrigen auf ein den Stand der Wissenschaft und Technik entsprechendes Vorgehen im Einzelfall. Nach KTA 2201.1 setzt sich beispielsweise die bei der Auslegung des Kernkraftwerkes zu berücksichtigende Stärke des Erdbebens aus der historischen Erfahrung unter Berücksichtigung der geologischen und tektonischen Beschaffenheit einer repräsentativen Umgebung des Standortes zusammen. Das OVG Koblenz stellte einen Ermittlungsfehler der Behörde deshalb fest, weil diese bei der Ermittlung der historischen Erfahrungen nicht die Fehlerbandbreite der Erkenntnisgrundlagen berücksichtigt habe, die ermittelte Intensität aus historischen Ereignissen nicht als gesichert gelte. Das BVerwG hat eine gerichtliche Überprüfungsbefugniskompetenz nur hinsichtlich der ausreichenden Datenermittlung festgestellt. 184 Die Gerichte sollten die Risikoabschätzung nur darauf hin überprüfen, ob sie ausreichende Daten ermittelt und ihren Bewertungen zugrundegelegt hat und ob die Bewertungen hinreichend vorsichtig seien. Wenn der Behörde Ermittlungsfehler unterlaufen seien, sie Risiken nicht nachgegangen sei, denen sie hätte nachgehen müssen, könnten die Gerichte nicht ihre eigene Bewertung an die Stelle setzen, sondern müßten die angefochtene Genehmigung aufheben. 185 Interessant ist auch ein Urteil des BVerwG vom 23. 4. 1997. Darin ging es um die Kompetenz einer Gemeinde bei der Aufstellung von Bauleitplänen, wenn es an einheitlichen anerkannten Bewertungskriterien für die zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft fehlt. Insbesondere war die Frage zu beantworten, ob und wann das Ergebnis einer in die Abwägung eingeflossenen Ermittlung (Berechnung) falsch sein kann, wenn das "Bewertungsverfahren vom Gesetzgeber nicht normativ vorgesehen ist und wenn die in der Berechnung eingesetzten Grundannahmen nicht mathematisch exakt ermittelt wurden, bzw. ermittelt werden konn183 184

185

BVerwGE 78, 177, 180. BVerwG NVwZ 1998, 628 ff. Vgl. Badura, DVBI. 1998, 1197, 1201.

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ten, sondern empirisch und intuitiv ermittelte Annäherungswerte darstellten". 186 Das BVerwG stellte fest, daß es Aufgabe der Gemeinde sei, die zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft zu bewerten und ein Ermittlungsfehler nur anzunehmen sei, wenn der Mangel im Abwägungsvorgang offensichtlich und entscheidungserheblich sei. In diesem Fall hatte sich die Antragsgegnerin über die entsprechende Berechnung hinweggesetzt, so daß eine entscheidungserhebliche Bedeutung des möglichen Fehlers verneint wurde. Die Gerichte können den eigenverantwortlichen Verantwortungsbereich der Behörde bei der Ermittlung also noch daraufhin überprüfen, ob diese ausreichende Daten ermittelt und ihren Bewertungen zugrunde gelegt hat und diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind. 187 Der Kläger, der eine fehlende Aufklärung rügt, muß außerdem die Beweismittel bezeichnen, derer sich das Tatsachengericht hätte bedienen sollen, sowie angeben, warum es sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, diese Beweise zu erheben. 188 Zur Ausfüllung des Beurteilungsspielraums kann sich die Behörde auf abstrakt generalisierende Verwaltungsvorschriften stützen, um die Einheitlichkeit des Verwaltungshandeins zu gewährleisten. Die in den VV entwickelten Standards sind für die Verwaltungsgerichte verbindlich und werden nur daraufhin überprüft, ob die rechtlichen Vorgaben erfüllt, die erforderlichen Verfahrensregelungen eingehalten worden, die VV auf willkürfreien Ermittlungen beruhen und die Standards nicht veraltet sind, sondern den anerkannten Erkenntnissen in der Wissenschaft entsprechen. 189 Es wird in der Literatur auch diesbezüglich von einem Standardisierungsspielraum der Behörde gesprochen. 190 Es gibt einige Ansichten in der Literatur, die der Verwaltung in weiteren Fällen einen Beurteilungsspielraum bei der "Subsumtion" des Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff zubilligen 191 oder auch Ermessen auf der TatbestandsVgl. BVerwG, NVwZ 1997, 1215 f. BVerwG NVwZ 1998, 628 ff. In diesem Beschluß bestätigte das BVerwG das Urteil des OVG Koblenz, in dem das Gericht ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit feststellte, weil das Problern der Fehlerbandbreite der Erkenntnisgrundlagen bezüglich der Intensität des Sicherheitserdbebens des Kernkraftwerks Mülheirn-Kärlich nicht diskutiert wurde. Die von der Behörde angewandten und selbst gewählten Maßstäbe wurden deshalb für unzureichend befunden. Allerdings sah sich das BVerwG vor allem deshalb an die Feststellung des OVG gebunden, weil keine ausreichenden Aufklärungsrügen, welcher Beweismittel sich das Tatsachengericht hätte bedienen sollen, vorgelegen hatten. Es hielt aber die gerichtliche Überprüfung für außerordentlich kritisch. 188 BVerwG, NVwZ 1998, 628 ff.; BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 ff.; Erbguth/Schink, UVPG, Ein!. Rn. 129 a. 189 Vgl. auch BVerwG, DVBl. 1999,399 ff. zur Verbindlichkeit der Allgerneinen RahrnenVerwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwässer in Gewässer (Rahrnen-AbwasserVwV); auch BVerwG, 21. 3. 1996 zur TA Luft, NVwZ-RR 1996,498 ff. 190 Jarass, NJW 1987, 1225 ff. 19 1 Bachof, JZ 1955,97 ff.; Sendler, NJW 1994, 1518, 1520; Schmidt-AßT1Ulnn spricht von Gefährdungen der eigenständigen Verwaltungsverantwortung, durch diese intensive Kontrolle, in: Das allgerneine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, vgl. S. 189. 186 187

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seite einräumen wollen 192. Dagegen problematisieren nur wenige die Tatsache, daß allgemein bei hochkomplexen Entscheidungen bereits abwägende Elemente in die Tatsachenfeststellung einfließen, da in diesen Fällen bereits eine Auswahl der zu untersuchenden Fakten erfolgt, welche nur in der Fachkompetenz der zuständigen Behörden liegen können. 193 Auf diese Problematik und insbesondere auch auf die Frage nach der verbleibenden Kontrollbefugnis der Gerichte wird an späterer Stelle detaillierter einzugehen sein. cc) Kontrolldichte im Planfeststellungsrecht Planungsnormen sind vom Inhalt her keine Regelungen, in denen an einen bestimmten Tatbestand eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft wird, sondern Ermächtigungsgrundlagen zur Erreichung eines bestimmten rechtsgestaltenden Zieles. 194 Behördenentscheidungen im Planfeststellungsrecht, hier speziell gern. § 17 Abs. 1 Satz 1 FStrG sind Abwägungsentscheidungen, unterschiedliche Interessen sollen abgewogen und zum Ausgleich gebracht werden. Die Behörde darf also innerhalb eines Planungsspielraums die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abwägen und dann eine Entscheidung fällen. Insoweit steht der Behörde planensehe Gestaltungsfreiheit zu. Diese ergibt sich aus der Übertragung der Planungsbefugnis auf die Planfeststellungsbehörde; Planung ohne Gestaltungsfreiheit ist nach Auffassung des BVerwG "ein Widerspruch in sich". 195 Die Kontrollkompetenz der Gerichte ist daher begrenzt und muß diesen planensehen Gestaltungsspielraum der Behörde beachten. Die Behörde hat einen Handlungsspielraum, der sich auf alle Fragen bezieht, die zur Verwirklichung des gesetzlichen Planungsauftrags und zur Bewältigung der von dem Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind. 196 Trotzdem ist die Gestaltungsfreiheit rechtlichen Bindungen unterworfen. So hat die Rechtsprechung beispielsweise vier rechtliche Bindungen für das FStrG festgestellt. 197 Der Bundesminister für Verkehr bestimmt unter Beteiligung anderer Stellen gern. § 16 Abs. 1 FStrG Planung und Linienführung der Bundesfernstraßen. Ferner benötigt die straßenrechtliche Planung im Hinblick darauf, daß 192 Schmidt-Aßrru:~nn!Groß, NVwZ 1993, 617, 624; Herdegen, JZ 1991, 771 ff.; Smeddinck, DÖV 1998,370 ff. 193 Hoppe, DVBI. 1974, 1977; Schmidt-Aßrru:~nn, Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 24c; 194 Die Gestaltungsfreiheit der Behörde, berücksichtigungspflichtige Belange in einem rechtlichen Rahmen autonom gewichten zu können, unterscheidet Planungsnormen von Ermessensnorrnen, vgl. Just, Ennittlung und Einstellung von Belangen, 52. 195 BVerwGE 34, 301; 55, 220, 226. 1% BVerwGE 56, 110, 116; 87, 332, 341. 197 BVerwGE 84, 123 ff.; 71, 166 ff.

8 Prelle

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sie rechtsgestaltend in individuelle Rechtspositionen Dritter eingreift und Grundlage der zur Ausführung der Planung etwa notwendigen Enteignungen ist (§ 19 FStrG), einer- auch vor Art. 14 GG standhaltenden- Rechtfertigung. 198 Das Straßenbauvorhaben muß also erforderlich sein. Objektiv erforderlich ist eine Planung nicht erst dann, wenn sie unausweichlich ist, sondern wenn sie vernünftigerweise geboten erscheint, also ein Bedürfnis für eine Planung besteht. 199 Die Planung muß sich an den im FStrG und in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Planungsleitsätzen ausrichten?00 Und schließlich muß alles das, was die Planfeststellungsbehörde unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Voraussetzungen entscheidet, den Anforderungen des Abwägungsgebots genügen. Grundsätzlich verlangt das Abwägungsgebot, daß die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander sachlich gerecht gewichtet worden sind.

dd) Das Abwägungsgebot im FStrG Gern. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG sind bei der Planfeststellung für ein Vorhaben im Rahmen der Abwägung alle berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Die berührten öffentlichen und privaten Belange müssen gegeneinander und untereinander mit dem Ziel abgewogen werden, sie zu einem gerechten Ausgleich zu bringen?01 Die Abwägung durchläuft nach der Rechtsprechung des BVerwG und der h.M. in der Literatur drei Phasen.Z02 Im Abwägungsvorgang ist zunächst das Abwägungsmaterial zusammenzustellen. Nach der Rechtsprechung des BVerwG umfaßt dies die abstrakt-begriffliche (tatbestandliche) Abgrenzung der Gesichtspunkte, die abwägungserheblich sind und die Entscheidung darüber, welche konkret vorliegenden Umstände unter diese Begriffe subsumiert werden können?03 Die zu ermittelnden generell abwägungserheblichen Belange sind nach der Rechtsprechung auf die im besonderen Fall vorliegenden Umstände zu konkretisieren, d. h. es sind diejenigen Belange einzustellen, die nach Lage der Dinge eingestellt werden müssen oder im Fall des § 17 Abs. 1 FStrG "alle Belange, die vom Vorhaben berührt werden".204 Die Belange, die also für die Abwägung in der spezifischen Situation relevant sind, sind vollständig und zutreffend zu ermitteln. Relevant sind grundsätzlich solche BelanVgl. ErbguthiSchink, UVPG, § 12 Rn. 60 ff. Die Planrechtfertigung unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff voll der gerichtlichen Kontrolle. Es sind folglich nicht die Vorstellungen der Behörde maßgeblich, sondern die objektiven Rechtsverhältnisse. 200 Dazu näher ErbguthiSchink; UVPG, § 12 Rn. 64. 201 Bender I Sparwasser I Engel, Umweltrecht, 2/ Rn. 108. 202 Anders beispielsweise Hoppe, der in den Prüfungsschritten, die das BVerwG vornimmt, vier Phasen erkennt, vgl. HoppeiGrotefels, Öffentliches Baurecht,§ 7 Rn. 1 ff. 203 BVerwGE 45, 309 ff. 204 BVerwGE 34, 301; NVwZ-RR 1998, 292 ff.; DVBI. 1992, 1435 ff. 198

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ge, deren Betroffenheit mehr als geringfügig, eintrittswahrscheinlich und erkennbar ist, beispielsweise, wenn sich die Betroffenheit der Belange "von selbst aufdrängen muß".205 Das gilt auch für die Ermittlung erst zukünftig eintretender Tatsachen, die als Prognose erfolgt. 206 Was die planende Stelle nach den Umständen "nicht zu sehen braucht", kann und muß sie nicht berücksichtigen. 207 Nach der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials folgt als zweite Stufe der Abwägung die Bewertung oder Gewichtung der einzelnen Belange. Dabei geht es um die Frage, welches Gewicht dem jeweiligen Belang nach objektiven Kriterien beigemessen wird. Im letzten Stadium der Abwägung geht es schließlich um den Ausgleich aller eingestellten und gewichteten Belange. Die planensehe Gestaltungsfreiheit erlaubt der Planfeststellungsbehörde, daß sie bei der Abwägung hinsichtlich der Kollision möglicher Belange eine Auswahl trifft und Belange bevorzugt oder zurückstellt, aber nur bis zur Grenze der objektiven Fehlgewichtung einzelner Belange. 208 Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG ist das Abwägungsgebot verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach "Lage der Dinge" in sie eingestellt werden muß (Abwägungsdefizit), oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsfehlgewichtung). 209 Bei der Überprüfung der Vollständigkeit einer Sachverhaltsermittlung gilt der Untersuchungsgrundsatz gern. § 86 Abs. I VwGO. Die Rechtsprechung und die h.M. in der Literatur sind der Auffassung, daß die Abwägungsbasis, d. h. die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und die Einstellung der Belange "nach Lage der Dinge" der Auslegung und Subsumtion zugänglich ist und daher der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. 210 Die Zusammenstellung des notwendigen- erkennbaren, nicht geringwertigen, eintrittswahrscheinlichen - Abwägungsmaterials stellt sich nach Ansicht des BVerwG als abstrakt-begriffliche Abgrenzung der generell abwägungsbeachtlichen Gesichtspunkte und der Subsumtion der konkreten Tatsachen unter diese Begriffe dar. Es handele sich um nichts anderes als Rechtsanwendung. 211 Die Kläger müssen im Falle einer gerichtlichen Überprüfung des Abwägungsmaterials jedoch die Gründe geltend machen, warum das Abwägungsmaterial unzureichend ermittelt sein soll und folglich die Tatsachen vortragen, die das Gericht überprüfen BVerwGE 59, 87, 103 f.; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht,§ 7 Rn. 47. Vgl. Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 7 Rn. 47, 64 f. 207 BVerwGE 59, 87, 102. 208 BVerwGE 45, 309. 209 BVerwGE 34, 301, 309; 75, 214, 232. Vgl. auch die Ausdifferenzierung der Fehler in der Abwägung bei Hoppe, BauR 1970, 15 ff. 210 Vgl. BVerwGE 34, 301, 308; 45, 309, 322; 48, 56, 64. 211 BVerwGE 45, 309, 322. 205 206

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soll.Z 12 Das BVerwG geht davon aus, daß die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und die spätere Gewichtung unabhängig voneinander und daher rechtlich zu trennen sind. Die von der Rechtsprechung geforderte volle gerichtliche Kontrolle der Belange, die "nach Lage der Dinge" eingestellt worden sind, ist jedoch im Ansatz widerspriichlich, da bereits "die Lage der Dinge" eine Auswahlentscheidung, eine Selektion der Behörde hinsichtlich der zu beriicksichtigenden Tatsachen herbeiführt. Vereinzelt wird in der Literatur zutreffend die Meinung vertreten, daß vor allem bei Entscheidungen, die prognostische Elemente enthalten, wie auch im Planungsrecht, die Zusammenstellung des generellen und Einstellung des konkreten Abwägungsmaterials auch eine abwägende und von dem spezifischen Einzelfall abhängige Entscheidung der Behörde sein muß, die der Kontrolle der Gerichte zumindest teilweise entzogen ist. 213 Diese Auffassung hat richtig erkannt, daß eine rechtliche Trennung der Zusammenstellung und der Gewichtung des Abwägungsmaterials oft nicht möglich ist. Das Gebot zur Einstellung von Belangen "nach Lage der Dinge" werde durch die konkrete Abwägungsbeachtlichkeit214 der betroffenen Tatsachen bestimmt, welche aufgrund einer bestimmten Zielsetzung215 im Rahmen einer subjektiven Entscheidung der Behörde ausgewählt werden. Diese stattfindende Selektion sei aber nicht mit Subsumtion unter einen Rechtsbegriff zu vereinbaren.Z 16 Gerade bei hochkomplexen Sachverhalten sei eine genaue Materialselektion erforderlich, da die mit der Subsumtion verbundene grenzenlose Ansammlung von Tatsachen zum einem eine sachgerechte Planung erschwere und zum anderen wegen der Fachkenntnisse in der Behörde kaum von den Gerichten nachvollzogen werden könnten. 217 Die Einstellung dieser Belange in der Abwägung sei bereits eine Gewichtung, denn die betroffenen Tatsachen werden auf die wesentlich erheblich betroffenen Tatsachen reduziert. 218 Daher bilde die Einstellung der Belange eine "Gelenkfunktion" zwischen Informationsgewinnung und der eigentlichen Gewichtung. 219 BVerwGE 98, 126, 129. Hoppe, DVBI. 1974, 641, 642; ders. DVBI. 1977, 136, 140 ff. Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 7 Rn. 44 ff., 101 ff., ders. in: FS ftir Menger, 747, 777, Tsevas. Kontrollintensität .. , 130 ff.; Schmidt-Aßmann, VBIBW 2000, 45, 49; Steinberg, ZUR 1999, 126 f. 214 Zur generellen und konkreten Abwägungsbeachtlichkeit, vgl. Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht,§ 7 Rnr. 47, 64 ff. 21s Hoppe, DVBI. 1977, 136, 143; Vgl. auch Just, Ermittlung und Einstellung von Belangen bei der planensehen Abwägung, 95 f. 216 Vgl. Hoppe, DVBI. 1977, 136, 14; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 7, Rn. 44, 45; Just, Ermittlung und Einstellung von Belangen, S. 101. 217 Vgl. Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht,§ 7, Rn. 39, 63. 218 Hoppe, in: FS für Menger, 747, 776. 219 Vgl. auch zuletzt Hoppe, DVBI. 1998, 1010. 212 213

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Es ist also eine Gewichtung des Abwägungsmaterials vor der eigentlichen Gewichtung der Belange im Rahmen der Abwägung erforderlich für eine praktikable Entscheidung, bzw. eine Reduktion der Komplexität des Sachverhalts. Es lassen sich bei Durchsicht der Rechtsprechung des BVerwG und der Instanzgerichte im Planungsrecht einige Ansätze erkennen, die bei der Einstellung von Belangen nach "Lage der Dinge" auf einen behördlichen Einschätzungsspielraum bei der Tatsachenermittlung hindeuten. Allerdings sind die rechtlichen Konturen dieses Spielraums zum Teil unklar. So hat das BVerwG für die Abwägung im Planungsrecht entschieden, daß keine Pflicht zur Berucksichtigung "geringwertiger" oder "unerheblich betroffener" Ziele bestehe. 220 Auch eine Pflicht zur Berucksichtigung aller Planungsalternativen bestehe nicht. 221 Planungsalternativen seien auszuschließen, wenn "eine Art Grobanalyse" ergeben habe, daß sie nicht in Betracht kämen, wenn sie also von vornherein "nicht realistisch" seien. 222 Diese bräuchten dann nicht detailliert ausgearbeitet werden, daß sie die Grundlage für die Zulässigkeit der Entscheidung geben könnten. Oder sie seien nur in Betracht zu ziehen, wenn sie sich der Behörde förmlich "aufdrängen" müßten.223 Das ist nach Ansicht des BVerwG beispielsweise dann der Fall, wenn sie aufgrund "örtlicher Verhältnisse" naheliegen.Z24 Zum Inhalt der behördlichen Untersuchungen zu den Umweltauswirkungen der UVP stellte das BVerwG fest, es müßten nur "zentrale Belange" untersucht werden. 225 In anderen Urteilen wird die Untersuchung der "erheblichen" Umweltauswirkungen gefordert. 226 Es ist auch von der Auswahl der ,,richtigen Indikationsgruppen" die Rede, d. h. der in dem Untersuchungsraum "besonders bedeutsamen" Tier- und Pflanzengruppen.Z27 Es finden sich hier hinsichtlich der Ermittlung des Abwägungsmaterials Begriffe, die terminologisch von der "Subsumtion" wegführen. Auch das BVerwG erkennt im Grunde das Erfordernis der Selektion durch die Behörde bei komplexen Verfahren an, ohne ausdrucklieh von einem Spielraum zu sprechen. Die Problematik des Widerspruchs der "Subsumtion" mit der tatsächlichen Entscheidungssituation wird noch anhand der UVP konkret veranschaulicht werden können. Die Gewichtung und die Abwägung i.e.S. selber ist allerdings auch nach der Rechtsprechung ausdrucklieh als wesentliches Element der planensehen GestalBVerwGE 59, 97, 103 f.; BVerwG, DVBI. 1992, 1099, 1100. BVerwGE 69, 256, 273 f. 222 BVerwG, UPR 1998, 72; 382; BVerwG, NuR 1998, 95; BVerwG, NVwZ 1998, 616 f. 223 BVerwGE 69, 256, 273; BVerwG, NVwZ 1989, 458; NVwZ-RR 1991, 781 , 784; UPR 1998,382. 224 BVerwGE 71, 166, 172. 225 BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff.; siehe auch zur Rechtsprechung des BVerwG zur UVP in der Verkehrswegeplanung Steinberg, DÖV 2000, 92. 226 Vgl. D. II. 2. d) cc). 221 Vgl. D. II. 2. d) cc). 22o

221

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D. Die UVP in Deutschland

tungsfreiheit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen. Hier können die Gerichte nur prüfen, ob die Behörde die Gewichtigkeit eines Belangs als solche verkannt oder im Verhältnis zu anderen Belangen fehlgewichtet hat. Auch die UVP ist gern. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG ausdrücklich als Belang der Abwägung der straßenrechtlichen Planfeststellung genannt. Hier wird deutlich, wie problematisch die Frage nach der verfahrensrechtlichen und materiellen Bedeutung der UVP-Prüfungsschritte sein kann, da die Vorschriften über die Ermittlung der Umweltauswirkungen (§§ 5-11 UVPG) einerseits Verfahrensrecht darstellen und andererseits als Ergebnis der Ermittlung der Umweltauswirkungen wiederum im Rahmen der Sachverhaltsermittlung für die Abwägung der Zulassungsentscheidung eine entscheidende Bedeutung haben. 228 Zusätzlich ist noch die Problematik gegeben, daß eine umfassende vollständige UVP die Grenze des Praktikablen und wissenschaftlich Möglichen überschreitet. Der ermittelte Stoff stellt folglich eine Auswahl der von der Behörde mit dem Vorhabenträger für wichtig gehaltenen Untersuchungsgegenstände unter Zugrundelegung einer bestirrunten Untersuchungsmethode dar, insofern fließen bereits wertende Elemente in die Sachverhaltsermittlung ein. Das Fehlen oder die unvollständige UVP kann daher als ungenügend ermittelter aber einzustellender Belang durchaus zu einem Abwägungsdefizit führen. Auch die Bewertung gern. § 12 UVPG ist im Rahmen des zweiten Schritts der Abwägung, der Gewichtung, einzubeziehen. Die Berücksichtigung hat dann im Ausgleich der Belange als letzten Schritt der Abwägung zu erfolgen. Für die UVP stellen sich in diesem Zusammenhang mehrere ungeklärte Fragen, die sich vor allem hinsichtlich des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle aufwerfen lassen. Welchen Stellenwert hat die UVP im Rahmen der Abwägung bei der Gewichtung und insbesondere bei dem Ausgleich der unterschiedlichen miteinander kollidierenden Belange? Hat die UVP das Zulassungsrecht strukturell oder vom Entscheidungsinhalt her geändert? Daran schließt sich die Frage an, wann eine fehlende oder fehlerhafte UVP die Abwägung derartig beeinflußt haben kann, daß sie sich auf das Ergebnis der fachgesetzlichen Entscheidung ausgewirkt haben könnte? Wann ist eine UVP überhaupt fehlerhaft? Wann liegt beispielsweise ein Ermittlungsfehler vor? Anhand welcher Maßstäbe sollen die Gerichte die Mangelhaftigkeit der UVP feststellen können? Hat die Behörde Spielraum bei der Ermittlung, z. B. hinsichtlich der Untersuchung bestirrunter Umweltfaktoren? Auch hier soll ein Überblick über die bisherige Rechtsprechung zur UVP gegeben werden mit Konzentration auf die erhobenen Fragestellungen.

22s

Vgl. auch Erbguth, NuR 1997, 265.

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c) Stellenwert der UVP im Rahmen der Abwägung Für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle ist von erheblichen Interesse, welche Bedeutung und welchen Stellenwert die UVP im Rahmen des Abwägungsvorgangs gern. § 17 Abs. 1 Satz I FStrG überhaupt hat. So stellt sich die Frage, ob der Prüfungsumfang der UVP nach dem UVPG über die bisher vorgeschriebene Erörterung der Umweltbelange im Abwägungsvorgang hinausgeht oder nicht. § 12 UVPG und Art. 8 der UVP-Richtlinie geben darüber keinen eindeutigen Aufschluß.229 Damit ist auch die Frage beriihrt, ob die UVP-Richtlinie oder das UVPG lediglich verfahrensrechtlichen Charakter haben oder auch Konsequenzen für die materiellen Voraussetzungen des Zulassungsrechts mit sich bringen, diese verschärfen oder nicht. Die Verwaltungsgerichte haben sich in mehreren Entscheidungen mit der Bedeutung der UVP im Rahmen des Abwägungsvorgangs im Planfeststellungsrecht auseinandergesetzt Die Bedeutung der UVP und ihre ausdriickliche Einbeziehung in § 17 Abs. I Satz I FStrG wird von den Gerichten unterschiedlich gesehen. Allerdings sind die Gerichte insofern einer Meinung, als daß sie eine vorrangige Beriicksichtigung des Ergebnisses der UVP bei der Abwägung ablehnen. Der VGH Mannheim hat schon in seinen Urteilen vom 7. 8. 1992, dem II. 6. und 3. 9. 1993 - vor der ausdriicklichen Einbeziehung der UVP in § 17 Abs. 1 FStrG - festgestellt, daß das vorhandene straßenrechtliche Planfeststellungsverfahren inhaltlich den Anforderungen der Richtlinie genüge, demnach richtlinienkonform sei und daher keine erhöhten Anforderungen an das Planfeststellungsverfahren als das durch die Rechtsprechung konkretisierte Abwägungsgebot im Hinblick auf die öffentlichen und privaten Belange stelle?30 Auch das OVG Schleswig stellte in seinem Urteil vom 9. 2. 1995 fest, daß durch die Einbeziehung der UVP als integraler Bestandteil der straßenrechtlichen Planfeststellung die Umweltbelange in der Abwägung kein höheres Gewicht als vor Inkrafttreten des Gesetzes erlangt hätten. Das UVPG zwinge zwar zu einer verstärkten Ermittlung der durch ein Vorhaben tangierten umweltrechtlichen Aspekte, verleihe diesen im Hinblick auf ihre Beriicksichtigung aber kein stärkeres Gewicht. 231 Ein stärkeres Gewicht der UVP im Rahmen der Abwägung billigt ihr aber der VGH München zu. In seinen Urteilen vom 16. 3., 19. 10. 1993 und 5. 7. 1994 hat er die einzelnen Bestimmungen der UVP näher untersucht und den engen Bezug des UVPG zum Abwägungsgebot des Planfeststellungsverfahrens festgestellt, insbesondere die materiell-rechtliche Bedeutung der UVP betont. Nach Auffassung des Gerichts sprächen die einzelnen Verfahrensschritte des UVPG-Verfahrens Sammlung der Unterlagen (§ 6), Einbeziehung der Öffentlichkeit (§ 9), zusammen229 230 231

Dazu C. V.; D. I. 4. VGH Mannheirn, UPR 1993, 190, 191; UPR 1994, 189, 191; VBlBW 1994, 271, 275. OVG Schleswig, Urt. v. 9. 2. 1995, Az. 4 M 87/94.

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D. Die UVP in Deutschland

fassende Darstellung der Umweltauswirkungen (§ 11), Berücksichtigung bei der Entscheidung (§ 12) - für eine über reine Verfahrensregelungen hinausgehende Funktion der Bestimmungen bei der materiellen Entscheidungsvorbereitung. 232 "Damit ergibt sich ein - im Vergleich zu anderen Verfahrensfehlern - außerordentlich enger Bezug des Verfahrensrechts des UVPG zum (materiell-rechtlichen) Abwägungsgebot; die "dienende Funktion" des Verwaltungsverfahrensrechts läßt sich hier wegen dieses Bezugs zu einem bestimmten Bereich des materiellen Rechts präziser umschreiben als bei Verfahrensvorschriften, die allgemein die "Richtigkeit" der Verwaltungsentscheidung absichern sollen. Es liegt daher nahe, bei der gerichtlichen Kontrolle von den Grundsätzen der Abwägungskontrolle auszugehen." 233

Als ausdrücklich festgeschriebener Teil des § 17 Abs. 1 FStrG ist nach Ansicht des VGH München die UVP als Abwägungsvorgang so eng mit dem Abwägungsergebnis verknüpft, daß nur eine die UVP berücksichtigende Abwägung den Anforderungen des rechtsstaatliehen Abwägungsgebot entsprechen könne. 234 Außerdem werde schon durch die ausdrückliche lnbezugnahme der UVP in die "fachplanerische Grundnorm" des § 17 Abs. 1 FStrG der Stellenwert der Umweltbelange bei der Abwägung erhöht. Nach Auffassung des Gerichts führt die UVP im Rahmen der Planabwägung zwar zu keiner Verschärfung der materiellen Maßstäbe bei Einschätzung der Urnweltbelange, aber zu einer genaueren Erfassung, Sichtbarmachung und Darstellung der Umweltauswirkungen und damit zu einer verschärften Begründungslast der Behörde für die abwägende Entscheidungsfindung.235 Es gehe vielmehr um die Einhaltung des UVP-Verfahrens als solchem, um die Auswirkungen eines Vorhabens für sich darzustellen und zu bewerten. Der durch eine solche separate förmliche UVP vor der eigentlichen Abwägung erlangte Erkenntnisgewinn führe zu einer gesteigerten Wahrnehmbarkeit der tatsächlichen Betroffenheit eines Umweltbelangs. Insofern erhielten die unveränderten materiellen Anforderungen über die UVP eine "erhöhte Transparenz und Rationalität", was nicht ohne "Rückwirkung auf die Normstruktur des materiellen Rechts" bleibe. Deshalb kam der VGH München zu dem Schluß, daß die UVP die materiellen Maßstäbe des Umweltrechts um eine verfahrensrechtliche Komponente angereichert habe und daher zu einer verschärften Begründungslast für die Behörde führe, die die Gerichte zu kontrollieren hätten, soweit ihnen die Kontrolle im Abwägungsvorgang zustehe. Auch in seinem Urteil vom 5. 7. 1994 trat der VGH München entschieden der Ansicht entgegen, die Einführung der UVP habe die fernstraßenrechtliche PlanVGH München, Urt. v. 19. 10. 1993, NuR 1994,244. VGH München, Urt. v. 16. 3. 1993, NuR 1993,285,286. 234 So auch das OVG Koblenz, Urt. v. 29. 12. 1994, ZUR 1995, 146 f., mit Anmerkung Schink, S. 150 ff. 235 VGH München, NuR 1994, 244, 145. 232

233

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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feststellung in der Sache nicht greifbar verändert. Das Gericht stellte dabei immer den Zweck der UVP als ein die Ermittlung der Umweltbelange strukturierendes "lnfonnationsbeschaffungsinstrument" heraus und die Notwendigkeit der Einhaltung der einzelnen Verfahrensschritte, um eine gebündelte Entscheidungsgrundlage herauszuarbeiten. Im Planfeststellungsrecht solle der Gefahr begegnet werden, daß "die Umweltbelange verkürzt - auch z. B. über Wahrunterstellungen - erlaßt und darüber hinaus in der Abwägung gewissennaßen vereinzelt werden, so daß ihre Bedeutung (insbesondere auch in ihren Wechselbeziehungen) unterschätzt werde"236. Daraus folgert das Gericht eine eigenständige Bedeutung der UVP und beschreibt die Funktion der UVP als "Richtigkeitsgewähr durch Verfahren". Dieser Ansicht schloß sich auch nachfolgend das OVG Koblenz in seinem Urteil vom 29. 12. 1994 an. 237 Die UVP-Vorschriften gehen also deshalb nach Auffassung der genannten Gerichte über eine rein verfahrensrechtliche Funktion hinaus, da sie als Verfahren das Ergebnis der Sachverhaltsennittlung bezüglich der Umweltauswirkungen des Vorhabens und damit auch die Abwägung der Zulassungsentscheidung beeinflussen. Die Einführung der UVP habe die materiellen Maßstäbe des Umweltrechts um eine verfahrensrechtliche Komponente angereichert ("prozeduralisiert"), diese Anreicherung der Verfahrensregelungen ziehe eine Verstärkung des materiellen Rechts nach sich. 238 Aus dieser Prozeduralisierung des Verfahrens folgern die Gerichte, daß sich ohne die UVP eine Entscheidung, die den Anforderungen des Abwägungsgebots genügt, nicht treffen lasse. Insofern sehen sie in der UVP ein wesentliches Element der Abwägung bzw. ihrer ennittelten Abwägungbasis. Dies auch deshalb, weil erheblicher Konkretisierungsbedarf bei der Anwendung umweltrechtlicher Generalklauseln und erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Erkenntnis- und Bewertungsmethoden der Umweltverträglichkeit bestünden und die "richtige" Durchführung der UVP diesen Unsicherheiten ein rechtliches Geriist geben und damit eine richtige Abwägungsentscheidung gewährleisten könne. Das BVerwG teilt die Ansicht des VGH München und des OVG Koblenz zu der materiellen Bedeutung der UVP in der Fonn der "Richtigkeitsgewähr durch Verfahren" nicht und "korrigierte" in seinem Urteil vom 25. 1. 1996 zur Revision des Urteils des OVG Koblenz ausführlich diese rechtliche Auffassung, indem es den bloßen Verfahrenscharakter der UVP deutlich behauptete. Nach Ansicht des Gerichts hat das Umweltrecht durch die UVP-Richtlinie keine materielle Anreicherung erfahren und nur mit der "Beriicksichtigung" in Art. 8 der Richtlinie einen Zusammenhang zu der materiellen Sachentscheidung hergestellt. 239

236 237 238 239

VGH München, DVBI. 1994, 1199, 1200. OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146 ff. Vgl. im Schrifttum: auch Heitsch: NuR 1996, 453,457. BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBI. 1996,677,679.

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D. Die UVP in Deutschland

In dem Urteil vom 21. 3. 1996 präzisierte das BVerwG diese Aussage noch: "Sie haben aber die Anforderungen an die in der Abwägung einzustellenden Belange materiellrechtlich nicht verschärft, etwa derart, daß Umweltbelange, die bisher- im konkreten Fall - als nicht abwägungserheblich anzusehen und deshalb zu vernachlässigen gewesen wären, nunmehr erheblich wären oder das Umweltbelange kraft Gesetzes höheren Stellenwert, eine gesetzliche Gewichtungsvorgabe oder gar Vorrang hätten". 240

Das BVerwG begründet seine Auffassung vor allem mit den undeutlichen Angaben in der UVP-Richtlinie hinsichtlich der Art der Berücksichtigung der UVP im Rahmen der Zulassungsentscheidung und folgert daraus, daß die Richtlinie lediglich die Einbeziehung der UVP in die Zulassungsentscheidung verlange. Auch die Formulierung des § 17 Abs. 1 FStrG schließe aus, daß das Ergebnis der UVP als zusätzliches Tatbestandsmerkmal die Zulassungsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 FStrG verschärfe und mit der Zielrichtung einer verstärkten Umweltvorsorge anreichere. 241 Nichtsdestoweniger hebt auch das BVerwG die besondere Bedeutung der UVP im Zulassungsverfahren hervor. Diese Bedeutung erwächst nach Ansicht des Gerichts aus der Frühzeitigkeit. So solle die UVP sicherstellen, daß sich die Behörde bereits in der Anfangsphase des Zulassungsverfahrens mit den Belangen des Umweltschutzes auseinandersetze. Das BVerwG sieht wie der VGH München und das OVG Koblenz in der UVP ein Instrument zur tatsächlichen Feststellung aller relevanten "Umweltinformationen", die die Behörde für eine sachgerechte Entscheidung benötigt. Das Gericht nannte in seiner Entscheidung vom 25. 1. 1996 vier Punkte, mit der die Einführung der UVP in Deutschland eine Verbesserung zur bloßen Einbeziehung der Umweltbelange herbeigeführt habe. So werde die Erweiterung der Mitwirkungspflichten des Vorhabenträgers, das Gebot der frühzeitigen UVP, die zentrierte und gebündelte Vorabprüfung der Umweltbelange unter Ausschluß anderer Belange, die Einführung des integrativen Prüfungsansatzes, akzentuiert. Das bedeutet jedoch nach Meinung des Gerichts nicht, daß sich eine sachgerechte Entscheidung in der Abwägung nicht auch ohne ausdrückliche UVP treffen lasse, denn bereits aus dem Abwägungsgebot selbst ergebe sich die Pflicht, alle abwägungsrelevanten Belange unter Einschluß der Umweltbelange einzubeziehen. Der Kreis der Umweltauswirkungen, auf die sich die UVP zu erstrecken habe, gehe nicht über die Umweltbelange hinaus, denen im Rahmen des Abwägungsgebots Rechnung zu tragen sei.242 Als verfahrensrechtliches Instrument zur Ermittlung und Bewertung der Umweltauswirkungen wirke die UVP wegen der dadurch erfolgenden Zusammenstellung der umweltrelevanten Tatsachen zwar in das materielle Zulassungsrecht hinBVerwGE 100,370 ff.; ebenso BVerwG, DVBl. 1997, 1115, 1118. BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBl. 1996, 677, 679. 242 BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996, DVBl. 1996, 677, 680; vgl. auch im Schrifttum: SchmidtPreuß, DVBl. 1995, 484 ff. 240

241

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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ein, sie erweitere aber nicht den Kreis der Umweltbelange, die in der Abwägung einzustellen seien. 243 Es sei vielmehr durch das Gericht nachzuprüfen, ob im konkreten Fall durch die fehlende oder fehlerhafte UVP die Untersuchung wesentlicher Umweltauswirkungen vernachlässigt worden sei.

c) Gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen der UVP

Es stellt sich die Frage, wann von der Rechtsprechung ein UVP-Mangel angenommen wird und welche Konsequenzen sich daraus für die betreffende Zulassungsentscheidung ergeben. In der Rechtsprechung sind die inhaltlichen Voraussetzungen der einzelnen Verfahrensschritte nicht näher erörtert worden, da der Einfluß des möglichen Fehlers auf die Entscheidung im Zulassungsverfahren in den meisten Fällen gleich kategorisch wegen fehlender Kausalität verneint wurde?44 Daher sollen zunächst einmal die Konsequenzen eines vermuteten UVP-Mangels in der Rechtsprechung dargestellt werden, bevor auf die inhaltlichen Anforderungen der UVP eingegangen wird .

aa) Folgen der fehlerhaften oder fehlenden UVP § 17 Abs. 6 lit. c Satz 1 FStrG regelt bezüglich der Konsequenzen der Fehlerhaftigkeit der Abwägung bei der straßenrechtlichen Planfeststellung, daß Mängel nur erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Ergebnis der Abwägung von Einfluß gewesen sind. § 46 VwVfG normiert, daß ein Verwaltungsakt, der unter der Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, nicht aufgehoben wird, wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung der Norm die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat. Es stellt sich die Frage, was diese rechtlichen Normen für die Folgen und die Folgelosigkeit von UVP-Mängeln bedeuten.

Hier ist zu unterscheiden zwischen der Frage, wann ein Defizit der UVP hinsichtlich der Anforderungen des UVPG vorliegt und wann dieses Defizit sich auf den Abwägungsvorgang der Planfeststellung derart ausgewirkt hat, daß die Entscheidung wegen Fehlerhaftigkeit des Abwägungsergebnisses aufgehoben werden muß. Anders gesagt geht es um die Frage, wann ein Defizit im Abwägungsvorgang und wann ein Defizit im Abwägungsergebnis gegeben ist, bzw. wann das Defizit im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis durchschlägt. Die deutschen Verwaltungsgerichte vertreten zu dieser Problematik unterschiedliche Auffassungen und verwenden unterschiedliche Maßstäbe. Die oben dargestellten verschiedenen Ansichten der Gerichte zur Bedeutung der UVP im Rahmen 243

244

BVerwG, DVBI. 1997, 1115, 1118. Vgl. BVerwG, UPR 1998, 388 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

der fachlichen Zulassungsentsc;heidung bilden den Ausgangspunkt für diese unterschiedliche Behandlung von UVP-Verfahrensmängeln. Vor allem wird die Gleichsetzung der UVP mit anderen Verfahrensmängeln und das daraus resultierende Erfordernis der konkreten Kausalität des Verfahrensmangels auf das Ergebnis der Entscheidung in der Sache von dem OVG Koblenz und dem VGH München problematisiert und in Frage gestellt. (1) Konkrete Kausalität zwischen UVP-Mangel und Abwägungsergebnis

Wie sich bereits aus den Äußerungen des BVerwG zu dem Stellenwert der UVP im Rahmen der Abwägung ergibt, hält das Gericht das Fehlen einer nach den Regeln des UVPG durchgeführten UVP für unerheblich, wenn die eingestellten Umweltbelange in der Abwägung den Anforderungen an die UVP entsprechen. Fehlt also eine erforderliche UVP, dann ist nach Ansicht des BVerwG weiter zu prüfen, ob möglicherweise trotzdem die eingestellten Umweltbelange den Anforderungen der UVP genügen und schließlich, ob der Fehler den Abwägungsvorgang derart beeinflußt hat, daß er Auswirkungen auf das Abwägungsergebnis und damit auf die Entscheidung in der Sache gehabt haben könnte. Genügen die Umweltbelange den Anforderungen der UVP, dann lehnt das BVerwG einen Fehler im Abwägungsvorgang ab, da die Ermittlung des Tatsachenstoffs von dem Gericht dann als vollständig angesehen wird. Bei einer fehlerhaft durchgeführten UVP prüft das BVerwG in gleicher Weise, inwieweit dieser UVP-Mangel möglicherweise den Abwägungsvorgang beeinflußt und sich auf die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsergebnisses und damit die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben könnte. Das BVerwG hat von Anfang an bezüglich der UVP konsequent an seiner Rechtsprechung zu Verfahrensfehlern bzw. Folgen von Verfahrensfehlern festgehalten und das Erfordernis der Kausalität zwischen UVP-Verfahrensmangel und Entscheidungsergebnis immer wieder bestätigt. 245 Dabei ist nach Ansicht des Gerichts der notwendige Kausalzusammenhang nur dann gegeben, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne den Mangel im Abwägungsvorgang zu einem anderen Abwägungsergebnis hätte kommen können. Die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung komme jedoch nur in Betracht, "wenn sich aufgrunderkennbarer und naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet", daß bei Durchführung der UVP das Ergebnis anders hätte ausfallen können. 246 Folglich führt deshalb eine fehlende oder mangelhafte Umweltverträglichkeitsprüfung bei einer Straßenplanung dann nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn es keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, daß die (ord245 BVerwG, Urt. v. 22. 6. 1993, Az. 4 B 257 /92; Urt. v. 21. 3. 1996, DVBI. 1996, 915; Urt. v. 28. 2. 1996, Urt. v. 14. 6. 1996, NVwZ 1997, 340; Urt. v. 10. 4. 1997, NuR DVBI. 1997, 1115 ff.; Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998,305 ff.; Urt. v. 19. 5. 1998, NVwZ 1998,961 ff. 246 BVerwG, Urt. v. 22. 6. 1993,4 B 257/92.

li. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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nungsmäßige) Umweltverträglichkeitsprüfung zu einer anderen als der festgestellten Trasse hätte führen können. 247 Sind die Belange des Umweltschutzes aber tatsächlich gewahrt, dagegen die der Durchsetzung dieser Belange dienenden Verfahrensbestimmungen nicht, dann ist die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung nach Auffassung des BVerwG zu verneinen. 248 Bisher hat das BVerwG die Einstellung der Umweltbelange in die Abwägung trotz fehlender oder fehlerhafter UVP für ausreichend gehalten. Auch die meisten Instanzgerichte sind dieser Auffassung gefolgt249 . (2) Der UVP-Mangel als Defizit imAbwägungsvorgang

Dagegen folgern der VGH München250 sowie das OVG Koblenz251 aus der über reines Verfahrensrecht hinausgehenden Bedeutung der UVP als "Richtigkeitsgewähr des Verfahrens", daß das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer gebotenen förmlichen UVP einen Mangel im Abwägungsvorgang indiziere und sich folglich immer auf das Abwägungsergebnis und damit auf die Entscheidung auswirken müsse. Die Gerichte halten die Durchführung einer förmlichen UVP für unentbehrlich, da es gerade auf die Verfahrensschritte zur Ermittlung und Bewertung der Schutzgüter im einzelnen und in ihrer Gesamtheit ankomme. Deren materielle Erfassung i.S. von den in der Abwägung sowieso einzustellenden "Umweltbelangen" würde selbst bei 90% nicht "im wesentlichen" einer UVP gleichkommen. 252 "Steht, wie hier, unzweifelhaft fest, daß das Verfahren nach dem UVPG nicht eingehalten worden ist, dann indiziert dies im Ergebnis die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsvorgangs in bezug auf die Ermittlung des Sachverhaltes hinsichtlich der Umweltbelange mit der Konsequenz, daß dann lediglich noch zu priifen bleibt, ob dieser Mangel gern. § 17 Abs. 6c FStrG auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen ist oder durch eine Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann."

Lasse sich aber trotzdem ausschließen, daß eine nicht vorschriftsmäßig durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe zu einer anderen Entscheidung gegenüber den Klägern hätte führen können, so liegt darin nach Auffassung der beiden Gerichte kein relevanter Mangel, der auf das Abwägungsergebnis BVerwG, Beschluß v. 13. 3. 1995, UPR 1995,268. BVerwG, Beschluß v. 23. 2. 1994, UPR 1994, 264, 265; So auch Urt. v. 12. I. 1994, Buchholz 407.4 § 19 FStrG Nr. 6. 249 VGH Mannheim, Urt. v. 22. 3. 1995, NVwZ 1996, 304, 306; Urt. v. 14. 9. 1995, VGHBW RSpDienst 1995, Beilage 12, 88; 17. 11. 1995, VBlBW 1996, 265272; Urt. v. 28. 3. 1996, VG Würzburg, 6. 2. 1997, ZUR 1997, 213 ff. 250 VGH München, Urt. v. 5. 7. 1994, DVBI. 1994, 1202 ff.; 19. 10. 1993, NuR 1994,244, 245; Urt. v. 11. 6. 1993, NuR 1993, 286. VGH München, Urt. v. 16. 3. 1993, NuR 1993, 285, 286. 251 OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146 ff. 252 VGH München, Urt. v. 5. 7. 1994, DVBI. 1994, 1202. 247 248

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durchschlägt. Nicht maßgeblich soll hingegen sein, daß ein solches Defizit im Abwägungsvorgang nach den gegebenen Umständen darüber hinaus die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung - ohne diesen Mangel - zur Folge hätte. Insofern geht die Vermutung der Gerichte in eine andere Richtung als die Vermutung des BVerwG und hat damit Konsequenzen ftir die jeweilige Beweislast von Kläger und Behörde. Das BVerwG vermutet mit seiner Kausalitätsrechtsprechung, daß die fehlende oder fehlerhafte UVP in der Regel keinen Einfluß auf das Abwägungsergebnis haben wird, es sei denn, der Sachverhalt ergibt die konkrete Möglichkeit, auf die von dem Kläger hinzuweisen ist. Dagegen geht bei dem VGH München und dem OVG Koblenz die Vermutung zunächst dahin, daß ein Fehler im UVP-Verfahren in der Regel immer erheblich für das Entscheidungsergebnis sei, aber dennoch der positive Beweis durch die Behörde geführt werden könne, daß in diesem konkreten Fall eine Einflußnahme des Fehlers auf die Entscheidung ausgeschlossen sei. Dies kann nach Ansicht der beiden Gerichte z.B der Fall sein, wenn bei der Planung eine Art Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist253, d. h. die weitere Anreicherung oder Aufbereitung des Abwägungsmaterials für die behördliche Entscheidung unerheblich ist oder die Behörde den Anforderungen der UVP in der Sache entsprochen hat. In den Entscheidungen des VGH München vom 16. 3. 1993 und 19. 10. 1993 hatte das Gericht trotz Fehlens einer obligatorischen UVP aufgrund der vorliegenden Berichte über die Untersuchung der Umweltbelange ein solches "ins Gewicht fallen" der fehlenden förmlichen UVP ausgeschlossen, weil die Gewinnung der Information über die Umweltauswirkungen dem Ziel und Zweck der UVP entsprochen hätte. (3) Die Aufhebung der Entscheidung gem. § 17 Abs. 6 c FStrG

Allerdings folgerte der VGH München aus einem Defizit des Abwägungsergebnisses wegen fehlerhafter UVP nicht, daß der Planfeststellungsbeschluß wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben werden müßte. Vielmehr hielt es das Gericht in Anwendung des § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG für wahrscheinlich, daß die Planfeststellungsbehörde bei erneuter Abwägung auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen UVP und bei Berücksichtigung der nachgehenden Erwägungen die vorliegende Planfeststellung bestätigen würde. Der VGH München interpretierte die EinfUgung des § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG dahingehend, daß bei einer Verletzung der Verfahrensvorschriften nicht mehr nach der Kausalität zwischen UVP-Fehler und Entscheidungsergebnis gefragt, sondern lediglich geprüft werden solle, ob der Mangel durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden könne oder nicht und verwies den Kläger auf eine Verpflichtungsklage. 254

253 254

VGH München, NuR 1993,285,286. VGH München, DVBI. 1994, 1199.

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Im Urteil vom 5. 7. 1994 stellte das Gericht "exemplarisch" Defizite bei der Ermittlung und Bewertung der Zerschneidungseffekte für Natur und Landschaft durch die Eschenfieder Spange sowie die Beeinträchtigung einer bestimmten Erholungslandschaft fest und verpflichtete die Behörde hinsichtlich dieser Aspekte zur Planergänzung. Dem Kläger, der sich auf die fehlerhafte UVP berufen hatte, wurde somit kein Anspruch auf Planaufhebung, aber ein Anspruch auf Planergänzung zugestanden. In der Entscheidung vom 16. 1. 1995 hatte der VGH München ebenfalls einen UVP-Mangel hinsichtlich der Alternativenprüfung und damit ein Defizit des Abwägungsergebnisses bejaht und in Anlehnung an das Urteil vom 5. 7. 1994 die Vervollständigung der UVP mit der dann erforderlichen Nachholung der Abwägung festgesetzt. Eine Aufhebung der Planfeststellung lehnte das Gericht ab, da der UVP-Mangel partiell sei und einen fiktiven Nachvollzug einer fehlerfreien Abwägung nicht unmöglich mache. Nach Auffassung des Gerichts sind Planfeststellungen nur dann aufzuheben, wenn die Mängel des Abwägungsergebnisses derart sind, "daß sie einen hypothetischen Nachvollzug einer mängelfreien Planung auf der Basis der angefochtenen Planfeststellung gar nicht mehr gestatten. " 255 Das BVerwG gab in seinem Urteil vom 21. 3. 1996 allerdings der Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des VGH München vom 5.7 1994 statt, da zum einen nach Auffassung des Gerichts kein Abwägungsmangel vorgelegen habe und daher§ 17 Abs. 6 c S. 1/2 FStrG nicht hätte angewendet werden dürfen. Zum anderen sah das Gericht in der Verpflichtung der Behörde zur Planergänzung einen Verstoß gegen Bundesrecht Der Gesetzgeber wolle das Interesse des die Planaufhebung beantragenden Klägers an der Verhinderung des Vorhabens nicht "umlenken oder umdeuten in ein dem Abwägungsgebot genügendes Verfahren". Im Fall der Behebbarkeit erheblicher Abwägungsmängel durch ergänzendes Verfahren (§ 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG) stelle das Gericht lediglich die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses fest, mit der Folge, daß er bis zur Behebung des Mangels nicht vollziehbar sei. 256 Das Gericht sieht in der Verpflichtung der Behörde zu einem ergänzenden Verfahren die Gefahr, daß die Gerichte eine Art Wahrscheinlichkeitsprognose über eine (voraussichtliche) Bestätigung des angefochtenen Planfeststellungsbeschluß anstellen müßten, was zu einer Überforderung der Gerichte führe und auch die Planfeststellungsbehörde in ihrer Freiheit beschränke, eine andere Variante in Betracht zu ziehen. Bei der bloßen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Planfeststellung bleibt nach Auffassung des Gerichts die Freiheit der Behörde gewahrt. Sie

VGH München, Urt. v. 16. 1. 1995, Az. 8 A 94.40083. Das BVerwG gab in seinem Urt. v. 21. 3. 1996 allerdings der Revision der Beklagten gegen diese Entscheidung statt, da kein Abwägungsmangel vorgelegen habe und daher § 17 Abs. 6 c FStrG nicht hätte angewendet werden dürfen. 255

256

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D. Die UVP in Deutschland

könne dann autonom entscheiden, ob sie ein ergänzendes Verfahren durchführe, gänzlich von der Planung Abstand nehme oder ein neues Verfahren einleite. 257 Das Gericht stellt auch deutlich heraus, daß seine Kausalitätsrechtsprechung nicht durch § 17 Abs. 6 c FStrG obsolet geworden sei, sondern seine rechtliche Stütze in § 46 VwVfG finde, dessen Geltung durch § 17 Abs. 6 c FStrG unberührt bleibe. Im Gegensatz zu der Entscheidung des VGH München vom 5. 7. 1994 und vom 16. l. 1995 ist das OVG Koblenz in seinem Urteil vom 29. 12. 1994 der Auffassung, daß der wegen des fehlerhaften UVP-Verfahrens festgestellte Abwägungsfehler nicht lediglich durch ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren behoben werden könne, sondern die Aufhebung des gesamten Planfeststellungsverfahrens zur Folge haben müsse, auch wenn der Gesetzgeber in § 17 Abs. 6 c FStrG Heilungsmöglichkeiten eingeräumt habe. Nach Ansicht des Gerichts würde jede gerichtliche Entscheidung, die die Behörde zu einer ergänzenden Planfeststellung verpflichte, bedeuten, daß das Gericht eine Abwägungsprognose mit für die Behörde bindender Wirkung erstellen müßte und somit innerhalb der verschiedenen zulässigen Abwägungsergebnisse eine "Vorauswahl eines einzigen, dann von der Verwaltung allenfalls noch zu modifizierenden Abwägungsergebnisses" zu treffen hätte. Dies würde die planecisehe Gestaltungsfreiheit der Behörde verletzen. Insofern vertritt das Gericht die Auffassung, daß § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG schon dann anzuwenden ist, wenn sich nicht ausschließen läßt, daß die Planungsentscheidung ohne den Abwägungsfehler anders ausgefallen wäre.258 In der Revision vom 25. 1. 1996 wies das BVerwG die Ansicht des OVG Koblenz zurück. Da wie bei der Revision des Urteils des VGH München ein Abwägungsmangel durch das BVerwG abgelehnt wurde, äußerte sich das Gericht nur kurz zu den Voraussetzungen des § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG. Danach lehnte das BVerwG die Auffassung des OVG Koblenz über die Erheblichkeit eines Mangels ab und forderte auch hier neben der Offensichtlichkeit die konkrete Möglichkeit, daß die Planungsbehörde ohne den Abwägungsmangel anders entschieden hätte haben können. Auch der VGH München hat mit Urteil vom 15. 2. 1996259 eine Planfeststellung wegen fehlender UVP aufgehoben mit der Begründung, der Planung hafte wegen der unterbliebenen UVP ein Verfahrensmangel an, der auf die Abwägungsentscheidung durchschlage und nicht durch Planergänzung oder ergänzendes Verfahren behoben werden könne. Das BVerwG hat das Urteil des VGH München mit Urteil vom 10. 4. 1997 aufgehoben, weil die eingestellten Belange den UVP-Anforderungen genügt hätten?60 257 258 259 260

BVerwG, DVBI. 1996,907 ff. OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146 ff. VGH München, 8 A 94.40116. BVerwG, NVwZ 1998, 508 ff.

Il. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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bb) Das UVP-Verfahren als Sicherung der Richtigkeit der Entscheidung (1) Ansicht des OVG Koblenz und des VGH München

Die Behandlung einer fehlenden oder fehlerhaften UVP als Indiz für die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsvorgangs wird von dem VGH München und dem OVG Koblenz neben der bereits oben erörterten Bedeutung der UVP im Abwägungsprozeß damit begründet, daß sich die Ergebnisrichtigkeit bei der Bewertung der Umweltauswirkungen mangels materieller Priifungsmaßstäbe im wesentlichen nur durch die Einhaltung des Verfahrens als solches gewährleisten lasse. Wegen fehlender Bewertungsmaßstäbe und der erheblichen Unsicherheiten bei der Festlegung von Erkenntnismethoden sei schon die Festlegung der Vorgehensweise bei der Untersuchung der Umweltauswirkungen nicht von abwägenden Elementen zu trennen und müsse durch bestimmte Verfahrenssicherungen begrenzt und unterstützt werden. Hier griffen "Ermittlungsauftrag und Bewertungsbefugnis" ineinander und bildeten in ihrer "Wechselbezüglichkeit" ein Element der Abwägung, für die dem Gericht die Nachermittlungskompetenz fehle. Das UVP-Verfahren sei erforderlich, um bei Fehlen allgemeiner Priifungsmethoden dem Vorhabenträger und der Behörde, bzw. den Sachverständigen, im fachlichen Dialog die gemeinsame Ausarbeitung der Erhebungsmethoden und Maßstäbe für die Bewertung zu ermöglichen; es soll die fehlenden Standards kompensieren. Bestünden Unsicherheiten bezüglich der Erhebungsmethoden und -maßstäbe für die Bewertung der UVP, dann solle sich die Behörde mit Einhaltung des Verfahrens zumindest vor Augen führen, "inwieweit in bezug auf bestimmte Fragen anerkannte Ermittlungs- und Bewertungsstandards nicht bestehen und in gewissem Umfang eine Risikoentscheidung gefordert ist."261 "Beruhen Untersuchungsrahmen und Bewertungsmuster auf dem konkret gegebenen Rat ausgewiesener Fachleute und dem dadurch kompensierten Stand des Fachwissens, kann das zusammengefaSte Ergebnis gemäߧ 12 UVPG für die Planfeststellung herangezogen werden und ist der überhaupt erreichbare sachnächste und normnächste Zustand erreicht. Verbleibende Unsicherheiten und Beurteilungsrisiken sind in die Abwägung einzubeziehen. Damit ist der gesetzliche Abwägungsauftrag erfüllt. (BayVGH, Urteil vom 05.Juli 1994). Aufgrund dieser Umstände gewinnen die Verfahrensregelungen des UVPG mithin...maßgebliche Bedeutung für die gemeinsame Erarbeitung der Untersuchungsmethode und für die Bewertung des Untersuchungsergebnisses, wobei gerade in die Ausarbeitung der Untersuchungsmethode zwangsläufig erwägende Elemente von Seiten der Planfeststellungsbehörde einfließen. " 262

Die Festlegung der Vorgehensweise der Untersuchung liegt nach Auffassung der beiden Gerichte wegen ihres wertenden Charakters außerhalb der gerichtlichen Kontrollkompetenz. Eine vergleichende Überpriifung des Gerichts scheitert nach Ansicht der genannten Gerichte an normativen Vorgaben und hätte eine eigene 261 262

9 Prelle

Vgl. VGH München, 5. 7. 1994, DVBI. 1994, 1201. OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

Wertung des Gerichts zur Folge. Einzige Aufgabe und Kompetenz der Gerichte könne daher nur noch die Einhaltung der Grenzen der inhaltlichen Festlegung von Maßstäben der Ermittlung und Bewertung durch die Behörde sein.263 Beispielsweise könnten die Gerichte untersuchen, ob sich die Untersuchungsmethode am neuestenStand von Wissenschaft und Forschung ausrichtet. Der VGH München spricht in seinem Urteil vom 5. 7. 1994 von der Erforderlichkeit der ,,Zuriicknahme hypothetischer Erwägungen des Gerichts im Rahmen der Defizitpriifung", um die Bedeutung eines UVP-Mangels zu begriinden. Die Bedeutung der einzelnen Phasen der UVP ließen sich bei der gerichtlichen Kontrolle ex post und in ihrem Zusammenhang mit der spezifischen Konfliktlage kaum abschätzen und soweit es um die Konkretisierung ginge, könne das Gericht diese ohnehin nicht ersetzen. Die beiden Gerichte akzentuieren den Auftrag und die Möglichkeiten des Verwaltungsverfahrens bei der Konkretisierung der zu untersuchenden Umweltauswirkungen, die bislang eine wertende Entscheidung der Behörde sei, da eine Standardisierung sich noch in der Entwicklung befinde. Eine durch das Fehlen von Umweltstandards bedingte "Notkompetenz" der Gerichte kommt nach Auffassung des Gerichts erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsverfahren, welches die fehlenden allgemeinen Regelungen kompensieren solle, durchgeführt worden ist. Allerdings hält das Gericht dann eine vollständige inhaltliche Kontrolle der UVP für möglich, wenn "der Konflikt zwischen Vorhaben und Umwelt in seiner Dimension hinreichend erlaßt ist", d. h. die Möglichkeit einer anderen Gewichtung aufgrund weiterer Erhebungen praktisch ausgeschlossen sei. 264 Das OVG Koblenz baute in erster Linie auf die klarstellende Wirkung der Verwaltungsvorschriften gern. § 20 Nr. 1 UVPG für die zukünftige einheitliche Rechtsanwendung und Rechtskontrolle der UVP. Das Gericht veranschaulichte dies an einer Gegenüberstellung der UVP mit der Verkehrslärmuntersuchung, die sich nach Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung richte. Während die VO sowohl zu beachtende Immissionsgrenzwerte, eine Definition der Erheblichkeit des Eingriffs sowie eine Berechnungsmethode enthalte, fehle dies bei der Umweltverträglichkeitspriifung. Für die Behörde bedeute das Vorliegen eines Regelwerks, daß sie nach den gleichen methodischen Vorgaben eine Verkehrslärmuntersuchung erarbeiten könne und die Gerichte die Einhaltung und Vollständigkeit der Untersuchung anhand der Regelungen nachpriifen könnten. "Selbst eine derartig eigenständig abwägende Steuerung einer Vergleichsermittlung könnte aber die notwendige Aufklärung, ob die Behörde materiell die Vorgaben des UVPG erfüllt hat, niemals erbringen, weil keineswegs ausgeschlossen werden kann, daß eine durch die Wertungen des Gerichts gesteuerte UVP, gerade weil Wertungen hierbei eine Rolle spielen, mindestens hinsichtlich der Vorgehensweise, Untersuchungstiefe und -dichte nicht mit der identisch wäre, die die Planfeststellungsbehörde vorgenommen hätte, hätte sie ihrer-

263 264

OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146 ff. VGH München, Urt. v. 5. 7. 1994, DVBI. 1994, 1199, 1201.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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seits eine förmliche UVP durchgeführt. Es fehlen nämlich für die Untersuchung verbindliche, alles umfassende Regelungen, die sicherstellen, daß unabhängig davon, wer die Untersuchung durchführt, beim selben Untersuchungsgegenstand - hier den Umweltauswirkungen der Straßenbaumaßnahme - jeweils ein identisches Untersuchungsergebnis erreicht wird. " 265

Eine solche eigene Wertung durch die Gerichte greift nach Ansicht der Gerichte unzulässig in den planensehen Gestaltungsspielraum der Behörde ein, weil das Gericht seine Abwägung an die Stelle der der Behörde setzen würde, was im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip Bedenken ausgesetzt wäre. (2) Ansicht des BVerwG

Das BVerwG hat diese Auffassung des VGH München und des OVG Koblenz zurückgewiesen und vor allem die Frage der Leistungsfähigkeit der UVP als Ansatzpunkt für die Ablehnung der Auffassung aufgegriffen. Das BVerwG bemerkte in der Revision zum Urteil des OVG Koblenz zu dessen ,,Richtigkeitsgewähr" durch die UVP, daß das Gericht die Bedeutung der UVP höher einschätze, als sie in ihrem Inhalt nach sein könne. Das BVerwG sieht in der Einführung der UVP nicht schon den Grundstein für eine verbesserte Methodik der Ermittlung und der Bewertung von Umweltauswirkungen. Dafür fehle es bereits in der Wissenschaft an Erkenntnissen. 266 "Die UVP-Richtlinie gibt keinerlei Aufschlüsse über Untersuchungsverfahren und Bewertungskriterien. Die UVP ersetzt auch nicht fehlende Umweltstandards. Die vom OVG allgemein beklagten Defizite im Bereich der Untersuchungsmethoden und der Bewertungsmaßstäbe, die es erschweren, etwaige Umweltauswirkungen angemessen zu erfassen, rühren daher, daß die Einsicht in das Wirkungsgefüge zwischen den einzelnen Umweltfaktoren vom Stand der Erkenntnis und der Erkenntnismöglichkeiten abhängt, das derzeit noch lückenhaft ist und bei realistischer Betrachtung zumindest auf absehbare Zeit lückenhaft bleiben wird."

Die UVP als Verfahren soll nach Ansicht des BVerwG lediglich gewährleisten, daß die Methode beispielsweise der Ermittlung zur Erreichung des Untersuchungszwecks qualitativ und quantitativ nicht ungenutzt bleiben. Die Indizwirkung einer fehlenden oder fehlerhaften UVP für die Fehlerhaftigkeit der Abwägung lehnt das BVerwG deshalb neben dem Hinweis auf das geringe Leistungsvermögen der UVP mit der Begründung ab, daß der Mangel an einschlägigen Regelwerken und Standards nicht durch ein UVP-Verfahren kompensiert werden könnte.

265 266

9*

OVG Koblenz, 29. 12. 1995, ZUR 1995, 146, 150. BVerwG, Urt. v. 21. 3. 1996, NVwZ 1996, 1016, 1018.

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D. Die UVP in Deutschland

cc) Kontrolle inhaltlicher Voraussetzungen der UVP Es stellt sich die Frage, wann nach der Rechtsprechung inhaltlich ein relevanter Verstoß gegen UVP-Vorschriften, also ein UVP-Mangel vorliegt. Die in der Richtlinie genannten Begriffe wie "Wechselwirkungen", "Ermittlung", "zusammenfassende Darstellung", "Umweltauswirkungen", "Bewertung", "Beriicksichtigung" geben keine eindeutige Auskunft in bezug auf ihre Inhalte, den Untersuchungsrahmen der UVP, die Methodik und Intensität der Untersuchung, die Bewertungsmaßstäbe etc. Es ist daher völlig unklar, nach welchen Kriterien der Projektträger oder die Behörde eine UVP durchführen bzw. die Gerichte einen UVP-Mangel feststellen können. Eine gerichtliche Kontrolle muß sich an irgendwelchen Vergleichsmaßstäben orientieren können, um das Handeln der Verwaltung auf seine Richtigkeit überpriifen zu können, ohne eine eigene Bewertung an die Stelle der Verwaltung zu stellen.267 Die bisherigen sektoral ausgerichteten Umweltgesetze bieten keine Maßstäbe für eine Untersuchung aller Umweltauswirkungen einschließlich ihrer Wechselwirkungen. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen stellte schon in seinem Umweltgutachten von 1978 fest, daß es keine Verrechnungseinheiten gebe, die es erlauben würden, verschmutztes Wasser gegen saubere Luft, zerstörte Naturlandschaften gegen geräuscharme Fahrzeuge aufzurechnen. 268 Nach § 20 UVPG sollten für die Standardisierung bei Anwendung der UVP Verwaltungsvorschriften erlassen werden. Da diese Ausführungsvorschriften erst am 30. 9. 1995 in Kraft getreten sind, lag es bis dahin bei den Gerichten, die Begriffe abzugrenzen und in ihrem Rahmen festzulegen. Aber auch die erlassenen Verwaltungsvorschriften haben diese Probleme trotz einiger Maßstäbe, Leitlinien, Orientierungshilfen nicht beenden können. Für das FStrG gibt es beispielsweise seit 1990 noch ein Merkblatt zur Umweltverträglichkeitspriifung in der Fernstraßenplanung, seit 1997 eine Arbeitshilfe zur praxisorientierten Einbeziehung von Wechselwirkungen in Umweltverträglichkeitsstudien für Straßenbauvorhaben der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen und Musterkarten für Umweltverträglichkeitsstudien im Straßenbau vom Bundesministerium für Verkehr von 1995, welche aber auch eher bruchstückhaft sind. Zu den inhaltlichen Voraussetzungen der vielen schwer definierbaren unbestimmten Rechtsbegriffe und damit zu der Frage, wann ein Verfahrensfehler überhaupt vorliegt sowie zu den Möglichkeiten der rechtlichen Kontrolle, äußerten sich die Verwaltungsgerichte bisher nur selten und zögerlich, da die Relevanz eines Mangels der UVP für den Abwägungsvorgang bereits von vornherein abgelehnt wurde. Hauptsächlich hat sich bisher der VGH München in seinen Urteilen mit inhaltlichen Fragen näher befaßt. An dieser Stelle sollen die wenigen Erörterungen der Verwaltungsgerichte zu den inhaltlichen Anforderungen der UVP dargestellt werden. 267 268

Vgl. auch Steinberg, DVBl. 1990, 1369, 1371. BT /Drs. 8/1978, Rn. 1353.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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( 1) Anforderungen an die Form der UVP

Das BVerwG stellt aufgrund seiner Auffassung über den Stellenwert der fönnlichen UVP keine besonderen Anforderungen an die Fonn der UVP. Weder die Richtlinie noch das Gesetz zur UVP würden Angaben dafür enthalten, in welcher Fonn der Vorhabenträger die erforderlichen Angaben über die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt erbringen müßte. 269 Es genügt nach Ansicht des Gerichts, wenn das Verfahren so, wie es tatsächlich durchgeführt wurde, den Anforderungen von UVPG und UVP-RL entspricht. Daher müsse keine eigenständige separate UVP vorgelegt werden, sondern es reiche aus, wenn der Vorhabenträger seiner Infonnationspflicht in irgendeiner, der Richtlinie entsprechenden Weise nachkäme. Dies könne "in Fonn einer Umweltverträglichkeitsstudie" oder "Raumwiderstandsanalyse" geschehen. Auch sei der Richtlinie keine Pflicht zu einer schematischen oder standardisierten Darstellungsweise zu entnehmen. 270 Nach Auffassung des BVerwG kann der Vorhabenträger entscheiden, ob er eine Darstellung in Fonn einer eigenständigen separaten UVP oder eine andere Fonn bevorzugt. Insofern sei ein UVP-Mangel nur dann zu bejahen, wenn das Zulassungsverfahren, so wie es tatsächlich durchgeführt wurde, mit den Anforderungen der UVP-Vorschriften nicht übereinstimme, d. h. Anhaltspunkte gegeben seien, daß durch das Unterlassen abwägungserhebliche Umweltbelange außer acht gelassen oder fehlgewichtet worden seien. 271 Der OVG Koblenz und der VGH München dagegen gehen bei Unterlassen einer fönnlichen UVP eher von einem Abwägungsfehler aus.272 (2) Anforderungen an die Ermittlung

In dem dem Urteil des BVerwG vom 8. 6. 1995273 zugrundeliegenden Sachverhalt rügten die Kläger, der Träger des Vorhabens habe nicht die nach § 6 UVPG erforderlichen Unterlagen zu Beginn des Verfahrens vorgelegt. Neben den im Antrag vorgelegten Unterlagen wurde im späteren Verlauf des Verfahrens nach Ablauf des Anhörungsverfahrens eine ergänzende Umweltstudie eines Sachverständigen vorgelegt, die die Straßenbaubehörde in Auftrag gegeben hatte. Nach Ansicht der Kläger verstieß dieses Nachreichen von Unterlagen gegen die in § 6 Abs. 1 UVPG festgelegte frühzeitige Vorlage der entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen, da die mit dem Antrag vorgelegten Unterlagen insoweit nicht aussagekräftig genug gewesen seien. Das BVerwG hielt § 6 UVPG nicht schon dann für verletzt, wenn sich im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstellt, 269 270 271

272 273

BVerwG, 19. 5. 1998, UPR 1998, 388 ff. BVerwG, 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. Vgl. auch BVerwG, 19. 5. 1998, UPR 1998, 388 ff. D. II. 2. d) bb). BVerwGE 98, 339 ff.

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D. Die UVP in Deutschland

daß weitere Untersuchungen in bezug auf Umweltauswirkungen und Möglichkeiten von deren Vermeidung oder Verminderung erforderlich seien. "Die öffentliche Bekanntmachung des Vorhabens und das anschließende Verfahren der Behördenbeteiligung und der Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit dient gerade dazu, Aufschluß über vom Vorhabenträger nicht erkannte Umweltauswirkungen und Möglichkeiten der Vermeidung oder Verminderung von Umweltauswirkungen sowie Anstöße für weiteren Untersuchungsbedarf zu erlangen."274

Auch aus Art. 5 Abs. 1 i.V.m. dem Anhang III der UVP-Richtlinie entnimmt das BVerwG keine weitergehenden Anforderungen an die Art und den Umfang der vom Projektträger zu machenden Angaben. In dem Urteil vom 19. 5. 1998 stellte das BVerwG fest, daß das Unterlassen der Vorlage bestimmter Unterlagen oder unvollständige Angaben des Vorhabenträgers für sich genommen nicht zu einem durchgreifenden Rechtsmangel führe. Entscheidend sei vielmehr, ob die nachfolgende Bekanntmachung der Unterlagen an die Öffentlichkeit die vom Gesetz gewollte Information der Öffentlichkeit als "Anstoßwirkung" erfülle und die für die inhaltliche Beurteilung des Vorhabens bedeutsamen Informationen bei der das Verfahren abschließenden Entscheidung berücksichtigt worden seien.Z75 Folglich führen Mängel der Unterlagen bei der Antragstellung nach Auffassung der Gerichte nicht zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens und seines Ergebnisses, weil sie im Laufe des Verfahrens noch ausgeglichen werden können.276 In dem Sachverhalt, der dem Beschluß des BVerwGE vom 17. 2. 1997277 zugrunde lag, wandte sich die Klägerin gegen einen Planfeststellungsbeschluß des Wirtschaftsministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Sie machte insbesondere geltend, daß der Planfeststellungsbeschluß § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG verletze, weil eine Übersicht der wichtigsten Vorhabenalternativen durch den Vorhabenträger gefehlt habe. Auch hier entschied das BVerwG, daß dieser Mangel ohne Bedeutung sei, da solche Mängel der ausgelegten Unterlagen nach § 6 UVPG im Laufe des weiteren Verfahrens der UVP ausgeglichen werden könnten. (3) Die Untersuchung der Umweltauswirkungen

Die Ermittlung ist auf die Umweltauswirkungen bezogen, so daß sich die Frage aufwerfen läßt, in welcher Intensität und in welchem Umfang der Vorhabenträger die möglichen Umweltauswirkungen eines Vorhabens ermitteln muß. Bedeutet die Untersuchung der Umweltauswirkungen, daß die vom Vorhaben betroffene Tierund Pflanzenwelt vollständig erfaßt werden muß? Was heißt Vollständigkeit? Sol-

So auch BVerwG, 14. 6. 1996, NVwZ-RR 1997,340, 343. Vgl. BVerwG, 19. 5. 1998, UPR 1998,388 ff. 276 Vgl. auch BverwG, 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff.; UPR 1998,388 ff. m BVerwG, NuR 1998, 305 ff. 274 275

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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len auch Wirkungszusammenhänge untersucht werden, die die Wissenschaft noch nicht ausreichend erforscht hat? Das Niveau der Anforderungen an die Ermittlung der Umweltauswirkungen wird von den Gerichten unterschiedlich bewertet. So geht der VGH München von einem hohen Anforderungsniveau aus. Dies zeigt sich bereits an seiner Auffassung, daß eine außerhalb des UVP-Verfahrens durchgeführte materielle Erfassung der Umweltschutzgüter selbst dann nicht genüge, wenn sie zu 90% durchgeführt worden sei. 278 In dem Urteil vom 5. 7. 1994 hatte der VGH München kritisiert, daß die Planfeststellungsbehörde den Bau und den Betrieb der Eschenrieder Spange als bloße Verstärkung des ,,zerschneidungseffekts" bewerte, der schon aufgrund der vorhandenen Eisenbahnlinie bestünde, ohne weitere Umweltauswirkungen zu prüfen. Es hätte untersucht werden müssen, ob nicht wesentlich "stärkere Belastungs- und Zerschneidungseffekte" hätten eintreten können. Insbesondere beanstandete der VGH München, daß erst durch im Rahmen der UVP zu entwickelnde Methoden und vor allem durch fachlichen Dialog möglicherweise weitere Erkenntnisse hätten gewonnen werden können. So hätten sich die Fachleute wegen der fehlenden rechtlichen Vorgaben im Dialog über eine Methode zur Erfassung der Insekten einigen müssen, da es hierfür keine anerkannte Methode gebe. Außerdem habe es an einer systematischen, parzellenscharfen faunistischen Bestandsaufnahme durch die Behörde gefehlt. Die Biokartierung enthalte über die Auswertung vorhandener Daten hinaus nur die allgemeine Aussage, daß die "lebensräumliche Ausstattung in weitem Umfang Rückschlüsse auf die Tierwelt" zulasse. Das BVerwG hat sich in seinem Revisionsurteil vom 21. 3. 1996279 mit diesen Kritikpunkten befaßt und kommt dabei zu dem Schluß, daß der VGH München die Leistungsfähigkeit der UVP überschätze. Die Tatsache, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Pflicht und den rechtlichen Rahmen flir die Durchführung einer UVP geschaffen habe, legt nach Ansicht des BVerwG nicht schon den Grundstein für eine verbesserte Methodik der Ermittlung und der Bewertung von Umweltauswirkungen. Was auf diesem Felde die Wissenschaft (noch) nicht hergebe, vermöge auch eine UVP nicht zu leisten. Von der Behörde könne daher bei der Ermittlung der Umweltauswirkungen nicht mehr verlangt werden, als daß sie die Annahmen zugrunde lege, die "dem allgemeinen Kenntnisstand und den allgemein anerkannten Prüfungsmethoden" entsprächen. Die Planfeststellungsbehörde brauche keine Detailuntersuchungen vorzunehmen. Die UVP ist nach Auffassung des BVerwG kein "Suchverfahren", in dem alle nur erdenklichen Auswirkungen eines Vorhabens auf Umweltgüter und deren Wertigkeit bis in alle Einzelheiten und feinen Verästelungen zu untersuchen seien oder gar Antworten auf in der Wissenschaft VGH München, DVBI. 1994, 1202 ff. BVerwG, Urt. v. 21. 3. 1996, NuR 1996, 589, 593. Vgl. auch nachgehend, BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. 278

279

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D. Die UVP in Deutschland

bisher noch ungeklärte Fragen gefunden werden müßten. Das BVerwG hält es weder nach der UVP-RL noch dem UVPG für erforderlich, daß die Umweltauswirkungen eines Vorhabens anhand standardisierter Maßstäbe oder in standardisierten oder schematisierten und rechenhaft handhabbaren Verfahren ermittelt und bewertet werden oder daß, solange es an einem solchen Verfahren fehlt, dies durch einen Dialog der Fachleute beider Seiten bis zur Erreichung eines Kompromisses auszugleichen wäre. Das BVerwG bestätigt zwar, daß die Planfeststellungsbehörde nicht nur Umweltbelange in die Abwägung einzubeziehen habe, die sie schon kenne oder die sich ihr ohne nähere Untersuchungen als typisch aufdrängen, sondern von dem Vorhabenträger auch detaillierte Angaben über die Auswirkungen des konkreten Vorhabens auf die spezifische Umwelt notfalls mit erforderlichen Nachermittlungen verlangen solle. Allerdings beschränkt das Gericht die Untersuchungen insofern, als daß abstrakt mögliche Umweltauswirkungen, für die es "nach Lage der Dinge" in der konkreten Situation "keine Anhaltspunkte" gebe, die "nach dem allgemeinen Kenntnisstand nicht zu erwarten sind" oder für deren Feststellung es "allgemein anerkannte Prüfungsmethoden" nicht gebe, nicht geprüft werden müßten. Das BVerwG lehnt somit die Untersuchung "irgendwelcher" Umweltauswirkungen ab und verlangt von dem Vorhabenträger lediglich, daß er Unterlagen mit einer Beschreibung der zu erwartenden "erheblichen" Umweltauswirkungen unter Berücksichtigung des allgemeinen Kenntnisstands und der allgemein anerkannten Prüfungsmethoden vorlegt. "Die UVP-Richtlinie fordert, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung die erforderlichen Grundlagen für eine "Beurteilung der möglichen erheblichen Umweltauswirkungen" eines Projekts liefert; deshalb muß der Projektträger Angaben vorlegen "zur Feststellung und Beurteilung der Hauptwirkungen, die das Projekt voraussichtlich für die Umwelt haben wird" (Art. 5 Abs. 2). Das UVP-Gesetz fordert für die vom Vorhabenträger vorzulegenden Unterlagen, daß sie u. a. eine "Beschreibung der zu erwartenden erheblichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt" enthalten, und schreibt dafür die Berücksichtigung des allgemeinen Kenntnisstands und der allgemein anerkannten Prüfungsmethoden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) vor."280

Das BVerwG ist also der Auffassung, daß die Sachverhaltsermittlung auf das "vernünftigerweise Vorhersehbare" begrenzt werden muß. Dies entspricht der zum Abwägungsgebot entwickelten Formel des BVerwG, daß als Abwägungsmaterial die Belange anzusehen sind, die "nach Lage der Dinge" in die Abwägung eingestellt werden müssen. Dahinter steht nach Ansicht des BVerwG die allgemeine Erkenntnis, daß die Forderung, die Wirkungen bestimmter Veränderungen in einem Ökosystem vollständig zu erfassen, schon wegen der Komplexität der Zusammenhänge nicht nur an praktische, sondern auch an Grenzen des wissenschaftlichen Erkenntnisstands stoßen würde.

2so BVerwG, Urt. v. 21. 3. 1996, NVwZ 1996, 1016, 1018.

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Auch der VGH Mannheim behauptete in seinem Urteil vom 17. 5. 1995 zu dem Untersuchungsumfang hinsichtlich der Umweltauswirkungen, daß es nicht Aufgabe einer UVP sei, wissenschaftlich unerforschte Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge zu klären und daß eine vollständige Erfassung der Tier- und Pflanzenarten auch bei länger andauernden Untersuchungen nicht gewährleistet werden könne. Als Lösung schlug das Gericht vor, eine Auswahl der richtigen Indikationsgruppen zu treffen. Es komme darauf an, für den Untersuchungsraum besonders bedeutsame Repräsentanten an Tier - und Pflanzengruppen festzustellen. Die richtige Auswahl der Indikationsgruppen erscheint dem Gericht bedeutsamer als das Gebot der möglichst vollständigen Erfassung von Flora und Fauna. Die Gutachter in dem zugrundeliegenden Sachverhalt durften also die Untersuchung auf zoologischem Gebiet durchaus auf drei große Tiergruppen, nämlich Vogel, Libellen und Kriechtiere beschränken. Ebenso durfte in dem betreffenden Fall von pflanzensoziologischen Erhebungen abgesehen werden. 281 Das Verwaltungsgericht München kritisierte in seinem Urteil vom 15. 2. 1996282, daß tatsächlich keine ausreichende Prüfung der Umweltbelange erfolgt sei, insbesondere seien die Unterlagen über die be-und entlastenden Auswirkungen derbetreffenden Straße auf das Schutzgut Mensch sowie die Angabe und Menge der zu erwartenden Immissionen unzureichend gewesen. In dem landschaftspflegerischen Begleitplan seien die Belange des Immissionsschutzes, der Wasserwirtschaft, der Land- und Forstwirtschaft, sowie der Naturgüter Boden, Wasser, Luft und Klima nur angesprochen worden, "soweit sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Naturhaushalt, mit der vorgefundenen Tier- und Pflanzenwelt, mit dem Landschaftsbild und dem Erholungswert des Untersuchungsraums" stünden, "in dem der ,Mensch' nur insofern ,berücksichtigt' werde, als er als ein in der Natur Erholungssuchender in Erscheinung trete. Das BVerwG sah die angestellten Belange jedoch als ausreichend an. 283 In dem Urteil vom 17. 2. 1997284 , in dem es um den Bau einer Brücke über die Radegast ging, lehnte das BVerwG die Argumentation der Klägerin ab, die Planfeststellungsbehörde habe die Bedeutung der Rotbauchunke, der Wildfische und Großmuscheln verkannt. Das Gericht stellte fest, daß nur die Untersuchung "zentraler Belange" erforderlich und eine vollständige Ermittlung weiterer Eingriffe rechtlich nicht geboten sei, zumal die Behörde in dem speziellen Fall die "Wertigkeit des Flußlebens" nicht verkannt habe. Ähnlich rügten Kläger in dem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 13. 2. 1997 die unzureichende Untersuchung der negativen Auswirkungen der geplanten Straße A 6 auf Tierpopulationen. So wurde in einem Gutachten bezüglich bestimmter 281 VGH Mannheim, Urt. v. 17. II. 1995; siehe auch BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff. 282 Fn. 259. 283 Fn. 260. 284 BVerwG, NuR 1998, 305 ff.

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ausgewählter Tierarten (Wildkatze, Schleiereule, Steinkauz, Uhu und Schwarzstorch) festgestellt, daß ein technischer Schutz der Wildkatze vor dem Straßentod nicht möglich sei und das "die Zerschneidung der sehr dünn besiedelten und verkehrsarmen Landschaftsteile eine starke Minderung der Lebensraumqualität der genannten Arten nach sich ziehen werde" und auch "nicht an anderer Stelle ausgleichbar" sei. 285 Die Kläger machten geltend, daß eine umfassende Untersuchung der Auswirkungen auf alle Tierarten ähnlich nicht ausgleichbare Betroffenheiten zu Tage gefördert hätte. Das Gericht rechtfertigte die Methode der Auswahl bestimmter Indikationsgruppen, weil auf "der Grundlage der Erkenntnis, daß die Lebensräume und Lebensbedingungen der Tiere systematisch eng vernetzt seien, von den Indikatorengruppen auf den Gesamtkomplex ,Tierwelt' Rückschlüsse gezogen" werden könnten, ohne "sie definitiv kartiert und benannt zu haben". Insofern wurde von dem Gericht ein Fehler bei der Methodik der Untersuchung verneint, denn maßgeblich sei nicht, ob die durchgeführte Sachverhaltsaufklärung noch intensiver hätte sein können, sondern ob nach "Lage der Dinge" eine weitergehende Untersuchung angezeigt gewesen wäre.286 Die Ermittlungen seien in dem Umfang durchzuführen, daß eine "sachgerechte Planungsentscheidung" möglich sei.Z87 Das OVG Schleswig hat in seinem Urteil vom 9. 2. 1995 für den Umfang der Prüfung der Umweltauswirkungen noch den Gesichtspunkt der Proportionalität genannt. Danach sollen die Anforderungen an den Umfang des zu berücksichtigenden Abwägungsmaterials nicht überspannt werden. Die Intensität der Zusammenstellung der zu berücksichtigenden Belange bestimme sich nach der Intensität des Eingriffs des Vorhabens in die Natur.Z88 (4) Die Beteiligung der Öffentlichkeit

In dem der Entscheidung des VGH München vom 19. 10. 1993 zugrundeliegenden Sachverhalt erfolgte eine Öffentlichkeitsbeteiligung gern. § 9 UVPG nur eingeschränkt, weil gern.§ 73 Abs. 4 LVwVfG lediglich derjenige zur Stellungnahme aufgefordert wurde, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden konnten. Die ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung des Plans mit den dazugehörigen Unterlagen in dem von dem Vorhaben berührten Gemeinden enthielt bloß den Hinweis, daß ,jeder, der sich von dem geplanten Bauvorhaben betroffen fühlt" bis zu zwei Wochen nach Auslegungsfrist Einwendungen gegen den Plan erheben kann. Das Gericht sah in der einschränkenden Adressierung und der Beschränkung der Einwendungsmöglichkeiten auf Betroffene einen Mangel in der ÖffentlichkeitsbeOVG Rheinland-Pfalz, I C 11558/94. Die Revision wurde als unbegründet abgewiesen, BVerwG, 22. 9. 1997, NVwZ-RR 1998, 300 f. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 21. 2. 1997, NVwZ-RR 1997, 607 f. 287 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1997,607 f. 288 OVG Schleswig, 4 M 87/94. 285

286

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kanntmachung. Es schloß die Entscheidungserheblichkeit dieses Verfahrensfehlers jedoch aus mit der Begründung, daß eine Adressierung der Auslegungsbekanntmachung an die "Öffentlichkeit" und eine allgemeine Aufforderung zu Einwendungen über die allgemeine Informationswirkung (der Neubau derB 16 war ein seit Jahren umstrittenes und diskutiertes Projekt) hinaus zu keiner relevanten Verbreiterung des Abwägungsmaterials beigetragen hätte. Auch das BVerwG beschäftigte sich in seinem Revisionsurteil vom 18. 5. 1995 mit dieser Frage und den Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung gern. § 9 Abs. 1 UVPG. Insbesondere erörterte das Gericht die Einschränkung des § 73 Abs. 4 LVwVfG und deren Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 der UVPRichtlinie. Nach Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 der Richtlinie liegen die Einzelheiten der Unterrichtung und Anhörung, insbesondere die Bestimmung des betroffenen Personenkreises bei den Mitgliedstaaten. Dennoch gebe es für die Mitgliedstaaten eine Grenze insofern, als daß sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht einschränken dürfen, wohl aber die Anhörung, da Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 UVP-Richtlinie von der "betroffenen Öffentlichkeit" spreche. ,,Zur Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört nicht nur die ortsübliche Bekanntmachung des Vorhabens und der Auslegung der Planunterlagen, sondern auch die Möglichkeit, Einsicht in die ausgelegten Unterlagen zu nehmen; die Einsichtsnahrnemöglichkeit ist notwendiger Bestandteil der Unterrichtung der Öffentlichkeit. Sie darf nicht eingeschränkt werden auf in ihren Belangen betroffene Personen, sondern muß jedermann gegeben sein. Das Recht, sich zu äußern, also Einwendungen zu erheben, darf hingegen auf Betroffene beschränkt werden." 289

Das Gericht differenziert genau zwischen der Einsichtsnahmemöglichkeit und der Einwendungsbefugnis der Öffentlichkeit und kommt zu dem Schluß, daß der Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung - entgegen der Ansicht des VGH München - nicht die in § 9 Abs. 1 Satz 1 UVPG und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der UVP-Richtlinie geforderte Einsichtnahme der Öffentlichkeit, sondern nur deren Anhörung (auf den Kreis der Betroffenen) beschränke. Darin sei kein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 UVPG oder gegen Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 der UVP-Richtlinie zu sehen. In dem dem Urteil des OVG Schleswig vorn 9. 2. 1995 zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Kläger kritisiert, daß nicht alle entscheidungserheblichen Unterlagen öffentlich ausgelegen hätten und somit ein Verstoß gegen §§ 6 und 9 UVPG vorgelegen habe. Das Gericht stellte fest, daß § 9 UVPG vom Sinn her nur die Auslegung von Unterlagen über die Beschreibung solcher Umweltauswirkungen verlange, die in diesem Verfahrensstadium bekannt waren, da die öffentliche Auslegung gerade den Dialog mit der Öffentlichkeit bewirken solle, um auf diese Weise noch mehr Informationen zu erlangen. Daher ist das Gericht der Auffassung, daß der Öffentlichkeit solche Daten unterbreitet werden müssen, die ihr eine eige-

289

BVerwG, Urt. v. 18. 5. 1995, DVBI. 1995, 1013, 1016; BVerwGE 98,339 ff.

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ne Einschätzung der mit einem Vorhaben verbundenen Umweltbeeinträchtigungen und Umweltrisiken erlauben. 290 So sieht es auch das BVerwG, das nur solche Unterlagen für auslegungsbedürftig hält, welche aus der Sicht der potentiell Betroffenen erforderlich seien, um den Betroffenen das Interesse, Einwendungen zu erheben, bewußt zu machen. 291 Das BVerwG hielt die Fehler der Anhörung, in der dem Urteil vom 17. 2. 1997 zugrundeliegenden Konstellation nicht für erheblich, weil die Klägerin "nicht einmal ansatzweise darlegte, in welcher Hinsicht sie oder andere Einwender im Anhörungsverfahren an einem Vorbringen gehindert wurden, das auf die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde hätte von Einfluß sein können". 292 (5) Anforderungen an die zusammenfassende Darstellung

Das BVerwG hatte bereits im Beschluß vom 30. 10. 1992293 klargestellt, daß es bei etwaigen Defiziten bei der zusammenfassenden Darstellung gern. § 11 Satz 1 UVPG der weiteren Untersuchung bedürfe, ob die planensehe Entscheidung in der Sache in irgendeiner Weise davon beeinflußt sein könnte, daß die Planungsbehörde es anstelle einer zusammenfassenden Darstellung mit Einzelerörterungen hat bewenden lassen. In dem dem Beschluß zugrundeliegenden Fall hatte die Behörde einzelne fachliche Stellungnahmen, welche der Sache nach eine UVP darstellten, aufgeführt; es hatte aber keine in sich geschlossene Darstellung gegeben. Das BVerwG hat konsequenterweise diesem Fehler keine Bedeutung beigemessen. "Art. 3 der UVP-RL verpflichtet die nationalen Gesetzgeber lediglich zu einer Regelung, die gewährleiste, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung die Umweltauswirkungen ,in geeigneter Weise' identifiziert, beschreibt und bewertet. In eine solche Prüfung ist das Erstgericht nicht eingetreten. Nach den Vorgaben des EG-Rechts genügt es, die erhobenen Umweltdaten so aufzubereiten, daß sie als zuverlässige Grundlage für die Bewertung der Umweltauswirkungen dienen können. Eine zusammenfassende Darstellung, wie sie § 11 UVPG vorsieht, stellt ein für diesen Zweck hervorragend geeignetes Mittel dar. Das bedeutet aber nicht, daß sich das Ziel, die Umweltfolgen eines Vorhabens zutreffend abzuschätzen, nur bei dieser Vorgehensweise erreichen läßt." 294

In dem dem Urteil des VGH München vom 19. 10. 1993 zugrundeliegenden Fall lag eine zusammenfassende Darstellung im Sinne des § 11 UVPG nicht vor, sondern lediglich die einzelne Untersuchung eines Sachverständigen, der die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt jedoch detailliert darstellte. Der VGH München hielt diese Ausführungen für ausreichend, um von einer zusammenfassenden 290 291 292 293 294

OVG Schleswig, Urt. v. 9. 2. 1995, Az. 4 M 87/94. BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998,305 ff. BVerwG, NuR 1998, 305 ff. BVerwG, NuR 1993, 125, 126. BVerwG, Urt. v. 10. 4. 1997, NVwZ 1998,508 ff.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Darstellung im Sinne des § 11 Satz 1 UVPG zu sprechen, stellte aber fest, daß es an einer zusammenfassenden Darstellung in bezug auf die Wechselwirkungen fehlte. Das Gericht nahm zu dieser Frage wie folgt Stellung: "Wird darunter (zusammenfassende Darstellung) mehr als eine bloße additive Zusammenstellung verstanden, ist diese ohne übergreifende Standards nicht zu leisten. Sie kann damit auch vom Beklagten nicht im Rahmen der Planabwägung gefordert werden, solange solche saldierenden Maßstäbe nicht rechtlich vorgegeben sind."295

Das BVerwG beantwortete diese Frage im Revisionsverfahren dahingehend, daß § 11 Satz 1 UVPG mit der "zusammenfassenden Darstellung" der Umweltauswirkungen des Vorhabens "einschließlich der Wechselwirkungen" nicht ohne weiteres auch eine ,,rechenhafte und saldierende Gegenüberstellung der von dem Vorhaben zu erwartenden Einwirkungen" auf die verschiedenen Umweltschutzgüter nach "standardisierten Maßstäben" fordere. "Daß allerdings aus § 11 UVPG eine solche Verpflichtung zu rechenhafter Gegenüberstellung abzuleiten ist, vermag der Senat nicht zu erkennen; sie könnte auch, jedenfalls bei schematischer und unkritischer Anwendung eher die Gefahr in sich bergen, eine Befundsgenauigkeit und Prognosesicherheit in bezug auf das Zusammenwirken von für die Umwelt und deren Schutz bedeutsame Faktoren vorzutäuschen und damit eine Scheinrationalität erzeugen, die einer sachgerechten und tatsächliche Gegebenheiten berücksichtigenden Bewertung nach§ 12 UVPG wenig dienlich wäre."296

Dennoch räumt das Gericht die Nützlichkeit von Standards bei der Anwendung der UVP ein. Solange es aber an konkretisierenden VwV fehle, die Standards festlegen würden, genüge eine "bewertende Darstellung der Umwelt(gesamt)belastungen aus insoweit übergreifender Sicht in einem qualitivverbalen Sinne" den gesetzlichen Anforderungen. Auch aus der UVP-Richtlinie läßt sich nach Auffassung des Gerichts die Notwendigkeit einer zusammenfassenden Darstellung der Umweltauswirkungen einschließlich der Wechselwirkungen zwischen den Umweltschutzgütern unter Anwendung standardisierter und saldierender Maßstäbe nicht entnehmen. Entscheidend sei, daß die Planungsbehörde die für die Abwägung erheblichen Belange berücksichtigt habe. Es kann deshalb also nach Ansicht des Gerichts genügen, die erhobenen Umweltdaten so aufzubereiten, daß sie als zuverlässige Grundlage für die Bewertung der Umweltauswirkungen dienen könnten. 297 Daher könne eine Klage, die Fehler bei der zusammenfassenden Darstellung kritisiert, nur Erfolg haben, wenn die Entscheidung in rechtserheblicher Weise davon beeinflußt sein könne, daß anstelle der Einzelerörterungen eine zusammenfassende Darstellung unterblieben sei. 298 VGH München, 19.10. 1993, NuR 1993,246. BVerwG, 18. 5. 1995, DVBI. 1995, 1013, 1017; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1997, NuR 1998, 305 ff., Urt. v. 19. 5. 1998, UPR 1998,388 ff. 297 BVerwG, 10. 4. 1997, DVBI. 1997, 1115, 1118. 298 BVerwG, 17. 2. 1997, Nur 1998,305 ff.; 10. 4. 1997, NVwZ 1998,507 ff.; 19. 5. 1998, UPR 1998, 388 ff. 295

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(6) Anforderungen an die Beschreibung der "Wechselwirkungen"

Der VGH München befaßte sich in seinem Urteil vom 19. 10. 1993 näher mit dem Begriff "Wechselwirkungen" und zog nach der Feststellung, daß weder das UVPG noch die Richtlinie eine Definition enthält, die entsprechende Fachliteratur heran und befragte die sachverständigen Behördenvertreter. Das Urteil zitiert aus der Fachliteratur, daß Wechselwirkungen "zur Beschreibung des Wirkungsgefüges zwischen physikalischen, chemischen und biologischen Zuständen" als "Forschungsgegenstand der Ökologie" bezeichnet werden. In der naturschutzrechtlichen Literatur seien die Wechselbeziehungen ein Definitionsmerkmal des Begriffs des "Naturhaushalts", welcher als Begriff mit hohem Komplexitätsgehalt "kaum justiziabel" erscheine. Aus diesen Informationen folgerte der VGH München, daß die Hervorhebung der Wechselwirkungen zur Folge haben müsse, daß schwerpunktmäßig auch die Wirkung zwischen den verschiedenen Nutzungsanspriichen an die Natur untereinander ins Auge zu fassen und die Abhängigkeiten gegenseitiger Art bewußt zu beriicksichtigen seien. Anhand dieser Erörterungen überpriifte das Gericht das Gutachten des Sachverständigen und hielt die Untersuchungen für ausreichend: ,Jn ihnen werden die Auswirkungen, welche das Vorhaben durch Einwirkung eines Schutzgutes auf andere Schutzgüter hat, jeweils dargestellt. Damit werden die Einwirkungen des konkreten Vorhabens auf den Naturhaushalt insgesamt ausreichend sichtbar gemacht, wobei wiederum zu berücksichtigen ist, daß eine Straße, anders als Vorhaben, eine ,vertypte' Planung mit zum Teil generell ableitbaren Schadensprognosen ist."299

Das BVerwG hält für die Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen den Schutzgütern eine umfassende mehrdimensionale und fachübergreifende Ermittlung, Beschreibung und Bewertung unter Einbeziehung insbesondere der Wirkungen, die sich aus der "Kumulation von Vor- und Zusatzbelastungen" sowie aus "synergetischen Reaktionen" ergeben, für erforderlich. Damit trage die UVPRichtlinie der Erkenntnis Rechnung, daß zwischen den Umweltfaktoren Zusammenhänge bestünden, die es in ihrem Wirkungsgefüge und Beziehungsgeflecht zu erfassen gelte. Dies sei nicht der Fall, wenn die Wirkungen auf einzelne Schutzgüter lediglich summiert würden. 300 (7) Anforderungen an die Bewertung

In der Entscheidung vom 19. 10. 1993 stellte der VGH München fest, daß weder im UVPG noch in der EG-Richtlinie Maßstäbe für die Bewertung vorlägen und daher eine umfassende qualifizierte Abschätzung der Umweltauswirkungen des Vorhabens nach allgemeinen, vorzugebenden Umweltstandards ausgeschlossen sei. Trotzdem hielt das Gericht eine Beurteilung der Fakten bei "einem kon299 300

VGH München, NuR 1993,244 ff. BVerwG, DVBI. 1996,677 ff.

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ventionellen Vorhaben wie einer Straße" nach den Gesetzen der jeweiligen Fachwissenschaft für möglich. So lasse sich die Beeinträchtigung von Flora und Fauna nach der Seltenheit eines Vorkommens, die "Beeinflussung des Wasserhaushalts quantitativ nach dem Umfang des Vorkommens, qualitativ nach der möglichen Verschlechterung der vorhandenen Wassergüte" beurteilen, ohne daß diese beiden Faktoren gegenüber weiteren Schutzgütern zu bewerten wären. 301

(8) Die Untersuchung von Planungsalternativen Die Verwaltungsgerichte mußten sich mehrmals mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit und in welchem Umfang der Vorhabenträger gern. § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG eine Übersicht über Planungsalternativen und deren Umweltauswirkungen geben muß, da mehrere Antragsteller in der fehlenden Erörterung von Planungsalternativen eine hinreichende Sammlung des Abwägungsmaterials bezweifelten. In der Entscheidung vom 16. 1. 1995 hat der VGH München die Fehlerhaftigkeit einer Umweltverträglichkeitspriifung bejaht, weil in der betreffenden Planfeststellung nicht alle in Betracht kommenden Alternativen einer UVP unterzogen wurden. 302 Das BVerwG hat in der Revision einen derartigen Abwägungsmangel verneint. Der Vorhabenträger und die Behörde dürften Alternativen von einer UVP-Prüfung ausscheiden, die "nach Art einer Grobanalyse" in einem friiheren Planungsstadium nicht in Betracht kämen und sich als "unrealistisch" erweisen würden. § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG fordere nicht die förmliche Umweltverträglichkeitspriifung sämtlicher in Betracht kommenden Varianten, sondern nur eine Übersicht über die "wichtigsten" vom Vorhabenträger gepriiften Vorhabenalternativen und die Angabe der wesentlichen Auswahlgriinde unter besonderer Beriicksichtigung der Umweltauswirkungen des Vorhabens?03 Folglich verneint das BVerwG die Kausalität eines UVP-Mangels, weil bei einer Trassenvariante, die bei der Grobauswahl als ungeeignet angesehen und daher auch keiner UVP unterzogen wurde, auch bei Durchführung der UVP nicht geeigneter geworden wäre und daher keine Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, daß das Unterlassen dieser Prüfung die Trassenwahl beeinflußt haben könnte. Insofern handele die Behörde nicht abwägungsfehlerhaft, wenn sich herausstelle, daß die von ihr verworfene Lösung vertretbar gewesen wäre, sondern erst, wenn sich die Lösung ihr hätte "aufdrängen" müssen, wenn sie sich nicht im "gebotenen Maße" mit einer ernsthaft in Betracht kommenden Trassenvariante VGH München, NuR 1993, 244 ff. Allerdings hat das Gericht einen Anspruch auf Aufhebung verneint mit der Begründung, daß eine Planergänzung möglich sei. 303 BVerwG, Urt. v. 10. 10. 1995, NVwZ-RR 1997, 336 ff.; VGH München, Urt. v. 14. 6. 1996, NuR 1997, 45, 47; BVerwG 24. 9. 1997, NVwZ-RR 1998, 297. 301

302

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befaßt habe?04 In dem Urteil des BVerwG vom 16. 8. 1995 wurde das als Abwägungsfehler gerügte Fehlen einer förmlichen UVP für eine Vorhabenalternative allerdings auch schon deshalb verneint, weil es die Kläger im gesamten schriftlichen Vortrag nicht als Rechtsfehler kritisiert hätten und daher ein offensichtlicher Fehler nicht gegeben sei. 305 Daß unter Umständen eine Trassenvariante in Betracht gekommen wäre, begründet nach Ansicht des BVerwG auch noch keinen Abwägungsmangel, wenn die Behörde im Fortgang des Verfahrens die UVP auf diejenige Variante beschränkt, die nach demjeweils "aktuellen Planungsstand" noch "ernstlich in Betracht kommt". 306 Zu der Frage, in welchem Umfang bei einer abschnittsweisen Planfeststellung eines großräumigen Straßenbauvorhabens die Auswirkungen in nachfolgenden Abschnitten berücksichtigt werden müssen, hat das BVerwG mit Urteil vom 28. 2. 1996 festgestellt, daß eine Vorausschau auf nachfolgende Abschnitte nach Art eines "vorläufigen positiven Gesamturteils" eine Verknüpfung der Abschnitte zu einem Gesamtprojekt gewährleiste. 307 Ausreichend sei die Prognose, daß der Verwirklichung des Vorhabens in den nachfolgenden Abschnitten keine "von vomherein unüberwindlichen Hindernisse im Wege stehen" . Gestritten wurde in der Rechtsprechung auch darum, ob eine Nullvariante, d. h. also der völlige Verzicht auf das geplante Vorhaben, geprüft werden muß. Nach Ansicht des BVerwG muß der Verzicht auf das Vorhaben nur in Betracht gezogen werden, wenn unüberwindliche Belange des Umweltschutzes der Verwirklichung des geplanten Vorhabens im Wege stehen. 308 Sonst müßten nur sich ernsthaft anbietende Alternativen in Betracht gezogen werden.

dd) Zusammenfassung Anband der oben erörterten Rechtsprechung zur gerichtlichen Kontrolle der UVP ist deutlich geworden, daß vor allem der Stellenwert der UVP, d. h. die Art und Weise ihrer "Berücksichtigung" im Rahmen der fachplanerischen Abwägung sowie die damit im Zusammenhang stehenden Konsequenzen von UVP-Verfahrensmängeln für die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung im Mittelpunkt der gerichtlichen Auseinandersetzungen stand und steht und zu divergierenden Urteilen der Verwaltungsgerichte geführt hat. Dabei ist entscheidender Auslöser der Divergenzen, daß die Gerichte die Bedeutung der UVP, ihre Anforderungen und ihre Leistungsfähigkeit unterschiedlich bewerten. 304 BVerwG, 24. 9. 1997, NVwZ-RR 1998, 297 ff.; vgl. auch BVerwG, 20. 5. 1999, UPR 1999, 355 f. 305 BVerwG, Urt. v. 16. 8. 1995, NVwZ-RR 1996, 68. 306 Vgl. auch BVerwG, 25. l. 1996, DVBI. 1996, 677; 19. 5. 1998, UPR 1998, 388 ff. 307 Vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 1011 ff. 3os BVerwG, 10. 4. 1997, NuR DVBI. 1997, 1115 ff.

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Nach Ansicht des VGH München und des OVG Koblenz strukturiert die UVP das Verfahren und den Abwägungsvorgang in bisher nicht vorgeschriebener Weise, um zu einem höheren Erkenntnis- und Wahrnehmungsgewinn bezüglich der Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu gelangen. Die förmliche UVP solle als Instrument der Informationsgewinnung bei der Ermittlung und Zusammenstellung der Umweltbelange durch die genauere Erfassung und Sichtbarmachung der Umweltauswirkungen eine erhöhte Transparenz und Rationalität der Umweltbelange im Rahmen der Abwägung erreichen. Es kommt dem VGH München und dem OVG Koblenz deshalb auf die eigenständige separate Bedeutung der förmlichen UVP im eigentlichen Abwägungsvorgang an. Die UVP solle gerade als Verfahren die optimale Einstellung aller relevanten Umweltbelange gewährleisten. Durch diese besonderen verfahrensrechtlichen Komponenten der UVP würden die unveränderten materiellen Voraussetzungen der Planfeststellung angereichert, was die Gerichte mit den Begriffen "Prozeduralisierung des Verfahrens" oder "Richtigkeit des Verfahrens" akzentuierten. Die Verwaltungsgerichte begründen ihre Auffassung nicht zuletzt mit den fehlenden materiellen Standards der UVP. Die förmliche UVP solle als Verfahren auch die inhaltlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Erkenntnis- und Bewertungsmethoden kompensieren. Durch den Beitrag der UVP bei der Sachverhaltsaufklärung wirke die UVP daher im Rahmen der Abwägung in das materielle Zulassungsrecht hinein. Das BVerwG stimmt dem insoweit zu, als daß die UVP den Abwägungsvorgang in bestimmter Weise neu strukturiert. Allerdings ist das Gericht nicht der Auffassung, daß das Zulassungsrecht, insbesondere die Anforderungen an die Abwägung eine materielle Anreicherung erfahren haben. Die materiellen Entscheidungskriterien würden nicht verändert. Die UVP beschränke sich auf "verfahrensrechtliche Anforderungen im Vorfeld der Sachentscheidung", die zu einer frühzeitigen Auseinandersetzung mit Umweltauswirkungen bereits im Anfangsstadium des Zulassungsverfahrens führe. Für die Planungsbehörde sei die UVP nur ein eingeschobener formalisierter Zwischenschritt mit dem Ziel einer separaten Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt im Rahmen der Abwägung. Lediglich mit der Berücksichtigung der UVP im Rahmen der Abwägung wird nach Ansicht des BVerwG ein Zusammenhang zur materiellen Sachentscheidung hergestellt. Das heiße aber nicht, daß ein anderer Weg in jedem Fall ungeeignet wäre, die Umweltauswirkungen mit gleichem Informationsgehalt in der Abwägung zur Geltung kommen zu lassen. Das BVerwG prüft also hinsichtlich der Zulassung eines Vorhabens mit obligatorischer UVP, ob umweltrelevante Abwägungen vorgenommen und richtig gewichtet wurden, die Behörde also in der Sache dem Anliegen der UVP gerecht geworden ist. Diese verschiedenen Auffassungen der Gerichte über die Bedeutung der Rationalität des UVP-Verfahrens, führen auch zu unterschiedlichen Bewertungen von UVP-Mängeln in bezugauf die Rechtmäßigkeit der Zulassungsentscheidung. Insbesondere geht es auch um unterschiedliche Verteilungen der Beweislast.

10 Prelle

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D. Die UVP in Deutschland

Die Instanzgerichte VGH München und OVG Koblenz sehen die förmliche separat durchgeführte UVP als eine Art Verfahrenssicherung - Richtigkeilsgewähr durch Verfahren -, deren fehlende oder fehlerhafte Durchführung die Mangelhaftigkeit des Abwägungsvorgangs und damit in der Regel auch des Abwägungsergebnisses der Planfeststellung indiziert. Die Indizwirkung sei deshalb zu bejahen, weil sich nicht ausschließen ließe, daß die Fehlerhaftigkeit der UVP zu einer unvollständigen Zusammenstellung des für die Entscheidung relevanten Tatsachenstoffs geführt und die Behörde ihre Entscheidung aufgrund einer fehlerhaften Abwägungsbasis so und nicht anders gefallt habe. Eine Ermittlung und Gewichtung der ohnehin einzustellenden Umweltbelange halten die beiden Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht für genügend, da diese nicht mit den Verfahrensschritten der UVP zu vergleichen sei. Lediglich dann, wenn ausgeschlossen ist, daß die sachliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens durch den UVPMangel beeinflußt sein könnte, weil beispielsweise überhaupt keine weiteren unerkannten Informationen ersichtlich sind, wollen die Gerichte ein Abwägungsdefizit verneinen. Beispielsweise soll dies ohne weiteres möglich sein, wenn der behördliche Ermessensspielraum auf Null eingeschränkt ist. Es genügt nach dieser Auffassung also die bloße Möglichkeit eines anderweitigen Ergebnisses der betreffenden Planfeststellung. Die Behörde muß dann beweisen, daß der Verfahrensfehler keine Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Abwägung hatte. Beide Verwaltungsgerichte haben in einigen wenigen Fällen, in denen sich unterschiedliche Varianten anboten, also keine Reduzierung des Ermessensspielraums der Behörde ersichtlich war, die Erheblichkeit der im betreffenden Fall fehlenden oder fehlerhaften UVP bejaht. Allerdings hat der VGH München in diesen Entscheidungen aus der Fehlerhaftigkeit der UVP und somit auch der Abwägung nicht die Konsequenz gezogen, daß die Planfeststellung aufzuheben sei. Das Gericht hat vielmehr dem Kläger einen Anspruch auf Planergänzung zugestanden, d. h. die Behörden wurden verpflichtet, die UVP zu vervollständigen und anschließend eine erneute Abwägung durchzuführen. Das OVG Koblenz dagegen hat dem Kläger einen Anspruch auf Aufhebung der Planfeststellung wegen des UVP-Mangels zugestanden. Dagegen hält das BVerwG an der Charakterisierung der UVP als Verfahrensregelung wie jede andere fest, ohne eigenständige, besondere Bedeutung für die Vollständigkeit des Abwägungsmaterials und verweist auf seine übliche Rechtsprechung zur Kausalität zwischen Verfahrensmangel und Entscheidungsergebnis. Für die Fehlerhaftigkeit der Abwägung ist also die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung Voraussetzung. Der fehlenden UVP kommt keine Indizwirkung für einen Fehler im Abwägungsvorgang zu. Es kommt nach Auffassung des BVerwG lediglich darauf an, ob umweltrelevante Abwägungen vorgenommen und richtig gewichtet worden sind. Sind die Belange des Umweltschutzes tatsächlich gewahrt worden, obwohl die ihrer Durchsetzung dienenden Verfahrensvorschriften der UVP nicht eingehalten worden sind, dann führt das nach Auffassung des BVerwG nicht zu der Rechtswidrigkeit der Planfeststellung. Es sei vielmehr zu priifen, ob

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Anhaltspunkte vorhanden sind, daß als Folge der Unterlassung der UVP abwägungserhebliche Umweltbelange außer acht gelassen oder fehlgewichtet worden seien. Diese Anhaltspunkte muß der Kläger beweisen. Das Gericht muß also auch nicht prüfen, ob die erörterungsbedürftige Alternative nach Fachwissen gleich zu gewichten ist. Dies liegt nach der Rechtsprechung des BVerwG im Planungsermessen der Behörde. Es genügt, wenn das Gericht prüft, ob es Alternativen gibt, die zu einer anderen Entscheidung geführt haben könnten. Die Gerichte vollziehen also hypothetisch die nicht vorgenommenen Erwägungen nach (fiktiver Nachvollzug einer fehlerhaften Abwägung). In den bisherigen Fällen hielt das BVerwG die eingestellten Belange, auch wenn die UVP nachweislich nicht durchgeführt wurde, für ausreichend genug, um die Möglichkeit eines anderen Ergebnisses in der Planfeststellung abzulehnen. Daher hat das BVerwG bisher keine straßenrechtliche Planfeststellung wegen fehlender UVP aufgehoben. Auch die Urteile des OVG Koblenz und des VGH München wurden von dem BVerwG in der Revision aufgehoben, zum einen mit der Begründung, daß kein UVP-Fehler vorgelegen habe und zum anderen, weil die Gerichte die Beeinflussung des Abwägungsergebnisses gern. § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG ohne "konkrete" Kausalität bejaht hatten. Diese Rechtsprechung hat zu dem Ergebnis geführt, daß bis heute keine einzige Entscheidung einer Planfeststellungsbehörde rechtskräftig wegen eines UVP-Verfahrensmangels aufgehoben wurde. Dabei ist aber nochmals anzumerken, daß in keinem der Fälle eine Beachtung der Umweltbelange überhaupt nicht stattgefunden hat. In der Mehrheit der Entscheidungen wurde eine förmliche UVP nicht durchgeführt, aber die in der planungsrechtlichen Abwägung sowieso einzustellenden Umweltbelange gesehen und von dem BVerwG und den meisten Verwaltungsgerichten qualitativ mit der förmlichen UVP gleichgestellt. Auch die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt im Planungsrecht ohnehin, drastische Fehler im Anhörungsverfahren wie das völlige Fehlen der Anhörung sind bisher auch nicht durch Dritte kritisiert worden. Es ist aber zu vermuten, daß in einem solchen Fall der Planfeststellungsbeschluß auch nach der Rechtsprechung des BVerwG aufgehoben worden wäre. Der entscheidende Unterschied zwischen der Auffassung des BVerwG und der des VGH München sowie des OVG Koblenz ist wohl darin zu sehen, daß der VGH München und das OVG Koblenz die Bedeutung der UVP in der separaten Einstellung und Gewichtung der Umweltauswirkungen sehen, die dann wiederum in das Abwägungsmaterial der Abwägung für die Zulassungsentscheidung einfließt. Die UVP ist also nach dieser Auffassung das Ergebnis einer eigenständigen Abwägung, die den Tatsachenstoff in der Abwägung der Zulassungentscheidung vervollständigt. Die UVP stellt folglich Anforderungen inhaltlicher Art an den Abwägungsvorgang. Das BVerwG läßt dagegen die bloße Einstellung und Gewichtung der Umweltbelange in der letzteren Abwägung genügen, was bedeutet, daß Umweltbelange im Verhältnis zu anderen Belangen eingestellt und gewichtet werden. Mit anderen 10*

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D. Die UVP in Deutschland

Worten wird nach der Ansicht des BVerwG die Bedeutung der UVP bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials je nach Bedeutung der anderen Belange betrachtet, während nach der Auffassung des VGH München und des OVG Koblenz die UVP eine eigenständige Größe ist. Die Rationalität des Verfahrens wird von dem OVG Koblenz und dem VGH München als Lösung für die inhaltlichen Unsicherheiten bei der Bestimmung von Umweltauswirkungen eines Vorhabens hervorgehoben, während das BVerwG diese Konzeption der Rationalität des UVPVerfahrens für zu weitgehend hält. Auch die Frage, ob und wann eine UVP inhaltlich fehlerhaft durchgeführt worden ist, wird sehr unterschiedlich von den Verwaltungsgerichten gesehen. Dabei ist vorweg zu bemerken, daß aufgrund der Kausalitätsrechtsprechung die inhaltlichen Fragen der UVP eher selten in der bisherigen Rechtsprechung Eingang gefunden haben und daher keine einheitlichen Aussagen über einzelne Anwendungskriterien der UVP dargestellt werden können. Hier ist das Problem für eine wirksame gerichtliche Kontrolle, daß das UVPG eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen enthält, für die nur sehr eingeschränkt - fast gar nicht - Maßstäbe und Standards vorhanden sind. Den Gerichten steht eine volle gerichtliche Kontrolle der UVP-Prüfungsschritte zu, doch ist diese wegen der unbestimmten Rechtsbegriffe und auch dem komplexen integrativen Prüfungsansatz schwierig durchzuführen. Die Meinungen differieren vor allem hinsichtlich des Anforderungsniveaus der UVP und der Frage, was die UVP leisten soll. Allerdings ist es auch hier besonders schwierig, eine einheitliche Aussage zu treffen, da die Kontrolle sich immer nur an den konkreten Gegebenheiten der Planungssituation orientieren kann. Die konkrete Planungssituation, ihre Lage, die speziell dort angesiedelte Flora und Fauna ist entscheidend für den Untersuchungsumfang der UVP. Dies ergibt sich bereits aus Art. 3 der UVP-Richtlinie, danach soll die Erfassung der Umweltauswirkungen in "geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalles" erfolgen. Solche situationsabhängige Einschätzung des Untersuchungsumfangs der UVP kann nur schwer anband von Maßstäben festgesetzt und kontrolliert werden. Auch hier wurde deutlich, daß der VGH München und das OVG Koblenz ein hohes Leistungsniveau in der UVP einfordern. Dies wird besonders in einem Urteil des VGH München erkennbar, in dem es heißt, daß eine außerhalb der UVP durchgeführte materielle Erfassung der Umweltschutzgüter selbst dann nicht genüge, wenn sie zu 90% mit einer UVP vergleichbar durchgeführt worden sei. So müßten die Umweltauswirkungen möglichst umfassend und vollständig ermittelt und bewertet werden. Dies solle auch gelten, wenn es keine Standards dafür gebe. In diesem Fall seien die Parteien aufgerufen, durch fachlichen Dialog die Untersuchungsmethode festzulegen und sei es, daß die Parteien sich nur dariiber klar würden, daß es keine richtige Untersuchungsmethode gebe und demnach eine Risikoentscheidung erforderlich sei. Das BVerwG geht in diesem Punkt von einem anderen - nicht so anspruchsvollen - Ansatz aus. Dabei konstatiert das Gericht vor allem, daß die Forderung, die

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

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Wirkungen bestimmter Veränderungen in einem Ökosystem vollständig zu erfassen, schon wegen der Komplexität der Zusammenhänge nicht nur an praktische, sondern auch an Grenzen des wissenschaftlichen Erkenntnisstands stoßen würde. Deshalb könnte von den Behörden bei der Erstellung und Überprüfung der UVP nicht mehr verlangt werden, als dem "allgemeinen Kenntnisstand" und den "allgemein anerkannten Prüfungsmethoden" entspreche. Es werden in der Rechtsprechung des BVerwG Ansätze für einen Beurteilungsspielraum der Behörde hinsichtlich der Auswahl des Tatsachenstoffs deutlich. Die UVP sei kein "Suchverfahren", in dem alle erdenklichen Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umweltgüter bis in alle Details zu untersuchen seien oder wissenschaftlich unerforschte Bereiche analysiert werden müßten. Abstrakt mögliche Umweltauswirkungen, für die es in der konkreten Sachlage ("nach Lage der Dinge") keine Anhaltspunkte gibt, müssen nach Auffassung des BVerwG nicht geprüft werden. Es müssen folglich nur die "entscheidungserheblichen", die "zentralen" Umweltauswirkungen, die "Hauptwirkungen" auf die Umwelt unter Berücksichtigung des "allgemeinen Kenntnisstandes und der allgemeinen Prüfungsmethoden herausgearbeitet" werden. So könnte eine richtige Auswahl der bedeutsamsten Repräsentanten der Tier- und Pflanzenwelt im Untersuchungsraum und die Analyse der Auswirkungen auf diese mehr Aussagekraft enthalten als eine möglichst vollständige Erfassung aller Umweltauswirkungen auf alle Umweltschutzgüter. Dabei müsse auch im Hinblick auf mögliche Umweltauswirkungen auf ein Vorhaben das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Begrenzung des Untersuchungsumfangs und der Untersuchungstiefe eine Rolle spielen. Betrachtet man die Anforderungen des BVerwG an die Kausalität zwischen UVP-Mangel und Entscheidungsergebnis sowie an den Inhalt der UVP auch in ihrem Verhältnis zueinander, so entdeckt man eine seltsame Konstellation. Das BVerwG geht im Grunde trotz des Gebots einer vollständigen Kontrolle inhaltlich von einer selektiven Ermittlung der Umweltauswirkungen durch die Behörde aus, will aber gleichzeitig der Klage des einzelnen nur Erfolg bescheren, wenn der Kläger konkrete Anhaltspunkte für die Möglichkeit nennt, daß der geltend gemachte UVP-Mangel sich auf die Entscheidung ausgewirkt haben könnte und diese Rüge gerechtfertigt ist. Damit läuft der Rechtsschutz des einzelnen quasi leer, denn der Beweis der konkreten Möglichkeit der Einflußnahme eines "unerkannten" Faktors der UVP durch den Kläger fallt schwer, wenn sich das Gericht einerseits auf die Einschätzung der Behörde verläßt, wann eine Umweltauswirkung erheblich ist oder nicht und andererseits ex post die Entscheidung der Behörde nachvollzieht hinsichtlich der Frage, ob der Mangel die Entscheidung konkret beeinflußt haben könnte. Der einerseits gerichtlich gewährte Einschätzungsspielraum der Behörde verträgt sich nicht mit der Notwendigkeit der nachgewiesenen Möglichkeit einer konkreten Kausalität zwischen UVP-Mangel und Entscheidungsergebnis, da dadurch die Behörde hinsichtlich des Entscheidungsverfahrens und des Entscheidungsergebnisses Handlungsfreiheit besitzt, ohne daß die Gerichte noch eine wirksame Kontrolle ausüben können.

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D. Die UVP in Deutschland

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Äußerungen des BVerwG und des VGH München zu § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG. Hatte der VGH München in seinem Urteil vom 5. 7. 1994 inkonsequenterweise dem Betroffenen einen Anspruch auf ergänzendes Verfahren zugesprochen, so beruft sich das BVerwG in der Revision auf den Gewaltenteilungsgrundsatz, um als Folge die Rechtswidrigkeitsfeststellung der Planungsentscheidung zu begriinden. Gerade das Gewaltenteilungsprinzip verletzt jedoch das BVerwG durch seine Kausalitätsrechtsprechung, da die Gerichte ex post hypothetisch die Entscheidung der Behörde nachvollziehen und die Frage beantworten müssen, ob die Behörde bei Vorliegen der vollständigen UVP anders entschieden hätte, was jedoch aufgrund der erwägenden Elemente der UVP auf eine eigene Bewertung der Verwaltungsgerichte hinausläuft.

3. Gesamtbetrachtung

Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Deutschland hat gezeigt, daß die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der UVP sowie der gesamthafte medienübergreifende Priifungsansatz vor dem Hintergrund erheblicher Wissenslücken und methodischen Unsicherheiten nur schwer mit dem deutschen Verwaltungsrechtssystem kompatibel ist, das von einer eher schwachen Bedeutung des Verfahrens und einer intensiven gerichtlichen Kontrolle ausgeht. Die Auswertung der Rechtsprechung in Deutschland zur UVP im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren ergibt, daß die Möglichkeiten Dritter, wegen einer fehlerhaften UVP Rechtsschutz zu erlangen, sehr begrenzt sind. Nach der Rechtsprechung ist es sogar unerheblich, wenn gar kein explizites UVP-Verfahren durchgeführt wurde, wenn die eingestellten Umweltbelange in der Abwägung als gleichwertig beurteilt werden und die behördliche Entscheidung das materielle Recht nicht verletzt. Bisher hat es daher noch kein verwaltungsgerichtliches Urteil gegeben, in dem ein Planfeststellungsbeschluß wegen der mangelhaften UVP rechtskräftig aufgehoben wurde. Es gibt vier wesentliche Griinde für die Folgenlosigkeit der UVP-Mängel in der Rechtsprechung des BVerwG: Die Beschränkung der Klagebefugten auf den enteignend Betroffenen, die Gleichsetzung der in der Abwägung eingestellten Umweltbelange mit der UVP, die geforderte konkrete Kausalität zwischen UVP-Mangel und Entscheidungsergebnis verbunden mit der erschwerten Substantiierung eines UVP-Fehlers durch den Kläger und das Erfordernis, daß das Eigentum des Betroffenen bei korrekter Durchführung des Entscheidungsverfahrens nicht in Anspruch genommen worden wäre. Wegen der strengen Interpretation der Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO durch die Rechtsprechung können sich Dritte in der Regel nicht auf Verstöße gegen die UVP berufen. Die Gerichte erkennen grundsätzlich weder aus der UVP-Richtlinie noch aus dem UVPG ein subjektiv-öffentliches Recht materieller oder verfahrensrechtlicher Art an. Eine Ausnahme findet sich hinsichtlich der Klagemöglich-

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP

151

keit des einzelnen wegen der Verletzung von UVP-rechtlichen Beteiligungsvorschriften. Der einzelne kann nicht gegen die Entscheidung in der Sache vorgehen. Allerdings kann der durch enteignende Vorwirkung Betroffene nach der Rechtsprechung des BVerwG Fehler in der Sachentscheidung durch die Verletzung von UVP-Verfahrensvorschriften geltend machen, weil hier die Möglichkeit besteht, daß sich der verfahrensrechtliche Fehler auf seine Position als Eigentümer materiell ausgewirkt haben kann. Ihm obliegt jedoch die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Aufdeckung konkreter Anhaltspunkte für ein möglicherweise fehlerhaftes Abwägungsergebnis aufgrund eines fehlerhaften Abwägungsvorgangs. Der enteignungsrechtlich betroffene Kläger muß also nicht nur geltend machen, daß ein Verfahrensfehler vorliegt, sondern er muß zusätzlich noch konkret darlegen, wie die Planungsentscheidung anders hätte ausfallen können, wenn eine UVP durchgeführt worden wäre. Ist diese erste Hürde allerdings überwunden, dann kann der durch enteignende Vorwirkung betroffene Kläger nicht darauf hoffen, daß ein Verstoß gegen UVPVorschriften zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führt. Der Verstoß gegen UVP-Vorschriften muß also eine gewisse Beachtlichkeil haben, deren Anforderungen sich an der Ursache-Wirkung-Formel orientieren, der Fehler muß also möglicherweise konkret kausal für das "falsche" Entscheidungsergebnis gewesen sein können. Dieses andere Entscheidungsergebnis muß außerdem so ausfallen, daß das Eigentum des Betroffenen ohne diesen UVP-Mangel nicht in Anspruch genommen worden wäre. Da nach der Rechtsprechung des BVerwG keine förmliche UVP durchgeführt worden sein muß und es genügt, wenn das Verfahren den tatsächlichen Anforderungen der UVP-Richtlinie und des UVPG entspricht, ist bereits das Vorliegen eines UVP-Mangels in der Regel verneint worden. Die Folgen von doch festgestellten UVP-Mängeln werden von dem BVerwG den Folgen von Verfahrensfehlern gleichgestellt. Insofern hat der enteignungsrechtlich Betroffene keinen Anspruch auf Aufhebung der Planfeststellung bei einem festgestellten UVP-Fehler. Anders formuliert wird eine Planfeststellung wegen UVP-Mängeln nur dann aufgehoben, wenn der enteignungsrechtlich Betroffene einen UVP-Mangel geltend macht, der von dem Gericht bestätigt wird und der nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung so beeinflußt haben könnte, daß die Behörde mit der vollständigen UVP anders entschieden hätte und dann das Eigentum des Klägers nicht in Anspruch genommen worden wäre.

E. Die UVP (Etude d'impact) und ihre verwaltungsgerichtliche Kontrolle in Frankreich I. "Etude d'impact" Die Umweltverträglichkeitsprüfung oder Umweltverträglichkeitsstudie (etude d' impact) 1 wurde in Frankreich nach dem Vorbild der amerikanischen Gesetzgebung2 bereits am 10. 7. 1976 mit Erlaß des Gesetzes über Naturschutz3 eingeführt.4 In Kraft getreten ist das Gesetz jedoch erst am I. I. 1978, nachdem die Durchführung und der Anwendungsbereich der "etude d'impact" mit dem Dekret n° 77-1141 vom 12. 10. 19775 (Durchführungsverordnung) durch den Conseil d'Etat präzisiert wurde. 6 Auch für das französische Verwaltungsrecht brachte die "etude d'impact" einige Neuerungen, insbesondere was die verfahrensrechtliche Strukturierung der einzelnen Entscheidungsprozesse und die Offenlegung von behördlichen Akten für die Öffentlichkeit anging. 7

1 Vgl. allg. Huglo/Lepage-Jessua, Gaz. Pa!. 1978, Doctr., 524 ff.; Gaz. Pal. 1981, Doctr., 288 ff.; Gaz. Pa!. 1987, 707 ff.; Huglo, Le juge, Ia prevention et Ia resolutiondes litiges en matiere d'environnement, 1994, 339 ff.; Denoix de Saint-Mare, RJE 1976-3/4, 250 ff. Prieur; ZfU 1984, 367 ff.; Droit et environnement, 72 ff., ders., RJE 1981, 103 ff.; RJE 1991, 23 ff.; Lasserre!Delarue, AJDA 1983,537 ff.; Chapuisat, AJDA 1983, 587; Hebrard, L'etude d'impact sur l'environnement, 1982; ders., RJE 1981-2, 129 ff.; ders., CJEG 1982, 421 f.; Romi, Droit et environnement de 1' administration, 51 ff.; Morand-Deviller; Droit de l'environnement, 20 ff.; Lefebvre, Environnement, 82 ff. 2 Vgl. Artikel 102 (C) National Environmental Policy Act (Environmental Impact Statement) von 1970; Kloepfer/Mast, RiW 1992, 5,7; Huglo/Lepage-Jessua, Gaz.Pal. 1981, Doctr., 288; Kiss/ Lambrechts, RJE 1976-3/4, 239 ff.; Hebrard, L'etude d'impact sur l'environnement, 1982, S. 36; Denoix de Saint Mare, RJE 1976-3/4, 250 f. 3 La loi no 76-629 du 10 juillet 1976 relative Ia protection de Ia nature, JO, 13. 7. 1976, 4203. 4 Zur gesetzgebensehen Geschichte der UVP in Frankreich, Coenen/Jörissen, UVP in der EG, 1989, 86 ff.; Prieur; RJE 1981-2, 103, 105.

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s Decret n° 93 - 245 du 23 fevrier 1993 relatif aux etudes d'impact et aux champ d'application des enquetes publiques, JO, 13. 10. 1977, 8255; oder RJE 1977 n° 4, p. 434. 6 Der C. E. hatte eine Anwendung des Gesetzes wegen Fehlens des Durchführungsdekrets abgelehnt, vgl. C .E. 18. 5. 1977, Association pour Ia sauvegarde de Ia Vallee de Ia Dordogne, Rec. T. 899; 4 . 5. 1979, Departement de Ia Savoie, Rec. 185. 7 Vgl. Loi n° 78-753 v. 17. 7. 178 sur Ia liberte d'acces aux documents administratifs, RJE 1978-3, 318; Prieur; Droit de l' environnement, Rn. 74; ders. RJE 1981-2, 103, 104.

I. "Etude d'impact"

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Die 9 Jahre später erlassene Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten hat folglich zu keiner wesentlichen Umbildung der Rechtsvorschriften in Frankreich geführt. Vielmehr diente die französische UVP neben der amerikanischen UVP als Vorlage für die UVP-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft. 8 Aus diesem Grunde herrschte in Frankreich auch die Meinung vor, daß die Rechtslage in Frankreich den Anforderungen der Richtlinie nahezu völlig entspräche und somit wegen der Richtlinienkonformität keine Veränderungen notwendig seien.9 Inzwischen hat Frankreich allerdings zur Implementation der UVP-Richtlinie das Gesetz zum Schutz der Natur von 1976 durch das Gesetz vom 30. 12. 1996 n° 96-1236 10 und durch das Dekret n° 93-245 vom 25. 2. 1993 11 den Inhalt des Dekrets von 1977 noch modifiziert. 12 Die Einzelheiten der Anwendung der Dekretbestimmungen wurden noch durch den Circulaire no 93 - 73 vom 27. 9. 1993 beschrieben.13 Die Änderungen betreffen in erster Linie den Anwendungsbereich der Umweltverträglichkeitsprüfung, den Inhalt der von dem Vorhabenträger vorzulegenden Unterlagen und die verfahrensrechtliche Vorgehensweise, insbesondere auch die Öffentlichkeitsbeteiligung.

1. Regelungen der "etude d'impact" Das Instrument der "etude d'impact" ist nur in einem Artikel des Gesetzes über Naturschutz Nr. 76-629 vom 10. 7. 1976 geregelt. In Art. 2 ist formuliert: " ...Les travaux et projets d'amenagement qui sont entrepris par une collectivite pub1ique ou qui necessitent une autorisation ou une decision d'approbation ainsi que !es documents d'urbanisme doivent respecter !es preoccupations d'environnement.

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Les etudes prealables Ia realisation d'amenagements ou d'ouvrages qui, par l'importance de Jeurs dimensions Oll Jeur incidences sur Je milieu nature), peuvent porter atteinte Ce dernier, doivent comporter une etude d'impact permettant d'en apprecier )es consequences . .. "

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s Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, S. 111. Dazu Chambault, RJE 1985, 401 ff.; zu den Divergenzen zum Gemeinschaftsrecht auch Huglo, Gaz.Pal.1993, Doctr., 1043 ff. 10 Loi no %-1236 du 30 dec. 1996, Art. 19, J.O, 1. 1. 1997. II Le decret n° 93-245 du 23. 2. 1993 relatif aux etudes d'impact et aux champ d'application des enquetes publiques, JO v. 26. 2. 1993, p. 3032. 12 Vgl. Huglo, Gaz. Pa!. 1993, Doctr., 1043 ff.; Romi, Droit environnement, 1993, n° 19, s. 71. 13 Vgl. Lefebvre, Environnement, 83. 9

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E. Die UVP in Frankreich

Frei übersetzt heißt es, daß bei Bauarbeiten 14 und Entwicklungsvorhaben 15 , die durch die öffentliche Verwaltung durchgeführt werden oder die einer Genehmigung oder Zulassung bedürfen, ebenso bei städtebaulichen Planungen, Umweltbelange berücksichtigt werden müssen. Anders gesagt sind also alle öffentlichen und privaten Vorhaben, die einer öffentlichen Genehmigung bedürfen, von dieser Verpflichtung betroffen. Die der Verwirklichung von Entwicklungs- und Bauvorhaben vorangehenden Untersuchungen müssen bei solchen Vorhaben, die aufgrund ihres Umfangs und ihren Einwirkungen auf die Natur diese negativ beeinflussen können, eine Umweltverträglichkeitsprüfung umfassen, die es ermöglicht, die Folgen des Vorhabens für die Umwelt zu bewerten.16 Art. 2 des französischen Naturschutzgesetzes wurde durch das Dekret vom 12. IO. 1977 hinsichtlich der UVP-Pflichtigkeit der einzelnen Vorhaben konkretisiert. Das Dekret enthält 18 Artikel. Art. 2- 8 des Dekrets regeln die allgemeinen Anforderungen an die UVP hinsichtlich des Anwendungsbereichs, des Inhalts, der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Kontrollmöglichkeiten durch das für Umwelt zuständige Ministerium. Art. 8- 18 des Dekrets beinhalten spezielle Bestimmungen für die Modifikation bestimmter Gesetze und Dekrete. 17 Außerdem gibt es noch für die einzelnen Vorhabentypen einige weitere Vorschriften, wie beispielsweise die Bestimmungen des Gesetzes n° 76-663 vom 19. 07. 1976 zum Schutz der Umwelt in bezug auf die ,,klassifizierten Anlagen" (Loi relative aux installations classees pour Ia protection de l'environnement) 18 in Verbindung mit dem Dekret n° 77-1133/34 vom 21 . 9. 1977. 19 Dort sind in einer Liste industrielle Tatigkeiten und Anlagen aufgeführt, die abhängig von ihrer Größe und Bedeutung bzw. ihrer potentiellen Schädlichkeit für die Nachbarschaft, die öffentliche Gesundheit und Sicherheit, die Landwirtschaft, die Umwelt, die Landschaft oder die Denkmäler entweder einer Genehmigungspflicht (autorisation) unterliegen oder zumindest angezeigt werden müssen (declaration). Der Antrag für

14 Unter "travaux" fallen alle Arbeiten, die verändernd auf die Umwelt einwirken, wie die Errichtung von Gebäuden und Straßen. 15 "Projets d'arnenagernent" sind Planungen für Großvorhaben. Z. B. Landesplanung, Raumordnung etc. 16 Prieur bezeichnete die "etude d'impact" als "une procedure prealabre la decision administrative autorisant l' equipement ou l'ouvrage", RJE 1981-2, 103; nach Hebrard ist die etude d'impact "une procedure, qui s'insere dans les procedures reglementaires existantes", RJE 1981, 133; Huglo/Lepage-Jessua bezeichnen die etude d'impact als "procedure administrative COntenu oblige reaJisee par Je petitionnaire et SOUS sa responsabiJite mais SOUS Je contröle de l'administration et dujuge, Gaz. Pal. 1981, Doctr., 288. 17 Zu den Änderungen, vgl. Romi, Droit environnement, n° 19, 71 ff. 18 JO v. 20. 7. 1976; vgl. ausführlich zu dem Gesetz der klassifizierten Anlagen, Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 562 ff.; Breuer; JUTR 1992, 155, 182. 19 Decret v. 21. 9. 1977, 10 v. 8. 10. 1977, 7927. Dieses Dekret wurde noch durch etliche Dekrete ergänzt oder modifiziert, eine Aufzählung findet sich bei Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 567.

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I. "Etude d'impact"

die Genehmigung eines in den Listen zu den "installations classees" genannten Vorhabens, der bei dem sog. Präfekten20 des Bezirks der zuständigen Behörde zu stellen ist, muß eine "etude d'impact" enthalten. 21 Nach Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes darf der Präfekt eine Genehmigung nur dann erteilen, wenn gegebenenfalls durch Auflagen sichergestellt ist, daß keine Gefahr für Nachbarschaft, öffentliche Gesundheit und Sicherheit, Landwirtschaft, Natur- und Umweltschutz, Erhaltung der Landschaft und Denkmäler, auftreten kann. Diese speziellen Vorschriften zu den "installations classees" sind neben den Regelungen zur UVP kumulativ anwendbar?2 Außerdem gelten besondere Vorschriften noch für die Ausbeutung von Minen und Steinbrüchen (mines et carrieres)?3 In Art. 2 Abs. 2 des französischen Naturschutzgesetzes wird deutlich, daß die "etude d'impact" im Vorfeld der Sachentscheidung über die Realisierung des Vorhaben stattfinden und somit Bestandteil des administrativen Verfahrens über die Zulässigkeit des betreffenden Projekts sein soll?4 So ist es auch in Art. 5 und 8 des Dekrets vom 12. 10. 1977 ausdrücklich festgelegt. Folglich hat auch der französische Gesetzgeber kein eigenständiges UVP-Verfahren entwickelt.

2. Anwendungsbereich Hinsichtlich des Anwendungsbereichs ist zu differenzieren zwischen den UVPpflichtigen Vorhaben und der Qualität der UVP, denn mit der Klassifizierung der einzelnen Vorhaben - je nach Grad der möglichen Schädlichkeit - ist auch eine unterschiedliche Art und Intensität der UVP verbunden. So sind nach dem Ausführungsdekret von 1977 drei Qualitätsstufen der UVP zu unterscheiden.25 Die wichtigste und von der Untersuchungsqualität am höchsten einzustufende Art der Untersuchung der Umweltbelange für bestimmte Vorhaben ist die "etude d'impact" 2o Der Präfekt eines Departements repräsentiert in seinem Bezirk die Gesamtheit der Regierung. Sämtliche ordnungsrechtliche Genehmigungen werden von ihm erteilt. 21 Vgl. auch Bavoillot/Wenenschlag, Droit de l'environnement industriel, S. 17, 18. 22 C.E. 29. 6. 1984, Association Comite de sauvegardedes sites et de l'environnement de Roquefort-les-Pins, RJE 1984, 234, mit Anm. Prieur; T.A. Nice, 23. 7.1982, Commune de Gourdon, RJE 1983-1,31 ff.; T.A. Straßburg, 11. 3. 1980, Rauchet autres, D.S. 1980, 404; vgl. auch Prieur/Hostiou, RFDA 1993, 120; vgl. C.E. 28. 9. 1984, Rondeau et Chemouny et ministre de l'environnement c/Mlles Clavel et Gillet, RJE 1984, 330. 23 Art. 10 des Dekrets Nr. 80-330 V. 7. Mai 1980 relatif Ia policedes minesetdes carrieres; die Genehmigung der Ausbeutung von Steinbrüchen unterfällt seit dem Gesetz v. 4. 1. 1993 dem Gesetz der klassifizierten Anlagen, vgl. Prieur, Droit de l'environnernent, Rn. 607 ff. 24 Cupei, Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.. . , S. 28; vgl. zur Einbindung in die Genehmigungsverfahren Hebrard, L'etude d'impact sur l'environnement, 421 ff. 25 Vgl. Bothe I Gündling, Neuere Tendenzen im Umweltrecht, S. 137.

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E. Die UVP in Frankreich

als förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung. Für weniger wichtige Vorhaben ist eine sogenannte "notice d'impact", eine Art Umweltverträglichkeitserklärung durchzuführen. Als dritte Form des Nachweises der Beachtung von Umweltbelangen gibt es eine Art summarische Analyse, die in der französischen Literatur wegen fehlender Terminologie auch als "mini-notice d'impact" bezeichnet wird?6 Grundsätzlich ist als umfassendste Umweltanalyse die förmliche "etude d'impact" unbeschränkt für alle öffentlichen und privaten Vorhaben, die in Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz genannt sind und die aufgrund ihrer Dimension schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, im Vorfeld ihrer Realisierung durchzuführen?7 Ausnahmen von dieser Regel sind in einer Art Negativkatalog durch die Durchführungsverordnung vom 12. 10. 1977 festgelegt. So ist in Art. 1 der Verordnung formuliert, daß eine UVP immer durchzuführen ist, es sei denn etwas anderes ergibt sich aus Art. 3 (la realisation d'amenagements ou d'ouvrages donne lieu a l'elaboration d'une etude d'impact, sauf dans les cas vises a I' article 3). In Art. 3 der Verordnung in Verbindung mit Art. 3 des Änderungsdekrets vom 25. 2. 1993 ist der Anwendungsbereich der "etude d'impact" durch die Bestimmung der von einer UVP befreiten Projekte im Detail festgelegt. So werden im ersten Teil allgemeine Ausschlußkriterien (Artikel 3 A), im zweiten Teil spezielle Ausschlußkriterien mit oder ohne technische Schwellenwerte für bestimmte Kategorien der in Anhang I und li aufgelisteten Vorhaben (Artikel 3 B) und im dritten Teil finanzielle Ausschlußkriterien, die dem folgenden Artikel zugeordnet sind (Artikel 3 C)28, festgelegt. Zu Art. 3 gehören drei Anhänge. Die Liste mit den wichtigsten von der UVP ausgenommenen Vorhaben sind in den Anhängen I und li enthalten. In jedem speziellem Fall sind die Grenzen und die Bedingungen der Befreiung ausdrücklich aufgeführt. Dabei kann es sich um eine teilweise oder vollständige Befreiung handeln, was sich nach rechtlichen oder technischen Kriterien bestimmt. Der dritte Anhang enthält wiederum eine Auflistung der Vorhaben, für die positiv eine UVP durchzuführen ist. In Art. 4 des Dekrets von 1977 in Verbindung mit Anhang IV sowie den Ausnahmen der Anhänge zu 3 B und C ist für bestimmte Projekte die "notice d'impact" vorgesehen. Es handelt sich vorwiegend um Vorhaben, die zwar wegen ihrer Kosten und Qualität normalerweise einer UVP unterfallen, aber aufgrund ihres geringen Umfangs und ihrer geringfügigen Auswirkungen auf die Umwelt einer erleichterten Form der Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden? 9 Als Beispiel können klassifizierte Anlagen genannt werden, die nur einer Deklarierung bedürfen.30 Prieur hat diesen Begriff aufgebracht, vgl. RJE 1981-2, 103, 106. Prieur, ZtU 1984,367, 373; ders. RJE 1991-1,23,25. 28 So sind beispielsweise alle Bauarbeiten, Planungen von der UVP ausgenommen, deren Kosten weniger als 12 Millionen FF betragen. 29 Prieur, Droit de l'environnement, Rn. 79. 26 27

I. ,,Etude d'impact"

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Es fehlt eine präzise Regelung des Inhalts der "notice d'impact". 31 Gern. Art. 4 des Dekrets unterliegen diese Vorhaben einer Darstellung der möglichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt und der Bedingungen unter welchen die vorgesehene Maßnahme den Umweltbelangen gerecht wird und Umweltbeeinträchtigungen vermeidet (un "notice indiquant les incidences eventuelles de ceuxci sur l'environnement et les conditions dans lesquelles l'operation projetee satisfait aux preoccupations d'environnement"). Die einfache summarische Analyse (mini-etude d'impact) ist für solche Vorhaben vorgesehen, die weder einer "etude d'impact" noch einer "notice d'impact" bedürfen. Das Erfordernis, bei allen Bauarbeiten und Entwicklungsvorhaben, die von der öffentlichen Verwaltung in Angriff genommen werden oder die eine Genehmigung oder Zulassung voraussetzen, Umweltbelange zu berücksichtigen, ergibt sich aus Art. 2 Satz 1 des Gesetzes über Naturschutz von 1976. Allerdings ist die Berücksichtigung der Umweltbelange nicht näher gesetzlich geregelt; sie richtet sich nach den für das betreffende Vorhaben einschlägigen Vorschriften. So ist beispielsweise bei der Erstellung von städtebaulichen Plänen (plans d'urbanisme) wie Bauleitplänen (schemas directeurs d'urbanisme (S.D.)) 32 ein Bericht über den ursprünglichen Zustand der Umwelt und den Umfang, in dem der Plan der Umwelt Rechnung trägt, abzuliefern. 33 Auch die Vorschriften über die Erstellung von Bebauungsplänen (le plan d'occupation des sols (P.O.S.)) 34 sehen einen solchen Bericht vor. 35 3. Ausgenommene Projekte

Nach Artikel 3-A der Verordnung sind beispielsweise Wartungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie große Reparaturen an existierenden Anlagen von einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausgenommen. 36 Art. 3-B in Verbindung mit Anhang I benennt Vorhaben wie z. B Arbeiten an öffentlichen und privaten Wegen (Modernisierung), Arbeiten im Bereich der öfPrieur, Droit de I' environnement, Rn. 562. Nach Prieur sollte es eine genauere gesetzliche inhaltliche Abgrenzung zu der normalen "etude d'impact" geben, da sonst beide Instrumente nicht unterschieden werden können; Prieur, Droit de I' environnement, Rn. 81. 32 Art. 9-111, decr. 12 oct. 1977 completant l'art. R. 122-5-d c. urb. Devenu l'art. R. 12225. 33 Prieur, ZfU 1984, 371; weitere Beispiele für den Anwendungsbereich der "mini-notice d'impact": Prieur, Droit de l'environnement, Rn. 78. 34 Decret du 7 juillet 1977 completant l'art. R 123-17 du code de l'urb.; vgl. auch C.E., 22. 11. 1985, Ministre de l'Urbanisme c./Daniau, Rec. 342. Die P.O.S. ist mit einem Bebauungsplan in Deutschland vergleichbar. 35 Weitere Nachweise Prieur, RJE 1981-2, 103, 108. 36 Vgl. zu den Ausnahmen die Gerichtsurteile: C.E., 28. 9. 1984, S.A. Charles Mortera, RJE 1984, 332; C.E., 24. 10. 1986, Sociere SEFIMA, Rec. 625. 30

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E. Die UVP in Frankreich

fentlichen Wasserwege, im Bereich der Elektrizitäts-, Energie,- Wasser- und Gasversorgung und den Aufbau der entsprechenden Verteilungsnetze, des Telekommunikationsnetzes für deren Installation und Modemisierung keine "etude d'impact" erforderlich ist. Für manche Vorhaben bilden Schwellenwerte die Ausschlußgrenze, wie beispielsweise für die Elektrizitätsleitungen mit weniger als 63 kW Spannung oder für Wasserkraftwerke, deren Leistung unterhalb von 500 kW liegt. Auch rechtliche Kriterien können für den Ausschluß der "etude d'impact" eine Rolle spielen. So sind nach 3-B in Verbindung mit Anhang I beispielsweise auch von den genehmigungsbedürftigen Anlagen (installations classees) diejenigen Vorhaben von einer "etude d'impact" ausgeschlossen, die nach dem Gesetz vom 19. 7. 1976 einer sog. "declaration" unterliegen. Ansonsten sind aber alle in dem Gesetz genannten Anlagen UVP-pflichtig. Anhang II bezieht sich nur auf Projekte, die in den Geltungsbereich des Code l'urbanisme fallen. So sind beispielsweise Vorhaben von der "etude d'impact" ausgenommen, die in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans (P.O.S) fallen.37 Dies betrifft auch besondere Planungen für bestimmte Stadtentwicklungseinheiten. (Zones d'amenagement concertees (Z.A.C.)). 38 Außerdem ist ein entscheidendes Kriterium nach Art. 3-C, daß eine UVP nur erstellt wird, wenn das Projekt eine Kostengrenze von 12 Millionen 39 Francs überschreitet. Werden Projekte in mehreren Abschnitten verwirklicht, dann ist von den Gesamtkosten auszugehen. 40 Allerdings wird in Art. 3-C auch auf Anhang III verwiesen, in dem Vorhaben aufgelistet werden, die unabhängig von ihren Kosten einer obligatorischen UVP unterliegen. Beispielsweise sind zu nennen Flurbereinigungen, Arbeiten an Stromübertragungsleistungen mit mehr als 63 kW Spannung und an Wasserkraftwerken mit mehr als 500 kW Leistung, im Bereich des Bergminenabbaus, für genehmigungspflichtige Nuklearanlagen und für genehmigungspflichtige klassifizierte Anlagen. Vorhaben, die nach Art. 4 des Dekrets von 1977 in Verbindung mit Anhang IV lediglich einer "notice d' impact" unterliegen, sind vor allem solche, die eine bestimmte Kostengröße oder einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreiten (Skipisten, Wasserkraftwerke unter 500 kW, Elekrizitätsversorgungsleitungen unter 63 kW, Maßnahmen zum Schutz vor Lawinen und zur Restaurierung von Gebirgsgebieten, zum Schutz vor Waldbränden etc.). Näher dazu Prieur, Droit de 1'environnernent, Rn. 806. C.E., 21. I. 1983, Bayle et Fabregues, Rec. 794; Es sind Flächen, deren Bebauung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt wird, wie sich aus Art. L 311 - 1 Code de l'urbanisrne ergibt. 39 Diese Kostenschwelle ist mit dem Änderungsdekret v. 25. 2. 1993 von 6 Millionen Francs auf 12 Millionen Francs angehoben worden. 40 Vgl. C.E., 19. 5. 1993, Consorts Guerrir de Durnast, 129526, Rec. T. 893. 37

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4. Inhaltliche Anforderungen Art. 19 des Änderungsgesetzes vom 30. 12. 1996 zum Gesetz über Naturschutz von 197641 enthält eine Zusammenfassung des Inhalts und der verfahrensrechtlichen Vorgehensweise in bezug auf die UVP, welche durch das Dekret von 1977 in Verbindung mit dem Dekret von 1993 in den Einzelheiten bestimmt ist. Es handelt sich bei der "etude d'impact" um eine Studie, ein förmliches Dokument, deren Ausarbeitung gern. Art. 1 des Dekrets von 1977 i.V.m. Art. 1 des Änderungsdekrets von 1993 eigenverantwortlich durch den Antragsteller (petitionaire) oder den Vorhabenträger (maitre de l'ouvrage) durchgeführt wird42, es sei denn, es ist für bestimmte Vorhaben eine spezielle auf einem Dekret beruhende Regelung vorgesehen, daß die UVP durch eine öffentliche Person durchgeführt werden soll. Eine Regelung des Scoping-Verfahrens, der Auseinandersetzung zwischen Vorhabenträger und Behörde über den Umfang des Untersuchungsrahmens, läßt sich im französischen Recht nicht finden, sie findet informell statt, wenn die Behörde die Vollständigkeit der Antragsunterlagen untersucht. 43 Insoweit besteht seit der Änderungsrichtlinie für das französische Recht Änderungsbedarf. Der obligatorische Mindestinhalt der "etude d'impact" ist in Art. 2 des Gesetzes zum Naturschutz von 1976 i. V. m. Art. 2 des Dekrets von 1977 und des Änderungsdekrets vom 25. 2. 1993 ausdrücklich beschrieben. Dabei wird in dem Artikel einleitend explizit ein Proportionalitätsprinzip formuliert, daß die Anforderungen an den Inhalt der UVP nach der Wichtigkeit der geplanten Bauarbeiten oder Vorhaben und ihren voraussehbaren Auswirkungen auf die Umwelt zu beurteilen sind. Der inhaltliche Umfang der UVP muß also im Verhältnis zu der Bedeutung des Vorhabens adäquat sein. Je bedeutender das Projekt ist, um so intensiver und detaillierter muß die "etude d'impact" durchgeführt werden. Der geforderte Mindestinhalt der UVP umfaßt fünf Teile: Der erste Teil besteht in einer Analyse des ursprünglichen Zustandes des Standortes44 und seiner Umgebung (une analyse de l'etat initial du site et de son environnement), unter besonderer Berücksichtigung der Kostbarkeiten der Natur und der landwirtschaftlichen Flächen, Wälder, Gewässer und Erholungsgebiete, die durch das Vorhaben beeinflußt werden können (Art. 2- 1 des Dekrets von 1977). Vgl. E. I. l. In der Praxis führen große staatliche Projektträger und große Privatfirmen die "etude d'impact" selbst durch; kleine Firmen, Privatpersonen und Gemeinden, die nicht über Spezialisten verfügen, wenden sich an spezialisierte Sachverständige; siehe auch Prieur, Droit de l'environnement, Rn. 88. 43 Bericht der Kommission, Abschnitt A. (Fn. 8), S. 88. 44 Die Untersuchung des ursprungliehen Standorts soll geographische, geologische, hydrologische, landschaftliche, demographische, architektonische Aspekte beriicksichtigen, vgl. Lefebvre, Environnement, 87, Rn. 255. 41

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E. Die UVP in Frankreich

Der zweite Teil der "etude d'impact" umfaßt eine Analyse der unmittelbaren und mittelbaren, vorübergehenden oder dauerhaften Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt (une analyse des effets direct et indirect, temporaires et permanents du projet sur l'environnement), insbesondere auf Fauna und Flora, die Landschaft, den Boden, das Wasser, die Luft, das Klima, die natürliche Umwelt und das biologische Gleichgewicht, den Schutz des Allgemeinwohls, der Sachund Kulturgüter und gegebenfalls das Wohl der Nachbarschaft (vor Lärm, Erschütterungen, Gerüche, Lichtemissionen), die Volkshygiene, Volksgesundheit und die öffentliche Sicherheit (Art. 2-2 des Dekrets geändert durch das Dekret vom 25. 2. 1993).45 Es handelt sich in diesem Abschnitt der UVP um eine Prognose der Umwelteinwirkungen durch das Projekt. 46 Im dritten Teil der "etude d'impact" müssen die Gründe dafür beschrieben werden, warum das ausgewählte Projekt- unter dem Gesichtspunkt der Umweltbelange - von den Beteiligten den anderen in Betracht gezogenen Möglichkeiten vorgezogen wurde (Art. 2-3 des Dekrets). Das Projekt muß alsotrotzder prognostizierten Umweltbelastungen gerechtfertigt werden.47 Der vierte Teil fordert die Beschreibung der durch den Antragsteller oder Vorhabenträger vorgesehenen Maßnahmen, um schädliche Umweltauswirkungen des Projekts zu beseitigen, zu reduzieren oder wenn möglich, zu kompensieren, (les mesures envisagees par le mai'tre de l'ouvrage ou le petitionnaire pour supprimer, reduire et, si possible, compenser les consequences dommageables du projet sur l'environnement) ebenso wie die dafür aufzuwendenden Kosten (Art. 2-4 des Dekrets).48 Diese Vorschrift hat allerdings keine rechtliche Bedeutung, sondern es handelt sich lediglich um eine Absichtserklärung. 49 Der durch das Dekret vom 25. 2. 1993 hinzugefügte fünfte Teil der "etude d'impact" verlangt die Analyse der angewandten Methoden, um die Auswirkungen des 45 Durch das Änderungsdekret von 1993 wurde der Umfang dieses zweiten Prüfungsschrittes erheblich erweitert. Beispielsweise sind erst seit 1993 als Folge der UVP-RL auch die mittelbaren, vorübergehenden oder dauerhaften Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt zu untersuchen (vgl. auch Huglo, Gaz. Pal. 1993, Doctr., 1043, 1052, vgl. auch T.A. Pau, 2. 12. 1992, France-Nature-Environnement c./Prefet de Pyrenees-Atlantiques, RJE 1993-1, 91.). Ebenso wurden in die Prüfung die Sach- und Kulturgüter einbezogen. Eine Prüfung der Wechselwirkungen zwischen den Umweltgütem, wie sie in Art. 3 der UVP-RL gefordert wird, gibt es im französischen Recht allerdings noch nicht. 46 Auch in der französischen Literatur wurde die Schwierigkeit der Ermittlung der Einwirkungen auf die Umwelt und damit verbundene juristische Probleme diskutiert, vgl. Darstellung bei Hebrard, L'etude d'impact de l'environnement, S. 496 ff., 589 ff. 47 Dieser Prüfungsschritt bedeutet aber nicht, daß der Vorhabenträger verpflichtet ist, Alternativen (variantes) zu präsentieren, es sein denn, die Fachgesetze normieren eine solche Pflicht; siehe Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 89. 48 Die Kostenangaben ftir Maßnahmen der Kompensation soll zur Beurteilung beitragen, ob die Maßnahmen ausreichen. (T.A. de Marseille, 19 octobre 1989, Mme Cozza et autres, RJE 1992, 251). 49 Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 89.

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Vorhabens auf die Umwelt zu bewerten, einschließlich der etwaigen aufgetretenen Schwierigkeiten technischer oder wissenschaftlicher Art bei der Aufstellung dieser Bewertung (Art. 2-5 des Änderungsdekrets). 50 Auf diese Weise sollen die angewandten Methoden und ihre möglichen Grenzen offengelegt werden. Zusammenfassend können die einzelnen Schritte der UVP als Beschreibung des Ist-Zustands oder der Ausgangssituation, Prognose der Wirkungen auf die Umwelt, Rechtfertigung der Entscheidung für das betreffende Vorhaben, Beschreibung der Maßnahmen zur Minderung des Ausgleichs von Nachteilen für die Umwelt sowie Darstellung der angewandten Methoden zur Bewertung der Umweltauswirkungen genannt werden. Für ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben nach dem Gesetz über die klassifizierten Anlagen sind noch zusätzliche inhaltliche Anforderungen nach dem Dekret n° 77-1133 vom 21. 9. 1977 i.V.m. dem Gesetz n° 76-663 vom 19. 7. 1976 relative aux installations classees pour la protection de 1' environnement sowie dem Änderungsdekret vom 9. 6. 1994 n° 94-484 zu beachten.51 So sind zusätzlich zu den im zweiten Prüfungsschritt genannten Auswirkungen auf einzelne Umweltgüter weitere speziellere Auswirkungen des Vorhabens zu untersuchen. Zusätzliche Anforderungen ergeben sich beispielsweise aus Art. 3-4 des Dekrets vom 21. 9. 1977, modifiziert durch das Dekret vom 9. Juni 1994. Die Beeinträchtigungen der Umwelt durch das Vorhaben müssen auch hinsichtlich der Lärmbelastung (niveau acoustique des appareils employes), der Bedingungen der Wassernutzung (les conditions d'utilisation de l'eau), des Grundwasserschutzes (les protection des eaux souterraines), der Entsorgung der Abwässer und der Gasrückstände (l'evacuation des eaux residuaires et des emanations gazeuses), der Beseitigung von Abfallen und Rückständen (1' elirnination des dechets et residus) und den Bedingungen der Weg- und Zulieferung der genannten sowie der durch die Anlage produzierten Dinge (les conditions d'apports des matieres prernieres et du transportdes produits fabriques) analysiert werden. 52 Wird ein Vorhaben in mehreren Abschnitten realisiert, bzw. bestehen zeitliche und räumliche Abstände während der Verwirklichung des Projekts, so bestimmt Art. 2 des Dekrets, daß sich die "etude d'impact" jeweils auf das gesamte Projekt erstrecken muß. Zu der Prüfung von Alternativen durch den Vorhabenträger entschied der Conseil d'Etat am 24. 2. 199753 im Hinblick auf die "etude d'impact" zu der GenehrniVgl. Huglo, Gaz. Pal. 1993, Doctr., 1043, 1052. Vgl. C.E., 21. 1. 1992, Compagnie generaledes matieres nucleaires, C.A.A. Lyon, 497; bei KKW und anderen Anlagen mit hohem Gefährdungspotential muß die etude d'impact beispielsweise auch eine Beschreibung der Auswirkungen der Anlage im Falle eines Unglücks enthalten. 52 Prieur; Droit de l'environnement, 87, 88, Rnr. 90; Bavoillot/Wertenschlag, Droit de l'environnement industriel, S. 18. 53 C.E. 24 fevrier 1997, Association de protection et de defense de Merville et Ia vallee de Ia Save, req. n° 167700, RJE 1997, 440. 50 51

II Prelle

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E. Die UVP in Frankreich

gung einer Straßenbahn, daß kein Gesetz oder keine sonstige Regelung die Verwaltung zu einer Prüfung von Varianten in der "etude d'impact" verpflichte. 54 Gern. Art. 8 des Dekrets von 1977 geändert durch Art. 7 des Dekrets von 1993 hat der Vorhabenträger, es sei denn es handelt sich um eine bestellte öffentliche Person, die durchgeführte "etude d'impact" oder "notice d'impact" seinem Antragsdossier zu der Genehmigung oder Zulassung seines Vorhabens beizufügen und bei der für die Genehmigung zuständigen Behörde einzureichen. Dabei muß die "etude d'impact" bezüglich der oben genannten Anforderungen vollständig, genau und seriös sein (complete, precise et serieuse). Außerdem wird durch das Änderungsdekret von 1993 konform mit der Richtlinie der EG gefordert, daß die obligatorische inhaltliche Zusammenfassung der durchgeführten "etude d'impact" (document final) auch eine verständliche nichttechnische Zusammenfassung enthalten soll, um der Öffentlichkeit die Kenntnisnahme, bzw. das Verständnis der Informationen zu der UVP zu erleichtern (resume non technique). Seit 1993 müssen auch alle Namen der Autoren, Sachverständigen und sonstigen Mitwirkenden aufgelistet werden. 5 5

5. Öffentlichkeitsbeteiligung

Die Öffentlichkeitsbeteiligung, insbesondere die Information der Öffentlichkeit über das Ergebnis der "etude d'impact" richtet sich nach den für die Genehmigung oder Zulassung vorgesehenen allgemeinen Verfahrensvorschriften.56 In Art. 5 und 6 des Dekrets von 197757 sind Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung bezüglich der "etude d'impact" enthalten. So ist in Art. 5 formuliert, daß die "etude d'impact" bei Vorhaben, für die eine öffentliche Untersuchung (enquete publique) vorgesehen ist, dem vorzulegenden Dossier beigefügt wird, also Bestandteil der öffentlichen Untersuchung ist. 5 8 Dies gilt auch für diejenigen Entscheidungsverfahren, in denen nur eine "notice d'impact" vorgesehen ist. 59 Im Rahmen einer öffentlichen Untersuchung soll die Bevölkerung förmlich über das Vorhaben informiert und Einwendungen, Stellungnahmen etc. gesammelt werden. 60 Eine öffentliche 54 "Qu'aucune dispositionlegislative OU reglementaire ne faisait Obligation aJ'administration d'etudier soit dans l'etude d'impact soit dans le dossier de l'enquete les variantes et les projets elabores en dehors d'elle..."Siehe aber auch C.E., 21 octobre 1994, req. n° 054791, Federation Rhöne Alpes de protection de Ia nature (Drome), RJE 1995-2, 329; C.E., 24. 2. 1997, Association de protection et de defense de Merville et de Ia vallee de Ia Save, req. No 167700. 55 Morand-Deviller, Droit de l'environnement, 1996, S. 28. 56 Vgl. Alexandre I Averous, Nuisances et environnement, 1978, 26 ff. 57 Modifiziert durch Art. 4 und 5 des Änderungsdekrets von 1993. 58 Vgl. auch C.E., 21. 10. 1992, M. Catois, RJE 1993-3, 453. 59 Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 82. 60 Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts, S. 141.

I. "Etude d' impact"

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Untersuchung wird vor allem für größere, bedeutende Projekte vorgeschrieben, um die Bevölkerung zu informieren und zu beteiligen. Zum Beispiel muß für ein geplantes Vorhaben, welches dem Gesetz der klassifizierten Anlagen unterfällt und einer Genehmigung (autorisation) bedart6 1, im Vorfeld auf jeden Fall eine öffentliche Untersuchung durchgeführt werden. Ebenso bei einer Enteignung im öffentlichen Interesse (expropriation pour cause d'utilite publique (D.U.P.))62 oder der Erstellung eines Bebauungsplans (P.O.S). 63 Eine erhebliche Rolle spielt für den Ablauf der öffentlichen Untersuchung das Demokratisierungsgesetz vom 12. 7. 198364, modifiziert durch das Gesetz vom 2. 2. 199565 i.V.m. dem Ausführungsdekret n° 85-453 vom 23. 4. 1985, das dem Umfang und die Bedeutung der "enquete publique" steigerte. 66 Durch das Demokratisierungsgesetz wurde die öffentliche Debatte über streitige Punkte institutionalisiert. 67 In Art. 2 des Gesetzes wird bezüglich der Vorhaben mit Umwelteinwirkungen bestimmt, daß die öffentliche Untersuchung "a pour objet d'informer le public et de recueillir ses appreciations, suggestions et contre-propositions posterieurement a l'etude d'impact lorsque celle-ci est requise, afin de permettre a l'autorite competente de disposer de tous elements necessaires a son Information ...". Das Verfahren der öffentlichen Untersuchung beginnt mit dem Einreichen der nach dem entsprechenden Fachgesetz erforderlichen Unterlagen von dem Betreibern oder sonstigen Antragstellern bei dem zuständigen Präfekten.68 Es folgt gern. Art. 2 des Demokratisierungsgesetzes die Bestellung des unabhängigen Untersuchungsleiters (comrnissaire enqueteur) oder der Untersuchungskommission (commission d'enquete) 69 , ein aus neun Mitgliedern bestehendes Gremium (5 Mitglieder der zuständigen Verwaltungen, 2 gewählte Gemeindemitglieder und 2 Repräsentanten der Regierung) sowie die Bestimmung des Inhalts, des Beginns und des Ablaufs des Untersuchungs- und Anhörungsverfahrens, der Dauer und des Umkreises, in dem die Untersuchung (enquete publique) öffentlich bekannt gemacht wer61 Für die Anlagen, die lediglich einer declaration unterliegen, ist keine enquete publique durchzuführen. 62 V gl. Art. 11 - 1 Code de I' expropriation. 63 vgl. 121-10 Code de l'urbanisme. 64 Loi n° 83-630 du 12 juillet 1983 relative Ia democratisation des enquetes publiques et Ia protection de l'environnement; vgl. auch Caillosse, AJDA 1986,480 ff. 65 Loi n° 95-101 relative aurenforeerneut de Ia protection de l'environnement. 66 Vgl. CoenenlJörissen, UVP in der EG,S. 106, 107. 67 Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 93; vgl. auch Braronnier, RDP 1998-3,817 ff. 68 Prieur kritisiert in bezug auf die "etude d'impact" die späte Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wird erst am Ende des Verfahrens informiert, wenn für den Vorhabenträger und die Behörde das Vorhaben bereits so gut wie feststeht. Die Beteiligung der Öffentlichkeit sei eine bloße Formalität, welche in der Regel keine Änderungen in bezug auf das Projekt mehr herbeiführen könne (Prieur; Droit de l'environnement, Rn. 89). 69 Vgl. Art. 9 des Dekrets vom 23. 4. 1985.

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E. Die UVP in Frankreich

den soll durch den zuständigen Präfekten. 70 Das Verfahren der öffentlichen Untersuchung muß mindestens 15 Tage vor der Anhörung öffentlich angekündigt werden. Der Leiter der öffentlichen Untersuchung oder die Untersuchungskommission können innerhalb eines Zeitraums von mindestens einem Monat71 seine/ihre Ermittlungstätigkeiten durchführen, die betreffenden Örtlichkeiten besichtigen und Personen, Organisationen, Behörden etc. befragen. Sie können gern. Art. 4 des Demokratisierungsgesetzes auch eine Versammlung der Bevölkerung zur Information und zum Austausch einberufen. Die Bevölkerung kann sich aber auch während des Untersuchungszeitraums schriftlich oder mündlich an den Untersuchungsleiter oder das Untersuchungsgremium wenden oder ihre Meinung in ein ausgelegtes Register eintragen. Einwendungsberechtigt ist jeder Bürger oder jeder Umweltschutzverband, ohne daß eine besondere Betroffenheit gefordert wird. Das Verfahren endet dann mit einem Abschlußbericht des Untersuchungsleiters oder der Untersuchungskommission für den Präfekten, in dem sie eine persönliche Stellungnahme zu dem Vorhaben abgeben sowie die Einwendungen und Reaktionen der Bevölkerung und des Vorhabenträgers sowie sonstige Einzelheiten der Untersuchung darstellen. 72 Dabei braucht der Untersuchungsleiter oder das Gremium jedoch keine Stellungnahme zu den einzelnen Einwendungen der Bürger abgeben. Diesen Abschlußbericht muß der Untersuchungsleiter dem Präfekten innerhalb von 30 Tagen zusenden. Das Ergebnis des Abschlußberichts ist jedoch für den Präfekten rechtlich unverbindlich. Die öffentliche Untersuchung ist wesentlich für die Bewertung der vorgelegten "etude d' impact" und deren genügenden oder ungenügenden Charakter. Die Vervollständigung der "etude d'impact" kann daher nur bis zum Ende der öffentlichen Untersuchung erfolgen?3 Das Nachreichen wesentlicher Angaben der "etude d'impact" nach Abschluß der "enquete publique" führt grundsätzlich zur Rechtswidrigkeil der Entscheidung, da die Kenntnisnahme der Öffentlichkeit und der Behörde im Vorfeld der Entscheidung als ein entscheidender Faktor für die Gültigkeit der Entscheidung angesehen wird.74 Art. 6 des Dekrets enthält Bestimmungen über das Verfahren, wenn keine öffentliche Untersuchung vorgesehen ist. So werden die Bedingungen genannt, unter denen die "etude d'impact" öffentlich gemacht wird. Jeder natürlichen oder juristischen Person ist das Ergebnis der UVP ab dem Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde, sich mit dem Vorhaben zu befassen, oder wenn eine solche Entscheidung nicht vorgesehen ist, Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, S. 123. Dieser Zeitraum kann durch den Untersuchungsleiter auf maximal 15 Tage verlängert werden. n Hostiou/ Helin, Droit des enquetes publiques, S. 258 ff. 73 Ständige Rechtsprechung: T.A. Limoges, l. 2. 1983, FLEPNA, RJE 1984, 148; C.E. 6 et 2 sous-sections, 29 mai 1996, S.A. Laussu, req. no 128608, RJE 1997, 440. 74 C.E. 8. 12. 1988, Entreprise de dragage et de traveaux publics, RJE 1989, 187. 70 71

I. "Etude d'impact"

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ab dem Zeitpunkt der Genehmigung oder Zulassung des Vorhabens zugänglich zu machen. 75 Wenn ein Verfahren keine der genannten Entscheidungen vorsieht, dann ist die Öffentlichkeit ab dem Zeitpunkt der Durchführungsentscheidung durch die öffentliche Körperschaft als Vorhabenträger von der durchgeführten UVP in Kenntnis zu setzen. Um dem Erfordernis der Öffentlichkeitsbeteiligung zu genügen, muß nach der Entscheidung und vor der vollständigen Verwirklichung des Vorhabens eine Veröffentlichung die Durchführung der UVP anzeigen. 76 Die Veröffentlichung richtet sich nach den entsprechenden Vorschriften für das vorgesehene Projekt. Fehlen derartige Bekanntmachungspflichten, genügt eine Anzeige in mindestens zwei lokalen Zeitungen. Bei Vorhaben von nationaler Wichtigkeit muß die durchgeführte "etude d'impact" außerdem noch in zwei überregionalen Zeitungen veröffentlicht werden. Die Anhörung, bzw. die Stellungnahmen der Bürger werden der Stelle zugeleitet, die das betreffende Vorhaben zuläßt oder genehmigt. Die "notice d'impact" wird ebenfalls bei der öffentlichen Untersuchung dem Dossier beigefügt.77 Ist keine öffentliche Untersuchung vorgesehen, dann findet keine weitere besondere Öffentlichkeitsbeteiligung statt.

6. Kontrolle der "etude d'impact" durch die Behörden

Die Kontrolle der rechtmäßigen Durchführung einer obligatorischen "etude d'impact" liegt zunächst einmal bei der für die Genehmigung des Vorhabens zuständigen Behörde (sanctions non contentieuses de l'insuffisance de l'etude d'impact).78 Sie müssen überpriifen, ob die von dem Vorhabenträger eingereichten Unterlagen den äußeren und inneren Anforderungen an eine "etude d'impact" genügen, d. h. die Priifungsschritte beachtet und inhaltlich die wichtigsten Punkte ausgeführt worden sind. 79 Eine spezielle Vorschrift, die diese Kontrolltätigkeit der Behörde explizit regelt, gibt es allerdings nicht. 80 Daher können die Behörden alRomi, Droit et administration de l'environnement, 58. Der Conseil d'Etat hat entschieden, daß die Einbeziehung der Öffentlichkeit nach der Entscheidung aber vor der Realisierung des Vorhabens genüge (C.E. Urt. v. 30. l. 1985, AJDA 1985, 238). 77 Prieur; Droit de I'environnement, Rn. 82. 78 Vgl. Lamarque, RFDA 1989, 406 ff.; Hebrard, RJE 1981-2, 129, 162. 79 Der C.E. hat in einigen Entscheidungen die Verantwortlichkeit oder Teilverantwortlichkeit der Verwaltung festgestellt, wenn eine Entscheidung wegen fehlerhafter "etude d'impact" von dem Gericht aufgehoben werden mußte, vgl. C.E., 31. 3. 1989, Mme. Coutras, Rec. 103. Zust. Prieur, der in dieser Rechtsprechung die Möglichkeit sieht, daß die "etude d' impact" ernsthafter von der Verwaltung auf ihre Vollständigkeit überprüft wird; vgl. Prieur; RJE 1991-1,23, 37; vgl. auch C.E., 28. 7. 1993, RFDA 10 (2), 1994, 327 mit Anm. Hostiou, RFDA 10 (2), 1994, 323. 80 Vgl. auch Prieur; ZfU 1984, 383. 75

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E. Die UVP in Frankreich

Ieine, ohne rechtliche Bindungen entscheiden, ob sie die vorgelegte "etude d'impact" akzeptieren oder nicht. 81 Insbesondere wird die Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung der "etude d'impact" durch die nach Art des Vorhabens zuständige technische Verwaltung ausgeführt. Solche qualifizierten Fachbehörden sind beispielsweise die "Direction Regionale de !'Industrie, de Ia Recherche et de l'Environnement (D.R.I.R.E)"82, "Direction Departementale de l'Equipment (D.D.E)", "Direction Departementale de I' Agriculture et de Ia Foret (D.D.A.F)" etc. Gern. Art. 7 des Dekrets von 1977 (geändert durch Art. 6 des Dekrets vom 25. 2. 1993)83 kann sich auch der für die Umwelt zuständige Minister per Selbsteintrittsrecht auf eigene Initiative oder auf Antrag jeder natürlichen oder juristischen Person mit der "etude d'impact" befassen. 84 Er kann von der zuständigen Behörde die Unterlagen anfordern und innerhalb von 30 Tagen eine Stellungnahme an die Behörde richten. Innerhalb dieser Zeit darf die zuständige Behörde weder ein öffentliche Untersuchung (enquete publique) einleiten noch ein Vorhaben genehmigen oder zulassen. Kommt der Umweltminister der Stellungnahme in dem Zeitraum von 30 Tagen nicht nach, dann kann die für die Genehmigung des Vorhabens zuständige Behörde ihre Entscheidung treffen, ohne weiter die Meinung des Umweltministers abwarten zu müssen. 85 Allerdings hat der Umweltminister kein Entscheidungsrecht bezüglich der UVP, sondern er kann lediglich seine Auffassung dem für die Genehmigung des Vorhabens zuständigen Ministerium in einer Art Empfehlung mitteilen. Diese ist jedoch für die zuständigen Behörden rechtlich nicht bindend.86

Prieur, Droit de l'environnement 1996, Rn. 96. Beispielsweise überprüft die D.R.I.R.E im Bereich der klassifizierten Anlagen die Durchführung der "etude d'impact". 83 Vgl. Huglo, Gaz. Pal. 1993, Doctrine, 1043, 1052. 84 Für die "notice d'impact" ist dies allerdings nicht vorgesehen. Dies wird von Prieur als gesetzlich widersprüchlich kritisiert, vgl. in: Droit de I' environnement, Rn. 82. 85 Vor der Änderung durch das Dekret v. 25. 2. 1993 konnte die zuständige Behörde die Entscheidung fällen, ohne die Stellungnahme des Umweltministers in einem bestimmten Zeitrahmen abzuwarten. Vgl. C.E., 5 fevrier 1982, Association de defense de Ia qualite de la vie du Val-de-Loire, Rec., p. 56; concl. Pinault, AJDA 1982, 471; vgl. auch Caballero, RJE 1984- 1, 3, 39. 86 C.E. section, 5. 2. 1982, Association pour Ia defense de la qualite de Ia vie du val de Loire, Rec. p. 56. 81

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7. "Berücksichtigung" der "etude d'impact" in der Entscheidung über die Zulässigkeil des Vorhabens Das Verwaltungsgericht Nantes hat die Bedeutung der "etude d'impact" im Rahmen der fachgesetzlichen Zulassungsentscheidung in einem Urteil vom 18. 2. 1982 zusammengefaßt: " ...L'etude d'impact est un document qui doit permeure a chaque autorite chargee de prendre une decision de prise en consideration, d'autorisation, d'approbation ou d'execution, d'apprecier l'ensemble des incidences de l'arnenagement ou de l'ouvrage en cause sur 1'environnement et d'en tirer 1es elements justifiant 1a decision aprendre dans !es limites de Ia competence que lui con1ere de legislation que cette autorite est chargee d' appliquer... "87

In Frankreich haben die zuständigen Verwaltungsbehörden einen weiten Ermessensspielraum bezüglich der Entscheidung über die Genehmigung oder Zulassung eines Vorhabens.88 Beispielsweise kann die Verwaltungsbehörde nach Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zu den klassifizierten Anlagen die Genehmigung verweigern, oder sie mit oder ohne Auflagen erteilen. Sie kann selbst dann negativ über ein Vorhaben entscheiden, wenn objektiv alle Voraussetzungen für eine positive Entscheidung vorliegen. Folglich hat der Vorhabenträger keinen Anspruch auf ein bestimmtes administratives Verhalten, bzw. an materielles Recht fest gebundenes Verwaltungshandeln. Aus diesem Grunde ist auch die Bedeutung der "etude d'impact" im Rahmen der Genehmigungsentscheidung dem Ermessensspielraum der Behörde unterworfen. Die Behörde entscheidet, ob sie aus den Ergebnissen der "etude d'impact" Konsequenzen für die Genehmigungsentscheidung zieht oder nicht. 89 Eine Bindung der Verwaltung bezüglich der "Beriicksichtigung" der "etude d'impact" besteht nicht. 90 So wird die Bedeutung der "etude d'impact" wie folgt beschrieben: ,,L'etude d'impact n'a pas vocation a dicter la decision, mais aeclairer la decision". 91

87 T.A. de Nantes, 18. 2. 1982, Societe pour l'etude et Ia protection de Ia nature en Bretagne (S.E.P.N.B.), Rec. T S. 685. 88 Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, S. 115. 89 Seeliger, UPR 1982, 183; Hundertmark, Die Durchführung der UVP, S. 56; Kolter, UVP in der Praxis, S. 127, 128; Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen im Umweltrecht, S. 141. 90 Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, S. 115; Coenenl Jörissen, UVP in der EG, S. 114. 91 Vgl. Hebrard, L'etude d'impact de 1'environnement, S. 557. Vgl. auch seine Kritik, s. 586 ff.

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E. Die UVP in Frankreich

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich Bevor die Rechtsprechung in Frankreich zu der UVP untersucht wird, soll ein kurzer Überblick über die Voraussetzungen des Rechtsschutzes deutlich machen, nach welchen Prinzipien sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich richtet.

1. Rechtsschutz gegen eine fehlerhafte UVP in Frankreich a) Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Überblick

Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit wird seit 179992 entscheidend von dem Conseil d'Etat (Staatsrat), dem höchsten Verwaltungsgericht in Frankreich, geprägt. 93 Die Besonderheit des Conseil d'Etat liegt darin, daß es sich um ein Gericht handelt, welches ursprünglich ein Teil der Verwaltung war, der sich nach und nach zu einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit verselbständigt hat und auch heute noch Beratungsfunktionen gegenüber der Regierung wahrnimmt. 94 Der Conseil d'Etat war bis 1953 für alle Verwaltungsstreitigkeiten zuständig und ist heute Berufungsinstanz für die Urteile der 1953 geschaffenen Verwaltungsgerichte der ersten Instanz (Tribuneaux administratifs) und erstinstanzliebes Gericht für alle Klagen, die sich gegen Verordnungen und gegen bestimmte Rechtsakte der Minister oder gegen Entscheidungen, die von Kollegialorganen getroffen werden, richten. Die Verwaltungsgerichte der ersten Instanz sind für alle Verwaltungsstreitigkeiten innerhalb ihres Gerichtsbezirks zuständig. Mit der Reform vom 31. 12. 1987 wurde zwischen den erstinstanzliehen Verwaltungsgerichten und dem Conseil d'Etat noch eine dritte Instanz geschaffen, die Verwaltungsgerichtshöfe (Cours administratives d'appel), welche neben dem Conseil d'Etat als Berufungsgerichte funktionieren. Der Conseil d'Etat wiederum ist für die Urteile der Verwaltungsgerichtshöfe als Revisionsinstanz eingesetzt worden. 95 92 Der Conseil Etat wurde durch "Ia Constitution v. 22. Primaire au VIII" (15. 12. 1799) eingerichtet, vgl. Lombard, Droit administratif, S. 5, Rn. 8. 93 Woehrling, NVwZ 1985, 21; zur Geschichte des Conseil d'Etat, vgl. Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten, S. 23 ff.; Berst, Der Grundsatz der Gewaltentrennung im französischen Verwaltungsprozeßrecht, 69 ff.; Rivero/Waline, Droit administratif, S. 186, Rn. 192. 94 Vgl. Müller; AöR 1992, 354 ff.; Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 13; Jarass, DÖV 1981, 813, 814; Helin, in: Schwarze/Schmidt-Aßmann, Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle, 63, 65; Lang, RFDA 1992, 787 ff.; de Laubadere/Venezia/ Gaudemet, Traite de droit administratif, S. 43. 95 Vgl. Woehrling, VBIBW 1994, 226; de Laubadere/Venezia/Gaudemet, Traite de droit administratif, S. 43.

II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich

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Besondere Bedeutung wird dem Conseil d'Etat in der Literatur vor allem auch hinsichtlich der Ausformung des "Allgemeinen Verwaltungsrechts" zugesprochen.96 Auf seine Rechtsprechung sind die meisten Prinzipien des Verwaltungsrechts, insbesondere auch die Voraussetzungen des Rechtsschutzes gegen Verwaltungsmaßnahmen, zurückzuführen.

b) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen die Verletzung der Vorschriften überdie ,.etude d'impact"

In Frankreich kann gegen eine Entscheidung der Verwaltung, die ohne die obligatorische UVP oder aufgrund einer fehlerhaften UVP zustande gekommen ist, mittels der bedeutendsten Klageart des französischen Verwaltungsrechts, des "recours pour exces de pouvoir'm, vorgegangen werden, welches der deutschen Anfechtungsklage entspricht, jedoch auch andere Klagesituationen mit umfaßt. 98 Durch diese Klageart kann der Kläger die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung99 (acte administratit) erreichen. Allerdings kann die fehlende oder fehlerhafte "etude d'impact" als unselbständiger vorbereitender Teil des Genehmigungs- oder Zulassungsverfahrens nicht mit einer eigenständigen direkten Klage angefochten werden. Die Klage kann sich nur gegen die gesamte Genehmigungsentscheidung, die auch inzident eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Kontrolle der "etude d'impact" enthält, richten. 100 Eine Besonderheit im französischen Recht bildet die Regelung über den einstweiligen Rechtsschutz bei fehlender "etude d'impact". Grundsätzlich hat nämlich in Frankreich die Erhebung der Klage keinen automatischen Suspensiveffekt wie in Deutschland. 101 Die einstweilige Verfügung gegen den Vollzug einer Entscheidung im Eilverfahren durch den ,,recours pour exces de pouvoir" wird normalerweise nach allgemei96 Fromont, DVBL 1978, 89 ff.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht Bd. 1, 99; Van Lang, Juge judiciaire et droit administratif, 1996, 224 ff.; Stirn, Le Conseil Etat, 69 ff.; Rivero/Waline, Droit administratif, Rn. 27. 97 Der Conseil Etat hat diese Klageart entwickelt, vgl. Stirn, Le Conseil Etat, 69, 72. 98 So kann der ,,recours pour exces de pouvoir" auch gegen gegen ablehnende Entscheidungen oder das Untätigbleiben der Verwaltung gerichtet werden. Zu weiteren Funktionen der Klageart sowie die angreifbaren Rechtsakte, vgl. J. Koch, Verwaltungsarchiv 1998, 560 ff. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 105; Degen, DV 81, 157, 160. 99 Der Begriff des Verwaltungsakts wie er in Deutschland verstanden wird, wäre hier zu eng, da der ,,recours pour exces de pouvoir" sowohl actes individuels (Einzelakte) als auch "actes reglementaires" (Rechtsverordnungen und sonstige allgemeine Rechtsnormen) erfaßt. 100 Prieur; RJE 1991, 23, 31, 32; Lerche, in: Frowein, Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, S. 21; Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen im Umweltrecht, S. 142; Hebrard, RJE 1981-2, 129, 134. 101 Schwarze, DVBL 1987, 1037 ff.

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E. Die UVP in Frankreich

nem Verwaltungsrecht unter strenge Bedingungen gestellt und von dem Conseil d'Etat sehr restriktiv angewandt. 102 So wird dem Antrag auf Aussetzung nur stattgegeben, wenn im Falle der Vollziehung der Entscheidung das Risiko eines ernsten und schwer wieder gutzumachenden Schadens besteht und die vom Kläger aufgeführten Gründe so gewichtig erscheinen, daß sie die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung rechtfertigen können. 103 In der Vorschrift des Art. 2 des Gesetzes über Naturschutz vom 10. 7. 1976 ist eine spezielle Regelung zur Aussetzung des Voiizugs einer Genehmigungsentscheidung bei fehlender "etude d'impact" - "sursis execution automatique" - getroffen. 104 So heißt es im letzten Absatz, daß ein Verwaltungsgericht bei einer Klage gegen die erfolgte Genehmigung eines Vorhabens auf Antrag die Vollziehung der Genehmigung in einem Eilverfahren automatisch auszusetzen hat, wenn das Nichtvorliegen der "etude d'impact" festgesteilt wurde. 105

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" . . .Si une requete deposee devant une juridiction administrative contre une autorisation ou une decision d'approbation d'un projet vise l'alinea 2 du present article est fondee sur l'absence d'etude d' impact, Ia juridiction saisie fait droit Ia demande de sursis execution de Ia decision attaquee, des que cette absence est constatee selon une procedure d'urgence..."

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Für eine fehlerhaft durchgeführte "etude d'impact" gilt diese Regelung nicht, es sei denn, die Mangelhaftigkeit ist ausnahmsweise so schwer und so erheblich, daß sie dem völligen Fehlen einer "etude d'impact" entspricht. 106 Bei einer fehlenden oder fehlerhaften "notice d'impact" ist eine Aussetzung nicht möglich. 107 Wann eine "etude d' impact" so fehlerhaft ist, daß eine Aussetzung gerechtfertigt ist, obliegt der Einschätzung des Verwaltungsrichters und wird daher auch nicht immer einheitlich beurteilt. 108 Degen, DV 1981, 164; Fromont, UPR 1983, 190. Art. 54 IV des Dekrets v. 30. 7. 1963. 104 Vgl. Babadji, RJE 1992-3, 313; Hebrard, L'etude d'impact sur l'environnement, 639 ff.; ders. RJE, 1981-2, 129 ff.; Prieur, Droit et environnement, S. 94, Rn. 99; Hanicotte, RDP 1995, 11581 ff. 105 Vgl. C.E., 16. 4. 1982, ministre de l'environnement, c. /commune d'Aubagne, 32789, Rec. T.,684. 106 Vgl. C.E. 28. 9. 1984, Rondeau et Chemouny et ministre de l'environnement c/Mlles Clavel et Gillet, RJE 1984, 330; C.E., l. 7. 1983, Commune de Roquevaire, RJE 1984, 65 ff.; C.E., 29. 6. 1984, Comite de sauvegardedes sites et de l'environnement de Roquefort les Pins mit Anm. Prieur, RJE 1984-3, 237; siehe auch T.A. Rennes, 25. 8. 1989, Moreaux et autres, RJE 1990, 113; T.A. Caen, 13 juin 1995, Association Manche Nature, req. n° 95582, RJE 1996, 154; C.E., 18. 6. 1980, Comite departemental de protection de Ia nature en Saöne-etLoire, RJE 1981-2, 177, concl. Janin, 178; T.A. Lyon, 8. 10. 1979, ville de Gevrey-Chambertin; TA Besan~on, 29. 3. 1990, RJE 1991-4, 206; vgl. Romi, Droit et administration de l'environnement, 61 ; Hanicotte, RDA 1995, 1581, 1588 f. 107 Vgl. Huglo, Gaz. Pal. 1993, Doctrine, 1043, 1050. 108 Zu den Problemen im einzelnen, vgl. Romi, Droit et administration de l'environnement, 62. 102 103

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Danach steht dem Antragsteller im Fall der fehlenden oder fehlerhaft durchgeführten UVP Anspruch auf Aussetzung des Vollzugs zu, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: es muß eine Verwaltungsentscheidung vorliegen über die Zulässigkeit oder Genehmigung eines Vorhabens, die Forderung nach Aufschub muß in erster Instanz formuliert worden sein und das betreffende Vorhaben darf noch nicht fertiggestellt sein. Der zuständige Richter muß in jedem Fall feststellen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer obligatorischen UVP vorliegen oder ob möglicherweise eine Ausnahme von dieser UVP-Pflicht gegeben ist. Die Voraussetzungen des ,,recours pour exces de pouvoir" richten sich nach dem allgemeinen französischen Verwaltungsrecht

aa) Voraussetzungen des "recours pour exces de pouvoir" (cas d'ouverture et cas d'annulation) Bei dem ,,recours pour exces de pouvoir" handelt es sich um einen Rechtsbehelf, der der objektiven Rechtskontrolle dient 109. Im Gegensatz zur deutschen Anfechtungsklage, deren Zulässigkeitsvoraussetzung die Geltendmachung einer subjektiven öffentlichen Rechtsverletzung ist, die sich dann in der Begründetheilsprüfung bestätigt oder nicht bestätigt, richtet sich der ,,recours pour exces de pouvoir" neben dem Schutz der Interessen von Individuen vor allem auf die Frage, ob bei der verwaltungsbehördlichen Tatigkeit objektives Recht verletzt worden ist. 110 "Le recours est forme contre l'acte et non contre Ia personne publique", so wird der objektiv-rechtliche Charakter der Klage betont.'" Daher werden auch an die Zulässigkeilsvoraussetzungen des "recours pour exces de pouvoir" keine besonders hohen Anforderungen gestellt. Ausreichend ist der Antrag auf teilweise oder vollständige Aufhebung einer vollstreckbaren, beschwerenden (acte administratif de nature a faire grief) individuellen oder generellen Verwaltungsentscheidung durch eine in ihrem Interesse hinreichend betroffene Person innerhalb einer bestimmten Frist und in einer bestimmten Form. 112 Der Kläger muß in seinem Klageantrag 109 de Laubadere/Venezia/Gaudemet, Traite de droit administratif, Bd. 1, 411; Schlette, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle. . ., S. 77; Rivero/Waline, Droit administratif, S. 231, 248, Rn. 238, 264; Vedel/Devolve, Le systeme fran~ais de protection des administres contre l'administration, S. 93, Rn. 194; vgl. auch Chapus, Droit administratif general, Bd. I Rn. 999, der die Anfechtungsklage auch als ,,recours d'utilite publique" bezeichnet, weil es im Interesse der Allgemeinheit ist, daß das Handeln der Verwaltung rechtmäßig ist. no Woehrling, REDP, 1994, 365; J. Koch, Verwaltungsarchiv 1998,563. lll Rivero/Waline, Droit administratif, Rn. 266. 112 Auby/Drago, Traite de contentieux administratif, 161 ff.; Vedel/Devolve, Droit administratif, Bd. I, S. 748; vgl. zu den angreifbaren Verwaltungsentscheidungen ausführlich J. Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, 110 ff.; Lombard, Droit administratif, 274, Rn. 461.

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E. Die UVP in Frankreich

zum einen den Sachverhalt schildern, der ihn zur Klage bewogen hat und zum anderen einen bestimmten Klagegrund nennen. Bei der Entscheidung ist der Richter an die gerügten Klagegründe gebunden, es sei denn es handelt sich um Klagegründe "moyens d' ordre public", welche von Amts wegen geprüft werden müssen. 113 Dabei können beim "recours pour exces de pouvoir" nur bestimmte Fehler gerügt werden. Die "cas d'ouverture" stellen also die Gründe dar, weshalb die Verwaltungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben werden kann. Nach der Rechtsprechung kann sich der Kläger auf vier unterschiedliche Klagegründe, berufen. 114 Dabei beziehen sich zwei Klagegründe "incompetence" (Unzuständigkeit) und "vice de forme et irregularite de procedure" (Form- und Verfahrensfehler) auf die sog. "legalite externe", d.h die formelle Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung und die anderen zwei Klagegründe "Violation directe de la regle de droit" (Gesetzesverletzung) und "detournement de pouvoir Oll de procedure" (Befugnismißbrauch) auf die "legalite interne", d. h. die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes. Wird ein Klagegrund vom Verwaltungsgericht bestätigt, dann wird der Klagegrund (cas d'ouverture) zum Aufhebungsgrund (cas d' annulation). 115 Die Klagegründe haben folglich sowohl eine formelle wie materiell-rechtliche Bedeutung. Die Annullierung der Entscheidung im Fall der Verletzung objektiven Rechts wirkt konsequenterweise auch erga omnes.116 Die fehlende oder fehlerhafte "etude d'impact" stellt keinen "moyen d'ordre public" dar, so daß der Kläger diese Mängel rügen muß. 117 Die korrekte Durchführung der "etude d'impact" wird bei der Klage gegen die Genehmigung oder Zulassung unter dem Klagegrund "vice de forme et procedure" untersucht. 118 Allerdings führen Verfahrensverstöße in der französischen Rechtsprechung nur dann zu einer Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung, wenn sie von wesentlicher Natur (formalites substantielles) sind. Wesentlich sind in diesem Sinne alle Form- und Verfahrensvorschriften, bei deren Beachtung die Verwaltungsentscheidung möglicherweise anders ausgefallen wäre. 119 Im einzelnen wird an späterer Stelle darauf eingegangen werden. 120

Vgl. Chapus, Contentieux administratif, Rn. 932. Zu den einzelnen Klagegründen, vgl. Überblick bei J. Koch, Verwaltungsarchiv 1998, 571 ff. Die Unterscheidung geht auf Laferriere (Traite de Ia juridiction administratif et de recours contentieux, Bd. II, 496 ff.) zurück. 115 J. Koch, Verwaltungsarchiv 1998, 568; Peyrical, AJDA 1996,22 ff. 116 Vgl. Lebreton, Droit administratif, 129. 117 Romi, Droit et administration de J'environnement, 1997, S. 62; krit. Prieur, RJE 1991-1, 23, 27. 118 Lerche, Landesbericht Frankreich, in: Frowein (Hrsg.), Kontrolldichte ... , S. 21. 119 Fromont, Rechtsschutz... , 247; J. Koch, Verwaltungsarchiv 1998, 571. 12o Vgl. E. II. 1 d). 113

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II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich

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bb) Die Voraussetzung des "interet agir" Eine wichtige Zulässigkeitsvoraussetzung für den ,,recours pour exces de pouvoir" ist als Klagebefugnis das sog. "interet agir", d. h. der Kläger muß geltend machen, ein hinreichend bestimmtes direktes und persönliches Interesse (direct et personnel) an der Aufhebung der beschwerenden Verwaltungsentscheidung zu haben.121 Das "interet agir" wird von den Verwaltungsgerichten von Amts wegen gepriift. Auch hier kommt die Gestaltung des ,,recours pour exces de pouvoir" als Instrument des objektiven öffentlichen Interesses an der Legalität der Verwaltung zum Ausdruck, denn der Conseil d'Etat hat dieses "Interesse" immer sehr großzügig ausgelegt. 122 Der Kläger soll die objektive Kontrolle der Verwaltungsentscheidung bewirken, er fungiert als Informant, der die Gerichte auf Mißstände des Verwaltungshandeins hinweist. Allerdings ist auch eine Popularklage durch die genannte Limitierung mittels der Merkmale der Unmittelbarkeit und Bestimmtheit der Rechtsbeeinträchtigung sowie der lndividualisierbarkeit des Klägers ausgeschlossen (pas d'interet, pas d'action), was allerdings teilweise in der Literatur bestritten wird. 123

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Eine gesetzliche Regelung des "interet pour agir" fehlt. Auch eine klare Dogmatik hinsichtlich des Inhalts und Umfangs des beeinträchtigten Interesses für eine Klagebefugnis läßt sich nicht erkennen, die Kriterien werden durch die eher flexible kasuistische Rechtsprechung selbst bestimmt. 124 Das Interesse kann tatsächlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher, materieller oder immaterieller, individueller wie kollektiver Art sein. 125 Eine besondere persönliche Betroffenheit ist nicht unbedingt erforderlich, vielmehr kann die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Interesse tangiert ist, ausreichen. So kann der Steuerzahler beispielsweise gegen eine Kommunalversammlungsentscheidung klagen, die die kommunalen Finanzen in 121 Vgl. allg. zum "interet a agir": Vedel/Devolve, Droit administratif, Bd. 2, 269 ff.; de Laubadere/Venezia/Gaudemet, Traite de droit administratif, 512 ff.; Chapus, Droit du contentieux administratif, S. 393 ff.; Lebreton, Droit administratif general, Bd. 2, 134 ff.; Pacteau, Contentieux administratif, 133 ff.; Olivier/Roland, Environnement et contentieux administratif, 35 ff.; Viguier, Le contentieux administratif, S. 103 ff.; Lambard, Droit administratif, 246 ff.; zum "interet a agir" im Umweltrecht, Hermon, le juge administratif et l'environnement, S. 24 ff.;Aziben/de Boisdeffre, AJDA 1987,332 ff. 122 Ehlers, Verwaltungsarchiv. 84 (1993), 139, 172; de Laubadere/Venezia/Gaudemet, Traite de droit administratif, 111; Schlette, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle... , S. 85; Debbasch/Ricci, Contentieux administratif, Rn. 269 ff.; vgl. aber auch Hermon, Je juge administratif et l'environnement, S. 36 ff., die aufzeigt, daß der Conseil d'Etat bei der Zuerkennung eines "interet a agir" wiederum auch eher restriktiv vorgehen kann. 123 Kloepfer/ Mast, RiW 1992, 5,10; vgl. auch Vedel/Devolve, Le systeme franr;ais de protection des administres contre l'administration, S. 203, Rn. 481. 124 Vgl. J. Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, 142 ff.; Helin, in: Schwarze/ Schmidt-Aßmann, Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle... , 65 ff. 125 Vgl. Fromont, UPR 1983, 186; Woehrling, NVwZ 1985, 23; ders. DVBl. 1992, 891; Vedel/Devolve, Droit administratif, Bd. 2, 262 ff.; Chapus, Droit du contentieux administratif, S. 393 ff.; C.E. v. 10. 3. 1978, Rec. 126; C.E. v. 17. 6. 1987, Rec. 218.

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E. Die UVP in Frankreich

Anspruch nehmen würde. 126 Die Grenze der Popularklage ist jedoch erreicht, wenn der Steuerzahler sich gegen staatliche Steuerfestsetzungen im allgemeinen wehren will und sich auf seinen Status als Staatsbürger beruft. 127 Ebenso kann ein Abgeordneter des Parlaments nicht gegen eine Entscheidung der Regierung klagen. 128 Der Conseil d 'Etat ließ aber die Klage eines Hoteliers zu, der sich gegen die Festsetzung der Schulferien wehren wollte. 129 Ebenso wurde die Klage eines Campers zugelassen, der gegen eine Gemeindeentscheidung vorgehen wollte, die Camping im Gemeindegebiet verbot. 130 Benutzer von öffentlichen Einrichtungen können sich auch gegen Maßnahmen wehren, die den Service der Einrichtung betreffen.131 Der Kreis derjenigen, die gegen eine Verwaltungsentscheidung klagen können, ist folglich erheblich größer als im deutschen Verwaltungsprozeßrecht, denn die Möglichkeit der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts muß nicht dargelegt werden. 132 Die Berufungsmöglichkeit Dritter gegen die Genehmigung einer Anlage oder auf Regelungen des Umweltrechts ist auch mit einer gewissen persönlichen Betroffenheit verknüpft 133 , diese wird aber nicht durch die drittschützende Wirkung einer Norm hergestellt, sondern durch die räumliche Nähe (proxirnite), die konkreten Umstände (circonstances de l'espece) und die örtliche Beschaffenheit (configuration des lieux). 134 Insbesondere die Klage von Nachbarn einer UVP-pflichtigen Anlage gegen eine Zulassungsentscheidung wegen fehlender oder mangelhaft durchgeführter UVP ist daher eher unproblematisch. Es wird lediglich auf die tatsächliche Situation, bzw. 126 C.E., 29. 3. 1906, Casanova, Rec. 333. 121 C.E., 6. lO. 1965, Marcy, Rec. 493; vgl. auch C.E. 25. 6. 1920, Le Doussal et Metour, Rec. 639, in dem das Gericht das Klagerecht eines Steuerzahlers gegen staatliche Anordnungen, die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen, ablehnte. 128 Vgl. auch Vedel! Devolve, Le systeme fran~ais de protection des administres contre l'administration, S. 203, Rn. 481; Braibant/Stim, Le droit administratiffran~ais, 535 ff. 129 C.E., 28. 5. 1971, Damasio, Rec. 391. 130 C.E., 14. 2. 1958, Abisset, Rec. 98. 131 C.E., 21. 12. 1906, Syndicat des proprietaires et contribuables du quartier Croix de Seguey-Tivoli, Rec. 962, concl. Romieu. 132 Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung, vgl. J. Koch, Verwaltungsrechtsschutz, 144 ff.; v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtsschutzes Dritter... , 85 ff.; vgl. auch Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen ... , 173, 179 ff. 133 Vgl. C.E., 22. lO. 1986, Union departementale des consommateurs des Bouches-duRhöne, Rec. 652, " .. .les dispositions, de portee generale, de l'art. 1 de Ia loi susvisee du 10 juillet 1976 relative ala protection de la nature n'ont . ... ni pour objet, ni pour effet de conferer tout citoyen le droit de saisir le juge de l'exces de pouvoir, en l'absence d' un interet personnel, de toute decision administrative susceptible de porter atteinte 1' environnement. .."; vgl. auch Raymond, RJE 1991-4,453 ff. 134 Chapus, Droit du contentieux administratif, S. 403 f.

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II. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der UVP in Frankreich

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die tatsächliche Betroffenheit des einzelnen im Einzelfall abgestellt. 135 Der einzelne muß ein Interesse an der Verteidigung seines Lebensraums haben (cadre de vie).136 Dafür genügt ein hinreichendes Näheverhältnis zur Anlage 137 , welches bei größeren Projekten wegen ihrer geographischen Bedeutung nicht unmittelbar sein muß. 138 Allerdings herrscht in der Rechtsprechung nicht immer Einigkeit, wann ein Näheverhältnis hinreichend ist oder anders gesagt, welche Reichweite - auch geographisch - die Bedeutung des Vorhabens hat. 139 Der Nachbar muß sich nicht 135 Vgl. auch Gerstner; Die Drittschutzdogmatik... , S. 73; Chapus, Droit du contentieux administratif, S. 403. 136 Vgl. Hennon, Le juge administratif et l'environnement, 28. 137 Bzgl. einer Klage gegen eine Baugenehmigung, vgl. C.E., 19. 2. 1992, M. Edouard Tiberghien, req. n° 107 424, der Kläger, "proprietaire d'un irnmeuble voisin du temiin faisant l'objet du perrnis de construire a inreret a attaquer ce perrnis... ". Ebenso kann der Nachbar gegen eine Änderungsgenehmigung klagen (C.E., 10. 4. 1991, Mme Petiteau; req. n° 97 545. Es ist auch nicht entscheidend, daß der Nachbar Eigentümer oder lediglich Mieter ist, vgl. C.E., II. 12. 1991, Gaudin, Rec. T. 1264. Bzgl. der Klage gegen eine Genehmigung für einen Steinbruch, C.E., 9. 12. 1977, SARL. Carrieres de Bretagne et ministre de l'industrie et de Ia Recherche, Rec. 498. ns C.E., 24. 6. 1991, Societe Scaex Inter Provence Cöte d' Azur, Rec.T. 1264, zur Klagebefugnis eines 800 m. von einem geplanten Geschäftszentrum entfernt wohnenden Klägers; C.E. 15. 4. 1983, Cornmune de Menet, Rec. 154, hier wurde die Klagebefugnis eines Eigentümers eines Ferienhauses bejaht, der sich gegen den Bau einer 800 m entfernten Feriensiedlung wehren wollte; vgl. auch T.A. Grenoble, 16. 3. 1977, Roche. Association "Vivre aChambery" et autres: Rec. 564; in diesem Fall wurde Stadtbewohnern ein Klagerecht gegen eine Baugenehmigung zugestanden, obwohl sie keine Nachbarn der Anlage waren. " .. .Ia construction projetee constitue une importante operation d'urbanisme de nature a modifier sensiblement l'apparence generale de Ia ville... " Vgl. auch T.A. Marseille, 19. 10. 1989, Mme Cozza et autres, RJE 1992-2, 251 f., hier wurde den Bewohnern einer Gemeinde ein Klagerecht eingeräumt, weil".. .le risque de pollution de Ia nappe phreatique, sont susceptibles de s'etendre a l'ensemble des territoires des cornmunes ou sont domiciles Ies requerants ... "; vgl. zum Klagerecht eines Gemeindemitglieds gegen einen Plan d'occupation des sols (POS) der Gemeinde, vgl. I. 2. 1989, Durand et cornmune de Genissac, Rec. T. 941 ; vgl. T.A. Straßburg, 11. 3. 1980, Rauchetautres c.IEtat, Ministre de l'industrie, OS 1980,404, hier wurde aufgrundder Bedeutung des Vorhabens eine hinreichende Nähe (proximite relative des habitations des requerants) der Kläger zu einem Schweinemastbetrieb (en raison de l'importance des operations autorisees) für ausreichend erklärt. Vgl. auch T.A. Poitiers, 24. 6. 1987, Association pour l'amelioration et Ia conservation de I' environnement actuel de Re et autres c. I Pr6fet, comrnissaire de Ia Republique de Ia Charente-Maritime et autres, AJDA 1987,669. 139 Bei normalen Bauvorhaben muß die Nähe des Nachbarn unmittelbar sein, C.E., 15. 4. 1983, Cornmune de Menet, Rec. 154; C.E., 30. 9. 1988, Societe nationale de television en couleurs, Rec. 324; C.E., 25. 3. 1981, Cochet, Rec. 164. So wurde in der Entscheidung des C.E., v. 16. 3. 1984 (Desbiaux, req. 30374) die Klagebefugnis eines Nachbarn, der140m v. Bauvorhaben entfernt wohnte, verneint. Vgl. auch AJDA 1989, 133; C.E., 25. 3. 1981, Lochet, Rec. 164; C.E., 15. 4. 1983, Rec. 154; vgl. auch T.A. Nantes, 12. 4. 1990, Cornmune de Vertou et m. Robert Chapeau c. I Cornmune de Saint' -Sebastien-sur-Loire et societe Socorena, req. n° 90-44, 90-45 und 90-46; in diesem Fall wurde das Klagerecht eines 500 m von einem Gebäude entfernt wohnenden Klägers gegen die Baugenehmigung abgelehnt, da das "ne constitue pas un operation d'urbanisme de nature a modifier sensiblement I'apparence generale de Ia cornmune: qu' il s'ensuit que Je requerant ne justifie pas ...d'un interet personnel suffisant a lui donner qualite pour demander I'annulation ... "; vgl. C.E., 25. 3. 1981,

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E. Die UVP in Frankreich

auf ein eigenes konkretes nachbarliches Interesse berufen, sondern es genügt, wenn er den Verstoß gegen eine Vorschrift rügt, die der Allgemeinheit dient. 14° Folglich ist die Klage gegen ein Kernkraftwerk bis zur Grenze der Popularklage möglich.141 Es genügt also eine räumliche Betroffenheit für die Klagebefugnis des einzelnen gegen die Umweltauswirkungen einer Anlage. Andererseits reichen die Eigenschaften als Autofahrer, Fußgänger, Kunde oder Geschäftskonkurrent 142 etc. in der Regel nicht aus, um ein "interet aagir" beispielsweise gegen eine Baugenehmigung zu begründen. 143 Auch Form- und Verfahrensfehler können ohne Einschränkungen geltend gemacht werden. Verbände sind klagebefugt, wenn die angefochtene Verwaltungsentscheidung das materielle Recht aller Mitglieder verletzt und folglich deren gleichartig gebündelte Interessen berührt (interets collectifs) 144 oder ein hinreichend präzisierter Verbandszweck als altruistisches Interesse betroffen ist. 145 Ein altruistisches Interesse wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn zwischen dem Verbandszweck und den Maßnahmen, gegen die vorgegangen werden soll, eine hinreichend nachvollziehbare Verbindung besteht. 146 Der Conseil d'Etat hat auch Umweltschutzverbänden eine Klagebefugnis zugebilligt. 147 Gerade im französischen Umweltrecht spielen die Verbände eine große Lochet, Rec. 164; vgl. auch Nachw. bei Hermon, ie juge administratif et l'environnement, 1995,45-47. 140 Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, S. 142. 141 Vgl. C.E., 28. 2. 1975, Sieurs Herr, Rettig et Boss c./E.D.F., CJEG, 1975, 80, Klagemöglichkeit für einen 25 km von einem zukünftigen Kernkraftwerk wohnenden Kläger. 142 Ausnahmen gibt es in der Rechtsprechung dann, wenn sich der Status als Konkurrent mit dem Status des Nachbarn verbindet, vgl. C.E., 3. 5. 1993, Societe industrielle de construction, Rec. T. 1116; C.E., 11. 12. 1991, Gaudin, Rec. T. 1264; vgl. auch C.A.A. Nantes, 22. 12. 1994, S.A. Charcuteries rennaises c./Ville de Renneset Societe Onyx, AJDA 1995, 252; Ausnahmen gibt es auch dann, wenn das Gesetz über Handel und Handwerk (loi d'orientation du commerce et de l'artisanat) v. 27. 12. 1973 eingreift, beispielsweise ein Kaufhaus genehmigt wird, vgl. C.E., 17. 12. 1982, Societe Angelica, Rec. 419; C.E., 13. 4. 1983, Marteliy, Rec. 145. 143 Vgl. Nachweise bei Hermon, ie juge administratif et i'environnement, 195, 36 ff.; vgl. auch C.E., 14. 10. 1977, Boyer, Rec. 391. 144 C.E., 2. octobre 1981, Association pour Ia protection du site de Megeve, Rec. 978; C.E., 29. 1. 1988, Association Segustero, RJE-3, 1988, 327; vgl. auch Bore, La defense des interets collectifs.. ., 359 f.; Raymond, RJE 1991-4, 455 f. 145 Vgl. Art. L. 252 - 1,4 Code rural; C.E., 14. december 1951, Societe pour l'esthetique de Ia France, Sir.1952, III, 47; C.E., 2. 7. 1965; Syndicat independant des Cadre, Ingenieurs et Agents de maitrise d'Air France. 146 Dies ist auch in mehreren Gesetzen inzwischen geregelt: vgl. Art. 8 des Gesetzes n° 95 - 101 v. 2. 2. 1995 i. V.m. Art. L 252- I code rural. 147 C.E., 8. 3. 1985, Association !es Amis de Ia Terre, Rec. 73; C.E., 26. 5. 1976, S.O.S. Paris, Rec. 280; Läden, DVBI. 1978, 676, 677; C.E., 7. 10. 1988, Federation fran'