Die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz 9783814558707

Der Autor nimmt sich der ebenso anspruchsvollen wie praxisrelevanten Thematik an der Schnittstelle zwischen Steuer- und

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Die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz
 9783814558707

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Piroth Die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz

Die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz

von Lukas Piroth

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnte die Schrift weitgehend auf den Stand von Dezember 2020 gebracht werden. Hierbei wurden insbesondere die Änderungen der Insolvenzordnung durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) berücksichtigt. Für die außerordentlich engagierte Betreuung dieser Arbeit, aber auch für die weit darüber hinausgehende langjährige Förderung und Unterstützung gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill), mein ganz besonderer Dank. Die Zeit an seinem Lehrstuhl hat mich fachlich wie persönlich sehr geprägt und wird mir ausnahmslos positiv in Erinnerung bleiben. Herrn Prof. Dr. Rainer Hüttemann gebührt mein Dank nicht lediglich für die umgehende Zweitbegutachtung der Arbeit, sondern auch für seine wertvollen Anstöße aus steuerrechtlicher Perspektive. Dankbar bin ich ferner der Studienstiftung des deutschen Volkes für die Förderung der Promotion sowie dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Für die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe „Beiträge zum Insolvenzrecht“ bedanke ich mich bei deren Herausgebern. Meinen Kolleginnen und Kollegen danke ich für die sowohl geistreichen als auch unterhaltsamen Gespräche. Die gemeinsame Zeit am Lehrstuhl werde ich vermissen. Größte Dankbarkeit empfinde ich schließlich gegenüber meinen Eltern und Geschwistern, meinen Freunden sowie meiner Freundin Joana, auf deren Unterstützung und Zuspruch ich mich jederzeit verlassen kann.

Bonn, im Dezember 2020

Lukas Piroth

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

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Vorwort ................................................................................................................ V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. XVII Einleitung ................................................................................................. 1 ........ 1 Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft ............ 9 ........ 5 A. Organschaft als Ausnahme vom Prinzip der Subjektbesteuerung .... 10 ........ 5 B. Entwicklung der umsatzsteuerlichen Organschaft ............................ 13 ........ 6 C. Unionsrechtliche Vorgaben .............................................................. 16 ........ 7 D. Zweck der umsatzsteuerlichen Organschaft ..................................... 18 ........ 8 E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft ..................... 24 I. Anforderungen an die beteiligten Rechtssubjekte ...................... 25 1. Organgesellschaft ................................................................. 26 2. Organträger .......................................................................... 29 II. Eingliederung ............................................................................. 30 1. Finanzielle Eingliederung .................................................... 36 2. Wirtschaftliche Eingliederung .............................................. 38 3. Organisatorische Eingliederung ........................................... 40 a) Anforderungen nach der Rechtsprechung ...................... 41 aa) Personelle Verflechtungen ....................................... 43 bb) Institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten ..... 45 b) Die drei Stufen der organisatorischen Eingliederung .... 49 c) Willensbildung und Willensbefolgung in einer Person ..... 52 4. Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse ........................... 54

...... 11 ...... 11 ...... 11 ...... 12 ...... 13 ...... 16 ...... 17 ...... 19 ...... 19 ...... 20 ....... 21 ...... 23 ....... 24 ...... 25

F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft ........................... I. Besteuerung des Organkreises .................................................... II. Beginn und Ende der Organschaft .............................................. III. Haftung nach § 73 AO ................................................................ IV. Innenausgleich ............................................................................ 1. Erforderlichkeit des Innenausgleichs ................................... 2. Herleitung des Innenausgleichs ............................................

...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

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G. Abgrenzung: Ertragsteuerliche Organschaft ..................................... 77 ...... 36 H. Zusammenfassung ............................................................................ 80 ...... 37 VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise ....................................... 82 ...... 39 A. Insolvenz der Organgesellschaft ....................................................... 84 I. Eröffnetes Insolvenzverfahren .................................................... 85 1. Regelverfahren ..................................................................... 86 a) Eingliederungsfähigkeit trotz Auflösung ....................... 87 b) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ... 88 aa) Organisatorische Eingliederung ............................... 89 bb) Finanzielle Eingliederung ........................................ 91 c) Störung des Ausgleichsmechanismus ............................ 93 d) Wirtschaftliche Eingliederung und Verfahrenszweck .... 94 e) Keine insolvenzzweckwidrige Gläubigerbegünstigung durch die Organschaft .................................................. 100 f) Sonderfall: Eingliederung über Beherrschungsvertrag ... 101 g) Zwischenergebnis ........................................................ 103 2. Eigenverwaltung ................................................................ 104 a) Überblick über den Meinungsstand ............................. 107 aa) Allgemeine Ansicht bis BFH V R 14/16 – Fortbestand der Organschaft ........................................ 107 bb) Rechtsprechung des BFH – Beendigung der Organschaft ............................................................ 110 cc) Literatur: Verändertes Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners ....................................... 113 b) Kritische Würdigung .................................................... 116 aa) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz ... 117 bb) Befugnisse des Sachwalters ................................... 120 cc) Auswirkungen des § 276a InsO ............................. 124 (1) Finanzielle Eingliederung ................................ 126 (a) Ansichten in Literatur und Rechtsprechung .................................................. 127 (b) Stellungnahme ........................................... 132 (aa) Ableitungen aus der hergebrachten Definition ......................................... 133 (bb) Die Aktiengesellschaft als Organgesellschaft ...................................... 136 (cc) Abgrenzung zur organisatorischen Eingliederung ................................... 140 (dd) Konkordanz von Sinn und Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung .............................................. 144 (ee) Zwischenergebnis ............................. 146

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(c) Beendigung der finanziellen Eingliederung durch § 276a InsO ..................................... (2) Organisatorische Eingliederung ...................... dd) Geändertes Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners .................................................. (1) Grundsätzliche Irrelevanz des rechtlichen Dürfens ............................................................ (2) Durchschlagen des Dürfens auf das Können bei Insolvenzzweckwidrigkeit ......................... (3) Einfluss des rechtlichen Dürfens auf das tatsächliche Verhalten ......................................... (4) Unterlassen insolvenzpflichtwidriger Weisungen ....................................................... (5) Kein hinreichender Spielraum bei der Willensdurchsetzung .................................................... (6) Zwischenergebnis ............................................ ee) Störung des Ausgleichsmechanismus .................... (1) Notwendigkeit der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs .............................................. (a) Rechtsprechung des BFH .......................... (b) Insolvenzrechtliche Perspektive ................ (c) Umsatzsteuerrechtliche Perspektive .......... (aa) Umsatzsteuerlicher Neutralitätsgrundsatz .......................................... (bb) Verfassungsmäßigkeit der Umsatzbesteuerung ...................................... (cc) Parallelität zu § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ................................................ (dd) Wirtschaftliche Einheit als Grundidee der Organschaft ........................ (ee) Belastung mit fremdem Insolvenzrisiko ................................................ (ff) Erfüllung der Organträgerpflichten ........................................... (gg) Keine Zwangssubventionierung ....... (hh) Normenkonflikt des GesellschafterGeschäftsführers .............................. (d) Zwischenergebnis ...................................... (2) Präzisierung des Einbringlichkeitserfordernisses .................................................. (a) Begriffliche Orientierung an § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ................................................

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IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

(b) Keine nachträgliche Uneinbringlichkeit bei freiwilliger Kreditierung ...................... (c) Dogmatische Verortung in der organisatorischen Eingliederung ................................ (3) Uneinbringlichkeit des Ausgleichs in der Eigenverwaltung .............................................. (a) Abhängigkeit der Einbringlichkeit von der insolvenzrechtlichen Qualifikation ............ (b) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs ....................................... (aa) § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ..................... (bb) § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO ..................... (cc) Herleitung über § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 73 AO .............................. (4) Rechtslage bei internem Vorsteuerüberhang der Organgesellschaft ...................................... (5) Zwischenergebnis ............................................ c) Sonderfall: Einsetzung eines CRO/CIO oder Generalbevollmächtigten .......................................................... d) Zwischenergebnis ........................................................ II. Eröffnungsverfahren ................................................................. 1. Vorläufiges Regelverfahren ............................................... a) „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter .................... b) „Halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter ............. aa) Zustimmungsvorbehalt als Hindernis für die Willensdurchsetzung ............................................. (1) Rechtsprechungsentwicklung zur organisatorischen Eingliederung ...................................... (a) Früher: Verhinderung abweichender Willensbildung .......................................... (b) Heute: Positive Durchsetzung des eigenen Willens ...................................................... (c) Begründung der Rechtsprechungsänderung .................................................... (2) Folgerungen für den Fortbestand der Organschaft ............................................................... bb) Störung des Ausgleichsmechanismus .................... cc) Finanzielle Eingliederung ...................................... c) „Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter .............. 2. Vorläufiges Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren ............................................................................ a) Überblick über den Meinungsstand ............................. b) Gewandelte fiskalische Interessenlage ......................... X

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207 ...... 92 213 ...... 94 219 ...... 97 220 ...... 97 224 ...... 98 226 .... 100 230 .... 102 231 .... 102 233 .... 103 235 .... 104 236 237 238 240 241 245

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c) Übertragung der herausgearbeiteten Ansätze ............... aa) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz ... bb) Anwendbarkeit des § 276a InsO ............................ cc) Befugnisse des vorläufigen Sachwalters ................ dd) Pflichtenprogramm des Schuldners ....................... (1) Unwirksamkeit wegen Insolvenzzweckwidrigkeit ........................................................ (2) Einfluss des Pflichtenprogramms auf das Handeln der Geschäftsleitung ............. ee) Störung des Ausgleichsmechanismus .................... (1) Normalfall: Anspruch als Insolvenzforderung uneinbringlich .................................................. (2) Sonderfall: Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten ............................ 3. Zwischenergebnis ............................................................... III. Materielle Insolvenz ................................................................. 1. Bisherige Ansichten zur Organschaft bei materieller Insolvenz ............................................................................ 2. Übertragung der herausgearbeiteten Ansätze ..................... a) Keine Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ........................................................................ b) Pflichtenprogramm der Organgesellschaft ................... aa) Konsequenzen bei Relevanz des „Dürfens“ .......... bb) Konsequenzen bei Relevanz der tatsächlichen Beherrschbarkeit .................................................... cc) Zwischenergebnis .................................................. c) Störung des Ausgleichsmechanismus .......................... aa) Anfängliche Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs ............................................................... bb) Nachträgliche Uneinbringlichkeit bei Insolvenzanfechtung ............................................................. 3. Zwischenergebnis ............................................................... IV. Auswirkungen der Insolvenzanfechtung .................................. 1. Anfechtbarkeit der Ausgleichszahlung .............................. a) Rechtshandlung ............................................................ b) Gläubigerbenachteiligung ............................................ c) Anfechtungsgründe ...................................................... aa) Kongruenzanfechtung ............................................ bb) Inkongruenzanfechtung ......................................... cc) Unentgeltliche Leistung ......................................... dd) Vorsatzanfechtung ................................................. ee) Gesellschafterdarlehen ........................................... d) Bargeschäftsprivileg ....................................................

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2. Auswirkungen auf die Organschaft .................................... 355 a) Neutralitätsverstoß auch bei nachträglicher Uneinbringlichkeit ......................................................................... 356 b) Neutralitätsgebot auch bei Insolvenzanfechtung .......... 358 c) Rückwirkender Fortfall der Organschaft bei Anfechtung .............................................................................. 362 d) Folgen des rückwirkenden Fortfalls ............................. 365 aa) Mutmaßliche Ansicht des BFH ............................. 368 bb) Eigene Ansicht ....................................................... 370 3. Anfechtung unmittelbarer Zahlungen gegenüber dem Finanzamt ........................................................................... 378 4. Zwischenergebnis ............................................................... 382 V. Abweisung des Insolvenzantrags oder Einstellung des Verfahrens mangels Masse ............................................................. 385 1. Allgemeine Ansicht ............................................................ 386 2. Korrektur vor dem Hintergrund der Belastungsneutralität .... 388

.... 156

B. Insolvenz des Organträgers ............................................................. 390 I. Eröffnetes Insolvenzverfahren .................................................. 391 1. Regelverfahren ................................................................... 391 a) Überblick über den Meinungsstand ............................. 392 aa) Frühere Ansichten .................................................. 393 bb) Rechtsprechung des BFH – Beendigung der Organschaft ...................................................................... 395 b) Kritische Würdigung .................................................... 396 aa) Eingliederungsmerkmale ....................................... 397 (1) Finanzielle Eingliederung ................................ 398 (2) Wirtschaftliche Eingliederung ......................... 401 (3) Organisatorische Eingliederung ...................... 402 (a) Personenidentität der Geschäftsleitungen ..... 403 (b) Beherrschungsvertrag ................................ 405 (c) Mitarbeiter oder sonstige Eingriffsmöglichkeiten ......................................................... 407 bb) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz ... 410 cc) Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit .................................................................... 412 (1) Insolvenzrechtliche Qualifikation der Steuerverbindlichkeit ................................................. 415 (a) Keine Bedeutung der organschaftlichen Umsatzzurechnung .................................... 418 (b) Keine Masseverbindlichkeit aus logischen Gründen ..................................................... 422 (aa) Aussage des BFH ............................. 423 XII

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(bb) Möglichkeit der Existenz als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen ........................................ 425 .... 183 (c) Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ........................................................... 430 .... 185 (aa) Organschaft durch Masseverwaltung .................................................. 434 .... 185 (bb) Umsatzsteuerverbindlichkeit durch Organschaft ...................................... 437 .... 187 (d) Zwischenergebnis ...................................... 441 .... 188 (2) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation .... 442 ..... 189 (a) Keine dogmatischen Widersprüche ........... 444 .... 189 (b) Aufgespaltene Steuerdurchsetzung gegenüber Organträger und Organgesellschaft ... 447 .... 191 (c) Zwischenergebnis ...................................... 453 .... 194 dd) Mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem Organträger .................................. 454 .... 195 ee) Störung des Ausgleichsmechanismus .................... 460 .... 197 (1) Geltung auch bei interner Umsatzsteuerzahllast der Organgesellschaft ...................................... 461 .... 198 (2) Notwendigkeit der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs .............................................. 462 .... 198 (3) Dogmatische Verortung ................................... 466 .... 200 (4) Abhängigkeit der Einbringlichkeit von der insolvenzrechtlichen Qualifikation ......................... 470 .... 201 (5) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs .............................................. 472 .... 202 (6) Zwischenergebnis ............................................ 478 .... 205 2. Eigenverwaltung ................................................................ 479 .... 205 a) Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit und fehlende Kompensationsmöglichkeit ........ 480 .... 205 b) Eingliederungsmerkmale ............................................. 482 .... 206 3. Zwischenergebnis ............................................................... 485 .... 207 II. Eröffnungsverfahren ................................................................. 486 .... 209 1. Eingliederungsmerkmale .................................................... 487 .... 209 a) Vorläufiges Regelverfahren ......................................... 488 .... 209 aa) „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter .............. 488 .... 209 bb) „Halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter ....... 489 .... 210 cc) „Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter ........ 491 .... 211 b) Vorläufiges Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren ...................................................................... 492 .... 211 c) Sonderfall: Eingliederung über Beherrschungsvertrag ..... 493 ..... 211

XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

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2. Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit ..... 494 a) Insolvenzrechtliche Qualifikation der Steuerverbindlichkeit ......................................................................... 495 b) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation ............ 501 c) Mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem Organträger ......................................... 502 3. Störung des Ausgleichsmechanismus ................................ 505 a) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs ..................................................................... 506 b) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation ............ 509 4. Zwischenergebnis ............................................................... 511 III. Materielle Insolvenz ................................................................. 512 1. Eingliederungsmerkmale .................................................... 513 2. Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit ..... 515 3. Störung des Ausgleichsmechanismus ................................ 516 IV. Auswirkungen der Insolvenzanfechtung .................................. 518 V. Abweisung des Insolvenzantrags .............................................. 520

..... 212

C. Doppelinsolvenz ............................................................................. I. Eingliederungsmerkmale .......................................................... 1. Personenverschiedene Verwaltung .................................... 2. Personengleiche Verwaltung .............................................. a) Eröffnetes Regel- und Eigenverwaltungsverfahren ..... b) Eröffnungsverfahren .................................................... II. Störung des Ausgleichsmechanismus ....................................... III. Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit ........

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D. Folgen des Bestands und der Beendigung der Organschaft in Krise und Insolvenz .................................................................................. 542 .... 230 I. Folgen bei Bestand der Organschaft ......................................... 543 .... 230 II. Folgen bei Beendigung der Organschaft .................................. 545 .... 230 E. Annex: Unerkannte Organschaft .................................................... 550 .... 232 Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick .................................................... 553 .... 235 A. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ............................................... 554 .... 235 B. Lösungsansätze ............................................................................... I. Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft ................... II. Konzerninsolvenzrecht ............................................................. III. Organkreis als Steuersubjekt .................................................... IV. Antragsverfahren ...................................................................... V. Eckpunktepapier des BMF vom 14.3.2019 .............................. 1. Überblick über den Vorschlag ............................................ XIV

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Inhaltsverzeichnis Rn.

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2. Auswirkungen der Insolvenz eines Gruppenmitglieds ....... 579 .... 247 C. Ergebnis .......................................................................................... 584 .... 248 Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ................. 589 .... 251 A. Grundsätze für die Beurteilung des Bestands der Organschaft ....... 590 I. Wirtschaftliche Eingliederung .................................................. 591 II. Finanzielle Eingliederung ......................................................... 592 III. Organisatorische Eingliederung ............................................... 593 1. Verlust des Beherrschungsmittels ...................................... 594 2. Umsetzbarkeit des Organträgerwillens in der Organgesellschaft .................................................................................. 595 3. Tatsächliche Umsetzung des Organträgerwillens in der Organgesellschaft ..................................................... 596 4. Insbesondere: Neutralitätsverstoß durch Störung des Innenausgleichs ........................................................................... 597 IV. Abstrakte Beendigungsgründe in der Organträgerinsolvenz .... 600 1. Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit ..... 601 2. Nichterfüllung der Rolle als Steuereinnehmer ................... 602

.... .... .... .... ....

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen .................... I. Insolvenz der Organgesellschaft ............................................... II. Insolvenz des Organträgers ...................................................... III. Doppelinsolvenz .......................................................................

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C. Rechtspolitischer Ausblick ............................................................. 607 .... 262 Anhang: Tabellarische Übersicht über die Ergebnisse ................................ 265 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 267 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 299

XV

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abb. Abs. AcP AG AG AktG Alt. Anh. Anm. AO Art. Aufl. Az.

Andere Ansicht Abbildung Absatz Archiv für die civilistische Praxis Aktiengesellschaft Amtsgericht Aktiengesetz Alternative Anhang Anmerkung Abgabenordnung Artikel Auflage Aktenzeichen

BAG BAO BB BeckRS BeckVerw Begr. RegE BFH BFH/NV

Bundesarbeitsgericht Bundesabgabenordnung (Österreich) Betriebs-Berater Beck-Rechtsprechung Beck-Verwaltungsanweisungen Begründung des Regierungsentwurfs Bundesfinanzhof Sammlung der nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Finanzen beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise

BFH/PR BFHE BGB BGH BGHZ BMF bspw. BStBl. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw.

XVII

Abkürzungsverzeichnis

CIO CRO

Chief Insolvency Officer Chief Restructuring Officer

DB ders. dies. DStJG

Der Betrieb derselbe dieselbe/n Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Deutsches Steuerrecht kurzgefaßt Deutsche Steuerzeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

DStR DStRE DStRK DStZ DZWIR

Ed. EFG EG Einf. EL ESUG EU EuGH EuZW EWG EWiR

Edition Entscheidungen der Finanzgerichte Europäische Gemeinschaft Einführung Ergänzungslieferung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f./ff. FA FG Fn. FS

folgende Finanzamt Finanzgericht Fußnote Festschrift

gem. GewStG GG GmbH GmbHG

gemäß Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau

GmbHR

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

Hdb. HFR HGB Hrsg. Hs.

Handbuch Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Herausgeber Halbsatz

i. d. F. i. S. d. i. V. m. insb. InsO IStR

in der Fassung im Sinne des in Verbindung mit insbesondere Insolvenzordnung Internationales Steuerrecht

Kap. KG KO KStG KTS

Kapitel Kommanditgesellschaft Konkursordnung Körperschaftsteuergesetz Zeitschrift für Insolvenzrecht Konkurs Treuhand Sanierung

Lfg. LG Ls.

Lieferung Landgericht Leitsatz

m. Anm. m. w. N. MV MwStR MwStSystRL

mit Anmerkung mit weiteren Nachweisen Masseverbindlichkeiten Mehrwertsteuerrecht Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

NJW NJW-RR Nr. NWB NZG NZI

Neue juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift RechtsprechungsReport Nummer Neue Wirtschafts-Briefe Steuer- und Wirtschaftsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht

OFD OHG OLG

Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht

XIX

Abkürzungsverzeichnis

RefE RegE RFH RFHE RGBl. RL Rn. Rs. Rspr. RStBl.

Referentenentwurf Regierungsentwurf/Gesetzesentwurf der Bundesregierung Reichsfinanzhof Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgesetzblatt Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt

S. s. SanInsFoG

StGB StuW

Seite siehe Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts Sammlung sogenannte/r ständige Rechtsprechung Steuerberater-Jahrbuch Steuerrecht kurzgefaßt Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen Strafgesetzbuch Steuer und Wirtschaft

u. a. UR Urt. UStAE UStG UVR

unter anderem Umsatzsteuer-Rundschau Urteil Umsatzsteuer-Anwendungserlass Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (UVR)

v. v. a. Var. verb. Verf. vgl. Vorbem. vorl.

vom vor allem Variante verbunden/e Verfügung vergleiche Vorbemerkung vorläufig/e

Slg. sog. st. Rspr. StbJb SteuK StaRUG

XX

Abkürzungsverzeichnis

WM

Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschaftsund Bankrecht

z. B. ZGR ZHR

zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung zustimmend

ZInsO ZIP ZPO zust.

XXI

Einleitung Das Insolvenzrecht weist typischerweise Berührungspunkte mit anderen Rechtsge- 1 bieten auf, sodass insolvenzrechtliche Problemstellungen häufig Schnittstellen betreffen. Weil nahezu jedes Insolvenzverfahren auch Steuerverbindlichkeiten einbezieht, ist die Schnittstelle des Insolvenzrechts mit dem Steuerrecht besonders groß. Trotz der hieraus erwachsenden hohen Relevanz des Insolvenzsteuerrechts und trotz des erheblichen volkswirtschaftlichen Interesses an einer rechtssicheren Abführung von Steuern auch in der Insolvenz hat der Gesetzgeber es bis auf vereinzelte Eingriffe1) bislang versäumt, eine Verzahnung zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht zu schaffen.2) Dieser allgemeine Befund gilt im Speziellen auch für das Umsatzsteuerrecht und die Rechtsfigur der sog. umsatzsteuerlichen Organschaft. Gerade hier ruft der Mangel an normativen Vorgaben aber aus unterschiedlichen Gründen große Unsicherheit hervor: Die in Konzernstrukturen auftretende umsatzsteuerliche Organschaft bewirkt, dass 2 die organschaftlich eingegliederte Organgesellschaft ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Selbständigkeit steuerrechtlich als unselbständiger Teil des Unternehmens des Organträgers behandelt wird, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Da die Rechtswirkungen der umsatzsteuerlichen Organschaft im Moment der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung einer juristischen Person in das Unternehmen des Organträgers ipso iure eintreten und die Organschaft spiegelbildlich mit dem Fortfall eines Merkmals qua Gesetz endet, ist die eindeutige Feststellbarkeit der Eingliederung besonders wichtig. Indes unterliegt die Auslegung der Eingliederungsmerkmale nicht bloß einer anhaltenden Diskussion in der Wissenschaft, sondern auch einem sich stetig wandelnden Verständnis in der Rechtsprechung.3) Schon grundsätzlich ist das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft daher bisweilen schwierig zu ermitteln. Durch die Insolvenz eines Mitglieds oder mehrerer Mitglieder des Organkreises 3 vervielfachen sich diese Schwierigkeiten. Im Grunde messen die Eingliederungsmerkmale des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Existenz von Beherrschungs- und Durch___________ 1)

2)

3)

Ein Überblick über die wenigen Verknüpfungen findet sich bei Kahlert/Rühland/Kahlert, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 7.102 ff.; vgl. auch Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 17; Waza/Uhländer/Schmittmann/Uhländer, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 462. Siehe nur FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2219; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 17; Farr, Besteuerung in der Insolvenz, 2005, Rn. 20; Jaffé/Friedrich-Vache, MwStR 2013, 75. Vgl. etwa die Rechtsprechungsänderung des V. Senats zur Definition der organisatorischen Eingliederung in BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883.

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Einleitung

griffsmöglichkeiten des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft.4) Ebendiese Beherrschungs- und Durchgriffsmöglichkeiten werden aber durch die besonderen insolvenzrechtlichen Mechanismen und den damit verbundenen Eingriff in die Rechtsstellung des Insolvenzschuldners in Zweifel gezogen. Der BFH hat daher seine allgemeinen Grundsätze zu den Eingliederungsmerkmalen nach eigener Aussage für die Insolvenz „bereichsspezifisch weiter konkretisiert und insolvenzrechtlichen Wertungen weitgehend angenähert“5). Da die insolvenzrechtlichen Modifikationen jedoch je nach Verfahrensart und Verfahrensstadium erheblich variieren, ergeben sich vielgestaltige Konstellationen, von denen in Literatur und Rechtsprechung nur wenige durchweg einheitlich beurteilt werden. Hinzu kommt, dass sich der insolvenzsteuerrechtliche Problemkreis rund um die umsatzsteuerliche Organschaft anders als häufig angenommen nicht erst mit der formellen Stellung des Insolvenzantrags eines Beteiligten eröffnet, sondern – wie der Titel der Arbeit andeutet – bereits den vorgelagerten Zeitraum der Krise einschließt. Die Untersuchung wird zeigen, dass insbesondere die Krise und Insolvenz der Organgesellschaft, mitunter aber auch die Krise und Insolvenz des Organträgers die finanzielle und vor allem die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers beeinträchtigen kann.

4 Hinter diesen eher konkreten insolvenzbedingten Komplikationen bei der Feststellung der organschaftlichen Eingliederung steht ein tieferer Widerspruch, in dem die Probleme rund um die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz wurzeln. Als solcher kann namentlich die Spannung zwischen der umsatzsteuerrechtlichen Zusammenfassung mehrerer Rechtsträger sowie der daraus resultierenden Konsolidierung der Umsatzsteuer durch die Organschaft einerseits und der Trennung von Vermögensmassen im Insolvenzverfahren andererseits identifiziert werden.6) Richtigerweise findet die organschaftliche Einheitsfiktion zwar bereits im allgemeinen Zivilrecht keine Entsprechung, da die Organschaft die rechtliche Selbständigkeit der am Organkreis beteiligten Rechtsträger nicht berührt. In der Insolvenz manifestieren sich die Differenzen allerdings besonders deutlich, weil die Vermögensmassen hier streng isoliert werden:

5 Die umsatzsteuerliche Organschaft fingiert eine unternehmerische Einheit zweier selbständiger Rechtsträger mit der Folge, dass der Organträger die Umsatzsteuer ___________ 4) 5) 6)

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Vgl. BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 39. Der BFH bezeichnet diese Trennung als „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz“ und sieht darin das zentrale Hindernis für einen Organschaftsbestand in der Insolvenz, vgl. BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 24 f.; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 19 f.; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 72; Beck’sches Hdb ImmobStR/J. Roth, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 73.

Einleitung

für den gesamten Organkreis als Steuerschuldner abführen muss und umgekehrt den Vorsteuerabzug für den gesamten Organkreis geltend macht. Die Organschaft sorgt so im Vergleich zur außerorganschaftlichen Situation für eine Verschiebung von Umsatzsteuerlast und Vorsteuererstattung zwischen Organträger und Organgesellschaft. Da diese Verschiebung jedoch nach zutreffender Ansicht des BGH lediglich „formeller, der Abwicklung des Steuerschuldverhältnisses dienender Natur“ ist und keine dauerhafte, „den Grundsatz der Belastungsneutralität durchbrechende zivilrechtliche Vermögenszuweisung“ rechtfertigt, muss auf zivilrechtlicher Seite zur Wiederherstellung einer neutralen Vermögenslage ein nachgeschalteter zivilrechtlicher Innenausgleich stattfinden.7) Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Insolvenzschuldner ist durch das Insolvenzrecht aber naturgemäß starken Einschränkungen unterworfen (§ 87 InsO). Gleichzeitig kann die Trennung der Vermögensmassen die Durchsetzung von Ansprüchen des Steuergläubigers beeinflussen, soweit beispielsweise dem Organträger zugerechnete Umsätze der Organgesellschaft mangels Zugehörigkeit zu seiner Masse beim Organträger keine Masseverbindlichkeiten begründen.8) Während sich der letztgenannte Umstand im Laufe der Untersuchung als für den Organschaftsbestand unschädlich erweisen wird, wird sich die insolvenzbedingte Störung der Funktionsfähigkeit des Innenausgleichs zwischen Organträger und Organgesellschaft als ein zentrales Problem der umsatzsteuerlichen Organschaft im Insolvenzkontext herausarbeiten lassen. Eine Auflösung der angedeuteten Konflikte zwischen organschaftlicher Einheit und 6 insolvenzrechtlicher Trennung auf insolvenzrechtlicher Seite kommt nicht in Betracht, da das Insolvenzrecht konzeptionell starr ist und keinen Raum für eine Bevorzugung ungesicherter Gläubiger oder Forderungen aufgrund von Billigkeitserwägungen oder Wertungen anderer Rechtsgebiete bietet. Das Konfliktpotenzial entlädt sich daher an der Frage, inwieweit eine umsatzsteuerliche Organschaft trotz Krise oder Insolvenz eines Mitglieds oder mehrerer Mitglieder des Organkreises fortbestehen kann oder inwieweit insolvenzrechtliche Implikationen eine Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft erzwingen. Die Klärung dieser Fragestellung ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit. Von ihrer Beantwortung hängt dabei nicht etwa nur die formal korrekte Abführung 7 der Umsatzsteuer ab. Wie bereits angedeutet wurde, birgt die Existenz einer umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenzkonstellationen vielmehr das enorme Risiko einer nachhaltigen, kompensationslosen Belastung eines Mitglieds des Organkreises ___________ 7)

8)

BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 10 ff., 15; vgl. zum Innenausgleich auch BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 20; BFH, Beschl. v. 20.2.2018 – XI B 129/17, BFH/NV 2018, 641. Dies ist das Hauptargument des BFH für einen Fortfall der Organschaft im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Organträgers, vgl. BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 24 f.

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Einleitung

mit Umsatzsteuer bei gleichzeitiger Begünstigung eines anderen Mitglieds, in der Regel des Insolvenzschuldners.9) So sehr diese mitunter existenziellen praktischen Auswirkungen der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz eine grundlegende und umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik schon abstrakt rechtfertigen, so sehr bietet die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu den insolvenzrechtlichen Bezügen der umsatzsteuerlichen Organschaft auch einen konkreten Anlass hierzu.10) Diese Arbeit unternimmt den Versuch, die komplexe gegenwärtige Rechtslage aufzuarbeiten und hieraus gleichzeitig Schlüsse für die vielfach geforderte – und, wie sich zeigen wird, auch aus insolvenzsteuerrechtlicher Perspektive wünschenswerte – Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft ziehen zu können.

8 Hierzu wird die Untersuchung im ersten Teil mit einem Überblick über die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft beginnen, der das notwendige Grundlagenwissen für die spezifisch insolvenzrechtliche Betrachtung zusammenfasst. Anschließend wird im zweiten Teil schwerpunktmäßig der Frage nach dem Fortbestand und der Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz nachgegangen, untergliedert nach dem von der Insolvenz betroffenen Beteiligten und dem jeweiligen Verfahrensstadium. Im dritten Teil soll auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein rechtspolitischer Ausblick gewagt werden, bevor schließlich im vierten Teil die wesentlichen Ergebnisse zusammenfassend dargestellt werden.

___________ 9) Vgl. etwa Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479 u. 596, 601 („erfreuliche Einnahmequelle“). 10) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit 9 „nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft)“. Diese kurze Normierung der umsatzsteuerlichen Organschaft wirft bereits außerhalb der besonderen Situation der Krise und Insolvenz mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Im Folgenden soll daher als Fundament für die späteren Ausführungen ein Überblick über die Grundlagen der umsatzsteuerlichen Organschaft gegeben werden.

A. Organschaft als Ausnahme vom Prinzip der Subjektbesteuerung Grundsätzlich gilt im Steuerrecht aufgrund der Maßgeblichkeit des Zivilrechts wie 10 im Gesellschafts- und Insolvenzrecht das Trennungsprinzip.11) Das Steuerrecht nennt dieses auch das Prinzip der Subjektbesteuerung oder Individualbesteuerung.12) Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist hiernach nicht eine wirtschaftliche Einheit, sondern ein Unternehmensträger als Rechtssubjekt.13) Konkret bestimmt sich der Steuerschuldner gem. § 43 AO nach den Steuergesetzen. 11 In Bezug genommen ist damit für die Umsatzsteuer § 1 UStG, der als Steuerschuldner den Unternehmer nennt. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG definiert als Unternehmer jeden, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Hieraus ergibt sich, dass im Grundsatz auch konzernrechtlich verbundene Personen jeweils eigenständige Unternehmer sind. Die Möglichkeit der organschaftlichen Besteuerung ist als Ausnahme von diesem 12 Grundsatz zu betrachten.14) Sie fingiert unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG die nicht selbständige Ausübung der Tätigkeit juristischer Personen und gestaltet damit den Unternehmerbegriff im Hinblick auf das Kriterium der Selbständigkeit aus.15) Im Ergebnis führt die Organschaft so zu einer Zusammenfassung mehrerer zivilrechtlich getrennter Rechtsträger zu einem einzigen Steuersubjekt. ___________ 11) Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1093; Prinz/Witt/Prinz, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 1.1. 12) Vgl. Tipke/Lang/Seer, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 6 Rn. 19, 30; Kahlert, ZIP 2014, 1101, 1108; Flöther/Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 1. 13) Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, S. 1; Hüttemann, ZHR 171 (2007), 451, 452. 14) Flöther/Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 5. Der BFH (Urt. v. 8.2.1979 – V R 101/78, BFHE 127, 267 = BStBl. II 1979, 362 = BeckRS 1979, 22004778; BFH, Urt. v. 19.10.1995 – V R 71/93, BeckRS 1995, 11724) bezeichnete die Organschaft gar als „systemwidrige Ausnahme“. 15) Vgl. Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1102.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

B. Entwicklung der umsatzsteuerlichen Organschaft 13 Die Wurzeln der Organschaft im Umsatzsteuerrecht reichen weit zurück und keimten ursprünglich in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH).16) Dieser hatte bereits in einem Urteil vom 27.1.1923 die maßgeblichen Gedanken zur umsatzsteuerlichen Organschaft formuliert und sie später weiter vertieft.17) Im Vordergrund stand dabei zunächst die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen, erst später trat als Rechtsfolge die Steuerpflicht des Organträgers für Steuern aus Umsätzen der Organgesellschaft hinzu.18) Die damals herausgearbeiteten Voraussetzungen haben sich bis heute im Kern nicht verändert.

14 Die zugrundeliegende Organtheorie selbst ist sogar noch älter. Schon das Preußische Oberverwaltungsgericht in Staatssteuersachen hatte sie entwickelt, wenngleich nicht zum Zwecke einer konzernbezogenen Besteuerung, sondern aus fiskalischen Gründen, um im zersplitterten Deutschen Reich eine Besteuerung von Unternehmen anderer Bundesstaaten zu ermöglichen.19)

15 Basierend auf der Rechtsprechung des RFH fand die Organschaft im Jahre 1934 Eingang in das Umsatzsteuergesetz, das formulierte: „Eine juristische Person ist dann als unselbständig zu betrachten, wenn sie dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen hat.“20) Eine Durchführungsbestimmung aus dem Jahr 1938 ergänzte die heutige Aufschlüsselung in finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung.21) Nachdem die Alliierten nach Ende des zweiten Weltkriegs zwischenzeitlich einige vorübergehenden Anpassungen vorgenommen hatten,22) fand die Normierung der Organschaft im Umsatzsteuergesetz 1968 schließlich ihre heutige Fassung, die im Umsatzsteuergesetz 1980 unverändert übernommen wurde.23) Ergänzt wurde die Regelung lediglich durch das Steuerbereinigungsgesetz von 1986, das die Wirkungen der Organschaft auf das Inland beschränkte, um den Anforderungen des Unionsrechts zu entsprechen.24) ___________ 16) Ausführlich zur Entwicklung Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.2 ff.; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1106 ff.; Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, S. 16 ff. 17) RFH, Urt. v. 27.1.1923 – V A 11/23, RFHE 11, 265; RFH, Urt. v. 26.1.1927 – V A 417/27, RFHE 22, 69 = RStBl. 1927, 219. 18) Wäger, DB 2014, 915 f. 19) Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 129. 20) RGBl. I 1934, S. 942. 21) Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 335; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.5. 22) Art. II Kontrollratsgesetz Nr. 15 vom 11.2.1946 setzte die Organschaft teilweise außer Kraft. 23) BT-Drucks. IV/1590, S. 36; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.12; Heuermann, DB 2016, 608. 24) Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 336.

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C. Unionsrechtliche Vorgaben

C. Unionsrechtliche Vorgaben Damit ist der Bogen zur unionsrechtlichen Verankerung der umsatzsteuerlichen 16 Organschaft geschlagen. Gleichzeitig mit der Harmonisierung des Mehrwertsteuersystems durch die Zweite Richtlinie 67/288/EWG25) fand die Organschaft erstmals im Jahr 1967 unionsrechtliche Anerkennung. Danach wurde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, „Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen untereinander verbunden sind, nicht getrennt als mehrere Steuerpflichtige, sondern zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.“26) Eine nur geringfügige Modifikation der Voraussetzungen enthielt die Sechste Richtlinie 77/388/EWG27), die die Behandlung als einen Steuerpflichtigen zuließ, wenn im Inland ansässige Personen zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Die Regelung wurde durch die Richtlinie 2006/69/EG28) um die Möglichkeit ergänzt, erforderliche Maßnahmen zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung oder -umgehung zu treffen. Damit war die Kodifikation in ihrem heutigen Wortlaut vollendet, der schließlich in Art. 11 MwStSystRL29) übernommen wurde. Art. 11 MwStSystRL formuliert die Organschaftsvoraussetzungen großzügiger als 17 das deutsche Recht, sowohl hinsichtlich der in Betracht kommenden Beteiligten, als auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft. Im Zentrum der Anforderungen des Unionsrechts steht nämlich, anders als im deutschen Recht, nicht die Eingliederung von juristischen Personen, sondern lediglich die (finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische) enge Verbundenheit von Personen miteinander. Der EuGH wurde in der jüngeren Vergangenheit mehrfach zwecks Konkretisierung des Art. 11 MwStSystRL angerufen und deckte dabei auch potenzielle Konflikte der engen Ausgestaltung der deutschen

___________ 25) Zweite Richtlinie 67/228/EWG des Rates v. 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. 26) Anhang A Nr. 2 der Richtlinie. 27) Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates v. 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage. 28) Richtlinie 2006/69/EG v. 24.7.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung oder -umgehung, zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer sowie zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen. 29) Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2008 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

Organschaft mit dem Unionsrecht auf,30) die sogleich unter Rn. 24 ff. näher erläutert werden.

D. Zweck der umsatzsteuerlichen Organschaft 18 Der Zweck der umsatzsteuerlichen Organschaft hat sich im Laufe der Entwicklung des Umsatzsteuerrechts gewandelt. Ursprünglich sollte die Organschaft Nachteile im vor dem Jahr 1968 geltenden Umsatzsteuerrecht ausgleichen.31) Damals galt nicht wie heute ein Allphasen-Nettoumsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzug, sondern ein kumulatives Allphasen-Bruttoumsatzsteuersystem, in dem jeder Umsatz auf Basis des jeweils vollen Bruttoentgeltes und ohne Vorsteuerabzugsmöglichkeit besteuert wurde. Dieses System benachteiligte einstufige Unternehmen, die nur eine Phase einer mehrstufigen Produktionskette ausführten, gegenüber mehrstufigen Unternehmen, die mehrere Wirtschaftsstufen in sich vereinten, durch eine Kumulation der Umsatzsteuer, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 20.12.1966 feststellte.32) Denn während die bloße Innenlieferung innerhalb eines mehrstufig aufgebauten Unternehmens steuerfrei blieb, führten einstufige Unternehmen im Rahmen der Produktionskette durch selbständig zu besteuernde Lieferungen von Waren an andere einstufige Unternehmen umsatzsteuerpflichtige Außenumsätze aus. Dadurch kam mit jeder Außenlieferung eine Mehrbelastung mit Umsatzsteuern hinzu, die in der Kette weitergewälzt wurde, was einen „Kaskadeneffekt“33) auslöste und sich letztlich in einem höheren Endverkaufspreis und damit in einem Wettbewerbsnachteil niederschlug. Die umsatzsteuerliche Organschaft bewirkte in diesem Kontext zumindest teilweise, nämlich für entsprechend organisierte Konzerne, eine Angleichung von Produktionsketten in mehreren rechtlich selbständigen Unternehmen an die mehrstufige Produktion unter dem Dach nur eines Unternehmens und wirkte so dem Drang zur vertikalen Konzentration durch Fusion entgegen.34) „Kernstück der ganzen Organschaft“ war also seit jeher die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen, weniger dagegen eine alleinige Steuerpflicht des Organträgers im Außenverhältnis.35) ___________ 30) Vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+ Minerva und Marenave Schifffahrt) und EuGH, Urt. v. 25.4.2013, C-480/10 = MwStR 2013, 276 (Kommission/Schweden). Dazu Erdbrügger, DStR 2013, 1573; Streit/Rust, DStR 2015, 2097; Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 416 ff.; Englisch, UR 2016, 822; Grünwald, MwStR 2013, 328; Birkenfeld, UR 2014, 120; Hudasch/Höink, UVR 2016, 106. 31) Siehe nur KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 79; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 256 f.; Bleckmann, BB 2013, 855. 32) BVerfG, Urt. v. 20.12.1966 – 1 BvR 320/57, 1 BvR 70/63, BVerfGE 21, 12, 28 ff. 33) Heidner, DB 2019, 626, 627. 34) Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 780, 859; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.7; Onusseit, ZIP 2003, 743, 744; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 816; Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541, 544. 35) Vgl. BFH, Urt. v. 17.7.1952 – V 17/52 S, BFHE 56, 604 = BStBl. III 1952, 234.

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D. Zweck der umsatzsteuerlichen Organschaft

Mit dem seit dem 1.1.1968 geltenden System der Nettoumsatzbesteuerung mit 19 Vorsteuerabzug hat sich dieser ursprüngliche Zweck der Organschaft gewandelt.36) Der nachteilige Effekt für einstufig produzierende Unternehmen besteht im geltenden Umsatzsteuersystem nicht mehr. Die Steuerlast ist unabhängig von der Anzahl der Glieder der Wertschöpfungskette immer gleich. Nach einer Stellungnahme des Finanzausschusses vom 30.3.1967 wurde die Organschaft dennoch „zur Vermeidung unnötiger Verwaltungsarbeit in der Wirtschaft beibehalten.“37) Einzig für Unternehmen aus Branchen mit eingeschränktem Vorsteuerabzugsrecht 20 (z. B. Finanzdienstleistungs-, Versicherungs- oder Gesundheitssektor) zeitigt die Organschaft durch die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen38) noch unmittelbare steuerliche Auswirkungen.39) Gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist die Steuer für Lieferungen, die zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet werden, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Betreibt ein Unternehmen beispielsweise ein Krankenhaus und erbringt damit steuerfreie Umsätze, so ist es für die Umsatzsteuer, die ihm für die hierzu erforderlichen Leistungsbezüge von Drittunternehmern (z. B. Reinigungsleistungen) in Rechnung gestellt werden, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Besteht dagegen zwischen beiden Beteiligten eine Organschaft, sind die Reinigungsleistungen als Innenumsätze nicht steuerbar.40) Dadurch, dass der Reinigungsdienstleister in das Unternehmen des Krankenhausbetreibers eingegliedert ist, verliert er zwar selbst gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG sein Recht zum Vorsteuerabzug bei Leistungsbezügen von Dritten, z. B. Lieferanten von Reinigungsmaterial.41) Das fehlende Vorsteuerabzugsrecht wird aber in der Kette „nach vorn gereicht“, wo der Wert der bezogenen Leistungen und daher die hierfür zu entrichtende Umsatzsteuer geringer ausfällt. Der organschaftsintern geschaffene Mehrwert wird also nicht besteuert. Letztlich wird so, wie im alten Umsatzsteuerrecht, durch die Organschaft die steuerliche Angleichung einer Outsourcingstruktur an eine Inhouse-Lösung erreicht.42) Abseits dieser branchenspezifischen Gestaltungsmöglichkeit bietet die Organschaft 21 keine echten Steuervorteile mehr. Stattdessen wird als zentraler Zweck der umsatz___________ 36) Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 257 nennt die Regelung „überflüssig“ und ihrer wirtschaftspolitischen Rechtfertigung verlustig; ebenso bereits Schiffer, DStR 1998, 1989. Weitere Nachweise und Näheres zu der Überlegung der Abschaffung unter Rn. 557 ff. 37) BT-Drucks. V/1581, S. 10. 38) Siehe hierzu noch Rn. 56. 39) Ausführlich hierzu Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 200; Slapio, DStR 2000, 999; Grune/Mönckediek, UR 2012, 541, 547; vgl. auch Prätzler, BB 2018, 599, 600; Wäger, DB 2014, 915; auch schon Steppert, UR 1994, 343, 345. 40) Vgl. zu den Gestaltungsmöglichkeiten Slapio, DStR 2000, 999, 1000; Leonard, DStR 2010, 721; Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541, 546. 41) Vgl. nur Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 200. 42) Prätzler, BB 2018, 599, 600.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

steuerlichen Organschaft nunmehr vor allem ein Vereinfachungseffekt bei der Erhebung der Umsatzsteuer für Finanzverwaltung und Unternehmen genannt.43) Die Finanzverwaltung kann einen einzigen Steuerbescheid für einen gesamten organschaftlich verbundenen Konzern erlassen, der Konzern kann spiegelbildlich die Umsatzsteuerzahlung in der Konzernspitze als Organträger abwickeln. Nüchtern betrachtet dürfte sich der Vereinfachungsgedanke jedenfalls auf Seiten der Konzerne vor dem Hintergrund erheblich relativieren, dass der einheitlichen Abführung im Außenverhältnis zwingend komplexe Fragen des Innenausgleichs folgen.44)

22 Gerade im Kontext finanzieller Schwierigkeiten im Organkreis ist außerdem die mit der Organschaft einhergehende Vergrößerung der Haftungsmasse für die Finanzverwaltung von großem Interesse. Durch die Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger bei gleichzeitig subsidiärer Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO stärkt die Organschaft die Gläubigerstellung des Staates erheblich.45) Auch wenn dieser Effekt vom BFH als Zweck der Organschaft verschwiegen wird,46) dürfte er prägend hinter einigen Urteilen zur Organschaft in der Insolvenz gestanden haben.47)

23 Zuletzt kann die Organschaft die Bekämpfung unlauterer Praktiken fördern, indem sie beispielsweise verhindert, dass ein Unternehmen künstlich in mehrere Steuerpflichtige aufgeteilt wird, um jeweils von einer Sonderregelung profitieren zu können.48)

___________ 43) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 18; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 784; Möhlenkamp/ Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1358. Zum Unionsrecht EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt); Europäische Kommission COM(2009) 325 final, S. 3; EuGH, Urt. v. 25.4.2013, C-480/10 = MwStR 2013, 276 Rn. 37 (Kommission/Schweden). 44) Vgl. Wäger, DB 2014, 915, 919. Dennoch die Vorteile für Unternehmen hervorhebend Prätzler, BB 2018, 599, 600. Kritisch zur Vereinfachung Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.17 f. Vgl. auch noch unter Rn. 559. 45) Vgl. eingehender noch unter Rn. 60 ff. S. auch Winkelhog, BB 2014, 1512 (Anm.); Trinks, UR 2010, 12, 13. 46) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 18. Vgl. aber die eindeutige Aussage des Richters am V. Senat des BFH Heidner, DB 2019, 626, 627. 47) Vgl. bspw. noch die unter Rn. 247 ff. beschriebene Rechtsprechungsänderung infolge einer Änderung der fiskalischen Interessenlage nach Einführung des § 55 Abs. 4 InsO. Vgl. auch Rau/ Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 824; Winkelhog, BB 2014, 1512 (Anm.); Heidner, DB 2019, 626, 627; Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541, 549. 48) EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt); Europäische Kommission COM(2009) 325 final, S. 3; Begründung des Vorschlags zur Sechsten Richtlinie 77/388/EWG, COM(1973) 950.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft ergeben sich aus § 2 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG.49) Hiernach muss eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein. Die Ausfüllung dieser gesetzlichen Definition ist im Einzelnen komplex und teilweise umstritten. Das liegt nicht zuletzt auch an den internen Konflikten zwischen dem V. und dem XI. Senat des BFH, die gleichermaßen mit dem Umsatzsteuerrecht befasst sind und bei der Auslegung der Organschaftsvorschriften gerade mit Blick auf das Unionsrecht immer wieder unterschiedliche Richtungen einschlagen.

I.

Anforderungen an die beteiligten Rechtssubjekte

Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG schränkt zunächst den personellen 25 Anwendungsbereich der Organschaft ein.

1.

Organgesellschaft

Das gilt sehr deutlich für die Organgesellschaft, soweit § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG 26 festschreibt, dass nur juristische Personen eingegliedert sein können. Das Unionsrecht spricht in Art. 11 MwStSystRL dagegen lediglich von Personen. Nach Vorlage des XI. Senats des BFH50) entschied der EuGH im Urteil Larentia+Minerva, dass eine Beschränkung auf juristische Personen mit dem Unionsrecht unvereinbar sei und nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung erforderlich und geeignet sei.51) Sowohl der V. Senat als auch der XI. Senat des BFH haben daraufhin mit unterschied- 27 lichen Begründungen die Möglichkeit bejaht, zumindest eine kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft als Organgesellschaft zu behandeln. Der V. Senat hält zwar insbesondere unter Berufung auf die rechtssichere Feststellung der Organschaft grundsätzlich an der Beschränkung der Organschaft auf juristische Personen fest, will aber im Wege einer teleologischen Extension auch Personengesellschaften als Or___________ 49) Ausführlich zu den Voraussetzungen Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1151; übersichtlich Feldgen, BB 2013, 2967. Aufgrund des Wandels der Rechtsprechung sind ältere Veröffentlichungen gerade für den Bereich der organisatorischen Eingliederung nicht immer aussagekräftig. 50) BFH, Beschl. v. 11.12.2013 – XI R 17/11, BStBl. II 2014, 417 = MwStR 2014, 202; BFH, Beschl. v. 11.12.2013 – XI R 38/12, BStBl. 2014, 428 = DStR 2014, 466. 51) EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt). Im Schrifttum wurde bereits seit geraumer Zeit ein Verstoß angenommen, vgl. Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1194; Thietz-Bartram, DB 2009, 1784, 1787 ff.; Hummel, UR 2010, 207 ff.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

gangesellschaften anerkennen, wenn neben dem Organträger ausschließlich solche Personen an der Personengesellschaft beteiligt sind, die wiederum in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.52) Der XI. Senat veröffentlichte wenig später eine im Ergebnis ähnliche Entscheidung, begründete diese aber mit einer richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs „juristische Person“:53) Jedenfalls Personengesellschaften mit kapitalistischer Struktur (v. a. die GmbH & Co. KG) seien unter den Begriff der juristischen Personen fassbar.54) Erhöhte Anforderungen an die finanzielle Eingliederung stellt der XI. Senat im Gegensatz zum V. Senat nicht.55) Sowohl die Rechtsfortbildung des V. Senats als auch die Auslegung des XI. Senats haben Kritik erfahren, der hier nicht weiter nachgegangen werden soll.56)

28 Für den weiteren Verlauf der Arbeit wird von einer klassischen Organschaft mit einer juristischen Person des Privatrechts als Organgesellschaft ausgegangen. Für den Bereich der Beteiligung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft fehlt hingegen nach dem Gesagten noch eine hinreichend geklärte steuerrechtliche Basis, auf der eine insolvenzsteuerrechtliche Betrachtung aufbauen könnte.

2.

Organträger

29 Anders als bei der Organgesellschaft bestehen für den Organträger im Hinblick auf seine Rechtsform nach dem Gesetzeswortlaut keine Einschränkungen.57) Aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung allerdings, dass er zumindest selbst Unternehmer sein muss, da die Organgesellschaft in sein „Unternehmen“ eingegliedert wird.58) Zwar schürten spätestens zwei Urteile des EuGH im Jahr 2013 Zweifel an der Konformität dieser Beschränkung mit dem Unionsrecht, das gerade nicht zwischen steuerpflichtigen und nicht steuerpflichtigen Personen ___________ 52) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 25/13, BFHE 251, 534 = BStBl. II 2017, 547 = DStR 2016, 219. Zust. Abschnitt 2.8 Abs. 5a Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Heuermann, DB 2016, 608; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1157 f. 53) BFH, Urt. v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BFHE 252, 516 = BStBl. II 2017, 567 = DStR 2016, 587; BFH, Urt. v. 1.6.2016 – XI R 17/11, BFHE 254, 164 = BStBl. II 2017, 581 = DStR 2016, 1668. 54) BFH, Urt. v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BFHE 252, 516 = BStBl. II 2017, 567 = DStR 2016, 587 Rn. 89 ff. 55) Siehe auch Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2152. 56) Kritisch etwa Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 424 ff.; Bunjes/Korn, UStG, 19. Aufl. 2020, § 2 Rn. 112c; H.-P. Roth, SteuK 2014, 313, 314. Ausführlich Heidner, DB 2019, 626, 628 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 852 f. 57) Siehe nur Bunjes/Korn, UStG, 19. Aufl. 2020, § 2 Rn. 112; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.29; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 151; Heidner, DB 2019, 626, 627. 58) BFH, Urt. v. 9.10.2002 – V R 64/99, BStBl. II 2003, 375 = DStRE 2003, 110; BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 67/07, BStBl. II 2009, 1029 = DStR 2009, 1308, 1309; BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = DStR 2010, 323, 324 f. Ebenso Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 339.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

unterscheidet.59) Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des EuGH behielt der BFH seine Sichtweise unter Verweis auf die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und Verhaltensweisen trotzdem bei.60) Relevant wird die Frage vor allem bei Holdings, die keine eigenen Umsätze ausführen, sondern nur Anteile verwalten und daher nicht unternehmerisch tätig sind.61)

II. Eingliederung Kernelement der Organschaft ist die Eingliederung der Organgesellschaft in das 30 Unternehmen des Organträgers. Das Merkmal stellt sicher, dass eine derart enge Verbindung zwischen Organträger und Organgesellschaft besteht, dass eine Zurechnung der Umsätze gerechtfertigt und – nach der deutschen Konzeption der Zwangsorganschaft – geboten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt dies ein Über-/Unterordnungsver- 31 hältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft voraus.62) Das Verständnis geht zurück auf den Wortlaut des UStG 1934/1951, nach dem die Organgesellschaft dem Willen des Organträgers „derart untergeordnet“ sein musste, dass sie „keinen eigenen Willen“ hatte.63) Dieses Subordinationsverständnis steht wiederum im Konflikt mit dem Unionsrecht, das eine enge Verbundenheit durch gegenseitige Beziehungen genügen lässt. Der EuGH stellte insoweit im oben bereits erwähnten Urteil Larentia+ ___________ 59) EuGH, Urt. v. 9.4.2013, C-85/11 = DStR 2013, 806 (Kommission/Irland) und EuGH, Urt. v. 25.4.2013, C-480/10 = MwStR 2013, 276 (Kommission/Schweden). Dazu Höink/Hudasch, DB 2014, 1286, 1287 ff.; Küffner/Streit, UR 2013, 401, 403; Slapio, UR 2013, 407, 410; H.-P. Roth, SteuK 2014, 313; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 900. Differenziert Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 120, der darauf hinweist, dass sich ein möglicher Verstoß gegen Unionsrecht nicht auswirken könne, weil bei nichtunternehmerischer Eigenschaft des Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung nie vorliege. 60) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 67/14, BFHE 251, 547 = BStBl. II 2017, 560 = DStR 2016, 232, insbesondere Rn. 30 ff.; BFH, Urt. v. 3.12.2015 – V R 36/13, BFHE 251, 556 = BStBl. II 2017, 563 = DStR 2016, 236 Rn. 28, 33; BFH, Urt. v. 10.8.2016 – XI R 41/14, BFHE 255, 300 = BStBl. II 2017, 590 = DStR 2016, 2959 Rn. 27 ff.; BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198 Rn. 38; zust. Müller/Detmering/ Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1176; Heuermann, DB 2016, 608, 614; Heidner, DB 2019, 626, 627; schon Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1191; Abschnitt 2.8 Abs. 2 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 61) Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 153; H.-P. Roth, SteuK 2014, 313. Ausführlich zur Holding Feldgen, BB 2013, 2967 f.; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1181. Ausführlich zu diesem Problem Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 34 ff.; Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 31 ff.; Luber, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2016, S. 75 ff.; siehe auch Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 831 ff. 62) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 22 m. w. N.; BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, BStBl. II 2011, 597 = DStR 2010, 1277, 1279; BFH, Urt. v. 19.5.2005 – V R 31/03, BStBl. II 2005, 671 = DStRE 2005, 1086; BFH, Urt. v. 18.12.1996 – XI R 25/94, BStBl. II 1997, 441 = DStR 1997, 920. 63) RGBl. I 1934, S. 942; BGBl. I 1951, S. 791.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

Minerva fest, dass Art. 11 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit, eine Organschaft zu bilden, von einer Unterordnung der Organgesellschaft unter den Organträger abhängig macht, es sei denn, dass die Anforderung eine Maßnahme darstellt, die zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und zur Vermeidung von Steuerhinterziehung erforderlich und geeignet ist.64) Das Erfordernis einer Über-/Unterordnung darf also grundsätzlich als unionsrechtswidrig angesehen werden.65)

32 Der V. Senat des BFH hält dennoch ausdrücklich am Erfordernis der Subordination fest.66) Die Vorgaben des Art. 11 MwStSystRL bedürften einer „Präzisierung auf nationaler Ebene“.67) Da das deutsche Recht weder einen Antrag noch ein Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen der Organschaft vorsehe, reiche es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht aus, auf das unbestimmte und unpräzise Merkmal enger Verbindung abzustellen.68) Zur eindeutigen Bestimmbarkeit des Steuerpflichtigen hält der BFH insbesondere an der „harten“ Voraussetzung der Mehrheitsbeteiligung im Rahmen der finanziellen Eingliederung fest. Zusätzlich stellt er den Zweck der Organschaft zur Verhinderung von Missbräuchen heraus.69) Ein fehlendes Recht zum Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nach § 15 Abs. 2 UStG könne durch die willkürliche Begründung einer Organschaft umgangen werden, sei aber allein gerechtfertigt, wenn eine enge Eingliederung wie bei Betriebsabteilungen eines Einheitsunternehmens bestünde. Die Voraussetzung der Eingliederung verhindere daher eine Umgehung des Abzugsverbots.70)

33 Die Differenzen in den Ansichten von EuGH und BFH dürften eines tieferen Ursprungs sein, der hier nur kurz angedeutet werden soll: Das Unionsrecht geht anders als das deutsche Recht nicht davon aus, dass eine der Gesellschaften des Organkreises als Organträger fungiert, sondern davon, dass der Organkreis ein eigen___________ 64) EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt). 65) Vgl. auch Prätzler, BB 2018, 599, 602; Slapio, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 439, 442 ff.; a. A. Wäger, DB 2014, 915, 917 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 856. 66) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226. Ausführlich Wäger, DB 2014, 915, 917 ff.; zust. Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1126. Für eine übersichtliche Zusammenfassung der Rechtsprechung siehe Korn, SteuK 2016, 145. 67) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 30. Der Wortlaut stammt in der Tat vom EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 Rn. 50 f. (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt). 68) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 22, 36. 69) Siehe hierzu schon oben unter Rn. 23. 70) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 38.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

ständiges, neues Steuersubjekt bildet.71) Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Art. 11 MwStSystRL eine enge Verbundenheit genügen lässt und der EuGH die Gedanken des BFH zur Notwendigkeit der Unterordnung der Organgesellschaft unter den Organträger nicht teilt. Umgekehrt ist das Festhalten des BFH am Erfordernis der Subordination mit Blick auf den aktuellen Gesetzeswortlaut nachvollziehbar und zur Bewahrung der Organschaft in ihrer bisherigen Form mit einem steuerverantwortlichen Organträger notwendig. Anders gewendet: Aus Sicht des Unionsrecht gibt es keinen Grund dafür, dass der Organträger gegenüber der Organgesellschaft in einem Beherrschungsverhältnis stehen soll, das ihn zur Durchsetzung seines Willens und damit auch zur Vereinnahmung der Umsatzsteuerbeträge von der Organgesellschaft befähigt, weil dies nach der Konzeption des Unionsrechts gar nicht in seinen Aufgabenkreis fällt. Aus deutscher Sicht muss der Organträger dagegen so viel Einfluss auf die Organgesellschaft haben, dass er ihr gegenüber seine „Rolle als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“72) wahrnehmen kann.73) Das unterschiedliche Verständnis der Voraussetzungen der Organschaft hat seinen 34 Kern also in einem grundlegenden Konflikt der Rechtsordnungen. Dieses Kernproblem wird inzwischen durch zwei Vorlagen des XI. und des V. Senats zum EuGH adressiert.74) Der EuGH wird nun ausdrücklich zu beantworten haben, ob das deutsche Organschaftsmodell mit einem Mitglied der Mehrsteuergruppe (Organträger) als Steuerpflichtigem mit Art. 11 MwStSystRL vereinbar ist oder ob das Unionsrecht zwingend die Steuerschuldnerschaft der Mehrwertsteuergruppe selbst, also des Organkreises erfordert. Derartige Fragen der Unionsrechtskonformität des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG können 35 an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden.75) Der deutsche Gesetzgeber scheint ___________ 71) Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 150 ff.; Heuermann, DB 2016, 608, 609; Prätzler, BB 2018, 599, 600; vgl. EuGH, Urt. v. 22.5.2008, C-162/07, Slg. 2008, I-4019 = DStRE 2013, 902 Rn. 19 (Ampliscientifica und Amplifin); EuGH, Urt. v. 17.9.2014, C-7/13 (Skandia America Corp. USA, filial Sverige); ausdrücklich auch die Europäische Kommission, COM(2009) 325 final, S. 5, 10 f.; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.82 ff. A. A. BFH, Urt. v. 8.2.1979 – V R 114/74, BFHE 127, 254 = BStBl. II, 1979, 358 = BeckRS 1979, 22004779; Wäger, DB 2014, 915, 916. 72) Die Formulierung stammt vom EuGH, Urt. v. 20.10.1993, C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Rn. 25 (Balocchi); EuGH, Urt. v. 21.2.2008, C-271/06, Slg. 2008, I-771, Rn. 21 (Netto Supermarkt), allerdings nicht spezifisch für das Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft, sondern allgemein für das Verhältnis zwischen dem die Umsatzsteuer abführenden Unternehmer und dem belasteten Verbraucher. 73) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28. 74) BFH, Beschl. v. 11.12.2019 – XI R 16/18, DStR 2020, 645; BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367. 75) Ausführlich beispielsweise Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 111 ff.; Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 25 ff., 77 ff.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

aktuell keine Angleichung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an Art. 11 MwStSystRL anzustreben.76) Für die hiesige Untersuchung muss daher der das deutsche Recht prägende Begriff der Eingliederung zugrunde gelegt werden. Dieser setzt nach allgemeiner Lesart die Subordination voraus, deren Feststellung die Eingliederungsmerkmale dienen.77) Gleichwohl wird in Rn. 553 ff. auf bestehende Reformbedürfnisse und die Frage, wie sich insolvenzrechtliche Probleme in einem dem System des Unionsrechts angeglichenen Organschaftsmodell darstellen würden, zurückzukommen sein.

1.

Finanzielle Eingliederung

36 Die finanzielle Eingliederung erfordert eine Stimmenmehrheit des Organträgers an der Organgesellschaft, die ihm eine Durchsetzung seines Willens durch Mehrheitsbeschlüsse in der Gesellschafterversammlung78) ermöglicht.79) Es kommt damit auf Ebene der finanziellen Eingliederung nicht auf die faktische Durchsetzung des Willens, sondern lediglich auf die rechtliche Durchsetzbarkeit des Willens an.80) Hierzu genügen in der Regel mehr als 50 % des Stammkapitals bzw. Grundkapitals. Andere Beteiligungserfordernisse können sich beispielsweise ergeben, wenn die Satzung der Organgesellschaft für die Beschlussfassung eine höhere Mehrheit bestimmt oder Stimmenmehrheit und Kapitalmehrheit auseinanderfallen.81) Stimmbindungsvereinbarungen werden aus Gründen der Rechtsklarheit nur berücksichtigt, wenn sie satzungsmäßig festgehalten wurden.82) Ob der Organträger die Anteile unmittelbar oder nur mittelbar hält, ist für die finanzielle Eingliederung irrelevant.83)

___________ 76) Vgl. aber noch unter Rn. 573 ff. zu einem Eckpunktepapier des BMF. 77) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 18; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 802. 78) Mit Gesellschafterversammlung ist durchweg nicht nur im technischen Sinne das Willensbildungsorgan der GmbH gemeint, sondern auch die Hauptversammlung bei der Aktiengesellschaft. 79) St. Rspr., siehe nur BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 29 m. w. N.; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 36; Abschnitt 2.8 Abs. 5 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Tischer, UR 1985, 77. 80) BFH, Beschl. v. 16.12.2010 – V B 46/10, BFH/NV 2011, 857 Rn. 18; BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, DStR 2010, 1277 Rn. 12. 81) BFH, Urt. v. 22.11.2001 – V R 50/00, BFHE 197, 319 = BStBl. II 2002, 167 = NZG 2002, 301 Ls. 2. 82) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 25; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 180. 83) Abschnitt 2.8 Abs. 5b UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 20; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.50 ff.; ausführlich Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1217 ff.; übersichtlich Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 898 f.; Bleckmann, BB 2013, 855, 857 f. Zur mittelbaren Beteiligung eingehend Eberhard/Mai, UR 2010, 881, 883 ff.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

Seit dem Urteil des BFH vom 15.12.2016 ist umstritten, ob zum Inhalt der finan- 37 ziellen Eingliederung auch gehört, dass über die Beherrschung der Gesellschafterversammlung durch den Organträger hinaus etwaigen Beschlüssen auch „Bedeutung“ in dem Sinne zukommen muss, dass sie für die Geschäftsleitung84) der Organgesellschaft bindend sind.85) Obschon die Frage im Grunde rein steuerrechtlicher Natur ist und sich auf die allgemeine Definition des Eingliederungsmerkmals bezieht, fand sie im insolvenzrechtlichen Kontext ihren Anstoß und wurde bislang offenbar auch nur dort diskutiert, sodass sie auch hier an entsprechender Stelle behandelt wird.86)

2.

Wirtschaftliche Eingliederung

Ein dagegen eher „weiches“ Kriterium ist die wirtschaftliche Eingliederung.87) Sie 38 stellt eine Ergänzung und Unterstreichung der finanzielle Eingliederung auf wirtschaftlicher Ebene dar.88) Der Einfluss des Organträgers muss also nicht nur gesellschaftsrechtlich, sondern zusätzlich über einen „vernünftigen wirtschaftlichen Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung der Unternehmensbereiche“ vermittelt werden.89) Besonders ausgeprägt ist die wirtschaftliche Eingliederung nach ständiger Rechtsprechung, wenn die Organgesellschaft im Gefüge des Organträgers als dessen Bestandteil erscheint,90) wozu es aber keiner Tätigkeit in derselben Branche bedarf.91) Eine wirtschaftliche Abhängigkeit soll nicht notwendig sein, sondern lediglich, dass die Tätigkeiten von Organ-

___________ 84) Mit dem Begriff „Geschäftsleitung“ sind hier und im Folgenden die den Rechtsträger tatsächlich steuernden Personen gemeint, auf Seiten der Organgesellschaft also sowohl die Geschäftsführung einer GmbH als auch der Vorstand einer AG, auf Seiten des Organträgers in Abhängigkeit von dessen Rechtsform auch andere natürliche Personen. 85) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 37. Hasbach, ZInsO 2017, 914, 917; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2588; dies., BB 2017, 2202, 2205. 86) Siehe unten Rn. 91 f. und Rn. 126 ff. 87) Eingehend zur wirtschaftlichen Eingliederung Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1251 ff. 88) Vgl. Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213. 89) BFH, Urt. v. 9.9.1993 – V R 124/89, BFHE 172, 541 = BStBl. II 1994, 129 = DStR 1994, 203; BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, DStR 2003, 1166, 1167; BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BFHE 223, 498 = BStBl. II 2009, 256 = DStRE 2009, 29. Zur Verflechtung BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 21; BFH, Urt. v. 6.5.2010 – V R 26/09, DStR 2010, 2079. 90) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 37; BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399 m. w. N.; BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, DStR 2002, 854, 855; BFH, Urt. v. 20.1.1999 – XI R 69/97, DStRE 1999, 346; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.56. 91) Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 343.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

träger und Organgesellschaft aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig fördern und ergänzen.92)

39 Konkret kann die wirtschaftliche Eingliederung etwa auf entgeltlichen Leistungen des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft beruhen, sofern diesen im Betrieb der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche Bedeutung zukommt.93) Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Organträger der Organgesellschaft das Betriebsgrundstück vermietet.94) Die Wesentlichkeit der Leistung fehlt beispielweise, wenn der Organträger lediglich Verwaltungsaufgaben übernimmt oder unentgeltlich Material für die Organgesellschaft bereitstellt.95) Besonders augenfällig ist die wirtschaftliche Eingliederung dann, wenn sich aus der Leistung des Organträgers an die Organgesellschaft „besondere Einwirkungsmöglichkeiten“96) ergeben, weil der Organträger die Beendigung der Leistungsbeziehung in der Hand hat.97) Entscheidend sind letztlich die Art und der Umfang der Verflechtungen der Unternehmensbereiche,98) wobei die Anforderungen an die Erheblichkeit der wirtschaftlichen Beziehungen bei stärkerer Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung diametral abnehmen soll.99) Im Detail lässt sich die wirtschaftliche Einglie-

___________ 92) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 37; BFH, Urt. v. 22.6.1967 – V R 89/66, BFHE 89, 402 = BStBl. III 1967, 715; BFH, Urt. v. 9.9.1993 – V R 124/89, BFHE 172, 541 = BStBl. II 1994, 129 = DStR 1994, 203; Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 342. Diese Rechtsprechung scheint derjenigen, die eine Beherrschungsmöglichkeit aus der wirtschaftlichen Eingliederung lesen will, zu widersprechen. Dies fügt sich in das Bild einer insgesamt unklaren und unsystematischen Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Eingliederung ein, vgl. Buttgereit/Schulte, UR 2011, 605 ff. Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 114 ff. möchte die Anforderungen sogar noch weiter herabsenken. 93) BFH, Urt. v. 18.6.2009 – V R 4/08, BFHE 226, 382 = BStBl. II 2010, 310 = DStRE 2009, 1389 Ls. 2; BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 21. 94) BFH, Urt. v. 6.5.2010 – V R 26/09, DStR 2010, 2079 Rn. 28 ff.; BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 34/01, BFH/NV 2002, 223. 95) BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399; BFH, Urt. v. 25.6.1998 – V R 76/97, BFH/NV 1998, 153. Siehe auch Abschnitt 2.8 Abs. 6 Satz 6 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 96) BFH, Urt. v. 25.6.1998 – V R 76/97, BFH/NV 1998, 153. 97) BFH, Urt. v. 25.1.1968 – V 25/65, BFHE 92, 46 = BStBl. II 1968, 421 = BeckRS 1968, 21003587; BFH, Urt. v. 9.9.1993 – V R 124/89, BFHE 172, 541 = BStBl. II 1994, 129 = DStR 1994, 203; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 21; kritisch Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1202. 98) BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399. 99) BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BFHE 223, 498 = BStBl. II 2009, 256 = DStRE 2009, 29, 31; BFH, Beschl. v. 18.3.2010 – V B 57/08, BFH/NV 2010, 1312. Siehe hierzu auch noch unter Rn. 54.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

derung aufgrund der unklaren, teilweise sogar widersprüchlichen Rechtsprechung des BFH kaum präzise umreißen.100)

3.

Organisatorische Eingliederung

Die organisatorische Eingliederung hat in der Rechtsprechung insbesondere in den 40 letzten Jahren den lebhaftesten Wandel durchlaufen, die Anforderungen wurden immer wieder verschärft.101) Für die hiesige Untersuchung ist die Voraussetzung besonders interessant, weil sie sehr häufig den Anknüpfungspunkt für insolvenzsteuerrechtliche Konflikte bildet.

a) Anforderungen nach der Rechtsprechung Nach ständiger Rechtsprechung setzt die organisatorische Eingliederung voraus, dass 41 der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss.102) Er muss seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen können, indem deren Geschäftsführung vom Organträger maßgeblich beeinflusst oder sogar ausgeübt wird. Dies muss durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden.103) Angeknüpft wird anders als bei der finanziellen Eingliederung, bei der es um die bloße Möglichkeit der Einflussnahme geht, also an die faktische, „gelebte Unternehmenspraxis“.104) Die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG ist für die Beurteilung der organisatorischen Eingliederung ohne Bedeutung, was sich schon daraus erklärt, dass die Vermutung an die Mehrheitsbeteiligung anknüpft, die organisatorische Eingliederung aber gerade die darüber hinausgehende organisatorische Beherrschung verlangt.105) ___________ 100) Siehe Buttgereit/Schulte, UR 2011, 605 ff.; vgl. auch Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 114 ff. 101) Siehe dazu Langer/Hammerl, DStR 2013, 896; Bleckmann, BB 2013, 855; Schütze/Winter, UR 2009, 397, 399 ff. 102) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 20 m. w. N.; ausführlich BFH, Urt. v. 28.10.2010 – V R 7/10, DStR 2011, 308 Rn. 22 ff. 103) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 42 ff.; BFH, Urt. v. 20.2.1992 – V R 80/85, BFH/NV 1993, 133. 104) BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854, 856; Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.193; Onusseit, ZIP 2003, 743, 745, 754; Schwarz/Widmann/ Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 202, 239; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 299; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1299. Vgl. auch BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497. 105) BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2008, 453, 454 f.; Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 921 f. A. A. Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 896; Streck/Binnewies, DB 2001, 1578, 1581.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

42 Nicht mehr ausreichend ist nach einem Urteil des BFH vom 8.8.2013, welches das insolvenzrechtliche Eröffnungsverfahren betraf, dass lediglich eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindert wird.106) Damit gab der BFH seine stark kritisierte107) ständige Rechtsprechung108) auf und folgte letztlich konsequent der Grundvoraussetzung der Über-/Unterordnung, die tatsächlich gerade nicht besteht, wenn der Organträger nur einen fremden Willen blockieren kann, ohne seinen eigenen Willen durchzusetzen.

aa) Personelle Verflechtungen 43 Den Regelfall für die organisatorische Eingliederung soll die personelle Verflechtung der Geschäftsleitungen von Organträger und Organgesellschaft bilden.109) Am intensivsten ist die Beherrschung insoweit bei vollständiger personeller Verflechtung der Geschäftsleitungen von Organträger und -gesellschaft. Besteht bei mehrköpfigen Geschäftsleitungen keine vollständige Identität, ist die Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis ausschlaggebend.110) Bei Gesamtgeschäftsführungsbefugnis und einem Beschluss durch Mehrheitsentscheid genügt eine Stimmenmehrheit der personenidentischen Geschäftsleiter.111) Bei einer mehrköpfigen Geschäftsleitung mit Einzelgeschäftsführungsbefugnis reicht es aus, dass zumindest einer der Geschäfts___________ 106) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226. Siehe ausführlich unter Rn. 246 ff. 107) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212 ff.: „ausschließlich fiskalisch motiviert“; Onusseit, ZInsO 2004, 1182; Blank, EWiR 2004, 1095 f. (Anm.); Maus, GmbHR 2005, 859, 862; Walter/Stümper, GmbHR 2006, 68, 70; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.382 m. w. N. Die Rspr. verteidigend Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1203. 108) BFH, Urt. v. 20.2.1992 – V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; BFH, Urt. v. 13.3.1997 – V R 96/96, BFHE 182, 426 = BStBl. II 1997, 580 = DStR 1997, 1487; BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497; BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951; BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453. Spezifisch zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 953. Bereits offen gelassen in BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044. Die Rechtsprechungsänderung beschreiben Marchal/ Oldiges, DStR 2013, 2211 ff. m. w. N. 109) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226; BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 24 m. w. N.; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 38 m. w. N. Mit dem Begriff „Geschäftsleitung“ sind hier und im Folgenden die den Rechtsträger tatsächlich steuernden Personen gemeint, auf Seiten der Organgesellschaft also sowohl die Geschäftsführung einer GmbH als auch der Vorstand einer AG, auf Seiten des Organträgers in Abhängigkeit von dessen Rechtsform auch andere natürliche Personen. 110) Abschnitt 2.8 Abs. 8 Satz 5 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 111) Abschnitt 2.8 Abs. 8 Satz 6 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1306.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

leiter der Organgesellschaft auch Geschäftsleiter des Organträgers ist, wenn zusätzlich institutionelle Absicherungen hinzukommen, beispielsweise ein umfassendes Weisungsrecht des Organträgers gegenüber der Geschäftsleitung der Organgesellschaft und das Recht zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsleiter der Organgesellschaft.112) Es genügt auch, wenn die Geschäftsleitung der Organgesellschaft mit (leitenden)113) 44 Mitarbeitern des Organträgers besetzt ist, sofern aufgrund eines zum Organträger bestehenden Anstellungsverhältnisses und der sich hieraus ergebenden persönlichen Abhängigkeit die Weisungen des Organträgers befolgt werden und die Geschäftsleiter der Organgesellschaft bei weisungswidrigem Verhalten abberufen werden können.114) Letztlich kommt es immer darauf an, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann, ohne potenziell am Widerstand von nicht dem Willen des Organträgers folgenden Personen zu scheitern.

bb) Institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten Daneben lässt sich die organisatorische Eingliederung auch ohne personelle Ver- 45 flechtungen erreichen. Hierzu bedarf es „institutionell abgesicherter unmittelbarer Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“115) sowie auf die gesamte unternehmerische Sphäre der Organgesellschaft.116) Der Organträger muss durch schriftlich fixierte Vereinbarungen (z. B. Geschäftsführerordnung, Konzernrichtlinie, Anstellungsvertrag) in der Lage sein, seine Entscheidungsbefugnis nachzuweisen und den Geschäftsleiter der Organgesellschaft bei Verstößen gegen seine Anweisungen haftbar zu machen.117)

___________ 112) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 24 m. w. N.; Radeisen, SteuK 2013, 133, 135. Vgl. auch Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2153, die von einem Drei-Stufen-Modell sprechen. 113) Die Verwaltung lässt „Mitarbeiter“ ausreichen, vgl. Abschnitt 2.8. Abs. 9 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; ebenso Dodenhoff, UR 2014, 337; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 894; zust. Bleckmann, BB 2013, 855, 857. Die Rechtsprechung spricht lediglich von „leitenden Mitarbeitern“, vgl. die folgende Fußnote. 114) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Ls. 1, Rn. 27; BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395 Ls. 2; Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1207; zust. Feldgen, BB 2013, 2968, 2971 f. 115) BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951. 116) Abschnitt 2.8. Abs. 10 Satz 5 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.70. 117) BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453; BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198, 199.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

46 Eine Eingriffsmöglichkeit in diesem Sinne liefert jedenfalls ein Beherrschungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG, da er dem herrschenden Unternehmen gem. § 308 AktG umfangreiche Weisungsbefugnisse gegenüber der beherrschten Gesellschaft einräumt.118) Entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung, die jede organisatorische Eingliederung ohne personelle Verflechtung als deren schwächste Form bezeichnet,119) dürfte bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages der Einfluss des Organträgers auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft sogar besonders deutlich zu Tage treten. Dasselbe gilt für die aktienrechtliche Eingliederung gem. §§ 319, 320 AktG, die in ihren Rechtsfolgen durch die parallele Ausgestaltung und den Verweis in § 323 Abs. 1 AktG auf § 308 AktG dem Vertragskonzern angenähert ist.120)

47 Dagegen genügt das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung aus § 37 GmbHG für die organisatorische Eingliederung nicht.121) Das Weisungsrecht betrifft als gesellschaftsrechtlicher Mechanismus nicht die organisatorische Eingliederung, sondern die finanzielle Eingliederung.122) Die organisatorische Eingliederung verlangt ihrer Bezeichnung entsprechend Eingriffsmöglichkeiten in die Art und Weise der Geschäftsführung auf organisatorischem Wege, also gerade nicht durch gesellschaftsrechtliche Weisungsmöglichkeiten. Insoweit ergänzt sie die durch die finanzielle Eingliederung gewährleistete gesellschaftsrechtliche Beherrschung zur organisatorischen Seite hin. Zudem fehlt es bei Weisungsrechten über die Gesellschafterversammlung am Zugriff des

___________ 118) BFH, Urt. v. 10.5.2017 – V R 7/16, BFHE 258, 181 = BStBl. II 2017, 1261 = DStR 2017, 1653 Ls., Rn. 17 m. w. N.; Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 4 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1207; Feldgen, BB 2010, 285, 288; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 893; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 112.2; Steiner, NZG 2011, 1413, 1415; einschränkend Schütze/Winter, UR 2009, 397, 405; Bleckmann, BB 2013, 855, 859; Feldgen, BB 2013, 2967, 2972, die das Erfordernis der tatsächlichen Ausübung des durch den Beherrschungsvertrag gewährten Weisungsrechts hervorheben. Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589 weisen darauf hin, dass beim Beherrschungsvertrag von der fortwährenden Willensdurchsetzung ausgegangen werden könne, da der Vertrag gerade zu diesem Zweck geschlossen werde. 119) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 120) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 4 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Höink/Hudasch, DB 2014, 1286, 1290; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 893. 121) BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951; BFH, Urt. v. 14.2.2008 – V R 12/06, V R 13/06, BFH/NV 2008, 1365; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 43. Zust. Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 924; Schütze/Winter, UR 2009, 397, 399. A. A. Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 132 ff. 122) Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1207; Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 924. Vgl. zur Differenzierung zwischen finanzieller und organisatorischer Eingliederung unter Berücksichtigung der Einflussmöglichkeiten noch Rn. 140 ff.

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

Gesellschafters in den Kernbereich der laufenden Verwaltung.123) Dies ist beispielsweise beim Beherrschungsvertrag gerade anders.124) Ist die Organgesellschaft eine Aktiengesellschaft, genügt für die organisatorische 48 Eingliederung erst recht nicht die aus dem Recht des faktischen Konzerns bekannte faktische Macht des Mehrheitsgesellschafts.125) Die faktische Beherrschung entspringt vor allem der Möglichkeit des Mehrheitsgesellschafters, den Vorstand über den von ihm gesellschaftsrechtlich kontrollierten Aufsichtsrat abzuberufen. Diese Abberufungsmöglichkeit und das daraus resultierende „Drohpotenzial“ gewährleisten aber mangels unmittelbarer Eingriffsbefugnisse speziell auf organisatorischer Ebene nicht den für die organisatorische Eingliederung erforderlichen Zugriff auf die laufende Geschäftsführung.126)

b) Die drei Stufen der organisatorischen Eingliederung Widmet man sich den Anforderungen an die organisatorische Eingliederung näher, so 49 fällt gerade auch mit Blick auf die Insolvenzsituation auf, dass die in Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Varianten der personellen Verflechtungen oder der institutionell abgesicherten Eingriffsmöglichkeiten nicht immer schon die erforderliche tatsächliche Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger bewirken. Sie behandeln vielmehr nur die Frage nach dem Bestehen einer organisatorischen Verknüpfung, die es dem Organträger ihrer grundlegenden Konzeption nach ermöglicht, seinen Willen auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft zu übertragen.127) Mögen sich in der außerinsolvenzlichen Diskussion Fragestellungen in der Tat häufig 50 auf diese erste Stufe beschränken, geht es in der Insolvenz typischerweise vielmehr um einen zweiten Aspekt. Die Willensdurchsetzung des Organträgers erfordert nicht nur, dass ein geeignetes Vehikel existiert, durch das der beherrschten Geschäftsleitung der Organgesellschaft der Wille des Organträgers vermittelt wird, sondern auch die Umsetzbarkeit des vermittelten Willens bei der Organgesellschaft. Jede noch so ___________ 123) Ähnlich Schütze/Winter, UR 2009, 397, 399. 124) Spindler/Stilz/Veil, AktG, 4. Aufl. 2019, § 308 Rn. 20. 125) Die anderslautende Ansicht des FG Berlin, Urt. v. 13.5.1998 – 6 K 6294/93, EFG 1999, 82 (zust. Streck/Binnewies, DB 2001, 1578; Scholz/Nattkämper, UR 2008, 716, 718, 722; FG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.11.2005 – 14 K 79/04, DStRE 2006, 1289, 1290) hat der BFH verworfen, vgl. BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453; BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949; BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198 Rn. 28. Ausführlich Schütze/Winter, UR 2009, 397, 405 ff. 126) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 30; vgl. auch Schütze/Winter, UR 2009, 397, 399, die die faktisch beherrschte AG im Ergebnis dennoch als organisatorisch eingliederbar ansehen. Der faktische Konzern dürfte dagegen vielmehr eine Rolle für die finanzielle Eingliederung einer Aktiengesellschaft spielen, vgl. Rn. 136 ff. 127) Vgl. auch Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 918.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

wirksame Einflussmöglichkeit des Organträgers auf die Organgesellschaft läuft ins Leere, wenn die Organgesellschaft den Willen schlechterdings nicht umsetzen kann, weil ihr dies rechtlich nicht möglich ist. Die Insolvenz insbesondere der Organgesellschaft kann diese Möglichkeit der Willensumsetzung vielgestaltig beeinflussen.

51 Vervollständigt wird die tatsächliche Willensdurchsetzung erst dadurch, dass in einem dritten Schritt der Wille in der gelebten Praxis der Unternehmensführung auch wirklich umgesetzt wird.128) Hierfür ist das zweite Element der Möglichkeit der Willensdurchsetzung eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Zwar ist aufgrund der für die organisatorische Eingliederung erforderlichen Einflussmöglichkeiten des Organträgers im Normalfall anzunehmen, dass die Organgesellschaft dem Willen des Organträgers nachkommt, soweit ihr dies möglich ist, doch behält sie als eigenständige juristische Person letztlich einen eigenen Willen. In den Worten des BFH handelt es sich bei der organisatorischen Eingliederung „nicht eigentlich, wie in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG 1951 formuliert war, um die Ersetzung des eigenen Willens der Organgesellschaft durch denjenigen des Organträgers, sondern um die Fremdbestimmung der Willensbildung der Organgesellschaft (vgl. die deshalb geänderte Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1967).“129) Diese durch das Beherrschungsmittel grundsätzlich gewährleistete Fremdbestimmung kann in Ausnahmefällen durch noch dominantere Dritteinflüsse wie bestimmte rechtliche Vorgaben, die das tatsächliche Verhalten der Geschäftsleitung der Organgesellschaft beeinflussen, gehemmt werden.130) Gerade im besonderen Fall der Insolvenz bedarf es insoweit einer genauen Prüfung, ob das Handeln der Organgesellschaft weiterhin durch den Organträger fremdbestimmt ist oder es Gründe gibt, die die Geschäftsleitung der Organgesellschaft faktisch von der Durchführung des Willens des Organträgers abhalten.

c)

Willensbildung und Willensbefolgung in einer Person

52 Bei alledem muss beachtet werden, dass in manchen Konstellationen die Trennung zwischen dem Willen des Organträgers und dem der Organgesellschaft verschwimmen kann. Das ist namentlich der Fall, wenn eine vollständige Personalunion in den Geschäftsleitungen besteht oder der Organträger eine natürliche Person ist, die gleichzeitig die Position des (alleinigen) Geschäftsleiters der Organgesellschaft ein___________ 128) BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854, 856; Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.193; Onusseit, ZIP 2003, 743, 745, 754; Schwarz/Widmann/ Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 202, 239; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 299; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1299, 1301. Vgl. auch BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497. Ähnlich Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 918. 129) BFH, Urt. v. 14.12.1978 – V R 85/74, BFHE 127, 75 = BStBl. II 1979, 288 = BeckRS 1978, 22004735. 130) Eckardt, NZG 1999, 571 f. (Anm.).

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E. Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft

nimmt, also insbesondere ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Es kann dann logisch nicht dazu kommen, dass der Wille des Organträgers in der Organgesellschaft verweigert wird, weil Willensbildung und Willensbefolgung bei ein- und derselben Person bzw. denselben Personen stattfinden.131) In diesen Fällen ist aber zu berücksichtigen, dass von der erforderlichen Willens- 53 durchsetzung des Organträgers bei der Organgesellschaft nur gesprochen werden kann, soweit der Wille beim Organträger frei gebildet werden kann. Ordnet sich der Organträger bei seiner Willensbildung dagegen Handlungsvorgaben unter, die die Organgesellschaft treffen, würde sich das erforderliche Beherrschungsverhältnis umkehren. Die Belange der Organgesellschaft würden dann den Willen des Organträgers bestimmen.132) Vor diesem Hintergrund lassen sich die obigen Erwägungen hier übertragen: Die Fälle, in denen eine vom Organträger personenverschiedene Geschäftsleitung der Organgesellschaft den Willen trotz Möglichkeit nicht umsetzen würde, werden in aller Regel auch die Fälle sein, in denen bei personenidentischer Ausgestaltung der Organträger seinen Willen nach den Umständen bei der Organgesellschaft richtet. Denn der Grund, der den Geschäftsleiter dazu veranlasst, die Willensbefolgung zu verweigern, veranlasst bei Personenidentität auch den Organträger, einen solchen Willen gar nicht erst zu bilden. Hierauf wird an gegebener Stelle zurückzukommen sein.

4.

Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse

Die Bewertung der Eingliederung richtet sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen 54 Verhältnisse, vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG. Das bedeutet zunächst jedenfalls, dass im Gegensatz zur ertragsteuerlichen Organschaft133) keine vertragliche Verbindung im Sinne eines Organschaftsvertrages geschlossen werden muss. Darüber hinaus lässt sich aus der Formulierung die Aussage ableiten, dass finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung nicht gleichermaßen stark ausgeprägt sein müssen.134) Die Beurteilung nach dem Gesamtbild gibt vielmehr Spielraum, nach der getrennten Prüfung der Einzelvoraussetzungen das Zusammenwirken der einzelnen Eingliederungsmerkmale stärker wertend nach der Verkehrsauffassung zu betrach-

___________ 131) Schütze/Winter, UR 2009, 397, 399 f.; vgl. auch Streck/Binnewies, DB 2001, 1578, 1579. A. A. offenbar Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 135 ff. (unverständlich dort insb. Fall 3/2). 132) Ähnlich bereits J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3289. 133) Siehe zur Abgrenzung noch unten Rn. 77 ff. 134) BFH, Urt. v. 23.4.1964 – V 184/61 U, BFHE 79, 316 = BStBl. III 1964, 346. Seitdem st. Rspr., vgl. nur BFH, Urt. v. 22.6.1967 – V R 89/66, BFHE 89, 402 = BStBl. III 1967, 715 = BeckRS 1967, 21005098; BFH, Urt. v. 20.2.1992 – V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; Onusseit, ZIP 2003, 743, 745.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

ten.135) Die kumulative Aufzählung macht aber gleichzeitig deutlich, dass das vollständige Fehlen einer der Voraussetzungen nicht kompensiert werden kann.136)

F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft 55 An den Bestand der umsatzsteuerlichen Organschaft knüpfen sich vielfältige Rechtsfolgen, die den spezifisch umsatzsteuerrechtlichen Bereich betreffen, wie beispielsweise das Besteuerungsverfahren137) oder materielle Aspekte wie die Umsatzqualifikation,138) aber etwa auch den zivilrechtlichen Bereich, in den insbesondere der innerorganschaftliche Ausgleich fällt. Die folgenden Ausführungen richten sich nach der Relevanz der jeweiligen Rechtsfolgen für die spätere Untersuchung.139)

I.

Besteuerung des Organkreises

56 Die Organschaft fasst mehrere zivilrechtlich eigenständige Rechtsträger umsatzsteuerrechtlich zu einem einzigen Unternehmen zusammen, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG.140) Rechtstechnisch geschieht das über den Verlust der Unternehmereigenschaft der Organgesellschaft, der wiederum im Verlust der Selbständigkeit gründet. Die Organgesellschaft ist dadurch aus Sicht des Umsatzsteuerrechts kein eigenständiges Steuersubjekt mehr, sondern Teil des Organträgers. Umsätze, die sie tätigt, werden dem Organträger als eigene Umsätze zugerechnet, für die er entsprechend die Umsatzsteuer abführen muss.141) Umgekehrt werden auch die Leistungsbezüge dem Organträger zugerechnet, sodass nur er den Vorsteuerabzug aus Rechnungen für von der Organgesellschaft bestellte Leistungen gem. § 15 UStG geltend machen kann.142) Aus der umsatzsteuerlichen Einheit zwischen der Organgesellschaft und ___________ 135) Vgl. Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1321. 136) BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453, 454 m. w. N.; BFH, Urt. v. 27.8.1964 – V 101/62 U, BFHE 80, 181 = BStBl. III 1964, 539; BFH, Urt. v. 25.6.1998 – V R 76/97, BFH/NV 1998, 153; BFH, Urt. v. 14.2.2008 – V R 12/06, V R 13/06, BFH/NV 2008, 1365; BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951. 137) Vgl. hierzu Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.80. 138) Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1209 f. 139) Vgl. ausführlich zu den Rechtsfolgen etwa Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 99 ff.; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1372 ff.; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.80 ff. 140) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 17 m. w. N.; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 16. 141) BFH, Urt. v. 19.5.2005 – V R 31/03, BFHE 210, 167 = BStBl. II 2005, 671 = DStRE 2005, 1086, 1088; BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, BFHE 111, 79 = BStBl. II 2004, 434 = DStR 2003, 1166, 1167; BFH, Urt. v. 21.6.2001 – V R 68/00, BFHE 195, 446 = BStBl. II 2002, 255 = DStR 2001, 1838, 1839 m. w. N. 142) BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854, 855.

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F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

dem Organträger folgt weiter, dass Leistungen zwischen ihnen nicht steuerbare Innenumsätze darstellen, da es an einem Leistungsaustausch mit einem Dritten fehlt.143)

II. Beginn und Ende der Organschaft Mit Vorliegen der Voraussetzungen treten die Rechtswirkungen der Organschaft 57 ipso iure ein.144) Spiegelbildlich endet die Organschaft in dem Moment, in dem eine der Voraussetzungen der Organschaft nicht mehr erfüllt ist, also wenn die Organgesellschaft finanziell, wirtschaftlich oder organisatorisch nicht mehr in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist oder wenn die personellen Voraussetzungen entfallen.145) Die Prüfung des Bestands der Organschaft bedeutet daher im Grundsatz nichts anderes als die Prüfung des Vorliegens der Eingliederungsmerkmale. Die Beteiligten haben abgesehen von ihrem Einfluss auf die Erfüllung der Einglie- 58 derungsvoraussetzungen keine Wahlmöglichkeit im Hinblick auf den Eintritt der Folgen der Organschaft.146) Insbesondere ein formelles Antrags- oder Feststellungsverfahren ist weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht vorgesehen.147) Es ist nicht einmal erforderlich, dass der Bestand oder die Beendigung der Organschaft einem der Beteiligten bekannt sein müsste. Dieses Konzept ruft große Rechtsunsicherheit hervor und verleiht gleichzeitig der sicheren Feststellbarkeit der Voraussetzungen der Organschaft eine hohe Bedeutung, wie der BFH stets betont.148) Dieser gerecht zu werden ist angesichts der fallgruppenorientierten, mitunter wechselnden Auslegung der Eingliederungsmerkmale bisher nur begrenzt gelungen.149) ___________ 143) Statt vieler BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 17 m. w. N.; BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, BFHE 111, 79 = BStBl. II 2004, 434 = DStR 2003, 1166, 1167. Siehe auch bereits oben Rn. 18 ff. 144) Siehe nur BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.94; Müller/ Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1372; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 98.7. 145) Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.92. 146) BFH, Beschl. v. 11.12.2013 – XI R 17/11, BFHE 244, 79 = BStBl. II 2014, 417 = MwStR 2014, 202 Rn. 83 m. w. N.; BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BFHE 223, 498 = BStBl. II 2009, 256 = DStRE 2009, 29 Ls. 2; BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854, 857; Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 346; auch rechtspolitisch Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 206. A. A. FG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 11.3.2008 – 6 V 2395/07, UR 2008, 542 = BeckRS 2008, 26025203; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 269 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910 ff. m. w. N., der im Wege einer teleologischen Reduktion dem Organträger ein Wahlrecht einräumen möchte. 147) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 22; Feldgen, BB 2013, 2967. 148) Vgl. nur BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 25/13, BFHE 251, 534 = BStBl. II 2017, 547 = DStR 2016, 219 Rn. 20 m. w. N.; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 33; BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, BFHE 229, 433 = BStBl. II 2011, 597 = DStR 2010, 1277 Rn. 25. 149) Vgl. Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.102.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

59 Der Automatismus kann dazu führen, dass sowohl die Finanzverwaltung als auch die beteiligten Personen entweder irrtümlich eine Organschaft annehmen oder das Vorliegen einer Organschaft verkennen (sog. unerkannte Organschaft). Im ersten Fall stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Umsatzsteuer fälschlich gegenüber dem vermeintlichen Organträger festgesetzt wurde bzw. er die Vorsteuer vereinnahmt hat. Entsprechend muss der Umsatzsteuerbescheid geändert werden und – im Regelfall eines Umsatzsteuerüberhangs – die zu viel gezahlte Umsatzsteuer erstattet werden.150) Gegenüber der vermeintlichen Organgesellschaft muss dagegen ein Umsatzsteuerbescheid erlassen werden, der die Umsatzsteuer ihr gegenüber festsetzt.151) Im zweiten Fall (unerkannte Organschaft) wurde gegenüber der Organgesellschaft zu Unrecht ein Bescheid erlassen, der aufgehoben werden muss;152) die gezahlte Umsatzsteuer muss erstattet werden.153) Gegen den Organträger muss der Bescheid entsprechend so geändert werden, dass ihm gegenüber nun auch die auf die Umsätze der Organgesellschaft entfallende Umsatzsteuer festgesetzt wird.154) Beide Situationen begründen im Insolvenzfall hohe Risiken für die Beteiligten.

III. Haftung nach § 73 AO 60 Mag die Organgesellschaft auch selbst nicht steuerpflichtig sein, bedeutet dies dennoch keine vollständige Haftungsfreiheit im Außenverhältnis. § 73 AO bestimmt, dass eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers haftet, „für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.“ Die Haftung ist gem. § 219 Satz 1 AO gegenüber der Zahlungspflicht des Organträgers subsidiär.

61 Nicht abschließend geklärt ist der Umfang dieser Haftung.155) Teilweise wird in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung156) eine Haftung der Organgesellschaft für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus allen Umsätzen der Organgesellschaft und des Organträgers angenommen.157) Eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft wegen nicht durch sie veranlasster Steuerschulden soll unter Umständen allerdings ___________ 150) 151) 152) 153) 154) 155) 156) 157)

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BFH, Urt. v. 26.11.1996 – VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537 = DStRE 1997, 649. BFH, Urt. v. 19.12.2013 – V R 5/12, BFHE 244, 494 = BStBl. II 2016, 858 = DStR 2014, 1100. BFH, Urt. v. 17.1.1995 – VII R 28/94, BFH/NV 1995, 580 = UR 1996, 268. BFH, Urt. v. 23.8.2001 – VII R 94/99, BFHE 196, 18 = BStBl. II 2002, 330 = DStRE 2002, 174, 176. Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.98; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479, 482. Ausführlich zum Streit Elicker/Hartrott, BB 2011, 2775 (Teil 1) sowie 3093 (Teil 2). BT-Drucks. VI/1982, S. 120. BFH, Urt. v. 5.10.2004 – VII R 76/03, BStBl. II 2006, 3 = DStRE 2005, 51, 52; Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.); Tipke/Kruse/Loose, AO, 152. EL 06/2018, § 73 Rn. 4 m. w. N.; Bruschke, BB 2018, 1310, 1313; wohl auch BFH, Urt. v. 11.4.1991 – V R 126/87, BFH/NV 1992, 140 = ZIP 1991, 1081, dazu Onusseit, EWiR 1991, 809; Mösbauer, UR 1995, 321, 324 f. Vgl. auch Kahlert, ZIP 2014, 1101, 1110; Seer, Beilage zu ZIP 42/2014, S. 9, die aber eine Änderung des Haftungsumfangs fordern.

F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

ermessensfehlerhaft sein.158) Einige möchten die Haftung darüber hinaus sogar auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten ausdehnen, die durch Umsätze anderer Organgesellschaften verursacht wurden.159) Richtigerweise sprechen Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift für eine dritte 62 Auslegungsmöglichkeit, nach der die Haftung lediglich diejenigen Steuerschulden einschließt, die aus eigenen Umsätzen der Organgesellschaft herrühren.160) Gegen eine Haftung für Steuern aus Umsätzen anderer Organgesellschaften spricht schon die eindeutige Einschränkung des § 73 AO auf Steuern, für die die Organschaft „zwischen ihnen“ steuerlich von Bedeutung ist. Danach kann es bei der Haftung immer nur um das Zwei-Personen-Verhältnis zwischen dem Organträger und der jeweiligen Organgesellschaft gehen.161) Ferner begründet § 73 AO eine Haftung nur für solche Steuern des Organträgers, für die die Organschaft „steuerlich von Bedeutung ist“. Steuerliche Bedeutung hat die Organschaft aber lediglich für die Steuern, die ohne die Organschaft nicht beim Organträger anfallen würden, also für die „fremden Steuern“ der Organgesellschaft. Die Umsatzsteuer aus Umsätzen des Organträgers würde hingegen in jedem Fall, auch ohne das Bestehen einer Organschaft, beim Organträger entstehen. Diese Auslegung überzeugt auch in teleologischer Hinsicht. Die Organschaft führt aus 63 Sicht des Fiskus zu einem Schuldnerwechsel, soweit für Umsätze der Organgesellschaft nicht mehr diese selbst die Umsatzsteuer schuldet, sondern der Organträger. Damit aus diesem Schuldnerwechsel keine Nachteile für den Fiskus als Steuer___________ 158) Das legt schon BT-Drucks. VI/1982, S. 120 nahe, die die Geltendmachung im Einzelfall ausdrücklich dem pflichtgemäßen Ermessen unterwirft. Siehe auch Tipke/Kruse/Loose, AO, 152. EL 06/2018, § 73 Rn. 8 m. w. N.; Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.). 159) Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 817, aber widersprüchlich (im Sinne der dritten Ansicht) auf S. 825; Mösbauer, UR 1995, 321, 325; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479, 484; Koenig/Intemann, AO, 3. Aufl. 2014, § 73 Rn. 13; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl. 2020, § 73 Rn. 7 (anders noch die 13. Aufl.); Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boecker, AO, 239. EL 08/2016, § 73 Rn. 15. Vgl. für die körperschaftsteuerliche Organschaft FG Düsseldorf, Urt. v. 19.2.2015 – 16 K 932/12 H(K), DStRE 2016, 1002 Ls. 3, hierzu kritisch Hölzle, ZIP 2016, 103 ff. m. w. N. Die Entscheidung wurde durch BFH, Urt. v. 31.5.2017 – I R 54/15, DStR 2017, 2214 aufgehoben. 160) Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1428; Reiß, StuW 1979, 343, 345; eingehend Probst, BB 1987, 1992 ff.; Sturm, StuW 1992, 252, 259 ff.; Onusseit, ZIP 2003, 743, 753; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 992; KPB-InsO/ Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 94; Lüdicke, FS Herzig, 2010, S. 259, 264, 273; Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 185; Reiß/Kraeusel/Langer/ Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 104; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 73 Rn. 7 (anders nun die 15. Aufl. 2020); FG Düsseldorf, Urt. v. 22.2.2018 – 9 K 280/15 H U, MwStR 2018, 585; FG München, Urt. v. 14.5.1986 – XIII, (III) 83/85 AO, ZIP 1986, 1269, 1270; wohl auch FG München, Urt. v. 18.9.1991 – 3 K 4202/88, EFG 1992, 373. 161) Vgl. auch Hölzle, ZIP 2016, 103, 105, dessen Ausführungen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft teilweise auf die umsatzsteuerliche Organschaft übertragbar sind. Auch eine Haftung einer (Ur-)Enkelgesellschaft ist auf das Zwei-Personen-Verhältnis zwischen dieser und dem Organträger beschränkt, vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 22.2.2018 – 9 K 280/15 H U, MwStR 2018, 585 Ls. 2.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

gläubiger erwachsen,162) sieht das Steuerrecht in § 73 AO die subsidiäre Haftung der Organgesellschaft als „eigentlicher Schuldnerin“ vor.163) Berücksichtigt man diese Funktion, wird schnell deutlich, welche Verbindlichkeiten die Norm abdecken muss und welche nicht: Nur für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten, für die eigentlich die Organgesellschaft selbst gehaftet hätte, ist eine organschaftsbedingte Schlechterstellung des Fiskus zu befürchten. Die Steuer aus Umsätzen des Organträgers schuldet hingegen in jedem Fall nur der Organträger selbst, sodass hier ein Rückgriff auf die völlig unbeteiligte Organgesellschaft über § 73 AO weder erforderlich noch interessengerecht ist. Für eine Besserstellung des Fiskus durch § 73 AO ist kein Grund ersichtlich.164) Die Gesetzesbegründung führt für ihre gegenteilige Auffassung letztlich nur vermeintliche Berechnungsschwierigkeiten an,165) die aber leicht überwindlich sein sollten, weil für den sogleich näher beleuchteten Innenausgleich ohnehin festgehalten werden muss, in welcher Höhe die Umsatzsteuer auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft entfällt.

IV. Innenausgleich 64 Infolge der Abführung der Umsatzsteuer seitens des Organträgers bei gleichzeitiger Vereinnahmung des entsprechenden Betrags durch die Organgesellschaft kann es zu erheblichen Vermögensverschiebungen zwischen beiden Gesellschaften kommen. Dasselbe gilt im Fall des Vorsteuerüberhangs. Dies wirft die Frage der Notwendigkeit und Herleitbarkeit eines Innenausgleich auf.

1.

Erforderlichkeit des Innenausgleichs

65 Es ist weitgehend anerkannt, dass auf zivilrechtlicher Ebene ein Innenausgleich stattfinden muss, um die durch die Organschaft entstandenen Vermögensverschiebungen auszugleichen.166) Der BGH und diesem folgend der BFH und die Literatur begründen das Erfordernis eines Innenausgleichs mit dem umsatzsteuerrechtlichen

___________ 162) Vgl. auch Onusseit, ZIP 2003, 743, 753; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 94. 163) Vgl. auch Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 817: „Ausfallrisiko des Steuergläubigers bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers [soll] auf die Organgesellschaften verlagert werden.“ 164) Onusseit, ZIP 2003, 743, 753; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 94. 165) BT-Drucks. VI/1982, S. 120. 166) Vgl. bereits BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586 zur gewerbesteuerlichen Organschaft; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 202/01, DStR 2004, 468, 469; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673; zuletzt BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 12. A. A. Menkel, NZG 2014, 52, 56; Wündisch, DB 1970, 410, 411 ff.

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F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

Grundsatz der Belastungsneutralität.167) Dieser folgt aus dem Charakter der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer und besagt, dass nur die Endverbraucher und nicht die Unternehmer durch die Umsatzsteuer belastet werden dürfen.168) Insofern unterscheiden sich durch die Ausformung der Umsatzsteuer als indirekte Steuer Steuerpflicht (Unternehmer) und Steuerlast (Verbraucher). Der EuGH bezeichnet den Unternehmer daher als bloßen „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“169). Eine Belastung oder Begünstigung des Unternehmers widerspräche dem „inneren Kern“ des europäischen und deutschen Mehrwertsteuersystems.170) Rein begrifflich führen innerorganschaftliche Vermögensverschiebungen gar nicht 66 zur Belastung eines „Unternehmers“, da nach der organschaftlichen Fiktion der Unternehmenseinheit gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG die Organgesellschaft gerade Teil des Unternehmens des Organträgers ist. Bei Bildung einer Gesamtbilanz wäre es für die Neutralität also unerheblich, wie die Beträge zwischen Organgesellschaft und Organträger aufgeteilt wären. Eine solche rein begriffliche Interpretation würde indes dem Grundsatz der Belas- 67 tungsneutralität nicht gerecht werden, der den Kerngedanken des Umsatzsteuerrechts verkörpert, dass ganz real und unabhängig von rechtlichen Fiktionen niemand außer dem Endverbraucher durch die Umsatzsteuer belastet werden soll. Die organschaftliche Zusammenfassung ändert nichts daran, dass die Gesellschaften zivilrechtlich selbständig bleiben und auch getrennt betrachtet werden müssen. Es gibt keinen Grund dafür, dass eine Organgesellschaft dauerhaft vereinnahmte Gelder behalten sollte, während der Organträger einen entsprechenden Betrag an den Staat abgeführt hat. Umgekehrt wäre nicht begründbar, dass der Organträger eine Vorsteuervergütung behalten sollte, während die Organgesellschaft einen entsprechenden Betrag aus ihrem Vermögen entrichtet hat. Der Überlegung, eine dauerhafte Vermögensverschiebung mit der steuerlichen Konsolidierung zu rechtfertigen, erteilt auch der BGH zu Recht eine Absage: „Die auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG beruhende Zuweisung des Vorsteuerabzugsrechts an den Organträger ist lediglich formeller, der Abwicklung des Steuerschuldverhältnisses dienender Natur.“171) Die organschaftliche Zusammenfassung durchbricht also zwar die Subjektbesteuerung aus verfahrenstechnischen ___________ 167) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 12; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 20; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1432; Weitemeyer/Schauhoff/Achatz/Hüttemann, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rn. 3.4 m. w. N.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 993 f.; Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. 168) EuGH, Urt. v. 29.10.2009, C-29/08AB SKF, Slg. 2009, 10439 = DStR 2009, 2311 Rn. 55 f.; Sölch/Ringleb/Klenk, 89. EL 06/2020, Wesen der Umsatzsteuer, Verhältnis von nationalem Recht zum Unionsrecht Rn. 9 f.; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, Vorbem. Rn. 15 ff. 169) EuGH, Urt. v. 20.10.1993, C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Rn. 25 (Balocchi); EuGH, Urt. v. 21.2.2008, C-271/06, Slg. 2008, I-771, Rn. 21 (Netto Supermarkt). 170) Vgl. Bunjes/Robisch, UStG, 19. Aufl. 2020, Vor § 1 Rn. 15 m. w. N. Siehe auch Rn. 182 ff. 171) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Ls.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

Gründen, bezweckt aber keine Perpetuierung der Vermögensverschiebung im Sinne einer dauerhaften materiellen Umverteilung der Umsatzsteuer.

68 Ein anderes Ergebnis wäre auch vor dem Hintergrund nicht überzeugend, dass die umsatzsteuerrechtliche Zusammenfassung von Organträger und Organgesellschaft nicht auch zu einem zivilrechtlichen Haftungsdurchgriff führt, sondern es haftungsrechtlich bei der Trennung bleibt. Durch die Organschaft könnten ohne Ausgleichsanspruch erhebliche Verluste im Vermögen eines der Beteiligten entstehen, die die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse schmälern würden. Gibt es etwa auf Seiten der Organgesellschaft Minderheitsgesellschafter, schafft die Vermögensverlagerung auf den Mehrheitsgesellschafter auch konzernrechtliche Konflikte. Das wäre umso bedenklicher, als keine Wahlmöglichkeit zur Eingehung der Organschaft besteht.172) Der Ansicht der Rechtsprechung ist daher nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Argumentation uneingeschränkt zuzustimmen. Es muss einen Mechanismus geben, der entstandene Vermögensverschiebungen im Innenverhältnis korrigiert.173)

2.

Herleitung des Innenausgleichs

69 Für die konkrete Herleitung eines Ausgleichsanspruchs findet sich weder im nationalen noch im europäischen Recht ein Anhaltspunkt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat sich ein gesamtschuldnerischer Ausgleichsanspruch gem. § 426 Abs. 1 BGB durchgesetzt.174) Völlig ohne Reibungen kommt diese Sichtweise nicht aus, da eine Gesamtschuldnerschaft gem. § 421 BGB eine gleichstufige Haftung mehrerer Schuldner voraussetzt,175) die Haftung der Organgesellschaft aber gem. § 219 Satz 1 AO subsidiär ausgestaltet ist. Speziell für § 44 Abs. 1 AO, der eine Gesamtschuldnerschaft zwischen solchen Personen anordnet, die „nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften“, ist allerdings umstritten, ___________ 172) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 98. 173) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Ls. sowie Rn. 11 f.; BGH, Urt. v. 19.1.2012 í IX ZR 2/11, NJW 2012, 1585 Rn. 28, 36; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673; Wäger, DB 2014, 915, 918 („unstreitig“). Vgl. auch Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 145, der darauf hinweist, dass jeder von der Zivilrechtslage abweichende Besteuerung von Gruppenmitgliedern eine zivil- und gesellschaftsrechtliche Ausgleichsproblematik folgt. A. A. Menkel, NZG 2014, 52, 56, der kein Bedürfnis für einen Ausgleichsanspruch sieht. 174) Zur umsatzsteuerlichen Organschaft BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 11 f.; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 20; in der Literatur bereits vorher Klussmann, DB 1971, 349, 350; Walter/Stümper, GmbHR 2006, 67, 73 f. Grundlegend zur gewerbesteuerlichen Organschaft BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585 Ls. 1; ferner BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 80 = DStR 1999, 724, 725; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 202/01, DStR 2004, 468 f.; in der Literatur eingehend Hüttemann, ZHR 171 (2007), 451, 457 ff. m. w. N.; auch schon Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, AktG, 1973, § 157 Rn. 137. 175) Siehe nur MünchKomm-BGB/Bydlinski, 8. Aufl. 2019, § 421 Rn. 12 m. w. N.

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F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

ob die Gesamtschuld nur innerhalb der Gruppe der Schuldenden bzw. Haftenden oder auch – wie im Fall der Organschaft – zwischen den Gruppen der Steuerschuldner und Haftenden entsteht.176) Der BGH thematisiert die Problematik der fehlenden Gleichstufigkeit, erachtet diese aber letztlich nicht als hinderlich für die Anwendung der Vorschriften über die Gesamtschuld.177) Bejaht man die Gesamtschuldnerschaft, muss sich ein Ausgleichsanspruch daneben auch aus § 426 Abs. 2 BGB ergeben.178) Umgekehrt sollen für den Ausgleichsanspruch bei internem Vorsteuerüberhang auf 70 Seiten der Organgesellschaft „die Wertungen des Gesamtgläubigerausgleichs“ anzuwenden sein, ein Ausgleich also entsprechend § 430 BGB erfolgen.179) Im Gegensatz zur Begründung der Gesamtschuldnerschaft fehlt hierfür jeglicher gesetzliche Ansatzpunkt.180) Der Organträger ist alleiniger Gläubiger der Vorsteuererstattungsforderung gegen das Finanzamt, sodass die Situation des § 428 BGB nicht besteht. Im Übrigen beschäftigt der BGH sich nicht mit den Voraussetzungen einer Analogie, insbesondere dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke.181) Eine solche bestünde von vornherein nicht, wenn gesetzliche Ansprüche nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag oder nach Bereicherungsrecht eingriffen.182) Der BGH begründet die Anwendung stattdessen mit den Parallelen zur früheren gewerbesteuerlichen Organschaft und damit, dass die Interessenlage einer Gesamtgläubigerschaft zwischen Organträger und Organgesellschaft entspreche.183) Entgegen dem BGH entspricht die Interessenlage zwischen dem formal berechtigten 71 Organträger und der materiell berechtigten Organgesellschaft gerade nicht derjenigen von Gesamtgläubigern. Die Gesamtgläubigerschaft zeichnet sich dadurch aus, dass zwei gleichrangige, formal gleichermaßen berechtigte Gläubiger nebeneinanderstehen, von denen im Innenverhältnis einer voll oder beide zu Teilen berechtigt sind. Bei einem internen Vorsteuerüberhang auf Seiten der Organgesellschaft ist es dagegen vielmehr so, dass eine Leistung wirksam an einen formal Berechtigten (den Organträger) erbracht wird, aber letztlich einem anderen materiell Berechtigten (der Organgesellschaft) zusteht. Diese Interessenlage entspricht derjenigen des Bereicherungs___________ 176) Die herrschende Ansicht nimmt eine Gesamtschuld an, siehe nur BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586 m. w. N.; BFH, Beschl. v. 11.7.2001 – VII R 28/99, BStBl. 2002, 267 = DStR 2001, 1700, 1701 m. w. N.; a. A. Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 44 Rn. 7; Koenig/Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 44 Rn. 2. 177) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 10; auch bereits für die gewerbesteuerliche Organschaft BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586. 178) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 19. 179) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 13. 180) Dies erkennt der BGH auch selbst an, vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 14. 181) Menkel, NZG 2014, 52, 53. 182) Menkel, NZG 2014, 52, 53. 183) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 13.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

rechts (vgl. den Rechtsgedanken des § 816 Abs. 2 BGB). Die Prüfung bereicherungsrechtlicher Ansprüche liegt zudem wesentlich näher als eine Analogie zu § 430 BGB, wenn man wie der BGH die Gemeinsamkeiten der umsatzsteuerlichen mit der früheren gewerbesteuerlichen Organschaft hervorhebt, in deren Rahmen vielfach eine Anwendung der §§ 812 ff. BGB befürwortet wurde.184)

72 Wollte man den bereicherungsrechtlichen Weg beschreiten, müsste man sich wie bereits angedeutet an der richtigen Prämisse des BGH orientieren, dass die Vermögensverschiebung lediglich formeller Natur und daher für die endgültige materielle Vermögenslage nicht relevant ist.185) Gedanklich wäre daher die (formelle) Vermögenszuordnung (Ist-Zustand) mit der Situation ohne organschaftliche Vermögensverschiebung (Soll-Zustand) gegenüberzustellen. Vergliche man auf diese Weise die Situation eines internen Vorsteuerüberhangs der Organgesellschaft, erhielte der Organträger durch die Organschaft die Vorsteuererstattung, die ansonsten der Organgesellschaft zufließen würde. Bei einer internen Umsatzsteuerzahllast würde die Organgesellschaft durch die Organschaft von ihrer hypothetischen Umsatzsteuerverbindlichkeit befreit, da nicht sie selbst, sondern der Organträger die Umsatzsteuer abzuführen hat. In diesem Fall käme man allerdings auch ohne Hypothese aus, wenn man auf die Befreiung von der Verbindlichkeit aus § 73 AO abstellt.

73 Die Vermögensvorteile würden ohne (materiell-)rechtlichen Grund erlangt. Innerhalb der zur gewerbesteuerlichen Organschaft geführten Debatte hatte der BFH sich zwar für das Vorliegen eines Rechtsgrundes ausgesprochen, da die Vermögensverschiebung durch die Organschaft nicht nur „formelle Rechtswirkung“ habe, sondern „als materiell gerechtfertigt gewollt“ sei.186) Die Erwägungen, die ohnehin sehr deutliche Kritik erfahren haben,187) sind aber auf die umsatzsteuerliche Organschaft nicht übertragbar,188) da diese wie gesagt gerade nur eine formelle Vereinfachung bezweckt,189) die materiell keine bleibenden Vermögensverschiebungen zur Folge haben soll.190) Dieser fehlende Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Umsatzsteuerbeträge bzw. Vorsteuererstattung zwischen den am Organkreis Beteiligten darf nicht mit dem Verhältnis der jeweiligen Rechtsträger zu Dritten verwechselt werden: ___________ 184) OLG Hamburg, Urt. v. 24.3.2011 – 11 U 92/08, BeckRS 2013, 03338. Vgl. zum bereicherungsrechtlichen Ausgleich bei der alten gewerbesteuerlichen Organschaft Hüttemann, ZHR 171 (2007), 451, 460 ff. m. w. N.; Simon, DStR 2000, 431; ders., ZGR 2007, 71, 104 f.; Pyszka, GmbHR 1999, 646, 648 m. w. N.; Witt, Konzernbesteuerung, 2006, S. 385 ff. Ohne nähere Untersuchung auch schon Brezing, Verrechnungsentgelte und Umlagen, 1975, S. 74; zweifelnd Fröschl, HFR 2002, 1117, 1120. 185) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Ls. 186) BFH, Beschl. v. 21.12.2004 – I R 107/03, BFHE 208, 288 = BStBl. II 2005, 490 = DStR 2005, 592, 593. 187) Vgl. Hüttemann, ZHR 171 (2007), 451, 461 ff. m. w. N. 188) A. A. Pyszka/Hahn, GmbHR 2010, 689, 691. 189) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Ls.; a. A. Menkel, NZG 2014, 52, 56. 190) Siehe ausdrücklich BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 17.

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F. Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft

Dass die Organgesellschaft bei der Umsatzsteuervereinnahmung gegenüber ihrem Abnehmer ebenso einen Rechtsgrund für den Erhalt der Umsatzsteuer hat wie der Organträger gegenüber dem Finanzamt für die Vorsteuererstattung, steht außer Frage. Daher würde auch nicht in diesen Außenverhältnissen, sondern lediglich im Innenverhältnis zwischen den Beteiligten ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich erfolgen. Denkbar wäre auch ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag.191) Hierfür 74 müsste die Steuerabführung durch den Organträger als Geschäft der Organgesellschaft angesehen werden, sodass der Differenzbetrag als Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) verlangt werden könnte. Im Falle der Erstattung eines Vorsteuerüberhangs ergäbe sich ein Anspruch auf Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erlangten (§ 667 BGB). Problematisch ist, dass wegen der Steuerschuldnerschaft des Organträgers die Abführung der Steuer bzw. wegen der Gläubigerschaft der Erhalt der Vorsteuererstattung kaum ein fremdes Geschäft sein dürfte.192) Auch hier müsste man sich mit einer hypothetischen Betrachtung behelfen: Ohne die Organschaft wären die Abführung der Umsatzsteuer und der Erhalt der Vorsteuererstattung Geschäfte der Organgesellschaft selbst. Zuletzt käme für den Fall einer Organgesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesell- 75 schaft auch ein Anspruch aus § 311 AktG in Betracht, wenn man die fehlende eigene Vorsteuerabzugsmöglichkeit als Nachteil im Sinne der Norm einordnet, den der Organträger der Organgesellschaft zufügt. Die Subsumtion gelingt im Detail allerdings nicht ganz reibungslos.193) Zudem liefert eine konzernrechtliche Herleitung keine gemeingültige Lösung. Die Überlegungen illustrieren den Grundkonflikt, der im Bereich der Organschaft 76 aus der Unvereinbarkeit von steuerrechtlicher Zurechnung und zivilrechtlicher Eigenständigkeit erwächst. Für die weitere Untersuchung soll grundsätzlich die Ansicht der Rechtsprechung zugrunde gelegt werden. In den allermeisten Fällen ist die Wahl der Anspruchsgrundlage für den Ausgleich ohnehin nicht entscheidend, zumal auch eine parallele Anwendbarkeit von Ansprüchen aus Bereicherungsrecht oder Geschäftsführung ohne Auftrag und dem Anspruch aus § 426 BGB möglich ist.194) Gerade in der Insolvenz kommt es vor dem Hintergrund von § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO allerdings auf die Natur des Anspruchs an, weshalb an entsprechender Stelle auf dieses Problem zurückzukommen ist.195) ___________ 191) Schon Brezing, Verrechnungsentgelte und Umlagen, 1975, S. 74; eingehend Menkel, NZG 2014, 52, 55; Witt, Konzernbesteuerung, 2006, S. 385 ff. 192) Menkel, NZG 2014, 52, 54; Pyszka/Hahn, GmbHR 2010, 689, 691. Für die frühere gewerbesteuerliche Organschaft Wündisch, DB 1970, 410, 411; wohl auch Klussmann, DB 1971, 349, 350. 193) Insbesondere könnte man einen sog. „passiven Konzerneffekt“ annehmen, vgl. dazu MünchKomm-AktG/Altmeppen, 5. Aufl. 2020, § 311 Rn. 479. 194) Vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 24/09, NJW-RR 2010, 831, 832. 195) Vgl. insbesondere Rn. 230 für den Anspruch des Organträgers und Rn. 475 ff für den Anspruch der Organgesellschaft.

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Teil 1: Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft

G. Abgrenzung: Ertragsteuerliche Organschaft 77 Die Organschaft ist ein nicht nur im Bereich der Umsatzsteuer anerkanntes Rechtsinstitut des Steuerrechts. Neben der umsatzsteuerlichen Organschaft existieren die körperschaftsteuerliche sowie die gewerbesteuerliche Organschaft, die sich nicht nur in Voraussetzungen und Rechtsfolgen von ihrem umsatzsteuerlichen Schwesterinstitut unterscheiden, sondern auch auf unterschiedlichen Grundgedanken basieren und daher von der umsatzsteuerlichen Organschaft streng zu trennen sind.196)

78 Die gewerbesteuerliche Organschaft setzte bis zur Reform Anfang 2002 eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung voraus und ähnelte damit zumindest in den Voraussetzungen stark der umsatzsteuerlichen Organschaft. Bis zum Jahr 2000 erforderte auch die körperschaftsteuerliche Organschaft die drei Eingliederungsmerkmale,197) zusätzlich aber einen Gewinnabführungsvertrag.198) Die Regelungsanliegen der Organschaftsformen sind dagegen schon damals ganz unterschiedliche gewesen: Bei der gewerbesteuerlichen Organschaft stand der Schutz der Gemeinden als Steuergläubiger vor willkürlichen Steuerverlagerungen im Vordergrund.199) Die körperschaftsteuerliche Organschaft soll seit jeher eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaften zum Organträger unabhängig von der zivilrechtlichen Selbständigkeit bewirken, um letztlich einen Verlustausgleich im Konzern zu ermöglichen.200) Sie berücksichtigt damit die konzernrechtliche Verbundenheit in steuerlicher Hinsicht.

79 Die gewerbesteuerliche Organschaft ist seit dem Jahr 2002 an die körperschaftsteuerliche Organschaft angeglichen, indem der für die gewerbesteuerliche Organschaft maßgebliche § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG auf die Regelung der körperschaftsteuerlichen Organschaft in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG verweist. Entsprechend hat sich der Begriff der ertragsteuerlichen Organschaft etabliert.201) Die Zusammenfassung beider Organschaftsformen gründet in der Annäherung des Belastungsgrundes von Körperschaftund Gewerbesteuer; letztere ist „faktisch zu einer zusätzlichen kommunalen Körper___________ 196) Prinz/Witt/Prinz, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 1.2: „steuerartenspezifische Zersplitterung“; vgl. auch Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 127 ff. 197) Im Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 wurden die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung als Voraussetzung aufgegeben, vgl. BGBl. I 2000, S. 1433. 198) Schon vor ihrer Kodifizierung durch das Gesetz zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969, S. 1182) hatte die Rechtsprechung einen Ergebnisabführungsvertrag als Kernbestandteil der körperschaftsteuerlichen Organschaft gesehen. 199) Vgl. Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 129. 200) Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 98.18; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813; Gosch/Neumann, KStG, 4. Aufl. 2020, § 14 Rn. 1 ff. 201) Vgl. nur Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 129.

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H. Zusammenfassung

schaftsteuer degeneriert“202). Gemeinsame Voraussetzung ist nunmehr einerseits die finanzielle Eingliederung, nicht mehr dagegen die wirtschaftliche oder organisatorische Eingliederung, und andererseits der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG auf mindestens fünf Jahre. Die finanzielle Eingliederung ist grundsätzlich ebenso wie bei der umsatzsteuerlichen Organschaft zu verstehen und erfordert grundsätzlich Stimmenmehrheit.203) Von völlig anderer Qualität ist dagegen das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG. Dieser führt zur bilanziellen Zurechnung aller Gewinne der Organgesellschaft zum Organträger, zieht aber gem. § 302 AktG gleichzeitig eine verschuldensunabhängige Verlustübernahmepflicht und gem. §§ 304, 305 AktG einen Ausgleichsmechanismus für die den Aktionären entgehenden Gewinne nach sich. In der ertragsteuerlichen Organschaft verliert die Organgesellschaft damit praktisch ihre gesamte finanzielle Selbständigkeit.

H. Zusammenfassung Der Überblick über Entwicklung, Zweck, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der 80 umsatzsteuerlichen Organschaft zeigt für die nachfolgenden Ausführungen wesentliche Aspekte auf. Die Organschaft sorgt dafür, dass juristische Personen, die wirtschaftlich wie eine Betriebsabteilung des Organträgers ohne eigene unternehmerische Entscheidungsgewalt erscheinen, umsatzsteuerlich auch als solche behandelt und daher nicht eigenständig besteuert werden. Die Wurzeln der Organschaft reichen zurück in das frühere Allphasen-Bruttoumsatzsteuersystem, in dem die Nichtsteuerbarkeit von Umsätzen innerhalb der Organschaft einen Wettbewerbsnachteil von einstufigen Unternehmen gegenüber mehrstufigen Unternehmen ausglich und damit Anreize zu Fusionen innerhalb der Produktionskette beseitigte. Im heutigen Nettoumsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzug erschöpft sich der Zweck mit Ausnahme weniger Branchen in einer (vermeintlichen) Vereinfachung der Umsatzsteuererhebung. Die Zurechnung der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft zum Unternehmen des 81 Organträgers erfordert gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG deren finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung, die letztlich die Unterordnung der Organgesellschaft unter den Willen des Organträgers belegt. Sind die Voraussetzungen erfüllt, treten die Wirkungen der Organschaft, insbesondere die einheitliche Abrechnung der Umsatzsteuer beim Organträger sowie die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen, kraft Gesetzes ein. Gleichzeitig zieht die Organschaft einen zivilrechtlichen Innenausgleich nach sich, der nach allgemeiner Ansicht aus §§ 426, 430 BGB hergeleitet wird. ___________ 202) Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 132; Witt, Die Konzernbesteuerung, 2006, S. 46; Rädler, StbJb 1992/93, 31, 59. 203) Statt aller Gosch/Neumann, KStG, 4. Aufl. 2020, § 14 Rn. 127; Müller/Detmering/Lieber/Müller, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 75, 78.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise Die umsatzsteuerliche Organschaft endet nach der gesetzlichen Konzeption in dem 82 Zeitpunkt, in dem eines der Eingliederungsmerkmale fortfällt. Im Ausgangspunkt hängt die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz daher davon ab, wie sich die unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Mechanismen auf die Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers auswirken. Doch auch abstrakt steht die Zusammenfassung mehrerer Rechtsträger zu einer organschaftlichen Unternehmenseinheit augenscheinlich mit der Betonung der (Vermögens-)Trennung der Rechtsträger im Insolvenzverfahren im Konflikt, weshalb die Begründung der Beendigung der Organschaft in Insolvenz und Krise sich vom Vorliegen der Eingliederungsmerkmale zuletzt teilweise abstrahiert hat. Bei der Untersuchung muss zunächst zwischen der Insolvenz der Organgesellschaft 83 und der Insolvenz des Organträgers getrennt werden, da die jeweiligen organschaftlichen Anforderungen an beide Parteien sich fundamental unterscheiden. Gesondert wird auf den Fall der gleichzeitigen Insolvenz beider Gesellschaften (Doppel-/ Simultaninsolvenz) eingegangen. Innerhalb dieser Aufteilung wird einem antichronologischen Prüfungsgang vom eröffneten Verfahren über das Eröffnungsverfahren bis hin zur Krise gefolgt. Diese Methode ermöglicht es, Erkenntnisse aus den in Literatur und Rechtsprechung bereits stärker diskutierten Bereichen als Basis für Gedanken zu den weniger erforschten früheren Stadien fruchtbar zu machen.

A. Insolvenz der Organgesellschaft Die Auswirkungen der Insolvenz der Organgesellschaft auf den Fortbestand der 84 Organschaft stehen seit jeher stärker im Fokus als diejenigen der Insolvenz des Organträgers. Während sich für einige Fälle wie das eröffnete Regelverfahren oder die Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters eine allgemeine Ansicht festigen konnte, sind in anderen Konstellationen insbesondere durch Rechtsprechungsänderungen Diskussionen wieder entfacht worden oder völlig neu entstanden, wie bei der Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Verwalters oder in der (vorläufigen) Eigenverwaltung. Der Zeitraum der Krise hat bislang fast gar keine Beachtung gefunden.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

I.

Eröffnetes Insolvenzverfahren

85 Ein eröffnetes Insolvenzverfahren kann als Regelinsolvenzverfahren unter Einsetzung eines Insolvenzverwalters oder aber in der besonderen, modifizierten Form der Eigenverwaltung geführt werden.204)

1.

Regelverfahren

86 Die Eröffnung des Regelverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft hat unterschiedliche einschneidende Rechtsfolgen. Herausgehoben sei an dieser Stelle, dass mit Verfahrenseröffnung die Masse beschlagnahmt wird (§ 148 Abs. 1 InsO) und das Recht der Organgesellschaft, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO).205) Von zentraler Bedeutung ist ferner, dass Insolvenzgläubiger ihre Ansprüche nur noch nach Maßgabe des Insolvenzrechts vollstrecken können (§ 87 InsO). Ihre Forderungen sind demnach zur Insolvenztabelle anzumelden (§ 174 InsO) und werden schlussendlich quotal befriedigt, im Durchschnitt mit ca. 6 % des Nominalwertes.206) Volle Befriedigung erhalten vorbehaltlich einer Unzulänglichkeit oder Armut der Masse die Massegläubiger. Diese und weitere insolvenzrechtliche Besonderheiten wecken Zweifel an einem Fortbestand der Organschaft.

a) Eingliederungsfähigkeit trotz Auflösung 87 Zunächst berührt allerdings die Auflösung der Organgesellschaft mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG den Fortbestand der Organschaft nicht. Die rein rechtliche Auflösung ist für die Eingliederungsfähigkeit irrelevant,207) da das Umsatzsteuerrecht sich allein an der tatsächlichen Ausführung von Umsätzen orientiert.208) ___________ 204) Zu dieser Einordnung des Eigenverwaltungsverfahrens Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 84 Rn. 2; KPB-InsO/Pape, 48. Lfg. 04/2012, § 270 Rn. 18; Beck/Depré/Beck/Lebmeier, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 44 Rn. 2; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 5. 205) Statt aller Bork/Hölzle/Bork, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 2 Rn. 23 f.; K. Schmidt-InsO/Sternal, 19. Aufl. 2016, § 80 Rn. 15; ausführlich Bork/Hölzle/Muthorst, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 7 Rn. 42 ff., 49 ff. 206) Für Insolvenzverfahren, die im Jahr 2011 eröffnet und bis Ende 2018 beendet wurden, lag die Quote bei Unternehmensinsolvenzen bei 6,1 %, insgesamt sogar nur bei 3,8 %, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1.1, 2018, Tabelle 1.1. 207) OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817; Maus, GmbHR 2005, 859, 861; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 257; Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1817 (Anm.). Anders offenbar Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1382, der aber in Rn. 1541 die Beendigung der Organschaft bei einer Abweisung des Antrags mangels Masse ablehnt, obwohl die Gesellschaft auch dort aufgelöst wird, § 60 Abs. 1 Nr. 5 bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG. 208) Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1541; Bork/Hölzle/Mohlitz, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 23 Rn. 89; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 203; Stahlschmidt, ZInsO 2003, 58, 60.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

b) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Zentrale Rechtsfolge der Verfahrenseröffnung ist gem. § 80 Abs. 1 InsO der Übergang 88 der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter. Die Organgesellschaft und damit ihre Geschäftsleitung209) verlieren spiegelbildlich die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das zur Masse der Organgesellschaft gehörende Vermögen.

aa) Organisatorische Eingliederung Nach allgemeiner, zustimmungswürdiger Ansicht wird hierdurch die organisatorische 89 Eingliederung beseitigt.210) Bereits unter Geltung der Konkursordnung entsprach dies der „nahezu einhelligen Auffassung“ in Rechtsprechung und Literatur.211) Die organisatorische Eingliederung erfordert die tatsächliche Willensdurchsetzung 90 des Organträgers in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft. Wird diese dadurch gewährleistet, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft mit derjenigen des Organträgers personenidentisch oder dieser gegenüber weisungsabhängig ist,212) entfällt gleichzeitig mit der Verwaltungs- und Verfügungsmacht der Organgesellschaft über ihr Vermögen auch die Möglichkeit des Organträgers, die Führung der Geschäfte nach seinem Willen zu gestalten. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Organträgers auf die nominelle Geschäftsleitung der Organgesellschaft mögen zwar ungebrochen sein, doch geht damit keine Beherrschung der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft mehr einher, da die Gesellschaft nicht mehr am Willen dieser früheren Geschäftsleitung ausgerichtet wird. Die faktische Führung der Geschäfte der Organgesellschaft liegt mit Eröffnung des Regelverfahrens vielmehr in der Hand des Insolvenzverwalters, dessen Willensbildung durch den Organträger gerade nicht gesteuert werden kann. ___________ 209) Mit dem Begriff „Geschäftsleitung“ sind hier und im Folgenden sowohl die Geschäftsführung einer GmbH als auch der Vorstand einer AG gemeint. 210) Vgl. nur BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 40; BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 953 f.; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2.1; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1012; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 122.2; Farr, Besteuerung in der Insolvenz, 2005, Rn. 421; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.379; J. Roth, DZWIR 2009, 274; Marchal/ Oldiges, DStR 2013, 2211; MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 418; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 162; Müller/Detmering/ Lieber/Detmering, Die Organschaft, 2018, Rn. 1527. 211) BFH, Urt. v. 13.3.1997 – V R 96/96, BFHE 182, 246 = BStBl. II 1997, 580 = DStR 1997, 1487, 1488; BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497; Schiffer, DStR 1998, 1989, 1991 mit entsprechenden Nachweisen; Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.). 212) Zum Sonderfall der organisatorischen Eingliederung über einen Beherrschungsvertrag Rn. 101 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

bb) Finanzielle Eingliederung 91 Nicht eindeutig beurteilt wird dagegen, ob der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter auch die finanzielle Eingliederung entfallen lässt. Der BFH hat die Frage aufgeworfen, aber – zumindest nach eigener Aussage – offengelassen.213) Wie unten noch eingehend erörtert wird, entschied der BFH jedoch im gleichen Urteil zur Eigenverwaltung, dass dort mit Blick auf § 276a InsO die finanzielle Eingliederung entfalle.214) Richtigerweise können indes Fremdund Eigenverwaltung nur identische Auswirkungen auf die finanzielle Eingliederung haben. Denn § 276a InsO sorgt – wie der BFH selbst feststellt – für eine Angleichung der Eigenverwaltung an die Fremdverwaltung, indem die Norm den Überwachungsorganen (insbesondere der Gesellschafterversammlung oder der Hauptversammlung) im Eigenverwaltungsverfahren die Weisungsmacht über den Schuldner nimmt, den sie im Regelverfahren auf den Insolvenzverwalter naturgemäß ohnehin nicht hat (sog. Gleichstellungsgedanke).215) Dadurch gleichen sich die Eigenverwaltung und Fremdverwaltung insoweit, als in beiden Fällen die tatsächliche Führung der Geschäfte, entweder durch die Geschäftsleitung der eigenverwaltenden Gesellschaft oder durch den Insolvenzverwalter, nicht durch Beschlüsse der Überwachungsorgane gelenkt werden kann.216) Auch wenn der BFH also die Frage für das Regelverfahren ausdrücklich nicht beantwortet, so sind seine Ausführungen zur Eigenverwaltung auf das eröffnete Regelverfahren doch zu übertragen.217) Mit der Formulierung des BFH kommt auch hier Beschlüssen der Überwachungsorgane keine „Bedeutung“ zu.

___________ 213) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 32. 214) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 37. Hierzu näher unter Rn. 102. 215) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 36; Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42; MünchKomm-InsO/Klöhn, 4. Aufl. 2020, § 276a Rn. 4. Anschaulich zusammenfassend Klöhn, DB 2013, 41, 42: „Um zu ermitteln, ob eine bestimmte Einflussnahme gem. § 276a Satz 1 InsO ausgeschlossen ist, muss man also folgende einfache Testfrage stellen: ‚Wäre die konkrete Einflussnahme bei entsprechender Sachlage im Falle der Fremdverwaltung möglich?‘“. 216) Das gilt jedenfalls im sog. Verdrängungsbereich, der aus umsatzsteuerlicher Perspektive maßgeblich ist. Zur Abgrenzung zwischen Verdrängungs-, Schuldner- und Überschneidungsbereich ursprünglich Weber, KTS 1970, 73; übersichtlich Klöhn, DB 2013, 41, 42; MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 80 Rn. 112; eingehend Gottwald/Haas/Kolmann/Kurz, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 90 Rn. 347 ff.; speziell zur Eigenverwaltung Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 30. Zur Beschränkung der Wirkung des § 276a Satz 1 InsO auf den Verdrängungsbereich vgl. Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275; Klöhn, NZG 2013, 81, 84; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1495. 217) Ebenso KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 138; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.24. Dasselbe gilt für die finanzielle Eingliederung im Rahmen der ertragsteuerlichen Organschaft, vgl. Blümich/Krumm, 150. EL 11/2019, § 14 KStG Rn. 82.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Die Diskussion um den Fortfall der finanziellen Eingliederung könnte demnach auch 92 bereits für das Regelverfahren geführt werden. Der Zuordnung des BFH und der Literatur folgend wird die Behandlung dennoch im Kontext der Eigenverwaltung stattfinden (unter Rn. 126 ff.). Das dortige Ergebnis beansprucht ebenso Geltung für das Regelverfahren.

c)

Störung des Ausgleichsmechanismus

In seinem Beschluss vom 19.3.2014 begründete der BFH das Entfallen der Organ- 93 schaft mit der fehlenden Fähigkeit des Organträgers, von der Organgesellschaft die auf ihre Umsatztätigkeit entfallende Umsatzsteuer zu erlangen, da der Ausgleichsanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft eine bloße Insolvenzforderung sei.218) Die Prämisse, die mangelnde Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs erzwinge ein Ende der Organschaft, sowie die Anschlussfrage, ob es sich bei dem Anspruch tatsächlich um eine Insolvenzforderung handelt, wären zwar im Rahmen des eröffneten Regelverfahrens diskutabel. Auch diesbezüglich sei aber auf die eingehende Untersuchung im Rahmen der Eigenverwaltung verwiesen,219) da die Organschaft im Regelverfahren ohnehin aus anderen, eindeutigen Gründen endet220) und der Ansatz fast ausschließlich bei der Eigenverwaltung diskutiert wird.

d) Wirtschaftliche Eingliederung und Verfahrenszweck Nur vereinzelt wird überlegt, ob die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über 94 das Vermögen der Organgesellschaft ihre wirtschaftliche Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers beeinträchtigt. Fasst man die eher unscharfe Definition der wirtschaftliche Eingliederung zusammen, erfordert das Merkmal einen vernünftigen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Organträger und -gesellschaft, in dessen Rahmen sich ihre Tätigkeiten fördern und ergänzen.221) Einige bezweifeln den Fortbestand der wirtschaftlichen Eingliederung mit dem Ar- 95 gument, dass die Gläubigerbefriedigung als Zweck des Insolvenzverfahrens keinen Raum für eine gleichzeitige Förderung der Ziele des Organträgers lasse.222) Nicht recht einzuleuchten vermögen vor diesem Hintergrund die weiteren Ausführungen von Maus, der in der Eigenverwaltung – der damals herrschenden Auffassung ent___________ 218) 219) 220) 221) 222)

BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 33 ff. Siehe unten Rn. 172 ff. Siehe oben Rn. 89 f. Siehe ausführlich oben Rn. 38 ff. Maus, GmbHR 2005, 859, 862; dem folgend Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213 und J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276, jeweils zur vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwaltung. Die Überlegungen müssen dann aber erst recht im eröffneten Verfahren gelten. Rein feststellend Müller/ Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1527.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

sprechend – die Organschaft grundsätzlich fortbestehen lassen will.223) Da das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung genauso wie das Regelverfahren die Gläubigerbefriedigung bezweckt, dürfte die Organgesellschaft nach seiner Ansicht auch hier nicht mehr wirtschaftlich eingegliedert sein. Die Verfahrensart (Fremd- oder Eigenverwaltung) kann insofern jedenfalls keine Rolle spielen.

96 Allerdings ist insgesamt nicht anzunehmen, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft die wirtschaftliche Eingliederung zwingend beendet.224) Die Gegenansicht verkürzt die – in der Tat sehr weit gezogenen – Grenzen des Merkmals in zweierlei Hinsicht:225) Zum einen übersieht sie, dass nicht nur die Förderung des Organträgers durch die Organgesellschaft, sondern auch umgekehrt die Förderung der Organgesellschaft durch den Organträger die wirtschaftliche Eingliederung begründen kann.226) Zum anderen bedarf es nicht notwendigerweise einer direkten Förderung des Unternehmens, sondern lediglich wirtschaftlicher Zusammenhänge und Verflechtungen. Eine dienende Funktion im Sinne einer wirtschaftlichen Abhängigkeit ist gerade nicht erforderlich.227) Es genügen sogar mehr als nur unerhebliche Beziehungen zwischen den Beteiligten.228) So hat der BFH die wirtschaftliche Eingliederung mehrfach auf die Vermietung des Betriebsgrundstücks durch den Organträger an die Organgesellschaft gestützt.229) Die Verfahrenseröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft führt aber beispielsweise nicht zur Beendigung eines solchen Mietverhältnisses, die Kündigung ist im Gegenteil nach § 112 InsO erschwert.

___________ 223) Maus, GmbHR 2005, 859, 862. 224) Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.26; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 269 f.; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 162. Ferner Keul, Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 42 f. zur vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwaltung. Die Auffassung dürfte auf das eröffnete Verfahren übertragbar sein. Vgl. auch FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2337 f. 225) Schnarrenberger, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2014, S. 212 f.; Trinks, UVR 2010, 12, 16. 226) BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399; BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, BeckRS 2007, 25012940; Buttgereit/ Schulte, UR 2011, 605, 607 m. w. N.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 882; Keul, Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 43. 227) BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, BFHE 111, 79 = BStBl. II 2004, 434 = DStR 2003, 1166, 1167; BFH, Beschl. v. 20.9.2006 – V B 138/05, BFH/NV 2007, 281; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 37. 228) BFH, Urt. v. 18.6.2009 – V R 4/08, BFHE 226, 382 = BStBl. II 2010, 310 = DStRE 2009, 1389 Ls. 2; BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BFHE 226, 465 = BStBl. II 2010, 863 = DStRE 2009, 1395, 1399; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 21; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 37. 229) BFH, Urt. v. 9.9.1993 – V R 124/89, BFHE 172, 541 = BStBl. II 1994, 129 = DStR 1994, 203; BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; BFH, Urt. v. 6.5.2010 – V R 26/09, DStR 2010, 2079 Rn. 29 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Wenn man in diesem Zusammenhang berücksichtigt, dass der BFH teilweise darauf 97 abgestellt hat, dass sich aus der Möglichkeit der Kündigung des Mietverhältnisses ein beherrschender Einfluss ergebe,230) so könnte man zwar aufgrund der schwierigeren Kündigungsmöglichkeit in der Insolvenz (§ 112 InsO) in den Fällen der wirtschaftlichen Eingliederung über die Vermietung des Betriebsgrundstücks einen Wegfall der wirtschaftlichen Eingliederung erwägen. Allerdings schließt § 112 InsO die Kündigung einerseits nicht gänzlich aus, andererseits stehen die Entscheidungen, die für die wirtschaftliche Eingliederung eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung verlangen, in der Kritik, da nicht das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung, sondern die organisatorische Eingliederung die Beherrschung der Geschäftsführung sicherstelle.231) Entsprechend verlangt auch der BFH in aller Regel für die wirtschaftliche Eingliederung keine Beherrschungsmöglichkeit, sondern lässt unter Hinweis darauf, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit gerade nicht erforderlich sei, die gegenseitige Förderung und Verflechtung der Unternehmen ausreichen.232) Die so verstandene wirtschaftliche Eingliederung wird von der Eröffnung des Insol- 98 venzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft grundsätzlich nicht berührt. Diese Meinung teilt der BFH offenbar, der zwar ausdrücklich offenlässt, ob die finanzielle und/oder die organisatorische Eingliederung entfällt, die wirtschaftliche Eingliederung dagegen nicht in Zweifel zieht.233) Der grundsätzliche Fortbestand der wirtschaftlichen Eingliederung trotz Insolvenz ist letztlich auch Ausdruck der Tatsache, dass der BFH für die wirtschaftliche Eingliederung keine Über-/Unterordnung verlangt, sondern auch gleichgeordnete Strukturen akzeptiert,234) die durch die Insolvenz nicht im gleichen Maße beeinträchtigt werden.

___________ 230) BFH, Urt. v. 9.9.1993 – V R 124/89, BFHE 172, 541 = BStBl. II 1994, 129 = DStR 1994, 203; BFH, Urt. v. 25.1.1968 – V 25/65, BFHE 92, 46 = BStBl. II 1968, 421 = BeckRS 1968, 21003587; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 21. Dagegen nennt BFH, Urt. v. 6.5.2010 – V R 26/09, BFHE 230, 256 = BStBl. II 2010, 1114 = DStR 2010, 2079 Rn. 28 f. die Voraussetzung nicht. 231) Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1202; Buttgereit/Schulte, UR 2011, 605, 608; Behrens/ Wagner, BB 2009, 2522, 2524 (Anm.); Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 888; de Weerth, DStR 2010, 590. 232) BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, BFHE 111, 79 = BStBl. II 2003, 434 = DStR 2003, 1166 Ls.; BFH, Beschl. v. 30.10.2003 – V B 158/03, V S 16/03, BFH/NV 2004, 236 = BeckRS 2003, 25002732 Ls.; BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BFHE 223, 498 = BStBl. II 2009, 256 = DStRE 2009, 29, 31; BFH, Urt. v. 25.6.1998 – V R 76/97, BFH/NV 1998, 153. 233) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 32. 234) Vgl. hierzu Slapio, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 439, 450.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

99 Lediglich in dem besonderen Fall, dass der Insolvenzverwalter die werbende Tätigkeit einstellt, endet die wirtschaftliche Eingliederung, weil eine gegenseitige wirtschaftliche Förderung dann nicht mehr denkbar ist.235)

e)

Keine insolvenzzweckwidrige Gläubigerbegünstigung durch die Organschaft

100 In der Literatur wird vereinzelt eingewendet, dass der Fortbestand der Organschaft im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft gegen die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung verstieße, da der Fiskus eine außerinsolvenzliche Regressmöglichkeit für die Umsatzsteuerschulden der insolventen Organgesellschaft erhalte.236) Hierbei handelt es sich eher um eine grundsätzliche Kritik an dem Effekt der Haftungsvermehrung durch die Organschaft und damit an der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Rechtsfigur. Erkennt man die Existenz der umsatzsteuerlichen Organschaft mit der Folge der Schuldnerschaft des Organträgers an, muss es auch im Falle der Insolvenz akzeptiert werden, dass der Fiskus dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Organträgers erhält. Die Bevorrechtigung eines Gläubigers durch eine vorrangige Befriedigungsmöglichkeit gegen einen Dritten ist insolvenzrechtlich auch nicht grundsätzlich bedenklich oder ungewöhnlich, sondern entspricht dem Wesen der persönlichen Kreditsicherheiten. Sofern die Organschaft grundsätzlich anerkannt wird, begründet die Folge der durch die Organschaft begründeten Gesamtschuldnerschaft also keine Ungleichbehandlung der Gläubiger. Das gilt für alle Verfahrensstadien gleichermaßen.

f)

Sonderfall: Eingliederung über Beherrschungsvertrag

101 Die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft kann neben den häufigen Fällen der personellen Verflechtungen insbesondere über einen Beherrschungsvertrag mit dem Organträger erreicht werden.237) Ein solcher Beherrschungsvertrag kann in der Insolvenz der Tochter zweifellos keine Herrschaft der Mutter über den Insolvenzverwalter der Tochter begründen, da dieser gerade frei von Weisungen der Gesellschafter bleiben muss. Ein bestehender Beherrschungsvertrag müsste in der Insolvenz der Tochter daher entweder enden oder könnte zumindest keine Wirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter entfalten. Daher entfiele die organisatorische Eingliederung, sofern sie über einen Beherrschungsvertrag vermittelt wurde.

102 Faktisch ist allerdings bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages gar keine alleinige Insolvenz der Tochtergesellschaft denkbar, da das Mutterunternehmen die Insolvenz ___________ 235) Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 269 f.; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.26. 236) So J. Roth, DZWIR 2009, 274, 277 für das vorläufige Insolvenzverfahren; vgl. ferner Rau/ Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 923. 237) Siehe oben Rn. 46.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

aufgrund der Verlustausgleichspflicht aus § 302 AktG abwenden muss.238) Bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages ist in der Praxis also lediglich eine Insolvenz des Organträgers oder eine Doppelinsolvenz denkbar.

g) Zwischenergebnis Die Beendigung der Organschaft im eröffneten Regelverfahren über das Vermögen 103 der Organgesellschaft ist im Ergebnis unstreitig. Jedenfalls entfällt die organisatorische Eingliederung, weil die Organgesellschaft nach dem unabhängigen Willen des verwaltungs- und verfügungsbefugten Insolvenzverwalters geführt wird, nicht mehr nach dem Willen des Organträgers. Die neuere Rechtsprechung des BFH müsste daneben konsequenterweise auch die finanzielle Eingliederung verneinen. Inwieweit dem zu folgen ist, wird ebenso wie die Auswirkungen einer etwaigen Störung des organschaftlichen Ausgleichsmechanismus im folgenden Abschnitt zur Eigenverwaltung erörtert. Die wirtschaftliche Eingliederung bleibt wegen ihrer geringen Anforderungen grundsätzlich von der Eröffnung des Regelverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft unberührt.

2.

Eigenverwaltung

Bereits seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.1999 sieht die Insolvenzordnung in den 104 §§ 270 ff. InsO die Möglichkeit vor, das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchzuführen. Die zentrale Besonderheit des Eigenverwaltungsverfahrens im Gegensatz zum Regelverfahren besteht darin, dass der Schuldner selbst berechtigt ist, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO). Hierdurch soll die Expertise der Geschäftsleitung nutzbar bleiben, die Einarbeitungszeit eines Fremdverwalters vermieden werden und es sollen insgesamt weniger Kosten anfallen.239) Gleichwohl ist sich der Gesetzgeber der Brisanz der Tatsache bewusst gewesen, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis damit gerade derjenigen Person oder denjenigen Personen belassen (oder besser: übertragen) wird, unter deren Führung die Insolvenz erst eingetreten ist.240) Daher wird ein Sachwalter eingesetzt, der den Schuldner gem. § 274 Abs. 2 InsO beaufsichtigt. Zudem sind Beschränkungen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners gem. §§ 274, 275, 277 InsO möglich.

___________ 238) Ausführlich Berthold, Unternehmensverträge in der Insolvenz, S. 36 ff.; MünchKomm-AktG/ Altmeppen, 5. Aufl. 2020, § 297 Rn. 117 ff.; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 297 Rn. 22a; Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 297 Rn. 52b; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2018, Anh zu § 13 Rn. 1044. 239) BT-Drucks. 12/2443 S. 222 f. 240) Anschaulich Bork, InsR, 9. Aufl. 2019, Rn. 466: „[Es] spricht normalerweise wenig dafür, […] den Bock zum Gärtner zu machen“; sehr deutlich auch Förster, ZInsO 1999, 153.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

105 In der Praxis wurde die Eigenverwaltung zunächst zurückhaltend angeordnet, die wenigen Fälle betrafen meist Großinsolvenzen.241) Durch das ESUG242) wurde die Eigenverwaltung attraktiver gestaltet und hat an Bedeutung gewonnen.243) Nach dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 18.9.2020 und dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 9.11.2020 hat der Bundestag innerhalb kürzester Zeit das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) verabschiedet, das zum 1.1.2021 in Kraft getreten ist. Ziel der Reform ist neben der Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmens im neu geschaffenen StaRUG unter anderem, die Ergebnisse der Evaluation des ESUG legislativ zu berücksichtigen.244) Im Zuge dessen wurde vor allem das Eigenverwaltungsverfahren nachjustiert und weiter ausgestaltet, blieb im Kern aber unverändert. Etwaige Auswirkungen der Änderungen des Insolvenzrechts auf die umsatzsteuerliche Organschaft werden an entsprechender Stelle berücksichtigt.

106 Mangels Einsetzung eines Insolvenzverwalters fehlt – außer im besonderen Fall der Einsetzung eines sog. Chief Restructuring Officer –245) in der Eigenverwaltung der Umstand, an den der Fortfall der Organschaft im Regelverfahren maßgeblich angeknüpft wird. Während aus diesem Grund insbesondere in der älteren Literatur vielfach ein Fortbestand der Organschaft angenommen wurde, wird in jüngerer Zeit unter Berufung auf unterschiedliche, im Einzelnen hoch umstrittene Gründe vermehrt die Beendigung der Organschaft befürwortet. Der Streit bezieht sich dabei vor allem auf die Merkmale der finanziellen und organisatorischen Eingliederung. Die wirtschaftliche Eingliederung ist dagegen wie im Regelverfahren zu beurteilen, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.246) Im Folgenden werden überblicksartig die unterschiedlichen Ansichten zum Bestand der Organschaft im Eigenverwaltungsverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft dargestellt, bevor detailliert auf die einzelnen Ansätze eingegangen wird.

___________ 241) K. Schmidt-InsO/Undritz, 19. Aufl. 2016, Vor §§ 270 – 285 Rn. 5; Kranzusch, ZInsO 2016, 1077. 242) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, S. 2582. 243) MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 270 – 285 Rn. 20 ff., 25; Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1670. Zwar wurden im Jahr 2019 nur 1,61 % der Unternehmensinsolvenzen in Eigenverwaltung geführt (2018: 1,22 %; 2017: 1,23 %), dafür betrug der Anteil der voraussichtlichen Forderungen 19,35 % (2018: 10,92 %; 2017: 35,69 %), vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Dez. und Jahr 2019, Tabelle 10. Die hohe Volatilität illustriert deutlich den Einfluss weniger Großverfahren auf die Gesamtstatistik. Detaillierte Informationen bei HK-InsO/ Brünkmans, 10. Aufl. 2020, Vor §§ 270 ff Rn. 29; vgl. auch Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57. 244) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1. 245) Siehe dazu unten Rn. 236. 246) Siehe Rn. 94 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

a) Überblick über den Meinungsstand aa) Allgemeine Ansicht bis BFH V R 14/16 – Fortbestand der Organschaft Bis zum Beschluss des BFH vom 19.3.2014247) und der Hauptsacheentscheidung vom 107 15.12.2016248) ging man in der Literatur allgemein davon aus, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft in Eigenverwaltung habe grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Fortbestand der Organschaft.249) Grundlegend für diese Ansicht war offenbar eine entsprechende Verfügung der OFD Hannover vom 6.8.2007, nach der die Eigenverwaltung nichts an der Eingliederung ändere, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO beim Schuldner verbleibe.250) Eine entscheidende Rolle spiele aber, wie weitreichend die Befugnisse seien, die dem Sachwalter der eigenverwaltenden Organgesellschaft eingeräumt werden. Erhalte er so weitreichende Befugnisse, dass der Organträger seinen Willen nicht mehr durchsetzen könne,251) entfalle die organisatorische Eingliederung. Derartige Befugnisse wurden insbesondere angenommen, wenn der Sachwalter die Kassenführungsbefugnis an sich zieht (§ 275 Abs. 2 InsO) und Rechtsgeschäfte der Organgesellschaft der Zustimmung des Sachwalters unterworfen werden (§ 277 Abs. 1 InsO).252) Anders als später der BFH teilte auch das FG Hessen als Vorinstanz im Beschluss 108 vom 6.11.2013 und im Urteil vom 15.2.2016 noch die Ansicht, dass die Eigenverwaltung der Organgesellschaft dem Bestand der Organschaft nicht schade.253) Ob sich hieran etwas ändere, wenn ein Zustimmungsvorbehalt gem. § 277 Abs. 1 InsO angeordnet wird oder der Sachwalter gem. § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführungsbefugnis an sich zieht, ließ das FG Hessen ausdrücklich offen, weil im entschiedenen ___________ 247) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793. 248) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599. 249) K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 216; Kahlert/Rühland/ Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.203; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 824; ders., GmbHR 2005, 859, 862; Walter/Stümper, GmbHR 2006, 68, 70; Zeeck, KTS 2006, 406, 416; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 511; Wäger, UR 2014, 81, 91; Meyer, EFG 2014, 607, 608 (Anm.); de Weerth, NZI 2013, 860 f. (Anm.); Beck, MwStR 2014, 359, 367. 250) OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962 unter 1.3.2. 251) Teilweise wird noch von einer „vom Willen des Organträgers abweichenden Willensbildung“ gesprochen. Diese Formulierung entstammt der Rechtsprechung des BFH vor dem Jahr 2013. Seit BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 27 ff. ist nahezu einhellig anerkannt, dass es nicht genügt, dass der Organträger eine Blockadeposition hat. Stattdessen muss er seinen Willen positiv durchsetzen können. Vgl. eingehend hierzu noch unten Rn. 246 ff. 252) OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962 unter 1.3.2.; Maus, GmbHR 2005, 859, 862. A. A. Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 511; Wäger, UR 2014, 81, 91, die selbst bei Ausübung der Kassenführungsbefugnis des Sachwalters einen Fortbestand der Organschaft befürworten. 253) FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415; FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332.

49

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Fall beides nicht geschehen war. Die Bestimmung des § 275 Abs. 1 InsO allein, nach der nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörende Verbindlichkeiten nur mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen werden sollen und zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörende Verbindlichkeiten bei einem Widerspruch des Sachwalters nicht eingegangen werden sollen, hielt das FG Hessen für unschädlich. Selbst wenn die Soll-Vorschrift beachtet werde, schränke sie die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der insolventen Organgesellschaft nicht derart schwerwiegend ein, dass ihr Wille und folglich auch der Wille des Organträgers in der laufenden Geschäftsführung nicht mehr durchgesetzt werden könne.254) Im Übrigen hindere ein Verstoß gegen die Vorschrift die wirksame Begründung von Verbindlichkeiten im Außenverhältnis nicht.

109 Auch heute wird der grundsätzliche Fortbestand der Organschaft in der Eigenverwaltung der Organgesellschaft trotz der sogleich darzustellenden neueren Rechtsprechung des BFH noch vertreten.255)

bb) Rechtsprechung des BFH – Beendigung der Organschaft 110 Der BFH hatte über die Frage des Fortbestands der Organschaft in der Eigenverwaltung erstmals im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens auf die Beschwerde gegen den genannten Beschluss des FG Hessen zu entscheiden. Der V. Senat erachtete es als ernstlich zweifelhaft, ob die umsatzsteuerliche Organschaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestehe.256) Das gelte gleichermaßen für die Insolvenzeröffnung beim Organträger und bei der Organgesellschaft sowie unabhängig davon, ob die Eigenverwaltung angeordnet worden sei.257)

111 Als Begründung für den Fortfall der Organschaft in der Organgesellschaftsinsolvenz wählte der BFH einen von der Art des Verfahrens unabhängigen, völlig anderen Ansatz als die frühere Ansicht. Die den Schuldner einschränkenden Befugnisse des Sachwalters seien irrelevant. Das Entfallen der Organschaft im eröffneten Insolvenzverfahren gründe vielmehr auf dem „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz“, womit gemeint ist, dass für Organträger und Organgesellschaft kein gemeinsames Insolvenzverfahren durchgeführt wird. Folge der getrennten Verfahren sei, dass der ___________ 254) Im vorläufigen Rechtsschutz FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415, 417 sowie wortgleich in der Hauptsache FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2336, trotz des der ersten Entscheidung widersprechenden Beschlusses des BFH vom 19.3.2014. 255) Insbesondere Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.39; Wagner/ Fuchs, BB 2017, 2202; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 137 f.; Müller/ Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1528; K. Schmidt-InsO/ Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anh. Steuerrecht Rn. 216. 256) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Ls. Dem folgend Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 163. 257) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 40.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Organträger seine Aufgabe als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ nicht mehr erfüllen könne, weil er den Ausgleichsanspruch, der ihm nach § 426 Abs. 1 BGB gegen die Organgesellschaft zustehe, in der Insolvenz nicht durchsetzen könne.258) Durchsetzbar seien im Insolvenzverfahren nur Masseverbindlichkeiten, nicht hingegen Insolvenzforderungen. Der Ausgleichsanspruch sei aber keine Masseverbindlichkeit, weil er nicht gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf der Verwaltung der Insolvenzmasse beruhe und auch sonst § 55 Abs. 1 InsO nicht einschlägig sei. Im späteren Hauptsacheverfahren blieb der BFH zwar im Ergebnis bei seiner Ansicht 112 der Beendigung der Organschaft, wählte hierfür aber wiederum eine völlig neue Begründung. Die Bestellung des Sachwalters und die Reichweite seiner Befugnisse hält der V. Senat zwar nach wie vor nicht für relevant. Er lässt aber nun den zuvor tragenden Umstand der insolvenzrechtlichen Einordnung und Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausdrücklich offen259) und stützt sich stattdessen allein auf die Wirkung des § 276a InsO.260) Da der Organträger gem. § 276a Satz 1 InsO (§ 276a Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.) keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung habe und eine Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nach § 276a Satz 2 InsO nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sei, entfalle schon die finanzielle Eingliederung der eigenverwaltenden Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers. Dem Organträger sei es zwar noch möglich, Mehrheitsbeschlüsse zu fassen, diesen komme aber wegen § 276a InsO „keine Bedeutung mehr zu“. Die Entscheidung wurde von der Finanzverwaltung und teilweise in der Literatur übernommen,261) teils aber auch kritisiert.262)

___________ 258) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34 ff. Selbiges hatte der BFH bereits zuvor im Hinblick auf das Eröffnungsverfahren vertreten, s. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30, 34. Zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 266; ders., ZInsO 2017, 914, 916 f.; Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 90 ff., der diese Argumentation überraschenderweise als „eigenen Ansatz“ betitelt. 259) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 38. 260) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 35 ff. 261) Abschnitt 2.8 Abs. 12 Satz 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; ohne eigene Auseinandersetzung mit der Frage Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1012; Sölch/Ringleb/ Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 249; Weber, NWB 2017, 2035, 2040. Mit identischer Begründung wie der BFH Hasbach, MwStR 2017, 262, 264 f.; ders., ZInsO 2017, 914, 916 f. Wohl auch zustimmend das Urteil des XI. Senats BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 41, 62. 262) Insbesondere Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202; ferner Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2155; de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.); wohl auch Onusseit, EWiR 2017, 311, 312 (Anm.).

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

cc) Literatur: Verändertes Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners 113 Schon vor den Entscheidungen des BFH hatte Kahlert – soweit ersichtlich als Erster – Zweifel am Fortbestand der Organschaft im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft geäußert.263) Kahlert stützt sich ebenfalls nicht auf die Befugnisse des Sachwalters, aber auch nicht wie der BFH auf § 276a InsO oder im engeren Sinne auf die fehlende Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs. Stattdessen basiert Kahlerts Argumentation auf den insolvenzrechtlichen Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners. Der eigenverwaltende Schuldner handele nicht mehr kraft seiner eigenen Privatautonomie, sondern als Amtswalter der Gläubiger mit bestimmten gesetzlich geregelten Rechten und Pflichten. An diesem veränderten insolvenzrechtlichen Pflichtenprogramm der insolventen Organgesellschaft „pralle gewissermaßen jegliche Beherrschung“ durch den Organträger ab.264)

114 Eine Schnittstelle mit der Begründung des BFH liegt darin, dass Kahlert die Pflicht des eigenverwaltenden Schuldners besonders hervorhebt, keine Zahlungen auf Insolvenzforderungen, namentlich auf den Ausgleichsanspruch des Organträgers, vorzunehmen.265) Auch der BFH stellt in seinem Beschluss entscheidend auf eine Störung des Zahlungsflusses zwischen Organgesellschaft und Organträger ab. Kahlert selbst sieht offenbar sogar eine völlige Parallele in den Begründungen, denn der vom BFH so betitelte „insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz“ sei das jeweilige Pflichtenprogramm, dem der eigenverwaltende Schuldner jeweils unterliege.266) Beide Ansätze nehmen aber zumindest unterschiedliche Perspektiven ein, die des Organträgers einerseits und die der Organgesellschaft andererseits.

115 Lenger/Khanian modifizieren die These des Pflichtenprogramms, indem sie sie um den Aspekt der Insolvenzzweckwidrigkeit ergänzen.267) Verfügungen, die gegen den Insolvenzzweck verstoßen, seien unwirksam. Insolvenzzweckwidrig sei insbesondere die Bevorzugung eines einfachen Insolvenzgläubigers.268) Daher sei der eigenverwaltende Schuldner nicht nur in seinen Pflichten, also seinem rechtlichen Dürfen, sondern aufgrund der Insolvenzzweckwidrigkeit sogar in seinem tatsächlichen Können daran gehindert, Insolvenzforderungen des Organträgers zu erfüllen.

___________ 263) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2350; Kahlert/Schmidt, DStR 2014, 419 (Anm.). Nach dem Beschluss Kahlert, ZIP 2014 1101, 1109; ders., MwStR 2016, 687 (Anm.). Dem folgend Sonnleitner/ Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 398. 264) So anschaulich Kahlert, MwStR 2016, 687 (Anm.). 265) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2349 f. 266) Kahlert, ZIP 2014, 1101, 1109. 267) Lenger/Khanian, NZI 2014, 385. 268) Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

b) Kritische Würdigung Aus dem Überblick über den Meinungsstand lassen sich für die Erörterung insgesamt 116 fünf Ansatzpunkte herausfiltern, an die die Beendigung der Organschaft im Eigenverwaltungsverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft angeknüpft wird: Der „insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz“, die Befugnisse des Sachwalters, die Regelung des § 276a InsO, das geänderte Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners sowie die Undurchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs des Organträgers.

aa) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz Der V. Senat des BFH fasst im Beschluss vom 19.3.2014 seine Gedanken unter dem 117 im Insolvenzrecht eher ungebräuchlichen Stichwort des „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatzes“269) zusammen und bezeichnet diesen als maßgeblich dafür, dass die Organschaft ende.270) Der XI. Senat greift den Begriff auf.271) Gemeint ist die Tatsache, dass die Insolvenzordnung kein einheitliches Konzerninsolvenzverfahren kennt, sondern für jeden Rechtsträger ein eigenes Verfahren eröffnet wird.272) In der Tat hat sich hieran auch infolge der kürzlich erfolgten Reform durch das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen273) nichts geändert, das dem Problemfeld der Konzerninsolvenz nicht mit einer Konsolidation, sondern lediglich mit einer verfahrenstechnischen Verknüpfung der nach wie vor getrennten Verfahren begegnet. Dieser vom BFH in den Fokus gerückte Umstand der Verfahrenstrennung allein steht 118 dem Fortbestand der Organschaft allerdings nicht entgegen.274) Zwar weicht die im Insolvenzverfahren vollzogene Trennung von Organträger und Organgesellschaft(en) von der umsatzsteuerrechtlichen Fiktion der Organschaft ab, die mehrere Rechtsträger zu einem Steuersubjekt zusammenfasst. Die Trennung der Vermögensmassen der

___________ 269) Treffender Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1359: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz“. 270) Vgl. insbesondere BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 28: „Der insolvenzrechtliche […] spricht gegen den Fortbestand der Organschaft bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers.“, ferner Rn. 33: „Der insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz steht auch einem Fortbestand der Organschaft bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft entgegen.“ sowie Rn. 43: „Entgegen dem Beschluss des FG ergeben sich diese Zweifel aus dem insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz, […].“ 271) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 69 ff. 272) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 25 i. V. m. 28. Vgl. dazu statt aller Uhlenbruck/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 11 Rn. 395. 273) Gesetz vom 13.4.2017, BGBl. I, S. 866. 274) Beck, MwStR 2014, 359, 366.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Rechtsträger ist aber keine Besonderheit des Insolvenzverfahrens.275) Auch außerhalb des Insolvenzrechts werden die Vermögensmassen der Rechtsträger des Organkreises als Folge der zivilrechtlichen Selbständigkeit sowohl im allgemeinen Zivilrecht als auch speziell im Gesellschafts- und Konzernrecht streng voneinander getrennt. Die Vermögenstrennung setzt gerade den elementaren Anreiz für die Konzernbildung, die ansonsten als Instrument zur Haftungssegmentierung unbrauchbar wäre.276) Die Durchführung eines jeweils eigenen Insolvenzverfahrens stellt sich vor diesem Hintergrund lediglich als prozessual konsequente Fortführung der materiell-rechtlichen Trennung der unterschiedlichen Rechtsträger dar. Die Kollision zwischen umsatzsteuerlicher Konsolidierung und zivilrechtlicher Trennung ist also nicht erst ein Konflikt zwischen Steuerrecht und Insolvenzrecht, sondern schon zwischen Steuerrecht und allgemeinem Zivil- und Gesellschaftsrecht. Selbst wenn der Gegensatz zwischen steuerlicher Einheit und zivilrechtlicher Trennung abstrakt als Ursprung vieler Probleme rund um die Organschaft identifiziert werden kann, lässt sich hieraus also für die konkrete Situation der Insolvenz nichts gewinnen.

119 In Wahrheit basiert die Argumentation des BFH auch nicht auf der Trennung der Insolvenzverfahren und Vermögensmassen selbst, sondern auf einer möglichen Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichsmechanismus wegen der fehlenden Einbringlichkeit der Ausgleichsansprüche im Insolvenzverfahren.277) Die zivilrechtliche Trennung hat nämlich in der Tat zur Folge, dass zwischen den Beteiligten des Organkreises Ausgleichsansprüche durchgesetzt werden müssen, die die Steuerlast innerhalb des Organkreises korrekt verteilen. Wenngleich sich Fragen zur Einbringlichkeit von Ansprüchen in der Insolvenz zugegebenermaßen nicht stellen würden, wenn die Vermögensmassen von vornherein zusammengelegt würden, ist die Trennung doch nur die ganz grundlegende Ursache für das Erfordernis eines Ausgleichsmechanismus überhaupt und – wie erläutert – keine insolvenzrechtliche Besonderheit. Insofern stiftet die Anknüpfung an den „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz“ aufgrund seiner allzu grundlegenden Dimension eher Verwirrung als Erkenntnis und taugt nicht dazu, das Entfallen der umsatzsteuerlichen Organschaft befriedigend zu begründen. Es ist daher positiv zu bewerten, dass der BFH den Begriff im Hauptsacheverfahren nicht mehr bemüht hat, wenngleich das vor allem daran liegen dürfte, dass er sich zumindest für das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft der völlig neuen Argumentation mit § 276a InsO bedient (sogleich unter Rn. 124 ff.).

___________ 275) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2204; Beck, MwStR 2014, 359, 366; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150. 276) Vgl. auch Beck, MwStR 2014, 359, 366. 277) Den Auswirkungen der fehlenden Einbringlichkeit der Ausgleichsansprüche wird unter Rn. 172 ff. nachgegangen.

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bb) Befugnisse des Sachwalters Nach der vor den Entscheidungen des BFH nahezu einhellig vertretenen Ansicht 120 stehen bei der Prüfung des Organschaftsfortbestands die Befugnisse des Sachwalters im Vordergrund.278) Der Organträger könne trotz Eigenverwaltung grundsätzlich noch seinen Willen in der Geschäftsführung der eigenverwaltenden Organgesellschaft durchsetzen, weil die Geschäftsführung aufgrund ihrer verbleibenden Verwaltungsund Verfügungsbefugnis noch in der Lage sei, dem Willen des Organträgers zu entsprechen. Dies sei nur dann nicht mehr der Fall, wenn der Sachwalter zu viele Befugnisse an sich ziehe. Im Ausgangspunkt ist dieser Ansatz weiterhin überzeugend und nach wie vor bei der 121 Prüfung der Beendigung der Organschaft zu berücksichtigen, doch blendet er einen wesentlichen Aspekt aus. In der Tat bildet das rechtliche und tatsächliche „Können“ der Organgesellschaft den äußeren Rahmen für die Möglichkeit der Willensdurchsetzung des Organträgers. Wenn die Geschäftsführung der Organgesellschaft den Willen des Organträgers umsetzen möchte, hierzu aber nicht fähig ist, so kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung nicht mehr durchsetzen.279) So verhält es sich etwa, wenn die Befugnisse des Sachwalters das rechtliche „Können“ der Organgesellschaft zu sehr einschränken. Dies wird zu Recht angenommen, wenn der Sachwalter die Kassenführungsbefugnis übernommen hat (§ 275 Abs. 2 InsO) oder ihm ein Zustimmungsvorbehalt nach § 277 Abs. 1 InsO für umsatzsteuerrechtlich relevante Geschäfte280) eingeräumt wurde, die dann nicht ohne Mitwirkung des Sachwalters durchgeführt werden können. Ein Zustimmungsvorbehalt könnte sich insbesondere auch auf die Erfüllung innerorganschaftlicher Ausgleichsansprüche beziehen.281) Die Situation ähnelt der bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt, bei der der BFH mittlerweile – und wie noch gezeigt wird zu Recht – ein Entfallen der organisatorischen Eingliederung bejaht.282) Hieraus folgt aber nur die Erkenntnis, dass jedenfalls in diesen Fällen der Wille des 122 Organträgers nicht mehr durchgesetzt werden kann. Soweit die Befugnisse des Sachwalters das tatsächliche „Können“ des eigenverwaltenden Schuldners einschränken, ergibt sich hieraus also nur die äußerste Grenze, ab welcher der Wille des Organträgers nicht mehr durchgesetzt werden kann. Umgekehrt – und hierin liegt der Trugschluss dieser Auffassung – lässt sich für den Fall, dass keine besonderen Be___________ 278) Siehe oben Rn. 107 ff. 279) Betroffen ist also das zweite Element der organisatorischen Eingliederung, siehe dazu die Vorüberlegung unter Rn. 50. 280) Siehe hierzu noch Rn. 165 ff. 281) Näher zur Auswirkung des Zustimmungsvorbehalts Beck, MwStR 2014, 359, 367. Zum Ausgleichsanspruch noch ausführlich unter Rn. 172 ff. 282) Siehe dazu Rn. 255 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

fugnisse des Sachwalters bestehen, die das „Können“ der Organgesellschaft einschränken, noch keine Aussage darüber treffen, ob der Wille des Organträgers wirklich umgesetzt wird. Die organisatorische Eingliederung erfordert nicht nur die theoretische Möglichkeit der Willensbefolgung, sondern die tatsächliche Umsetzung des Willens in der Organgesellschaft.283) Es wird noch eingehend erläutert werden, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft in der Eigenverwaltung gute Gründe hat, ungeachtet ihrer rechtlichen Möglichkeiten die Ausführung des Willens des Organträgers zu verweigern.284)

123 Sofern die Befugnisse des Sachwalters also das „Können“ der Organgesellschaft in einem solchen Maße beschränken, dass der Wille des Organträgers nicht mehr ausgeführt werden kann, endet die organisatorische Eingliederung jedenfalls. Ob sie ohne eine Anordnung derartiger Befugnisse bereits aus anderen Gründen entfällt, ist damit noch nicht entschieden.

cc) Auswirkungen des § 276a InsO 124 Erstmals in der Grundsatzentscheidung des BFH vom 15.12.2016 wurden die Voraussetzungen der Organschaft mit der in der Eigenverwaltung nach § 276a InsO eingeschränkten Mitwirkung der Überwachungsorgane in Verbindung gebracht.285) Die Norm wurde durch das ESUG286) im Jahr 2011 eingeführt und durch das SanInsFoG erweitert, doch bleibt die bisherige Regelung als § 276a Abs. 1 InsO erhalten. Danach haben der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe im Eigenverwaltungsverfahren einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners. Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nach Satz 2 nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt. Die Zustimmung ist nach Satz 3 zu erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Wie unter Rn. 91 f. bereits erläutert wurde, schafft die Vorschrift eine Gleichstellung zwischen den Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der genannten Organe in Fremd- und Eigenverwaltung. Die Überwachung der Geschäftsführung der eigenverwaltenden Gesellschaft wird durch Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung gewährleistet, sodass eine zusätzliche Überwachung durch die Organe der Gesell-

___________ 283) Das ist das dritte Element der organisatorischen Eingliederung, siehe Vorüberlegung unter Rn. 51. 284) Dazu noch unten Rn. 159 ff. 285) Nicht nur in der Eigenverwaltung, sondern auch im Regelverfahren sind die Mitwirkungsbefugnisse der Überwachungsorgane im Hinblick auf die tatsächliche Führung der Geschäfte beschränkt, doch bedarf es dort einer Norm wie § 276a InsO nicht, weil der Insolvenzverwalter ohnehin von derartigen Mitwirkungen frei ist. Vgl. zu der daher zwingend parallelen Betrachtung von Fremd- und Eigenverwaltung Rn. 91 f. 286) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, S. 2582.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

schaft nach Ansicht des Gesetzgebers wenig nützlich, wohl aber „hemmend und blockierend“ wirken könnte.287) Soweit in § 276a Abs. 1 InsO ein Hemmnis für den Organschaftsbestand erkannt 125 wird, wird dies größtenteils im Bereich der finanziellen Eingliederung verortet (unter (1)). Wenige sehen (auch) eine Beeinträchtigung der organisatorischen Eingliederung (unter (2)).

(1) Finanzielle Eingliederung Eine Beeinträchtigung der finanziellen Eingliederung durch § 276a Abs. 1 InsO 126 hängt einerseits von der Wirkung der Norm, andererseits von den genauen Erfordernissen des Eingliederungsmerkmals ab. Während die Wirkung des § 276a Abs. 1 InsO zumindest für die Zwecke der hiesigen Untersuchung als hinreichend geklärt angesehen werden kann, ist über die genaue Definition der einst als unumstritten geltenden288) finanziellen Eingliederung vor dem Hintergrund des § 276a InsO Streit entbrannt.

(a) Ansichten in Literatur und Rechtsprechung Unter anderem mit Verweis auf die insbesondere in jüngerer Vergangenheit mehrfach 127 verwendete Formulierung des BFH, die finanzielle Eingliederung setze eine Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft in der Weise voraus, dass er „in der Gesellschafterversammlung“ seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen kann,289) wird teilweise die Grundlage der finanziellen Eingliederung allein innerhalb der Gesellschafterversammlung290) verortet.291) Lediglich innerhalb dieses Organs müsse in rechtlich zulässiger Weise der Wille des Organträgers bei der Beschlussfassung durchsetzbar sein. Darauf, dass der Beschluss außerhalb der Gesellschafter___________ 287) BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 288) Vgl. Hummel, MwStR 2013, 294, 296. 289) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 24; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 19; nach wie vor auch BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 29. Vgl. auch Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 180; Abschnitt 2.8 Abs. 5 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 290) Auch wenn von der Gesellschafterversammlung gesprochen wird, beschränkt sich die Aussage offenbar nicht allein auf das Willensbildungsorgan der GmbH, sondern erfasst auch die Hauptversammlung bei der Aktiengesellschaft. Zu Besonderheiten der organschaftlich eingegliederten Aktiengesellschaft siehe noch Rn. 136 ff. 291) Insbesondere Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2587; dies., BB 2017, 2202, 2205; ebenso FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415, 416; FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334 unter 1. a) cc); Höink/Hudasch, DB 2014, M8, M9 (Anm.). Ohne nähere Begründung auch Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 167.

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versammlung Wirkung entfalte, also die Leitung der Geschäfte der Gesellschaft determiniert, komme es nicht an.

128 Bei dieser Auslegung der finanziellen Eingliederung hätte § 276a Abs. 1 InsO keinen Einfluss auf das Merkmal.292) Die Regelung ändert weder etwas an der Beteiligungsstruktur der Gesellschaft noch an der Stimmenmehrheit und der damit verbundenen Möglichkeit des Mehrheitsgesellschafters, seinen Willen bei der Beschlussfassung durchzusetzen, sondern lediglich etwas an der Wirkung der gefassten Beschlüsse gegenüber der Geschäftsleitung.

129 Nach der bereits erwähnten Entscheidung des BFH vom 15.12.2016 ist es dagegen sinnlos, für die finanzielle Eingliederung allein auf die Möglichkeit zur Fassung von Mehrheitsbeschlüssen innerhalb der Gesellschafterversammlung abzustellen, da die Voraussetzung dadurch zum Selbstzweck verkomme.293) Die finanzielle Eingliederung stelle sicher, „dass eine Person nur dann Organträger einer juristischen Person sein kann, wenn sie die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsrechte gegenüber den Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorganen der juristischen Person ausüben kann. Sie ist somit die Grundlage dafür, dass für den Organträger aufgrund der Gesamtheit der Eingliederungsvoraussetzungen eine Durchgriffsmöglichkeit auf die Organgesellschaft besteht, die es dem Organträger ermöglicht, die ihm nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zugeordnete Verantwortung für die Besteuerung der Umsatztätigkeit des gesamten Organkreises zu übernehmen.“294) Dem gefassten Gesellschafterbeschluss muss demnach „Bedeutung“ zukommen.295) Ganz ähnlich hatten bereits zehn Jahre zuvor Hölzle und andere Autoren darauf hingewiesen, dass es für die finanzielle Eingliederung nicht allein auf die Beteiligung, sondern auf den Einfluss ankommen müsse, der mittels der Stimmrechte auf die Organgesellschaft genommen werden könne.296) ___________ 292) FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415, 416; FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334 unter 1. a) cc); Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2587; dies., BB 2017, 2202, 2205; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.25; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 112; Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363 f.; Höink/Hudasch, DB 2014, M8, M9 (Anm.); Schnarrenberger, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2014, S. 211 f. Vgl. auch BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497 unter II. 1. zum Konkurs. 293) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 29 f. 294) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30. 295) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 37; zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 268; ders., ZInsO 2017, 914, 917; Heuermann, DStR 2017, 603 (Anm.); Weber, NWB 2017, 2035, 2042; Wäger, BFH/PR 2017, 192, 193. 296) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212 f.; zust. wohl J. Roth, DZWIR 2009, 274, 275 f.; Trinks, UVR 2010, 12, 16.

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Folgerichtig hemmt § 276a InsO nach Ansicht des BFH die finanzielle Eingliede- 130 rung.297) Zwar sei es dem Organträger auch unter Beachtung von § 276a InsO möglich, Mehrheitsbeschlüsse zu fassen, doch komme diesen wegen der Norm „keine Bedeutung“ mehr zu, da die Überwachungsorgane bei der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben als im Falle der Fremdverwaltung.298) Der Organträger habe daher keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft. Die Literatur hat die Auffassung, dass § 276a InsO die finanzielle Eingliederung 131 hemme, auch bereits für die ertragsteuerliche Organschaft übernommen.299)

(b) Stellungnahme Auch wenn die Diskussion im insolvenzrechtlichen Kontext stattfindet, betrifft sie 132 im entscheidenden Punkt keine insolvenzspezifischen Fragen, sondern das grundlegende Verständnis der finanziellen Eingliederung. Dieses muss aus ihrem Zweck, ihren Voraussetzungen und dem Zusammenspiel mit den anderen Eingliederungsmerkmalen abgeleitet werden.

(aa) Ableitungen aus der hergebrachten Definition Insbesondere Wagner/Fuchs zeigen sich von der Auslegung des BFH überrascht. 133 Seine bisherige Definition der finanziellen Eingliederung habe eine gegenteilige Ansicht vermuten lassen.300) In der Tat definierte der BFH die finanzielle Eingliederung zuletzt als Willensdurchsetzung durch Mehrheitsbeschlüsse „in der Gesellschafterversammlung“.301) An anderer Stelle formulierte er allerdings, dass der Organ-

___________ 297) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 33 ff.; dem folgend Hasbach, MwStR 2017, 262, 268. 298) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 37. Ähnlich bereits Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212 f.; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 275 f. unter VI. a) aa); Hasbach, MwStR 2017, 262, 268; ders., ZInsO 2017, 914, 917; Trinks, UVR 2010, 12, 16. 299) Blümich/Krumm, 150. EL 11/2019, § 14 KStG Rn. 82; Frotscher/Drüen/Frotscher, KStG, 150. EL 09/2019, § 14 Rn. 675; Kahlert, DStR 2014, 73. 300) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2205; ebenso Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.25. 301) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 24; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 19; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 29.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

träger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein müsse, dass er „seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen“ könne.302)

134 Hasbach stellt daher zutreffend fest, dass den Aussagen des BFH nicht eindeutig zu entnehmen war, ob für die finanzielle Eingliederung die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung ausreichen soll oder der Beschluss zusätzlich Wirkung entfalten können muss.303) Eine chronologische Betrachtung der einschlägigen Entscheidungen legt nahe, dass der BFH die Formulierung schlicht immer weiter konkretisiert hat, von der „Durchsetzung des Willens“304) über die „Durchsetzung des Willens durch Mehrheitsbeschlüsse“305) bis hin zur „Durchsetzung des Willens durch Mehrheitsbeschlüsse in der Gesellschafterversammlung“306). Dadurch verdeutlichte er immer stärker, dass es bei der finanziellen Eingliederung auf eine Willensdurchsetzung qua gesellschaftsrechtlicher Mittel ankommt, insbesondere in Abgrenzung zur organisatorischen Eingliederung. Inhaltliche Unterschiede sind den verschiedenen Formulierungen dagegen offenbar nicht zu entnehmen, denn der BFH verweist ungeachtet der unterschiedlichen Formulierungen stets auf sämtliche vorherigen Entscheidungen. Schließlich verwendet der BFH sogar im Urteil vom 15.12.2016 noch die Formulierung der Willensdurchsetzung „in der Gesellschafterversammlung“, während er gleichzeitig präzisiert, dass den Beschlüssen „Bedeutung“ nach außen zukommen müsse. Der Zusatz „in der Gesellschafterversammlung“ kann daher nur so verstanden werden, dass er nicht das Erfordernis einer Durchsetzung des Willens lediglich innerhalb der Gesellschafterversammlung beschreibt, sondern die Durchsetzung des Willens in der Organgesellschaft, wobei die Willensdurchsetzung durch Mehrheitsbeschlüsse in der Gesellschaftsversammlung vermittelt wird. Konkretisiert wird durch den Zusatz „in der Gesellschafterversammlung“ mit anderen Worten keine Modalität der Willensdurchsetzung, sondern eine Modalität des Mehrheitsbeschlusses als deren

___________ 302) BFH, Urt. v. 1.12.2010 – XI R 43/08, BFHE 232, 550 = BStBl. II 2011, 600 = DStR 2011, 623 Rn. 28; BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, BFHE 229, 433 = BStBl. II 2011, 597 = DStR 2010, 1277 Rn. 12; BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 3/08, BFHE 226, 144 = BStBl. II 2013, 873 = DStRE 2009, 1121, 1123; BFH, Urt. v. 19.5.2005 – V R 31/03, BFHE 210, 167 = BStBl. II 2005, 671 = DStRE 2005, 1086, 1088; BFH, Urt. v. 22.11.2001 – V R 50/00, DStR 2002, 214. 303) Hasbach, ZInsO 2017, 914, 917. 304) In den früheren Entscheidungen stand der Zusatz „durch Mehrheitsbeschluss“ noch in Klammern, vgl. BFH, Urt. v. 22.11.2001 – V R 50/00, DStR 2002, 214; BFH, Urt. v. 19.5.2005 – V R 31/03, BFHE 210, 167 = BStBl. II 2005, 671 = DStRE 2005, 1086, 1088. 305) BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 3/08, BFHE 226, 144 = BStBl. II 2013, 873 = DStRE 2009, 1121, 1123; BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, BFHE 229, 433 = BStBl. II 2011, 597 = DStR 2010, 1277 Rn. 12; BFH, Urt. v. 1.12.2010 – XI R 43/08, BFHE 232, 550 = BStBl. II 2011, 600 = DStR 2011, 623 Rn. 28. 306) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 24; BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 19; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 29.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Vehikel. Die Formulierung des BFH passt daher durchaus zu seiner im Urteil vom 15.12.2016 befürworteten Auslegung. Aufschlussreich ist neben der Definition der finanziellen Eingliederung auch ein 135 Blick auf die allgemein anerkannte Definition der organisatorischen Eingliederung: „Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird.“307) Hieraus ergibt sich, dass mit der finanziellen Eingliederung die Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft verbunden sein muss. Ein Zusatz, der vermuten lassen könnte, dass es lediglich um eine Beherrschung „innerhalb der Gesellschafterversammlung“ gehe, fehlt hier. Im Gegenteil legt der Satz das Verständnis nahe, dass die finanzielle Eingliederung eine echte Einflussnahme auf die Organgesellschaft ermöglicht, da nur so eine echte Beherrschungsmöglichkeit besteht. Eine solche Einflussnahme ist aber – auf dem für die finanzielle Eingliederung relevanten gesellschaftsrechtlichen Weg – nur möglich, wenn Beschlüsse für die Geschäftsleitung Wirkung entfalten.

(bb) Die Aktiengesellschaft als Organgesellschaft Dass der Streit um die Anforderungen an die finanzielle Eingliederung erst jetzt im 136 Insolvenzkontext anhand von § 276a InsO geführt wird, hängt sicher damit zusammen, dass es außerhalb der Insolvenz – soweit ersichtlich – kaum einen vergleichbaren Sachverhalt gibt, bei dem der Einfluss von gefassten Beschlüssen auf die Geschäftsführung vollständig unterbrochen wird.308) Nicht zielführend ist etwa der Vergleich mit einer stimmrechtslosen Beteiligung.309) Stimmrechtslose Beteiligungen vermitteln unstreitig keine finanzielle Eingliederung, doch hat das seinen Grund darin, dass die Durchsetzung des Willens in der Gesellschafterversammlung ein Stimmrecht erfordert. Stimmrechtslose Beteiligungen führen also bereits auf einer ersten Stufe dazu, dass schon innerhalb der Gesellschafterversammlung der eigene Wille nicht gegen Mitgesellschafter durchgesetzt werden kann. Dasselbe gilt etwa bei einem Entherrschungsvertrag.310) Dagegen betrifft die hier zu untersuchende Frage gerade eine zweite Stufe, die die Durchsetzung des Willens bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung voraussetzt und bei der es um die Wirkung des Beschlusses nach außen hin geht. ___________ 307) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, DStR 2011, 2044 Rn. 20 m. w. N.; ausführlich BFH, Urt. v. 28.10.2010 – V R 7/10, DStR 2011, 308 Rn. 22 ff.; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.64; Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2153. 308) Vgl. auch Blümich/Krumm, 150. EL 11/2019, § 14 KStG Rn. 82 zur finanziellen Eingliederung bei der ertragsteuerlichen Organschaft, nach dem dieser Punkt im Regelfall kaum einer Erwähnung wert sei. 309) So aber Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212; dem folgend Hasbach, MwStR 2017, 262, 268. 310) MünchKomm-AktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, § 17 Rn. 101.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

137 Wagner/Fuchs sehen als einen mit der durch § 276a InsO erzeugten Situation vergleichbaren Sachverhalt den Fall der organschaftlich eingegliederten Aktiengesellschaft.311) Nach § 76 Abs. 1 AktG leitet der Vorstand die Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung. Weisungen der Hauptversammlung zu Fragen der laufenden Geschäftsführung unterliegt er nicht. Die Hauptversammlung kann derartige Beschlüsse überhaupt nur dann fassen, wenn der Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG). Wagner/Fuchs schließen hieraus, dass es für die finanzielle Eingliederung nicht darauf ankommen könne, ob der in der Hauptversammlung qua Mehrheitsbeschluss festgestellte Wille des Organträgers vom Vorstand auch in die Tat umgesetzt wird. Ansonsten werde die bislang unbestrittene Tauglichkeit der Aktiengesellschaft als Organgesellschaft in Zweifel gezogen.312) Genau genommen richtet sich die Ansicht nicht nur gegen die vom BFH im Zusammenhang mit § 276a InsO getroffene Auslegung der finanziellen Eingliederung, sondern gleichzeitig gegen die in Rechtsprechung und Literatur allgemein getroffene und auch von Wagner unbestrittene Aussage, mit der finanziellen Eingliederung gehe die Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft einher.313)

138 Dass die Prüfung der Eingliederung der Aktiengesellschaft sich schwieriger gestaltet als bei der GmbH, überrascht wenig, widersprechen Willensdurchsetzung und Unterordnung – nach dem ursprünglichen Gedanken der Organschaft sollte die Organgesellschaft keinen eigenen Willen haben314) – doch diametral dem Konzept des unabhängigen Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG.315) Dass die Aktiengesellschaft trotzdem seit jeher als eingliederungsfähig anerkannt ist, kann mit Rücksicht auf die Praxis erklärt werden, in der sich feststellen läst, dass der Mehrheitsaktionär die Aktiengesellschaft trotz der gesetzlich vorgesehenen Unabhängigkeit des Vorstands durchaus in gewissen Grenzen beherrschen kann. Der Mehrheitsgesellschafter in der Aktiengesellschaft hat über die Hauptversammlung zwar anders als in der GmbH über § 37 Abs. 1 GmbHG keine unmittelbaren rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten. Dennoch kann er seinen Willen nicht nur im Falle einer aktienrechtlichen Eingliederung (§§ 319 ff. AktG) oder eines Beherrschungsvertrags (§§ 291, 308 ff. AktG) durchsetzen.316) Schon bei der Fassung des Aktiengesetzes im Jahr 1965 erkannte der Gesetzgeber das Phänomen der faktischen Beherrschung, wie auch Wagner einräumt:317) Bei einer Stimmen- oder Anteilsmehrheit gilt die Tochtergesellschaft ___________ 311) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2592; dies., BB 2017, 2202, 2205; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.25. 312) Vgl. nur den Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG: „juristische Person“. 313) Siehe bereits Rn. 135. 314) RGBl. I 1934, S. 942; BGBl. I 1951, S. 791; RFH, Urt. v. 26.1.1927 – V A 417/27, RFHE 22, 69 = RStBl. 1927, 219; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 780. 315) Vgl. auch Streck/Binnewies, DB 2001, 1578, 1579; Schütze/Winter, UR 2009, 397, 404 f. 316) So aber Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2587. 317) Vgl. Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.25.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

nach §§ 16, 17 AktG als abhängig und die Mutter als herrschendes Unternehmen.318) Nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG wird sogar vermutet, dass die Tochter unter der einheitlichen Leitung der Mutter steht. Aus der aktienrechtlichen Abhängigkeit folgt zudem die Anwendung der Regeln des faktischen Konzerns (§§ 311 ff. AktG). Diese Vorschriften basieren auf der Erkenntnis, dass ungeachtet der rechtlichen Unabhängigkeit des Vorstands die Stimmen- oder Anteilsmehrheit eines Aktionärs faktisch einen herrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ermöglicht, der sich insbesondere aus der Möglichkeit des Mehrheitsaktionärs ergibt, in der Hauptversammlung den Aufsichtsrat zu bestellen und abzuberufen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AktG), der seinerseits den Vorstand überwacht sowie bestellt und abberuft (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AktG).319) Auch in der Aktiengesellschaft erhält ein Aktionär mit Stimmenmehrheit also trotz der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Beteiligung eine gewisse faktische Beherrschungsmöglichkeit, die die Weisungsfreiheit des Vorstands partiell einschränkt.320) Wird damit der Wille desjenigen, der die Stimmenmehrheit hält, in der Regel auch bei der Aktiengesellschaft vom Vorstand umgesetzt, erlaubt dies trotz der Unabhängigkeit des Vorstands im Normalfall den Schluss auf die finanzielle Eingliederung. Doch selbst unabhängig von dieser Begründung der finanziellen Eingliederung über 139 die faktische Beherrschbarkeit widerspricht die Eingliederungsfähigkeit der Aktiengesellschaft nicht zwingend der Annahme, dass die finanzielle Eingliederung über die Willensdurchsetzung innerhalb der Hauptversammlung hinaus auch eine „Bedeutung“ der Beschlüsse erfordert, wenn man für die finanzielle Eingliederung lediglich verlangt, dass der in der Gesellschafterversammlung gebildete Mehrheitswille zumindest „nach Maßgabe des jeweiligen Organisationsrechts rechtlich durchsetzbar ist“321). Dann müsste der Organträger lediglich im Rahmen des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges über die Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung die Geschicke der Gesellschaft lenken können. Es bliebe aber schädlich, wenn er aufgrund von § 276a InsO jedwede rechtliche Steuerungsmöglichkeit über seine Position in der Hauptversammlung verlöre. ___________ 318) MünchKomm-AktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, § 17 Rn. 34. 319) Vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 76 Rn. 26; sehr deutlich im Kontext der Organschaft Streck/Binnewies, DB 2001, 1578, 1581 f., allerdings zur organisatorischen Eingliederung. 320) Ebenso Beck-HdB-AG/Franz, 3. Aufl. 2018, § 14 Konzernrecht Rn. 335. Vgl. auch FG Berlin, Urt. v. 13.5.1998 – 6 K 6294/93, EFG 1999, 82; Scholz/Nattkämper, UR 2008, 716, 718; Streck/ Binnewies, DB 2001, 1578; die auf die faktische Konzernierung allerdings die organisatorische, nicht die finanzielle Eingliederung stützen. Da die organisatorische Eingliederung aber Eingriffsmöglichkeiten über einen von der Mehrheitsbeteiligung unabhängigen, organisatorischen Weg erfordert, fügt sich der auf der Mehrheitsbeteiligung gerade unmittelbar basierende Gedanke des faktischen Konzerns besser in die finanzielle Eingliederung ein. Auch der BFH ordnet in der Revision § 17 AktG der finanziellen Eingliederung zu, vgl. BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453, 454. 321) Blümich/Krumm, 150. EL 11/2019, § 14 KStG Rn. 82.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

(cc) Abgrenzung zur organisatorischen Eingliederung 140 Die von Wagner/Fuchs befürchtete Verwischung der Grenzen von finanzieller und organisatorischer Eingliederung droht durch die Auslegung des BFH nicht.322) Alle Eingliederungsmerkmale haben die gemeinsame Aufgabe festzustellen, dass die Organgesellschaft vom Organträger beherrscht wird, dass der Organträger also Durchgriffsmöglichkeiten auf die Organgesellschaft und sie keinen eigenen Willen mehr hat,323) da nur dann die umsatzsteuerliche Verantwortung des Organträgers für den gesamten Organkreis zu rechtfertigen ist.

141 Die finanzielle Eingliederung bildet hierfür die Grundlage, indem sie die Möglichkeit der Willensdurchsetzung nach gesellschaftsrechtlichen Regeln sicherstellt. Für die finanzielle Eingliederung sind mit anderen Worten die (Stimmen-)Mehrheit und die damit zusammenhängenden Mechanismen wie Weisungsrechte, aber auch die in den §§ 311 ff. AktG adressierte faktische Macht des Mehrheitsaktionärs entscheidend. Die organisatorische Eingliederung hingegen beschäftigt sich ausdrücklich nicht mit einer gesellschaftsrechtlich vermittelten Herrschaft.324) Die aus der Stimmenmehrheit folgenden Einwirkungsmöglichkeiten, faktisch oder nach § 37 Abs. 1 GmbHG, reichen für die organisatorische Eingliederung gerade nicht aus.325) Der Organträger muss die Organgesellschaft stattdessen „durch die Art und Weise der Geschäftsführung“ beherrschen, also mittels organisatorischer Maßnahmen.326)

142 Funktional wird durch die organisatorische Eingliederung die tatsächliche Willensdurchsetzung in der gelebten Unternehmenspraxis sichergestellt, während die finanzielle Eingliederung mit ihrer gesellschaftsrechtlichen Ausrichtung die grundlegende rechtliche Einflussnahmemöglichkeit betrifft und dadurch gleichsam die Basis für die Gesamtbeherrschung legt.327) Die organisatorische Eingliederung ergänzt mit anderen Worten die finanzielle Eingliederung hin zur vollständigen Kontrolle auch ___________ 322) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2587; Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2205; ähnlich Schnarrenberger, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2014, S. 211 f. 323) Vgl. den Wortlaut des früheren UStG 1934/1951, der später durch die Eingliederungsmerkmale konkretisiert wurde, RGBl. I 1934, S. 942; BGBl. I 1951, S. 791. Zum Erfordernis der Durchgriffsmöglichkeit BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 24. 324) Siehe auch schon Rn. 41, 47. 325) Siehe oben Rn. 47 f.; Beck-HdB-AG/Franz, 3. Aufl. 2018, § 14 Konzernrecht Rn. 330; BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198 Rn. 28; BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453; BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949. 326) Vgl. nur BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 42; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 211. 327) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

auf faktischer Ebene.328) Aus diesem Grund verlangt die organisatorische Eingliederung anders als die finanzielle Eingliederung auch nicht bloß die Möglichkeit der Beherrschung, sondern die tatsächliche Ausübung der Herrschaft. Vervollständigt wird das Bild durch die wirtschaftliche Eingliederung, die die Einflussnahme des Organträgers auch qua wirtschaftlicher Verbindung unterstreicht.329) Das Merkmal der finanziellen Eingliederung behält damit entgegen Wagner/Fuchs 143 auch nach der Auslegung des BFH klar gesellschaftsrechtliche Konturen. Das gilt selbst für das schwierige Beispiel der Aktiengesellschaft, weil dort die für die finanzielle Eingliederung relevante faktische Macht der gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsbeteiligung entspringt, nicht etwaigen organisatorischen Verflechtungen.

(dd) Konkordanz von Sinn und Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung Würde für die finanzielle Eingliederung dagegen lediglich auf die Willensdurch- 144 setzung innerhalb der Gesellschafterversammlung abgestellt, könnte der Zweck des Merkmals kaum mehr in der Feststellung einer Beherrschung gesehen werden. Wagner/Fuchs sehen die Funktion des Merkmals stattdessen darin sicherzustellen, „dass Organschaftsverhältnisse nicht zwischen Gesellschaften begründet werden, deren Gesellschafter weder mittelbar noch unmittelbar gesellschaftsrechtlich miteinander verbunden sind, sondern deren Verflechtung vor allem oder ausschließlich auf rein wirtschaftlichen Gründen beruht.“330) Eine solche Sichtweise vermag aber die allgemein anerkannten Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung nicht sinnvoll zu erklären. Unbestritten erfordert diese keine bloße Anteilsmehrheit, sondern eine Stimmenmehrheit, die die Durchsetzung des Willens bei der Beschlussfassung ermöglicht. Ginge es allein um die Feststellung gesellschaftsrechtlicher Verbundenheit, müsste eine bloße Anteilsmehrheit genügen. Dasselbe gilt für den Ausschluss einer Mehrmütterorganschaft.331)

___________ 328) Vgl. bereits J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3286; Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 239, nach dem die organisatorische Eingliederung die „Fortsetzung der Möglichkeiten der finanziellen Eingliederung“ darstellt, „jedoch auf einer anderen Ebene im Unternehmen“. 329) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213. Im Einzelnen sind die Entscheidungen des BFH zur wirtschaftlichen Eingliederung schwierig in eine einheitliche Systematik zu bringen, vgl. Buttgereit/Schulte, UR 2011, 605. Im Gegensatz zur finanziellen und organisatorischen Eingliederung ist die wirtschaftliche Eingliederung wohl nur als „Hilfskriterium“ zu betrachten, vgl. Hummel, MwStR 2013, 294, 300; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 882, 888. 330) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2205 f. 331) Vgl. dazu BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 3/08, BFHE 226, 144 = BStBl. II 2013, 873 = DStRE 2009, 1121.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

145 Ebenso wenig liegt der Sinn offenbar in der bloßen Blockade fremder gesellschaftsrechtlicher Einflussnahmen,332) da dann eine 50 %-Beteiligung genügen würde und jedenfalls eine eigene qualifizierte Mehrheit nie erforderlich wäre. Ganz grundsätzlich ist die strenge Orientierung der finanziellen Eingliederung an der Möglichkeit der Fassung von Beschlüssen nach dem Willen des Organträgers nur dann zu erklären, wenn den Beschlüssen potenziell auch Bedeutung zukommen muss. Die finanzielle Eingliederung verkäme sonst zwar nicht gleich zum Selbstzweck,333) der ihr bisher zukommende Zweck würde sich allerdings systemfremd verschieben.

(ee) Zwischenergebnis 146 Die finanzielle Eingliederung setzt nach alledem nicht nur die Möglichkeit der internen Willensdurchsetzung innerhalb der Gesellschafterversammlung, sondern auch den grundsätzlichen Einfluss der Gesellschafterversammlung auf die Organgesellschaft voraus. Hierzu ist die potenzielle Wirkung gefasster Beschlüsse auf die Gesellschaft notwendig. Nur so ist zu erklären, dass sich die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung nach allgemeiner Ansicht an der erforderlichen Stimmenmehrheit bei der Beschlussfassung orientieren, nicht bloß an einer Anteilsmehrheit. Da es bei der finanziellen Eingliederung lediglich um eine gesellschaftsrechtlich vermittelte Willensdurchsetzungsmöglichkeit geht, während die organisatorische Eingliederung die durch organisatorische Maßnahmen vermittelte tatsächliche Willensdurchsetzung betrifft, überschneiden sich beide Merkmale auch nicht grundsätzlich, auch wenn gerade in der Insolvenz einzelne Umstände häufig beide Merkmale beeinflussen können. Das Beispiel der Aktiengesellschaft ist in die von der Rechtsprechung anhand der GmbH entwickelten Maßstäbe zwar nicht leicht einzupassen, aber letztlich sinnvoll lösbar. Die hier befürwortete Auslegung des BFH widerspricht zuletzt auch nicht der hergebrachten Definition der finanziellen Eingliederung.

(c) Beendigung der finanziellen Eingliederung durch § 276a InsO 147 Die derart definierte finanzielle Eingliederung wird durch § 276a Abs. 1 InsO in der Eigenverwaltung der Organgesellschaft beseitigt, da die Norm die gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten des Mehrheitsgesellschafters auf die Geschäftsführung unterbricht. Die fortbestehende theoretische, aber sinnlose Möglichkeit des Mehrheitsgesellschafters, Beschlüsse nach seinem Willen zu fassen, verschafft ihm keine Herrschaftsmacht im Sinne der für die Organschaft notwendigen Subordination.

148 Damit steht gleichzeitig fest, dass die finanzielle Eingliederung auch im Regelverfahren aufgrund des fehlenden Einflusses der Gesellschafterversammlung auf die ___________ 332) In diese Richtung deuten die Ausführungen von Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 89. 333) So aber BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

durch den Insolvenzverwalter übernommene Geschäftsführung entfällt. Insofern ist es überraschend, dass der BFH diese Frage trotz seiner eindeutigen Ansicht zur Eigenverwaltung offenlässt.334) Denn aus dem Gleichstellungsgedanken lässt sich richtigerweise die Erkenntnis ableiten, dass die Frage in Eigen- und Regelverfahren identisch zu entscheiden ist.335)

(2) Organisatorische Eingliederung Unabhängig von den Überlegungen zur finanziellen Eingliederung werden aus § 276a 149 InsO teilweise Auswirkungen auf die organisatorische Eingliederung abgeleitet. Möhlenkamp/Möhlenkamp meinen gar, „deutlicher [könne] man den Bruch der organisatorischen Eingliederung kaum formulieren“.336) Die obige Abgrenzung zwischen finanzieller und organisatorischer Eingliederung 150 widerlegt diese These. § 276a Abs. 1 InsO beschränkt den Einfluss der Überwachungsorgane (insbesondere Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat und Hauptversammlung) auf die Geschäftsführung. Dieser Einfluss ist für die organisatorische Eingliederung indes weder erforderlich noch ausreichend.337) Denn das Merkmal der organisatorischen Eingliederung wird durch Einflussmöglichkeiten, die über die Überwachungsorgane vermittelt werden, gar nicht erfüllt, weder über das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung nach § 37 Abs. 1 GmbHG,338) geschweige denn über die bloß faktische Macht eines Mehrheitsaktionärs in der Aktiengesellschaft.339) Hierin unterscheidet sich die organisatorische Eingliederung gerade von der finanziellen Eingliederung.340) Die für die organisatorische Eingliederung stattdessen erforderlichen organisatorischen Eingriffsmöglichkeiten341) bleiben von § 276a ___________ 334) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 32. 335) Siehe bereits Rn. 91 f. Ebenso Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.24. 336) Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1362; dem folgend Keul, Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 74; zust. auch Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 102 ff., der allerdings finanzielle und organisatorische Eingliederung vermischt. Im Ergebnis offenbar ebenso Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 179. 337) Das verkennt Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 103 f. 338) Siehe oben Rn. 47 und Rn. 48 sowie BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951; BFH, Urt. v. 14.2.2008 – V R 12/06, V R 13/06, BFH/NV 2008, 1365; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 43. Vgl. auch Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1204: „Unzureichend ist die sich aus der finanziellen Eingliederung ergebende Möglichkeit, Weisungen durch Gesellschafterbeschluss zu erteilen.“ sowie S. 1207. 339) BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198 Rn. 28. 340) Siehe Rn. 141 f. 341) Siehe oben Rn. 41 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Abs. 1 InsO aber unangetastet. Da § 276a Abs. 1 InsO in seinem Regelungsgehalt also nur das für die organisatorische Eingliederung ohnehin irrelevante Verhältnis zwischen Überwachungsorgan und Geschäftsleitung beschränkt, kann die Norm keine Auswirkungen auf den Bestand der organisatorischen Eingliederung haben.

151 Hieran ändert selbst eine insbesondere von Klöhn vertretene weite Auslegung des § 276a Abs. 1 Satz 1 InsO nichts, nach der nicht nur der Einfluss von Organen, sondern über den Wortlaut hinaus auch der Einfluss einzelner Gesellschafter beschränkt sein soll.342) Denn auch hiermit sind nur Einflussnahmen einzelner Gesellschafter nach gesellschaftsrechtlichen Regeln gemeint, etwa über Auskunfts-, Informations- und Einberufungsrechte, nicht dagegen Einflussnahmen über Verflechtungen organisatorischer, gerade nicht gesellschaftsrechtlicher Art. Das deckt sich mit der Gesetzesbegründung, nach der § 276a InsO das Verhältnis der Eigenverwaltung zu den gesellschaftsrechtlichen Bindungen der Geschäftsleitung klären soll.343)

dd) Geändertes Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners 152 Zunehmend wird die Beendigung der Organschaft in der Eigenverwaltung der Organgesellschaft auf das modifizierte Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners gestützt.344) Zwar wird in der Eigenverwaltung kein Insolvenzverwalter eingesetzt. Das bedeutet aber nicht, dass „alles beim Alten“ bliebe. Der eigenverwaltende Schuldner handelt nicht als freies Rechtssubjekt kraft Privatautonomie, sondern als „Amtswalter in eigenen Angelegenheiten“345). Insoweit behält der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen nicht, sondern erhält sie durch die Anordnung der Eigenverwaltung.346) Die Rechts- und Pflichtenstellung des eigenverwaltenden Schuldners gleicht dabei im Wesentlichen der des Insolvenzverwalters; er hat sein Handeln am Interesse der Gläubigergesamtheit und dem Ziel

___________ 342) MünchKomm-InsO/Klöhn, 4. Aufl. 2020, § 276a Rn. 30, 38; ders., DB 2013, 41, 44; ders., NZG 2013, 81, 85; ähnlich BeckOK-InsO/Ellers/Plaßmeier, 21. Ed. 10/2020, § 276a Rn. 13. 343) BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 344) Siehe dazu oben Rn. 113 ff. Für die vorläufige Eigenverwaltung FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220, siehe noch unter Rn. 273. 345) Kübler/Bierbach, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6; Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 3; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; Kahlert, MwStR 2016, 687 (Anm.); Hasbach, MwStR 2017, 262, 269; FG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.6.2016 – 9 K 2564/14, NZI 2016, 851, 853. 346) Vgl. nur BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 50; BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 45/16, BFHE 262, 214 = BStBl. II 2019, 356 = DStR 2018, 2377 Rn. 19; sowie die Nachweise in der vorigen Fußnote.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

der Gläubigerbefriedigung auszurichten.347) Insbesondere Kahlert ist der Ansicht, dieses Pflichtenprogramm stehe der Willensdurchsetzung und damit der Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger im Sinne der organisatorischen Eingliederung entgegen.348)

(1) Grundsätzliche Irrelevanz des rechtlichen Dürfens Dies ist zunächst nicht ganz präzise. Die organisatorische Eingliederung erfordert 153 nach allgemeinen Maßstäben, dass der Wille des Organträgers in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft faktisch durchgesetzt werden kann. Auf die rechtliche Situation kommt es dabei nicht an, die organisatorische Eingliederung ist gerade nach dem tatsächlichen Bild zu beurteilen.349) So bestehen beispielsweise im Standardfall der Personenidentität der Geschäftsleitungen von Organträger und Organgesellschaft keine rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten des Organträgers gegenüber der Geschäftsleitung der Organgesellschaft, der Wille ist durch die Personenidentität aber tatsächlich durchsetzbar. Rechtliche Einschränkungen lassen die organisatorische Eingliederung daher grundsätzlich so lange unangetastet, wie der Wille faktisch dennoch durchsetzbar ist.350) Ob die Organgesellschaft bei der Umsetzung des Willens gegen ihre Pflichten, also ihr rechtliches „Dürfen“ verstößt, ist also im Ausgangspunkt nicht entscheidend. Andernfalls ließe sich auch nicht begründen, dass der Fortbestand der Organschaft 154 mit Eintritt der materiellen Insolvenz der Organgesellschaft in aller Regel nicht in Zweifel gezogen wird.351) Der Gedanke, dem später noch im Detail nachgegangen wird,352) soll hier nur kurz angedeutet werden: Wäre allein das Pflichtenprogramm ___________ 347) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, NJW 2018, 2125 Rn. 28, 53 ff.; BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 45/16, BFHE 262, 214 = BStBl. II 2019, 356 = DStR 2018, 2377 Rn. 29; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 8.13; Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 3; Kübler/Bierbach, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6; Brinkmann, DB 2012, 1369; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2239; KPB-InsO/Pape, 48. Lfg. 04/2012, § 270 Rn. 1; Uhlenbruck/ Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270 Rn. 141 und 142 mit einer Aufzählung der Rechte und Pflichten. 348) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2351; dem folgend Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 398. Siehe ausführlich oben Rn. 113 f. 349) BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854, 856; Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.174 und 9.193; Onusseit, ZIP 2003, 743, 745, 754; ders., ZInsO 2004, 1182, 1883; Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 239; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1299. Vgl. auch BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497; FG Berlin, Urt. v. 13.5.1998 – 6 K 6294/93, EFG 1999, 82 sowie Rn. 41 ff. 350) Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1362 Fn. 79; a. A. Hasbach, MwStR 2017, 262, 269. 351) Einzige Ausnahme J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276. 352) Siehe Rn. 304 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

maßgeblich, müsste bei materieller Insolvenz stets die organisatorische Eingliederung enden, weil schon dort durch § 283 StGB, § 15a InsO und § 15b InsO (bislang § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG a. F.) die Pflichten derart modifiziert sind, dass sie eine umfassende Willensdurchsetzung durch den Organträger verbieten.

155 Ist das rechtliche „Dürfen“ der Organgesellschaft demnach grundsätzlich irrelevant, rechtfertigt dies allerdings entgegen Wagner/Fuchs nicht den Schluss, es komme für die organisatorische Eingliederung allein auf das faktische „Können“ der Organgesellschaft an.353) Diesem überschießenden Umkehrschluss liegt offenbar eine Unschärfe in der Unterscheidung der Beteiligten zugrunde:354) Aus Sicht des Organträgers sind nicht die rechtlichen Vorgaben, sondern sein faktisches „Können“ im Hinblick auf die Willensdurchsetzung entscheidend. Insofern wäre die Aussage von Wagner/Fuchs zutreffend, dass es für die organisatorische Eingliederung nicht auf das rechtliche „Dürfen“, sondern auf das faktische „Können“ ankommt. Auf Seiten der Organgesellschaft ist demgegenüber zwar auch notwendig, dass sie den Willen faktisch umsetzen kann, aber zusätzlich auch, dass sie dies tatsächlich tut.355) Soweit aus der Irrelevanz des rechtlichen „Dürfens“ der Organgesellschaft also die alleinige Bedeutung ihres tatsächlichen „Könnens“ zum weisungsgemäßen Handeln gefolgert wird,356) ist dies vorschnell, weil dabei übersehen wird, dass es entscheidend auf das wahre Verhalten der Organgesellschaft ankommt. Allein die Tatsache, dass die Organgesellschaft theoretisch zur Befolgung des Organträgerwillens in der Lage ist, erlaubt jedenfalls in der besonderen Insolvenzsituation nicht ohne Weiteres den Schluss, dass der Wille auch wirklich umgesetzt wird.

(2) Durchschlagen des Dürfens auf das Können bei Insolvenzzweckwidrigkeit 156 Wenngleich das rechtliche „Dürfen“, also das Pflichtenprogramm des eigenverwaltenden Schuldners, danach im Grundsatz nicht entscheidend ist, kann es doch in bestimmten Fällen auf sein tatsächliches „Können“ durchschlagen. Eine solche Verquickung findet sich abgesehen von der allgemeinen Regel des § 134 BGB in der Insolvenz insbesondere bei insolvenzzweckwidrigen Rechtshandlungen. ___________ 353) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2590; Wagner/Fuchs, ZInsO 2016, 1719, 1720 (Anm.); Prinz/ Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 1. Aufl. 2015, Rn. 24.22 (weniger deutlich in der 2. Auflage); Wäger, UR 2014, 81, 91 f. Offenbar auch FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415, 417. 354) Auch die Überlegungen von Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 72 f., weisen diese Unschärfe auf. 355) Siehe die Vorüberlegung unter Rn. 51. 356) Vgl. Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 1. Aufl. 2015, Rn. 24.22: „[…], weil es für die Frage der organisatorischen Eingliederung nicht auf den Pflichtenkreis (das rechtliche „Dürfen“), sondern auf die tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit (die ihre Grenze nur im rechtlichen „Können“ findet) ankommt.“ (nicht mehr in der 2. Auflage).

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Zwar haben Pflichtverstöße des eigenverwaltenden Schuldners grundsätzlich ebenso 157 wenig wie solche des Insolvenzverwalters Auswirkungen auf seine Verwaltungsund Verfügungsbefugnis im Außenverhältnis, sondern begründen lediglich eine Haftung.357) Ähnlich wie beim Missbrauch der Vertretungsmacht358) deckt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach herrschender Meinung jedoch keine Rechtshandlungen mehr, die dem Zweck des Insolvenzverfahrens evident zuwiderlaufen, die also für einen verständigen Dritten offensichtlich unvereinbar mit der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung sind.359) Verstößt eine Handlung der Geschäftsleitung der eigenverwaltenden Organgesellschaft gegen den Insolvenzzweck und ist dieser Verstoß objektiv evident, dann ist die Handlung folglich nicht bloß im Innenverhältnis pflichtwidrig, sondern auch im Außenverhältnis unwirksam.360) Soweit der Wille des Organträgers sich auf eine derartige Rechtshandlung der Organgesellschaft bezieht, ist die Geschäftsleitung der Organgesellschaft aus diesem Grund schon gar nicht in der Lage, diesen Willen zu befolgen. Damit kann aus der für die organisatorische Eingliederung normalerweise irrelevanten Pflichtenbindung eine für das Entfallen der organisatorischen Eingliederung bedeutsame, das „Können“ beschränkende Unmöglichkeit bestimmter Handlungen erwachsen. Eine evident insolvenzzweckwidrige Handlung wird unter anderem bei der Befrie- 158 digung einer nicht einbringlichen Forderung361) als Masseverbindlichkeit oder sonst einer offenbar ungerechtfertigten Bevorzugung eines Gläubigers angenommen.362) Hierauf wird im Hinblick auf den innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruch unter Rn. 172 ff. zurückzukommen sein. ___________ 357) Siehe nur MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 80 Rn. 60. 358) Hierzu grundlegend BGH, Urt. v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, NJW 1966, 1911; MünchKommBGB/Schubert, 8. Aufl. 2018, § 164 Rn. 213 ff. 359) Grundlegend Jauernig, FS Weber, 1975, S. 307 ff.; aktuell ausführlich Klinck, KTS 2019, 1; st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 Ls. 4 = NJW 2002, 2783; BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 Rn. 13 f.; BGH, Versäumnisurt. v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, NZI 2013, 347 Rn. 8 f. m. w. N.; Bork, InsR, 9. Aufl. 2019, Rn. 152; Preuß, NZI 2003, 625, 630 f.; Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84 ff. Spezifisch zur Eigenverwaltung MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270 Rn. 149, 156; Kübler/ Bierbach, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 35; Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 3; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12. 360) Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; Hasbach, MwStR 2017, 262, 269. 361) Hierbei wird regelmäßig an eine Insolvenzforderung gedacht. Erst recht muss aber die Befriedigung einer Forderung, die sich allein gegen das insolvenzfreie Vermögen richtet, zweckwidrig sein. 362) BGH, Urt. v. 4.11.2004 – IX ZR 22/03, BGHZ 161, 49 = NJW 2005, 675, 676; Jaeger-InsO/ Windel, InsO, 2007, § 80 Rn. 252, 255; KPB-InsO/Lüke, 83. Lfg. 02/2020, § 80 Rn. 31; Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 86; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; Nerlich/ Römermann/Wittkowski/Kruth, 41. EL 06/2020, § 80 Rn. 121; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 80 Rn. 62; Frege/Keller/Riedel, InsR, 8. Aufl. 2015, Rn. 1029; Uhlenbruck/ Mock, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 88.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

(3) Einfluss des rechtlichen Dürfens auf das tatsächliche Verhalten 159 Auch abseits der Fälle der Insolvenzzweckwidrigkeit spielt das rechtliche „Dürfen“ der Organgesellschaft offensichtlich eine nicht unerhebliche Rolle bei der Frage, ob der Wille des Organträgers in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft tatsächlich durchgesetzt werden kann.363) Nimmt man an, dass sich der Geschäftsleiter einer Gesellschaft bei seinem Handeln im vorgegebenen rechtlichen Rahmen bewegt, liegt es auf der Hand, dass der Wille des Organträgers nur dann auch tatsächlich durchgesetzt werden kann, wenn er dem rechtlichen Pflichtenkreis der Organgesellschaft bzw. ihrer Geschäftsleitung nicht widerspricht.364) Tatsächlich lässt sich eine solche Prämisse offensichtlich nicht ausnahmslos aufrechterhalten, selbst wenn man grundsätzlich auf die allgemeine Rechtstreue von Geschäftsleitern vertrauen möchte. Dennoch kommt dem Pflichtenkatalog der Gesellschaft zumindest eine Indizwirkung für die Frage zu, ob der Organträgerwille in der Organgesellschaft tatsächlich durchgesetzt werden kann. Innerhalb des Eigenverwaltungsverfahrens verdichtet sich diese Indizwirkung zu einer hohen Wahrscheinlichkeit. Das hat mehrere Gründe:

160 Den Geschäftsleiter einer eigenverwaltenden Gesellschaft treffen bei einer Verletzung seiner Pflichten harte Sanktionen. Neben der gesellschaftsrechtlichen Haftung nach §§ 93 AktG, 43 GmbHG365) ist insofern insbesondere die Haftung entsprechend §§ 60, 61 InsO zu nennen, die durch das SanInsFoG inzwischen gesetzlich in § 276a Abs. 2 InsO festgeschrieben wurde. Zuvor hatte der BGH bereits die analoge Anwendbarkeit der §§ 60, 61 InsO auf den Geschäftsleiter einer eigenverwaltenden Gesellschaft bestätigt.366) Diese folgenschwere Haftung wird ein rational handelnder Geschäftsleiter durch ein klares Bekenntnis zu den insolvenzrechtlichen Pflichten vermeiden wollen. Hinzutreten können im Einzelfall strafrechtliche Sanktionen wie nach §§ 266, 266a StGB, die in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB wiederum eine zivilrechtliche Haftung nach sich ziehen.367)

161 Eine Besonderheit in der Eigenverwaltung ist die gleichzeitige immense Entdeckungswahrscheinlichkeit etwaiger Verstöße. Außerhalb der Insolvenz kann der Geschäftsleiter einer GmbH relativ unbemerkt agieren. Eine Überwachung findet insbesondere ___________ 363) Siehe dazu auch Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2590, aber teilweise etwas ungenau, dazu noch unten. Ähnlich wohl Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 90. 364) Nur dann wäre aber die Ansicht Kahlerts, der nicht zwischen Pflicht und tatsächlichem Handeln differenziert, uneingeschränkt zustimmungswürdig. 365) Vgl. hierzu Brinkmann, DB 2012, 1369. 366) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, NJW 2018, 2125 (Ls.). Eingehend zur Thematik Schaal, Die Haftung der Geschäftsführungsorgane in einer insolvenzrechtlich eigenverwaltenden GmbH oder AG, 2017, zu § 60 InsO analog S. 254. Zur Begründbarkeit der Haftung ohne eine Analogie über die culpa in contrahendo Brinkmann, DB 2012, 1369, 1370. 367) Uebele, NZG 2018, 881, 890.

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durch die Gesellschafter statt, die pflichtwidrige Verhaltensweisen kaum beanstanden werden, sofern sie selbst die Anweisung hierzu gegeben haben.368) Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist zwar der laufenden Überwachung durch den Aufsichtsrat ausgesetzt, auch die Mitglieder des Aufsichtsrates sind indes von der Hauptversammlung gewählte Interessenvertreter des Organträgers und werden möglicherweise eine hohe Toleranz zeigen, wenn es um die Ausführung des Willens des Organträgers geht. Der Sachwalter hat bei der Überwachung in der Eigenverwaltung dagegen keinen Grund zur Nachsicht. Er ist unabhängig und vertritt allein die Interessen der Gläubigergemeinschaft.369) Stellt er Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so ist er verpflichtet, dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 274 Abs. 3 InsO). Schon allein um selbst einer Haftung aus § 60 InsO i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO zu entgehen, wird der Sachwalter Pflichtverstößen der Geschäftsleitung einer eigenverwaltenden Gesellschaft nachgehen.370) Beide genannten Aspekte greifen ineinander: Ist eine Entdeckung des Pflichtver- 162 stoßes wahrscheinlich und drohen für diesen Fall existenzbedrohende Sanktionen, spricht eine starke Vermutung dafür, dass der eigenverwaltende Schuldner sich in der Praxis selten seinen Pflichten zuwider verhalten wird. So wird sich selbst ein Geschäftsleiter der Organgesellschaft, der vom Organträger durch ein Anstellungsverhältnis und die Abberufungsmöglichkeit persönlich abhängig ist,371) im Ernstfall trotz drohender Abberufung und Kündigung angesichts der Haftungsrisiken gegen den Willen des Organträgers stellen. Im Übrigen dürften diverse Reaktionsmöglichkeiten von Seiten des Organträgers, die ein weisungswidriges Verhalten des Geschäftsleiters sanktionieren könnten (z. B. außerordentliche Kündigung; Abberufung aus wichtigem Grund gem. § 84 Abs. 3 AktG), ohnehin nicht in Betracht kommen, weil die Befolgung insolvenzrechtlicher Pflichten nicht gleichzeitig die für diese Maßnahmen erforderliche Pflichtverletzung darstellen kann. Besteht vollständige Personalunion in den Gesellschaften oder ist der Organträger 163 eine natürliche Person, die gleichzeitig Geschäftsleiterin der Organgesellschaft ist, so kann es logisch zwar nicht dazu kommen, dass die Willensbefolgung dem Organträger verweigert wird, weil Willensbildung und Willensbefolgung in einer Person stattfinden. Die genannten Gründe sprechen aber dafür, dass auch diese Personen sich in ihrer Funktion als Geschäftsleiter der eigenverwaltenden Organgesellschaft ___________ 368) Der Überwachungseffekt durch die Gesellschafter verstärkt sich freilich, wenn neben dem Organträger als Mehrheitsgesellschafter noch andere Gesellschafter hinzukommen. 369) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Kübler/Minuth, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 10, 32. 370) Vgl. auch Kübler/Minuth, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 32: „Im Zweifel wird [der Sachwalter] dabei kein Risiko eingehen wollen.“ 371) Vgl. BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Ls. 1.

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pflichtgemäß verhalten, weil sonst Haftung und Strafbarkeit drohen. Der Organträger ordnet sich auch dann dem Pflichtenprogramm der eigenverwaltenden Organgesellschaft und damit letztlich den Interessen der Gläubiger unter.372)

(4) Unterlassen insolvenzpflichtwidriger Weisungen 164 Hinzu kommt, dass der Organträger unter Umständen schon gar keine Weisungen erteilen wird, die dem insolvenzrechtlichen Pflichtenprogramm widersprechen. Nicht nur die Geschäftsleitung der Organgesellschaft hat nämlich ein Interesse daran, sich in der Eigenverwaltung pflichtgemäß zu verhalten. Auch der Organträger wird regelmäßig kaum eine Verletzung der insolvenzrechtlichen Pflichten durch die eigenverwaltende Organgesellschaft anstreben. Die Eigenverwaltung bringt für den Insolvenzschuldner und seinen (Mehrheits-)Gesellschafter eine Reihe von Vorteilen.373) Dass die Geschäftsleitung und der Organträger einer insolventen Organgesellschaft dies für ihre konkrete Situation ebenso bewerten, wird durch die Stellung des Antrags auf Eigenverwaltung belegt. Entsprechend muss angenommen werden, dass der Organträger die Aufhebung der Eigenverwaltung vermeiden möchte. Verletzt der eigenverwaltende Schuldner aber seine insolvenzrechtlichen Pflichten, hat dies nach entsprechender Anzeige durch den Sachwalter beim Insolvenzgericht letztlich die Aufhebung der Eigenverwaltung und den Übergang zum Regelverfahren zur Folge.374) Der Organträger wird daher schon im eigenen Interesse keinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen wollen, der im Widerspruch zu deren Pflichten als eigenverwaltende Schuldnerin steht.

(5) Kein hinreichender Spielraum bei der Willensdurchsetzung 165 Der Organträger wird nach alledem seinen Willen nur noch in einem Umfang durchsetzen können und wollen, der sich in den Grenzen des Pflichtenprogramms der Organgesellschaft bewegt. Das wirft die Frage auf, in welchem Ausmaß dem Organträger die Willensdurchsetzung möglich sein muss, um von einer ausreichenden Willensdurchsetzung im Sinne der organisatorischen Eingliederung sprechen zu können.375)

___________ 372) Siehe zu dieser Konstellation bereits Rn. 52 f. 373) Kübler/Undritz, HRI, 3. Aufl. 2019, § 2 Rn. 16; Kübler/Neußner, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 83; KPB-InsO/Pape, 48. Lfg. 04/2012, § 270 Rn. 8. 374) Vgl. FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220 zum parallelen Gedanken im Eröffnungsverfahren. 375) Diese Frage wird fast nie ausdrücklich adressiert, vgl. aber Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 918 f., 924. Die meisten Beiträge zur organisatorischen Eingliederung aus Rechtsprechung und Literatur beschäftigten sich allein mit der Frage, auf welche Weise der Wille durchgesetzt werden kann, nicht in welchem Maße der Wille durchgesetzt werden muss.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Das FG Hessen ist der Auffassung, in der Eigenverwaltung verbleibe grundsätzlich 166 ein hinreichend großer Spielraum zur Willensdurchsetzung, selbst wenn man davon ausgehe, dass die Einschränkungen durch den Sachwalter (v. a. § 275 InsO) respektiert würden.376) Genügt es also für die organisatorische Eingliederung, dass der Organträger innerhalb der Grenzen des Pflichtenprogramms der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzt? Wagner/Fuchs weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es auch außerhalb 167 der Insolvenz vorkommen könne, dass die Geschäftsleitung einer Organgesellschaft anderen Interessen als denen des Organträgers verpflichtet sei.377) Das zeige etwa das Beispiel einer faktisch beherrschten Aktiengesellschaft, bei der der Vorstand vorrangig die Interessen der Gesellschaft zu wahren hat. In der Tat kann allein die Tatsache, dass die Willensdurchsetzung des Organträgers sich an Recht und Gesetz ausrichtet, grundsätzlich kaum die Durchsetzbarkeit des Willens in Frage stellen. Allgemein wird für die organisatorische Eingliederung eine Durchsetzung des Willens 168 „in der laufenden Geschäftsführung“ gefordert.378) In der Literatur findet sich bei der Präzisierung dieser Anforderung eine gewisse Spanne, die vom Ausschluss einer eigenen Willensbildung der Geschäftsleitung der Organgesellschaft bei „wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen“379) über den Ausschluss der selbständigen Ausübung „gewöhnlich anfallender Geschäfte“380) bis hin zum generellen Ausschluss einer „eigenständigen Entscheidung“381) reicht. Sehr weitreichend verlangt die Finanzverwaltung zumindest für den Fall der organisatorischen Eingliederung über einen Beherrschungsvertrag, dass sich das Weisungsrecht „grundsätzlich auf die gesamte unternehmerische Sphäre der Organgesellschaft erstrecken“ müsse.382) Der BFH formulierte dagegen im Urteil vom 24.8.2011 zurückhaltender, für die organisatorische Eingliederung sei entscheidend, ob „hinsichtlich der umsatzsteuerrecht___________ 376) FG Hessen, Beschl. v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, DStR 2014, 415, 417 sowie Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2336. 377) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2590. 378) Siehe nur BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497; BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951 („Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“); Abschnitt 2.8 Abs. 7 Satz 1 und 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.64. 379) Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 344; tendenziell auch Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 919. 380) Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1299. Ähnlich Schwarz/ Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 239: „im täglichen Geschäft“. 381) Hummel, MwStR 2013, 294, 297 f. Auch das UStG 1934, RGBl. I 1934, S. 942 sowie das UStG 1951, BGBl. I 1951, S. 791 sprachen noch vom Ausschluss eines eigenen Willens der Organgesellschaft. 382) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 5 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. Ähnlich im Ergebnis die OFD Karlsruhe, Verf. v. 25.9.2012 – S 7105 Karte 1, BeckVerw 264896, nach der schon eine „in Teilbereichen vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung“ die organisatorische Eingliederung ausschließt.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

lich erheblichen Sachverhalte (Erbringen und Bezug entgeltlicher Leistungen) eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich“ sei.383) Auch Blank spricht von einer Willensdurchsetzung „im Bereich der umsatzsteuerrelevanten Vorgänge“.384)

169 Angesichts dieser Vielfalt von Abgrenzungsversuchen lässt sich kaum abstrakt bestimmen, welche Handlungsspielräume der Organgesellschaft die organisatorische Eingliederung noch duldet.385) Doch selbst wenn man dem letztgenannten, eher restriktiven Ansatz des BFH folgt, genügt der verbleibende Spielraum einer Willensdurchsetzung im Rahmen des Pflichtenprogramms des eigenverwaltenden Schuldners den Maßstäben der organisatorischen Eingliederung nicht mehr. Im Falle der Eigenverwaltung sind dem eigenverwaltenden Schuldner durch das insolvenzrechtliche Pflichtenprogramm enge Grenzen gesetzt, die auch die Willensdurchsetzung hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlich relevanten Vorgänge stark einschränken. Es muss jeweils im Interesse der Gläubiger liegen, eine bestimmte Verbindlichkeit einzugehen oder eine Verfügung zu treffen.386) Der Organträger ist also den Interessen der Gläubiger unterworfen und kann umgekehrt gerade nicht frei seine eigenen Interessen durchsetzen.

170 In dieser besonderen und umfassenden Unterordnung der Willensdurchsetzung unter die Gläubigerinteressen liegt auch der wesentliche Unterschied zur bloßen Ausübung des Willens im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Grenzen, die stets und für jedermann gelten. Das gilt auch für den von Wagner/Fuchs ins Feld geführten Vergleich mit einer organschaftlich eingegliederten Aktiengesellschaft.387) Dass die Unabhängigkeit des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) und sein aktienrechtliches Pflichtenprogramm die Prüfung der Willensdurchsetzung entgegen der Ansicht von Wagner/ Fuchs durchaus verkomplizieren, beweist bereits die Tatsache, dass wegen dieser Besonderheiten im Schrifttum die Anforderungen an die organisatorische Eingliederung einer Aktiengesellschaft besonders thematisiert werden.388) Der maßgebliche ___________ 383) BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 = BStBl. II 2012, 256 = DStR 2011, 2396 Rn. 29. Seit BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 muss statt „vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung“ freilich „Verhinderung der Willensdurchsetzung des Organträgers“ gelesen werden. 384) Blank, EWiR 2004, 1095, 1096 (Anm.). 385) Hidien/Lohmann, GmbHR 2008, 917, 924. 386) Vgl. Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; Kübler/Bierbach, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 17. 387) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2590 f. 388) Siehe Schütze/Winter, UR 2009, 397, 404 ff.; Beck-HdB-AG/Franz, 3. Aufl. 2018, § 14 Konzernrecht Rn. 335; Bleckmann, BB 2013, 855, 858 f.; Küffner/Maunz/Rust, MwStR 2013, 221, 225 f.; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 898; Wäger, UR 2012, 125, 129; Scholz/Nattkämper, UR 2008, 716, 718; vgl. auch FG Berlin, Urt. v. 13.5.1998 – 6 K 6294/93, EFG 1999, 82 und Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 137 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Unterschied zwischen der Eingliederung einer Aktiengesellschaft und der Eingliederung einer eigenverwaltenden Gesellschaft ist letztlich darin zu sehen, dass das Pflichtenprogramm des Vorstands außerhalb der Insolvenz die Willensdurchsetzung des Organträgers regelmäßig nicht in einem vergleichbaren Maß beschränkt wie das Pflichtenprogramm in der Eigenverwaltung. Es ist für den Vorstand nicht per se pflichtwidrig, das Unternehmen im umsatzsteuerlich relevanten Bereich nach den Bedürfnissen der Konzernspitze auszurichten und etwa Ansprüche des Organträgers aus der Organschaft zu befriedigen. In der Eigenverwaltung ist der Spielraum für die Willensdurchsetzung dagegen deutlich geringer.

(6) Zwischenergebnis Die organisatorische Eingliederung ist zu verneinen, wenn die Leitung der Organ- 171 gesellschaft den Willen des Organträgers tatsächlich nicht mehr voll umsetzt und der Organträger deshalb – zumindest teilweise – die Kontrolle über die Organgesellschaft verliert.389) Hiervon ist in der Eigenverwaltung aufgrund des Pflichtenprogramms des eigenverwaltenden Schuldners in der Regel auszugehen. Das Pflichtenprogramm der insolventen Organgesellschaft und ihrer Geschäftsleitung wird derart modifiziert, dass diese vorrangig den Interessen der Gläubiger verpflichtet sind. Diese Bindung an die Gläubigerinteressen steht im Widerspruch zu einer Durchsetzung der partikulären Interessen des Organträgers. Dass es für die organisatorische Eingliederung streng genommen auf die tatsächliche Willensdurchsetzung und nicht auf die rechtlich zulässige Durchsetzung ankommt, ändert an diesem Ergebnis nichts, da aufgrund der scharfen Sanktionen und der Überwachung durch den Sachwalter zu erwarten ist, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft ihren insolvenzrechtlichen Pflichten gegenüber den Interessen des Organträgers den Vorzug gibt. Dieser kann daher auch tatsächlich seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung nicht mehr in einem ausreichenden Ausmaß durchsetzen. Im Übrigen wäre fraglich, inwieweit der Organträger überhaupt Interessen durchsetzen möchte, die dem Pflichtenprogramm der Organgesellschaft zuwiderlaufen, weil er in diesem Fall möglicherweise selbst unerwünschte Konsequenzen zu tragen hätte. Übt der Organträger seinen Einfluss auf die Organgesellschaft aus diesem Grund gar nicht erst aus, so entfällt die organisatorische Eingliederung, weil er sich dem Gläubigerwillen unterordnet und von seinem Einfluss keinen fortwährenden Gebrauch macht.390)

ee) Störung des Ausgleichsmechanismus Als scheinbar eigenständiger Grund für die Beendigung der Organschaft hat sich die 172 Uneinbringlichkeit des organschaftsinternen Ausgleichsanspruchs entwickelt. Den ___________ 389) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2591. 390) Siehe zu diesem Erfordernis BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2588.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Anstoß hierfür lieferte der BFH im Urteil vom 8.8.2013, in dem er für den Fall der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt bei der insolventen Organgesellschaft ein Ende der Organschaft maßgeblich darauf stützte, dass der Anspruch des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft auf Ausgleichszahlung für die Abführung der von der Organgesellschaft vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge nicht mehr „durchsetzbar“ sei.391) Im Beschluss vom 19.3.2014 griff der BFH den Ansatz für die Eigenverwaltung auf: Der Anspruch könne auch hier nicht verwirklicht werden, weil er keine Masseverbindlichkeit darstelle.392) Auch wenn der BFH die Argumentation in der Hauptsacheentscheidung nicht weiter verfolgte, hält insbesondere Hasbach sie nach wie vor für gültig.393) Ähnlich argumentiert inzwischen auch Albrecht.394)

173 Begrifflich ist Vorsicht geboten, soweit es sich im Anschluss an den BFH auch im Schrifttum etabliert hat, in der Insolvenz von der fehlenden „Durchsetzbarkeit“ des Ausgleichsanspruchs zu sprechen.395) Die rechtliche Durchsetzbarkeit eines Anspruchs wird durch das Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht beseitigt, sondern lediglich insolvenzrechtlichen Modifikationen unterworfen. So erfolgt etwa die Durchsetzung von Insolvenzforderungen durch Anmeldung zur Insolvenztabelle (§ 87 InsO). An anderer Stelle spricht der BFH treffender von der Verwirklichung des Anspruchs.396) Aus dem Kontext ergibt sich, dass BFH und Literatur genau genommen die Durchsetzbarkeit in voller Höhe, also die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs meinen. Im Folgenden wird daher dieser Begriff verwendet.

174 Die Einbringlichkeit von Ausgleichsansprüchen gegen die Organgesellschaft wird durch deren Insolvenz ganz offensichtlich in Frage gestellt. Bevor aber diesem Aspekt nachgegangen wird, soll zunächst geklärt werden, ob es überhaupt Voraussetzung der Organschaft ist, dass der Organträger für die gezahlte Umsatzsteuer Ausgleich erlangen kann.

(1) Notwendigkeit der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs 175 Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld und des Vorsteuerabzugsrechts durch die Organschaft ist lediglich formeller Natur und rechtfertigt keine von der Situation ___________ 391) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30, 34. 392) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34 ff. Siehe bereits oben Rn. 111. 393) Hasbach, MwStR 2017, 262, 266; ders., ZInsO 2017, 914, 919. 394) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 90 ff., der die Sichtweise überraschenderweise als „eigenen Ansatz“ bezeichnet. 395) Gemeinhin wird formuliert, der Organträger könne seinen Anspruch nur „durchsetzen“, wenn dieser eine Masseverbindlichkeit sei. 396) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 22.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

ohne Organschaft abweichende materielle Zuordnung im Innenverhältnis. Das haben BGH und BFH bereits festgestellt und dafür zu Recht allgemein Zustimmung geerntet.397) Gegenstand der folgenden Ausführungen ist daher nicht die Frage, ob die durch die Organschaft verursachten Vermögensverschiebungen überhaupt Ausgleichsansprüche nach sich ziehen. Vielmehr wird hierauf aufbauend erörtert, ob der Bestand der Organschaft darüber hinaus die Bonität der bestehenden Kompensationsansprüche, also die tatsächliche Funktionsfähigkeit des Ausgleichsmechanismus, erfordert.398)

(a) Rechtsprechung des BFH Bis vor wenigen Jahren nahm der V. Senat des BFH offenbar noch an, dass die 176 Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs für den Bestand der Organschaft ohne Bedeutung sei. Er hatte es bei seiner Rechtsprechung zum Fortbestand der Organschaft bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt bis zur Einführung des § 55 Abs. 4 InsO nicht nur als unschädlich angesehen oder in Kauf genommen, sondern offenbar sogar intendiert, dass die Umsatzsteuer weiterhin dem Organträger auferlegt werden konnte, weil das Finanzamt die Steuer gegen die insolvente Organgesellschaft ansonsten bloß als Insolvenzforderung hätte geltend machen können.399) Die nur quotale Befriedigung blieb dem Finanzamt erspart, indem der Forderungsausfall auf den Organträger verlagert wurde. Dazu erklärte der V. Senat, er könne nicht erkennen, warum der Organträger, der bis zur Verfahrenseröffnung als Geschäftsleiter der Organgesellschaft tätig bleibt und auch sonst die Organschaft aufrechterhält, die steuerlichen Konsequenzen der Organschaft nicht tragen soll. Er stehe mit seinem Erstattungsanspruch nicht schlechter als andere Gläubiger, die wegen der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ihre Forderungen nicht mehr voll realisieren können.400)

___________ 397) Zuletzt BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 12; zuvor bereits BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586 zur gewerbesteuerlichen Organschaft; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 202/01, DStR 2004, 468, 469; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673. Vgl. dazu bereits Rn. 65 ff. A. A. soweit ersichtlich nur Menkel, NZG 2014, 52. 398) Diese beiden Aspekte vermischt Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 91 ff. 399) BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951 Ls. Vgl. auch Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212: „ausschließlich fiskalisch motiviert“; zust. J. Roth, DZWIR 2009, 274, 275; Onusseit, ZInsO 2011, 641, 649; Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 207 ff. Siehe hierzu und zur Rechtsprechungsänderung mit Urteil vom 8.8.2013 und damit nach Einführung des § 55 Abs. 4 InsO auch Rn. 247 ff., dort auch die Nachweise in Fußnote 541. Zu der bisher ähnlich brisanten fiskalischen Interessenlage in der vorläufigen Eigenverwaltung und deren Beseitigung durch das SanInsFoG Rn. 276 ff. 400) BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 953.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

177 Ebenso wenig schien der XI. Senat des BFH auf eine tatsächliche Kompensationsmöglichkeit Wert zu legen, als er gegenüber dem Organträger einen Erlass der uneinbringlichen Umsatzsteuerbeträge aus Billigkeitsgründen ablehnte, weil es „nicht gegen die materiell-rechtlichen Wertungen des UStG [verstoße, wenn der Organträger] von der GmbH keine finanziellen Mittel erhalten hat, um die Umsatzsteuer entrichten zu können, die auf die von der GmbH ausgeführten Umsätze entfällt.“401) „Es rechtfertig[e] jedenfalls keine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen, dass der Organträger hinsichtlich seines zivilrechtlichen Anspruchs auf Ausgleich der Umsatzsteuer das Insolvenzrisiko [trage].“402) Die vom XI. Senat bestätigte Vorinstanz hatte bereits festgestellt, es erscheine „ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber erwogen haben könnte, bei einem aus welchen Gründen auch immer eintretenden Ausfall dieser Forderung die aus der umsatzsteuerlichen Organschaft folgenden Rechtswirkungen zu suspendieren.“403) Der XI. Senat hatte vorher zudem im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde beschlossen, es stehe einer Organschaft im Eröffnungsverfahren nicht entgegen, dass dadurch zwangsläufig eine für den Organträger der Höhe nach völlig unbegrenzte Haftung eintrete.404)

178 Der XI. Senat des BFH bleibt unter Verweis auf seine genannte Rechtsprechung auch in seinem aktuellen Urteil zum Fortbestand der Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung bei seinem bisherigen Standpunkt: „Es ist weder systemwidrig noch widerspricht es grundlegenden Wertungen des UStG, die von der [Organgesellschaft] bis zur Insolvenzeröffnung verursachte Umsatzsteuer gegenüber dem Organträger selbst dann festzusetzen, wenn er von der Organgesellschaft keine Mittel erhalten hat, um diese Steuer zu entrichten. Der Organträger steht dann nicht schlechter als andere Gläubiger wie z. B. das FA, die wegen Zahlungsunfähigkeit der Organgesellschaft ihre Forderungen gegen die Organgesellschaft ebenfalls nicht mehr voll realisieren können. Deshalb ist auch die […] Frage nicht von Bedeutung, ob der Ausgleichsanspruch […] eine Insolvenzforderung oder eine Masseverbindlichkeit ist. Selbst wenn es sich dabei nur um eine Insolvenzforderung handelte, würde dies dem Fortbestand der Organschaft nicht von vornherein entgegenstehen.“405)

___________ 401) 402) 403) 404) 405)

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BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 Rn. 22 ff. BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 Rn. 40. FG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.9.2009 – 14 K 254/04, EFG 2010, 555. BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, ZInsO 2009, 1262, 1264. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 44.

A. Insolvenz der Organgesellschaft

Hingegen nimmt der V. Senat des BFH entgegen seiner früheren Rechtsprechung 179 unter Zustimmung in der Literatur406) nunmehr an, der Organträger müsse zumindest dem Grundsatz nach in der Lage sein, den ihm aufgrund seiner Steuerschuldnerschaft zustehenden Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft voll durchzusetzen.407) Er begründet dies vor allem mit der Aufgabe des Organträgers als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“.

(b) Insolvenzrechtliche Perspektive Die Argumentation des XI. Senats des BFH nimmt eine stark insolvenzrechtlich 180 geprägte Betrachtungsweise ein. In der Tat ist aus rein insolvenzrechtlicher Perspektive bei Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs keine Beendigung der Organschaft angezeigt. Es wirkt sogar eher befremdlich, dass die Uneinbringlichkeit einer Forderung auf den Bestand des Rechtsverhältnisses zurückwirken soll, aus dem sie stammt.408) Es ist gerade Aufgabe des Insolvenzrechts, eine geordnete Befriedigung der Gläubiger zu erreichen, wenn die Verbindlichkeiten nicht mehr vollständig gedeckt sind. Dabei ist der Ursprung der Verbindlichkeiten unerheblich. Selbst derjenige, dessen Forderungen bereits bei ihrer Entstehung voraussichtlich nie voll einbringlich sein werden, etwa weil sie im Eröffnungsverfahren begründet werden und mangels Eingreifen der §§ 53 – 55 InsO lediglich Insolvenzforderungen sind, muss mit dem Schicksal des Forderungsausfalls leben. Aus insolvenzrechtlicher Warte spricht daher in der Tat nichts dagegen, dem Organträger wie jedem anderen Gläubiger einen Forderungsausfall zuzumuten.

(c) Umsatzsteuerrechtliche Perspektive Freilich spielen aber in erster Linie nicht insolvenzrechtliche, sondern umsatzsteuer- 181 rechtliche Vorgaben und Wertungen eine entscheidende Rolle bei der Frage der Notwendigkeit eines einbringlichen Ausgleichsanspruchs. Ausdrückliche gesetzliche Anhaltspunkte für oder gegen die Notwendigkeit eines tatsächlichen Ausgleichs ___________ 406) Hasbach, MwStR 2017, 262, 266; ders., ZInsO 2017, 914, 919; Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 91 f.; Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 192 f., 206 f.; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; Wäger, UR 2014, 81, 91; ders., DB 2014, 915, 919; bloß feststellend Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653, 1654. KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 129 weist darauf hin, dass die Abführung der Steuer durch den Organträger keinen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch oder gar dessen Durchsetzbarkeit voraussetze. Nicht ganz klar wird, ob damit gleichzeitig gemeint ist, dass rechtlich auch kein derartiges Erfordernis besteht. 407) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 20; BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 24. 408) Ähnlich Beck, MwStR 2014, 359, 366: „Eine Grundannahme, dass Rechtsverhältnisse zwischen zwei Personen mit der Insolvenzeröffnung bei einer der Personen enden, existiert nicht“. Insoweit auch zutreffend KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150. A. A. wohl Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 206.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

finden sich nicht. Daher ist anhand von umsatzsteuerrechtlichen und sonstigen rechtlichen Wertungen zu ermitteln, inwieweit der Organschaft ein derartiges Erfordernis innewohnt. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei der umsatzsteuerrechtliche Leitgedanke der Belastungsneutralität, der durch unterschiedliche weitere Überlegungen vertieft und ergänzt wird.

(aa) Umsatzsteuerlicher Neutralitätsgrundsatz 182 Der Begriff der Neutralität wird im umsatzsteuerrechtlichen Kontext in zweierlei Hinsicht genutzt.409) Einerseits wird hierunter das in Erwägungsgrund Nr. 7 der MwStSystRL genannte Gebot der Wettbewerbsneutralität gefasst, das die unterschiedliche mehrwertsteuerrechtliche Behandlung von mehreren in Wettbewerb stehenden Unternehmern verbietet. Andererseits wird hiermit die Freiheit des Unternehmers von Belastungen durch die Mehrwertsteuer beschrieben, die ausdrücklich etwa in Erwägungsgrund Nr. 5 der MwStSystRL erwähnt ist.410) Betroffen ist im Kontext dieser Untersuchung der letztgenannte Grundsatz der Belastungsneutralität.

183 Bei dem Grundsatz der Belastungsneutralität handelt es sich um ein allgemein anerkanntes, zentrales Prinzip des harmonisierten Mehrwertsteuersystems, das sich besonders im Mechanismus des Vorsteuerabzugs manifestiert.411) Er erklärt sich unmittelbar aus dem Charakter der Mehrwertsteuer als indirekte Verbrauchsteuer: Steuerträger ist bei der Umsatzsteuer der Verbraucher, dessen Belastung mit Steuer sich daraus rechtfertigt, dass er durch seinen Konsum seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beweist.412) Der Unternehmer ist lediglich formaler Steuerschuldner, weil dem Staat ein direkter Zugriff auf den Verbraucher praktisch schwerer möglich

___________ 409) Zur Unterscheidung EuGH, Urt. v. 15.11.2012, C-174/11, DStRE 2013, 423 Rn. 47; eingehend Weitemeyer/Schauhoff/Achatz/Hüttemann, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rn. 3.6 ff. 410) Hierzu etwa EuGH, Urt. v. 29.10.2009, C-29/08AB SKF, Slg. 2009, 10439, DStR 2009, 2311 Rn. 55 f.; Weitemeyer/Schauhoff/Achatz/Hüttemann, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rn. 3.4, 3.7; Sölch/Ringleb/Klenk, 89. EL 06/2020, Wesen der Umsatzsteuer, Verhältnis von nationalem Recht zum Unionsrecht Rn. 9 f.; Bunjes/Robisch, UStG, 19. Aufl. 2020, Vor § 1 Rn. 15 m. w. N.; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 117. EL 01/2015, Einführung Rn. 46. 411) Siehe nur EuGH, Urt. v. 29.10.2009, C-174/08 = DStRE 2010, 170 Rn. 27; EuGH, Urt. v. 10.7.2008, C-25/07, Slg. 2008, I-5129 = DStRE 2009, 438 Rn. 17; EuGH, Urt. v. 26.6.1997, verb. Rs. C-370/95, C-371/95 und C-372/95, Slg. 1997, I-3721. Ausführlich auch zur unionalen Verankerung des Neutralitätsprinzips Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, 2015, S. 135 ff.; Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 73 ff.; siehe auch Sölch/Ringleb/Klenk, 89. EL 06/2020, Wesen der Umsatzsteuer, Rn. 9; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, Vorbem. Rn. 78 f.; Mellinghoff, UR 2013, 5, 9; Weitemeyer/Schauhoff/Achatz/Hüttemann, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rn. 3.7 f. 412) Seer, DStR 2016, 1289, 1293; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 117. EL 01/2015, Einführung Rn. 10.1 ff.; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, Vorbem. Rn. 12 ff., 17.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

ist.413) Der Unternehmer erfüllt insofern eine bloße Inkassofunktion, die der EuGH und ihm folgend der BFH mit der Formulierung beschreiben, der Unternehmer fungiere lediglich als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“.414) Bestimmungen der MwStSystRL – also auch Art. 11 MwStSystRL als Grundlage 184 der Organschaft – sind unter Wahrung der Belastungsneutralität auszulegen.415) Die Belastungsneutralität setzt daher auch für die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft Maßstäbe in dem Sinne, dass jeder am Organkreis beteiligte Rechtsträger frei von Begünstigungen oder Belastungen durch Umsatzsteuer bleiben muss.416) Bereits die Existenz eines Ausgleichsmechanismus haben BGH und BFH zutreffend hiermit begründet.417) Das Umsatzsteuerrecht ist jedoch nicht von einer rechtlichtheoretischen, sondern von einer wirtschaftlich-tatsächlichen Betrachtung geprägt, auch und gerade im Hinblick auf die Belastungsneutralität.418) Der Neutralitätsgrundsatz verlangt daher nicht lediglich theoretische Belastungsfreiheit, hergestellt durch die bloße Existenz von zivilrechtlichen Ansprüchen, sondern tatsächliche Belastungsfreiheit. Dieser Zustand wird nur erreicht, wenn die neutralitätsbegründenden Ausgleichsansprüche auch tatsächlich einbringlich sind.419)

(bb) Verfassungsmäßigkeit der Umsatzbesteuerung Während bei der Ist-Besteuerung eine Belastung des Unternehmers im Normalfall 185 schon gar nicht eintritt, weil die Steuer erst nach Vereinnahmung abgeführt werden muss, ist der Unternehmer im Falle der Soll-Besteuerung zum Vorschuss der Umsatzsteuerbeträge verpflichtet. Der insoweit vom BVerfG bestätigte BFH sieht diese ___________ 413) Vgl. nur Seer, DStR 2016, 1289, 1293; kritisch und für eine Einzelhandelsteuer argumentierend Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, Vorbem. Rn. 12 f.; dazu auch Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 117. EL 01/2015, Einführung Rn. 24.5. 414) EuGH, Urt. v. 20.10.1993, C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Rn. 25 (Balocchi); EuGH, Urt. v. 21.2.2008, C-271/06, Slg. 2008, I-771, Rn. 21 (Netto Supermarkt); BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28. Vgl. auch Wäger, DB 2014, 915, 918. 415) EuGH, Urt. v. 29.5.2006, C-86/99, Slg. 2001, I-4167 = DStRE 2001, 722 Rn. 27 (Freemans); Bunjes/Robisch, UStG, 19. Aufl. 2020, Vor § 1 Rn. 15. 416) Siehe bereits Rn. 65. 417) Siehe dazu oben Rn. 65; BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 12; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 20; Müller/ Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1432; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 993 f.; Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. 418) Siehe dazu noch näher Rn. 189. 419) Wäger, DB 2014, 915, 919; Hasbach, MwStR 2017, 262, 266; ders., ZInsO 2017, 914, 919; Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 206; Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 91 f., der allerdings nicht klar zwischen Existenz und Einbringlichkeit unterscheidet; vgl. auch Rau/Dürrwächter/ Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 916. A. A. KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Vorschusspflicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung nur unter der Voraussetzung als vereinbar an, dass durch Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG eine zu langfristige Belastung des Unternehmers ausgeschlossen wird.420) Daher hat der BFH eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den Unternehmer über einen mehrjährigen Zeitraum für – im Vergleich zur Ist-Besteuerung – gleichheitswidrig und unverhältnismäßig erachtet.421)

186 Diese zutreffenden Erwägungen lassen sich auf die in Rede stehende Situation des Organträgers in der Insolvenz der Organgesellschaft übertragen. Eine mehrjährige Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den Organträger, etwa weil er von der Organgesellschaft für diesen Zeitraum keine Kompensation erlangen kann, wäre nach den dargelegten Grundsätzen zweifellos unverhältnismäßig und gleichheitswidrig. Eine Umsatzsteuerbelastung ist dann aber erst recht unverhältnismäßig und gleichheitswidrig, wenn der Organträger überhaupt keinen Ausgleich für die abgeführte Steuer erhält, weil seine Ansprüche uneinbringlich sind.

187 Zudem muss sich das Institut der Organschaft an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen, der auch die Freiheit des Unternehmers schützt.422) Der BFH stellte im Jahr 1995 zwar fest, dass die Organschaft grundsätzlich verfassungsmäßig ist, weil sich die aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebenden Steuerbelastungen, Steuerentlastungen und Steuererklärungspflichten im Rahmen des Zumutbaren halten.423) Dabei hat er jedoch die durch die Insolvenz entstehenden erheblichen Vermögensverschiebungen nicht in seine Überlegungen einbezogen, sondern sich auf den hiervon völlig unabhängigen Punkt der Wettbewerbsverzerrungen zwischen gesunden Unternehmen konzentriert. Dem Urteil kann daher nicht die Aussage der Verfassungsmäßigkeit insolvenzbedingter Vermögensverschiebungen, sondern im Gegenteil gerade entnommen werden, dass die Steuerbelastungen und -entlastungen sich in einem zumutbaren Bereich halten müssen, um die verfassungsrechtlichen Grenzen zu wahren. Ebendieser Bereich wird aber überschritten, wenn keine echte Kompensationsmöglichkeit besteht.

188 Hierfür spricht auch, dass dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar bei der Ausgestaltung des formellen Besteuerungsverfahrens ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht, weil sich dort keine Auswirkungen für den Steuerpflichtigen ___________ 420) BFH, Urt. v. 22.7.2010 – V R 4/09, BFHE 231, 260 = BStBl. II 2013, 590 = DStR 2010, 2349 Rn. 44; BVerfG, Beschl. v. 20.3.2013 – 1 BvR 3063/10, NJW-RR 2013, 1300. 421) BFH, Urt. v. 24.10.2013 – V R 31/12, BFHE 243, 451 = BStBl. II 2015, 674 = DStR 2014, 262 Rn. 13, 20. Vgl. auch Sölch/Ringleb/Wäger, 89. EL 06/2020, § 17 Rn. 115; Seer, DStR 2016, 1289, 1293. Stadie hält die Soll-Besteuerung aufgrund der Vorfinanzierung sogar für verfassungswidrig, Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 176. EL 03/2018, § 17 Rn. 370 ff.; Stadie, UR 2004, 136; ebenso Hummel, UR 2015, 213. 422) BFH, Urt. v. 19.10.1995 – V R 71/93, BFH/NV 1996, 273 = BeckRS 1995, 11724 unter 4 m. w. N. 423) BFH, Urt. v. 19.10.1995 – V R 71/93, BFH/NV 1996, 273 = BeckRS 1995, 11724 unter 4.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

im Hinblick auf die Höhe des zu entrichtenden Umsatzsteuerbetrags ergeben.424) Umgekehrt ist sein Gestaltungsspielraum demnach aber eingeschränkt, sobald belastende Auswirkungen für den Steuerpflichtigen zu erwarten sind. Da die umsatzsteuerliche Organschaft im Falle der Insolvenz derartige Folgen nach sich ziehen kann und gerade nicht nur das formelle Besteuerungsverfahren betrifft, muss die Rechtslage sich streng am Neutralitätsgrundsatz orientieren.

(cc) Parallelität zu § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG Die beschriebene unions- und verfassungsrechtlich vorgegebene Neutralität schlägt 189 sich im deutschen Recht konkret in der Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nieder. Bei der Soll-Besteuerung berechnet sich die Umsatzsteuer gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG nach vereinbarten Entgelten. Die Umsatzsteuer muss daher bereits in einem Zeitpunkt abgeführt werden, in dem der Unternehmer das Entgelt inklusive Umsatzsteuer noch gar nicht erhalten hat.425) Stellt sich sodann heraus, dass das Entgelt für die Leistung uneinbringlich geworden ist, ist die Steuerberechnung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu korrigieren. Auch die übrigen Regelungen des § 17 UStG sind getragen von dem Grundgedanken, dass die Umsatzsteuer nicht höher, aber auch nicht niedriger festgesetzt werden darf, als es der tatsächlichen Vereinnahmung der Steuerbeträge durch den Unternehmer entspricht. Ein „Unternehmer [soll] nur die Entgelte versteuern müssen […], die ihm auch wirklich zugeflossen sind.“426) Das zeigt besonders deutlich, dass die Belastungsneutralität nicht bereits bei Existenz eines kompensatorischen Anspruchs an sich hergestellt ist, sondern erst bei entsprechender Werthaltigkeit dieses Anspruchs.427) Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Organschaft von dieser in § 17 190 UStG festgeschriebenen Wertung ausnehmen wollte. Zwar erfasst die Norm unmittelbar nur den Fall, dass der Organträger oder die Organgesellschaft die Steuerbeträge von ihren Vertragspartnern nicht erhalten.428) Aus Sicht des die Steuer abführenden Organträgers macht es indes keinen Unterschied, ob ihm die entsprechenden Beträge von seinem Vertragspartner oder von der Organgesellschaft vorenthalten werden. Daran ändert auch die organschaftliche Einheitsfiktion oder die bloße Existenz eines

___________ 424) BVerfG, Beschl. v. 20.3.2013 – 1 BvR 3063/10, NJW-RR 2013, 1300, 1301 f. 425) Vor dem Hintergrund des Neutralitätsgrundsatzes kritisch zu dieser Vorfinanzierungspflicht Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, Vorbem. Rn. 43 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 185. EL 01/2020, Einf. Rn. 410 ff.; Stadie, UR 2004, 136; Hummel, UR 2015, 213; Seer, DStR 2016, 1289, 1293. Vgl. auch Sölch/Ringleb/Wäger, 89. EL 06/2020, § 17 Rn. 115. Zur Verfassungswidrigkeit der Vorfinanzierung innerhalb der Organschaft Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 916. 426) FG München, Beschl. v. 7.10.2008 – 14 V 2772/08, DStRE 2009, 1211, 1212. 427) A. A. KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150. 428) Vgl. Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 176. EL 03/2018, § 17 Rn. 403.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

uneinbringlichen Anspruchs nichts.429) Die Gründe für die Existenz des § 17 UStG, der unionsrechtlich auf Art. 90 MwStSystRL basiert, verlangen auch eine tatsächliche Kompensation im Rahmen der Organschaft.

(dd) Wirtschaftliche Einheit als Grundidee der Organschaft 191 Die Organschaft fasst künstlich zwei Rechtsträger zu einem Unternehmer zusammen, die ohne das Institut umsatzsteuerlich getrennt betrachtet würden. Die ursprüngliche und bis heute tragende Rechtfertigung hierfür besteht darin, dass die Organgesellschaft derart eng in das Unternehmen des Organträgers eingebunden ist, dass sie wirtschaftlich wie eine bloße Betriebsabteilung des Organträgers wirkt.430) War der RFH ursprünglich noch der Ansicht, dass Gesellschaften steuerrechtlich nicht unselbständig sein könnten,431) gab er diese Rechtsprechung später auf, weil „die zwingende Logik der wirtschaftlichen Tatsachen“ hierzu nötige.432)

192 Trägt die Organschaft einer wirtschaftlichen Einheit Rechnung, muss sie hieran aber auch gemessen werden. Der Bestand der Organschaft entspricht mit anderen Worten nur dann ihrem Leitbild, wenn der Zusammenschluss aus Organträger und Organgesellschaft wirtschaftlich in der Tat wie ein einheitliches Unternehmen erscheint. Würde es sich bei dem Organkreis um ein einziges wirtschaftliches Gebilde handeln, wäre die Umsatzsteuer für dieses ein durchlaufender Posten. Das Vermögen dieses Gebildes wäre im Hinblick auf die Umsatzsteuer stets ausgeglichen. Insbesondere aus Perspektive der Stakeholder (z. B. Gläubiger, Gesellschafter) wiche das Konzept der Organschaft von einer solchen wirtschaftlichen Einheit erheblich ab, wenn die Organschaft ohne funktionsfähigen Ausgleich existieren könnte. Die Umsatzsteuer würde das ihnen zur Verfügung stehende Vermögen gerade einseitig be- oder entlasten.

(ee) Belastung mit fremdem Insolvenzrisiko 193 Dieser Vergleich der Organschaft mit einer hypothetischen wirtschaftlichen Identität von Organträger und -gesellschaft wird ergänzt durch den Vergleich der Organschaft mit einer hypothetischen, umsatzsteuerlich getrennten Betrachtung beider Rechtsträger. Bei einer getrennten Besteuerung hätte die Mutter lediglich die Umsatzsteuer abzuführen, die tatsächlich in ihr Vermögen gelangt ist. Die Organschaft verpflichtet ___________ 429) Vgl. auch Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 274, der aber sogar noch weitergeht und bereits einen Verfassungsverstoß sieht, wenn der Organträger überhaupt zum Vorschuss der Steuer verpflichtet wird. Das ist bei der Soll-Besteuerung allerdings auch der Fall, die Stadie folgerichtig ebenfalls für verfassungswidrig hält, s. Fn. 425. 430) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 24, 38. 431) RFH, Urt. v. 10.11.1921 – V A 12/21, RFHE 7, 207 = RStBl. 1922, 31. 432) Popitz, UStG, 3. Aufl. 1928, S. 304; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 780.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

die Mutter dagegen zur Zahlung der aus ihrer Sicht „fremden“ Umsatzsteuer der Tochter. Dieser Nachteil wird durch die Zubilligung des Ausgleichsanspruchs nicht vollständig ausgeglichen. Denn auch wenn dem Grunde nach ein kompensatorischer Anspruch existiert, würde gleichwohl das Insolvenzrisiko der Organgesellschaft vom Fiskus auf den Organträger verlagert. Das wäre besonders deshalb problematisch, weil der Organträger seine Ansprüche anders als der Fiskus nicht selbst titulieren (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO) und vollstrecken kann (§§ 249 ff. AO). Eine solche Zuweisung eines fremden Insolvenzrisikos bedürfte einer sachlichen 194 Rechtfertigung. Im Rechtsverkehr liegt diese in der Regel in der privatautonomen Übernahme des Risikos durch den Gläubiger, wenn er mit seinem Schuldner entsprechende Beziehungen eingeht. Die umsatzsteuerliche Organschaft kennt indes nach allgemeiner Ansicht kein Wahlrecht, sondern tritt bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwangsweise ein.433) Es fehlt daher ein privatautonomes Element, das die Belastung mit fremden Insolvenzrisiken rechtfertigen könnte. Dass der Organträger selbst maßgeblich die zur Organschaft führenden Rechtsbeziehungen ausgestaltet hat, ändert hieran nichts.434) Die Eingehung unternehmerisch sinnvoller Verknüpfungen (Mehrheitsbeteiligung, geschäftliche Beziehungen, Geschäftsleitungsposten) kann nicht durch das (mitunter unbemerkte) reflexartige Entstehen einer Organschaft ohne Kompensationsmöglichkeit abgestraft werden. Im Hinblick auf die Stellung des Organträgers als Mehrheitsgesellschafter würde ansonsten ein fundamentaler Konflikt mit dem kapitalgesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip drohen.435) Denn eine Haftung der Mutter für Verbindlichkeiten der Tochter allein aufgrund ihrer konzernrechtlichen Überordnung würde zu einem dem Wesen der Kapitalgesellschaft widersprechenden Durchgriff auf den Mehrheitsgesellschafter führen. Neben einer abstrakt privatautonomen Entscheidung fehlt in der Insolvenz auch eine 195 konkrete Einflussmöglichkeit des Organträgers im Hinblick auf die ihn treffende Umsatzsteuerlast. Der XI. Senat meint in seinem Urteil zur vorläufigen Eigenverwaltung vom 27.11.2019, eine kompensationslose Steuerschuldnerschaft des Organträgers sei gerechtfertigt, weil der Organträger bestimmen könne, ob die Organgesell___________ 433) A. A. Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910, der eine Wahlmöglichkeit de lege lata aber nur deshalb annimmt, weil die Vermögensverschiebungen durch die Organschaft andernfalls verfassungs- und unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen seien. Verneint man mit der allgemeinen Ansicht eine Wahlmöglichkeit, sprechen die Gedanken Stadies dafür, zumindest einen wirksamen Ausgleichsmechanismus zu verlangen, vgl. auch Rau/Dürrwächter/ Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 821. 434) So aber Erdbrügger, MwStR 2013, 672, 673 (Anm.). 435) Vgl. für den Fall der unerkannten Organschaft Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1373; ferner auch Ruiner/Pfeifer, GmbHR 2011, 1134, 1139; zum Trennungsprinzip Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 13 Rn. 6, 40; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 13 Rn. 1, 5 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

schaft Umsätze ausführt.436) Unabhängig davon, dass dem auch für die vorläufige Eigenverwaltung nicht zuzustimmen ist, wurde jedenfalls für das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren bereits ausführlich das insolvenzrechtliche Pflichtenprogramm der Organgesellschaft thematisiert, das eine Beherrschung durch den Organträger gerade ausschließt. Entzieht sich damit die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft dem Einfluss des Organträgers, kann er auch nicht mit der hieraus erwachsenden Steuer belastet werden. Dieser Gedanke kann als Umkehrschluss auch dem Urteil des XI. Senats entnommen werden.

196 Auch ein sonstiger, zwingender Grund für die Belastung des Organträgers mit dem Insolvenzrisiko der Organgesellschaft ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die umsatzsteuerliche Organschaft hat im heutigen Allphasen-Nettoumsatzwertsteuersystem mit Vorsteuerabzug kaum noch eine materiell-rechtliche Funktion. Bereits in der Gesetzesbegründung zum UStG 1968 wurde als Zweck lediglich die Verwaltungsvereinfachung genannt, nichts anderes findet sich in der heutigen Rechtsprechung des BFH und in der Literatur.437) Der schlicht formelle Zweck der Vereinfachung taugt aber nicht zur Rechtfertigung der Zuweisung eines fremden Insolvenzrisikos oder gar einer dauerhaften Vermögensverschiebung,438) zumal der Vereinfachungsaspekt spätestens in der Insolvenz entfällt. Selbst wenn man die verbleibenden organschaftsbedingten Steuervorteile für Branchen ohne Vorsteuerabzugsmöglichkeit berücksichtigt,439) was schon strukturell allenfalls für diese wenigen Branchen in Betracht kommt, lässt sich hiermit keine Belastung des Organträgers mit fremder Umsatzsteuer begründen. Der Organschaft kam im alten Umsatzsteuersystem die Funktion der Vermeidung von Nachteilen für Konzerne im Vergleich zu In-HouseWertschöpfungsketten zu. Nach ihrer Konzeption soll die Organschaft die organschaftlich verbundenen Personen also von Nachteilen befreien, statt sie damit zu belegen.440)

197 Es gibt demnach weder eine privatautonome Wahlmöglichkeit für die Eingehung der Organschaft noch eine sonstige substanzielle Rechtfertigung der Zuweisung des Insolvenzrisikos der Organgesellschaft an den Organträger. Um daher eine entsprechende Belastung zu vermeiden, muss den Beteiligten innerhalb der Organschaft zur Kompensation ihrer Nachteile ein funktionsfähiger Ausgleichsmechanismus ___________ 436) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 80. 437) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 18; vgl. auch Heuermann, DB 2016, 608, 609; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 784. Ausführlich zum Zweck oben Rn. 18 ff. 438) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 91 f.; Straub, UR 2009, 344, 346; vgl. auch Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 146. Siehe Rau/ Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 952 sowie Rn. 858 zum Vereinfachungszweck als Maßstab für die Auslegung der Eingliederungsmerkmale. 439) Siehe oben Rn. 20. 440) Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

zur Verfügung stehen, mit dessen Hilfe ohne Einsatz größerer zeitlicher, personeller oder finanzieller Ressourcen Regress genommen werden kann.441)

(ff) Erfüllung der Organträgerpflichten Den Organträger trifft als Steuerschuldner gem. § 370 AO die strafbewehrte Pflicht, 198 die Umsatzsteuer auch aus Umsätzen der Organgesellschaft vollständig und rechtzeitig zu versteuern. Die bloße Existenz eines Ausgleichsanspruchs genügt hierfür nicht; vielmehr muss der Anspruch tatsächlich einbringlich sein, damit der Organträger seiner Verpflichtung nachkommen kann.442) Das Argument geht in dieselbe Richtung wie die Formulierung des V. Senats des 199 BFH, nach der der Organträger nur bei einem einbringlichen Anspruch seine Funktion als „Steuereinnehmer“ wahrnehmen kann.443) Auch dies ist ihm – jedenfalls langfristig – nur möglich, wenn er die Steuerbeträge von der Organgesellschaft tatsächlich zur Verfügung gestellt bekommt.

(gg) Keine Zwangssubventionierung Schließlich spricht gegen einen Fortbestand der Organschaft trotz Uneinbringlichkeit 200 des Ausgleichsanspruchs für den Organträger auch die Folgebetrachtung. Es wäre nicht stimmig, dass sich die Organschaft für die Insolvenzgläubiger der Organgesellschaft als unverhoffter Glücksfall erweisen soll, indem die Umsatzsteuer zwar vollständig eingenommen, aber nicht oder nicht in voller Höhe abgeführt wird, bloß weil der Organträger bei der Steuerzahlung zwischengeschaltet ist. Ohne Organschaft wäre die Umsatzsteuerverbindlichkeit der Tochtergesellschaft jedenfalls Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und müsste aus der Masse berichtigt werden.444) Nähme man einen Organschaftsbestand ohne funktionsfähigen Ausgleichsmechanismus an, würde die Organschaft ohne sachlichen Grund von einem Instrument der Verwaltungsvereinfachung zu einem Werkzeug der Subventionierung der Organgesellschaft auf Kosten des Organträgers,445) ohne dass diesem eine schuldhafte Pflichtverletzung vorwerfbar sein müsste, wie es etwa für eine Haftung des gesetzlichen Vertreters des Schuldners nach § 69 AO Voraussetzung ist.446) ___________ 441) Vgl. Wäger, DB 2014, 915, 919. 442) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 24; Wäger, DB 2014, 915, 919. 443) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34. 444) Nach hier vertretener Auffassung gilt das zwar auch für den Ausgleichsanspruch des Organträgers (vgl. Rn. 224 ff.), doch ist eine derartige Qualifikation für den Organschaftsbestand gerade erforderlich. 445) Ähnlich Keul, Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 76. 446) Vgl. Straub, UR 2009, 344, 345 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

(hh) Normenkonflikt des Gesellschafter-Geschäftsführers 201 J. Roth sieht im Falle des Fortbestands der Organschaft in der Insolvenz einen Normenkonflikt.447) Aus Sicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers bestehe bei Eintritt der materiellen Insolvenz gem. § 15a Abs. 1 InsO eine strafbewehrte Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags. Würde die Organschaft im Insolvenzverfahren fortbestehen, müsse er aber als Organträger für die Steuer aus Umsätzen der Organgesellschaft aufkommen. Ohne sein Zutun würde der Organträger mit „Steuer aus dem Nirvana“ belastet und müsste gegebenenfalls existenzvernichtende Folgen fürchten.448) Ob man darin wie J. Roth zwingend einen Wertungswiderspruch von verfassungsrechtlicher Dimension sehen muss,449) ist fraglich, da der Insolvenzantrag für den Gesellschafter-Geschäftsführer eine Vielzahl an unerwünschten Folgen hat und die ambivalente Interessenlage nicht zuletzt aus seiner Doppelfunktion als Gesellschafter und Geschäftsführer herrührt. Jedenfalls löst sich der Konflikt mit dem Erfordernis der Belastungsneutralität auf, weil danach der Organträger ohnehin nur mit „fremder“ Umsatzsteuer belastet werden darf, wenn er einen entsprechenden Ausgleich erlangen kann. Falsche Handlungsanreize wegen drohender existenzvernichtender Folgen werden so nicht gesetzt.

(d) Zwischenergebnis 202 Zwischen dem V. und dem XI. Senat des BFH besteht offenbar Uneinigkeit darüber, ob die Organschaft einen funktionsfähigen Ausgleich der organschaftsbedingten Vermögensverschiebungen voraussetzt. Mit dem V. Senat ist ein solches Erfordernis anzuerkennen, da es für die Belastung des Organträgers mit dem Insolvenzrisiko der Organgesellschaft an einer materiell-rechtlichen Rechtfertigung fehlt. Der bloß formelle Zweck der Verwaltungsvereinfachung taugt zur Begründung einer solchen Verlagerung des Insolvenzrisikos vom Staat auf den Organträger ohne dessen Zustimmung nicht. Im Gegenteil verbietet der umsatzsteuerliche Grundsatz tatsächlicher Belastungsfreiheit eine langfristige und kompensationslose Belastung des Organträgers mit Umsatzsteuer. Dies entspricht auch der eindeutigen Wertung des § 17 UStG. Eine faktisch kompensationslose Belastung des Organträgers mit Umsatzsteuern der Organgesellschaft stieße zudem auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das Argument des XI. Senats, auch andere Gläubiger könnten ihre Forderungen gegen eine insolvente Organgesellschaft nicht mehr voll realisieren,450) ist vor diesem Hintergrund nicht zielführend.

203 Die Neutralität lässt sich nur erreichen, indem im Fall der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs auf umsatzsteuerrechtlicher Seite der Fortbestand der Organ___________ 447) 448) 449) 450)

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J. Roth, DZWIR 2009, 274, 278. J. Roth, DZWIR 2009, 274, 278. J. Roth, DZWIR 2009, 274, 279. Vgl. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 44.

A. Insolvenz der Organgesellschaft

schaft negiert wird,451) sodass die Rechtsträger separat nach ihrer Belastung besteuert werden.452) Das Insolvenzrecht bietet dagegen keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine Korrektur, etwa durch eine Privilegierung der entsprechenden Ansprüche durch Aufwertung zur Masseverbindlichkeit, da das insolvenzrechtliche System der Forderungseinordnung starr und einer Modifikation aufgrund von steuerlichen Erfordernissen nicht zugänglich ist.453)

(2) Präzisierung des Einbringlichkeitserfordernisses Ist damit die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs grundsätzlich als Voraus- 204 setzung der Organschaft identifiziert, soll sich im nachfolgend eine kurze Eingrenzung des Begriffs der (Un-)Einbringlichkeit anschließen, an die in den jeweiligen Einzelfällen angeknüpft werden kann.

(a) Begriffliche Orientierung an § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG Als Ausgangspunkt einer definitorischen Annäherung bietet sich ein Rückgriff auf 205 die im Umsatzsteuerrecht bereits bekannte Definition der Uneinbringlichkeit in § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG an. Oben wurde bereits auf die Parallelität der Funktion des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG und der Funktion des Innenausgleichs hingewiesen, die gleichermaßen Belastungsneutralität in dem Sinne herstellen sollen, dass als Umsatzsteuer kein höherer Betrag erhoben wird als derjenige, den der Steuerpflichtige langfristig tatsächlich vereinnahmt hat.454) Der identische Hintergrund legt ein paralleles Verständnis des Uneinbringlichkeitsbegriffs nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Forderung uneinbringlich im Sinne des 206 § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Gläubiger die Forderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare

___________ 451) Zur dogmatischen Umsetzung siehe noch Rn. 213 ff. 452) Zu den Folgen der Beendigung der Organschaft noch unter Rn. 542 ff. 453) Vgl. auch KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 7. Diesen Umstand ignoriert der BFH in seiner gesamten Rechtsprechungslinie zur Qualifikation von Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten, vgl. insbesondere die sog. Doppelberichtigungsrechtsprechung, BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = BStBl. II 2011, 996 = DStR 2011, 720; BFH, Beschl. v. 11.7.2013 í XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647 = NZI 2013, 992; zur Ausweitung auf die Eigenverwaltung BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 45/16, BFHE 262, 214 = BStBl. II 2019, 356 = DStR 2018, 2377. 454) Vgl. zu § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG EuGH, Urt. v. 15.5.2014, C-337/13 Rn. 22 (Almos Agrárkülkereskedelmi); Sölch/Ringleb/Wäger, 89. EL 06/2020, § 17 Rn. 4, 111; Reiß/Kraeusel/ Langer/Pull, UStG, 157. Lfg. 02/2020, § 17 Rn. 103.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann.455) Dass die Forderung nicht mit absoluter Sicherheit und endgültig undurchsetzbar sein muss, ergibt sich bereits aus der Möglichkeit der Rückberichtigung in § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG und entlastet den Unternehmer von einer zu großen Vorfinanzierungspflicht.456) Umgekehrt lässt sich bei einer bloßen Gefährdung oder Verzögerung der Befriedigung noch nicht von Uneinbringlichkeit sprechen.457) Über diese allgemeine Definition hinaus wurde der Uneinbringlichkeitsbegriff für den Bereich der Insolvenz weiter konkretisiert. Hierauf wird im jeweiligen Stadium einzugehen sein.

(b) Keine nachträgliche Uneinbringlichkeit bei freiwilliger Kreditierung 207 Einschränkend ist zum Kompensationserfordernis hinzufügen, dass es nicht mit sich bringen kann, dass der Organträger ausnahmslos für den gesamten Zeitraum in der Lage sein müsste, vollen Ausgleich für die von ihm auf die Umsätze der Organgesellschaft gezahlte Steuer zu erlangen. Dies illustriert ein einfaches Beispiel: Zu denken sei nur an Fälle, in denen der Ausgleichsanspruch gegen die noch gesunde Organgesellschaft entsteht und rechtlich sowie tatsächlich durchsetzbar ist, aber trotz Verwirklichungsmöglichkeit „stehen gelassen“ wird. Fällt die Organgesellschaft später in die Insolvenz, ist der „stehen gelassene“ Ausgleichsanspruch nur noch als Insolvenzforderung durchsetzbar und damit offenbar uneinbringlich. Würde man im Sinne eines absoluten Kompensationserfordernisses ausnahmslos verlangen, dass der Organträger sich stets bei der Organgesellschaft Ausgleich verschaffen kann, müsste die Organschaft rückwirkend für den betreffenden Zeitraum entfallen, weil der Anspruch nachträglich für die gesamte Zeit uneinbringlich ist. Der Fiskus müsste dem Organträger die gezahlte Umsatzsteuer zurückgewähren, die auf Umsätzen der (vermeintlichen) Organgesellschaft beruhte (§ 37 Abs. 2 AO), und sich an die (vermeintliche) Organgesellschaft halten. Wie aussichtsreich dieses Vorgehen wäre, hinge maßgeblich davon ab, ob die Forderung gegen die (vermeintliche) Organgesellschaft als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit qualifiziert würde. Wie im Kontext der Insolvenzanfechtung noch zu ergründen sein wird, läge nach hier vertretener Auffassung eine Insolvenzforderung vor, sodass die Rückwirkung für den Fiskus durchaus folgenschwer wäre.458) ___________ 455) BFH, Urt. v. 24.10.2013 – V R 31/12, BFHE 243, 451 = BStBl. II 2015, 674 = DStR 2014, 262 Rn. 19; BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = BStBl. II 2011, 996 = DStR 2011, 720 Rn. 24; BFH, Urt. v. 20.7.2006 – V R 13/04, BFHE 214, 471 = BStBl. II 2007, 22 = DStR 2006, 1699 Ls. 1; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 209; Zeeck, KTS 2006, 407, 444. 456) BFH, Urt. v. 13.11.1986 – V R 59/79, BFHE 148, 346 = BStBl. II 1987, 226 = ZIP 1987, 119; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 509; Reiß/Kraeusel/Langer/Pull, UStG, 136. Lfg. 03/2017, § 17 Rn. 103. 457) Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 148. 458) Eingehend unter Rn. 370 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Es wurde zwar dargelegt, dass die aktuelle Regelung der Organschaft die Grenzen 208 des Neutralitätsprinzips nur dann nicht überschreitet, wenn der Organträger vollen Ausgleich für seine Umsatzsteuerlast erlangen kann. Im beschriebenen Fall des bewussten „Stehenlassens“ ist dem Organträger die Belastung mit dem Insolvenzrisiko der Organgesellschaft allerdings aufzuerlegen. Hierfür spricht zunächst wertungsmäßig, dass der Organträger es in der Hand hat, die Ausgleichsansprüche gegen die Organgesellschaft unmittelbar geltend zu machen und so einen Forderungsausfall zu vermeiden. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist ihm daher als cheapest risk avoider das Risiko der erst nachträglich eintretenden Uneinbringlichkeit des Ausgleichs zuzuordnen. Andernfalls wäre dem Organträger sogar ein missbräuchliches, taktisches Vorgehen in der Art möglich, den Ausgleichsanspruch bewusst „stehen zu lassen“ und der Organgesellschaft so Liquidität zu verschaffen, ohne dass er ein Ausfallrisiko trüge, weil der Fiskus die Steuerforderung bei nachträglicher Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs selbständig gegen die (dann insolvente) Organgesellschaft durchsetzen müsste. Gleichzeitig besteht in dogmatischer Hinsicht kein Konflikt mehr mit der umsatz- 209 steuerlichen Neutralität, wenn der Organträger eine bestehende Kompensationsmöglichkeit nicht nutzt. Denn damit trifft der Organträger eine ihm zurechenbare Finanzierungsentscheidung und gewährt der Organgesellschaft faktisch Kredit, womit sich das aus der Organschaft erwachsende Risiko der Tragung fremder Umsatzsteuer zum allgemeinen Risiko eines kreditierenden Gesellschafters wandelt. Wirtschaftlich entsteht dasselbe Ergebnis wie bei einer Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch die Organgesellschaft bei gleichzeitiger Darlehensgewährung des Organträgers an die Organgesellschaft. Aus diesem Grund wird eine derart „stehen gelassene“ Forderung insolvenzrechtlich nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO als darlehensähnliche Forderung wie ein Darlehensrückzahlungsanspruch behandelt.459) Der Grundsatz der Belastungsneutralität beansprucht in diesem Fall keine Geltung, der Organträger hat die Konsequenzen des freiwillig übernommenen Insolvenzrisikos zu tragen.460) Das Ergebnis wird durch den Blick auf die parallele Situation in § 17 Abs. 2 Nr. 1 210 UStG gestützt. Verzichtet ein Unternehmer gegenüber einem Abnehmer nur deshalb auf eine Entgeltforderung, stundet er sie oder wird sie an Erfüllung statt durch ein Darlehen ersetzt (sog. Novation), weil der Schuldner nicht in der Lage ist, das Ent___________ 459) BGH, Urt. v. 11.7.2019 – IX ZR 210/18, NZI 2019, 810, dazu Huber, NZI 2020, 149; K. SchmidtInsO/K. Schmidt/Herchen, 19. Aufl. 2016, § 39 Rn. 53; MünchKomm-InsO/Behme, 4. Aufl. 2019, § 39 Rn. 73. 460) Insoweit ist dem BFH (BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 953; BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 Rn. 40) zuzustimmen, dass dem Organträger keine Vorrangstellung gegenüber anderen Gläubigern einzuräumen ist und er das Insolvenzrisiko der Organgesellschaft trägt. Der BFH dürfte in seinen Entscheidungen die hier beschriebene Ausnahme vor Augen gehabt und übersehen haben, dass dies nicht gelten kann, wenn der Organträger nie die Möglichkeit hatte, einen Ausgleich zu erlangen.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

gelt zu zahlen, ist die Forderung zwar uneinbringlich.461) Verzichtet der Gläubiger hingegen auf das Entgelt, stundet er es oder ersetzt er es durch ein Darlehen, obwohl es in voller Höhe hätte erlangt werden können, tritt keine Uneinbringlichkeit ein, weil die Nichtzahlung nicht in der Person des Schuldners begründet ist.462) Dasselbe muss im Falle der Organschaft gelten, wenn der Organträger freiwillig seine Ansprüche stundet, auf sie verzichtet oder sie zu einem Darlehen noviert.

211 Die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs als Voraussetzung für den Bestand der Organschaft unterliegt also gewissen Grenzen. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Forderung im Zeitpunkt ihrer Entstehung tatsächlich und in voller Höhe verwirklicht werden kann. Eine derartige Einschränkung findet sich bei Hasbach in der Aussage, dass Ansprüche „im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung“ einbringlich sein müssen.463) Der BFH wollte diesem Gesichtspunkt gewiss durch die Formulierung Rechnung tragen, dass der Organträger „zumindest dem Grundsatz nach in der Lage“ sein muss, den Ausgleich durchzusetzen.464)

212 Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein zunächst einbringlicher Anspruch sich im Nachhinein als uneinbringlich erweist, etwa wenn eine unmittelbar nach Entstehung erhaltene Zahlung zurückgewährt werden muss. Darauf wird im Kontext der Insolvenzanfechtung zurückzukommen sein.465) Dort haftet der Makel der Anfechtbarkeit der Forderung bereits bei ihrer Entstehung an und wird nicht erst durch freiwilliges Zuwarten geschaffen.

(c) Dogmatische Verortung in der organisatorischen Eingliederung 213 Auch wenn sich das Kompensationserfordernis als Voraussetzung der umsatzsteuerlichen Organschaft scheinbar verselbständigt hat und der Übersicht halber auch hier separat dargestellt wird, entbehrt es nicht einer dogmatischen Anknüpfung an die ___________ 461) Vgl. zur Novation BFH, Urt. v. 13.1.2005 – V R 21/04, BFH/NV 2005, 928 Ls. 2; FG BadenWürttemberg, Urt. v. 15.12.1988 – X-K 46/87, UR 1989, 348 (m. Anm. Weiß); FG Münster, Urt. v. 5.9.1995 – 15 K 4867/92 U, EFG 1996, 295; Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 152; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 176. EL 03/2018, § 17 Rn. 408; Reiß/Kraeusel/Langer/Pull, UStG, 157. Lfg. 02/2020, § 17 Rn. 138 (Novation). 462) Zu Verzicht und Stundung Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 176. EL 03/2018, § 17 Rn. 415, 412. Zur Novation Beaucamp, UR 1995, 205, 206 ff.; Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 152; Sölch/Ringleb/Leipold, 89. EL 06/2020, § 13 Rn. 105; Ebbinghaus/Hinz, UR 2014, 249, 254. 463) Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. Diffus hingegen Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 96 ff., der verlangt, dass der Ausgleichsanspruch fortdauernd, jedenfalls aber „für einen gewissen Zeitraum“ in der Zukunft rechtswirksam befriedigt werden kann. Der Rechtfertigungsversuch kann allenfalls das Erfordernis eines durchführbaren Ausgleichs begründen, nicht hingegen die Erstreckung der Ausgleichsmöglichkeit auf einen unbezifferten zukünftigen Zeitraum. 464) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34. 465) Siehe Rn. 355 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Vielmehr lässt es sich dogmatisch zwanglos und überzeugend aus der organisatorischen Eingliederung ableiten.466) Auch wenn der BFH die Anknüpfung im Beschluss vom 19.3.2014 nicht weiter präzisierte, hatte er sie doch bereits im Urteil vom 8.8.2013 zutreffend gewählt.467) Im Rahmen der organisatorischen Eingliederung kommen als Gegenstand des durch- 214 zusetzenden Willens etliche Handlungen der Organgesellschaft in Betracht, die die laufende Geschäftsführung betreffen.468) Zur laufenden Geschäftsführung zählen jedenfalls die Einziehung von Forderungen und die Befriedigung von Verbindlichkeiten als klassische Maßnahmen mit Vermögenswirkung. Das gilt umso mehr, wenn man mit der Finanzverwaltung von einer Willensdurchsetzung in der „gesamten unternehmerischen Sphäre“ spricht.469) Selbst nach der engen Formulierung des BFH vom 24.8.2011 ist der Ausgleichsanspruch im Rahmen der organisatorischen Eingliederung relevant, weil er „umsatzsteuerrechtlich erhebliche Sachverhalte“ betrifft.470) Lenger/Khanian bezeichnen die Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs sogar als „Kernstück der organisatorischen Eingliederung“.471) Ist der Ausgleichsanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft unein- 215 bringlich und kann der Organträger seinen auf Ausgleichszahlung gerichteten Willen in der Organgesellschaft insoweit nicht mehr durchsetzen, entfällt folglich die organisatorische Eingliederung. Die Verortung in der organisatorischen Eingliederung erweist sich angesichts der Anknüpfung des Merkmals an die tatsächliche Willensdurchsetzung dabei als besonders passend, da wie unter Rn. 175 ff. erläutert auch für den Grundsatz der Belastungsneutralität nicht die bloße Existenz eines Ausgleichsanspruchs genügt, sondern die tatsächliche Einbringlichkeit des Anspruchs hinzukommen muss. Dem BFH wurde dagegen mehrfach attestiert, er stelle im Urteil vom 8.8.2013 auf 216 die rechtliche Situation ab, nämlich auf die rechtliche Durchsetzbarkeit des Aus___________ 466) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; Beck, MwStR 2014, 359, 368; Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 92; Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 171. Im Beschluss vom 19.3.2014 fehlt dagegen ein Bezug zu den gesetzlichen Vorgaben des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, vgl. BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34. 467) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 einerseits und BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30 andererseits. 468) Vgl. bereits Rn. 165 ff. 469) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 5 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 470) BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 = BStBl. II 2012, 256 = DStR 2011, 2396 Rn. 29. 471) So Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

gleichsanspruchs.472) Damit rücke er nicht nur vom hergebrachten Verständnis der organisatorischen Eingliederung ab, sondern eröffne auch Konflikte mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, der eine Beurteilung nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse verlange. Auch das FG Hessen zeigte sich von der Argumentation des BFH nicht überzeugt. Es stelle sich im Hinblick auf die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des Organträgers die Frage, ob es einer rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeit des Ausgleichsanspruchs wirklich bedürfe.473)

217 Tatsächlich formuliert der BFH, der Organträger müsse „die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen“ können.474) Der V. Senat trifft diese Aussage aber im Kontext der allgemeinen Begründung der Rechtsprechungsänderung, nach der die organisatorische Eingliederung nunmehr auch eine Subordination erfordere.475) Bei der späteren konkreten Prüfung der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs bleibt der BFH hingegen bei einer faktischen Betrachtung, wenn er darauf abstellt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt seine Zustimmung zur Befriedigung von späteren Insolvenzforderungen faktisch nicht erteilen wird.476) Dass er dabei auch auf die rechtliche Verpflichtung des vorläufigen Verwalters hinweist, seine Zustimmung zur Zahlung auf spätere Insolvenzforderungen zu verweigern, dient offenbar allein als Argumentationshilfe für die These, dass der Organträger seinen Willen auch faktisch nicht durchsetzen kann.477) Der rechtliche Rahmen wird insofern auch bei Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse nicht irrelevant.478) Gerade beim unabhängigen vorläufigen Insolvenzverwalter ist eine Befolgung der rechtlichen Pflichten zu erwarten, nicht zuletzt wegen der Haftungsandrohung aus §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 60, 61 InsO, sodass die rechtliche die tatsächliche Situation determiniert.

218 In einem Urteil vom 24.8.2011 stellte der BFH noch fest, die organisatorische Eingliederung ende, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zwar nicht in ___________ 472) Böing, BB 2013, 2600 (Anm.); Flöther/Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 10; Onusseit, EWiR 2013, 619, 620 (Anm.). 473) FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334. 474) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28. 475) Dazu noch ausführlicher unter Rn. 251 f. 476) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30 ff. 477) So Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589; zust. Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 71. 478) So aber das FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334. Vgl. zu diesem Gedanken in der Eigenverwaltung bereits unter Rn. 159 ff. und konkret zur tatsächlichen Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs des Organträgers Rn. 220 ff. Bei Fremdverwaltung gilt das umso mehr, weil ein externer Verwalter erst recht keine Veranlassung hat, sich rechtswidrig zu verhalten.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

vollem Umfang, „aber faktisch für den gesamten noch verbleibenden operativen Geschäftsbereich auf den vorläufigen Verwalter übergeht“, und bekannte sich damit ausdrücklich zur Maßgeblichkeit des faktischen Bildes.479) Es ist nicht anzunehmen, dass der BFH die organisatorische Eingliederung und damit die Willensdurchsetzung des Organträgers nunmehr rein rechtlich beurteilen möchte.

(3) Uneinbringlichkeit des Ausgleichs in der Eigenverwaltung Zu klären bleibt somit die Erfüllung des Einbringlichkeitserfordernisses für den 219 konkreten Einzelfall des eröffneten Eigenverwaltungsverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft.

(a) Abhängigkeit der Einbringlichkeit von der insolvenzrechtlichen Qualifikation Die Uneinbringlichkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird für Insolvenz- 220 forderungen spätestens im Insolvenzverfahren und unabhängig von einer Insolvenzquote gleichsam unwiderleglich vermutet.480) Dasselbe muss jedenfalls bei einer Kapitalgesellschaft für Forderungen gelten, die sich lediglich gegen das insolvenzfreie Vermögen richten. Masseverbindlichkeiten werden hingegen lediglich im Falle der Masseunzulänglichkeit uneinbringlich.481) Diese Wertung zu § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG lässt sich auf den innerorganschaftlichen 221 Ausgleichsanspruch übertragen. Damit der Organträger den Anspruch in voller Höhe verwirklichen kann, muss die Organgesellschaft den Ausgleichsanspruch erstens überhaupt wirksam erfüllen können und den Anspruch zweitens auch tatsächlich erfüllen.482) Die unter Rn. 152 ff. angestellten Erwägungen zum Einfluss des Pflichtenprogramms auf die Durchsetzung des Willens können insofern konkret auf die Verwirklichung des Ausgleichsanspruchs übertragen werden: Ist der Anspruch keine Masseverbindlichkeit, ist der Ausgleich gleich aus mehreren 222 Gründen uneinbringlich. Einerseits wäre der Organgesellschaft die Erfüllung unter Umständen schon gar nicht möglich, weil eine entsprechende Verfügung unwirksam ___________ 479) BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 = BStBl. II 2012, 256 = DStR 2011, 2396 Ls. 4. 480) BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BFHE 227, 513 = BStBl. II 2011, 988 = DStR 2010, 323 Ls. 1; zur Konkursordnung BFH, Urt. v. 13.11.1986 – V R 59/79, BFHE 148, 346 = BStBl. II 1987, 226 = ZIP 1987, 119; BFH, Urt. v. 28.6.2000 – V R 45/99, BFHE 192, 129 = BStBl. II 2000, 703 = DStR 2000, 2041; BFH, Urt. v. 16.7.1987 – V R 80/82, BFHE 150, 211 = BStBl. II 1987, 691 = ZIP 1987, 1130; BFH, Urt. v. 19.10.2001 – V R 48/00, BFHE 196, 376 = BStBl. II 2003, 210 = DStR 2001, 2155; Abschnitt 17.1 Abs. 16 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 513. 481) KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 526; Bunjes/Korn, UStG, 19. Aufl. 2020, § 17 Rn. 68. 482) Vgl. hierzu auch die Vorüberlegung unter Rn. 49 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

sein kann.483) Denn die Befriedigung einer sonst uneinbringlichen Forderung verstößt gegen den Insolvenzzweck, was für den Organträger als Mehrheitsgesellschafter in der Regel evident sein dürfte.484) Selbst wenn kurzfristig eine ohne Erfüllungswirkung bleibende Zahlung auf den Anspruch erfolgen würde, müsste später also eine Rückabwicklung stattfinden.485) Eine solche unwirksame Zahlung ohne dauerhaften Bestand kann vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Belastungsneutralität dem Erfordernis der Einbringlichkeit nicht genügen.486) Andererseits würde die Geschäftsleitung der Organgesellschaft die Erfüllung des Anspruchs zur Vermeidung einer scharfen Haftung verweigern, sodass der Organträger den Anspruch faktisch nicht verwirklichen könnte.487) Bei einer pflichtwidrigen Zahlung durch die Geschäftsleitung würde der Sachwalter zudem unverzüglich die Kassenführung an sich ziehen (§ 275 Abs. 2 InsO) und den Verstoß dem Insolvenzgericht anzeigen (§ 274 Abs. 3 Satz 1 InsO), das die Eigenverwaltung aufheben würde.488)

223 Ist der Anspruch dagegen Masseverbindlichkeit, ist er für den Organträger einbringlich. Die Geschäftsleitung der Organgesellschaft hat keinen Grund, die Erfüllung zu verweigern.489) Sie ist weiterhin mit dem Organträger verflochten und wird den Willen des Organträgers umsetzen, solange dabei keine Haftungsrisiken im Raum stehen. Die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs wird praktisch also durch dessen insolvenzrechtliche Qualifikation bestimmt.490)

(b) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs 224 Entscheidende Bedeutung kommt damit schließlich der Frage zu, ob der im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren entstehende Ausgleichsanspruch als Masseverbindlichkeit oder aber als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen zu qualifizieren und damit faktisch uneinbringlich ist. Eine Einordnung als Insolvenzforderung scheidet dagegen von vornherein aus, weil hier gerade solche Ausgleichsansprüche in Rede ___________ 483) Hierfür Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; a. A. Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 124 f. 484) Rn. 156 ff. 485) Hasbach, MwStR 2017, 262, 269. Auch die bloß irrtümliche Befriedigung einer Insolvenzforderung als Masseverbindlichkeit kann als ungerechtfertigte Bereicherung kondiziert werden, vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1978 – VII ZR 55/77, BGHZ 71, 309 = NJW 1978, 1578 zur KO; OLG Brandenburg, Urt. v. 6.12.2001 – 12 U 59/01, NZI 2002, 107 zur InsO; BeckOK-BGB/ Wendehorst, 56. Ed. 11/2020, § 812 Rn. 66. 486) Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. 487) Ausführlich dazu bereits Rn. 159 ff. 488) Vgl. FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220 zur vorläufigen Eigenverwaltung; Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 99 ff. 489) Eine Ausnahme bildet freilich der Fall der Masseunzulänglichkeit, vgl. Kahlert, MwStR 2016, 687, 688 (Anm.). 490) Ähnlich Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 99 ff. A. A. offenbar FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

stehen, die erst im eröffneten (Eigenverwaltungs-)Verfahren begründet werden (§ 38 InsO).491) Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass Ausgleichsansprüche im Rahmen einer Gesamtschuld nicht erst mit Befriedigung des Gläubigers, sondern bereits mit Entstehung der Gesamtschuld begründet werden und zunächst als Freistellungsansprüche existieren.492) Denn die gesamtschuldnerische Haftung von Organträger und Organgesellschaft entsteht immer im Hinblick auf die jeweiligen Umsatzsteuerverbindlichkeiten neu und damit im hiesigen Szenario erst nach Verfahrenseröffnung, auch wenn die Organschaft bereits vor Verfahrenseröffnung begründet wurde. Der BFH meint im Beschluss vom 19.3.2014, der Anspruch sei keine Massever- 225 bindlichkeit, weil er nicht gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft und damit auf der Verwaltung ihrer Insolvenzmasse beruhe, sondern vielmehr auf der umsatzsteuerlichen Organschaft selbst.493) Der Ausgleichsanspruch sei – insoweit ist dem BFH zweifellos zuzustimmen – auch keine Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Zuletzt sei er auch keine Verbindlichkeit aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Insolvenzmasse nicht ohne rechtlichen Grund bereichert sei. Zwar könne die Organgesellschaft, die nach Verfahrenseröffnung Umsatzsteuer vereinnahmt, im Hinblick auf den vom Organträger versteuerten Umsatzsteueranteil als bereichert angesehen werden. Es bestehe aber ein rechtlicher Grund, weil die Organgesellschaft zivilrechtlich Inhaberin des Anspruchs auf die die Umsatzsteuer umfassende Gegenleistung sei. Auch im Verhältnis zum Organträger gebe es einen rechtlichen Grund. Der Ausgleichsanspruch beziehe nicht auf die vereinnahmte Umsatzsteuer, sondern auf den Saldobetrag, der sich bei einer auf die Organgesellschaft bezogenen (fiktiven) Steuerberechnung ergäbe. Diese Eigenständigkeit des Ausgleichsanspruchs gegenüber der Umsatzsteuer schließe die Anwendung von § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO aus, zumal der Anspruch vom BGH auf § 426 BGB und nicht auf bereicherungsrechtliche Vorschriften gestützt werde. Erwähnung verdient die Tatsache, dass die beschriebene Einordnung durch den BFH nur im vorläufigen Rechtsschutz im Beschluss vom 19.3.2014 vorgenommen, in der Hauptsacheentscheidung vom 15.12.2016 dagegen ausdrücklich offengelassen wurde.

___________ 491) Diesen Punkt übersieht offenbar Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 99 ff.; zumindest unpräzise Hasbach, ZInsO 2017, 914, 918 f. 492) BGH, Urt. v. 21.3.1991 – IX ZR 286/90, NJW 1991, 1733, 1734 m. w. N.; MünchKommInsO/Lohmann/Reichelt, 4. Aufl. 2019, § 95 Rn. 26. 493) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 36 ff.; zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 266; ders., ZInsO 2017, 914, 916; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 388; Wäger, DB 2014, 915, 919; Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 398; Kahlert, MwStR 2016, 687, 688 (Anm.).

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

(aa) § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO 226 Der Einordnung des BFH ist das FG Hessen mit zutreffender Begründung entgegengetreten.494) Selbstverständlich würde zwar der Ausgleichsanspruch nicht entstehen, wenn die Organschaft nicht bestünde, die dafür also conditio sine qua non ist. Die Organschaft selbst gibt aber für die Entstehung von innerorganschaftlichen Ansprüchen nur den generellen Rahmen. Tatsächlich wurzelt der Ausgleichsanspruch aus § 426 BGB in jedem einzelnen Umsatz, den die Organgesellschaft ausführt, denn erst dieser Umsatz löst konkret die Steuerpflicht des Organträgers aus, die den Ausgleichsanspruch nach sich zieht. Die Ausführung eines Umsatzes durch die Organgesellschaft betrifft aber zweifellos die Verwaltung der Insolvenzmasse der Organgesellschaft, sodass der Ausgleichsanspruch – jedenfalls auch – gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO „durch die Verwaltung der Insolvenzmasse“ begründet wird.495)

227 Hierfür spricht auch der Zweck des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Die Norm erfasst Verbindlichkeiten, die nicht unmittelbar durch den Insolvenzverwalter bzw. eigenverwaltenden Schuldner begründet, aber durch seine Handlung ausgelöst wurden.496) Solche Folgeverbindlichkeiten können zu den Masseverbindlichkeiten gezählt werden, weil der Insolvenzverwalter bzw. eigenverwaltende Schuldner sie einkalkulieren kann.497) Die Wertung passt ohne Weiteres auf den Ausgleichsanspruch bei der Organschaft, der zwingende Folge der Umsatzausführung ist. Die Situation gleicht insoweit derjenigen ohne Organschaft: Die nach Verfahrenseröffnung unmittelbar anfallende Umsatzsteuerverbindlichkeit wäre unstreitig nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO eine Masseverbindlichkeit.498) Dass nun die Steuer nicht direkt an den Fiskus abgeführt wird, sondern vom Organträger als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ eingenommen wird, fügt dem Vorgang lediglich einen Zwischenschritt hinzu, der für die Qualifikation der Verbindlichkeit als Masseverbindlichkeit irrelevant ist.499) Anders als in der Variante „durch Handlungen des Insolvenzver___________ 494) FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334. Ebenso Möhlenkamp/ Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2586; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.40; de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.); Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 128 ff. 495) Vgl. die Nachweise in der vorigen Fußnote. 496) Andres/Leithaus/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 55 Rn. 6; Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363. 497) Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363. 498) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 36; siehe auch Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 6; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 701; K. Schmidt-InsO/Buteröwe, 19. Aufl. 2016, § 50 Rn. 20. Umstritten ist, wann genau eine Umsatzsteuerforderung begründet ist, hierzu ausführlich etwa Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 20 ff.; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.327 ff.; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 38 Rn. 78 ff. 499) Vgl. Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363; FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334; ähnlich wohl de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.); Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 129.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

walters begründet“, bei der die Verbindlichkeit unmittelbar auf der Handlung des Verwalters beruht, geht es bei der Variante „in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet“ gerade darum, Verbindlichkeiten zu erfassen, deren Begründung durch rechtliche Folgewirkungen mittelbar auf die Masseverwaltung zurückgehen. Da in dieser Variante deshalb immer ein rechtliches Konstrukt existiert, das die verwaltende Handlung der Masse mit der Entstehung einer Verbindlichkeit verknüpft, verfängt es nicht zu sagen, die Verbindlichkeit beruhe auf dem rechtlichen Konstrukt (Organschaft) und nicht auf der Handlung. Nicht überzeugend ist auch der Einwand Hasbachs, der Ausgleichsanspruch werde 228 nicht durch jeden einzelnen von der Organgesellschaft getätigten Umsatz begründet, weil er sich nicht auf den Ausgleich eines einzelnen Umsatzes, sondern auf den Saldo richte, der sich nach Verrechnung der Umsatzsteuerschulden mit Vorsteuerbeträgen ergebe.500) Die Saldierung entspricht der Rechtslage bei einer einfachen Umsatzsteuerverbindlichkeit eines Unternehmers, die nie für jeden Umsatz einzeln berechnet, sondern immer in Voranmeldungszeiträumen gesammelt und mit den Vorsteuerabzugsbeträgen saldiert wird.501) Der BGH hat den Ausgleichsanspruch sogar ausdrücklich als eine fiktive, allein auf die Organgesellschaft bezogene Umsatzsteuerschuld berechnet.502) Bei der normalen Umsatzsteuerberechnung bestreitet aber niemand, dass die Umsatzsteuerschuld unabhängig von der gesammelten Abrechnung oder Saldierung mit Vorsteuerbeträgen in den einzelnen Umsätzen wurzelt und daher durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet wird. Hasbach selbst meint im Übrigen im Hinblick auf die Steuerverbindlichkeit des Organträgers aus Umsätzen der Organgesellschaft ausdrücklich, dass diese nicht durch umsatzsteuerliche Organschaft, sondern durch die konkrete Umsatztätigkeit der Organgesellschaft begründet werde.503) Auch für den Ausgleichsanspruchs der Organgesellschaft aus § 430 BGB im Falle eines internen Vorsteuerüberhangs nimmt Hasbach keine Masseverbindlichkeit an, weil der Anspruch nicht durch die Organschaft, sondern durch die konkreten Leistungsbezüge der Organgesellschaft begründet werde. Warum hier dagegen der Ausgleichsanspruch gerade nicht auf der konkreten Umsatztätigkeit, sondern ausschließlich auf der Organschaft beruhen sollte, erschließt sich nicht. In allen Fällen ist die Organschaft notwendige Rahmenbedingung, die Tätigkeit der Organgesellschaft dagegen konkreter Auslöser für die Anspruchsentstehung. ___________ 500) So Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. Der BFH (BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 38) verneint wegen der Saldierung dagegen nur § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, für § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO stützt er sich darauf richtigerweise nicht. 501) Vgl. nur BFH, Urt. v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137 = BStBl. II 2012, 298 = DStRE 2012, 233 Rn. 26 m. w. N. 502) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 20, 22, worauf der BFH selbst sogar hinweist, vgl. BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 21. 503) Hasbach, MwStR 2017, 262, 267.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

229 Nach Verfahrenseröffnung begründete Ausgleichsansprüche sind daher als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO zu qualifizieren und als solche in der Insolvenz regelmäßig vollständig einbringlich.

(bb) § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO 230 Im Hinblick auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Rechtslage komplizierter. In Rn. 71 ff. wurde erläutert, dass auch ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich, wenngleich nicht zwingend, so doch denkbar ist und im Grunde nicht ferner liegt als ein gesamtschuldnerischer Ausgleich. Wenn man daher einen bereicherungsrechtlichen Anspruch des Organträgers zumindest neben § 426 BGB anwenden wollte,504) würde es sich bei diesem jedenfalls über § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO um eine Masseverbindlichkeit handeln. Ohne dass dem bereicherungsrechtlichen Ansatz noch weiter nachgegangen werden müsste, zeigt sich deutlich, dass dem umstrittenen Rechtsgrund des Ausgleichsanspruchs zwischen Organträger und Organgesellschaft bei Verneinung einer Masseverbindlichkeit über § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO plötzlich eine große Bedeutung zukäme, die der BGH bei seiner Leitentscheidung505) für den gesamtschuldnerischen und gegen den noch von der Vorinstanz506) befürworteten bereicherungsrechtlichen Ausgleich kaum bedacht haben dürfte. Vor dem Hintergrund, dass der BGH die Annahme einer Gesamtschuld ohne nähere Begründung aus dem ganz anders gelagerten507) Recht der gewerbesteuerlichen Organschaft übertragen hat, wirkt das Argument des BFH, der BGH habe den Ausgleich eben nicht auf § 812 BGB, sondern § 426 BGB gestützt, geradezu willkürlich. Es belegt nicht die Richtigkeit der Qualifikation der Verbindlichkeit als Insolvenzforderung, sondern unterstreicht vielmehr die Zufälligkeit dieses Ergebnisses als ungeahnte Folge der Herleitung des Anspruchs aus der Gesamtschuldnerschaft.

(cc) Herleitung über § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 73 AO 231 Der Ausgleichsanspruch des Organträgers lässt sich bei Annahme einer Gesamtschuldnerschaft nicht nur über § 426 Abs. 1 BGB herleiten, sondern auch über § 426 Abs. 2 BGB.508) Danach geht die Forderung des Finanzamtes gem. § 73 AO auf den Organträger über, soweit er seine Steuerschuld begleicht. In der Folge kann der Organträger sich neben § 426 Abs. 1 BGB auch aus übergegangenem Recht aus ___________ 504) Die Ansprüche stehen grundsätzlich nebeneinander, vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 24/09, NJW-RR 2010, 831, 832. 505) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 11. 506) OLG Hamburg, Urt. v. 24.3.2011 – 11 U 92/08, BeckRS 2013, 3338. Dort ging es zwar um den Ausgleich der Organgesellschaft gegen den Organträger, der Streit um die rechtliche Verortung verläuft aber parallel. 507) Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 127 ff.; Prinz/Witt/Prinz, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 1.2. 508) Vgl. BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 19.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

§ 73 AO an die Organgesellschaft halten. Der übergeleitete Ausgleichsanspruch hat in der Insolvenz dieselbe Qualität wie zuvor der Anspruch der Finanzverwaltung aus § 73 AO selbst (vgl. § 401 Abs. 2 BGB). Auch dieser Anspruch aus § 73 AO muss indes eine Masseverbindlichkeit darstellen. 232 Prinzipiell gelten dabei dieselben Erwägungen wie zu § 426 Abs. 1 BGB, denn auch die Haftungsverbindlichkeit aus § 73 AO entsteht durch die Ausführungen von Umsätzen durch die Organgesellschaft und damit durch die Verwaltung ihrer Masse. Der Vergleich zu der unstreitig als Masseverbindlichkeit zu qualifizierenden Umsatzsteuerverbindlichkeit eines Unternehmers außerhalb der Organschaft mag hier sogar noch näher liegen. Eine Besonderheit liegt aber darin, dass bei einer Begründung des Ausgleichsanspruchs über § 426 Abs. 2 BGB der Einwand Hasbachs, „Rechtsgrund für den Ausgleichsanspruch [sei] nicht die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft, sondern die Gesamtschuldnerschaft zwischen dem Organträger als originärem Steuerschuldner und der Organgesellschaft als Haftungsschuldnerin“, schon systematisch nicht greifen kann. Die Gesamtschuldnerschaft ist schließlich ganz offensichtlich nicht Rechtsgrund für den Anspruch aus § 73 AO, sondern wird im Gegenteil selbst mit der Existenz der Haftung aus § 73 AO begründet. Im Übrigen ist kaum vorstellbar, dass der BFH die Verbindlichkeit der Organgesellschaft aus § 73 AO in deren Insolvenz nicht als Masseverbindlichkeit einordnen würde. Zumindest der Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 73 AO stellt daher eine Masseverbindlichkeit dar.

(4) Rechtslage bei internem Vorsteuerüberhang der Organgesellschaft Bei der bisherigen Untersuchung wurde von dem Fall ausgegangen, dass die Organ- 233 schaft bei einer internen Berechnung einen Umsatzsteuerüberhang generiert. Denkbare Szenarien sind aber etwa auch, dass die Organgesellschaft keine steuerpflichtigen Umsätze, sondern ausschließlich Innenumsätze gegenüber dem Organträger erbringt, dass die Organgesellschaft (noch) gar keine Umsätze ausführt509) oder dass die Organgesellschaft nach interner Berechnung allein Vorsteuerüberhänge bewirkt. In allen Fällen ist eine konkrete Störung des Ausgleichsmechanismus definitiv ausgeschlossen, weil ein Ausgleich in den ersten beiden Fällen überhaupt nicht erforderlich ist und im letztgenannten Fall lediglich in Form einer Zahlung des Organträgers an die Organgesellschaft, die ungehindert durch deren Insolvenz zur Masse erfolgen kann. Da aus den oben genannten Gründen der Ausgleichsanspruch des Organträgers als 234 Masseverbindlichkeit zu qualifizieren ist und eine Störung des Ausgleichsmechanismus folglich schon im Falle einer internen Zahllast der Organgesellschaft zu verneinen ist, ergibt sich unabhängig von der internen Umsatz- und Vorsteuer das ___________ 509) Vgl. etwa den Fall BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BFHE 197, 357 = BStBl. II 2002, 373 = DStR 2002, 854 Ls. 1.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

einheitliche Gesamtbild eines funktionsfähigen Innenausgleichs. Wer hingegen mit dem BFH und entgegen der hier vertretenen Auffassung für den soeben behandelten Fall der internen Umsatzsteuerzahllast der Organgesellschaft eine Störung des Ausgleichsmechanismus bejaht, weil der Ausgleichsanspruch keine Masseverbindlichkeit sei, muss sich mit der Frage beschäftigen, ob die Organschaft bei einem internen Vorsteuerüberhang der Organgesellschaft dennoch fortbestehen soll. Man müsste sich dann fragen, ob der Fortbestand der Organschaft von dem leicht veränderlichen und teilweise zufälligen Umstand abhängen soll, dass die Organgesellschaft im Einzelfall in einem Abrechnungszeitraum eine Umsatzsteuerzahllast oder einen Vorsteuerüberhang generiert.510) Im Sinne einer leichteren und sichereren Handhabbarkeit spräche einiges dafür, bereits die abstrakte Gefahr der Entstehung einer Zahllast für eine (abstrakte) Störung des Ausgleichsmechanismus ausreichen zu lassen.511)

(5) Zwischenergebnis 235 Vor unions- und verfassungsrechtlichem Hintergrund hat sich ein funktionsfähiger Ausgleichsmechanismus, der die durch die Organschaft entstehenden Vermögensverschiebungen zwischen Organträger und Organgesellschaft tatsächlich nivelliert, als notwendig erwiesen. Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche vermögen diesem Erfordernis nur dann gerecht zu werden, wenn sie tatsächlich einbringlich sind. Aufgrund der Qualifikation des nach Verfahrenseröffnung begründeten Ausgleichsanspruchs als Masseverbindlichkeit besteht eine solche tatsächliche Kompensationsmöglichkeit für den Organträger im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft grundsätzlich. Etwas anderes gilt nur im Falle der Masseunzulänglichkeit oder gar -armut. Wer wie der BFH und Hasbach im Ausgleichsanspruch keine Masseverbindlichkeit sieht, muss hingegen von der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs und damit (auch aus diesem Grund) von einem Fehlen der organisatorischen Eingliederung ausgehen.

c)

Sonderfall: Einsetzung eines CRO/CIO oder Generalbevollmächtigten

236 Die Rechtslage vereinfacht sich erheblich, wenn in der Eigenverwaltung der Organgesellschaft statt dem bisherigen Geschäftsleiter ein sog. Chief Restructuring Officer (CRO), Chief Insolvency Officer (CIO) oder ein Generalbevollmächtigter eingesetzt wird. Gerade bei größeren Verfahren hat sich diese Praxis etabliert.512) Unabhängig von der obigen Entscheidung zur finanziellen Eingliederung, die nach hier vertretener Ansicht durch § 276a Abs. 1 InsO unterbrochen wird,513) wirkt sich die ___________ 510) Zutreffend Hasbach, MwStR 2017, 262, 267 zur Insolvenz des Organträgers. 511) A. A. Erdbrügger, MwStR 2013, 672 (Anm.). 512) Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 7; Uhlenbruck, FS Metzeler, 2003, S. 85, 87 f.; ausführlich Brinkmann, FS Kayser, 2019, S. 99 ff. 513) Siehe unter Rn. 124 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Einsetzung eines CRO jedenfalls auf die organisatorische Eingliederung ebenso aus wie die Bestellung eines Insolvenzverwalters. Der Organträger ist nicht mehr in der Lage, die Geschäftsführung der Organgesellschaft auf organisatorischem Wege zu beherrschen, da ihm dem eingesetzten CRO gegenüber keine entsprechenden Einflussmöglichkeiten zur Verfügung stehen.514) Nichts anderes gilt bei der Einsetzung eines Generalbevollmächtigten, der die Führung der Gesellschaft übernimmt, ohne Geschäftsleiter zu sein. Auch hier kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung faktisch nicht mehr nach Belieben durchsetzen.

d) Zwischenergebnis Zusammenfassend ergibt sich für den Fortbestand der Organschaft im eröffneten 237 Eigenverwaltungsverfahren der Organgesellschaft folgendes Bild: 1. Der „insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz“ allein taugt für die Argumentation wenig.515) Zwar werden die Insolvenzverfahren der jeweiligen Rechtsträger selbstverständlich getrennt. Auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Organgesellschaft und Organträger jedoch zivilrechtlich bereits zu unterscheiden, sodass die Trennung kein Spezifikum des Insolvenzverfahrens darstellt, sondern dort nur fortgeführt wird. 2. Früher wurde allgemein auf die Reichweite der die Organgesellschaft einschränkenden Befugnisse des Sachwalters abgestellt.516) Anders als vielfach vertreten kann sich hieraus aber lediglich eine äußere Grenze der organisatorischen Eingliederung in dem Sinne ergeben, dass diese jedenfalls entfällt, wenn der Geschäftsleitung der Organgesellschaft derart wenige Befugnisse verbleiben, dass ihr die Umsetzung des Willens des Organträgers faktisch unmöglich ist. Umgekehrt ist die faktische Willensdurchsetzung dem Organträger angesichts der insolvenzrechtlichen Besonderheiten aber nicht allein dadurch möglich, dass der Organgesellschaft bei nur geringen Einschränkungen durch den Sachwalter rein rechtlich die Möglichkeit verbleibt, den Willen umzusetzen. 3. Die Begründung des BFH im Urteil vom 15.12.2016517) zum Fortfall der finanziellen Eingliederung aufgrund von § 276a InsO überzeugt.518) Der Streit um diese Frage ist im Kern ein Streit um die Definition der finanziellen Eingliederung, deren Inhalt nach hiesigem Dafürhalten auch die Beherrschbarkeit der Organgesellschaft mittels Stimmenmehrheit umfasst, nicht allein die bloße Exis___________ Im Ergebnis auch de Weerth, NZI 2013, 860 (Anm.). Siehe unter Rn. 117 ff. Siehe unter Rn. 120 ff. BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 36 ff. 518) Siehe unter Rn. 124 ff, das Zwischenergebnis dort unter Rn. 146.

514) 515) 516) 517)

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

tenz der Stimmenmehrheit. Indem § 276a Abs. 1 InsO den gesellschaftsrechtlichen Einfluss des Organträgers auf die Organgesellschaft beseitigt, verliert die Stimmenmehrheit ihre herrschaftsvermittelnde Wirkung. 4. Unabhängig davon hat das insolvenzrechtlich determinierte Pflichtenprogramm der eigenverwaltenden Organgesellschaft und ihrer Geschäftsleitung entscheidende Bedeutung für die Beendigung der Organschaft.519) Die Geschäftsleitung ist verpflichtet, sich bei ihrem Handeln am Ziel der größtmöglichen Gläubigerbefriedigung auszurichten. Damit geht einher, dass sie ihr Handeln nicht nach den Wünschen des Organträgers gestalten darf. Zwar lässt das Pflichtenprogramm allein die organisatorische Eingliederung genau genommen noch nicht entfallen, da eine Beschränkung des „Dürfens“ der Organgesellschaft die rein tatsächlich zu beurteilende Willensdurchsetzung nicht per se hindert. Da aber ein Pflichtverstoß der Geschäftsleitung der Organgesellschaft in der Eigenverwaltung kaum unbemerkt bleiben würde und sie für diesen Fall einer scharfen Haftung ausgesetzt wäre, spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Organgesellschaft den Willen des Organträgers auch tatsächlich nur noch im engen Rahmen des insolvenzrechtlichen Pflichtenprogramms umsetzt. Im Ergebnis verdrängen daher die Interessen der Gläubigergemeinschaft diejenigen des Organträgers, womit die organisatorische Eingliederung entfällt. 5. Eine Störung der Funktionsfähigkeit des organschaftlichen Innenausgleichs ergibt sich in der Eigenverwaltung im Ergebnis nicht. Zwar setzt eine Verlagerung der Umsatzsteuerlast auf den Organträger insbesondere vor dem Hintergrund des umsatzsteuerrechtlichen Grundsatzes der Belastungsneutralität zwingend voraus, dass der Organträger den ihm zustehenden Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft tatsächlich verwirklichen kann, wie der BFH im Beschluss vom 19.3.2014 und bereits im Urteil vom 8.8.2013 richtig feststellte.520) Eine solche Kompensationsmöglichkeit besteht im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren in der Regel aber auch, weil Ausgleichsansprüche richtigerweise Masseverbindlichkeiten der insolventen Organgesellschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO darstellen und damit grundsätzlich einbringlich sind. Sieht man dies mit dem BFH anders oder tritt Masseunzulänglichkeit ein, ergibt sich dagegen aus diesem Gesichtspunkt ebenfalls der Fortfall der organisatorischen Eingliederung, der das Erfordernis der Ausgleichserlangung zugeordnet werden kann. 6. Wird ein Chief Restructuring Officer, ein Chief Insolvency Officer oder ein Generalbevollmächtigter in der Organgesellschaft eingesetzt, der faktisch die Führung der Geschäfte übernimmt, endet die organisatorische Eingliederung. Die Si___________ 519) Siehe unter Rn. 152 ff. 520) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34 ff.; BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30. Siehe unter Rn. 175 ff., das Zwischenergebnis dort unter Rn. 202.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

tuation ist für die Belange der Organschaft mit der Einsetzung eines Insolvenzverwalters unmittelbar vergleichbar.

II. Eröffnungsverfahren Mit dem Insolvenzantrag beginnt das Eröffnungsverfahren. Es dient der Prüfung 238 der formellen und materiellen Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.521) Dieser eigentliche Zweck wird in Unternehmensinsolvenzen heute nicht selten durch das Ziel der maximalen Ausschöpfung des Insolvenzgeldes verdrängt, wodurch Eröffnungsverfahren sich häufig über drei Monate erstrecken.522) Die lange Dauer des Eröffnungsverfahrens verleiht der Beurteilung des Fortbestands der Organschaft in diesem Stadium eine gesteigerte Bedeutung. Die Untersuchung muss sich dabei an der Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens, also an den Maßnahmen orientieren, die das Insolvenzgericht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse anordnet. Dabei lassen sich teilweise Rückschlüsse aus den Grundsätzen ziehen, die für das eröffnete Verfahren erarbeitet wurden, teilweise ergeben sich Besonderheiten. Ungeachtet der angeordneten Sicherungsmaßnahmen wurde für das Eröffnungs- 239 verfahren in der Literatur teilweise generell ein Ende der wirtschaftlichen Eingliederung erwogen, weil durch die Insolvenzantragstellung und die Bestellung eines vorläufigen Verwalters der Unternehmenszweck geändert werde und fortan nicht mehr auf die Förderung des Organträgers, sondern auf die Verwirklichung der Vermögenshaftung zur Gläubigerbefriedigung gerichtet sei.523) Wenngleich dies aus insolvenzrechtlicher Sicht zutrifft, genügt die Zweckänderung allein nicht, um die von der Rechtsprechung aufgestellten geringen Erfordernisse der wirtschaftlichen Eingliederung per se zu beseitigen.524) Die Ausführungen zur wirtschaftlichen Eingliederung im eröffneten Verfahren gelten im Eröffnungsverfahren entsprechend und erst recht.525) Auch der BFH zog bislang die wirtschaftliche Eingliederung nicht in Zweifel.526) Im Fokus der weiteren Überlegungen stehen daher die finanzielle Eingliederung und vor allem die organisatorische Eingliederung.

___________ 521) Statt aller Bork/Hölzle/Nissen, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 4 Rn. 3. 522) Vgl. dazu J. Richter, NJW 2018, 982, 985. Ausführlich und kritisch zu dieser Praxis J. Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018. 523) Maus, GmbHR 2005, 859, 862; dem folgend Hölzle, DStR 2006, 1210, 1213; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276. 524) Vgl. auch Trinks, UVR 2010, 12, 17, der jedenfalls eine Einzelfallprüfung für erforderlich hält. 525) Rn. 94 ff. 526) Siehe nur BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 952; BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 61.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

1.

Vorläufiges Regelverfahren

240 Unter Geltung der InsO existierte zunächst nur eine Form des Eröffnungsverfahrens. Erst durch das ESUG527) wurde im Jahr 2012 eine Modifikation des Eröffnungsverfahrens eingeführt, welche in Vorbereitung der Eigenverwaltung und des Insolvenzplanverfahrens angeordnet werden soll.528) Das traditionelle Eröffnungsverfahren gilt für den Regelfall des Insolvenzantrags ohne gleichzeitigen Antrag auf Eigenverwaltung fort und wird hier als vorläufiges Regelverfahren bezeichnet. Es zeichnet sich in der Praxis vor allem durch die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters aus, dem je nach weiterer Anordnung unterschiedliche Befugnisse zustehen. Hieran wird sich die folgende Prüfung orientieren.

a) „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter 241 Von der Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters wird allgemein gesprochen, wenn das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und gleichzeitig dem Schuldner gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Var. 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO geht damit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Die Stellung des „starken“ vorläufigen Verwalters ähnelt damit sehr der des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren.

242 Aus diesem Grund können im Hinblick auf den Fortbestand der Organschaft Begründung und Ergebnis des eröffneten Regelverfahrens vollständig übertragen werden.529) Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den „starken“ vorläufigen Verwalter über, kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen. Entsprechend ist unumstritten, dass die organisatorische Eingliederung endet.530)

243 Der V. Senat des BFH müsste die Beendigung der Organschaft zudem auf die fehlende Kompensationsmöglichkeit des Organträgers für die von ihm aufgrund der ___________ 527) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, S. 2582. 528) K. Schmidt-InsO/Undritz, 19. Aufl. 2016, § 270a Rn. 1; Bork/Hölzle/Hölzle, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 15 Rn. 5. Siehe dazu ausführlich unter Rn. 271 ff. 529) Statt aller Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 819 f.; Onusseit, ZIP 2003, 743, 751; Zeeck, KTS 2006, 407, 415; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 133. 530) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 43; BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 = BStBl. II 2012, 256 = DStR 2011, 2396 Rn. 28; BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 952 f.; Sölch/Ringleb/ Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 247; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.37; Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 396; Böing, BB 2013, 2600 (Anm.); Wagner/Marchal, BB 2015, 86; Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2155; Keul, Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 47; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 275; Trinks, UVR 2010, 12, 16; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479, 481.

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Umsätze der Organgesellschaft abgeführte Umsatzsteuer zurückführen. Das ergibt sich aus einer Übertragung seiner Rechtsprechung zum eröffneten Verfahren.531) Zwar ist im Eröffnungsverfahren nicht unmittelbar § 55 Abs. 1 InsO anwendbar, doch enthält der für den „starken“ vorläufigen Verwalter geltende § 55 Abs. 2 InsO trotz der nicht ganz parallelen Formulierung letztlich eine identische inhaltliche Regelung.532) Nach hiesiger Auffassung begründet dies den Masseschuldcharakter des Ausgleichsanspruchs und damit seine Einbringlichkeit, sofern ausreichende Masse vorhanden ist. Nach Ansicht des BFH müsste dagegen eine bloße Insolvenzforderung vorliegen. Insolvenzforderungen werden indes bereits im Eröffnungsverfahren unter Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters uneinbringlich, parallel zur Rechtslage bei § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG.533) Wie im eröffneten Regel- und Eigenverwaltungsverfahren ist zusätzlich die finanzielle 244 Eingliederung zu verneinen, weil Beschlüsse, die in der Gesellschafterversammlung gefasst werden, für den die Geschäfte leitenden „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter keine Bindungswirkung entfalten. Die nach hiesiger Auffassung für die finanzielle Eingliederung erforderliche, über die Stimmenmehrheit vermittelte gesellschaftsrechtliche Beherrschungsmöglichkeit wird dadurch durchbrochen.534)

b) „Halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter Entgegen der gesetzgeberischen Intention bildet die Einsetzung eines „starken“ vor- 245 läufigen Insolvenzverwalters aufgrund des Haftungsrisikos aus §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 55 Abs. 2, 61 InsO in der Praxis den Ausnahmefall.535) Stattdessen wird in der Regel ein sog. „halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter (oder: „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt) eingesetzt.536) In der Literatur gab es schon früh einige Stimmen, die sich auch in diesem Fall gegen den

___________ 531) Siehe zur Eigenverwaltung ausführlich Rn. 172 ff. Die Überlegungen gelten auch im Regelverfahren, vgl. Rn. 93. 532) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372 = NJW 2016, 2572 Rn. 23; HambK-InsO/Jarchow, 7. Aufl. 2019, § 55 Rn. 25; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 227. 533) Vgl. dazu BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 42; Abschnitt 17.1 Abs. 16 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. Siehe auch noch Rn. 257 ff. 534) Siehe die vollständig übertragbaren Erwägungen zum Regelverfahren unter Rn. 91 f., hierzu wiederum die Ausführungen zur Eigenverwaltung unter Rn. 126 ff. 535) Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 1 m. w. N.; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/ Schildt, 4. Aufl. 2019, § 21 Rn. 54; FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 73. 536) MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 21 Rn. 65 f.; Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 21 Rn. 24; K. Schmidt-InsO/Hölzle, 19. Aufl. 2016, § 21 Rn. 58; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 508.

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Fortbestand der Organschaft ausgesprochen haben.537) Der BFH beurteilte die Rechtslage in den letzten Jahren unterschiedlich.

aa) Zustimmungsvorbehalt als Hindernis für die Willensdurchsetzung 246 Ein möglicher Fortfall der Organschaft wird vor allem am Merkmal der organisatorischen Eingliederung festgemacht. Die Auswirkungen der vorläufigen Insolvenzverwaltung auf das Merkmal hängen von dessen genauer Definition ab. Ebendiese wurde durch den BFH anlässlich einer Entscheidung zur Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt im Jahr 2013 modifiziert.

(1) Rechtsprechungsentwicklung zur organisatorischen Eingliederung (a) Früher: Verhinderung abweichender Willensbildung 247 Lange ging der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, es genüge für die organisatorische Eingliederung, dass in der Organgesellschaft keine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung möglich sei.538) Eine positive Durchsetzbarkeit des Willens war folglich nicht erforderlich, ein „Vetorecht“ des Organträgers genügte. Mit dieser Auslegung wich die Rechtsprechung von den Grundsätzen der Organschaft insoweit ab, als diese eine Über-/Unterordnung und damit gerade eine positive Beherrschung und nicht lediglich negativ den Ausschluss fremder Beherrschung verlangen. Der V. Senat des BFH und der dem Senat angehörige Richter Wäger rechtfertigten dies damit, dass nicht alle Eingliederungsmerkmale gleich stark ausgeprägt sein müssten, und differenzierten zwischen einer „wirklichen“ Beherrschung und dem bloßen Ausschluss einer abweichenden Willensbildung.539)

248 Nach Ansicht des BFH bestand demnach die organisatorische Eingliederung im Falle der Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Verwalters fort.540) Dieser könne zwar die Willensdurchsetzung des Organträgers durch die Verweigerung seiner Zustimmung verhindern, umgekehrt in der Organgesellschaft aber nicht seinen eigenen ___________ 537) Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.); J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3287; Stahlschmidt, ZInsO 2003, 58, 60 f. 538) Grundlegend BFH, Urt. v. 20.2.1992 – V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; ferner BFH, Urt. v. 13.3.1997 – V R 96/96, BFHE 182, 426 = BStBl. II 1997, 580 = DStR 1997, 1487; BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497; BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951 Ls.; BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BFHE 219, 463 = BStBl. II 2008, 451 = DStR 2008, 453; BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, BFH/NV 2009, 977 = ZInsO 2009, 1262 (Ls. 1); zuletzt BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, DStR 2010, 323 Rn. 34. 539) BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951, 953; Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1203 f. 540) BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951 Ls.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Willen durchsetzen, wie etwa ein „starker“ vorläufiger Verwalter. Eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung sei daher nicht möglich. Diese Rechtsprechung des BFH wurde heftig kritisiert.541) Zum einen wurde die 249 Abkehr von der gesetzlich festgelegten Beurteilung nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse moniert.542) Der BFH vernachlässige, dass der „halbstarke“ vorläufige Verwalter in der Praxis häufig in der Lage sei, seinen Willen faktisch durchzusetzen, sodass auch nach den eigenen Maßstäben des BFH die Möglichkeit der abweichenden Willensbildung hätte verneint werden müssen.543) Maus nannte als Beispiel für eine solche „Macht des Faktischen“, dass der vorläufige Verwalter von der Bank einen Massekredit erhält, ihm die Kassenführung übertragen wird oder der Schuldner nur noch Aufträge erhält, weil der vorläufige Verwalter den Lieferanten Zahlungen garantiert.544) Auch Onusseit wies darauf hin, dass bereits der „halbstarke“ vorläufige Verwalter nicht selten faktisch die Geschäftsführung übernehme und daher die rechtliche Situation allenfalls ein Indiz für die tatsächlichen Verhältnisse sein könne.545) J. Roth sah sogar erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.546) Gleichzeitig wurden dem BFH bei seiner Rechtsprechung ausschließlich fiskalische 250 Motive unterstellt.547) In der Tat war der Fortbestand der Organschaft bei Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalters – also in der Praxis in den allermeisten Fällen – für den Fiskus vorteilhaft: Der Umsatzsteueranspruch musste so nicht als Insolvenzforderung gegen die insolvente Tochtergesellschaft durchgesetzt werden, sondern konnte direkt gegen den liquiden Organträger festgesetzt werden. Es erscheint auch kaum zufällig, dass der BFH von seiner Rechtsprechungslinie zeitlich recht unmittelbar nach der Einführung des § 55 Abs. 4 InsO am 1.1.2011 abgewichen ist. Aufgrund der Norm bedarf es der Organschaft aus fiskalischen Gründen nicht mehr, weil die im Eröffnungsverfahren begründeten Steuerschulden

___________ 541) Onusseit, ZInsO 2004, 1182; Maus, GmbHR 2005, 859, 862; Walter/Stümper, GmbHR 2006, 68, 70; Hölzle, DStR 2006, 1210, 1214; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.382 m. w. N.; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.193; Trinks, UVR 2010, 12, 17; Blank, EWiR 2004, 1095, 1096 (Anm.); Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 192 f. 542) Onusseit, ZInsO 2004, 1182, 1183 f.; Maus, GmbHR 2005, 859, 862; unentschlossen Walter/ Stümper, GmbHR 2006, 68, 70. 543) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1214. 544) Maus, GmbHR 2005, 859, 862. 545) Onusseit, ZInsO 2004, 1182, 1183 f. 546) J. Roth, DZWIR 2009, 274, 277 f.; dem verhalten folgend Trinks, UVR 2010, 12, 17. 547) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

der insolventen Tochtergesellschaft im eröffneten Verfahren nun ohnehin als Masseverbindlichkeiten qualifiziert werden.548)

(b) Heute: Positive Durchsetzung des eigenen Willens 251 Eine erste Abkehr von der gefestigten Rechtsprechung zeichnete sich im Urteil vom 7.7.2011 ab.549) Hier hatte der V. Senat die Frage, ob die Verhinderung einer abweichenden Willensbildung für die organisatorische Eingliederung ausreicht, bereits offengelassen. Im Urteil vom 24.8.2011 bejahte er dann ein Ende der organisatorischen Eingliederung, obwohl in dem Fall lediglich ein „halbstarker“ vorläufiger Verwalter eingesetzt worden war, weil dieser faktisch für den gesamten noch operativen Bereich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis habe.550)

252 Im grundlegenden Urteil vom 8.8.2013 klärte der BFH wiederum im Kontext einer „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung, dass die Verhinderung abweichender Willensbildung für die organisatorische Eingliederung nicht ausreiche.551) Der Organträger müsse vielmehr positiv seinen Willen durchsetzen können, um seine Rolle als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ wahrnehmen zu können. Der BFH stellt im Hinblick auf das erforderliche Maß der Entscheidungsgewalt damit nunmehr zu Recht fest, dass das Kriterium der Über-/Unterordnung auch in der organisatorischen Eingliederung konsequent fortgeführt werden muss. Die hierfür erforderliche Beherrschung besteht nicht schon dann, wenn keine andere Person herrscht, sondern erst, wenn darüber hinaus auch der eigene Wille durchgesetzt wird. Dies entspricht den erforderlichen Stimmverhältnissen für die finanzielle Eingliederung, die erst bei mehr als 50 % der Stimmen bejaht wird,552) und überzeugt auch im Hinblick auf den Grundgedanken der Organschaft: Die Organgesellschaft verliert nicht nur ihre eigene unternehmerische Selbständigkeit, sondern wird zugleich Teil eines fremden Unternehmens. Während die Selbständigkeit bereits fehlen mag, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre Geschäfte nach ihrem eigenen Willen zu führen, so ist es für die weitergehende Folge der Zurechnung zu einem fremden ___________ 548) Dies deutet bereits Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.193a ff. an. Zu der vergleichbaren Entwicklung in der vorläufigen Eigenverwaltung Rn. 276 ff. 549) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Ls. 2. 550) BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 = BStBl. II 2012, 256 = DStR 2011, 2396 Rn. 29. 551) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Ls. 1; zustimmend Onusseit, EWiR 2013, 619 (Anm.); Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 511; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.35, 24.38. Zuletzt wird indes wieder zur Rückkehr zur vorherigen Rechtsprechung aufgerufen, vgl. Englisch, UR 2016, 822, 839; Nieskens, BB 2015, 2074, 2075. 552) Wäger, UR 2014, 81, 91; Wagner/Marchal, BB 2015, 86 f.; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.22.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Unternehmen zusätzlich erforderlich, dass gerade dieses Unternehmen seinen Willen durchsetzen kann.553)

(c) Begründung der Rechtsprechungsänderung So zustimmungswürdig das Ergebnis der geänderten Rechtsprechung ist, so skeptisch 253 muss der Begründung des V. Senats begegnet werden. Er gibt vor, mit der Rechtsprechungsänderung den Vorgaben des EuGH entsprechen zu wollen, nach dem die Organschaft zur Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen führe und der Organträger als Steuerpflichtiger für alle Organgesellschaften „öffentliche Gelder“ als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ zu vereinnahmen habe.554) Zum einen hat aber der EuGH mit dem Bild des Steuereinnehmers nicht die Funktion des Organträgers konkretisiert, sondern ganz allgemein die des Unternehmers im Umsatzsteuerrecht.555) Er hat also schlicht den Charakter der Umsatzsteuer als indirekte Steuer beschrieben. Zum anderen ist es auch keine neue Erkenntnis, dass der Unternehmer bei der Umsatzsteuer als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ fungiert oder dass die Organschaft nach EU-Recht zu einer Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen führt. Dass diese längst bekannten Umstände hinter der Rechtsprechungsänderung stehen, darf somit bezweifelt werden. Die näher liegende Begründung wurde bereits genannt: Nach Einführung des § 55 Abs. 4 InsO kann der Fiskus die Umsatzsteuer aus dem Eröffnungsverfahren gegen die Tochtergesellschaft als Masseverbindlichkeit geltend machen, sodass es eines Rückgriffs auf die Mutter über die Figur der Organschaft nicht mehr bedarf. Das ermöglichte dem BFH, nun auch in der organisatorischen Eingliederung die seit jeher den Kern der deutschen Organschaft bildende Subordination konsequent abzubilden. Angesichts der Begründung des BFH beinahe ironisch wirkt es, dass die Entscheidung 254 große Zweifel im Hinblick auf die Unionsrechtskonformität der deutschen Eingliederungsvoraussetzungen geweckt hat, weil Art. 11 MwStSystRL statt einer Eingliederung lediglich die gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische enge Verbundenheit verlangt.556) Diese Bedenken hat der EuGH mittlerweile bestätigt.557) Dabei steht nunmehr ganz grundsätzlich das Erfordernis der Über-/Unterordnung in Frage, nicht lediglich die Entscheidung vom 8.8.2013, die dieses Erfordernis auf der Ebene der organisatorischen Eingliederung bloß konsequent fortführt. Der Gesetzgeber wäre aufgerufen gewesen, die Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an das ___________ 553) Ähnlich Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 892. 554) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28. 555) Slapio, UR 2013, 790 (Anm.). 556) Erdbrügger, MwStR 2013, 672 (Anm.); de Weerth, NZI 2013, 860 (Anm.); Marchal/Oldiges, DStR 2013, 2211, 2213; Wagner/Marchal, BB 2015, 86, 87; Slapio, UR 2013, 790 (Anm.). 557) EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt).

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EU-Recht anzupassen. Stattdessen hielt der BFH auch im Angesicht der Entscheidung des EuGH am deutschen Subordinationserfordernis fest.558) In dieser Arbeit soll daher an dem Grundpfeiler der Über-/Unterordnung, der die Organschaft nach bisherigem und heutigem nationalen Verständnis prägt, nicht gerüttelt werden.559)

(2) Folgerungen für den Fortbestand der Organschaft 255 Der BFH leitet aus seinem geänderten Verständnis der organisatorischen Eingliederung ab, dass die Organschaft bei Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Verwalters im Verfahren über das Vermögen der Organgesellschaft stets enden müsse, weil dem Organträger die positive Willensdurchsetzung nicht mehr möglich sei.560) Dem ist zuzustimmen.

256 Der allgemeine Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO umfasst alle Rechtshandlungen, die unmittelbar auf das Vermögen des Schuldners einwirken.561) Die Organgesellschaft ist damit in allen umsatzsteuerlich relevanten Entscheidungen von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters abhängig, der seine Zustimmung nur erteilen darf, wenn die betreffende Rechtshandlung des Schuldners im Interesse der Gläubiger liegt. Er hat angesichts seiner eigenen, insbesondere nach § 60 InsO drohenden Haftung jeden Grund sich pflichtgemäß zu verhalten.562) Nur in diesem eng begrenzten Bereich wird die insolvente Organgesellschaft also einen Willen des Organträgers überhaupt rechtswirksam befolgen können.563) Wollte der Organträger einen Willen durchsetzen, der der Massesicherung abträglich wäre, fände die Durchsetzung ihre Grenzen in den Gläubigerinteressen, die sich in der verweigerten Zustimmung des vorläufigen Verwalters manifestieren. Da damit nicht mehr der Wille des Organträgers, sondern jener der Gläubiger und des vorläufigen Verwalters Vorrang genießt, muss die organisatorische Eingliederung enden.564)

___________ 558) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 21 ff. 559) Zu rechtspolitischen Überlegungen siehe noch Rn. 553 ff. 560) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30; bestätigt durch BFH, Urt. v. 24.8.2016 – V R 36/15, BFHE 255, 310 = BStBl. II 2017, 595 = DStR 2016, 2965 Ls. 2. Vgl. auch das Urteil des XI. Senats BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 43. 561) BGH, Urt. v. 25.10.2007 – IX ZR 217/06, BGHZ 174, 84 = NJW 2008, 63, 66; Uhlenbruck/ Vallender, 15. Aufl. 2019, § 21 Rn. 24. 562) Zur Haftung FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 116 ff.; Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 305 ff. 563) Betroffen ist also die zweite Stufe der organisatorischen Eingliederung, siehe dazu Rn. 50. 564) Vgl. auch bereits die ähnliche Situation in der Eigenverwaltung unter Rn. 169.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

bb) Störung des Ausgleichsmechanismus Wie gesehen scheitert die Willensdurchsetzung des Organträgers und damit die orga- 257 nisatorische Eingliederung bereits generell am Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters. Im Besonderen hemmt der Zustimmungsvorbehalt zudem die vollständige Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen des Organträgers, auf die sich der BFH im Urteil vom 8.8.2013 – wie auch im späteren Beschluss vom 19.3.2014 – konzentriert.565) Die tatsächliche Möglichkeit der Erlangung voller Kompensation ist eine durch den Grundsatz der Belastungsneutralität vorgegebene Voraussetzung der Organschaft, wie ausführlich unter Rn. 181 ff. erörtert wurde. Ansonsten würde der Organträger ohne sachliche Rechtfertigung dauerhaft mit Umsatzsteuer belastet, die er nicht einnehmen konnte. Der Ausgleichsanspruch wäre nur einbringlich, wenn er im späteren Verfahren eine 258 Masseverbindlichkeit darstellen würde. Indes kann der im Eröffnungsverfahren unter Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt begründete Anspruch bloß eine Insolvenzforderung sein, da hier § 55 Abs. 2 InsO keine Anwendung findet und § 55 Abs. 4 InsO nur für die genannten Steuerverbindlichkeiten, nicht aber für den Ausgleichsanspruch als zivilrechtlichen Folgeanspruch gilt.566) Folglich ist der vorläufige Verwalter nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, der Organgesellschaft seine Zustimmung zur Erfüllung dieses Anspruchs zu verweigern.567) Da eine ohne die Zustimmung vorgenommene Verfügung absolut unwirksam ist,568) kann der Ausgleichsanspruch bereits im Zeitpunkt seiner Entstehung nicht von der Geschäftsleitung der Organgesellschaft erfüllt werden und ist damit uneinbringlich. Das Ergebnis deckt sich wiederum mit der Auslegung des parallelen Begriffs der 259 Uneinbringlichkeit in § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG.569) Der BFH hat dazu ausdrücklich entschieden, dass spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der insolventen Organgesellschaft ein „halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter an die Seite gestellt wird,

___________ 565) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30. Ebenso Beck, MwStR 2014, 359, 368. Siehe schon oben Rn. 172. 566) Das galt im Ergebnis auch bereits im alten Recht vor dem SanInsFoG, als die Norm noch von „Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis“ sprach, vgl. auch Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 201. 567) Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 229; vgl. auch BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 34, der aber lediglich die Berechtigung und nicht die Verpflichtung des vorläufigen Verwalters nennt. 568) MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 21 Rn. 65; KPB-InsO/Blankenburg, 71. Lfg. 04/2017, § 21 Rn. 122 f.; BeckOK-InsO/Windau/Kopp, 21. Ed. 10/2020, § 22 Rn. 67. 569) Zur parallelen Auslegung siehe Rn. 205 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

ungeachtet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe die Uneinbringlichkeit von Insolvenzforderungen gegen die Organgesellschaft eintritt.570)

260 Die organisatorische Eingliederung endet nach alledem nicht nur generell wegen der fehlenden Möglichkeit der Willensdurchsetzung, sondern auch konkret wegen der fehlenden Kompensationsmöglichkeit des Organträgers.

cc) Finanzielle Eingliederung 261 Einige befürworten daneben auch ein Ende der finanziellen Eingliederung.571) Der Ansicht liegt das auch hier favorisierte Verständnis zugrunde, dass die finanzielle Eingliederung nicht lediglich nominell eine Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft, sondern auch einen hieraus erwachsenden Einfluss der Gesellschafterversammlung auf die Geschäftsführung erfordert.572) Dieser Einfluss sei aber durch den Sicherungszweck im vorläufigen Verfahren begrenzt.573) Der BFH hat bei Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Verwalters weder vor seiner Rechtsprechungsänderung zur organisatorischen Eingliederung noch danach ein Entfallen der finanziellen Eingliederung in Betracht gezogen.574)

262 Auch wenn das Gebot der Massesicherung den Beteiligten im Eröffnungsverfahren gewisse Grenzen setzt, so ist die dadurch entstehende Situation dennoch nicht mit der des eröffneten Verfahrens vergleichbar. Allein durch die Stellung des Insolvenzantrags wird die Gesellschafterversammlung ihrer Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung gerade noch nicht völlig beraubt, sofern kein „starker“ vorläufiger Verwalter bestellt wird. Die Gesellschafter können die Geschäftsführung daher anders als im eröffneten Verfahren grundsätzlich noch durch Beschlüsse lenken, selbst wenn im Einzelfall Einschränkungen durch den Sicherungszweck entgegenstehen mögen.575) ___________ 570) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 42; BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = BStBl. II 2011, 996 = DStR 2011, 720 Rn. 26 m. w. N.; Abschnitt 17.1 Abs. 16 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; KPBInsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 512; Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 159. Vgl. bereits zuvor zur Sequestration BFH, Urt. v. 16.12.1993 – V R 102/91, BFH/NV 1995, 448; BFH, Urt. v. 6.6.2002 – V R 22/01, BFH/NV 2002, 1352. 571) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212; dem folgend J. Roth, DZWIR 2009, 274, 275 und Trinks, UVR 2010, 12, 16. Für die finanzielle Eingliederung im Rahmen der ertragsteuerlichen Organschaft Blümich/Krumm, 150. EL 11/2019, § 14 KStG Rn. 82; Frotscher/Drüen/Frotscher, KStG, 150. EL 09/2019, § 14 Rn. 675; Kahlert, DStR 2014, 73, 74. 572) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 30, 37; siehe oben Rn. 132 ff. 573) Hölzle, DStR 2006, 1210, 1212. 574) Vgl. BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905 = DStR 2004, 951; BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883. 575) Wagner/Datzer/Schlott, DStR 2020, 1761, 1765, die aufgrund der Einschränkungen aber ein Ende der finanziellen Eingliederung für konsequent halten.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

c)

„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter

Den geringsten Eingriff in die Rechte des Schuldners bewirkt die Bestellung eines 263 Insolvenzverwalters ohne gleichzeitige Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO, also ohne ein allgemeines Verfügungsverbot oder einen Zustimmungsvorbehalt. Dieser „schwache“576) vorläufige Insolvenzverwalter hat lediglich die Aufgabe einer „Aufsichtsperson“ oder eines „Beraters“, der masseschmälernde Handlungen nicht verhindern kann.577) Der Fortbestand der Organschaft in der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung 264 wird selten thematisiert, was sicher auf deren geringe praktische Bedeutung zurückzuführen ist.578) Bisweilen wird ohne größere Untersuchung ein Fortbestand der Organschaft angenommen.579) In der Tat ist eine Willensdurchsetzung des Organträgers jedenfalls nicht grundsätzlich unmöglich, da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei der Organgesellschaft verbleibt und Zustimmungsvorbehalte oder sonstige die Wirksamkeit nach außen hindernde Beschränkungen in der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung grundsätzlich nicht bestehen. Eine Einzelfallprüfung kann hierdurch nicht ersetzt werden, weil das Insolvenzgericht, das gem. § 22 Abs. 2 InsO die Pflichten des „schwachen“ vorläufigen Verwalters bestimmt, auch ohne allgemeinen Zustimmungsvorbehalt durchaus einschneidende Beschränkungen der Rechte der insolventen Organgesellschaft anordnen kann.580) Allerdings kann sich aus dem Gesichtspunkt der Insolvenzzweckwidrigkeit581) eine 265 Beschränkung der Möglichkeiten bei der Willensumsetzung im Außenverhältnis ergeben. Für eine Unwirksamkeit evident insolvenzzweckwidriger Handlungen auch bereits im Eröffnungsverfahren sprechen gute Gründe, denn nicht erst im eröffneten Verfahren überwiegen bei Evidenz der Überschreitung der Pflichten im Innenverhältnis die Interessen der Gläubigergemeinschaft diejenigen des Verkehrs. Konstruktiv lässt sich das Ergebnis etwa über einen Missbrauch der Vertretungsmacht begründen, wie später im Kontext der vorläufigen Eigenverwaltung noch ___________ 576) Häufig wird auch der hier als „halbstark“ bezeichnete vorläufige Verwalter als „schwacher“ vorläufiger Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt bezeichnet, sodass terminologisch Vorsicht geboten ist. 577) Gottwald/Vuia, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 14 Rn. 24; Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 6; Bork, InsR, 9. Aufl. 2019, Rn. 125; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22 Rn. 30. 578) Dazu Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Mönning, 41. EL 06/2020, § 22 Rn. 211. 579) Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.38; Böing, BB 2013, 2600 (Anm.); Schnarrenberger, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2014, S. 214; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479, 481 („dürfte unstreitig sein“). 580) de Weerth, NZI 2013, 860 (Anm.). 581) Siehe dazu bereits im Rahmen der Eigenverwaltung Rn. 156 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

ausgeführt wird.582) Hierdurch könnten insbesondere Zahlungen der Organgesellschaft auf den im Eröffnungsverfahren als Insolvenzforderung entstehenden Ausgleichsanspruch des Organträgers unwirksam sein, soweit die Insolvenzzweckwidrigkeit dieser Verfügung für den Organträger evident war.583) Die Einbringlichkeit des Ausgleichs wäre damit von vornherein ausgeschlossen, sodass die organisatorische Eingliederung entfiele.584)

266 Unabhängig davon müsste der Wille des Organträgers in der Organgesellschaft auch faktisch umgesetzt werden, damit nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse eine Eingliederung im Sinne einer Unterordnung vorliegt. Diesbezüglich dürften zwar im Detail abweichende, aber strukturell ähnliche Bedenken wie im Eigenverwaltungsverfahren bestehen. Dort ist eine faktische Befolgung des Willens äußerst unwahrscheinlich, soweit der Wille im Konflikt mit dem Pflichtenprogramm der Geschäftsleitung der Organgesellschaft steht, da dieser andernfalls Haftungsrisiken drohen.585) Auch die Geschäftsleitung der im Eröffnungsverfahren befindlichen Organgesellschaft unterliegt einem geänderten Pflichtenprogramm. Sie hat eine Massesicherungspflicht, die ihrem Handeln enge Grenzen setzt.586) Die Massesicherungspflicht lässt sich dabei aus mehreren Vorschriften ableiten. Zu nennen ist beispielsweise die Wertung des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO oder die Anfechtungsmöglichkeit von Erfüllungsleistungen nach Insolvenzantragstellung gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO oder § 131 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO.587) Für die Geschäftsleitung der Organgesellschaft am bedrohlichsten ist allerdings die ebenfalls die Massesicherungspflicht zum Ausdruck bringende Regelung des § 15b InsO, deren Entsprechung sich zuvor in § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. §§ 92 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. fand. Die Vorschrift regelt eine Ersatzpflicht der Geschäftsleiter für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet werden, soweit sie nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 InsO). Die Haftung gilt auch im Eröffnungsverfahren, wie der Umkehrschluss aus § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO ergibt.588) Auch wenn die Haftung nach dem SanInsFoG in § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO entschärft wurde, indem sie die Ersatzpflicht auf den tatsächlich eingetretenen Schaden ___________ 582) Rn. 291 f. 583) Vgl. zur Insolvenzzweckwidrigkeit von Zahlungen auf Insolvenzforderungen im Eröffnungsverfahren OLG Dresden, Urt. v. 29.1.2004 – 13 U 2163/03, ZInsO 2005, 1221. 584) Siehe zu dieser Voraussetzung Rn. 175 ff. 585) Rn. 159 ff. 586) Bork, ZIP 2018, 1613, 1614; ders., KTS 2017, 189, 193 ff., 199 f. m. w. N. 587) Bork, ZIP 2018, 1613, 1614. 588) Auch zuvor war die Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG nach herrschender Ansicht im Eröffnungsverfahren anwendbar, siehe Hasbach, MwStR 2017, 262, 270; Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2239 f.; Klinck, DB 2014, 938, 939 ff.; Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 374 ff.; Thole/ Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1101; a. A. Brinkmann, DB 2012, 1369.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

beschränkt, bleibt die Haftung für die (insofern beweisbelasteten) Geschäftsleiter bedrohlich. Auch der Straftatbestand des § 283 StGB ist im Eröffnungsverfahren noch anwend- 267 bar und sanktioniert mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe unter anderem denjenigen, der bei Überschuldung, drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit Bestandteile seines Vermögens, die im Verfahren zur Masse gehören, beiseiteschafft oder verheimlicht. Auch eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB wäre denkbar.589) Im Übrigen wird das Gericht dem Schuldner die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis entziehen und sie auf den vorläufigen Verwalter übertragen, wenn der „schwache“ vorläufige Verwalter diesem gemäß seiner Aufgabenzuweisung Erkenntnisse über vermögensmanipulierende Maßnahmen des Schuldners mitgeteilt hat. Anders als der BFH noch im Jahr 2009 meinte, ist in diesem Zusammenhang uner- 268 heblich, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei der Organgesellschaft „lediglich“ gewissen Verboten und Einschränkungen unterliegt und nicht vollständig entfällt.590) Dies belegt nur in einem ersten Schritt, dass die Willensbefolgung unter Umständen rechtlich möglich wäre, nicht jedoch, dass sie auch faktisch erfolgt. Nach dem maßgeblichen Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse dürfte die faktische Willensdurchsetzung sehr wohl durch Straf- und Haftungsandrohungen auf Seiten des den Willen Befolgenden gehemmt werden. Es spricht daher jedenfalls eine starke Vermutung dafür, dass die Geschäftsleitung 269 der Organgesellschaft angesichts der scharfen Haftung in Kombination mit einer Strafandrohung nur dann den Willen des Organträgers befolgen wird, wenn er im Bereich des durch diese Vorschriften Gestatteten liegt. Da aber gerade § 15b InsO (zuvor § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. §§ 92 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F.) eine sehr umfassende Haftung für Vermögensabflüsse anordnet, bleibt kein nennenswerter Spielraum für eine Willensdurchsetzung des Organträgers.591) Schon bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters ohne Zustimmungsvorbehalt kann der Organträger seinen Willen daher nicht mehr in ausreichendem Maße faktisch durchsetzen.592) Im Übrigen macht sich auch der Organträger selbst nach § 283 StGB strafbar, wenn er im Zeitraum der strafrechtlich relevanten Krise Vermögen aus der Organgesellschaft abzieht.593) Hinzu kommt der auch für den Organträger unerwünschte Effekt, dass das Insolvenzgericht dem Schuldner bei Verstößen gegen sein Pflichtenprogramm die Verfügungsmacht entziehen wird. Deshalb wird der Organträger seinen Willen auch im eigenen Interesse den Gläubigerinteressen unterordnen. ___________ 589) 590) 591) 592) 593)

Bork, ZIP 2018, 1613, 1614. BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, BFH/NV 2009, 977 = ZInsO 2009, 1262, 1263. Siehe zum notwendigen Spielraum für die Willensdurchsetzung bereits Rn. 165 ff. Wohl ähnlich schon Stahlschmidt, ZInsO 2003, 58, 61; Thole, ZIP 2019, 1353, 1354. J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

270 Die Erwägungen gelten wiederum insbesondere für den Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft, den diese aufgrund dessen Charakters als Insolvenzforderung nicht bevorzugt bedienen darf und angesichts der Sanktionen auch nicht erfüllen wird. Selbst wenn der Schuldner im Eröffnungsverfahren seine im Außenverhältnis unbeschränkte Rechtsmacht einsetzen würde, um den Ausgleichsanspruch trotz der sanktionsbewährten Massesicherungspflicht zu erfüllen, würde spätestens nach Eröffnung des Verfahrens der eingesetzte Insolvenzverwalter die Zahlung im Wege der Insolvenzanfechtung (etwa nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO) rückgängig machen, sodass der Anspruch letztlich jedenfalls uneinbringlich wäre.594)

2.

Vorläufiges Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren

271 Vor Inkrafttreten des ESUG595) am 1.3.2012 enthielt die Insolvenzordnung keine besonderen Regelungen zum Eröffnungsverfahren bei gleichzeitigem Antrag auf Eigenverwaltung.596) Daher wurden die allgemeinen Regeln der §§ 21, 22 InsO angewandt.597) Zur Vermeidung der daraus resultierenden hinderlichen Folgen für das spätere Eigenverwaltungsverfahren wurde mit dem ESUG ein besonderes Eröffnungsverfahren in § 270a InsO a. F. geschaffen.598) Kernelement dieses vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens ist, dass dem Schuldner kein vorläufiger Insolvenzverwalter, sondern lediglich ein vorläufiger Sachwalter an die Seite gestellt wird. Damit wird die Kompetenzverteilung des eröffneten Eigenverwaltungsverfahrens bereits in das Eröffnungsverfahren vorverlagert. Mit dem SanInsFoG wurde das vorläufige noch weiter dem eröffneten Eigenverwaltungsverfahren angenähert, um in der ESUGEvaluation erkannte Unklarheiten und Inkonsistenzen zu beseitigen. Hierzu wurden die bisherigen Regeln zur vorläufigen Eigenverwaltung in §§ 270b ff. InsO verlagert und umfangreich ausgestaltet, in ihren Grundprinzipien aber beibehalten.

272 Auch das sog. Schutzschirmverfahren, das früher in § 270b InsO a. F. geregelt war, ist nach dem SanInsFoG in § 270d InsO erhalten geblieben. Es ist als besondere Ausprägung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens zu verstehen, das dem Schuldner, der frühzeitig den Insolvenzantrag stellt, weitere Privilegien gewährt, um einen Insolvenzplan ausarbeiten zu können.599) Es enthält in den an dieser Stelle relevanten Punkten keine Besonderheiten gegenüber dem „regulären“ vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren. Es wird gleichermaßen ein vorläufiger Sachwalter bestellt, das Pflichtenprogramm des Schuldners wird in derselben Weise modifiziert ___________ 594) Vgl. Thole, ZIP 2019, 1353, 1354. Ausführlich zur Anfechtbarkeit vor Antragstellung, auch zu den weiteren Anfechtungsvoraussetzungen, unter Rn. 336 ff. 595) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, S. 2582. 596) K. Schmidt-InsO/Undritz, 19. Aufl. 2016, § 270a Rn. 1. 597) KPB-InsO/Pape, 48. Lfg. 04/2012, § 270 Rn. 120. 598) BR-Drucks. 127/11, S. 57 f. 599) Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 404; Rattunde/Stark, Sachwalter, Rn. 31; BeckOK-InsO/Martini, 21. Ed. 10/2020, § 270b Rn. 1 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

und die Qualifikation von Forderungen verläuft – nunmehr gänzlich600) – parallel. Die folgenden Erwägungen gelten daher vorbehaltlich besonderer Hinweise für beide Verfahrensformen.

a) Überblick über den Meinungsstand In der vorläufigen Eigenverwaltung wurde bislang überwiegend ein Fortbestand 273 der Organschaft angenommen.601) Seit den Leiturteilen des BFH vom 8.8.2013 und 15.12.2016 werden dagegen zunehmend Stimmen für eine Beendigung laut.602) Ganz in diesem Sinne entschied das FG Münster mit Urteil vom 7.9.2017, dass die Organschaft auch bereits mit Bestellung eines vorläufigen Sachwalters endet, wenn das Gericht zugleich den Vollstreckungsschutz nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO anordnet.603) Es begründete die Entscheidung im Kern damit, dass der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft nicht mehr in rechtlich zulässiger Weise durchsetzen könne, weil das Pflichtenprogramm der Organgesellschaft sich im Eröffnungsverfahren verändere und nunmehr auf die Sicherung der künftigen Masse gerichtet sei.604) Daher dürfe insbesondere der Ausgleichsanspruch des Organträgers nach § 426 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden. Das FG Münster folgte damit im Kern einer bereits im Jahr 2013 von Kahlert entwickelten Argumentation.605) Mit Urteil vom 27.11.2019 hob der XI. Senat des BFH das Urteil des FG Münster 274 auf und entschied, dass die Organschaft durch die vorläufige Eigenverwaltung über das Vermögen der Organgesellschaft nicht beeinträchtigt werde.606) Zu erwarten war dabei, dass die wirtschaftliche Eingliederung und mangels Anwendbarkeit des ___________ 600) Siehe dazu noch Rn. 300 ff. 601) Böing, BB 2013, 2600 (Anm.); Wäger, UR 2014, 81, 91 f.; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 134; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.40; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1932 Abb.; MünchAnwHdb-AktR/Schlösser, 3. Aufl. 2018, § 54 Rn. 274; wohl auch Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 511. 602) FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 13; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387 f.; Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2349 f.; ders., ZIP 2014, 1101, 1109; Kahlert/Schmidt, DStR 2014, 419 (Anm.); Hasbach, MwStR 2017, 262, 267 ff.; ders., ZInsO 2017, 914, 918. Die Position des BMF ist dagegen (entgegen der Ansicht von Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2155) unklar, vgl. Abschnitt 2.8 Abs. 12 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020, vgl. auch Flöther/Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 19. 603) FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217. Zust. Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.); Kruth, MwStR 2018, 47 (Anm.); Witfeld, NZI 2017, 942, 943 (Anm.); J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 1. Aufl. 2011, Rn. 4.389 (weniger deutlich in der 2. Auflage); MünchKomm-InsO/ Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 420. 604) FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220. 605) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2349 f.; Kahlert/Schmidt, DStR 2014, 419 (Anm.). Siehe zum parallelen Argument im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren Rn. 113 f. und Rn. 152, zur vorläufigen Eigenverwaltung siehe noch unten. 606) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494; kritisch dazu Piroth, NZI 2020, 382 (Anm.).

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

§ 276a InsO (in der Fassung vor dem SanInsFoG) auch die finanzielle Eingliederung als fortbestehend angesehen werden.607) Überraschender sind die Erwägungen zum Fortbestand der organisatorischen Eingliederung: Der Senat stützt sich hierfür maßgeblich darauf, dass die Organgesellschaft als vorläufig eigenverwaltende Schuldnerin anders als im eröffneten Verfahren nicht als Amtswalterin in eigenen Angelegenheiten, sondern aus eigenem Recht und daher „völlig autonom“ handele.608) Eine insolvenzrechtlich geprägte Überlagerung der Pflichtenstellung der handelnden Gesellschaftsorgane finde nicht statt. Der Organträger könne daher im Sinne der organisatorischen Eingliederung seinen Willen in vollem Umfang durchsetzen.609) Darüber hinaus sieht der XI. Senat kein Hindernis darin, dass der Organträger von der Organgesellschaft keine Mittel erhält, um die von dieser verursachte Umsatzsteuer zu entrichten, weshalb die insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs gegen die Organgesellschaft irrelevant sei. Seine Rolle als „Steuereinnehmer des Staates“ könne er dessen ungeachtet wahrnehmen, zumal eine Überweisung von Mitteln der Organgesellschaft an den Organträger vom vorläufigen Sachwalter nicht verhindert werden könne. Eine spätere Anfechtbarkeit einer solchen Überweisung oder eine Haftung der Geschäftsleitung der Organgesellschaft hält der XI. Senat dabei nicht für entscheidungserheblich.610) Zudem könne der Organträger selbst bestimmen, ob und welche Umsätze die Organgesellschaft ausführe, sodass es gerechtfertigt sei, ihn als Steuerschuldner anzusehen.611) Auch einen Konflikt mit dem insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz sieht das Gericht nicht, weil das Verfahren noch nicht eröffnet sei.

275 Es handelt sich um die erste Entscheidung des XI. Senats seit der neueren Rechtsprechungsserie des V. Senats zur Organschaft in der Insolvenz. Das Urteil offenbart nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Argumentation unterschiedliche Tendenzen beider Senate. Diese hatten sich bereits im Jahr 2012 abgezeichnet, als der XI. Senat eine Revision zurückgewiesen hatte, die mit der Unbilligkeit der Umsatzsteuerpflicht bei Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs begründet wurde, während der V. Senat nur ein gutes Jahr später im Kern genau wie die damaligen Revisionsführer argumentierte, auch wenn er selbst betonte, von der Rechtsprechung des XI. Senats nicht abzuweichen.612)

___________ 607) 608) 609) 610) 611) 612)

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BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 61 ff. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 49 ff. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 53 ff. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 79. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 80. Vgl. BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 Rn. 40 einerseits und BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883, insb. Rn. 35 andererseits.

A. Insolvenz der Organgesellschaft

b) Gewandelte fiskalische Interessenlage Die Frage der Beendigung der Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung 276 hatte bis zum 1.1.2021 eine deutlich größere fiskalische Bedeutung als im eröffneten Verfahren oder in der vorläufigen Regelverwaltung. Die umsatzsteuerliche Organschaft ermöglicht dem Fiskus den Zugriff auf den Organträger als Steuerschuldner, sodass trotz Insolvenz der Organgesellschaft Umsatzsteuerausfälle vermieden werden können. Im eröffneten Regel- und Eigenverwaltungsverfahren entstehen solche Verluste indes auch ohne Organschaft nicht, weil die Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Tochtergesellschaft im eröffneten Verfahren ohnehin als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO entstehen und damit vom Finanzamt durch Steuerbescheid festgesetzt und in aller Regel voll durchgesetzt werden können.613) Die Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters wertet die Umsatzsteuerverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 InsO ebenfalls zu Masseverbindlichkeiten auf. Auch bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt werden Umsatzsteuerverbindlichkeiten durch den eigens für diesen Zweck geschaffenen § 55 Abs. 4 InsO nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten qualifiziert.614) Die vorläufigen Eigenverwaltung nahm insoweit bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG 277 zum 1.1.2021 eine Sonderstellung ein. Der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO a. F. erstreckte sich nach allgemeiner Ansicht nicht auf die vorläufige Eigenverwaltung.615) Der Fortbestand der Organschaft war in der vorläufigen Eigenverwaltung damit von besonderem fiskalischen Interesse.616) Denn der Fiskus konnte ohne Organschaft die Steuerforderungen gegen die Tochtergesellschaft nur als Insolvenzforderung durchsetzen und wurde so nur quotal befriedigt. Dieser Umstand dürfte ein unausgesprochener Grund dafür sein, dass bisher häufig für den Fortbestand der Organschaft in der vorläufigen Eigenveraltung argumentiert wurde, und darf ___________ 613) BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682 = DStR 2009, 851, 852; BFH, Urt. v. 29.8.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435 = BStBl. II 2010, 145 = DStRE 2008, 116, 117; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 781 ff. 614) Kritisch zur Einführung des § 55 Abs. 4 InsO beispielsweise Kahlert, ZIP 2014, 1101, 1105 („verfassungswidrig“); ders., ZIP 2010, 1274; Hölzle, BB 2012, 1571, 1573; Onusseit, ZInsO 2011, 641, 643 f.; Heinze, ZInsO 2011, 603; Smid, DZWIR 2011, 133, 134; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2156 ff.; Marotzke, ZInsO 2010, 2163 ff.; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 65 m. w. N.; a. A. Frintrup, ZIP 2019, 1101, der § 55 Abs. 4 InsO vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Gebots der effektiven Mehrwertsteuererhebung für notwendig hält. 615) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174 Rn. 20 ff.; BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 14/19, DStR 2020, 1674 Ls.; FG Münster, Urt. v. 12.3.2019 – 15 K 1535/18 U, NZI 2019, 547 Rn. 48 ff.; FG Köln, Urt. v. 11.4.2019 – 12 K 2583/17, NZI 2020, 83 Rn. 22; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 55 Rn. 110 m. w. N.; Andres/Leithaus/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 55 Rn. 19; Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2547. 616) Vgl. auch Piroth, NZI 2020, 382 (Anm.).

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

insbesondere bei der Würdigung des Urteils des XI. Senats vom 27.11.2019617) nicht außer Acht gelassen werden.

278 Im Rahmen der InsO-Reform durch das SanInsFoG ist die skizzierte besondere fiskalische Interessenlage in der vorläufigen Eigenverwaltung entfallen. Bereits der am 18.9.2020 veröffentlichte Referentenentwurf zum SanInsFoG schlug eine Änderung des § 55 Abs. 4 InsO vor, nach der die Norm auch für solche Umsatzsteuerverbindlichkeiten gelten sollte, die „vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind“.618) Die Erweiterung des Anwendungsbereichs sollte eine Gleichbehandlung mit der vorläufigen Regelverwaltung schaffen.619) In dem erstmals am 14.10.2020 und nochmal als Drucksache am 9.11.2020 veröffentlichten Gesetzesentwurf der Bundesregierung wurde die geplante Änderung des § 55 Abs. 4 InsO überraschend verworfen,620) was Kritik sowohl aus der Wissenschaft als auch vom Bundesrat hervorrief.621) Nach der Beratung im Rechtsausschuss ist die Änderung des § 55 Abs. 4 InsO in leicht modifizierter Form schlussendlich doch wieder Bestandteil des am 17.12.2020 vom Bundestag beschlossenen SanInsFoG geworden.

279 Damit sind nach inzwischen geltendem Recht auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründete Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung Masseverbindlichkeiten, sodass es der umsatzsteuerlichen Organschaft als Instrument zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens wie im eröffneten Verfahren oder im regulären Eröffnungsverfahren nicht mehr bedarf. Das könnte entscheidenden Einfluss auf die künftige Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung haben. Schon mit Einführung des § 55 Abs. 4 InsO a. F. durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011622) hatte der BFH seine Rechtsprechung zum Fortbestand der Organschaft bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt geändert und die Organschaft, auf deren Fortbestand er vorher beharrt hatte, als beendet angesehen.623) Die Geschichte könnte sich wiederholen, zumal sich durch die im ebenfalls durch das SanInsFoG bewirkte Ausdehnung des § 276a InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung weitere gewandelte Rahmenbedingungen für die Prüfung des Fortbestands der Organschaft ergeben.

___________ 617) 618) 619) 620) 621)

BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494. RefE SanInsFoG v. 18.9.2020, S. 61. RefE SanInsFoG v. 18.9.2020, S. 213. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181. Madaus, Sachverständigenbericht zum RegE SanInsFoG, S. 10; Bundesrat, Stellungnahme zum RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/20, S. 22 f. = BT-Drucks. 19/24903, S. 24 f. 622) HBeglG v. 9.12.2010, BGBl. I, S. 1885, 1893. 623) Siehe zu dieser Rechtsprechungsänderung bereits oben Rn. 247 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

c)

Übertragung der herausgearbeiteten Ansätze

Für die Untersuchung der Beendigung der Organschaft in der vorläufigen Eigen- 280 verwaltung liegt es nahe, die für das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren gefundenen Gründe für eine Beendigung auf ihre Übertragbarkeit zu überprüfen. Dies entspricht letztlich auch dem Vorgehen des XI. Senats in der Entscheidung vom 27.11.2019.

aa) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz Der vom V. Senat für das eröffnete Verfahren ins Feld geführte „insolvenzrechtliche 281 Einzelverfahrensgrundsatz“ wurde an entsprechender Stelle bereits für zu abstrakt und insbesondere deshalb für wenig überzeugend gehalten, weil die Verfahrenstrennung nicht erst im Insolvenzverfahren stattfindet, sondern bereits in der zivilrechtlichen Trennung von Organträger und Organgesellschaft angelegt ist.624) Hier soll er einzig aus dem Grund noch einmal aufgegriffen werden, da der XI. Senat in seiner Entscheidung meint, der Gedanke des V. Senats sei in der vorläufigen Eigenverwaltung mangels Verfahrenseröffnung nicht einschlägig.625) Die Ansicht ist nicht nachvollziehbar, gerade weil die Trennung der Vermögensmassen nicht erst mit Verfahrenseröffnung eintritt, sondern selbstverständlich auch die jeweiligen Eröffnungsverfahren bereits für jeden Rechtsträger einzeln geführt werden. Wenngleich der Ansatz des V. Senats daher auch in der vorläufigen Eigenverwaltung 282 Berücksichtigung finden kann und muss, bleibt es dabei, dass dieser besser unter dem Stichwort der Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichsmechanismus behandelt wird, da die im insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz erkannten Konflikte letztlich solche sind, die aus der fehlenden Einbringlichkeit von Ausgleichsansprüchen gegen die Organgesellschaft herrühren.

bb) Anwendbarkeit des § 276a InsO Für das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren hat der V. Senat des BFH entschieden, 283 dass die finanzielle Eingliederung aufgrund der Wirkung des § 276a Abs. 1 InsO endet.626) Folgt man dieser auch hier befürworteten Ansicht, hängt die finanzielle Eingliederung der vorläufig eigenverwaltenden Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers von der Anwendbarkeit des § 276a Abs. 1 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung ab. Denn ist die Norm nicht anwendbar, wird der gesellschaftsrechtlich vermittelte Einfluss nicht grundsätzlich blockiert,627) sodass die finan___________ 624) Siehe Rn. 117 ff. 625) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 70 f. 626) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 36. Siehe Rn. 124 ff. 627) Vgl. Kübler/Hofmann, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 37 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

zielle Eingliederung unberührt bleibt. Diese Ansicht vertrat auch der XI. Senat des BFH in seiner Entscheidung zur vorläufigen Eigenverwaltung.628)

284 Im insolvenzrechtlichen Schrifttum war bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG am 1.1.2021 umstritten, ob § 276a InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung (analoge) Anwendung findet. Eine analoge Anwendung des § 276a InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung wurde vor allem mit der Erwägung befürwortet, dass auch im Eröffnungsverfahren bereits gesichert sein müsse, dass die Gesellschafterversammlung keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung des Schuldners habe.629) Das Eröffnungsverfahren solle dem eröffneten Verfahren praktisch angenähert werden. Die herrschende Ansicht hielt § 276a InsO im Eröffnungsverfahren dagegen nicht für anwendbar.630) Hierzu wurde vor allem darauf hingewiesen, dass eine Legitimation für einen Eingriff in die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung fehle, weil noch nicht klar sei, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet werde.631) Jedenfalls bedürfe ein solcher erheblicher Eingriff aus verfassungsrechtlichen Gründen einer gesetzlichen, nicht bloß durch Analogie geschaffenen Grundlage.632)

285 Ebendiese gesetzliche Grundlage wurde inzwischen durch das SanInsFoG geschaffen. Als Teil der Neugestaltung der (vorläufigen) Eigenverwaltung wurde der bisherige Wortlaut des § 276a InsO a. F. in Absatz 1 verschoben und in Absatz 3 hinzugefügt: „Die Absätze 1 und 2 finden im Zeitraum zwischen der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung […] und der Verfahrenseröffnung entsprechende Anwendung.“ Hierdurch muss der Bestand der finanziellen Eingliederung in der vorläufigen Eigenverwaltung nunmehr identisch wie im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren beurteilt werden, sodass die Ausführungen unter Rn. 124 ff. auch für die vorläufige Eigenver___________ 628) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 65. 629) Brinkmann, DB 2012, 1369 Fn. 50; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 273 f.; Hammes, NZI 2017, 233, 238; Haas, FS Kübler, 2015, S. 203, 215, 217; ders., FS Stürner, 2013, S. 749, 765 f.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015, Rn. 199 ff.; ders., ZIP 2019, 1353, 1354; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, 2. Aufl. 2014, § 276a Rn. 11 ff.; Hasbach, MwStR 2017, 262, 279 f.; ders., ZInsO 2017, 914, 918. Nach Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2429 sollte die Norm nur im Rahmen des Schutzschirmverfahrens anwendbar sein. 630) FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 5; KPB-InsO/Pape, 49. Lfg. 07/2012, § 276a Rn. 6; Nerlich/Römermann/Riggert, 41. EL 06/2020, § 276a Rn. 6; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 4; BeckOK-InsO/Ellers/Plaßmeier, 21. Ed. 10/2020, § 276a Rn. 6 f.; HK-InsO/ Brünkmans, 10. Aufl. 2020, § 276a Rn. 21; MünchKomm-InsO/Klöhn, 4. Aufl. 2020, § 276a Rn. 18; K. Schmidt-InsO/Undritz, 19. Aufl. 2016, § 276a Rn. 3; Braun/Riggert, 8. Aufl. 2020, § 270a Rn. 3; HambK-InsO/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 276a Rn. 1; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1493; Klinck, DB 2014, 938, 940; Klöhn, NZG 2013, 81, 84; Kübler/M. Hofmann, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 38; Kübler/Bierbach, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 174 f.; Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2207 f.; Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 399. 631) Siehe nur Nerlich/Römermann/Riggert, 41. EL 06/2020, § 276a Rn. 6; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 4; Klöhn, NZG 2013, 81, 84. 632) KPB-InsO/Pape, 49. Lfg. 07/2012, § 276a Rn. 6; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 4.

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waltung gelten. Nach dem überzeugenden Verständnis des V. Senats des BFH633) endet die finanzielle Eingliederung damit bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung der Organgesellschaft. Gleichzeitig verliert das Urteil des XI. Senats des BFH vom 27.11.2019634) zum 286 Fortbestand der umsatzsteuerlichen Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung seine Aussagekraft. Darin musste der XI. Senat sich nicht mit den vom V. Senat aufgestellten Anforderungen an die finanzielle Eingliederung auseinandersetzen, weil er sich auf die Nichtanwendbarkeit von § 276a InsO zurückziehen konnte.635) Nach Inkrafttreten des SanInsFoG wird sich der XI. Senat nun doch noch zur Auslegung der finanziellen Eingliederung durch den V. Senat positionieren müssen.

cc) Befugnisse des vorläufigen Sachwalters Für den vorläufigen Sachwalter gelten die §§ 274 und 275 InsO über den Verweis 287 in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO a. F.) entsprechend. Insbesondere kann der vorläufige Sachwalter die Kassenführung an sich ziehen (§ 275 Abs. 2 InsO) und das Insolvenzgericht kann trotz des fehlenden Verweises auf § 277 InsO anordnen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters wirksam sind.636) Damit sind seine möglichen Befugnisse denen des Sachwalters sehr ähnlich. Entsprechend gilt das zum eröffneten Eigenverwaltungsverfahren Gesagte:637) Erhält der vorläufige Sachwalter im Einzelfall derart weitreichende Befugnisse, dass die Organgesellschaft wegen der starken Beschränkung ihrer rechtlichen Handlungsmöglichkeiten den Willen des Organträgers nicht mehr ___________ 633) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 36. 634) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494. 635) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 65. 636) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Ringstmeier, InsO, 4. Aufl. 2020, § 270a Rn. 6; MünchKommInsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270a Rn. 48; KPB-InsO/Pape, 49. Lfg. 07/2012, § 270a Rn. 18; Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815. Hieran dürfte auch die Neufassung der §§ 270 ff. InsO durch das SanInsFoG nichts ändern. Es heißt zwar in § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO nun ausdrücklich, dass das Gericht für den Fall, dass es die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO einstweilen anordnet, einen Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Sachwalters für Verfügungen des Schuldners anordnen kann. Ein Umkehrschluss in dem Sinne, dass im Übrigen die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts ausgeschlossen ist, dürfte sich aber nur für einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt ziehen lassen, wie ihn § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO vorsieht, § 277 InsO aber gerade nicht. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Begründung des Regierungsentwurfs, nach der die Anordnung des Zustimmungsvorbehalts nach § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO deshalb temporär auf die einstweilige Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO) beschränkt wird, weil er mit dem Grundgedanken des verfügungsbefugten eigenverwaltenden Schuldners nicht vereinbar ist, vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 201. Da § 277 InsO unverändert beibehalten werden soll, wird in der Anordnung eines solchen (auf bestimmte Rechtsgeschäfte beschränkten) Zustimmungsvorbehalts offenbar kein Konflikt mit dem Leitbild der Eigenverwaltung gesehen. 637) Siehe Rn. 120 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

umsetzen kann, endet bereits aus diesem Grund die organisatorische Eingliederung.638) Aus der Bestellung des vorläufigen Sachwalters allein lässt sich eine allgemeine Regel der Beendigung der Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung aber genauso wenig herleiten639) wie sich ein allgemeiner Fortbestand aus der Tatsache ableiten ließe, dass der vorläufige Sachwalter im Normalfall Verfügungen im Außenverhältnis nicht verhindern kann.640)

dd) Pflichtenprogramm des Schuldners 288 Bereits unmittelbar aus der geänderten Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 8.8.2013 zur „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung leitete Kahlert ab, dass auch in der vorläufigen Eigenverwaltung der Organgesellschaft die Organschaft enden müsse.641) Grundlage dieser Annahme ist die Prämisse, dass der eigenverwaltende Schuldner zwar noch auf Grund seiner eigenen privatautonomen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis handelt, also noch nicht „Amtswalter in eigenen Angelegenheiten“ ist, weil der Anordnungsbeschluss zur Eigenverwaltung, der dem Schuldner die Amtswalterstellung verleiht, noch nicht ergangen ist,642) sein Pflichtenprogramm sich aber dennoch im Eröffnungsverfahren bereits verändert und auf Sicherung der künftigen Masse gerichtet ist.643) Ein entsprechendes Pflichtenprogramm muss erst recht angenommen werden, wenn man dem eigenverwaltenden

___________ 638) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208. Dies offenlassend BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 59. 639) Vgl. auch BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 56, 58. 640) So aber Böing, BB 2013, 2600 (Anm.). 641) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2349 f.; Kahlert/Schmidt, DStR 2014, 419 (Anm.); siehe auch Flöther/ Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 23 ff. 642) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 50 f.; FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220; Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 124; Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 338 f.; Kübler/Hofmann, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 30 f.; HambK-InsO/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270a Rn. 15; K. Schmidt-InsO/ Undritz, 19. Aufl. 2016, § 270a Rn. 7; ders., BB 2012, 1551, 1553; Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2349; Schaffer, EWiR 2019, 503, 504; vgl. auch Undritz, FS Wehr, 2012, S. 339, 352 ff., 356, nach dem die Amtswalterstellung mit der Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zusammenhängt. 643) AG Hamburg, Beschl. v. 14.7.2014 – 67 b IN 196/14, NZI 2015, 177 Ls. 1; Bork, ZIP 2018, 1613, 1614; Gottwald/Haas, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 88 Rn. 124; Bork, KTS 2017, 189, 199 f.; Kahlert, ZIP 2012, 2089; K. Schmidt-InsO/Undritz, 19. Aufl. 2016, § 270a Rn. 7; Thole, DB 2015, 662, 663; Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 739; Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 344; HambK-InsO/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270a Rn. 15, 44; Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1750; Rattunde/Stark, Sachwalter, Rn. 142, 146; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1406; Piroth, NZI 2020, 382, 383 (Anm.). A. A. wohl Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356; Pape, ZInsO 2016, 2149, 2152 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren die Amtswalterstellung zuschreibt.644) Das geänderte Pflichtenprogramm setzt daher nach übereinstimmender Ansicht des FG Münster und Kahlerts der erforderlichen tatsächlichen Durchsetzung des Organträgerwillens in der laufenden Geschäftsführung Grenzen.645) Es führt insbesondere dazu, dass der Schuldner grundsätzlich keine Zahlungen mehr auf Forderungen vornehmen darf, die im Insolvenzverfahren bloße Insolvenzforderungen darstellen,646) wie etwa der in der vorläufigen Eigenverwaltung begründete Ausgleichsanspruch des Organträgers. Der XI. Senat des BFH ignoriert in seiner jüngsten Entscheidung dagegen unter Betonung der privatautonomen Verfügungsbefugnis des vorläufig eigenverwaltenden Schuldners die ihn ungeachtet dessen treffenden insolvenzrechtlichen Pflichten und vertritt letztlich die Auffassung, die vorläufige Eigenverwaltung unterscheide sich nicht von der vorinsolvenzlichen Situation.647) Wagner/Fuchs erkennen zwar das geänderte Pflichtenprogramm der vorläufig eigen- 289 verwaltenden Organgesellschaft an, weisen aber darauf hin, dass es nichts an der tatsächlichen Verfügungsbefugnis ihrer Geschäftsleitung (im Sinne eines rechtlichen „Könnens“) ändere, und auf das tatsächliche Bild komme es nun einmal an.648) Obwohl es zutrifft, dass der Organgesellschaft die Verfügungsbefugnis verbleibt, begründet dies nicht die organisatorische Eingliederung. Zwar weisen Wagner/ Fuchs zu Recht auf die grundsätzliche Irrelevanz der Pflichtenbindung der Organgesellschaft, also ihres „Dürfens“ hin, auf das Kahlert allein abstellt, da es für die organisatorische Eingliederung gerade auf die tatsächliche Willensdurchsetzung ankommt. Wagner/Fuchs schießen aber über das Ziel hinaus, wenn sie folgern, allein das tatsächliche „Können“ der Organgesellschaft bedinge diese tatsächliche Durchsetzbarkeit des Organträgerwillens. Die Lösung liegt – wie bereits für das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren – in der Mitte: Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse eingegliedert ist die Organgesellschaft nicht schon dann, wenn sie theoretisch dazu in der Lage wäre, den Willen des Organträgers umzusetzen, sondern erst, wenn sie den Willen tatsächlich befolgt. In Anbetracht der besonderen Insolvenzsituation lässt sich das „Können“ der Organgesellschaft – anders als außerhalb von Krise und Insolvenz – nicht automatisch mit der gelebten Praxis, also dem tatsäch___________ 644) So LG Erfurt, Urt. v. 16.10.2015 í 8 O 196/15, NZI 2016, 32, 33; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 13; Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387 f.; Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2549; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 12, 15. Die durch das SanInsFoG bewirkte weitere Angleichung der vorläufigen Eigenverwaltung an das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren könnte dieser Auffassung eine neue Argumentationsgrundlage verschaffen. 645) Ebenso Thole, ZIP 2019, 1353, 1354. 646) Bork, ZIP 2018, 1613, 1614; Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 344; Rattunde/Stark, Sachwalter, Rn. 176. 647) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 51, siehe zu dieser Kritik auch bereits Piroth, NZI 2020, 382, 383 (Anm.). 648) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

lichen Verhalten der Organgesellschaft gleichsetzen. Insofern ist wiederum Kahlerts Gedanke zu berücksichtigen, dass das geänderte Pflichtenprogramm Auswirkungen auf die tatsächliche Beherrschung der Organgesellschaft haben kann.

290 Entscheidend ist wie bereits im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren also einerseits, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft den Willen überhaupt umsetzen kann, gleichzeitig aber auch, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft den Willen des Organträgers tatsächlich umsetzt.649) Zudem kann es wie im eröffneten Verfahren nicht genügen, dass der Organträger sich bei der Willensdurchsetzung dem Pflichtenprogramm der Organgesellschaft unterordnet, weil er sich dann gerade den fremden Interessen der Gläubiger unterwirft und nicht seinen eigenen Willen durchsetzt.650) Vor diesem Hintergrund fragt sich nun, ob der Organträger bei der vorläufig eigenverwaltenden Organgesellschaft tatsächlich seinen freien Willen durchsetzen kann.

(1) Unwirksamkeit wegen Insolvenzzweckwidrigkeit 291 Schon gar nicht möglich ist eine Willensdurchsetzung des Organträgers, soweit die rechtlichen Beschränkungen der Organgesellschaft eine Umsetzung des Willens rechtlich ausschließen. Zwar verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der vorläufigen Eigenverwaltung im Grundsatz gerade bei der Organgesellschaft. Eine Ausnahme bestünde aber dann, wenn bestimmte Verfügungen wegen eines Verstoßes gegen den Insolvenzzweck nichtig wären. Insoweit ist fraglich, ob auch bereits im Eröffnungsverfahren evident insolvenzzweckwidrige Handlungen des Schuldners unwirksam sind.

292 Dies muss jedenfalls bejaht werden, wenn man schon aus dem Beschluss, der die Eigenverwaltung anordnet, eine Amtswalterstellung im Eröffnungsverfahren ableitet.651) Denn dann unterscheidet sich die Stellung des Schuldners insoweit nicht von seiner Stellung im eröffneten Verfahren. Aber auch wenn man weiterhin ein Handeln aufgrund der privatautonomen Verfügungsbefugnis zugrunde legt, schließt dies eine Beschränkung der Wirksamkeit von Handlungen, die evident gegen die insolvenzrechtlichen Pflichten im Innenverhältnis verstoßen, nicht aus. Konstruktiv mag man in diesem Fall zwar keine Einschränkung der Verfügungsmacht des Insolvenzschuldners selbst, also der Organgesellschaft, über sein eigenes Vermögen begründen können.652) Da es sich aber bei der Organgesellschaft nach geltendem ___________ 649) 650) 651) 652)

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Siehe zu der Unterscheidung dieser Stufen der organisatorischen Eingliederung Rn. 49 ff. Siehe Rn. 165 ff. Siehe die Nachweise in Fußnote 644. Vgl. MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270 Rn. 141; KPB-InsO/Pape, 48. Lfg. 04/2012, § 270 Rn. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 8.10 zum Zusammenhang zwischen dem Ursprung der Verfügungsmacht aus der gerichtlichen Anordnung und den Grundsätzen der Insolvenzzweckwidrigkeit für das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren.

A. Insolvenz der Organgesellschaft

Recht zwingend um eine juristische Person des Privatrechts handelt, ist ein Handeln der Organgesellschaft nur über ihr gesellschaftsrechtliches Vertretungsorgan möglich. Zwar sind Geschäftsführer und Vorstände in ihrer organschaftlichen Vertretungsmacht grundsätzlich nicht beschränkbar (§ 37 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 82 Abs. 1 AktG), doch wird diese Regel nach allgemeiner Auffassung über die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht durchbrochen, soweit die Geschäftsleitung ihre internen Befugnisse überschreitet und dies für den Geschäftspartner evident ist.653) Da die internen Befugnisse in der vorläufigen Eigenverwaltung unter anderem durch aus der Massesicherungspflicht erwachsende insolvenzrechtliche Beschränkungen bestimmt werden,654) sind hiergegen evident verstoßende Rechtshandlungen jedenfalls wegen eines Missbrauchs der Vertretungsmacht unwirksam. Hält man daher bereits im Eröffnungsverfahren insolvenzzweckwidrige Handlungen 293 für unwirksam, stellt insbesondere eine Zahlung auf den bloß als Insolvenzforderung zu qualifizierenden Ausgleich für den Organträger in aller Regel eine evidente Überschreitung des Insolvenzzwecks dar, die die Nichtigkeit der Zahlung zu Folge hat.655) Hierauf wird unter Rn. 296 ff. näher eingegangen.

(2) Einfluss des Pflichtenprogramms auf das Handeln der Geschäftsleitung Unabhängig von den Gedanken zur Insolvenzzweckwidrigkeit bewirkt jedenfalls 294 das durch das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren geänderte Pflichtenprogramm der Organgesellschaft, dass der Wille des Organträgers tatsächlich nicht befolgt wird. Insoweit gilt teilweise das bereits zum „schwachen“ vorläufigen Regelverfahren und teilweise das zur eröffneten Eigenverwaltung Gesagte:656) Die Verletzung der Massesicherungspflicht kann für die Geschäftsleitung der Organgesellschaft gravierende Folgen haben, da sie wie im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren auch im Eröffnungsverfahren der Haftung aus §§ 60, 61, 276a Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 InsO unterliegt. Auch vor der ausdrücklichen Normierung dieser Haftung durch das SanInsFoG wurde in der Literatur bereits eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO befürwortet.657) Unter Verstoß gegen die Massesicherungspflicht vorgenommenen Zahlungen waren und sind demnach zweifellos ersatzpflichtig. Zudem führt ein Verstoß gegen insolvenzrechtliche Pflichten zur Aufhebung der Eigenverwaltung und zur Einsetzung eines Insolvenzverwalters, wie § 270e Abs. 1 ___________ 653) Statt aller zur GmbH Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 37 Rn. 72 ff.; MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves, 3. Aufl. 2019, § 37 Rn. 172 ff.; zur AG Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 82 Rn. 7; Hölters/Weber, AktG, 3. Aufl. 2017, § 82 Rn. 8. 654) Siehe die Nachweise in Fußnote 643. 655) Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387; dem folgend Hasbach, MwStR 2017, 262, 270. 656) Rn. 266 ff. und Rn. 159 ff. 657) HambK-InsO/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270a Rn. 44; Brinkmann, FS Kayser, 2019, S. 99, 110; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2240; Bitter, ZIP 2018, 986, 988 (Anm.); Swierczok/Baron von Hahn, BB 2018, 1350, 1358. A. A. Poertzgen, ZInsO 2019, 2352, 2354 f.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Nr. 1 InsO vorsieht. Auch diese Konsequenz ist offensichtlich weder im Sinne der Organgesellschaft noch im Sinne des Organträgers. Hinzu kommt eine etwaige Strafbarkeit sowohl der Geschäftsführung der Organgesellschaft als auch des Organträgers nach § 283 StGB,658) die eine freie Willensdurchsetzung bzw. umsetzung auf beiden Seiten hemmt.

295 Aufgrund der Überwachung durch den selbst mit einer Haftung belegten vorläufigen Sachwalter ist anzunehmen, dass Pflichtverstöße bemerkt und wie beschrieben sanktioniert werden.659) Daher spricht viel dafür, dass der Organträger sich entweder schon selbst dem geänderten Pflichtenprogramm beugt oder aber Weisungen des Organträgers, die dem Pflichtenprogramm widersprechen, tatsächlich nicht von der Geschäftsleitung der Organgesellschaft umgesetzt werden. Insgesamt ist nicht anzunehmen, dass der Organträger seinen Willen noch durchsetzt oder durchsetzen kann, sodass die organisatorische Eingliederung endet.

ee) Störung des Ausgleichsmechanismus 296 Insbesondere hindert die vorläufige Eigenverwaltung die Einbringlichkeit des innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruchs des Organträgers. Es wurde im Rahmen des eröffneten Eigenverwaltungsverfahrens dargelegt, dass die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs aufgrund des umsatzsteuerlichen Grundsatzes der Belastungsneutralität notwendige Voraussetzung der Organschaft und Bestandteil der organisatorischen Eingliederung ist.660) Hat der Organträger keine Möglichkeit, die von ihm abgeführte Steuer im Wege des Regresses tatsächlich kompensieren zu können, kann seine Steuerschuldnerschaft für die Organgesellschaft nicht fortbestehen.

(1) Normalfall: Anspruch als Insolvenzforderung uneinbringlich 297 Bei im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründeten Ausgleichsansprüchen handelt es sich im eröffneten Verfahren nicht um Masseverbindlichkeiten, weil diese weder nach § 55 Abs. 1 oder 2 InsO begründet werden noch § 55 Abs. 4 InsO auf den Ausgleichsanspruch anwendbar ist. Der Ausgleichanspruch ist im eröffneten Verfahren gem. § 38 InsO vielmehr eine Insolvenzforderung. Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Insolvenzgericht die Begründung von Masseverbindlichkeiten angeordnet hat (dazu sogleich unter Rn. 300 ff.).

298 Als spätere Insolvenzforderung ist der Ausgleichsanspruch tatsächlich uneinbringlich, da eine rechtliche oder tatsächliche Durchsetzbarkeit auf absehbare Zeit nicht zu ___________ 658) J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276. 659) Zur Haftung des vorläufigen Sachwalters etwa Frind, NZI 2014, 977; MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270a Rn. 56. 660) Siehe Rn. 175 ff.

132

A. Insolvenz der Organgesellschaft

erwarten ist.661) Die Geschäftsleitung der Organgesellschaft wird nicht unter Verletzung ihrer Massesicherungspflicht bereit sein, Ansprüche des Organträgers zu erfüllen – insoweit gelten die Ausführungen zur Willensdurchsetzung unter Rn. 288 ff. Unter Umständen ist die Erfüllung wegen evidenter Insolvenzzweckwidrigkeit schon gar nicht möglich.662) Ansonsten würde bei einem Verstoß gegen die Massesicherungspflicht jedenfalls die vorläufige Eigenverwaltung aufgehoben und unverzüglich ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt.663) Dieser würde im eröffneten Verfahren als Insolvenzverwalter Anfechtungsansprüche hinsichtlich der Zahlungen geltend machen und die temporär erzwungene Belastungsneutralität wieder beseitigen.664) Selbst wenn der Organträger ausnahmsweise seinen Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen könnte – was einerseits eine sehr zügige Vollstreckung voraussetzen würde und andererseits bedingen würde, dass entgegen der Praxis665) keine Vollstreckungssperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO angeordnet wird –, wäre die Vollstreckung als inkongruente Deckung anfechtbar,666) sodass der Anspruch schließlich doch zur Tabelle angemeldet werden müsste.667) Der Organträger hat damit unter keinen erdenklichen Umständen eine Chance auf eine langfristige Kompensation für Umsatzsteuer aus Umsätzen der Organgesellschaft im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren, sodass die Organschaft auch aus diesem Grund enden muss.668) Dieses andernfalls drohende „Dilemma“ des Organträgers erkennen auch Wagner/ 299 Datzer/Schlott an, die eine Auflösung dessen darin sehen, dass die Organgesellschaft die Steuer direkt an das Finanzamt auf ihre Haftungsschuld nach § 73 AO zahlt, weil hierin anders als bei einer Zahlung auf den Ausgleichsanspruch kein Verstoß gegen die Massesicherungspflicht liege.669) Diese These dürfte sich insolvenzrechtlich kaum begründen lassen, weil die Haftungsverbindlichkeit aus § 73 AO genauso qualifiziert werden muss wie der Ausgleichsanspruch,670) also ebenfalls bloße Insol___________ 661) 662) 663) 664) 665) 666)

667) 668)

669) 670)

Vgl. zu dieser Definition in Übereinstimmung mit § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG Rn. 205 f. Siehe dazu Rn. 291 f.; vgl. nur Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 387. FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220. Ausführlich zu den Auswirkungen der Anfechtung noch unter Rn. 355 ff. Vgl. nur BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494. Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 131 Rn. 60a; Jacoby, KTS 2005, 371. Ein Gesetzesentwurf vom 10.8.2005, nach dem die Rechtshandlung nicht allein deshalb inkongruent sein sollte, weil sie durch Zwangsvollstreckung erwirkt wurde, ist letztlich als Fiskusprivileg identifiziert und daher aufgegeben worden, vgl. A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 46 ff.; Nachweise zur Kritik auch bei Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 7.125. Siehe zu dem von der Insolvenzanfechtung betroffenen Zeitraum noch Rn. 334 ff. Im Ergebnis ebenso FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220; zust. Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.); schon vorher Hasbach, MwStR 2017, 262, 267 f. Ebenso Thole, ZIP 2019, 1353, 1354. Wagner/Datzer/Schlott, DStR 2020, 1761, 1766. Siehe zu diesem Gedanken auch noch unten Rn. 540.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

venzforderung ist. Die freiwillige Zahlung auf die – im Übrigen lediglich sekundäre – Haftungsschuld verletzt daher sehr wohl das Gebot der Massesicherung. Entsprechend schränken Wagner/Datzer/Schlott ihre Aussage selbst wieder ein und messen ihr nur dann Geltung bei, wenn ausreichende Liquidität vorhanden sei und keine Nachteile für die Gläubiger zu befürchten seien.671) Beides ist aufgrund der Insolvenz faktisch ausgeschlossen.

(2) Sonderfall: Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten 300 Besonderheiten können bestehen, wenn das Insolvenzgericht anordnet, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. Nach altem Recht musste das Gericht eine solche Anordnung im Schutzschirmverfahren erlassen, wenn der Schuldner dies beantragte (§ 270b Abs. 3 InsO a. F.).672) Für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO a. F. wurde von der herrschenden Ansicht angenommen, dass das Insolvenzgericht die Begründung von Masseverbindlichkeiten zumindest anordnen könne.673) Der BGH hatte zudem entschieden, dass jedenfalls zur Begründung einzelner, zumindest der Art nach bezeichneter Verpflichtungen zu Lasten der späteren Masse ermächtigen werden könne.674)

301 Mit dem SanInsFoG wurde die bisherige Regelung in § 270b Abs. 3 InsO a. F. zur Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner in § 270c Abs. 4 InsO verschoben. Damit einher geht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm und gleichzeitig eine Modifikation ihres Regelungsgehalts: Einerseits gilt § 270c Abs. 4 InsO nicht nur für das Schutzschirmverfahren, sondern allgemein für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren. Andererseits wurde ein Satz 2 eingeschoben, nach dem der Antrag des Schuldners auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten einer besonderen Begründung bedarf, wenn sich die Ermächtigung auf Verbindlichkeiten erstrecken soll, die nicht in dem ___________ 671) Wagner/Datzer/Schlott, DStR 2020, 1761, 1766 Fn. 39. 672) Vgl. auch BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174 Rn. 17. 673) AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375; MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl. 2020, § 270a Rn. 49 f.; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 18 f.; K. SchmidtInsO/Buteröwe, 19. Aufl. 2016, § 270a Rn. 6; HambK-InsO/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270a Rn. 39; näher Buchalik, ZInsO 2012, 349, 354; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 864 ff.; Klinck, ZIP 2013, 853, 860; Pape, ZInsO 2013, 2077, 2081; Vallender, NZI 2013, 342, 343 (Anm.); ausführlich Undritz, FS Wehr, 2012, S. 339, 352 ff. Gegen die Möglichkeit einer Anordnung AG Fulda, Beschl. v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; Pleister/Tholen, ZIP 2013, 526 (Anm.); Geißler, ZInsO 2013, 531, 535; Nöll, ZInsO 2013, 745. Für eine Begründung von Masseverbindlichkeiten auch ohne entsprechende Anordnung AG Montabaur, Beschl. v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, NZI 2013, 350; LG Erfurt, Urt. v. 16.10.2015 í 8 O 196/15, NZI 2016, 32; FKInsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270a Rn. 25; Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101; ders., ZInsO 2011, 2249, 2260; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1865; Wuscheck, ZInsO 2012, 1294, 1298. 674) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174 Rn. 8 ff., 17; zust. FG Münster, Urt. v. 12.3.2019 – 15 K 1535/18 U, NZI 2019, 547 Rn. 41; ablehnend LG Hannover, Beschl. v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790 Ls. 2.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Finanzplan berücksichtigt sind, der beim Antrag auf Eigenverwaltung vorzulegen ist (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO). Um diese Bindung an den Finanzplan nicht zu unterlaufen, sollen – was erst aus der Begründung des Gesetzesentwurfs klar ersichtlich wird und den Verweis in § 270c Abs. 4 Satz 3 InsO auf § 55 Abs. 2 InsO überflüssig macht – sowohl in vorläufiger Eigenverwaltung als auch im Schutzschirmverfahren künftig nur noch Einzelermächtigungen in Betracht kommen.675) Der oben skizzierte Streit um die Möglichkeit einer Globalermächtigung zur Be- 302 gründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung dürfte sich damit erledigt haben. Eine Qualifikation des Ausgleichsanspruchs als Masseverbindlichkeit wird in vorläufiger Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren stets nur noch im Falle einer entsprechenden Einzelermächtigung möglich sein. Ob das Insolvenzgericht für die organschaftlichen Ausgleichsansprüche die Begründung von Masseverbindlichkeiten anordnen wird, dürfte allerdings fraglich sein. Sinn der Einzelermächtigung ist es, die Betriebsfortführung zu ermöglichen, da ohne eine entsprechende Anordnung kein potenzieller Geschäftspartner bereit wäre, mit dem Schuldner in geschäftlichen Kontakt zu treten.676) Diese Erwägung passt auf die Organschaft kaum.

3.

Zwischenergebnis

Für den Fortbestand der Organschaft im Eröffnungsverfahren über das Vermögen 303 der Organgesellschaft sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden: 1. Bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und gleichzeitiger Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots („starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) gleicht die Beschränkung der Organgesellschaft derjenigen im eröffneten Regelverfahren, sodass die organisatorische, aber auch die finanzielle Eingliederung entfällt. 2. Die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt („halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) beseitigt nach zutreffender neuerer Rechtsprechung ebenfalls die organisatorische Eingliederung. Zur Umsetzung des Willens des Organträgers ist die Organgesellschaft nicht ohne Mitwirkung des vorläufigen Verwalters, der den Gläubigerinteressen Vorrang gibt, fähig, sodass der Organträger seinen Willen nicht frei durchsetzen kann. Zudem hätte der Organträger keine Möglichkeit, Kompensation für seine Steuerschuld zu erlangen, weil der Ausgleichsanspruch als uneinbringliche Insolvenzforderung entsteht, die weder erfüllt werden kann noch erfüllt werden darf. Ein Fortbestand der Organschaft widerspräche daher auch dem Grundsatz der Belastungsneutralität. ___________ 675) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 202. 676) Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 16.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

3. Wird lediglich ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne Zustimmungsvorbehalt eingesetzt („schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter), ist es dem Schuldner zumindest noch möglich, den Willen des Organträgers umzusetzen, sodass eine Beherrschung im Sinne der organisatorischen Eingliederung nicht schlechthin ausscheidet. Da der Schuldner aber einer scharfen zivil- und strafrechtlichen Haftung ausgesetzt wäre, ist eine Umsetzung des Willens nur dann zu erwarten, wenn diese mit seiner Massesicherungspflicht vereinbar ist. Eine Willensdurchsetzung des Organträgers bloß in diesem Umfang genügt für die organisatorische Eingliederung nicht. Auch der als Insolvenzforderung zu qualifizierende Ausgleichsanspruch kann nicht als einbringlich angesehen werden, weil er von der Geschäftsleitung der Organgesellschaft gar nicht erst erfüllt, selbst im Falle der Zahlung aber nach Verfahrenseröffnung vom Insolvenzverwalter angefochten würde. 4. Die Rechtslage in der vorläufigen Eigenverwaltung gleicht nach Inkrafttreten des SanInsFoG fast vollständig der im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren. Nach § 276a Abs. 3 InsO, der § 276a Abs. 1 InsO auch in der vorläufigen Eigenverwaltung für anwendbar erklärt, endet nunmehr wie im eröffneten Verfahren die finanzielle Eingliederung. Entscheidende Bedeutung für die organisatorische Eingliederung kommt wiederum dem Pflichtenprogramm des vorläufig eigenverwaltenden Schuldners zu, das sich im Eröffnungsverfahren vorrangig an der Massesicherung orientiert (vgl. nunmehr ausdrücklich §§ 60, 61, 276a Abs. 3 InsO) und eine Willensdurchsetzung des Organträgers verhindert. Richtigerweise kommt es in diesem Kontext weder rein auf das „Können“ der Organgesellschaft oder ihr „Dürfen“ an, sondern auf die tatsächliche Umsetzung des Organträgerwillens. Mit dieser Umsetzung und damit mit der tatsächlichen Durchsetzbarkeit des Willens in der laufenden Geschäftsführung ist jedoch nicht zu rechnen, weil die Geschäftsleitung der Organgesellschaft bei Verstößen gegen die Massesicherungspflicht zivil- und strafrechtliche Konsequenzen zu tragen hätte. Durchsetzbar wird der Wille daher bloß im Bereich des insolvenzrechtlich Zulässigen sein. Eine derart eingeschränkte Willensdurchsetzung genügt den Anforderungen an die organisatorische Eingliederung nicht. Daneben scheitert die Organschaft im Normalfall an der fehlenden Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs, der als bloße Insolvenzforderung qualifiziert werden muss. Hierdurch ist dem Organträger die für die Organschaft konstitutive tatsächliche Kompensationsmöglichkeit abgeschnitten. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise eine Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ergehen sollte. Unabhängig davon wird die Beherrschbarkeit der Organschaft faktisch aufgrund des vorgenannten Punktes ausgeschlossen, sodass sich im Ergebnis am Fortfall der Organschaft nichts ändert.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

III. Materielle Insolvenz Es wäre voreilig anzunehmen, dass die zuletzt vom BFH entschiedene Situation der 304 Organschaft in der vorläufigen Eigenverwaltung die letzte noch ungeklärte insolvenzrechtliche Konstellation sei.677) Dennoch wurde bisher offenbar selten darüber nachgedacht, welche Auswirkungen die Ansichten und Argumente in der Diskussion um den Fortbestand der Organschaft auf frühere Stadien der Insolvenz haben könnten.678) Umso mehr verdient der dem Insolvenzantrag vorangehende Abschnitt der rein materiellen Insolvenz eine Untersuchung. Die materielle Insolvenz bezeichnet die Situation, in der bereits Zahlungsunfähigkeit 305 (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) eingetreten ist. Das bloße Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO begründet dagegen noch keine materielle Insolvenz und auch nicht die damit verbundenen Pflichten (hierzu sogleich).679) Die folgenden Überlegungen setzen zudem voraus, dass noch kein Insolvenzantrag gestellt wurde, weil andernfalls bereits die Erwägungen zum Eröffnungsverfahren gelten würden. Im Gegensatz zum Eröffnungsverfahren680) oder dem eröffneten Verfahren (§ 30 Abs. 1 InsO) tritt die materielle Insolvenz ein, ohne dass dies zwingend äußerlich erkennbar wäre oder gar öffentlich bekanntgemacht würde.

1.

Bisherige Ansichten zur Organschaft bei materieller Insolvenz

In einigen älteren Beschlüssen verneinte der BFH die Beendigung der Organschaft 306 bei „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ und „Vermögenslosigkeit“.681) Soweit er dabei vor allem das Fortbestehen der wirtschaftlichen Eingliederung feststellte, ist dem auch heute noch beizupflichten.682) Noch weniger als die formelle Insolvenz der Organgesellschaft683) berührt die rein materielle Insolvenz die wirtschaftliche Eingliederung, solange eine gegenseitige Ergänzung und Förderung zwischen Organ___________ 677) So aber Kruth, MwStR 2018, 47 (Anm.) nach dem Urteil des FG Münster v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217. 678) Die einzigen Ausnahmen bilden offenbar die Beiträge von J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285 und Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 166 ff. 679) K. Schmidt-InsO/K. Schmidt/Herchen, 19. Aufl. 2016, § 15a Rn. 25. 680) Zwar sieht die InsO keine Bekanntmachung des Insolvenzantrages selbst vor, aber eine Bekanntmachung von angeordneten Verfügungsbeschränkungen (§ 23 Abs. 1 InsO), sodass die Antragstellung und das Eröffnungsverfahren häufig doch bekannt werden. 681) BFH, Beschl. v. 27.9.1991 – V B 78/91, BFH, Beschl. v. 27.9.1991 – V B 78/91, BFH/NV 1992, 346 = BeckRS 1991, 06363; BFH, Urt. v. 19.10.1995 – V R 128/93, BFH/NV 1996, 275 = GmbHR 1996, 952; bestätigt durch BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, BeckRS 2007, 25012940. Dem folgend OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962; Maus, GmbHR 2005, 859, 861; Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 254; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 252. 682) Vgl. auch Bunjes/Korn, UStG, 19. Aufl. 2020, § 2 Rn. 128. 683) Siehe dazu Rn. 94 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

träger und Organgesellschaft weiterhin stattfindet. Dies ist grundsätzlich anzunehmen, da die werbende Tätigkeit einer bloß materiell insolventen Gesellschaft in der Regel weitgehend unverändert fortgeführt wird. In seinen Entscheidungen bejahte der BFH auch die finanzielle und die organisatorische Eingliederung ohne nähere Prüfung. Inwieweit diese Ansicht heute noch Gültigkeit beansprucht, ist fraglich. Aus dem Urteil zur Beendigung der Organschaft bei Einsetzung eines „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalters vom 8.8.2013 lässt sich zumindest konkludent die Aussage entnehmen, dass die Organschaft nicht früher als mit der Bestellung des vorläufigen Verwalters enden soll.684)

307 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich das Schrifttum bislang kaum mit dem Stadium der materiellen Insolvenz beschäftigt hat. Soweit sich Aussagen finden, wird meist ohne weitere Begründung festgestellt, die Vermögenslosigkeit oder materielle Insolvenz der Organgesellschaft habe als solche keine unmittelbaren Auswirkungen auf ihre organisatorische Eingliederung.685) Eine Ausnahme bilden J. Roth/ Germer, die bereits im Jahr 2005 vertraten, dass die Organschaft bereits mit Eintritt der strafrechtlich relevanten Krise gem. § 283 StGB enden müsse, also bei Überschuldung, drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit.686) Der Straftatbestand beschränke die Handlungsfreiheit der Geschäftsleitung der Organgesellschaft erheblich, sodass der Organträger als Geschäftsleiter der Organgesellschaft – sofern er sich gesetzeskonform verhalten wolle – so stark in seiner autonomen Willensbildung beeinträchtigt sei, dass er die Geschäfte der Organgesellschaft nicht mehr alleine bestimme.687) J. Roth/Germer wiesen zudem darauf hin, dass der Organträger bei einem Fortbestand gezwungen wäre, die Organgesellschaft laufend zu subventionieren, indem er die Umsatzsteuer für Umsätze zu tragen hätte, an denen er wirtschaftlich nicht partizipieren könne.

308 Der XI. Senat des BFH meinte dagegen, § 283 StGB vermöge an der (organisatorischen) Eingliederung nichts zu ändern, da die Geschäftsführung zwar gewissen Einschränkungen unterliege, dadurch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsleitung aber nicht entfalle.688) Dies sei erst der Fall, wenn diese auf ___________ 684) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883, insb. Rn. 38 f. 685) Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 1. Aufl. 2015, Rn. 24.19; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 257; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 122.3; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 113, der allerdings andeutet, dass die Organschaft enden könne, wenn die Illiquidität „zu weiteren Änderungen“ führe. 686) J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3288 ff.; J. Roth, DZWIR 2009, 274, 276. Hiergegen, aber wenig überzeugend Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, S. 166 f. 687) J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3289. 688) BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, BFH/NV 2009, 977 = ZInsO 2009, 1262, 1263; BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, BeckRS 2007, 25012940; Müller/Detmering/Lieber/ Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1526, 1542.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

eine andere Person übergehe.689) Der V. Senat des BFH dürfte diese Ansicht nicht (mehr) teilen. Er hat vielmehr inzwischen festgestellt, dass die Verfügungsmacht nicht gänzlich auf eine andere Person übergehen muss, um die Eingliederung zu beenden.690) Zuletzt deutete auch Jonas an, dass die organisatorische Eingliederung im Einzelfall 309 enden könne, weil die Gefahr, dass die Vorgaben des Organträgers wegen der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit nicht ausführbar seien, der Durchsetzung des Willens entgegenstehe.691)

2.

Übertragung der herausgearbeiteten Ansätze

Die Prüfung des Fortbestands der Organschaft im Stadium der materiellen Insolvenz 310 soll wiederum von den gefundenen Argumentationsansätzen zum eröffneten Verfahren und zum Eröffnungsverfahren ausgehen.

a) Keine Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Offensichtlich wird durch den Eintritt der materiellen Insolvenz die Verwaltungs- 311 und Verfügungsbefugnis der Organgesellschaft im Außenverhältnis nicht beschränkt. Würde man mit Wagner/Fuchs für die organisatorische Eingliederung allein auf das rechtliche „Können“ der Organgesellschaft abstellen,692) müsste man daher ohne Weiteres vom Fortbestand der Organschaft ausgehen.

b) Pflichtenprogramm der Organgesellschaft Zuletzt hat indes die Ansicht Kahlerts, dass die organisatorische Eingliederung an 312 den Pflichten der insolventen Organgesellschaft scheitere, viel Zuspruch erhalten, insbesondere auch nach der Entscheidung des FG Münster, die diesen Ansatz aufgreift.693) Nach Kahlert findet die Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger ihre Grenzen in dem insolvenzrechtlichen Pflichtenprogramm der insolventen Organgesellschaft. Für die Stadien der Eigenverwaltung und der vorläufigen Eigenverwaltung wurde der Ansicht mit der Einschränkung zugestimmt, dass ___________ 689) So nochmal in BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 57. 690) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt und BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 zur Eigenverwaltung. 691) Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, S. 168. 692) Siehe oben Rn. 288 ff. 693) FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217. Zust. auch Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.); Kruth, MwStR 2018, 47 (Anm.); J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 1. Aufl. 2011, Rn. 4.389 (weniger deutlich in der 2. Auflage); Witfeld, NZI 2017, 942, 943 (Anm.).

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

es zwar streng genommen nicht auf das rechtliche „Dürfen“ der Organgesellschaft, sondern auf ihr tatsächliches Verhalten ankommt, dieses aber in der eröffneten und vorläufigen Eigenverwaltung durch das Pflichtenprogramm determiniert ist.694) In Literatur und Rechtsprechung unberücksichtigt blieb bislang die Tatsache, dass den Schuldner nicht erst im eröffneten Verfahren oder im Eröffnungsverfahren ein besonderes Pflichtenprogramm trifft, sondern bereits mit Eintritt der materiellen Insolvenz. Im Folgenden sollen daher die Konsequenzen der These Kahlerts der Relevanz des rechtlichen „Dürfens“ einerseits und der hier vertretenen These der Relevanz der tatsächlichen Beherrschbarkeit der Organgesellschaft andererseits für das Stadium der materiellen Insolvenz aufgezeigt werden.

aa) Konsequenzen bei Relevanz des „Dürfens“ 313 Die Organgesellschaft und ihre Geschäftsleitung trifft bereits mit Eintritt der materiellen Insolvenz eine in Verboten und Pflichten zum Ausdruck kommende Massesicherungspflicht,695) die äußerst wenig Handlungsspielraum für eine freie Unternehmensfortführung nach den Wünschen des Organträgers lässt:

314 Die Organgesellschaft muss nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden Verständnis eine juristische Person sein.696) Für die Mitglieder ihres Vertretungsorgans geht die materielle Insolvenz daher gem. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO mit der Pflicht einher, unverzüglich, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Antragspflicht wird gem. § 15a Abs. 4 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet, im Falle der Fahrlässigkeit gem. § 15a Abs. 5 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Gleichzeitig knüpft § 283 StGB an die Überschuldung oder (auch nur drohende) Zahlungsunfähigkeit an und stellt masseschädigende Verhaltensweisen unter Strafe, unter anderem das Beiseiteschaffen von Bestandteilen der späteren Masse (Nr. 1) und jede den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Wirtschaft grob widersprechende Verringerung des Vermögensstands (Nr. 8). Eine Bevorzugung des Organträgers als Gläubiger legt zudem eine Strafbarkeit nach § 283c StGB nahe.

315 Hinzu kommen beträchtliche zivilrechtliche Folgen: § 15b InsO (vormals § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. §§ 92 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F.) begründet grundsätzlich eine persönliche Ersatzpflicht der Geschäftsleiter für Zahlungen, die nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet wird. Die

___________ 694) Siehe ausführlich schon oben unter Rn. 152 ff. (Eigenverwaltung) und Rn. 288 ff. (vorläufige Eigenverwaltung). 695) Siehe auch RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 696) Zu einer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit dieser Einschränkung siehe Rn. 26 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Bestimmung birgt insofern ein „brandgefährliches Haftungspotential“697). Neben die Ersatzpflicht aus § 15b InsO tritt die Insolvenzverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO, die heute praktisch von deutlich geringerer Bedeutung ist. Zuletzt droht auch die allgemeine Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG in der materiellen Insolvenz. Denkt man die Ansicht Kahlerts, die allein das Pflichtenprogramm der insolventen 316 Organgesellschaft in den Blick nimmt, fort, müsste man konsequent davon ausgehen, dass bereits mit Eintritt der materiellen Insolvenz die Organschaft entfällt. Die Begründung der Ansicht zur (vorläufigen) Eigenverwaltung lässt sich ohne Weiteres auf die materielle Insolvenz übertragen: Das insolvenzrechtliche Pflichtenprogramm widerspricht einer Beherrschung durch den Organträger, weil die Geschäftsleitung der Organgesellschaft vorrangige und im Widerspruch zur Bevorzugung des Organträgers stehende insolvenzrechtliche Pflichten zu beachten hat, insbesondere keine Zahlungen mehr an den Organträger vornehmen darf. Sehr ähnlich argumentieren J. Roth/Germer, wenn auch allein unter Berufung auf § 283 StGB.698)

bb) Konsequenzen bei Relevanz der tatsächlichen Beherrschbarkeit Es wurde bereits erläutert, dass nach hiesiger Auffassung im Angesicht des herge- 317 brachten Verständnisses der Eingliederungsvoraussetzungen nicht allein auf das rechtliche „Dürfen“ der Organgesellschaft abgestellt werden kann.699) Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft tatsächlich durchsetzen kann. Daher ist es auf Seiten der Organgesellschaft erforderlich, aber auch ausreichend, dass diese den Organträgerwillen tatsächlich umsetzt, auch wenn sie damit gegen ihre Pflichten verstößt. Im Rahmen der Eigenverwaltung wurde sodann allerdings festgestellt, dass das 318 rechtliche „Dürfen“ regelmäßig das tatsächliche Handeln der Geschäftsleitung einer in Eigenverwaltung geführten Gesellschaft bestimmt.700) Dies wurde maßgeblich damit begründet, dass bei Pflichtverletzungen einerseits scharfe Sanktionen drohen und andererseits eine enge Überwachung durch den (vorläufigen) Sachwalter stattfindet. Der bloße Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sorgt zwar ebenfalls für die oben dargelegten scharfen Sanktionen. Eine über das normale gesellschaftsrechtliche Maß hinausgehende Überwachung findet aber nicht statt, sodass die Entdeckungswahrscheinlichkeit etwaiger Verstöße deutlich geringer ist. ___________ 697) K. Schmidt, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rn. 11.31 zum alten Recht, das durch § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO zumindest ein wenig entschärft wurde. 698) J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3289. 699) Siehe Rn. 153 f. 700) Siehe Rn. 159 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

319 Auf den ersten Blick mag es trotz fehlender besonderer Überwachungsmechanismen plausibel erscheinen, dass allein die zivil- und strafrechtlichen Folgen nach Eintritt der materiellen Insolvenz das Verhalten der Geschäftsleitung bestimmen und damit eine Ausrichtung des Verhaltens am Willen des Organträgers ausschließen. Die Lebenswirklichkeit zeichnet jedoch ein anderes Bild: Trotz aller Sanktionen wird die Mehrzahl aller Unternehmensinsolvenzen verschleppt, indem Schuldner ungeachtet ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten, insbesondere unter Missachtung der Insolvenzantragspflicht, so lange weiter wirtschaften, bis auch die letzten finanziellen Ressourcen erschöpft sind.701) Haarmeyer stellt sogar fest: „[Es kann] als gesichert angesehen werden […], dass faktisch alle Unternehmensinsolvenzanträge – wie schon zu Zeiten der Geltung der KO – lange nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz erfolgen und mithin verschleppt werden.“702)

320 Jedenfalls die Überschuldung wird in den meisten Fällen ignoriert. Das zeigt bereits die Tatsache, dass die Insolvenzquote im Durchschnitt bei ca. 6 % liegt,703) Überschuldung aber – die negative Fortführungsprognose vorausgesetzt – bereits beim kleinsten Überwiegen der Passiva eintritt, sodass die Quote in der Theorie nur leicht unter 100 % liegen dürfte.704) Ferner wurden im Jahr 2018 nur gut 1,5 % der Insolvenzanträge allein auf eine Überschuldung gestützt,705) obwohl die Überschuldung in aller Regel vor der Zahlungsunfähigkeit eintritt, sodass in den meisten Fällen längst ein auf Überschuldung gestützter Antrag hätte gestellt werden müssen.706) Das Fehlen jeder Steuerungswirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen erklärt sich offenbar vor allem daraus, dass sie im Falle der Überschuldung nur verhalten durchgesetzt werden.707) Zudem mag die Überschuldung mitunter eintreten, ohne dass die Geschäftsleitung es bemerkt.708) Kommen die Geschäftsleiter der Insolvenzantragspflicht im Falle der Überschuldung eher selten oder sogar nur ausnahmsweise nach, weckt der Eintritt der Überschuldung kaum Zweifel an der

___________ 701) Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967; Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273. Vgl. auch die Zahlen bei Bitter/ Röder, ZInsO 2009, 1283, 1286 f., wonach – wohlgemerkt nach Einschätzung der Verwalter – im Jahr 2006 nur 5 % aller Anträge rechtzeitig gestellt wurden, im Jahr 2009 immerhin 9 %. Siehe auch Brinkmann, FS K. Schmidt, Band I, 2019, S. 153, 166. 702) Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273. 703) Vgl. Statistisches Bundesamt, Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1.1, 2018, Tabelle 1.1, das für bis 2017 beendete Unternehmensinsolvenzen eine Deckungsquote von 6,2 % angibt. 704) So anschaulich Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967; Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273 Fn. 6. Durch die Insolvenz treten freilich weitere Vermögensschäden ein, die aber die drastische tatsächliche Diskrepanz nicht erklären können, vgl. auch dazu Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967. 705) Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Dez. und Jahr 2018, Tabelle 10. 706) Kirstein, ZInsO 2006, 966 f. 707) Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2012, 1201, 1206; Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273, 1274. 708) Gerade bei kleineren Unternehmen nennen dies als Hauptgrund Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2012, 1201, 1203.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Durchsetzbarkeit des Willens des Organträgers in der überschuldeten Organgesellschaft. Doch selbst bei Zahlungsunfähigkeit werden häufig drängende Gläubiger vorrangig 321 befriedigt, während weniger dominante vertröstet werden.709) Die Anfechtungstatbestände in §§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 2, 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO setzen sogar zwingend voraus, dass die Antragstellung trotz Zahlungsunfähigkeit noch monatelang verzögert wird.710) Die aufschlussreiche Auswertung Kirsteins zeigt, dass tatsächlich in knapp 90 % der Fälle bereits mindestens drei Monate vor Antragstellung Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist.711) Über die Gründe hierfür, etwa die Eigeneinschätzung der Geschäftsleitung, die Insolvenz doch noch abwenden zu können, oder die Furcht vor der Bloßstellung im Bekanntenkreis und in der Branche, lässt sich nur spekulieren.712) Die Geschäftsleitungen materiell insolventer Gesellschaften halten sich nach alledem 322 in der Realität gerade nicht an die insolvenzrechtlich begründeten Pflichten, die der Eintritt der materiellen Insolvenz auslöst. Das gilt nach den empirischen Feststellungen Kirsteins ganz besonders für Gesellschaften, die mit ihrem Gesellschafter eng verflochten sind.713) Hält sich die Geschäftsleitung der Organgesellschaft aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht an ihre insolvenzrechtlichen Pflichten, liegt es nahe, dass sie sich durch den Organträger weiterhin tatsächlich beherrschen lässt. Dass Realität und Pflichtenprogramm in der Krise regelmäßig nicht konvergieren, 323 blenden J. Roth/Germer bei ihrer Argumentation mit § 283 StGB zum Fortfall der Organschaft bei materieller Insolvenz offenbar aus, obwohl sie sogar anmerken, dass die Entscheidungsfreiheit nur beeinträchtigt wird, „sofern sich die Parteien „gesetzeskonform verhalten“ wollen.714) Einen solchen Willen ziehen sie dann jedoch nicht in Zweifel. Wenn sich die Beteiligten aber gesetzeskonform verhalten wollten, würde die Organgesellschaft den Betrieb nicht trotz materieller Insolvenz über einen erheblichen Zeitraum fortführen, sondern der Pflicht des § 15a Abs. 1 InsO folgend unverzüglich Insolvenzantrag stellen.

___________ 709) 710) 711) 712) 713) 714)

Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273. Kirstein, ZInsO 2006, 966, 968 f. Kirstein, ZInsO 2006, 966, 969. Vgl. Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283, 1287 auch zu weiteren möglichen Gründen. Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967. J. Roth/Germer, NWB 2005, 3285, 3289.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

cc) Zwischenergebnis 324 Die Pflichten der Organgesellschaft widersprechen ab Eintritt der materiellen Insolvenz zwar einer Fremdbeherrschung. Die Wirklichkeit spiegelt das Pflichtenprogramm aber nach den Beobachtungen aus der Praxis nicht in einem Maße wider, das eine Vermutung dahingehend zulassen würde, mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung werde der Wille des Organträgers in der Organgesellschaft undurchsetzbar.715) Im Gegenteil: Schwierigkeiten bei der Willensdurchsetzung und damit ein Ende der organisatorischen Eingliederung wird man erst dann annehmen müssen, wenn die Organgesellschaft ihren insolvenzrechtlichen Pflichten gegenüber dem Organträgerwillen den Vorzug gibt. Dies würde sich jedoch zuvörderst in der Stellung des Insolvenzantrags manifestieren, womit das Eröffnungsverfahren beginnen würde, in dem die Organschaft ohnehin endet.716)

c)

Störung des Ausgleichsmechanismus

325 Wenngleich die Willensdurchsetzung bei materieller Insolvenz nicht grundsätzlich ausgeschlossen erscheint, könnte mit Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung doch eine spezifische Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichsmechanismus einhergehen. Die Organschaft setzt voraus, dass der Organträger tatsächlich Ausgleich für die von ihm abgeführte Umsatzsteuer erlangen kann, wie oben herausgearbeitet wurde.717) Diese Notwendigkeit der Einbringlichkeit des innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruchs kann potenziell auch Auswirkungen auf den Fortbestand der Organschaft in der materiellen Insolvenz zeitigen. Bei der Prüfung ist zwischen anfänglicher und nachträglicher Uneinbringlichkeit zu unterscheiden.

aa) Anfängliche Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs 326 Keinen echten Anhaltspunkt für die Ermittlung der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs liefert zunächst die Parallele mit der Uneinbringlichkeit im Rahmen von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG.718) Ansprüche werden dort zwar teilweise bereits dann

___________ 715) Vgl. Onusseit, ZInsO 2004, 1182, 1884, bei dem es allerdings umgekehrt darum ging, dass die Rechtslage (Beherrschung durch den Organträger) die Wirklichkeit (Beherrschung durch den „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter) nicht widerspiegelte. 716) Siehe Rn. 238 ff. 717) Zu diesem Erfordernis Rn. 175 ff. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 30; BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34; vgl. auch Wäger, DB 2014, 915, 919. 718) Siehe dazu Rn. 205 ff. für das eröffnete Verfahren, Rn. 243 für die „starke“ vorläufige Verwaltung, sowie Rn. 259 für die „halbstarke“ vorläufige Verwaltung.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

als uneinbringlich angesehen, wenn der Leistungsempfänger zahlungsunfähig wird.719) Andererseits wird Uneinbringlichkeit teilweise auch erst mit Verfahrenseröffnung720) oder im Eröffnungsverfahren721) angenommen, weil sie vorher gerade noch nicht eindeutig feststellbar sei. Nach Verfahrenseröffnung und auch bereits nach Antragstellung bieten die insolvenz- 327 rechtlichen Mechanismen eine derart strenge Regulierung, dass Forderungen, die nicht zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden, bereits im Zeitpunkt ihrer Entstehung regelmäßig tatsächlich uneinbringlich sind. Bei lediglich materieller Insolvenz lässt sich ein Automatismus nicht in dieser Form ausmachen. Die Verfügungsmacht des Schuldners und damit seine Möglichkeit zur Erfüllung der Ansprüche bleibt nach außen hin unbeschränkt. Eine Zahlung mag pflichtwidrig sein, doch findet eine Überwachung der pflichtgetreuen Aufgabenwahrnehmung durch unabhängige Organe nicht statt. Die Erfüllung von Ansprüchen ist auch nicht faktisch aufgrund der Zahlungsunfähig- 328 keit ausgeschlossen. Zwar beschreibt die Zahlungsunfähigkeit die Situation, dass der Schuldner seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen kann (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). In Einschränkung dieser Definition wird Zahlungsunfähigkeit allgemein sogar erst dann angenommen, wenn die Nichterfüllung durch den Schuldner einen nicht nur unwesentlichen Teil seiner Verbindlichkeiten über einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum betrifft.722) Oben wurde indes bereits darauf hingewiesen, dass Schuldner häufig trotz Eintritts der Zahlungsunfähigkeit – und damit durchaus unter Verstoß gegen § 283 StGB, § 15a Abs. 4, 5 InsO sowie § 15b InsO (bislang § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. §§ 92 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F.) – weiter wirtschaften und dabei einige Gläubiger vorrangig befriedigen.723) Es liegt nahe, dass in die Gruppe der noch befriedigten Gläubiger nicht selten auch der herrschende Organträger fällt.724)

___________ 719) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 40; BFH, Beschl. v. 10.3.1983 – V B 46/80, BFHE 138, 107 = BStBl. II 1983, 389 = NJW 1983, 2216 („Hauptanwendungsfall“); Abschnitt 17.1 Abs. 5 Satz 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 211; Schwarz/Widmann/Radeisen/ Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 148, 161. 720) Vgl. BFH, Urt. v. 16.7.1987 – V R 80/82, BFHE 150, 211 = BStBl. II 1987, 691 = ZIP 1987, 1130; BGH, Urt. v. 19.7.2007 – IX ZR 81/06, NZI 2007, 655 Rn. 20 ff. 721) Vgl. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 40. 722) Siehe nur HK-InsO/Laroche, 10. Aufl. 2020, § 17 Rn. 18 ff.; Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, § 17 Rn. 22 ff. 723) Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273. 724) Vgl. Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967, nach dessen Feststellungen die insolvenzrechtlichen Pflichten umso massiver ignoriert werden, je näher sich Gesellschafter und Geschäftsführer stehen.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

329 Aus dem Eintritt der Überschuldung lassen sich erst recht keine Schlüsse für die Uneinbringlichkeit von Forderungen generell und speziell des Ausgleichsanspruchs gegen die Organgesellschaft ableiten.725) Der Überschuldung liegt eine Überschuldungsbilanz zugrunde, hinzukommen muss eine negative Fortführungsprognose.726) Da Verbindlichkeiten in der Überschuldungsbilanz aber insbesondere unabhängig von ihrer Fälligkeit zu passivieren sind,727) sagt die Überschuldung nichts über die aktuelle, sondern allenfalls etwas über die zukünftige Uneinbringlichkeit von Forderungen aus. Wie bereits erwähnt werden in der Praxis knapp 98 % aller Unternehmensinsolvenzverfahren zumindest auch wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet,728) wenngleich in den meisten Fällen die Überschuldung deutlich früher eintreten dürfte.729) Dies belegt, dass trotz Überschuldung weiter Zahlungen getätigt werden, bis die Aktivmasse erschöpft und Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Einen Rückschluss in dem Sinne, dass die Ausgleichsansprüche des Organträgers mit Eintritt materieller Insolvenz bereits bei ihrer Entstehung uneinbringlich wären, lässt sich also kaum ziehen.

330 Wenn die Organgesellschaft dagegen aufgrund ihrer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung tatsächlich ihre Zahlungen eingestellt hat (vgl. auch § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), tritt die Uneinbringlichkeit gegen sie gerichteter Ansprüche deutlich zu Tage. Häufig wird die Organgesellschaft dann aber gleichzeitig einen Insolvenzantrag stellen, sodass die Erwägungen zum Eröffnungsverfahren gelten. Letztlich ist eine Einzelfallprüfung unvermeidlich.

bb) Nachträgliche Uneinbringlichkeit bei Insolvenzanfechtung 331 Findet nach Eintritt der materiellen Insolvenz noch eine Befriedigung des Ausgleichsanspruchs durch die Organgesellschaft statt, steht damit das endgültige Behaltendürfen der Zahlung noch nicht fest. Vielmehr liegt bei einer Erfüllungshandlung nach materieller Insolvenz das Risiko der Insolvenzanfechtung auf der Hand. Auf Vermögensabflüsse in Richtung des Mehrheitsgesellschafters wird der Insolvenzverwalter wegen der engen Verflechtung ein besonderes Augenmerk legen. Erfolgt ___________ 725) Vgl. Hölzle, DStR 2006, 1210, 1215 f., der Uneinbringlichkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht einmal annimmt, wenn ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung gestellt wird. 726) K. Schmidt-InsO/K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 19 Rn. 13. 727) Siehe nur Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, § 19 Rn. 154; K. Schmidt, in: K. Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016. Rn. 5.128. 728) Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Dez. und Jahr 2018, Tabelle 10, wonach nur 297 Verfahren auf Überschuldung gestützt wurden, was einem Anteil von 1,54 % entspricht. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist nur in 0,5 % der Verfahren Eröffnungsgrund. Vgl. auch Gruber, EuZW 2019, 181, 185; MünchKomm-InsO/Drukarczyk/Schüler, 4. Aufl. 2019, § 19 Rn. 108; Möhlmann-Mahlau/Schmitt, NZI 2009, 19, 23; Ahrendt/Plischkaner, NJW 2009, 964, 965. Vgl. auch die Studie von Bitter/Hommerich, Die Zukunft des Überschuldungstatbestands, 2012, S. 4 f. 729) Kirstein, ZInsO 2006, 966 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

eine Anfechtung der Erfüllung der Ausgleichsansprüche, ist die Kompensation gem. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zurückzugewähren und der Anspruch lebt gem. § 144 Abs. 1 InsO als Insolvenzforderung wieder auf. Die Frage nach der Störung des Ausgleichsmechanismus und dem Fortbestand der Organschaft geht in diesen Fällen in den folgenden Ausführungen zur Insolvenzanfechtung auf.

3.

Zwischenergebnis

Der Fortbestand der Organschaft bei materieller Insolvenz der Organgesellschaft 332 wird kaum thematisiert. Die Beurteilung fällt in der Tat schwer, da der Eintritt der materiellen Insolvenz nicht mit der Schaffung eines äußeren insolvenzrechtlichen Rahmens einhergeht. Zwar ist die Geschäftsleitung zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet und unterliegt etlichen hiermit verbundenen Haftungs- und Strafvorschriften, die die Befolgung des Willens des Organträgers nach rechtlichen Maßstäben überlagern. Anders als in der (vorläufigen) Eigenverwaltung stützen die Beobachtungen aus der Praxis jedoch nicht die Vermutung, dass das Pflichtenprogramm von der Geschäftsleitung tatsächlich beachtet wird. Jedenfalls bei reiner Überschuldung, aber auch noch bei Zahlungsunfähigkeit kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Durchsetzbarkeit des Willens des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft entfällt. Eine Einzelfallprüfung wird letztlich unumgänglich sein. Dasselbe gilt für die Einbringlichkeit des innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruchs 333 des Organträgers in der materiellen Insolvenz. Aus dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung lässt sich kein allgemeiner Rückschluss auf die Uneinbringlichkeit der Ausgleichsansprüche ziehen. Erst bei einer tatsächlichen Zahlungseinstellung steht diese fest. Von besonderer Brisanz ist die Tatsache, dass im Stadium der materiellen Insolvenz selbst im Falle einer vorläufigen Erfüllung von Ausgleichsansprüchen ein ganz erhebliches Risiko der Insolvenzanfechtung besteht, durch die die Kompensation nachträglich wieder entzogen werden kann.

IV. Auswirkungen der Insolvenzanfechtung Das Insolvenzanfechtungsrecht sichert den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung 334 („par conditio creditorum“) im Vorfeld des Insolvenzverfahrens.730) Während die gleichmäßige Vermögensverteilung im eröffneten Verfahren durch insolvenzrechtliche Rahmenregelungen gewährleistet wird, kann der Schuldner vorher grundsätzlich frei über sein Vermögen verfügen und so trotz Krise einzelne Gläubiger befriedigen oder Vermögen beiseiteschaffen.731) Die hieraus erwachsende Verkürzung der späteren Insolvenzmasse soll durch die Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht ___________ 730) Statt aller MünchKomm-InsO/Kirchhof/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, Vor §§ 129 – 147 Rn. 2. 731) Gottwald/Huber, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 46 Rn. 2.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

werden. Je nach Anfechtungsgrund ist der Zeitraum vor Antragstellung, in den die Anfechtung hineingreifen kann, unterschiedlich lang. Er kann sich teilweise mit dem Stadium der materiellen Insolvenz überschneiden, im Übrigen aber auch kürzer oder länger sein. Die praktische Bedeutung des Anfechtungsrechts ist immens.732)

335 Es wurde bereits mehrfach angedeutet, dass die Insolvenzanfechtung sich auf die Organschaft auswirken kann, da infolge der Anfechtung bereits erfolgte Kompensationszahlungen der Organgesellschaft an den Organträger rückabgewickelt werden müssen. Die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit dieser Zahlungen soll im Folgenden zuerst dargestellt werden, bevor den Auswirkungen einer erfolgreichen Anfechtung nachgegangen wird.

1.

Anfechtbarkeit der Ausgleichszahlung

336 Insolvenzrechtlich anfechtbar sind gem. § 129 InsO Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Hinzukommen muss einer der Anfechtungsgründe der §§ 130 – 135 InsO. Die Anfechtbarkeit ist unter Umständen ausgeschlossen, wenn ein Bargeschäft gem. § 142 InsO vorliegt.

a) Rechtshandlung 337 Der Begriff der Rechtshandlung ist denkbar weit zu verstehen. Eine Rechtshandlung ist jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann.733) Hieran ist bei Zahlungen der Organgesellschaft auf den Ausgleichsanspruch des Organträgers nicht zu zweifeln.

338 Darüber hinaus kommt sogar dann eine Anfechtung gegenüber dem Organträger in Betracht, wenn die Organgesellschaft für ihre Umsätze die Steuer direkt an das Finanzamt gezahlt hat. Denn durch die Zahlung wird gleichzeitig der in diesem Moment noch als Befreiungsanspruch existente Anspruch des Organträgers aus § 426 Abs. 1 BGB erfüllt.734) Nach der fiskusfreundlichen Ansicht des BFH geht eine Anfechtung dieser Erfüllung des Anspruchs des Organträgers einer möglichen Anfechtung gegenüber dem Finanzamt (s. noch unter Rn. 378 ff.) sogar vor.735) Überzeugender ist die ___________ 732) Bork/Hölzle/Zenker, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 10 Rn. 1. 733) St. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 = NZI 2014, 321 Rn. 9; BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 191/12, NZI 2013, 694 Rn. 6; so auch BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2672; Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 86 m. w. N. 734) BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673; BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 29 m. w. N.; Thole, ZIP 2019, 1353, 1357; Göbel, DZWIR 2014, 569, 571. 735) BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2673.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Sichtweise des BGH, der dem Insolvenzverwalter die Wahl des Anfechtungsgegners überlässt.736)

b) Gläubigerbenachteiligung Zumindest diskutabel scheint die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Ausgleichs- 339 zahlung an den Organträger. Die Umsatzsteuer wird bei einem gesunden Unternehmen untechnisch oft als „durchlaufender Posten“ bezeichnet. Der Organträger entzieht der Organgesellschaft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf den ersten Blick kein Vermögen, sondern erhält nur den Betrag erstattet, den diese ohnehin als Umsatzsteuer von ihren Vertragspartnern erhalten hat. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Weiterleitung von Umsatzsteuer – ob wie im Normalfall an den Fiskus direkt oder im Rahmen der Organschaft in einem Zwischenschritt an den Organträger – die Gläubiger benachteiligt. Tatsächlich wird von steuerrechtlicher Seite von einigen namhaften Stimmen vertreten, die Umsatzsteuerzahlung könne im Hinblick auf die Neutralität der Umsatzsteuer die Gläubiger nicht benachteiligen, da der Steueranspruch des Finanzamtes durch den in der Gegenleistung enthaltenen Steueranteil ausgeglichen werde.737) Zur Überprüfung dieses Gedankens bedarf es eines Blickes auf die grundlegende 340 Systematik der Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer wird insbesondere vom BFH immer wieder als „Fremdgeld“ im Vermögen des Unternehmers betrachtet, das nicht ihm als bloßem „Steuereinnehmer“, sondern dem Staat zustehe.738) Zumindest wirtschaftlich handele es sich bei der Umsatzsteuer um Treuhandgeld,739) das nicht der Haftungsmasse des Unternehmers zuzuordnen sei.740) Für die Organschaft hieße das, dass die Organgesellschaft nur den erlangten Vorteil in Form der vereinnahmten ___________ 736) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Ls. 3, Rn. 33; BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, NZI 2008, 236 Rn. 17. 737) BFH, Urt. v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137 = BStBl. II 2012, 298 = DStRE 2012, 233 Rn. 39; zuvor bereits der demselben Senat angehörige Richter Wäger, DStR 2011, 1925, 1933 f.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 3 23 ff.; ders., UR 2013, 158, 159 f.; dem folgend aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 278 ff. 738) Vgl. BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682 = DStR 2009, 851, 852; BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = BStBl. II 2011, 996 = DStR 2011, 720 Rn. 30; BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883 Rn. 28 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 20.10.1993, C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Rn. 25 (Balocchi); EuGH, Urt. v. 21.2.2008, C-271/06, Slg. 2008, I-771, Rn. 21 (Netto Supermarkt). 739) Ausführlich Schuster, DStR 2013, 1509, 1511; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 13 Rn. 61 f. Vgl. auch Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1977. 740) Diesen Gedanken führt die VorsRi’in am BFH Schuster, DStR 2013, 1509, 1511 aus. Er ist auch BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682 = DStR 2009, 851, 852 deutlich zu entnehmen, ebenso BFH, Urt. v. 29.8.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435 = BStBl. II 2010, 145 = DStRE 2008, 116, 117; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 153. Ebenso Seer, Beilage zu ZIP 42/2014, S. 3, 5, der immerhin andeutet, dass die Lösung Aufgabe des Gesetzgebers sein könnte.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Umsatzsteuer an den Organträger weiterleitet, der ohnehin „von vornherein zur Weiterleitung an das Finanzamt bestimmt“ war,741) und damit die Neutralität im Innenverhältnis wiederherstellt, ohne dass die Gläubiger Nachteile erleiden.742)

341 Man kann es wertungsmäßig in der Tat für überzeugend halten, dass die Umsatzsteuer, die letztlich vom Endverbraucher an den Staat fließen soll, nicht in das Vermögen des Schuldners gelangen sollte. Entsprechend wäre der Gesetzgeber nicht gehindert, die Umsatzsteuer vom Vermögen des Unternehmers zu separieren und dem Staat im Insolvenzfall ein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO zuzubilligen.743)

342 Eine solche Ausgestaltung hat der Gesetzgeber jedoch nicht gewählt. Stattdessen hat er nach eingehender Diskussion ganz bewusst auf Fiskusvorrechte im Hinblick auf die Umsatzsteuer verzichtet und daran festgehalten, dass die Umsatzsteuer nicht „Fremdgeld“, sondern Masseeinnahme ist.744) Diesen Zustand durch eine „Berücksichtigung der Besonderheiten der Umsatzsteuer“ wieder umkehren zu wollen, widerspräche dem gesetzgeberischen Willen. Der Umsatzsteuerbetrag als Teil der Gegenleistung fließt vollständig in das Vermögen des Unternehmers und „gehört […] ihm – in voller Höhe, rechtlich wie wirtschaftlich“745). Er ist vollständig Teil des haftungsrechtlichen Vermögens des Schuldners, der gerade nicht nur Treuhänder ist.746) Wäre er Treuhänder, müsste für die Umsatzsteuerforderung gem. § 47 InsO ein Aussonderungsrecht bestehen, zu einer Differenzierung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit käme es nicht mehr.747) Allein Stadie geht jedoch de lege lata so weit, ein Aussonderungsrecht anzunehmen,748) während ___________ 741) BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682 = DStR 2009, 851, 852 f. 742) Vgl. auch die Argumentation der Beklagten in LG Mannheim, Urt. v. 25.8.2017 – 3 O 32/17 Rn. 19. 743) Hierfür de lege ferenda Seer, DStR 2016, 1289, 1297; Witfeld, Umsatzsteuerverfahren und Insolvenz, 2016, S. 385 ff.; kritisch zu einer solchen Ausgestaltung A. Meyer, FS 100 Jahre BFH, 2018, S. 659, 673 f. Insolvenz. 744) Eingehend A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 60 ff.; ders., FS 100 Jahre BFH, 2018, S. 659, 672 ff.; Witfeld, Umsatzsteuerverfahren und Insolvenz, 2016, S. 62 ff., 208 ff.; Hölzle, BB 2012, 1571, 1575, 1578; Kahlert, DStR 2011, 1973, 1978; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.332; HK-InsO/Ries, 10. Aufl. 2020, § 38 Rn. 37; vgl. FK-InsO/ Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 15. 745) A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 62; ders., FS 100 Jahre BFH, 2018, S. 659, 673. 746) A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 61 f.; ders., FS 100 Jahre BFH, 2018, S. 659, 673; Häsemeyer, FS Stürner, 2013, S. 769, 779; Nacke, DB 2006, 1182, 1183; eingehend Witfeld, Umsatzsteuerverfahren und Insolvenz, 2016, S. 52 ff., 73 f. So auch zutreffend Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 259 f. Widersprüchlich ist es allerdings, wenn er sodann eine Gläubigerbenachteiligung bei Abführung der Umsatzsteuer verneint. Geißler verwirft seine korrekt gefundenen rechtlichen Erkenntnisse zu Gunsten einer wertenden und wirtschaftlichen Betrachtung. 747) A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 61 f.; ders., FS 100 Jahre BFH, 2018, S. 659, 673. 748) Stadie, UR 2013, 158, 169 f.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 81 ff.; ein Aussonderungsrecht erwägend und ablehnend auch Frintrup, ZIP 2020, 801, 804 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

insbesondere der BFH versucht, ein zumindest ähnliches Ergebnis über die Qualifikation der Umsatzsteuerverbindlichkeit als Masseverbindlichkeit herbeizuführen.749) Diese Rechtsprechung ebenso wie die Einführung und die jüngste Erweiterung des § 55 Abs. 4 InsO, der Umsatzsteuerverbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten aufwertet, ergeben aber nur Sinn, wenn diese überhaupt zum Vermögen des Unternehmers zählen. Alle Bestrebungen, die Umsatzsteuer dennoch „zumindest wirtschaftlich“ wie Treuhandgeld zu behandeln, haben lediglich in einer rechtspolitischen Diskussion ihre Berechtigung. Fließt die Umsatzsteuer demnach vollständig der Haftungsmasse der vereinnahmen- 343 den Organgesellschaft zu, benachteiligt jede „Weiterleitung“ der Steuerbeträge die Gläubigergemeinschaft.750) Nach insolvenzrechtlichen Maßstäben stellt bereits jede Verringerung des den Gläubigern haftenden Aktivvermögens eine Gläubigerbenachteiligung dar.751) Durch diese isolierte Betrachtung von Vermögensabflüssen werden die Gläubiger auch in „Durchleitungsfällen“, wenn beispielsweise eine Tochtergesellschaft von der Mutter zugewandte Mittel weisungsgemäß einem Gläubiger weiterleitet, ungeachtet der Zweckbestimmung durch die Weiterleitung benachteiligt.752) Nur bei Fremdgeld, das nicht in das haftende Vermögen des Schuldners gelangt, also etwa bei einer echten treuhänderischen Bindung, könnte die Gläubigerbenachteiligung verneint werden.753) Nach geltender insolvenz- und umsatzsteuerrechtlicher Gesetzeslage ist die Weiter- 344 leitung von Umsatzsteuer an das Finanzamt oder an den Organträger damit als gläubigerbenachteiligend zu bewerten. Soweit von Seiten der steuerrechtlichen Literatur die Benachteiligung der Gläubiger nicht gesehen wird, liegt das daran, dass sie einerseits die Umsatzsteuer entgegen der eindeutigen Rechtslage zumindest gedanklich aus dem Vermögen des Schuldners aussondern möchte oder andererseits die Voraussetzungen der Gläubigerbenachteiligung verengt.754) Dass der BGH in derartigen ___________ 749) Exemplarisch hierfür stehen die Ausführungen der VorsRi’in am BFH Schuster, DStR 2013, 1509, 1511. 750) BGH, Beschl. v. 22.10.2015 – IX ZR 74/15, ZInsO 2016, 341 m. w. N.; BGH, Urt. v. 22.10.2009 – IX ZR 147/06, DStR 2010, 1145 Rn. 16, 25; Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 113; Witfeld, Umsatzsteuerverfahren und Insolvenz, 2016, S. 345 f.; Kahlert, ZIP 2013, 500, 505; Lechner/Johann, DB 2011, 1131, 1134; Thole, ZIP 2019, 1353, 1354. 751) Statt aller BGH, Urt. v. 15.11.2018 – IX ZR 229/17, DStR 2019, 522 Rn. 11 m. w. N.; MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 129 Rn. 77 m. w. N. 752) Gehrlein, ZInsO 2017, 128, 129 f. 753) Kreft, KTS 2012, 405, 414 f. 754) Irrelevant ist auch die von Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 326; ders., UR 2013, 158, 160 vorgenommene hypothetische Betrachtung, dass ohne den Umsatz die Vermögenslage gleich wäre wie bei Abführung der Umsatzsteuer. Die Annahme der Gläubigerbenachteiligung beruht entgegen Stadie weder auf einer „erschreckenden Unkenntnis von der Wirkungsweise der Umsatzsteuer“ noch auf der „Ignoranz gegenüber der ständigen Rechtsprechung des EuGH zum Zweck der Umsatzsteuer“, sondern auf der Systematik der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Fällen das Vorliegen der Gläubigerbenachteiligung nach Feststellung von Stadie755) und Geißler756) nur kurz oder teilweise gar nicht explizit ausführt, hat seinen Grund wohl einzig darin, dass erläuternde Ausführungen hierzu dem BGH offensichtlich und daher überflüssig erscheinen.757) Es überrascht wenig, dass von Seiten des BFH eine andere Sichtweise in Betracht gezogen wird,758) entspricht dies doch seiner Linie, die Abschaffung der Fiskusprivilegien durch die Insolvenzordnung unter kreativer Rechtsanwendung aufzuheben und trotz Insolvenz den vollen Zugriff des Staates auf die Umsatzsteuer zu ermöglichen.759)

c)

Anfechtungsgründe

345 Eine Anfechtbarkeit der Erfüllung des Ausgleichsanspruchs kann sich aus unterschiedlichsten Gründen ergeben.

aa) Kongruenzanfechtung 346 Denkbar ist zunächst eine Anfechtung gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, wenn die Zahlung innerhalb der letzten drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen wurde, die Organgesellschaft bereits zahlungsunfähig war und der Organträger dies wusste. Gem. § 130 Abs. 2 InsO genügt hierbei auch die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.

347 Die Kenntnis des Organträgers von der Zahlungsunfähigkeit wird gem. § 130 Abs. 3 InsO vermutet, da er als Gesellschafter mit mehr als einem Viertel des Kapitals der Organgesellschaft und nicht selten auch als Mitglied des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans der Organgesellschaft eine „nahestehende Person“ im Sinne des § 138 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist. Die Widerlegung der Vermutung wird dem Organträger angesichts der engen finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Verflechtungen in aller Regel schwerfallen. Daher ist jede Zahlung auf den Ausgleichsanspruch in ___________ 755) Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 326 Fn. 4. 756) Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 274. 757) Sehr deutlich die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde BGH, Beschl. v. 22.10.2015 – IX ZR 74/15, ZInsO 2016, 341. 758) Vgl. BFH, Urt. v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137 = BStBl. II 2012, 298 = DStRE 2012, 233 Rn. 39. Seine richtige Anpassung an die Rechtsprechung des BGH im Urteil BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BFHE 231, 488= BStBl. II 2011, 374 = DStRE 2011, 521 Rn. 27 hat der BFH damit aus nicht nachvollziehbaren Gründen wieder aufgegeben. Kritisch Schmittmann, ZIP 2012, 249, 251. 759) Vgl. nur die sog. Doppelberichtigungsrechtsprechung, BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = BStBl. II 2011, 996 = DStR 2011, 720; BFH, Beschl. v. 11.7.2013 í XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647 = NZI 2013, 992; zur Ausweitung auf die Eigenverwaltung BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 45/16, BFHE 262, 214 = BStBl. II 2019, 356 = DStR 2018, 2377. Vgl. kritisch statt vieler J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.332; A. Meyer, in: Zukunftsfragen des Steuerrechts III, S. 45, 55 ff.; Kahlert, ZIP 2013, 500, 503 ff.

152

A. Insolvenz der Organgesellschaft

der kritischen Drei-Monats-Phase vor der Antragstellung bei Zahlungsunfähigkeit stark anfechtungsgefährdet.

bb) Inkongruenzanfechtung § 131 InsO ist dagegen grundsätzlich nicht einschlägig. Der Organträger hat auf 348 die Kompensation einen Anspruch gem. § 426 BGB, dessen Befriedigung in der Regel nicht inkongruent ist. Allerdings kann sich die Inkongruenz im Einzelfall, etwa bei einer Druckzahlung, ergeben.760)

cc) Unentgeltliche Leistung In der Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch die Organgesellschaft liegt keine 349 unentgeltliche Leistung i. S. d. § 134 InsO, auch wenn sie für die Umsatzsteuerzahlung keine unmittelbare Gegenleistung erhält. Die Erbringung einer Gegenleistung ist aus Sicht des Zuwendungsempfängers, in diesem Fall also des Organträgers, zu beurteilen,761) der als Gegenleistung einen entsprechenden Betrag an den Fiskus abführen muss. Zudem ist die Tilgung eigener Verbindlichkeiten aus gesetzlichen Schuldverhältnissen stets entgeltlich.762)

dd) Vorsatzanfechtung In Betracht kommt aber eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO. Voraussetzung 350 hierfür ist, dass die Organgesellschaft bei der Zahlung den Vorsatz hatte, ihre Gläubiger zu benachteiligen, und der Organträger diesen Vorsatz kannte. Beides wird vermutet, wenn den Beteiligten bekannt war, dass die Organgesellschaft zahlungsunfähig war und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte, § 133 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 InsO.763) Auch im Übrigen wird ein Benachteiligungsvorsatz und dessen Kenntnis äußerst großzügig bejaht.764) Wiederum liegt eine Kenntnis des Organträgers aufgrund seiner besonderen Stellung gegenüber der Organgesellschaft besonders nahe. Der Anfechtungszeitraum beträgt aufgrund der ___________ 760) Siehe dazu etwa Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 131 Rn. 63 ff.; K. Schmidt-InsO/ Ganter/Weinland, 19. Aufl. 2016, § 131 Rn. 36. 761) Vgl. nur BGH, Urt. v. 29.10.2015 – IX ZR 123/13, DStR 2016, 88 Rn. 6; BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, NZI 2016, 307 Rn. 9; Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 134 Rn. 25 m. w. N. 762) BGH, Urt. v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, NZI 2010, 439 Rn. 9; MünchKomm-InsO/Kayser/ Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 134 Rn. 26; HambK-InsO/Rogge/Leptien, 7. Aufl. 2019, § 134 Rn. 31; Jaeger-InsO/Henckel, 2008, § 134 Rn. 3. 763) Die Vermutung gem. § 133 Abs. 1 Satz 2 bezieht sich nach dem Wortlaut nur auf die Kenntnis des Gläubigers, wird aber nach allgemeiner Ansicht auf den Vorsatz des Schuldners übertragen, vgl. nur MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 133 Rn. 26. 764) K. Schmidt-InsO/Ganter/Weinland, 19. Aufl. 2016, § 133 Rn. 13.

153

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Kongruenz der Deckung gem. § 133 Abs. 2 InsO vier Jahre und greift damit sehr weit zurück.

ee) Gesellschafterdarlehen 351 Zuletzt ist eine Anfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO denkbar, soweit die Zahlung auf den Ausgleichsanspruch als Befriedigung einer Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder einer gleichgestellten darlehensgleichen Forderung anzusehen ist. Die Anfechtung wäre dann unabhängig von weiteren subjektiven Voraussetzungen bis zu einem Jahr vor Antragstellung möglich. Wann ein Gesellschafterdarlehen oder eine darlehensgleiche Finanzierungsleistung vorliegt, ist Gegenstand umfangreicher Erörterungen in der insolvenzrechtlichen Literatur. Für die hiesigen Zwecke ist entscheidend, dass auch die Stundung oder auch nur das faktische „Stehenlassen“ einer Forderung als darlehensgleiche Finanzierungsleistung ausreicht.765) Die Gefahr einer Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO darf dabei nicht unterschätzt werden, sind nach der Rechtsprechung des BGH doch gerade auch kurzfristige Überbrückungsdarlehen anfechtbar.766) Ganz in diesem Sinne bejaht das OLG Karlsruhe konkret zu einem Fall der Organschaft eine Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sofern der Organträger seine Ausgleichsansprüche „erst mit zeitlicher Verzögerung und peu à peu“ bei der Organgesellschaft regressiert, da der Organträger dann eine längere Zeit in Vorleistung tritt und der Organgesellschaft als Tochter eine ständige Liquidität verschafft, die wirtschaftlich einem Kredit zumindest gleichsteht.767) Die Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist für den Organträger allerdings dadurch vermeidbar, dass er seine Ansprüche stets sofort einzieht.

d) Bargeschäftsprivileg 352 Bei sog. Bargeschäften gem. § 142 InsO ist die Anfechtbarkeit ausgeschlossen. Das gilt uneingeschränkt für eine Anfechtung nach § 130 InsO sowie für § 133 InsO, sofern nicht der Schuldner unlauter handelte und der andere Teil dies erkannte. Eine Anwendung des § 142 InsO im Rahmen von § 135 InsO ist umstritten, wir aber

___________ 765) BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, BGHZ 202, 59 = NZI 2014, 775 Rn. 50 f.; BGH, Urt. v. 11.7.2019 – IX ZR 210/18, DStR 2019, 1988 Rn. 13 ff.; BAG, Urt. v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, DStR 2014, 1609 Ls.; K. Schmidt-InsO/K. Schmidt/Herchen, 19. Aufl. 2016, § 39 Rn. 53; MünchKomm-InsO/Behme, 4. Aufl. 2019, § 39 Rn. 73; KPB-InsO/Preuß, 53. Lfg. 05/2013, § 135 Rn. 71 m. w. N. 766) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, NZI 2013, 483 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 7.5.2013 – IX ZR 271/12, NZI 2013, 816 Rn. 2. 767) OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.3.2018 – 3 U 22/17 Rn. 30 f.; ebenso die Vorinstanz LG Mannheim, Urt. v. 25.8.2017 – 3 O 32/17 Rn. 19 ff.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

von der herrschenden Ansicht bejaht.768) Eine inkongruente Leistung nach § 131 InsO kann dagegen nie eine Bardeckung sein.769) Das Bargeschäftsprivileg setzt bei der Gläubigerbenachteiligung an. Eine solche soll 353 außer Betracht bleiben, wenn und weil sie durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird,770) denn dann finde keine Vermögensverschiebung, sondern lediglich eine „Vermögensumschichtung“ statt.771) Dies könnte bei der Umsatzsteuer ähnlich sein, da diese für den Unternehmer nur ein „durchlaufender Posten“ sein soll.772) Dennoch kann das Bargeschäftsprivileg richtigerweise für die Zahlung auf den 354 Ausgleichsanspruch ebenso wenig greifen wie für die Abführung der Umsatzsteuer gegenüber dem Fiskus selbst.773) Weder erbringt der Staat für die Weiterleitung der Steuer eine Gegenleistung im Sinne eines Bargeschäfts, noch tut dies der Organträger im Rahmen der Organschaft. Den Steuerbetrag erhält sie vielmehr ganz unabhängig davon von dritter Seite. Eine Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung im Sinne des § 142 InsO besteht einzig zwischen Schuldner und Vertragspartner. Hieraus ergibt sich aber nicht die Verpflichtung des Schuldners zur Abführung der Umsatzsteuer.774) Entsprechend passt die Situation auch nicht zum Zweck des § 142 InsO, der darin liegt, dem Insolvenzschuldner die Handlungsfähigkeit im Geschäftsverkehr aufrechtzuerhalten.775) Einer hiervon ab-

___________ 768) Statt vieler K. Schmidt-InsO/Ganter/Weinland, 19. Aufl. 2016, § 142 Rn. 11 mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand; HambK-InsO/Schröder, 7. Aufl. 2019, § 135 Rn. 44; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 408; Thole, ZInsO 2011, 1425, 1430 f.; a. A. Brinkmann, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rn. 2.216. 769) Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 142 Rn. 5 f. 770) BT-Drucks. 12/2443, S. 167. 771) BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 212/09, NZI 2010, 897 Rn. 24 m. w. N.; BAG, Urt. v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 Rn. 48; HK-InsO/Thole, 10. Aufl. 2020, § 142 Rn. 2; KPB-InsO/Bartels, 82. Lfg. 10/2019, § 142 Rn. 5; K. Schmidt-InsO/Ganter/Weinland, 19. Aufl. 2016, § 142 Rn. 3. 772) Erwägend aber zu Recht ablehnend Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 272. 773) Frotscher, BB 2006, 351, 355; Jaeger-InsO/Henckel, 2008, § 142 Rn. 45; MünchKommInsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl. 2019, § 142 Rn. 9; Nacke, DB 2006, 1182, 1183. 774) Zu dieser Voraussetzung BT-Drucks. 12/2443, S. 167; BGH, Urt. v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 = NJW 1993, 3267, 3268; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl. 2019, § 142 Rn. 9; Gehrlein, ZInsO 2017, 128, 130. 775) BT-Drucks. 12/2443, S. 167; BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 Rn. 30 = NZI 2006, 469 Rn. 30; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 212/09, NZI 2010, 897 Rn. 24; Kayser, FS G. Fischer, 2008, 267, 269; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl. 2019, § 142 Rn. 2 m. w. N.; HK-InsO/Thole, 10. Aufl. 2020, § 142 Rn. 2; K. Schmidt-InsO/Ganter/ Weinland, 19. Aufl. 2016, § 142 Rn. 3; Gehrlein, ZInsO 2017, 128, 130.

155

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

weichenden, ausgedehnten Annahme eines Bargeschäfts steht entgegen, dass die Vorschrift als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist.776)

2.

Auswirkungen auf die Organschaft

355 Eine anfechtbare Ausgleichszahlung ist zivilrechtlich in vollem Umfang wirksam.777) Wird die Erfüllungshandlung angefochten, muss die Zahlung jedoch zurückgewährt werden (§ 143 Abs. 1 Satz 1 InsO) und lebt als Insolvenzforderung wieder auf (§ 144 Abs. 1 InsO).

a) Neutralitätsverstoß auch bei nachträglicher Uneinbringlichkeit 356 In den bisherigen Verfahrensstadien wurden Fälle beleuchtet, in denen bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Ausgleichsanspruchs dessen faktische Uneinbringlichkeit auf der Hand liegt, etwa wenn sich die Organgesellschaft als Schuldnerin bereits im eröffneten Verfahren oder auch nur im Eröffnungsverfahren befindet, sofern die Ansprüche nicht als Masseverbindlichkeit eingeordnet werden. Hiervon unterscheidet sich die Situation der Insolvenzanfechtung dadurch, dass die Ansprüche im Zeitpunkt ihrer Entstehung noch werthaltig erscheinen können und vorerst tatsächlich erfüllt werden. Durch die Anfechtung schlägt diese vorläufige Einbringlichkeit erst nachträglich in eine Uneinbringlichkeit um.778)

357 Unter Neutralitätsgesichtspunkten macht es indes offensichtlich keinen Unterschied, ob auf den Anspruch gar nicht erst gezahlt wird oder aber eine erfolgte Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgewährt werden muss.779) Die Neutralität wird erst durch eine dauerhafte und endgültige Kompensation erreicht. Als wiederauflebende Insolvenzforderung entfällt auf den Ausgleichsanspruch jedoch ebenso nur die Insolvenzquote, als wäre er von Beginn an nicht befriedigt worden. Eine solche nachträgliche Uneinbringlichkeit im Falle der Insolvenzanfechtung ist steuerrechtlich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG bekannt. Auch dort tritt Uneinbringlichkeit ___________ 776) BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297 = NJW 2008, 430 Rn. 43; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 212/09, NJW 2010, 3578; K. Schmidt-InsO/Ganter/Weinland, 19. Aufl. 2016, § 142 Rn. 7; HK-InsO/Thole, 10. Aufl. 2020, § 142 Rn. 2. 777) MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl. 2019, § 143 Rn. 4; Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 11. 778) Denkbar wäre auch die Sichtweise, dass die aufgrund des „Anfechtbarkeitsmakels“ von Anfang an bestehende Uneinbringlichkeit nachträglich aufgedeckt wird. Da eine Forderung bis trotz ihrer Anfechtbarkeit aber vollumfänglich wirksam ist, wird hier dennoch die Bezeichnung als „nachträglich uneinbringlich“ gewählt. Dies deckt sich mit der Sichtweise zur Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG im Falle der Insolvenzanfechtung, vgl. BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 26/16, BFHE 256, 571 = BStBl. II 2017, 735 = DStR 2017, 493 Rn. 15; BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BFHE 257, 465 = BStBl. II 2017, 738 = DStR 2017, 1200 Rn. 19 f.; Abschnitt 17.1 Abs. 17 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Schwarz/Widmann/ Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 150. 779) Hasbach, MwStR 2017, 262, 266.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

ein, wenn aufgrund von §§ 143, 144 Abs. 1 InsO ein erhaltenes Entgelt zurückgewährt werden muss.780)

b) Neutralitätsgebot auch bei Insolvenzanfechtung Angesichts der besonderen Situation der Insolvenzanfechtung könnte man erwägen, 358 ob ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot ausnahmsweise unbeachtlich ist. Schließlich knüpft die Insolvenzanfechtung an Faktoren an, die in der Person des Anfechtungsgegners, hier des Organträgers, liegen, und daher gerade diesem gegenüber eine Anfechtung rechtfertigen.781) Dennoch wäre die Sichtweise, dass der Organträger die Umsatzsteuer als Konsequenz der Anfechtung kompensationslos entrichten muss, mit insolvenzrechtlichen und umsatzsteuerrechtlichen Wertungen nicht vereinbar. Zunächst einmal darf die Anfechtung nicht als Sanktion missverstanden werden, 359 die ein Fehlverhalten des Anfechtungsgegners bestraft. Zweck der Insolvenzanfechtung ist vielmehr die (Wieder-)Herstellung der Gläubigergleichbehandlung, die im Vorfeld der Insolvenz durch eine Bevorzugung einzelner Gläubiger aus der Balance geraten ist.782) Die Rückabwicklung einer solchen Bevorzugung muss folglich nicht zwingend den Gläubiger selbst treffen, sondern kann sich etwa auch auf andere auswirken, die von der angefochtenen Rechtshandlung profitiert hatten. Im Übrigen kann dem Organträger kein unmittelbares Fehlverhalten angelastet 360 werden. Er hat gar nicht die Möglichkeit, die Organschaft durch Antrag aufzuheben, um so seine Belastung mit „fremder“ Steuer zu vermeiden; eine Beseitigung der Eingliederungsvoraussetzungen ist kurzfristig kaum möglich. Zu einer Beendigung der Organschaft durch Stellung des Insolvenzantrags ist er jedenfalls nicht verpflichtet.783) Muss oder darf der Organträger den Fortbestand der Organschaft hinnehmen, wäre es verfehlt, ihn im Falle der anfechtungsbedingten Rückzahlung der Kompensation mit Umsatzsteuer eines anderen Rechtsträgers zu belasten. Selbst wenn der Organträger insolvenz- oder gesellschaftsrechtliche Pflichten verletzen ___________ 780) BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BFHE 257, 465 = BStBl. II 2017, 738 = DStR 2017, 1200 Rn. 19; BFH, Urt. v. 20.5.2010 – V R 5/09, DStRE 2011, 758 Rn. 16; Abschnitt 17.1 Abs. 17 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 527 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 168; Schwarz/ Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 150. 781) Bspw. subjektive Kriterien, Inkongruenz, Unentgeltlichkeit oder die Gesellschafterstellung. 782) Jaeger-InsO/Henckel, 2008, § 133 Rn. 13; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, vor §§ 129 Rn. 2. 783) Die Antragspflicht trifft gem. § 15a Abs. 1 InsO nur den Geschäftsleiter. Zwar ist es möglich, dass der Organträger gleichzeitig Geschäftsleiter der Gesellschaft ist. Selbst dann kann es aber nicht Sinn der Umsatzsteuer sein, den Organträger in seiner Funktion als Organträger zu bestrafen, weil er in seiner Funktion als Geschäftsleiter die Antragspflicht verletzt. Ausnahmsweise ist auch der Gesellschafter einer GmbH zur Antragstellung verpflichtet, wenn die Gesellschaft führungslos ist, § 15a Abs. 3 InsO.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

würde, wäre das Umsatzsteuerrecht kein geeignetes Instrument, ihn hierfür zu sanktionieren.

361 Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot scheidet lediglich dann aus, wenn infolge der Anfechtung eine Zahlung zurückgewährt werden muss, die wirtschaftlich ohnehin nicht mehr als Umsatzsteuerausgleichsforderung anzusehen war. Unter Rn. 207 ff. wurde beschrieben, dass die Uneinbringlichkeit des ehemaligen Ausgleichsanspruchs unschädlich ist, wenn der Organträger den zunächst einbringlichen Anspruch „stehen lässt“ und der Organgesellschaft so Kredit gewährt. In diesem Fall führt die Uneinbringlichkeit nicht zu einem Neutralitätsverstoß, weil sich nicht mehr das Risiko der Uneinbringlichkeit des Umsatzsteuerausgleichs realisiert, sondern das neu eingegangene Kreditrisiko. Nichts anderes kann gelten, wenn die Uneinbringlichkeit einer solchen Forderung nicht unmittelbar eintritt, sondern erst durch die Anfechtung, insbesondere nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, nachdem die Zahlung noch erfolgt war. Entscheidend ist, ob eine freiwillige Kreditierung erfolgt ist und so ein eigenständiges Risiko eingegangen wurde.

c)

Rückwirkender Fortfall der Organschaft bei Anfechtung

362 Angesichts der Rückwirkung der Insolvenzanfechtung sind die Auswirkungen der anfechtungsbedingten Rückzahlung der Ausgleichszahlungen auf die Organschaft besonders problematisch. Im eröffneten Verfahren und im Eröffnungsverfahren fußt die Annahme der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs im Grunde auf der Prognose, dass in Anbetracht der insolvenzrechtlichen Besonderheiten eine vollständige Erfüllung des Ausgleichsanspruchs ausgeschlossen ist. Diese wird einerseits durch die rechtliche Rahmensituation und andererseits durch die allgemeine Lebenserfahrung gestützt. Für die materielle Insolvenz wurde entsprechend geprüft, ob bereits für dieses Stadium eine solche Vermutung besteht, was sich nicht pauschal bestätigen ließ, sondern im Einzelfall beurteilt werden muss.

363 Im Bereich der Insolvenzanfechtung lässt sich mit einer Prognose nicht arbeiten. Hierzu müsste bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Ausgleichsanspruchs bewertet werden können, ob eine gedachte Befriedigung voraussichtlich angefochten werden würde. Ex ante lässt sich aber die Anfechtbarkeit einer Zahlung, geschweige denn die tatsächliche Geltendmachung der Anfechtung, unmöglich beurteilen. Allen Anfechtungstatbeständen ist gemein, dass sie nur in einem bestimmten Zeitraum greifen, der vom Zeitpunkt des Insolvenzantrags zurückgerechnet werden muss. Bereits die zeitliche Anwendbarkeit steht daher erst ex post fest. Hinzu kommt, dass die Anfechtungsgründe gleichermaßen an rechtliche Gegebenheiten und subjektive Momente bei Schuldner und Anfechtungsgegner anknüpfen können, die vorab für keinen der Beteiligten vollumfänglich bestimmbar sind.

364 Die einzig mögliche Lösung liegt de lege lata folglich darin, die Organschaft so lange als existent zu behandeln, wie der Ausgleichsanspruch einbringlich erscheint.

158

A. Insolvenz der Organgesellschaft

Führt später die Anfechtung zum rückwirkenden Entzug der Kompensation, kann die Organschaft rückblickend allerdings nicht in Entsprechung mit dem Neutralitätsgrundsatz bestehen bleiben. Sie muss daher für den kompensationslosen Zeitraum rückwirkend entfallen.

d) Folgen des rückwirkenden Fortfalls Ein rückwirkender Fortfall der Organschaft mutet zunächst verfahrenstechnisch un- 365 praktikabel an, da er eine Rückrechnung der Steuer nach sich zieht. Die dadurch notwendige nachträgliche Änderung der Steuerbescheide ist steuerverfahrensrechtlich indes nicht nur speziell in § 17 UStG, sondern auch in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorgesehen, wenn „ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis)“. Eine zeitliche Einschränkung findet sich durch die Festsetzungsverjährung, die für die Umsatzsteuer vier Jahre beträgt (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO).784) Allerdings drängt sich gerade im Insolvenzkontext die Frage nach den materiellen 366 Auswirkungen des rückwirkenden Fortfalls der Organschaft auf. Im Falle der Anfechtung wird die Organschaft praktisch zu einer irrtümlich angenommenen Organschaft.785) Die auf den eigenen Umsätzen und Leistungsbezügen des (vermeintlichen) Organträgers beruhenden Umsatzsteuer- und Vorsteuerbeträge bleiben vom Fortfall der Organschaft unberührt. Soweit der (vermeintliche) Organträger allerdings Umsatzsteuer aus Umsätzen der (vermeintlichen) Organgesellschaft abgeführt hat, ist diese Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden und muss vom Finanzamt gem. § 37 Abs. 2 AO erstattet werden. Sodann wird sich das Finanzamt an die (vermeintliche) Organgesellschaft halten müssen und von ihr die Umsatzsteuer für den Zeitraum einfordern, in der die Organschaft rückwirkend entfallen ist. Da die Erstattung sich gegen einen insolventen Rechtsträger richtet, ist es für den 367 Fiskus von erheblichem Interesse, ob es sich bei der Erstattungsforderung um eine bloße Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt.

aa) Mutmaßliche Ansicht des BFH Da insolvenzanfechtungsrechtliche Wirkungen auf die Organschaft bislang nicht 368 erörtert wurden, liegt bis dato keine Entscheidung des BFH zum rückwirkenden Fortfall der Organschaft vor.786) Sehr wohl gibt es aber Entscheidungen zur rück___________ 784) BFH, Beschl. v. 16.10.1986 – V B 64/86, BFHE 148, 10 = BStBl. II 1987, 95; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl. 2020, § 169 Rn. 17, 22. 785) Allgemein zu dieser Konstellation KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 174 ff.; Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 416 ff.; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2019, § 2 Rn. 295 ff. 786) Der XI. Senat stellte jüngst fest, die Rechtsfrage, ob Ausgleichszahlungen angefochten werden könnten, sei nicht entscheidungserheblich, vgl. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 79.

159

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

wirkenden Änderung der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage nach Insolvenzanfechtung außerhalb der Organschaft. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG muss eine Korrektur stattfinden, wenn die vom insolventen Unternehmer (Schuldner) an einen anderen Unternehmer (Gläubiger) geleistete Entgeltzahlung vom Insolvenzverwalter angefochten wird.787) Hierdurch verringert sich die Umsatzsteuerschuld für den Gläubiger, da er die erhaltene Zahlung zurückgewähren muss und sich das Entgelt damit nachträglich als uneinbringlich erweist. Spiegelbildlich ist auf Seiten des Schuldners gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug zu kürzen, sodass das Finanzamt bezüglich der bereits vergüteten Vorsteuer einen Rückzahlungsanspruch geltend machen kann. Für diesen Anspruch stellt sich ebenfalls die Frage nach der insolvenzrechtlichen Qualifikation. Die übereinstimmende Rechtsprechung des V. und XI. Senats des BFH und ein Teil der steuerrechtlichen Literatur sehen im Vorsteuererstattungsanspruch des Finanzamtes eine Masseverbindlichkeit des Schuldners.788) Der Anspruch sei durch die Masseverwaltung begründet, zu der auch die Geltendmachung und Durchsetzung von Insolvenzanfechtungsansprüchen gehöre. Erst durch die Rückzahlung werde der Anspruch des Finanzamtes im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 UStG begründet.789)

369 Die Konstellation ist der Situation der Organschaft offensichtlich sehr ähnlich. Besonders deutlich wird dies in der noch unter Rn. 518 f. zu behandelnden Organträgerinsolvenz, in der spiegelbildlich zur hiesigen Konstellation eine Vorsteuerausgleichszahlung des Organträgers an die Organgesellschaft angefochten wird und daher rückwirkend die Organschaft entfällt. Dort richtet sich der Erstattungsanspruch des Finanzamtes aus § 37 Abs. 2 AO gegen den Organträger ebenso wie in der soeben beschriebenen Situation des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Vorsteuer. Doch auch auf die Organgesellschaftsinsolvenz, wenn die Organgesellschaft nach rückwirkendem Fortfall der Organschaft selbst die Umsatzsteuerbeträge aus der Vergangenheit abführen muss, dürfte die Rechtsprechung des BFH übertragbar sein. In allen Fällen wird nämlich gleichermaßen eine frühere ___________ 787) BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BFHE 257, 465 = BStBl. II 2017, 738 = DStR 2017, 1200 Rn. 19 ff.; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 26/16, BFHE 256, 571 = BStBl. II 2017, 735 = DStR 2017, 493 Rn. 14; BFH, Urt. v. 20.5.2010 – V R 5/09, DStRE 2011, 758 Rn. 16; Abschnitt 17.1 Abs. 17 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 527 ff.; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 168; Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 150. 788) BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BFHE 257, 465 = BStBl. II 2017, 738 = DStR 2017, 1200 Ls. 2, Rn. 26; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 26/16, BFHE 256, 571 = BStBl. II 2017, 735 = DStR 2017, 493 Ls., Rn. 23; Abschnitt 17.1 Abs. 17 Satz 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; Schwarz/Widmann/Radeisen/Schwarz, 201. Lfg. 07/2018, § 17 Rn. 150; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 169. EL 2016, § 18 Anhang 2 Rn. 168; Reiß/Kraeusel/Langer/Pull, UStG, 157. Lfg. 02/2020, § 17 Rn. 138 (Insolvenzanfechtung) m. w. N. zur untergerichtlichen Rechtsprechung; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 2128 f.; Schmittmann, NZI 2014, 638, 640. Dagegen Kahlert, ZIP 2012, 1433. 789) BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BFHE 257, 465 = BStBl. II 2017, 738 = DStR 2017, 1200 Rn. 26.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

Zahlung des Schuldners angefochten und zurückgewährt, wodurch eine steuerliche Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Finanzamt entsteht. Nach dem Maßstab, den der BFH für die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG anlegt, würde er daher wohl auch in den Organschaftskonstellationen den Vorsteuererstattungsanspruch bzw. hier den Umsatzsteuerzahlungsanspruch des Finanzamtes als durch die Insolvenzanfechtung und die daraus folgende Rückzahlung ausgelöst ansehen, sodass der Anspruch durch die Masseverwaltung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet wäre. Für den Fiskus würde das dazu führen, dass er zwar die Umsatzsteuer (bzw. in der Organträgerinsolvenz die Vorsteuer) aus der Sphäre der ehemaligen Organgesellschaft erstatten müsste, sich aber in gleicher Höhe vorrangig aus der Masse des jeweiligen Insolvenzschuldners befriedigen könnte. Nachteile würde der Fiskus nur im Fall der Masseunzulänglichkeit erleiden.

bb) Eigene Ansicht Insolvenzrechtlich ist dieses Ergebnis nicht überzeugend begründbar. Die Forderung 370 des Finanzamtes kann weder in den organschaftsspezifischen Fällen noch im beschriebenen Fall des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG als Masseverbindlichkeit qualifiziert werden. Dies wurde für die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG in der Literatur unter Ablehnung der Rechtsprechung des BFH zutreffend herausgearbeitet.790) Die dort entwickelten Argumente sind auf die hier untersuchte Konstellation zu übertragen. Entscheidend für die Qualifikation ist gem. § 38 InsO der Zeitpunkt der insolvenz- 371 rechtlichen Begründetheit. Diese wiederum setzt lediglich voraus, dass der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt ist.791) Der Rechtsgrund liegt für den Vorsteuererstattungsanspruch ebenso wie für den Rückgewähranspruch im Sinne des § 143 InsO bereits in den anfechtbar geleisteten Zahlungen.792) Auf die Verwirklichung des Tatbestands des § 17 UStG kommt es hierbei – anders als der BFH meint – nicht an. Dass nur eine Insolvenzforderung vorliegen kann, bestätigt die Kontroll___________ 790) HK-InsO/Ries, 10. Aufl. 2020, § 38 Rn. 38; Zistler, ZInsO 2015, 833, 835 f.; Eisolt, ZInsO 2017, 630, 632 f.; Kruth, MwStR 2017, 392, 393 (Anm.); kritisch auch KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 532; auch bereits Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 23.56. Im Ergebnis ebenso J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.410. Selbst wenn man die fragwürdige Rechtsprechung des BFH zur Unternehmensaufspaltung durch die Insolvenz zugrunde legt, ist eine Insolvenzforderung anzunehmen, siehe Kahlert, ZIP 2012, 1433; dem folgend Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 343. 791) BFH, Beschl. v. 6.10.2005 – VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369 Ls. 1; BGH, Beschl. v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rn. 3; MünchKomm-InsO/Ehricke/Behme, 4. Aufl. 2019, § 38 Rn. 21; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 38 Rn. 26; KPB-InsO/Holzer, 74. Lfg. 11/2017, § 38 Rn. 7; Jaeger-InsO/Henckel, 2004, § 38 Rn. 82. 792) Der Rückgewähranspruch entsteht hingegen erst mit Verfahrenseröffnung, vgl. statt aller Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 143 Rn. 3 m. w. N. zur Rechtsprechung. Für die Einkommensteuer hat der X. Senat des BFH dies insolvenzrechtlich korrekt entschieden, vgl. BFH, Beschl. v. 1.4.2008 – X B 201/07, BFH/NV 2008, 925.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

überlegung, dass der Vorsteuererstattungsanspruch zweifellos auch dann eine Insolvenzforderung wäre, wenn der Schuldner das Entgelt von Anfang an nicht entrichtet hätte, da dann spätestens eine juristische Sekunde vor Verfahrenseröffnung die Uneinbringlichkeit der Entgelte eingetreten wäre.793) Durch die Insolvenzanfechtung soll aber gerade das Ergebnis erzeugt werden, das ohne Zahlung bestanden hätte, wie § 144 InsO zeigt.794)

372 Ganz grundsätzlich kann der vom BFH maßgeblich angeführte Umstand, dass die Geltendmachung des Anfechtungsrechts durch den Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Masseverwaltung steht, nicht dazu führen, dass aus der Anfechtung folgende Verbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO den Masseverbindlichkeiten zugeordnet werden. Ansonsten könnte der Insolvenzverwalter geleistete Zahlungen zwar zur Masse zurückziehen, würde aber in gleicher Höhe Verbindlichkeiten der Masse begründen. Da der Zweck der Insolvenzanfechtung damit konterkariert würde, mag man gegen die die Qualifikation der Verbindlichkeit als Masseverbindlichkeit sogar das schwere Geschütz der par conditio creditorum bemühen.795)

373 Entsprechend ist auch die Umsatzsteuerforderung gegen die ehemalige Organgesellschaft nach einem anfechtungsbedingten rückwirkenden Fortfall der Organschaft richtigerweise als Insolvenzforderung einzuordnen. Die Ansprüche gründen insolvenzrechtlich bereits in den vor Verfahrenseröffnung ausgeführten Leistungen bzw. gezahlten Entgelten selbst. Diese sind Rechtsgrund i. S. d. § 38 InsO.

374 Für den Fiskus ist dieses Ergebnis nachteilig, da er die Erstattungsansprüche aus dem durch die Insolvenzanfechtung betroffenen Zeitraum zur Tabelle anmelden muss. Auf diese Forderungen aus einem unter Umständen nicht unerheblichen Zeitraum entfällt nur die Insolvenzquote.796) Absichern kann sich der Fiskus gegen dieses Risiko de lege lata nicht. Das grundlegende Mittel der Steueraufkommenssicherung ist die Einteilung des Besteuerungsjahres in Voranmeldungszeiträume, wobei der Gesetzgeber bei höheren Umsätzen zur Risikominimierung den Zeitraum von einem Quartal auf einen Monat begrenzt (§ 18 Abs. 2 Satz 2 UStG) und das ___________ 793) Reiß/Kraeusel/Langer/Pull, UStG, 157. Lfg. 02/2020, § 17 Rn. 138 (Insolvenzanfechtung); J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.410; Zistler, ZInsO 2015, 833, 836; Kruth, MwStR 2017, 392, 393 (Anm.). 794) Zistler, ZInsO 2015, 833, 836; Kruth, MwStR 2017, 392, 393 (Anm.). Der BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 26/16, BFHE 256, 571 = BStBl. II 2017, 735 = DStR 2017, 493 Rn. 27, erkennt dieses Argument nicht an. 795) HK-InsO/Ries, 10. Aufl. 2020, § 38 Rn. 38; Eisolt, ZInsO 2017, 630, 634. Siehe auch Sonnleitner/ Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 343, der angesichts des Zwecks im Zweifel sogar eine teleologische Reduktion des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht zieht. Dies dürfte nach dem Gesagten nicht notwendig sein. 796) Siehe bereits unter Rn. 207 ff. die parallele, dort aber nur angedeutete Problemstellung in dem Fall, dass der Organträger einbringliche Ausgleichsansprüche freiwillig stehen lässt und damit das spätere Ausfallrisiko bewusst übernimmt. Im Wege einer Interessenabwägung und zur Missbrauchsvermeidung ist dort von einem Fortbestand der Organschaft auszugehen, sodass die fiskalischen Nachteile nicht eintreten.

162

A. Insolvenz der Organgesellschaft

Prinzip der Soll-Besteuerung (§ 16 UStG) anwendet. Damit wird vermieden, dem Unternehmer über einen längeren Zeitraum die Umsatzsteuer zu kreditieren. Erweist sich die vermeintliche Steuerschuldnerschaft nachträglich als unrichtig, wird diese fiskalische Absicherung ausgehebelt. Durch die anfechtungsbedingte Steuerkorrektur wird also der Fiskus faktisch mit dem Anfechtungsrisiko in Höhe der angefochtenen Zahlungen belastet. Die Nachteile für den Fiskus gründen allerdings nicht erst in der insolvenzrechtlichen 375 Qualifikation der Umsatzsteuer- bzw. Vorsteuererstattungsforderung, sondern bereits in der Erkenntnis, dass die Organschaft aufgrund der Belastungsneutralität rückwirkend enden muss und der Fiskus daher überhaupt einen Anspruch gegenüber dem Insolvenzschuldner durchsetzen muss. Die Einordnung dieses Anspruchs als Masseverbindlichkeit würde höchstens genutzt, um die hieraus erwachsenden fiskalischen Nachteile einzudämmen. Die insolvenzrechtliche Forderungsqualifikation ist jedoch ein ungeeigneter Ansatzpunkt, um unerwünschte Nachteile für einzelne Gläubiger zu vermeiden. Die Qualifikation richtet sich allein nach den Kriterien der §§ 38, 55 InsO. Im Übrigen dürfte es de lege lata keinen Grund geben, die Belastung des Fiskus weiter 376 einzugrenzen. Der Wunsch nach dem Schutz des (Umsatz-)Steueraufkommens ist zwar nachvollziehbar. Die hier auftretende fiskalische Belastung ist aber schlicht Ausdruck der Tatsache, dass der Staat den Organträger für den ganzen Organkreis als Steuereinnehmer einsetzt und sich hierdurch (freiwillig) in eine Abhängigkeit von den Verhältnissen zwischen Organträger und Organgesellschaft begibt, die sich in der Tragung des Anfechtungsrisikos manifestiert. Hierbei handelt es sich nicht um einen organschaftsspezifischen Nachteil, sondern um eine konzeptionelle Schwäche des geltenden Umsatzsteuersystems, das darauf beruht, private Rechtsträger als Zwangsgehilfen für eine Steuervereinnahmung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einzusetzen. Die Belastung des Fiskus mit dem Anfechtungsrisiko in Höhe der Umsatzsteuer ist dadurch eine typische Folge der Insolvenzanfechtung, wie oben bereits anhand des Falles des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG deutlich gemacht wurde. Auch in diesem Grundfall, bei dem gegenüber einem Gläubiger die Entgeltzahlung angefochten wird und das Finanzamt diesem den vollen Umsatzsteuerbetrag zu erstatten hat, kann es die Ansprüche aus der anfechtungsbedingten Vorsteuerkorrektur gegenüber dem Schuldner richtigerweise nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend machen. Zuletzt darf für die Insolvenz der Organgesellschaft nicht übersehen werden, dass 377 sich die Anfechtungsrisiken des Fiskus durch die Organschaft weniger vermehren als vielmehr bloß verschieben. Ohne Organschaft würde die Tochter die Umsatzsteuer unmittelbar an das Finanzamt leisten, das also in jedem Fall Insolvenzrisiken ausgesetzt ist.797) ___________ 797) Vgl. zur Anfechtbarkeit von Umsatzsteuerzahlungen nur BGH, Beschl. v. 22.10.2015 – IX ZR 74/15, ZInsO 2016, 341 m. w. N. und oben unter Rn. 339 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

3.

Anfechtung unmittelbarer Zahlungen gegenüber dem Finanzamt

378 In der Praxis kommt es bisweilen vor, dass nicht der Organträger, sondern die später insolvente Organgesellschaft einen Betrag in Höhe der Steuerschuld des Organträgers an das Finanzamt leistet, etwa weil ohnehin die gesamte Steuer aus ihren Umsätzen stammt.798) Zwischen BFH und BGH ist umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Zahlungen angefochten werden können.799)

379 Der BFH geht von einer Zahlung der Organgesellschaft auf die Steuerschuld des Organträgers und damit von einer Leistung auf eine fremde Forderung gem. § 267 BGB aus. Daher soll eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht möglich sein, weil das Finanzamt kein Insolvenzgläubiger im Sinne der Vorschrift sei. Auf die eigene Haftungsverbindlichkeit der Organgesellschaft nach § 73 AO könne nicht abgestellt werden, weil diese nur subsidiär sei und erst eine aussichtslose Vollstreckung der Primärforderung voraussetze.800) In Betracht komme eine Anfechtung nach §§ 132, 133 InsO, die aber von subjektiven Voraussetzungen beim Finanzamt abhängt, und eine Anfechtung nach § 134 InsO, die aber nur greift, falls die Steuerforderung gegenüber dem Organträger uneinbringlich war.801)

380 Der BGH betrachtet das Finanzamt dagegen sehr wohl als Insolvenzgläubiger der Organgesellschaft im Sinne der §§ 130, 131 InsO.802) Eine Deckungsanfechtung setze nicht voraus, dass der Zahlung tatsächlich eine bestehende Forderung zugrunde liegt, wie der Gesetzeswortlaut zeige („[…] nicht zu beanspruchen hatte“). Entscheidend sei gem. § 38 InsO lediglich, dass die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs gelegt sei, was für den Haftungsanspruch aus § 73 AO bereits mit Entstehung des Steueranspruchs gegen den Organträger der Fall sei.803) Dieser Anspruch werde im Übrigen regelmäßig getilgt, weil bei Fehlen einer Tilgungsbestimmung im Zweifel auf die eigene Schuld gezahlt werde.804) Daher sei eine Anfechtung nach ___________ 798) Vgl. etwa die Sachverhalte in BFH, Urt. v. 26.8.2014 – VII R 16/13, BFH/NV 2015, 8; BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670. 799) Die Frage ist aktuell nochmals beim VII. Senat des BFH unter dem Az. VII R 20/18 anhängig. 800) BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670, 2672; zust. Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1433 f.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 107 f.; vgl. auch Urban, UR 2011, 285, 287. 801) Zu diesem Erfordernis BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, NZI 2016, 307, 308; MünchKommInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 134 Rn. 31b m. w. N.; Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 134 Rn. 66 m. w. N.; Thole, ZIP 2019, 1353, 1357. 802) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 9 ff.; zust. Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.51 f.; zust. und ausführlich Thole, ZIP 2019, 1353, 1355 f. 803) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 17. 804) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 20; Thole, ZIP 2019, 1353, 1355 f.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

§ 131 InsO möglich. Eine Anfechtung nach § 134 InsO muss dann hingegen ausscheiden, weil aufgrund der eigenen Verbindlichkeit keine freiwillige Drittleistung der Organgesellschaft vorliegt.805) Beiden Ansichten soll hier nicht im Detail nachgegangen werden. Von Interesse 381 sind an dieser Stelle vielmehr die Folgen einer unterstellt erfolgten Anfechtung der Zahlungen der Organgesellschaft an das Finanzamt. Das Finanzamt hat dann die gezahlte Steuer in die Insolvenzmasse der Organgesellschaft zurückzuzahlen. Damit lebt die Steuerforderung gegen den Organträger wieder auf – unmittelbar, wenn man mit dem BFH eine Zahlung der Organgesellschaft auf die Steuerschuld annimmt, oder mittelbar, wenn man mit dem BGH von einer Zahlung auf die Haftungsschuld ausgeht. Das Finanzamt wird sich daher an den Organträger halten und ihn für die Umsatzsteuer aus Umsätzen der Organgesellschaft in Anspruch nehmen. Eine derartige Inanspruchnahme für fremde Umsatzsteuer wäre aber nur dann mit dem Grundsatz der Belastungsneutralität vereinbar, wenn der Organträger Kompensation hierfür erlangen könnte. Aufgrund der Insolvenz der Organgesellschaft wäre seine Ausgleichsforderung indes uneinbringlich. Als Folge muss auch hier die Organschaft enden, um eine endgültige Belastung des Organträgers mit „fremder“ Umsatzsteuer zu vermeiden. Das Ergebnis ist vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zum Fortbestand der Organschaft bei Insolvenzanfechtung stimmig, da es so keinen Unterschied macht, ob der Insolvenzverwalter eine tatsächlich erfolgte Ausgleichszahlung an den Organträger, eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs durch Zahlung an das Finanzamt oder aber die abgekürzte Zahlung an das Finanzamt selbst anficht.

4.

Zwischenergebnis

Es sind je nach Einzelfall unterschiedliche Gründe denkbar, die eine Anfechtung 382 der Ausgleichszahlung der Organgesellschaft an den Organträger ermöglichen, insbesondere etwa §§ 130, 133, 135 InsO. Dadurch wird dem Organträger rückwirkend die Kompensation für seine Umsatzsteuerzahlungen entzogen. Im Verlauf der Untersuchung wurde indes die Notwendigkeit einer tatsächlichen 383 Kompensation festgestellt, die die Belastungsneutralität innerhalb der Organschaft herstellt. Ein belastungsneutraler Zustand wird nicht nur durch die anfängliche Uneinbringlichkeit von Ausgleichsansprüchen, sondern auch durch die nachträgliche Uneinbringlichkeit aufgrund einer Insolvenzanfechtung beeinträchtigt. Der anfechtungsbedingte nachträgliche Entzug der Kompensation infolge der Insolvenzanfechtung steht einer von Beginn an bestehenden Kompensationslosigkeit insofern qualitativ gleich. Eine belastungsneutrale Ausgestaltung der Organschaft lässt sich nur erreichen, indem die Organschaft für den Zeitraum, der von der Anfechtung betroffen ist, rückwirkend entfällt. Im Rahmen der Rückabwicklung der nunmehr ___________ 805) BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527 Rn. 35 f.

165

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

fälschlich geleisteten Beträge muss das Finanzamt seine Ansprüche gegen die insolvente Organgesellschaft zur Tabelle anmelden. Der BFH würde die Ansprüche dagegen mutmaßlich als Masseverbindlichkeiten einordnen und so einen nennenswerten Forderungsausfall vermeiden.

384 Bei einer Anfechtung der Erfüllung des Freistellungsanspruchs des Organträgers durch direkte Zahlung an das Finanzamt oder bei einer Anfechtung der Zahlung an das Finanzamt selbst gilt im Ergebnis dasselbe.

V. Abweisung des Insolvenzantrags oder Einstellung des Verfahrens mangels Masse 385 Gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Mit Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses wird die Gesellschaft gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG aufgelöst. Insolvenzrechtliche Mechanismen zur geordneten gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung wirken im Falle der Abweisung nicht (mehr), Schuldner und Gläubiger werden gewissermaßen „sich selbst überlassen“806). Dasselbe gilt im Falle der Einstellung des bereits eröffneten Insolvenzverfahrens mangels Masse gem. § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO.

1.

Allgemeine Ansicht

386 Bei einer Abweisung mangels Masse gem. § 26 InsO wird eine Beendigung der Organschaft soweit ersichtlich durchweg verneint.807) Nimmt man richtigerweise das Entfallen der Organschaft bereits im Eröffnungsverfahren an, das dem Abweisungsbeschluss in aller Regel vorausgeht,808) müssten die Vertreter dieser Ansicht ___________ 806) Vgl. nur Uhlenbruck/Hirte, 15. Aufl. 2019, § 11 Rn. 113. 807) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 44; BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, BeckRS 2007, 25012940; BFH, Beschl. v. 27.9.1991 – V B 78/91, BFH/NV 1992, 346; BFH, Beschl. v. 27.9.1991 – V B 78/91, UR 1992, 176; OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 901; Onusseit, ZIP 2003, 743, 749; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.384; Beck’sches Hdb ImmobStR/J. Roth, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 82; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1541; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 819; ders., GmbHR 2005, 859, 861; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 116; Waza/Uhländer/ Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1933; K. Schmidt-InsO/ Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 213; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 258; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 252; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1014; ders., UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 327; Boochs/ Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 3. Aufl. 2007, Rn. 201; Herzig/Widmann, Organschaft, 2003, S. 345; Keul, Die umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 62. 808) Der vorläufige Verwalter prüft gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 1 InsO die Verfahrenskostendeckung. Vgl. auch Bork/Hölzle/Bork, Hdb InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 2 Rn. 4, 21.

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A. Insolvenz der Organgesellschaft

statt des Fortbestands ein Wiederaufleben der Organschaft annehmen.809) Ausgangspunkt dieser Ansicht ist offenbar die Überlegung, dass weder die Vermögenslosigkeit noch die Auflösung der Organgesellschaft deren grundsätzliche Fähigkeit beeinträchtigen, in ein fremdes Unternehmen eingegliedert zu sein.810) Das mag stimmen, sagt jedoch noch nichts über die tatsächliche Eingliederung aus. In der Tat greifen insolvenzrechtliche Besonderheiten nicht (mehr). Nicht nur be- bzw. 387 erhält die Geschäftsleitung der Organgesellschaft die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen, auch die ab Eintritt der materiellen Insolvenz bestehende insolvenzrechtliche Modifikation des Pflichtenprogramms entfällt.811) Rechte aus der Mehrheitsbeteiligung können weiterhin ausgeübt werden, organisatorische Eingriffsmöglichkeiten und Verflechtungen bleiben unberührt. Damit hat der Organträger scheinbar (wieder) die Möglichkeit, seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft durchzusetzen.

2.

Korrektur vor dem Hintergrund der Belastungsneutralität

Vernachlässigt wird von der bisherigen allgemeinen Ansicht allerdings das Erforder- 388 nis der tatsächlichen Kompensationsmöglichkeit. Eine Zurechnung der Umsatzsteuerbeträge der Organgesellschaft zum Organträger verbietet sich mit Blick auf den Neutralitätsgrundsatz, wenn der Organträger nicht imstande ist, die ihm gem. § 426 BGB zustehenden Ausgleichsansprüche tatsächlich zu verwirklichen.812) Ist das Vermögen des Schuldners aber derart minimiert, dass es nicht einmal zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens reicht, ist der Ausgleichsanspruch kaum einbringlich. Dies entspricht der Wertung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, in dessen Rahmen im Falle der Abweisung mangels Masse sämtliche Ansprüche gegen den Insolvenzschuldner als uneinbringlich angesehen werden.813) Vieles spricht dafür, beide Uneinbringlichkeitsbegriffe parallel zu verstehen.814) Wahrscheinlich ist zudem, dass die wirtschaftliche Eingliederung entfällt.815) Ohne 389 Masse dürfte es der Organgesellschaft kaum möglich sein, weiterhin geschäftliche Beziehungen mit dem Organträger im Sinne einer gegenseitigen Förderung und ___________ 809) So ausdrücklich Wäger, UR 2014, 81, 91; Keul, Die umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 61 f. 810) BFH, Beschl. v. 27.9.1991 – V B 78/91, BFH/NV 1992, 346; OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962; Maus, GmbHR 2005, 859, 861; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 257. 811) Hierauf stellt Keul, Die umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 62 maßgeblich ab. 812) Siehe ausführlich Rn. 175 ff. 813) Abschnitt 17.1 Abs. 16 Satz 3 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/ Schildt, 4. Aufl. 2019, § 26 Rn. 41; Zipperer, NZI 2003, 590. 814) Vgl. zur Parallelität bereits Rn. 205 ff. 815) Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1541; Wäger, UR 2014, 81, 91.

167

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Verflechtung aufrecht zu erhalten. Die hierzu notwendigen Betriebsmittel werden nach Abweisung des Antrags jedenfalls durch den „Wettlauf der Gläubiger“ durch Einzelzwangsvollstreckung entzogen werden.

B. Insolvenz des Organträgers 390 Die Folgen der Organträgerinsolvenz auf die umsatzsteuerliche Organschaft werden seltener diskutiert als die Folgen der Insolvenz der Organgesellschaft. Das mag einerseits den praktischen Grund haben, dass die Einzelinsolvenz der Organgesellschaft häufiger vorkommt als die Einzelinsolvenz des Organträgers. Andererseits scheint ein Eingreifen insolvenzrechtlicher Regeln auf Seiten des Organträgers den Fortbestand einer Organschaft auch weniger stark zu beeinträchtigen. Denn anders als bei der Insolvenz der Organgesellschaft stellt sich hier nicht die Frage, inwieweit insolvenzrechtliche Besonderheiten die Beherrschbarkeit des Schuldners hindern, sondern umgekehrt, inwieweit sie die Fähigkeit des Schuldners hindern, selbst über eine Gesellschaft zu herrschen. Gegen den Fortbestand der Organschaft in der Organträgerinsolvenz werden spätestens seit den neueren Urteilen des BFH allerdings zunehmend abstrakte, an eine Störung der organschaftlichen Systematik anknüpfende Argumente vorgebracht.

I.

Eröffnetes Insolvenzverfahren

1.

Regelverfahren

391 Wie schon in der Insolvenz der Organgesellschaft wird auch die Prüfung des Fortbestands der Organschaft im Regelverfahren über das Vermögen des Organträgers von der Einsetzung eines Insolvenzverwalters geprägt, auf den die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Organträgers übergeht, §§ 80 Abs. 1, 148 Abs. 1 InsO. Die bisherige Geschäftsleitung behält ihre Befugnisse nur, soweit der sog. „Schuldnerbereich“ betroffen ist. In Bezug auf alle zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände und damit faktisch im gesamten umsatzsteuerlich relevanten Bereich übernimmt dagegen der Verwalter die Geschäftsführung (sog. „Verdrängungsbereich“).816) Eine zweite wesentliche Folge ist die insolvenzrechtlich modifizierte Durchsetzbarkeit bestimmter Ansprüche gegen den insolventen Organträger, die die Uneinbringlichkeit von Steueransprüchen der Finanzverwaltung sowie etwaigen Ausgleichsansprüchen der Organgesellschaft zur Folge haben kann.

___________ 816) Zur Abgrenzung zwischen Verdrängungs- und Schuldnerbereich übersichtlich MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 80 Rn. 112; Klöhn, DB 2013, 41, 42; eingehend Gottwald/Haas/ Kolmann/Kurz, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 90 Rn. 347 ff. Die Einteilung geht auf Weber, KTS 1970, 73 zurück.

168

B. Insolvenz des Organträgers

a) Überblick über den Meinungsstand In der Praxis sind die Fälle der alleinigen Insolvenz des Organträgers seltener, sodass 392 Rechtsprechung und Literatur zum Fortbestand der Organschaft insgesamt spärlicher sind. Erst durch das Grundsatzurteil des BFH vom 15.12.2016817) nahm die Diskussion Fahrt auf.

aa) Frühere Ansichten Unter Geltung der Konkursordnung wurde ursprünglich überwiegend angenommen, 393 in der Insolvenz des Organträgers entfalle die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung.818) Die Herrschaft des Organträgers über die Organgesellschaft ende, da der Konkursverwalter weder die Aufgabe habe, noch in der Lage sei, einen Konzern zu leiten und die Weisungsmacht gegenüber der Organgesellschaft auszuüben. Das FG des Saarlandes läutete im Jahr 1998 mit der soweit ersichtlich ersten Ent- 394 scheidung zur Thematik und im Anschluss an eine Literaturmeinung819) ein Umdenken ein, indem es entschied, die Organschaft könne trotz alleinigen Konkurses des Organträgers fortbestehen.820) „Für die organisatorische Eingliederung einer Organgesellschaft [mache] es keinen qualitativen Unterschied, durch welche Personen sie seitens des Organträgers dominiert [werde] (z. B. durch deren Vorstandsmitglieder, deren Geschäftsführer, deren Konkurs-, Vergleichsverwalter, deren Sequester oder durch alle diese Personen zusammen).“821) Lediglich die personelle Willensbildung beim Organträger sei dadurch betroffen, nicht die Abhängigkeit der Organgesellschaft selbst. Der BFH hob das Urteil für den Einzelfall zwar auf, bezeichnete seine Entscheidung allerdings als Ausnahme, für die offenbar tragend war, dass die Konkursverwalter des Organträgers in dem Fall tatsächlich keinen Einfluss mehr auf die laufende Geschäftsführung der Organgesellschaft genommen hatten, nachdem der über die Personenidentität der Geschäftsleitungen vermittelte Einfluss entfallen war.822) In der Literatur festigte sich in der Folge bis zum Beschluss des BFH vom 19.3.2014823) und der Hauptsacheentscheidung vom 15.12.2016824) die Auffassung, ___________ 817) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 und vorgehend BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 (Aussetzungsverfahren). 818) Bunjes/Geist/Heidner, UStG, 5. Aufl. 1997, § 2 Rn. 32; Keller, BB 1983, Beilage 4 zu Heft 10, Rn. 82 ff. 819) Onusseit, Umsatzsteuer im Konkurs, 1988, S. 27 f.; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl. 1986, vor § 1 Rn. 56b. 820) FG des Saarlandes, Urt. v. 3.3.1998 – 1 K 281/95 EFG 1998, 971 Ls. 1; zust. Schiffer, DStR 1998, 1989, 1991. 821) FG des Saarlandes, Urt. v. 3.3.1998 – 1 K 281/95 EFG 1998, 971 Rn. 24. 822) BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497 f.; Eckardt, NZG 1999, 571 f. (Anm.). 823) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793. 824) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

die Organschaft bestehe im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Organträgers fort, sofern der Verwalter nicht ausnahmsweise die Einflussnahme auf die Organgesellschaft unterlasse.825)

bb) Rechtsprechung des BFH – Beendigung der Organschaft 395 Wie schon im Beschluss vom 19.3.2014 stellte der BFH im Grundsatzurteil vom 15.12.2016 demgegenüber fest, die Organschaft ende stets mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers.826) Dies stützte er allerdings nicht auf ein Entfallen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Stattdessen stellte er darauf ab, dass in der Insolvenz des Organträgers Umsatzsteueransprüche, die auf der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft beruhen, vom Finanzamt nicht durch Steuerbescheid gegenüber dem Organträger festgesetzt und nicht in voller Höhe durchgesetzt werden könnten, weil es sich nicht um Masseverbindlichkeiten handele.827) Denn der Umsatzsteueranspruch, der auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft entfalle, gehöre nicht gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Organträgers. Das Finanzamt könne daher nur bezüglich der eigenen Umsatztätigkeit des Organträgers einen Steuerbescheid erlassen und müsse im Übrigen nach § 73 AO die Organgesellschaft in die Haftung nehmen. Dies sei mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit nicht vereinbar.

b) Kritische Würdigung 396 Die Argumentationsansätze zum Fortbestand der Organschaft im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren bei der Organgesellschaft können grob in zwei Argumentationsstränge unterteilt werden. Während man früher die gesetzlichen Voraussetzungen ___________ 825) Böing, BB 2013, 2600 (Anm.); Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.205 ff.; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 901; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.385 f.; Maus, GmbHR 2005, 859, 861; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 20.7.2009 – S 7105 A-21-St 110, DStR 2009, 1911, 1912; OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962, 1963; Onusseit, ZIP 2003, 743, 751; Zeeck, KTS 2006, 407, 412; MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 423; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 147; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 217; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 328 (mit Fn. 1); Steiner, NZG 2011, 1413, 1415; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 122.4. 826) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599. Vgl. auch die Zusammenfassung des XI. Senats in BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 42. 827) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31 ff. und BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 24 f.

170

B. Insolvenz des Organträgers

des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in den Vordergrund stellte,828) wird heute im Anschluss an den BFH häufig dazu tendiert, das Entfallen der Organschaft mit abstrakten Leitprinzipien und Folgebetrachtungen zu begründen.

aa) Eingliederungsmerkmale In Bezug auf die Eingliederungsmerkmale ist der neueren Rechtsprechung nichts 397 zu entnehmen. Allerdings enthielten die ältere Literatur und Rechtsprechung bereits einige Ansätze, denen nachzugehen es sich lohnt.

(1) Finanzielle Eingliederung Auf die finanzielle Eingliederung hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 398 das Vermögen des Organträgers keine Auswirkungen.829) Der Organträger kann mittels seiner Stimmenmehrheit nach wie vor seinen Willen über die Gesellschafterversammlung der Organgesellschaft durchsetzen. Die Beteiligungsrechte werden zwar nicht mehr durch die Geschäftsleitung des Organträgers, sondern durch den Insolvenzverwalter ausgeübt.830) Insoweit verändert sich aber nur die personelle Zuständigkeit für die Willensbildung und nicht die Durchsetzbarkeit des Organträgerwillens selbst, wie bereits früher richtig festgestellt wurde.831) Eine andere Ansicht vertreten – soweit ersichtlich – einzig Beck und Jonas, die als 399 Organträgerwillen allein den Willen des außerinsolvenzlichen Willensbildungsorgans erachten, je nach Rechtsform also den Willen der Geschäftsführer, des Vorstands oder auch der natürlichen Person des Organträgers.832) Dieser gleichsam „wahre“ Wille des Organträgers könne angesichts des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung auf den Insolvenzverwalter nicht mehr nach außen getragen werden. Der Insolvenzverwalter erhalte seinerseits lediglich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, ersetze aber nicht das Leitungsorgan, weshalb er keinen eigenen Willen begründe, den er im Sinne der Eingliederungsvoraussetzungen durchsetzen könne. Diese Sichtweise überzeugt nicht. Die Organschaft gründet nicht in einem personalen, 400 sondern in einem wirtschaftlich-unternehmerischen Zusammenschluss von Organträger und -gesellschaft. Subjekt der Über-/Unterordnung ist daher nicht eine be___________ 828) Insbesondere Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.17 ff. ermahnt zur Rückbesinnung auf die Eingliederungsmerkmale. 829) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2588. Ohne weitere Begründung J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.385; Onusseit, ZIP 2003, 743, 751; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 147. 830) BGH, Urt. v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, NJW-RR 2018, 39 Rn. 15 m. w. N. 831) Siehe oben Rn. 394. 832) Beck, MwStR 2014, 359, 368; ohne tiefere Begründung für die parallele Frage bei der organisatorischen Eingliederung Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 176.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

stimmte natürliche Person, sondern das Unternehmen. Unabhängig von der Rechtsform des Organträgers entscheidet aber nicht mehr die bisher zur Willensbildung berufene natürliche Person über den Willen des Unternehmens, sondern der Insolvenzverwalter. Wer personell den Willen des Unternehmens des Organträgers bestimmt und ausübt, ist für die Eingliederung unbeachtlich. Handelt es sich beim Organträger um eine Gesellschaft, kann die Einsetzung eines Insolvenzverwalters mit einem Austausch der Mitglieder der Geschäftsleitung verglichen werden.833)

(2) Wirtschaftliche Eingliederung 401 Es entspricht der überwiegenden Ansicht, dass die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft nicht durch insolvenzrechtliche Einflüsse auf Seiten des Organträgers betroffen ist.834) Allerdings wird im Falle der Liquidation des Organträgers vielfach ein Ende der wirtschaftlichen Eingliederung angenommen.835) Da die Verfahrenseröffnung bei einer GmbH gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG und bei der AG gem. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG die Liquidation auslöst, müsste die Verfahrenseröffnung nach dieser Ansicht stets die wirtschaftliche Eingliederung beseitigen, sofern der Organträger eine der genannten Rechtsformen trägt. Das erscheint jedenfalls nach Inkrafttreten der InsO und der wachsenden Bedeutung der Sanierung nicht zwingend. Solange die Geschäfte nach Verfahrenseröffnung und in der Liquidation fortgeführt werden und somit noch eine gegenseitige wirtschaftliche Förderung und Ergänzung stattfinden kann, kann auch die wirtschaftliche Eingliederung fortbestehen.836) Etwas anderes gilt, wenn der Organträger im Zuge des Insolvenzverfahrens seine unternehmerische Tätigkeit einstellt und dadurch kein Raum mehr für eine gegenseitige wirtschaftliche Förderung zwischen Organträger und Organgesellschaft bleibt.837) ___________ 833) MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 80 Rn. 111 f. 834) OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2.2; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 258; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 218; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.385; Onusseit, ZIP 2003, 743, 751; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 147; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.205. A. A. Müller/Detmering/Lieber/ Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1530; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 270, aber mit der Einschränkung, dass das Verfahren auf Abwicklung zielt. 835) OFD Hannover, Verf. v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, DStR 2007, 1962; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 1; K. Schmidt-InsO/ Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 218; Schwarz/Widmann/Radeisen/ Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 253; auch bereits Keller, BB 1983, Beilage 4 zu Heft 10, Rn. 83. 836) Maus, GmbHR 2005, 859, 861; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 822; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 139; vgl. auch MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 421 ff. 837) Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 822; Schumacher, Organschaft, 3. Aufl. 2016, S. 257, der dies allerdings immer bei Liquidation annimmt.

172

B. Insolvenz des Organträgers

(3) Organisatorische Eingliederung Wenngleich es im Ausgangspunkt auch für die organisatorische Eingliederung 402 grundsätzlich unerheblich ist, welche konkrete Person die Willensbildung und -durchsetzung auf Seiten des Organträgers übernimmt, kann doch die personelle Veränderung bei der Leitung der Geschäfte des Organträgers Folgen für die organisatorische Eingliederung nach sich ziehen. Hierbei ist nach den Fallgruppen der organisatorischen Eingliederung zu differenzieren:838)

(a) Personenidentität der Geschäftsleitungen Im Standardfall der organisatorischen Eingliederung aufgrund von Personenidentität 403 (der Geschäftsleitung) des Organträgers und der Geschäftsleitung der Organgesellschaft ist von zentraler Bedeutung, welche Person die Willensbildung beim Organträger übernimmt. Die notwendige organisatorische Komponente der Beherrschung liegt hier darin, dass die den Willen des Organträgers bildenden Personen diesen Willen ebenso auch in der von ihnen besetzten Geschäftsleitung der Organgesellschaft tatsächlich umsetzen können, ohne dass der Organträger auf (gesellschafts-)rechtliche Beherrschungsmöglichkeiten angewiesen wäre. Wird aber der Wille des Organträgers vom Insolvenzverwalter gebildet, entfällt die personelle Identität mit der Geschäftsleitung der Organgesellschaft. Dadurch werden die bisherigen organisatorischen Durchgriffsmöglichkeiten auf die Organgesellschaft beseitigt.839) Die Beherrschungsmacht des Organträgers reduziert sich auf die ihm aus der Mehrheitsbeteiligung und den wirtschaftlichen Beziehungen zustehende Stellung, die organisatorische Eingliederung endet.840) Soll die organisatorische Eingliederung fortbestehen, muss der Verwalter über andere 404 organisatorische Mittel die tatsächliche Willensdurchsetzung in der Organgesellschaft sicherstellen. Soweit teilweise angenommen wird, der Insolvenzverwalter habe regelmäßig derartige ausreichende Mittel,841) ist dies vor dem Hintergrund der eindeutigen vom BFH herausgearbeiteten Fallgruppen der organisatorischen Eingliederung842) nicht überzeugend. Die organisatorische Eingliederung setzt spezifische Eingriffsmöglichkeiten in die laufende Geschäftsführung der Organgesellschaft voraus. Hierzu ___________ 838) Zutreffend Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.30. 839) MünchAnwHdb-AktR/Schlösser, 3. Aufl. 2018, § 54 Rn. 274 zum parallelen Fall der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589; Kahlert/Rühland/ Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.207. 840) So bereits zur KO BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497 f. Im Ergebnis ebenso FK-InsO/Boochs/Nickel, 9. Aufl. 2018, § 155 Rn. 1053; Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 3. Aufl. 2007, Rn. 202. 841) Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.208; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2.2. 842) Siehe dazu oben Rn. 41 ff.

173

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

benötigt der Insolvenzverwalter ebenso zusätzliche Mechanismen wie die Geschäftsleitung des Organträgers auch. Nur wenn er diese als Ersatz für die bisherige Personenidentität schafft, was nicht immer ohne weiteres möglich sein dürfte, kann die organisatorische Eingliederung fortbestehen.

(b) Beherrschungsvertrag 405 Die organisatorische Eingliederung endet jedenfalls, wenn sie über einen Beherrschungsvertrag vermittelt wurde. Unter Geltung der Konkursordnung wurde mit Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Organträgers das Ende eines bestehenden Beherrschungsvertrags angenommen, weil es nicht Aufgabe des Konkursverwalters sei, den Konzern zu lenken, sondern den Organträger zu zerschlagen.843) Dadurch, dass die Sanierung seit Inkrafttreten der InsO als Mittel der Gläubigerbefriedigung immer gewichtiger wird und verstärkte Aufmerksamkeit auf eine Konzernsanierung gelegt wird, lässt sich das Argument in dieser Schlichtheit nur schwer aufrecht erhalten.844) Dennoch wird auch heute noch überwiegend die Beendigung eines Beherrschungsvertrages angenommen, entweder aufgrund einer Analogie zu den §§ 115, 116 InsO845) oder weil die Weisungsmacht gem. § 308 AktG aufgrund des gestörten Verlustausgleichs gem. § 302 AktG in sich zusammenfällt.846) Damit wird die Beherrschungsmöglichkeit des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft beseitigt.

406 Alternativ ließe sich mit dem Scheitern der organisatorischen Eingliederung an einer Einrede der Organgesellschaft gegen die Pflicht, den Weisungen des Organträgers Folge leisten zu müssen, argumentieren, weil der Organträger den Anspruch aus ___________ 843) BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1 = NJW 1988, 1326 Ls. 2; Schiffer, DStR 1998, 1989, 1991; Jaeger-KO/Weber, 8. Aufl. 1973, §§ 207, 208 Rn. 11; MünchKommAktG/Altmeppen, 5. Aufl. 2020, § 297 Rn. 103 m. w. N.; Spindler/Stilz/Veil, AktG, 4. Aufl. 2019, § 297 Rn. 38. 844) Zeidler, NZG 1999, 692, 697. In ähnlichem Kontext bereits Eckardt, NZG 1999, 571, 572 (Anm.). Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 820 scheint hingegen keine geänderte Bewertung in Betracht zu ziehen. 845) Berthold, Unternehmensverträge in der Insolvenz, S. 121 ff.; Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 297 Rn. 52b; ähnlich GK-AktG/Mülbert, 4. Aufl. 2013, § 297 Rn. 136. 846) Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 297 Rn. 52b; MünchKomm-AktG/Altmeppen, 5. Aufl. 2020, § 297 Rn. 106; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 297 Rn. 22a; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2018, Anh. zu § 13 Rn. 1043; NK-AktR/ Peres, 5. Aufl. 2019, § 297 Rn. 34. Ohne nähere Begründung im Ergebnis auch Spindler/Stilz/ Veil, AktG, 4. Aufl. 2019, § 297 Rn. 38; Hölters/Deilmann, AktG, 3. Aufl. 2017, § 297 Rn. 40; Beck, MwStR 2014, 359, 364; MünchHdb-GesR IV/Krieger, 5. Aufl. 2020, § 71 Rn. 207; ders., FS Metzeler, 2003, 139 ff. Für einen Fortbestand des Beherrschungsvertrags dagegen KölnerKomm-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, § 297 Rn. 48; Freudenberg, ZIP 2009, 2037, 2039 ff.; H.-F. Müller, ZIP 2008, 1701 f.; Trendelenburg, NJW 2002, 647 ff.; Zeidler, NZG 1999, 692, 696 f.

174

B. Insolvenz des Organträgers

§ 302 AktG nicht voll erfüllen kann.847) Der Ansatz bedient sich letzlich desselben Arguments, das oben bereits für die grundsätzliche Beendigung des Beherrschungsvertrages genannt wurde.

(c) Mitarbeiter oder sonstige Eingriffsmöglichkeiten Es verbleiben die Fallgruppen der organisatorischen Eingliederung über (leitende) 407 Mitarbeiter und über „institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“.848) Hier kann die organisatorische Eingliederung dem Grunde nach fortbestehen. Entscheidend ist, dass die herrschaftsvermittelnden Rechte mit Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter übergehen.849) Wurde die organisatorische Eingliederung dadurch sichergestellt, dass Mitarbeiter 408 des Organträgers Geschäftsleiter der Organgesellschaft sind, ist das Merkmal in aller Regel auch nach Verfahrenseröffnung erfüllt.850) Anders als im Fall der Personenidentität wird die Willensdurchsetzung in der Organgesellschaft hier nicht durch einen rein personellen Zusammenhang hergestellt. Sie basiert vielmehr auf den Weisungsrechten, die der Organträger gegenüber seinen Mitarbeitern hat, sowie aus der Möglichkeit der Abberufung und Kündigung bei weisungswidrigem Handeln.851) Mit Übernahme der Geschäfte des Organträgers steht das Weisungsrecht gegenüber Arbeitnehmern dem Insolvenzverwalter zu.852) Dasselbe gilt für das Kündigungsrecht (§ 113 InsO) sowie das Abberufungsrecht, da der Insolvenzverwalter die Rechte in der Gesellschafterversammlung der Organgesellschaft ausübt.853) Die rechtliche Herrschaftsmacht aus der Mitarbeiterbeziehung kann damit durch den Verwalter ausgeübt werden, sodass er in der Organgesellschaft den Willen des Organträgers durchsetzen kann. Dasselbe gilt für „institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten 409 in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft“.854) Sie werden als schwächste Form der organisatorischen Eingliederung als ausreichend angesehen, sofern der Organträger durch schriftlich fixierte Vereinbarungen gegen___________ 847) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589 f.; vgl. auch Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.33. 848) Siehe zu den Fallgruppen Rn. 45 ff. 849) FK-InsO/Boochs/Nickel, 9. Aufl. 2018, § 155 Rn. 1053. 850) Ebenso Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.30. 851) BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548 = BStBl. II 2013, 218 = DStR 2011, 2044 Rn. 27; Wäger, FS Schaumburg, 2009, S. 1189, 1207 f.; Abschnitt 2.8 Abs. 9 Satz 2 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 852) Gottwald/Bertram, InsR-HdB, 6. Aufl. 2020, § 102 Rn. 30 m. w. N.; Uhlenbruck/Mock, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 149; Jaeger-InsO/Windel, 2007, § 80 Rn. 109. 853) BGH, Urt. v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, NJW-RR 2018, 39 Rn. 15 m. w. N. 854) Vgl. zur Formulierung BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BFHE 221, 443 = BStBl. II 2008, 905 = DStRE 2008, 949, 951.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

über Dritten seine Entscheidungsbefugnis nachweisen und den Geschäftsleiter bei Verstößen gegen seine Weisungen haftbar machen kann.855) Eine allgemeine Aussage im Hinblick auf diese Fallgruppe lässt sich aufgrund der vielgestaltig denkbaren Ausformungen schwer treffen. Als Beispiele werden eine Geschäftsführerordnung, eine Konzernrichtlinie oder ein Anstellungsvertrag genannt.856) Im Normalfall wird der Insolvenzverwalter die hieraus erwachsenden Eingriffsmöglichkeiten übernehmen können und die Beherrschung damit weiterführen. Hier kommt es aber in besonderem Maße auf den Einzelfall an.

bb) Insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz 410 Wie bereits in der Insolvenz der Organgesellschaft857) ist auch in der Insolvenz des Organträgers der teilweise schlagwortartige Verweis auf den „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz“ zu unpräzise, als dass hieraus Schlüsse für die Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens auf den Bestand der Organschaft gezogen werden könnten.858) So brechen beispielsweise Wagner/Fuchs die Begründung des BFH wie folgt herunter: „Weil das Steuerrecht mit der Organschaft zwei selbständige Rechtsträger steuerlich miteinander verklammere, das Insolvenzrecht aber zwischen diesen Rechtsträgern trenne, lasse sich die Organschaft nicht mit der Insolvenz eines am Organkreis beteiligten Rechtsträgers vereinbaren und müsse daher enden.“859) Tatsächlich fasst auch der Vorsitzende des V. Senats Heuermann die Rechtsprechung so zusammen, dass die Organschaft ende, „weil kein einheitliches Insolvenzverfahren für den gesamten Organkreis“ existiere.860)

411 Auch wenn der BFH seine Erwägungen immer wieder mit der insolvenzrechtlichen Verfahrenstrennung begründet, ist diese genau genommen nur der Ausgangspunkt der Argumentation, nicht der entscheidende Faktor. Allein die Tatsache, dass das Insolvenzrecht Organträger und Organgesellschaft als selbständige Rechtsträger unterscheidet, bereitet noch keine Probleme, insbesondere, weil die Trennung bereits im Zivilrecht angelegt ist und im Insolvenzrecht lediglich fortgeführt wird.861) In___________ 855) BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = DStR 2017, 198 Rn. 28 m. w. N. 856) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 3 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 857) Siehe oben Rn. 117 ff. 858) Vgl. insbesondere BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 28: „Der insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz spricht gegen den Fortbestand der Organschaft bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers.“ Noch abstrakter Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 428: „Das [Entfallen der Organschaft] ist Folge dessen, dass es im deutschen Recht kein Konzerninsolvenzrecht gibt.“ 859) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2204. 860) Heuermann, DStR 2017, 603 (Anm.). 861) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2204; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.19; Beck, MwStR 2014, 359, 366; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150; vgl. auch de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.). Siehe auch die parallelen Ausführungen unter Rn. 117 ff.

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B. Insolvenz des Organträgers

soweit ändert sich die Rechtslage mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens also nicht. Der eigentliche Kern der Argumentation des BFH liegt einerseits tiefer im Insolvenzrecht und betrifft die insolvenzrechtliche Qualifikation der Umsatzsteuerverbindlichkeit, andererseits auch im Umsatzsteuerrecht, soweit es um den Einfluss der Durchsetzbarkeit der Umsatzsteuerverbindlichkeit auf den Bestand der Organschaft geht. Die insolvenzrechtliche Verfahrens- und Vermögenstrennung ist zwar Bedingung dafür, dass die Steuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft überhaupt einer anderen Forderungskategorisierung zugänglich ist, als jene aus Umsätzen des Organträgers. Sie beschreibt aber nur den groben Rahmen. Die Konflikte der umsatzsteuerlichen Organschaft in der Insolvenz an insolvenzrechtlichen Grundprinzipien aufzuhängen, verstellt den Blick für die wahren Schwerpunkte.

cc) Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit Zumindest ein wenig präziser ist es, die vom V. Senats des BFH erkannten Schwie- 412 rigkeiten in der Organträgerinsolvenz als einen Konflikt des Fortbestands der Organschaft mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit zu diskutieren. Der Ansatz ist von den soeben angestellten Überlegungen zu den Eingliederungsmerkmalen unabhängig. Seinen Ausgangspunkt bildet die unbestrittene Feststellung, dass das Finanzamt die sich für den Organkreis ergebenden Umsatzsteuerforderungen für Umsatztätigkeiten nach Verfahrenseröffnung nur durch Steuerbescheid gegen den Organträger festsetzen kann, soweit es sich hierbei um Masseverbindlichkeiten des Organträgers handelt.862) Als Masseverbindlichkeit ist aber nach Ansicht des BFH nur der Umsatzsteueranspruch aus der eigenen Umsatztätigkeit des Organträgers zu qualifizieren, nicht auch der Umsatzsteueranspruch, der auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft entfällt, denn die Steuer aus dieser Tätigkeit gehöre nicht gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Organträgers. Das Finanzamt könne daher nur bezüglich der eigenen Umsatztätigkeit des Organträgers einen Steuerbescheid erlassen und müsse im Übrigen nach § 73 AO die Organgesellschaft in die Haftung nehmen. Dies sei mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit nicht vereinbar.863) Tatsächlich hatte der BFH diesen Weg bereits in einer Entscheidung zum Konkurs 413 des Organträgers im Jahr 1999 eingeschlagen: Für das Ende der Organschaft sollte sprechen, dass konkursrechtlich zwischen dem Vermögen des Organträgers und ___________ 862) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 30 ff. und BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 23 f. Vgl. für die Festsetzbarkeit der Steuer nur bei deren Charakter als Masseverbindlichkeit außerhalb der Organschaft BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682 = DStR 2009, 851, 852; BFH, Urt. v. 29.8.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435 = BStBl. II 2010, 145 = DStRE 2008, 116, 117; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 781 ff. 863) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31 und BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

dem Vermögen der Organgesellschaft zu unterscheiden sei.864) Die Umsatzsteuer aus den Aktivitäten des Organträgers nach Konkurseröffnung zähle zu den Masseschulden, sei aus der Konkursmasse zu berichtigen und sei in einem an den Konkursverwalter des Organträgers zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen. Die Umsatzsteuer aus den Aktivitäten der Organgesellschaft sei nicht aus der Konkursmasse zu berichtigen und dementsprechend auch nicht in einem an den Verwalter des Organträgers zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen. Letztlich hatte der BFH seine Entscheidung jedoch offenbar doch auf die fehlende Einflussmöglichkeit des Organträgers auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft gestützt. Er bezeichnete den entschiedenen Fall zudem als Ausnahme, was zu dem generell geltenden Argument der getrennten Vermögensmassen nicht passt. Der Ansatz fand daher in der Literatur nicht weiter Beachtung, wurde nach der neueren Entscheidung aber größtenteils übernommen.865) Auch die Finanzverwaltung hat sich dem V. Senat angeschlossen.866)

414 Die Argumentation des BFH fußt auf zwei aufeinander aufbauenden Thesen: Erstens, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Organträgers, insbesondere solche aus Umsätzen der Organgesellschaft, bei unterstelltem Fortbestand der Organschaft insolvenzrechtlich nicht als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, und zweitens, dass eine solche Qualifikation einem Bestand der Organschaft entgegensteht. In beiden Punkten kann die Auffassung des BFH nicht geteilt werden.

(1) Insolvenzrechtliche Qualifikation der Steuerverbindlichkeit 415 Die insolvenzrechtliche Einordnung einer Forderung unterliegt zunächst einem zeitlichen Kriterium. § 38 InsO legt fest, dass Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, Insolvenzgläubiger sind. Bei der hiesigen Abgrenzung geht es dagegen von vornherein nur um nach Verfahrenseröffnung begründete Ansprüche, die nach insolvenzrechtlicher Systematik keine Insolvenzforderungen sein können.867) ___________ 864) BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497, 498. 865) Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 164; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 328; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 388; Wäger, DB 2014, 915, 919; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1016; Hasbach, MwStR 2017, 262, 264 ff.; ders., ZInsO 2017, 2017, 914, 916; im Ergebnis auch Winkelhog, BB 2014, 1512 (Anm.); Eisolt, ZInsO 2015, 1429. A. A. Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 122.4. Allein die Folgen betrachtend Geißler, Zur Umsetzung der umsatzsteuerlichen Neutralität in der Insolvenz, 2019, S. 206 f. 866) Abschnitt 2.8 Abs. 10 Satz 3 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 867) Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 16.10; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585. Hasbach scheint dies hingegen zu übersehen, wenn er zwischen „Insolvenzverbindlichkeit“/ Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit abgrenzt, vgl. ZInsO 2017, 914, 916 sowie ders., MwStR 2017, 262, 264.

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B. Insolvenz des Organträgers

Dies übersieht Albrecht, der meint, Umsatzsteuerforderungen könnten trotz ihrer Begründung nach Verfahrenseröffnung Insolvenzforderungen sein.868) Die hierfür vorgeschlagene Trennung zwischen Verbindlichkeiten, die „potentiell Masseverbindlichkeiten“ darstellen können und solchen, die „potentiell keine Masseverbindlichkeiten“ seien, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Feststellung, nur für „potentielle Masseverbindlichkeiten“ sei die zeitliche Trennung nach § 38 InsO maßgeblich.869) Richtigerweise kann es sich bei einer nach Verfahrenseröffnung begründeten Forderung nur entweder um eine Masseverbindlichkeit oder um eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen handeln.870) Die Einordnung als Masseverbindlichkeit hängt dabei davon ab, ob einer der Tatbestände der §§ 53 ff. InsO einschlägig ist. Insbesondere liegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Masseverbindlichkeit vor, wenn die Verbindlichkeit „durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet“ wurde. Hier setzt der BFH an und vertritt die Ansicht, nur die eigene Umsatztätigkeit des 416 Organträgers, nicht aber auch die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft sei gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse des Organträgers zuzurechnen. Denn zur Insolvenzmasse zähle nur das rechtlich eigene Vermögen des Organträgers und nicht auch das Vermögen der Organgesellschaft.871) Die Vorinstanz und Teile der Literatur vertreten demgegenüber wie auch schon vor 417 der höchstrichterlichen Entscheidung, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus sämtlichen Umsätzen des Organkreises Masseverbindlichkeiten des Organträgers

___________ 868) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 108 ff. 869) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 109 f. 870) Statt aller Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 14.03; HK-InsO/Ries, 10. Aufl. 2020, § 38 Rn. 3, 28; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 38 Rn. 21. 871) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 24; bereits zur KO BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497 Rn. 21; zust. Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1016; Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 428; Lenger/Khanian, NZI 2014, 385, 388; nunmehr auch MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 422 (anders noch die Vorauflage, Rn. 191b); Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 400; Wäger, DB 2014, 915, 919; eingehend Hasbach, MwStR 2017, 262, 264 ff.; ders., ZInsO 2017, 2017, 914, 916.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

seien.872) Hierfür wird einerseits abstrakt vorgebracht, dass die Organschaft als zentrale Rechtsfolge die Zurechnung der Umsätze der Organgesellschaft zum Organträger bewirke. Die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft könne deshalb nicht „ohne Auswirkungen auf den Organträger“ sein und müsse bei diesem eine Masseverbindlichkeit begründen.873) Konkret wird zudem im Hinblick auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darauf hingewiesen, dass es im Einflussbereich des Insolvenzverwalters des Organträgers liege, die Voraussetzungen der Organschaft aufrechtzuerhalten, weshalb die Verbindlichkeit auf dessen Handeln oder zumindest die Verwaltung der Masse des Organträgers zurückgeführt werden könne.874)

(a) Keine Bedeutung der organschaftlichen Umsatzzurechnung 418 Das erste der beiden genannten Argumente, aufgrund der organschaftlichen Umsatzzurechnung müsse eine Masseverbindlichkeit des Organträgers vorliegen, führt unmittelbar in das Grundverständnis der Organschaft als Rechtsfigur zwischen zivilrechtlicher Trennung und umsatzsteuerrechtlicher Einheit. Wer wie der BFH die zivilrechtliche Trennung der Rechtsträger betont, prüft anhand von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Zugehörigkeit der Umsatztätigkeit des fremden Rechtsträgers „Organgesellschaft“ zur eigenen Masse des Organträgers.875) Dagegen schließen diejenigen, die die Fiktion der Unternehmenseinheit ins Zentrum stellen, gleichsam zwingend aus der organschaftlichen Zurechnung der Umsätze, dass die Umsätze des unternehmerisch eigenen Teils „Organgesellschaft“ die Masse des Organträgers betreffen müssen. Denn schließlich seien Umsatzsteuerforderungen eines Unternehmers, die nach Verfahrenseröffnung begründet werden, Masseverbindlichkeiten.876) ___________ 872) FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334; eingehend Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585; dies., ZInsO 2016, 1719 (Anm.); dies., BB 2017, 2202, 2204 f.; Prinz/Witt/ Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.20; Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363, die aber die zwingend erforderliche Differenzierung zwischen der Insolvenz von Organträger und Organgesellschaft in der Argumentation nicht treffen; ferner ohne weitere Begründung MünchKomm-InsO/Schüppen/Ruh, 3. Aufl. 2014, Insolvenzsteuerrecht Rn. 191b (anders nunmehr MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 422); auch bereits Eckardt, NZG 1999, 571, 572 (Anm.); Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1817 (Anm.); Onusseit, ZIP 2003, 743, 753; Maus, GmbHR 2005, 859, 863; Siebert, NZI 2005, 665, 667 („können“); wohl auch Onusseit, EWiR 2017, 311, 312 (Anm.); KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 149 f. 873) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 f.; dies., ZInsO 2016, 1719 (Anm.). Ähnlich wohl Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363. 874) So offenbar Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2586; zust. FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334; Hasbach, MwStR 2017, 262, 265; ders., ZInsO 2017, 914, 916. 875) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 24; 876) Wagner/Fuchs, ZInsO 2016, 1719 (Anm.); dies., BB 2017, 2202, 2204; ebenso Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1817 (Anm.); wohl auch Eckhardt, NZG 1999, 570, 572; wohl auch Möhlenkamp/ Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363.

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B. Insolvenz des Organträgers

Die Relevanz der Umsatzzurechnung für die Forderungsqualifikation ist also vor 419 dem Hintergrund des Verständnisses und der Reichweite der organschaftlichen Einheitsfiktion zu beantworten. Die Fiktion des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG betrifft die unternehmerische Selbständigkeit und damit die Unternehmereigenschaft der Organgesellschaft. Mit dem Verlust der eigenen Unternehmereigenschaft geht die Zurechnung der eigenen Umsätze der Organgesellschaft zum Organträger einher. Die zivilund insolvenzrechtliche Selbständigkeit der Organgesellschaft bleibt hingegen unangetastet. Es entspricht gerade dem Wesen der Organschaft, dass die dem Organträger zugerechneten Umsätze zivilrechtlich aus „fremdem“ Vermögen getätigt werden.877) Ohne Auswirkungen auf die zivilrechtliche Rechtslage bleibt die organschaftliche 420 Umsatzzurechnung dennoch nicht, da sie bewirkt, dass der Organträger auch für die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft Umsatzsteuerschuldner ist, dass also die Steuerverbindlichkeit überhaupt in der Person des Organträgers entsteht. Aus insolvenzrechtlicher Sicht weckt dies aber lediglich das Bedürfnis, die Verbindlichkeit in der Insolvenz des Organträgers überhaupt auf ihre Eigenschaft als Insolvenzforderung, Masseverbindlichkeit oder Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen zu prüfen. Die Entstehung der Verbindlichkeit in der Person des Organträgers sagt umgekehrt gerade noch nichts über die Frage der „Herkunft“ der Verbindlichkeit im Sinne der insolvenzrechtlichen Begründetheit aus. Diese richtet sich allein nach insolvenzrechtlichen Maßstäben. Dabei lässt sich nichts aus dem Umstand ableiten, dass nach Verfahrenseröffnung 421 begründete Umsatzsteuerverbindlichkeiten eines Unternehmers außerhalb von Organschaftskonstellationen allgemein den Masseverbindlichkeiten zugeordnet werden. Denn diese Einordnung ist selbst nur Ergebnis der hier gerade in Rede stehenden Tatsache, dass dort der Umsatz gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf der Verwaltung des Vermögens des insolventen Rechtsträgers beruht.

(b) Keine Masseverbindlichkeit aus logischen Gründen Wagner/Fuchs sind der Ansicht, es sei bereits aus logischen Gründen vorbestimmt, 422 dass es sich bei der Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft beim Organträger (unabhängig von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) um eine Masseverbindlichkeit handeln müsse.878) Dieser Schluss beruht auf der Annahme, dass die nach Verfahrenseröffnung begründete Umsatzsteuerverbindlichkeit nur entweder als Masseverbindlichkeit oder überhaupt nicht existieren könne.879) Da das Insolvenzrecht aber nicht über die Existenz der Umsatzsteuerverbindlichkeit bestimmen dürfe, müsse eine Masseverbindlichkeit vorliegen. Dem BFH attestieren Wagner/Fuchs ___________ 877) Hasbach, MwStR 2017, 262, 265; ders., ZInsO 2017, 914, 916. 878) So aber Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 879) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585. Eine Einordnung als Insolvenzforderung lehnen Wagner/ Fuchs für die nach Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeit mit Hinweis auf § 38 InsO zu Recht ab.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

in diesem Zusammenhang einen Zirkelschluss, weil dieser eine Masseverbindlichkeit verneine und folglich „dazu tendiere“, die Existenz einer Umsatzsteuerverbindlichkeit zu leugnen, was mit der Folge der organschaftlichen Fiktion nicht vereinbar sei.880) Wagner/Fuchs ist sowohl in ihrer vermeintlich logischen Herleitung einer Masseverbindlichkeit als auch in ihrem Verständnis der Aussage des BFH zu widersprechen.

(aa) Aussage des BFH 423 In der Tat muss die Organschaft bei unterstelltem Fortbestand bewirken, dass die Umsätze der Organgesellschaft in der Person des Organträgers zu einer Umsatzsteuerverbindlichkeit führen. Entgegen Wagner/Fuchs wird dies aber durch den BFH auch nicht bestritten. Aus der von Wagner/Fuchs in Bezug genommenen Formulierung, für das Finanzamt bestehe „allenfalls die Möglichkeit, einen auf die eigene Umsatztätigkeit des Organträgers beschränkten Steuerbescheid zu erlassen und die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen“881), ist richtigerweise nicht abzuleiten, dass gar keine Umsatzsteuerforderung gegen den Organträger bestehen soll. Sie muss vielmehr als Wiedergabe der unbestrittenen Tatsache verstanden werden, dass das Finanzamt einen Steuerbescheid nur erlassen kann, soweit es sich bei der Steuer um eine Masseverbindlichkeit handelt, was der BFH zuvor verneint. Der Aussagegehalt beschränkt sich mit anderen Worten auf die Feststellung, dass es nach Ansicht des BFH keine Umsatzsteuerschuld gibt, die durch Steuerbescheid festgesetzt werden kann, und beinhaltet nicht, dass es überhaupt keine Umsatzsteuerverbindlichkeit des Organträgers gibt. Im Jahr 1999 formulierte der BFH eindeutiger, „die Umsatzsteuer aus den Aktivitäten der [Organgesellschaft sei] nicht aus der Konkursmasse zu berichtigen und dementsprechend auch nicht in einem an die Konkursverwalter der [Organträgerin] zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen.“882) Durch die Bezugnahme auf das Urteil macht der BFH deutlich, dass er an dieser Ansicht auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung festhält.883)

424 Andernfalls hätte der BFH tatsächlich impliziert, dass die insolvenzrechtliche Forderungszuordnung über das Ent- und Bestehen einer (Steuer-)Forderung entscheidet, obwohl das Insolvenzrecht lediglich eine Zuordnung bestehender Forderungen vornimmt.884) Diesen Vorwurf hatte er im Urteil vom 15.12.2016 aber ausdrücklich ___________ 880) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 f.; dies., BB 2017, 2202, 2204; ebenso versteht KPB-InsO/ Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 149 den BFH. 881) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31. 882) BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BFHE 187, 355 = BStBl. II 1999, 258 = DStR 1999, 497. 883) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 29; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 22. 884) Vgl. BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 = BStBl. II 1978, 356 = KTS 1978, 241 zum Konkursrecht; K. Schmidt-InsO/Buteröwe, 19. Aufl. 2016, § 38 Rn. 21; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 1.1; Zeeck, KTS 2006, 407, 408.

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B. Insolvenz des Organträgers

von sich gewiesen.885) Außerdem hätte der V. Senat sich ansonsten wohl nicht nur auf eine Verletzung des spezifisch organschaftlichen Grundsatzes der Unternehmenseinheit und des organschaftlichen Zweckes der Verwaltungsvereinfachung gestützt, sondern viel grundlegendere Bedenken an einem Fortbestand der Organschaft in der Organträgerinsolvenz äußern müssen. Insbesondere spricht das Gericht auch bei der Hinführung zur Argumentation von einer Durchsetzbarkeit des Steueranspruchs, nicht von seiner Entstehung oder Existenz,886) und auch bei dem ähnlichen Argument der Störung des Innenausgleichs geht es nicht um das Bestehen der Ansprüche, sondern lediglich um deren Realisierbarkeit.887) Der BFH zweifelt also zu Recht offenbar nicht an der Existenz der Umsatzsteuerverbindlichkeit, sondern verneint lediglich deren Durchsetzbarkeit mittels Steuerbescheid.888)

(bb) Möglichkeit der Existenz als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen Existiert folglich durchaus auch hinsichtlich der Umsätze der Organgesellschaft 425 eine Umsatzsteuerverbindlichkeit, bleibt der von Wagner/Fuchs behauptete Widerspruch aufzuklären, die Verbindlichkeit könne nur als Masseverbindlichkeit oder gar nicht existieren. Liegen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO für eine Verbindlichkeit nicht 426 vor, begründet das keine Zweifel an dem Bestand der Verbindlichkeit. Vielmehr richtet sich die Forderung dann gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners.889) Das erkennen Wagner/Fuchs im Grundsatz offenbar auch an, sind aber für den konkreten Fall der Ansicht, eine „insolvenzfreie Verbindlichkeit […] komm[e] bei Kapitalgesellschaften ohne Freigabe von Vermögen durch den Insolvenzverwalter von vornherein nicht in Betracht“.890) Zunächst einmal muss der Organträger keine GmbH oder AG sein, sondern unab- 427 hängig von seiner Rechtsform lediglich Unternehmer. Insbesondere bei natürlichen Personen bezweifelt niemand, dass Forderungen gegen ihr insolvenzfreies Vermögen denkbar sind.891) Die Ansicht von Wagner/Fuchs bezieht sich auch offenbar tatsäch___________ 885) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25. 886) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 23. 887) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 34 ff. 888) Vgl. im Ergebnis auch Hasbach, MwStR 2017, 262, 264, der allerdings das Vorliegen einer Insolvenzforderung annimmt, was angesichts des Zeitpunkts nach Begründung des Verfahrens gem. § 38 InsO nicht möglich ist. 889) Spezifisch zur Umsatzsteuer KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 196; MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 6. 890) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 Fn. 17. 891) MünchKomm-InsO/Peters, 4. Aufl. 2019, § 35 Rn. 118.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

lich allein auf Organträger in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft.892) Die Differenzierung überzeugt aber schon deshalb nicht, weil sie bedeuten würde, dass die Forderungskategorisierung von der Rechtsform des Insolvenzschuldners und, speziell im Fall der Organschaft, die Qualifikation der Umsatzsteuerverbindlichkeit von der Rechtsform des Organträgers abhinge.

428 Was Kapitalgesellschaften betrifft, so ist die teilweise vertretene Ansicht, es könne in der Gesellschaftsinsolvenz kein insolvenzfreies Vermögen geben, weil eine Freigabe durch den Verwalter nicht zulässig sei, in der Minderheit geblieben.893) In der Praxis mag es zwar häufig so sein, dass Kapitalgesellschaften nicht über insolvenzfreies Vermögen verfügen. Für die Forderungskategorisierung ist es jedoch unerheblich, ob eine Freigabe von Vermögen möglich oder im Einzelfall erfolgt ist. Denn das Fehlen eines Haftungssubstrats berührt nicht den Bestand einer Forderung oder ihre insolvenzrechtliche Qualifikation. Nach dem Ansatz von Wagner/Fuchs müsste jede nach Verfahrenseröffnung begründete Forderung gegen eine insolvente Kapitalgesellschaft unabhängig von § 55 Abs. 1 InsO eine Masseverbindlichkeit sein, möglicherweise in Abhängigkeit von der Tatsache, ob der Verwalter Vermögen freigegeben hat oder dies erst im späteren Verlauf des Verfahrens tut.894) Richtig kann jedoch nur umgekehrt sein, dass bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen ungeachtet eines fehlenden Haftungssubstrats entstehen und eine etwaige nachträgliche Freigabe von Vermögen lediglich ihre Werthaltigkeit verbessert.895)

429 Der Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft kommt also nicht automatisch der Charakter als Masseverbindlichkeit zu. Wenn in der Praxis nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Kapitalgesellschaft in der Regel Masseverbindlichkeiten begründet werden, liegt das nicht daran, dass alle Verbindlichkeiten immer Masseverbindlichkeiten sein müssten, weil ein anderes Ergebnis konstruktiv nicht möglich wäre, sondern nur daran, dass aufgrund der Führung der Gesellschaft durch den Verwalter meist die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO vorliegen. Dies macht eine entsprechende insolvenzrechtliche Prüfung im Einzelfall aber nicht entbehrlich.

___________ 892) Vgl. Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 Fn. 17. 893) Insbesondere K. Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1916 ff.; ders., NJW 2010, 1489, 1492 f.; weitere Nachweise bei MünchKomm-InsO/Peters, 4. Aufl. 2019, § 35 Rn. 118. Dagegen für die weit überwiegende BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, NJW 2005, 2015 Ls. 1 m. w. N.; MünchKomm-InsO/Peters, 4. Aufl. 2019, § 35 Rn. 128 m. w. N. 894) So muss wohl der Hinweis von Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585 Fn. 17 verstanden werden. 895) Auch nach Onusseit, EWiR 2017, 311, 312 (Anm.); KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 149 kommen Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen in Betracht.

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B. Insolvenz des Organträgers

(c) Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Tatsächlich lässt sich aber der Charakter der Umsatzsteuerverbindlichkeit als Masse- 430 verbindlichkeit über § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO herleiten. Hierzu müssen die Steuerverbindlichkeiten aus den Umsätzen der Organgesellschaft „durch Handlungen des Insolvenzverwalters“ des Organträgers „oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse“ des Organträgers begründet werden. Die Masse des Organträgers umfasst gem. § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, 431 das diesem zur Zeit der Verfahrenseröffnung gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Das Insolvenzrecht folgt dabei der zivilrechtlichen Trennung und bildet für jeden Rechtsträger eine eigene Insolvenzmasse; der BFH bezeichnet dies als Einzelverfahrensgrundsatz. Soweit die Organgesellschaft Umsätze ausführt, z. B. Waren aus ihrem Eigentum verkauft und dafür Entgelte erhält, basiert die hieraus entstehende Steuerverbindlichkeit unmittelbar zunächst auf der Verwaltung ihres eigenen Vermögens.896) Hieran ändert wie oben festgestellt auch die steuerliche Zurechnung der Umsätze zum Organträger nichts. Unter Berufung darauf, dass zumindest die Anteile an der Organgesellschaft zur 432 Insolvenzmasse des Organträgers gehören, wird teilweise vertreten, die Umsatzsteuerverbindlichkeit beruhe letztlich auf der Verwaltung dieser Anteile.897) Der Verwalter könne die Organschaft nicht ohne aktive Maßnahmen beibehalten, da sie die aktive Willensdurchsetzung erfordere. Die Sichtweise besteht genau genommen aus zwei gedanklichen Schritten, denn 433 jedenfalls basiert die Umsatzsteuerverbindlichkeit nicht unmittelbar auf der Verwaltung der Anteile. Vielmehr muss in einem ersten Schritt der Bestand der Organschaft auf die Verwaltung der Anteile an der Organgesellschaft zurückgeführt werden, bevor in einem zweiten Schritt mit der Begründung der Umsatzsteuerverbindlichkeit des Organträgers durch die Organschaft der Bogen zwischen Umsatzsteuerverbindlichkeit und Masseverwaltung geschlagen werden kann.

(aa) Organschaft durch Masseverwaltung Soweit der Fortbestand der Organschaft auf die Verwaltung der Anteile an der Organ- 434 gesellschaft durch den Insolvenzverwalter gestützt wird, ist dem nur eingeschränkt zuzustimmen. Wie bereits an anderer Stelle erörtert wurde, begründet die Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft – und nach hier vertretener ___________ 896) Zutreffend BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 24; zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 264. 897) FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2586. Dagegen Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 113 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Auffassung die Vermittlung gesellschaftsrechtlichen Einflusses hierüber898) – lediglich die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft. Für die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung müssen gerade Verflechtungen auf nicht-gesellschaftsrechtlicher Ebene hinzukommen, die nur schwer aus der Verwaltung der Anteile an der Organgesellschaft hergeleitet werden können.

435 Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch diese Merkmale durch die Masseverwaltung erfüllt werden. Prämisse der Überlegungen an dieser Stelle ist der Bestand der Organschaft, also mit anderen Worten, dass der Insolvenzverwalter nicht nur die finanzielle Verbindung, sondern auch die notwendigen wirtschaftlichen Beziehungen und die organisatorische Einflussnahme aufrechterhält. Da der Insolvenzverwalter aber nicht mehr als die gesamte Masse des Organträgers in Beschlag nimmt (§§ 80 Abs. 1, 148 Abs. 1 InsO), kann er seine Einflussnahme auf die Organgesellschaft nicht auf Wegen abseits der Masseverwaltung ausüben. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die wirtschaftliche Eingliederung, so wird deutlich, dass diese zwar nicht auf der Verwaltung der Anteile an der Organgesellschaft beruht, aber dennoch auf der Masseverwaltung in Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit des Organträgers mit der Organgesellschaft mit Mitteln der Masse. Im Hinblick auf die organisatorische Eingliederung muss beachtet werden, dass diese nach Einsetzung eines Insolvenzverwalters nicht mehr über eine personelle Identität mit der Geschäftsleitung der Organgesellschaft, sondern nur noch über institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten des Organträgers in die Geschäftsführung der Organgesellschaft oder durch Weisungsbefugnisse gegenüber einem Angestellten des Organträgers erfolgen kann.899) Der diese Weisungsbefugnisse vermittelnde Arbeitsvertrag ist aber ebenso Massebestandteil wie institutionelle Eingriffsrechte gegenüber der Tochtergesellschaft, sodass auch die organisatorische Eingliederung letztlich durch die Masseverwaltung bewirkt wird.

436 Ist für den hier logisch vorausgesetzten Fortbestand der Organschaft also eine aktive Einflussnahme des Insolvenzverwalters auf die Organgesellschaft notwendig900) und kann die demnach ebenfalls zu unterstellende Einflussnahme des Insolvenzverwalters allein unter Nutzung der diesem zur Verfügung stehenden Masse gewährleistet werden, so basiert die Organschaft zwar nicht allein auf der Verwaltung der Anteile an der Organgesellschaft, aber doch insgesamt auf der Verwaltung der Insolvenzmasse des Organträgers. ___________ 898) Siehe Rn. 132 ff. 899) Siehe oben Rn. 402 ff. 900) Vgl. FG Hessen, Urt. v. 15.2.2016 – 6 K 2013/12, ZIP 2016, 2332, 2334; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2586; de Weerth, DStR 2010, 590. Die organisatorische Eingliederung verlangt, dass die Beherrschungsmöglichkeit „in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird“, s. BFH, Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, DStRE 2008, 949, 951; Müller/Detmering/ Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1298 f.; 1301. Siehe auch oben Rn. 41, 51.

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B. Insolvenz des Organträgers

(bb) Umsatzsteuerverbindlichkeit durch Organschaft Sodann beruht in einem zweiten Schritt die Umsatzsteuerverbindlichkeit auf der 437 Organschaft. Tatsächlich wird die Umsatzsteuerverbindlichkeit des Organträgers schlussendlich zwar durch die konkrete Umsatzausführung durch die Organgesellschaft begründet. Gleichwohl wird sie entgegen Hasbach nicht allein durch die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft, sondern auch durch die Organschaft begründet. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass es um die Begründung der Verbindlichkeit in ihrer konkreten Gestalt geht, also nicht lediglich darum, dass überhaupt eine Umsatzsteuerverbindlichkeit entsteht, sondern darum, dass die Verbindlichkeit zu diesem Zeitpunkt und in der Person des Organträgers entsteht. Ohne die Organschaft würde die Verbindlichkeit in ganz anderer Form, nämlich auf Seiten der Tochtergesellschaft, begründet. Die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft in der Person des Organträgers hängt also ganz maßgeblich vom Bestand der Organschaft ab. Dass an die durch die Organschaft geschaffenen Rahmenbedingungen für die konkrete Entstehung der Verbindlichkeit zusätzlich ein konkreter Beitrag aus einer massefremden Sphäre anknüpfen muss und dadurch die Voraussetzungen für die Entstehung der Verbindlichkeit erst vervollständigt werden, schließt die Begründung einer Verbindlichkeit durch die Organschaft und damit durch die Verwaltung der Masse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO nicht aus. Auch Verbindlichkeiten aus einer Halter- oder Gebäudehaftung sind beispielsweise Masseverbindlichkeiten, wenn der Verwalter massezugehörige Kraftfahrzeuge oder Gebäude weiternutzen lässt, obwohl für die konkrete Entstehung des Haftungsanspruchs neben die Nutzung der Fahrzeuge oder Gebäude noch weitere Umstände treten müssen.901) Soweit gerade Hasbach betont, dass die konkrete Umsatzsteuerschuld nicht durch 438 die Organschaft, sondern durch die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft entstehe, überrascht dies vor dem Hintergrund seiner an gleicher Stelle geäußerten Ansicht zur Begründung des innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruchs des Organträgers, der umgekehrt nun gerade nicht in der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft, sondern in der Organschaft gründen soll.902) Beide Verbindlichkeiten, Umsatzsteuerschuld und Ausgleichsforderung des Organträgers, sind gleichermaßen sowohl ohne die konkrete Ausführung der Umsätze als auch ohne den Bestand der Organschaft nicht denkbar. Insbesondere das von Hasbach im Anschluss an den BFH bei der Qualifikation des Ausgleichsanspruchs angeführte Argument, der Ausgleichsanspruch beziehe sich lediglich auf einen Saldo, werde also nicht durch jeden einzelnen Umsatz ___________ 901) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2586. Auch die Kfz-Steuer für massezugehörige Kfz ist Masseverbindlichkeit, vgl. BFH, Urt. v. 21.3.2019 – III R 30/18, NJW 2019, 2343, doch knüpft diese auch ohne wesentliche Zwischenschritte an die bloße Existenz des Kfz als Teil der Masse an und unterscheidet sich insofern von der Organschaftskonstellation. 902) Vgl. Hasbach, MwStR 2017, 262, 265 und 266.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

begründet,903) müsste für die Umsatzsteuerverbindlichkeit genauso gelten, da diese ebenfalls Ergebnis einer Saldierung innerhalb der Voranmeldungszeiträume ist. In beiden Fällen ändert die Saldierung nichts daran, dass die Verbindlichkeit letztlich gleichermaßen durch die Ausführung des einzelnen Umsatzes und durch den Bestand der Organschaft begründet wird.904)

439 Zusätzlich ist zu bemerken, dass der Insolvenzverwalter auch an der Ausführung des konkreten Umsatzes nicht gänzlich unbeteiligt sein wird. Denn Voraussetzung der organisatorischen Eingliederung ist die tatsächliche Einflussnahme auf die laufende Geschäftsführung. Veranlasst der Insolvenzverwalter im Rahmen der laufenden Beherrschung der Organgesellschaft dortige Umsätze, ist er sogar ganz konkret für die Entstehung der Umsatzsteuerverbindlichkeit aus diesen Umsätzen auf Seiten des Organträgers verantwortlich.

440 Zuletzt spricht für die Anwendung von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass es für den Insolvenzverwalter eine bewusste und in Kauf genommene Folge der Aufrechterhaltung der Organschaft darstellt, dass die Tätigkeit der Organgesellschaft beim Organträger Steuerverbindlichkeiten auslöst. Denn die Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO rechtfertigt sich gerade aus dem Gedanken, dass die Entstehung der Verbindlichkeiten vom Insolvenzverwalter als sichere Folge seines Handelns einkalkuliert werden kann und von ihm gebilligt wird.905) In dieselbe Richtung deutet wohl der Hinweis Onusseits, der die fehlende Auseinandersetzung des V. Senats mit einem Urteil des X. Senats anmahnt, in dem die Einkommensteuerschuld aus Gewinnanteilen an einer GbR-Beteiligung des Insolvenzschuldners als Masseverbindlichkeit qualifiziert wurde.906) Auch in diesem Fall war die Einkommensteuerschuld zwar nur mittelbare Folge der Beteiligung, aber eine bekannte Nebenfolge der Verwaltung des Gesellschaftsanteils als Massebestandteil.

(d) Zwischenergebnis 441 Sofern der Insolvenzverwalter aktiv die Beherrschung der Gesellschaft übernimmt, was für die unterstellte Bejahung der Eingliederungsvoraussetzungen notwendig ist, lässt sich die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft durchaus auf die Verwaltung der Insolvenzmasse des Organträgers zurückführen. Die nach Verfahrenseröffnung begründete Steuerverbindlichkeit des Organträgers stellt damit entgegen der Ansicht des BFH in der Insolvenz des Organträgers sowohl im Hinblick auf seine eigene Umsatztätigkeit als auch im Hinblick ___________ 903) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 21; zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. 904) Daher ist entgegen Hasbach auch der Ausgleichsanspruch des Organträgers in der Insolvenz der Organgesellschaft eine Masseverbindlichkeit, vgl. Rn. 226 ff. 905) FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 6; Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1363. 906) BFH, Urt. v. 1.6.2016 – X R 26/14, BFHE 253, 518 = BStBl. II 2016, 848 = DStR 2016, 1986.

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B. Insolvenz des Organträgers

auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft eine Masseverbindlichkeit dar.907) Als solche ist sie in der Insolvenz festsetzbar und im Normalfall einbringlich.

(2) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation Viele Stimmen in der Literatur begnügen sich hinsichtlich der Bestimmung der 442 Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation für den Bestand der Organschaft mit der wie gezeigt überzeugenden Feststellung, es handele sich entgegen dem BFH auch bei der Steuerschuld aus Umsätzen der Organgesellschaft um eine Masseverbindlichkeit, und beschäftigen sich nicht mehr mit der zweiten Aussage des BFH, die Organschaft könne nur bei einer Qualifikation als Masseverbindlichkeit fortbestehen.908) Richtigerweise ist dem BFH auch in diesem zweiten Punkt zu widersprechen. Soweit die Frage behandelt wird, wird eine Relevanz der insolvenzrechtlichen 443 Forderungsqualifikation teilweise bereits für dogmatisch widersprüchlich gehalten. Dem wird im Folgenden zuerst nachgegangen (unter Rn. 444 ff.). Im Anschluss darf die folgende Differenzierung nicht übersehen werden: Der V. Senat des BFH leitet die Beendigung der Organschaft aus der zwischen Organträger und Organgesellschaft gespaltenen Steuerdurchsetzung und einem darin liegenden Konflikt mit der Einheitsfiktion der Organschaft ab. In der Literatur wird dagegen – vermeintlich im Anschluss an den BFH – teilweise gegen den Fortbestand der Organschaft vorgebracht, dass infolge der mangelnden Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem Organträger dieser seine Funktion als „Steuereinnehmer“ nicht erfüllen könne und die organschaftliche Unternehmenseinheit gestört sei.909) Tatsächlich handelt es sich dabei um einen weiteren Ansatz, der anders als derjenige des BFH nicht an die Aufspaltung der Steuerforderungen selbst anknüpft und daher gesondert behandelt wird (unter Rn. 454 ff.).

(a) Keine dogmatischen Widersprüche Insbesondere Wagner/Fuchs werfen dem BFH vor, durch die Beendigung der Organ- 444 schaft werde das Entstehen der Steuerverbindlichkeit von ihrer insolvenzrechtlichen Einordnung abhängig gemacht, obwohl das Insolvenzrecht lediglich der Zuordnung bestehender Ansprüche diene.910) In dieselbe Richtung geht die Kritik von Höink/ Hudasch, die anmahnen, dass das an unionsrechtlichen Maßstäben orientierte Um___________ 907) Ebenso die Nachweise in Fußnote 872; a. A. die Nachweise in Fußnote 871. 908) Soweit ersichtlich verneint einzig Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 115 ff., zwar die Eigenschaft der Steuerverbindlichkeit als Masseverbindlichkeit, nimmt aber dennoch einen Fortbestand der Organschaft an. 909) Hasbach, MwStR 2017, 262, 265. Auch KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150 betrachtet die „wirtschaftliche Realisierbarkeit“ der Forderungen als Anknüpfungspunkt des BFH. 910) Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2585; dem folgend Onusseit, EWiR 2017, 311, 312 (Anm.); KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

satzsteuerrecht nicht aufgrund des insolvenzrechtlichen Grundsatzes des Einzelverfahrens seine Geltung verlieren könne.911)

445 Diese vermeintlichen systematischen Konflikte der Argumentation des BFH bestehen in Wirklichkeit nicht. Es trifft zwar zu, dass dem Insolvenzrecht eine bloße Zuordnungsfunktion zukommt.912) Es behält diese aber auch im organschaftlichen Zusammenhang und wird nicht „Maßstab für das Fortbestehen der Organschaft“913) oder spricht dem Umsatzsteuerrecht gar seine Geltung ab. Zwar wird nach der Lösung des BFH in der Tat das Bestehen der Organschaft und damit letztlich die Person des Steuerpflichtigen – nicht hingegen das Entstehen der Verbindlichkeit als solcher – mittelbar durch die insolvenzrechtliche Qualifikation der Verbindlichkeit beeinflusst. Soweit jedoch die Organschaft in der Insolvenz des Organträgers auch nach Ansicht des BFH entfällt, gilt dies nur, weil aus einer rein umsatzsteuerrechtlichen Perspektive Konflikte mit dem organschaftlichen System auftreten, die eine Beendigung erfordern. Der Bestand der Organschaft hängt also auch nach dem Ansatz des BFH nicht von insolvenzrechtlichen Grundsätzen, sondern von der widerspruchsfreien Durchführbarkeit der Organschaft ab.914) Soweit diese mittelbar mit den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens zusammenhängt, stößt dies dogmatisch weder auf Bedenken noch ist es ungewöhnlich, dass Auswirkungen insolvenzrechtlicher Regeln im materiellen Recht eine Reaktion auslösen.915) Nichts anderes gilt beispielsweise unstreitig für einen Beherrschungsvertrag in der Insolvenz einer Vertragspartei, der ebenfalls nicht mehr korrekt durchführbar ist und daher (nicht aus insolvenzrechtlichen, sondern aus konzernrechtlichen Gründen) enden muss.916) Das Personengesellschaftsrecht regelt mit der Auflösung der GbR bei Insolvenz eines Gesellschafters (§ 728 BGB) oder dem Ausschluss eines oHG-Gesellschafters bei dessen Insolvenz (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB) sogar ausdrücklich eine Abhängigkeit materieller Rechtsinstitute von insolvenzrechtlichen Vorgängen. Auch das Steuerrecht selbst ordnet sich gem. § 251 Abs. 2 AO in der besonderen Insolvenzsituation den Vorschriften der InsO unter, sodass die Ansicht, die Organschaft könne aus systematischen Gründen nicht durch insolvenzrechtliche Implikationen angetastet werden, nicht überzeugt.917) ___________ 911) Höink/Hudasch, DB 2014, M8 f. (Anm.). 912) Vgl. nur BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 = BStBl. II 1978, 356 = KTS 1978, 241; K. Schmidt-InsO/Buteröwe, 19. Aufl. 2016, § 38 Rn. 21; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 1.1; Zeeck, KTS 2006, 407, 408. 913) So aber Onusseit, EWiR 2017, 311, 312 (Anm.); KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150. 914) Nicht überzeugend daher Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 116, der den Fortbestand am Maßstab des „insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatzes“ prüft. Entscheidend ist die Vereinbarkeit der insolvenzrechtlich vorgegebenen Situation mit dem Umsatzsteuerrecht. 915) Vgl. auch Kübler/Kahlert, HRI, 3. Aufl. 2019, § 57 Rn. 53. 916) Siehe oben Rn. 405 f. und Rn. 101 f. 917) So aber offenbar Höink/Hudasch, DB 2014, M8 (Anm.).

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B. Insolvenz des Organträgers

Nicht ganz von der Hand zu weisen ist hingegen der von Wagner/Fuchs vorge- 446 brachte Einwand, der BFH schaffe mit dem Erfordernis der einheitlichen Steuerfestsetzbarkeit ein neben die Eingliederungsmerkmale des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG tretendes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.918) Trotzdem ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die systematischen Bedenken des BFH zu berücksichtigen. Wenn man, wie der BFH, davon ausgeht, dass die Organschaft ohne die Möglichkeit einer einheitlichen Steuerfestsetzung gegen den Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit verstößt, stellt sich dieser Umstand weniger als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sondern mehr als Ergebniskontrolle anhand umsatzsteuerrechtlicher und organschaftlicher Grundwertungen dar. Führt ein Fortbestand der Organschaft zu unüberbrückbaren Konflikten mit den umsatzsteuerlich-organschaftlichen Prinzipien, bleibt eine Beendigung der Organschaft die einzig denkbare Alternative, selbst wenn die Eingliederungsvoraussetzungen im Grunde vorlägen – tertium non datur. Der Einwand von Wagner/Fuchs verdeutlicht aber, dass ein Ende der Organschaft mangels gesetzlicher Anknüpfung nur begründbar ist, wenn ihre Fortführung in der Insolvenz des Organträgers mit dem umsatzsteuerrechtlichen Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit tatsächlich unvereinbar und nicht lediglich weniger zweckmäßig oder unerwünscht erscheint.919) Hiermit ist zugleich der Maßstab für die weitere Prüfung gefunden.

(b) Aufgespaltene Steuerdurchsetzung gegenüber Organträger und Organgesellschaft Der BFH sieht den Fortbestand der Organschaft in der Insolvenz des Organträgers 447 als unvereinbar mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit an, weil zwar die Steuer aus Umsätzen des Organträgers gegen diesen festgesetzt werden könne, die Steuer aus Umsätzen der Organgesellschaft jedoch nicht, sodass insoweit die Organgesellschaft selbst nach § 73 AO in die Haftung genommen werden müsse. Es erfolgt mit anderen Worten eine Aufteilung der organschaftlich zusammengefassten Steuerverbindlichkeit auf die beteiligten Rechtsträger, verteilt nach der Person

___________ 918) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2204; ähnlich KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150, der darauf hinweist, dass die Probleme nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, sondern die Rechtsfolgen der Organschaft betreffen. 919) A. A. wohl Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 117, der meint, die Organschaft müsse enden, sobald ihre Zwecke nicht mehr erreicht werden könnten.

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des Verursachers. Dadurch wird für die Zwecke der Steuerdurchsetzung faktisch dasselbe Ergebnis erreicht, wie wenn keine Organschaft bestünde.920)

448 Der näheren Untersuchung sei vorweggeschickt, dass der vom BFH gesehene Konflikt überhaupt nur entstehen kann, sofern die Organgesellschaft intern eine Umsatzsteuerzahllast generiert. Entsteht dagegen ein Vorsteuerüberhang, kann es nicht zu einer gespaltenen Steuerdurchsetzung kommen, da das Finanzamt ohne Weiteres die aus den Leistungsbezügen der Organgesellschaft erwachsende Vorsteuer gegenüber dem Organträger erstatten kann. Die Einheit bleibt dann gewahrt.921) Ob der BFH sich in diesem Fall für einen Fortbestand der Organschaft aussprechen würde, ist unklar. Ein – möglicherweise für mehrere Voranmeldungszeiträume unterschiedlich ausfallendes – Enden und Wiederaufleben der Organschaft je nach Umsatzsteuerzahllast oder Vorsteuerüberhang kann in der Praxis jedenfalls kaum gewollt sein.

449 Die Ansicht des BFH, dass im Falle einer internen Umsatzsteuerzahllast eine nach Verursachern getrennte Steuerberechnung und -abführung nicht dem Gedanken der organschaftlichen Einheit entspricht, ist nur schwer zu leugnen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine systemische Störung im Sinne einer Unmöglichkeit der Steuerdurchsetzung beim Organträger. Die Umsätze der Organgesellschaft werden dem Organträger weiterhin zugerechnet,922) ihn trifft weiterhin die volle Steuerverbindlichkeit. Sie unterliegt lediglich dem insolvenzrechtlichen Regime zur Forderungsdurchsetzung und wird daher rein faktisch aufgrund der fehlenden Einbringlichkeit vom Finanzamt nicht verfolgt werden.923) Der vom BFH gesehene Konflikt gründet also nicht in systemimmanenten Schwierigkeiten bei der Durchführung der Organschaft, sondern lediglich in einer faktischen Nichtbeachtung der Einheit durch das Finanzamt, das sich trotz Zurechnung der Umsätze an die Organgesellschaft als Haftungsschuldnerin hält.

450 Die faktische Nichtbeachtung der Umsatzzurechnung ist in der Praxis aber nicht untypisch, etwa wenn nicht der Organträger, sondern die Organgesellschaft selbst ___________ 920) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 116 f., erfasst insoweit bereits die Ausgangslage nicht richtig, wenn er den vermeintlichen Widerspruch darin sieht, dass „der Fiskus den Organträger zum einen durch Steuerbescheid, zum anderen durch Anmeldung zu Tabelle in Anspruch nehmen muss“. Im Übrigen geht seine Begründung dafür, dass kein Widerspruch bestehe, an der Sache vorbei. Er meint, es werde auch sonst zwischen der Durchsetzung von nach Verfahrenseröffnung begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten und derjenigen von vor Verfahrenseröffnung begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Insolvenzforderungen unterschieden. Aus dieser zeitlichen Differenzierung zwischen verschiedenen Steuerverbindlichkeiten lässt sich aber für die in Frage stehende Aufspaltung einer einheitlichen Steuerverbindlichkeit nichts ableiten. 921) Probleme ergeben sich allerdings im Innenausgleich, siehe dazu Rn. 460 ff. 922) Daher zumindest ungenau KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 148. 923) Insoweit ist die Formulierung des BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25, das Finanzamt habe „nur die Möglichkeit, […] die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen“, zumindest irreführend.

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gegenüber dem Finanzamt den auf sie entfallenden Umsatzsteueranteil entrichtet.924) Zudem ist die faktische Aufspaltung in der Systematik des § 73 AO veranlagt. Entgegen dem BFH925) ist in Übereinstimmung mit einem großen Teil der Literatur nach hiesiger Auffassung die Norm nur bezüglich solcher Steuerverbindlichkeiten anwendbar, die aus den Umsätzen der Organgesellschaft selbst stammen, da nur insoweit die Organschaft zwischen den Rechtsträgern „von Bedeutung ist“.926) Legt man diese Sichtweise zugrunde, ist es im Falle einer Haftung nach § 73 AO stets so, dass die Steuerverbindlichkeit nach dem Verursacher aufgeteilt wird, weil die Organgesellschaft ohnehin nur für die auf ihrer Umsatztätigkeit beruhende Steuerverbindlichkeit haftet, während die Steuer aus Umsätzen des Organträgers weiterhin nur gegen diesen geltend gemacht werden kann. Die Aufspaltung der organschaftlichen Einheit im Falle der Haftung nach § 73 AO entspricht dann schlicht dem System der Norm. Selbst diejenigen, die die hier vertretene Auslegung des § 73 AO nach geltendem Recht ablehnen, stützen dies soweit ersichtlich nicht auf systematische Bedenken und melden keine Zweifel an der systematischen Stringenz einer solchen Regelung de lege ferenda an.927) Noch nicht im Beschluss vom 19.3.2014,928) aber im Grundsatzurteil vom 451 15.12.2016929) hielt der BFH die getrennte Steuerdurchsetzung zusätzlich für unvereinbar mit dem Verwaltungsvereinfachungszweck der Organschaft. Ohne dass hier auf die Einzelheiten des Steuerverfahrens eingegangen werden soll, kann dem BFH zugestimmt werden, dass es die Vorgänge in der Tat eher verkompliziert, wenn zunächst eine gemeinsame Voranmeldung eingereicht wird, das Finanzamt ___________ 924) Vgl. etwa die Sachverhalte in BFH, Urt. v. 26.8.2014 – VII R 16/13, BFH/NV 2015, 8; BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 = DStR 2012, 527; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391 = BStBl. II 2010, 215 = DStR 2009, 2670. 925) BFH, Urt. v. 5.10.2004 – VII R 76/03, BStBl. II 2006, 3 = DStRE 2005, 51, 52; siehe für weitere Nachweise aus der Literatur Fußnote 157. 926) Siehe eingehend unter Rn. 61 ff.; ebenso Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1428; Reiß, StuW 1979, 343, 345; Probst, BB 1987, 1992 ff.; Sturm, StuW 1992, 252, 259 ff.; Onusseit, ZIP 2003, 743, 753; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 992; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 94; Lüdicke, FS Herzig, 2010, S. 259, 264, 273; Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 185; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 104; FG Düsseldorf, Urt. v. 22.2.2018 – 9 K 280/15 H(U), DStRK 2018, 160 Ls. 2 bzgl. einer Urenkelgesellschaft. 927) Hauptargument der Gegenansicht sind in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. VI/1982, S. 120) vielmehr praktische Berechnungsschwierigkeiten. Allerdings spricht die Gesetzesbegründung auch davon, dass es „durchaus als sachgerecht angesehen werden [könne], den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten“. Der Blick auf die österreichische Regelung in § 13 BAO zeigt, dass eine getrennte Haftung ebenso möglich und sinnvoll ist. 928) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31. 929) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25.

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diese aber aufteilt und nur in einer bestimmten Höhe gegenüber dem Organträger festsetzt, während im Übrigen die Haftung gegen die Organgesellschaft geltend gemacht werden muss. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es ohnehin zweifelhaft ist, wie sehr die Organschaft die Steuerabführung insgesamt wirklich vereinfacht.930) Eine (weitere) Beeinträchtigung des Vereinfachungszwecks allein zwingt deshalb nicht zur Beendigung der Organschaft.931)

452 Selbst wenn man umgekehrt sogar von einer Verkomplizierung der Steuerabführung ausgehen würde, genügt dies für ein Entfallen der Organschaft noch nicht, weil sich die Bedeutung der Organschaft nicht in der Verwaltungsvereinfachung erschöpft. Ein weiterer wesentlicher Zweck der Organschaft ist die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze im Organkreis. Im geltenden System der Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug hat dieser Effekt zwar eine deutlich geringere Bedeutung als früher, in einigen Branchen führt die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen aber nach wie vor zu finanziellen Vorteilen.932) Diesen Zweck kann die Organschaft in der Insolvenz des Organträgers durchaus noch erfüllen. Gerade in Krisenzeiten kann es wichtig sein, die finanzielle Schieflage nicht noch dadurch zu verschärfen, dass den Beteiligten bestehende Steuervorteile genommen werden, da so eine etwaige Sanierungsfähigkeit bedroht werden kann.933) Selbst wenn der Vereinfachungszweck der Organschaft also erheblich dadurch in Frage gestellt wird, dass die Steuerabführung faktisch nicht mehr einheitlich über den Organträger stattfindet, behält die Organschaft in anderen Bereichen wie der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen ihre Funktion. Die daher bloß partielle Zweckminderung oder auch ein partieller Zweckfortfall widersprechen nicht dem Fortbestand der Organschaft.934)

(c) Zwischenergebnis 453 Selbst wenn man die oben favorisierte Einordnung der Steuerverbindlichkeit des Organträgers aus Umsätzen der Organgesellschaft als Masseverbindlichkeit ablehnt und daher annimmt, dass das Finanzamt insoweit aus § 73 AO direkt gegen die Organgesellschaft vorgeht, steht die dadurch bewirkte Aufspaltung der Steuerdurchsetzung einem Fortbestand der Organschaft nicht entgegen. Insgesamt lässt sich ___________ 930) Vgl. bereits unter Rn. 21; kritisch zur Vereinfachung etwa Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.17 f. 931) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 118, sieht sogar den Vereinfachungszweck weiterhin als erfüllt an, da ein wesentlicher Aspekt dessen die „Zentralisierung“ der Zuständigkeit beim Finanzamt des Organträgers sei und dieser seine Gültigkeit behalte. Es darf bezweifelt werden, dass sich aus dieser reinen Zuständigkeitsänderung tatsächlich ein nennenswerter Vereinfachungseffekt ergibt. 932) Siehe unter Rn. 20. 933) Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1358; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583. 934) Im Ergebnis ähnlich Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 118.

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ein gewisses Störgefühl bei der Aufrechterhaltung der Organschaft nachvollziehen, soweit die Steuerverbindlichkeit faktisch nach der Umsatztätigkeit der jeweiligen Rechtsträger aufgeteilt und getrennt durchgesetzt wird – mehr aber auch nicht. Um trotz des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen die Organschaft beenden zu wollen, bedürfte es einer Unvereinbarkeit mit umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen, die eine Beendigung der Organschaft erzwingen. Eine derartige Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit ist nicht festzustellen, wenn die Steuerverbindlichkeit nach wie vor vollständig in der Person des Organträgers entsteht und die Finanzverwaltung zur Realisierung ihrer Ansprüche dennoch faktisch auf die gesetzlich hierfür vorgesehene Norm des § 73 AO zugreift, auch wenn dies nur die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft betreffen mag.935)

dd) Mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem Organträger Wie eingangs bereits angedeutet, wird in der Literatur ein Konflikt mit der organ- 454 schaftlichen Unternehmenseinheit sowie eine Störung der Funktion des Organträgers als „Steuereinnehmer“ für Rechnung des Staates teilweise (zusätzlich) darin gesehen, dass der Staat den Steueranspruch – aus der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft oder in vollem Umfang – bereits im Zeitpunkt seiner Entstehung nicht mehr in voller Höhe gegenüber dem Organträger als originärem Steuerschuldner festsetzen könne.936) Der Konflikt sei durch eine Beendigung der Organschaft aufzulösen. Richtigerweise ist die Uneinbringlichkeit des Steueranspruchs beim Organträger 455 nicht als Problem im Kontext der organschaftlichen Unternehmenseinheit anzusiedeln. Die organschaftliche Unternehmenseinheit kann allenfalls dadurch betroffen sein, dass die Steuerdurchsetzung aufgespalten wird und für jeden Rechtsträger im Hinblick auf seine Umsätze getrennt erfolgt (siehe oben Rn. 447 ff.), aber nicht durch den Umstand der Uneinbringlichkeit selbst. Der Unterschied wird nach der Änderung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG vor allem noch in der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung deutlich, in der die Steuerforderung mangels Eingreifens des § 55 Abs. 1, 2 oder 4 InsO in Gänze, also auch bezüglich der Umsatztätigkeit des Organträgers, keine Masseverbindlichkeit darstellt.937) In diesem Fall ist die ___________ 935) Im Ergebnis ebenso Jonas, Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berücksichtigung des Unionsrechts, 2019, S. 176, die aber ohne eine Auseinandersetzung mit den systematischen Bedenken des BFH schlicht feststellt, die Eingliederungsvoraussetzungen blieben unberührt. 936) Hasbach, MwStR 2017, 262, 265. Auch Flöther/Kahlert, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 16; Kübler/Kahlert, HRI, 3. Aufl. 2019, § 57 Rn. 55, stellt die Aufgabe als „Steuereinnehmer“ in den Fokus, vermeintlich als Wiedergabe der Ansicht des BFH. Dieser argumentiert mit dieser Funktion indes allein in der Insolvenz der Organgesellschaft und auch das nur im vorläufigen Rechtsschutz. 937) Vor Inkrafttreten des SanInsFoG galt dasselbe auch noch für die vorläufige Eigenverwaltung, siehe unten Rn. 502 ff.

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Forderung insgesamt nicht gegen den Organträger festsetzbar, sodass das Finanzamt – soweit dies mit dem BFH für möglich erachtet wird938) – insgesamt auf § 73 AO zurückgreifen wird. Eine Aufspaltung der Steuerforderung droht dort nicht, sodass ein Konflikt mit der Unternehmenseinheit von vornherein ausscheidet.939)

456 Die mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung beim Organträger, die angesichts der hier vorgenommenen Qualifikation der gesamten Steuerverbindlichkeit als Masseverbindlichkeit im eröffneten Verfahren regelmäßig nicht zu befürchten ist, kann also allenfalls mit dessen „Rolle als Steuereinnehmer“ konfligieren. Im organschaftlichen Kontext ist Deduktionen aus dem Begriff des „Steuereinnehmers“ allerdings mit Vorsicht zu begegnen, weil der EuGH den Begriff nicht für den Organträger oder überhaupt im Zusammenhang mit der Organschaft verwendet, sondern damit den Charakter der Umsatzsteuer als „durchlaufenden Posten“ eines Unternehmers beschreibt.940)

457 Unabhängig davon kann in die Funktion des Organträgers als „Steuereinnehmer“ nicht hineingelesen werden, dass die Steuerverbindlichkeit gegen ihn (im Zeitpunkt ihrer Entstehung) in voller Höhe durchsetzbar sein müsste. Selbst wenn man den Unternehmer als „Steuereinnehmer“ bezeichnen möchte, fällt die Realisierbarkeit der gegen diesen gerichteten Umsatzsteuerforderungen stets in den Risikobereich des Fiskus. Der Unternehmer nimmt die Umsatzsteuer vom Verbraucher als vollwertigen Teil seines eigenen Vermögens ein, ohne dass die vereinnahmte Steuer in der Insolvenz des Unternehmers vom Fiskus ausgesondert werden könnte.941) Durch diese Ausgestaltung ist der Fiskus von den Vermögensverhältnissen des Unternehmers abhängig wie jeder andere Gläubiger und trägt dessen Insolvenzrisiko.942) Zwar hat der Gesetzgeber auf insolvenzrechtlicher Seite Schritte unternommen, um sein Ausfallrisiko einzugrenzen, etwa durch die Einführung des § 55 Abs. 4 InsO für den praktisch relevanten Fall der „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung und die jüngste Ausweitung der Norm auf die vorläufige Eigenverwaltung. Die Notwendigkeit eines solchen gesetzgeberischen Eingriffs zur Beseitigung von Insolvenzrisiken für den Fiskus belegt aber gerade, dass der Steuergläubiger im Grundsatz nicht besser steht als andere Gläubiger. Entsprechend scheitert eine vollständige Realisierung von Umsatzsteuerforderungen etwa bei vor Insolvenzantragstellung begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten und scheiterte bis zur Anpassung des ___________ 938) Nach hier vertretener Auffassung haftet die Organgesellschaft nach § 73 AO nur für die auf ihrer eigenen Umsatztätigkeit beruhende Steuer. Einige Stimmen in der Literatur sowie der BFH nehmen indes eine Haftung für sämtliche Verbindlichkeiten an, auch solche aus Umsätzen des Organträgers. Vgl. J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.388; ausführlich unter Rn. 60 ff. 939) Vgl. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 67; ausführlich noch Rn. 494 ff. 940) Siehe zu dieser Kritik bereits Rn. 253. 941) Siehe bereits unter Rn. 342. 942) Vgl. auch KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 150.

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B. Insolvenz des Organträgers

§ 55 Abs. 4 InsO zum 1.1.2021 etwa auch noch bei im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten. Dass dann der Unternehmer seine Funktion als „Steuereinnehmer“ für den Staat in der Insolvenz nicht erfüllt, ändert an seiner umsatzsteuerrechtlichen Stellung nichts. Auch hinsichtlich der Organschaft ist es nicht systemwidrig, sondern im Gegenteil 458 sogar im System berücksichtigt, dass die Steuerforderung gegenüber dem Organträger teilweise uneinbringlich sein kann. Andernfalls verlöre § 73 AO, der gerade die Situation der mangelnden Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem primär schuldenden Organträger voraussetzt und adressiert, für das Umsatzsteuerrecht seine Existenzberechtigung. Ein trotz § 73 AO verbleibender Steuerausfall des Fiskus in der Insolvenz des Steuerschuldners begründet als Folge des typischen Risikos des Fiskus bei der Umsatzsteuervereinnahmung keine Zweifel am Bestand der Organschaft. Auch wenn die mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem 459 Organträger strukturell ähnlich erscheinen mag wie die sogleich zu behandelnde Fragestellung der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs zwischen den Rechtsträgern, unterscheidet sie sich davon erheblich: Die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs ist erforderlich, um eine dauerhafte und unvermeidliche Belastung privatrechtlicher Rechtsträger mit „fremder“ Umsatzsteuer zu vermeiden. Den Fiskus schützt der Grundsatz der Belastungsneutralität aber nicht. Die Uneinbringlichkeit der Steuerverbindlichkeit gegenüber dem Organträger ist vielmehr ein in der Stellung des Fiskus als Steuergläubiger angelegtes Risiko und schafft entsprechend keine Umstände, die eine Überwindung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erzwingen würden, zumal der Gesetzgeber das fiskalische Risiko erkannt und durch § 73 AO eingeschränkt hat.

ee) Störung des Ausgleichsmechanismus Wie in der Insolvenz der Organgesellschaft ergibt sich auch in der Insolvenz des 460 Organträgers eine Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichs, soweit Ausgleichsansprüche nicht einbringlich sind. An dieser Stelle betrifft dies anders als in der Organgesellschaftsinsolvenz Ausgleichsansprüche der Organgesellschaft gegen den Organträger, die immer dann entstehen, wenn eine interne Umsatzsteuerberechnung auf Seiten der Organgesellschaft einen Vorsteuerüberhang ergibt, sodass der Organträger vom Finanzamt Vorsteuervergütungen (oder zumindest eine geminderte eigene Umsatzsteuerzahllast) erhält, die er an die Organgesellschaft weiterzuleiten hat.943)

___________ 943) Vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 13.

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(1) Geltung auch bei interner Umsatzsteuerzahllast der Organgesellschaft 461 Da die Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs und folglich Konflikte mit der Belastungsneutralität nur im Szenario des internen Vorsteuerüberhangs denkbar sind, wäre es möglich, eine Störung des Ausgleichsmechanismus ausschließlich im Falle der Bewirkung eines Vorsteuerüberhangs durch die Organgesellschaft als Anlass für die Beendigung der Organschaft in Betracht zu ziehen. Im Falle einer internen Umsatzsteuerzahllast bleibt der Ausgleichsmechanismus schließlich funktionsfähig, weil die – in diesem Szenario unterstellt solvente – Organgesellschaft problemlos zur Masse leisten kann. Der Bestand der Organschaft wäre dann allerdings von dem Ergebnis der internen Umsatzsteuerberechnung der Organgesellschaft abhängig, das je nach Abrechnungszeitraum leicht von einer Zahllast in einen Vorsteuerüberhang umschlagen kann.944) Der Vorteil einer einheitlichen und sicheren Beurteilung der Organschaft spricht dafür, die fehlende Kompensationsmöglichkeit der Organgesellschaft im Falle des Vorsteuerüberhangs als abstrakten Grund für die Beendigung der Organschaft genügen zu lassen, unabhängig vom konkreten Ergebnis eines Vorsteuerüberhangs oder einer Zahllast im Einzelfall.945)

(2) Notwendigkeit der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs 462 Die ausführlichen Erwägungen zur Notwendigkeit der Kompensationsmöglichkeit des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft sind auf die Organträgerinsolvenz mit wenigen Modifikationen übertragbar.946) Ein Ausgleichsanspruch der Organgesellschaft gegen den Organträger leiten BGH, BFH und dem folgend die Literatur aus einer Analogie zur Situation der Gesamtgläubigerschaft und damit aus § 430 BGB ab.947) Unabhängig von der normativen Grundlage ist ein solcher Anspruch im Ergebnis ebenso wie umgekehrt der Anspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft wegen des Grundsatzes der Belastungsneutralität nach allgemeiner und zutreffender Ansicht zwingend vorgegeben.948) Dies wurde für den umgekehrten Fall der Ansprüche des Organträgers gegen die Organgesellschaft umfassend dargelegt und gilt hier umso mehr:949)

463 Der Ausgleichsanspruch substituiert den ohne Organschaft bestehenden Vorsteuerabzugsanspruch, der ein Kernelement des belastungsneutralen harmonisierten Mehrwertsteuersystems bildet – sowohl das deutsche Umsatzsteuerrecht als auch die unionale Mehrwertsteuersystemrichtlinie verlangen eine vollständige Entlastung ___________ 944) 945) 946) 947) 948) 949)

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Siehe für den spiegelbildlichen Fall der Organgesellschaftsinsolvenz bereits Rn. 233 f. Hasbach, MwStR 2017, 262, 267. Vgl. dazu Rn. 175 ff.; Hasbach, MwStR 2017, 262, 267. BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 13 ff. Siehe ausführlich oben Rn. 69 ff. Siehe oben Rn. 65 ff. Vgl. Rn. 175 ff.

B. Insolvenz des Organträgers

von Vorsteuern.950) Ohne tatsächlich einbringlichen Ausgleichsanspruch würde die Organgesellschaft dauerhaft mit der von ihr an ihre Lieferanten entrichteten Vorsteuer belastet. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür gäbe es nicht, insbesondere nicht durch den lediglich formellen Zweck der Verwaltungsvereinfachung, dem die Organschaft in den meisten Fällen einzig dienen soll.951) Aus diesem Grund kann die Organschaft nur dann im Einklang mit umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen bestehen, wenn die Organgesellschaft die tatsächliche Möglichkeit hat, vollen Ausgleich zu erlangen. Während für eine Belastung des Organträgers mit Umsatzsteuer aus Umsätzen der Organgesellschaft eine Rechtfertigung zumindest grundsätzlich darin gesehen werden kann, dass er seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann und so die Möglichkeit hat, die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft und folglich seine Belastung mit Umsatzsteuer selbst zu kontrollieren,952) greift dieser Gedanke aus der Perspektive der untergeordneten Organgesellschaft schon strukturell nicht. Sie könnte ihre Belastung, die Vorenthaltung des Vorsteuerabzugs, einzig dadurch vermeiden, dass sie ihre wirtschaftliche Betätigung anpasst, um Vorsteuerüberhänge zu vermeiden, was ganz offensichtlich sinnwidrig wäre. Für das Erfordernis eines tatsächlichen Ausgleichs sprechen zudem zivilrechtliche 464 Grundgedanken. Die Organschaft nimmt der Organgesellschaft einen Vorsteuererstattungsanspruch gegen den Staat und verweist sie stattdessen auf Ansprüche gegen den Organträger. Aus Sicht der Organgesellschaft findet damit ein Schuldnerwechsel statt – und zwar ein besonders heikler, weil der Staat als stets solventer Schuldner durch den Organträger als zweifellos weniger solventen Rechtsträger substituiert wird. Zwar kennt das Bürgerliche Recht den Schuldnerwechsel durchaus, doch ist dieser zum Schutz des Gläubigers nur möglich, wenn der Gläubiger im Zuge einer privatautonomen Entscheidung selbst einen entsprechenden Vertrag schließt (§ 414 BGB) oder einem Vertrag zwischen dem bisherigen Schuldner und dem Schuldübernehmer zustimmt (§ 415 BGB). Da auf Seiten der Organgesellschaft als bloßem Eingliederungsobjekt eine privatautonome Entscheidung zur Eingehung der Organschaft nicht stattfindet, lässt sich eine unverhältnismäßige Belastung der Organgesellschaft nur dadurch ausräumen, dass der Bestand der Organschaft von einer funktionsfähigen Ausgleichsmöglichkeit abhängig gemacht wird.

___________ 950) Siehe dazu nur EuGH, Urt. v. 8.2.2007, C-435/05, Slg. I 2007, 1317 Rn. 22; EuGH, Urt. v. 21.2.2006, C-255/02, Slg. I 2006, 1655 Rn. 83 (Halifax); Bunjes/Heidner, UStG, 19. Aufl. 2020, § 15 Rn. 11. 951) Vgl. Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 1039. 952) Vgl. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 80 mit diesem Argument für eine Steuerschuldnerschaft des Organträgers trotz vorläufiger Eigenverwaltung. Richtigerweise rechtfertigt das Argument auch nicht die Belastung des Organträgers in der Organgesellschaftsinsolvenz, weil die Willensdurchsetzung des Organträgers – entgegen der Auffassung des XI. Senats – bereits an der vorläufigen Eigenverwaltung der Organgesellschaft scheitert.

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465 Die ohne Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs bestehenden Konflikte mit dem Grundsatz der Belastungsneutralität würden auf Ebene der Organgesellschaft zusätzlich durch konzernrechtliche Bedenken verstärkt. Die Organgesellschaft als Tochtergesellschaft wird ohne ihr Zutun in den Organkreis aufgenommen und verliert dadurch ihren stets vollwertigen Anspruch gegen den Fiskus auf Vorsteuerabzug unfreiwillig an ihren Mehrheitsgesellschafter, den Organträger. Wenn es keinen tatsächlichen Ausgleich gäbe, würden etwaige Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft und andere Stakeholder benachteiligt.953)

(3) Dogmatische Verortung 466 Eine dogmatische Verortung des Einbringlichkeitserfordernisses in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG fällt schwerer als im Fall der Insolvenz der Organgesellschaft. Das Erfordernis einer Kompensationsmöglichkeit für den Organträger bei einer Umsatzsteuerzahllast konnte dort zwanglos unter die organisatorische Eingliederung gefasst werden.954) Da die Organgesellschaft aber nach der Konzeption der Organschaft lediglich passiv der Beherrschung unterliegt, scheitert ein entsprechender Versuch der Anknüpfung des Erfordernisses der aktiven Anspruchsverwirklichung seitens der Organgesellschaft.955)

467 Eine mögliche Verknüpfung zwischen dem Erfordernis der Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs der Organgesellschaft und dem Merkmal der organisatorischen Eingliederung könnte sich unter Berücksichtung von § 273 BGB finden. Für die vorläufige Eigenverwaltung leitet Kahlert aus § 273 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht der Organgesellschaft gegenüber den Weisungen des Organträgers ab, weil die Organgesellschaft keine Aussicht auf Erfüllung des auf Vorsteuererstattung gerichteten Ausgleichsanspruchs hat.956) Dies hindere die Durchsetzbarkeit des Willens des Organträgers. Die Verknüpfung über § 273 BGB ist für das Eröffnungsverfahren zwar überzeugend,957) begegnet im eröffneten Verfahren aber dem Problem, dass § 273 BGB nicht insolvenzfest ist.958) Die Organgesellschaft kann sich daher im Hinblick auf die Nichterfüllung der Ausgleichsansprüche aus dem eröffneten Verfahren nicht auf § 273 BGB berufen. Etwas anderes gilt allenfalls, wenn die ___________ 953) Vgl. auch Straub, UR 2009, 344, 345. 954) Siehe Rn. 213 ff. 955) Dies stellt auch Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 92 f. im Ausgangspunkt richtig fest. 956) Vgl. Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2350; ähnlich Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208, die die Argumentation allerdings auf die organisatorische Eingliederung über einen Beherrschungsvertrag beschränken. Vgl. auch Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 302 Rn. 40e für das Weisungsrecht aus einem Beherrschungsvertrag. 957) Siehe noch Rn. 509. 958) BGH, Urt. v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138 = NJW 2002, 2313, 2315; MünchKommBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, § 273 Rn. 56.

200

B. Insolvenz des Organträgers

Ansprüche Masseverbindlichkeiten sind. Dann stellt sich aber das Problem der Störung des Ausgleichsanspruchs schon gar nicht. Erst recht kann der Versuch Albrechts, eine dogmatische Anbindung an die Ein- 468 gliederungsmerkmale über eine europarechtskonforme Auslegung zu erreichen, nicht überzeugen.959) Selbst wenn man wie Albrecht die unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 11 MwStSystRL berücksichtigt und für die organisatorische Eingliederung nur eine gemeinsame Managementstruktur verlangt, erschließt sich die Auslegung nicht, nach der die Durchsetzung des Ausgleichs durch die Organgesellschaft für das Vorliegen einer solchen gemeinsamen Managementstruktur notwendig sein soll. Letztlich beruft Albrecht sich auch doch darauf, dass dieses Ergebnis „vor dem Hintergrund des offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität“ erforderlich sei.960) Führt man sich die Historie der umsatzsteuerlichen Organschaft vor Augen, überrascht 469 es kaum, dass sich das Erfordernis einer Kompensation für die Organgesellschaft nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ablesen lässt. Der Gesetzgeber konnte einen internen Vorsteuerausgleich für die Organgesellschaft bei Normierung der Eingliederungsmerkmale gar nicht im Sinn haben. Das Institut der umsatzsteuerlichen Organschaft reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und wurde unter Geltung des Bruttoumsatzsteuersystems ohne Vorsteuerabzug entwickelt.961) In der Folge wurden die Voraussetzungen nicht nennenswert verändert, sondern schlicht übernommen. Die Situation eines Vorsteuerüberhangs war damals aber mangels Existenz des Vorsteuerabzugs gar nicht denkbar. Ein Ausgleichsanspruch der Organgesellschaft gegenüber dem Organträger kam daher logisch nicht in Betracht. Im Übrigen hat der Gesetzgeber sowohl damals als auch im Laufe der Zeit eine Verzahnung von Insolvenzrecht und Umsatzsteuerrecht sowie speziell umsatzsteuerlicher Organschaft versäumt. Die Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs stellt aber ein insolvenzspezifisches Problem dar. Selbst wenn sich also die Suche nach einer dogmatischen Anknüpfung schwierig gestaltet, begründet dies vor dem historischen Hintergrund keine Zweifel daran, dass ein Fortbestand der Organschaft im Falle eines gestörten Innenausgleichs angesichts der festgestellten Konflikte ausgeschlossen sein muss.

(4) Abhängigkeit der Einbringlichkeit von der insolvenzrechtlichen Qualifikation Ob die erforderliche tatsächliche Kompensationsmöglichkeit für die Organgesell- 470 schaft besteht, hängt entscheidend von der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Ausgleichsanspruchs in der Insolvenz des Organträgers ab. Entsteht der Anspruch ___________ 959) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 94. 960) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 94. 961) Siehe Rn. 13 ff.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

nicht als Masseverbindlichkeit, steht von vornherein fest, dass die Organgesellschaft keine vollständige Erfüllung des Anspruchs erwarten kann. Denn durch eine Erfüllung des Anspruchs würde der Insolvenzverwalter sich schadensersatzpflichtig machen würde.

471 Handelt es sich bei dem Anspruch dagegen um eine Masseverbindlichkeit, ist er grundsätzlich als einbringlich anzusehen. Dann ist davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter die Forderung umgehend bedient, um einer Klage und unter Umständen einer Haftung aus §§ 60, 61 InsO zu entgehen. Anders stellt sich dies lediglich im Falle der Masseunzulänglichkeit oder -armut dar, da hier der Ausgleich selbst dann gestört ist, wenn der Anspruch als Masseverbindlichkeit eingeordnet wird.962)

(5) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs 472 Der Ausgleichsanspruch ist als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren. Die Qualifikation der Ausgleichsverbindlichkeit des Organträgers richtet sich dabei nach denselben Maßstäben wie die Qualifikation der Umsatzsteuerverbindlichkeit des Organträgers aus den Umsätzen der Organgesellschaft, sodass im Detail auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird, die hier nur überblicksartig wiederholt werden:963)

473 Eine Einordnung als Insolvenzforderung scheidet von vornherein aus, weil es an dieser Stelle um solche Verbindlichkeiten geht, die nach Verfahrenseröffnung begründet wurden.964) Im Übrigen ist zumindest § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO einschlägig. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 handelt es sich bei dem Anspruch um eine Masseverbindlichkeit, wenn dieser „durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse“ des Organträgers begründet wird. Jedenfalls unmittelbar geht der Ausgleichsanspruch nicht auf eine Handlung des Verwalters oder sonst auf die Verwaltung des Vermögens des Organträgers zurück, sondern vielmehr auf die Verwaltung des Vermögens der Organgesellschaft, namentlich den Bezug einer Leistung und Zahlung der Vorsteuer hierfür.965) ___________ 962) Vgl. auch Kahlert, MwStR 2016, 687, 688 (Anm.), der daher offenbar stets eine Störung des Ausgleichs annimmt. 963) Siehe Rn. 430 ff. 964) Hingegen möchte Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 108 ff., diese grundlegende insolvenzrechtliche Systematik nur für „potentielle Masseverbindlichkeiten“, nicht dagegen für „potentiell keine Masseverbindlichkeiten“ anwenden. Vgl. ablehnend bereits. 965) Daher gegen die Einordnung als Masseverbindlichkeit und stattdessen für die nach § 38 InsO nicht mögliche Einordnung als Insolvenzforderung (s. dazu die vorige Fußnote) Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 131 f., der allerdings weitere Gedanken nicht anstellt. Schlicht unzutreffend ist die Aussage, die Rechtslage sei insoweit „eindeutig“ und „geklärt“.

202

B. Insolvenz des Organträgers

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Organschaft und darauf aufbauend auch 474 der innerorganschaftliche Ausgleichsanspruch auf der Aufrechterhaltung der Eingliederung und damit auf Handlungen des Insolvenzverwalters, jedenfalls aber auf der Verwaltung des Vermögens des Organträgers beruhen. Denn Prämisse der Untersuchung muss sein, dass die Eingliederungsmerkmale erfüllt sind, der Insolvenzverwalter also die Herrschaftsmacht über die Organgesellschaft zur aktiven Willensdurchsetzung in der laufenden Geschäftsführung nutzt. Die hierzu erforderliche Einflussnahme ist ihm aber nur durch eine Verwaltung der Masse möglich. Der Ausgleichsanspruch gegen den Organträger entsteht sodann zwar konkret dadurch, dass die Organgesellschaft vorsteuerpflichtige Leistungen bezieht. Gleichzeitig ist hierfür aber der Bestand der Organschaft notwendige Voraussetzung.966) Insoweit entsteht also auch der Ausgleichsanspruch aufgrund der Verwaltung des Vermögens des Organträgers und damit zumindest gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO als Masseverbindlichkeit.967) Dies ist mit Blick auf den Sinn des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO gerechtfertigt, der solchen Verbindlichkeiten Masseschuldcharakter zuspricht, die der Insolvenzverwalter bei seinem Handeln vorhersehen kann. Hält der Verwalter die Organschaft aufrecht, ist ihm bewusst, dass hiermit ein Anspruch der Organgesellschaft auf Weiterleitung der Vorsteuer verbunden ist. Wiederum wird das Ergebnis durch die Überlegung bestätigt, dass jedenfalls dann, wenn die Organgesellschaft mittels Beherrschungsmacht zum Bezug einer konkreten Leistung veranlasst wird, der hieraus erwachsende Ausgleichsanspruch sogar unmittelbar auf der Einflussnahme des Insolvenzverwalters basiert. Denkbar wäre daneben auch ein Eingreifen des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Der Anspruch 475 aus § 430 BGB ist zwar kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Sinne der §§ 812 ff. BGB. Dennoch hat sich etwa Canaris für eine Anwendbarkeit des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO und folglich für den Charakter des Anspruchs nach § 430 BGB als Masseverbindlichkeit ausgesprochen.968) Andere halten § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht für einschlägig.969) Legt man diese letzte Ansicht zugrunde und verneint man, wie der BFH, auch ein Eingreifen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so fragt sich, ob die Entscheidung des BGH zur dogmatischen Verortung des Ausgleichsanspruchs in § 426 BGB tatsächlich eine derart enorme insolvenz(steuer)rechtliche Tragweite erhalten soll.970) Hintergrund der Entscheidung des BGH war, innerhalb der Organschaft diejenige Belastungssituation herzustellen, die auch außerhalb der ___________ 966) Siehe auch hierzu Rn. 430 ff. 967) Vgl. Rn. 430 ff. A. A. Hasbach, MwStR 2017, 262, 267, der überraschend umgekehrt für den Ausgleichsanspruch des Organträgers aus § 426 BGB in der Insolvenz der Organgesellschaft annimmt, er beruhe (sogar ausschließlich) auf der Organschaft und gerade nicht auf der Ausführung des einzelnen Umsatzes. 968) Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 229, damals noch zum gleichlautenden § 59 Abs. 1 Nr. 4 KO. 969) Staudinger/Looschelders, 2007, § 429 Rn. 61; S. Meier, AcP 205 (2005), 858, 878. 970) Siehe zur parallelen Überlegung zum Ausgleichsanspruch des Organträgers bereits Rn. 230.

203

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Organschaft bestünde.971) In dem Urteil begründet der BGH aber lediglich näher, dass ein Ausgleichsanspruch bestehen muss, nicht hingegen, warum dieser nicht wie von der Vorinstanz bereicherungsrechtlich, sondern aus einer Gesamtgläubigerschaft abzuleiten sei.972)

476 Die Wahl des § 430 BGB mag vor allem darin gründen, dass als Anspruchsgrundlage für den umgekehrten Fall des Ausgleichs des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft bereits seit längerer Zeit § 426 BGB herangezogen wurde. Abgesehen davon, dass schon dieser gesamtschuldnerische Ausgleichsanspruch des Organträgers zunächst anhand der gewerbesteuerlichen Organschaft konstruiert und für die umsatzsteuerliche Organschaft trotz ihrer ganz anderen Zielsetzung schlicht übertragen wurde,973) wurde bereits darauf hingewiesen, dass jedenfalls umgekehrt die Annahme einer Gesamtgläubigerschaft zwischen Organträger und Organgesellschaft jedes Anhaltspunktes entbehrt, weil die Organgesellschaft unter keinen Umständen, nicht einmal sekundär, das Recht hat, die Vorsteuererstattung vom Finanzamt zu beanspruchen.974) An derselben Stelle wurden nicht nur Bedenken an der Ziehung einer Analogie durch den BGH geäußert, da ein Anspruch stimmig über das Bereicherungsrecht hergeleitet werden kann, sodass keine planwidrige Regelungslücke besteht. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Interessenlage der Parteien entgegen der Ansicht des BGH weniger der Gesamtgläubigerschaft als derjenigen zwischen Bereicherungsgläubiger und -schuldner entspricht.

477 Insolvenzrechtlich würde eine Herleitung des Anspruchs über das Bereicherungsrecht dazu führen, dass er unproblematisch bereits nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren wäre, soweit er nach Verfahrenseröffnung begründet wurde. Die Überlegung bestätigt das Bedürfnis nach einer Qualifikation als Masseverbindlichkeit, die andernfalls daran scheitern würde, dass der BGH sich ohne Untersuchung eines bereicherungsrechtlichen Ausgleichssystems für eine Analogie zu § 430 BGB entschieden hat, zumal ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auch neben den vom BGH befürworteten Anspruch treten könnte. Selbst wer ausschließlich einen Anspruch aus § 430 BGB sieht, mag sich jedenfalls für die Organschaft auf die genannte Ansicht von Canaris besinnen, nach der auch der Anspruch aus § 430 BGB unter die Norm des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu fassen ist.

___________ 971) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 13. 972) Vgl. zur Vorinstanz OLG Hamburg, Urt. v. 24.3.2011 – 11 U 92/08, BeckRS 2013, 3338. 973) Zur gewerbesteuerlichen Organschaft BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, zur Übernahme für die umsatzsteuerliche Organschaft ohne weitere Begründung BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 202/01, DStR 2004, 468; BGH, Urt. v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, DStR 2012, 527 Rn. 19; BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, DStR 2009, 2670, 2673. 974) Siehe Rn. 70 ff.

204

B. Insolvenz des Organträgers

(6) Zwischenergebnis Hat der Ausgleichsanspruch nach alledem den Charakter einer Masseverbindlichkeit, 478 ist zu erwarten, dass der organschaftliche Innenausgleich reibungslos durchführbar ist.975) Nur wenn diese Annahme nicht gerechtfertigt ist, wie beispielsweise bei Masseunzulänglichkeit, fehlt eine Kompensationsmöglichkeit, sodass die Organschaft enden muss.

2.

Eigenverwaltung

Anders als in der Insolvenz der Organgesellschaft, bei der die Verfahrensart als 479 Fremd- oder Eigenverwaltung eine ganz erhebliche Rolle spielt, unterscheidet sich die Rechtslage in Regel- und Eigenverwaltungsverfahren über das Vermögen des Organträgers für die Belange der Organschaft deutlich weniger.976)

a) Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit und fehlende Kompensationsmöglichkeit Insbesondere die von den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unabhängigen 480 Begründungen zum Entfallen der Organschaft, also der Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit977) und die fehlende Kompensationsmöglichkeit der Organgesellschaft978), gelten in Regel- und Eigenverwaltungsverfahren gleichermaßen.979) Der vom BFH gesehene Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit setzt bei der Durchsetzbarkeit der Steuerforderung beim Organträger an, die von der Verfahrensart als Fremd- oder Eigenverwaltung unabhängig ist. Sieht man die Steuerverbindlichkeit mit der oben vertretenen Auffassung als Masseverbindlichkeit an,980) ergeben sich jedenfalls keine Schwierigkeiten. Aber auch wenn man die Einordnung nicht teilt, verstößt die (nur) faktisch getrennte Steuerabführung nicht gegen den Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit.981) Im Hinblick auf die fehlende Kompensationsmöglichkeit ließe sich zwar erwägen, 481 ob sich Unterschiede daraus ergeben, dass der bisherige und möglicherweise mit der Organgesellschaft eng verbundene Geschäftsleiter des Organträgers weiterhin ___________ 975) Im Ergebnis ebenso Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.20 sowie de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.), der allerdings die unterschiedlichen Konstellationen bei Insolvenz der Organgesellschaft und Insolvenz des Organträgers nicht unterscheidet, sondern die Situationen im Gegenteil sogar als „spiegelbildlich“ bezeichnet. 976) Vgl. KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 151 f. 977) Siehe oben Rn. 412 ff. 978) Siehe oben Rn. 460 ff. 979) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 27. 980) Siehe oben Rn. 415 ff. 981) Siehe dazu Rn. 442 ff.

205

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

verwaltungs- und verfügungsbefugt ist. Da den eigenverwaltenden Geschäftsleiter aber dieselben haftungsbewehrten Pflichten treffen wie einen Insolvenzverwalter und die Eigenverwaltung bei einem Pflichtverstoß aufgehoben würde, wird er den Anspruch der Organgesellschaft ebenso wie der Insolvenzverwalter nur erfüllen, wenn es sich dabei um eine Masseverbindlichkeit handelt. Andernfalls wäre eine Erfüllung zudem unter Umständen aufgrund ihrer Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam.982) Genau wie im Regelverfahren hängt die Kompensationsmöglichkeit daher von der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Ausgleichsforderung ab. Sieht man diese wie hier als Masseverbindlichkeit an,983) hat die Organgesellschaft in aller Regel die Möglichkeit, ihre Vorsteuer vom Organträger tatsächlich erstattet zu erhalten, sodass die Belastungsneutralität gewahrt bleibt. Würde man den Ausgleichsanspruch nicht als Masseverbindlichkeit einordnen, würde der Organgesellschaft dagegen der Vorsteuerabzug vorenthalten und sie würde dauerhaft mit Vorsteuer belastet, was dem geltenden System der Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug und der Belastungsneutralität der Umsatzsteuer widerspräche.

b) Eingliederungsmerkmale 482 Abweichungen zwischen Regelverfahren und Eigenverwaltungsverfahren finden sich lediglich im Bereich der Eingliederungsmerkmale und auch dort nur im Hinblick auf die organisatorische Eingliederung. Im Regelverfahren musste diese entfallen, soweit sie zuvor durch Personenidentität der Geschäftsleitungen hergestellt wurde.984) In der Eigenverwaltung gibt es hierfür keinen Grund. Die organisatorische Eingliederung im Falle der Personalunion basiert auf der Annahme, dass die Geschäftsleitung des Organträgers den dort gebildeten Willen in der Geschäftsführung der Organgesellschaft umsetzen kann. Bleibt der Geschäftsleiter des Organträgers trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge der Anordnung der Eigenverwaltung für die Willensbildung beim Organträger zuständig, berührt das Insolvenzverfahren die Durchsetzbarkeit des Willens in der Organgesellschaft grundsätzlich nicht.985) Anders als im umgekehrten Fall der Eigenverwaltung der Organgesellschaft spielt das insolvenzrechtliche Pflichtenprogramm des insolventen Organträgers keine Rolle, da es zwar die Willensbildung des Organträgers, nicht aber die maßgebliche Durchsetzung des gebildeten Willens in der Organgesellschaft beeinflusst.

483 Auch in der Eigenverwaltung gilt selbstverständlich etwas anderes, wenn als eigenverwaltender Geschäftsleiter ein externer Experte (CRO/CIO) eingesetzt wird, der anstelle der bisherigen Geschäftsleitung des Organträgers die Willensbildung über___________ 982) 983) 984) 985)

206

Siehe zum spiegelbildlichen Fall in der Organgesellschaftsinsolvenz Rn. 156 sowie Rn. 222. Siehe Rn. 472 ff. Siehe oben Rn. 403 f. Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2589.

B. Insolvenz des Organträgers

nimmt, da dann für die Belange der organisatorischen Eingliederung offensichtlich eine mit dem Regelverfahren vergleichbare Situation entsteht. Für die übrigen Konstellationen, insbesondere etwa im Fall der Vermittlung der 484 organisatorischen Eingliederung über einen Beherrschungsvertrag,986) aber auch bei einer organisatorischen Eingliederung über Mitarbeiter des Organträgers oder institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Verwaltung, gleicht die Situation dem Regelverfahren.

3.

Zwischenergebnis

Bis vor Kurzem wurde der Fortbestand der Organschaft im eröffneten Regelver- 485 fahren über das Vermögen des Organträgers allgemein als unproblematisch angesehen. Ohne weitere Differenzierung ist dem nicht zuzustimmen. 1. Selbst bei einer strengen Orientierung an den Eingliederungsmerkmalen ist im Regelfall der organisatorischen Eingliederung über personelle Verflechtung davon auszugehen, dass die Organschaft mit Eröffnung eines Regelverfahrens endet. Dasselbe gilt bei der organisatorischen Eingliederung über einen Beherrschungsvertrag, da dieser in der Insolvenz der Mutter keine Wirkungen mehr entfalten kann. Ein Fortbestand der Organschaft ist allenfalls denkbar, wenn die die Beherrschung vermittelnden Instrumente in der Insolvenz vom Verwalter übernommen werden. Dies ist beispielsweise möglich, soweit der Insolvenzverwalter von Weisungsbefugnissen aus einem Anstellungsvertrag des Geschäftsleiters der Organgesellschaft mit dem Organträger Gebrauch macht oder andere institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten in die laufende Geschäftsführung der Organgesellschaft bestehen. 2. Daneben hat der BFH die Frage aufgeworfen, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers bereits strukturelle Hindernisse im Hinblick auf die Durchführung der Organschaft schafft, die den Bestand der Rechtsfigur in Zweifel ziehen. Der vom BFH ausgemachte Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit besteht bei näherem Hinsehen aus mehreren Gründen nicht: Erstens ist die Umsatzsteuerverbindlichkeit des Organträgers, anders als der BFH meint, auch insoweit als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren, wie sie aus Umsätzen der Organgesellschaft erwächst. Der Begriff der „Verwaltung“ der Insolvenzmasse in § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO erlaubt eine entsprechende Subsumtion der Verbindlichkeit, da sie in der Person des ___________ 986) Auch in der Eigenverwaltung endet ein Beherrschungsvertrag oder wird zumindest suspendiert, vgl. GK-AktG/Mülbert, 4. Aufl. 2013, § 297 Rn. 136; Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 297 Rn. 52b; Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, Anh. § 13 Rn. 92; MünchKomm-GmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2018, Anh. zu § 13 Rn. 1044; Berthold, Unternehmensverträge in der Insolvenz, S. 135; a. A. KölnerKomm-AktG/ Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, § 297 Rn. 48.

207

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

Organträgers dadurch begründet wird, dass der Insolvenzverwalter die Organschaft aufrechterhält, was ihm nur durch die Verwaltung massezugehöriger Vermögensbestandteile möglich ist. Zweitens verstößt ein Fortbestand der Organschaft selbst dann nicht gegen die organschaftliche Unternehmenseinheit, wenn man die Umsatzsteuerverbindlichkeit nicht als Masseverbindlichkeit ansieht. Die Umsatzzurechnung bleibt möglich, primärer Steuerschuldner bleibt der Organträger. Allein die Tatsache, dass das Finanzamt sich bezüglich der Umsatzsteuerbeträge der Organgesellschaft faktisch an die sekundär nach § 73 AO haftende Organgesellschaft halten wird und damit faktisch die Steuerdurchsetzung aufteilt, bedeutet keine systematisch zwingende Unvereinbarkeit der Organschaft mit der Organträgerinsolvenz. Die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist vielmehr eine typische und für die Organschaft in § 73 AO besonders berücksichtigte Erscheinung in Insolvenzsituationen. 3. Ebenso wenig stößt es auf grundlegende Bedenken, dass das Finanzamt die Steuerforderung gegenüber dem Organträger unter Umständen nicht vollständig realisieren kann. Nach der hier favorisierten Qualifikation der Gesamtsteuerverbindlichkeit des Organträgers als Masseverbindlichkeit dürfte die Uneinbringlichkeit ohnehin die Ausnahme sein. Selbst wenn das Finanzamt im Einzelfall jedoch keine vollständige Befriedigung erhalten sollte, widerspricht dies nicht den Grundwertungen der umsatzsteuerlichen Organschaft, sondern ist als Ausfluss des Risikos des Fiskus als Steuergläubiger anzusehen, dem über § 73 AO begegnet wird. 4. Die vom BFH in der Insolvenz der Organgesellschaft geführte Argumentation mit dem gestörten Innenausgleich lässt sich auf die Insolvenz des Organträgers übertragen. Wenn der Ausgleichsanspruch bereits im Zeitpunkt seiner Entstehung uneinbringlich sein sollte, hat die Organgesellschaft bei einem internen Vorsteuerüberhang keine Möglichkeit, die von ihr gezahlte Vorsteuer erstattet zu erhalten. Dies würde einen Verstoß gegen den das Mehrwertsteuersystem prägenden Grundsatz der Belastungsneutralität darstellen, der nur durch die Beendigung der Organschaft vermieden werden könnte. Nach hier vertretener Ansicht ist der Ausgleichsanspruch indes aus denselben Gründen wie die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft eine Masseverbindlichkeit des Organträgers und als solche in der Insolvenz des Organträgers regelmäßig einbringlich. Der Ausgleichsmechanismus ist somit grundsätzlich nicht gestört, sodass sich auch hieraus kein Argument für die zwangsläufige Beendigung der Organschaft ableiten lässt. 5. In der Eigenverwaltung greifen ebenso wenig wie im Regelverfahren gemeingültige Beendigungsgründe. Im Unterschied zur Fremdverwaltung dürfte hier ein Fortbestand der Organschaft im Übrigen besonders naheliegen, da die Geschäftsleitung des Organträgers nicht ausgewechselt wird und daher im Standardfall der Personenidentität in den Geschäftsleitungen von Organträger und -gesell-

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B. Insolvenz des Organträgers

schaft die Willensdurchsetzung im Sinne der organisatorischen Eingliederung von der Insolvenz des Organträgers unberührt bleibt. Es bedürfte einer Aufgabe der Beherrschungsmittel, um die Organschaft zu beenden. 6. Kann die Organschaft demnach durchaus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers existieren, hängt es von der Rechtslage in den früheren Verfahrensstadien ab, ob die Organschaft in der Tat fortbesteht oder vielmehr wiederauflebt. Gegen ein Wiederaufleben der Organschaft ist rechtlich grundsätzlich nichts einzuwenden.987) Dennoch mag es in der Praxis sinnvoll sein, der Neuentstehung einer zuvor bereits beendeten Organschaft möglichst entgegenzuwirken.

II. Eröffnungsverfahren Im Eröffnungsverfahren ist die Rechtslage mangels einschlägiger gerichtlicher 486 Entscheidungen besonders ungewiss.988) Einzig zur vorläufigen Eigenverwaltung enthält die inzwischen ergangene Entscheidung des XI. Senats des BFH eine kurze Stellungnahme.989) Im Übrigen lassen sich einige Erwägungen zum Fortbestand der Organschaft im eröffneten Verfahren übertragen.990)

1.

Eingliederungsmerkmale

Zunächst sollen dabei wiederum die Eingliederungsmerkmale des § 2 Abs. 2 Nr. 2 487 UStG überprüft werden, bevor auf die abstrakteren neueren Erwägungen eingegangen wird.

a) Vorläufiges Regelverfahren aa) „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter Die Stellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters ist weitgehend derje- 488 nigen des „endgültigen“ Insolvenzverwalters angenähert. Die Erwägungen zum eröffneten Verfahren gelten daher entsprechend.991)

___________ 987) Vgl. etwa Wäger, UR 2014, 81, 91; Keul, Die umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz, S. 61 f. 988) de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.); Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2155. 989) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 66 – 68. 990) So auch Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.); Hasbach, ZInsO 2017, 914, 918; Witfeld, NZI 2017, 942, 943 (Anm.). 991) Ebenso Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.31; KPB-InsO/ Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 145; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.215.

209

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

bb) „Halbstarker“ vorläufiger Insolvenzverwalter 489 Die Auswirkungen der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt sind schwieriger zu bestimmen. Die Finanzverwaltung sieht die Organschaft als beendet an, zitiert hierzu allerdings die Entscheidung des BFH vom 8.8.2013,992) die lediglich die Insolvenz der Organgesellschaft betraf.993) Tatsächlich fehlt eine gerichtliche Entscheidung zu der Frage.994) In der Literatur existieren nur vereinzelte Stellungnahmen. So meint de Weerth, die Organschaft bestehe fort, solange der Zustimmungsvorbehalt sich allein auf die Verhältnisse beim Organträger beziehe.995) Auch Wagner996), Rühland997) und wohl auch Onusseit998) sehen die Eingliederung durch den Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht als beeinträchtigt an. Beck ist hingegen der Ansicht, der Organträger könne seinen eigenen Willen nicht mehr ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters in das beherrschte Unternehmen tragen, weshalb die Willensdurchsetzung scheitere.999)

490 Bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt liegt die Willensbildung unverändert beim Insolvenzschuldner bzw. bei dessen Geschäftsleitung. Der vorläufige Insolvenzverwalter übernimmt nicht die Verwaltung des Insolvenzschuldners, sondern erhält lediglich die Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung,1000) die sich zudem nur auf Verfügungen bezieht.1001) Nur wenn der „halbstarke“ vorläufige Verwalter faktisch die Führung des Organträgers inklusive der Beherrschung der Organgesellschaft übernimmt, ändert sich die personelle Zuständigkeit für die Willensbildung, sodass die Erwägungen zur „starken“ vorläufigen Verwaltung und dem eröffneten Verfahren gelten.

___________ 992) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = BStBl. II 2017, 543 = DStR 2013, 1883. 993) Abschnitt 2.8 Abs. 2 Satz 1 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020; vgl. auch KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/18, InsSteuerR F Rn. 143. Auch die von Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.32 zitierte Entscheidung betraf die Insolvenz der Organgesellschaft. 994) KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 143. 995) de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.). 996) Wagner/Marchal, DStR 2017, 2150, 2155; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.32; anders bei der Eingliederung durch einen Beherrschungsvertrag, s. dazu unten Rn. 493. 997) Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.216 f. 998) KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 143. 999) Beck, MwStR 2014, 359, 368. Zu beachten ist aber, dass Beck die Durchsetzung des Willens des Organträgers mit der Durchsetzung des Willens der bisherigen Geschäftsleitung gleichsetzt und die Durchsetzung des Willens selbst des verwaltungs- und verfügungsbefugten Insolvenzverwalter nicht ausreichen lässt. 1000) Vgl. Jaffé/Friedrich-Vache, MwStR 2013, 75, 80; vgl. auch Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.23. 1001) Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 21 Rn. 24.

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B. Insolvenz des Organträgers

cc) „Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt und nicht einmal ein Zustim- 491 mungsvorbehalt angeordnet, bleibt der Insolvenzschuldner in seiner Verwaltungsund Verfügungsbefugnis unbeschränkt. Die personelle Zuständigkeit für die Willensbildung beim Organträger bleibt folglich unberührt.1002) Der Organträger kann vorbehaltlich der weiteren Ausführungen weiterhin seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen.

b) Vorläufiges Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren Auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren und im Schutzschirmverfahren 492 entfallen die Eingliederungsmerkmale (wiederum vorbehaltlich der weiteren Ausführungen) zunächst nicht.1003) Die Geschäftsleitung des vorläufig eigenverwaltenden Organträgers kann die bisherigen Mittel zur Willensdurchsetzung ungehindert weiternutzen. Insbesondere der organisatorischen Eingliederung über eine Personalunion der Geschäftsleitungen wird der Boden nicht entzogen. Zwar bestimmt sich das Pflichtenprogramm des Organträgers in der vorläufigen Eigenverwaltung entgegen der Ansicht des XI. Senats des BFH1004) vorrangig nach dem Ziel der Massesicherung. Dies ändert indes wie im eröffneten Verfahren nichts an der Durchsetzbarkeit des Willens in der Organgesellschaft.1005)

c)

Sonderfall: Eingliederung über Beherrschungsvertrag

Eine Besonderheit besteht, wenn die organisatorische Eingliederung über einen 493 Beherrschungsvertrag vermittelt wurde. In diesem Fall muss die Organschaft schon deshalb entfallen, weil spätestens im Eröffnungsverfahren des Organträgers die Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG nicht mehr vollständig erfüllbar ist. Der Organgesellschaft steht aus diesem Grund ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB zu, das der Befolgung des Weisungsrechts aus § 308 AktG entgegengehalten werden kann und muss.1006) Dies entzieht dem Beherrschungsvertrag seine beherrschende Wirkung.

___________ 1002) Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.216. 1003) Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.34; Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 146. 1004) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 68. 1005) Vgl. Rn. 482. 1006) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.29 und 31 ff.; vgl. auch Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 302 Rn. 40e.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

2.

Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit

494 Ein Konflikt des Fortbestands der Organschaft mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit, auf den der BFH die Beendigung der Organschaft im eröffneten Verfahren gestützt hat, konnte bereits dort nicht bestätigt werden. Dennoch soll im Folgenden der Vollständigkeit halber die Übertragbarkeit des Ansatzes auf das Eröffnungsverfahren untersucht werden.

a) Insolvenzrechtliche Qualifikation der Steuerverbindlichkeit 495 Wie im eröffneten Verfahren fragt sich dabei auch im Eröffnungsverfahren zunächst, ob die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus den Umsätzen der Organgesellschaft bei unterstelltem Fortbestand der Organschaft beim Organträger eine Masseverbindlichkeit begründen würde.1007) Als vor Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeit handelt es sich hierbei grundsätzlich um eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO), wenn nicht das Insolvenzgericht eine Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt oder § 55 InsO eine Aufwertung bewirkt.

496 § 55 Abs. 1 InsO gilt nur für den (endgültigen) Insolvenzverwalter, doch enthält § 55 Abs. 2 InsO für das Eröffnungsverfahren eine inhaltlich identische Regelung,1008) nach der Masseverbindlichkeiten auch solche Verbindlichkeiten sind, die ein „starker“ vorläufiger Verwalter begründet. Ob die Steuerverbindlichkeit des Organträgers aus der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft eine Verbindlichkeit darstellt, die vom „starken“ vorläufigen Verwalter im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO begründet worden ist, ist anhand derselben Überlegungen zu beantworten, die im Rahmen des eröffneten Verfahrens zu § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO angestellt wurden.1009) Nach Ansicht des BFH dürfte die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft demnach nicht unter § 55 Abs. 2 InsO fallen.1010) Wer indes mit der hier vertretenen Auffassung im eröffneten Verfahren annimmt, dass die Verbindlichkeit aus der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder zumindest durch die Verwaltung des Vermögens des Organträgers begründet wird, weil der Verwalter die Organgesellschaft mit Hilfe von Massemitteln aktiv beherrscht, gelangt auch in den Fällen des § 55 Abs. 2 InsO zu einer Masseverbindlichkeit.

497 Für den „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter ist § 55 Abs. 2 InsO dagegen nicht anwendbar.1011) Stattdessen kommt eine Aufwertung der Steuerverbindlich___________ 1007) Siehe für das eröffnete Verfahren Rn. 415 ff. 1008) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, NJW 2016, 2572 Rn. 23; HambK-InsO/Jarchow, 7. Aufl. 2019, § 55 Rn. 25; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 227. 1009) Rn. 430 ff. 1010) Vgl. Kübler/Kahlert, HRI, 3. Aufl. 2019, § 57 Rn. 60; Witfeld, NZI 2017, 942, 943 (Anm.). 1011) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = NJW 2002, 3326 Ls. 2; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 55 Rn. 93 m. w. N.

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B. Insolvenz des Organträgers

keiten gem. § 55 Abs. 4 InsO in Betracht, nach dem Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, Masseverbindlichkeiten darstellen. Auch für Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, also für die vorläufige Eigenverwaltung, sieht der durch das SanInsFoG geänderte § 55 Abs. 4 nunmehr eine Aufwertung zur Masseverbindlichkeit vor. Soweit hierzu erforderlich ist, dass die Verbindlichkeit „vom Schuldner“ begründet 498 wurde, fällt die Bewertung letztlich wie im eröffneten Verfahren und der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung aus. Denkt man die Ansicht des BFH fort, nach der im eröffneten Verfahren die Steuerverbindlichkeit aus den Umsätzen der Organgesellschaft nicht in der Verwaltung des Vermögens des Organträgers gründet, dürfte folglich auch § 55 Abs. 4 InsO nicht bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten helfen.1012) Anders werden diejenigen argumentieren, die für das eröffnete Verfahren bereits den Masseschuldcharakter bejahen, weil die Verbindlichkeit letztlich doch auch auf eine Verwaltung der Masse des Organträgers zurückgeht. Dann gelangt man auch hier zu dem Ergebnis, dass die Verbindlichkeit in der Person des Organträgers durch Aufrechterhaltung der Organschaft vom Schuldner (mit-)begründet ist. Hinsichtlich der „halbstarken“ vorläufigen Regelverwaltung verlangt der Wortlaut 499 des § 55 Abs. 4 InsO allerdings zusätzlich eine Zustimmung des vorläufigen Verwalters zur Begründung der Verbindlichkeit. Dies erscheint bereits konzeptionell problematisch, weil der Zustimmungsvorbehalt sich nur auf Verfügungen bezieht, die Geschäftsleitung des Organträgers aber für die Beibehaltung der Eingliederungsmerkmale nicht zwingend Verfügungen treffen muss, insbesondere nicht für die faktische Willensdurchsetzung in der laufenden Geschäftsführung. Allerdings wird § 55 Abs. 4 InsO im insolvenzrechtlichen Schrifttum selbst dann für anwendbar gehalten, wenn die Handlung des Schuldners keiner Zustimmung bedarf, da andernfalls der Intention des Gesetzgebers widersprochen werde, die Wirkungen des § 55 Abs. 2 InsO auf das Eröffnungsverfahren ohne „starken“ vorläufigen Verwalter zu erstrecken.1013) Weil somit keine Zustimmung im eigentlichen Sinne mehr gemeint sein kann, wird der Begriff extrem weit ausgelegt. Es soll jede Art von aktiver oder konkludenter Billigung genügen, was Kenntnis des vorläufigen Insolvenzverwalters vom konkreten Geschäft oder zumindest voraussetze, dass sich das Geschäft in dem Rahmen halte, in welchem der vorläufige Verwalter das Handeln des Schuldners ___________ 1012) Vgl. KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 144; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 5.1; Jaffé/Friedrich-Vache, MwStR 2013, 75, 80; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.218a u. 9.224 ff.; Kahlert, ZIP 2011, 401; Kübler/Kahlert, HRI, 3. Aufl. 2019, § 57 Rn. 60; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1941. 1013) FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 69; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 55 Rn. 115; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 245.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

billigt.1014) Es wird danach im Einzelfall auf die Billigung der Aufrechterhaltung der Organschaft durch den „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter ankommen.

500 Ist lediglich ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter eingesetzt, also ein solcher ohne Zustimmungsvorbehalt, kann die gesamte Umsatzsteuerverbindlichkeit lediglich Insolvenzforderung sein, unabhängig davon, ob sie aus Umsätzen der Organgesellschaft oder aus eigenen Umsätzen des Organträgers stammt.1015)

b) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation 501 Ist die Steuerforderung aus den Umsätzen der Organgesellschaft nach der obigen Einordnung Masseverbindlichkeit, kann sie gegenüber dem Organträger festgesetzt werden, sodass sich selbst nach der Ansicht des BFH keine Konflikte ergeben. Handelt es sich hingegen um eine bloße Insolvenzforderung gem. § 38 InsO, wird sich die Finanzverwaltung insoweit gem. § 73 AO an die Organgesellschaft halten und nur für die Steuerforderung aus eigenen Umsätzen des Organträgers einen Steuerbescheid erlassen können. Nach Ansicht des BFH wäre durch diese Spaltung der Steuerdurchsetzung die organschaftliche Unternehmenseinheit gestört. Nach hier vertretener Auffassung würde die Inanspruchnahme der Organgesellschaft über § 73 AO für die auf ihre Umsätze entfallende Umsatzsteuer den Fortbestand der Organschaft nicht in Zweifel ziehen. Im Detail kann auf die Ausführungen zum eröffneten Verfahren verwiesen werden.1016)

c)

Mangelnde Realisierbarkeit der Steuerforderung gegenüber dem Organträger

502 Eine besondere Situation ergibt sich, wenn die gesamte Steuerverbindlichkeit lediglich als Insolvenzforderung entsteht, wie in der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung und vor Inkrafttreten den SanInsFoG auch in der vorläufigen Eigenverwaltung. Onusseit meint, der BFH könne sich „wie im Beschluss vom 19.3.2014 auf die Notwendigkeit zurückziehen, die Organgesellschaft nach § 73 AO in die Haftung zu nehmen.“1017) Auch Kahlert, Debus, Witfeld und Hasbach halten die

___________ 1014) Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, § 55 Rn. 114; HambK-InsO/Denkhaus, 7. Aufl. 2019, § 55 Rn. 90; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 69; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 245; Onusseit, ZInsO 2011, 641, 645, 650. 1015) A. A. offenbar FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 55 Rn. 70, der § 55 Abs. 4 InsO auch auf die „schwache“ vorläufige Verwaltung ohne Zustimmungsvorbehalt für anwendbar hält. 1016) Rn. 442 ff. 1017) KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 146, unter Verweis auf Hasbach, ZInsO 2017, 914, 918.

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B. Insolvenz des Organträgers

Rechtsprechung für übertragbar.1018) Die Situation sei mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit nicht vereinbar. Dagegen hat der XI. Senat des BFH in seinem noch vor dem SanInsFoG ergangenen 503 Urteil zur umsatzsteuerlichen Organschaft im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren zutreffend festgestellt, dass gerade kein Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit bestehen kann, wenn weder der Steueranspruch gegen die Organgesellschaft noch der Steueranspruch gegen den Organträger Masseverbindlichkeiten sind.1019) Auch die Aussagen des V. Senats des BFH legten dieses Ergebnis bei richtiger Betrachtung bereits nahe:1020) Im Beschluss wie im insoweit gleichlautenden Urteil1021) liegt der vom V. Senat erkannte Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit darin, dass das Finanzamt bei gedachtem Fortbestand der Organschaft nur die Möglichkeit hätte, einen auf die eigene Umsatztätigkeit des Organträgers beschränkten Steuerbescheid zu erlassen und die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen.1022) Der Konflikt mit der Unternehmenseinheit besteht nach dem BFH also offenbar nicht darin, dass gem. § 73 AO überhaupt auf die Organgesellschaft zurückgegriffen werden muss.1023) Eine solche Sichtweise wäre auch bedenklich, weil allein die Anwendung der gerade für diesen Fall vorgesehenen Haftungsvorschrift schwerlich gegen den Fortbestand der Organschaft sprechen kann.1024) Der BFH bemängelt vielmehr, dass die Umsatzsteuerverbindlichkeit aufgeteilt würde und mit dem durch Umsätze des Organträgers verursachten Anteil gegen den Organträger festgesetzt würde, für den auf die Umsätze der Organgesellschaft entfallenden Anteil dagegen die Organgesellschaft in die Haftung genommen würde. Diese Trennung der Steuerdurchsetzung nach Verursachern führe dazu, dass Organträger und Organgesellschaft faktisch nicht mehr gemeinsam besteuert würden, sondern beide Rechtsträger (auch für umsatzsteuerrechtliche Zwecke) getrennt behandelt und nur für ihre jeweilige Umsatztätigkeit zur Umsatzsteuer herangezogen würden. Der Konflikt liegt also in der unterschiedlichen Behandlung der beiden Steuerforderungen, nicht in der Notwendigkeit eines Haftungszugriffs auf die Organgesellschaft an sich. Nur so ergibt es auch Sinn, ___________ 1018) Kübler/Kahlert, HRI, 3. Aufl. 2019, § 57 Rn. 62; Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.); Witfeld, NZI 2017, 942, 943 (Anm.). 1019) BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 67; insoweit zust. Piroth, NZI 2020, 382, 383 (Anm.). 1020) Siehe bereits Rn. 454 ff. 1021) Im Urteil vom 15.12.2016 bleibt der BFH in Bezug auf die Insolvenz des Organträgers bei seiner Ansicht, sodass sich nicht ganz erschließt, warum Onusseit statt des Hauptsacheverfahrens auf das Aussetzungsverfahren verweist. 1022) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 31; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25. 1023) So aber Hasbach, ZInsO 2017, 914, 918. 1024) Vgl. auch Rn. 458.

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Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

dass der BFH die Situation als unvereinbar mit der bezweckten Verwaltungsvereinfachung ansieht, denn der Vereinfachungszweck wird kaum beeinträchtigt, wenn die gesamte Steuerverbindlichkeit gem. § 73 AO gegenüber der Organgesellschaft festgesetzt wird, hingegen sehr deutlich, wenn eine nach Ursprung der Verbindlichkeit differenzierende Steuerdurchsetzung erfolgt.1025) Daher muss ein Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit selbst bei konsequentem Fortdenken der Ansicht des BFH ausscheiden, wenn, wie in der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung und nach der Rechtslage vor dem SanInsFoG auch in der vorläufigen Eigenverwaltung, nicht nur die Steuerverbindlichkeit aus den Umsätzen der Organgesellschaft, sondern auch jene aus Umsätzen des Organträgers und damit einheitlich die gesamte Steuerverbindlichkeit als Insolvenzforderung qualifiziert wird. Es besteht entgegen Hasbach1026) gerade nicht derselbe Konflikt wie in der eröffneten Eigenverwaltung, sodass die Organschaft aus diesem Grund selbst dann nicht endet, wenn man der Ansicht des BFH folgt.

504 Der Umstand, dass das Finanzamt die Steuer nicht gegenüber dem Organträger festsetzen kann und sich daher insgesamt an die Organgesellschaft halten wird, könnte daher allenfalls als mit anderen umsatzsteuerlichen Grundsätzen unvereinbar angesehen werden. Es wurde jedoch bereits für das eröffnete Verfahren erörtert, dass auch ein solcher anderweitiger Konflikt nicht ersichtlich ist, sondern die Inanspruchnahme eines sekundären Haftungsschuldners in der Insolvenz des primären Schuldners durchaus systemgerecht, ja geradezu intendiert ist.1027)

3.

Störung des Ausgleichsmechanismus

505 Allerdings tritt die bereits im eröffneten Verfahren diskutierte Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichs infolge der mangelnden Möglichkeit der Organgesellschaft, eine tatsächliche Weiterleitung der vom Organträger vereinnahmten Vorsteuer zu erreichen, in den meisten Konstellationen im Eröffnungsverfahren auf.

a) Insolvenzrechtliche Qualifikation des Ausgleichsanspruchs 506 Für die Einordnung des Ausgleichsanspruchs im Eröffnungsverfahren lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden. Im praktischen Regelfall der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt kann der Ausgleichsanspruch nur als Insolvenzforderung entstehen, da der „halbstarke“ vorläufige ___________ 1025) Vgl. auch BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, DStR 2020, 494 Rn. 67. 1026) Hasbach, ZInsO 2017, 914, 918; ders., MwStR 2017, 262, 265. Hasbach übersieht aber offenbar, dass auch die Umsatzsteuer aus der Tätigkeit des Organträgers in der vorläufigen Eigenverwaltung grundsätzlich keine Masseverbindlichkeit darstellt (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174 und zuletzt BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 14/19, DStR 2020, 1674 Ls.). 1027) Rn. 458 f.

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B. Insolvenz des Organträgers

Verwalter grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten begründen kann. Auch § 55 Abs. 4 InsO hilft darüber nicht hinweg, da die Norm den Ausgleichsanspruch nicht erfasst. Dasselbe gilt bei „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung und für den eigenverwaltenden Schuldner im Eröffnungsverfahren. Zur zweiten Fallgruppe gehört zunächst die „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung. 507 Hier richtet sich die Qualifikation als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO. Ob es sich bei dem Ausgleichsanspruch tatsächlich um eine Masseverbindlichkeit oder nur um eine Insolvenzforderung handelt, hängt davon ab, ob der Anspruch als durch eine Handlung des vorläufigen Verwalters begründet angesehen wird. Insoweit kann auf die Erwägungen zum eröffneten Verfahren verwiesen werden.1028) Nach hier vertretener Auffassung wird der Ausgleichsanspruch durch die Verwaltung des Vermögens des Organträgers (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) begründet.1029) Die unterstützende Herleitung der Masseverbindlichkeit über § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO1030) kann im Eröffnungsverfahren daneben nicht herangezogen werden, da § 55 Abs. 2 InsO für das Eröffnungsverfahren keine dem § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO vergleichbare Regelung enthält, sodass ein vor Verfahrenseröffnung begründeter Bereicherungsanspruch bloße Insolvenzforderung ist.1031) Zu dieser zweiten Gruppe zählen auch Fälle, in denen das Insolvenzgericht eine 508 Einzelermächtigung zur Begründung der innerorganschaftlichen Ausgleichsansprüche als Masseverbindlichkeiten erteilt hat. Eine solche Ermächtigung ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO in der vorläufigen Insolvenzverwaltung, aber auch in der vorläufigen Eigenverwaltung1032) oder im Schutzschirmverfahren1033) denkbar. Hieran hat das SanInsFoG nichts geändert. Im Gegenteil sollen nun in vorläufiger Eigen___________ 1028) Rn. 472 ff. Die Regelung des § 55 Abs. 2 InsO gleicht inhaltlich derjenigen in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, vgl. BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, NJW 2016, 2572 Rn. 23; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 227. 1029) A. A. Hasbach, MwStR 2017, 262, 267; ders., ZInsO 2017, 914, 918. 1030) Siehe dazu Rn. 475 ff. 1031) Vgl. BeckOK-InsO/Erdmann, 21. Ed. 10/2020, § 55 Rn. 62; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 212; HambK-InsO/Jarchow, 7. Aufl. 2019, § 55 Rn. 22; Uhlenbruck/ Sinz, 15. Aufl. 2019, § 55 Rn. 85; KPB-InsO/Pape/Schaltke, 43. Lfg. 02/2011, § 55 Rn. 215; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Bähr/Lau, InsO, 4. Aufl. 2020, § 55 Rn. 17; differenzierend Stamm, FS S. Beck, 2016, S. 509, 523; auch K. Schmidt-InsO/Thole, 19. Aufl. 2016, § 55 Rn. 38; a. A. Jaeger-InsO/Henckel, 2004, § 55 Rn. 92 unter Hinweis auf das gleiche Schutzbedürfnis von Bereicherungs- u. Vertragsgläubigern; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 14.19 Fn. 80; HK-InsO/Lohmann, 10. Aufl. 2020, § 55 Rn. 30; Schulte-Kaubrügger, ZIP 2011, 1400, 1405. Der BGH musste die Streitfrage bisher nicht entscheiden, vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 258/12, NZI 2015, 273 (Rn. 20); auch OLG Hamm, Urt. v. 29.3.2011 – I-27 U 134/10, ZIP 2011, 2068. 1032) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, DStR 2019, 174 Rn. 8 ff., 17. 1033) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511, S. 37; MünchKomm-InsO/ Kern, 4. Aufl. 2020, § 270b Rn. 113; Braun/Riggert, 8. Aufl. 2020, § 270b Rn. 14; KPB-InsO/ Pape, 49. Lfg. 07/2012, § 270b Rn. 75; Frind, ZInsO 2012, 1099, 1104 f.; Ganter, NZI 2012, 433, 439; Landfermann, WM 2012, 869, 873.

217

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

verwaltung und im Schutzschirmverfahren ausschließlich Einzelermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in Betracht kommen.1034)

b) Folgen der insolvenzrechtlichen Qualifikation 509 Folge der Qualifikation des Ausgleichsanspruchs als Insolvenzforderung in der ersten Fallgruppe ist, dass der Anspruch der Organgesellschaft gegen den Organträger schon im Zeitpunkt seiner Entstehung tatsächlich uneinbringlich ist, weil der vorläufige Insolvenzverwalter oder der vorläufig eigenverwaltende Geschäftsleiter des Organträgers nicht dazu veranlasst, sondern im Gegenteil durch ein straf- und haftungsbewehrtes Verbot davon abgehalten wird, den Anspruch zu erfüllen. Soweit die Grundsätze der Insolvenzzweckwidrigkeit anwendbar sind, ist die Erfüllung des Anspruchs sogar unwirksam.1035) Die Organgesellschaft erhält dann die an ihre Lieferanten entrichtete Vorsteuer nicht erstattet. Diese offenkundige Belastung der Organgesellschaft mit Umsatzsteuer ist mit dem Charakter der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer und mit dem damit einhergehenden Grundsatz der Belastungsneutralität nicht vereinbar.1036) In dogmatischer Hinsicht entfällt die organisatorische Eingliederung, weil die Geschäftsleitung der Organgesellschaft der Beherrschungsmacht des Organträgers ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB entgegensetzen kann.1037) Die fehlende Insolvenzfestigkeit des § 273 BGB spielt im Eröffnungsverfahren insoweit noch keine Rolle.1038) Praktikabilitätsgründe sprechen dafür, dass die Organschaft bereits bei einer abstrakten Störung des Innenausgleichs endet, also unabhängig davon, ob die Organgesellschaft im einzelnen Voranmeldungszeitraum tatsächlich einen internen Vorsteuerüberhang oder eine interne Umsatzsteuerzahllast generiert.1039)

510 Ist der Ausgleichsanspruch dagegen im späteren Verfahren Masseverbindlichkeit, weil ein „starker“ vorläufiger Verwalter eingesetzt wurde oder insoweit die Begründung von Masseverbindlichkeiten angeordnet sein sollte, widerspricht die Erfüllung der Forderung nicht dem Pflichtenprogramm des vorläufigen Insolvenzverwalters oder der vorläufig eigenverwaltenden Geschäftsleitung. Der Innenausgleich bleibt funktionsfähig und die Organschaft kann fortbestehen.1040) ___________ 1034) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 62, 202. Siehe auch bereits Rn. 300 ff. 1035) Jedenfalls Handlungen des „starken“ und „halbstarken“ vorläufigen Verwalter können wegen Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam sein, vgl. Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, § 129 Rn. 152; Graf-Schlicker/Voß, 5. Aufl. 2020, § 22 Rn. 14 m. w. N. 1036) Siehe ausführlich unter Rn. 181 ff. Vgl. auch Hasbach, MwStR 2017, 262, 267 f.; ders., ZInsO 2017, 914, 918; Debus, EWiR 2018, 55, 56 (Anm.). 1037) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2350. 1038) Siehe dazu Rn. 467. 1039) Siehe Rn. 461. 1040) A. A. Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2350.

218

B. Insolvenz des Organträgers

4.

Zwischenergebnis

Die Rechtslage im vorläufigen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Organ- 511 trägers ergibt sich prinzipiell aus den Überlegungen zum eröffneten Verfahren. Im Einzelnen hängt der Fortbestand der Organschaft von der genauen Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens ab. 1. Bei Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters kann vollständig auf die Ausführungen für das eröffnete Verfahren verwiesen werden. Das gilt nicht nur für die klassische Feststellung der Eingliederungsmerkmale, sondern auch für einen etwaigen Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit oder eine Störung des Ausgleichsmechanismus. Beides liegt nach hiesiger Ansicht nicht vor, weil sowohl die Umsatzsteuerverbindlichkeit, ob aus Umsätzen des Organträgers oder der Organgesellschaft, als auch der Ausgleichsanspruch als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO zu qualifizieren sind. 2. Die Einsetzung eines bloß „halbstarken“ vorläufigen Verwalters wird häufig keine Auswirkungen auf die Eingliederungsmerkmale haben, sofern er nicht faktisch die Führung des Organträgers übernimmt. Dasselbe gilt bei Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters. Die Organschaft muss dennoch enden, weil in diesen Fällen die im Eröffnungsverfahren begründeten Ausgleichsansprüche der Organgesellschaft insbesondere auch nach § 55 Abs. 4 InsO keine Masseverbindlichkeiten darstellen, sodass der organschaftliche Innenausgleich seine Funktionsfähigkeit verliert. Die Umsatzsteuerverbindlichkeit könnte dagegen in Gänze unter § 55 Abs. 4 InsO subsumiert werden, sodass sich hieraus selbst dann keine Konflikte ergeben, wenn man die Festsetzbarkeit dieses Anspruchs gegenüber dem Organträger als konstitutiv erachtet. 3. Auch durch Anordnung der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung bleibt die Beherrschungsmöglichkeit grundsätzlich auf allen Ebenen unverändert. Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Organträgers – ob aus Umsätzen des Organträgers selbst oder aus solchen der Organgesellschaft – aus diesem Zeitraum sind stets Insolvenzforderungen, sodass von einer Aufspaltung der Unternehmenseinheit keine Rede sein kann. Die insolvenzbedingt schlechte Bonität der Steuerforderung gegenüber dem Organträger wird durch § 73 AO aufgefangen und erzwingt kein Ende der Organschaft. Da allerdings Ausgleichsansprüche der Organgesellschaft bloße Insolvenzforderungen sind, bedingt das Erfordernis einer belastungsneutralen Umsatzsteuererhebung einen Fortfall der Organschaft. Sollte der Organschaftsbestand im Einzelfall im Interesse der Gläubigergesamtheit sein, ergeben sich durch die Möglichkeit einer Einzelermächtigung zur Begründung der Ausgleichsansprüche als Masseverbindlichkeiten durch das Insolvenzgericht Gestaltungsspielräume.

219

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

III. Materielle Insolvenz 512 Eine Beendigung der Organschaft bei bloß materieller Insolvenz des Organträgers wird offenbar weitgehend nicht in Betracht gezogen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Belastungsneutralität muss dieses Verständnis überdacht werden.

1.

Eingliederungsmerkmale

513 Der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ändert zunächst nichts am Vorliegen der wirtschaftlichen und finanziellen Eingliederung. Auch die tatsächliche Durchsetzung des Willens in der Organgesellschaft im Sinne der organisatorischen Eingliederung wird nicht beeinträchtigt, sofern sie über personelle Verflechtungen hergestellt wird.

514 Wie im eröffneten Verfahren und im Eröffnungsverfahren wirkt sich die materielle Insolvenz allerdings dann auf die organisatorische Eingliederung aus, wenn diese über einen Beherrschungsvertrag vermittelt wird. Die Organschaft kann dann Weisungen nach § 308 AktG unter Berufung auf § 273 BGB verweigern, weil die Einbringlichkeit des Verlustübernahmeanspruchs aus § 302 AktG nicht mehr zu erwarten ist.1041) Eine Willensdurchsetzung auf Grundlage des Beherrschungsvertrages ist daher nicht mehr möglich.

2.

Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit

515 Der Eintritt der materiellen Insolvenz ändert nichts daran, dass das Finanzamt die Umsatzsteuer des gesamten Organkreises gegenüber dem Organträger festsetzen kann. Solange der Organträger trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Steuer abführt, stellen sich lediglich anfechtungsrechtliche Fragen. Stoppt der Organträger die Zahlungen und stellt er Insolvenzantrag, wird das Steuerfestsetzungsverfahren gem. § 240 Abs. 1 ZPO analog unterbrochen und das Finanzamt kann offene Forderungen gegen den Organträger nur noch als Insolvenzforderungen geltend machen.1042) Es wird sich daher gem. § 73 AO an die Organgesellschaft halten. Eine Aufteilung der Steuerverbindlichkeit, die im eröffneten Verfahren Bedenken des BFH im Zusammenhang mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit auslöste, findet nicht statt.1043) Auch sonstige Konflikte mit dem Bestand ___________ 1041) Wagner/Fuchs, BB 2017, 2202, 2208; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.29; vgl. auch Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 302 Rn. 40e. 1042) J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 3.188; BeckStLex/W. Maier, 53. Ed. 10/2020, Insolvenz Rn. 62. 1043) Etwas anderes gilt, wenn man der Ansicht folgt, die die Haftung aus § 73 AO auf die Verbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft beschränkt, vgl. Rn. 61 ff. Die in diesem Fall stattfindende Aufspaltung ist dann aber im System des § 73 AO angelegt und daher unbedenklich.

220

B. Insolvenz des Organträgers

der Organschaft ergeben sich aus dem Rückgriff auf den Haftungsanspruch aus § 73 AO nicht, wie oben bereits erläutert wurde.1044)

3.

Störung des Ausgleichsmechanismus

Für den Fall, dass bei der Organgesellschaft intern eine Umsatzsteuerzahllast entsteht, 516 ergeben sich keine Probleme bei der internen Herstellung der Belastungsneutralität, da die unterstellt solvente Organgesellschaft den Nachteil unproblematisch kompensieren kann. Im umgekehrten Fall hingegen, wenn die Organgesellschaft mehr Vorsteuer als Umsatzsteuer generiert, wird dem Organträger dieser Betrag vom Finanzamt erstattet und muss an die Organgesellschaft weitergegeben werden. Angesichts der materiellen Insolvenz liegt es nicht fern, dass der Ausgleichsanspruch der Organgesellschaft bereits im Zeitpunkt seiner Entstehung als uneinbringlich bewertet werden könnte. Andererseits lässt sich eine entsprechende generelle Regel in der bloß materiellen Insolvenz kaum aufstellen. Die Erfahrung lehrt vielmehr, dass auch nach Eintritt der Überschuldung und sogar nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Ansprüche befriedigt werden.1045) Diese für die insolvente Organgesellschaft dargelegte Beobachtung gilt für den insolventen Organträger ebenso, trifft diesen doch nicht einmal eine Insolvenzantragspflicht, sofern er keine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist (§ 15a InsO), auch wenn eine Strafbarkeit nach § 283 StGB denkbar bleibt. Es kann daher nur im Einzelfall bewertet werden, ob Ausgleichsansprüche der Organ- 517 gesellschaft als einbringlich angesehen werden. Ausgeschlossen ist die Einbringlichkeit jedenfalls für den Fall, dass der Organträger aufgrund seiner Liquiditätsprobleme die Ausgleichszahlungen an die Organgesellschaft einstellt. Dann muss die Organschaft enden. Sollte der Organträger die Ausgleichsansprüche hingegen trotz materieller Insolvenz befriedigen, scheinen diese zumindest vorläufig einbringlich. Die Probleme um den Fortbestand der Organschaft verschieben sich dann in den Bereich der Insolvenzanfechtung.

IV. Auswirkungen der Insolvenzanfechtung Spiegelbildlich zu den Ausführungen zur Insolvenz der Organgesellschaft können 518 in der Organträgerinsolvenz die Ausgleichszahlungen des Organträgers an die Organgesellschaft der Insolvenzanfechtung unterliegen.1046) Eine Anfechtung kommt dabei in Betracht, wenn der später insolvente Organträger aufgrund eines internen Vorsteuerüberhangs bei der Organgesellschaft einen Ausgleich an diese zahlt. Je nach Fallgestaltung kann der Insolvenzverwalter des Organträgers die Ausgleichszahlungen ___________ 1044) Siehe Rn. 454 ff. 1045) Siehe die parallelen Überlegungen unter Rn. 326 ff. 1046) Siehe zur Organgesellschaftsinsolvenz Rn. 336 ff.

221

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

gem. § 130 und § 133 InsO anfechten. Eine Anfechtung gem. § 135 Nr. 2 InsO scheidet dagegen im hiesigen Szenario aus, weil die Organgesellschaft (in aller Regel) keine Gesellschafterin des Organträgers ist. Auch eine Anfechtung nach § 131 InsO dürfte faktisch nicht in Betracht kommen.

519 Erfolgt eine Anfechtung, wird der Organgesellschaft durch die hieraus folgende Pflicht zur Rückgewähr des Ausgleichs gem. § 143 Abs. 1 InsO rückwirkend die Möglichkeit auf Vorsteuererstattung genommen, da die Ausgleichsforderung gem. § 144 InsO als uneinbringliche Insolvenzforderung auflebt. Bestünde die Organschaft fort, trüge die Organgesellschaft – und nicht der Endverbraucher – die Umsatzsteuerlast. Dieses mit dem Neutralitätsgrundsatz unvereinbare Ergebnis lässt sich nur vermeiden, indem die Organschaft rückwirkend für den Zeitraum entfällt, für den der Ausgleich durch die Anfechtung rückwirkend uneinbringlich geworden ist. Der Organgesellschaft ist dann für den Zeitraum der irrtümlich angenommenen Organschaft die Vorsteuer zu erstatten, gegenüber dem Organträger besteht gem. § 37 Abs. 2 AO ein Anspruch auf Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Vorsteuererstattung, dessen vollständige Durchsetzung aufgrund der Insolvenz Schwierigkeiten begegnen kann. Im Detail wird auf die spiegelbildlichen Ausführungen zur Insolvenz der Organgesellschaft verwiesen.1047)

V. Abweisung des Insolvenzantrags 520 In der Literatur wurde bei Abweisung des Insolvenzantrags des Organträgers mangels Masse teilweise ein Fortbestand der Organschaft angenommen, weil diese keine eigene unternehmerische Tätigkeit des Organträgers verlange.1048) Da aber mit der Abweisung des Insolvenzantrags nach § 26 InsO die Vermögenslosigkeit des Organträgers feststeht, ist die Einbringlichkeit von Ausgleichsansprüchen der Organgesellschaft gegenüber dem Organträger faktisch ausgeschlossen, sodass ein belastungsneutraler Organschaftsbestand nicht hergestellt werden kann. Nichts anderes gilt bei Einstellung des Verfahrens aufgrund von Massearmut, § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO.

C. Doppelinsolvenz 521 In der Praxis dürfte es nicht selten zu einer gleichzeitigen Insolvenz von Organträger und Organgesellschaft kommen (sog. Doppel- oder Simultaninsolvenz). Der Gesetzgeber hat in einer kürzlichen Reform der Insolvenzordnung davon Abstand genommen, für derartige Konzerninsolvenzen ein einheitliches Verfahren zu schaffen und sich stattdessen lediglich für eine stärkere prozessuale Koordinierung der Verfahren entschieden.1049) Da damit auch in der Doppelinsolvenz letztlich eigenständige ___________ 1047) Rn. 355 ff. 1048) Onusseit, ZIP 2003, 743, 751. 1049) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 13.4.2017, BGBl. I 2017, S. 866.

222

C. Doppelinsolvenz

Verfahren geführt werden, sind die Einzelerwägungen zur alleinigen Insolvenz des Organträgers und der alleinigen Insolvenz der Organgesellschaft grundsätzlich übertragbar. Auf die gleichwohl bestehenden Besonderheiten soll im Folgenden eingegangen werden.

I.

Eingliederungsmerkmale

In der Diskussion um die Eingliederung der Organgesellschaft im Falle einer Doppel- 522 insolvenz wird allgemein danach unterschieden, ob für beide Insolvenzverfahren derselbe (vorläufige) Insolvenzverwalter eingesetzt wird bzw. dieselbe Person die Eigenverwaltung leitet.1050)

1.

Personenverschiedene Verwaltung

Werden unterschiedliche (vorläufige) Verwalter eingesetzt, ergeben sich keine Be- 523 sonderheiten gegenüber den Ausführungen zu den Einzelinsolvenzen.1051) Die Erwägungen zur Insolvenz der Organgesellschaft und zur Insolvenz des Organträgers gelten vielmehr kumulativ. Anerkannt ist demnach das Entfallen der Organschaft jedenfalls für das eröffnete Regelverfahren.1052) Nach hier vertretener Auffassung endet die Organschaft bereits im Eröffnungsverfahren sowie im eröffneten und vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren.

___________ 1050) Gegen diese sonst allgemein getroffene Unterscheidung argumentiert Zeeck, KTS 2006, 407, 416 ff., die Organschaft werde dadurch an den zufälligen Umstand der Einsetzung gleicher oder unterschiedlicher Verwalter geknüpft, der nicht auf den Fortbestand der Organschaft durchschlagen dürfe. Zudem sei der Bestand der Organschaft für die Sanierung bisweilen förderlich. Unabhängig davon, dass die Einsetzung gleicher oder verschiedener Verwalter nicht mehr vom Zufall abhängt als bspw. die (für die Organschaft ebenfalls bedeutsame) Verfahrensführung in Fremd- oder Eigenverwaltung, ist der Wunsch nach einem davon unabhängigen Bestand der Organschaft de lege lata kein geeignetes Argument. Die Eingliederung hängt unter anderem von der Durchsetzbarkeit des Willens ab, die maßgeblich durch die Gestaltung der Insolvenzverwaltung beeinflusst werden kann. Das Fazit, „es [müsse] möglich sein, die Organschaft zu erhalten“, klingt schließlich auch eher nach Apell denn nach Subsumtion. 1051) Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.223; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 153; Onusseit, ZIP 2003, 743, 752. 1052) Schon Schiffer, DStR 1998, 1989, 1991 f. zur KO; Maus, GmbHR 2005, 859, 862; Beck/Depré/ Depré/Dobler, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 35 Rn. 78; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 901; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 165; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.223; Waza/Uhländer/Schmittmann/ Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1939 f.; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 219; Onusseit, ZIP 2003, 743, 752; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 153 f.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 270.

223

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

2.

Personengleiche Verwaltung

524 Besonderheiten sollen sich ergeben, wenn für beide Rechtsträger derselbe (vorläufige) Insolvenzverwalter eingesetzt wird oder eine identische eigenverwaltende Geschäftsleitung besteht.

a) Eröffnetes Regel- und Eigenverwaltungsverfahren 525 Tragender und unumstrittener Grund für die Beendigung der Organschaft in der Insolvenz der Organgesellschaft ist die fehlende organisatorische Eingliederung, weil der Organträger seinen Willen nach Einsetzung eines Insolvenzverwalters bei der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen kann. Für den Fall der Einsetzung eines identischen Insolvenzverwalters für Organträger und Organgesellschaft wird häufig darauf verwiesen, dass der Verwalter seinen Willen sowohl beim Organträger als auch bei der Organgesellschaft durchsetzen könne, sodass die Organschaft fortbestehe.1053) Die Situation gleiche derjenigen der Personalunion der Geschäftsleitungen außerhalb der Insolvenz.

526 Dem ist nicht zuzustimmen. Der Organträger kann seinen Willen in der Organgesellschaft auch bei personengleicher Verwaltung nicht durchsetzen, sodass die organisatorische Eingliederung entfällt.1054) Selbst wenn derselbe Verwalter für beide Rechtsträger eingesetzt wird, ändert dies nichts daran, dass er jeweils eigenständige Pflichtenprogramme zugunsten der Gläubiger des jeweiligen Rechtsträgers zu befolgen hat.1055) Der Insolvenzverwalter hat die Organgesellschaft nicht nach Maßgabe des für den Organträger gebildeten Willens zu führen, sondern gemäß den Interessen der Gläubigergemeinschaft der Organgesellschaft. Diese Unterwerfung unter die ___________ 1053) OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2.3; Schiffer, DStR 1998, 1989, 1991 f. zur KO; Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.41; Beck/Depré/Depré/Dobler, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 35 Rn. 77; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014, S. 269 f.; Farr, Besteuerung in der Insolvenz, 2005, Rn. 426; MünchKomm-InsO/Schüppen/Schlösser, 4. Aufl. 2020, Insolvenzsteuerrecht Rn. 425; Wagner/Fuchs, BB 2014, 2583, 2591; dies., ZInsO 2016, 1719, 1720 (Anm.); de Weerth, NZI 2017, 363 (Anm.); Trinks, UVR 2010, 12, 16; Schnarrenberger, Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2014, S. 216. 1054) Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.); J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.389; vermittelnd Onusseit, ZIP 2003, 743, 752; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 219; Wäger, UR 2014, 81, 91; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 510. Im Ergebnis auch BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599; wohl auch Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1940; im Ergebnis auch Abschnitt 2.8 Abs. 12 Satz 5 UStAE i. d. F. vom 6.2.2020. 1055) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 41; zuvor bereits Mitlehner, ZIP 2002, 1816, 1818 (Anm.); J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.389; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 219; Wäger, UR 2014, 81, 91; vermittelnd Onusseit, ZIP 2003, 743, 752; Maus, GmbHR 2005, 859, 863.

224

C. Doppelinsolvenz

Gesamtgläubigerinteressen schließt eine gleichzeitige Ausrichtung am Willen des Organträgers aus, dessen Interessen als Gesellschafter in der Insolvenz gerade von untergeordneter Bedeutung sind. Die durch das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen 527 vom 13.4.20171056) eingeführten Vorschriften über eine gemeinsame Verwalterbestellung bei Schuldnern derselben Unternehmensgruppe bestätigen dieses Ergebnis. Nach § 56b Abs. 1 Satz 2 InsO ist vor der Bestellung eines gemeinsamen Verwalters insbesondere zu erörtern, ob dieser alle Verfahren mit der gebotenen Unabhängigkeit wahrnehmen kann. Das Gesetz betont also die eigenständigen Pflichtenbindungen des gemeinsamen Verwalters in der Konzerninsolvenz besonders. Nur soweit die getroffenen Maßnahmen gleichermaßen der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung beider Schuldner dienen, lassen sich die Unternehmen gleichgerichtet führen – auch dann aber nicht ausgerichtet am Wohle des Organträgers, sondern am Wohle der jeweiligen Gläubigergemeinschaft. Umgekehrt führt schon die bloße Möglichkeit von Interessenkonflikten dazu, dass gem. § 56b Abs. 2 Satz 3, Abs. 1 Satz 2 InsO ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wird. Damit entfällt die Personenidentität der Geschäftsleitungen in potenziellen Konfliktsituationen. Eine tatsächliche Nichtbefolgung des jeweiligen Pflichtenprogramms liegt fern. Daher bleibt es auch dann bei einem Ende der organisatorischen Eingliederung, wenn man entsprechend den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellt.1057) Weil die organisatorische Eingliederung eine Willensdurchsetzung des Organträgers 528 erfordert, ändert sich an diesem Befund auch durch ein einheitliches Sanierungskonzept für beide Rechtsträger nichts.1058) Dadurch mag zwar der Wille von Organgesellschaft und Organträger gleichgerichtet sein, erforderlich für die Organschaft ist jedoch eine Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers, also eine einseitige Willensdurchsetzung des Organträgers, und nicht lediglich, dass Organträger und Organgesellschaft gleichgeordnet nebeneinander stehen. Die für die Organschaft nach deutschem Recht wesentliche Über-/Unterordnung fehlt hier. Diese Überlegungen zum Regelverfahren gelten ebenso für die Eigenverwaltung.1059) 529 Im Grunde war dort schon bei der alleinigen Insolvenz der Organgesellschaft Ausgangspunkt der Überlegungen, dass bei Organträger und Organgesellschaft eine personengleiche Geschäftsleitung tätig ist. Die zusätzliche Insolvenz des Organträgers ändert insoweit nichts. Wie oben gilt, dass das eigenständige Pflichtenprogramm ___________ 1056) BGBl. I 2017, S. 866. 1057) Vgl. bereits Rn. 153; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.222; ähnlich KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 157. 1058) So aber Maus, GmbHR 2005, 859, 863; Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357, 1362. 1059) Kahlert, ZIP 2013, 2348, 2351.

225

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

der im Insolvenzverfahren befindlichen Organgesellschaft und ihrer Geschäftsleitung einer Beherrschung durch den Organträger entgegensteht.1060) Aufgrund der Haftung ist zu erwarten, dass das tatsächliche Handeln an diesen Pflichten ausgerichtet wird. Das gilt erst recht bei Einsetzung eines externen Sanierungsexperten (CRO/CIO). Ob identische oder verschiedene Sachwalter eingesetzt werden, ist für die organisatorische Eingliederung ohnehin nicht von Belang, da der Sachwalter weder für die Willensbildung oder -durchsetzung beim Organträger zuständig ist noch über die Willensbefolgung bei der Organgesellschaft entscheidet.

b) Eröffnungsverfahren 530 Bei jeweiliger Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters für Organträger und Organgesellschaft ergibt sich dasselbe Bild wie im eröffneten Regelverfahren.1061) Die Verpflichtung des vorläufigen Verwalters auf die jeweiligen Gläubigerinteressen schließt eine Durchsetzung des Willens des Organträgers aus und hindert so die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft.

531 Wird im Eröffnungsverfahren von Organträger und -gesellschaft ein „halbstarker“ vorläufiger Verwalter eingesetzt, entfällt die organisatorische Eingliederung ebenfalls. Zwar ist denkbar, dass die Geschäftsleitung der Organgesellschaft weiterhin den Willen des Organträgers umsetzen möchte, doch benötigt sie für wesentliche Geschäfte die Zustimmung des vorläufigen Verwalters. Der vorläufige Insolvenzverwalter unterliegt für jedes Verfahren einer eigenständigen, haftungsbewehrten Massesicherungspflicht, die dafür sorgt, dass bei der Organgesellschaft die Zustimmung im Sinne der Gläubiger erteilt wird, nicht im Sinne der Interessen des Organträgers. Für die Beurteilung macht es keinen Unterschied, ob derselbe Verwalter auch beim Organträger eingesetzt wurde.

532 Auch für die vorläufige Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren kann auf die alleinige Insolvenz der Organgesellschaft verwiesen werden.1062) Das Pflichtenprogramm der eigenverwaltenden Organgesellschaft und ihrer Geschäftsleitung hindert eine Beherrschung durch den Organträger bereits im Eröffnungsverfahren. Die gleichzeitige Beantragung eines Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen ändert daran nichts.1063) Aus diesem Grund konnte sich das FG Münster in seinem Urteil zur simultanen vorläufigen Eigenverwaltung von Organträger und Organgesellschaft auf die Untersuchung der Folgen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft beschränken.1064) ___________ 1060) 1061) 1062) 1063) 1064)

226

Siehe Rn. 152 ff., insbesondere unter Rn. 159 ff. Vgl. auch FK-InsO/Boochs/Nickel, 9. Aufl. 2018, § 155 Rn. 1060. Siehe Rn. 271 ff. Kahlert, ZIP 2013, 2548, 2350. FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, ZIP 2017, 2217, 2220.

C. Doppelinsolvenz

II. Störung des Ausgleichsmechanismus Zusätzlich entsteht immer dann eine den Grundsatz der Belastungsneutralität ver- 533 letzende Störung des Innenausgleichs, wenn für die am Organkreis Beteiligten tatsächlich keine Möglichkeit besteht, im Wege eines Innenausgleichs in voller Höhe Ersatz für ihre Belastungen zu erhalten. Im Falle der Doppelinsolvenz hat stets je einer der Rechtsträger gegen den anderen einen Ausgleichsanspruch, im Falle eines internen Vorsteuerüberhangs die Organgesellschaft, bei einer Zahllast der Organträger. Die Einbringlichkeit der Ansprüche hängt von ihrer insolvenzrechtlichen Qualifikation ab, die für die jeweiligen Verfahren oben bereits vorgenommen wurde. Im Folgenden werden die hier gefundenen Ergebnisse kurz zusammengefasst: Im eröffneten Verfahren sind die Ausgleichsansprüche in beiden Szenarien als 534 Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren, sodass sie vorbehaltlich des Eintritts der Masseunzulänglichkeit oder gar -armut grundsätzlich einbringlich sind.1065) Im Eröffnungsverfahren ist zu differenzieren. Wird jeweils ein „starker“ vorläufiger 535 Verwalter eingesetzt, handelt es sich beim Ausgleichsanspruch nach hier vertretener Auffassung um eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 2 InsO.1066) Wird ein vorläufiger Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt eingesetzt, handelt es sich im jeweiligen Verfahren dagegen nicht um Masseverbindlichkeiten. Anwendbar wäre in dieser Konstellation einzig § 55 Abs. 4 InsO, doch erfasst die Norm keine kompensatorischen Ansprüche zwischen den am Organkreis Beteiligten. In der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung ebenso wie im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren oder Schutzschirmverfahren können die Ausgleichsansprüche ebenfalls keine Masseverbindlichkeiten sein,1067) wenn nicht eine entsprechende Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt ist.1068) In diesen Fällen steht also auch die fehlende Möglichkeit der Kompensation der durch die Organschaft bewirkten Vermögensverschiebungen einem Fortbestand der Organschaft entgegen. Befinden sich beide Parteien noch im Stadium der materiellen Insolvenz, ist eine 536 eindeutige Aussage abstrakt kaum zu treffen, weil die Ansprüche nicht per se uneinbringlich sein müssen. Im Falle der Insolvenzanfechtung und einer daraus resultierenden Rückzahlungspflicht wird der innerorganschaftliche Ausgleich hingegen derart gestört, dass die Organschaft rückwirkend entfallen muss.1069)

___________ 1065) Siehe für den Ausgleichsanspruch des Organträgers bei einer internen Umsatzsteuerzahllast Rn. 224 ff., für den Anspruch der Organgesellschaft bei internem Vorsteuerüberhang Rn. 472 ff. 1066) Siehe für den Anspruch des Organträgers in der Insolvenz der Organgesellschaft Rn. 243, für den Anspruch der Organgesellschaft in der Insolvenz des Organträgers Rn. 507. 1067) Siehe Rn. 297 einerseits und Rn. 506 andererseits. 1068) Siehe Rn. 300 ff. einerseits und Rn. 508 andererseits. 1069) Siehe Rn. 334 ff. für die Organgesellschaftsinsolvenz, Rn. 518 f. für die Organträgerinsolvenz.

227

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

537 Insgesamt steht die Undurchführbarkeit der internen Kompensation dem Fortbestand der Organschaft nach hier vertretener Ansicht also zwar nicht im eröffneten Regeloder Eigenverwaltungsverfahren oder in der „starken“ vorläufigen Verwaltung, wohl aber in der vorläufigen Eigenverwaltung, der praktisch häufigen „halbstarken“ vorläufigen Verwaltung oder der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung entgegen.

III. Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit 538 Obwohl der Leitentscheidung des BFH vom 15.12.2016 eine gleichzeitige Insolvenz von Organträger und Organgesellschaft zugrunde lag, hat er sich im Rahmen der inhaltlichen Untersuchung bemerkenswerterweise nicht spezifisch mit den Auswirkungen der Doppelinsolvenz auseinandergesetzt.1070) Lediglich am Schluss konstatiert er (zutreffend), die Bestellung eines personenidentischen Sachwalters oder Insolvenzverwalters sei ohne Bedeutung.1071) Der V. Senat untersucht stattdessen die Auswirkungen der Insolvenzen des Organträgers und der Organgesellschaft unabhängig voneinander und stellt für die Insolvenz des Organträgers einen Widerspruch mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit fest, da es sich nur bei den Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Umsätzen des Organträgers selbst um Masseverbindlichkeiten handele und nur dieser Steueranteil gegen den Organträger festgesetzt werden könne. Bezüglich der Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft müsse sich die Finanzverwaltung hingegen gem. § 73 AO an die Organgesellschaft halten.1072)

539 Bereits für die Einzelinsolvenz des Organträgers wurde diese Auffassung nicht geteilt, da die Verbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft bei einer Begründung im eröffneten Verfahren durchaus als Masseverbindlichkeit des Organträgers angesehen werden kann. Dasselbe gilt bei einer Begründung im Eröffnungsverfahren bei Einsetzung eines „starken“ oder „halbstarken“ vorläufigen Verwalters und nach dem SanInsFoG nun auch in der vorläufigen Eigenverwaltung, nicht dagegen in der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung.1073) Zusätzlich wurde erläutert, dass selbst unabhängig von der insolvenzrechtlichen Qualifikation keine Unvereinbarkeit mit dem organschaftlichen Grundsatz der Unternehmenseinheit besteht, weil der in § 73 AO vorgesehene Zugriff auf die sekundär haftende Organgesellschaft schwerlich als ___________ 1070) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 4. Tatsächlich bestand die Organschaft aus einem Organträger und acht Organgesellschaften, für die alle die Eigenverwaltung angeordnet wurde. Das Hinzutreten weiterer insolventer Organgesellschaft ändert in systematischer Hinsicht indes nichts. Vgl. Albrecht, Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die Organschaft, 2018, S. 90. 1071) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 39. 1072) BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 = BStBl. II 2017, 600 = DStR 2017, 599 Rn. 25. 1073) Siehe Rn. 495 ff. Im letztgenannten Fällen kann allerdings auch die Steuerverbindlichkeit aus den eigenen Umsätzen des Organträgers keine Masseverbindlichkeit darstellen.

228

C. Doppelinsolvenz

Systemfehler angesehen werden kann.1074) Hieran ändert die gleichzeitige Insolvenz der Organgesellschaft nichts. Bezieht man die Besonderheiten der Doppelinsolvenz mit ein, ergibt sich zudem 540 ein noch komplexeres Bild, auf das die Argumentation des BFH nicht mehr ohne Weiteres passt. Selbst wenn man mit dem BFH die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft nicht als Masseverbindlichkeit des Organträgers einordnet, erscheint die Feststellung vorschnell, das Finanzamt werde dann die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch nehmen. Denn ob der Anspruch nach § 73 AO gegen die ebenfalls im Insolvenzverfahren befindliche Organgesellschaft einbringlich ist, ob das Finanzamt ihn also aussichtsreich verfolgen wird, hängt wiederum von dessen insolvenzrechtlicher Qualität ab. Hierbei liegt eine ähnliche Sichtweise wie für den Ausgleichsanspruch des Organträgers in der Insolvenz der Organgesellschaft nahe.1075) Der BFH meint, der Ausgleichsanspruch werde nicht durch den konkreten Umsatz der Organgesellschaft, sondern durch die Organschaft begründet.1076) Dies spricht dafür, dass der BFH auch für den Anspruch aus § 73 AO keine Begründung durch die Verwaltung der Masse der Organgesellschaft und damit keine Masseverbindlichkeit annehmen würde.1077) Die Durchsetzbarkeit des Haftungsanspruchs gegen die Organgesellschaft stünde in diesem Fall aber unter den gleichen Vorzeichen wie die Durchsetzung des primären Steueranspruchs gegen den Organträger; die Einbringlichkeit beider Ansprüche wäre gleichermaßen unwahrscheinlich. Die Annahme, das Finanzamt werde nach § 73 AO die Organgesellschaft statt den Organträger als Haftende in Anspruch nehmen, ist für den Fall der Doppelinsolvenz also höchst zweifelhaft, selbst wenn man die Ansicht des BFH fortdenkt. Die vom BFH gesehene Aufspaltung der Steuerverbindlichkeit bestünde dann jeden- 541 falls nicht in der Weise, dass Organträger und Organgesellschaft jeweils für die Verbindlichkeit aus ihren Umsätzen in Anspruch genommen würden. Es verbliebe nach Ansicht des BFH im eröffneten Verfahren allerdings dabei, dass die Steuerforderung aus Umsätzen des Organträgers per Steuerbescheid festgesetzt werden könnte, während im Hinblick auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft nur eine Anmeldung als Insolvenzforderung zur Tabelle bliebe.

___________ 1074) Siehe Rn. 501. 1075) Siehe dazu Rn. 224 ff. 1076) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = DStR 2014, 793 Rn. 36; zust. Hasbach, MwStR 2017, 262, 266. 1077) Vgl. die ähnlichen Erwägungen zu § 55 Abs. 4 InsO bei Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1941.

229

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

D. Folgen des Bestands und der Beendigung der Organschaft in Krise und Insolvenz 542 Die Feststellungen zum Fortbestand und der Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz werfen zwangsläufig die Frage nach den Folgen des Bestands und der Beendigung auf, der im Folgenden im Überblick nachgegangen wird. Auf Einzelheiten des Steuerverfahrensrechts soll in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.

I.

Folgen bei Bestand der Organschaft

543 Für einzelne Konstellationen in der Alleininsolvenz des Organträgers wurde ein Fortbestand der Organschaft für möglich gehalten. Für diese Fälle werden die Umsätze der Organgesellschaft weiterhin dem Organträger zugerechnet, er ist als Unternehmen steuerpflichtig. Die Organgesellschaft haftet lediglich nachrangig nach § 73 AO. Inwieweit die Umsatzsteuerverbindlichkeit beim Organträger eine Masseverbindlichkeit darstellt, richtet sich für die eigene Umsatztätigkeit des Organträgers nach allgemeinen Grundsätzen, für die zugerechnete Umsatztätigkeit der Organgesellschaft wird auf die obigen Erwägungen verwiesen.1078) Umsätze zwischen den Rechtsträgern bleiben bei einem Fortbestand der Organschaft als Innenumsätze nicht steuerbar.

544 In der Literatur wurde teilweise die Vor- und Nachteilhaftigkeit des Fortbestands der Organschaft für die jeweiligen Massen dargestellt, die sich daraus ergeben könne, dass die Umsatzsteuer oder Vorsteuer voll vereinnahmt wird, der entsprechende Ausgleichsanspruch aber nur quotal befriedigt werden muss.1079) Nach dem hier vorgeschlagenen Konzept kann es zu derartigen Vermögensverschiebungen zwischen den Beteiligten des Organkreises nicht mehr kommen, da die Organschaft danach überhaupt nur in den Situationen fortbesteht, in denen die Ausgleichsansprüche bei ihrer Entstehung tatsächlich einbringlich sind.1080) Taktischen Erwägungen, die letztlich auf eine Bereicherung der Masse der Tochter auf Kosten der Mutter oder umgekehrt zielen, wird so der Boden entzogen.

II. Folgen bei Beendigung der Organschaft 545 In allen Stadien der Insolvenz der Organgesellschaft, der Doppelinsolvenz und in einigen Konstellationen der Einzelinsolvenz des Organträgers endet die Organschaft. ___________ 1078) Siehe eingehend für das eröffnete Verfahren Rn. 415 ff., für das Eröffnungsverfahren Rn. 495 ff. 1079) Vgl. Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 506 zur vorläufigen Insolvenz der Organgesellschaft. 1080) Etwas anderes gilt für offene Ausgleichsforderungen aus dem Zeitraum vor der Beendigung der Organschaft, die als Insolvenzforderungen im Insolvenzverfahren durchaus uneinbringlich sein können, ohne dass sich hieraus etwa ein rückwirkender Fortfall der Organschaft ergäbe, vgl. Rn. 207 ff.

230

D. Folgen des Bestands und der Beendigung der Organschaft in Krise und Insolvenz

Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft sind Organträger und Organ- 546 gesellschaft zwei selbständige Unternehmen.1081) Die unter Rn. 55 ff. genannten Rechtsfolgen entfallen. Umsätze zwischen dem früheren Organträger und der früheren Organgesellschaft sind keine Innenumsätze mehr und daher voll steuerbar.1082) Insbesondere ist nicht mehr der ehemalige Organträger, sondern nunmehr die ehema- 547 lige Organgesellschaft Umsatzsteuerschuldnerin der auf ihre Umsätze entfallenden Umsatzsteuer.1083) Die genaue zeitliche Zuweisung der Umsatzsteuerverbindlichkeit aus Umsätzen der Organgesellschaft richtet sich dabei nach dem Zeitpunkt der Leistungsausführung.1084) Denn Steuerschuldner ist der Unternehmer (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG), der sich wiederum darüber definiert, dass er Lieferungen oder sonstige Leistungen ausführt.1085) Die Steuerschuldnerschaft für solche Leistungen, die vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, liegt damit noch beim Organträger, auch wenn die Steuer erst nach Beendigung der Organschaft mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes entsteht.1086) Wird die Leistung nach Beendigung der Organschaft ausgeführt, schuldet die ehemalige Organgesellschaft selbst die Steuer. Das Ergebnis überzeugt, denn nur während des Fortbestands der Organschaft hat der Organträger Einfluss auf die Ausführung der Umsätze, sodass seine Haftung gerechtfertigt ist. Eine nach Beendigung der Organschaft stattfindende Leistungsausführung entzieht sich dagegen der Steuerungsmöglichkeit des Organträgers und kann daher nicht zugerechnet werden. Gleichzeitig ist die ehemalige Organgesellschaft selbst Inhaberin der Vorsteuerer- 548 stattungsansprüche für von ihr gezahlte Vorsteuer, soweit die entsprechenden Leistungen nach Beendigung der Organschaft bezogen wurden. Für vor Beendigung der Organschaft bezogene Leistungen steht der Vorsteuerabzug hingegen noch dem ___________ 1081) Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 166; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1944; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungsund Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.231; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.391; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 508. 1082) Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.231; Jaeger-InsO/Fehrenbacher, 2016, InsSteuerR Rn. 166. 1083) Für die Umsätze des Organträgers ergeben sich dagegen keine Schwierigkeiten, vgl. Kahlert/ Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.233. 1084) Bereits FG Düsseldorf, Urt. v. 23.4.1993 – 5 K 531/90 U, EFG 1993, 747; Kahlert/Rühland/ Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.234; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.392; K. Schmidt-InsO/Schmittmann, 19. Aufl. 2016, Anhang Steuerrecht Rn. 221; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 509; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 828. 1085) FG Düsseldorf, Urt. v. 23.4.1993 – 5 K 531/90 U, EFG 1993, 747; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 509. 1086) OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 1; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1945; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.235.

231

Teil 2: Fortbestand und Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenz und Krise

ehemaligen Organträger zu.1087) Auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung kommt es nicht an.1088)

549 Zu den besonderen Rechtsfolgen eines rückwirkenden Fortfalls der Organschaft infolge der Insolvenzanfechtung wird auf die Ausführungen unter Rn. 365 ff. verwiesen.

E. Annex: Unerkannte Organschaft 550 Von einer unerkannten Organschaft wird gesprochen, wenn sich erst im Insolvenzverfahren durch eine genaue Prüfung der bisherigen Umstände ergibt, dass zwischen einer insolventen Gesellschaft und einem anderen Rechtsträger als Organträger eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand.1089) Mitunter wird eine Suche nach einer solchen unerkannten Organschaft den Insolvenzverwaltern oder den Finanzämtern empfohlen, um die Masse zu mehren oder einen zusätzlichen Schuldner zu gewinnen.1090) Denn würde rückwirkend der Bestand einer Organschaft festgestellt, erhielte eine insolvente Organgesellschaft – in den Grenzen der Festsetzungsverjährung – die Steuer, die sie fälschlicherweise an das Finanzamt abgeführt hat, gem. § 37 Abs. 2 AO erstattet.1091) Das Finanzamt könnte sich spiegelbildlich an den Organträger halten und von diesem auch die bei der Organgesellschaft mittlerweile uneinbringlich gewordenen Steuerbeträge verlangen. Die den Organträger treffende enorme Steuerlast würde nicht durch einen Ausgleichsanspruch gegenüber der Organgesellschaft kompensiert, weil dieser in der Organgesellschaftsinsolvenz nicht werthaltig wäre. Letztlich würde dadurch der Steuerausfall für den Fiskus minimiert, weil an die Stelle der insolventen Organgesellschaft der Organträger träte, während gleichzeitig die Masse der insolventen Organgesellschaft auf Kosten des Organträgers angerei-

___________ 1087) OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1945; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.237; J. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 4.395; Götz/Dal Bosco, DZWIR 2013, 505, 509. 1088) BFH, Urt. v. 13.5.2009 – XI R 84/07, BFHE 225, 282 = BStBl. II 2009, 868 = DStR 2009, 1533; OFD Frankfurt a. M., Verf. v. 25.11.2015 – S 7105 A-21-St 110, BeckVerw 321817 unter 2; Waza/Uhländer/Schmittmann/Waza, Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl. 2019, Rn. 1945; Kahlert/Rühland/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 9.237; Maus, FS Uhlenbruck, 2000, S. 813, 828. 1089) KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 171 ff.; Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 414 f.; Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 290; Maus, GmbHR 2005, 859, 864. Siehe auch bereits oben Rn. 59. 1090) Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653; Neu/Ebbinghaus, ZInsO 2016, 999, 1003; Nickert/Nickert, ZInsO 2004, 479 u. 601 („erfreuliche Einnahmequelle“). 1091) BFH, Urt. v. 23.8.2001 – VII R 94/99, DStRE 2002, 174; BFH, Beschl. v. 16.11.2004 – VII B 106/04, BeckRS 2004, 25007457; Maus, GmbHR 2005, 859, 864.

232

E. Annex: Unerkannte Organschaft

chert würde.1092) Der Effekt würde freilich geschmälert, falls der Organträger (bspw. infolge der ihn plötzlich treffenden enormen Steuerlast) ebenfalls in die Insolvenz fällt, da dann gegenüber der Organgesellschaft der Haftungsanspruch nach § 73 AO Bedeutung erlangen würde, wobei umstritten ist, inwieweit dem Finanzamt eine Aufrechnung gegenüber dem Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO möglich ist.1093) Nach der obigen Untersuchung zur Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft 551 in Krise und Insolvenz bleibt für diese sog. unerkannte Organschaft kein Raum mehr. Sie scheitert an der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs für den betreffenden Zeitraum. Zwar wurde die Einschränkung gemacht, dass die nachträglich eintretende Uneinbringlichkeit nicht immer den Bestand der Organschaft in Zweifel zieht, wenn der Anspruch im Zeitpunkt seiner Entstehung einbringlich war.1094) Das gilt aber nur dann, wenn dem Anspruchsinhaber ein bewusstes „Stehenlassen“ im Sinne einer faktischen Darlehensgewährung unterstellt werden kann, weil er dann privatautonom das Insolvenzrisiko des Anspruchsgegners übernimmt. Im Fall der unerkannten Organschaft ist den Beteiligten aber gerade verborgen geblieben, dass eine Organschaft und damit ein Ausgleichsanspruch überhaupt bestehen könnte. Die Probleme rund um die unerkannte Organschaft lösen sich also auf, wenn man die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs als Voraussetzung der Organschaft anerkennt, um einen Verstoß gegen das nationale und unionale Prinzip der Belastungsneutralität zu vermeiden. Es bleibt dann bei der ohnehin gelebten getrennten Abrechnung, komplizierte 552 Rückrechnungen erübrigen sich. Die Organschaft kann nicht mehr entgegen ihrem Vereinfachungszweck als Instrument genutzt werden, um der Masse oder dem Staat einen unverhofften Vermögensvorteil zu bescheren.

___________ 1092) Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653, 1656; Langer/Hammerl, DStR 2013, 896, 901; Walter/ Stümper, GmbHR 2006, 68, 71, die offenbar Bedenken gegen eine solche Praxis hegen; Müller/ Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1373, der kapitalgesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung unterlaufen sieht. 1093) Für die Aufrechnungsmöglichkeit Sölch/Ringleb/Treiber, 89. EL 06/2020, § 2 Rn. 292; Maus, GmbHR 2005, 859, 864; Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653, 1655 f. Für ein Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Sonnleitner/Witfeld, InsSteuerR, 2017, Kap. 5 Rn. 415; differenzierend KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 172. 1094) Siehe Rn. 207 ff.

233

Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick Die Untersuchung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz hat 553 mitunter erhebliche Schwierigkeiten bei der gleichzeitigen Beachtung umsatzsteuerrechtlicher und insolvenzrechtlicher Grundsätze offenbart. Die Erkenntnisse indizieren einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Hinblick auf das Rechtsinstitut der Organschaft, der im Folgenden zusammenfassend dargestellt wird. Nachdem die bereits seit geraumer Zeit existierenden Rufe nach einem normativen Eingreifen lange ungehört zu bleiben schienen, darf seit der Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers des Bundesministeriums der Finanzen am 14.3.2019 gehofft werden, dass das deutsche Modell der umsatzsteuerlichen Organschaft mittelfristig reformiert wird. Neben dem im genannten Papier vorgeschlagenen Konzept werden hierfür unterschiedliche Lösungsansätze diskutiert. Die Eignung der verschiedenen Modelle sollte von Beginn an auch vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Implikationen überprüft werden, um die bestehenden insolvenzsteuerrechtlichen Konfliktherde effektiv zu beseitigen. Ein entsprechender Versuch wird unter Rn. 556 ff. vorgenommen.

A. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf Schon seit mehreren Jahren wird die Konformität des deutschen Organschaftsmodells 554 mit Art. 11 MwStSystRL in Zweifel gezogen.1095) Diese Zweifel lassen sich kaum noch zerstreuen, hat doch der EuGH inzwischen nicht nur hinsichtlich des Ausschlusses von Personengesellschaften aus dem Organkreis, sondern insbesondere auch hinsichtlich des deutschen Über-/Unterordnungserfordernisses unionsrechtliche Bedenken geäußert.1096) Die Vorlagen des V. und XI. Senats des BFH zur Steuerschuldnerschaft eines Mitglieds des Organkreises – und nicht des Organkreises selbst – könnten noch weitere Unvereinbarkeiten mit Art. 11 MwStSystRL aufdecken.1097) In der Literatur werden einerseits wegen der unionsrechtlichen Bedenken, andererseits aber auch wegen der erheblichen Rechtsunsicherheit, die aus dem Automatismus der Begründung und Beendigung der Organschaft erwächst, zunehmend Rufe

___________ 1095) Vgl. Birkenfeld, UR 2014, 120 ff.; Erdbrügger, DStR 2013, 1573; Streit/Rust, DStR 2015, 2097; Grünwald, MwStR 2013, 328; Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 143. 1096) EuGH, Urt. v. 16.7.2015, verb. Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia+Minerva und Marenave Schifffahrt). Siehe genauer bereits unter Rn. 26 ff. und Rn. 30 ff. 1097) BFH, Beschl. v. 11.12.2019 – XI R 16/18, DStR 2020, 645; BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367. Siehe bereits Rn. 33 f.

235

Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

nach einer Reform laut.1098) Diese werden durch die vorstehenden Ausführungen untermauert, die zu Tage gefördert haben, dass sich die umsatzsteuerliche Organschaft auch im Hinblick auf eine Verzahnung mit dem Insolvenzrecht nicht ohne erhebliche Unsicherheiten handhaben lässt.

555 Das gilt einerseits für die gesetzlichen Eingliederungsmerkmale, die durch die Rechtsprechung zwar im Laufe der Zeit präzisiert werden konnten, die aber gerade wegen ihrer starken richterrechtlichen Prägung nach wie vor großer Unsicherheit unterliegen. Tiefgreifende Konflikte decken aber insbesondere die neueren abstrakten Ansätze auf, die sich mit einer Störung der organschaftlichen Unternehmenseinheit oder einer Störung des innerorganschaftlichen Ausgleichs befassen. Vor allem die Wahrung der umsatzsteuerlichen Belastungsneutralität stellt sich in Krise und Insolvenz als nur schwer zu meisternder Drahtseilakt heraus. Die Probleme im Ernstfall der Insolvenz sind dabei auch eine Manifestation der strukturellen Schwierigkeiten, die der umsatzsteuerlichen Organschaft ganz grundsätzlich anhaften, indem sie mit dem fragwürdigen Ziel formeller Vereinfachung in die Zusammensetzung des zivilrechtlich getrennten Vermögens zweier Rechtsträger eingreift, ohne den Beteiligten diesbezüglich eine Wahlmöglichkeit einzuräumen. Die Forderungen nach einer Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft können aus insolvenzsteuerrechtlicher Perspektive daher nur nachdrücklich bekräftigt werden.

B. Lösungsansätze 556 Für eine Reform stünden unterschiedlichste Optionen zur Verfügung. Die prominentesten Reformvorschläge sollen im Folgenden in ihren für die Untersuchung wesentlichen Aspekten umrissen werden, bevor jeweils unter Berücksichtigung ihrer Umsetzungswahrscheinlichkeit der Frage nachgegangen wird, wie die vorgeschlagenen Modelle aus insolvenzsteuerrechtlicher Warte zu bewerten sind.

I.

Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft

557 Die Organschaft wird in der Literatur mitunter als bedeutungslos,1099) (absolut) überflüssig1100) oder rechtspolitisch fragwürdig1101) bezeichnet. Hintergründe hierfür sind ___________ 1098) Küffner/Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 33, 50 ff.; dies., DB 2015, S23 f.; Englisch, UR 2016, 822, insb. 830, 835, 838 f.; Reiß, UR 2016, 739; Ismer/ Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 429 ff.; Slapio, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 439, 440; Kahlert/Schmidt, DStR 2014, 419 (Anm.); Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653, 1657; Eggers/Korf, MwStR 2015, 710, 718; Prätzler, BB 2018, 599, 604; Jansen, BB 2016, 2263, 2272; Birkenfeld, UR 2014, 120 ff.; von Streit/Streit, DStR 2016, 1448, 1455; Piroth, NZI 2020, 382, 383 (Anm.). Dagegen Heuermann, DB 2016, 608, 609 ff. 1099) Onusseit, ZIP 2003, 743, 744; KPB-InsO/Onusseit, 77. Lfg. 08/2018, InsSteuerR F Rn. 80; auch schon Reiß, StuW 1979, 343 ff. 1100) Schiffer, DStR 1998, 1989; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 257; Onusseit, ZInsO 2004, 1182; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 819; Stadie, MwStR 2018, 904, 907; Reiß, UR 2016, 739, 762. 1101) Lippross, USt, 23. Aufl. 2012, S. 394, nicht mehr hingegen in der 24. Aufl. 2017, S. 427.

236

B. Lösungsansätze

insbesondere der Fortfall ihres ursprünglichen Zwecks durch die Umstellung des Mehrwertsteuersystems im Jahr 1968,1102) aber auch die problematische Durchbrechung der getrennten Haftungs- und Vermögensmassen durch die Organschaft.1103) Auch der BFH bezeichnete die Organschaft bereits als „systemwidrige Ausnahme“,1104) und selbst auf legislativer Ebene, namentlich bei den Diskussionen zum Umsatzsteuergesetz 1980 und dem Steuerbereinigungsgesetz 1986, wurde erwogen, die Organschaft insgesamt aufzugeben.1105) Bereits bei der Reform des Umsatzsteuergesetzes 1967 wurde die Beibehaltung der Rechtsfigur lediglich mit dem fragwürdigen Argument der „Vermeidung unnötiger Verwaltungsarbeit in der Wirtschaft“ begründet.1106) Steuerliche Auswirkungen seien mit der Organschaft hingegen wegen des Vorsteuerabzugs grundsätzlich nicht verbunden.1107) Die Abschaffung der Organschaft im Umsatzsteuerrecht liegt vor diesem Hintergrund näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag.1108) Europarechtliche Vorgaben stünden nicht entgegen, da Art. 11 MwStSystRL den Mitgliedstaaten das Wahlrecht belässt, im nationalen Recht eine umsatzsteuerliche Organschaft vorzusehen.1109) Dieser drastischste aller „Reform“vorschläge würde offensichtlich das gesamte 558 Problemfeld der Organschaft eliminieren, auch in insolvenzsteuerrechtlicher Hinsicht. Jedes Konzernglied wäre ein eigenständiger Steuerpflichtiger, sodass sich die zivilund insolvenzrechtliche Trennung auf steuerrechtlicher Ebene stets widerspiegeln würde. Der Vorteil dieser Rechtsangleichung des Steuer- und Zivilrechts als besonders einfache Lösung liegt auf der Hand. Gleichwohl stehen einer Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft einige 559 Hürden entgegen. Entscheidend muss sein, ob die Organschaft trotz der Umstellung auf das Nettoumsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzug weiterhin ihre Legitimation behält. Aus dem Gedanken der Verwaltungsvereinfachung ergibt sich diese richtigerweise nicht.1110) Nach der Rechtsprechung des BGH muss für die Berechnung der Höhe des Ausgleichs ohnehin eine interne Berechnung der Umsatzsteuer und Vorsteuer für jede beteiligte Gesellschaft erfolgen, um die Steuerlast nach dem Verur___________ 1102) Siehe Rn. 18 ff. 1103) Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 103. 1104) BFH, Urt. v. 8.2.1979 – V R 101/78, BFHE 127, 267 = BStBl. II 1979, 362 = BeckRS 1979, 22004778; BFH, Urt. v. 19.10.1995 – V R 71/93, BeckRS 1995, 11724. 1105) Siehe die Darstellung bei Klezath, DStZ 1980, 5, 8; Onusseit, ZIP 2003, 743, 744. 1106) BT-Drucks. V/1581, S. 10. 1107) BT-Drucks. V/1581, S. 10 f. 1108) Ausdrücklich für die Abschaffung schon Steppert, UR 1994, 343, 345 f.; Hartman, NWB 2015, 1249, 1257; Sterzinger, UR 2016, 326, 328 f. (Anm.). 1109) Vgl. auch Eggers/Korf, MwStR 2015, 710, 718; Reiß, UR 2016, 739, 762. 1110) Ausführlich Reiß, UR 2016, 739, 752; Sterzinger, UR 2016, 326, 329 (Anm.); vgl. auch Küffner/Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 33, 52; Hartman, NWB 2015, 1249, 1257.

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Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

sacherprinzip verteilen zu können,1111) wodurch allenfalls für den Steuergläubiger eine Vereinfachung verbleibt.1112) Die hiesigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Organschaft in der Insolvenz zudem sogar einen hohen Aufwand verursacht, hinsichtlich der Prüfung des Bestehens, der Abführung der Steuern und der Durchsetzung der Ausgleichsansprüche.1113) Im Insolvenzfall stellen sich zudem komplizierte Folgefragen, etwa, ob eine Zahlung der Organgesellschaft auf die Schuld des Organträgers oder ihre eigene Haftungsschuld aus § 73 AO erfolgte.1114) In der Gesamtbetrachtung bestätigt sich eine Vereinfachung durch die Organschaft also nicht.1115)

560 Ein häufig verschwiegener,1116) aber möglicherweise tragender Grund für die Existenz der Organschaft ist die Haftungsvermehrung für die Finanzverwaltung, die naturgemäß in der Insolvenz zum Tragen kommt.1117) Der Organträger haftet als Steuerschuldner für die gesamte Umsatzsteuer des Organkreises, die Organgesellschaft haftet daneben nach § 73 AO.1118) Unabhängig davon, ob es sich bei diesem Aspekt um einen legitimen Zweck für die Beibehaltung der Organschaft handelt, hat seine Bedeutung mittlerweile abgenommen. Auch ohne das Bestehen einer Organschaft halten sich potenzielle Forderungsausfälle des Fiskus in Grenzen, einerseits durch die kurzen Voranmeldungszeiträume, andererseits durch die fiskusfreundliche Rechtsprechung des BFH zur Begründetheit von Umsatzsteuerverbindlichkeiten in der Insolvenz sowie die Einführung und die jüngste Erweiterung des § 55 Abs. 4 InsO. Folgt man der hier vertretenen Lösung zur Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz, tritt der Gedanke der Haftungsvermehrung ohnehin zurück. ___________ 1111) BGH, Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, DStR 2013, 478 Rn. 22. 1112) Wäger, DB 2014, 915, 919. Vgl. auch Pyszka/Hahn, GmbHR 2010, 689, 693, nach denen es sinnvoll und in der Praxis üblich ist, die Umsatzsteuer innerhalb des Organkreises über Verrechnungskonten umzulegen. 1113) Ebenso im Ergebnis Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 428, 429 f.; Reiß, UR 2016, 739, 752. Zweifelnd auch Wäger, DB 2014, 915, 919. 1114) Vgl. zu dem umfangreichen Streit über die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit einer solchen Zahlung nur Prinz/Witt/Wagner, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.51; Thole, ZIP 2019, 1353. 1115) Anders dagegen Eggers/Korf, MwStR 2015, 710, 718, die die Gefahr einer erheblichen administrativen Mehrbelastung sehen und daher die Abschaffung der Organschaft als „aus Sicht der Wirtschaftlich vermutlich […] schlechteste Lösung“ bezeichnen. 1116) Nicht zuletzt der BFH nennt als Zweck einzig die Verwaltungsvereinfachung, vgl. BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 18; vgl. auch Heuermann, DB 2016, 608, 609 (V. Senat); dagegen allerdings Heidner, DB 2019, 626, 627 (V. Senat). Auch der Gesetzgeber nennt nur die Verwaltungsvereinfachung, vgl. dazu Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 784. 1117) Vgl. Winkelhog, BB 2014, 1512 (Anm.); Heidner, DB 2019, 626, 627; Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541, 549; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 824 f. 1118) Zum umstrittenen Umfang der Haftung nach § 73 AO siehe Rn. 60 ff.

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B. Lösungsansätze

Es verbleibt damit der materielle Vorteil der Organschaft in Branchen mit einge- 561 schränkten Vorsteuerabzugsmöglichkeiten.1119) Dort behält die Organschaft die Funktion, die ihr ursprünglich im alten Bruttoumsatzsteuersystem zukam. In diesem Bereich würde sich gegen eine Abschaffung möglicherweise begründeter Widerstand regen. Ob dieser überwunden werden sollte oder wegen der branchenspezifischen Vorteile an der Organschaft insgesamt oder nur in den entsprechenden Branchen1120) festgehalten werden sollte, muss der steuerrechtlichen Diskussion vorbehalten bleiben.1121) Aus insolvenzsteuerrechtlicher Perspektive gilt es festzuhalten, dass die Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft die Rechtslage zwar vereinfachen würde, vorerst aber nicht zu erwarten ist.1122)

II. Konzerninsolvenzrecht Zumindest für die Fälle der gleichzeitigen Insolvenz von Organträger und -gesell- 562 schaft könnte eine Beseitigung der rein insolvenzsteuerrechtlichen Konfliktherde auch durch eine Reform des Insolvenzrechts erreicht werden, beispielsweise durch Einführung eines Konzerninsolvenzrechts, das eine konsolidierte Konzerninsolvenzmasse schafft und damit die Haftungstrennung durchbricht.1123) Das Insolvenzrecht würde dann gewissermaßen die organschaftliche Einheitsfiktion nachvollziehen können, was im Einzelnen auch vor dem Hintergrund kapitalgesellschaftsrechtlicher Grundsätze zweifellos sehr kompliziert erscheint. Der Gesetzgeber hat sich in der jüngsten Konzerninsolvenzrechtsreform daher wohl mit gutem Grund gegen ein solches Modell und für eine bloß prozessuale Lösung entschieden.1124) Eine Reform auf insolvenzrechtlicher Seite ist daher auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Im Übrigen geben nicht nur insolvenzrechtliche Konflikte Anlass zur Überarbeitung der Organschaft, sodass eine Reform im Umsatzsteuerrecht zielgerichteter verortet ist und umfassendere Lösungen ermöglicht. ___________ 1119) Siehe bereits Rn. 20. Ausführlich hierzu Schwarz/Widmann/Radeisen/Radeisen, 200. Lfg. 06/2018, § 2 Rn. 200; Slapio, DStR 2000, 999; Wäger, DB 2014, 915; vgl. auch Prätzler, BB 2018, 599, 600; Heidner, DB 2019, 626, 627; Feldgen, BB 2016, 606; Heuermann, DB 2016, 608, 610. 1120) Der EuGH hat eine Beschränkung der Organschaft auf bestimmte Branchen zu Zwecken der Missbrauchsverhinderung gebilligt, vgl. EuGH, Urt. v. 25.4.2013, C-480/10 = MwStR 2013, 276 (Kommission/Schweden). 1121) Interessant bspw. Reiß, UR 2016, 739, 762, der zwar die Sinnhaftigkeit der umsatzsteuerlichen Organschaft sehr deutlich kritisiert, eine Abschaffung auf nationaler Ebene aber aufgrund des internationalen Wettbewerbs nicht für empfehlenswert hält. 1122) Für die Beibehaltung bspw. Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 429 ff.; Jansen, BB 2016, 2263, 2272; Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541, 550; Heinrichshofen, UR 2016, 324, 325. 1123) Wäger, DB 2014, 915, 919. Die denkbaren Modelle beschreiben Siemon/Frind, NZI 2013, 1, 3. 1124) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 13.4.2017, BGBl. I, S. 866.

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Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

III. Organkreis als Steuersubjekt 563 Art. 11 MwStSystRL formuliert, dass die Mitgliedstaaten rechtlich unabhängige Personen „zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln“ können. Es wurde bereits an anderer Stelle angedeutet,1125) dass dem Unionsrecht damit in Abweichung vom deutschen Recht offenbar nicht die Vorstellung zugrunde liegt, dass eine der Gesellschaften des Organkreises als Organträger fungiert, sondern der Organkreis vielmehr ein eigenständiges neues Steuersubjekt bildet.1126) Um eine daraus resultierende etwaige Unvereinbarkeit des deutschen Modells mit dem Unionsrecht zu klären, haben inzwischen – wenn auch mit deutlich unterschiedlicher Suggestion – sowohl der V. als auch der XI. Senat des BFH diese Frage zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt.1127) Dieser spricht bislang von der „Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen“.1128) Bereits jetzt läge es auf der Hand, durch Einführung eines an Art. 11 MwStSystRL und der EuGH-Rechtsprechung ausgerichteten Konzepts die möglichen Differenzen mit dem Europarecht auszuräumen.1129) In Abhängigkeit von der Entscheidung des EuGH könnte eine solche Umformung geradezu zwingend werden.

564 Die Umsetzung des europäischen Konzepts müsste in der Weise erfolgen, dass die Gruppe als Unternehmer angesehen wird.1130) Dem grundsätzlichen Bedenken hiergegen, die Gruppe sei als solche nicht rechtsfähig und könne daher nicht Steuerschuldner (§ 13a Nr. 1 UStG) sein,1131) wird dabei teilweise entgegengehalten, dass die Steuerrechtsfähigkeit bei der Umsatzsteuer unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit jedem Gebilde zukommen könne, das den Steuertatbestand erfüllt.1132) Soweit als Beispiel hierfür nicht-rechtsfähige Gemeinschaften wie Bruch___________ 1125) Rn. 31 ff. 1126) Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 43; Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 150 ff., 198; Heuermann, DB 2016, 608, 609; Prätzler, BB 2018, 599, 600, 603; vgl. EuGH, Urt. v. 22.5.2008, C-162/07, Slg. 2008, I-4019 = DStRE 2013, 902 Rn. 19 (Ampliscientifica und Amplifin); EuGH, Urt. v. 17.9.2014, C-7/13 (Skandia America Corp. USA, filial Sverige); ausdrücklich auch die Europäische Kommission, COM(2009) 325 final, S. 5, 10 f.; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.82 ff. A. A. BFH, Urt. v. 8.2.1979 – V R 114/74, BFHE 127, 254 = BStBl. II, 1979, 358 = BeckRS 1979, 22004779; Wäger, DB 2014, 915, 916; ders., UR 2016, 173, 179. 1127) BFH, Beschl. v. 11.12.2019 – XI R 16/18, DStR 2020, 645; BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367. Siehe bereits Rn. 34. 1128) EuGH, Urt. v. 22.5.2008, C-162/07, Slg. 2008, I-4019 = DStRE 2013, 902 Rn. 19 (Ampliscientifica und Amplifin). 1129) Siehe ausführlich zur Richtlinienkonformität des geltenden Rechts Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 111 ff.; ferner Heuermann, DB 2016, 608, 609 ff. 1130) Vgl. Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 150 ff., 198; Prätzler, BB 2018, 599, 600. Dagegen Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 801. 1131) Wäger, DB 2014, 915, 916; vgl. auch Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 112 ff. 1132) Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.87; vgl. auch Tipke/Kruse/ Drüen, AO, 149. EL 07/2017, § 43 Rn. 2 f.; Klein/Ratschow, AO, 14. Aufl. 2018, § 43 Rn. 2.

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B. Lösungsansätze

teilsgemeinschaften genannt werden,1133) ist das allerdings misslich, da der V. Senat des BFH diese unter Hinweis auf die zivilrechtliche Selbständigkeit neuerdings gerade nicht mehr als unternehmerfähig ansieht.1134) Letztlich dürfte die Lösung für die Organschaft und die Bruchteilsgemeinschaft gleichermaßen darin liegen, die Gruppe als Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Zweck gemeinsamer Umsatzsteuerabwicklung zu betrachten.1135) So kann die Gesellschaft selbst als Schuldnerin in Anspruch genommen werden, soweit die Beteiligten sie entsprechend mit Kapital ausgestattet haben, andernfalls unterlägen sie einer Haftung nach § 128 HGB analog. Im Ergebnis erhielte man auf diesem Wege auch die gesamtschuldnerische Haftung zwischen den organschaftlich zusammengefassten Rechtsträgern,1136) die als Bestandteil eines neuen Konzepts gefordert wird.1137) Gerade aus der gesamtschuldnerischen Haftung könnten sich in Krise und Insolvenz 565 jedoch wieder die bereits de lege lata identifizierten Schwierigkeiten ergeben. Fällt einer der Beteiligten in die Insolvenz, wird das Finanzamt sich an andere am Organkreis Beteiligte als Gesamtschuldner halten. In der Folge müsste wieder ein Innenausgleich nach § 426 BGB stattfinden.1138) Für diesen Ausgleichsanspruch ergeben sich dieselben Probleme wie bisher. So wäre in den verschiedenen Verfahrensstadien die insolvenzrechtliche Qualität des Anspruchs zu prüfen, je nach Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs käme es zu den bekannten Konflikten mit dem Neutralitätsgrundsatz. Im Übrigen könnte in einem an Art. 11 MwStSystRL orientierten Modell kaum an 566 dem Über-/Unterordnungskriterium des geltenden deutschen Rechts festgehalten ___________ 1133) Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.87; vgl. Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 200. 1134) BFH, Urt. v. 22.11.2018 – V R 65/17, BFHE 263, 90 = DStR 2019, 265. Kritisch zur Abweichung des V. Senats von der Rechtsprechung des XI. Senats Lange, UR 2019, 361. Anders noch BFH, Urt. v. 6.9.2007 – V R 41/05, BFHE 217, 338 = BStBl. II 2008, 65 = DStR 2007, 1906; BFH, Urt. v. 16.5.2002 – V R 4/01, DStRE 2002, 1253. 1135) Vgl. auch Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 201. Für die Bruchteilsgemeinschaft Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 152. EL 05/2019, § 13a Rn. 29; Rau/Dürrwächter/Nieskens, UStG, 183. EL 07/2019, § 13a Rn. 104; Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 173. EL 07/2017, § 2 Rn. 116 ff.; ausführlich Schön, DStJG 13, 1990, S. 81 ff. 1136) Vgl. nur MünchKomm-HGB/K. Schmidt, 4. Aufl. 2016, § 128 Rn. 18; Baumbach/Hopt/M. Roth, HGB, 39. Aufl. 2020, § 128 Rn. 21. 1137) Vgl. Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.87 f.; Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 205 ff.; vgl. auch das Eckpunktepapier des BMF vom 14.3.2019 zu einer Gruppenbesteuerung in Anlehnung an Art. 11 MwStSystRL, dazu näher unter Rn. 573 ff. Denkbar wäre auch, die Haftung des jeweiligen Beteiligten auf die vom ihm verursachte Steuerschuld zu begrenzen, vgl. Prätzler, BB 2018, 599, 603. Ein solcher – weniger fiskusfreundlicher – Ansatz zeichnet sich indes in der Gesamtschau nicht ab. Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 202 ff. untersucht die verschiedenen denkbaren Konstruktionen. 1138) Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.88.

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Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

werden.1139) Stattdessen müsste nach dem Wortlaut der Richtlinie die enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verbundenheit genügen.1140) Wie diese enge Verbundenheit im Einzelnen auszugestalten wäre und wie die unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Instrumente sich auf die Merkmale auswirken würden, lässt sich nicht generell vorhersagen. Die bisherigen Erkenntnisse aus Rechtsprechung und Literatur zu den deutschen Eingliederungsmerkmalen könnten aufgrund ihrer starken Orientierung am Subordinationserfordernis jedenfalls nur sehr begrenzt fruchtbar gemacht werden.

567 Insgesamt wird allein ein Modell, das den Organkreis als eigenständiges Steuersubjekt betrachtet, die identifizierten insolvenzsteuerrechtlichen Reibungspunkte nicht effektiv vermeiden können. Durch eine Übernahme des in Art. 11 MwStSystRL genannten Maßstabs für die Verflechtungen innerhalb des Organkreises würde im Gegenteil sogar erneute Unsicherheit an die Stelle der bisher erreichten Klarheit im Hinblick auf die Eingliederungsmerkmale treten. Aus insolvenzsteuerrechtlicher Warte wären also zusätzlich weitere Mittel erforderlich, um eine einfachere und sicherere Handhabung der Organschaft in Insolvenzsituationen zu gewährleisten.1141)

IV. Antragsverfahren 568 Der wohl am häufigsten genannte Reformvorschlag betrifft die Schaffung eines Anerkennungsverfahrens für die Organschaft, teilweise in der Ausgestaltung als antragsunabhängiges Feststellungsverfahren,1142) zumeist aber mit Antragserfordernis.1143) Die Rechtswirkungen sollen nach letzterem Vorschlag erst eintreten, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird und das Finanzamt über diesen mittels Anerkennungsverwaltungsakt positiv entscheidet.1144) In diesem Rahmen hätte das Fi___________ Vgl. auch Prätzler, BB 2018, 599, 604. Vgl. Endres, Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL, 2016, S. 95 ff. Siehe dazu sogleich Rn. 573 ff. Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 98.8; Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 435; Hudasch/Höink, UVR 2016, 106, 115; Feldgen, BB 2013, 2967; ders., BB 2016, 606, 612; erwägend aber im Ergebnis ablehnend Küffner/Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 79 ff., 86; Jansen, BB 2016, 2263, 2272; Sterzinger, BB 2013, 1303; Wäger, UR 2016, 173, 179 f. 1143) Bereits Hüttemann, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 144; eingehend Endres-Reich, UR 2016, 660, 663 f.; Boor, Gruppenbesteuerung im MwStR, 2014, S. 145 f.; Prätzler, BB 2018, 599, 603; Küffner/Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 55 ff., 86; dies., DB 2015, S23; zust. Ebbinghaus/Neu, DB 2016, 1653, 1657; Heuermann, DB 2016, 608, 615; Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1372; Brinkmann/Walter-Yadegardjam, DStR 2016, 650, 657; Jansen, BB 2016, 2263, 2272; Erdbrügger, DStR 2013, 1573, 1577. Offengelassen von Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.94; Englisch, UR 2016, 822, 840; Heinrichshofen, UR 2016, 324, 325; von Streit/Streit, DStR 2016, 1448, 1455. 1144) Unterschiedliche Modelle der Mitgliedstaaten beschreiben Endres-Reich, UR 2016, 660, 661 f.; Dahm/Hamacher, IStR 2013, 820, 823 ff.

1139) 1140) 1141) 1142)

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B. Lösungsansätze

nanzamt die von Art. 11 MwStSystRL vorgegebene finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische enge Verbundenheit zu prüfen, entweder wie bisher im Sinne einer Eingliederung oder aber in direkter Anlehnung an die Richtlinie. Wenngleich Art. 11 MwStSystRL ein Antragserfordernis nicht nennt, bestehen gegen dessen Schaffung unionsrechtlich keine Bedenken.1145) Entsprechend wird ein solches Modell von einigen Mitgliedstaaten bereits praktiziert.1146) Auch das Ausscheiden aus dem Organkreis müsste folgerichtig durch einen Antrag möglich sein, da es keinen vernünftigen Grund für eine Unumkehrbarkeit der Entscheidung zur Eingehung einer Organschaft gibt. Durch ein Antragserfordernis würde den jetzigen Konflikten mit dem Grundsatz 569 der Belastungsneutralität der Boden entzogen.1147) Aufgrund der mangelnden Wahlmöglichkeit der Beteiligten ist im geltenden System eine dauerhafte Belastung eines Rechtsträgers mit der von einem anderen Rechtsträger vereinnahmten Umsatzsteuer ohne Kompensationsmöglichkeit nicht zu rechtfertigen.1148) Würde die Eingehung der Organschaft und das Verbleiben darin aber von einer privatautonomen unternehmerischen Entscheidung abhängig gemacht, wären damit verbundene nachteilige Konsequenzen den Beteiligten ohne Bedenken zumutbar.1149) Das Risiko der Uneinbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs würde durch die positive Ausübung der Wahl freiwillig übernommen.1150) Will man Konflikte mit dem Neutralitätsgrundsatz nachhaltig beseitigen, spricht daher alles für eine antragsabhängige Ausgestaltung des Anerkennungsverfahren. Selbstverständlich müsste das Antragserfordernis für jeden Rechtsträger gelten, der 570 in den Organkreis einbezogen wird, da die Organschaft für jeden Rechtsträger mit ___________ 1145) Das Antragsmodell Irlands wurde vom EuGH, Urt. v. 9.4.2013, C-85/11 = DStR 2013, 806 (Kommission/Irland), nicht beanstandet; dazu auch BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 553 = DStR 2016, 226 Rn. 35. Siehe auch Endres-Reich, UR 2016, 660 f.; Reiß/Kraeusel/Langer/Reiß, UStG, 128. Lfg. 05/2016, § 2 Rn. 98.7; Küffner/ Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 88 ff.; dies., DB 2015, S23, S24; Prinz/Witt/Treiber, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rn. 22.94. 1146) Eine Aufzählung findet sich bei Jansen, BB 2016, 2263. Auch in Großbritannien und der Schweiz gibt es ein derartiges Rechtsinstitut, vgl. Müller/Detmering/Lieber/Detmering, Organschaft, 11. Aufl. 2020, Rn. 1372. 1147) Siehe bereits oben Rn. 194. Vgl. auch Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 806, 916, der daher bereits de lege lata im Wege einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Wahlmöglichkeit für zwingend erachtet. 1148) Siehe ausführlich Rn. 175 ff. sowie Rn. 462 ff. 1149) Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910, 916, der hierfür den Grundsatz volenti non fit iniuria anführt. 1150) Aus diesem Grund hält Stadie eine Wahlmöglichkeit sogar bereits de lege lata im Wege einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG für notwendig, vgl. Rau/Dürrwächter/ Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910 ff.; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 269 ff.; Stadie, UR 1996, 335, 336; ebenso Straub, UR 2009, 344, 346. Unter Berufung auf die EuGHRechtsprechung allgemein gegen ein Wahlrecht für die Steuerpflichtigen Erdbrügger, DStR 2013, 1573, 1576 f.

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Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

Nachteilen verbunden sein kann. Ein alleiniges Wahlrecht etwa des Organträgers würde die herausgearbeiteten Konflikte nicht lösen.1151) Zwar könnte diesem dann zugemutet werden, in Fällen einer Umsatzsteuerzahllast mit seinem Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft auszufallen. Im umgekehrten Fall des Vorsteuerüberhangs aus den Umsätzen der Organgesellschaft verbliebe es jedoch bei den dargestellten Problemen: Fiele der Organträger in die Insolvenz und wäre der Ausgleichsanspruch der Organgesellschaft nicht einbringlich, würde sie ohne ihr Zutun des Vorsteuerabzugsrechts beraubt.

571 Gleichwohl würde mehr Rechtssicherheit durch ein Antragserfordernis in erster Linie für die Eingehung der Organschaft erreicht. In diesem Zeitpunkt könnte das Finanzamt das Vorliegen der Verbundenheits- bzw. Eingliederungsmerkmale prüfen.1152) Im weiteren Verlauf bliebe es aber dabei, dass das Entfallen der erforderlichen finanziellen, wirtschaftlichen oder organisatorischen Beziehungen die Organschaft beenden würde, weil die Einführung des Antragserfordernisses diese Voraussetzungen angesichts von Art. 11 MwStSystRL nicht ersetzen kann.1153) Im insolvenzrechtlichen Kontext ist aber das Entfallen dieser Merkmale gerade mit den herausgearbeiteten Unsicherheiten behaftet. Selbst wenn ein Antrag auf Beendigung der Organschaft gestellt würde, könnte bereits eine Beendigung durch Entfallen der Verbundenheit bzw. Eingliederung erfolgt sein.

572 Ein Antragserfordernis schüfe also in gewissem Umfang mehr Rechtssicherheit, insbesondere im Hinblick auf die Begründung der Organschaft, kann aber als alleiniges Instrument aus insolvenzsteuerrechtlicher Perspektive nicht völlig überzeugen, da die entscheidende Beendigung der Organschaft nach wie vor anhand des Fortbestands der Eingliederungsmerkmale vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Auswirkungen ermittelt werden müsste.

V. Eckpunktepapier des BMF vom 14.3.2019 573 Die verbleibenden Probleme bei der Feststellung der Eingliederungsmerkmale könnten allenfalls durch deren völlige Neufassung überwunden werden. Eine solche beinhaltet etwa das am 14.3.2019 vom Bundesministerium der Finanzen veröffent___________ 1151) So aber der Vorschlag von Küffner/Luber, DB 2015, S23. Auch Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 910 ff. hält offenbar nur eine Wahlmöglichkeit für den Organträger für erforderlich. 1152) Vgl. Küffner/Luber, DB 2015, S23 f. 1153) Vgl. auch Ismer/Reiß, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, 2018, S. 413, 436; Küffner/Luber, Umsatzsteuerliche Organschaft – Reformgedanken, 2015, S. 85; dies., DB 2015, S23, S24; EndresReich, UR 2016, 660, 663. Auch die bspw. von Prätzler, BB 2018, 599, 604 angedachte Anzeigepflicht bei Veränderungen löst dieses Problem – wie er selbst feststellt – nicht, da sie verletzt werden kann. Im Übrigen können die Eingliederungsmerkmale von einer Gemengelage mehr oder weniger auch weicher Faktoren beeinflusst werden, sodass eine Anzeigepflicht nicht immer praktikabel scheint.

244

B. Lösungsansätze

lichte Eckpunktepapier, das eine „Gruppenbesteuerung in Anlehnung an Art. 11 MwStSystRL“ vorschlägt.1154) Das dort präsentierte Modell kann gewissermaßen als Hybrid zwischen dem unter Rn. 563 ff. (Organkreis als Steuersubjekt) und dem unter Rn. 568 ff. (Antragsverfahren) dargestellten Lösungsansatz eingeordnet werden. Unabhängig davon, ob das Konzept sich in dieser Form durchsetzen wird, verdient es nicht nur deshalb besondere Beachtung, weil es sich um den ersten konkreten Gesamtvorschlag für eine Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft handelt, sondern auch, weil es einen Weg aufzeigt, der die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Organschaftsbestands in Krise und Insolvenz erheblich minimieren könnte.

1.

Überblick über den Vorschlag

Grundidee des Eckpunktepapiers ist eine Aufgabe der Eingliederungsmerkmale nach 574 ihrem bisherigen Verständnis und eine fundamentale Umformung der Organschaft. Die Eingliederung soll entsprechend Art. 11 MwStSystRL durch das Erfordernis der engen Verbundenheit in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Sicht ersetzt werden. Dabei soll für die wirtschaftliche Verbundenheit eine wirtschaftliche Zusammenarbeit der Beteiligten genügen, was der bisherigen Auslegung der wirtschaftlichen Eingliederung recht nahekommt. Finanzielle und organisatorische Verbundenheit werden dagegen völlig neu definiert und sollen quasi über eine Willensentscheidung der Beteiligten bewirkt werden. So soll die organisatorische Verbundenheit sich daraus ergeben, dass alle Gruppenmitglieder einem gemeinsamen Vertreter der Mehrwertsteuergruppe zustimmen. Ein solcher Vertreter muss nach dem Konzept bestimmt werden und ist für alle steuerlichen Pflichten der Gruppe gegenüber der Finanzverwaltung verantwortlich. Die finanzielle Verbundenheit soll vorliegen, wenn und weil sich das jeweilige Gruppenmitglied dem Umsatzsteuerregime der Gruppe unterwirft und für die Umsatzsteuer der durch die Gruppe erzielten Umsätze nach außen hin im Sinne einer gesamtschuldnerischen Haftung einsteht. Dokumentiert werden soll die enge Verbundenheit schließlich durch einen Antrag auf Bildung einer Gruppe oder Beitritt zu einer bereits bestehenden Gruppe. Obschon das Modell ausdrücklich an Art. 11 MwStSystRL ausgerichtet sein soll, haben die Verbundenheitsvoraussetzungen mit den Definitionsvorschlägen der EU-Kommission wenig gemein und entfernen sich im Vergleich zum geltenden Recht sogar noch weiter von diesen.1155) Die Organschaft soll auf Antrag aller Gruppenmitglieder mit einem angemessenen 575 zeitlichen Vorlauf mit Wirkung für die Zukunft beginnen und enden. Der Eintritt eines neuen Mitglieds erfordert ebenfalls einen Antrag sowie die Zustimmung aller Bestandsmitglieder, für den Austritt genügt ein Antrag des Austrittswilligen. Außer___________ 1154) Befürwortend Bundesteuerberaterkammer, Stellungnahme vom 27.8.2019. 1155) Vgl. COM(2009), 325 final, S. 9 f.

245

Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

dem soll die Verwirklichung noch nicht näher bestimmter Sachverhalte zur Beendigung der Mitgliedschaft führen können.

576 Den europarechtlichen Vorgaben entsprechend soll die Organschaft bewirken, dass die umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder auf die Gruppe als einzige Steuerpflichtige mit eigener Umsatzsteuer-Identifikationsnummer übergehen. Es gilt ein einheitliches Besteuerungsregime (Umsatzgrenzen, Soll-/IstBesteuerung). Die gruppeninternen Umsätze sind als Innenumsätze nicht steuerbar. Alle Gruppenmitglieder sollen für die Umsatzsteuer der Gruppe gegenüber dem Fiskus gesamtschuldnerisch haften. Hiervon abweichende Regelungen im Innenverhältnis lassen das Außenverhältnis unberührt.

577 Gerade die deutliche Verschlankung der bisherigen Voraussetzungen, durch die der innovative Vorschlag besticht, könnte Widerstand gegen das Konzept wecken. So mutet etwa die Begründung der finanziellen Verbundenheit auf den ersten Blick zirkelschlüssig an. Die finanzielle Verbundenheit, wohlgemerkt gesetzliche Voraussetzung für die Begründung der umsatzsteuerlichen Organschaft, soll sich daraus ergeben, dass jedes Gruppenmitglied nach außen hin für die Umsatzsteuer der Gruppe gesamtschuldnerisch haftet und für die Mitglieder ein einheitliches Umsatzsteuerregime gilt. Die gesamtschuldnerische Haftung aller Gruppenmitglieder für die Umsatzsteuer der Gruppe sowie die Geltung eines einheitlichen Besteuerungsregimes für alle Gruppenmitglieder sind aber auch nach dem neuen Konzept erst Folge der Mitgliedschaft in der Organschaft. Auch wenn der Beitretende im Moment des Eintritts in die Organschaft – oder erst eine juristische Sekunde danach? – die Voraussetzungen für eine Gruppenmitgliedschaft erfüllt, tut ein eintrittswilliger Rechtsträger dies beim Antrag auf Eintritt in die Gruppe gerade noch nicht, zumal zwischen Antragstellung und Begründung der Organschaft ein „angemessener zeitlicher“ Abstand vorgesehen ist und der Antrag in der Zwischenzeit widerruflich sein soll. Die Bedenken könnten allerdings ausgeräumt werden, indem bereits beim Eintritt in die Organschaft eine eigenständige gesamtschuldnerische Haftung auf zivilrechtlichem Wege übernommen wird. Dann müsste man sich fragen, ob die nochmalige Anordnung einer solchen Haftung als Rechtsfolge der Organschaft nicht überflüssig ist oder inwieweit umgekehrt dem Merkmal der finanziellen Eingliederung ein hinreichender eigenständiger Regelungsgehalt zukommt.

578 Zusätzlich wird man sich in der Diskussion eines solchen Vorschlags fragen müssen, ob es für die Begründung der Organschaft letztlich ausreichen soll, dass die zusammengefassten Rechtsträger wirtschaftlich zusammenarbeiten – oder dies sogar nur beabsichtigen – und im Übrigen bloß einen gemeinsamen Vertreter bestimmen sowie eine gegenseitige steuerliche Haftung übernehmen. Die bisherigen Hürden für die Eingehung der Organschaft würden damit weitgehend beseitigt. Der enorme Umbruch, den dies vor dem Hintergrund des bisherigen deutschen Eingliederungsverständnisses darstellt, ließe sich zwar mit der Aufgabe des bisherigen Subordinationserfordernisses erklären, doch könnte der weitgehend voraussetzungslose Eintritt 246

B. Lösungsansätze

in die Organschaft selbst im Hinblick auf die großzügigere unionale Anforderung einer „engen Verbundenheit“ kritisch gesehen werden.1156)

2.

Auswirkungen der Insolvenz eines Gruppenmitglieds

Die im Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Finanzen vorgeschlagene Ges- 579 taltung der Organschaft würde in der Tat eine erhebliche Vereinfachung der insolvenzsteuerrechtlichen Konflikte bewirken. Da das Konzept keine Unterordnung einer Organgesellschaft unter den Willen des Organträgers erfordert, stellt sich nicht mehr die Frage, inwieweit die insolvenzrechtlichen Mechanismen eine Beherrschung der Tochtergesellschaft behindern. Die Auswirkungen der Insolvenz auf die neuen Merkmale der Organschaft hielten sich in Grenzen: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit und damit die wirtschaftliche Verbundenheit 580 würden durch die Insolvenz ebenso wenig berührt wie bisher die wirtschaftliche Eingliederung. Während bislang die organisatorische Eingliederung die meisten Schwierigkeiten bereitete, würde die organisatorische Verbundenheit, die sich aus der bloßen Zustimmung des Gruppenmitglieds zum gemeinsamen Gruppenvertreter ergeben soll, durch die Insolvenz kaum beeinträchtigt. Selbst die Einsetzung eines Insolvenzverwalters dürfte nicht in Konflikt mit der steuerrechtlichen Verantwortung des gemeinsamen Gruppenvertreters treten. Zuletzt würde auch die finanzielle Verbundenheit eines Rechtsträgers mit den übrigen Gruppenmitgliedern durch dessen Insolvenz nicht beeinträchtigt. Voraussetzung hierfür soll die Unterwerfung unter das Umsatzsteuerregime der Gruppe und das Einstehen des Gruppenmitglieds für die Umsatzsteuer der durch die Gruppe erzielten Umsätze nach außen hin sein. An beiden Faktoren ändert sich durch die Stellung eines Insolvenzantrags oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts. Zwar liegt es nahe, dass das insolvente Mitglied seine Haftungsverpflichtung für die Umsatzsteuer der Gruppe tatsächlich nicht mehr erfüllen kann. Die Übernahme der gesamtschuldnerischen Haftung selbst würde durch die Insolvenz allerdings nicht angetastet. Dass ein Fortbestand der Gruppenmitgliedschaft trotz Insolvenz dazu führen könnte, 581 dass andere Gruppenmitglieder für Umsatzsteuerbeträge haften müssen, die das insolvente Mitglied vereinnahmt hat, verstieße anders als im bisherigen Konzept ohne Wahlmöglichkeit nicht gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität. Die Beteiligten entscheiden sich nach dem Modell des Eckpunktepapiers frei für die Mitgliedschaft in der Steuergruppe und müssen der Aufnahme jedes weiteren Mitglieds zustimmen. Die damit privatautonom übernommene Haftung für „fremde“ Umsatzsteuer ist strukturell nichts anderes als ein Schuldbeitritt und damit im Innenver___________ 1156) Interessant hierzu etwa Rau/Dürrwächter/Stadie, UStG, 174. EL 10/2017, § 2 Rn. 861, der die finanzielle Eingliederung nach geltender Definition und ein Antragsrecht gleichzeitig für erforderlich aber auch ausreichend erachtet, die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung dagegen für überflüssig hält.

247

Teil 3: Rechtspolitischer Ausblick

hältnis unabhängig von der umsatzsteuerlichen Belastungsneutralität möglich. Der entscheidende Unterschied zum bisherigen Konzept der Organschaft liegt darin, dass die Beteiligten ihre Zugehörigkeit zum Organkreis selbst bestimmen könnten.

582 Dennoch sollte bei der Reform der Organschaft erwogen werden, (spätestens) im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Beteiligten dessen Ausscheiden aus dem Organkreis zu normieren, wie es beispielsweise in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB für den Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft geregelt ist. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass die Verwirklichung „bestimmter Sachverhalte“ zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Umsatzsteuergruppe „aufgrund des Wegfalls der tatsächlichen Voraussetzungen“ führen kann. Wenngleich die Insolvenz wie oben erläutert nicht die tatsächlichen Voraussetzungen der Verbundenheit beeinträchtigt, bietet sich eine ausdrückliche Regelung zur Insolvenz eines Gruppenmitglieds an und würde Rechtssicherheit im Hinblick auf die umsatzsteuerlichen Pflichten in der Insolvenz gewährleisten.

583 Es wird sich zeigen, ob ein Konzept wie im Eckpunktepapier, das die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft ganz neu denkt, sich in einem Gesetzgebungsverfahren durchsetzen kann. Unabhängig davon beweist das Eckpunktepapier, dass durchaus Modelle denkbar sind, die einen rechtssicheren Umgang mit der Organschaft auch in der Insolvenz versprechen.

C. Ergebnis 584 Die rechtspolitische Notwendigkeit einer Reform der Organschaft ergibt sich aus mehreren Gründen, die nicht nur, aber auch im Bereich des Insolvenzsteuerrechts liegen. Dabei stünden unterschiedliche Reformmodelle zur Verfügung.

585 Eine Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft würde selbstverständlich alle in diesem Kontext bestehenden Probleme beseitigen, ist aber trotz der erheblichen Zweckminderung der Organschaft im geltenden Mehrwertsteuersystem nicht zu erwarten. Ebenso wenig ist eine Lösung der bestehenden Konflikte zwischen Organschaft und Insolvenzrecht auf insolvenzrechtlicher Seite, etwa in Form eines Konzerninsolvenzverfahrens, abzusehen, da der Gesetzgeber sich in der jüngsten Reform gerade gegen eine der Organschaft ähnliche Massekonsolidierung entschieden hat.

586 Die Steuerschuldnerschaft des Organkreises als Steuersubjekt bei fortbestehender gesamtschuldnerischer Haftung der Gruppenmitglieder verspricht für sich allein keine nennenswerte Vereinfachung von Insolvenzkonstellationen. Insbesondere würden in der Insolvenz eines Mitglieds faktisch die anderen Mitglieder mit dessen Umsatzsteuerschuld belastet, was zu denselben Bedenken wie im aktuellen System führen würde.

587 Ein Antragserfordernis würde hingegen bei allseitiger Ausgestaltung etwaige Konflikte mit dem Grundsatz der Belastungsneutralität ausräumen, weil die Beteiligten

248

C. Ergebnis

sich privatautonom zur Übernahme des Risikos der Haftung für fremde Umsatzsteuerverbindlichkeiten entschließen würden. Zudem würde zumindest für die Eingehung und den Beitritt zu einer Organschaft Rechtssicherheit geschaffen. Allerdings bestünde die Unsicherheit über das Entfallen der Eingliederungs- oder Verbundenheitsmerkmale in der Insolvenz fort. Bemerkenswert ist der Vorschlag im Eckpunktepapier des Bundesministeriums der 588 Finanzen vom 14.3.2019, der sowohl ein allseitiges Antragserfordernis zur Eingehung der Organschaft als auch eine Haftung des Organkreises für die Umsatzsteuer aller Gruppenmitglieder vorsieht. Insbesondere aber legt das Modell die Merkmale der finanziellen und organisatorischen Verbundenheit völlig neu fest. Derartige Merkmale würden durch die Insolvenz eines Gruppenmitglieds voraussichtlich nicht berührt, sodass grundsätzlich von einem Fortbestand der Organschaft auch unter Beteiligung des insolventen Mitglieds auszugehen wäre. Den übrigen Gruppenmitgliedern wäre eine Haftung für die fremde Umsatzsteuer aufgrund ihrer privatautonomen Entscheidung zur Eingehung einer Organschaft mit dem insolventen Rechtsträger zumutbar. Dennoch wäre bei einer Reform sinnvoll, die auch im Eckpunktepapier angedeutete Möglichkeit zu nutzen, die Mitgliedschaft in der Organschaft bei Verwirklichung bestimmter Sachverhalte zu beenden, und als einen solchen Sachverhalt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens festzulegen.

249

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Im Folgenden sollen die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit aus zweierlei Perspek- 589 tive zusammengefasst werden. Unter Rn. 590 ff. werden zunächst die abstrakten Maßstäbe für die Prüfung des Organschaftsbestands dargestellt, wie sie sich im Laufe der Untersuchung herauskristallisiert haben. Diese Maßstäbe sind grundsätzlich allgemeingültig, können also prinzipiell auch für die Untersuchung noch unbekannter Konstellationen herangezogen werden, etwa für die Prüfung des Bestands der Organschaft im neu zu schaffenden vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG. Unter Rn. 603 ff. wird dagegen eine Übersicht über die konkreten Ergebnisse zu den untersuchten Verfahrensstadien gegeben.

A. Grundsätze für die Beurteilung des Bestands der Organschaft Der Bestand der umsatzsteuerlichen Organschaft hängt nach ihrer gesetzlichen 590 Konzeption ausschließlich von der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung einer juristischen Person (Organgesellschaft) in das Unternehmen des Organträgers ab. Der Fortbestand der Organschaft in Krise und Insolvenz bestimmt sich daher jedenfalls im Ausgangspunkt dadurch, ob und in welchem Umfang die Eingliederungsmerkmale durch insolvenzrechtliche Besonderheiten beeinträchtigt werden.

I.

Wirtschaftliche Eingliederung

Die Anforderungen an die wirtschaftliche Eingliederung sind sehr niedrig und be- 591 schränken sich nach der Rechtsprechung im Grunde auf nicht unerhebliche wirtschaftliche Zusammenhänge oder Verflechtungen zwischen den Beteiligten. Wenngleich diese im Einzelfall durch die Krise und Insolvenz von Organträger oder Organgesellschaft betroffen sein können, erweist sich das Merkmal in der Regel als „insolvenzfest“.

II. Finanzielle Eingliederung Die Definition der finanziellen Eingliederung ist seit Kurzem umstritten. Lässt man 592 für die finanzielle Eingliederung schon die Stimmenmehrheit des Organträgers in der Gesellschafter-/Hauptversammlung der Organgesellschaft genügen, erlangt das Merkmal in der insolvenzrechtlichen Untersuchung keine gesteigerte Relevanz, da sich die Beteiligungs- und Stimmverhältnisse durch die Insolvenz nicht verändern. Da die Eingliederungsmerkmale aber Kriterien zur Feststellung der Unselbständigkeit der Organgesellschaft sind und das frühere gesetzliche Merkmal des Ausschlusses eines eigenen Willens der Organgesellschaft konkretisieren, ist es vorzugswürdig, die finanzielle Eingliederung als Möglichkeit der Durchsetzung des Organträgerwillens in der Organgesellschaft über das Vehikel der Gesellschafter-/Hauptversammlung, also auf gesellschaftsrechtlichem Wege, zu verstehen. Hierfür ist die 251

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Stimmenmehrheit notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Der gesellschaftsrechtliche Einfluss wird durch die Insolvenz der Organgesellschaft häufig beseitigt, da gesellschaftsrechtliche Steuerungsinstrumente, insbesondere Weisungsrechte des Mehrheitsgesellschafters, sowohl im Falle der Fremdverwaltung des Vermögens des Insolvenzschuldners als auch im Falle der Eigenverwaltung gem. § 276a Abs. 1 InsO wirkungslos sind.

III. Organisatorische Eingliederung 593 Im Fokus der insolvenzsteuerrechtlichen Betrachtung der umsatzsteuerlichen Organschaft steht zweifellos die organisatorische Eingliederung. Eine Gesellschaft ist organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert, wenn dieser seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung der Gesellschaft tatsächlich durchsetzen kann. Der insolvenzbedingte Fortfall dieser Willensdurchsetzung kann je nach Verfahrensstadium und -ausgestaltung an unterschiedlichen Stellen ansetzen.

1.

Verlust des Beherrschungsmittels

594 Besonders offensichtlich ist das Entfallen der organisatorischen Eingliederung, wenn das Mittel entfällt, über das die Willensdurchsetzung ermöglicht wurde. Das gilt insbesondere für einen Beherrschungsvertrag, der nicht erst im eröffneten Verfahren, sondern bereits im Eröffnungsverfahren und sogar bei materieller Insolvenz der Mutter seine Wirkung verliert. Daneben können insolvenzbedingte personelle Veränderungen in der Leitung eines insolventen Rechtsträgers – etwa die Einsetzung eines Insolvenzverwalters, eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines CRO/CIO – zur Beseitigung einer vorherigen Personenidentität in den Geschäftsleitungen von Organträger und Organgesellschaft führen, über die die Willensdurchsetzung vermittelt wurde.

2.

Umsetzbarkeit des Organträgerwillens in der Organgesellschaft

595 Bleibt das Beherrschungsmittel von eintretenden insolvenzrechtlichen Modifikationen unangetastet, besteht der Einfluss des Organträgers auf die Geschäftsleitung der Organgesellschaft grundsätzlich fort. Gleichwohl kann die Durchsetzbarkeit seines Willens in der Organgesellschaft beeinträchtigt sein: Jede noch so ausgeprägte Herrschaftsstellung des Organträgers verliert ihre Wirkung, wenn die Umsetzung des Organträgerwillens der Geschäftsleitung der Organgesellschaft schlichtweg nicht möglich ist. Das ist etwa der Fall, wenn die Wirksamkeit von Verfügungen der Organgesellschaft von der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder gem. § 277 InsO von der Zustimmung eines Sachwalters abhängig ist. Zudem werden die Handlungsmöglichkeiten der Organgesellschaft jedenfalls im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Insolvenzzweck eingeschränkt, dessen evidente Missachtung zur Unwirksamkeit entsprechender Handlungen führt.

252

A. Grundsätze für die Beurteilung des Bestands der Organschaft

3.

Tatsächliche Umsetzung des Organträgerwillens in der Organgesellschaft

Besteht für die Geschäftsleitung der Organgesellschaft die Möglichkeit der Umset- 596 zung des Organträgerwillens, darf hieraus angesichts der Ausrichtung des Umsatzsteuerrechts, der umsatzsteuerlichen Organschaft und speziell der organisatorischen Eingliederung an den tatsächlichen Verhältnissen noch nicht voreilig auf den Fortbestand der Organschaft geschlossen werden. Der Wille des Organträgers muss vielmehr auch befolgt, also faktisch umgesetzt werden, um ihn als durchsetzbar bezeichnen zu können. An der Bereitschaft zur Umsetzung des Organträgerwillens bestehen in Anbetracht der Insolvenz starke Zweifel, weil die Geschäftsleitung der Organgesellschaft vom Eintritt der materiellen Insolvenz an strengen insolvenzrechtlichen Pflichten unterliegt, die ihr unter Androhung scharfer straf- und zivilrechtlicher Sanktionen die Verwaltung der Gesellschaft nach den Wünschen des Organträgers untersagen. Jedenfalls wenn neben diese besondere Pflichtenbindung eine Überwachung durch einen unabhängigen (vorläufigen) Sachwalter oder durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter tritt, spricht viel dafür, dass die Geschäftsleitung ihren insolvenzrechtlichen Pflichten und damit letztlich den Gläubigerinteressen den Vorrang gegenüber den Partikularinteressen des Organträgers gibt, sodass sein Wille tatsächlich nicht mehr durchsetzbar ist.

4.

Insbesondere: Neutralitätsverstoß durch Störung des Innenausgleichs

Als Teil des im Sinne der organisatorischen Eingliederung durchzusetzenden Willens 597 kann die vollständige Durchsetzung des innerorganschaftlichen Ausgleichsanspruchs begriffen werden. Wenn der auf Erfüllung dieser Ansprüche gerichtete Wille des Organträgers aufgrund der Insolvenz der Organgesellschaft nicht durchsetzbar ist, entfällt demnach die organisatorische Eingliederung und mit ihr die Organschaft. Im spiegelbildlichen Fall der Organträgerinsolvenz kann ein Scheitern der Willensdurchsetzung daraus abgeleitet werden, dass der Organgesellschaft ein Weigerungsrecht gem. § 273 BGB zusteht, solange ihre Ausgleichsforderungen nicht erfüllt werden. Im eröffneten Insolvenzverfahren begegnet diese dogmatische Begründung aufgrund der fehlenden Insolvenzfestigkeit des § 273 BGB allerdings Schwierigkeiten. Hinter den Konstruktionen steht die Erwägung, dass ein funktionsfähiger innerorgan- 598 schaftlicher Ausgleichsmechanismus notwendige Voraussetzung für den Bestand der umsatzsteuerlichen Organschaft im Einklang mit dem fundamentalen mehrwertsteuerlichen Grundsatz der Belastungsneutralität ist. In dieser Erkenntnis liegt eine für die Behandlung der umsatzsteuerlichen Organschaft in der Insolvenz entscheidende Weichenstellung, die in der weiteren Diskussion um die umsatzsteuerliche Organschaft in Krise und Insolvenz einen Schwerpunkt bilden sollte. Nach hier vertretener Auffassung lässt sich die dauerhafte Belastung eines am Organkreis beteiligten Rechtsträgers mit fremden Steuerbeträgen nicht rechtfertigen, schon gar nicht 253

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

mit dem formellen Zweck der Verwaltungsvereinfachung. Insbesondere genügt die bloße Existenz eines kompensatorischen Anspruchs wegen der Ausrichtung der unternehmerischen Umsatzsteuerlast an den von ihm tatsächlich vereinnahmten Steuerbeträgen (vgl. nur § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) nicht. Der Anspruch muss auch tatsächlich einbringlich sein.

599 Als besonders heikel erweist sich der Umgang mit dem Erfordernis tatsächlicher Kompensation im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung, die zu einer Rückabwicklung neutralitätsschaffender Zahlungen führen kann und dadurch die Organschaft für diesen Zeitraum rückwirkend entfallen lässt.

IV. Abstrakte Beendigungsgründe in der Organträgerinsolvenz 600 Während man die Erwägungen zur Insolvenz der Organgesellschaft noch unter die gesetzlichen Eingliederungsmerkmale fassen kann, verlassen einige neuere Argumentationsansätze für die Organträgerinsolvenz diesen Bereich und berufen sich stattdessen auf abstrakte Konflikte eines gedachten Organschaftsbestands mit organschaftlichen Grundsätzen.

1.

Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit

601 So sieht der V. Senat des BFH den Fortbestand der Organschaft als unvereinbar mit dem Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit an, wenn die Steuerverbindlichkeit nur in Höhe der eigenen Umsätze des Organträgers eine Masseverbindlichkeit darstellt, in Höhe der zugerechneten Umsätze der Organgesellschaft dagegen nicht. Dadurch könne die Steuer gegenüber dem Organträger nur bezüglich seiner eigenen Umsätze per Bescheid festgesetzt werden, während in Höhe der zugerechneten Umsätze auf den Haftungsanspruch gegen die Organgesellschaft nach § 73 AO zurückgegriffen werde. Der vom BFH behauptete Konflikt mit der organschaftlichen Unternehmenseinheit besteht indes nicht, da die Umsatzzurechnung oder die Steuerschuldnerschaft des Organträgers durch die Insolvenz nicht in Frage gestellt werden. Der in § 73 AO vorgesehene Rückgriff des Finanzamtes auf die sekundär haftende Organgesellschaft allein kann kaum als systemwidrig angesehen werden, auch wenn dadurch rein faktisch eine Aufteilung der Umsatzsteuerdurchsetzung nach Verursachern erfolgen mag. Abgesehen davon entsteht eine solche Aufteilung nach hiesiger Ansicht schon gar nicht, weil die Steuerverbindlichkeit des Organträgers im Insolvenzverfahren über sein Vermögen stets einheitlich entweder als Masseverbindlichkeit oder als Insolvenzforderung zu qualifizieren ist.

2.

Nichterfüllung der Rolle als Steuereinnehmer

602 In bestimmten Verfahrensstadien und je nach Qualifikation der Umsatzsteuerverbindlichkeit kommt es aufgrund der Insolvenz des Organträgers dazu, dass der Fiskus seine Steuerforderung zur Tabelle anmelden muss und zumindest vom Organträger

254

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen

keine volle Befriedigung erhält. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass die Organschaft in diesen Fällen enden müsse, weil der Organträger seine Rolle als Steuereinnehmer nicht wahrnehmen könne. Dabei wird verkannt, dass es in der Insolvenz ganz natürlich ist, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vollständig an das Finanzamt abführt, soweit das Finanzamt kein Massegläubiger ist. Steuerausfälle sind in der Konzeption der Umsatzsteuer, die rechtlich wie wirtschaftlich einen vollwertigen Bestandteil des Unternehmervermögens bildet, im geltenden Recht angelegt. Warum sie ausgerechnet im Zusammenhang mit der Organschaft systemwidrig sein sollten, erschließt sich nicht, zumal das Risiko des Fiskus hier durch den zusätzlichen Zugriff auf die Organgesellschaft nach § 73 AO sogar gemindert ist.

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen Nach diesen Maßstäben ergeben sich für die Insolvenz der Organgesellschaft, die 603 Insolvenz des Organträgers und die gleichzeitige Insolvenz von Organträger und Organgesellschaft folgende Ergebnisse:

I.

Insolvenz der Organgesellschaft

1. Die Organschaft endet stets mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 604 das Vermögen der Organgesellschaft: 

Unstreitig hindert die Einsetzung eines Insolvenzverwalters im eröffneten Regelverfahren die Möglichkeit des Organträgers, die Verwaltung der Organgesellschaft zu beherrschen, da die Verwaltungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO). Dadurch endet die organisatorische Eingliederung und nach den zutreffenden Maßstäben des BFH ebenfalls die finanzielle Eingliederung, da der Organträger auch seinen gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss auf die Leitung der Organgesellschaft verliert.



Für den Fall der Eigenverwaltung über das Vermögen der Organgesellschaft wurde insbesondere vor dem Urteil des BFH vom 15.12.2016 häufig ein Fortbestand der Organgesellschaft angenommen, weil die vom Organträger beherrschte Geschäftsleitung weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft behalte. Nur eine Einschränkung durch besondere Befugnisse des Sachwalters könne dies ändern. Dabei wurde die von Kahlert herausgearbeitete Relevanz der besonderen Bindung der eigenverwaltenden Geschäftsleitung der Organgesellschaft an ihr insolvenzrechtliches Pflichtenprogramm übersehen. Die Geschäftsleitung bekommt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zum Zweck der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung neu übertragen und hat trotz ihrer personellen Identität mit der vorherigen Geschäftsleitung funktional vielmehr eine dem Insolvenzverwalter angenäherte Rechtsstellung. Dass die Geschäftsleitung ungeachtet ihres entgegenstehenden Pflichtenprogramms 255

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

aufgrund ihrer uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach wie vor den Willen des Organträgers umsetzen könnte, rechtfertigt nicht den Schluss auf einen Fortbestand der Organschaft. Nicht nur ist die Verfügungsbefugnis bei Verstößen gegen den Insolvenzzweck auch im Außenverhältnis beschränkt; es ist auch angesichts der schwerwiegenden Folgen bei Pflichtverstößen der eigenverwaltenden Geschäftsleitung und der Überwachung durch den Sachwalter nicht zu erwarten, dass die Geschäftsleitung unter Missachtung ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten tatsächlich den Willen des Organträgers befolgt. Dies wäre aber für eine Bejahung der organisatorischen Eingliederung erforderlich, da der Organträgerwille nur dann tatsächlich durchsetzbar und nicht den Gläubigerinteressen untergeordnet wäre. Zusätzlich zur organisatorischen Eingliederung entfällt wie im Regelverfahren die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen, weil der Organträger durch § 276a Abs. 1 InsO seines gesellschaftsrechtlichen Einflusses auf die Organgesellschaft gezielt und umfassend beraubt wird und dadurch die Stimmenmehrheit des Organträgers, die normalerweise seine Überordnung begründet, bedeutungslos wird. Dagegen stellen sich im Hinblick auf die Einbringlichkeit des Ausgleichsanspruchs im eröffneten Insolvenzverfahren entgegen der Ansicht des BFH keine Probleme, sofern man den Anspruch richtigerweise gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeit qualifiziert. Am Fortfall der Organschaft ändert das freilich aufgrund der obigen Beendigungsgründe nichts. 2. Auch im Eröffnungsverfahren über das Vermögen der Organgesellschaft kann die umsatzsteuerliche Organschaft nicht fortbestehen. Die Begründung hierfür unterscheidet sich je nach den angeordneten Sicherungsmaßnahmen:

256



Die insolvenzrechtlichen Beschränkungen des Insolvenzschuldners entsprechen bei Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters in den für die Untersuchung wesentlichen Punkten denen im eröffneten Regelverfahren. Aus diesem Grund sind die Erwägungen übertragbar, sodass auch hier bereits die finanzielle und die organisatorische Eingliederung enden.



Der Meinungsstand zum Fortbestand der Organschaft bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist durch die hierzu ergangene geänderte Rechtsprechung des BFH geprägt. Im Ergebnis zustimmungswürdig erfordert die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft danach, dass der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung positiv durchsetzen kann. Durch den Zustimmungsvorbehalt des sog. „halbstarken“ vorläufigen Verwalters ist die Willensdurchsetzung aber bei etlichen umsatzsteuerrelevanten Rechtshandlungen von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters und damit von der Konformität des Willens mit den Gläubigerinteressen abhängig und aus diesem Grund

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen

nicht mehr in ausreichendem Maße möglich. Ganz konkret ist auch die vollständige Verwirklichung des organschaftlichen Ausgleichsanspruchs des Organträgers behindert, da die Erfüllung dieses lediglich eine Insolvenzforderung darstellenden Anspruchs vom vorläufigen Verwalter nicht freigegeben wird. Die finanzielle Eingliederung dürfte dagegen in dieser Konstellation noch fortbestehen, weil der gesellschaftsrechtliche Einfluss des Organträgers anders als im eröffneten Verfahren oder bei Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters zumindest nicht grundsätzlich gehindert ist. 

Bei der in der Praxis seltenen Einsetzung eines vorläufigen Verwalters ohne gleichzeitige Anordnung weiterer Sicherungsmaßnahmen ist die Eingliederung am schwierigsten zu beurteilen, da der Insolvenzschuldner nach außen hin weitgehend ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen agieren kann. Allerdings richtet sich die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft nach der tatsächlichen Durchsetzbarkeit des Willens. Selbst wenn die Geschäftsleitung der Organgesellschaft im Außenverhältnis unbeschränkt Rechtshandlungen vornehmen könnte, wird sie im Innenverhältnis doch – ähnlich wie in der (vorläufigen) Eigenverwaltung – durch zivil- und strafrechtlichen Sanktionen zur Befolgung ihrer Pflichten angehalten, die zumindest vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Aufsicht des vorläufigen Insolvenzverwalters gegen eine freie Verwaltung des Vermögens nach dem Willen des Organträgers sprechen. Insbesondere eine Erfüllung von innerorganschaftlichen Ausgleichsansprüchen des Organträgers ist nicht zu erwarten.



In der vorläufigen Eigenverwaltung ist die Rechtslage trotz oder gerade wegen der jüngsten Entscheidung des XI. Senats des BFH vom 27.11.2019, mit der er unter Aufhebung des Urteils des FG Münster einen Fortbestand der Organschaft konstruierte, besonders diskussionswürdig. Hinzu kommt, dass seit dem 1.1.2021 durch das Inkrafttreten des SanInsFoG teilweise geänderte Rahmenbedingungen gelten. Der XI. Senat stützt sich maßgeblich darauf, dass die Organgesellschaft als vorläufig eigenverwaltende Schuldnerin anders als im eröffneten Verfahren nicht als Amtswalterin in eigenen Angelegenheiten, sondern aus eigenem Recht und daher völlig autonom handele. Der Organträger könne daher im Sinne der organisatorischen Eingliederung seinen Willen in vollem Umfang durchsetzen. Dabei vernachlässigt der Senat den von der Vorinstanz und in der Literatur zu Recht betonten Umstand, dass den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner unabhängig davon, ob man ihm im Eröffnungsverfahren bereits eine Amtswalterstellung zuschreibt, jedenfalls eine Massesicherungspflicht trifft. Diese ist durch Haftungsmechanismen – nunmehr ganz deutlich in §§ 60, 61, 276a Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 InsO – und teilweise strafrechtliche Sanktionen abgesichert, sodass auch tatsächlich eine Befolgung dieser Pflicht 257

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

zu erwarten ist. Daher kann der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft nicht tatsächlich durchsetzen, soweit er der Massesicherungspflicht widerspricht, wodurch die organisatorische Eingliederung entfällt. Insoweit gleicht die Rechtslage praktisch derjenigen im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren. Zusätzlich ist der organschaftliche Innenausgleich gestört, da der Ausgleichsanspruch des Organträgers ohne eine entsprechende Anordnung des Insolvenzgerichts keine Masseverbindlichkeit darstellen kann und folglich uneinbringlich ist. Die Entscheidung des XI. Senats, die möglicherweise von der besonderen fiskalischen Interessenlage geleitet war, die bis zur Erweiterung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG in der vorläufigen Eigenverwaltung bestand, erweist sich damit auch als widersprüchlich zu den Aussagen des V. Senats. Es wäre nicht überraschend, wenn der BFH die Entscheidung des XI. Senats bei nächster Gelegenheit revidiert. Das gilt umso mehr, als nach dem SanInsFoG der Anwendungsbereich des § 276a InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung ausgedehnt wurde. Damit lässt sich die Beendigung der Organschaft zutreffend auch auf den Fortfall der finanziellen Eingliederung der vorläufig eigenverwaltenden Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers stützen. 3. Vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft ist der Fortbestand der Organschaft schwieriger zu beurteilen und mitunter vom Einzelfall abhängig: 

258

Mit dem Eintritt der materiellen Insolvenz treten zwar nicht unmittelbar insolvenzrechtliche Rahmenregeln in Kraft, doch geht damit für die Organgesellschaft die Insolvenzantragspflicht einher (§ 15a Abs. 1 InsO), deren Verletzung eine scharfe zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Sanktionen auslöst. Der Geschäftsleitung der Organgesellschaft ist es damit im Grunde untersagt, ihre Geschäftstätigkeit weiterhin nach dem Willen des Organträgers auszurichten. Ein Blick auf das Verhalten materiell insolventer Kapitalgesellschaften und ihrer Geschäftsleitungen in der Praxis zeigt indes, dass eine Missachtung der Insolvenzantragspflicht eher die Regel als die Ausnahme darstellt und der Geschäftsbetrieb sehr häufig auch nach Eintritt der Überschuldung, nicht selten sogar nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit aufrechterhalten wird. Es lässt sich daher nicht generell vermuten, dass der Organträger seinen Willen in diesem Stadium nicht tatsächlich durchsetzen kann. Der Bestand der Organschaft kann insoweit nur im Einzelfall in Abhängigkeit von den tatsächlichen Verhältnissen bewertet werden, wobei für den Fortbestand der Organschaft prima facie spricht, dass die Organgesellschaft im Falle einer Befolgung ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten den Insolvenzantrag stellen und damit das Stadium der bloß materiellen Insolvenz beenden würde. Zu beachten ist aber, dass sich im Stadium der materiellen Insol-

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen

venz ein rückwirkender Fortfall der Organschaft ergeben kann, sofern die Erfüllung von Ausgleichsansprüchen des Organträgers im Insolvenzverfahren angefochten wird. 

In Rechtsprechung und Literatur wurden etwaige Auswirkungen der Insolvenzanfechtung auf die Organschaft bisher nicht behandelt. Sieht man in der kompensationslosen Belastung des Organträgers mit Umsatzsteuer aus Umsätzen der Organgesellschaft einen Verstoß gegen den umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz, kann die – je nach Einzelfall nach unterschiedlichen Vorschriften drohende – Anfechtung der Ausgleichszahlungen indes nicht ohne Folgen bleiben. Durch die anfechtungsbedingte Rückgewähr der Kompensationszahlung wird dasselbe Ergebnis erreicht, als hätte der Organträger nie einen Ausgleich erhalten, ohne dass er seine Belastung verhindern könnte. Im geltenden Recht kann der Konflikt einzig durch eine rückwirkende Beendigung der Organschaft für den Zeitraum der von der Anfechtung betroffenen Kompensation sinnvoll aufgelöst werden. Auch im Falle der Anfechtung etwaiger direkter Zahlungen der Organgesellschaft an das Finanzamt muss die Organschaft entfallen, soweit das Finanzamt sich sonst an den Organträger halten könnte, dem aufgrund der Organgesellschaftsinsolvenz der Ausgleich abgeschnitten wäre.

4. Zuletzt muss die Organschaft auch bei der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse enden, da angesichts der Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft faktisch ausgeschlossen ist, dass ein funktionsfähiger organschaftlicher Innenausgleich stattfinden kann. 5. Im Gesamtbild ist ein Fortbestand der umsatzsteuerlichen Organschaft jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags für die Organgesellschaft ausgeschlossen. Vor Antragstellung sprechen die tatsächlichen Umstände dagegen eher für einen Fortbestand der Organschaft, doch kann es durch die Insolvenzanfechtung zu einer rückwirkenden Beendigung kommen.

II. Insolvenz des Organträgers Die Untersuchung der Insolvenz des Organträgers findet mit umgekehrten Vorzeichen 605 statt, weil es hier nicht auf die Beherrschbarkeit des Insolvenzschuldners ankommt, sondern auf seine Fähigkeit, selbst zu herrschen. Das Erfordernis umsatzsteuerlicher Belastungsneutralität ist allerdings gleichermaßen zu berücksichtigen. 1. Im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Organträgers hängt der Bestand der Organschaft von den Umständen der organisatorischen Eingliederung ab: 

Die Einsetzung eines Insolvenzverwalters hindert nicht grundsätzlich die Eignung des Insolvenzschuldners als Organträger. Insbesondere besteht entgegen der Ansicht des BFH kein Konflikt mit der organschaftlichen Unter259

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

nehmenseinheit – nicht nur, weil der Ansatz schon grundsätzlich nicht überzeugen kann, sondern auch, weil aufgrund der Gesamtqualifikation der Steuerforderung als Masseverbindlichkeit eine einheitliche Steuerfestsetzung gegenüber dem Organträger möglich bleibt. Eine Störung des Innenausgleichs wäre zwar als Beendigungsgrund zu berücksichtigen, besteht wegen der Qualifikation des Ausgleichsanspruchs als Masseverbindlichkeit in der Regel aber nicht. Es kommt daher entscheidend auf die fortbestehende Möglichkeit der Willensdurchsetzung des Organträgers in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft an. Unschädlich ist insoweit, dass die Leitung der Geschäfte auf den Insolvenzverwalter übergeht, der damit nun für die Willensbildung und -durchsetzung des Organträgers zuständig ist. Allerdings können die Durchsetzungsmöglichkeiten je nach Einzelfall beeinträchtigt sein, etwa wenn die organisatorische Eingliederung zuvor auf einer Personenidentität der Geschäftsleitungen von Organträger und -gesellschaft oder einem Beherrschungsvertrag basierte. 

In der Eigenverwaltung ist die Rechtslage dem Grunde nach mit derjenigen im Regelverfahren vergleichbar. Es besteht jedoch der Unterschied, dass die frühere Geschäftsleitung des Organträgers auch jetzt die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Organträgers innehat, was im Standardfall der organisatorischen Eingliederung über Personenidentität zu einer fortbestehenden Möglichkeit der Willensdurchsetzung in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft führt. Dann besteht die Organschaft grundsätzlich fort.

2. Im Eröffnungsverfahren ist die Rechtslage anders als im eröffneten Verfahren stark von der Störung des organschaftlichen Innenausgleichs geprägt:

260



Eine Ausnahme von dieser Feststellung bildet zunächst noch der Fall der „starken“ vorläufigen Verwaltung. Hier gelten die Erwägungen zum eröffneten Regelverfahren: Der vorläufige Insolvenzverwalter begründet zwar gem. § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten, sodass entstehende Ausgleichsansprüche einbringlich sind. Allerdings entfällt durch seine Einsetzung eine etwaige vorher bestehende Personenidentität in den Geschäftsleitungen von Organträger und Organgesellschaft.



Wird ein vorläufiger Verwalter eingesetzt und lediglich ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt angeordnet, kommt eine Aufwertung der entstehenden Ausgleichsansprüche der Organgesellschaft gegen den Organträger zu Masseverbindlichkeiten nicht in Betracht. Der daraus resultierende Konflikt mit der Belastungsneutralität schließt einen Fortbestand der Organschaft aus. Eine anderweitige Beeinträchtigung der Eingliederung wäre dagegen regelmäßig zu verneinen. Dasselbe Bild ergibt sich bei einer Einsetzung eines vorläufigen Verwalters ohne weitere Sicherungsanordnungen.

B. Ergebnisse für die unterschiedlichen Konstellationen



Zuletzt verstieße ein Fortbestand der Organschaft auch in der vorläufigen Eigenverwaltung gegen den umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz, weil Ausgleichsansprüche der Organgesellschaft – ungeachtet der Erweiterung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG und vorbehaltlich einer Einzelermächtigung durch das Insolvenzgericht – auch hier als Insolvenzforderungen qualifiziert werden müssen. Dass die Willensdurchsetzung durch den vorläufig eigenverwaltenden Organträger im Übrigen möglich wäre, vermag daran nichts zu ändern.

3. Auch im vorinsolvenzlichen Zeitraum der Krise wird der Bestand der Organschaft vor allem durch den Grundsatz der Belastungsneutralität beeinflusst: 

Die materielle Insolvenz des Organträgers ändert nichts an der Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers. Es besteht allerdings ein hohes Insolvenzanfechtungsrisiko.



Erfolgt eine Anfechtung von Kompensationszahlungen des insolventen Organträgers an die Organgesellschaft, wird der Organgesellschaft der Zugang zum Vorsteuerabzug, der das Kernelement des belastungsneutralen Mehrwertsteuersystems ist, ersatzlos entzogen. Der Konflikt kann einzig durch einen rückwirkenden Fortfall der Organschaft sinnvoll aufgelöst werden.

4. Bei einer Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse ist wie bei Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft ein belastungsneutraler Fortbestand der Organschaft kaum denkbar. 5. Insgesamt steht die Organträgerinsolvenz anders als die Organgesellschaftsinsolvenz einem Fortbestand der umsatzsteuerlichen Organschaft also nicht per se entgegen. Eine Beendigung kann sich aber einerseits im Einzelfall durch den Wegfall der organisatorischen Eingliederung und andererseits daraus ergeben, dass der untergeordneten Organgesellschaft unter Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz die Möglichkeit der Vorsteuererstattung genommen wird.

III. Doppelinsolvenz Die Ergebnisse für die Doppelinsolvenz werden durch die Feststellungen zu den 606 Einzelinsolvenzen von Organgesellschaft und Organträger bestimmt: 

Bei Einsetzung unterschiedlicher Verwalter sind Unterschiede von vornherein ausgeschlossen. Die Organschaft entfällt in jedem Fall spätestens mit Insolvenzantragstellung, die obigen Erwägungen zu den Einzelinsolvenzen gelten für die Doppelinsolvenz kumulativ.



Die Einsetzung desselben Insolvenzverwalters für Organgesellschaft und Organträger oder desselben eigenverwaltenden Geschäftsleiters ändert an diesem Er-

261

Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

gebnis entgegen einer vielfach vertretenen Auffassung nichts. Der Verwalter oder die eigenverwaltende Geschäftsleitung wird die jeweiligen Pflichtenprogramme beachten, sodass eine Führung der Organgesellschaft nach dem Willen des Organträgers genauso ausscheidet, wie wenn unterschiedliche Personen bestellt worden wären.

C. Rechtspolitischer Ausblick 607 In der Literatur wird bereits seit einiger Zeit der Bedarf einer Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft betont. Er kann vor dem Hintergrund der Untersuchung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz bestätigt werden: 

Die Entstehung einer umsatzsteuerlichen Organschaft hängt von auslegungsbedürftigen und im Detail teilweise unklaren Kriterien ab, deren Vorliegen nicht amtlich geprüft wird. Daher herrscht ganz grundsätzlich Rechtsunsicherheit im Hinblick auf das Bestehen umsatzsteuerlicher Organschaften, die bis heute nicht gänzlich ausgeräumt werden konnte.



Spätestens die Rechtsprechung des EuGH hat in mehreren Punkten die Unvereinbarkeit der nationalen umsatzsteuerlichen Organschaft mit dem Unionsrecht aufgedeckt. Obwohl der BFH die deutsche Regelung weiterhin für anwendbar hält, kann eine langfristig befriedigende Lösung allein durch den Gesetzgeber erfolgen.



Durch die besonderen insolvenzrechtlichen Mechanismen vervielfachen sich die Unsicherheiten über das Vorliegen insbesondere der organisatorischen Eingliederung in Krise und Insolvenz. Gleichzeitig werden zuletzt immer häufiger abstrakte Konflikte ausgemacht, die trotz Eingliederung den Bestand der Organschaft in Frage stellen. In Krise und Insolvenz bereitet zudem eine dem Grundsatz der Belastungsneutralität gerecht werdende Handhabung der Organschaft große Probleme, die durch das Instrument der Insolvenzanfechtung mit Rückwirkungseffekten und daraus resultierenden fiskalischen Nachteilen verbunden sein können. All dies gilt es bei einer Reform zu vermeiden.

608 Die vorgeschlagenen Reformmodelle tragen den insolvenzrechtlichen Implikationen unterschiedlich gut Rechnung: 

Insolvenzsteuerrechtliche Konflikte im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Organschaft werden offensichtlich besonders effektiv beseitigt, indem die Rechtsfigur abgeschafft wird. Für die Abschaffung jedenfalls in den meisten Branchen sprechen gute Gründe, doch erscheint die Abkehr von der umsatzsteuerlichen Organschaft in näherer Zukunft unwahrscheinlich.



Nach unionsrechtlicher Vorstellung bildet der Organkreis ein eigenständiges, neues Steuersubjekt. Eine Anpassung des deutschen Rechts an dieses Modell allein würde die bestehenden Reibungen nicht wirkungsvoll beseitigen, da die Entstehung und die Beendigung der Organschaft damit nicht leichter feststellbar

262

C. Rechtspolitischer Ausblick

würden, vor allem, wenn gleichzeitig das Kriterium der Eingliederung durch das unionsrechtliche Merkmal der engen Verbundenheit ersetzt würde. Zudem würden die in Krise und Insolvenz identifizierten Konflikte mit dem Neutralitätsgrundsatz nicht ausgeräumt. 

Zur Auflösung der Neutralitätskonflikte wäre die Einführung eines allseitigen Antragsverfahrens für die Eingehung der umsatzsteuerlichen Organschaft zu begrüßen. Hierdurch wäre eine organschaftsbedingte gegenseitige steuerliche Belastung von einer privatautonomen Zustimmung der Beteiligten abhängig und dadurch gerechtfertigt. Allein die Beendigung der Organschaft durch den Fortfall eines Eingliederungs-/Verbundenheitsmerkmals wäre noch mit Unsicherheiten behaftet, die allerdings insgesamt hinnehmbar erscheinen.



Interessant ist der Vorschlag des Bundesministeriums der Finanzen im Eckpunktepapier vom 14.3.2019, in dem das Ministerium ein generalüberholtes Organschaftsmodell mit allseitigem Antragserfordernis und einer gemeinsamen Haftung der Beteiligten für alle Steuerschulden präsentiert. Es kombiniert die genannten Vorteile eines Antragserfordernisses mit vereinfachten Verbundenheitsmerkmalen, die die Feststellbarkeit des Organschaftsbestands erleichtern. Aus insolvenzsteuerrechtlicher Sicht ist zu hoffen, dass das Finanzministerium seine Reformbestrebungen weiterverfolgt und ein solches oder zumindest ein ähnliches Konzept für die umsatzsteuerliche Organschaft auf den Weg bringt, um die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Bestands der umsatzsteuerlichen Organschaft in Krise und Insolvenz nachhaltig zu beseitigen.

263

Anhang: Tabellarische Übersicht über die Ergebnisse

Sonderfälle

Krise

Eröffnungsverfahren

Eröffnetes Verfahren

Tabelle 1: Ergebnisse zum Fortbestand der Organschaft in Krise und Insolvenz Insolvenz der Organgesellschaft

Insolvenz des Organträgers

Doppelinsolvenz

Regelverfahren

ٓ

ْ/ٓ

ٓ

Eigenverwaltung

ٓ

ْ

ٓ

„Starker“ vorläufiger Verwalter

ٓ

ْ/ٓ

ٓ

„Halbstarker“ vorläufiger Verwalter

ٓ

ٓ

ٓ

„Schwacher“ vorläufiger Verwalter

ٓ

ٓ

ٓ

Vorläufige Eigenverwaltung

ٓ

ٓ

ٓ

Vorl. Eigenverwaltung, Begründung von MV

ٓ

ْ

ٓ

Materielle Insolvenz

ْ/ٓ

ْ/ٓ

ْ/ٓ

Insolvenzanfechtung

ٓ

ٓ

ٓ

Masseunzulänglichkeit/ -armut

ٓ

ٓ

ٓ

Abweisung mangels Masse

ٓ

ٓ

ٓ

(ٓ bezeichnet die grundsätzliche Beendigung der Organschaft, ْ bezeichnet den grundsätzlichen Fortbestand. ْ/ٓ bedeutet, dass eine generelle Aussage nicht getroffen werden kann. Die Tabelle dient nur der groben Übersicht und bezieht nicht alle in der Arbeit behandelten und vom Grundsatz abweichenden Sonderkonstellationen ein.)

265

Anhang: Tabellarische Übersicht über die Ergebnisse

Tabelle 2: Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Fortfall der Organschaft in der Insolvenz Insolvenz des Organträgers

Regelverfahren

ٓ BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 Rn. 29 ff.

ٓ BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 Rn. 13 ff.

Eigenverwaltung

ٓ BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 Rn. 33 ff.

ٓ BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562 Rn. 26 f.

ٓ BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 Rn. 28



„Halbstarker“ vorläufiger Verwalter

ٓ BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 Rn. 30 ff.



Vorläufige Eigenverwaltung

ْ BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, Rn. 53 ff.

ْ BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17 Rn. 66 ff.

Eröffnungsverfahren

Eröffnetes Verfahren

Insolvenz der Organgesellschaft

„Starker“ vorläufiger Verwalter

(ٓ bezeichnet die Beendigung, ْ bezeichnet den Fortbestand der Organschaft. In der vorläufigen Eigenverwaltung ist zu beachten, dass die Entscheidung vor Inkrafttreten des SanInsFoG ergangen ist.)

266

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46 f., 101 f., 168,

405 f., 493, 514 Belastungsneutralität 65 ff., 182 ff., 222, 257, 296 ff., 339 ff., 357, 358 ff., 388, 462 f., 481, 509, 516, 519, 533 ff., 555, 569 f., 581, 598 f. Berichtigung (§ 17 UStG) 189, 205 f., 210, 220 f., 259, 326, 357, 368 ff., 388 Betriebseinstellung 99, 401

CRO/CIO

236, 483, 529

Doppelinsolvenz

521 ff., 540

Eckpunktepapier (BMF)

573 ff. Eigenverwaltung 104 ff., 479 ff., 523, 525 ff. – Aufhebung 164 – Vorläufige 271 ff., 492, 497, 506, 523, 532, 535 Eingliederung 30 ff., 397 ff., 529, 574 ff. – Abgrenzung 140 ff., 150 – Finanzielle 36 f., 91 f., 126 ff., 132 ff., 244, 261 f., 283 ff., 398 ff., 592 – Funktion 140, 144 f. – Organisatorische 40 ff., 89 f., 101, 149 ff., 242, 246 ff., 274, 393 f., 402 ff., 467, 482, 509, 525 ff., 593 ff. – Wirtschaftliche 38 f., 94 ff., 239, 393, 401, 591 Einheitsfiktion 56, 118, 418 ff.

Einzelermächtigung 300 ff., 495, 508, 535 Einzelverfahrensgrundsatz 111, 117 ff., 281 f., 410 f. Eröffnungsverfahren s. Insolvenzverfahren (vorläufiges) Ertragsteuerliche Organschaft 54, 77 ff., 131

Faktischer Konzern 48, 75, 138 Fiskalische Interessen 22, 250, 253, 276 ff., 374 f. Geschäftsführung ohne Auftrag 74 Gläubigerbenachteiligung 339 ff., 353 Gleichstellungsgedanke 91, 148 Haftung – Geschäftsleiter 160, 266 f., 294, 315 – Organkreis (§ 73 AO) 60 ff., 231 f., 299, 450, 458, 503 f., 515, 540, 560

Innenausgleich s. Ausgleichsanspruch Insolvenzanfechtung 270, 298, 331, 334 ff., 358 ff., 518 f., 536 Insolvenzantragspflicht 314, 319, 516 Insolvenzverfahren – Regel- 86 ff., 391 ff., 523, 525 ff., 534 – Vorläufiges 240 ff., 486 ff., 523, 530 ff., 535 Insolvenzverwalter 86 ff. – Halbstarker vorläufiger 245 ff., 489 f., 497 ff., 506, 531, 535 – Personengleiche 524 ff. – Schwacher vorläufiger 263 ff., 491, 500, 506, 535 – Starker vorläufiger 241 ff., 488, 496, 507, 530, 535 – Insolvenzzweckwidrigkeit 95 ff., 115, 156 ff., 222, 265, 291 ff., 298, 481, 509 Kassenführungsbefugnis

107 f., 121, 249, 287 Kompensation s. Ausgleichsanspruch Konzerninsolvenzrecht 117, 521, 527, 562

Massesicherungspflicht

261 f., 266, 273, 288, 294, 298 f., 313 ff., 492 Materielle Insolvenz 304 ff., 512 ff., 536

299

Stichwortverzeichnis Mehrwertsteuersystemrichtlinie 17, 31 ff., 254, 468, 554, 563 ff., 568, 574

Organkreis als Steuersubjekt

33, 253, 563 ff. Organschaftliche Unternehmenseinheit 395, 412 ff., 455, 480, 494 ff., 515, 538, 601

Par conditio creditorum 100, 334, 372 Personelle Verflechtung 43 f., 52, 90, 163, 403 f., 407 ff., 482, 525 f. Personenidentität s. personelle Verflechtung Pflichtenprogramm 113, 152 ff., 266, 273 f., 288 ff., 294 ff., 312 ff., 526 f. Reform – Bedarf 554 f. – Vorschläge 556 ff. Rückwirkung 362 ff., 519

Sachwalter

107, 111, 120 ff., 161, 529 – Vorläufiger 287 ff., 497 SanInsFoG 105, 271 f., 277 ff., 285, 508 Schutzschirmverfahren 272, 300 ff., 492 ff. Simultaninsolvenz s. Doppelinsolvenz Stehenlassen 207 ff., 351, 361, 551 Steuereinnehmer 33, 65, 179, 183, 199, 252 f., 340, 454, 456 f., 602 Subordination 31 ff., 42, 247 ff., 252, 254, 554, 566

Tatsächliche Verhältnisse

41, 54, 249,

268, 289, 527

Überschuldung 305, 320, 329, 513, 516 Umsatzsteuerliche Organschaft – Abschaffung 557 ff. – Entwicklung 13 ff., 18, 469 – Rechtsfolgen 55 ff., 542 ff. – Rechtsform d. Beteiligten 25 ff. – Verfassungsmäßigkeit 185 ff. – Voraussetzungen 24 ff. – Zweck 18 ff., 559 ff.

300

Umsatzsteuerverbindlichkeit – Aufspaltung 447 ff., 503, 515, 541 – Existenz 422 ff. – Qualifikation 412, 415 ff., 430 ff., 495 ff., 538 f. – (Un-)Einbringlichkeit 395, 454 ff., 502 ff. Unerkannte Organschaft 59, 550 ff. Ungerechtfertigte Bereicherung 71 ff., 225, 230, 475 ff. Unionsrecht 16 ff., 26, 29, 31 ff., 253 f., 468, 554, 563 ff., 568

Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis

88 ff., 152, 157, 241, 264, 288, 308, 311, 387, 391, 399 Verwaltungsvereinfachung 21, 196, 451, 503, 557 Vorsteuerüberhang 233 f., 448, 460 f., 469, 509, 518, 533

Wahlrecht 57 ff., 194, 568 ff. Weisungsbefugnis 47, 138, 408 f. – Fortfall 91 f., 112, 124, 147 Willensbildung 163, 247 ff., 394, 398 ff., 490 Willensdurchsetzung 41 f., 50 f., 90, 525 ff. – Über die Gesellschafterversammlung 127 ff., 134, 147, 244, 261, 283 ff., 398 – Möglichkeit 50, 121 f., 255 f., 291 ff., 594 f. – Tatsächliche 41 f., 51, 122, 153 ff., 159 ff., 215 ff., 249, 266 ff., 289 f., 294 f., 317 ff., 596 – Positive 247 ff., 252 – Umfang 165 ff. Zahlungsunfähigkeit

305, 321, 328, 513, 516 Zurückbehaltungsrecht 467, 493, 509, 514 Zustimmungsvorbehalt 107 f., 121, 246 ff., 256, 287, 489 f., 499 Zwangsorganschaft s. Wahlrecht Zwangssubventionierung 200, 307