Die Strafzumessung in rechtsvergleichender Darstellung: Zugleich ein Beitrag zur Strafrechtsreform [1 ed.] 9783428413126, 9783428013128

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Die Strafzumessung in rechtsvergleichender Darstellung: Zugleich ein Beitrag zur Strafrechtsreform [1 ed.]
 9783428413126, 9783428013128

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Lothar Schmidt Die Strafzumessung in rechtsvergleichender Darstellung

Schriften zum Strafrecht Band 1

Die Strafzumessung in rechtsvergleichender Darstellung Zugleidt ein Beitrag zur Strafremtsreform

Von

Dr. Lothar Schmidt

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

® 1961 Dnncker&Humblot, Bulin

Gedruckt 1961 bei Hans Winter Buchdruckerei, Berlin SW 61 Prlnted in Germany

Meiner Mufter

Vorwort Die vorliegende Untersuchung geht auf einen Beitrag zur Großen Strafrechts reform zurück, den ich 1954 im Auftrag des Bundesjustizministeriums geschrieben habe. Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Bundesrichter Prof. Dr. Dietrich Lang-Hinrichsen, dem damaligen Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg/Breisgau, der seinerzeit die Anregung zu diesem Beitrag gab. Herrn Prof. Dr. Hans-Heinrich Jescheck, dem jetzigen Direktor des Freiburger Instituts, schulde ich Dank dafür, daß er mir für die Weiterführung und Vervollständigung der vorliegenden Arbeit die Benutzung der Institutsbibliothek gestattete. Erlangen, im Oktober 1960

Lothar Schmidt

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ......... . ................................. . ...

15

Einleitung ...........................................................

19

A. Länderberichte ..............................................

21-118

B. Rechtsvergleichender Teil ...................................

119-173

C. Anhang

175-258

D. Literaturverzeichnis

259-278

E. Sachverzeichnis

279-299

Nachtrag und Berichtigungen ..•.............................

300

A. Länderberichte I. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Strafzumessung ............................. 2. Allgemeine Strafzumessungsregeln ......................... . 3. Strafmilderungsgründe ...................................... a) Die einfache Strafmilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafmilderung nach freiem Ermessen und Absehen von Strafe ................................................... 4. Strafschärfungsgründe .,. ...... .... .... ...... ...... .... ..... a) Rückfall ................................................. b) Verbrechenskonkurrenz .................................. c) Die Gewinnsucht als Strafschärfungsgrund ............. . . . 5. Zusammentreffen von Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründen .................................................... 6. Strafänderung und Mehrtäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anrechnung der Untersuchungshaft.......... . ............... D. Osterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Strafzumessung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Strafzumessungsregeln .......................... 3. Milderungsgründe ......................................... . . 4.Erschwerungsgründe .............. ... . ......... . . .. ......... 5. Außerordentliche Strafmilderung. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 6. Absehen von Strafe ......................................... 7. Strafumwandlung...........................................

23 24 28 30 31 32 33 34 35 38 38 39 39 40 40 43 45 45 46 47 48

10

Inhaltsverzeichnis 8. Rückfall 9. Verbrechenskonkurrenz ..................................... 10. Anrechnung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 49 50

Italien .........................................................

51

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Clrundlagen der Strafzume~g ................... .......... Allgemeine Strafzumessungsregeln .......................... Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe ................ Rückfall .................................................... Verbrechenskonkurrenz ..................................... Anrechnung der Untersuchungshaft .............. . . . . . . . . . . . .

52 53 54 55 56 56

IV. Frankreich.. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . .. . .. . . . . . . . ... . .. . .

57

1. Clrundlagen der Strafzumessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafschärfung .............................................. 3. Strafmilderung ............................................. 4. Rückfall .................................................... a) La recidive-aggravation .................................. b) La recidive-relegation .................................... 5. Verbrechenskonkurrenz ..................................... 6. Anrechnung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 60 61 63 63 66 68 68

V. Großbritannien.................................................

69

1. Clrundlagen der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Strafzumessung im Einzelfalle .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Berufung wegen fehlerhafter Strafzumessung .. . . . . . . . . . .

70 72 76

VI. U. S. A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

1. Clrundlagen der Strafzumessung ............................. 2. Die Strafzumessung im Einzelfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rückfall ....................................................

78 81 87

m.

VII. Sowjetrußland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

1. Clrundlagen der Strafzumessung .............. . . . . . . . . . . . . . . .

88 90 92 93 94 94 95 95 96

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

"Das Strafgesetzbuch ohne Schuld und Strafe" . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Strafzumessungsregeln .......................... Straferschwerungsgründe ................................... Rückfall .................................................... Strafmilderungsgründe ...................................... Außerordentliches Milderungsrecht und Absehen von Strafe.. Verbrechenskonkurrenz ... ............... ................... Anrechnung der Untersuchungshaft..........................

Inhaltsverzeichnis

vm.

Polen.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Strafzumessung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Strafzumessungsregeln .......................... 3. Strafmilderung, Strafschärfung, außerordentliche Strafmilderung und außerordentliche Strafsdlärfung ... ... ... .... . . ..... 4. Rückfall .................................................... 5. Verbrechenskonkurrenz ..................................... 6. Anrechnung der Untersuchungshaft ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11 97 97 99 100 102 102 103

IX. Tschechoslowakei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

104 104 2. Allgemeine Strafzumessungsregeln .......................... 104 3. Strafschärfung, Strafmilderung, Absehen von Strafe . . . . . . . . . . 106 4. Verbrechenskonkurrenz und Anrechnung der Untersuchungshaft 106 1. Grundlagen der Strafzumessung .............................

X. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Grundlagen der Strafzumessung ............................. 2. Allgemeine strafzumessungsregel ........................... 3. Strafmilderung ............................................. 4. Strafschärfung .............................................. 5. Rückfall ....................................................

107 107 108 108 109 110

XI. Brasilien ...................................................... , 1. Grundlagen der Strafzumessung ............................. 2. Allgemeine Strafzumessungsregel ........................... 3. Strafmilderung und Strafschärfung .......................... 4. Rückfall .................................................... 5. Verbrechenskonkurrenz .....................................

112 112 113 113 114 115

XH. Philippinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Grundlagen der Strafzumessung ............................. 2. Allgemeine Strafzumessungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Strafmilderung und Strafschärfung .......................... 4. Rückfall .................................................... 5. Verbrechenskonkurrenz .....................................

116 116 117 117 117 118

Inhaltsverzeichnis

12

B. Rechtsvergleichender Teil I. Grundlagen der Strafzumessung ................................ 1. Gesetzliche und richterliche Strafzumessung. ................ 2. Die absolut bestimmte Strafdrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die relativ bestimmte Strafdrohung und der Charakter der Straftatbestände ............................................

n

~elne

Str&fzumessungsrepIn und Zumessunppraxfs ....

121 121 122 123 129

1. Regelung 1: Rechtsordnungen mit allgemeiner Strafzumessungs-

regel ........................................................ 130 2. Regelung 2: Rechtsordnungen mit allgemeinen Anweisungen über die Anrechnung von Erschwerungs- und Milderungsgründen .................................................... 135 3. Regelung 3: Rechtsordnungen ohne Strafzumessungsregel . . . .. 137 In Strafmilderung

142

IV. AußerordentUche Strafmilderung und Absehen von Strafe .... . . . .

145

V. Anredmung der Untersuchungshaft

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

148

VL Strafschärfung ..................................................

149

VB. Die Behandlung des Rüddalls .................................. 1. Rückfallsarten .............................................. 2. Vorstrafe ................................................... 3. Rückfallstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Rückfallsverjährung ........................................ 5. Rückfallssanktionen .........................................

152 152 153 154 154 154

VIn Verbrechenskonkurrenz IX. Aktuelle Fragen der Strafzumessung ............................ 1. Gesetzgebungspolitik ........................................ 2. Presentence Investigation Report ............................ 3. Unbestimmte Verurteilung .................................. 4. Geldstrafen ................................................. 5. Revisibilität ................................................ 6. Strafzumessungsgründe im Urteil .............. . . . . . . . . . . . . .. 7. Strafzumessung undStrafrechtsreform ........................ a) Die deutschen StGB-Entwilife und das schweizerische Strafrecht ................................................ b) Strafdrohungen und Straftatbestände .... . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die allgemeinen Strafzumessungsregeln . . .. . . . . . . . . . . . . . .. d) Anrechnung der Untersuchungshaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Strafschärfung .................................... . ...... f) Strafmilderung .......................................... g) Täterstrafrecht und Tatstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

157 159 159 161 161 162 163 164 166 166 166 167 168 168 169 170

Inhaltsverzeichnis

13

C. Anhang I. Tabelle I: Die Behandlung der Rückfallstat in der Gesetzgebung der U. S. A. .........................................

177

11. Tabelle 11: Beispiele zur Rückfallsgesetzgebung. ... . . . . . . ... . . ...

180

111. Gesetzesanhang ................................................ 1. Schweiz ..................................................... 2. Österreich .................................................. 3. Italien ...................................................... a) Strafgesetzbuch ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Entwurf 1949 ...................... , ............ " .. .. ..... 4. Sowjetrußland .............................................. 5. Tschechoslowakei ........................................... 6. Spanien .................................................... 7. Brasilien.................................................... 8. Philippinen ................................................. 9. Bundesrepublik Deutschland.................................. a) Entwurf 1956 .... , ....... ,. . .. . . .... .... ... . . . . . . . . . . . . . ... Gegenüberstellung der Paragraphenzahlen der E 1956, E 1959 und E 1959 11 ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Entwurf 1960....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

185 186 189 196 196 207 211 216 221 232 237 240 240 245 246

D. Literaturverzeidmls

259

E. Samverzeidmls

279

Nachtrag und Berichtigungen ......................................

300

Abkürzungsverzeimnis Die ohne näheren Zusatz angegebenen Artikel oder Paragraphen bezeichnen jeweils Vorschriften, die im Strafgesetz(buch) des Berichtslandes enthalten sind. Beim Zitieren englischer und amerikanischer Gerichtsentscheidungen ist folgende Reihenfolge beachtet: Band, FundsteIle, Seitenzahl. Nach der üblichen Zitierweise englischer Gesetze bedeutet Forgery Act, 1861 (24 & 25 Vict. c. 98): beschlossen und verkündet im 24. und 25. Regierungsjahr Königin Viktorias, Gesetz Nr. 98 (Nummer des Gesetzes im Verzeichnis der Gesetze (Statutes) für das laufende Regierungsjahr). All.E.Rep. Am. Art. BGE BGBl. B.L.D. Bull. Crim. C.A. Cass. C.C.App. C.P. Cow. Crim.

D. D.A.

D.C. D.C. D.H.

= All England Reports = American = Article, Artikel = Entscheidung des (schweizerischen) Bundes-

gerichts. (Zit. in der Reihenfolge: Jahr, Teil, Seite) = Bundesgesetzblatt = Bulletin legislatif Dalloz (Zit.: Jahr, Seite) = Bulletin des arrets de la Cours de cassation en matiere criminelle = Circuit Court of Appeals = Entscheidung des Kassationshofes = Circuit Court of Appeals = Code penal, Codice penale, C6digo penale = Cowen's Reports. New York = Arret de la chambre criminelle de la Cour de cassation (Zit.: Datum, FundsteIle) = Dalloz (Zit.: Jahr, Seite) = Dalloz, Recueil analytique de jurisprudence et de legislation (hebdomadaire). (Von 1941-1944) Zit.: 1941. L. 54 = 1941, Legislation, S. 54 1941. J. 54 = 1941, Jurisprudence, S. 54 = Dalloz, Recueil critique de jurisprudence et de legislation (mensuel). (Von 1941-1944) (Zit.: wie bei D.A.) = District Court "" Dalloz, Recueil hebdomadaire de jurisprudence. (Für die Jahre vor 1941) (Zit.: Jahr, Seite)

16

D.P.

E Ev.

F.

F.2d Fed. Rules Cr. Proc.• Rule ........• 18. U.S.C.A. G. Ga. GS Harv.L.Rev. Ind. J. JR JZ KassH.

L.

La guist. pen. L.Ed. Mass. MatStR MDR Minn. Miss. N.C. NJW Okl. Ord. Rev. int. de Droit pen. Riv.pen. R.S.F.S.R. s,ss Sammlung Nr.........

S.Ct. SJZ So.

Abkürzungsverzeichnis

= Dalloz, Reeueil periodique et eritique mensuel.

(Für die Jahre vor 1941) ler partie: Cour de eassation 2e partie: Cours d'appel et tribunaux 3e partie: Conseil d'Etat et Tribunal de eonfliets 4e partie: Legislation Zit.: 1941. 1. 54 = Cours de eassation. 1941. S. 54 = Entwurf = Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Österreich) = Federal Reporter = Federal Reporter, seeond edition = Federal Rules of Criminal Produre = Rule ..... , Title 18, United States Code Annotated = Gesetz = Georgia = Gesetzessammlung = Harvard Law Review = Indiana = Jurisprudenee = Juristische Rundschau = Juristenzeitung = Kassationshof = Loi, Legislation = La giustizia penale = Lawyer's Edition, Supreme Court Reports = Massachusetts Reporter = Materialien zur Strafrechtsreform. Hrsg. vom Bundesjustizministerium in Bonn = Monatsschrift für Deutsches Recht = Minnesota = Mississippi Reports = North Carolina = Neue Juristische Wochenschrift = Oklahoma = Ordonnanee = Revue internationale de Droit penal = Rivista penale = Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik = section, seetions = Sammlung Außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher übersetzung Nr........ Hrsg. von Adolf Schönke, fortgeführt von Hans-Heinrich Jescheck und Gerhard Kielwein. Berlin 19..... = Supreme Court = Süddeutsche Juristenzeitung = Southern Reporter

Abkürzungsverzeichnis Sonderheft ZStW 1957

S.&R.

sst. stG

StGB StGBl. Sup.Ct. T.L.R. U.S. Wend. ZStw

2 Sdtmidt. StrafzumessUDII

= Deutsche

17

Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß in Athen vom 26. September bis 2. Oktober 1957. Hrsg. von Edmund Mezger, Hans-Heinrich Jescheck. Richard Lange. Sonderheft der Zeitschr. f. d. gesamte Strafrechtswissenschaft. Berlin 1957 = Sergeant & Rawle's Reports = Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten = Strafgesetz = Strafgesetzbuch = Staatsgesetzblatt (Österreich) = Supreme Court = Times Law Reports = United States Reports = Wendell's Reports. New York = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung Gegenstand dieser Untersuchung ist die gesetzliche und richterliche Strafzumessung. Darstellung und Vergleich der für den Untersuchungsgegenstand vorliegenden gesetzgeberischen Lösungen sind - wo erforderlich und möglich - durch Rechtsprechung und Lehre ergänzt. Unter den in dieser Schrift behandelten zwölf (Haupt-)Ländern ist der Schweiz die ausführlichste Darstellung gewidmet. Diesem Abschnitt ist die Rolle eines "Allgemeinen Teils" insoweit zugedacht, als darin grundsätzliche Fragen mit erörtert werden, auf deren Wiederholung in den folgenden Berichten verzichtet werden konnte. Als Ergebnis der Arbeiten der Großen Strafrechtskommission liegen bisher drei Entwürfe eines deutschen Strafgesetzbuches vor: E 1956, E 1959 und E 1959 II. In diesen Entwürfen ist die Strafzumessung in einer Form geregelt, die dem geltenden schweizerischen Recht nahekommt. Der Rechtsstand der in dieser Arbeit behandelten Länder wird im Schlußkapitel mit den deutschen Strafgesetzentwürfen verglichen. Außerhalb der rechtsvergleichenden Literatur wurden deshalb in das GesamtLiteraturverzeichnis auch neuere deutsche Abhandlungen über die Strafzumessung und die Strafrechtsreform aufgenommen.

2'

A. Länderberimte

J. Schweiz Schrifttum Aebischer, Alphons, Die Verbrechenskonkurrenz nach dem Schweizerischen

Strafrecht und Strafprozeßrecht. Diss. Freiburg/Schweiz 1951.

Campell, Ulrich, Schweizerisches Strafgesetzbuch (in Kraft getreten 1. 1. 1942).

Zürich 1942.

Clerk, Francois, Eduard Steck, Grundsätze des Schweizerischen Strafrechts.

Allgemeiner Teil. Basel 1942. (Zit.: Clerk/Steck) Germann, Oscar Adolf, Das Verbrechen im neuen Strafrecht. Zürich 1942. (Zit.: Germann, Verbrechen) Germann, o. A., Das Ermessen des Richters auf Grund des schweizerischen Strafgesetzbuches. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Bd. 56 (1942), S.21-34. (Zit.: Germann, Ermessen) Germann, O. A., Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. 12. 1937, in Kraft seit 1. 1. 1942, geändert seit 5. 10. 1950, in Kraft seit 5. 1. 1951. 5. Auflage, Zürich 1952; 6. Aufl., Zürich 1956. (Zit: Germann, StGB) Germann, O. A., Le contröle du pouvoir d'appreciation du juge dans la determination des peines et des mesures de stlrete. Revue internationale de Droit penal 1957, S. 235-263. (Zit.: Germann, Contröle du pouvoir d'appreciation) Härdy, Oscar, Handkommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch und Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb unter Berücksichtigung der Nebengesetze. Bern 1958. Hafter, Ernst, Lehrbuch des Schweizerischen Strafrechts. Allgemeiner Teil. 2. neubearbeitete Aufl., Bern 1946. Jescheck, Hans-Heinrich, Der Einfluß des schweizerischen Strafrechts auf das deutsche. Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht Bd. 73 (1958), S. 184-201. Kurt, Victor, Die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Verwahrung. Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht Bd. 69 (1954), S. 80-93. Logoz, Paul, Commentaire du Code penal suisse. Partie generale. Neuchätel, Paris 1939. Ludwig, Carl, Die Freiheit des Richters in der Bestimmung der Strafe. Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, Melanges Germann 1959, S. 199-219. Lüthy, Alexander, Der bedingte Strafvollzug im schweizerischen Recht. Diss. Bern 1948. Maurer, Gustav, Die Strafzumessung im schweizerischen Strafgesetzbuch. Diss. Zürich 1945. Neidhart, B., Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. 12. 1937. Zürich 1957.

Länderberichte

24

Non, Peter, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit des Richters im Strafrecht. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, MtHanges Gennann 1959, S.

294-316. Oettinger, Hans, ABC des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Basel 1941. Panchaud, Andre, Code penal suisse annote. Lousanne 1951. Pfenninger, Hans Felix, Die Freiheit des Richters in der Strafzumessung. Schweizerische Juristenzeitung Bd. 30 (1934), S. 193-196 und 209-217.

(Zit.: Pfenninger, Strafzumessung)

Pfenninger, H. F., Das schweizerische Strafrecht. Das ausländische Strafrecht

der Gegenwart. Hrsg. von Edmund Mezger, Adolf Schönke, HansHeinrich Jescheck. Zweiter Band. Berlin 1957. S. 149-357. (Zit.: Pfenninger, Das schweizerische Strafrecht) Rittler, Theodor, Freiheit und Gebundenheit des Richters nach dem Schweizer Strafgesetzentwurf. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Bd. 46

(1932), S. 39-60. Schultz, Hans, Probleme der Strafrechtsreform in der Schweiz. ZStW Bd. 67 (1955), S. 291-322.

(Zit.: Schultz, Strafrechtsreform)

Schultz, Hans, Strafrechtliche Bewertung und kriminologische Prognose. Schweiz. Zeitschrüt für Strafrecht, Melanges Gennann 1959, S. 245-265.

(Zit.: Schultz)

Schwander, Vital, Das Schweizerische Strafgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Praxis. Zürich 1952. Thormann, Philipp, Alfred von Overbeck, Das Schweizerische Strafgesetzbuch. Erster Band. Art. 1-110. Zürich 1940.

(Zit.: Thonnannlvon Overbeck)

Zbinden, Kar!, Aufgaben und Vorgehen der Polizei bei der PersönlichkeitserforSchung. Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht Bd. 72 (1957), S. 158-193.

1. Grundlagen der Strafzumessung In hohem Maße haben in der Schweiz Gesetzgeber und Autoren den Fragen der Strafzumessung ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Die schweizerische Literatur ist reich an Abhandlungent, welche nicht nur die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten strafwürdig sei, untersuchen, sondern sich auch damit beschäftigen, wie im konkreten Falle die Ahndung der strafwürdigen Tat erfolgen solle. Rittler2 unterscheidet geradezu nach dem "Ob" der Strafe und dem "Wie" der Strafe, der Strafzumessung. Unter Strafzumessung versteht die schweizerische Lehre ganz allgemein "die Festsetzung der Strafe für einen Menschen, der nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches ein Delikt begangen hat"3. Dabei wird unter Straffestsetzung die gesetzliche Strafzu1 Vergleiche die in dieser Arbeit und die bei Germann, Hafter, Maurer und Pfenninger angegebenen Schriften. 2 Rittler, a. a. 0., S. 46 ft., insbes. S. 48/49. 3 Maurer, a. a. 0., S. 12.

Schweiz

25

messung (gesetzgeberische ltegeln für die Strafzumessung und für die diesp. Zumessung beeinflussenden Faktoren) und die richterliche Strafzllmessung (richterliche Zumessung der Strafe im Einzelfalle) verstanden. Dem "Wie" der Strafe, der Strafzumessung, hat der schweizerische Gesetzgeber einen ganzen Abschnitt des Strafgesetzbuches, nämlich den zweiten Abschnitt des dritten Teiles, eingeräumt. Das schweizerische Strafgesetzbuch vom 21. 12. 1937 (geändert durch Bundesgesetz am 5. 10. 1950, in Kraft seit 5. 1. 1951) enthält in den Artikeln 63-69' die wichtigsten (allgemeinen) Strafzumessungsvorschriften und Strafänderungsbestimmungen. Es lassen sich folgende ltegelungsmöglichkeiten für die Strafzumessung unterscheiden, derer sich der Gesetzgeber bedienen kann, nämlich: (1) Die Vorbestimmung der Strafe unterbleibt. Der ltichter ist völlig frei. (2) Die Strafe wird genau - absolut - bestimmt (peine absolument determinee). Der ltichter kann - wenn erst einmal die Tatbestandsmäßigkeit des Deliktes festgestellt ist - nur auf die im Gesetz vorgesehenen Strafen erkennen, deren Art und Höhe eindeutig festgelegt sind. (3) Die Strafe wird relativ bestimmt (peine relativement determinee), indem für eine deliktische Handlung ein Strafmindestmaß und ein Strafhöchstmaß - ein gesetzlicher Strafrahmen - vorgeschrieben wird, der für den ltichter verbindlich ist. (4) Die fakultative Straffreiheit läßt dem ltichter die Wahl zwischen Bestrafung und Absehen von Strafe5 • Zu (2) Die meisten kantonalen Strafrechtsordnungen suchten - vor allem vor der Jahrhundertwende - eine möglichst einheitliche Strafzumessungspraxis zu erreichen, indem sie die Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens dem richterlichen Ermessen entzogen. Auch im Bundesrecht waren wiederholt Bestrebungen zu verzeichnen, welche dieser Auffassung zur Durchsetzung zu verhelfen suchten. So verpflichtet zum Beispiel Art. 39 des Vorentwurfes von 1893 den Richter zur obligatorischen Straferhöhung bei Vorliegen bestimmter Gründe ("die Strafe soll das mittlere Maß übersteigen, wenn ... ") und im Vorentwurf von 1903 (Art. 47, Abs. 2) heißt es noch: " ... hat der Richter die Wahl, auf Zuchthaus oder Gefängnis zu erkennen, so ist auf Zuchthaus zu erkennen, wenn die Tat eine gemeine Gesinnung oder einen schlechten Charakter des Täters , Vgl. Art. 63-69, Anhang. s Art. 20, 21, Abs. 2, 23, Abs. 2, 88, 98, 100, Z. 1, Abs. 2, 198, Abs. 2, 173, Z. 4, 177, 304 Z. 2, 305, Abs. 2, 308 Abs. 1.

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Länderberichte

bekundet." Auch Art. 54 des Vorentwurfes von 1908 sieht diese Regelung vor, wenn die "gemeine Gesinnung des Täters" offenkundig ist. Diesen - beispielhaft aufgezählten - Versuchen einer Beschränkung des richterlichen Ermessens im Bundesstrafrecht war aber kein Erfolg beschieden. Eine absolute Strafe gibt es lediglich bei Art. 112 (des geltenden Strafgesetzbuches), welcher den Mord mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht. Selbst da können jedoch Milderungsgründe berücksichtigt werden. Zu (3) Im geltenden schweizerischen Strafrecht ist das System der relativen Strafdrohung verwirklicht. Ausgangspunkt für die richterliche Strafzumessung ist der für das einzelne Delikt aufgestellte Strafrahmen. Es wird zwischen einem "ordentlichen" und einen "außerordentlichen Strafrahmen" unterschieden. Der "ordentliche Strafrahmen" gilt für Regelfälle. Er wird in erster Linie durch die Strafdrohung des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches bestimmt und durch gewisse Regeln des Allgemeinen Teils ergänzte. Dem "außerordentlichen Strafrahmen" ist der Täter unterworfen, wenn Strafschärfungs- oder Milderungsgründe (causes d'aggravation ou d'attenuation de la peine) vorliegen. Unter dem "außerordentlichen Strafrahmen" versteht das Gesetz die über den "ordentlichen Strafrahmen" hinausgehende Erweiterung (nach oben oder unten). In der Literatur7 dagegen wird oft der "außerordentliche Strafrahmen" als der Strafrahmen angesehen, der den "ordentlichen Strafrahmen" in sich schließt. Die schweizerische Terminologie stellt den Strafverschärfungs- und Strafmilderungsgründen die Straferhöhungs- und Strafminderungsgründe gegenüber. Straferhöhung und Strafminderung werden nur innerhalb des "ordentlichen Strafrahmens" berücksichtigt. Sie waren in früheren Gesetzen häufig nur beispielsweise aufgeführt8 • Der "ordentliche Strafrahmen" wird in erster Linie durch die Strafdrohung des Besonderen Teils bestimmt und durch die Regeln des Allgemeinen Teils ergänzt'. e Die Regeln des Allgemeinen Teils sind: Art. 35 z. 1: Zuchthausstrafe von 1 bis 20 Jahren; lebenslänglich, wenn das Gesetz dies besonders bestimmt; Art. 36, Z. 1: Gefängnisstrafe von 3 Tagen bis zu 5 Jahren; Art. 39, Z. 1: Haftstrafe von 1 Tag bis zu 3 Monaten; Art. 48, Z. 1: BuBe (Höstbetrag 20000 Franken, wenn vom Gesetz nicht anders bestimmt); Art. 106: Bei Übertretungen ist der Höchstbetrag der BuBe 2000 Franken (der Richter ist jedoch nicht an diesen Höchstbetrag gebunden, wenn der Täter aus Gewinnsucht gehandelt hat). 7 Vgl. z. B. Schwander, a. a. 0., S. 159. 8 Z. B. Art. 35, Z. 1, Art. 36, Z. 1, Art. 39, Z. 1, Art. 106 usw. g Z. B. bisheriges Wohlverhalten des Täters, tätige Reue usw. Vgl. Hafter, a. a. 0., S. 351 f.

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Den Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen verwandt sind die qualifizierten und privilegierten Tatbestände. Auch sie begründen einen besonderen Strafrahmenlo • Während aber die Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe (dem Allgemeinen Teil angehörend) grundsätzlich gelten, beziehen sich die qualifizierten und privilegierten Tatbestände nur auf bestimmte Delikte. Zu (4) Bei fakultativer Straffreiheit kann der Richter die Strafe immer - ohne daß es einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung bedarf nach freiem Ermessen mildern11 • Hafterl ! gruppiert die Strafzumessungsregeln nach zwei Punkten; er unterscheidet: (1) Technische zum Teil starre - Regeln. Dazu rechnet er die Berücksichtigung des Rückfalls (Art. 67), die Vorschrift über das Zusammentreffen von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen (Art. 68). Freies Ermessen spielt hierbei in der Regel keine Rolle. Eine gewisse Ausnahme bildet aber schon die Bestimmung über die Anrechnung der Untersuchungshaft (Art. 69). Bei Anwendung der Vorschriften der Art. 64-66 (Strafmilderung, Strafschärfung)13 ist dem Richter ein weiter Spielraum gelassen. (2) Leitsätze, welche dem Richterermessen ein hohes Maß von Freiheit lassen14 • Das sind die Vorschriften des Art. 63 (allgemeine Strafzumessungsregel) und die des Art. 48, Z. 215, 18, 17, 18. 10 Z. B. Art. 140, Z. 2; vgl. auch Ludwig, a. a. 0., S. 203 ff., MaUTeT, a. a. 0., S. 112,127. 11 BGE 1948/IV/168; GeTmann, Ennessen, a. a. 0., S. 26 ff., SchwandeT, a. a. 0., S. 158. n HafteT, a. a. 0., S. 343 f. 13 Vgl. Art. 64--66 (Anhang). 14 HafteT (a. a. 0., S. 344) spricht von ihrem metajuristischen Charakter. 15 Art. 48, Z.2 lautet: "Der Richter bestimmt den Betrag der Buße je nach den Verhältnissen des Täters so, daß dieser durch die Einbuße eine Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist. Für die Verhältnisse des Täters sind namentlich von Bedeutung sein Einkommen und sein Vennögen, sein Familienstand und seine Familienpflichten, sein Beruf und Erwerb, sein Alter und seine Gesundheit." 18 Dieser Artikel gilt jedoch nicht für die Bemessung von Zollbußen; BGE 1940/IV/190. 17 ThoTmann/von OveTbeck (a. a. O. zu Art. 48, Ziff. 8) bezeichnen diese Bestimmungen als eine nähere Ausführung der in Art. 63 enthaltenen allgemeinen Strafzumessungsregel. 18 Vgl. auch GeTmann, StGB, a. a. O. zu Art. 63, GeTmann, Ennessen, a. a. 0., S. 21 ff., Germann, Le contröle du pouvoir d'appreciation. Rev. int de Droit pen. 1957, S. 240 ff., HäTdy, a. a. O. zu Art. 63, NeidhaTt, a. a. O. zu Art. 63, PfenningeT, Das schweizerische Strafrecht. a. a. 0., S. 257 ff.

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Länderberichte 2. A 11 gern ein e S t r a f zum e s s u n g s r e gel n

Grundlage für die Zumessung der Strafe ist die Schuld des Täters10• Schuld und Strafe sollen verhältnisgleich sein. Art. 63 lautet: "Der Richter mißt die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen." Art. 63, von Haftez-ZO als "Kernpunkt des Gesetzes" bezeichnet, proklamiert das Schuldstrafrecht nach dem Vergeltungsprinzip. Die Haftung für den zufälligen Erfolg ist ausgeschlossen21 • Wohl wird eine Strafe regelmäßig eine gewisse abschreckende Wirkung auf den Täter (Spezialprävention) wie auf die Allgemeinheit und eine gewisse Erziehung des Bewußtseins zu verbrechensfeindlicher Gesinnung (Generalprävention) hervorrufen. Der schweizerische Gesetzgeber will jedoch die Generalprävention - als Strafzumessungsregel - fernhalten; er verbindet den Vergeltungsgedanken mit der Spezialprävention. Bei der Beurteilung der Schuld soll der Richter - gemäß Art. 63 zunächst von den Beweggründen ausgehen, die den Täter zu seiner Tat geführt haben. Diese sollen ihm Erkenntnisquelle für die Bestimmung der Größe der Täterschuld22 sein. Unter Beweggründen versteht das Gesetz ethische Motive, nicht aber äußere, auf den Täter einwirkende Umstände23 • "Je verwerflicher sie sind, vom ethischen Gesichtspunkt betrachtet, desto höher die Strafe2'." Einer sorgfältigen Prüfung bei der Strafzumessung bedürfen diejeni19 Vgl. auch Art. 214: "Hat er die schwere Folge, die er verursacht, weder verursachen wollen, noch voraussehen können, so gilt für ihn die Strafe naCh der Körperverletzung, die er verursachen wollte." 20 Hafter, a. a. 0., S. 352. 21 CampeU, a. a. 0., S. XXVIII, Germann, Ermessen, a. a. 0., S. 22 ff. Vgl. ferner Schultz, Strafrechtsreform, a. a. 0., S. 297 ff. 22 Die Schuldelemente Vorsatz und Fahrlässigkeit sind in Art. 18 folgendermaßen umschrieben: "Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich ausführt. Vorsätzlich verübt sein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Ist die Tat darauf zurückzuführen, daß der Täter die Folgen seines Verhaltens zu pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat, so begeht er das Verbrechen oder Vergehen fahrlässig. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist." Abs. 1 gilt auch - gemäß Art. 102 - für Übertretungen. 23 Vgl. auch Germann, StGB, a. a. O. zu Art. 63, Germann, Ermessen, a. a. 0., S. 22 ff., Härdy, a. a. 0., zu Art. 63, Ludwig, a. a. 0., S. 207 f, Neidhart, a. a. o. zu Art. 63. 24 Thormannlvon Overbeck, a. a. o. zu Art. 63, Ziff.3; vgl. auch Hafter, a. a. 0., S. 353, Logoz, a. a. O. zu Art. 63, N. 49, NoU, a. a. 0., S. 303, Panchaud, a. a. 0., S. 51.

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gen Motive, welche zwar das ethische Verschulden aufheben, das kriminelle Verschulden hingegen nur mindern. Der Kassationshof des Bundesgerichts entschied, daß die Bestimmung der dem Verschulden angemessenen Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens eine Ermessensfrage ist und nicht der Überprüfung unterliegt25 • Lediglich Ermessensüberschreitung ist durch Kassationsbeschwerde anfechtbar28 • Auch krasse Willkür, die allerdings schwer nachweisbar ist, mag - nach Hafter27 - ein Eingreifen des Kassationshofes ermöglichen. Art. 63 verpflichtet auch den Richter, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen zu berücksichtigen28 • Eine genaue Abgrenzung der beiden Gebiete kann nicht getroffen werden. Aus den Erhebungen über das Vorleben des Täters 28 soll der Richter Anhaltspunkte für die Bestimmung der Persönlichkeitsadäquanz der Tat30 erhalten. Die persönlichen Gründe, zu denen Hafter 31 auch das Vorleben rechnet, müssen vom Richter ebenfalls pflichtgemäß erforscht werden32• In der Persönlichkeitserforschung wird ein gutes Mittel erblickt, Kenntnis über die Wesensart des Täters und der seinen Handlungen zugrunde liegenden Motiven zu erhalten33• Nach Thormann/von Overbeck34 soll der Richter auch die Generalprävention - besser: die generalpräventive Wirkung der Strafe nicht außer acht lassen35• Die Generalprävention38 wird vom Gesetz BGE 1942/IV/21; 1945/IV/80. BGE 1952/IVI72; Germann, Ermessen, a. a. 0., S. 29 f. 27 Hafter, a. a. o. S. 355. 28 Dazu auch Germann, Verbrechen, a. a. 0., insbes. S. 59 ff., 108 ff. und 202 ff., Germann, Ermessen, a. a. 0., S. 24 ff., Liithy, a. a. 0., Pfenninger, Strafzumessung, a. a. 0., S. 193 ff. und S. 209 ff., Rittler, a. a. 0., S. 39 ff. 28 Z. B. Einverlangen von Vorstrafen- und Leumungsberichten, psychologisch geschickter Befragung des Beschuldigten, gegebenenfalls auch Befragung seiner Eltern, Lehrer, Altersgenossen usw. 30 Maurer, a. a. 0., S. 47. 31 Hafter, a. a. o. S. 354. 32 Eine besonders eingehende Erforschung der persönlichen Gründe for.,. .. dern auch die Art. 83 und 90, die sich auf das strafbare Verhalten Minderjähriger beziehen. 33 Vgl. auch Schultz, a. a. 0., insbes. S. 248 ff., Zbinden, a. a. 0., S. 161 ff. 34 Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 63, Ziff. 8. 35 Zur Frage der Generalprävention hat sich das Obergericht in Zürich wie folgt geäußert: "Insbesondere muß die Generalprävention bei der Strafzumessung entfallen, wenn der Gesetzgeber eine qualifizierte Tatbestandsvariante unter eine schwerere Strafe gestellt hat und wenn die Auszeichnung gerade in einem Umstand besteht, der generalpräventiv zu einer strengeren Ahndung führen würde. So steht auf Veruntreuung, die durch einen Beamten verübt wird, eine Strafe von mindestens 1 Monat Gefängnis und von maximal 10 Jahren Zuchthaus (Art. 140, Ziff. 2).· Es kann daher nicht angehen, diese 25

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insoweit berücksichtigt, als es den bedingten Strafvollzug für schwere Strafen - damit also für schwere Taten - überhaupt ausschließt. Schwander37 bemerkt, daß es Lebensgebiete gäbe, auf denen generalpräventiven überlegungen nicht jede Berechtigung abgesprochen werden kann. Deswegen gestatte es auch das Bundesgericht, bei Verkehrsdelikten an den Beweisen künftiger Besserung oder an die Würdigkeit des Täters besonders strenge Anforderungen zu stellen und so generalpräventive Gründe - ,,3. titre accessoire" - mit zu berücksichtigen. Aus generalpräventiven Gründen schränken auch gewisse Nebengesetze den bedingten Strafvollzug ein38• Die Strafzumessungsgründe im Rahmen des Art. 63 haben den Charakter von Straferhöhungs- oder Strafminderungsgründen. Bei einer gegebenen Straftat bestimmt ihr Vorliegen nach Art und Höhe das Strafmaß innerhalb des gesetzlichen (ordentlichen) Strafrahmens. Die Artikel 64-67 zählen die Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe abschließend auf, deren Vorhandensein die Verhängung von Strafen aus dem außerordentlichen - erweiterten - Strafrahmen ermöglicht. 3. S t r a f m i 1 der u n g s g r ü n d e Das schweizerische Recht schreibt dem Richter vor, welche Gründe für die Milderung der Strafe anzuerkennen sind. Diese Gründe zählt das Gesetz abschließend auf3g und umschreibt bei jedem die Zuständigkeit des Richters. Die Vorschriften über die Milderung sind für den Richter eine Ermächtigung zur Strafherabsetzung, keine Verpflichtung dazu, denn dies würde dem Geiste des Art. 63 widersprechen. Folgende Fälle der Strafmilderung werden unterschieden: Bestimmung, welche die Integrität der ö:fIentlichen Verwaltung schützt, auf den Angeklagten anzuwenden und ihn dann nochmals auch d~wegen härter zu bestrafen, weil aus Gründen der Generalprävention die Zuverlässigkeit und Sauberkeit der ö:fIentlichen Verwaltung des besonderen strafrechtlichen Schutzes bedarf." (Blätter für zürcherische Rechtsprechung, 44, Nr.76; nach Maurer, a. a. 0., S.40) 3e Dazu BGE 1942/IVI76; 1947/IVI78; 86; 1948/IV/137 :fI.; 1950/IVI72:fI. 37 Schtpander, a. a. 0., S. 150. 38 Z. B. der frühere Bundesratsbeschluß vom 4.8.1942 über Straf- und Verfahrensbestimmungen zum Schutze der Landesverteidigung und Sicherheit der Eidgenossenschaft, Art. 7 II und BGE 1944/IV/1, dazu weiterhin BGE 1946/IV/191 über die Umwandlung der Zollbußen in Freiheitsstrafe; Schwander, a. a. 0., S. 150. SP Und es kann durch die Gerichtspraxis nicht auf dem Wege der Analogie auf ähnliche Umstände geschlossen werden: Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 64, Nr. 1; vgl. auch Clerc/Steck, a. a. 0., S. 128 :fI.

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(1) die einfache (beschränkte) Strafmilderung (attenuation limitee de la peine); (2) die Strafmilderung nach freiem Ermessen (attenuation libre de la

peine).

a)

Die einfache Strafmilderung

Die einfache (beschränkte) Strafmilderung bindet den Richter an eih genaues Strafminimum, das er nicht unterschreiten darf. Bei Vorliegen von Milderungsgründen wird die Strafskala gemäß Art. 65 und 10740 um eine Stufe herabgesetzt41 • Jugendliches Alter ist ein Milderungsgrund eigener Art (Art. 87, 95 und 100)4!. Art. 64 48 zählt neun Gründe auf, bei deren Vorliegen nach den Vorschriften des Art. 65 44 die Strafe gemildert werden k.ann45 , nämlich (1) achtenswerte Beweggründe40 ; (2) schwere Bedrängnis47 ; (3) schwere Drohung48 ;

(4) Gehorsamspfticht } des Täters gegenüber der Person, (5) Abhängigkeit

die das Delikt veranlaßt hat4!

Art. 65 und 107 (vgl. Anhang). Nicht eindeutig geht aus dem Art. 65 hervor, welche Strafskala bei den mit Zuchthaus oder Gefängnis bedrohten Delikten zu gelten hat. In einer Basler Entscheidung heißt es zu dieser Frage: "Art. 65 enthält einen Redaktionsmangel in bezug auf die mit Zuchthaus oder Gefängnis bedrohten Delikte, indem die herabgesetzte Strafe nach dem Wortlaut des Gesetzes entweder auf mindestens 6 Monate Gefängnis oder dann auf Haft oder Buße festgelegt werden könnte, nicht aber auf Gefängnis zwischen 3 Tagen und 6 Monaten." Das Basler Gericht hat sich für zuständig erachtet, diese Lücke durch eine Interpolation sinngemäß zu schließen: Der Richter könne in diesen Fällen auf Gefängnis unter 6 Monaten, Haft oder Buße erkennen (Schweizerische Juristen-Zeitung Bd. 39 Nr.53, S.97); vgl. auch Germann, Ermeilsen, a. a. 0., S. 26 ff., Ludwig, a. a. 0., S. 202. 42 Vgl. Schwander, a. a. 0., S. 165, 221ff. 43 Art. 64 (s. Anhang). 44 Art. 65 (s. Anhang). 45 Vgl. auch Oettinger, a. a. 0., S. 149; Ludwig, a. a. 0., S. 202ff. 40 Maßgebend ist die Auffassung des Richters, der unterscheiden wird zwischen moralischer und materieller Not (wie Thormannlvon Overbeck, a. a. O. zu Art. 64, Ziff. 5, schreiben). 47 Wird die Bedrängnis zum Notstand, so gelten die Bestimmungen des Art. 34. 48 Für die "schwere Drohung" bleiben die Fälle, in denen dem Täter objektiv und subjektiv zuzumuten war, das Delikt zu unterlassen (vgl. Hafter, a. a. 0., S. 362). 4. Hafter - a. a. 0., S. 367 - sagt, daß das in Art. 64 gebrauchte Wort "Veranlassung" nichts anderes bedeutet als "Befehl". 40

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Länderberichte (6) Verleitung durch den Verletzten50,

51;

(7) Reizung oder Kränkung durch den Verletzten5!; (8) aufrichtige Reue53 ; (9) Zeitablauf mit BewährungM.

Weitere Fälle der einfachen Strafmilderung finden sich beispielsweise l10ch in folgenden Bestimmungen55 : Art. 21, Abs. 1 unvollendeter Versuch, Art. 22, Abs. 1

vollendeter Versuch,

Art. 24

Anstiftungsversuch,

Art. 25

Beihilfe, usw.

b) Strafmilderung nach freiem Ermessen und Absehen von Strafe

Art. 66 behandelt die Strafmilderung nach freiem Ermessen. Dieser Artikel ist eine Rahmenvorschrift. Die Fälle der Strafmilderung nach freiem Ermessen sind über das ganze Gesetz verstreut. In den Art. 11, 33 und 3456 ist die Strafmilderung obligatorisch und ihr Maß dem freien Ermessen des Richters überlassen. Zumeist ist es jedoch dem Richter überlassen, ob er Strafmilderung gewähren will oder nicht. Bei fakultativer Strafmilderung steht es ihm auch frei, nach Abwägung der 50 Die Anstiftung begründet die Strafmilderung noch nicht, wohl aber die Einwilligung des Verletzten, sofern sie nicht nach Art. 52 die Rechtswidrigkeit ausschließt. (Art. 32: "Die Tat, die das Gesetz oder eine Amtsoder Berufspflicht gebietet, oder die das Gesetz für erlaubt oder straflos erklärt, ist kein Verbrechen oder Vergehen.") 51 Bei der Einführung dieses Punktes dachte der Gesetzgeber wie HafteT, a. a. 0., S. 363, erwähnt - vor allem an gewisse Delikte, die das Geschlechtsleben betreffen; insbesondere an den Tatbestand der Unzucht mit noch nicht Sechzehnjährigen (Art. 191). 52 Die Reizung oder Kränkung kann gegen den Täter selbst oder einen Dritten gerichtet gewesen sein (vgl. Art. 177, Abs. 2). 53 Diese Bestimmung ist eine Ergänzung von Vorschriften, in denen die tätige Reue weitgehend berücksichtigt wird (z. B. in Art. 173, Ziff. 3 und Art. 174, Ziff.3 - Widerruf von Äußerungen bei übler Nachrede und Verleumdung); HafteT, a. a. 0., S. 364. M Allgemein wird angenommen, daß der größte Teil der Verjährungsfrist abgelaufen sein muß (Logoz, a. a. O. zu Art. 64, N. 53 B); ferner BGE 1947/IVI159. 55 Vgl. auch MaureT, a. a. 0., S. 93 ff. 56 Art. 11: Verminderte Zurechnungsfähigkeit; Art. 33, Abs.2: Notwehrüberschreitung; Art. 34, Ziff.l 11 und Ziff.2: Bei einer Notstandshandlung wenn der Täter die Gefahr selbst verschuldet hat oder wenn ihm nach den Umständen zugemutet werden konnte, das gefährdete Gut preiszugeben; desgleichen bei der Notstandshilfe, wenn der Täter erkennen konnte, daß dem Gefährdeten die Preisgaoe des gefährdeten Gutes zuzumu~sn war.

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Sachlage des Einzelfalles, an Stelle der Strafmilderung eine Strafminderung innerhalb des "ordentlichen Strafrahmens" - gemäß Art. 63 - eintreten zu lassen57• Diese Ordnung besteht z. B. in folgenden Fällen: Art. 20

Art. 22, Abs. 2

Rechtsirrtum aus zureichendem Grund; tätige Reue des Täters bei vollendetem Versuch;

Art. 23 untauglicher Versuch; Art. 120, Ziff. 3 Schwangerschaftsunterbrechung wegen schwerer Notlage der Schwangeren; Art. 123, Ziff.1 leichte Fälle der einfachen Körperverletzung; Art. 173, Ziff. 3 tätige Reue bei übler Nachrede; Art. 174, Ziff. 3 tätige Reue bei Verleumdung, usw. In gewissen Fällen (z. B. nach Art. 20, 23, usw.) darf der Richter nicht nur nach freiem Ermessen die Strafe mildern, sondern er kann auch ganz von Strafe absehen58• Dieses "Absehen von Strafe"59 schließt regelmäßig die Milderung nach freiem Ermessen ein. Dies gilt auch dann, wenn es das Gesetz nicht ausdrücklich erwähntso.

4. Str afschärfun·gs gründ e Strafschärfungsgründe unterwerfen den Täter dem "außerordentlichen Strafrahmen". Das schweizerische Strafrecht nennt drei Strafschärfungsgründe, bei deren Vorliegen der "ordentliche Strafrahmen" nach oben hin erweitert wird. Diese Gründe sind der Rückfall, die Ideal- und Realkonkurrenz, sowie für Bußen die Gewinnsucht. 51 Dazu BGE 71/IV/81 und HafteT, a. a. 0., S. 360, Ludwig, a. a. 0., S. 203 f. und S. 210. 58 Dazu fragt NoZl, a. a. 0., S.303, "ob das Strafgesetzbuch dort, wo es Ermessen einräumt, ohne zugleich Richtlinien für seine Handhabung zu geben, mitunter nicht zu weit geht und dem Richter Entscheidungen zuschiebt, die der Gesetzgeber selber hätte treffen sollen. Zu erwähnen ist hier namentlich die Aufstellung fakultativer Rechtsfolgen in gewissen "KannVorschriften". Eine bedenkliche bzw. überhaupt keine Lösung bildet z. B. Art. 20, der bei fehlendem Unrechtsbewußtsein des Täters dem Richter die Möglichkeit gibt, von der ungemildertenStrafe über die Strafmilderung bis zur Strafloserklärung jede beliebige Rechtsfolge zu verhängen, ohne ein Kriterium zu nennen, nach welchem dieses überaus weitgespannte Ermessen sich zu richten hätte." 51 Bei Kindern und Jugendlichen "Absehen von Maßnahmen". so BGE 1948/IV/168; vgl. ferner die Ausführungen unter dem Begriff der "fakultativen Straffreiheit".

S Sc:hmldt. Strafzum"aauuc

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a) Rückfall

Der Rückfall (recidive, Art. 67 und 108)" ist die strafbare Handlung eines Vorbestraften. Die Voraussetzungen des Rückfalls lassen sich unter den Stichworten (1) Vorstrafe, (2) Rückfallstat und (3) Rückfallsverj ährung zusammenfassen62 • Zu (1) Eine Vorstrafe wirkt nur strafschärfend, wenn es sich um eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe oder um eine freiheitsentziehende Maßnahme gemäß Art. 42-45 handelt. Eine Haftstrafe ist nur erheblich, wenn die neue Strafe (Rückfallstat) eine übertretungsstrafe ist. Vorstrafen durch ausländische Gerichte wirken nur bei solchen Delikten rückfallsbegründend, wenn hierauf nach schweizerischem Recht eine Auslieferung hätte erfolgen können6a• Bußen und Maßnahmen für Unzurechnungsfähige schärfen die Strafe nicht. Ein rechtskräftiges - nicht gelöschtes - Urteil genügt nicht. Die Strafe muß mindestens teilweise verbüßt sein. Die Begnadigung wird dem Strafvollzug gleichgestellt; der bedingte Strafvollzug64 wirkt nicht rückfallsbegründend. In kantonalen Gesetzen wird häufig verlangt, daß es sich in beiden Fällen um gleiche oder ähnliche Delikte handeln muß (spezieller Rückfall). Das Bundesstrafrecht macht diese Unterscheidung nicht. Auch die Frage der Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit ist unerheblich. Es wird nur auf die erkannten Strafen abgestellt. Die Rückfallsbestimmungen der Art. 67 und 108 gelten grundsätzlich auch für die Nebenstrafgesetzgebung des Bundes. Allerdings kann für diese Gesetzgebung fallweise eine besondere Regelung erfolgen65 , die dem Strafgesetzbuch vorgeht. Bei übertretungen wird der Rückfall nach den Bestimmungen des Art. 108 bestraft. War die Vortat eine übertretung, so ist die Rückfa11sbestimmung nicht anwendbar, wenn auf sie ein mit Zuchthaus oder Gefängnis bedrohtes Delikt gefolgt war66 • Im umgekehrten Falle wird die nachfolgende übertretung mit Haft - nicht lediglich mit Buße - bestraft. Dasselbe gilt, wenn der mit Haft bestraften Übertretung wiederum eine Übertretung gefolgt ist, die mit Haft bestraft werden so1167 • 11 62

Vgl. Art. 67 und 108 Anhang. Hafter, a. a. 0., S. 366 fI., Maurer, a. a. 0., S. 117 fI., Schwander, a. a. 0.,

S. 160 fI.

I! Es handelt sich dabei um die sogenannten Auslieferungsdelikte gemäß Art. 3 des Auslieferungsgesetzes (Bundesgesetz vom 22. 1. 1892). M Vgl. Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 41, N.42 und Art. 67, N.6 und 7. 65 Art. 533 I, vgl. Hafter, a. a. 0., S. 371; Schwander, a. a. 0., S. 161; 66 Hafter, a. a. 0., S. 369. 17 Logoz, a. a. O. zu Art. 67, N. 6.

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Zu (2) Die Sanktion für die neue Tat (Rückfallstat) muß gewissen Anforderungen entsprechen: sie muß, um strafschärfend zu wirken, eine mit Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe bedrohte Tat sein. Eine Haftstrafe schärft die Strafe nur dann, wenn die neue Tat eine übertretung ist88 • Zu (3) Die Vorstrafe wird nicht beachtet, wenn zwischen ihr und der neuen Tat eine längere Zeit - die sogenannte Rückfallsverjährung - verstrichen ist. Die Rückfallsverjährung beträgt bei Verbrechen und Vergehen fünf Jahre, bei übertretungen ein Jahr. Weiter zurückliegende Strafen können gemäß Art. 63 als "Vorleben" des Täters straferhöhend, aber nicht strafschärfend wirken8u • Der Rückfall erhöht die Dauer der Strafe so, daß bei seinem Vorliegen der Richter nicht mehr an das höchste Maß der angedrohten Strafe für das begangene Delikt, wohl aber an das gesetzliche Höchstmaß der Strafart gebunden iseo. Die Straferhöhung ist obligatorisch7 t, die Strafschärfung nicht. Der Richter geht von der Strafe aus, die der Täter verwirkt hätte, wenn er nicht rückfällig gewesen wäre. Auch dann, wenn der Richter über den "ordentlichen Strafrahmen" hinausgeht (also die Strafe schärft, nicht nur erhöht), hat dies keinen Einfluß auf die Schwere der Tat als Mittel zur Bestimmung der örtlichen ZuständigkeW2 • Die Verhängung der Rückfallstrafe schließt deren Verbindung mit einer Buße oder Nebenstrafe nicht aus 73 • b) Verbrechenskonkurrenz

Bei der Ideal- und Realkonkurrenz treffen mehrere Strafen zusammen. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist gewöhnlich nach folgenden drei Systemen geregelt74 , 75: (1) Das Kumulationsprinzip (cumul des peines) besagt, daß jede Gesetzesverletzung besonders bestraft wird und die Strafen gehäuft werden. Dieses Verfahren wird meist abgelehnt, weil es zu einer 88 Schwander, a. a. 0., S. 161. .. Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 67, N. 6

70 Nach Art. 137 ist die höchste Strafe für Diebstahl 5 Jahre Zuchthaus. Begeht ein Vorbestrafter einen Diebstahl, so ist der Richter bei der Strafzumessung nunmehr nur noch an die höchstzulässige Zuchthausstrafe überhaupt - das sind 20 Jahre - gebunden (lebenslängliches Zuchthaus gilt nur für Mord). 71 Sie kann also im Rahmen des Art. 63 erfolgen. 72 Art. 350; BGE 1943/IV/37 ff., Schwander, a. a. 0., S. 161. 73 Art. 50; Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 67, N. 14. 74 Gewisse Mischformen dieser Systeme bleiben hier unberücksichtigt. 75 Vgl. Schwander, a. a. 0., S. 162 ff. und Hafter, a. a. 0., S. 372 ff.

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falschen Strafzusammensetzung führen kann, da die Intensität der Freiheitsstrafe mehr als proportional zur Zeit zunimmt. (2) Nach dem Absorptionsprinzip (absorption de la peine) wird der Täter nur wegen der schwersten Gesetzesverletzung - nicht aber wegen der anderen - bestraft. Dieses Verfahren vermindert zwar die Mängel des ersten Verfahrens, führt aber zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Täters, der mehrere Gesetzesbestimmungen verletzt hat. (3) Beim Asperationsprinzip (Schärfungsprinzip, aggravation ou cumul de la peine) wird die Strafe für das schwerste Delikt mit Rücksicht auf die anderen Gesetzesverletzungen angemessen erhöht. Die Lösung des schweizeris'chen Strafgesetzbuches ist verschieden nach Art der konkurrierenden Strafen; insbesondere wird zwischen der Konkurrenz von Freiheitsstrafen und den weiteren Konkurrenzfällen unterschieden. Art. 68 71 behandelt das Zusammentreffen von strafbaren Handlungen und Strafbestimmungen77 • Dieser Artikel ist nicht anwendbar, wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Fall von Idealkonkurrenz zu einem besonderen Tatbestand erhoben hat. Realkonkurrenz und Idealkonkurrenz werden im schweizerischen Strafrecht nach den gleichen Grundsätzen behandelt: (1) Sind mehrere Freiheitsstrafen verwirkt, so wird die Strafe der schwersten konkurrierenden Tat als Grund- oder Einsatzstrafe gewählt und deren Dauer angemessen erhöht78 • Der Richter kann die höchste Grenze der Strafdrohung um die Hälfte erhöhen, damit also zur Strafschärfung übergehen. In allen Fällen darf jedoch das gesetzliche Höchstmaß der Strafareo nicht überschritten werden80, 81. Es gilt also das Asperationsprinzip 82. Die Asperation wird in der Regel durch die Bildung einer Gesamtstrafe verwirklicht. Die Gesamtstrafe (peine d'ensemble) setzt sich zusammen aus der Grund- oder Einsatzstrafe und der Zusatzstrafe (peine additionelle ou complementaire). Grundstrafe (die Strafe Art. 68, s. Anhang. Vgl. dazu Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 68, N. 1 ff. 78 Thormannlvon Overbeck, a. a. o. zu Art. 68, N. 5. n Vgl. Art. 67, s. Anhang. 80 Bei Zusammentreffen von fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125) und fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 II), welche beide mit Gefängnis bedroht sind, ist es daher nicht möglich, eine Strafe auf 4 111 Jahren Gefängnis zu erhöhen, da das Gesetz die höchste Gefängnisstrafe auf 3 Jahre festgesetzt hat; BGE 1942/IVI16. 81 Die schwerste Tat ist diejenige, welche das Gesetz mit der schwersten Strafe bedroht hat. Es gilt also die abstrakte Vergleichung. 82 Aebischer, a. a. 0., insbes. S. 36 ff. 78

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fur das schwerste Delikt) und Zusatzstrafe (Straferhöhung für die mitkonkurrierenden Delikte) gehen in der Gesamtstrafe auf. Als Elemente der Strafzusammensetzung werden sie nur in der Urteilsbegründung erwähnt. Nur die Gesamtstrafe erwächst in Rechtskraft8a• (2) Bei Zusammentreffen mehrerer durch Bußen bedrohte Strafen schreibt Art. 68 nicht unbedingt Strafschärfung vor. Der Richter kann hier - gemäß Art. 63 - so verfahren, daß er eine dem Verschulden des Täters angemessene Buße ausspricht84, S6. (3) In Fällen der sogenannten retrospektiven Realkonkurrenz (ungleichzeitige Beurteilung mehrerer Delikte) wird - gemäß Art. 68, Ziff. 2 - eine nachträgliche (selbständige) Zusatzstrafe verhängt. Diese Zusatzstrafe muß so bemessen sein, daß der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn seine verschiedenen Delikte gleichzeitig hätten beurteilt werden könnenS'. (4) Den Fall des Zusammentreffens einer mit Freiheitsstrafe und einer

mit Buße bedrohten Tat hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich erwähnt. Hier wird allgemein angenommenS7, daß beide Strafen nebeneinander ausgesprochen werden können.

(5) Der Gedanke der Strafkumulierung greift - gemäß Art. 68, Ziff 1, III - bei Nebenstrafen und Maßnahmen ein, die verhängt werden, gleichgültig, ob sie nur in einer oder in mehreren Gesetzesbestimmungen erwähnt sind88 • (6) Bei Konkurrenz gleichartiger Nebenstrafen oder gleichartiger Maßnahmen (z. B. Berufsverbot mit Berufsverbot) wird die betreffende Nebenstrafe oder Maßnahme (im Sinne einer Gesamt- oder Zusatzstrafe) nur einmal verhängt. Hier erfolgt eine Erhöhung innerhalb des "ordentlichen Strafrahmens"su. (7) Beim Zusammentreffen von Freiheitsstrafen, Bußen, verschiedenen Maßnahmen und Nebenstrafen wird das Kumulationsprinzip (Art. 68, Ziff. 1, III) angewandt". SchwandeT, a. a. 0., S. 163; Aebischer, a. a. 0., S. 58 ff. S4 Vgl. Art. 68, Ziff. 1 II, Art. 48, Ziff. 2. 8G Dazu Näheres bei Hafter, a. a. 0., S. 378 f., SchwandeT, a. a. 0., S. 165 f. 88 HafteT, a. a. 0., S. 379, SchwandeT, a. a. 0., S. 163 f. 87 CleTk/Steck, a. a. 0., S. 185, Thormannlvon Overbeck, a. 4. O. zu Art. 68, N. 8; HafteT, a. a. 0., S. 379, will bei solchen Konkurrenzen die Schärfung nach Art. 68, Ziff. 1, I und II eintreten lassen. 88 HafteT, a. a. 0., S. 379. 89 SchwandeT, a. a. 0., S. 165. 10 BGE 1949/IV/l für Freiheitsstrafen und Bußen; s. auch SchwandeT, a. a. 0., S. 165. 83

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(8) Hafter" behandelt die Anwendung des Absorptionsprinzips in der kantonalen Gesetzgebung. Es ist festzustellen, daß der Art. 68 nur in bestimmten Fällen wirklich strafschärfend wirkt. Der Urheber konkurrierender Delikte wird besser behandelt als der Rückfällige. Diese Besserstellung wird nach herrschender Meinung'! damit gerechtfertigt, daß ja gegen den Urheber des konkurrierenden Delikts kein vorheriges Urteil ergangen ist, das ihm - wie dem Rückfälligen - als Warnung hätte dienen können. Die Strafschärfung ist selbst beim Rückfall nicht obligatorisch. Sie wird da aber erheblich öfter angewandt als beim konkurrierenden Delikt. Bei fortgesetzten Delikten bildet nicht der Art. 68, sondern der Art. 63 die Beurteilungsgrundlage. Thormannlvon Overbeck9a befürworten eine gewisse Zurückhaltung in der Annahme des als Einheit aufzufassenden fortgesetzten Deliktes, damit der Unterschied zum wiederholten Delikt (gleichartige Realkonkurrenz) nicht verwischt werde. c) Die Gewinnsucht als Strajschärjungsgrund

Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, ist der Höchstbetrag der Buße für Verbrechen und Vergehen 20000 Franken und für Übertretungen 2000 Franken. Diese Strafmaxima kann der Richter überschreiten, wenn der Täter aus Gewinnsucht (cupidite) gehandelt hat. Das Bundesgericht hat gelegentlich die cupidite des Art. 50 dem Gewinnstreben (Bereicherungsabsicht), dem dessein de luere" der Art. 198, 219 und 313 gleichgestelltes. Trifft die Gewinnsucht mit anderen subjektiven Merkmalen (z. B. Gewerbsmäßigkeit) zusammen, so werden die Rechtsfolgen kumuliert. 5. Z usa m m e n t reff e n von S t r a f mild e run g s - und Strafschärfungsgründen

Trifft ein Strafmilderungs- und ein Strafschärfungsgrund zusammen (z. B. ein Rückfälliger begeht unter dem Eindruck einer schweren 91 Z. B. früher Art. 39, Genf: "En cas de concours de plusieurs crimes ou delits, la peine la plus forte sera seule prononcee." (Hafter, a. a. 0., S.374) . • 2 Vgl. z. B. Clerk/Steck, a. a. 0., S. 137. Q3 Thormann/von Overbeck, a. a. O. zu Art. 68, N. 12. " In deutschen Texten mitunter irrtümlicherweise als Gewinnsucht übersetzt. 95 BGE 1949/IV/45; vgl. auch Schwander, a. a. 0., S. 154.

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Drohung eine Straftat), so wird zunächst die Wirkung des Milderungsgrundes und dann die des Schärfungsgrundes berücksichtigt". 6. S t ra f ä nd e run gun d Me h r t ä t e r s c ha f t Bei Delikten, die nicht die Tat eines einzelnen sind, können strafmildernde und strafschärfende Gründe auftreten, die nur einzelnen nicht allen - Beteiligten der Straftat zuzurechnen sind. In diesen Fällen richtet sich das Strafmaß gemäß Art. 26 nach dem Grad der persönlichen SchuldV7 • 7. Anrechnung der Untersuchungshaft Die Anrechnung der Untersuchungshaft ist - gemäß Art. 6988 obligatorisch, sofern der Täter die Untersuchungshaft nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat. Es bleibt aber dem Richter überlassen, ob er die Untersuchungshaft ganz oder nur teilweise anrechnen will 88 • Ist der Angeklagte nur zur Zahlung einer Buße verurteilt, so wird ihm die Dauer der Untersuchungshaft "in angemessener Weise" angerechnet. Das Wie der Anrechnung bleibt dem freien richterlichen Ermessen überlassen1OO • Die Anrechnung der Untersuchungshaft kann auch durch eine Herabsetzung der Buße bewirkt werden. Bei Nebenstrafen und sichernden Maßnahmen ist die Anrechnung der Untersuchungshaft ausgeschlossen101 , 102.

Vgl. Clerk/Steck, a. a. 0., S. 138. Art. 26 lautet: "Besondere persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, die die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschließen, werden bei dem Täter, dem Anstifter und dem Gehilfen berücksichtigt, bei dem sie vorliegen." 98 Art. 69, s. Anhang. 98 Vgl. auch Hafter, a. a. 0., S. 355 ff., Kurt, a. a. 0., S. 90 ff., Neidhart, a. a. 0., S.48, Schwander, a. a. 0., S. 188 ff. 100 Hafter, a. a. 0., S.356/357: "Bußen und Freiheitsentziehung sind inkommensurable Werte". 101 Vgl. auch Thormann/von Overbeck, a. a. 0., zu Art. 69, N. 3-5 102 Besondere Regelungen gelten für die Anrechnung der Sicherheitshaft (Art. 375) wie für den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen (Art. 17, 43, Z.4----ß, 44, Z.3) und für den Strafvollzug im Ausland (Art. 3, Z.l H, 8e

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4 H, 6, Z. 2 H).

11. Usterreidt Schrifttum Allinge7'-Csollich, Theofried, Österreichisches Strafgesetzbuch. Wien 1950. Altmann, Ludwig, Siegfried Jacob, Kommentar zum österreichischen Strafrecht. Wien 1928. Altmann, Ludwig, Siegfried Jacob, Max Weiser, Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Strafsachen. Wien 1937. G7'assbe7'ge7', Roland, Die Strafzumessung. Wien 1932. Heidrich, Karl, Zur Strafzumessung. Österreichische Juristenzeitung 1949, S.232-234. Ho7'7'ow, Max, Grundriß des österreichischen Strafrechts. Allgemeiner Teil. Graz, Wien 1947. Kaniak, Gustav, Das österreichische Strafgesetz mit den wichtigsten strafrechtlichen Nebengesetzen. 4. Aufl., Wien 1956. Kimmel, Josef, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts. 16. Aufl., Wien 1954. Lammasch, Heinrich, Theodor Rittler, Grundriß des österreichischen Strafrechtes. Wien 1926. Lohsing, Ernst, Eugen Serini, Österreichisches Strafprozeßrecht. 4. neubearb. Aufl., Wien 1952. Malaniuk, Wilhelm, Lehrbuch des Strafrechtes. Erster Band. Wien 1947. Mannheim, Hermann, Comparative Sentencing Practice. Law and Contemporary Problems Bd. 23 (1948), S. 558-582. Nowakowski, Friedrich, Die Strafgesetzgebung in Österreich. ZStW Bd. 65 (1953), S. 131-141.

(Zit.: Nowakowski, Strafgesetzgebung)

Nowakowski, Friedrich, Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen. Graz, Wien, Köln 1955.

(Zit.: Nowakowski, Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen) N owakowski, Friedrich, Das österreichische Strafrecht. Das ausländische Strafrecht der Gegenwart. Hrsg. von Edmund Mezger, Adolf Schönke, Hans-Heinrich Jescheck. Dritter Band. Berlin 1955, S. 415-531. (Zit.: Nowakowski, Das österreichische Strqfrecht) Rittler, Theodor, Lehrbuch des österreichischen Strafrechtes. Erster Band. Wien 1933. 2. Aufl., Wien 1954.

1. Grundlagen der Strafzumessung

Für die richterliche Strafzumessung hat das österreichische Strafgesetz Richtlinien aufgestellt, die zur Individualisierung zwingen sollen. Dem reinen Typenstrafrecht entsprach es früher, die Art und

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Höhe der Strafe nach dem Grade der Einzeltatschuld zu bestimmen. Dem Vergeltungsgedanken gemäß war im Strafgesetzbuch von 1852 das malum. passionis malum actionis festgelegt. Milderungs- und Erschwerungsgründe konnten - sofern nicht überhaupt eine absolute Strafe vorgeschrieben war - nur innerhalb des relativ engen Strafrahmens berücksichtigt werdeni. Seit 1918 ist die Persönlichkeit des Täters in den Vordergrund gerückt!. In einer Reihe von Fällen nennt der österreichische Gesetzgeber absolute Strafen: (1) Die Todesstrafe ist - gemäß § 136 - für Mord angedroht. Seit 1950 tritt im ordentlichen Verfahren die Strafe lebenslangen schweren Kerkers an die Stelle der TodesstrafeS, '. Im standrechtlichen Verfahren5 und im Volksgerichtsverfahren' ist allerdings die Todesstrafe noch vorgesehen. (2) Lebenslängliche Freiheitsstrafe ist in § 139 (erster FalW und drei Monate strenger Arrest in § 3798 als absolute Strafe bestimmt. (3) Der Verlust bestimmter Rechte und Befugnisse8 und der Verweis10 sind als absolute Strafen in gewissen Fällen angedroht. In den Fällen der absolut bestimmten Strafe können Milderungsumstände nur im Gnadenwege berücksichtigt werden ll , 12. 1 HOTTOW, a. a. 0., S. 128; vgl. auch Kimmel, a. a. 0., S. 58 ff., Nowakowski, Das österreichische Strafrecht, a. a. 0., S. 470 f. 2 HOTTOW, a. a. 0., S.129, ist der Auffassung, daß sich die Erforschung der Persönlichkeit erübrigt, wenn wegen eines geringfügigen Deliktes die Anklage erhoben wurde, oder wenn die Anklage wegen einer Tat erfolgte, die mit einer absoluten Strafe bedroht ist. S Näheres bei Nowakowski, Strafgesetzgebung, a. a. 0., S. 131. , Zu den nicht im Anhang dieser Arbeit abgedruckten §§ vgl. AllingeTCzollich, a. a. O. und Kaniak, a. a. O. 5 Die Todesstrafe wird im standrechtlichen Verfahren in der Regel (Ausnahme: § 442, Abs. 2 StPO) verhängt, wenn der Beschuldigte einstimmig für schuldig erklärt wurde. Lohsing/SeTini, a. a. 0., S. 488 ff., HOTTOW, a. a. 0., S.129. , Im Volksgerichtsverfahren gilt die Todesstrafe als absolut bestimmte Strafe bei einem Schuldspruch wegen eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz (Verfassungsges. v. 8. 5. 1945, §§ 3a, 3e, 3f); vgl. HOTTOW, a. a. 0., S. 129, Lohsing/Serini, a. a. 0., S. 492 ff., Malaniuk, a. a. 0., S. 327. 7 Für Kindesmord, wenn das Kind ehelich war. 8 § 379 lautet: "Eine Frauensperson, die sich bewußt ist, mit einer schändlichen oder sonst ansteckenden Krankheit behaftet zu sein, und mit Verschweigung oder Verheimlichung dieses Umstandes als Amme Dienste genommen hat, soll für diese übertretung mit dreimonatlichem strengen Arrest bestraft werden." 9 Z. B. Gewerbeverlust, Untersagung der Ausübung der Heilkunde usw. (§§ 356, 357, 384, 385 usw.). 10 §§ 414, 417, 419. 11 Kimmel, a. a. 0., S. 63. 12 S. auch § 442, Abs. 2 StPO.

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Als absolut unbestimmte Strafe bezeichnet wird gelegentlich die Bestimmung des § 525, die den Richter anweist, "zur Abwendung der Unordnung die Hand zu bieten und nach gehöriger Untersuchung jene Strafe zu verhängen, die nach den Umständen am zweckmäßigsten" erachtet wirdlI. In der Mehrzahl der Fälle folgt das österreichische Recht dem System der relativen Strafdrohung durch die Aufstellung von Strafrahmen, von denen es zwei Arten unterscheidet, nämlich14 : (1) Strafrahmen mit abgegrenzten Strafsätzen und (2) Strafrahmen mit (ineinander) fließenden Strafsätzen. Dabei wird unter Strafsatz die für eine strafbare Handlung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen im Gesetz festgelegte Rahmenstrafe verstanden15 • Zu (1) Sind im Gesetz Erschwerungs- oder Milderungsumstände namentlich angeführt, so wird durch ihre Bestimmtheit eine Abgrenzung der Strafsätze ermöglicht. Solche namentlich bezeichneten Umstände sind z. B.: die Ehelichkeit des Kindes (§ 139)18, nahe Verwandtschaft (§ 142), Größe des Schadens (§ 205) usw. Bei Vorliegen derartiger Umstände ist die Wahl des Strafsatzes dem richterlichen Ermessen entrückt17• Zu (2) Sind im Gesetz Milderungs- oder Erschwerungsgründe nicht namentlich aufgeführt, so spricht man von fließenden, gleitenden oder einheitlichen Strafsätzen. "Nicht namentlich angeführte Milderungs- oder Erschwerungsgründe" sind dort gegeben, wo das Gesetz allgemeine Ausdrücke anwendetl8 • Ein einheitlicher Strafsatz liegt auch vor, wenn im Gesetz der höhere Strafrahmen angedroht ist l9 • 13 Malaniuk, a. a. 0., S.327; HOTTOW, a. a. 0., S.130, wendet ein, daß es sich hier nicht um eine "absolut" unbestimmte Strafdrohung handle, da ja das Gericht an die Vorschriften der §§ 240 ff. (Abschnitt von den Strafen für Vergehen und übertretungen) gebunden sei und daß also eine Arreststrafe die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen dürfe (§ 247). 14 Dazu: HOTTOW, a. a. 0., S. 130 ff., Malaniuk, a. a. 0., S. 326. 15 Malaniuk, a. a. 0., S. 326, Fußnote 74. 18 § 139 sieht drei (abgegrenzte) Strafsätze vor: (a) Lebenslanger schwerer Kerker für die Mutter, die ihr eheliches Kind bei der Geburt tötete; (b) 10-20 Jahre schwerer Kerker für die Mutter, die ihr uneheliches Kind bei der Geburt tötete; (c) 5-10 Jahre schwerer Kerker, wenn das uneheliche Kind durch Unterlassen des nötigen Beistandes umkam. 17 S. auch §§ 179, 184, 203 usw. qualifizierte Delikte; vgl. fernerhin HOTTOW, a. a. 0., S. 154. 18 Z. B. "bei erschwerenden Umständen" (§§ 178, 184, 202, usw.), "bei sehr erschwerenden Umständen" (§ 128), "bei besonders erschwerenden Umständen" (§§ 77, 79, 139 b, usw.) , "nach der Größe der Bosheit und Gefahr" (§§ 86 und 88), usw.

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Die Nichtigkeitsbeschwerde ist zugelassen, wenn das Gericht im Gesetz namentlich bezeichnete Milderungs- oder Erschwerungsumstände nicht berücksichtigt hat oder wenn es die Grenzen des ihm zustehenden Strafumwandlungs- oder Milderungsrechtes überschritt. Hat sich aber das Strafmaß im Rahmen des (einheitlichen) Strafsatzes bewegt, so kann das bessere Ermessen des höheren Gerichtes nur durch das Rechtsmittel der Berufung angerufen werden. Es besteht das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius)20. 2. Allgemein e S tra fz um essungs r egeln

Das österreichische Strafgesetz kennt keine genau umschriebenen allgemeinen Strafzumessungsregeln wie manche neueren Strafgesetzbücher. § 3221 bestimmt lediglich, daß die Strafe weder schärfer noch gelinder zuzumessen ist, als es das Gesetz nach der vorliegenden Beschaffenheit des Verbrechens und des Täters vorschreibt. Im Strafgesetz verstreut finden sich Vorschriften über verschiedene für die Strafzumessung relevante Momente22 : die Schuld23, die Beweggründe24 , der Erfolg25 , das Vorleben des Täters28 und seine persönlichen Verhältnisse27 • In § 43 wird die allgemeine Regel aufgestellt, daß der Richter bei der Bestimmung der Strafe abzuwägen hat, inwieweit die Tat auf einer verwerflichen Gesinnung beruht und inwieweit der Täter verbrecherische Neigungen zeigt; es ist auch auf die Größe des durch die Tat entstandenen Schadens oder durch die mit der Tat verbundene Gefahr Rücksicht zu nehmen. Beschaffenheit der Tat und Beschaffenheit des Täters sollen sorgfältig abgewogen werden, "damit sowohl die General- wie auch die Spezialprävention zu ihrem Recht gelangen"28. 2'. 1U Z. B. "nach der Größe der Bosheit und des Schadens" (§ 103), "nach der Größe der Bosheit und Gefahr" (§§ 86 und 88), "bei besonderer Arglist, um die Beschuldigung glaublich zu machen" (§ 210, lit. b), usw. 20 §§ 281, Z.l1; 345, Z.13 StPO und Lohsing/SeTini, a. a. 0., S.415 und 557 f. 21 S. § 32, Anhang. 22 HOTTOW, a. a. 0., S. 133 ff. 23 §§ 43 ff., 467, Art. VI der StPONov. 1918 (s. auch Anhang). 24 Art. VI der StPONov. 1918, § 46 lit. c und lit. d. 25 Allgemein in §§ 47, 264 beachtlich und für besondere Tatbestände in den §§ 81, 82, 85-88, usw. 28 § 46 lit. bund lit. c. 27 Art. VI StPONov. 1918, §§ 265a und 339 StPO (s. Anhang). 28 Altmann/Jacob, a. a. 0., S. 203. 2U Nowakowski, Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen, a. a. 0., S.126, schreibt dazu: "Nur innerhalb dessen, was als "verdient" empfunden wird, dürfen die übrigen Strafzwecke - Generalprävention

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Im österreichischen Strafgesetz ist bei jedem Tatbestand eine bestimmte Strafe ("von .... bis '" .") benannt. Die Festsetzung einer Strafe durch die bloße Kennzeichnung einer Strafart findet ni'cht statt. Der Gesetzgeber hat dem Richter in einer Reihe von Fällenso die Möglichkeit gegeben, die für die einzelnen Delikte vorgesehenen Strafmindestmaße zu unterschreiten und die Strafe aus dem so erweiterten Strafrahmen zu entnehmen. Heidrich31 weist darauf hin, daß die österreichischen Gerichte" in einem so weitgehenden Maße das außerordentliche Milderungsrecht anwenden, "daß es gegenwärtig bereits zur Ausnahme gehört, wenn in einem Straffall vom a. o. Milderungsrecht nicht Gebrauch gema'cht wird; ja es hat sich bereits wiederholt ereignet, daß sich das Gericht geradezu veranlaßt sah, in den Gründen des Urteiles sich damit auseinanderzusetzen, warum im Einzelfall das a. o. Milderungsrecht nicht zur Anwendung kommen konnte"3'. Heidrich bemängelt, daß die Gerichtspraxis die Einrichtung des a. o. Milderungsrechtes ihres Charakters des "Außerordentlichen" nahezu entkleidet hat und daß primär statt des gesetzlichen Strafsatzes der des a. o. Milderungsre'chtes zur Grundlage der Strafzumessung gemacht würde. Das Gesetz schreibt vor, daß der Richter innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens die Strafe unter Abwägung (§§ 48, 265)84 der exemplikativ aufgezählten Erschwerungs- und Minderungsgründe festzusetzen hat. Er muß im Urteil angeben, welche Erschwerungs- und Minderungsgründe er gefunden und zur Bestimmung des Strafmaßes herangezogen hat35 • und Spezialprävention - berücksichtigt werden. Strafen, die in der Allgemeinheit als zu hart empfunden werden, sind generalpräventiv und, soweit Besserung und nicht Unschädlichmachung erstrebt wird, auch spezialpräventiv weniger wirksam als solche, die als gerecht anerkannt werden. Auch hier hat der Richter nicht nach seinem persönlichen Wertempfinden, sondern nach den "geltenden" Wertmaßstäben zu entscheiden. Immer ist die geringste Strafe zu verhängen, die zur Erfüllung der Strafzwecke noch genügt (Ökonomie der Strafe). Die Gerechtigkeit verlangt, daß gleiche Verfehlungen gleich bestraft werden. Eine mathematisch gleiche Strafe bedeutet für den einen aber ein schwereres übel als für den anderen. Diese Verschiedenheit der Strafempfindlichkeit muß durch die individuelle Strafzumessung ausgeglichen werden. Dabei können wieder Bedürfnisse der Generalprävention eine Grenze setzen." 30 Vgl. §§ 54, 55, 260, 261; Art. VI StPONov. 1918, §§ 255a, 359 StPO (s. Anhang). 31 Heidrich, a. a. 0., 233 f. 32 Zur österreichischen Gerichtspraxis vgl. auch Mannheim, a. a. 0., S. 569 ff. 33 Heidrich, a. a. 0., S. 234; 34 §§ 48, 265 (Anhang). 35 § 270, Z. 7 StPO.

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3. Mi! derungsgründe

Das Gesetz unterscheidet Milderungsumstände nach der Beschaffenheit (Unrechtsgehalt) der Tat und Milderungsumstände nach der Beschaffenheit (persönlichkeit) des Täters". Zu den Milderungsumständen nach der Beschaffenheit der Tat (Milderungsumstände "objektiver Natur") rechnet der Versuch nach dem Grade der Vollbringung des Verbrechens (§ 47 lit. a und 264 lit. g)l7, ferner der Umstand, daß der Schaden nur gering oder der Geschädigte Ersatz oder Genugtuung erhielt (§ 47 lit. C)37 und wenn sich der Täter "nur geringen Vorteil zugeeignet" hat (§ 264 lit. h)37. Die Milderungsgründe nach der Beschaffenheit des Täters lassen sich unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen18 : (1) hinsichtlich der Zure'chnungsfähigkeit: verminderte Zurechnungsfä-

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higkeit, geistige Minderwertigkeit, Alter unter 20 Jahren, vernachlässigte ErziehungS'; hinsichtlich der Schuld: Handeln auf Antrieb eines Dritten, aus Furcht, Gehorsam, heftiger Gemütsbewegung, mit Verschulden des Geschädigten, notstandsähnliche Situation, drückende Armut des Täters, usw.40 • hinsichtlich des Charakters: "untadelhafter Wandel des Täters"U; Versuch der Wiedergutmachung oder Verhinderung weiterer übler Folgen der Tat&!; Verhalten des Täters nach der Tat: Geständnis des Täters, sofern es ein Schuldgeständnis (nicht Tatsachengeständnis) ist, durch das der potentielle Schuldvorwurf gemildert wirdfl • 4. E r s c h wer u ng s g r ü n d e

Die beispielsweise aufgezählten Erschwerungsgründe lassen sich ebenfalls nach der Beschaffenlheit (Gefährlichkeit) der Tat und der Persönlichkeit des Täters gruppieren. 3S Vgl. auch Grassberger, a. a. 0., S. 77. 17 S. Anhang. 18 Malaniuk, a. a. 0., S. 331 ff., Horrow, a. a. 0., S. 137 ff. 3D §§ 46 lit. a und 264 lit. a (s. Anhang). (0 §§ 46 lit. c und lit. d, 264 lit. d und lit. e (Anhang). 41 §§ 46 lit. b und 264 lit. b (Anhang). &! §§ 46 lit. g und 264 lit. k (Anhang). ca § 46 lit. h, ähnliche Erwägungen bei § 46 lit. i; s. auch HorroVl, a. a. 0., S. 138 und Malaniuk, a. a. 0., S. 132.

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Die Tat wird als um so schwerer angesehen, je größer der dadurch verursachte Schadenu oder die damit verbundene Gefahr45 ist, je mehr Rechtsgüter verletzt wurden48 , usw. Mit der "Intensität der Normverletzung" wächst der Unrechtsgehalt der Tat47 • Rückfall, Verbrechenskonkurrenz, wiederholte Tatbegehung sind Erschwerungsgründe von besonderer Intensität. Das gleiche gilt - was die Täterpersönlichkeit anlangt - für den Fall, daß der Täter Urheber, Anstifter oder Rädelsführer ist. Auch die große Einsicht des Täters wirkt schulderhöhend. Weiterhin ist von Bedeutung, ob die Tat einer dauernden Neigung entsprang oder durch ein vorübergehend starkes Motiv ausgelöst wurde48 • Bei Verletzung bestehender Verpfti'chtungsverhältnisse richtet sich die Beurteilung nach der Art des Verhältnisses zwischen Beschuldigten und Geschädigten oder Beleidigten49 • Die Erregung öffentlichen Ärgernisses (General prävention) wirkt straferhöhend50 ; desgleichen das Verhalten des Täters nach der Tat, wenn er in der Untersuchung den Richter durch Erdichtung falscher Umstände zu hintergehen sucht51 • 5. A u ß e r

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r den t li ehe S t r a fm i I der u n g

Die Strafdrohungen des Besonderen Teils des Strafgesetzes sind ergänzt und erweitert durch eine Reihe von Vorschriften des Strafgesetzes (Allg. Teil), der Strafprozeßordnung und der Strafprozeßnovelle 1918. Es lassen sich folgende Fälle unterscheiden: (1) das außerordentliche Milderungsrecht bei VerbrechenS!, 68: (a) nach § 54: Bei Verbrechen, für welche eine Strafzeit von nicht mehr als 5 Jahren bestimmt ist, kann sowohl der Kerker in einen gelinderen Grad verwandelt werden, als auch die gesetzliche Dauer unter 6 Monate5' herabgesetzt werden, wenn mehI1ere Milderungsgründe zusammentreffen, die eine Besserung des Veru §§ 43, 263lit. d (Anhang). §§ 43, 263 lit. c (Anhang). u § 43 (Anhang). 47 Grassberger, a. a. 0., S. 8, Horrow, a. a. 0., S. 141. 48 §§ 44, 263 (Anhang). 4D § 263, lit. 3 und lit. g (Anhang). 50 § 263, lit. h (Anhang). 51 §§ 45 und 263, lit. m (Anhang). 52 Zu den Paragraphenbezeichnungen vgl. jeweils den Anhang. 53 Für Jugendliche gelten besondere Vorschriften (vgl. Horrow, a. a. 0., 46

S.144). 64

Bis auf einen Tag.

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brechers mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Mindestens zwei Milderungsgründe müssen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß der Täter in Zukunft nicht mehr straffällig werde55• (b) Jugendliche: Bei Jugendlichen gilt ein Strafrahmen von einem Tag bis 2 1/2 Jahre58• (c) nach Art. VI der Strafprozeßnovelle 1918: Wegen eines Verbrechens, das mit mehr als 5 Jahren schweren Kerkers bedroht ist, kann auf strengen Arrest erkannt werden, wenn einer der im Art. VI StPONov. 1918 (s. Anhang) angegebenen Milderungsgründe vorliegt. Die Gründe sind erschöpfend aufgezähUS7• (2) Das erweiterte außerordentliche Milderungsrecht (nach §§ 265a und 339 StPO): Wenn mehrere oder überwiegend Milderungsgründe zusammentreffen, so kann - falls auf eine Strafe von 5-10 Jahren hätte erkannt werden können - eine Herabsetzung bis auf 6 Monate erfolgen; wäre aber auf eine Strafe von 10-20 Jahren zu erkennen gewesen, so darf die herabgesetzte Strafe nicht ein Jahr unters'chreiten. Nur im erstgenannten Falle besteht die Möglichkeit auf eine gelindere Art des Kerkers zu erkennen58• (3) Das außerordentliche Milderungsrecht bei Vergehen und übertretungen (§ 266): Die Strafe kann nach Art und Ausmaß herabgesetzt werden, wenn mindestens zwei Milderungsgründe zusammentreffen, die mit Grund eine Besserung des Schuldigen erwarten lassen. Nach der Vorschrift des § 266 kann auch die Geldstrafe unter den geringsten Strafsatz herabgesetzt werden59 • 6. Ab se h e n von S t r a f e Das Absehen von Strafe oder - wie es auch genannt wird - das Absehen vom Strafausspruch ist im österreichischen Recht in folgenden Fällen vorgesehen: 55 OLG. Wien, 16.8. 1947, in Ev. 60211947, nach HOTTOW, a. a. 0., S. 143; zu § 54 s. auch Altmann/Jacob/WeiseT, a. a. O. 58 Jugendgerichtsgesetz § 11, I Z. 1 und 2 und § 54 StG (JGG = Bundesges. v. 18. 8. 1928, BGBl. Nr. 234). 57 HOTTOW, a. a. 0., S. 145. 58 Für das Volksgerichtsverfahren, das standrechtliche Verfahren und für Jugendliche gelten besondere Vorschriften: vgl. HOTTOW, a. a. 0., S. 150 fI. 58 HOTTOW, a. a. 0., S. 1491150; Malaniuk, a. a. 0., S. 325.

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(1) Unbedingtes Absehen von Strafe:

(a) obligatorisch nach § 24 Z. 4 des Pressegesetzes8G , (b) fakultativ nach § 12 (2) und (3) des Jugendgerichtsgesetzes, nach

§ 419 StG81 und im Zusammenhang mit § 265 StP08Z ;

(2) Bedingtes Absehen von Strafe ist nach § 13 des Jugendgerichts-

gesetzes bei Jugendlichen möglich. Die Strafe kann unter bestimmten Voraussetzungen in eine 1-5 Jahre dauernde Probezeit, die jederzeit widerruflich ist, umgewandelt werden83• 7. Strafumwandlung

Der Gesetzgeber hat in einigen Fällen, die in den §§ 260, 261, 5514 näher umschrieben sind, den Richter ermächtigt, die vorgesehene Strafe in eine andere - gleichartige - umzuwandeln. Dies geschieht dann, wenn die gesetzlich bestimmte Strafe nicht vollzogen werden kann oder nicht zweckmäßig ist85. 8. Rückf all

Das österreichische Strafgesetz kennt den Tatbestand der Wiederholung des Verbrechens und den des Rückfalls (§§ 44 lit. b und c, 263, lit. b)68. Der Unterschied besteht darin, daß bei der wiederholten Tatbegehung keine Verurteilung bzw. Bestrafung zwischen den einzelnen Taten liegt. §§ 44, lit. c und 263, lit. b, behandeln den gleichartigen (besonderen, speziellen) Rückfall. Dieser wird in der österreichischen Lehre auch häufig mit Rückfall im eigentlichen oder engeren Sinne87 bezeichnet. Der Rückfall im weiteren Sinne ist der, bei welchem der Täter früher einmal wegen einer anderen - nicht gleichartigen - Tat bestraft worden war. Der gleichartige Rückfall gilt als besonderer Erschwe8G Wenn der Schriftleiter aus entschuldbarem Irrtum eine Berichtigung nicht als Berichtigung angesehen hat und deswegen ihre Veröffentlichung unterließ. 81 Dem mißhandelten Ehegatten steht es frei, Milderung oder Nachsicht der Strafe für den schuldigen Teil zu erbitten. 82 Das Absehen von Strafe gilt hier für das neue Urteil. Q Zu diesem Abschnitt vgl. auch Malaniuk, a. a. 0., S. 351 ff. 14 §§ 260, 261, 55 (s. Anhang). 85 HOTTOW, a. a. 0., S. 146 ff. 88 §§ 44, lit. b und c, 263, lit. b (s. Anhang). 87 RittleT, a. a. 0., S. 246, HOTTOW, a. a. 0., S. 168.

Österreich rungsgrund; der ungleichartige ist insofern bedeutsam, als er den Mil~ derungsgrund des § 46, lit. b, ausschließt68 • 69. Die rückfallsbegründende Wirkung der Vortat ist nur gegeben, wenn der Täter die Strafe - sei es auch nur infolge der Einrechnung der Verwahrungs- und Untersuchungshaft - ganz oder teilweise verbüßt hat70• Der Strafverbüßung stehen weiterhin gleich: der endgültige Strafnachlaß nach vorläufigem Aufschub der Strafe, Strafverbüßung im Ausland und eine gemäß den Bestimmungen über die bedingte Verurteilung71 nachgelassene Strafe. Eine tilgbare (aber nicht getilgte) Vorstrafe ist zu zählen. Ein Rückfall während der Probezeit wird nicht gere'chnet. Als erschwerend gilt der Umstand, daß jemand nach seiner Verurteilung - aber vor Strafantritt - ein gleichartiges Delikt begeht. Das Gesetz behandelt den Rückfall nicht nur als einen Erschwerungsgrund, sondern gelegentlich als ein Qualifikationsmoment72 , 73. Nach §176 I b begeht ohne Rücksicht auf die Höhe des entwendeten Betrages derjenige ein Verbrechen, der mindestens zweimal wegen eines Diebstahls (Vergehen oder Übertretung) bestraft worden ist. In einem solchen Falle verliert nach 5 Jahren (Rückfallsverjährung) der Rückfall seine qualifizierende Kraft. Eine allgemeine Bestimmung über die Rückfallsverj ährung fehlt. Die Lehrbücher sprechen lediglich davon, daß Rückfall nicht angenommen werden soll, wenn seit der letzten Strafverbüßung lange Zeit verflossen ist, ohne daß der Täter eine strafbare Handlung begangen hat74 • ~

Verbrechenskonkurrenz

Das österreichische Strafgesetz behandelt die Ideal- und Realkonkurrenz gleich. In beiden Fällen ist nach dem Verbrechen zu bestrafen, für welches die schwerere Strafe vorgesehen ist; dabei ist die Strafe mit Bedacht auf die übrigen Verbrechen festzusetzen7S • Es gilt also 88 § 46, lit. b: wenn der Täter vor dem Verbrechen "eines untadelhaften Wandels gewesen". 60 Der ungleichartige Rückfall ist auch von Bedeutung für die Anwen-. dung des § 1, Abs. 2 des Arbeitshausges. (1932). 70 Malaniuk, a. a. 0., S. 283. 71 G. v. 23. 7.1920, StGBl. Nr. 373. 72

LammaschlRittleT, S. 202 :!f.

Rückfallsqualifikationen sind noch in folgenden Bestimmungen enthalten: §§ 290-292, 307. (Vorschubleistung), 330 (unbefugte Verfertigung amtlicher Siegel), 472 (Trödlerhandel mit Unmündigen), usw. 74 LammaschlRittleT, a. a. 0., S. 202; Malaniuk, a. a. 0., S. 283. 75 S. § 34 (Anhang). 7S

4 Smmldt. Strafzumes8ung

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das Absorptionsprinzip mit Straferhöhung7l • In Fällen allogener Konkurrenz (die Delikte fallen unter verschieden hohe Strafsätze) entscheidet die Strafart77• Bei homogener Konkurrenz entscheidet zunächst das angedrohte Strafhöchstmaß und wenn dieses gleich ist, das Mindestmaß; schließli'ch die etwa angedrohten sonstigen Strafen (Nebenstrafen, Geldstrafen)78. Ähnliche Grundsätze stellt das Gesetz für Konkurrenzen von Verbrechen mit Vergehen und von Vergehen mit übertretungen untereinander aue'. Das Kumulationsprinzip gilt in folgenden Fällen: (1) Nach §§ 35 11 und 26711 sind Freiheitsstrafen mit Geldstrafen, Verfall von Gegenständen und Verlust von Rechten zu kumulieren; (2) nach § 5 des Pressegesetzes v. 7.4.1922 (BGBI. Nr. 218) ist auf mehrere Geldstrafen nebeneinander zu erkennen. 10. Anrechnung der Untersuchungshaft

Die vor Verkündung des Urteils erster Instanz' erlittene polizeiliche oder gerichtliche Verwahrungs- und Untersuchungshaft ist nach §§ 55 a und 266 a auf Freiheits- und Geldstrafen anzurechnen, wenn der Verurteilte die Haft niCht verschuldet hat. Verschuldet ist die Haft, die durch einen der in § 1'75 StPO aufgezählten Umstände veranlaßt wurde. Da das Gesetz keinen Schlüssel aufstellt, ist die Haft in ihrer ganzen Dauer auf die Freiheitsstrafe anzurechnen80 . Nach § 400 StPQ81 ist die obligatorische Anrechnung der seit Verkündung des Urteils erster Instanz in Haft zugebrachten Zeit vorgeschrieben. Bei Widerruf des bedingten Strafnachlasses muß die Verwahrungszeit immer angerechnet werden82 und - soweit sie nicht verschuldet ist - auch auf die Unterbringung gemäß § 9 (3) des Arbeitshausgesetzes8l •

78 HOTTOW, a. a. 0., S. 183. 77 Bei Freiheitsstrafen in der Reihenfolge schwerer Kerker, Kerker, strenger Arrest, Arrest. 78 LammaschlRitteT, a. a. 0., S. 206 ft., Malaniuk, a. a. 0., S. 281ft. 78 S. § 35 (Anhang). 80 AltmannlJacob, a. a. 0., S. 212. 81 S. § 400 StPO (Anhang). 82 §§ 9 und 18 des Ges. über die bedingte Verurteilung (G. v. 23. 7.1920, StGBI. Nr. 373). 83 Bundesges. v. 10.6.1932 (BGBI. Nr. 167) über die Unterbringung von Rechtsbrechern in Arbeitshäusern.

III. Italien Schrifttum Antolisei, Francesco, Manuale di diritto penale. Parte generale. 2. Aufl., Mailand 1949. 3. Aufi., Mailand 1957. Battaglini, Giulio, Applicazione della pena e motivazione della sentenza. La giustizia penale 1932, S. 750 :11. Bettiol, Giuseppe, Wissenschaft und Gesetzgebung in Italien nach 1945. ZStW Bd. 64 (1952), S. 240-252.

(Zit.: Bettiol)

Bettiol, Giuseppe, Diritto penale. Parte generale. 4. Aufl. Palermo 1958.

(Zit.: Bettiol, Dir. pen.)

Bunge, K., Das Italienische Strafgesetzbuch vom 19. 10. 1930. Sammlung Nr. 50. Berlin, Leipzig 1933. dell' Andro, Renato, La recidiva nella teoria della norma penale. Palermo 1950. Gullo, Luigi, L'articolo 62 deI codice penale. Neapel 1941. Heinitz, Ernesto, La giusta misura della pena. Jus, Rivista di scienze giuridiche 1952, S. 381-395. Janitti-Piromallo, A., Le contröle du pouvoir d'appreciation du juge dans

la determination des peines et des mesures de surete. Rev. int. de Droit pen. 1958, S. 43-50. Maggiore, Giuseppe, Diritto penale. Bd. I. Parte generale. 5 Aufl., Bologna 1949.

Mannheim, Hermann, Comparative Sentencing Practice. Law and Contemporary Problems Bd. 23 (1958), S. 558-582. Manzini, Vincenzo, Trattado di diritto penale Italiano. 2. Bd. Turin 1948. Messina, Salvatore, La discretionalita nel diritto penale. Rom 1947. Natali, Nunzio, Osservazioni in tema di reati della stessa indole. Annali di diritto et procedura penale 1937, S. 148 ff. Nuvolene, Pietro, Il potere discretionale deI giudice in materia di sanzioni

nel diritto penale italiano. Schweiz. Zeitschrift f. Strafrecht, Melanges Germann 1959, S. 220-244. Pedrazzi, Cesare, Probleme der Strafrechtsreform in Italien. ZStW Bd. 67 (1955), S. 495-505.

Ranieri, Silvio, Manuale di diritto penale. Bd. 1. Parte generale. Padua 1956. Santaniello, Giuseppe, Manuale di diritto penale. Mailand 1957. Velotti, Giuseppe, Manuale di diritto penale. Parte generale. Rom 1957. Zapulli, Carlo, La recidiva nel nuovo codice penale. Rivista penale 1931, S. 525 ff.

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1. Grundlagen der Strafzumessung

Nach dem Willen des italienischen Gesetzgebers muß sich der Richter bei der Bestimmung der Strafe im Einzelfalle von den Regeln einer Strafzumessungsarithmetik leiten lassen. Selbst der Kassationshof1 bezeichnet das italienische Strafzumessungssystem als "bruchstückhaft und trocken arithmetisch" ("frammentaria ed aridamente aritmetica"). Das Strafgesetz vom 19. 10. 1930 weist den Richter an, nach den im Gesetz benannten - sehr weit gefaßten - Strafbestimmungsgründen (Art. 133)2 zunächst eine fiktive Basisstrafe für das vorliegende Delikt zu ermitteln. Die Höhe dieser Strafbasis richtet sich nach dem vom Strafrahmen begrenzten freien richterlichen Ermessen. Der Richter prüft nunmehr, welche von den im Gesetz benannten Straferhöhungsund Minderungsgründen beim vorliegenden Fall zutreffen. Mit der Strafbasis wird dann in der Form "gerechnet", daß nach Art, Grad und Zahl der im Einzelfalle gegebenen Straferhöhungs- und Minderungsgründen eine Erhöhung oder Senkung der Strafbasis um l/ e, 1/. bis l/S, l/s, 1/3 bis 1/2, 1/2, 1/2 bis 2/3 stattfindet. Am 1.1.1948 trat die italienische Verfassung in Kraft, die in Art. 25 für die Strafen wie für die sichernden Maßnahmen das Prinzip der Legalität betont. Die Verfassung hat hinsichtlich der Strafen in Art. 27, Abs. 2 auch den Grundsatz aufgestellt, daß sie "nicht in einer Behandlung bestehen dürfen, die mit dem Sinn für die Menschlichkeit unvereinbar sind". Im gleichen Artikel schreibt die Verfassung vor, daß die Strafen "auf die Besserung des Verurteilten gerichtet sein müssen"3. Bettiol4 schreibt, dieser verfassungsrechtliche Grundsatz stimme überein "mit der ganz modernen Richtung, für welche die Strafe, um wirklich Vergeltungsstrafe zu sein, menschlich sein muß". Er erwähnt auch, daß neuere Forscher in der zitierten Verfassungsnorm eine ausdrückliche Anerkennung der Zweckstrafe erblicken5 • Die Spezialprävention wird in den Vordergrund gerückte. Todesstrafe7 und Dauerzuchthaus8 sind in einer Reihe von Fällen als absolute Strafe angedroht. Die Todesstrafe wurde allerdings 1944 Cass. 15.3.1948. Riv. pen. 1948, S. 642; nach Heinitz, a. a. 0., S. 382. Art. 133, s. Anhang. Velotti, a. a. 0., S. 187. 3 Vgl auch Bettiol, a. a. 0., S. 249; Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 566 ff. 4 Bettiol, a. a. 0., S. 249 f., vgl. auch Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 543 ff. 5 Antolisei, a. a. 0., S. 357. ft Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 554 ff., 576 ff., RanieTi, a. a. 0., S. 554 ff. Santaniello, a. a. 0., S. 218 ff., Velotti, a. a. 0., S. 185 ff. 7 Z. B. in Art. 241 (Anschlag gegen die Unversehrtheit, Unabhängigkeit oder Einheit des Staates), 280 (Anschlag gegen das Regierungsoberhaupt) ; Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 582 ff., Ranieri, a. a. 0., S. 570. 8 Z. B. in Art. 265 (politischer Defaitismus), 283 (Anschlag gegen die Staatsverfassung). 1

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für das ordentliche Verfahren abgeschafftv; sie gilt jetzt nur noch in den von den Kriegsgesetzen vorgesehenen Fällen. 2. A 11 gern ein e S t r a f zum es s u n g s r e gel n Die allgemeinen Regeln für die Strafzumessung sind in den Art. 132 und 13310 , 11 enthalten. Die in Art. 132 statuierte Zumessungs-Ermessensfreiheit ist gleichzeitig Recht und Pflichtlz• Motiviert der Richter die ihm zugestandene Ausübung des Ermessens innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens nicht, so ist dies ein Nichtigkeitsgrund1s• In einer älteren Entschließung ist festgelegt, daß Wendungen wie "eine solche Strafe erscheint angemessen" unzureichend sind und einen Kassationsgrund geben14 • Art. 13315, von Antolisei als der bedeutendste Paragraph bezeichnet lO , zählt zunächst die Gründe auf, die für die Schwere der Tat bestimmend sind (Natur, Art, Mittel, Gegenstand ... und andere Umstände der Handlung, Größe des Schadens oder der Gefahr, Stärke des Vorsatzes und Grad der Fahrlässigkeit usw.). Dann folgen die Gründe die der Neigung des Schuldigen Rechnung tragen (Beweggründe, Wesensanlage des Täters, dessen Vorstrafen und persönliche Verhältnisse). Aus der Reihenfolge der Aufzählung - erst objektive, dann subjektive Tatumstände - wurde gefolgert, daß das Strafgesetzbuch vom Tatstrafrecht ausginge. Andere Autoren haben wiederum darauf hingewiesen, daß die Wortreihenfolge des Gesetzes nur die zeitliche, jedoch nicht wirkungsmäßig verschiedene Folge der Prüfung bedeutel7 • Die Aufzählung der Gründe des Art. 133 ist erschöpfend. Allerdings sind 9 Decreto legislativo luogotenenziale vom 10.8. 1944 (Nr.224), bestätigt durch die italienische Verfassung vom 22.11. 1947, in Kraft getreten am 1. 1. 1948 (an Stelle der Todesstrafe tritt nun Dauerzuchthaus); Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 582 ff., Santaniello, a. a. 0., S. 222. 10 Art. 132 und 133, s. Anhang. Vgl. auch Nuvolene, a. a. 0., S. 221 und 225 ff. 11 Maggiore, a. a. 0., S. 723, Messina, a. a. 0., S. 5 ff. 12 Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 543 ff., Nuvolene, a. a. O. insbes. S. 224 ff., Janitti-Piromallo, a. a. 0., S. 44 ff., Pedrazzi, a. a. 0., S. 502 ff. 13 Art. 475, Z. III StPO, Cass. 9.1.1946 (La giust. pen. 1946/III/354); Der Kassationshof hat allerdings auch schon entschieden, daß eine besondere Begründung der strafbestimmenden Umstände unterbleiben kann, wenn der Richter eine mittlere Strafe verhängt. Cass. 24. 5. 1946 (Riv. pen. 1946/ 1279); zur Gerichtspraxis vgl. Mannheim, a. a. 0., S. 576 ff. 14 Cass. 30. 1. 1935 (La giust. pen. 1935/310). 15 Art. 133, s. Anhang. 16 Antolisei, a. a. 0., S. 397; vgl. auch Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 614. l7 Dazu Maggiore, a. a. 0., S. 725, Antolisei, a. a. 0., S. 388, Battaglini, a. a. 0., S. 750 ff.; vgl. auch Nuvolene, a. a. 0., S. 225 ff.

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diese Gründe so weit gefaßt, daß es schwerfällt, ein Moment zu finden, das sich nicht einorientieren ließe. Im Entwurf 1949 wurde Absatz 2 des Art. 13318 neu gefaßt. Hinzugetreten ist als Strafbestimmungsgrund der Charakter des Angeklagten und der Grad seiner Erziehung und Bildung. 3. S t r a f s c h ä r fun g s - und S t r a fm i I der u n g s g r ü n d e Art. 61 18 zählt 11 Strafschärfungsgründe auf, zu denen das Handeln aus niederen oder leichtfertigen Beweggründen, Handeln zur Ausführung oder Verbergung einer anderen Straftat oder zur Sicherung des Nutzens daraus, die Verschärfung oder der Versuch der Verschärfung eines Verbrechens, Begehen einer Straftat während der Zeit, in der sich der Täter der Vollstreckung eines Befehls zur Verhaftung, Festnahme oder Einschließung entzogen hat, usw. gehören. Außer den besonderen Milderungsgründen des Art. 6210 (Handeln aus edlen Motiven, Provokation, Geringfügigkeit des Schadens oder dessen Wiedergutmachung usw.) bietet der 1944 eingefügte "Art. 62 bis"21 dem Gericht die Möglichkeit, solche Umstände strafmildernd in Betracht zu ziehen, die denen des Art. 62 an Wirkung ähnlich sind. Die in den Art. 61 und 62 angeführten Strafschärfungs- und Milderungsgründe gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch für die Nebenstrafgesetzgebung. Verstreut in verschiedenen Kapiteln des Besonderen Teiles des Strafgesetzburlles" sind Strafschärfungs- und Milderungsgründe angeführt, die jeweils bei der Beurteilung von einigen wenigen Tatbeständen zu berücksichtigen sind. Der Richter ist gehalten, die Strafschärfungs- und Milderungsgründe im Urteil aufzuführen. Der Berufungsrichter braucht sich nicht die Kriterien zu eigen zu machen, die der erste Richter seiner Entscheidung zugrunde legte. Es gilt das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius), sofern nur der Angeklagte ein Rechtsmittel eingelegt hat. Dem Täter nicht bekannte oder irrtümlich angenommene Umstände sowie der Irrtum, der Verhältnisse oder Eigenschaften des Verletzten betrifft, werden in der Regel nicht zu Lasten des Täters gerechVgl. Art. 119, Absatz 2 des Entwurfes 1949 (Anhang). Art. 61, s. Anhang. 10 Art. 62, s. Anhang; vgl. auch GulZo, a. a. 0., insbes. S. Iff., 25 ff., 79 ff. und Ranieri, a. a. 0., S. 558 ff. 11 Art. 62 bis, s. Anhang. !! Z. B. die strafschärfenden Umstände der Art. 425, 398 Abs. 1, 331, 375 und die mildernden Umstände der Art. 114 und 311; vgl. auch Art. 91 und 92 über straferhöhende oder strafmildernde Wirkung der Trunkenheit. 18

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net!3. Für die "Berechnung" des Strafmaßes bei Vorliegen strafschärfender und/oder IItrafmildernder Umstände sei auf die Bestimmungen der im Anhang a.ufgeführten Art. 63-69 verwiesen. Im Entwurf von 1949 sind im Katalog der Straferhöhungs- und Milderungsgründe keine größeren Änderungen vorgenommen worden24 • 4. Rückfall Nach italienischem Recht wird als Rückfälliger bestraft, wer nach Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung eine andere begeht (Art. 99, Abs. 1)25. Rückfall ist ein Erschwerungsgrund, obgleich er nicht in unmittelbarer Beziehung zur vorgeworfenen Straftat steht28 • Es ist nicht erforderlich, daß die Strafe für die Vortat verbüßt wurde!? Das Ersturteil muß aber rechtskräftig geworden sein28 , 2P. Im Sinne einer Rückfallsbegründung wird auch der Strafbefehl berücksichtigt, nicht aber ein Urteil mit schuldbejahender Freisprechung30 • Der internationale Rückfall gilt in den Grenzen der Bestimmungen der Strafprozeßordnung31 • Hinsichtlich der Beschaffenheit der Rückfallstat verlangen die Art. 99, Abs. 1 Z. 2 und 101 eine "gleiche Art" oder "gleiche Natur" der strafbaren Handlungen. Es soll auf die identische kriminelle Tendenz abgestellt werdenS!. Sie ist z. B. gegeben zwisChen Betrug und betrügerischem Bankrott, Beleidigung einer Privatperson und Amtsbeleidigung, usw. "Gleiche Natur"" fehlt aber zwischen delitti (Verbrechen und Vergehen) und contravvenzioni (tlbertretungen)34, sowie zwischen Vorsatz und FahrlässigkeWs. Nach dem Grade der abgestuften Strafdrohungen lassen sich folgende Rückfallarten unterscheiden: Vgl. Art. 59 und 60 (Anhang). Vgl. Anhang, Entwurf 1949, Art. 40, 41, 90, 91. 25 Art. 99, s. Anhang; vgl. Bettiol, Dir. pen. a. a. 0., S. 508 ff., Santaniello, a. a. 0., S. 209 ff. 2e Manzini, a. a. 0., Bd. 2, S. 669. 27 Antolisei, a. a. 0., S.355; dell'Andro, a. a. O. insbes. S. 99 ff., 111 ff. 2S Manzini, a. a. 0., Bd. 2, S. 669; Zapulli, a. a. 0., S. 528. 2e Zurücknahme des Strafantrages (Art. 152), Verjährung (Art. 157), Erstattung eines Geldopfers (Art. 162), gerichtliche Verzeihung (Art. 169) kommen beim Rückfall deshalb nicht in Betracht, weil bei jenen ein rechtskräftig verurteil. Urteil fehlt (Zapulli, a. a. 0., S. 532). 30 Manzini, a. a. 0., Bd. 2, S. 672 f. 31 Art. 12 und 672 ff. StPO; Manzini, a. a. 0., S. 373. 3! Antolisei, a. a. 0., S.356; Natali, a. a. 0., S.15 spricht von psychologisch benachbarten Motiven. 33 Nach Antolisei, a. a. 0., S. 356. 84 A. A. - Natali, a. a. 0., S. 150. 85 A. A. Cass. 4. 3. 1946; Giurisprudenza italiana 1948/II/289. 18

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(1) der einfache Rückfall (nach Art. 99, Abs. 1),· dessen "rigoroses Kriterium" Antolisei38 darin erblickt, daß der Zeitraum zwischen Vortat und Rückfallstat unerheblich ist (Straferhöhung bis zu einem Sechstel) und der Rückfall gemäß Art. 99, Abs. 2 Z. 2, bei welchem die Rückfallstat innerhalb von 5 Jahren der Vortat gefolgt sein muß (Straferhöhung bis zur Hälfte); (2) der wiederholte Rückfall (Art. 99, Abs. 4), der im Falle des Art. 99, Abs. 1 mit einer Straferhöhung zwischen einem Drittel bis zur Hälfte bedroht ist und im Falle des Art. 99, Abs. 2 Z. 2, eine Straferhöhung zwischen der Hälfte bis zu zwei Dritteln bewirkt. Art. 100 statuiert den fakultativen Rückfall. Danach hat der Richter außer bei strafbaren Handlungen der gleichen Art - die Befugnis, den Rückfall zwischen Verbrechen und übertretungen, zwischen vorsätzlichen oder unbeachsichtigten und fahrlässigen Verbrechen oder bei aufeinanderfolgenden übertretungen auszuschließen. 5. Ver b r e ehe n s k 0 n kur ren z Die Anweisungen für die Festsetzung der (Gesamt-) Strafe sind in den Art. 71_81 37 enthalten. Die Todesstrafe, die heute nur noch nach den Kriegsgesetzen verhängt werden kann, war verfügt (Art. 72), wenn zwei mit Dauerzuchthaus bedrohte Delikte zusammentrafen. Dauerzuchthaus ist bei Zusammentreffen mehrerer Verbrechen zu verhängen, für deren jedes Gefängnis nicht unter 24 Jahren wäre. Für Vermögensstrafen gilt das Kumulationsprinzip. Wenn zeitige Freiheitsstrafen oder Nebenstrafen zusammentreffen erfolgt ebenfalls eine Strafkumulierung. Dabei dürfen aber die in Art. 78 und 79 vorgesehenen Grenzen der Erhöhung der Nebenstrafen nicht überschritten werden. 6. An r e eh nun g der U n te r s u c h u n g s h a f t Die Anrechnung der vor der Rechtskraft des Urteiles erlittenen Haft auf die Freiheitsstrafe - wie auf die Vermögensstrafe - ist obligatorisch (Art. 137). Eine im Ausland verbüßte Haft muß ebenfalls angerechnet werden (Art. 138). Bei der Berechnung der zeitigen Nebenstrafen unterbleibt aber eine Anrechnung der Zeit, während welcher der Verurteilte eine Freiheitsstrafe verbüßt oder einer freiheitsbeschränkenden Sicherheitsmaßnahme unterstellt ist. Dasselbe gilt von der Zeit, während der er sich aus freien Stücken der Vollstreckung der Strafe oder der Sicherheitsmaßnahme entzogen hat (Art. 139). 38 37

Antolisei, a. a. 0., S. 355.

Vgl. Anhang.

IV. Frankreich Schrifttum Ancel, Mare, L'evolution de la notion d'individualisation. Schweiz. Zeitschr. f. Strafrecht, Melanges Germann 1959, S. 187-198.

Code de proeedure penale. Journal Officiel de la Republique Fran!;aise. Paris 1959. Cuche, Paul, Precis de droit eriminel. 7. Aufl., Paris 1939. Donnedieu de Vabres, Henri, La justiee penale d'aujourd'hui. 2. Aufl., Paris 1941. (Zit.: Donnedieu de Vabres, La justice) Donnediu de Vabres, Henri, Traite de droit eriminel et de legislation penale comparee. 3. Aufl., Paris 1947. (Zit.: Donnedieu de Vabres, Traite) Donnedieu de Vabres, Henri, Precis de droit eriminel. 3. Aufl., Paris 1953. (Zit.: Donnedieu de Vabres, Precis) Frejaville, M., Manuel de droit eriminel. 2. Aufl., Paris 1951. Gareon, Emile, Code penal annote. (Nouvelle edition refondue et mise a jour par Mareel Rousselet, Maurice Patin, Mare Aneel). 1. Bd. Art. 1-294, Paris 1952; 2. Bd. Art. 295-401, Paris 1956. Garraud, Pierre, Mareel Laborde-Laeoste, Preeis elementaire de droit penal. 4. Aufl., Paris 1943. (Zit.: GarraudiLaborde-Laeoste) Germain, Charles, Le traitement des reeidivistes en Franee. Melun 1953. (Zit.: Germain, Recidivistes) Germain, Charles, Des modifieations a apporter a la legislation fran!;aise sur la relegation des recidivistes. Rev. int. de Droit pen. 1955, S. 187 bis 201. (Zit.: Germain, Relegation) HeUe, Faustin, Joseph Depeiges, Pratique eriminelle des Cours et Tribunaux. H. Teil (Code penal). 5. Aufl., Paris 1948. (Zit.: Helie/Depeiges) Leaute, Jaeques, Le juge de l'applieation des peines et le nouveau Code de procedure penale fran!;ais. Schweiz. Zeitschr. f. Strafrecht, Melanges Germann 1959, S. 337-344. (Zit.: Leaute) Mannheim, Hermann, Comparative Senteneing Praetiee. Law and Contemporary Problems Bd. 23 (1958), S. 558-582. Merle, Roger, Droit penal eomplementaire. Paris 1957. Petits Codes Dalloz, Code d'instruetion criminelle annote d'apres la doctrine et la jurisprudenee. 51. Aufl., Paris 1959. (Supplement pour mise a jour de l'edition 1959).

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Petits Codes Dalloz, Code penal annote d'apres la doctrine et la jurisprudence. 56. Aufl., Paris 1959, (Supplement pour mise a jour de l'edition 1959). (Zit.: Petits Codes Dalloz, Code penal) Poupet, Henriette, La probation des delinquants adultes en France. Paris 1955. Roskothen, Ernst, Französisches Strafverfahrensrecht. Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft. Neue Folge, Heft 3. Bonn 1951. Ro'UX, J. A., Cours de droit criminel franl;ais. 2 Bde., 2. Aufl., Paris 1927. Stefani, Gaston, Georges Levasseur, Droit penal general et criminologie. Precis Dalloz. Paris 1957. (Zit.: Stefani/Levasseur, Droit penal) Stefani, Gaston, Georges Levasseur, Procedure penale. Precis Dalloz. Paris 1959. (Supplement et mise a jour au 8 janvier 1959. Paris 1959). (Zit.: Stefani/Levasseur, Procedure penale) Vouin, Robert, Manuel de droit criminel. Paris 1949. Vouin, Robert, Jacques Leaute, Droit penal et criminologie. Paris 1956. (Zit.: Vouin/Leaute) Vouin, Robert, Jacques Leaute, Droit penal et procedure penale. Paris 1960. (Zit.: Vouin/Uaute, Droit pen. et proc. pen.) 1. Grundlagen der Strafzumessung

Das französische Recht ist gekennzeichnet durch ein ausgeprägtes Streben nach Individualisierungl • Ihre Verwirklichung sucht der Gesetzgeber - den Gedanken der Spezialprävention betonend - durch ein reichhaltiges Strafensystem2 und genaue Anweisungen an den Rich1 Ancel, a. a. 0., S. 196 ff., Donnedieu de Vabres, La justice, a. a.O., S. 48, Donnedieu de Vabres, Traite, a. a. 0., S. 432 ff., Frejaville, a. a. 0., S. 48 ff., Vouin/Leaute, a. a. 0., S. 491 ff., Vouin/Leaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 73 ff.

t Vgl. dazu die folgenden Vorschriften des Code penal: Art. 1. L'infraction que les lois punissent de peines de police est une contravention. L'infraction que les lois punissent de peines correctionnelles est un delit. L'infraction que les lois punissent d'une peine afflictive ou infamante est un crime. Art. 6. Les peines en matiere criminelle sont ou afflictives et infamantes, ou seulement infamantes. Art. 7. Les peines afflictives et infamantes sont: 1. La mort; 2. Les travaux forces a perpetuite; 3. La deportation; 4. Les travaux forces atemps; 5. La detention; 6. La reclusion.

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ter zu erreichen. Allgemeine Strafzumessungsregeln fehlen. Der Gesetzgeber hat statt dessen ein System von gesetzlichen Strafschärfungsund Strafmilderungsgründen geschaffens, 4. Im Art. 65 wird dem Richter die Pflicht auferlegt, ein Verbrechen (crime) oder Vergehen (delit) nur dann zu entschuldigen oder die Strafe hierfür zu mildern, wenn dies in dem vom Gesetz genannten Fällen gestattet ist5 • Gruppiert nach ihren wesentlichen Eigenschaften sind in der Literatur häufig Tätertypen8 aufgezählt und die den einzelnen Gruppen entsprechenden Modalitäten der kriminalpolitischen Maßnahmen (so z. B. die relegation als Zusatzstrafe für den Gewohnheitsverbrecher) gegenübergestellt7 • Der Code penal kennt klare Tatbestände, an die der Gesetzgeber in der Regel kleine Strafrahmen knüpft. Hohe Strafminima sind häufig; ihre Wirkung wird aber - vor allem bei den Vergehen - durch Art. 8. Les peines infamantes sont: 1. Le bannissement; 2. La degradation civique. Art. 9. Les peines en matiere correctionnelle sont: 1. L'emprisonnement a temps dans un lieu de correction; 2. L'interdiction a temps de certains droits civiques, civils ou de famille; 3. L'amende. Art. 464. Les peines de police sont: L'emprisonnement, L'amende, Et la confiscation de certains objets saisis . 3 Vgl. dazu Art. 463 und Art. 472 in der Fassung gemäß Art. 6, Ord. N. 58-1197 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines peines en vue d'elever la competence des tribunaux de police (D. 1959.103; B.L.D. 1959. '164) und folgende Gesetze: (a) Loi du 26 mars 1891, Sur l'attenuation et l'aggravation des peines (D. P. 91. 4. 24). (Aufgehoben durch Art. 9, Ord. N. 58-1296 du 23 decembre 1958, Modifiant et completant le code de procMure penale (D. 1959.64;

.

B. L. D. 1959.93).

(b) Loi du 28 juin 1904, Modifiant la loi du 26 mars 1891 sur l'attenuation et l'aggravation des peines (D. P. 1904. 4. 56). (c) Loi du 11 fevrier 1931, Abrogeant les dispositions legislatives qui en matiere de droit commun suppriment ou limitent le droit qui appartient aux juges d'accorder le sursis aux peines qu'ils prononcent et de faire beneficier le coupable des circonstances attenuantes (Petits Codes Dalloz, Code penal, a. a. O. 1959, S. 297). 4 In den Jahren 1958 und 1959 wurde das französische Strafrecht weitgehend geändert. Es wurden über hundert Artikel des Code penal und mehr als fünfzig Nebenstrafgesetze abgeändert oder aufgehoben. Der Code d'instruction criminelle wurde 1958 aufgehoben und durch den Code de procedure penale ersetzt. 5 Vgl. dazu die folgenden Bestimmungen: Art. 61, 66 ff., 100, 105 ff., 138, 144, 213, 266, 284, 285, 288, 321 ff., 343, 380, 441.

8 Le criminel-ne, l'aliene deliquant, le deliquant passionel, le deliquant d'occasion, le deliquant d'habitude. 7 Donnedieu de Vabres, La justice, a. a. 0., S. 52 ff.

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das System der Strafmilderungsgründe beträchtlich eingeschränkt. Die Todesstrafe sowie lebenslängliche Zwangsarbeit sind bei bestimmten Kapitalverbrechen als absolute Strafen angedroht. Es besteht das Verbot der reformatio in peius, sofern der Angeklagte (wegen falscher Strafzumessung) ein Rechtsmittel eingelegt hat8• 2. Stra fschärfung Die Erschwerungsgründe (les circonstances aggraventes) sind solche von dem Gesetz (abschließend) benannten Umstände, bei deren Vorliegen eine überschreitung des für das einfache Delikt festgelegten Strafrahmens vorgesehen istD• In der Lehre lO wird gewöhnlich zwis'chen reellen und personellen sowie zwischen allgemeinen und speziellen Erschwerungsgründen unterschieden. Die reellen Erschwerungsgründe beziehen sich auf äußere Tatumstände (z. B. Einsteigen oder Einbrechen beim Diebstahl oder die Verwendung eines Motorfahrzeuges, um die Tatbegehung oder die Flucht zu ermöglichen)l1, die personellen auf die Eigenschaft(en) des Täters (als Aszendent, Beamter, Rückfälliger usw.). Die allgemeinen Erschwerungsgründe beziehen sich auf alle Straftaten (z. B. der Rückfall), die besonderen Erschwerungsgründe nur auf bestimmte (z. B. Einsteigen oder Einbrechen beim Diebstahl). Erschwerungsgründe erhöhen die Strafe um einen Grad, wenn es sich um Verbrechenssachen ("en matiere criminelle") handelt!!. Bei Vergehen bewirkt ein Erschwerungsgrund im allgemeinen den Ersatz der peine correctionnelle (Vergehensstrafe) durch eine peine criminelle (Verbrechensstrafe). Das Vergehen des einfachen Diebstahls ist mit Gefängnis von einem bis zu fünf Jahren (und Geldstrafe) bedroht. Wenn der Diebstahl von den Erschwerungsgründen, deren verschiedene Kombinationen in den Art. 381 ff. aufgezählt sind, begleitet ist, so lautet die Strafe auf reclusion (Einschließung, Zuchthaus), zeitige oder lebenslange Zwangsarbeit oder Tod. Mit dem Charakter der 'Strafe ändert sich auch der Charakter des Deliktes: das Vergehen wird zum 8 Roskothen, a. a. 0., S.91, Roux, Bd. II, a. a. 0., S. 62 ff., VouinlLeaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 313. D Vgl. Garcon, a. a. 0., zu den Art. 276, 299, 333, 334, 'Abs. 2, 350, 351, Abs. 2, 353, Abs.3, 381, 383, Abs. 3, 384 ff., 386 N. 1, 388, Abs. 4 und 5, 408, Abs.2. 10 Cuche a. a. 0., S. 205 ff., Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 184 ff., Donnedieu de Vabres, Traite, a. a. 0., S. 457 ff., Roux, Bd. I, a. a. 0., S. 256 ff., Stefani/Levasseur, Droit penal, a. a. 0., S. 435 ff., VouinlLeaute, a. a. 0., S. 240 ff., VouinlLeaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 117 ff. 11 Art. 381, Abs. 2, Ziff. 5. 12 Dazu Ausnahme: Art. 181. Vgl. auch Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 185 und Garcon, a. a. O. zu Art. 181.

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Verbrechen. Die Änderung wirkt sich wiederum auf die Jurisdiktion und auf das Verfahren aus. Die Kompetenz der Cour d'assises ersetzt die des Tribunal correctionnelu , 14. 3. Strafmilderung Milderungsgründe (les circonstances attenuantes) sind Umstände, deren Vorliegen im Einzelfalle zu einer Herabsetzung der Strafe führt oder führen kann15 , 16. Art. 463 enthält die Vorschriften, nach denen sich die Herabsetzung der Strafen bestimmt. Die Regeln des Art. 463 gelten für Verbrechen immer, für Vergehen und Übertretungen insoweit, als nicht besondere Bestimmungen den Vorrang haben17 • Die Regel lautet, daß die Milderungsgründe eine Herabsetzung der Strafe unter das Strafminimum des für das einfache Delikt vorgesehenen Strafrahmens bewirken. Nach der Art der strafbaren Handlung - Verbrechen, Vergehen, Übertretung - ergeben sich aber gewisse Unterschiede18, lt. (1) Bei Verbrechen muß die Strafe mindestens um einen Grad, sie kann jedoch auch um zwei Grade in der Stufenleiter der Strafgrade herabgesetzt werden. Die wiChtigste Ausnahme zu diesem Grundsatz gilt dann, wenn die normalerweise verwirkte Strafe das Maximum der peine afflictive ist. In diesem Falle senkt sich der erste Grad auf das Minimum dieser Strafe (obligatorische Milderung), der zweite 13 Vgl. Art. 231, 381, 521 Code de procedure penale. 14 Dazu ferner: Leaute, a. a. 0., S. 339 ff., VouinlLeaute, a. a. 0., S. 249, VouinlLeaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S.164, Stefani/LevasseuT, Procedure p{male, a. a. 0., S. 408. 15 Donnedieu de VabTes, Precis, a. a. 0., S.195, schreibt dazu: "A l'oppose de nombreux codes etrangers qui portent enumeration - concue d'allieurs en termes tres comprehensifs - des circonstances attenuantes, notre droit positif laisse celles-ci a l'appreciation discretionnaire du juge." 18 Vgl. auch Donnedieu de VabTes, Traite, a. a. 0., S. 436 ff., Donnedieu de VabTes, La justice, a. a. 0., S. 138 ff., Roux, Bd. I., a. a. 0., S. 244 ff., Stefani/LevasseuT, Droit penal, a. a. 0., S. 439 ff., Vouin, a. a. 0., S. 243 ff., Vouin/Leaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 131 ff. 17 Vgl. Art. 472 in der Fassung d. Art. 8, Ord. N.58-1297 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines peines en vue d'elever la competence des tribunaux de police (D. 1959. 103; B. L. D. 1959. 164) und die Vorschriften der Ord. N. 1303 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines dispositions d'ordre penal en vue d'instituer une cinquieme c1asse de contraventions de police (Petits Codes Dalloz, Code penal. Supplement. S. 23-29). 18 Donnedieu de VabTes, Precis, a. a. 0., S. 198 ff., GaTTaudILaboTde-La€oste, a. a. 0., S. 145 ff., HelielDepeiges, a. a. 0., S. 197 ff., Poupet, a. a. O. I' Zur Gerichtspraxis vgl. Mannheim, a. a. 0, S. 572 ff.

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Grad auf die unmittelbar niedere Strafart (fakultative Milderung)20, 11.

Nicht selten kommt es vor, daß bei einer Herabsetzung der Verbrechensstrafe (peine criminelle) um einen oder um zwei Grade eine Vergehensstrafe (peine correctionnelle) erreicht wird. Durch eine solche Strafmilderung ändert sich aber der Charakter der Tat (als Verbrechen) nicht. Nebenstrafen müssen verhängt werden, wenn sie in der durch die Milderung erreichten niederen Strafart zwingend vorgeschrieben sind". (2) Bei Vergehen ist der Richter nicht verpflichtet, das Strafminimum zu unterschreiten. Er kann dies aber tun und ist dann nur noch an das allgemeine Strafminimum für übertretungsstrafen (peines de simple police) gebunden!'. (3) Bei übertretungen kann der Richter die Strafe bis zum Minimum für Geldstrafen ermäßigenu. Minderjährigkeit und Provokation!6 - im franz. Recht als les excuses att€muantesIG bezeichnet - erlauben dem Richter die Anwendung eines besonders weitgehenden Milderungsrechtes17 • Die Milderungsmöglichkeiten erstrecken sich über die ganze Strafskalal8 • Treffen Milderungs- und Erschwerungsgründe zusammen, so erfolgt deren Prüfung für die Ermittlung der Strafe nach einer bestimmten Ordnung". 20 Als wichtigste Ausnahme gilt Art. 463, Abs. 8. 21 Weitere Ausnahmen: Art. 86, 97, 463, Abs. 7 und Garcon, a. a. O. zu diesen Vorschriften. 22 Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 199. 23 Vgl. Art. 465, 466 in der Fassung des Art. 7, Ord. N. 58-1297 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines peines en vue d'elever la competence des tribunaux de police (D. 1959.103; B. L. D. 1959. 164). !4 Vgl. insbes. Art. 463 und 472 in der jetzt geltenden Fassung. 25 Minderjährigkeit und Provokation sind excuses attenuantes genereller Art. Daneben gibt es noch excuses spezieller Art (z. B. Art. 135, 355), die gleiche Rechtsfolgewirkungen haben. 21 Vgl. Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 187 ff., Donnedieu de Vabres, La justice, a. a. 0., S. 137, HelielDepeiges, a. a. 0., S. 183, Roux, Bd. I., S. 229 ff., Vouin/Leaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 128 f. 17 Vgl. z. B. Garcon, a. a. 0., zu Art. 135, 322-326, 335. 18 ..... on peut figurer une peine de 12 france d'amende substitue a la peine de mort!" (Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 191.) 28 Vgl. Merle, a. a. 0., S. 319 ff., Garraud/Laborde-Lacoste, a. a. 0., S. 148, Roux, Bd. I. a. a. 0., S. 305 ff., Stefani/Levasseur, Droit penal, a. a. 0., S. 251 ff., Vouin, a. a. 0., S. 199 ff., und 322 ff., Vouin/Leaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 46 ff. und 118 ff. sowie Ziff. 6 im folgenden Abschnitt über den Rückfall.

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4. Rückfall Die französische Gesetzgebung zum Rückfall ist sehr umfangreich. Es lassen sich zwei Rückfallsarten unterscheiden": (1) La recidive-aggravation: sie führt zu einer Schärfung der Strafe na'ch Art und Grad. (2) La recidive-relegation: sie unterwirft den Verurteilten - außer der Strafschärfung - der zusätzlichen Strafe der Verbannung. Die Rückfallsstrafen sind reine Zweckstrafen. Donnedieu de Vabres8t bezeichnet die Rückfallsstrafe als "mesure de debarras". a) La recidive-aggravation

Als Rückfall gilt das Schuldhaftwerden eines Täters, der schon einmal von einem französischen Gericht rechtskräftig verurteilt wurde3z, 33. Auf Grund der Vortat muß ein schuldbejahendes, rechtskräftiges Strafurteil eines französischen Gerichtes ergangen sein. Amnestie34 und Rehabilitation schließen die Rückfallsbegründung aus 35 • Bei wiederholter Verletzung der Vorschriften des Gesetzes über die Freiheit der Presse darf eine Strafschärfung im Sinne der Rückfallsgesetzgebung nicht eintreten88, 87. Ein Urteil mit einem Strafausspruch auf Bewährungsfrist wirkt rückfallsbegründend, wenn die Rückfallstat während der Probezeit 30

Donnedieu de Vabres, Traite, a. a. 0., S. 480 :/I., Roux, Bd. I. a. a. 0.,

S.271 :/I.

Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 224. Vgl. dazu die folgenden Vorschriften: (a) Art. 56-58 für Verbrechen und Vergehen; Art. 474, 475 (i. d. Fassung d. Art. 9, Ord. N. 58-1297 v. 23. 12. 1958; D. 1959. 103; B. L. D. 1959. 164) für übertretungen. (b) Loi du 27 mai 1885, Sur les recidivistes (D. P. 85.4.45); dessen Art. 4 geändert durch Art.37, Ord. N.58-1298 du 23 decembre 1958, Modifiant notamment certains articles du code penal (Petits Codes Dalloz, Code penal. Supplement pour mise a jour de l'edition 1959. S. 18). (c) Loi du 14 aoüt 1885, Sur les moyens de prevenir la recidive (liberation conditionnelle, patronage, rehabilitation) (0. P. 85. 4. 60); dessen Titre Ier aufgehoben durch Art. 9, Ord. N. 58-1296 du 23 decembre 1958, Modifiant et completant le code de procedure penale (0. 1959. 64; B.L.O. 1959. 93). 33 Germain, a. a. 0., Donnedieu de Vabres, La justice, a. a. 0., S. 79 11. " Crim. 18. 9. 1890 (0. P. 91. 1. 186). 35 Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 216. 3e Art. 63, Loi du 29 juillet 1881, Sur la liberte de la presse (0. P. 81. 4. 65). 37 Oer Vorstoß gegen die Bestimmungen eines Aufenthaltsverbotes oder das Entweichen aus der Strafbaft haben (gemäß Art. 245) keine rückfallsbegründende Wirkung. 31

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begangen wurde. Der Gesetzgeber hat die rückfallsbegründende Wirkung von Urteilen der Sondergerichte (Militär- und Marinegerichte) anerkannt, sofern sie sich auf Straftaten des gemeinen Rechts beziehen (Art. 56, Abs. 7). Die Sondergerichte machen von der Strafschärfung Gebrauch, wenn Vortat (wegen der eine Verurteilung durch ein ordentliches Gericht erfolgte) und Rückfallstat Verletzungen des gemeinen Rechts darstellen88• In zahlreichen Vorschriften hat der Gesetzgeber die Strafschärfung beim Rückfall näher umschrieben39 • Eine knappe Wiedergabe dieser Regeln mag sich auf die Hervorhebung folgender Punkte beschränken: (1) Allgemeine Regeln: (a) Für die Bestimmung der Rückfallsstrafe ist nicht die Natur des Deliktes, sondern die Natur der verwirkten Strafe maßgebend40 • (b) Das Gesetz enthält keine besonderen Schärfungsvorschriften für den Fall, daß auf eine Vergehensstrafe eine Verbrechensstrafe folgt 41 • (c) Nach dem gemeinen Recht4! ist der Rückfall ausgeschlossen, wenn auf ein Verbrechen oder Vergehen eine übertretung folgt. (d) Die Rückfallsschärfung ist obligatorisch, wenn Verbrechen und Vergehen einander folgen. Milderungsgründe dürfen immer berücksichtigt werden. Wird ein Vergehen wiederum von einem Vergehen gefolgt, so kann eine weitgehende Berücksichtigung von Milderungsgründen die zwingend vorgeschriebene Rückfallsschärfung illusorisch werden lassen. (e) Für aufeinanderfolgende übertretungen ist der Rückfall besonders geregelt. (2) Der Rückfall zwischen Verbrechensstrafen (la recidive de peine criminelle ä peine criminelle) bewirkt eine Strafschärfung um einen Grad (Art. 56)43. Es gilt der Grundsatz: "La recidive criminelle est generale et perpetuelle." "Allgemein" bedeutet hier, daß zwei verschiedene Verbrechen (also etwa Einbruchsdiebstahl auf Mord) einander folgen können; "ewig" bedeutet, daß die Länge der zwischen den beiden Verbrechen verstrichenen Zeit unberücksichtigt bleibt. 38

Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 216.

Art. 56-58, 474, 475 und die in den Fußnoten dieser Arbeit angeführten Gesetze. 40 Vgl. auch Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 213 11. 41 Der Richter hat ja in diesem Falle einen hinreichend weiten Ermessungsspielraum für die Strafschärfung. 42 Der Gesetzgeber unterscheidet streng zwischen militärischen Delikten und Verletzungen des gemeinen Rechts. 43 Ausnahmen gelten dann, wenn die nächst höhere Strafe die Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe ist. 39

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(3) Der Rückfall zwischen Verbrechens- und VergehensstrafenU (La recidive de peine criminelle a peine correctionnelle) setzt voraus, daß die Vortat ein Verbrechen, die Rückfallstat ein Vergehen oder ebenfalls ein Verbrechen war, falls dieses durch die Wirkung mildernder Umstände mit einer Vergehensstrafe (über einem Jahr Gefängnis) zu ahnden ist. Für einen solchen Rückfall kann die Strafe bis zum doppelten Maximum der Strafe für die Rückfallstat erhöht werden (Art. 57). Dieser Rückfall ist allgemein und temporär. Die Rückfallstat muß innerhalb von 5 Jahren nach Ablauf oder Verkündung der ersten Strafe begangen worden sein. (4) Der Rückfall zwischen Vergehensstrafen (La recidive de peine correctionnelle a peine correctionnelle) setzt zwei innerhalb von 5 Jahren verhängte Gefängnisstrafen voraus. (a) La grande recidive correctionnelle bedingt eine Gefängnisstrafe von über einem Jahr für die Vortat und eine beliebig hohe Gefängnisstrafe für die Rückfallstat. Die zweite Strafe muß bis zum einfachen und kann bis zum doppelten Maximum der nun verwirkten Strafart erhöht werden (Art. 58, Abs. 1). Dieser Rückfall ist speziell. (b) La petite recidive correctionnelle gleicht der vorher genannten Rückfallsart. Die Dauer der Gefängnisstrafe darf ein Jahr nicht überschreiten (Art. 58, Abs. 2). Für die Strafe der Rückfallstat gilt als Minimum das Doppelte der Vorstrafe, als Maximum das doppelte Strafmaß der für das Rückfallsdelikt verwirkten Strafe45 • (5) Der Rückfall zwischen Übertretungsstrafen (La recidive en matiere de contraventions) ist in Art. 474, 475 48, 47 geregelt. Er ist temporär und - in der Regel48 - lokal. Die Rückfallstat muß innerhalb von 12 Monaten im gleichen Gerichtsbezirk des Tribunal de simple police begangen worden sein. Der Grad der regelmäßig fakultativen Strafschärfung ist verschieden nach den fünf Klassen " Vgl. auch FrejaviUe, a. a. 0., S. 189 ff. 45 Crim. 23. 3. 1912, D. P. 1913, 1. 277; Crim. 23. 11. 1929, D. H. 1930. 118. 48 Art. 474, 475 in der Fassung des Art. 8, Ord. N.58-1297 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines peines en vue d'elever la competence de tribunaux de police (D. 1959. 193; B.L.D. 1959. 164). 47 Vgl. ferner Ord. N. 1303 du 23 decembre 1958, Modifiant certaines dispositions d'ordre penal en vue d'instituer une cinquieme classe de contraventions de police (Petits Codes Dalloz, Code penal. Supplement pour mise cl jour de l'edition 1959. S. 23-29, insbes. Art. R. 29, R. 33, R. 37, R. 39 und R. 41). 48 Ausnahme Art. 474, Abs. 2: "Toutefois, la recidive de contraventions passibles d'un emprisonnement superieur cl dix jours .ou d'une amende superieure cl 40000 Fest independante du lieu ou la premiere contravention a ete commise." 5 Schmidt, Strafzumessung

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der übertretungen. Strafmaxima für Übertretungsstrafen sind zwei Monate Gefängnis und 200000 Franken GeldstrafefO • Ausnahmsweise verwandelt der Rückfall eine Übertretung in ein Vergehen50 • (6) Konkurriert der Rückfall mit Erschwerungs- und Milderungsgründen, so richtet sich die Ermittlung der Strafe nach folgenden Grundsätzen51 : (a) Treffen reelle und personelle Erschwerungs- und Milderungsgründe zusammen, so werden die objektiven Umstände zuerst gerechnet (mithin ergäbe sich also etwa die Reihenfolge: Einbruch - Rückfall- Minderjährigkeit). (b) Wenn spezielle und generelle Erschwerungsgründe zusammentreffen, so erfolgt die Anrechnung nach dem zunehmenden allgemeinen Charakter des Umstandes (Reihenfolge: Beamteneigenschaft - Rückfälligkeit). (c) Trifft Rückfall und Minderjährigkeit (l'excuse attenuante) oder treffen Rückfall und Milderungsgründe zusammen, so wird der Rückfall zuerst gerechnet. b) La recidive-relegation

Im Rückfallsgesetz vom 27. 5. 1885, Art. 1, heißt es: "La relegation consistera dans l'internement perpetuel sur le territoire de colonies ou possessions fran~aises des condamnes que la· presente loi a pour objet d'eloigner de France5Z." Die relegation richtet sich hauptsächlich gegen rückfällige Schwerverbrecher, unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher und Vagabunden". 1939 wurden den Vorschriften der recidive-relegation auch 41 Art. 465 und 466 in der Fassung des Art. 8, Ord. N. 58-1297 a. a. O. Seit 1. 1. 1960 gilt der Nouveau Franc. 60 Ein Strafhöchstmaß von 6 Monaten Gefängnis und/oder 500 000 Franken Geldstrafe ist in Art. 475 (in der Fassung des Art. 8, Ord. N. 58-1297, a. a. 0.) vorgesehen. Vgl. auch Art. 199 und 200. 51 VgI. Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 221 fl. 5% Loi. du 27 mai 1885, Sur les recidivistes (D.P. 85.4.45). (Dessen Art. 4 abgeändert durch Art. 37, Ord. N. 58-1298 du 23 decembre 1958, Modifiant no-

tamment certains articles du code penal. Petits Codes Dalloz, Code plmal. Supplement 1959. S. 18). Vgl. auch Art. 265 fl. C.p. Ferner Loi du 6 juillet 1942, Sur l'execution de la peine de la relegation dans la metropole et sur l'tHargissement conditionnel des relegues non transportes (Petits Codes Dalloz, Code penal. 56. Aufl., 1959, S. 56 fl.), aufgehoben durch Art. 9, Ord. N. 58-1296 du 23 decembre 1958, Modifiant et completant le code de procMure penale (D. 1959. 64; B.L.D. 1959.93).

53 VgI. Germain, Relegation, a. a. 0., S. 187 fl., Donnedieu de Vabres, La justice, a. a. 0., S. 83 fl., Roux, a. a. 0., Bd. I., S. 293 fl., Vouin/Leaute, Droit pen. et proc. pen. a. a. 0., S. 123 fl.

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Personen unterworfen, die sich der Abtreibung schuldig gemacht haben54 . Die Bestimmungen über die recidive-relegation werden in der Literatur zumeist einer recht herben Kritik unterzogen. Donnedieu de Vabres schreibt", daß die Anzahl der zu relegation Verurteilten ständig zurückgehe und daß die Richter die Anwendung des Gesetzes zu umgehen suchen. Die relegation-Verurteilung ist nunmehr in sechs Fällen vorgesehen. Sie setzt voraus: 1. Fall: 2 Verurteilungen zu zeitiger Zwangsarbeit oder Zuchthaus.

2. Fall: 3 Verurteilungen, davon eine wie im Fall 1 und 2 Verurteilungen (wegen eines Verbre'chens) zu mehr als 3 Monaten Gefängnis oder Verurteilung wegen bestimmter Vergehen zu mehr als einem Jahr Gefängnis. 3. Fall: 4 Verurteilungen wegen bestimmter qualifiz. Verbrechen oder wegen bestimmter Vergehen zu mehr als 3 Monaten. 4. Fall: 7 Verurteilungen, davon 2 wie unter Fall 2 und 3 und 4 oder 5 Verurteilungen wegen Vagabundierens oder Verletzung eines Auf-

enthaltsverbotes; in der zweiten Deliktsgruppe müssen mindestens 2 Strafen über 3 Monate Gefängnis enthalten sein.

5. Fall: 2 Verurteilungen wegen Abtreibung oder eine Verurteilung (also nicht Rückfälligkeit!) wegen gewerbsmäßiger Abtreibung. Im ersten Falle muß mindestens eine Strafe von 2 Jahren, im zweiten Falle eine Strafe von 3 Jahren verhängt worden sein. 6. Fall: 2 Verurteilungen zu Gefängnis wegen Verletzung der Art. 334, 334-1, 335 C. p. (kuppeleiähnliche Tatbestände, schwere Unzucht)56.

Fall 1-5 waren zunächst zwingend vorgeschrieben. Seit 1954 gelten diese Regeln nur mehr als Kann-Vorschriften57 , zu denen sich 1958 Fall 6 mit einer Erweiterung des Falles 2 auf bestimmte Fälschungsdelikte gesellte56 • U Decret-loi du 29 juillet 1939, Relatlf a la famille et a la natalite francaises (D.P. 1939.4.369). Vgl. auch Art. 137 C. p. 55 Donnedieu de VabTes, Precis, a. a. 0., S. 227. M Art. 334, 334-1, 335 C. p. in der Fassung gem. Art. 26-29, Ord. N. 58-1298 du 23 decembre 1958, Modifiant notamment certains articles du code penaL (Petits Codes Dalloz, Code penal. Supplement 1959. S. 17). 67 Änderung d. G. v. 27. 5. 1885 (Art. 4) durch G. v. 3. 7. 1954. (Petits Codes Dalloz, Code penal. 1959. S. 51). 58 Gem. Art. 37, Ord. N. 58-1298 (vgl. Fußnote 52, S. 66 dieser Arbeit).

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5. Ver b re ehe n s k 0 n kur ren z . . Art. 5, Abs. 1 C. p. bestimmt: "En cas de conviction de plusieurs crimes ou delits, la peine la plus forte est seule pronocee&t, 80." Ideal-und Realkonkurrenz richten sich also gleichermaßen na'ch der regle de non-cumul des peines (Absorptionsprinzip)81. Das Absorptionsprinzip findet auf die Bestimmungen des Code penal und der Nebenstrafgesetzgebung Anwendung'·, p. Ausnahmen" (zugunsten eines allgemeinen oder beschränkten Kumulationsprinzips) gelten bei: (1) einzelnen Vorschriften des Code penal8s ; (2) Übertretungen88 ; (3) den peines accessoires 67 und den peines complementaires68 ; (4) Finanzstrafen6e • 6. An r e eh nun g der U n t ,e r s u c h u n g s h a f t

Nach Art. 24 C. p. soll der Richter die Untersuchungshaft anrechnen70 . Wenn er sich aber entschließt, von der Anrechnung der Untersuchungshaft abzusehen, muß er dies im Urteil begründen71 . se Vgl. auch Art. 5, Abs. 2 C. p.: "Lorsqu'une peine principale fait l'object d'une remise gracieuse, il y a lieu de tenir compte, pour l'application de la confusion des peines, de la peine resultant de la commutation et non de la peine initialement prononcee." 60 Art. 5, Abs. 1 und 2 in der Fassung des Art. 2, Ord. N. 58-1296 du 23 decembre 1958, Modifiant et completant le code de procedure penale (D. 1959.64; B.L.D. 1959.93). Art. 5, Abs. 1 C. p. entspricht wörtlich Art. 351, Abs. 4 Code d'instruction criminelle. 81 Das Absorptionsprinzip gilt auch gemäß Art. 63, Abs. 2, Loi du 29 juillet 1881, Sur la liberte de la presse (D.P. 81.4.65). 62 Crim. 13. 3. 1914, D.P. 1920.1.165 mit Anm. v. Degois; Crim. 13. 4. 1922, D.P. 1925.1.225 mit Anm. v. Donnedieu de Vabres; Crim. 31. 10. 1908, D.P. 1910.1.228. 83 Cuche, a. a. 0., S. 99 ff., Donnedieu de Vabres, Traite, a. a. 0., S . .474 ff., StejanilLevasseur, Procedure penale, a. a. 0., S. 607 f., Supplement, S. 101. 114 Donnedieu de Vabres, Traite, a. a. 0., S. 465 ff., Merle, a. a. 0., S.344, Roux, Bd. I., a. a. 0., S. 324 ff., Stejani/Levasseur, Droit penal, a. a. 0., S. 43!) ff. 8S Z. B. Art. 220 und 245; des gl. einige Nebengesetze. 68 Crim. 9. 1. 1890, D.P. 90.1.239; Crim. 19.2. 1898, D.P. 99.1.31. 67 Crim. 3. 3. 1938, D.H. 1938, 342. A.M. Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S.238. 68 Crim. 21. 1. 1944, D.A. 1944. J. 198. 69 Donnedieu d.e Vabres, Precis, a. a. 0., S. 169 f. 70 Vgl. Donnedieu de Vabres, Precis, a. a. 0., S. 394 ff., Roux, Bd. 1., a. a. 0., S. 476 ff. 71 Crim.. 11.3.1893, .D.P. 44.1.199; 8.2., 21. 3., 27.3., 12.4., 10.5.1902, D.P. 1902. 1.377; 15.7.1937, D.P. 1939 1.60 mit Anm. von G. Leloir.

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Das kontinentale Rechtsbewußtsein ruht auf der Tradition des Gesetzes. Das Rechtsbewußtsein der Engländer1 hingegen ist auf das engste mit der Person des Richters verknüpft. Der kontinentale Beobachter erblickt im Richter wenig mehr als das ausführende Organ des Gesetzgebers, la bouche du legislateur. Der englische Richter wird wie das Parlament - als Delegierter der Souveränität des Volkes angesehen. An Stelle der sich in beschränktem Rahmen vollziehenden schöpferischen Auslegung des Rechtes durch den kontinentalen Richter tritt das ,judge-made law'. Unter ,judge-made law', dem Richterrecht, wird sowohl die gesetzesgleiche Wirkung richterlicher Entscheidungen (Präjudizien) verstanden als auch die weiten Befugnisse des englischen Richters, Gesetzesvorschriften auszudeuten. Die Auslegung einer Vorschrift mag dabei gelegentlich so weit führen, daß sie im Gegensatz zu den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen steht. In ungleich höherem Maße als auf dem Kontinent wird in England die Öffentlichkeit von den laufenden Gerichtsverfahren durch die 1

Simonius, a. a. 0., S. 5 ff., Vgl. auch Dicey, a. a. 0., insb. S. 19 ff.

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Presse unterrichtet. Dabei beschränkt sich die Berichterstattung keineswegs auf große Kriminalfälle. Vor nicht langer Zeit waren selbst noch die trivialsten Fälle Gegenstand ausführlicher PresseberichteZ, und der Verleumdungsklage von heute wurde eine Bedeutung beigemessen wie dem Duell von gestern. Immerhin mag auch heute noch die eingehende Kriminalberichterstattung auf eine gewisse Uniformität der Strafmaße hinwirken3 • Dem englischen Recht sind Strafzumessungsregeln im Sinne der kontinentalen Rechtsordnungen fremd. Bedeutsam für die Strafzumessung ist eine Erscheinung des englischen Rechtslebens, die gewöhnlich als "comity among judges", als Höflichkeit unter den Richtern bezeichnet wird. Der "comity" entspricht es, daß die Ausführungen, die ein Richter in einer Entscheidung macht, in anderen Gerichten - gleichen oder höheren Ranges - mit dem größten Respekt behandelt werden. Die Aufhebung oder Abänderung eines Urteils erfolgt in der Regel zögernd und nur bei Vorliegen sehr erheblicher oder außergewöhnlicher Umstände. In Fragen der Strafzumessung bedeutet das: sofern ein Urteil nicht das Strafmaximum überschreitet, hat ein vom Verurteilten eingelegtes Rechtsmittel gegen das Strafmaß wenig Aussicht auf Erfolg. Kritiker pflegen die Fairneß des englischen Richters im Strafprozeß nicht in Zweifel zu ziehen. Der Fairneß des Richters haben sie aber dessen mangelnde Vorbildung für Strafzumessungsfragen gegenübergestellt. Joyce meint dazu': "It is one thing to give a man a fair trial; it is quite another thing to give him a fair sentence. Why should the State go to so much trouble in finding out what a man did on the day of the crime, and so little trouble in estimating what is going to happen to him for a lengthy stretch of his subsequent life?" Und Jackson schreibt5 : "An ,experienced judge' means one who is weIl used to trying defendants, and who, generally speaking, makes an excellent job of that side of his duty. But when we come to the passing of sentence, our ,experienced judge' is experienced merely in following a customary measure, and his experience does not extent to knowing what happens to those he sentences. Should we describe a man as being an ,experienced physician' if he ordered doses of medicine and never inquired what result they had on the patient?" Vgl. Hastings, a. a. 0., S. 9 ff. Dazu Giles, a. a. 0., S. 106 f. 4 Joyce, a. a. 0., S. 60. S Jackson, The Machinery of Justice in England, 2. Aufl., Cambridge 1953; nach Joyce, a. a. 0., S. 64. 2

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2. Die S t r a f zum es s u n g i m Ein z e lf alle Im englischen Recht sind die Strafdrohungen immer Maxima. Bei der Strafzumessung ist der Richter also lediglich an das Strafhöchstmaß für das betreffende Delikt - felony oder misdemeanour8 gebunden. Eine übersetzung der Bezeichnungen felony und misdemeanour mit Verbrechen oder Vergehen wäre irreführend: so gilt z. B. einfacher Diebstahl7 als felony, Blutschande8 als misdemeanour; das Strafmaximum für einfachen Diebstahl ist 5 Jahre Gefängnis, für Blutschande 7 Jahre. Ebenfalls 7 Jahre Gefängnis ist das Strafhöchstmaß für BigamieV (felony). In sonderbarem Gegensatz zur großen Ermessensfreiheit des englischen Richters steht die absolut angedrohte Todesstrafe. Sie ist für 4 Delikte10 vorgesehen, gilt aber heute praktisch nur noch für Mord11 • Da der englische Gesetzgeber nur Strafmaxima, keine Minima!!, nennt, erübrigen sich natürlich auch irgendwelche Vorschriften über Milderungsumstände19 • Strafzumessungsvorschriften sind weder im common law, noch in den Gesetzen enthalten. Selbst in englischen Lehrbüchern finden sich nur selten spärliche Hinweise auf Punkte, die bei der Strafzumessung beachtet werden sollen. Meist wird lediglich auf den gesunden Menschenverstand und auf die Bill of Rights verwiesen, die grausame Strafen verbietet. Ausführlicher dagegen sind die Ausführungen zum Zweck der Strafe14 • Einige allgemeine Grundsätze der Strafzumessung sind bei Halsbury15 angegeben: der Richter soll die Natur der Handlung berücksichtigen, ferner die Umstände, unter welchen sie begangen wurde, den Grad der Überlegung, im Falle von gewaltsamen Handlungen die Herausforderung, das Vorleben des Täters und die Bitte der Geschworenen um barmherzige Behandlung Auch die Schreibweise misdemeanor ist üblich. Larcency Act, 1916 (6 & 7 Geo. V. c. 50), s. 2. 8 Punishment of Incest Act, 1908 (8 Edw. VII. c. 45), s. 1. v Offences against the Person Act, 1861 (24 & 25 Vict. c. 100), s. 57. 10 Treason, piracy with violence, murder, setting fire to H. Majesty's ships. Vgl. auch Cross/Jones, a. a. 0., S. 124. 11 Die Todesstrafe darf nicht verhängt werden bei Personen, die zur Zeit der Tatbegehung noch nicht 18 Jahre alt waren - Criminal Justice Act, 1948 (11 & 12 Geo. VI. c. 58), s. 16 - und bei schwangeren Frauen gern. Sentence of Death (Expectant Mothers) Act, 1931 (21 & 22 Geo. V. c. 24), s. 1. Über die Entwicklung der Todesstrafe berichten ausführlich Grünhut, a. a. 0., S. 241 ff., Heldmann, a. a. 0., ZStW 1955, S. 518 ff., Heldmann, a. a. 0., zstw 1959, S. 314 ff. 12 Turner/Kenny, a. a. 0., S. 513, berichten, daß alle Gesetze, die Minima vorsahen, aufgehoben wurden. 13 Vgl. auch Stalybrass, a. a. 0., S. 355 f. l ' Verwiesen wird gewöhnlich auf: Besserung des Schuldigen, Abschrekkung des Täters wie der potentiellen Täter, Schutz der Öffentlichkeit. Vgl. Cross/Jones, a. a. 0., S.131, Stephen, a. a. 0., S. 911'., Wortley, a. a. 0., S. 57 ff. IS Halsbury, Laws of England, Bd.9, § 822; nach Inhulsen, a. a. 0., S. 129 ff. 6 7

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des Schuldigen. Die Geschworenen können allerdings diese Bitte bei Bekanntwerden von Vorleben und Vorstrafen des Schuldigen wieder zurücknehmen18• Dem Richter steht es frei, die Bitte der Geschworenen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Bei absolut bestimmter Strafe kann er ihre Weitergabe an den Innenminister zusagen, in dessen Hand Strafvollstreckung und Begnadigung liegen. Der frühere gute Leumund des Angeklagten kann sich bei der Strafzumessung zu dessen Vorteil wie zu dessen Nachteil auswirken. So wird bei weniger schweren Gesetzesverletzungen - vor allem wenn der Angeklagte Arbeit hatte und der Arbeitgeber bereit ist, ihm wieder Arbeit zu geben - oft auf Grund des guten Leumundes eine nur nominelle Strafe verhängt17• Nicht berücksichtigt oder als Erschwerungsgrund berücksichtigt wird der frühere gute Leumund dann, wenn sich der Täter mit seiner Hilfe die Gelegenheit verschaffte, das Recht zu brechen. Besonders streng werden solche Personen bestraft, bei denen eine Tat durch Mißbrauch einer Vertrauensstellung ermöglicht wurde. Wer einen Paß fälscht, kann mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und/oder einer Geldstrafe bis zu f 100,- bestraft werden18 ; demjenigen, der in verbrecherischer Absicht falsche Eintragungen in die Bücher der Bank von England macht, droht lebenslängliches Gefängnis19 • Dem englischen Recht eigentümlich ist die Unübersichtlichkeit und große Zersplitterung der Tatbestände. So sind in den Tabellen von Archbold's Pleading, Evidence and Practice in Criminal Cases20 nicht weniger als 16 Arten von Brandstiftung, 26 Arten von (Urkunden-) Fälschung, 21 Arten von Diebstahl und 12 Arten von Körperverletzung unterschieden und mit jeweils annähernd einem Dutzend verschiedener Strafmaxima bezeichnet21 • Die Anzahl dieser Klassifikationen wird noch erhöht durch die Einteilung in Delikte, die im summarischen und solche, die im Verfahren vor dem Geschworenengericht abzuurteilen sind. Straftaten, die vor ein Geschworenengericht (Quarter Sessions oder Assizes) gebracht werden können, bezeichnet das englische Recht als indictable offenees. (Indictment ist die schriftliche Anklage vor einem Geschworenengericht). Straftaten, die im summarischen Verfahren vor den unteren Gerichten, den Magistrates' Courts, verfolgt werden, 16

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Wimmer, a. a. 0., S. 47. Inhulsen, a. a. 0., S. 129.

18 Criminal Justice Act, 1925 (15 & 16 Geo. V. c. 86), s. 36; vgl. auch Archbold, a. a. 0., S. 849 und S. 1603. 19 Forgery Act, 1861 (24 & 25 Vict. c. 98), s. 5; vgl. Archbold, a. a. 0., S. 844

und S.1604. 20

ArchboZd, a. a. 0., S. 1592 ff.

So reichen z. B. die Strafmaxima bei Brandstiftung von 7 Jahren Gefängnis bis zur Todesstrafe, bei Urkundenfälschung von 2 Jahren bis Lebenslänglich. 21

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heißen non-indictable oder summary offences. Schließlich gibt es auch noch Delikte mit Doppelcharakter!!, die - je nachdem vor welchen Gerichten sie verfolgt werden - als indictable oder non-indictable offences zählen. Grunhut23 berichtet, daß die unteren Gerichte nach einer beträchtlichen Erweiterung ihrer Zuständigkeit heute außer der großen Zahl der non-indictable offences 85 Ofo aller indictable offences, einschließlich der zahllosen Fälle des einfachen Diebstahls, aburteilen. Giles24 weist auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen indictable und non-indictable oder summary offences für die Strafzumessungspraxis hin: sollte, so meint er, ein Richter für bestimmte Straftaten wesentlich höhere Strafen verhängen als seine Richterkollegen, so würden nach einer gewissen Zeit die Beschuldigten ohne Zweifel auf Verhandlung vor dem Geschworenengericht bestehen. In der Tat kennt das englische Recht zahlreiche non-indictable offences, die auf Verlangen des Beschuldigten vor ein Geschworenengericht gebracht werden müssen. Daneben gibt es indictable offences, die mit Zustimmung des Beschuldigten im summarischen Verfahren behandelt werden dürfen25 • Mit der Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen sind die Möglichkeiten des Einwirkens des Richters auf den SchuldigenZ8 noch nicht erschöpft: (1) Als recognizance 27 (urkundliche Verpflichtung, Friedensbürgschaft) wird ein schriftliches Schuldversprechen des Täters28 bezeichnet. So ein Schuldversprechen kann der Richter vom Täter einverlangen. Der Täter verpflichtet sich darin, bei Nichteinhaltung gewisser Bedingungen ("to keep the peace and to be of good behavior CC ) eine bestimmte Summe zu zahlen29 • Bei einer Felony-Verurteilung tritt die recognizance neben die Strafe, bei einer Misdemeanour-Verurteilung kann sie aUch an Stelle der Strafe ausgesprochen werden. Z. B. Trunkenheit am Steuer. Vgl. auch Grünhut, a. a. 0., S.187. Grünhut, a. a. 0., S. 186 und die gesetzliche Regelung im Magistrates' Court Act, 1952. 1. Schedule. (15 & 16 Geo. VI. u. 1 Eliz. 11. c. 55). 24 Giles, a. a. 0., S. 106. 2S Vgl. die Tabellen bei Archbold, a. a. 0., S. 1592 ff. und bei Giles, a. a. 0., S. 212 ff. 28 Vgl. Fox, a. a. 0., Giles, a. a. 0., S. 102 ff., Grünhut, a. a. 0., S. 247 ff., KünemundlSieverts, a. a. 0., Einleitung, S. VII ff. 27 Auch die Schreibweise recognisance ist üblich. 28 Summary Jurisdiction Act, 1879 (42 & 43 Vict. c. 49), s. 25; Cross/Jones, a. a. 0., S. 140 ff., Giles, a. a. 0., S. 127 ff., KennylTurner, a. a. 0., S. 483 f. !D Das Auferlegen einer solchen Verpflichtung wird als "binding over" bezeichnet. 22

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(2) Probation - Bewährungshilfe, "Laufenlassen auf Probe" - kann der Richter für die Dauer von mindestens einem Jahr und nicht länger als 3 Jahren anordnen, wenn die Art der Straftat wie der Charakter des Täters die Verhängung keiner anderen Strafe notwendig erscheinen lassen8o • Während der Dauer der Probezeit steht der Verurteilte unter der Aufsicht eines gerichtlichen Fürsorgers (probation Officer). Er überwacht die Einhaltung der vom Gericht angeordneten Maßnahmen, die das künftige Wohlverhalten des Täters sichern sollen. (3) Conditional discharge - bedingter Straferlaß31 erfolgt, wenn der Richter von der Auflage der probation Abstand nehmen zu können glaubt. Der Täter bleibt straffrei, wenn er 12 Monate hindurch - gerechnet vom Ausstellungsdatum der "discharge order" - keine Straftat begeht. (4) Absolute discharge - Voller Straferlaß3!. (5) Maßnahmen gegen Gewohnheitsverbrechers8, 84 (Bestimmungen für den einfachen Rückfall sind nicht vorgesehen). Bei dem weiten Ermessenspielraum, der dem englischen Richter zugestanden ist, sind die Unterschiede in der Strafzumessungspraxis groß. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden noch meist sehr hohe Strafen verhängt. Heute macht sich eher ein Hang zur Milde geltend. Geldstrafen, die schon immer einen beträchtlichen Anteil aller Strafen ausmachten35, werden in zunehmendem Maße verhängt. Sect. 13, Criminal Justice Act, 1948, bestimmt, daß eine Geldstrafe38 an 30 Criminal Justice Act, 1948, s.3; KünemundlSieverts, a. a. O. Einleitung S. XI und S.2, v. Caemmerer, a. a. 0., insbes. S. 154 ff., CrosslJones, a. a. 0., S. 142 ff., Giles, a. a. 0., S. 119 ff., Honore, a. a. 0., S. 492 ff., Morrison-Hughes, a. a. 0., S. 5 f. und S. 17-35. 31 Criminal Justice Act, 1948, s. 7; Giles, a a. 0., S. 120 f., MorrisonlHughes, a. a. 0., S. 25. 32 Criminal Justice Act, 1948, s. 7. 38 Criminal Justice Act, 1948, s. 21: bei zwei seit dem 17. Lebensjahr verbüßten Vorstrafen kann der Täter, der eine Strafe von 2 oder mehr Jahren Gefängnis verwirkt hat, zu 2-4 Jahren corrective training (Zwangserziehung) verurteilt werden; bei drei Vorstrafen, von denen zwei Gefängnis, Borstal training (Borstalerziehung) oder corrective training sein müssen, kann auf preventive detention (Sicherungsverwahrung) von 5-14 Jahren erkannt werden. Vgl. auch Archbold, a. a. 0., S. 1563 ff., Honore, a. a. 0., S. 472 ff., MorrisonlHughes, a. a. 0., S. 7 ff. und S. 48 ff. 34 Joyce, a. a. 0., S. 67 ff., Morris, a. a. 0., insbes. S. 341, Radzinowicz, Persistent Offender, a. a. 0., S. 162 ff. 35 Rosenjeld, a. a. 0., S. 139, gibt für das Jahr 1904 85 010 an. 38 Kielwein (Die Strafrechtsentwicklung in England, ZStW Bd. 65 (1953), S. 149) weist darauf hin, daß Geldstrafen, die zwischen Tatbegehung und der Verurteilung der Angeklagten erhöht worden waren, in ihrem höheren Maße verhängt wurden. Dies geschah mit dem Hinweis darauf, daß das Verbot eines ex post facto-Gesetzes nur insoweit gelte, als durch das neue Gesetz eine neue Straftat geschaffen oder ein bis dahin geltender Straftatbestand auf-

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Stelle oder zusätzlich zur Freiheitsstrafe bei jeder Felony-Verurteilung verhängt werden darf, sofern nrcht eine Absolutstrafe vorgeschrieben ist. Gesetzgebung und Gericht waren in den letzten 30 Jahren bemüht, nach Möglichkeit von Gefängnisstrafen Abstand zu nehmen37• Im Criminal Justice Act, 1948, finden sich viele Maßnahmen, die neben dem Strafzweck auf Erziehung und Reformierung abstellen. Momente der Generalprävention und Spezialprävention finden weitgehende Berücksichtigung. In zunehmendem Maße sucht man sich auch die Mittel zugänglich zu machen, welche dem Streben nach Individualisierung der Strafe dienlich sind". 3. Die B e ruf u n g weg e n feh I e r haft e r S t r a f zum e s s u n g Beim Quartalsgericht (General Quarter Sessions) können Berufungen gegen Urteile des Friedensgerichtes (Justices of the Peace) eingelegt werden3D • Aber erst seit 1907 können beim Court of Criminal Appeal - wegen der Höhe des Strafmaßes40 - Berufungen gegen Urteile der Geschworenengerichte zugelassen werden41 • Im Einklang mit dem Comity-Prinzip wird eine Änderung des Strafmaßes recht selten verfügt. Von der reformatio in peius wurde nur vereinzelt Gebrauch gemacht42 • Eine Abänderung des Strafmaßes setzt voraus, daß dieses "illegal, excessive or inadequate" ist. Die bisher ergangenen grundsätzlichen Entscheidungen in Strafzumessungsfragen haben gezeigt, daß an eine Herabsetzung des Strafmaßes außerordentlich strenge Anforderungen gestellt werden43 • gehoben werde. Wo aber nur das Maß (hier - eine Geldstrafe) erhöht werde, würden weder bestehende Rechte einer Person geändert, noch eine neue Verantwortlichkeit von Personen begründet, noch würden dadurch irgendjemand eine neue Verpflichtung auferlegt oder eine solche Verpflichtung neu geschaffen. Somit sei die Rückwirkung eines solchen Gesetzes zulässig. Nach Kielwein zitierte Fälle: Lamb vs. Director of Public Prosecutions, 1941, 2 All E. Reports, S. 499 ff., Buckmann vs. Buston, 1943, 2 All E. Reports, S. 82 ff., Rex vs. OliveT, 1943, 2 All E. Reports, S. 800 ff. 37 Zur Gerichtspraxis vgl. Giles, a. a. 0., S. 102 ff., Mannheim, a. a. 0., S. 502 ff., Radzinowicz, Assessment, a. a. 0., S. 110 ff. 38 MOTTison/Hughes, a. a. o. (Einleitung) S. 3 ff. 39 Vgl. StalybTass, a. a. 0., S.456 und 464. 40 Sofern das Strafmaß nicht wie bei Mord - absolut bestimmt ist. 41 Criminal Appeal Act, 1907 (7 Edw. VII. c. 23), s. 4. 42 Das geschah beim Court of Criminal Appeal in 14 Fällen zwischen 1908 und 1927, - nach WimmeT, a. a. 0., S.61; vgl. auch dort die anderen Angaben über die Zahl der Berufungen. 43 "The sentence must be manifestly excessive in view of the circumstances of the case or be wrong in principle before the Court will interfere." R. v. SheTkewsky, 28 (1912) Times Law Reports 364; R. v. Gumbs, 19 (1926) Criminal Appeal Reports 74. - Vgl. auch die Ausführungen zum Abschnitt "appeal" und die dort zitierten Entscheidungen bei ATChbold, a. a. 0., S. 314 ff.

VI. USA Schrifttum Barnes, Harry EImer, Negley K. Teeters, New Horizons in Criminology. The American Crime Problem. 9. Auflage, New York 1950.

(Zit.: Barnes/Teeters)

Burckhardt, Lukas H., Über den Grundsatz "nullum crimen sine lege" im amerikanischen Strafrecht. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 1955, S. 113-128. Cantor, Nathaniel, A Dispositional Tribunal. Journal of Criminal Law und Criminology Bd. 29 (1938), S. 55 ff. Carlsson, Otto C., Jugendstrafvollzug in Californien. California Youth Autho-

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Pfersich, Hans-Martin, Die Strafzumessung im Lichte der modernen ameri-

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Das Strafrecht der USA ist vornehmlich Angelegenheit der Einzelstaaten. In der amerikanischen Strafgesetzgebung lassen sich folgende Arten der Strafdrohung unterscheiden: (1) die absolute Strafdrohung; (2) die relative Strafdrohung durch Festlegung des Strafhö'chstmaßes; (3) die relative Strafdrohung durch Festlegung eines Strafhöchstmaßes und Strafmindestmaßes. Zu (1): In fünf Staaten ist die Todesstrafe für bestimmte Kapitalverbrechen zwingend vorgeschrieben. Lebenslängliche Freiheitsentziehung ist in manchen Staaten als absolute Strafe für gewisse Delikte angedroht. Die Gewohnheitsverbrecher-Gesetzgebung kennt ebenfalls absolute Strafen. In zehn Staaten ist die Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bei der vierten Felony-Verurteilung obligatorisch. In fünf anderen Staaten gilt dies schon für die dritte Felony-Verurteilung1 • Zu (2): Strafhöchstmaße sind für eine erhebliche Zahl von Delikten vorgesehen. 1

Vgl. Anhang, Tabelle I.

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Zu (3): Strafhöchstmaße und Strafmindestmaße finden sich vor allem in neueren Kodifikationen und in der Nebenstrafgesetzgebung. Die Strafgesetzgebung der Einzelstaaten weist hinsichtlich der Strafmaße sehr große Unterschiede. auf. Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen!: Für Vergewaltigung ist im Staate Texas das Strafmindestmaß 15 Jahre Gefängnis, in New York dagegen nur ein Jahr. Die schwere Körperverletzung wird in Missouri mit mindestens 2 Jahren, in Washington mit 5 Jahren bestraft und auf schwere Fälschung stehen in Missouri mindestens 10 Jahre, in Washington aber nur 6 Monate Gefängnis. Mit den Strafhöchstmaßen ist es ähnlich. Für Bigamie sind im Staate Pennsylvanien im Höchstmaße 2 Jahre Gefängnis angedroht, im Nachbarstaate New Jersey schon 10 Jahre. Wer in Texas einen Menschen fahrlässig tötet, kann zu nicht mehr als 5 Jahren Gefängnis verurteilt werden, in Indiana sind es allerdings schon 21 Jahre und in Vermont --- Lebenslänglich. Bisweilen finden sich auch sehr krasse Unterschiede im Strafmaß für bestimmte Delikte, deren Einteilung in den meisten Staaten dem englischen Vorbild - felony, das schwerere Delikt, misdemeanor, das leichtere - folgt. Im Staate Pennsylvanien sind die versuchte Abtreibung und der tätliche Angriff mit Explosivstoffen (als felonies) jeweils mit einem Maximum von 3 Jahren Gefängnis und $ 500.- Geldstrafe bedroht. Wer aber böswillig ein Warenhaus in Brand steckt (das zählt nur als misdemeanor), kann mit 10 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von $ 2000.- bestraft werden. Als misdemeanor rechnet auch eine Fälschung, für die das Gesetz eine Höchststrafe von 10 Jahren Gefängnis und Geldstrafe von $1000.- vorsieht'. über die Anwendung der Strafen innerhalb des gesetzlichen Rahmens entscheidet in der Regel der Richter. Nach den Gesetzen einiger Staaten bestimmt die Jury das Strafmaß für gewisse Delikte'. Kalifornien hat ein unabhängiges Strafzumessungsorgan geschaffen, das als Grundlage seiner Entscheidung eine eingehende kriminalbiologische Untersuchung des Täters verwendet5• Das Strafmaß wird in jedem Falle nach freiem Ermessen festgesetzt. Die amerikanische Bundesverfassung (Amendment VIII) bestimmt allerdings, daß keine "excessive fines ... , cruel and unusual punishments" 2 Vgl. Barnes!Teeters, a. a. 0., S. 833, Pjersich, a. a. 0., S. 74. Sehr ausführliche Angaben über die verschiedenen Strafmaße bringt Stuchner, a. a. 0., insb. S. 60 ff. und 76 ff. , Barnes/Teeters, a. a. 0., S. 331 f. , Orjield, a. a. 0., S.537. S Carlsson, a. a. 0., insb. S. 25 ff. und S. 174 ff., Pjersich, a. a. 0., S.9 und S.I44ff.

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verhängt werden dürfen8 • Als "ungewöhnliche Bestrafung" galt die Verfügung eines Richters, dem Schuldigen - einen Chinesen - die Haare abschneiden zu lassen7 • Die Verfassungsvorschrift gegen übermäßige Geldstrafen, grausame und ungewöhnliche Strafen wird als Rechtsschranke angesehen: der Richter darf bei der Bemessung der Strafe nicht über den Strafrahmen hinausgehen oder eine unzulässige Strafe aussprechen8 • Die Verfassung mancher Einzelstaaten enthält die weitergehende Bestimmung, daß die Strafe der Tat angepaßt werden müsse. Dieses Prinzip, so erklärte der US Supreme Court im Jahre 1910, sei eine Grundregel der GerechtigkeW. Das amerikanische Recht kennt keine Berufung gegen das Strafmaß10, 11. Ein New Yorker Obergericht verlangte in seiner Entscheidung, daß ein Urteil nicht willkürlich, wunderlich oder launisch sein dürfe; es müsse vom Geist der Vorschriften beherrscht sein, nicht vom 8 In einigen Entscheidungen wurde der Grundsatz ausgesprochen, daß diese Verfassungsklausel nur Geltung für den Kongreß und für Federal Courts, nicht für State Courts, habe: 12 S. & R. 220; 3 Cow. 686 und 144 US 323 (Fietd, HaTtan, BTewer, J. J., dissenting). 7 18 Am. Law Register 676 (Philadelphia). 8 Vgl. Becket et alias v. United States, 84 F. 2d 731 (C. C. App. 1936) nach BUTckhardt, a. a. 0., S. 120. 9 Weems v. United States, 217 U. S. 349, S.367 (1910), zit. nach Pfersich, a. a. 0., S.73. Vgl. auch Frank J., Whalen Jr., Punishment for Crime: The Supreme Court and the Constitution. Minnesota Law Review, Bd. XXXV (1951), S. 109 ff., James D. Barnett, Constitutional Law - Equal Protection of the Laws - Gradation of Penalties. Oregon Law Review, Bd. XXII (1941 bis 42), S. 294 ff. und die außerdem bei Pfersich, a. a. 0., S. 72 f. angegebene Literatur. 10 Eine Ausnahme bildet der Staat Nebraska. - Vor einigen Jahren wurde ein Gesetzesvorschlag eingebracht, der den U.S. Circuit Courts of Appeals die Möglichkeit geben sollte, Urteile der U.S. District Courts auf das Strafmaß hin zu prüfen. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Holtzoff, a. a. 0., S.462. 11 Within statutory limit, the sentence imposed is exclusively within the discretion of the trial court: U.S. v. Siden, D. C. Minn. 1923, 293 F. 422; U.S. v. McDonald, D. C. Minn. 1923, 293 F. 433. Decisions upon matters within the absolute discretion of a court are not reviewable in courts of appeal: 117 Mass. 579; 159 id. 200; 111 N. C. 509; 102 U.S. 120, 3 C. C. App. 663. The extent of punishment for a criminal offense is limited to that provided by statute creating offense, and within statutory limit amount of punishment is within discretion of trial court. Hunter v. U.S., C. C. A. Ohio 1945, 149 F. 2d 710, aertiorari denied 66 S. Ct. 472, 326 U.S. 787, 90 L. Ed. 478, rehearing denied 66 S. Ct. 526, 327 U. S. 814, 90 L. Ed. 1038. ' A sentence, being within term permitted by law, is a matter for discretion of sentencing court, and appellate court wil not interfere therewith. MiUer v. Sanford, D. C. Ga. 1945, 59 F. Supp. 812, affirmed 150 F. 2d 637, certiorari denied 66 S. Ct. 427, 326 U.S. 787, 90 L. Ed. 478, certiorari denied 67 S. Ct. 864, 330 U.S. 830, 91 L. Ed. 1279. The Circuit Court of Appeals does not review discretion, vested in and exercised by trial court, in imposing sentences within statutory limit. Bogy v. U.S. C.C.A. Tennessee 1938, 96 F. 2d 734, certiorari denied 59 S. Ct. 68, 305 U.S. 608, 83 L. Ed. 387.

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Humori!. In einigen Staaten ergingen aber auch schon Entscheidungen, die sich in Ausnahmefällen für eine Herabsetzung der Strafe aussprechen, wenn diese Strafe - obgleich noch gesetzlich zulässig - ganz offensichtlich grausam und ungewöhnlich sei und einen Extremfall des Ermessensmißbrauchs darstelle13, 14. Wurde eine höhere als die vom Gesetz zulässige Höchststrafe verhängt, so ist nicht das gesamte Urteil ungültig, sondern nur der das Strafmaximum überschreitende Teil1s• Der Richter ist zur Angabe von Strafzumessungsgründen nicht verpflichtet18, 11. Die Weite der Strafrahmen macht Vorschriften über Milderungs- und Erschwerungsgründe entbehrlich. Die Beurteilung dieser Gründe und die Anrechnung der Untersuchungshaft unterliegen dem freien richterlichen Ermessen. 2. Die S t r a f zum e s s u n g i m Ein z e lf alle Die zum Teil recht hohen Strafdrohungen der amerikanischen Strafgesetze und der Mangel einer Berufungsmöglichkeit in Fragen der Strafzumessung legt die Vermutung nahe, daß im Durchschnitt recht hohe Strafen verbüßt werden. Daß eher das Gegenteil der Fall ist, scheint dem Verfasser auf Grund seiner während eines Studienaufenthaltes in Amerika gemachten Beobachtungen vornehmlich folgende Ursachen zu haben: (1) In weit mehr als der Hälfte aller Fälle werden Geldstrafen verhängtl8. Amerikanische Gesetzgeber machen von der Geldstrafe sehr häufig Gebrauch. (2) Eine beträchtliche Anzahl von Fällen führt zu keiner Strafverbüßung, weil 18 Wend. 99. A sentence within limits prescribed by statute under which prosecution is conducted, will not be disturbed· on ground that it is excessive, unless it is clearly and manifestly cruel and unusual: Harns v. U.S., C.A. Okl. 1951, 190 F. 2d 503. . 14 Orfield, a. a. 0., S.550, schreibt: " ... under statutes, as wen as at common law, the courts have in most cases a range of discretion as to the amount of the authorized penalty, the exercise of which is not reviewable except in extreme cases of abuse or prejudice." Vgl. dazu auch Harns v. State, 142 Miss. 342, 107 So. 327 (1926). 15 U.S. v. Lynch, C.C.A. Ind. 1947, 159 F. 2d 198; 153 U.S. 48; s. auch in re Mills, 135 U.S. 263, 10 Sup. Ct. 762 (1889). 18 Als lobenswerte Ausnahmen werden oft das Urteil des Judge UZman im Duke Case und das des Federal Judge Otis im Pendergast Case angegeben. OrfieZd, a. a. 0., S.547. 17 Empfohlen wird lediglich die kurze Angabe von Strafzumessungsgründen in den Supreme Court of Pennsylvania Rules of Court (Rule 58), wenn ein Rechtsmittel eingelegt wurde. OrfieZd, a. a. 0., S. 547 f. 18 SutherZand, a. a. 0., S. 572, schätzt die Zahl auf mehr als 75 Ofo. Vgl. auch Gaudet, a. a. 0., S. 451, 456. 12

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(a) der Anklagevertreter das Verfahren einstellt (das kann er in bestimmten Fällen selbst dann tun, wenn Anklage vor dem Geschworenengericht erhoben werden soll) oder (b) der Richter das Verfahren einstellt (dismissal) oder Straferlaß (discharge) gewährt1U oder (c) der Richter nur eine nominelle Strafe verkündet, was nicht selten ges'clrleht, wenn die Jury wider Erwarten des Richters auf "schuldig" erkannt hatI•. (3) Von sehr großer Bedeutung ist ein Verfahren, das unter dem Namen "plea to lesser charge" oder "plea to lesser offense" bekannt ist. Nach der Verlesung der Anklageschrift wird der Beschuldigte gefragt, ob er sich "schuldig" oder "nicht schuldig" bekennt. Bekennt er sich "schuldig" (plea of guilty), so entfällt die Zuziehung der Geschworenen und der Richter kann sofort das Urteil verkünden. Der Angeklagte darf dabei wegen seines Geständnisses in der Regel auf eine geringe Strafe hoffen. In vielen Fällen macht jedoch außerdem der Anklagevertreter vor der Verhandlung dem Beschuldigten das Angebot, ein teilweise frisiertes Schuldbekenntnis abzugeben. Erfolgt für eine weniger schwere Tat als die dem Beschuldigten zur Last gelegtel1 ein "Geständnis", so wird dies mildernd berücksichtigt (und außerdem ist ja nun der Richter an das Strafmaximum der neuen Tat gebunden)22. Exner23 gab 1934 an, ein Schuldbekenntnis mit oder ohne "plea to lesser charge" komme in 70 - 90010 aller Fälle vor. Eine neuere Untersuchung24 benennt den Durchschnitt in manchen Gebieten mit 95010, den Gesamtdurchschnitt mit rund 85010. Von den Angeklagten wird dieses Verfahren natürlich begrüßt. Strafverfahren werden auf diese Weise zwar sehr ras'ch abgewickelt, aber es wird auch erreicht, daß gefährliche Verbrecher sehr niedrige Strafen erhalten25 • 1U Haines, a. a. 0., S. 104 ff., hat für einen bestimmten Berichtszeitraum

festgestellt, daß bei NewYorker Richtern Straferlaß und Einstellung des Verfahrens bis zu 73,7 Ofo aller verhandelten Fälle ausmachten. 20 Jury-Verhandlungen können unschwer vermieden werden (z. B. wenn der Angeklagte darauf verzichtet und das Gericht einverstanden ist oder wenn er ein Schuldbekenntnis ablegt). Heute werden kaum 10 Ofo aller Fälle vor Geschworenen verhandelt. 21 So wird z. B. ein Schuldbekenntnis für einfachen Diebstahl abgegeben statt für Einbruchdiebstahl. 22 Vgl. Barnes/Teeters, a. a. 0., S. 297 ff. 23 Exner, Kriminalistischer Bericht über eine Reise nach Amerika. ZStw Bd. 54 (1934135), S. 36l. 24 Orfield, a. a. 0., S. 297 f. 25 Barnes/Teeters, a. a. 0., S. 298, erwähnen beispielsweise den Fall eines bewaffneten Räubers, der eine Lastwagenladung Seide im Werte von über $ 25 000,- stahl und der - da er sich eines einfachen Diebstahls schuldig bekannte - mit einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von $ 1,- bestraft wurde.

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Zum "pleading to lesser charge" kommt es auch fast immer dort, wo das Gesetz ein hohes Strafminimum vorsieht. Bei solchen Gesetzen neigen Geschworene - seltener schon Richter - gerne dazu, die Schuldfrage für schwere Delikte zu verneinen. Der Anklagevertreter erblickt im "pleading to lesser charges" ein willkommenes Mittel, eine Verurteilung zu erreichen. Die Tüchtigkeit dieses Beamten, der in Amerika bekanntli'ch gewählt wird, pflegt ja nicht zuletzt nach der Zahl der Schuldigsprechungen, die er erzielt hat, beurteilt zu werden. Und eine Verurteilung wird nach dem beschriebenen Verfahren erreicht, wenn es sich um einen Fall handelt, in welchem die Täterschuld (für das schwerere Delikt) schlecht nachgewiesen werden kann, ferner wenn der Anklagevertreter unfähig ist oder wenn er zu wenig Zeit zur Vorbereitung der Anklage hatte. (4) Probation (Bewährungshilfe, "Laufenlassen auf Probe") und suspended sentence (Strafaufschub) werden außerordentlich oft gewährt. Bei probation liegen die Zahlen in den verschiedenen Staaten zwischen 30 und 80 0 /026 • (5) Parole (bedil'lgte Entlassung) bezeichnet ein Verfahren, das es einer außergerichtlichen Instanz (Parole Board) gestattet, einen zu Freiheitsstrafe Verurteilten vor Ablauf der Strafzeit zu entlassen. Künftiges Wohlverhalten ist die übliche an die Gewährung der Parole-Entlassung geknüpfte Bedingung. Der Entlassene bleibt unter der Schutzaufsicht eines Parole Officers27 • In den meisten Staaten wird einer Parole-Entlassung nur stattgegeben, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Mindeststrafzeit (parole eligibility) verstrichen ist. Die hauptsächlichsten Formen der parole eligibility, zu denen sich die einzelnen Staaten bekennen, sind: 1. N a;ch Ablauf von zwei Dritteln der Strafe. Bei unbestimmtem Strafurteil ist damit das Strafmaximum gemeint. 2. Nach Ablauf der Hälfte der Strafe. 3. Drei Monate vor Ablauf der Mindeststrafe. 4. Nach Ablauf eines Jahres. 5. Nach Ablauf der Mindeststrafe. Eine Minderzahl von Staaten kennt überhaupt keine Bindung an einen Zeitpunkt, von dem ab parole gewährt werden darf. In diesen Staaten entscheidet die Parole-Instanz nach freiem Ermessen. 26 Näheres bei BarneslTeeters, a. a. 0., S. 384 ff., ferner Hatpern, a. a. 0., S. 388 ff., HottzotJ, a. a. 0., S. 463, McGrath, a. a. 0., S. 4 ff., Pfersich, a. a. 0., S. 75 ff., Reinemann, a. a. 0., S 27 ff. 27 Giardini, a. a. 0., S. 286 ff., Pfersich, a. a. 0., S. 79 ff.

6 •

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Die Parole-Praxis hat nicht immer die uneingeschränkte Billigung der Richter gefunden. Manche Richter suchen grundsätzlich oder in besonderen Fällen eine ihrer Meinung nach allzu frühzeitige Entlassung des Verurteilten durch Festsetzung hoher Strafen zu verhindern. (6) Dem Geri:cht dürfen von der Anklagebehörde und von der Verteidigung eidesstattliche Erklärungen über Erschwerungs- oder Milderungsgründe vorgelegt werden. Absprachen zwischen Anklage und Verteidigung hinsichtlich eines bestimmten Verhaltens des Angeklagten (etwa ein Versprechen zur Schadensgutmachung) binden das Gericht nicht. Sehr oft wird aber auf solche Absprachen im Sinne der Milderung Rücksicht genommen28 • (7) Das Gericht darf auch - ohne daß der Angeklagte ein Rechtsmittel eingelegt hat - das eigene Urteil zugunsten des Angeklagten abändern. Nach Bundesrecht2a darf das Strafmaß innerhalb von 60 Tagen vermindert werden. Ein rechtsfehlerbehaftetes Urteil darf jederzeit geändert werden30• Die Strafgesetzgebung der Einzelstaaten kennen in der Regel eine dem Bundesrecht ähnliche Vorschrift, die das Gericht berechtigt, innerhalb einer bestimmten Zeit das Strafmaß herabzusetzen31 • Allgemeine Ausführungen über die Strafzumessung lassen sich für die USA nicht ohne Vorbehalte machen. Grundsätzlich ist aber wohl festzustellen, daß Momente der General- und Spezialprävention berücksichtigt werden. Die Strafe soll in erster Linie Zweckstrafe sein. In zunehmendem Maße zeigt sich, daß man genau zwischen Tatsachen unterscheidet, die sich auf die Täterschuld32 beziehen und Vgl. dazu auch Orfield, a. a. 0., S. 551 ff. Fed. Rules Cr. Proc. rule 35, 18. U.S.C.A.: "Correction or Reduction of Sentence. The court may correct an illegal sentence at any time. The court may reduce a sentence within 60 days after the sentence is imposed, or within 60 days after receipt by the court of a mandate issued opon affirmance of judgement or dismissal of the appeal, or within 60 days after receipt of an order of the Supreme Court denying an application for a writ of certiorari." 30 Das geschah z. B. wegen überschreitung des gesetzlich vorgeschriebenen Strafhöchstmaßes - mehr als 10 Jahre nach Verkündung des Urteils im Falle Bugg v. U.S., C.C.A. Montana 1944, 140 F. 2d 848, certiorari denied 65 S. Ct. 89, 323 U.S. 673, 89 L.Ed. 547. 31 Vgl. Orjield, a. a. 0., S. 533 und Uni ted States v. Benz, 282 U. S. 304, 51 Sup. Ct. 113,75 L.Ed. 354 (1930); 44 Harv.L.Rev. 967. 31 Bittere Klage wird wegen der gegenwärtigen Krise auf dem Gebiet des amerikanischen Strafrechtes und Strafprozeßrechtes geführt: mehr und mehr werden bestimmte Verhaltensweisen (vor allem auf dem Gebiet des Automobilrechtes) der Kontrolle des Strafrechtes unterworfen. Der anglo-amerikanische Grundsatz von der Unschuldvermutung zugunsten des Angeklagten wird in neueren Gesetzen häufig durchbrochen. Die Strafgesetzgebung des Staates New York allein hat mehr als 40 Gesetze, die Schuldvermutungen statuieren und dem Angeklagten die Beweislast zuschieben. Barnes/Teeters, a. a. 0., S. 330 ff. 28

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denen, welche eine Grundlage für die Behandlung des Täters nach der Verurteilung bieten können. Dem Streben nach Individualisierung3S, N sucht man auf mehrfache Weise gerecht zu werden: (1) Der "Presentence Investigation Report"36, 81 ist ein Bericht, der dem Gericht helfen soll, die für den Schuldigen geeignete Strafmaßnahme zu finden. Nach den Strafverfahrens regeln des Bundes37 (und vielen Einzelgesetzgebungen) ist er bei jedem Verfahren durch den Probation Officer und dessen Helfer zu erstatten und dem Gericht - jedoch nicht vor Schuldigsprechung des Täters - vorzulegen. Der Bericht soll nicht nur die Tatumstände des Deliktes und etwaige Vorstrafen enthalten, sondern auch noch sonstige Angaben über die Person des Angeklagten: Charakter, Familiengeschichte, Umwelt, Erziehung, Gesundheitszustand, Interessengebiete, usw. Schließlich soll der Bericht Vorschläge über die Maßnahmen umfassen, deren Anordnung dem Gericht empfohlen wird. Der besondere Vorzug des Berichtes wird darin erblickt, daß in ihm medizinische, psychologische, biologische und soziologische Momente berücksichtigt werden können, die - obzwar für die Festsetzung des Strafmaßes von größtem Wert - vom Richter nicht oder nur in unzureichendem Maße festgestellt werden können38• (2) Die unbestimmte Verurteilung (indeterminate sentence, indefinite sentence) hat trotz der großen Gegnerschaft, die ihre Einführung in den meisten Staaten hervorrief, immer mehr Boden gewonnen39 • Flood, a. a. 0., S. 531 ff., Reckless, a. a. 0., S. 290, 298. Von verschiedenen amerikanischen Autoren (vgl. z. B. Wyzanski, a. a. 0., S. 129) wird aber auch betont, daß das Prinzip einer einheitlichen (gleichen) Behandlung gleicher Delikte nie ganz seine Gültigkeit verlieren könne. Der Richter sei kein Arzt, der für den Patienten in genau abgestimmtes Mittel ausgibt. Das Wissen über Klassen sei nun eben einmal größer als das über Individuen. 35 Auch presentence investigation, social investigation, social diagnosis, preliminary investigation, presentence clinic genannt. 36 Barnes/Teeters, a. a. 0., S. 332 ff., ChappelllEvjen, a. a. 0., S. 2 ff., Glueck, a. a. 0., insbes. S. 3 ff., Halpem, a. a. 0., S. 391, Orfield, a. a. 0., S. 543 ff., Pfersich, a. a. 0., S. 93 ff. (vgl. auch dessen Ausführungen über die Diagnose der verbrecherischen Persönlichkeit: S. 88 ff.), Rubin, a. a. 0., S.9. 37 Fed. Rules Cr. Proc. rule 32, 18 U.S.C.A. 38 Cantor, a. a. 0., S. 55 f., schreibt dazu: "Behavior experts are not magicians. They can't turn gunmen into choir sopranos. But they are more qualified than the average lay judge in evaluating and interpreting the play of physiological, psychologieal, and sociological factors in the lives of men. Physicians, social workers, psychologists, psychiatrists are trained in different techniques. They obtain clinical experience. Through their major activity, over aperiod of time, they acquire insights into the complexities of character formation and personality growth." 89 So kennzeichnet z. B. Wotf, a. a. 0., S.116, das Recht des Staates New York durch seine Entwicklung von der Strafschärfung zur unbestimmten Strafe. 33

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Länderberichte 1947 hatten in den USA bereits 39 Gesetzgeber Vorschriften über die unbestimmte Verurteilung erlassen40 , 41. Der Zeitpunkt der Entlassung des Täters aus dem Gefängnis wird nicht vom Richter, sondern von einem Gremium von Sachverständigen - Indeterminate Sentence and Parole Board - bestimmt. Der Ermessensspielraum des Gremiums42 .wird nach den Gesetzgebungen der Einzelstaaten vom Richter festgelegt. Die Gesetzgebung mancher Staaten verlangt vom Richter, daß er ein Strafminimum und ein Strafmaximum festsetzt. In anderen Staaten dagegen ist der Richter gehalten, lediglich ein Strafmindestmaß zu bestimmen. Das Strafmaximum darf in keinem Falle das vom Gesetz vorgesehene Strafhöchstmaß für das betreffende Delikt übersteigen. Die mit einer absoluten Strafe angedrohten Delikte sind von der unbestimmten Verurteilung immer ausgenommen~ Nach der Gesetzgebung der meisten Staaten findet die unbestimmte Verurteilung auch keine Anwendung auf bestimmte Kapitalverbrechen, desgleichen auf strafbare Handlungen Rückfälliger. Gelegentlich suchen Richter die ihnen nicht genehme Bestimmung der Strafe durch eine Verwaltungsbehörde in der Weise zu umgehen, daß sie eine sehr knapp bemessene Zeitspanne zwischen Strafminimum und Strafmaximum festlegen. Deswegen haben die Gesetzgeber mancher Staaten genaue Anweisungen über die Höhe der Mindestintervalle erlassen.

(3) Die Strafzumessung durch Sachverständige (dispositional tribunal)

ist im Staate Kalifornien in der Weise verwirklicht, daß die Gerichte den Verurteilten - ohne Bestimmung der Strafhöhe - einer Strafzumessungsbehörde überstellen43 • Ein Gremium von Sachverstän-

40 Die Gegner der unbestimmten Verurteilung sucht man vornehmlich durch das Gewicht folgender Erwägungen umzustimmen: (a) es sei wünschenswert, nicht gleich in der Verhandlung das Strafmaß genau festzulegen, sondern den Zeitpunkt der Entlassung des Schuldigen auf Grund von Beobachtungsergebnissen zu bestimmen, zu denen man im Laufe der Zeit gelangt; (b) die unbestimmte Strafe habe eine größere Abschreckungswirkung; (c) die Strafe könne eine bedeutende erzieherische Wirkung ausüben; (d) sollte der Täter - während er sich noch unter Aufsicht der Behörde befindet - ein neues Delikt begehen, so könne er ohne Gerichtsverhandlung wieder ins Gefängnis zurückgebracht werden; (e) der Vollzug unbestimmter Strafen verursache geringere Kosten. Vgl. Orfield, a. a. 0., S.558. 41 Burckhardt, a. a. 0., S. 121 f., BarneslTeeters, a. a. 0., S. 821 ff., 833 ff., Holtzofj" a. a. 0., S. 464, Pfersich, a. a. 0., S. 83 ff., 131 ff. 42 Gaudet, a. a. 0., S. 449. 43 California Penal Code, s. 1168: "Every person convicted of a public offense for which imprisonment in any reformatory or State prison is now prescribed by law shall, unless such

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digen setzt die Dauer der Freiheitsstrafe fest und entscheidet über die Parole-Anwendung. Die Entscheidungen des Gremiums ergehen ohne Begründung. Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben". Die amerikanischen Strafzumessungsorgane California Adult Authority, California Youth Authority - sind im deutschen Schrifttum eingehend behandelt. Auf diese Darstellungen wird verwiesenfS.

3. Rückfall Mit der Nichtanwendung der unbestimmten Verurteilung auf Rückfällige ist die strafrechtliche Behandlung dieser Personen keineswegs erschöpft. Tabelle I im Anhang dieser Arbeit bringt eine übersicht der amerikanischen Gesetzgebung zur Rückfallstat48 • Nur 5 Staaten47 und das Bundesrecht haben keine Vorschriften über Rückfallsdelikte. Die amerikanische Rückfallsgesetzgebung, die sich übrigens nur auf felonies bezieht, ist wenig wirksam48 • Die Gesetze werden auf mannigfache Weise umgangen, vornehmlich durch das schon erwähnte Verfahren des ,pleading to lesser charges'. Die Gesetze wurden vielfach gemildert und vor allem die obligatorischen Bestimmungen außer Kraft gesetzt48 • Die verfassungs rechtliche Zulässigkeit der Rückfallsgesetzgebung und die Ermächtigung der Gerichte zur Strafenkumulation wurden vom US Supreme Court wiederholt bestätigt. In der Frage, ob Strafverbüßung oder nur Vorverurteilung rückfallsbegründend sei, halten sich die Entscheidungen- die Waage'o. convicted person be placed on probation, a new trial granted, or the imposing of sentence suspended, be sentenced to be imprisoned in aState prison, but the court in imposing the sentence shall not fix the term or duration of the period of imprisonment." Vgl. auch California PEmal Code, ss. 3020 ff., Pfersich, a. a. 0., S. 157 ff. 44 Pfersich, a. a. 0., S. 159. 45 Carlsson, a. a. 0., insbes. S. 25 ff. und 174 11., Pfersich, a. a. 0., S. 9 und 131 ff. 48 Tappan, a. a. 0., S. 28 ff. Vgl. ferner Orjield, a. a. 0., S.579 ff., Sutherland, a. a. 0., S. 585 ff., Wolf, a. a. 0., S. 41 ff. 47 Zwei dieser fünf Staaten (Maryland und South Carolina) sehen allerdings Straferhöhungen bei bestimmten leichteren Rückfallstaten vor (vgl. Tabelle I, Anhang). 48 Lobenswerte Ausnahmen sind Louisiana und Wisconsin. 48 Ein amtlicher Bericht aus Kansas meldete, daß von allen Häftlingen, die mehr als 7 Jahre abzubüßen hatten, 41,3 % Rückfallstäter (oder Gewohnheitsverbrecher) waren. Davon seien aber nur 9,5 Ofo nach dem Gewohnheitsverbrecher-Gesetz verurteilt worden. Kansas Legislative Council, The Operation of the Habitual Criminal Law. Publication No. 47. 1936. S. 15. 60 Vgl. Graham v. West Virginia, 224 U.S. 616, 32 Sup. Ct. 583 (1911) und weitere Entscheidungen bei Orfield, a. a. 0., S. 580 f.

VII. SowjetrulUand Schrifttum BeTnstein, O. S., Das neue russische Strafgesetzbuch (Ugolovnoje Ulozenje). Allerhöchst bestätigt am 22. 3. 1903. Sammlung Nr. 24. Berlin 1908. FTeund, Heinrich, Strafgesetzbuch, Gerichtsverfassungsgesetz und Strafpro-

zeßordnung Sowjetrußlands, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von -, Hrsg. vom Osteuropa Institut in Breslau. Quellen und Studien. Erste Abtlg.: Recht, Neue Folge. 1. Bd. Mannheim, Berlin, Leipzig 1925. Gallas, Wilhelm, Strafgesetzbuch (Ugolowny Kodex) der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik (RSFSR) vom 22.11.1926 mit den Änderungen bis zum 1. 8. 1930. Sammlung Nr. 49. Berlin, Leipzig 1931. Gallas, Wilhelm, Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik vom 22.11.1926 in der am 1.1. 1952 gültigen Fassung mit Nebengesetzen und Materialien. Sammlung Nr. 60. Berlin 1953. HazaTd. John N., Morris L. Weisberg, Cases and Readings on Soviet Law. New York 1950. (Zit.: HazardiWeisberg) KTauss, Harry, Das Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik vom 22. 11. 1926 mit den Änderungen bis zum 1. 8.1930 im Vergleich zum geltenden und künftigen Deutschen Strafrecht. Diss. Leipzig 1933. MauTach, Reinhart, Das Sowjetstrafrecht von 1936--1938. ZStw Bd. 59 (1940), S.95-110. MauTach, Reinhart, Das Rechtssystem der UdSSR. Allgemeine Rechtslehre, Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für Osteuropa-Forschung. München 1953. (Zit.: Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR) Pol;anski, Nikolai, Die Justiz in der Sowjetunion. Berlin 1946. Roginski;/Kamitzkij, Ugolownyj Kodex RSFSR. Moskau 1936. SchToedeT, Friedrich-Christian, Das Strafrecht der UdSSR de lege ferenda. Berlin 1958. StTogovitch, M. S., Le contröle du pouvoir d'appreciation du juge dans la determination des peines et des mesures de surete. Rev. int. de Droit pen. 1958, S. 51-56. 1. Grundlagen der Strafzumessung Das erste von der Sowjetregierung vorgelegte Strafgesetzbuch trat am 1. 6.1922 in Kraft. Nach dem Zusammenschluß der Sowjetrepubliken zu einem Bundesstaat im Dezember 1922 wurde das Strafrecht neu gefaßt. Den herrschenden radikalmarxistischen Strömungen seiner

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Zeit in erhöhtem Maße Rechnung tragend, erschien 1926 das neue Strafgesetzbuch, welches - wenn auch mit gewissen Änderungen - seit dem 1.1.19271 in der Sowjet-Union gilt. Grundlage für die beiden Strafgesetzbücher bildeten die am 12.12.1919 veröffentlichten "Leitenden Grundsätze für das Strafrecht der RSFSR" (Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik). In diesen "Grundsätzen" heißt es2 : "Recht ist das System (die Regelung) der gesellschaftlichen Beziehungen, das den Interessen der herrschenden Klasse entspricht und geschützt wird von deren organisierter Gewalt." "Das Strafrecht hat zum Inhalt die Rechtsnormen und andere Maßnahmen, durch die das System der gesellschaftlichen Beziehungen der betreffenden Klassenschicht gegen Verletzungen (Verbrechen) durch Unterdrückung wird." "Das Sowjet-Strafrecht hat zur Aufgabe, dasjenige System der gesellschaftlichen Beziehungen durch Unterdrückung zu schützen, das den Interessen der Arbeitermasse entspricht, die sich während der Periode der Diktatur des Proletariats in der übergangszeit von Kapitalismus zum Kommunismus als herrchende Klasse organisiert hat... Die nach den Theorien von Marx und Lenin vorgetragene Auffassung der russischen AutorenS über das Verbrechen läßt sich etwa folgendermaßen wiedergeben: Das Verbrechen ist ein historisches Phänomen, das durch die Klassenstruktur und Wirtschaft verursacht wird. Der Begriff des Verbrechens wandelt sich im Laufe der Geschichte. Als verbrecherisch werden diejenigen Handlungen angesehen, welche in einer gegebenen Zeit der herrschenden Klasse als gefährlich erscheinen. Dieselbe Handlung, die während der Herrschaftszeit einer Klasse als verbrecherisch angesehen wird, mag ihres verbrecherischen Charakters entkleidet sein, sobald eine andere Klasse an die Macht kommt. Verbrecherisch ist eine Handlung, die nicht den Regeln der regierenden Klasse gemäß ist und solche soziale Beziehungen bedroht, welche von der herrschenden Klasse errichtet wurden. Die Strafgesetzgebung der Bourgeoisie versucht den Klassencharakter des Verbrechens zu verbergen, indem sie das Verbrechen formal definiert als "eine vom Gesetz unter Strafe gestellte Handlung oder Unterlassung". Verbrechen ist, was das Recht als Verbrechen ansieht; das Re'cht aber repräsentiert den Willen der herrschenden Klasse. Das Strafgesetzbuch der RSFSR von 1926 wurde zum Vorbild für die Bundesrepubliken. Ihm war am 31. 10. 1924 ein Rahmengesetz ("Grundsätze der Strafgesetzgebung") vorausgegangen, nach dessen Richtlinien in den Jahren 1926 bis 1928 die Strafgesetzbücher reformiert GS. 1926, N. 80, Art. 600. Freund, a. a. 0., S. 1 und 89 ff. S Vgl. Roginskij/Kamitzkij, a. a. 0., S.31; Hazard/Weisberg a. a. 0., S.43. 1

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wurden4 • In einigen Bundesrepubliken wurde das Strafgesetzbuch der RSFSR eingeführt; die Strafgesetzbücher anderer Republiken weichen nur in unbedeutenden Einzelheiten ab (z. B. durch die Berücksichtigung der sogenannten "Nationalitäten-Delikte" - wie Frauenraub und Brautkauf - in den Strafgesetzbüchern der kaukasischen Republiken)5. Auf dem Gebiete des Strafrechts gibt es eine erhebliche Anzahl von Bundesgesetzen, durch welche entgegenstehendes Landesrecht aufgehoben wurde'. Seit den letzten 20 Jahren wird die Strafgesetzgebung fast ausschließlich vom Bunde ausgeübt7 • 2. "D asS t r a f g es e t z b u c h

0

h ne Sc h u I dun d S t r a f e "

Aus dem Klassenkampfcharakter heraus ist die russische Auffassung vom Strafrecht zu erklären. So wird das sowjetische Strafgesetzbuch gerne als "das Strafgesetzbuch ohne Schuld und Strafe" bezeichnet8 • Der Begriff der Schuld wird durch den der "Sozialgefährlichkeit" des Täters' ersetzt; an die Stelle der Strafe, welche als eine "notwendige Folgeerscheinung des kapitalistischen Tausch- und Vergeltungsgrundsatzes"10 bekämpft wird, tritt ein dreigeteiltes System von "Maßnahmen des sozialen Schutzes"lI. Gegen zurechnungsfähige Verbrecher richten sich "Maßnahmen gerichtlich-bessernder Art", gegenüber psychisch Defekten werden "Maßnahmen medizinischer Art" angewandt und gegenüber Jugendlichen "Maßnahmen medizinisch-pädagogischer Art"I!. Dieses System strafrechtlicher Sanktionen, das einen unverkennbaren Einfluß des bekann4 Gallas, Strafgesetzbuch a. a. 0., 1931, S.8; Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S.18. 5 Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S.21. 8 G. v. 7.8.1932 über den Schutz des Kolchoseneigentums; G. v. 7. 3.1934 über die Wiedereinführung der Strafbarkeit der Päderastie; - G. v. 8. 6.1934 über den Vaterlandsverrat; - G. v. 7. 4. 1935, G. v. 31. 5. 1935 u.G. v. 29.7. 1935 über Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität Jugendlicher; - G. v. 27.6.1936 über den Familienschutz (mit dem Verbote der Schwangerschaftsunterbrechung bis auf die medizinische und eugenische Indikation); - G. v. 26.6.1940 über Arbeitsvertragsbruch (Bestrafung wegen Verspätung beim Arbeitsbeginn und Fernbleiben von der Arbeit); - G. v. 4. 6. 1947 über die Angriffe auf staatliches und sozialistisches Eigentum; - G. v. 9.6.1947 über den Verrat von Staatsgeheimnissen. 7 Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S.22; Maurach, Das Sowjetstrafrecht von 1936 bis 1938, in: ZStW Bd. 59 (1940), S.104; Maurach, (Auslandsrundschau, Rußland), in: ZStW Bd. 55 (1936), S. 881. 8 Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S. 19 ff. • Art. 1, 6; Anhang. 10 Maurach, a. a. 0., S. 19. 11 Art. 7; vgl. auch Poljanski, a. a. 0., S. 34 ff. 12 Art. 7, 20, 24, 26.

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ten italienischen Entwurfes von Ferri zeigt, hat zur Aufgabe, den bestehenden Staat zu schützen1s • Maßgebend für die Art und Intensität der Sanktionen ist nur das Schutzbedürfnis des Staates, welches sich nach dem Grade der gefährlichen Gesinnung des Täters richtet. Art. 9, Abs. 2 sagt ausdrücklich, daß sich die "Maßnahmen des sozialen Schutzes" nicht Vergeltung und Strafe zur Aufgabe machen. Der Zweck der "Maßnahmen des sozialen Schutzes" liegt - wie in Art. 9, Abs. 1 ausgeführt (a) in der Vorbeugung ge~en die Begehung neuer Verbrechen durch Personen, die bereits solche begangen haben; (b) in der Einwirkung auf andere potentielle Täter und (c) in der erzieherischen Wirkung, welche die "Maßnahmen des sozialen Schutzes" ausüben sollen durch "Anpassung der Personen, die verbrecherische Taten begangen haben, an die Bedingungen des Gemeinschaftslebens im Staate der Werktätigen" (Art. 9). "Maßnahmen des sozialen Schutzes" werden gegen solche Personen verhängt, die eine Handlung oder Unterlassung sozialgefährlichen Charakters begangen haben. Entscheidend ist dabei, daß der Täter, dessen Handlung die Tatbestandsmerkmale eines im Besonderen Teile des Strafgesetzbuches erwähnten Deliktes erfüllt, den sozialgefährlichen CharakterU der Folgen der Tat vorausgesehen hat oder daß er ihn hätte voraussehen müssen, (Art. 6 und 10). Es ziehen also all diejenigen Handlungen oder Unterlassungen keine Strafen - keine "Sozialschutzmaßnahmen" - nach sich, die nur formal die Tatbestandsmerkmale eines Deliktes erfüllen. Neben der Generalklausei des Art. 6 wird die Verhängung der "Sozialschutzmaßnahmen" noch durch Anwendung der Analogie (Art. 16) aufgelockert. Der sowjetrussischen Konzeption der Strafe entsprechend vermeidet das Strafgesetzbuch die Erwähnung von Begriffen wie Zwangsarbeit, schwerer Kerker, Zuchthaus usw. Statt dessen finden sich unter Aufzählung der "Maßnahmen gerichtlich-bessernder Art" Ausdrücke wie "Besserungsarbeit" , "Freiheitsentziehung" . Dabei ergibt sich aus der Aufzählung der "Maßnahmen gerichtlich-bessernder Art" nach ihrer Schwere, daß - zum Unterschied vom zaristischen Strafgesetzbuche des Jahres 190315 - die Besserungsarbeit ohne Freiheitsentziehung im Verhältnis zur Freiheitsentziehung die mildere Strafe darstellt. Gemäß Art. 29, Abs. 3 erfolgt eine Umrechnung in der Weise, daß einem Tage 13

Art.

1.

Sudebnaja Praktika R. S. F. S. R. pod redaktsiei Predsedatelaja Verksuda R.S.F.S.R., N. 11, 20.8.1930, S.9 - und Erläuterungen nach HazardlWeisberg, a. a. 0., S. 49. 15 Bernstein, a. a. 0., S. 12. 14

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Freiheitsentziehung drei Tage Besserungsarbeit gleichgestellt werden. Mit dieser Bestimmung sucht man eine "Erziehung durch Arbeit" zu erreichen, wie ja überhaupt die russische Strafrechtspolitik auf eine wie Maurach18 schreibt "notdürftig verhüllte Ausnutzung der Arbeitskraft des Verurteilten" abzielt. Seit 1934 wird in den Verordnungen des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare das Wort "Strafe" an Stelle des Ausdrucks "Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art" verwandt. Im Strafgesetzbuch erscheint diese Änderung nur bei den neugefaßten oder neueingeführten Artikeln17• Der beherrschende Strafzweck ist die Abschreckungl8. Die Formulierungen der Straftatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches sind dehnbar und unscharf. Hohe Strafmaxima und eine geringe Variabilität der Strafdrohungen kennzeichnen das sowjetrussische Strafrechtl9 . Gemäß Art. 46 werden die Verbrechen in zwei Arten eingeteilt: (1) solche, die sich gegen das Sowjetsystem richten und deswegen als die gefährlichsten angesehen werden, und (2) alle übrigen Verbrechen. Für die erste Gruppe ist ein Strafminimum, für die zweite ein Strafmaximum vorgeschrieben, das vom Gericht beachtet werden muß. 3. All gemein e Stra fz u mess ungs re gel n

Die allgemeinen Richtlinien für die Anwendung der "Maßnahmen gerichtlich-bessernder Art" sind in Art. 45 20 festgelegt. Danach hat sich der Richter bei der Strafzumessung an den in Art. 1 ausgedrückten Grundsatz des Strafrechtes - nämlich Schutz des Staates und seiner Rechtsordnung - zu halten. Er richtet sich ferner nach seinem "sozialistischen Rechtsbewußtsein", also seinem freien Ermessen, das nur durch die Berücksichtigung der Sozialgefährlichkeit des begangenen Verbrechens, durch die Tatumstände und die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters eingeschränkt wird. Das "sozialistische Rechtsbewußtsein" verlangt eine Rechtsprechung im Sinne der Klassenjustiz!l. Soweit Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S.3. GaUas, Strafgesetzbuch, a. a. 0., Sammlung N.60, 1953, Fußnote 1. 18 Vgl. auch Schroeder, a. a. 0., S. 18 ff., Strogovitch, a. a. 0., 19 Maurach, Das Rechtssystem der UdSSR, a. a. 0., S.23. 16

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Vgl. Art. 45 (Anhang). Kraus, a. a. 0., S. 75.

S. X und S. 5, S. 53.

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nicht bindende Strafhöhen oder absolute Strafen festgesetzt sind, bestimmt der Richter die verwirkte Strafe nach seinem Ermessen, seinem "sozialistischen Rechtsbewußtsein". Im Zusammenhang damit kommt der Zweiteilung der Verbrechen nach Art. 66 in Verbrechen gegen die bolschewistische Staats- und Gesellschaftsordnung und in übrige Verbre'chen (nämlich in die Verbrechen gegen Rechtsgüter der Persönlichkeit) eine besQndere Bedeutung zu: Bei der ersten Gruppe darf der Richter unter ein gewisses Mindestmaß nicht heruntergehen; bei der zweiten Gruppe darf er ein gewisses Höchstmaß nicht überschreiten. Daraus ergibt sich die verschiedene Stellungnahme des Sowjetgesetzgebers zum richterlichen Ermessen. Ein sehr weites Ermessen ist dem Richter bei der einen Verbrechensgruppe eingeräumt, während es ihm bei der anderen Art bedeutend eingeschränkt ist. Dies erklärt sich unzweifelhaft aus der materialistis'chen Lehre, welche die verschiedene Verbrechensbewertung auch in der ungleichen Behandlung des richterlichen Ermessens zum Ausdruck kommen läßt22 • 4. S t r a fe r s c h wer u n g s g r ü n d e Die grundlegende Frage, die bei der Beurteilung der Straferschwerungsgründe zu beantworten ist, sucht das sowjetische Recht mit der Frage nach dem Grade der Sozialgefährlichkeit des Täters zu lösen (Art. 47, Abs. 1). An erster Stelle der mit erhöhter Strafe zu belegenden Verbrechen stehen dann natürlich jene, die si'ch die Wiederherstellung der Macht der Bourgeoisie zum Ziele machen. Daneben gelten als erschwerend alle die Umstände, welche die Interessen des Staates schädigen, ohne daß hierbei der Täter notwendigerweise eine solche Schädigung beabsichtigt23 • Straferschwerend wirkt fernerhin das Begehen eines Verbrechens durch eine Gruppe oder Sande2" das Begehen aus Gewinnsucht oder niedrigen Beweggründen25 , und endli'ch das Begehen des Verbrechens mit besonderer Grausamkeit, Gewalt oder List oder gegen Personen, die dem Täter unterstellt sind, ihm anvertraut sind oder infolge ihres Alters oder anderer Umstände besonders hilflos sind28 • 22

23 24

25 26

Krauss, a. a. 0., S. 76; vgl. auch Strogovitch, a. a. 0., S. 52 tI.

Art. Art. Art. Art.

47, Abs. 2, a) u. b). 47, Abs. 2, cl. 47, Abs. 2, cl. 47, Abs. 2, d).

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5. R ü c k fall Eine Novelle zu Art. 47 erklärt die wiederholte Verbrechensbegehung als strafschärfenden Umstand (Art. 47, Abs. 2, Cl). Diese Bestimmung bezieht sich gleichzeitig auf die Regelung des Rückfalls. Strafschärfend im Sinne des Rückfalls wirkt jede wiederholte Strafbegehung, sofern der Täter bereits vorbestraft war. Als nicht vorbestraft gelten die im Art. 55 aufgeführten Personengruppen (z. B. die vom Gericht freigesprochenen Personen; Personen, die sich während der vom Gericht festgesetzten Bewährungsfrist wohl verhalten haben usw.) und diejenigen Personen, bei denen seit Ausspruch des letzten gegen sie ergangenen Urteils bereits die Verjährungsfristen abgelaufen sind27 • Die Gewerbsmäßigkeit ist nicht als besonderer Strafschärfungsgrund vorgesehen. Sie wird sich allerdings aus ihrer erhöhten Sozialgefährlichkeit durch eine schärfere Bestrafung auswirken. Im Gesetze ist ausdrücklich festgelegt, daß bei Vorliegen eines geringen Grades der Sozialgefährlichkeit der Vortat eine Rückfallsbegründung - und damit eine strafschärfende Wirkung - außer acht gelassen werden kann28 • 6. S t r a f m i 1 der u n g s g r ü n d e

Nach Art. 48 wird als strafmildernd in Betracht gezogen, wenn der Täter in überschreitung der Notwehr oder zum ersten Male gehandelt hat, wenn er unter dem Einfluß einer Drohung, eines Zwanges oder eines dienstlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses gestanden hat; wenn er aus starker seelischer Erregung, aus Hunger oder Not handelte und wenn er durch schwierige Familienverhältnisse, durch Unwissenheit oder durch unglückliche Zufälle zur Tat gekommen ist. Strafmildernd gilt fernerhin die Minderjährigkeit und bei Frauen die Schwangerschaft. Drohung, Zwang, dienstliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit wirken strafmildernd dann, wenn durch sie die Deliktbegehung zwar verurs~cht jedoch nicht wegen eingetretenen Notstandes - gerechtfertigt ist. Hunger und Not wirken allgemein strafmildernd. Im sowjetrussischen Recht erübrigen sich deswegen besondere Tatbestände wegen Mundraubes, Notbetrugs, Notdiebstahls usw. Die Schwangerschaft gilt als Strafmilderungsgrund schlechthin. Es ist also nicht erforderlich, daß die Tatbegehung auf einen durch die 11 !8

Art. 14 und 15. Vgl. Krauss, a. a. 0., S. 78.

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Schwangerschaft hervorgerufenen Erregungszustand zurückzuführen ist. Die kasuistische Aufzählung der in den Artikeln 47 und 48 erwähnten Gründe mag allerdings - so wies man darauf hin2D - bei weniger gebildeten Richtern den Eindruck erwecken, daß nur bei Vorliegen dieser Gründe eine Strafänderung zu re'chtfertigen ist, nicht aber, wenn ähnliche - vom Gesetz nicht aufgezählte - Lebensumstände gegeben sind. In dieser Annahme mag der Richter bestärkt werden, wenn er im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches die vielen kasuistischen Abstufungen der Sanktionen nach besonders mildernden oder besonders erschwerenden Umständen findet. In diesen Fällen gelten die Bestimmungen der Art. 47 und 48 des Allgemeinen Teils nur subsidiär. 7. Außerordentliches Milderungsrecht und Absehen von Strafe Ein außerordentliches Milderungsrecht gilt gemäß Art. 51 in zwei Fällen, nämlich: (1) wenn das Gericht bei einer außergewöhnlichen Sachlage von der Notwendigkeit überzeugt ist, bei der Bemessung der "Schutzmaßnahmen" unter das Mindestmaß hinabzugehen, oder eine mildere Maßnahme anzuwenden, als die, welche der betreffende Artikel vorsieht; (2) wenn das Gericht zur Auffassung gelangt, daß der Angeklagte im Zeitpunkt der Untersuchung des Falles überhaupt nicht mehr als sozialgefährlich angesehen werden kann und deswegen keine "Maßnahmen des sozialen Schutzes" auf ihn anwendet. In jedem Falle ist das Gericht gehalten, die Beweggründe seiner Entscheidung im Urteil genau anzugeben. Keine "Schutzmaßnahmen" werden angewendet, wenn - gemäß Art. 8 - Taten, welche zur Zeit der Begehung ein Verbrechen darstellten, im Zeitpunkt der Verfolgung ihren sozialgefährlichen Charakter infolge einer Änderung des Strafgesetzes oder der politischen Lage verloren haben. 8. Ver b re c h e n s k

0

n kur ren z

Die Bestimmungen über die Verbrechenskonkurrenz sind in Art. 49 enthalten. Der Fall der gleichzeitigen Verletzung mehrerer Strafgesetze durch dieselbe Handlung des Täters (Idealkonkurrenz) und der Fall der mehrfachen Deliktsbegehung (Realkonkurrenz) werden gleich 20

Krauss, a. a. 0., S. 78 f.

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behandelt: maßgebend ist das Absorptionsprinzip. Der Richter hat für jede Straftat eine angemessene "Maßnahme des sozialen Schutzes" zu ermitteln und die endgültige "Maßnahme des sozialen Schutzes" nach dem Artikel festzusetzen, der das höchste Strafmaß und die härteste Strafe androht. Neben der Höchststrafe - der Hauptmaßnahme des sozialen Schutzes - ist das Gericht auch berechtigt, jede beliebige ergänzende Maßnahme (einschließlich der Konfiskation) anzuwenden, die in den Artikeln vorgesehen ist, nach denen sich die verschiedenen vom Schuldigen begangenen konkurrierenden Handlungen beurteilen30• Dem sowjetrussischen Recht fehlt eine Bestimmung, nach der bei Realkonkurrenz die schließlich verhängte Strafe die Summe der für die einzelnen Delikte bewirkten Strafe nicht überschreiten darf. Das richterliche Ermessen ist nur durch das Strafhöchstmaß des Artikels begrenzt, der angewendet wird. In einer mehrfachen Deliktsbegehung kann der Richter eine besondere Sozialgefährlichkeit des Täters erblicken31 • 9. An r e c h nun g der U n t e r s u c h u n g s h a f t Die Untersuchungshaft muß auf eine vom Gericht verhängte Freiheitsentziehung angerechnet werden (Art. 29, Abs. 1). Werden andere "Maßnahmen gerichtlich-bessernder Art" als Freiheitsentziehung angewandt, so sind diese Maßnahmen im Hinblick auf die erlittene Untersuchungshaft zu mildern oder es ist von ihrem Vollzug abzusehen (Art. 29, Abs. 2). Bei Verurteilung des Schuldigen zu Besserungsarbeit wird ein Tag Untersuchungshaft als drei Tage Besserungsarbeit angerechnet (Art. 29, Abs. 3).

30 Plenarbeschluß N. 23 des Obersten Gerichtshofes, 1929; nach Gallas, Strafgesetzbuch 1953, a. a. 0., Bemerkungen zu Art. 49. Vgl. auch SchToedeT, a. a. 0., S. 29 f. 31 Vgl. KTauss, a. a. 0., S. 81.

VIII. Polen Schrifttum Andrejew, 1., L. Lemell, J. Sawicki, Das Strafrecht der Volksrepublik Polen.

Grundriß des Allgemeinen Teils. Berlin 1950. (Zit.: Andrejew) Busch, Richard, Kritische Bemerkungen zum polnischen Strafgesetzbuch. ZStW Bd. 55 (1935), S. 621-641. Geilke, Georg, Die polnische Strafgesetzgebung seit 1944. Sammlung Nr. 70. Berlin 1955. Rappaport, Emile-Stanislas, Conrad Berezowski, Code Penal Polonais du 11 Juillet 1932 et Loi sur les Contraventions du 11 Juillet 1932. Paris o. J. (wahrscheinlich 1933). Schart!, Helmut, Quellen des polnischen Strafrechts. ZStW Bd. 65 (1953), S. 150-152. SUwowski, Georges, Le contröle du pouvoir d'appreciation du juge dans la determination des peines et des mesures de surete. Rev. int. de Droit pen. 1956, S. 260-275. Wirschubski, Gregor, Das polnische Strafgesetzbuch vom 11.7.1932 und die kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart. Diss. Leipzig 1933. 1. Grundlagen der Strafzumessung

In Polen gilt das Strafgesetzbuch vom 11.7.1932, das am 1. 9.1932 in Kraft trat1 • In seinen "Kritischen Bemerkungen zum polnischen Strafgesetzbuch" hatte Busch im Jahre 1935 tadelnd darauf hingewiesen, daß die Behandlung des richterlichen Ermessens einen Mangel aufweise, indem er schrieb: "An keiner Stelle des Gesetzbuches finden sich Richtlinien für die Auslegung und Rechtsanwendung, die von einer das gesamte Gesetzeswerk durchdringenden Weltanschauung getragen wären. "2 über den Mangel einer solchen den einzelnen Richter mit der politischen Führung verbindenden und auf ihre staatspolitischen Ziele verpflichtenden Weltanschauung wird heute allerdings wohl kaum Klage geführt werden können. Die Orientierung des polnischen Rechts am sowjetrussischen ist offensichtlich. Moderne polnische Autoren betonen den "Klassencharakter des Strafrechts in der 1 Vom 11. 7.1932 stammt auch die Verordnung über die Übertretungen: vgl. RappaportlBerezowski, a. a. 0., S. 1 ff. a Busch, a. a. 0., S. 641.

7 Sdlmidt, Sfrafzume88unc

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sozialistischen Gesellschaftsordnung". Dieses Strafrecht sei ein Recht, das sich auch "grundsätzlich qualitativ von dem Strafrecht der Ausbeuterstaaten vom Blickpunkt seiner Klasseninteressen, seines Inhalts sowie seiner Form unterscheidet "3. Nachkriegspolen hat sich ein völlig neues System des Strafrechts geschaffen. Die vor dem September 1939 erlassenen Strafvorschriften sind zwar gegenwärtig noch - dem Worte nach - verbindlich. Die in die alte Strafgesetzgebung eingefügten Änderungen aber haben einen "qualitativen Charakter"'; sie ändern das bisherige Strafrecht dem Wesen nach. In diesem Sinne gilt nunmehr das Strafgesetzbuch von 1932 zusammen mit der Strafprozeßordnung vom 13.9.1950 und einer Reihe andere strafrechtliche Nachkriegsvorschriften5 • Von besonderer Bedeutung sind durch Gesetz vom 27.4.1949 geschaffenen "Richtlinien für die Rechtsanwendung" (in Kraft seit 1. 7.1949)8. Diese "Richtlinien" - so wird in der modernen polnischen Literatur betont - seien keine bloßen Hinweise für die richterliche Interpretation, sondern selbständig neue Rechtsmaßnahmen. Nach Form und Inhalt mit den sowjetrussischen "Leitenden Grundsätzen für das Strafrecht der R.S.FS.R." vom 12.12.1919 und den "Grundsätzen der Strafgesetzgebung" vom 31.10. 19247 vergleichbar, sollen die "Richtlinien für die Rechtsanwendung" die Aufgaben der Strafrechtspolitik verwirklichen helfen und die Anwendung alter Strafrechtsnormen im neuen Geiste sichern. Die Aufgaben des heutigen polnischen Strafrechtes werden erblickt im Schutz des Staates und der werktätigen Massen vor Verbrechen, d. h. Taten, die in besonderer Weise gesellschaftsgefährdend sind (wobei es sich um eine Gesellschaftsgefährdung von solcher Stärke handeln muß, daß sie Grundlagen der Staatsordnung bedroht oder in einer wesentlichen Art die Rechtsordnung angreift) und in der Verwirklichung des Schutzes durch Verhängung von Strafen gegen Personen, die sich gesellschaftsgefährdend (verbrecherisch) verhalten habenS. 3 4

Andrejew, a. a. 0., S.17. Andrejew, a. a. 0., S. 20.

6 So z. B.: Dekret über die besonders in der Periode des Wiederaufbaues des Staates gefährlichen Straftaten vom 13. 6. 1946 (das sogenannte "Kleine Strafgesetzbuch"); Dekrete vom 15.8.1944, 22.1.1946 und vom 28.6.1946 gegen Kriegsverbrechen, Verräter und Kollaborateure; Gesetz zur Verteidigung des Friedens vom 29. 12. 1950. 8 Vgl. Scharff, a. a. 0., insbes. S. 152. 7 Vgl. den ersten Abschnitt des Berichtes über Sowjetrußland. S Vgl. Andrejew, a. a. 0., S. 17 ff., 22.

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2. A 11 gern ein e S t r a f zum e s s u n g s r e gel Das polnische Strafrecht ist gekennreichnet durch mäßig weite, bisweilen weite Strafrahmen9 • Dem richterlichen Ermessen ist ein weiter Spielraum zugestanden. Die allgemeinen Richtlinien, von denen der Richter sich bei der Bemessung der Strafe leiten lassen soll, sind in Art. 54 StGB niedergelegt; dieser Artikel lautet: "Das Gericht bemißt die Strafe nach freiem Ermessen; hierbei werden vor allem die Beweggründe des Täters, seine Handlungsweise, sein Verhältnis zu den Geschädigten, der Grad seiner geistigen Entwicklung, sein Charakter, sein Vorleben sowie sein Verhalten nach der Tat berücksichtigt." Art. 54 enthält vornehmlich Merkmale, die sich auf den Täter und dessen Psyche sowie auf sein Verhalten beziehen. Momente, die außerhalb der Täterpersönlichkeit liegen, bleiben unberücksichtigt. Auf Grund des Art. 54 entstand ein Streit darüber, ob diese Vorschrift die Bestimmung nach spezialpräventiven Gesichtspunkten oder auch nach generalpräventiven Gesichtspunkten erlaube. Von manchen Kommentatoren (Makarewicz) wurde die Auffassung vertreten, daß nach Art. 54 nur auf spezialpräventive Wirkungen Rücksicht zu nehmen sei. Das Oberste Gericht entschied jedoch, daß die im Art. 54 verwirkten Kriterien nur den Charakter von Beispielen haben ("hierbei werden vor allem"). Deswegen sei das Gericht in der Lage und verpflichtet, andere als die im Art. 54 angegebenen Umstände zu beachten, so daß also das Gericht bei der Bemessung der Strafe Momente der Generalprävention berücksichtigen kann und solpo. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts wurde schließlich in Art. 404 der im April 1949 novellierten Strafprozeßordnung bestimmt, daß das Revisonsgericht den Teil, welcher die Strafe betrifft, ändern kann, " ... wenn die Revision grundsätzlich bemängelt, daß die Strafe zu der gesellschaftlichen Schädlichkeit der Straftat in keinem Verhältnis steht .. ". Art. 404 StPO ändert damit den Art. 54 StGB und unterwirft diesen einer grundsätzlichen Revison. Das Strafmaß soll durch die "gesellschaftliche Schädlichkeit der Handlung" bestimmt werden. Als "gesellschaftlich schädlich" gilt eine Handlung in dem Maße, in welchen sie die Interessen der volksdemokratischen Republik gefährdet. Vom Blickpunkt der "gesellschaftlichen Schädlichkeit der Handlung" hat das Gericht bei der Strafzumessung (gemäß Art. 404 StPO) die Gesamtheit der objektiven und subjektiven Umstände zu berücksichtigen. U So ist z. B. für Totschlag gemäß Art. 225 §§ 1-2 StGB 6 Monate Gefängnis bis lebenslängliches Gefängnis - ja sogar die Todesstrafe - vorgesehen; für Diebstahl kann nach Art. 257 §§ 1-2 StGB eine Strafe von einer Woche Haft bis zu 5 Jahren Gefängnis verhängt werden. (Das Gericht kann nach eigenem Ermessen die Merkmale des geringfügigen Diebstahls bestimmen). 10 Andrejew, a. a. 0., S. 223; Sliwowski, a. a. 0., S. 265 ff.

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Ohne Zweifel dient auch die Bestimmung des Art. 81 StPO den Zwecken der Strafzumessung: diese Vorschrift bestimmt, daß während des Strafverfahrens Angaben über den Angeklagten einzuholen sind, die - unter anderem - seine gesellschaftliche Herkunft und seine Klassenzugehörigkeit betreffen. Hinweise für die Strafzumessungl1 erhält der Richter gleichfalls aus Art. 55 StGB, der - dem Grundsatz der Individualisierung der Strafe Ausdruck gebend - verfügt, daß "besonders, das Strafmaß beeinflussende Umstände nur bei Personen zu berücksichtigen sind, bei denen sie vorliegen". Das freie richterliche Ermessen wird im Falle des Art. 57 § 1 eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift muß das Gericht, sofern es eine Straftat mit Gefängnis oder Haft ahnden kann, Gefängnis verhängen, wenn der Täter aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat. In Art. 56 und 57 sind Hinweise für die Bemessung der Geldstrafe enthalten. Bei den sehr weiten Strafrahmen soll das Gericht vor allem die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters berücksichtigen. Wenn gemäß Art. 57 § 2- dem Gericht die Wahl zwischen einer Freiheitsstrafe (Gefängnis oder Haft) und Geldstrafe gegeben ist, soll die Frage der Zweckmäßigkeit der Verhängung einer Geldstrafe im Hinblick auf die eine "dialektische Einheit" bildende Generalprävention und Spezialprävention entschieden werden1!. 3. S t r a fm i I der u n g, S t r a f sc h ä r fun g , außerordentliche Strafmilderung und außerordentliche Strafschärfung

Das Strafgesetzbuch von 1932 kennt keine katalogartige Aufzählung von Milderungs- und Schärfungsgründen. Diese sind nicht im Abschnitt "Strafzumessung"13 aufgeführt, sondern im Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafgesetzbuches verstreut14, 15. 11 Vgl. auch die bei Geilke, a. a. 0., S.57-83 abgedruckten Gesetzgebungsakte betr. Die Strafzumessung und Strafvollstreckung: 1. Ges. v. 31. 10. 1951 über die bedingte vorzeitige Entlassung von Personen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen. 2. Ges. vom 22.2. 1947 betr. Amnestie. 3. Ges. vom 22.11. 1952 betr. Amnestie. 4. Dekr. v. 16.12.1945 über das standrechtliche Verfahren. 5. Dekr. v. 22. 10. 1947 über den Vermögensverfall. 6. Dekr. v. 26.4. 1948 über die Erhöhung der Zwangsgelder, Geld-, Ordnungsstrafen und Auflagen. 1Z Andrejew, a. a. 0., S. 234 und 236. 13 Kapitel VIII, Art. 54-60. 14 In der Literatur wird nicht immer zwischen allgemeinen Milderungs(Erschwerungs-)gründen und außerordentlichen Milderungs- (Erschwerungs-)

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Der Allgemeine Teil enthält folgende (außerordentliche) Milderungsgründe: (1) verminderte Zurechnungsfähigkeit (Art. 17 § 2); (2) entschuldbare Unkenntnis der Rechtswidrigkeit (Art. 20 § 2); (3) Überschreitung der Notwehr (Art. 21 § 2) (4) überschreitung des Notstandes (Art. 22 § 4) (5) untauglicher Versuch (Art. 24 § 2) (6) Erfolglosigkeit der Anstiftung und Beihilfe (Art. 29 § 2) (7) tätige Reue des Anstifters und Gehilfen (Art. 30 § 2). Im Besonderen Teil sind genannt: (1) Bei Meineid: wenn sich die Unwahrheit der Aussage auf einen für die Entscheidung unwesentlichen Punkt bezog (Art. 142 § 1) oder bei rechtzeitigem Widerruf (Art. 142 § 2) (2) Notunterschlagung (Art. 262 § 4) (3) Bagatell-Sachbeschädigung (Art. 263 § 2) (4) Minderjährigkeit (Art. 76) (5) tätige Reue im Falle der Herbeiführung einer allgemeinen Gefahr (Art. 220). Art. 59 bestimmt die Grenzen, innerhalb derer die Strafe durch außerordentliche Strafmilderung herabgesetzt werden kann; es tritt (a) an Stelle der Todesstrafe oder lebenslangen Gefängnisses Gefängnis von 5-15 Jahren; (b) an Stelle von Gefängnis über 5 Jahre Gefängnis von 6 Monaten bis zu 5 Jahren oder Haft von 7 Tagen bis zu 5 Jahren; (c) an Stelle von Gefängnis bis zu 5 Jahren Haft von 7 Tagen bis zu 5 Jahren; (d) an Stelle von Haft Geldstrafe. In einigen Fällen18 kann das Gericht von Strafe absehen. Das Gericht muß von Strafe absehen, wenn ein Teilnehmer einer unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlung17 in tätiger Reue rechtzeitig der Behörde Anzeige erstattet. Einer allgemeinen Strafschärfung unterliegen Taten, die aus Gewinnsucht begangen worden sind (Art. 42 § 2) und ferner Taten von Rückgründen unterschieden. Andrejew, a. a. 0., S. 236 ff. und Wirschubski, a. a. 0., S. 28 ff. Eine dem Art. 51 des sowjetrussischen Rechtes ähnliche Bestimmung über ein allgemeines außerordentliches Milderungsrecht ist im polnischen Recht nicht vorhanden. 15 Vgl. auch Sliwowski, a. a. 0., S. 270 f. 16 Erfolglosigkeit der Anstiftung oder Beihilfe, rechtzeitiger Widerruf des Meineids u. a. m. 17 Darunter fallen: Teilnehmer einer Verabredung, welche (a) hochverräterische Ziele verfolgt (Art. 97 § 2) oder (b) auf Münz- oder Wertpapierfälschung gerichtet ist (Art. 180 § 2) oder (c) die Herbeiführung einer Gemeingefahr (Art. 219 § 2) bezweckt.

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fälligen, Gewohnheits- oder Berufsverbrechern (Art. 60 § 1 und § 2). Eine außerordentliche Verschärfung der Strafe ist gemäß Art. 291 bei den Straftaten vorgesehen, die ein Beamter während seiner Amtsführung oder in Zusammenhang mit ihr begangen hat (z. B. Mißbrauch der Amtsgewalt, Annahme von Bestechungsgeldern usw.). Ist der Tatbestand des Art 42 § 2 verwirklicht, so muß das Gericht zu der im Gesetz vorgesehenen Freiheitsstrafe (Gefängnis oder Haft) eine Geldstrafe hinzufügen, auch wenn die Geldstrafe nicht in der Vorschrift des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches vorgeschrieben ist. In den Fällen der Art. 60 und 291 kann das Gericht die Strafe um die Hälfte des Höchstbetrages des ordentlichen Strafrahmens erhöhen und das Gericht muß dort, wo es die Wahl zwischen einer Gefängnisund Haftstrafe hat, Gefängnisstrafe verhängen. 4. Rückfall Gemäß Art. 60 liegt nach polnischem Recht Rückfall vor, wenn der Vorbestrafte eine neue Straftat aus denselben oder gleichartigen Beweggründen oder die gleiche Tat wie vorher begangen hat. Außer den Erfordernissen der Gleichartigkeit der Beweggründe oder Gleichartigkeit der Straftaten macht das Strafgesetzbuch18 die Erhöhung der Strafel l noch von folgenden Umständen abhängig: (1) die Vorstrafe muß ganz oder teilweise verbüßt worden sein; (2) die neue Straftat muß innerhalb von 5 Jahren nach Verbüßung der ersten Strafe im Inlande oder im Auslande (oder auch nach Entlassung aus einer Sicherungs anstalt) begangen worden sein. 5. Verbrechenskonkurrenz Im polnischen Recht werden Realkonkurrenz und Idealkonkurrenz in gleicher Weise behandelt. Beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen wird - unter Berücksichtigung der für die einzelnen Taten verwirkten Strafen - eine Gesamtstrafe gebildet. Diese Gesamtstrafe darf nicht geringer sein als die für eine der zusammentreffenden Straftaten verwirkte Höchststrafe; sie darf nicht den Gesamtbetrag der verwirkten Strafen überschreiten und sie darf auch das höchste Strafmaß der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat um nicht mehr als die Hälfte und das gesetzliche Höchstmaß der betreffenden Strafart nicht übersteigen. Im Falle der Verurteilung zu Gefängnis 18 Art. 60 § 1 und § 2; vgl. auch Andrejew, a. a. 0., S. 238/239, Wirschubski, a. a. 0., S. 35/36. 18 Sie darf die Hälfte des Strafmaximums des ordentlichen Strafrahmens nicht überschreiten.

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und Haft wird eine auf Gefängnis lautende Gesamtstrafe gebildet, wobei zwei Tage Gefängnis drei Tagen Haft entsprechen (Art. 31). Bei gleichzeitiger Verurteilung wegen mehrerer strafbarer Handlungen zu Geldstafen gelten die gleichen Grundsätze (Art. 32). Treffen Freiheitsund Geldstrafen zusammen, so wird in der Gesamtstrafe die Freiheitsund Geldstrafe gesondert. Bei Verhängung der Todesstrafe darf auf keine weitere Hauptstrafe erkannt werden (Art. 33); auf Nebenstrafen und Sicherungsmaßregeln kann dagegen auch erkannt werden, wenn sie nur für eine der zusammentreffenden strafbaren Handlungen verhängt werden. Treffen Nebenstrafen zusammen, die sich auf den Verlust von Rechten derselben Art beziehen, so regelt sich ihre Anwendung nach den Vorschriften des Art. 31 (vgl. Art. 34). Die Bildung der Gesamtstrafe ist also im polnischen Recht durch ein Minimum und drei Maxima begrenzt2o • Eine Gesamtfreiheitsstrafe und - gesondert - eine Gesamtgeldstrafe wird für den Fall verhängt, daß Straftaten zusammentreffen, von denen eine mit Freiheitsstrafe, die andere mit Geldstrafe bedroht ist. Wenn jedoch eine der zusammentreffenden Straftaten mit einer kumulativen Freiheits- und Geldstrafe bedroht ist, so berücksichtigt das Gericht beide Strafen in den getrennten Gruppen (Art. 32-35) Im polnischen Strafrecht treffen mehrere Prinzipien zusammen, die bei der Behandlung der Verbrechenskonkurrenz üblich sind: Absorption, Kumulation und Asperation sind möglich. Die Gesamtstrafe darf nicht höher sein als das um die Hälfte vermehrte Strafmaximum der mit der strengsten Strafe bedrohten Straftat. Dieses Strafmaximum + 1/2 darf wiederum das höchste gesetzliche Strafmaß nicht überschreiten, das für die gegebene Art der Strafe vorgesehen ist; also: für Gefängnis 15 Jahre (wenn die gesetzliche Straf