Die Stimme des Erzählens: Mittelalterliche Buchkultur und moderne Narratologie [1 ed.] 9783737005920, 9783847105923

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Die Stimme des Erzählens: Mittelalterliche Buchkultur und moderne Narratologie [1 ed.]
 9783737005920, 9783847105923

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Seraina Plotke

Die Stimme des Erzählens Mittelalterliche Buchkultur und moderne Narratologie

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0592-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Fonds zur Förderung der Geisteswissenschaften der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel. © 2017, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Codex Sangallensis 857, p. 561

Für Alexander

Inhalt

0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stimme des Erzählens, oder: Positionen der ›klassischen‹ Erzähltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Käte Friedemann: Die Rolle des Erzählers in der Epik (1910) . . . . Percy Lubbock: The Craft of Fiction (1921) . . . . . . . . . . . . . . Franz K. Stanzel: Die typischen Erzählsituationen im Roman (1955) Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung (1957) . . . . . . . . . . . Wayne C. Booth: The Rhetoric of Fiction (1961) . . . . . . . . . . . Gérard Genette: Discours du récit (1972) und Nouveau discours du récit (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzähler und ihre frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

19 19 25 30 33 39 45 52 59

2. Paratextuelle Rahmung und mittelalterliche Manuskriptkultur .

63

3. Gegenprobe: Das antike Buchwesen als autorzentrierte Handschriftenkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

4. Mittelalterliche Handschriftenkultur und Autorschaft . . . . . .

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5. Die Stimme des Erzählens im ›Herzog Ernst B‹ . . . . . . . . . . Gegenprobe: Die Stimme des Erzählens im ›Ernestus‹ Odos von Magdeburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 117

8 6. Die Stimme des Erzählens im Eneasroman Heinrichs von Veldeke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Stimme des Erzählens im altfranzösischen ›Roman d’Enéas‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrichs von Veldeke Eneasroman . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

127 128 137

7. Die Stimme des Erzählens im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue . . . Exkurs: Die Stimme des Erzählens im ›Yvain‹ Chrétiens de Troyes . Hartmanns von Aue ›Iwein‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 165 179

8. Die Stimme des Erzählens im ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

9. Die Stimme des Erzählens im ›Alexander‹ Rudolfs von Ems . . .

223

10. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 253 255

0.

Einleitung

Seit den Anfängen moderner narratologischer Theoriebildung bei Henry James1 und Käte Friedemann2 steht die Instanz des Erzählers im Fokus des Interesses, weil sich in ihr die Vorstellung aller Vermitteltheit von Narration kondensiert. Nicht nur die aus der Romanforschung hervorgegangenen Entwürfe von Franz K. Stanzel3 oder Käte Hamburger4, sondern auch die strukturalistisch angelegten Modelle Gérard Genettes5 und Mieke Bals6 zielen wesentlich auf die Konstituierung einer analytischen Konzeption des Erzählers. Vor allem in der Auseinandersetzung mit Erzählformen des 19. und 20. Jahrhunderts entwickeln sie klassifizierende Instrumentarien, um die Bedingungen, die strukturellen Merkmale und die Grundoperationen des Erzählens, genauer: erzählender Texte zu erfassen, wobei die Analyse der Erzählerinstanz mit derjenigen des Erzählvorganges und der Erzählperspektive einhergeht, zudem als grundsätzliches Problem das Verhältnis 1 Vgl. Henry James, The art of the novel. Critical prefaces, with an introduction by R. P. Blackmur, and a new foreword by Colm Tóibín, Chicago 2011 [die erste Sammelausgabe der Prefaces erfolgte 1909]. 2 Vgl. Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910. 3 Vgl. Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955. 4 Vgl. Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957. 5 Vgl. Gérard Genette, »Discours du récit«, in: ders., Figures III, Paris 1972, S. 67–273; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 9–176. 6 Vgl. Mieke Bal, De theorie van vertellen en verhallen, Muiderberg 1980, engl.: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, trans. by Christine van Boheemen, Toronto 1985.

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Einleitung

von Autor und Erzähler verhandelt wird, so einschlägig von Wolfgang Kayser7 oder – anders gewendet – von Wayne C. Booth8. Die Theoriebildung ist dabei hauptsächlich durch die zeitgenössischen literarischen Untersuchungsgegenstände selbst geprägt. Erzählen ist seinem Ursprung nach ein Phänomen der Mündlichkeit. Die Narratologie als wissenschaftliche Disziplin hat sich jedoch vornehmlich an modernen Texten abgearbeitet, welchen diese Charakteristik im Wesentlichen abhanden gekommen ist.9 Mittelalterliches Erzählen bewegt sich viel stärker im Spannungsfeld von Oralität und Literalität.10 Insofern stellt sich 7 Vgl. Wolfgang Kayser: »Wer erzählt den Roman?«, in: Neue Rundschau 68 (1957), S. 444–459. 8 Vgl. Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction, Chicago 1961, dt.: Die Rhetorik der Erzählkunst, übers. v. Alexander Polzin, 2 Bde., Heidelberg 1974. 9 Narratologie als wissenschaftliche Theorie des Erzählens bildete sich, trotz des vom Begriffsurheber Todorov als Modell herangezogenen ›Decamerone‹, auf der Basis neuzeitlicher erzählender Texte und deren nichthistorischer Lektüreweisen heraus (dazu mehr unten). Zur begrifflichen Prägung der ›Narratologie‹ siehe Tzvetan Todorov, Grammaire du ›Décaméron‹, Paris 1969, S. 10. Der Begriff hat sich sowohl im Englischen als auch im Französischen durchgesetzt, um Erzähltheorie bzw. Erzählforschung unterschiedlichster Art zu fassen, wird auch im Zusammenhang erzähltheoretischer Modelle verwendet, die älter sind als Todorovs Begriffsprägung. Auch im Folgenden wird ›Narratologie‹, vergleichbar mit dem englischen und dem französischen Gebrauch, ganz allgemein und synonym mit ›Erzähltheorie‹ verwendet. 10 Dies betrifft sowohl die Produktions- als auch die Rezeptionsseite. Grundsätzlich und einschlägig zum Problemkomplex von Oralität und Literalität (mit je unterschiedlicher Perspektivierung): Walter J. Ong, Orality and literacy. The technologizing of the word, London 1982, dt.: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, aus dem Amerikanischen übers. von Wolfgang Schömel, Opladen 1987; Paul Zumthor, Introduction à la poésie orale, Paris 1983, dt.: Einführung in die mündliche Dichtung, aus dem Franz. übers. v. Irene Selle, durchges. v. Jacqueline Grenz, Berlin 1990; Paul Zumthor, La poésie et la voix dans la civilisation médiévale, Paris 1984, dt.: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französ. übers. v. Klaus Thieme, München 1994; Peter Koch/Wulf Oesterreicher, »Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte«, in: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15–43; Paul Zumthor, La lettre et la voix. De la ›littérature‹ médiévale, Paris 1987; Ursula Schaefer, Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1992; Wulf Oesterreicher, »›Verschriftung‹ und ›Verschriftlichung‹ im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit«, in: Ursula Schaefer (Hg.), Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, Tübingen 1993, S. 267–292; Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994; Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im

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die grundlegende Frage: Wie sieht eine historische Narratologie aus, die ihre Begrifflichkeiten und ihre Analysemodelle anhand mittelalterlicher Texte gewinnt?11 Gerade die Erzählinstanz als zentrale operative Größe erweist sich hier als Schlüssel der Herangehensweise.12 Eine maßgebende Rolle Mittelalter, München 1995; Harald Haferland, Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität. Heldendichtung im deutschen Mittelalter, Göttingen 2004. Weiterführend etwa auch die Sammelbände: Christine Ehler/Ursula Schaefer (Hg.), Verschriftung und Verschriftlichung. Aspekte des Medienwechsels in verschiedenen Kulturen und Epochen, Tübingen 1998; Mark Chinca/Christopher Young (Hg.), Orality and literacy in the Middle Ages. Essays on a conjunction and its consequences in honour of D. H. Green, Turnhout 2005. 11 Aspektreiche Überlegungen präsentieren jüngst etwa: Harald Haferland/Matthias Meyer (Hg.), Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven, Berlin/New York 2010; Armin Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, hg. v. Manuel Braun, Alexandra Dunkel u. Jan-Dirk Müller, Berlin 2012; Hartmut Bleumer, »Historische Narratologie«, in: Christiane Ackermann/Michael Egerding (Hg.), Literatur- und Kulturtheorie in der Germanistischen Mediävistik, Berlin 2015, S. 213–274; Gert Hübner, »Historische Narratologie und mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 56 (2015), S. 11–54. Als Desiderat schon formuliert von: Ansgar Nünning, »Towards a Cultural and Historical Narratology: A Survey of Diachronic Approaches, Concepts, and Research Projects«, in: Bernhard Reitz/Sigrid Rieuwerts (Hg.), Anglistentag 1999 Mainz. Proceedings of the Conference of the German Association of University Teachers of English, Bd. 21, Trier 2000, S. 345–373; Monika Fludernik, »The Diachronization of Narratology«, in: Narrative 11/3 (2003), S. 331–348. Als frühe germanistische Arbeit ist zu nennen: Ralf Simon, Einführung in die strukturalistische Poetik des mittelalterlichen Romans, Würzburg 1990. Wenig ertragreich ist: Evelyn Birge Vitz, Medieval Narrative and Modern Narratology. Subjects and Objects of Desire, New York 1989. 12 Möglichkeiten der Historisierung narratologischer Theoreme mit Fokus auf die Erzählinstanz diskutieren am Beispiel altfranzösischer Literatur: John L. Grigsby, »Narrative Voices in Chrétien de Troyes. A Prolegomenon to Dissection«, in: Romance Philology 32/3 (1979), S. 261–273; Roberta L. Krueger, »The Author’s Voice. Narrators. Audience and the Problem of Interpretation«, in: Norris J. Lacy/Douglas Kelly/Keith Busby, The Legacy of Chrétien de Troyes, 2 Bde., Amsterdam 1987, Bd. 1, S. 115–140; David Hult, »Author/Narrator/Speaker. The Voice of Authority in Chrétien’s ›Charrete‹«, in: Kevin Brownlee/Walter Stephens (Hg.), Discourses of Authority in Medieval and Renaissance Literature, Hanover/London 1989, S. 76–96; David Staines, »Chrétien de Troyes and His Narrator/s«, in: Robert A. Taylor [u. a.] (Hg.), The Center and its Compass. Studies in Medieval Literature in Honor of Professor John Leyerle, Kalamazoo 1993, S. 415–456; Sophie Marnette, Narrateur et points de vue dans la littérature française médiévale. Une approche linguistique, Bern 1998; zudem die Beiträge im Band: Sophie Marnette/Helen Swift (Hg.), Les voix narratives du récit médiéval: Approches linguistiques et littéraires. Cahiers de Recherches Médiévales et Humanistes 22

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spielt dabei die Berücksichtigung der unterschiedlichen medialen Bedingungen des Mittelalters und der Neuzeit, die sich nicht nur im differenten Stellenwert der Oralität äußern, sondern vor allem auch in einem völlig anders gearteten Buchwesen. Was die systemische Unterscheidung von Autor und Erzähler anbelangt, fokussieren die diversen erzähltheoretischen Modelle ihre Untersuchungsgegenstände fast ausschließlich in der Präsentationsform des modernen Buches mit seinen konstituellen Parametern (wie den mit der Buchpublikation selbst verbundenen Paratexten, der Literaturkritik, den journalistischen und wissenschaftlichen Diskursen etc.). Die Erzähltheorie kategorisiert in der Regel werkimmanent, ohne die spe-

(2011). Am Beispiel englischer Texte widmen sich diesem Themenkomplex etwa: A[nthony] C. Spearing, Textual Subjectivity. The Encoding of Subjectivity in Medieval Narratives and Lyrics, Oxford 2005; A[nthony] C. Spearing, Medieval Autographies. The ›I‹ of the Text, Notre Dame 2012; A[nthony] C. Spearing, »What is a Narrator? Narrator Theory and Medieval Narratives«, in: Digital Philology: A Journal of Medieval Cultures 4/1 (2015), S. 59–105; Eva von Contzen, The Scottish legendary. Towards a poetics of hagiographic narration, Manchester 2016, S. 53–86; Eva von Contzen, »Narrative and Experience in Medieval Literature. Author, Narrator, and Character Revisited«, in: Eva von Contzen/Florian Kragl (Hg.), Narratologie und mittelalterliches Erzählen. Autor, Erzähler, Perspektive, Zeit und Raum, Das Mittelalter: Beihefte, Berlin [erscheint voraussichtlich 2018]. Mit spezifisch germanistischer Perspektive lassen sich etwa nennen: Corinna Laude, »Maskierungen. Erzählinstanzen (in) der mittelalterlichen Epik«, in: Renate Schlesier/Beatrice Trînca (Hg.), Inspiration und Adaptation. Tarnkappen mittelalterlicher Autorschaft, Hildesheim 2008, S. 111–138; Corinna Laude, »›Hartmann‹ im Gespräch – oder: Störfall ›Stimme‹. Narratologische Fragen an die Erzählinstanz des mittelalterlichen Artusromans (nebst einigen Überlegungen zur Allegorie im Mittelalter)«, in: Julia Abel/Andreas Blödorn/Michael Scheffel (Hg.), Ambivalenz und Kohärenz. Untersuchungen zur narrativen Sinnbildung, Trier 2009, S. 71–91; Sonja Glauch, »Ich-Erzähler ohne Stimme. Zur Andersartigkeit mittelalterlichen Erzählens zwischen Narratologie und Mediengeschichte«, in: Harald Haferland/Matthias Meyer (Hg.), Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven, Berlin/New York 2010, S. 149–185; Katharina Philipowski, »Autodiegetisches Erzählen in mittelhochdeutscher Literatur oder: Warum mittelalterliche Erzähler singen müssen, um von sich erzählen zu können«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 132 (2013), S. 321–351; Katharina Philipowski, »Die Zeit der ersten Person. Warum IchErzählungen keine Wiedergebrauchsrede sind und wozu man sie deshalb gebrauchen kann – am Beispiel von ›Des Spiegels Abenteuer‹ Hermanns von Sachsenheim«, in: Iulia-Emilia Dorobantu/Jacob Klingner/Ludger Lieb (Hg.), Zwischen Anthropologie und Philologie. Beiträge zur Zukunft der Minneredenforschung, Heidelberg 2014, S. 71– 109.

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zifischen produktions- und rezeptionsästhetischen Bedingungen sowie ihre historischen und medialen Variablen zu problematisieren. Dass literarische Kommunikation – gerade bei volkssprachigen Erzähltexten – im Hochmittelalter wesentlich anders geregelt war als in der Moderne, wird allein mit Blick auf die damalige Manuskriptkultur deutlich. Insofern liegt die Überlegung nahe, dass die auf der Grundlage der modernen Buchwelt und ihrer kommunikativen Rahmenbedinungen entwickelte erzähltheoretische Begriffsbildung mittelalterlicher Narration gar nicht beizukommen vermag. Aus diesem Grund fragt die folgende Studie nach der Konstituierung der Erzählinstanzen in mittelalterlichen Narrativen auf der Basis der damaligen Buch- und Bildungskultur. Zur literatursoziologischen Alterität13 des Mittelalters gehört, dass die Rezipienten volkssprachiger Erzähltexte häufig illiterat waren, so dass sie die betreffenden Werke nicht selbst lasen, sondern in der Vortragssituation auditiv aufnahmen.14 Während zur erzähltheoretischen Prämisse aller Vermitteltheit von Narration in der Moderne in aller Regel gerade kein entsprechendes Pendant in der Rezeptionssituation existiert, weil sich der Leseakt meist unvermittelt in der persönlichen Lektüre ereignet,15 bedurften volks13 Die Vorstellung von der ›Alterität des Mittelalters‹ ist in der mediävistischen Forschung so geläufig wie umstritten (siehe grundsätzlich und weiterführend: Hans Robert Jauß, »Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur«, in: ders., Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956–1976, München 1977, S. 9–47; Peter Strohschneider, »Alterität«, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin/New York 1997, S. 58/59; Christian Kiening, »Alterität und Methode. Begründungsmöglichkeiten fachlicher Identität«, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 52 (2005), S. 150–166; Martin Baisch, »Alterität und Selbstfremdheit. Zur Kritik eines zentralen Interpretationsparadigmas in der germanistischen Mediävistik«, in: Klaus Ridder/Steffen Patzold (Hg.), Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität, Berlin 2013, S. 185–206; zudem etwa auch jüngst die Sammelbände: Anja Becker/Jan Mohr (Hg.), Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren, Heidelberg 2012; Manuel Braun (Hg.), Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität, Göttingen 2014). Wie zu zeigen sein wird, eignet sich der Begriff der Alterität ganz gut, um die spezifische Differenz nicht nur zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem (resp. modernem), sondern auch zwischen antikem und mittelalterlichem Buchwesen zu fassen. 14 Dazu mehr unten. 15 Die Erzähler als Vermittler lassen sich in diesem Fall mit Roland Barthes als »êtres de papier« bezeichnen (Roland Barthes, »Introduction à l’analyse structurale des récits«,

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sprachige, schriftlich festgehaltene Narrative im Mittelalter für einen nicht unwesentlichen Teil des Publikums notwendig eines Deklamators oder Rezitators, der den Erzähltext durch den Vortrag zu Gehör brachte und damit den Rezeptionsprozess überhaupt erst ermöglichte.16 Erzählerische Vermittlung entsprach damit jenseits der reinen Darstellungstechnik einer schlichten kommunikativen Notwendigkeit und erhielt im Darbietungsakt selbst eine performative Dimension, wie sie moderner Erzählliteratur gemeinhin fehlt.17 Hand in Hand mit dieser Differenz der Rezeptionsbedingungen geht der Umstand, dass zur medialen Präsentation des literarischen Artefakts in der neuzeitlichen Buchkultur Paratexte gehören, die Informationen zum Werk liefern und insbesondere strukturelle Metadaten wie Angaben zur Autorschaft kommunizieren, so dass sich das Verhältnis von Autor und Erzähler immer schon vor diesem Hintergrund zeigt. Die mittelalterliche kodikale Werkpräsentation basiert in vielen Fällen nicht auf verbalen Paratexten. Vielmehr (und viel häufiger) mussten basale Parameter des jeweiligen Texttyps und auch die literarischen Produktions- und Vermittlungsinstanzen primär textintern aufgebaut und dabei in ihrem funktional differenzierten Zusammenspiel jeweils explizit ausgehandelt oder zumindest thematisiert werden. Statt einer stabilen Hierarchie der Autor/ErzählerDifferenz, wie sie von den meisten narratologischen Analysemodellen auf der Grundlage des modernen Buchwesens postuliert wird, präfigurieren mittelalterliche Erzählformen den Akt ihrer Darbietung und Rezeption durch erzählerische Einschaltungen sowohl kompositorischer wie diskur-

in: Communications 8 (1966), S. 1–27, hier S. 19). Doch kann der Aspekt auditiver Rezeption mit Blick auf moderne Literatur durchaus auch eine Rolle spielen, dazu einschlägig etwa: Reinhart Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001. Jüngst mit perspektivenreicher Anlage: Britta Herrmann (Hg.), Dichtung für die Ohren. Literatur als tonale Kunst in der Moderne, Berlin 2015. 16 Vgl. grundlegend: Zumthor, Die Stimme und die Poesie; Schaefer, Vokalität. Was jüngere germanistische Arbeiten angeht, sind mit je eigener Konturierung der Problematik zu nennen: Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009; Matthias Däumer, Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane, Bielefeld 2013. 17 Siehe zur performativen Dimension insbesondere Däumer, Stimme im Raum.

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siver Art.18 Diese Manifestationen von Erzählverhalten haben ihre funktionale Basis darin, einen nicht paratextuell abgestützten Kommunikationsraum des Erzählens durch textinterne Manöver allererst zu erzeugen. Letzten Endes setzen die aus der Romanforschung und dem Strukturalismus erwachsenen terminologischen Modelle eine textimmanente und den historisch-kulturellen Differenzen enthobene Herangehensweise an die Gegenstände voraus; diese soll hier aufgebrochen werden, indem die Instrumente narratologischer Strukturanalyse über den Funktionsaspekt der (fehlenden bzw. zu kompensierenden) Paratextualität in Bezug zur Alterität mittelalterlicher Buchkultur gesetzt werden. Im Zentrum der Analyse stehen fünf mittelhochdeutsche Texte, die im späten 12. sowie in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sind. Die Auswahl ist darin begründet, dass die zu beleuchtenden Beispiele einerseits aus ganz verschiedenen Stofftraditionen stammen und entsprechend ein breites Spektrum der damaligen Erzählliteratur abdecken, andererseits aber auch jeweils unterschiedliche Typen von Erzählerkonfigurationen abbilden, wie zu zeigen sein wird. Es handelt sich um: den sogenannten ›Herzog Ernst B‹, den Eneasroman Heinrichs von Veldeke, Hartmanns von Aue ›Iwein‹, Wolframs von Eschenbach ›Willehalm‹ sowie Rudolfs von Ems ›Alexander‹. Gerade unter dem Aspekt des Verhältnisses von Produktions- und Narrationsinstanz manifestieren sich in ihnen je differente Gemengelagen, die mit Blick auf die diversen Stofftraditionen, denen sie angehören, nochmals an Virulenz gewinnen. Der in verschiedenen mittelhochdeutschen und lateinischen Bearbeitungen tradierte Erzählstoff von Herzog Ernst verbindet Elemente der deutschen Reichsgeschichte mit Motiven des Kreuzzugsgeschehens. Das Verhältnis von lateinischen und volkssprachigen Versionen ist nicht abschließend geklärt, doch geht die mediävistische Forschung davon aus, dass die beiden ältesten erhaltenen Versionen die mittelhochdeutschen Fassungen A und B sind – wobei erstere nur fragmentarisch tradiert ist – und die lateinischen Texte auf den deutschsprachigen basieren. Vor diesem 18 Mit besonderer Fokussierung auf die Kategorie ›Autorschaft‹ behandelt diese Problemstellung: Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010.

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Hintergrund gewinnt die Frage nach der Konstituierung der Erzählinstanzen gerade in der Gegenüberstellung von volkssprachigen und lateinischen Bearbeitungstendenzen an Brisanz, zumal sich lateinische Texte in der Regel an ein literates Publikum richteten, da sie ohne die betreffenden Sprachkenntnisse, die man im Hochmittelalter meist im Rahmen des klerikalen Schulunterrichts Hand in Hand mit der Lesefähigkeit erwarb, gar nicht verstanden werden können. Ein weiterer signifikanter Gesichtspunkt ist mit der Tatsache gegeben, dass es sich bei der antikisierenden Hexameterversion von Odo von Magdeburg um die einzige erhaltene Stoffbearbeitung handelt, die mit einem Verfassernamen verbunden ist. Sie wird in der folgenden Analyse dem ›Herzog Ernst B‹ entgegengestellt. Mit dem Eneasroman Heinrichs von Veldeke liegt ein Text vor, der sich bereits von seinen Vorlagen her in einem markanten Spannungsfeld von Latein und Volkssprache befindet, wobei die Problematik der sogenannten adaptation courtoise19 ebenfalls eine Rolle spielt, da die unmittelbare Quelle Heinrichs eine anonyme altfranzösische Stoffbearbeitung darstellt, die das antike Epos von Vergil einer bemerkenswerten Höfisierung unterzogen hat. Nicht irrelevant für die Positionierung des mittelhochdeutschen literarischen Kommunikats ist der Umstand, dass es sich beim Urheber der antiken Quelle um einen in der hochmittelalterlichen Bildungstradition als große Autorität anerkannten Dichter handelt, was in Veldekes Bearbeitung bezüglich der Konstituierung von Textherstellungs- und Vermittlungsinstanzen in auffälliger Weise zu Buche schlägt. Um die besondere Art und Weise, wie die Relation von antiker Dichter-Autorität, volkssprachigen Textproduzenten und narrativer Vermittlerinstanz in der deutschen Stoff-

19 Siehe zur kritischen Einordnung dieses umstrittenen Begriffs etwa Monika Unzeitig, »tihten – diuten – tiutschen. Autor und Translator. Textinterne Aussagen zu Autorschaft und Translation in der mittelhochdeutschen Epik«, in: Bodo Plachta/Winfried Woesler (Hg.), Edition und Übersetzung. Zur wissenschaftlichen Dokumentation des interkulturellen Texttransfers. Beiträge der Internationalen Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition, 8. bis 11. März 2000, Tübingen 2002, S. 55–69, hier S. 56/57; Ricarda Bauschke, »adaptation courtoise als Schreibweise. Rekonstruktion einer Bearbeitungstechnik am Beispiel von Hartmanns ›Iwein‹«, in: Elizabeth Andersen/Manfred Eikelmann/Anne Simon (Hg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/New York 2005, S. 65–84. .

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version gestaltet ist, zu beleuchten, wird auch die altfranzösische Vorlage in die Untersuchung mit einbezogen. Beim ›Iwein‹ Hartmanns von Aue handelt es sich um einen der ersten mittelhochdeutschen Artusromane, der die Gattung wesentlich prägte. Er ist hier deswegen für die Analyse ausgewählt, weil der vermutlich älteste deutsche Gattungsvertreter, nämlich Hartmanns ›Erec‹, derart schlecht überliefert ist, dass der Textanfang nicht erhalten ist, der ›Erec‹ somit für die Frage nach der Konstituierung der Erzählinstanz und ihrem Verhältnis zum Verfasser keine günstige Ausgangslage bildet. Anders als beim Eneasroman stammt die altfranzösische Vorlage des ›Iwein‹ von einem namentlich bekannten Verfasser, was von Hartmann bemerkenswerterweise jedoch nicht für die Präsentation des literarischen Kommunikats fruchtbar gemacht wird, obwohl Chrétien de Troyes als eigentlicher Begründer der Gattung des Artusromans gelten kann. Auch in diesem Fall wird die französische Quelle als Vergleichsbasis herangezogen, um die spezifische Gemengelage, wie sie in Hartmanns Bearbeitung in Bezug auf die Produktions- und Narrationsinstanzen zur Geltung kommt, noch schärfer zu konturieren. Wolframs von Eschenbach ›Willehalm‹ wiederum gehört stofflich zu den Chansons de geste, die auf altfranzösische mündliche Erzähltraditionen zurückgehen und in den erhaltenen Schriftfassungen in der Regel anonym tradiert sind. Der Text wird hier nicht allein deshalb genauer betrachtet, um damit eine weitere epische Gattung zu berücksichtigen, sondern auch aufgrund des Umstands, dass sich Wolfram im ›Willehalm‹ als ein Erzähler profiliert, der explizit auf den ›Parzival‹ als seinen Erstling verweist. Wie auch im ›Parzival‹ verknüpft Wolfram im ›Willehalm‹ die Erzählerposition ausdrücklich mit dem eigenen Namen und präsentiert sich als eine Art Autor-Erzähler, mit der Besonderheit, dass nirgendwo auf Schriftlichkeit rekurriert wird, im Gegenteil: Der Wortlaut des Texts suggeriert öfters, dass das dichterische Produkt überhaupt nur im Rahmen der Mündlichkeit existiert, was in den greifbaren Überlieferungsträgern zu einem medialen Widerspruch führt. So leistet der ›Willehalm‹ quasi die Inszenierung von Literatur als einem oralen Phänomen, und dieser Paradoxie bleibt der Autor-Erzähler konsequent verhaftet. In Rudolfs von Ems ›Alexander‹ zeigt sich nochmals ein anderes Verhältnis von Verfasser- und Erzählinstanz, das seinerseits an die Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gebunden ist. Von der Materie her

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handelt es sich bei diesem Fragment gebliebenen Werk, wie schon bei Veldekes ›Eneas‹, um einen Antikenroman, mit dem Unterschied, dass es beim Alexanderstoff keine vergleichbare Verfasserautorität gibt. Rudolf bezieht sich denn als Autor-Erzähler auch explizit auf eine ganze Reihe von Quellen, verortet sich darüber hinaus als Dichter innerhalb der mittelhochdeutschen Literatur seiner Zeit. Ein besonderes Gepräge erhält die Erzählstimme im ›Alexander‹ dadurch, dass Rudolf sich sowohl als diejenige Größe installiert, die für das schriftliterarische Produkt verantwortlich ist, als auch als kommunikativer Vermittler auftritt, der im Rahmen der Vortragssituation den Text zu Gehör bringt. Auffällig ist in dieser Hinsicht, dass Merkmale von Literatur, wie sie sich über die Jahrhunderte vornehmlich in der lateinischen Schriftkultur etabliert haben, dem ›Alexander‹ in einer Weise eingeschrieben sind, dass sie auch bei der auditiven Textrezeption fassbar werden. Mit den ausgewählten Texten werden fünf verschiedene Konfigurationen von Produktions- und Vermittlungsinstanzen greifbar, die alle ausschließlich textintern ausgehandelt werden. Dabei spielen Aspekte wie Schriftautorität, Autorschaft und die Inszenierung der Vermittlung in einer oral-auditiven Kommunikationssituation eine zentrale Rolle. Die in den Einzelanalysen je sichtbar werdenden Relationsmodelle lassen sich als exemplarische verstehen, bilden selbstredend jedoch keine abschließende Liste. Weitere Textbeispiele und epische Gattungen hätten einbezogen werden können, etwa die deutsche Heldenepik, die hier deshalb unberücksichtigt bleibt, weil dort in der Regel keine Interdependenzen von Verfasser- und Erzählinstanzen textintern und ausdrücklich verhandelt werden. Zudem ist festzuhalten, dass sich die einzelnen Typen, wie sie sich in den ausgewählten Texten manifestieren, nicht grundsätzlich als an eine bestimmte Gattung gebundene identifizieren lassen, was mittels vergleichender Analysen insbesondere anhand der Werke Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach oder Rudolfs von Ems gezeigt werden könnte: Alle drei bilden sie in den herangezogenen Texten je eigene Verhältnisse zwischen der Gestaltungs- und der Narrationsebene aus, die in anderen der erhaltenen – und teilweise differenten Stoff- und Gattungstraditionen angehörenden – Werke der betreffenden Dichter in ähnlicher Weise Kontur gewinnen, so dass eher von verfasser- als von gattungsspezifischer Typenbildung gesprochen werden könnte.

1.

Die Stimme des Erzählens, oder: Positionen der ›klassischen‹ Erzähltheorie

Problemaufriss Nu vernemet alle besunder: ich sage iu michel wunder von einem guoten knehte. daz sult ir merken rehte. ez ist ze hoerenne guot, ez gît vil manigen muot, swâ man von degenheite seit. […] Diz spriche ich allez umbe daz daz ir merket deste baz ditze liet daz ich wil sagen, wan ich iuch niht wil verdagen die nôt und starke arbeit, die der herzoge Ernest leit do er von Beiern wart vertriben. Nun hört alle zu! Ich werde euch viel Wundersames von einem ehrenwerten Ritter berichten. Dies sollt ihr aufmerksam verfolgen. Es ist gut zu hören und weckt vielerlei Erwartungen, wo immer man von Tapferkeit berichtet. […] Dies alles sage ich deshalb, damit ihr umso besser auf die Dichtung achtet, die ich euch kundtun will. Ich will euch nämlich die Not und Mühsal nicht ver-

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schweigen, die der Herzog Ernst erduldete, als er aus Bayern vertrieben worden war. (Herzog Ernst B, V. 1–7, 31–37)20

Mit diesen Versen beginnt ein Text, der in zwei Handschriften aus dem 15. und einem Fragment aus dem 14. Jahrhundert überliefert ist.21 Seine Entstehungszeit wird meist ins frühe 13. Jahrhundert datiert, in Ermangelung an Informationen zum Verfasser wird der Text resp. das Epos, das von den wundersamen Abenteuern des bayrischen Herzogs Ernst erzählt, als ›Herzog Ernst B‹ bezeichnet, zur Unterscheidung von anderen mittelhochdeutschen und lateinischen dichterischen Bearbeitungen und Prosafassungen des Stoffs.22 Die zitierten Eingangsverse des ›Herzog Ernst B‹ eröffnen eine explizite Kommunikationssituation: Ein Sprecher wendet sich direkt an eine Zuhö20 Der ›Herzog Ernst B‹ ist hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Herzog Ernst. Ein mittelalterliches Abenteuerbuch, in der mittelhochdeutschen Fassung B nach der Ausgabe von Karl Bartsch mit den Bruchstücken der Fassung A hg., übers. und mit Anmerkungen versehen von Bernhard Sowinski, Stuttgart 2000. Die neuhochdeutschen Übersetzungen stammen von der Verfasserin. 21 Der ›Herzog Ernst B‹ ist in folgenden Textzeugen tradiert: einer 1441 entstandenen Papierhandschrift, die außerdem Konrads von Würzburg ›Trojanerkrieg‹ (inkl. Fortsetzung) sowie Rudolfs von Ems ›Willehalm von Orlens‹ enthält (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 998 [olim Hs. 998 + 5383 + 2285]); einer ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammenden Papierhandschrift, die nur dieses Werk präsentiert (Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 3028); sowie einem kurzen Papierfragment aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (Wels, Stadtarchiv, Akten, Sch. Nr. 1227). Dazu mehr unten. 22 Der Herzog Ernst-Stoff hat sowohl in deutscher als auch lateinischer Sprache diverse Bearbeitungen erfahren. Die älteste deutsche Fassung, die lediglich in drei fragmentarischen Handschriften äußerst rudimentär überliefert ist, wird auf die Zeit 1160/70 datiert (als Herzog Ernst A bezeichnet). Die Version B, eine stilistische Umarbeitung des A-Textes, ist entweder noch im 12., möglicherweise im frühen 13. Jahrhundert entstanden (vgl. Hans Szklenar/Hans-Joachim Behr, »Herzog Ernst«, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 3. Berlin/New York 1981, Sp. 1170–1191, hier Sp. 1178–80; Jens Haustein, »Herzog Ernst zwischen Synchronie und Diachronie«, in: Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft), S. 115–130, hier S. 125–127; Joachim Bumke, »Zur Überlieferungsgeschichte des Herzog Ernst und zu einer neuen Ausgabe des Herzog Ernst A«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 119/3 (2000), S. 410– 415; Joachim Bumke, »Retextualisierungen in der mittelalterlichen Literatur, besonders in der höfischen Epik. Ein Überblick«, in: Joachim Bumke/Ursula Peters (Hg.), Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, Berlin 2005 (ZdfPh 124, Sonderheft), S. 6–46, hier S. 6–9).

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rerschaft und redet diese in der zweiten Person Plural an. Dass es sich nicht nur um eine Sprech-, sondern spezifisch um eine Erzählsituation handelt, wird gleich mit den ersten Versen deutlich. Über den Imperativ vernemet (V. 1) wird zum Auftakt Aufmerksamkeit für den Sprecher erheischt, der sich als Subjekt der narrativen Konstellation im Folgenden installiert: ich sage iu michel wunder / von einem guoten knehte (V. 2/3). Allein schon durch die gehäuft verwendeten Verben des Sagens, die wiederum im hoerenne (V. 5) der Adressaten ihr Komplement finden, ist die Erzählinstanz als eine oral sendende konzipiert, die sich an auditiv Empfangende richtet und dies auch prononciert artikuliert: ich sage iu (V. 2), diz spriche ich (V. 31), daz ich wil sagen (V. 33). Passend zu dieser auf Mündlichkeit abzielenden Narrationssituation kündigt der Sprecher ein liet an, zu dessen Inhalt er summarisch vermerkt, von den Nöten und Mühsalen berichten zu wollen, die der Herzog Ernst erlebte, nachdem er aus Bayern vertrieben worden war (V. 33–37). Doch wer ist dieser Sprecher? Wer erzählt die hier angekündigte Geschichte? Die moderne Narratologie hat sich seit ihren Anfängen vor rund hundert Jahren um die Problematik der Herausbildung von Erzählinstanzen bemüht, diese kategorial zu fassen und in ihren diversen Phänotypen zu differenzieren versucht. Sie hat Begrifflichkeiten erarbeitet, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen erzählerischer Tätigkeit zu beschreiben und die Besonderheiten je verschiedener narrativer Vermitteltheit zu analysieren und zu klassifizieren. Mit Blick auf mittelalterliche Erzähltexte fragt es sich, welche Relevanz und Gültigkeit diese Begrifflichkeiten in historischer Perspektive besitzen und inwieweit sie als terminologisches Instrumentarium dienlich sind, um die Charakteristiken epischer Literatur auch früherer Epochen zu begreifen. Um die Möglichkeiten und Grenzen der Anwendbarkeit moderner Theoriebildung bei der Analyse mittelalterlicher Narrative auszuloten, seien die wirkmächtigsten Positionen mit Fokus auf die Frage nach der Kategorie und der Typologie des Erzählers einführend beleuchtet. Diskutiert werden die heute als ›klassisch‹ geltenden Analysemodelle, die eine breite und über die engere Disziplin der Narratologie hinausgehende Rezeption erfahren haben. Sie sind deswegen ausgewählt, weil sie die betreffenden Problemstellungen einschlägig modelliert und konzeptionell durchgeformt haben. Besonderes Augenmerk soll dabei auf den Erzähler als Träger der

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Kommunikation gelegt werden, wobei es zu erörtern gilt, welche Rolle Aspekte der Vermittlung im jeweiligen Theoriedispositiv spielen und wie das Verhältnis von Autor- und Erzählinstanz gefasst wird. Jeder moderne Ansatz prägt bestimmte Parameter, die im Vordergrund der Analyse stehen, setzt in der Beschreibung der Phänomene Schwerpunkte, die von den implizit oder explizit zugrunde gelegten Untersuchungsgegenständen herrühren. Die jeweiligen Systematiken des Zugriffs lassen so blinde Flecken entstehen, wobei die betreffenden Leerstellen meist erst in der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Modelle sichtbar werden. Die je differenten Kategorisierungsversuche erscheinen oft nicht zuletzt deshalb wenig kommensurabel, weil sie in ihren Systematiken einzelne Charakteristiken von Narration herausgreifen und modellhaft verabsolutieren. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass die Frage nach der Erzählinstanz mit vielfältigen Erscheinungsformen narrativer Praxis zusammenhängt, die sich nicht immer klar von einander abgrenzen lassen. Problemstellungen der Rhetorizität – im Sinne der Darstellung der kommunikativen Vermittlung – können mit (anderen) kompositorischen Elementen verbunden sein, müssen aber nicht: So können beispielsweise Aspekte der Erzählchronologie wie Rückwendungen oder Vorausgriffe, Raffungen, Zeitsprünge etc. durch eine Erzählinstanz vermittelt sein, ja sogar ausdrücklich ihrer Verantwortung zugerechnet werden, doch ist die wie auch immer geartete Präsentation von Zeitrelationen auch ohne eine dem Text eingeschriebene Mittlerfigur möglich. Ebenfalls hängen Fragen der Erzählperspektive zwar öfters mit der Wahl einer spezifischen narrativen Konfiguration zusammen, doch sind die verwendeten Fokalisierungstechniken nicht zwingend an das Hervortreten einer Erzählinstanz gebunden. All dies gehört grundsätzlich zu den unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten, die dem Autor qua Hersteller des Texts zur Verfügung stehen, indem er vielfältige Formgebungselemente nutzt, die den Aspekt der Vermitteltheit des Erzählten mehr oder weniger stark machen. Nicht zuletzt ist denn mit Blick auf die diversen narratologischen Klassifizierungsansätze auch zu fragen, welchen Stellenwert die Problematisierung von Herstellungs- und Vermittlungsvorgängen hinsichtlich der medialen Differenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einnimmt. Jeder Erzähltext steht als literarisches Kommunikat im Spannungsfeld vielfältiger produktions- wie rezeptionsästhetischer Gesichtspunkte, die in den ver-

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schiedenen Analysemodellen oft nicht klar differenziert bzw. in ihren Bezugnahmen auf spezifische mediale Erscheinungsformen nicht reflektiert werden. Der Erzählvorgang als solcher kann in einem narrativen Text grundsätzlich mehr oder weniger explizit thematisiert oder auch ausgestellt werden, dies ist eine Frage der Gestaltung der narrativen Vermittlungsebene. Je deutlicher er konturiert wird, desto stärker wird das Erzählen als Sprechakt (gegebenenfalls auch als schriftlich fixierter) begriffen und als solcher wahrgenommen – und zwar unabhängig davon, in welcher medialen Form sich die Rezeption tatsächlich ereignet, ob oral-akustisch oder skriptural-visuell (wobei die Präferenz der einen vor der anderen Rezeptionsweise bzw. die Art des Nebeneinanders in verschiedenen Epochen differiert und meist von außerliterarischen Parametern abhängt, so etwa vom Bildungswesen, von den technischen Errungenschaften23 etc.). Die Art der gestalterischen Ausformung des Erzählakts, wie sie einem Text vom Autor gleichsam eingewoben wird, kann denn mit einer der beiden Rezeptionsarten korrespondieren, diese quasi auf der textuellen Ebene präfigurieren, indem das narrative Kommunikat explizit zu einer bestimmten Sorte von Schrifttext oder zum gesprochenen Wort stilisiert wird, oder auch nicht. Davon zu trennen sind Fragen nach der faktischen Rezeptionsform, wie sie im individuellen Lektüreakt oder bei der auditiven Aufnahme während einer Lesung erfolgt. Mit Peter Koch und Wulf Oesterreicher lässt sich hinsichtlich des Zusammenspiels von Mündlichkeit und Schriftlichkeit die Ebene der konzeptionellen Gestaltung von derjenigen der medialen Darbietung wie folgt unterscheiden: Einerseits kann man im Bereich des Mediums den phonischen und den graphischen Kode als die beiden Realisierungsformen für sprachliche Äußerungen unterscheiden. Andererseits lassen sich hinsichtlich der kommunikativen Strategien, 23 Einschlägig zu dieser Problematik: Walter J. Ong: Orality and literacy. The technologizing of the word, London 1982, dt.: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, aus dem Amerikanischen übers. von Wolfgang Schömel, Opladen 1987. Was die Charaktersistika auditiver Rezeptionsformen literarischer Texte angeht, wie sie im Rahmen der Technisierungswellen des 20. Jahrhunderts an Virulenz gewonnen haben, haben sich in den letzten Jahrzehnten vielfältige Forschungsansätze herausgebildet. Eine Bündelung der Aspekte leistet etwa: Britta Herrmann, »Auralität und Tonalität in der Moderne. Aspekte einer Ohrenphilologie«, in: dies. (Hg.), Dichtung für die Ohren. Literatur als tonale Kunst in der Moderne, Berlin 2015, S. 9–32.

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der Konzeption sprachlicher Äußerungen, idealtypisch die beiden Modi gesprochen und geschrieben unterscheiden.24

Derartige kategorielle Differenzierungen sind in den gängigen erzähltheoretischen Modellen bislang kaum vorgenommen worden, im Gegenteil. Öfters sind die Ebenen verwischt, indem auch da metaphorisch die ›Stimme‹25 oder die ›Erzählerrede‹ in die Systematik aufgenommen wird, wo es gar nicht um phonische Qualitäten geht, die Kategorien nicht auf somatischtonale Realisierungsformen zielen. Das vorliegende Buch rekurriert denn schon im Titel auf die ›Stimme des Erzählens‹. Dies geschieht gerade unter der Doppelperspektive der primären und einer übertragenen Bedeutung von ›Stimme‹.26 So wird im Laufe der Analysen der ausgewählten mittelalterlichen Erzähltexte nicht zuletzt deshalb wiederholt von der ›Stimme‹ die Rede sein, wenn es um die Frage nach den Erzählinstanzen und ihren Charakteristiken geht, weil damit nicht nur das Phänomen einer wie auch immer gearteten narrativen Instanz im Anschluss an moderne Theoreme gefasst werden kann, sondern auch Aspekte der phonischen Medialität Kontur gewinnen.

24 Peter Koch/Wulf Oesterreicher, »Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte«, in: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15–43, hier S. 17. 25 Eine zentrale Rolle spielt die Kategorie der ›Stimme‹ nicht zuletzt in den Klassifizierungsmodellen Gérard Genettes (dazu mehr unten). 26 Untersuchungen zu ›Stimme‹ und ihren verschiedenen Bedeutungsaspekten haben gerade in den letzten zwei Dekaden Konjunktur. Entsprechend vielseitig und wenig überschaubar ist die Forschungsliteratur, so dass hier nur wenige weiterführende Hinweise gegeben werden können. Öfters sind die betreffenden Überlegungen kulturwissenschaftlich angelegt, mit inter- bzw. transdisziplinärer Ausrichtung, siehe etwa: Reinhart Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001; Mladen Dolar, His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt a. M. 2007 (slowenische Originalausgabe 2003); Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.), Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt a. M. 2006; Doris Kolesch/Vito Pinto/Jenny Schrödl (Hg.), Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven, Bielefeld 2009. Weiterführend zur Problematik der ›Stimme‹ aus narratologischer Sicht: Andreas Blödorn/Daniela Langer/Michael Scheffel (Hg.), Stimme(n) im Text. Narratologische Positionsbestimmungen, Berlin/New York 2006; Sophie Marnette/Helen Swift, »Introduction: Que veut dire ›voix narrative‹?«, in: dies. (Hg.), Les voix narratives du récit médiéval: Approches linguistiques et littéraires. Cahiers de Recherches Médiévales et Humanistes 22 (2011), S. 1–7.

Käte Friedemann: Die Rolle des Erzählers in der Epik (1910)

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Käte Friedemann: Die Rolle des Erzählers in der Epik (1910) Bereits die frühe Arbeit von Käte Friedemann über ›Die Rolle des Erzählers in der Epik‹ behandelt wichtige Gesichtspunkte betreffend der Frage nach der Konstituierung der Erzählinstanz, die in späteren Ansätzen zwar vielfältiger und aspektreicher ausgeführt, hinsichtlich des Problembewusstseins und der thematischen Facetten der Fragestellung jedoch kaum differenzierter aufgeworfen wurden.27 Friedemanns Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich stärker als jüngere Untersuchungen der historischen Perspektive verpflichtet fühlt und ihre Beispiele den unterschiedlichsten Epochen entnimmt, so auch auf mittelalterliche Erzähltexte verweist, ohne allerdings auf den literatur- oder buchgeschichtlichen Kontext der betreffenden Quellen einzugehen. Für Friedemann repräsentiert der Rhapsode »die historisch früheste und logisch erste Form des Erzählenden«, letztere, weil sie »in dem Verhältnis eines mündlichen Erzählers zu gegenwärtigen Hörern den ursprünglichsten Typus des Erzählers überhaupt entdeckt« zu haben glaubt.28 Grundsätzlich sieht Friedemann im Erzähler, auch wenn er sich nicht konkret und explizit auf ein Publikum – eine Hörer- oder eine Leserschaft – bezieht, das Charakteristikum epischer Texte schlechthin. Sie definiert den Erzähler als das »reine Medium der Geschehnisse«29, das die beschriebenen Ereignisse bewertet und seine Maßstäbe an sie legt, das in Bezug auf sie fühlt und mit dessen Augen die geschilderte Welt wahrgenommen wird. Friedemann bespricht in ihrer Studie eine ganze Reihe von Facetten der Erzählerinstanz, wie sie auch in späteren narratologischen Theoriekonzepten eine grundlegende Rolle spielen, so: das Verhältnis von Erzähler und Autor; die Problematik des Blickpunktes und der Wahrnehmung der dar27 Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910. 28 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 40. Friedemann verweist im Zusammenhang dieser Überlegungen auf Goethes und Schillers ›Über epische und dramatische Dichtung‹ von 1797 (vgl. ebd. S. 34), die sich den Rhapsoden als jemanden vorstellen, der am besten hinter einem Vorhang lesen sollte, »so daß man von aller Persönlichkeit abstrahierte und nur die Stimme der Musen im Allgemeinen zu hören glaubte« (Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, »Über epische und dramatische Dichtung«, in: Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 4/2, München 1986, S. 126–128, hier S. 128). 29 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 34.

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gestellten Welt; den schwächer oder stärker ausgeprägten Grad der Mittelbarkeit als Folge unterschiedlicher Erzähltechniken; die Frage nach Wahrheitsanspruch und Wirklichkeitsillusion hinsichtlich der erzählten Ereignisse; die Relationen von Erzählerstimme und Figurenstimme(n). Keine weitere Rolle spielt in ihren Betrachtungen jedoch die Frage, inwiefern die erzählerische Vermittlung von der Buchmedialität und den epochal differenten Präsentationsformen des narrativen Kommunikats abhängt. Dies erstaunt insofern, als sie mit ihrer Bestimmung des Rhapsoden als ursprünglichstem Typus der Erzählinstanz durchaus die Problematik von Oralität und Literalität aufgreift, ja sie zum eigentlichen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen stilisiert. Friedemanns Herangehensweise unterstellt ein geistesgeschichtliches Konzept des Erzählers, das von epistemologischer Subjektivität ausgeht:30 Sie wendet sich ausdrücklich gegen Friedrich Spielhagens romantheoretische Schriften und deren Forderung nach einer möglichst objektiven Präsentation der zu erzählenden Sachverhalte, die insbesondere auf kommentierende Reflexionen verzichtet.31 Mit Seitenblick auf das Drama erkennt Friedemann in Erzählerkommentaren und Einmischungen des Erzählers gerade die genuine Eigentümlichkeit epischer Literatur, da solche Bewertungen mit der Vermitteltheit korrespondieren, durch die sich narrative Texte ihrer Ansicht nach auszeichnen.32 Da der Darstellung bestimmter Geschehnisse aus dem Mund eines Einzelnen immer eine gewisse Subjektivität anhaftet, wird der Erzähler, der »nicht einen Automaten, sondern einen lebendigen Menschen« verkörpert, von Friedemann entsprechend auch als »der Bewertende, der Fühlende, der Schauende« verstanden.33 Von daher sieht Friedemann im Erzähler die zentrale und gattungsbestimmende Kategorie jeder epischen Literatur: Er ist es, der die berichteten 30 Käte Friedemann war, wie Margarete Susman, Schülerin von Oskar Walzel. Susman hat im selben Jahr wie Friedemann ihre grundlegende Studie zur Lyrik und insbesondere zum lyrischen Ich veröffentlicht (vgl. Margarete Susman, Das Wesen der modernen deutschen Lyrik, Stuttgart 1910). Die Kategorie der Subjektivität spielt in beiden bahnbrechenden Entwürfen eine tragende Rolle. 31 Vgl. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 1–32. 32 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 27/28, 32, 204–221. 33 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 40 [Hervorhebungen im Original].

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Ereignisse als Mittler und Mediator präsentiert und dadurch »selbst als Betrachtender zu einem organischen Bestandteil seines eigenen Kunstwerkes wird.«34 Damit geht einher, dass der Erzähler immer auch sich selbst mit darstellt; er wird also gleichsam mit dem erzählten Text geboren und durch das Erzählen mit charakterisiert. Der Schriftsteller hingegen steht nach Friedemann »außerhalb des Kunstwerks«35, er ist derjenige, der den Erzähler ›erfindet‹: der Erzähler wie auch die Charaktere der Figuren der Handlung sind »Ausgeburten seiner Phantasie«.36 Was das Verhältnis von Erzähler und Autor anbelangt, definiert Friedemann die beiden Instanzen dementsprechend wiederholt explizit als klar zu differenzierende Größen, setzt dann aber doch mitunter den Dichter mit dem Erzähler gleich, spricht davon, dass »Cervantes versichert …«37, oder dass »Wieland bemerkt, […] dass er dem Leser einige Nachricht über inzwischen Geschehenes schulde«,38 mal ist es der Erzähler, mal der Dichter, der den Stoff ordnet,39 oder es nimmt sich »[e]ine Dichterin wie Ricarda Huch […] dies Erzählerrecht.«40 Diese Inkonsistenz löst sich insofern bis zu einem gewissen Grad auf, als Friedemann den »Erzähler schlechthin«41 vom »wirkliche[n] Erzähler, d. h. de[m] Schriftsteller Soundso«42, unterscheidet. Sie betont denn auch mehrfach, dass »mit diesem ›Erzähler schlechthin‹ nicht ein bestimmter Schriftsteller gemeint ist, sondern dass durch ihn nur die erkenntnistheoretische Tatsache der Wahrnehmung der Welt durch ein betrachtendes Medium versinnbildlicht wird.«43 Dies gilt ihrer Ansicht nach auch da, wo sich Autoren wie Jean Paul oder E. T. A. Hoffmann in ihren Texten als Erzähler selbst namentlich nennen; gemäß Friedemann sind diese Fälle so zu taxieren, dass die Schriftsteller »sich selbst spielen, so dass diese Art der Darstellung unter die Rollenerzählungen zu rechnen wäre.«44 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 26. Ebenda. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 150. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 84. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 106. Vgl. z. B. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 107/108. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 116. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 40. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 150 [Hervorhebung im Original]. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 40. Ebenda [Hervorhebung im Original].

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Friedemann thematisiert öfters Aspekte der Fiktionalitätsproblematik, spricht in diesem Zusammenhang etwa von der »Erweckung der Wirklichkeitsillusion«.45 ›Wirklichkeit‹ besitzt für sie nur das Erzählen selbst: Ob der Erzähler die Vorstellung erwecken will, als handle es sich um tatsächlich einmal geschehene Dinge, oder ob er seinen Hörer merken lässt, dass er Erfundenes vorträgt, – es kommt letzten Endes nur darauf an, dass er selbst uns glaubhaft, und dass die Dinge, die er erzählt, als das erscheinen, als was er sie erscheinen lassen will, jedenfalls immer als etwas, das bereits in der Vergangenheit seinen Abschluss gefunden hat.46

Als den Erzähler in seiner ›reinsten‹ Form sieht Friedemann denn jenen an, der »sich selbst als solchen«47 bezeichnet, der sich zudem explizit »an den Leser [wendet], als an denjenigen, für den er die betreffenden Begebenheiten erzählt.«48 Charakteristisch für einen solchen Erzähler ist der Rekurs auf die Quellen der zu erzählenden Geschichte.49 Dazu gehören insbesondere auch Wahrheitsbeteuerungen, die Friedemann in Texten aus allen Jahrhunderten ausmacht.50 Den Extremfall einer solchen Wahrheitsinszenierung sieht sie durch die Herausgeberfiktion gegeben, die häufig mit der Briefform oder mit der Form des Ich-Romans verknüpft ist.51 Durch die Herausgeberfiktion entsteht eine doppelte Vermitteltheit der Geschehnisse, die auf der einen Seite den Anschein der Authentizität der Ereignisse besonders betont, andererseits über die mehrfache Medialität die Aufmerksamkeit auf die ›Gemachtheit‹ der Konstruktion lenkt. Als besondere Facette der Erzählinstanz hebt Friedemann hervor, dass 45 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 79. Siehe grundsätzlich zur Fiktionalität Frank Zipfel, Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001; facettenreich jüngst Tobias Klauk/Tilmann Köppe (Hg.), Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2014; eine konzise Zusammenfassung der Problematik bieten etwa Tilmann Köppe/ Tom Kindt, Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart 2014, S. 73–97. 46 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 25/26. 47 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 41. 48 Ebenda. 49 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 43. 50 Als Beispiele nennt Friedemann: das Nibelungenlied, Cervantes’ ›Don Quixote‹, Wielands ›Agathon‹, Nicolais ›Sebaldus Nothanker‹ sowie Texte E. T. A. Hoffmanns, Paul Heyses und Gustav Freytags (Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 84/85). 51 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 44/45.

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sie unterschiedliche Blickpunkte einzunehmen vermag, aus denen heraus sie die Geschehnisse erzählt, so dass beispielsweise »alle Dinge durch das Medium des gegenwärtigen Helden geschaut werden«52 können. Neben einer solchen Technik gibt es die Methode, dass »der Erzähler seinen Gestalten gegenübersteht, dass er nicht aus ihnen heraus, sondern in sie hineinschaut,«53 wobei sich gemäß Friedemann auch beide Verfahrensweisen kombinieren lassen. Wird alles Äußere durch die Augen einer oder unterschiedlicher Personen der Geschichte geschildert, besteht allerdings die Gefahr, dass »der Dichter bei dieser Technik dazu verführt [wird], die Gestalten mehr sehen zu lassen, als sie in einem bestimmten Augenblick tatsächlich sehen würden.«54 Mit diesen Überlegungen nimmt Friedemann analytische Kategorien vorweg, wie sie später etwa von Franz K. Stanzel, Gérard Genette oder Mieke Bal systematisiert worden sind. Im Erzähler sieht Friedemann aber auch die ordnende Kraft jeder Dichtung, die bei der Wiedergabe der Geschehnisse nicht an die tatsächliche Chronologie gebunden ist, die gestalterische Freiheiten in Bezug auf die Figurenzeichnung und auf die Charakterisierung der äußerlich wahrnehmbaren Begebenheiten besitzt, die das Verhältnis von direkter und indirekter Rede bei den Dialogen der Protagonisten bestimmt.55 Insofern wird der Erzähler für Friedemann zur narratologischen Instanz schlechthin, er ist diejenige Größe, in der alle Gesetze der epischen Literatur ihre Basis finden. Auch hier verschmelzen bei ihr die Kategorien ›Erzähler‹ und ›Dichter/ Schriftsteller/Autor‹ zu einem nicht mehr systematisch differenzierbaren Konglomerat. Ihre Ausführungen verdeutlichen, dass sie nicht konsequent zwischen der Ebene der narrativen Darbietung und der sie logisch umgreifenden Ebene der kompositorischen Anlage differenziert. Indem sie den Erzähler als ›ordnende Kraft‹ bestimmt, unterscheidet sie letzten Endes doch nicht zwischen einer textexternen Dimension, dem Produzenten des Erzähltexts, der die betreffenden Formgebungselemente – und somit etwa auch einen bestimmten Erzählertypus – einsetzt, und der textinternen Dimension der Vermittlung. Textproduzent und Textvermittler amalgamie52 53 54 55

Friedemann, Die Rolle des Erzählers, 48. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 77. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 193. Vgl. Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 97–242.

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ren in ihrer Herangehensweise zu einer Instanz, die die Verantwortung für das narrative Kommunikat sowohl hinsichtlich seiner Herstellung als auch des Akts der Vermittlung trägt. Käte Friedemanns Verdienst besteht darin, zentrale Aspekte narrativer Texte thematisiert und einer ersten Systematik dahingehend unterworfen zu haben, dass sie im Erzähler als Vermittler die gattungspoetische Distinktionsfunktion schlechthin erkennt. Sie rekurriert nicht zuletzt auch wiederholt auf mittelalterliche Textbeispiele, die sie in der Prämisse bestärken, dass jeder Erzähltext durch einen Mediator, eine Mittlerfigur, geprägt ist – eine Grundannahme, die sie deshalb verabsolutieren kann, weil sie nicht zwischen Erzählrhetorik und Komposition unterscheidet. Fragen der Materialität und der buchkulturellen Rahmung sowie der sich daraus ergebenden Relationen klammert sie vollständig aus. Insofern bleibt ihre Studie, auch wenn sie von den Beispielen her historisches Material heranzieht, der Ebene textimmanenter Analyse verhaftet.

Percy Lubbock: The Craft of Fiction (1921) Während Käte Friedemann gerade die Unterschiede zwischen dramatischer und diegetischer Form stark macht und den Erzähler als distinktive Größe narrativer Texte in den Vordergrund rückt, thematisieren die zeitgleich entstandenen angelsächsischen Entwürfe eher die Nähe der Gattungen. Kurz vor Friedemanns Studie veröffentlichte Henry James in den Vorworten seiner Romane erzähltheoretische Überlegungen, die der englische Schriftsteller Percy Lubbock, der zum engsten Kreis von James’ Gesprächspartnern gehörte, in der 1921 erstmals erschienenen und unmittelbar darauf mehrfach wieder aufgelegten Publikation ›The Craft of Fiction‹ aufgriff und in einem Versuch der Systematisierung erweiterte.56 Auf der Basis von James’ Gegenüberstellung von ›telling‹ und ›showing‹ entwickelte Lubbock eine Kategorisierung unterschiedlicher Erzähltypen, die er als dramatisch (»dramatic«) versus illustrativ (»pictorial«) und als sze-

56 Percy Lubbock, The Craft of Fiction, London 1921.

Percy Lubbock: The Craft of Fiction (1921)

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nisch (»scenic«) versus verallgemeinert (»generalized«) differenziert,57 wobei er für Letzteres mehrheitlich den Terminus »panoramic« verwendet.58 Die Unterscheidung von szenisch versus panoramatisch verbindet Lubbock mit dem Konzept des Blickwinkels (»point of view«),59 allerdings eher in einem metaphorischen Verständnis gebraucht. Als panoramatisch taxiert er ein Erzählen, das eine Geschichte kontinuierlich entfaltet und von einer höheren Warte aus überblickt.60 Was er damit genau meint, wird vor allem in der Abgrenzung vom szenischen Erzählen deutlich. Unter letzterem versteht er die Aneinanderreihung einzelner Momentaufnahmen, die Verkettung diverser beleuchteter Einzelausschnitte aus einem Geschehenskontinuum, eben ›szenenhaftes‹ Erzählen.61 Verantwortlich für die Auswahl dieser Szenen ist gemäß Lubbock der Autor, der diese Szenen wiederum illustriert oder dramatisch gestalten kann. Dramatisch ist das szenische Erzählen dann, wenn, wie bei einem Drama, nur die Außenperspektive auf die Figuren und ihr Handeln gegeben wird, sich das Geschehen lediglich aus den Redebeiträgen der Protagonisten und ihrem äußerlich wahrnehmbaren Tun erschließt.62 Illustrativ-beschreibend hingegen wird erzählt, sobald das Geschehen offensichtlich mit den Bewertungen einer bestimmten Figur oder auch des Schriftstellers versehen ist, die Szene gleichsam durch die Brille eines anderen mit dessen Einschätzung und Färbung gezeigt wird.63 Auch in diesem Zusammenhang spricht Lubbock von »point of view«, meint damit entweder die Perspektive einer ausgewählten Figur auf die dargestellte Welt oder diejenige des epischen Autors, den er als »story-teller« bezeichnet.64 Die Kategorie des Erzählers, wie sie Käte Friedemann in ihrer Studie als Vermittlungsinstanz stark macht, fehlt bei Lubbock weitgehend, nicht zuletzt deshalb, weil für ihn im Anschluss an Henry James der Faktor ›showing‹, den er mit dem szenisch-dramatischen Erzählen gegeben sieht, 57 58 59 60 61 62 63 64

Lubbock, The Craft of Fiction, S. 21. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 67, 72, 93. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 66/67. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 67, 72. Vgl. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 66–72. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 70/71, 236. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 69, 84, 122. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 38.

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einen zentralen Stellenwert einnimmt. Dieses szenisch-dramatische Erzählen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass eine bewertende und als Medium der Erzählung wahrzunehmende Größe vollständig in den Hintergrund rückt. Als typisch für diesen Modus erachtet Lubbock, dass der Leser, einem Zuschauer im Theater vergleichbar, sich sein eigenes Bild machen muss aufgrund dessen, was er zu sehen und zu hören bekommt.65 Nur die sichtbaren Handlungen und die hörbaren Figurenreden geben Auskunft über das Geschehen, aus ihnen müssen Intentionen erschlossen werden und Bewertungen erfolgen.66 Keine vermittelnde Instanz versieht die Begebenheiten mit Erklärungen und Kommentaren. Als strikt dramatisch definiert Lubbock das Erzählen, wenn die Kette der einzelnen Momentaufnahmen bestimmte Gelegenheiten aus dem Leben der Figuren mit ihren artikulierten Dialogen wiedergibt, ohne dass Expositionen, Rückblenden oder Introspektionen jedweder Art vorgenommen werden.67 Mit dem illustrativen Erzählen – Lubbock ist sich bewusst, dass der Begriff ›pictorial‹ den Sachverhalt nur unzureichend beschreibt – wird nicht nur das Eintauchen in die Gedankenwelt einer oder mehrerer Figuren verstanden, wobei Letzteres nur durch einen allwissenden Autor (»the omniscient author«68, »a story-teller to use his omniscience«69) erfolgen kann, sondern auch die durch das Fühlen, Empfinden und Bewerten einer Figur oder des Romanciers vermittelte Wahrnehmung der Außenwelt.70 So wird beim piktorialen Erzählen gleichsam ein Bild mit Farben gemalt, bei dem die unterschiedlichen Schattierungen aus den reflektierenden und kommentierenden Bemerkungen, Sichtweisen und Erfahrungen der betreffenden Instanzen resultieren. Lubbock sieht in den gegenübergestellten Modi des Erzählens, szenisch versus panoramatisch und dramatisch versus illustrativ, jeweils Gegensätze, die sich ausschließen. Allerdings ist er nicht der Meinung, dass sich in einem bestimmten literarischen Werk jeweils nur eine dieser Erzählformen findet, sondern es darum geht, Beschreibungskategorien zu besitzen, mit deren 65 66 67 68 69 70

Lubbock, The Craft of Fiction, S. 162. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 157, 190. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 236. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 255. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 197. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 84.

Franz K. Stanzel: Die typischen Erzählsituationen im Roman (1955)

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Hilfe man einzelne Passagen eines Textes genauer erfassen und in ihrer Machart durchschauen kann. Lubbock argumentiert, wie schon James, in erster Linie von der Position des Schriftstellers aus. Von daher macht er in seinen Überlegungen diesen als Produktionsinstanz stark, schreibt die auf der Ebene der Vermittlung verwendeten Gestaltungselemente dezidiert dessen Verantwortung zu. Während Friedemann in ihrer Herangehensweise die Kategorie eines fiktiven Erzählers verabsolutiert und unterstellt, dass jeder narrative Text durch ebendiesen vermittelt sei, diskutiert Lubbock die vielfältigen Grade der Abstufung, nicht ohne Position zu beziehen für eine Erzählweise, bei welcher der Aspekt der Vermittlung in den Hintergrund tritt. Argumentativ steht er damit nicht zuletzt auch Spielhagen nahe, gegen dessen Theoreme sich Friedemann mit ihrem Zugriff ausdrücklich wendet.

Franz K. Stanzel: Die typischen Erzählsituationen im Roman (1955) Wie Käte Friedemann hält auch Franz K. Stanzel die Mittelbarkeit für das zentrale Gattungsmerkmal erzählender Literatur. Als Anglist greift er jedoch wesentlich auf Theoreme aus der angelsächsischen Erzählforschung zurück, um seine Typologie der Erzählsituationen zu entwickeln. In seiner 1955 veröffentlichten Habilitationsschrift71 entfaltet er ein systematisch angelegtes Grundmodell von Erzählsituationen, das er später in den ›Typischen Formen des Romans‹72 und in der ›Theorie des Erzählens‹73 mehrfach erweitert und präzisiert. Mit »Erzählsituation« bezeichnet Stanzel den Umstand, dass »[i]n der Regel […] die Erzählung in einem Roman jeweils auf eine ganz bestimmte Art des Vermittlungsvorganges abgestimmt« ist.74 Sie ist der konkrete Ausdruck der Mittelbarkeit epischen Erzählens, gleichsam ihre »Einklei71 Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955. 72 Franz K. Stanzel, Typische Formen des Romans, 12. Aufl., Göttingen 1993 (Erstausgabe 1964). 73 Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, 8. Aufl., Göttingen 2008 (Erstausgabe 1979). 74 Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 5.

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dung«.75 In der betreffenden Erzählsituation sieht Stanzel das ordnungsbestimmende Moment, durch welches »der Erzähler oder Autor die dargestellte Welt vor den Augen des Lesers entrollen kann.«76 Damit einher gehen »Illusionsansprüche des Lesers an die Erzählung […], denen der Erzähler bzw. Autor bis zu einem gewissen Maß zu entsprechen hat«77 – wobei das »Streben nach Verifizierung und Glaubhaftmachung [als] ein Grundanliegen aller Erzählkunst« zu betrachten ist.78 Die einmal eröffnete Erzählsituation bestimmt gemäß Stanzel also für den weiteren Verlauf die Erwartungshaltung des Rezipienten an den Text, die eingelöst oder auch gebrochen werden kann. Als die drei Haupttypen klassifiziert er die auktoriale, die personale und die Ich-Erzählsituation. Mit Blick auf die Bestimmung der jeweiligen Erzählsituation erkennt Stanzel eine grundlegende Dichotomie in der Anwesenheit oder Abwesenheit des Autors in der Erzählung, wobei er diese Frage nicht erkenntnistheoretisch verstanden wissen will. Er unterscheidet damit »das Sichtbarwerden des Autors in der Erzählung bzw. […] sein Zurücktreten hinter der dargestellten Welt«, meint mit der Anwesenheit, »dass der Erzähler und der Erzählvorgang zusammen mit der erzählten Handlung im Vorstellungsbild des Lesers konkretisiert werden.«79 Hand in Hand mit dieser Differenzierung geht die Gegenüberstellung von ›berichtender‹ versus ›szenischer‹ Erzählweise.80 Von daher definiert Stanzel als auktoriale Erzählweise, wenn »der Autor durch Leseranreden, Kommentare zur Handlung, Reflexionen usw.« in Erscheinung tritt, so dass »der Leser die Kluft zwischen seiner Welt und der dargestellten Wirklichkeit sozusagen geführt von der Hand des Autors« überbrückt.81 Auf der anderen Seite ist personales Erzählen für Stanzel dadurch geprägt, dass sich »der Leser in eine der auf der Szene anwesenden Gestalten versetzt« sieht.82 75 76 77 78 79 80 81 82

Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 5, 20. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 20. Ebenda. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 91. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 23. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Stanzel kennt in diesem Zusammenhang auch noch die neutrale Erzählsituation, bei der »der Standpunkt der Beobachtung in keiner der Gestalten des Romans

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Auktoriale und personale Erzählsituation unterscheiden sich dahingehend, dass erstere eine »räumlich[e], zeitlich[e] und psychologisch[e] Distanzierung« des Erzählers zur dargestellten Welt aufweist, es also eine Art »Raum des Autors« gibt, der von der erzählten Welt geschieden ist und in welchem sich der auktoriale Erzähler selbst mit darstellt und charakterisiert.83 Stanzel spricht diesbezüglich von einer »Zweipoligkeit«, die das Sinngefüge in derartigen epischen Texten grundsätzlich prägt.84 So bedarf in auktorialen Erzählungen nicht nur die erzählte Welt einer spezifischen Interpretation, sondern auch »die eigentümliche Erscheinungsweise des auktorialen Erzählers, die Idiosynkrasie seiner Weltschau, seine fiktive Verstellung und Verwandlung« muss gedeutet werden.85 Obwohl Stanzel ›Autor‹ und ›Erzähler‹ immer wieder im gleichen Atemzug nennt, ist es ihm ein Anliegen, dass »die Gestalt des auktorialen Erzählers nicht einfach der Persönlichkeit des Autors gleichzusetzen ist.«86 Um einer entsprechenden Ineinssetzung zu entgehen, schlägt Stanzel vor, von ›auktorialem‹ vs. ›personalem Medium‹ zu sprechen: Unter ersterem will er nicht die »Persönlichkeit des wirklichen Erzählers« verstanden wissen – wobei er hier offenkundig die Bezeichnungen ›Autor‹ und ›Erzähler‹ völlig austauschbar verwendet –, sondern erkennt in ihm nur diejenigen Züge, die durch den Erzählvorgang selbst sichtbar werden.87 Stanzel ist der

83 84 85 86

87

[liegt] und […] trotzdem die Perspektive so eingerichtet [ist], dass der Beobachter bzw. Leser das Gefühl hat, als imaginärer Zeuge des Geschehens anwesend zu sein« (ebenda). Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 24. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Weiter unten hält Stanzel dementsprechend fest: »Der Autor geht nur selten mit seiner ganzen Persönlichkeit in die Erscheinungsgestalt des auktorialen Mediums ein. Meistens ist es nur ein partielles Selbstporträt, in dem oft sehr markante Züge des Autors fehlen, oder zu dem neue hinzugefügt wurden. Häufig lässt sich auch zwischen Autor und auktorialem Medium eines Romans eine Verschiebung der Rangordnung der Werte beobachten, so dass sich das Bild des auktorialen Mediums in entscheidenden Punkten nicht mehr mit dem Bild des Autors deckt. Mit einem Wort, der Begriff auktoriales Medium wurde nicht allein deswegen geprägt, um den Standpunkt und somit die Herkunft der Erzählung zu bezeichnen, sondern um vor allem auf Art und Wechsel der Physiognomie, des Charakterprofils des Erzählers, auf die Idiosynkrasie seines Bewusstseins aufmerksam zu machen und auf diese Weise seine Abgrenzung von der Persönlichkeit des wirklichen Autors zu ermöglichen« (Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 55). Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 25.

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Meinung, dass es dem Autor »durch Verwandlung seiner Erscheinung als Erzähler […] möglich [ist], seine Vermittlertätigkeit auf die verschiedenste Weise zu vollbringen und sich in den verschiedensten Verstellungen in das Vorstellungsbild des Lesers einzuführen.«88 Zu solchen Rollenspielen des Autors gehören etwa auch »die Einkleidung des Erzählers als Chronist, Herausgeber einer Autobiographie, eines Tagebuchs usw.«89 Im auktorialen Erzähler sieht Stanzel also eine Art Metamorphose des Autors – er spricht an anderer Stelle auch von dessen »Maske und Erscheinungsgestalt«90 –, die die Regie über das Erzählte führt, die Geschehnisse lenkt und mit Kommentaren versieht.91 Der auktoriale Erzähler bewertet und deutet die Ereignisse, er mengt sich ein, begründet, erklärt und illustriert. Das Erzählte selbst wird in der Form eines Berichts gegeben, es ist geglättet und wirkt auf ein Erzählziel hin strukturiert.92 Charakteristisch für einen auktorialen Erzähler ist zudem, dass er immer wieder auf den Erzählvorgang als solchen hinweist und einen Verweisraum aufbaut, in welchem der Leser ein Orientierungszentrum findet, das »mit dem Jetzt und Hier des Autors im Erzählakt identisch« ist.93 Ordnung und Wirklichkeitsillusion scheinen »von der Anwesenheit des Autors in der Gestalt des Erzählers« abhängig zu sein und von dieser auszugehen.94 Seinen Figuren gegenüber nimmt der auktoriale Erzähler »eine Position der Überlegenheit« ein.95 Aus dieser Überlegenheit heraus ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der Einsicht des Erzählers mit seinen Wertungen und Kommentaren und der Sicht, die die Figuren auf das jeweilige Geschehen besitzen.96 Dieses Spannungsverhältnis prägt das Erzählen im auktorialen Medium gemäß Stanzel grundsätzlich und unterscheidet es von den anderen Erzählsituationen. 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 27. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 24. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 55. Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 28. An anderer Stelle spricht Stanzel davon, dass im auktorialen Medium »als Erzähler […] scheinbar der Autor selbst auf[tritt]« (Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 38). Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 153. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 38. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 27. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 38/39. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 49.

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Im Gegensatz dazu befindet sich das Orientierungszentrum des Lesers bei der personalen Erzählsituation im Hier und Jetzt einer der Gestalten, die zur darstellenden und illusionsschaffenden Kraft wird: Nach Stanzel wird der Leser gleichsam in diese Gestalt hineinversetzt und übernimmt ihre Raum- und Zeitwahrnehmung.97 Die Distanz zum Geschehen wird aufgehoben, was auch darin seinen Ausdruck finden kann, dass nicht im epischen Präteritum berichtet, sondern das »Präsens als Erzählzeit ein[geführt]«98 wird. Das Erzählte scheint sich in »wuchernd[e] Triebe«99 zu ergießen, ohne lenkende Überschau einer regieführenden Erzählinstanz. Im neutralen Medium, das Stanzel als eine Art Spezialtypus des personalen definiert, liegt dieses Orientierungszentrum »in der Szene, dem Jetzt und Hier eines Handlungsmomentes«, oder, wie Stanzel alternativ formuliert, »im Jetzt und Hier eines imaginären Beobachters auf der Szene, dessen Platz der Leser vorstellungsweise einnimmt.«100 Insofern unterscheiden sich personale und neutrale Erzählsituation dadurch, dass letztere keine deutlich markierte Figur aufweist, aus deren Blickfeld heraus die erzählte Welt erlebt wird, obwohl die Geschehnisse – anders als beim auktorialen Medium – in der szenischen Präsenz wahrgenommen werden. Neben der auktorialen und der personalen Erzählsituation skizziert Stanzel eine dritte Möglichkeit der Mittelbarkeit, die er als »Ich-Form des Romans« bezeichnet.101 Dieser dritten Form gesteht er sowohl eine auktoriale als auch eine personale Perspektivierungsweise zu, insofern zwischen erzählendem und erlebendem Ich zu unterscheiden ist. Von daher lassen sich für Stanzel alle Formen des Romans dem einen oder anderen Typus zuordnen.102 Bedeutsam ist bei diesem Dreieck allerdings Stanzels Einsicht, dass auktoriales und personales Medium zwar dichotomisch, aber keine Antipoden in dem Sinne sind, dass die eine oder andere Erzählhaltung während des Umfangs eines ganzen Werks durchgehalten werden müsste oder auch nur theoretisch durchzuhalten ist. So sind die Erzähltypen dadurch gekennzeichnet, dass sie zum Auftakt eines Texts eine bestimmte 97 98 99 100 101 102

Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 28. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 120. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 153. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 29. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 25. Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 27.

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Lesererwartung wecken, diese aber in der Regel in einzelnen Sequenzen durchbrochen wird.103 Beispielsweise in dialogischen Passagen verschwindet die Erzähldistanz, wie sie für die auktoriale Erzählsituation charakteristisch ist, fast ganz, so dass vorübergehend eine unmittelbare Vergegenwärtigung des Geschehens eintritt, die den Leser direkt in die Szene versetzt.104 Umgekehrt werden weitgehend szenische Darstellungen durch stark geraffte Zwischenberichte, Vorausdeutungen oder wertende Epitheta auktorial gefärbt.105 Der ›Ich-Roman‹ zeichnet sich in Stanzels Definition dadurch aus, dass »die Illusion der Identität zwischen dem Erzähler und einer Gestalt aus der dargestellten Wirklichkeit durch die Verwendung des Pronomens ›ich‹ immer wieder erneuert« wird.106 Dieses Ich besitzt auktoriale Distanz zum Geschehen, wenn es als erzählende Instanz auftritt, es weist personale Färbung auf, sobald es die Geschehnisse in der unmittelbaren Präsenz erlebt und Teil des Handlungsereignisses ist. Insofern prägt diesen Erzähltypus eine »eigentümliche Doppelerscheinung des Ich«, da meistens »der Erlebnisvorgang vom Erzählvorgang durch eine mehr oder weniger deutlich markierte Zeitstrecke getrennt« ist.107 Stanzel ist denn auch nicht der Meinung, dass sich die Mittelbarkeit, die in auktorialen oder personalen Erzählsituationen erzeugt wird, grundsätzlich von derjenigen im ›Ich-Roman‹ unterscheidet, sondern die verschiedenen Typen graduelle Stufen der Gestaltungsmöglichkeiten sind.108 Stanzel greift in seinen Erörterungen zwar auf die angelsächsischen Vorgänger James und Lubbock zurück, argumentiert aber dezidiert aus der Perspektive des Analytikers, nicht wie jene von der Warte des Schriftstellers aus. Ausgangspunkt seiner Systematik sind vornehmlich englischsprachige Erzähltexte der vergangenen 250 Jahre, die er in der Erscheinungsform des modernen Buchs unter der Prämisse der heute gängisten Rezeptionsweise der individuellen Lektüre beleuchtet. Die Überlegungen, die er hinsichtlich 103 Vgl. Stanzels Werkanalysen (Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 38–144). 104 Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 49. 105 Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 93. 106 Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 61. 107 Ebenda. 108 Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 60, 63, 65, 157–168.

Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung (1957)

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Vermittlung und Mittelbarkeit anstellt, stehen denn immer auch auf dieser Basis. Die Rezipienten sind für ihn grundsätzlich Leser, die das narrative Kommunikat im Akt des skriptural-visuellen Lektüreprozesses wahrnehmen und kognitiv durchdringen. Spricht er vom ›auktorialen‹ oder vom ›personalem Medium‹, meint er dies im Grunde genommen immer schon metaphorisch oder zumindest nicht körperlich, also ohne somatische Referenz. Es handelt sich um rein textuelle – bzw. konzeptionelle – Kategorien, wobei diejenige der personalen Erzählhaltung insofern besonders problematisch ist, als sie gerade nicht eine personalisierte Vermittlungsform beschreibt, wie der Terminus insinuiert, sondern eine spezifische Perspektivierung bzw. Fokalisierung meint. Was die Ich-Erzählsituation angeht, ist festzuhalten, dass sie mit Blick auf den textbildenden Vermittlungsvorgang nicht auf derselben sprachlogischen Ebene angesiedelt ist wie die beiden anderen Typen – womit eine Problematik thematisiert ist, die Käte Hamburger in ihrer Systematik modellhaft fruchtbar macht.

Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung (1957) Auf der Basis ihrer Auseinandersetzung unter anderem mit dem Werk Thomas Manns entwickelte Käte Hamburger in der ›Logik der Dichtung‹ eine Theorie der Erzählinstanzen, die ebenfalls eine prägende Wirkung entfaltete.109 Hamburgers Überlegungen fußen auf einer Reihe eigener Aufsätze, in denen die Kernthemen der Studie bereits angedacht sind.110 Der Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist die prinzipielle Frage, »[w]orin sich die Sprache der Dichtung von der Sprache der Wirklichkeit unterscheidet«.111 Das epische Erzählen setzt Hamburger grundsätzlich mit dem fiktionalen Erzählen gleich und grenzt dieses scharf vom historischen Erzählen 109 Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957. Die Untersuchung erlebte zahlreiche Neuauflagen und wurde von der Autorin später überarbeitet und ergänzt. 110 Zu nennen sind vor allem drei Aufsätze, die Käte Hamburger in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte veröffentlicht hat, nämlich: »Zum Strukturproblem der epischen und dramatischen Dichtung«, in: DVjs 25 (1951), S. 1–26; »Das epische Präteritum«, in: DVjs 27 (1953), S. 329–357; »Die Zeitlosigkeit der Dichtung«, in: DVjs 29 (1955), S. 413–426. 111 Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 17.

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ab, sieht in den beiden Möglichkeiten die zwei Grundformen des Erzählens schlechthin, die sie als »zwei völlig verschiedene, verschiedene Zwecke verfolgende Funktionen des Erzählens« taxiert.112 Zum epischen oder fiktionalen Erzählen rechnet sie jedoch nur die von ihr so bezeichnete ›ErErzählung‹, nicht die ›Ich-Erzählung‹, nur erstere nennt sie »eine epische Fiktion, oder eine Mimesis, im strengen literaturtheoretischen Sinne dieses Begriffes«.113 Das historische Erzählen hingegen zeichnet sich ihrer Meinung nach dadurch aus, dass es Wirklichkeitsaussagen tätigt, die insofern bestimmt sind, als »das Ausgesagte das Erlebnisfeld des Aussagesubjekts ist, was nur ein anderer Ausdruck dafür ist, dass zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Aussage eine polare Beziehung besteht, deren existentielle Grundkomponente der zeitliche Bezug ist.«114 Solchen Wirklichkeitsaussagen gegenüber stellt Hamburger das fiktionale Erzählen, das sie sprachtheoretisch in der Weise begründet sieht, als das Verbtempus seine grammatische Funktion, die Zeit anzuzeigen, verliere: So drücke das ›epische Präteritum‹ als dasjenige Tempus, in welchem fiktionale Texte gegeben werden, gerade nicht die Vergangenheit aus, sei »nicht Ausdruck vergangenen Geschehens«.115 Diesen Sachverhalt erklärt sie wiederum damit, dass das ›epische Ich‹, wie Hamburger den Erzähler116 einer fiktionalen Erzählung bezeichnet, »kein Aussagesubjekt ist«117, sondern eine Erzählfunktion, und von daher der oben bezeichnete zeitliche Bezug von Subjekt und Objekt fehlt, der historisches Erzählen auszeichnet.118 Hamburger erläutert diese Thesen, indem sie »den logischen Begriff des Aussagesubjekts durch den erkenntnistheoretischen der Ich-Origo«119 ersetzt, um mit dieser vom Sprachwissenschaftler Karl Bühler etablierten Kategorie die spezifischen Eigenheiten epischen Erzählens anschaulich zu 112 113 114 115 116

Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 21. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 22. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 25. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 28. Als ›episches Ich‹ bezeichnet Hamburger den ›Er-Erzähler‹ oder eben die epische Erzählfunktion, und gerade nicht den ›Ich-Erzähler‹ bzw. das Aussagesubjekt einer Ich-Erzählung. 117 Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 28/29. 118 Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 27–72. 119 Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 30.

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machen: Das ›epische Ich‹ ist insofern kein Aussagesubjekt, als es keine reale Ich-Origo besitzt, sondern nur fiktive Ich-Origines, also »Bezugssysteme, die mit einem die Fiktion in irgend einer Weise erlebenden realen Ich, dem Verfasser oder dem Leser, erkenntnistheoretisch und damit temporal nichts zu tun haben.«120 Das ›epische Ich‹ verknüpft sich nicht mit dem eigenen Hier und Jetzt, sondern mit demjenigen der Figuren, was im viel zitierten Satz ›Morgen war Weihnachten‹ durch die »Verbindung des deiktischen Zukunftsadverbs mit dem Imperfekt«121 deutlich wird. So gehört zum fiktionalen Erzählen für Hamburger grundsätzlich, dass deiktische Adverbien auf die Ich-Origines der Romanfiguren bezogen sind, also nicht auf reale Raum-Zeit-Koordinaten rekurrieren, sondern ein »Fiktionsfeld«122 konstituieren: ›Hier‹, ›dort‹, ›jetzt‹, aber auch erweiterte Raum- und Zeitangaben wie ›links‹, ›vorne‹, ›von Westen‹, ›nachher‹, ›gestern‹, ›letzten Dezember‹, ›nächsten Sonntag‹ etc. beziehen sich im epischen Erzählmodus auf das Erlebnisfeld der Protagonisten.123 Die Fiktionsstruktur des epischen Erzählmodus zeigt sich nach Hamburger zudem durch die Tatsache, dass nur dieser in der Lage ist, »Verben der inneren Vorgänge wie denken, sinnen, glauben, meinen, fühlen, hoffen u.a.m.« für Dritte zu benutzen.124 Die Figuren werden als »fiktiv[e] Personen« vorgeführt – Hamburger nennt sie mit Bezug auf Aristoteles auch »Mimesis handelnder Menschen«125 –, auf die mit ihren fiktiven Ich-Originitäten nicht nur alle Raum- und Zeitangaben bezogen sind, sondern die darüber hinaus auch Formen der Introspektion zulassen. Auf den Punkt gebracht: »Fiktionalisierung geschilderter Personen bedeutet eben dies: sie nicht als Objekte, sondern als Subjekte zu schildern.«126 Allein beim epischen Erzählen ist es möglich, dritte Personen in ihrer subjektiven Eigenart wiederzugeben, ihrem persönlichen Empfinden, den intimen Gefühlen, Hoffnungen und unartikulierten Ängsten Ausdruck zu verleihen. Nur im

120 121 122 123 124 125 126

Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 34. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 33. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 72. Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 66–72. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 40. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 44. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 75.

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epischen Erzählmodus lässt es sich gleichsam in die Haut eines anderen schlüpfen, kann die Welt mit seinen Augen wahrgenommen werden. Das epische und das historische Erzählen unterscheiden sich in diesem Punkt Hamburgers Ansicht nach grundsätzlich: Der historische Erzähler ist ein ›echter‹ Erzähler, er besitzt eine reale Ich-Origo und ist damit auch ein ›echtes Aussagesubjekt‹, das Wirklichkeitsaussagen hervorbringt.127 Was Hamburger zunächst aus heuristischen Gründen als ›episches Ich‹ bezeichnet, modifiziert sie im Lauf der Argumentation denn dahingehend, dass sie von einer ›Erzählfunktion‹ spricht, die, da sie keine Aussagen produziert, gerade kein Aussagesubjekt ist, demnach auch nicht mit einem ›Ich‹ oder einem ›Erzähler‹ gleichgesetzt werden sollte.128 Das historische Erzählen zeichnet sich gemäß Hamburger dadurch aus, dass der »Verfasser eines historischen Dokumentes, das historische Ich, […] identisch mit dem Erzähler dieses Werkes [ist], d. h. er ist dessen Aussagesubjekt.«129 Demgegenüber hält es Hamburger für eine »mehr oder weniger adäquate metaphorische Scheindeskription«, beim fiktionalen Erzählen von einem ›Erzähler‹ oder gar von der ›Allwissenheit des Erzählers‹ zu sprechen.130 Die ›Erzählfunktion‹ des epischen Erzählens »stellt anstelle eines polar-relativen das funktionale Verhältnis zwischen Erzählen und Erzähltem her, auf das die Begriffe subjektiv-objektiv nicht mehr anwendbar sind.«131 Die Erzählfunktion zeichnet sich also dadurch aus, dass sie nicht über Personen bzw. von Figuren und deren Handeln erzählt, sondern sie erzählt, sie im Akt des Erzählens überhaupt erst »in der ›Subjektivität‹ ihrer Existenz« hervorbringt.132 So vergleicht Hamburger das Verhältnis zwischen Verfasser und Erzählfunktion wiederholt mit demjenigen von Maler und Pinsel: Die Erzählfunktion ist gleichsam das Werkzeug des Dichters, was zur Folge hat, dass dieser weder in einem subjektiven noch in einem objektiven Verhältnis 127 128 129 130 131 132

Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 35. Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 76/77. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 76. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 77. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 84. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 93. Gerade auch hinsichtlich der mittelalterlichen Literatur stellt Hamburger explizit fest, dass »der Erzähler mittelalterlicher Epen […] eine fiktionale Erzählfunktion ist« (S. 99).

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zum Inhalt des Erzählten steht, sondern lediglich in einem funktionalen.133 Dies führt wiederum dazu, dass »die Frage, was denn die ›Sache‹ in einem Roman sei, […] nicht beantwortet werden, weil sie gar nicht gestellt werden kann,«134 da die Erzählfunktion keine Aussagen tätigt, sondern entwirft, kreiert und gestaltet. Beim epischen Erzählen werden keine Tatsachen berichtet, die gegebenenfalls von einer Erzählstimme bewertet oder interpretiert werden, sondern alle Vorgänge, innere seelische wie äußere, scheinbar objektive, »existieren nur kraft dessen, dass sie erzählt sind.«135 Hamburger bringt dies auf die kurze Formel: »Das Erzählen ist das Geschehen, das Geschehen ist das Erzählen.«136 Gerade nicht zur epischen Fiktion rechnet Hamburger die literarische Form der Ich-Erzählung. Den Ich-Erzähler betrachtet sie als einen ›echten Erzähler‹, den sie kategorial vom ›epischen Ich‹ sondert, seinen Ursprung sieht sie in der Autobiographie.137 Das ›Ich‹ der Ich-Erzählung beschreibt sie als Aussagesubjekt, womit einhergeht, dass die verwendeten Tempora ihre tatsächliche grammatische Funktion besitzen, das Präteritum wirklich Vergangenes bezeichnet und das Präsens kein historisches Präsens ist, sondern sich auf die Jetzt-Ebene das Aussagesubjekts bezieht.138 Der Unterschied zwischen einer Autobiographie und einer Ich-Erzählung liegt gemäß Hamburger im Fingiertsein der Letzteren: Der Ich-Erzähler tätigt fingierte Wirklichkeitsaussagen.139 Die klassifikatorische Größe der ›fingierten Wirklichkeitsaussage‹ macht es für Hamburger notwendig, die Begrifflichkeiten des Fiktiven und des Fingierten grundsätzlich zu unterscheiden: Der Begriff des Fingierten bedeutet ein Vorgegebenes, Uneigentliches, Imitiertes, Unechtes, der des Fiktiven dagegen die Seinsweise dessen was nicht wirklich ist: der Illusion, des Scheins, des Traums, des Spiels.140

133 134 135 136 137 138 139 140

Siehe etwa Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 74, 97, 113. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 97. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 100. Ebenda. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 220/221. Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 36–39. Vgl. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 222/223. Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 223.

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Der entscheidende Unterschied zur epischen Erzählfunktion liegt dementsprechend darin, dass der Ich-Erzähler »von anderen Personen nur als von Objekten sprechen« und das Erlebnisfeld der eigenen Ich-Origo nicht verlassen kann.141 Dies bedeutet, dass alle Figuren, die in der Ich-Erzählung vorkommen, immer nur in der Sichtweise des ›Ich‹ geschildert werden, ja sämtliche berichteten Ereignisse dem Blickfeld des Ich-Erzählers entspringen. In der Ich-Erzählung ist es denn auch nicht möglich, innere Vorgänge von Dritten wiederzugeben: Und nicht zufällig, sondern strukturell bedingt ist es daher, dass die entscheidend fiktionalisierenden Darstellungsformen, die Verben der inneren Vorgänge angewandt auf dritte Personen, damit die erlebte Rede, ja auch der Monolog, kurz die Gestaltung der Subjektivität dritter Personen im Ichroman nicht vorkommen können.142

Insofern ist es für Hamburger auch evident, dass sich die logische Struktur des Ich-Romans vom Er-Roman kategorial unterscheidet. Hamburger argumentiert auf der sprachlogischen Ebene, mit dem Problem, dass sie ein ontologisches Verständnis von Fiktion unterstellt. Die beschriebenen Phänomene werden von ihr zwar vornehmlich auf der textuellen Ebene skizziert, trotzdem rekurriert sie immer wieder auf eine außertextliche Wirklichkeit, thematisiert die sich wandelnden und epochal differenten epistemologischen Vorstellungen jedoch nicht. Ihre Untersuchungsgegenstände, von denen her sie die analytischen Kategorien gewinnt, sind Erzähltexte des 20. Jahrhunderts; diesen sowie den die betreffende Zeit prägenden erkenntnistheoretischen Prämissen ist ihre Systematik verpflichtet. Das Verdienst ihrer Studie besteht darin, dass sie Charakteristika von fiktionalem Erzählen ausleuchtet, welches ohne eine dem Text eingeschriebene Vermittlungsinstanz auskommt. Die in diesem Zusammenhang öfters verwendete Bezeichnung der ›Er-Erzählung‹ ist allerdings unglücklich gewählt, suggeriert das Pronomen doch gerade die Existenz einer personalen Vermittlungskategorie. Vollständig unberücksichtigt bleiben zudem Fragen der buchmedialen Präsentation von Erzähltexten und deren Relevanz für Aspekte ihrer gestalterischen Ausformung. 141 Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 224. 142 Hamburger, Die Logik der Dichtung, S. 225.

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Wayne C. Booth: The Rhetoric of Fiction (1961) Nachdem die angelsächsische Erzähltheorie mit Henry James und Percy Lubbock bereits wichtige Beiträge zum narrativen ›point of view‹ geleistet und damit Fragen der Perspektivierung sowie des Grades der Mittelbarkeit in den Vordergrund gestellt hat, nimmt Wayne C. Booth die soweit entwickelten Theoreme in seiner Studie ›The Rhetoric of Fiction‹ von 1961 auf und führt sie in einer Weise weiter, die sich ganz auf das Verständnis und die Erkenntnis der Erzählinstanzen konzentriert.143 Mit seinen Kategorien des impliziten bzw. implizierten Autors144 und des unzuverlässigen Erzählers145 143 Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction, Chicago 1961, dt.: Die Rhetorik der Erzählkunst, übers. v. Alexander Polzin, 2 Bde., Heidelberg 1974. 144 Zur kontroversen Rezeption, die Booth’ Konzept des implied author nach sich zog, siehe etwa: Ansgar Nünning, »Renaissance eines anthropomorphisierten Passepartouts oder Nachruf auf ein literaturkritisches Phantom? Überlegungen und Alternativen zum Konzept des ›implied author‹«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67 (1993), S. 1–25; Tom Kindt/Hans-Harald Müller, The implied author. Concept and controversy, Berlin 2006; Brian Richardson (Hg.), Implied Author: Back from the Grave or Simply Dead Again?, Themenheft: Style 45.1 (2011), S. 1–160. 145 Die Kategorie des unzuverlässigen Erzählers hat allein in den letzten zwei Jahrzehnten eine Vielzahl an Studien hervorgebracht. Wie sich die intensive theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept der unreliable narration in diversen einschlägigen Publikationen spiegelt, so sind in der jüngeren Zeit auch vielfältige anwendungsorientierte Studien entstanden, die unzuverlässige Erzähler in konkreten literarischen Werken identifizieren. Weiterführend etwa: Ansgar Nünning (Hg.), Unreliable Narration: Studien zur Theorie und Praxis unglaubwürdigen Erzählens in der englischsprachigen Erzählliteratur, unter Mitwirkung von Carola Surkamp und Bruno Zerweck, Trier 1998; Monika Fludernik, »Defining (In)Sanity: The Narrator of The Yellow Wallpaper and the Question of Unreliability«, in: Walter Grünzweig/Andreas Solbach (Hg.), Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries: Narratology in Context, Tübingen 1999, S. 75–95; Greta Olson, »Reconsidering Unreliability: Fallible and Untrustworthy Narrators«, in: Narrative 11/1 (2003), S. 93– 109; Ansgar Nünning, »Reconceptualizing Unreliable Narration: Synthesizing Cognitive and Rhetorical Approaches«, in: James Phelan/Peter J. Rabinowitz (Hg.), A Companion to Narrative Theory, Oxford 2005, S. 89–107; Fabienne Liptay/Yvonne Wolf (Hg.), Was stimmt denn jetzt? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film, München 2005; Theresa Heyd, »Understanding and handling unreliable narratives«, in: Semiotica 162 (2006), S. 217–243; Ansgar Nünning, »Reconceptualizing the Theory, History and Generic Scope of Unreliable Narration. Towards a Synthesis of Cognitive and Rhetorical Approaches«, in: Elke D’hoker/Gunther Martens (Hg.), Narrative

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hat Booth Begriffe geschaffen, die weit über den engeren narratologischen Wirkungskreis seiner Theorie hinaus prägend geworden sind. Der Gegensatz von ›telling‹ versus ›showing‹ und die Frage nach der Möglichkeit einer szenisch-dramatischen, gleichsam unvermittelten Darstellung der erzählten Welt dient Booth zum Ausgangspunkt, der sich gegen die Vorstellung wendet, »dass ›objektive‹, ›unpersönliche‹ oder ›dramatische‹ Erzählweisen naturgemäß all denen überlegen sind, bei denen der Autor oder dessen zuverlässiger Sprecher direkt in Erscheinung treten.«146 Eine derartige Favorisierung verstellt nach Booth den Blick für die Beantwortung der Frage, wie die Mechanismen der Einmischungen und Bewertungen durch die Autoren überhaupt funktionieren und warum fortgesetzte Kommentare den Leser mitunter fesseln und in Bann ziehen.147 Booth ist grundsätzlich der Ansicht, dass Objektivität in der Literatur, also ein Erzählen in völliger Teilnahmslosigkeit, geprägt von Neutralität und Gleichgültigkeit im buchstäblichen Sinn, nicht möglich ist.148 Als auktoriale Eingriffe versteht er nicht nur Erläuterungen zu Motiven und Bedeutsamkeiten von Ereignissen oder eingeschobene Kommentare, sondern auch Bewertungen und Kritik, die durch die Verwendung von Adjektiven und Adverbien in Bezug auf die Figuren und ihr Tun erfolgen; diese lenken den Rezipienten in seiner Einschätzung und Beurteilung des Erzählten, führen zu Mitgefühl oder Verachtung.149 Bereits an diesem Punkt wird deutlich, warum Booth von der ›Rhetorik‹ der Erzählkunst spricht: Bei jedem Erzählen einer Geschichte geht es um Interesse und Sympathielenkung. Da Bewertungen und Kritiken prinzipiell Wertmaßstäbe voraussetzen, die implizit oder explizit zur Anwendung kommen, kann sich das Erzählen Booth’ Ansicht nach moralischen Fragen nicht entziehen. Erzählen ist für ihn denn immer parteiisch: Schon nur die Auswahl, was erzählt wird und was nicht, markiert eine bestimmte Position, zudem ist relevant, ob das Ausgewählte aus der Sicht des Täters mit seinen Gefühlen und Motivationen

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Unreliability in the Twentieth-Century First-Person Novel, Berlin 2008, S. 29–76; Tom Kindt, Unzuverlässiges Erzählen und literarische Moderne, Tübingen 2008. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 16. Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 17. Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 74/75. Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 12–14.

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oder mit Fokus auf das Opfer und dessen Erleben präsentiert wird.150 Auch alle Einblicke ins Innere der Protagonisten rechnet Booth zu den auktorialen Einmischungen, da das reale Leben solche nicht gewährt.151 Sie sind rhetorische Mittel der Einflussnahme auf den Rezipienten, indem sie Möglichkeiten der Einfühlung eröffnen und Verständnis für die Figur wecken. Da Booth in der Literatur Welten abgebildet sieht, in denen bestimmte Normen hochgehalten, andere eher missachtet oder herabgesetzt werden, der Autor aber derjenige ist, der auswählt und entscheidet, wer, was und auf welche Weise dies zur Darstellung kommt, ist es eben dieser Autor, der mit seinem Erzählen ein spezifisches moralisches Urteil abgibt. Der Autor ist »die ordnende Hand«, er ist verantwortlich für das Erzählte, selbst wenn es in der Figurenrede steht.152 Dies ist der Argumentationspunkt, aufgrund dessen es Booth notwendig erscheint, die Instanz des impliziten Autors einzuführen. Da es sich der Romanschriftsteller »selten erlauben kann, seine Vorurteile unmittelbar und unverändert in sein Werk einfließen zu lassen«, schafft er »eine implizierte Version ›seiner selbst‹«.153 Die Basis der betreffenden Vorstellung bildet die Ansicht, dass sich jeder Leser »unweigerlich ein Bild von dem offiziellen Schreiber konstruier[t]«,154 der in seinen Werten niemals neutral sein kann. Aus dieser Konstruktion resultiert das zweite Selbst des Autors, das von Werk zu Werk als jeweils impliziter Autor anders zu Tage treten kann, indem sich die Normen gleichsam bündeln, die im Erzählten und durch das Erzählen in einem bestimmten Werk sichtbar werden. Diese Normen wirken durch die je spezifische Steuerung des Autors auf den Leser und beeinflussen diesen in seinem Urteil, insofern besitzt die Erzählkunst eine rhetorische Dimension. Die Kategorie des impliziten Autors macht die klare Abgrenzung einerseits vom Autor, andererseits vom Erzähler nötig, die Booth allerdings nicht so recht gelingen will. So räumt er selbst ein, dass der implizite Autor mit dem (verborgenen) Erzähler zusammenfällt, wenn dieser nicht als drama-

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Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 29 u. 69. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 26. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 27. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 77. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 78.

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tisierte Figur auftritt.155 Booth unterscheidet generell zwischen ›verborgenen‹ und ›auftretenden‹ Erzählern, zu Ersteren rechnet er »die in Er-Form dargebotenen ›Bewusstseinszentren‹«, aber auch Figurenreden, die argumentativen Charakter haben, also Überzeugungsarbeit (bei anderen Figuren, aber indirekt vor allem auch beim Leser) leisten.156 Letztere sind IchErzähler, gegebenenfalls auch in Wir-Form zu greifen, die sowohl reine Beobachter als auch »Akteure, die einen nachweisbaren Einfluss auf den Gang der Ereignisse nehmen«, sein können.157 Booth bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Lubbock, dessen »Gegenüberstellung von Szene und Zusammenfassung sowie von Darstellen und Erzählen« er zwar für sinnvoll erachtet, die seiner Meinung nach jedoch ergänzt werden muss durch Aspekte, die den Erzähler selbst näher bestimmen. Solche Aspekte sieht er etwa bei der Frage nach Erzählerkommentaren beleuchtet oder in Bezug auf den rollenbewussten Erzähler gegeben. Während rollenbewusste Erzähler sich dadurch auszeichnen, dass sie über den Prozess ihres Schreibens reflektieren – sich ihres Erzählens gleichsam bewusst sind –, können Kommentare jeder Façon, unabhängig davon, ob eine Geschichte vornehmlich in szenisch-darstellender Art oder eher in berichtender Erzählung präsentiert wird, die Wiedergabe des eigentlichen Handlungsgangs unterbrechen.158 Zu diesen Kommentaren rechnet Booth: »Beschreibung[en] des Schauplatzes, Erläuterung[en] der Bedeutung einer Handlung, Zusammenfassung[en] von Denkprozessen oder von Vorgängen, die zu unbedeutend sind, um eine Dramatisierung lohnend erscheinen zu lassen, Beschreibung[en] physischer Vorgänge und Details.«159 Aus den hierzu von Booth verwendeten Beispielen wird deutlich, dass sich eine kommentierte »Vermittlung von Fakten«160 dadurch auszeichnet, dass die Erzählinstanz beim Beschreiben, Zusammenfassen etc. auf ihr eigenes Tun verweist und dieses expliziert, die Kommentierung also als Teil der (Selbst-)Konturierung des Erzählers zu verstehen ist. Insofern beinhalten Kommentare immer Wer155 156 157 158 159 160

Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 156. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 157/158. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 158. Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 160. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 172. Ebenda.

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tungen, die den Leser beeinflussen, was erst recht für diejenigen Kommentare gilt, die ausdrückliche Beurteilungen der geschilderten Ereignisse oder der beschriebenen Figuren abgeben. Kommentare können verallgemeinernden Charakter haben, indem sie dem Dargestellten »universal[e] oder doch zumindest repräsentativ[e] Bedeutung über den besonderen Fall hinaus« zumessen,161 sie können aber auch der »Manipulation von Stimmungen«162 dienen, gerade dann, »wenn ein Autor sich einmischt, um Stimmungen und Gefühle des Lesers explizit anzusprechen.«163 Kommentare sind gemäß Booth aber vor allem auch Mittel des rollenbewussten Erzählers, der sein eigenes Schreiben und die Art und Weise seines Darstellens problematisiert.164 Da alle Kommentare grundsätzlich das Urteil des Lesers stark beeinflussen, gesteht Booth ihnen einen hohen Stellenwert unter den »rhetorischen Aufgaben«165 des Erzählens zu. Eine Abgrenzung der Erzähl- und Autor-Instanzen versucht Booth in deren Distanznahme zueinander sowie zu den Lesern und zu den andern Figuren zu begründen: Jede Leseerfahrung impliziert einen Dialog zwischen Autor, Erzähler, den anderen Charakteren und dem Leser. Bei jedem der vier kann die Skala der möglichen Beziehungen zu jedem einzelnen der drei anderen von der Identifikation bis zur völligen Opposition reichen, wobei beliebige Werte – moralische, geistige, ästhetische und sogar physische – maßgebend sein können.166

Distanz oder Anteilnahme prägen das konstellative Viereck in der Weise, dass sich für die Betrachtung der Erzählinstanz schärfere Differenzierungsmöglichkeiten ergeben. So lässt sich etwa nach dem Grad der Allwissenheit des sogenannt ›allwissenden Erzählers‹ fragen, da »nur wenige 161 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 201. 162 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 204. 163 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 205. Wie unschlüssig Booth bei der Bestimmung der Instanzen ›Autor‹, ›impliziter Autor‹ und ›Erzähler‹ ist, zeigt sich darin, dass er mit Blick auf solche Kommentare übergreifend von der »Stimme des Autors im Erzählwerk« spricht (S. 172), gleichzeitig ›Autor‹ und ›Erzähler‹ beinahe austauschbar verwendet (vgl. S. 173–213). 164 Vgl. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 209–213. 165 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 201. 166 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 160/161.

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›allwissende‹ Erzähler […] soviel wissen oder darstellen […], wie ihre Autoren wissen.«167 Oder es vermag die geringere oder größere emotionale Involviertheit abgewogen zu werden, die unterschiedliche Erzähler zu einzelnen Figuren oder in Bezug auf die erzählten Ereignisse zeigen. Insbesondere kreiert Booth über das Verhältnis von Distanz und Anteilnahme die Kategorie des ›unzuverlässigen Erzählers‹. Fehlbare bzw. unzuverlässige Erzähler zeichnen sich dadurch aus, dass ihre »Wesenszüge sich im Lauf der von ihnen erzählten Werke wandeln,«168 über die Vermittlung des impliziten Autors oder anderer Erzähler ihre Unglaubwürdigkeit herausgestellt werden kann. Booth räumt ein, dass es nicht immer einfach ist, unzuverlässige Erzähler auszumachen und den Grad ihrer Fehlbarkeit zu identifizieren.169 Er sieht die Aufgabe des Lesers darin, mit Hilfe stiller Hinweise des Autors und von Ironiesignalen die Unzuverlässigkeit des Erzählers zu entlarven: Der Autor agiert dabei gleichsam als Komplize des Lesers hinter dem Rücken des Erzählers.170 Das Phänomen unglaubwürdiger Redeinstanzen ist für Booth jedoch kein genuines Problem narrativer Texte; überall, wo figurierte Sprecher zum Einsatz kommen, sind diese auf ihre Zuverlässigkeit hin zu befragen. Als typische unglaubwürdige Erzähler können seiner Meinung nach denn etwa die Sprecher von Satiren angesehen werden.171 Booth verweist aber auch auf Bösewichte und deren Selbstgespräche im Drama, denen nicht zu trauen sei, insbesondere auf Erzähler in Schelmenromanen und vergleichbaren Texten.172 Booth’ generelle Unterscheidung von Autor, implizitem Autor und Erzähler erscheint mit Blick auf seine Argumentation weniger eine absolute als eine relationale zu sein. Literarische Kommunikation ist für ihn eingebettet in eine moralische Bewertung. Von daher lässt sich seiner Meinung nach jede fiktionale Literatur auf ein bestimmtes Normensystem beziehen (wie dieses im Einzelnen aussieht, darüber äußert er sich allerdings kaum). Diese ethische Basis besitzt in Booth’ Konzeption ein so starkes Gewicht, dass er 167 168 169 170 171 172

Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 166. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 162. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 165. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 2, S. 41 u. 45. Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 2, S. 51/52. Ebenda.

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ein Werk dann als schlecht bezeichnet, wenn es Werte vermittelt, die der Leser nicht akzeptieren kann.173 Die Kategorie des impliziten Autors, der einsteht für die über den betreffenden Text vermittelte Gesinnung, dient denn nicht zuletzt dazu, diesen normativen Anspruch gleichsam abzufedern, den Autor gewissermaßen zu entlasten und ihm nicht die volle Verantwortung für die über das Kunstwerk vermittelten Werthaltungen aufzubürden. Der Analyseansatz von Booth zeichnet sich gegenüber anderen narratologischen Modellen vor allem dadurch aus, dass er den Aspekt erzählerischer Kommentierungen und deren Wirkungen besonders stark gewichtet. Der Akt narrativer Vermittlung ist für ihn grundsätzlich immer geprägt durch Sympathielenkung und Formen der Einflussnahme. Durch die Engführung des Erzählens mit Funktionsweisen der Rhetorik stellt Booth den Gedanken in den Vordergrund, dass es sich beim narrativen Kommunikat um einen von einem Urheber veranlassten Sprechakt handelt, der die Rezipienten von einer bestimmten Position überzeugen will. Dies korrespondiert mit Vorstellungen, wie sie in den auf der antiken Rhetorik basierenden mittellateinischen Poetiken greifbar sind. Auch dort wird Erzählen von der rhetorischen Stoßrichtung her als Argumentieren begriffen, geht es darum, dass der Dichter, gleich wie der Redner, als eine Instanz gilt, die ihr Publikum mittels argumentativ schlüssiger Begründungsstrategien von der Stichhaltigkeit des Vorgebrachten überzeugen will.174 Erzählen ist gemäß den mittelalterlichen lateinischen Lehrschriften bestimmt durch eine grundsätzliche Zielgerichtetheit, die auf ihre Wirkung beim Empfänger setzt, zeichnet sich also immer als ein parteiisches aus. Diese Prämisse liegt, wenn auch anders gewendet, auch dem narratologischen Modell von Wayne C. Booth zugrunde.

173 Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst, Bd. 1, S. 74–93, 128–153 et passim. 174 Vgl. dazu etwa Gert Hübner: »evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen«, in: Harald Haferland/Matthias Meyer (Hg.), Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven, Berlin/New York 2010, S. 119–147; Seraina Plotke, »Verfahren der inventio im spätmittelalterlichen Märe ›Von Pyramo und Thisbe, den zwein lieben geschah vil wê‹«, in: Henriette Harich-Schwarzbauer/Alexander Honold (Hg.), Carmen perpetuum. Ovids Metamorphosen in der Weltliteratur, Basel 2013, S. 111–127.

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Gérard Genette: Discours du récit (1972) und Nouveau discours du récit (1983) Gérard Genette legte im dritten Band seiner ›Figures‹ von 1972 ein Analyseinstrumentarium vor, das an Differenziertheit und Präzision alle vorangegangenen narratologischen Theoriemodelle so weit übertraf, dass es sich bald als maßgebender Ansatz der modernen Erzählforschung durchsetzen und bis heute diesen Stellenwert weithin verteidigen konnte.175 Ursprünglich in der Auseinandersetzung mit Marcel Prousts monumentalem Roman ›À la recherche du temps perdu‹ entwickelt, stellt Genettes strukturalistischer Entwurf gleichsam einen Bausatz an Begrifflichkeiten zur Verfügung, mit denen sich viele Phänomene des Erzählens einholen lassen. Die Grundlage der Systematik bildet die Unterscheidung von Geschichte (›histoire‹), Erzählung (›récit‹) und Narration (›narration‹),176 die gemäß Genette die drei analytischen Dimensionen eines jeden narrativen Texts beschreiben und die sich als begriffliche Differenzierungen gerade für die Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Erzähltexten durchaus als dienlich erweisen: Als ›Geschichte‹ bezeichnet Genette »das Signifikat oder den narrativen Inhalt« eines Erzähltextes, ›Erzählung‹ nennt er »den Signifikanten, die Aussage, den narrativen Text oder Diskurs der Erzählung im eigentlichen Sinne«, während er unter ›Narration‹ den »produzierenden narrativen Akt sowie im weiteren Sinne d[ie] real[e] oder fiktiv[e] Situation« versteht, in der dieser Akt erfolgt.177 Mit der Unterscheidung von Erzählung und Narration, die den Erzähltext als fertiges, vorliegendes Produkt vom Akt des Erzählens in seiner Prozessualität abhebt, führt diese Nomenklatur prinzipiell über die Ansätze anderer Theoretiker hinaus. Gegenstand und Ausgangspunkt erzähltheoretischer Analysen ist von daher immer die ›Erzählung‹, sie ist das Produkt, auf das zugegriffen und 175 Gérard Genette, »Discours du récit«, in: ders., Figures III, Paris 1972, S. 67–273; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 9–176. 176 Wie sich die drei von Genette unterschiedenen Ebenen zu den Differenzierungen anderer narratologischer Modelle verhalten, zeigt holzschnittartig die Tabelle in: Matias Martinez/Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 6. Aufl., München 2006, S. 26. 177 Genette, Die Erzählung, S. 16.

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auf ihr Verhältnis zu den anderen beiden Ebenen hin erforscht werden kann.178 Die Beziehungen zwischen diesen drei Ebenen wiederum liefern die Untersuchungsfelder der Narratologie, wie Genette sie versteht, sie konstituieren die drei grundlegenden Analysekategorien, hinsichtlich derer jeder Erzähltext näher bestimmt werden kann: ›Zeit‹, ›Modus‹ und ›Stimme‹ – über diese drei »der Grammatik des Verbs entlehnt[en]« Perspektiven der Systematisierung lassen sich gemäß Genette sämtliche Relationen von ›Geschichte‹, ›Erzählung‹ und ›Narration‹ ausleuchten.179 Unter die Klassifikation der ›Stimme‹, die Genette hinsichtlich seiner Basisfrage ›Wer spricht?‹ als zentrale Analysekategorie installiert, indem er die grundlegende Entkoppelung der Sprechinstanz vom Wahrnehmungszentrum vornimmt – Letzteres teilt er dem ›Modus‹ zu, dem er sich unter der Frage ›Wer sieht?‹ (später erweitert zu: ›Wer nimmt wahr?‹) nähert –,180 fasst er alle Problemstellungen, »die die Art und Weise betreffen, wie in der Erzählung oder dem narrativen Diskurs die Narration selber impliziert ist«:181 So definiert Genette die ›Stimme‹ als »die Produktionsinstanz des narrativen Diskurses«.182 Im Falle einer fiktionalen Erzählung handelt es sich beim Erzähler, wie Genette diese Produktionsinstanz auch nennt, um »eine fiktive Rolle […], selbst wenn diese unmittelbar vom Autor übernommen werden sollte.«183 Um die schillernden Facetten dieser Produktionsinstanz im Einzelnen zu durchschauen, schafft der französische Strukturalist ein eigenes Vokabular, mit dem sich die diversen Aspekte der ›Stimme‹ begreifen lassen: Systematisch untersucht er Fragen zur Person des Erzählers und deren Verhältnis zur Geschichte, Fragen zu den Funktionen, die die Erzählinstanz zu übernehmen in der Lage ist, sowie zu den verschiedenen narrativen Ebenen. Als Antwort auf Fragen zur Person des Erzählers beleuchtet Genette die Art und Qualität der narrativen Instanz als solcher. Die Grundlage seiner 178 Genette, Die Erzählung, S. 17: »Geschichte und Narration existieren für uns also nur vermittelt durch die Erzählung.« 179 Genette, Die Erzählung, S. 19. 180 Genette, Die Erzählung, S. 132. 181 Genette, Die Erzählung, S. 19. 182 Genette, Die Erzählung, S. 152. 183 Ebenda. Zur Problematik der Unterscheidung von Autor und Erzähler bei Genette mehr unten.

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Überlegungen bildet die Einsicht, dass man nicht von Er-Erzählern (versus Ich-Erzählern) bzw. von Erzählungen in der dritten Person (versus Erzählungen in der ersten Person) sprechen kann, wie dies diverse narratologische Theoretiker vor ihm getan haben und wie es sich in vielen Erzähltextanalysen bis heute findet, denn: Sofern sich der Erzähler jederzeit als solcher in die Erzählung einmischen kann, steht jede Narration per definitionem virtuell in der ersten Person (sei es auch in der Form des akademischen Plurals).184

Gemäß Genette lässt sich nur zwischen Erzählern, die gleichzeitig eine Figur der Erzählung darstellen, und solchen, für die dies nicht zutrifft, differenzieren; erstere nennt er homodiegetisch, letztere heterodiegetisch.185 Während der heterodiegetische Erzähler dadurch definiert ist, dass er in der Geschichte selbst grundsätzlich nicht vorkommt, gibt es beim homodiegetischen nach Ansicht Genettes verschiedene Spielarten: Er kann die Hauptfigur der Geschichte, eine Nebenfigur oder auch ein unbeteiligter Zeuge sein,186 ersteren Fall bezeichnet der französische Strukturalist auch als autodiegetisch.187 Einen weiteren zentralen Gesichtspunkt seiner Untersuchungen zur ›Stimme‹ bildet für Genette die Problematik der verschiedenen Ebenen der Narration. Im Fokus steht der Umstand, dass innerhalb jeder Erzählung weitere Erzählungen vorgetragen werden können und selbst in diesen mitunter Berichterstatter auftreten, so dass man dadurch Erzähler zweiter, dritter usw. Ordnung erhält. Entsprechend spezifiziert er: 184 Genette, Die Erzählung, S. 175. 185 Ebenda. 186 Während Genette im ›Discours du récit‹ nur von Hauptfiguren und von unbeteiligten Zuschauern spricht, räumt er im ›Nouveau discours‹ ein, dass grundsätzlich jede Form der Abstufung möglich ist, ja sogar die klare Grenze zwischen homo- und heterodiegetischer Instanz verschwimmen kann (Genette, Die Erzählung, S. 176 u. 261–263). Siehe zu dieser Problematik etwa auch die Überlegungen von: Tilmann Köppe/Tom Kindt, Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart 2014, S. 94 u. 96. 187 Genette, Die Erzählung, S. 176. Typisch für diesen autodiegetischen Erzähler ist, dass er in zwei Aktanten zerfällt, die »durch einen Alters- und Erfahrungsunterschied getrennt« sind (Genette, Die Erzählung, S. 181, wo auch auf die Unterscheidung Leo Spitzers zwischen ›erzählendem Ich‹ und ›erzähltem Ich‹ verwiesen wird). So weiß das Ich als Erzähler mehr als das Ich als Held, wobei dieser Wissensvorsprung im Laufe der Geschichte immer kleiner wird.

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Jedes Ereignis, von dem in einer Erzählung erzählt wird, liegt auf der nächsthöheren diegetischen Ebene zu der, auf der der hervorbringende narrative Akt dieser Erzählung angesiedelt ist.188

Den Erzähler erster Ordnung nennt Genette extradiegetisch, die Ereignisse, von denen diese äußerste narrative Instanz berichtet – also die Welt, die durch den Sprechakt dieser ersten Erzählinstanz entsteht –, konstituieren die Diegese bzw. die intradiegetische Ebene; insofern lassen sich die erzählten Ereignisse auch als diegetische bzw. als intradiegetische Ereignisse bezeichnen.189 Tritt innerhalb der Diegese ein Sprecher auf, der eine Erzählung zum Besten gibt, dann bestimmt Genette diesen als intradiegetisch; das wiederum, was dieser Erzähler zweiter Ordnung von sich gibt, wird als Metadiegese definiert.190 Aus dieser begrifflichen Differenzierung der narrativen Ebenen ergeben sich verschiedene Kernprobleme, die sich weiter reflektieren lassen, so die Frage nach dem Verhältnis von Autor und extradiegetischem Erzähler oder auch nach der Beschaffenheit der Beziehungen zwischen den einzelnen Ebenen mit dem Sonderphänomen der Metalepse. Was die erste Problemstellung angeht, setzt Genette den extradiegetischen Erzähler mitunter auch mit dem (fiktiven) Autor gleich, indem dieser als Urheber und Erzeuger des schriftliterarischen Produkts gilt: So bezeichnet er beispielsweise Robinson Crusoe als »Autor-Erzähler« des gleichnamigen Romans.191 Im ›Nouveau discours du récit‹ von 1983, mit dem Genette seine Nomenklatur nochmals präzisiert, ist dieser Gesichtspunkt wie folgt zugespitzt: Entsprechend ist natürlich der extradiegetische Erzähler völlig eins mit dem Autor – und zwar nicht, wie allzuoft gesagt wird, mit einem ›impliziten‹, sondern durchaus mit einem expliziten und genannten. Was nun allerdings nicht heißt, mit einem ›realen‹; sondern mal (selten) mit einem realen wie, sagen wir, dem Giono von Noé, erkennbar an seinem ›aus einer knallroten Pferdedecke geschneiderten‹ Hausmantel und anderen autobiographischen Details; mal mit 188 Genette, Die Erzählung, S. 163. Im Original kursiv. 189 Ebenda. 190 In ihrer kürzesten Bestimmung fasst Genette diese Terminologie folgendermaßen zusammen: »Die narrative Instanz einer ersten Erzählung ist also per definitionem extradiegetisch, die narrative Instanz einer zweiten (metadiegetischen) Erzählung per definitionem diegetisch usw.« Genette, Die Erzählung, S. 163. 191 Genette, Die Erzählung, S. 164.

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einem fiktiven (Robinson Crusoe); mal mit einem merkwürdigen Zwitter aus beiden, wie dem Autor-Erzähler von Tom Jones, der nicht Fielding ›ist‹, aber trotzdem ein oder zweimal seine verstorbene Charlotte beweint.192

Wie das Verhältnis zwischen dem realen (empirischen) Autor und dem Autor als extradiegetischem Erzähler im Einzelnen beschaffen ist, dies ist für Genette keine narratologische Frage im engeren Sinn,193 sondern lässt sich, wie seine Beispiele verdeutlichen, erst durch Zeugnisse und Informationsquellen klären, die außerhalb des betreffenden Texts stehen. Die Frage nach der Relation zwischen dem realen Autor und dem extradiegetischen Erzähler ist demnach nicht pauschal zu beantworten, sondern kann nur im Einzelfall mit Blick auf bestehende Belege und Hinweise aus dem Literaturbetrieb (Interviews, Zeitungsartikel, Berichte etc.) oder anderen Dokumenten (Urkunden, Fotografien, Verträgen, Steuerbescheinigungen etc.) geklärt werden.194 Ebenfalls zu den Kernproblemen der Differenzierung der narrativen Ebenen gehört ein Phänomen, das die Relation des extradiegetischen Erzählers zur Diegese betrifft und das Genette als Metalepse bezeichnet. Es geht dabei um die Verwischung der Grenzen der narrativen Ebenen, um »eine Art Transgression«195 von der einen in die andere. Die Eigenart der Metalepse besteht darin, dass sie zwei Welten verschmelzen lässt, die üblicherweise klar von einander getrennt sind: diejenige, in der erzählt wird, und diejenige, von der erzählt wird. Häufig anzutreffen ist die »Metalepse des Autors«196, bei welcher der extradiegetische Erzähler plötzlich Teil der Diegese ist, wobei in manchen Fällen sogar die Adressaten in diesen Sprung über die Grenzen der Ebenen einbezogen werden, was befremdlich wirkt, da es logisch getrennte Sphären vermischt.197 Besonders irritierend ist bei 192 Genette, Die Erzählung, S. 280. 193 Genette, Die Erzählung, S. 164: »Weder Prévost noch Defoe berühren irgendwie den Raum unserer Frage, die, erinnern wir uns noch einmal daran, die narrative und nicht die literarische Instanz betrifft.« Siehe dazu weiterführend etwa: Jannidis 2002. 194 Vgl. Genette, Die Erzählung, S. 164. 195 Genette, Die Erzählung, S. 167. 196 Ebenda. 197 So formuliert Genette, Die Erzählung, S. 168: »Jedes Eindringen des extradiegetischen Erzählers oder narrativen Adressaten ins diegetische Universum (bzw. diegetischer Figuren in ein metadiegetisches Universum usw.) […] zeitigt eine bizarre Wirkung, die mal komisch ist […], mal phantastisch«.

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dieser Form der Metalepse, dass Autor und Adressaten in die Welt der Diegese gleichsam eingesogen werden, die erzählte Welt und die Welt von Erzähler und Rezipienten unvermittelt ineinander aufzugehen scheinen: Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d. h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören.198

Hier wird deutlich, dass die Metalepse aus der Frage der Rahmung der Kommunikationssituation entsteht, da sie selbst eine Erscheinung des Übergangs ist und die Aufhebung der Grenze zwischen textinterner und textexterner Kommunikation betrifft.199 Auch wenn sich Genette später und in anderen Zusammenhängen, wie gleich noch zu zeigen sein wird, intensiv mit Paratexten als literarischen Schwellenphänomenen beschäftigt hat, vertieft er diesbezügliche Überlegungen im Kontext der Konzeption der Metalepse gerade nicht. Aus dem Rahmen der systematischen Einteilung der narrativen Instanzen in homo- oder hetero- und extra- oder intradiegetische Erzähler fallen Genettes Beobachtungen zu deren Funktionen. Da kaum ein Erzähler einfach nur eine Geschichte zum Besten gibt, sondern er diese häufig selbst kommentiert, das eigene Erzählen reflektiert oder die Adressaten durch Bewertungen des Erzählten zu beeinflussen sucht, unterscheidet Genette fünf verschiedene »Funktionen des Erzählers«200, die in der Praxis allerdings oft miteinander Hand in Hand gehen: 1. Unabdingbar für jeden Erzähltext ist die narrative Funktion, die den Erzähler als Berichterstatter bestimmter Ereignisse zeigt; 2. Der Erzähler kann sich metanarrativ auf den Diskurs des Erzählens beziehen und dessen Aufbau oder Ablauf erklären, was Genette Regiefunktion nennt; 3. Die Kommunikationsfunktion meint das Bemühen des Erzählers um Aufmerksamkeit, seinen Bezug auf den oder die Adres198 Genette, Die Erzählung, S. 169. 199 Remigius Bunia etwa vertritt die These, dass das, was Genette als extradiegetisch bezeichnet, immer schon diegetisch ist, da es aus der Sicht des Erzählens nichts außerhalb desselben geben kann bzw. auch der extradiegetische Erzähler erst mit der Erzählung selbst entsteht und demnach Teil von ihr ist (vgl. Remigius Bunia, Faltungen. Fiktion, Erzählen, Medien, Berlin 2007). 200 Genette, Die Erzählung, S. 183.

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saten, die Hinwendung zu seinen Lesern bzw. Zuhörern; 4. Zur testimonialen oder Beglaubigungsfunktion gehören alle Bemerkungen des Erzählers, die Auskunft über sein Verhältnis zur Geschichte geben: Dazu rechnet Genette sowohl affektive Aussagen, die die Gefühle des Erzählers seiner Geschichte gegenüber beschreiben, als auch Äußerungen zu den Quellen oder dem Wahrheitsgehalt des Erzählten; 5. Als ideologische Funktion schließlich bestimmt Genette die Einmischungen des Erzählers und seine Kommentare zu den Geschehnissen.201 Die Funktionen zwei bis fünf bezeichnet Genette als extra-narrativ, zudem weist er darauf hin, dass die ideologische Funktion nicht dem Erzähler allein zukommen muss, sondern dass auch (anderen) Figuren die Ereignisse qualifizierende Kommentare in den Mund gelegt werden können.202 Genettes Ansatz ist durch und durch systematisch und erhebt Anspruch auf Überzeitlichkeit: Auch wenn er selbst bereits im ›Nouveau discours du récit‹ Modifikationen vorgenommen sowie Varianten angedeutet hat, wurden seine Theoreme in der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung meistens verabsolutiert. Was die Klassifizierung der Erzählinstanzen angeht, verwendet er die Kategorie der Person im grammatischen Sinne und begreift den Erzählakt als Sprechakt, spricht in seinem Modell sogar explizit von der ›Stimme‹, ohne allerdings auf Aspekte der Vokalität des Stimmlichen einzugehen und Überlegungen der medialen Präsentation des narrativen Kommunikats in die Systematik einzubeziehen. Indem er unterstellt, dass jeder Erzähltext über einen Erzähler verfügt und den extradiegetischen-heterodiegetischen Erzähler mit dem – gegebenenfalls fiktiven – Autor gleichsetzt, rekurriert er auf einen literarischen Kommunikationsraum, in dem die Größe ›Autor‹ je schon textextern bestimmbar geworden ist. Er bezieht sich damit mehr oder weniger explizit auf Paratexte, problematisiert dies aber nicht (und schon gar nicht in der historischen Dimension), sondern legt stillschweigend ein modernes Konzept von Literatur zugrunde, selbst wenn er sich in Einzelbeispielen auch auf antike Epik bezieht. Tatsächlich zeigt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit insofern bereits in seiner Terminologie, als er ein text-internes Phänomen, nämlich die Art der Gestaltung der narrativen Vermittlungsebene, als extra201 Genette, Die Erzählung, S. 183/184. 202 Genette, Die Erzählung, S. 185.

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diegetisch bezeichnet.203 Eine Schwierigkeit entsteht hier nicht zuletzt dadurch, dass Genette die ›Stimme‹ zwar als »die Produktionsinstanz des narrativen Diskurses«204 bestimmt, jedoch nicht zwischen dem Narrationsakt im Sinne der Textvermittlung und dem Produktionsakt als Textgestaltung unterscheidet. Dies bringt – gerade vor dem Hintergrund der unterstellten Präsentationsform des modernen Buchs – als Problem mit sich, dass, solange der Erzählvorgang nicht als Schreibakt fiktionalisiert ist, sich der extradiegetische Erzähler genau genommen nicht so einfach mit dem (paratextuell kommunizierten) Autor gleichsetzen lässt.

Erzähler und ihre frames Wie die erörterten Positionen der ›klassischen‹ Erzähltheorie verdeutlichen, ist die Narratologie eine junge Disziplin nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sie ihre grundlegenden Theoreme vornehmlich in der Auseinandersetzung mit Romanen des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Von ihrer Stoßrichtung her ist sie werkanalytisch, auch wenn ihre Anfänge etwa bei Henry James und Percy Lubbock durchaus poetologischer Natur im engeren Sinne und durch das produktive Interesse des Schriftstellers geleitet waren. Ihr Vorgehen liegt im Begreifen der Phänomene und deren möglichst exakter Beschreibung. Insofern gewinnt sie ihre Analysekategorien meist induktiv, indem sie das gegebene Material auf seine Erscheinungsformen hin untersucht und daraus ein verallgemeinerndes Instrumentarium ableitet, das sie wiederum auf weitere Texte anwendet und zu deren Erforschung nutzt. Die Problematik einer solchen induktiven Narratologie liegt selbstredend darin, dass die gebildeten Theoreme wesentlich durch die untersuchten Gegenstände geprägt sind. Ausschließlich dies, wofür die modernen Erzähltexte den Blick frei geben, wird Teil der Analyseraster. Anders gesagt: Nur was sich als Charakteristika der Texte und ihrer Präsentationsweise beobachten lässt, findet Eingang in die Theorien und zeigt seinen Widerhall in den konstitutiven Ordnungsschemata. Von daher hängen die 203 Siehe dazu ausführlich Bunia, Faltungen. 204 Genette, Die Erzählung, S. 152.

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Ausprägung und die thematische Spannbreite der narratologischen Theoreme unweigerlich mit den Wissensordnungen und der Buchkultur des 19. und des 20. Jahrhunderts zusammen. Umgekehrt bedeutet dies, dass hinsichtlich all derjeniger narrativen Erscheinungsformen, die nicht zu den Eigentümlichkeiten des modernen Romans und seiner material-medialen Darbietungsweise gehören, zwangsläufig blinde Flecken bleiben. Inwieweit sich die Eigenheiten des Erzählens, wie es sich in narrativen Werken früherer Jahrhunderte gestaltet, mittels der auf der Basis zeitgenössischer Editionen von Erzähltexten der Moderne entwickelten Kategorien einholen lassen, kann nur dann beantwortet werden, wenn versucht wird, die erzählpraktischen Charakteristiken sowie die divergenten medialen Präsentationsformen der betreffenden Texte in der diachronen Dimension wahrzunehmen und bei der Analyse zu berücksichtigen. Gerade was die Frage nach der Stimme des Erzählens und die Typisierung differenter Erzählinstanzen angeht, betonen jüngere narratologische Arbeiten – zu nennen sind etwa Studien von Marie-Laure Ryan205 oder Uri Margolin206 –, dass es allein zur Identifikation einzelner Erzählertypen und erst recht zur Bestimmung ihres Verhältnisses zum Autor des Texts grundsätzlicher Rahmungen bedarf, da sich die Narrationsinstanzen nur in Bezug auf diese kategorisieren lassen.207 Schon von der Sprechakttheorie208 205 Vgl. etwa Marie-Laure Ryan, Possible worlds, artificial intelligence, and narrative theory, Bloomington 1991; Marie-Laure Ryan, Narrative as virtual reality. Immersion and interactivity in literature and electronic media, Baltimore 2001. 206 Vgl. etwa Uri Margolin, »Collective Perspective, Individual Perspective, and the Speaker in Between: On ›We‹ Literary Narratives«, in: Willie van Peer/Seymour Chatman (Hg.), New Perspectives on Narrative Perspective, Albany 2001, S. 241–253. 207 Siehe zu dieser Problematik etwa auch Remigius Bunia, »Die Stimme der Typographie. Überlegungen zu den Begriffen ›Erzähler‹ und ›Paratext‹, angestoßen durch die Lebens-Ansichten des Katers Murr von E. T. A. Hoffmann«, in: Poetica 36 (2005), S. 373– 392; Werner Wolf, »Framing fiction. Reflections on a narratological concept and an example: Bradbury, Mensonge«, in: Walter Grünzweig/Andreas Solbach (Hg.), Grenzüberschreitungen. Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries. Narratology in Context, Tübingen 1999, S. 97–124; weiterführend auch die Beiträge im Band: Werner Wolf/Walter Bernhart (Hg.), Framing borders in literature and other media, Amsterdam 2006. 208 Zur Verbindung von Sprechakt- und Erzähltheorie siehe etwa Frank Zipfel, Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001.

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und der soziologischen Pragmatik ging die Erkenntnis aus, dass für die Analyse verbaler Äußerungen die frames zu berücksichtigen sind, innerhalb derer sie getätigt werden: Besonders einflussreich waren in dieser Hinsicht die Überlegungen von Erving Goffman.209 Die Rahmungen von Erzähltexten gehören als kommunikative Einbettungsleistungen jedoch weniger zu den Narrativen selbst, sondern vielmehr zum Buchwesen, das sich in unterschiedlichen Epochen je anders zeigt. Anschaulich haben dies etwa für die deutsche Romanliteratur um 1800 Till Dembeck und Uwe Wirth mit ihren umfassenden Analysen zu Werken von Christoph Martin Wieland, Karl Philipp Moritz, E.T.A. Hoffmann oder Jean Paul gezeigt.210 Die Klärung der von Gérard Genette zugespitzt formulierten Frage ›Wer spricht?‹ und damit die Bestimmung und Charakterisierung der ›Stimme des Erzählens‹ in einem je konkreten Text hängt also grundsätzlich mit der Problematik der Rahmung der narrativen Sprechsituation zusammen. Auch die zum Auftakt des Kapitels zitierten Eingangsverse des ›Herzog Ernst B‹ können nur vor dem Hintergrund der frames, die sie umgeben, klarer zugeordnet werden. Solange sich narratologische Problemstellungen auf schriftliche resp. schriftlich tradierte Texte konzentrieren, lassen sie sich nicht loslösen von Fragen der Buchkultur und den literatur- und bil209 Siehe grundlegend Erving Goffman, Frame analysis. An essay on the organization of experience, Cambridge/Mass. 1974, dt.: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, übers. von Hermann Vetter, Frankfurt a. M. 1977. Der englische und oftmals auch als solcher in deutsche wissenschaftliche Studien übernommene Begriff des frame hat in den letzten Jahrzehnten vielfältige, teilweise divergente Sinnschichten erhalten und in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Niederschlag gefunden, insbesondere in diversen Bereichen der Linguistik, der Kognitionspsychologie, der Kommunikationswissenschaften etc. Er überschneidet sich teilweise mit den ebenfalls breit etablierten Begriffen des schema und des script, bleibt aber trotz allem oder gerade deshalb oftmals vage: Als gemeinsamer Nenner der verschiedenen disziplinären Zugriffe bleibt die Vorstellung von frames als Verstehens- und Orientierungshilfen, die uns helfen, uns in der Welt zurecht zu finden. Was die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem frame-Begriff angeht, siehe weiterführend: Werner Wolf, »Introduction. Frames, Framings and Framing Borders in Literature and Other Media«, in: Werner Wolf/Walter Bernhart (Hg.), Framing borders in literature and other media, Amsterdam 2006, S. 1–40. 210 Vgl. Till Dembeck, Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul), Berlin 2007; Uwe Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann, München 2008.

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dungssoziologischen Bedingungen ihrer Rezeption, dies ist die Quintessenz, die sich daraus ergibt. Sollen die in der modernen Erzähltheorie etablierten Klassifizierungsinstrumente auf ihren analytischen Nutzen für mittelalterliche Erzähltexte hin befragt werden, kommt man also nicht umhin, nach den kommunikativen Rahmungen der betreffenden Dichtwerke zu fragen.

2.

Paratextuelle Rahmung und mittelalterliche Manuskriptkultur

Mit dem Phänomen der Rahmung, wie sie im modernen Buchwesen zur Wahrnehmung von Texten gehört, hat sich ebenfalls Gérard Genette einschlägig in seiner Studie ›Seuils‹ auseinandergesetzt, jedoch ohne unmittelbare Bezugnahme auf seine Erzähltheorie.211 Als Paratext definiert er dort »jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die Öffentlichkeit tritt.«212 Genette sieht im Paratext – wie schon der Titel seiner Abhandlung offenbart – eine ›Schwelle‹, »eine ›unbestimmte Zone‹ zwischen innen und außen, die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und nach außen (dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist.«213 Text und Paratext erzeugen also ein gleichsam dialektisches Verhältnis, das die Wahrnehmung des literarischen Werks steuert, wobei die Werkgrenze selbst nicht mehr scharf zu ziehen ist.214 Was die Klassifizierung der einzelnen paratextuellen Ele211 Gérard Genette, Seuils, Paris 1987, dt: Paratexte, mit einem Vorwort von Harald Weinrich, aus dem Franz. von Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1989. 212 Genette, Paratexte, S. 10. 213 Ebenda. 214 Siehe zu diesem Aspekt etwa auch: Jacques Dugast, »Parerga und Paratexte – Eine Ästhetik des Beiwerks«, in: Gérard Raulet/Burghart Schmidt (Hg.), Vom Parergon zum Labyrinth. Untersuchungen zur kritischen Theorie des Ornaments, Wien 2001, S. 101– 110; Uwe Wirth, »Performative Rahmung, parergonale Indexikalität. Verknüpfendes Schreiben zwischen Herausgeberschaft und Hypertextualität«, in: ders. (Hg.), Performanz. Von der Sprachphilosophie zu den Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 403–433, hier S. 409–414; Uwe Wirth, »Das Vorwort als performative, paratextuelle und parergonale Rahmung«, in: Jürgen Fohrmann (Hg.), Rhetorik. Figuration und Performanz, Stuttgart 2004, S. 603–628; Uwe Wirth, »Paratext und Text als

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mente betrifft, lässt sich der Strukturalist auch hier von Grundfragen leiten, mit Hilfe derer die Rahmenbestandteile, die die Zugangsschwelle zu einem Text bilden, unterschieden werden können: Definiert wird ein Paratextelement durch die Bestimmung seiner Stellung (Frage wo?), seiner verbalen oder nicht verbalen Existenzweise (wie?), der Eigenschaften seiner Kommunikationsinstanz, Adressant und Adressat (von wem? an wen?), und der Funktionen, die hinter seiner Botschaft stecken: wozu?215

Um diese Fragen gezielt zu verfolgen, unterteilt Genette sämtliche Paratexte in die zwei Grobkategorien der Peritexte, die sich am Textträger selbst befinden, ja Teil des Buches sind, wie es sich präsentiert, und in die Epitexte, die die Wahrnehmung eines Texts von anderen medialen Trägern her beeinflussen.216 Was die Peritexte angeht, lassen sich in Bezug auf das moderne Buch folgende Bestandteile identifizieren, die in der Regel vom Autor und/ oder vom Verleger festgelegt werden: alle Angaben auf dem Umschlag und auf dem Titelblatt wie der Name des Autors, der Titel des Werks, Angaben zur Gattung, zum Verlag oder zur Reihe, Spezifizierungen im Klappentext usw., des Weiteren Widmungen, Vorworte, Inhaltsverzeichnisse, aber auch nonverbale Komponenten wie das Buchformat oder der Schrifttyp, die Kapiteleinteilung oder die Art der Absatzgestaltung.217 Zu den Epitexten wiederum gehören: Verlagskataloge, Interviews mit Autoren, Verlegern, Kritikern etc. in diversen Medien, darüber hinaus auch Literaturdebatten und Kolloquien, Selbstkommentare des Autors in Tagebüchern oder Briefen usw.218 All diese paratextuellen Elemente sind charakteristisch für das moderne Buchwesen und tragen, gerade auch bei narrativen Texten, zur Rahmung bei: Sie bilden die frames, die die Kommunikationssituation des Erzählens prägen und von denen her sich die Erzählinstanzen und deren Verhältnis zum Autor des Texts bestimmen lassen. Sie gehören grundlegend zur Form, in der sich Erzähltexte heute ihren Lesern präsentieren, und liefern Meta-

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Übergangszone«, in: Birgit Neumann/Wolfgang Hallet (Hg.), Raum und Bewegung in der Literatur, Bielefeld 2009, S. 167–180. Genette, Paratexte, S. 12. Siehe Genette, Paratexte, S. 12/13. Detailliert Genette, Paratexte, S. 22–327. Dazu Genette, Paratexte, S. 328–384.

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daten, die die Rezeption maßgeblich steuern.219 Dies geht so weit, dass das Fehlen bestimmter paratextueller Informationen am Textträger ein hohes Irritationspotential birgt und vor allem die Kategorien Autorname und Werktitel als nahezu unverzichtbar gelten. Gerade der aktuelle Buchmarkt funktioniert ausschließlich dank paratextueller Ordnungsstrukturen. Also zurück zum als Problemaufriss gewählten Beispiel des ›Herzog Ernst B‹: Fragen wir nach der Rahmung der Kommunikationssituation, wie sie in den oben zitierten Eingangsversen eröffnet wird, vor allem nach dem Peritext, dann ist festzustellen, dass ein solcher bei den Überlieferungsträgern dieses Epos fast gänzlich fehlt. Die beiden spätmittelalterlichen Handschriften, die den Erzähltext als Ganzen tradiert haben, legen uns dessen Anfang quasi rahmen- und schwellenlos vor. In extremer Form gilt dies für den aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammenden Wiener Kodex 3028, der das Dichtwerk gleichsam nackt in einer gotischen Eilschrift präsentiert.220 Das einspaltig geschriebene Manuskript bietet zwar minimal graphische Elemente, die den Text strukturieren: So sind die Verse abgesetzt geschrieben mit roter Strichelung der Anfangsbuchstaben, zudem sind Absätze durch rote Lombarden markiert [Abb. 1]. Über diese paraverbal-gliedernden Charakteristika hinaus finden sich an diesem Textträger jedoch keinerlei Informationen, die zur Einordnung des gebotenen Texts und insbesondere zur Spezifizierung der Kommunikationssituation, wie sie mit den Anfangsversen eröffnet wird, beitragen. Auch wenn das Manuskript nicht mehr den ursprünglichen Einband und nur noch teilweise die Deckblätter besitzt, ist davon auszugehen, dass die Wiener Handschrift den 219 Dies gilt selbst für die neuerdings populären Hörbücher, die mit entsprechenden Daten und Informationen auf der Box des Tonträgers versehen sind. Zu den Rahmungen von Hörbüchern siehe etwa Vera Mütherig, »›Das Ohr ist klüger als das Gedicht‹. Autorenlesung als Form akustischer Literatur: Paratextuelle Rahmungsstrategien im Medium Hörbuch«, in: Britta Herrmann (Hg.), Dichtung für die Ohren. Zur Poetik und Ästhetik des Tonalen in der Literatur der Moderne, Berlin 2015, S. 255– 271. Weiterführend jüngst etwa auch der Sammelband: Stephanie Bung/Jenny Schrödl (Hg.), Phänomen Hörbuch. Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel, Bielefeld 2017. 220 Vgl. Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, Bd. 2, Berlin 1961, S. 820/821. Des Weiteren auch: Cornelia Weber, Untersuchung und überlieferungskritische Edition des Herzog Ernst B mit einem Abdruck der Fragmente von Fassung A, Göppingen 1994, S. 143–176.

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Verstext des ›Herzog Ernst B‹ schon immer ohne jede verbale paratextuelle Zutat vorlegte, da mittelalterliche Bücher am Einband meist keine Beschriftungen aufweisen.221 Zugespitzt formuliert könnte man also sagen: Die durch die »Abfolge […] bedeutungstragender verbaler Äußerungen«222 konstituierte Sprechsituation besitzt im Wiener Kodex 3028 keinen paratextuellen Rahmen, wenn man von nonverbalen Charakteristiken wie der Rubrizierung der Versanfänge, dem Layout der Verse oder dem Blattformat absieht.223 Nicht ganz so markant zeigt sich der Fall bei der wesentlich kunstvoller gestalteten Nürnberger Papierhandschrift (Hs 998) aus dem Jahr 1441, die den ›Herzog Ernst B‹ als dritten und letzten Erzähltext nach Konrads von Würzburg ›Trojanerkrieg‹ (inkl. Fortsetzung) und Rudolfs von Ems ›Willehalm von Orlens‹ unterbreitet.224 Alle drei narrativen Texte sind zweispaltig angeordnet mit abgesetzten Versen und roter Strichelung der Zeilenanfänge, wobei der ›Herzog Ernst B‹ von einer zweiten Hand stammt. Während die Darstellung der ersten beiden Epen durch rote, grüne und blaue Fleuronnée-Initialen zur Strukturierung und zahlreiche kolorierte Federzeichnungen zur Illustration des Inhalts geprägt ist, zeigt der ›Herzog Ernst B‹ nur die einfacheren roten Lombarden, um Absätze zu kennzeichnen. Darüber hinaus weist er allerdings als einziger der drei in dieser Handschrift versammelten Erzähltexte verbale Paratext-Elemente auf, indem bereits der Anfang – der außerdem durch eine große Zierinitiale mit Randleisten und Drolerien markiert ist – über einen kurzen, rot geschriebenen Titel verfügt, der ankündigt: Diß ist hertzog Ernst von Beiern 221 Siehe grundlegend Otto Mazal, Einbandkunde. Die Geschichte des Bucheinbandes, Wiesbaden 1997, S. 36–231. 222 Genette, Paratexte, S. 9. 223 Vgl. zu den betreffenden nonverbalen Formen der Paratextualität etwa Georg Stanitzek, »Texte, Paratexte, in Medien: Einleitung«, in: Klaus Kreimeier/Georg Stanitzek (Hg.) unter Mitarbeit v. Natalie Binczek, Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen, Berlin 2004, S. 3–19, hier S. 6; Georg Stanitzek, »Buch: Medium und Form — in paratexttheoretischer Perspektive«, in: Ursula Rautenberg (Hg.), Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch, 2 Bde., Berlin 2010, Bd. 1: Theorie und Forschung, S. 156– 200, hier S. 158–163. 224 Vgl. Lotte Kurras, Die deutschen mittelalterlichen Handschriften, Erster Teil: Die literarischen und religiösen Handschriften. Anhang: Die Hardenbergschen Fragmente, Wiesbaden 1974, S. 9/10.

Paratextuelle Rahmung und mittelalterliche Manuskriptkultur

Abb. 1: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3028, fol. 1r

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Abb. 2: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 998, fol. 267r

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[Abb. 2]. Auch ist die Präsentation der Verse vereinzelt durch rote Kapitelüberschriften durchbrochen, die den Text strukturieren und die Rezeption lenken. Damit beginnt der ›Herzog Ernst B‹ im Nürnberger Manuskript nicht ohne jede verbale Zutat wie im Wiener Kodex. Was Metadaten angeht, die zur Einordnung des Sprechers der Auftaktverse dienlich wären, finden sich jedoch auch hier keinerlei Informationen. Mit dem Befund, dass der Text des ›Herzog Ernst B‹ in den mittelalterlichen Überlieferungsträgern kaum paratextuelle Rahmungen aufweist, die über nonverbal-graphische Strukturelemente hinausgehen, stellt dieses Epos innerhalb der damaligen Buchkultur keine Besonderheit dar. Dass volkssprachige Texte in den Kodizes ohne ›Beiwerk‹ präsentiert sind, zumindest ohne verbal-klassifizierendes, ist ein häufig anzutreffendes Phänomen, wie auch weiter unten anhand der ausgewählten Beispiele mit Textträgern aus dem 13. und 14. Jahrhundert deutlich wird [siehe Abb. 4–8]. Sehr weit verbreitet sind paraverbal-strukturierende Komponenten wie farblich hervorgehobene Initialen, die einen Text in Abschnitte gliedern, welche wiederum die Rezeption steuern.225 Auch kurze Zwischenüberschriften, die (dem Vorleser) helfen, sich innerhalb des Manuskripts zurechtzufinden, ja beispielsweise eine bestimmte Stelle in einem Werk (wieder) auszumachen, gehören zu den paratextuellen Charakteristiken mittelalterlicher Handschriftenkultur.226 Systematisierende Metadaten wie Angaben zum Verfasser oder zur Gattungszugehörigkeit, die werkextern bereits den ersten Eindruck prägen, noch bevor in die eigentliche Lektüre des Texts eingetreten wird, finden sich an und in mittelalterlichen Kodizes jedoch kaum. Bei lateinischer Literatur, 225 Siehe weiterführend Jürgen Wolf, Buch und Text. Literatur- und kulturhistorische Untersuchungen zur volkssprachigen Schriftlichkeit im 12. und 13. Jahrhundert, Tübingen 2008. 226 Siehe etwa zum Beispiel der Parzival-Überlieferung: Michael Stolz/Gabriel Viehhauser-Mery, »Text und Paratext. Überschriften in der ›Parzival‹-Überlieferung als Spuren mittelalterlicher Textkultur«, in: Text und Text in lateinischer und volkssprachiger Überlieferung des Mittelalters, hg. v. Eckhart Conrad Lutz in Verbindung mit Wolfgang Haubrichs u. Klaus Ridder, Berlin 2006 (Wolfram Studien 19), S. 317–351. Zu den Besonderheiten spätmittelalterlicher Handschriftenkultur ebenfalls am Beispiel des ›Parzival‹: Gabriel Viehhauser-Mery, Die ›Parzival‹-Überlieferung am Ausgang des Manuskriptzeitalters. Handschriften der Lauberwerkstatt und der Strassburger Druck, Berlin 2009.

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insbesondere bei den Werken der auctores, der Kirchenväter und der sonstigen antiken Referenzautoren, werden Verfasser und Werktitel zwar nicht selten am Textanfang graphisch hervorgehoben genannt [Abb. 3],227 bei volkssprachiger Literatur ist ein solches Verfahren jedoch nicht geläufig. Bisweilen werden titelartige Informationen zum Inhalt des Texts zu Beginn oder zum Ende gegeben – mitunter über Incipit- oder Explicit-Formeln –, wie dies auch bei der ›Herzog Ernst B‹-Überlieferung sichtbar wird. Eine Ausnahme bilden die großen Lyrikhandschriften, die nach einem verfasserorientierten Prinzip strukturiert sind.228 Gerade für narrative Texte gilt jedoch, dass sich peritextuell hervorgehobene Angaben zum Dichter eher selten in den Manuskripten finden. Die Bucheinbände wiederum zeigen zwar Unterschiede in der Ausstattung, präsentieren jedoch meist keine verbalen Informationen zum Inhalt;229 mitunter weisen die Kodizes Beschriftungen auf dem Kopf- oder Fußschnitt auf,230 teilweise, insbesondere aus dem Spätmittelalter, finden sich auch Titelschilder aus Papier oder Pergament, die auf den Vorderdeckel geklebt sind.231 Dass das Fehlen spezifischer klassifizierender Metadaten nicht an der Handschriftlichkeit hängt, zeigt der Blick in die ebenfalls Manuskript-basierte Buchwelt der Antike mit ihren dennoch klar autorzentrierten Kanonisierungsprozessen. Trotz Handschriftenkultur operierte das antike 227 Siehe zu den Formen verbaler Paratextualität in Kodizes mit lateinischen Texten: Richard Sharpe, Titulus. Identifying medieval Latin texts: An evidence-based approach, Turnhout 2003. 228 Siehe dazu weiterführend etwa: Thomas Bein, »Zum ›Autor‹ im mittelalterlichen Literaturbetrieb und im Diskurs der germanistischen Mediävistik«, in: Fotis Jannidis/ Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999, S. 303–320; Michael Stolz, »Die Aura der Autorschaft. Dichterprofile in der Manessischen Liederhandschrift«, in: Michael Stolz/Adrian Mettauer (Hg.), Buchkultur im Mittelalter. Schrift – Bild – Kommunikation, Berlin/New York 2005, S. 67–99; Cordula Kropik, »Formen der Anonymität in mittelhochdeutscher Liedüberlieferung«, in: Stephan Pabst (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin/New York 2011, S. 73–87. 229 Vgl. Mazal, Einbandkunde, S. 36–149. 230 Siehe etwa Marion Janzin/Joachim Güntner, Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchgeschichte, 3., überarb. u. erw. Aufl., Hannover 2007, S. 74–80. 231 Siehe als Beispiel etwa Jochen Schevel, Bibliothek und Buchbestände des AugustinerChorherrenstifts Georgenberg bei Goslar. Ein Überblick über die Entwicklung im Mittelalter bis zur Zerstörung 1527, Wiesbaden 2015, S. 123–138.

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Abb. 3: Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 18, fol. 1r (www.e-codices.unifr.ch)

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Buchwesen, zumindest in seinen Blütezeiten, mit fest instituierten Paratexten. Die Gründe hierfür liegen einerseits im kommerziellen Buchhandel und andererseits in der Ausbildung der Philologie als wissenschaftlicher Textkritik im Hellenismus, wie sie im Zusammenhang des planvoll organisierten Bibliothekswesens begründet wurde. Einen dritten gewichtigen Faktor stellt der Umstand dar, dass der Alphabetismus und die Rezeptionsform des Lesens in den Zeiten der bildungssozialen Hochphasen der Antike wesentlich weiter verbreitet waren als im Mittelalter, in welchem Lesefähigkeit zu den Privilegien des Klerus gehörte und mitunter sogar hohe Adlige des Lesens unkundig waren.232

232 Siehe etwa Nathalie Kruppa, »Zur Bildung von Adligen im nord- und mitteldeutschen Raum vom 12. bis zum 14. Jahrhundert. Ein Überblick«, in: Nathalie Kruppa /Jürgen Wilke (Hg.), Kloster und Bildung im Mittelalter, Göttingen 2006, S. 155–176; Joachim Bumke, »Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 114 (1992), S. 413–492, hier S. 454; des Weiteren auch die Beiträge in Werner Paravicini/Jörg Wettlaufer (Hg.), Erziehung und Bildung bei Hofe. 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften Göttingen, veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris, Celle, 23. bis 26. Sept. 2000, Stuttgart 2002. Einschlägig zur Thematik: Herbert Grundmann, »Litteratus – illiteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter«, in: Archiv für Kulturgeschichte 40 (1958), S. 1–65.

3.

Gegenprobe: Das antike Buchwesen als autorzentrierte Handschriftenkultur

Anders als die mittelalterliche Manuskriptkultur funktionierte das antike Buchwesen, zumal während der Hochblüten von Bildung und Wissenschaft, auf der Basis institutionell etablierter Paratexte, die die Textträger mit systematisierenden Informationen versahen, wobei gerade die Kategorie des Autors eine zentrale Rolle spielte. Der Blick in die Antike macht denn auch klar, dass das Phänomen der Paratexte und Parerga nicht – wie man, von der Neuzeit her betrachtet, vermuten könnte und wie es in der Forschungsliteratur bisweilen auch behauptet wird – mit der Erfindung der Druckerpresse und dem Buchdruck zusammenhängt. Die Frage nach der literar-kommunikativen Rahmung mittelalterlicher Narrative legt insofern auch keine anachronistischen Maßstäbe an, als bereits in der Antike periund epitextuelle Kommunikationsstrukturen installiert waren – die im spezifischen Literaturbereich der Werke der auctores auch die mittelalterliche Buchkultur noch prägten.233 Warum es in der Antike, trotz Manuskriptwesen, zur Ausbildung eines Systems von Paratexten kam, hängt, wie erwähnt, mit einer Reihe von Aspekten zusammen. Als wohl wichtigster Faktor für die autorzentrierten Kanonisierungsprozesse der Antike und die daraus resultierenden paratextuellen Kommunikationsstrukturen ist die Etablierung der Philologie als wissenschaftlicher Disziplin zur Zeit des Hellenismus anzusehen, wie sie im Zusammenhang des planvoll organisierten Bibliothekswesens begründet wurde. So entwickelten sich im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhundert insbesondere in Alexandria Methoden der Textedition und -interpretation, 233 Dazu mehr unten.

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die gattungsorientiert und auf die Autorinstanz fokussiert waren, wobei die Werke alphabetisch nach den ihnen zugewiesenen Verfassern geordnet und dann auch kommentiert wurden.234 Den Ausgangspunkt bildete das Sammelinteresse der ptolemäischen Herrscher, die Alexandria zu einem kulturellen Zentrum erhoben und große Bibliotheken anlegen ließen, wobei sie Wissenschaftler und Dichter einberiefen, um die riesigen Buchbestände zu katalogisieren.235 Bei dieser Tätigkeit kreierten die alexandrinischen Gelehrten Verfahren der Textkritik mit Emendation und Konjektur, die einen intentionalen Autorbegriff voraussetzten, und operierten mit der Vorstellung eines in seiner Sprachgestalt verbindlichen Originals.236 Das alexandrinische Modell wurde richtungsweisend für die Römer, die von den Griechen die philologischen Techniken übernahmen, in denen die Autorpersönlichkeit zum eigentlichen Bezugs- und Orientierungspunkt beim Umgang mit Literatur erhoben war: Mit den hellenistischen Methoden der Textkritik stellten Philologen in der Kaiserzeit Werkausgaben her, 234 In der berühmten Bibliothek des Museion waren die Bücher innerhalb der diversen Wissenschafts- und Gattungsbereiche (Epik, Lyrik, Drama, Rhetorik, Philosophie etc.) alphabetisch nach den Namen der Autoren geordnet, wobei jedem Autor eine Kurzbiographie beigegeben war (vgl. etwa Horst Blanck, Das Buch in der Antike, München 1992, S. 142). Siehe weiterführend: Roy MacLeod (Hg.), The library of Alexandria. Centre of learning in the Ancient World, London 2000; Monica Berti/Virgilio Costa, La Biblioteca di Alessandria. Storia di un paradiso perduto, Rom 2010; Heinz-Günther Nesselrath, »Das Museion und die Große Bibliothek von Alexandria«, in: Tobias Georges/Felix Albrecht/Reinhard Feldmeier (Hg.), Alexandria, Tübingen 2013, S. 65– 88. 235 Dazu etwa Angelika Zdiarsky, »Bibliothekarische Überlegungen zur Bibliothek von Alexandria«, in: Elke Blumenthal/Wolfgang Schmitz (Hg.), Bibliotheken im Altertum, Wiesbaden 2011, S. 161–172; Rudolf Blum, Kallimachos und die Literaturverzeichnung bei den Griechen. Untersuchungen zur Geschichte der Biobibliographie, Frankfurt a. M. 1977. 236 Siehe einschlägig Rudolf Pfeiffer, History of Classical Scholarship, Oxford 1968, dt.: Geschichte der Klassischen Philologie. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, 2., durchges. Auflage, München 1978, S. 147–153. Weiterführend auch Klaus Nickau, Untersuchungen zur textkritischen Methode des Zenodotos von Ephesos, Berlin/New York 1977. Spezifisch zur Homer-Philologie: Antonios Rengakos, Der Homertext und die hellenistischen Dichter, Stuttgart 1993. Zu den ersten Schriftstellerbiographien, die in diesem Zusammenhang entstanden, siehe Rudolf Blum, Die Literaturverzeichnung im Altertum und Mittelalter. Versuch einer Geschichte der Bibliographie von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1983, S. 11– 27.

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wobei man bei den jüngeren Schriftstellern versuchte, an Autorexemplare oder autornahe Handschriften zu gelangen.237 So entstanden noch in den frühen Jahrzehnten des Prinzipats die Autorkorpora der großen römischen Dichter wie Tibull, Vergil oder Ovid, von Schriftstellern wie Caesar und Cicero.238 Mit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert setzte zudem die große Zeit der Kommentare ein: Die Auseinandersetzung mit einem Werk zog die Kommentierung mit Blick auf den Verfasser nach sich, woraus das Bedürfnis erwuchs, die Autorkorpora mit betreffenden Viten zu versehen,239 was seinen Niederschlag in den mit Lebensbeschreibungen ausgestatteten Dichterkommentaren der Spätantike fand, die das Erbe der Jahrhunderte zu bewahren suchten.240 Neben den philologischen Interessen spielten im römischen Weltreich vor allem marktwirtschaftliche Gründe der Distribution eine Rolle für das starke Gewicht der Autorfunktion und die Ausbildung der Paratexte. Die einschlägigen Dichter der griechischen und lateinischen Literatur sollten nicht nur in Rom selbst, sondern auch in den abgelegenen Gebieten des Reichs gekauft oder ausgeliehen werden können. Außerdem nahmen sie 237 Vgl. Karl Büchner, »Überlieferungsgeschichte der lateinischen Literatur des Altertums«, in: Herbert Hunger (Hg.), Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel, 2. Aufl., München 1988, S. 309–422, hier S. 340/341. 238 Büchner, »Überlieferungsgeschichte«, S. 341/342. 239 Siehe zu den Schriftstellerbiographien der Kaiserzeit und ihren hellenistischen Vorbildern: Blum, Die Literaturverzeichnung, S. 28–79. Spezifisch zu Vergil: Giorgio Brugnoli/Heinrich Naumann, »Vitae Vergilianae«, in: Francesco Della Corte (Hg.), Enciclopedia virgiliana, Bd. 5/1, Rom 1990, S. 570–588; Fabio Stok, »The life of Virgil before Donatus«, in: Joseph Farrell/Michael Putnam (Hg.), A companion to Vergil’s ›Aeneid‹ and its tradition, Oxford 2010, S. 107–120. Materialreich auch Jan M. Ziolkowski/Michael C. J. Putnam (Hg.), The Virgilian tradition. The first fifteen hundred years, New Haven 2008, S. 179–403. 240 Zu den Techniken der spätantiken Kommentierung siehe etwa: Philippe Bruggisser, Romulus Servianus. La légende de Romulus dans les ›Commentaires à Virgile‹ de Servius. Mythographie et idéologie à l’époque de la dynastie théodosienne, Bonn 1987; Rainer Jakobi, Die Kunst der Exegese im Terenzkommentar des Donat, Berlin/New York 1996; Angelo Caligiuri, Servius, exégète des ›Bucoliques‹, [Fribourg] 1998. Zudem weiterführend die Beiträge in: Sergio Casali/Fabio Stok (Hg.), Servio: stratificazioni esegetiche e modelli culturali = Servius: exegetical stratifications and cultural models, Brüssel 2008; Monique Bouquet/Bruno Méniel (Hg.), Servius et sa réception de l’Antiquité à la Renaissance, Rennes 2011. Zum Buchwesen allgemein in der Spätantike: Renate Schipke, Das Buch in der Spätantike. Herstellung, Form, Ausstattung und Verbreitung in der westlichen Reichshälfte des Imperium Romanum, Wiesbaden 2013.

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als Schulautoren im vergleichsweise hochentwickelten Bildungswesen der Zeit einen wichtigen Platz ein, was den weitreichenden Zugang zu den betreffenden Schriftträgern ebenfalls voraussetzte.241 Trotz Handschriftenkultur, in der die Herstellung größerer Auflagen nur durch die massenhafte manuelle Vervielfältigung möglich war – die Abschriften eines Textes wurden in der Regel von Schreibsklaven nach Diktat besorgt, die in Gruppen arbeiteten –, wurden Bücher in der römischen Kaiserzeit zu Handelsgütern einer Waren produzierenden Gesellschaft, indem zum Buchmarkt auch Buchhändler und Verleger gehörten.242 Auch hier bildete neben der Kategorie der literarischen Gattung der Verfassername die instrumentelle Größe schlechthin, um der textuellen Masse im Buchwesen Herr zu werden. Im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr., zur Zeit der größten Blüte des Reichs, verfügten die Römer über einen florierenden Buchhandel und über diverse große Bibliotheken nicht nur in der Stadt, sondern auch in den Provinzen.243 Buchmarkt und Bibliothekswesen verlangten, dass der ein241 Vgl. etwa Büchner, »Überlieferungsgeschichte«, S. 332–342. Weiterführend zum Thema: Elaine Fantham, Roman Literary Culture. From Cicero to Apuleius. Ancient Society and History, Baltimore/London 1996, dt.: Literarisches Leben im antiken Rom, Sozialgeschichte der römischen Literatur von Cicero bis Apuleius, Stuttgart 1998. 242 Vgl. grundlegend Tönnes Kleberg, Buchhandel und Verlagswesen in der Antike, aus dem Schwedischen übers. v. Ernst Zunker, Darmstadt 1967; Guglielmo Cavallo (Hg.), Libri, editori e pubblico nel mondo antico. Guida storica e critica, 9. Aufl., Rom/Bari 2009 (Erstausgabe 1975). Des Weiteren etwa Annette Dortmund, Römisches Buchwesen um die Zeitenwende. War T. Pomponius Atticus (110–32 v. Chr.) Verleger?, Wiesbaden 2001; gegen die Vorstellung eines ausgebildeten Verlagswesens argumentiert Rex Winsbury, The Roman book. Books, publishing and performance in classical Rome, London 2009, S. 53–66. 243 Zum römischen Bibliothekswesen siehe richtungsweisend: Clarence Eugene Boyd, Public Libraries and Literary Culture in Ancient Rome, Chicago 1915; des Weiteren: Rudolf Fehrle, Das Bibliothekswesen im alten Rom. Voraussetzungen, Bedingungen, Anfänge, Freiburg/Brsg. 1986; Paolo Fedeli, »Biblioteche private e pubbliche a Roma e nel mondo romano«, in: Guglielmo Cavallo (Hg.), Le Biblioteche nel mondo antico e medievale, 6. Aufl., Rom/Bari 2004, S. 29–64; Lilian Balensiefen, »Orte medialer Wirksamkeit: Zur Eigenart und Funktion der Bibliotheken in Rom«, in: Elke Blumenthal/Wolfgang Schmitz (Hg.), Bibliotheken im Altertum, Wiesbaden 2011, S. 123– 159; zu den Bibliotheken in den Provinzen: Carl A. Hanson, »Were there libraries in Roman Spain?«, in: Libraries and Culture 24 (1989), S. 298–316; Konrad Vössing, »Die öffentlichen Bibliotheken in Africa«, in: Attilio Mastino/Paola Ruggeri (Hg.), L’Africa romana. Atti del X convegno di studio. Oristano, 11.-13. 12. 1992, Sassari 1994, S. 169–

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zelne Textträger systematisch gekennzeichnet und katalogisiert war. Diesem Zweck dienten die sogenannten sillyboi (lateinisch tituli), heraushängende Pergamentstreifen, über die die Buchrollen Metadaten wie Autor und Titel bekanntgaben, ohne dass man sie zu öffnen brauchte. Autor und Titel waren zudem als Peritexte in der Regel auch auf der Innenseite der Rolle zum Auftakt und/oder zum Ende des Werks vermerkt; dazu kamen Buchhändler- und Bibliothekskataloge, die als Epitexte Informationen zu den Werken und Textträgern lieferten.244 In toto lassen sich für die Antike philologische, marktwirtschaftliche und bildungssoziologische Gründe geltend machen, die gemeinsam dazu führten, dass sich in den kulturellen Blütezeiten eine weitreichende Verwendung von Paratexten herausbildete. Diesen oblag es, den Werken Autor, Titel und andere Informationen zuzuordnen. Sie sorgten für die Rahmungen der einzelnen Texte, die die Rezeption noch vor Eintritt in die Lektüre der Werke selbst steuerten. Sie stellten die klassifizierenden Metadaten bereit und bildeten die ›Schwellen‹ des Zugangs zur Literatur, regelten insbesondere auch Fragen der Autorschaft. Bei vielen antiken Texten finden sich denn auch keine werkinternen Erwähnungen des Autornamens. Was die narrativen Dichtungen angeht, konstituieren die meisten großen Epen des römischen Altertums eine 83; Alkestis Spetsieri-Choremi, »Library of Hadrian at Athens: Recent Finds«, in: Ostraka 4 (1995), S. 137–147; zudem auch die Beiträge in den Bänden: Wolfram Hoepfner (Hg.), Antike Bibliotheken, Mainz 2002; Jason König/Katerina Oikonomopoulou/Greg Woolf (Hg.), Ancient Libraries, Cambridge 2013. 244 Siehe weiterführend zu den Formen antiker Paratextualität etwa: Nicholas Horsfall, »Some Problems of Titulature in Roman Literary History«, in: Bulletin of the Institute of Classical Studies 28 (1981), S. 103–114; Bianca-Jeanette Schröder, Titel und Text. Zur Entwicklung lateinischer Gedichtüberschriften. Mit Untersuchungen zu lateinischen Buchtiteln, Inhaltsverzeichnissen und anderen Gliederungsmitteln, Berlin 1999; Menico Caroli, Il titolo iniziale nel rotolo librario greco-egizio. Con un catalogo delle testimonianze iconografiche greche e di area vesuviana, Bari 2007, S. 13–79; Francesca Schironi, Tὸ μέγα βιβλίον. Book-Ends, End-Titles, and Coronides in Papyri with Hexametric Poetry, Durham, NC 2010. Nach wie vor grundlegend zum antiken Buchwesen: Theodor Birt, Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Literatur. Mit Beiträgen zur Textgeschichte des Theokrit, Catull, Properz und anderer Autoren, Aalen 1974 [Nachdruck der Ausgabe Berlin 1882]; Theodor Birt, Die Buchrolle in der Kunst. Archäologisch-antiquarische Untersuchungen zum antiken Buchwesen, Hildesheim/ New York 1976 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1907].

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Sängerinstanz – in der Regel in Kombination mit dem Musenanruf zu Beginn oder zum Ende der Dichtung –, verknüpfen diese jedoch nicht mit der namentlichen Nennung des Verfassers. So lauten beispielsweise die berühmten Auftaktverse von Ovids ›Metamorphosen‹: In nova fert animus mutatas dicere formas corpora; di, coeptis (nam vos mutastis et illas) adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen! Von Gestalten zu künden, die in neue Körper sich verwandelt haben, treibt mich der Geist. Ihr Götter, denn ihr habt jene verwandelt, fördert mein Vorhaben und führt mein Lied vom Beginn der Welt ununterbrochen bis zu meinen Zeiten. (Ovid, Metamorphosen, V. 1–4)245

Gattungstypisch wird hier die Dichtung mit dem Wunsch eröffnet, die Götter mögen das angekündigte poetische Unterfangen beflügeln, gesprochen von einem Dichter-Sänger – der sowohl für das Werk als literarisches Produkt als auch für den Prozess des Erzählens verantwortlich zeichnet –, ohne dass dieser namentlich offenbart wird. Dieser Dichter-Sänger bleibt in den ›Metamorphosen‹ zwar über weite Strecken die Erzählinstanz, er tritt im Verlauf des Epos als Subjekt aber in den Hintergrund. Erst in den Schlussversen der Dichtung meldet er sich nochmals prominent in der ersten Person Singular zu Wort, nimmt schöpferische Leistungen für sich in Anspruch und drückt bewundernswerten Autorstolz aus, jedoch auch hier ohne Namensnennung: Iamque opus exegi, quod nec Iovis ira nec ignis nec poterit ferrum nec edax abolere vetustas. cum volet, illa dies, quae nil nisi corporis huius ius habet, incerti spatium mihi finiat aevi: parte tamen meliore mei super alta perennis astra ferar, nomenque erit indelebile nostrum, quaque patet domitis Romana potentia terris, ore legar populi, perque omnia saecula fama, siquid habent veri vatum praesagia, vivam.

245 Lateinischer Text hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: P. Ovidi Nasonis Metamorphoses, hg. von Richard John Tarrant, Oxford 2004.

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Und schon habe ich ein Werk vollendet, das nicht Jupiters Zorn, Feuer und Schwert, nicht die zehrende Zeit zu zerstören vermögen. Mag er erscheinen, der Tag, wann er will, der nur meines Körpers Herr ist, die Frist meines unsicheren Lebens zu enden: Unsterblich schwingt der bessere Teil meines Wesens sich über die hohen Sterne empor, und unzerstörbar wird mein Name Bestand haben. Und wo die Römer bezwungene Länder beherrschen, werde ich vom Mund des Volkes gelesen: Ich bleibe, wenn immer die Ahnung der Sänger Wahrheit besitzt, im Ruhm für ewige Zeiten lebendig. (Ovid, Metamorphosen, 15,871–879)

Das Subjekt des Kommunikationsakts bezeichnet sich hier selbst als vates – als göttlich inspirierten Dichter-Seher – und stilisiert sich explizit zum unsterblichen Schöpfer des literarischen Produkts, rekurriert sogar auf die durch das Werk erzeugte Unzerstörbarkeit des eigenen Namens, nennt den Namen aber gerade nicht innerhalb des Verstexts.246 Dass Ovid als Verfasser des Texts bekannt ist – und in der Terminologie Genettes als extradiegetischer-heterodiegetischer Erzähler bezeichnet werden kann247 –, verdankt sich als Information offenkundig den Paratexten, denen es schon zur Entstehungszeit des Werks oblag, spezifische metatextuelle Angaben zu übermitteln. Auf die Macht dieser Paratexte scheint sich der antike Autor – zu246 Siehe zur Einordnung dieser vieldiskutierten Textpassage etwa die Interpretationsvorschläge von: Reinhart Herzog, »Vom Aufhören. Darstellungsformen menschlicher Dauer im Ende«, in: Karlheinz Stierle/Rainer Warning, (Hg.), Das Ende. Figuren einer Denkform, München 1996 (Poetik und Hermeneutik 16), S. 283–349, hier S. 309–323; Elena Theodorakopoulos, »Closure and Transformation in Ovid’s Metamorphoses«, in: Philip Hardie/Alessandro Barchiesi/Stephen Hinds (Hg.), Ovidian transformations. Essays on the ›Metamorphoses‹ and its reception, Cambridge 1999, S. 142–161; Stephen M. Wheeler, A Discourse of Wonders. Audience and Performance in Ovid’s ›Metamorphoses‹, Philadelphia, PA 1999, S. 37, 57/58, 85, 100, 192/193, 205; Philip Hardie, Ovid’s poetics of illusion, Cambridge 2002, S. 91–97; Cédric Scheidegger Lämmle, Werkpolitik in der Antike. Studien zu Cicero, Vergil, Horaz und Ovid, München 2016, S. 214/215. 247 Gérard Genette bezieht sich zur Exemplifizierung dieser Kategorie explizit auf antike Epiker (vgl. Gérard Genette, »Discours du récit«, in: ders., Figures III, Paris 1972, S. 67– 273; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 9–176, hier S. 175, 178). Siehe in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen zu ›Narrators‹ und ›Narratees‹ in der antiken Literatur von Irene de Jong, die sich in ihrer Argumentation grundlegend auf Genette bezieht: Irene J. F. de Jong, Narratology and classics. A practical guide, Oxford 2014, S. 17–45; mit spezifischem Blick auf die griechische Literatur zudem der Sammelband: Irene J. F. de Jong/René Nünlist/Angus Bowie (Hg.), Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature, Leiden 2004.

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recht, wie die Überlieferung zeigt – vollständig verlassen zu haben, ohne diese würden die selbstbewussten Äußerungen des Epilogs wenig Sinn machen und ins Leere laufen. Was sich am Beispiel der ›Metamorphosen‹ beobachten lässt, gilt auch in Bezug auf andere römische Epen: In Lucans ›Pharsalia‹248 oder in Statius’ ›Thebais‹249 beispielsweise gibt es zum Auftakt und/oder Ende des Werks den Musenanruf, verbunden mit der Ich-Form des Singens resp. Dichtens, ohne dass werkintern ein Verfassername erwähnt wird. Ähnliches trifft für Vergils ›Aeneis‹ zu, auch sie zeigt keine textinterne Autorsignatur.250 Anders verhält es sich jedoch bei dessen ›Georgica‹, einem Lehrgedicht über den Landbau. Hier nennt sich Vergil namentlich in den Schlussversen und bedient sich damit einer Technik, die aus der frühgriechischen Literatur stammt, in der die oben beschriebenen paratextuellen Ordnungsschemata noch nicht etabliert waren. Hesiod etwa, der den späteren Dichtern als Urvater der didaktischen Poesie galt, bestimmte sich in der ›Theogonie‹ als von den Göttern Inspirierten und verband mit dieser Epiphanie ein den Musen geweihtes, namentlich genanntes Dichter-Ich.251 Vergil stellt sich mit 248 Vgl. Lucan, Bellum civile, 1,1–2 sowie 1,63–69. 249 Vgl. Statius, Thebais, 1,1–6, und 12,810–819. 250 In den modernen Editionen beginnt die ›Aeneis‹ Vergils mit den das Sänger-Ich konstituierenden Worten arma virumque cano (V. 1), auf die wenig später auch der Musenanruf folgt (V. 8). Die spätantiken Kommentare (Donatus, Vita, 42; Servius, praef., S. 2, Ed. Harv.) tradieren vier vorgeschaltete Verse, die den Sänger als Verfasser von Hirtengedichten (›Bucolica‹) und eines Lieds über den Landbau (›Georgica‹) auszeichnen, allerdings ebenfalls ohne Namensnennung. Die neuzeitliche Forschung wertet diese Verse als unecht (siehe weiterführend etwa: P. Vergili Maronis Aeneidos. Liber Primus, with a commentary by R. G. Austin, Oxford 1971, S. 25–27). 251 Hesiod, Theogonie, V. 22–34: αἵ νύ ποθ᾽ Ἡσίοδον καλὴν ἐδίδαξαν ἀοιδήν, / ἄρνας ποιμαίνονθ᾽ Ἑλικῶνος ὕπο ζαθέοιο. / τόνδε δέ με πρώτιστα θεαὶ πρὸς μῦθον ἔειπον, / Μοῦσαι Ὀλυμπιάδες, κοῦραι Διὸς αἰγιόχοιο· / »ποιμένες ἄγραυλοι, κάκ᾽ ἐλέγχεα, γαστέρες οἶον, / ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα, / ἴδμεν δ᾽ εὖτ᾽ ἐθέλωμεν ἀληθέα γηρύσασθαι.« / ὣς ἔφασαν κοῦραι μεγάλου Διὸς ἀρτιέπειαι, / καί μοι σκῆπτρον ἔδον δάφνης ἐριθηλέος ὄζον / δρέψασαι, θηητόν· ἐνέπνευσαν δέ μοι αὐδὴν / θέσπιν, ἵνα κλείοιμι τά τ᾽ ἐσσόμενα πρό τ᾽ ἐόντα, / καί μ᾽ ἐκέλονθ᾽ ὑμνεῖν μακάρων γένος αἰὲν ἐόντων, / σφᾶς δ᾽ αὐτὰς πρῶτόν τε καὶ ὕστατον αἰὲν ἀείδειν. – ›Diese nun lehrten einst Hesiodos schönen Gesang, als er Schafe am Fuß des heiligen Helikon weidete. So aber sprachen die Göttinnen erst zu mir, die olympischen Musen, Töchter des aigisführenden Zeus: »Hirtenpack ihr, Draußenlieger und Schandkerle, nichts als Bäuche, vielen Trug verstehen wir zu sagen, als wäre es Wahrheit, doch können wir, wenn wir

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der Namensnennung in den ›Georgica‹ unter anderem in die Tradition der lehrhaften Literatur,252 verknüpft die explizite Angabe seines Namens jedoch mit der Erwähnung seines Gönners: Haec super arvorum cultu pecorumque canebam et super arboribus, Caesar dum magnus ad altum fulminat Euphraten bello victorque volentes per populos dat iura viamque adfectat Olympo. Illo Vergilium me tempore dulcis alebat Parthenope studiis florentem ignobilis oti, carmina qui lusi pastorum audaxque iuventa, Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi. Dies sang ich über Ackerbau, Viehzucht und die Pflege von Bäumen, während der große Caesar am tiefen Euphrat im Kampf funkelnde Blitze schleudert, als Sieger den willigen Völkern Recht und Gesetze verleiht und den Weg zum Olymp beschreitet. Damals förderte mich, den Vergilius, das liebreiche Neapel, als ich, es wollen, auch Wahrheit verkünden.« So sprachen die beredten Töchter des großen Zeus, brachen den herrlichen Zweig eines üppig grünenden Lorbeers, schenkten ihn mir als Stab und hauchten mir göttlichen Sang ein, damit ich Künftiges und Vergangenes rühme. Sie geboten mir auch, das Geschlecht der ewigen, seligen Götter zu preisen, sie selbst aber allezeit zuerst und zuletzt zu besingen.‹ Zitiert nach der Ausgabe: Hesiod, Theogonie. Griechisch/Deutsch, übers. u. hg. v. Otto Schönberger, Stuttgart 1999. – Allerdings gibt die Namensbildung Ἡσίοδος (was sich etymologisch als ›Aussender des Gesangs‹ deuten lässt) die Frage auf, ob wir es in diesem Fall überhaupt mit einer Autornennung zu tun haben oder ob diese Bezeichnung nicht eher für das anonyme epische Kollektiv steht, das die später einsetzenden Autorzentrierten Kanonisierungsprozesse zugunsten des Verfassernamens zum Verschwinden gebracht haben (siehe zusammenfassend für die Pro- und Kontra-Stimmen zu dieser Frage: Elisabeth Stein, Autorbewusstsein in der frühen griechischen Literatur, Tübingen 1990, S. 8–12). Vor dem Hintergrund der Terminologie Genettes zu dieser Passage: René Nünlist, »Hesiod«, in: Irene J. F. de Jong/René Nünlist/Angus Bowie (Hg.), Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature, Leiden 2004, S. 25–34, hier S. 25–27. Weiterführend auch: Gregory Nagy, »Hesiod and the Ancient Biographical Traditions«, in: Franco Montanari/Antonios Rengakos/Christos Tsagalis (Hg.), The Brill Companion to Hesiod, Leiden 2009, S. 271–311; Maarit Kivilo, Early Greek Poets’ Lives. The Shaping of the Tradition, Leiden/Boston 2010, S. 7–61; Hugo H. Koning, Hesiod: The Other Poet. Ancient Reception of a Cultural Icon, Leiden/ Boston 2010, S. 129–160. 252 Vgl. etwa William W. Batstone, »didactic«, in: Richard F. Thomas/Jan M. Ziolkowski (Hg.), The Virgil Encyclopedia, Chichester 2014, Bd. 1, Sp. 357–361. Richard F. Thomas sieht als Vorbild dieser Verse Kallimachos, Aitia, 4, fr. 112 Pf. (vgl. Richard F. Thomas, Virgil. Georgics. Books III–IV, Bd. 2, Cambridge 1988, S. 239–241).

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unbekannt, mich der Dichtkunst weihte, spielerisch Hirtenlieder verfasste und, jung und mutig, dich pries, Tityrus, unter der mächtigen Krone der Buche. (Vergil, Georgica, 4,559–566)253

Vergil stilisiert sich zum Dichter-Sänger, der das Lied über den Landbau vollendete, als der ›große Caesar‹ – gemeint ist Vergils Förderer Octavian und späterer Kaiser Augustus – die Völker im Osten befriedete. Auch über die Apostrophierung des Tityrus, einer der Figuren in seinen Hirtendichtungen, verweist Vergil nicht nur auf sich selbst als Verfasser der ›Bucolica‹, sondern aufgrund der Rolle des Tityrus in den einzelnen Eklogen wiederum auf Octavian.254 Von daher sind die betreffenden Verse zum Schluss der ›Georgica‹ zwar auch als Kennzeichnung der Autorschaft – die in der Zeit von Vergils Schaffen über strukturell etablierte Formen der Paratextualtität angezeigt werden konnte –, aber vor allem als Mittel der persönlichen Dankabstattung des Dichters an den Gönner zu lesen.255 Man kann hier gewissermaßen davon sprechen, dass »Momente des Paratextuellen in den Text selbst Einzug halten«.256 Die Form, den eigenen Namen in die Dichtung gleichsam einzuweben, pflegten seit der Frühzeit der griechischen Literatur auch Verfasser kürzerer Texte, die sich damit als Urheber ihrer Gedichte bekannt gaben.257 Dass auf 253 Lateinischer Text zitiert nach der Ausgabe: P. Vergili Maronis Opera, hg. von R. A. B. Mynors, Oxford 1980. 254 Siehe dazu etwa Boris Kayachev, »The sphragis of Virgil’s ›Georgics‹: Constructing identity through intertextuality«, in: Andreas Gavrielatos (Hg.), Self-Presentation and Identity in the Roman World, Newcastle upon Tyne 2017, S. 70–81; Scheidegger Lämmle, Werkpolitik in der Antike, S. 121/122; Stratis Kyriakidis, »Georgics 4.559– 566: The Vergilian sphragis«, in: Kleos 7 (2002), S. 275–287; Llewelyn Morgan, Patterns of redemption in Virgil’s ›Georgics‹, Cambridge 1999, S. 213–218; Don P. Fowler, »First Thoughts on Closure: Problems and Prospects«, in: Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici 22 (1989), S. 75–122, hier S. 82–84. 255 Siehe zum vorliegenden Zusammenhang von Autornennung und Gönnerdank etwa auch: Vinzenz Buchheit, Der Anspruch des Dichters in Vergils Georgika, Darmstadt 1972, S. 174–182; Walther Kranz, »Sphragis. Ichform und Namensiegel als Eingangsund Schlussmotiv antiker Dichtung«, in: Rheinisches Museum für Philologie, N. F. 104 (1961), S. 3–46, 97–124, hier S. 114/115. 256 Scheidegger Lämmle, Werkpolitik in der Antike, S. 68. Zu diesem Phänomen auch die Beiträge im Band: Laura Jansen (Hg.), The Roman paratext. Frame, texts, readers, Cambridge 2014. 257 Siehe grundlegend Kranz, »Sphragis. Ichform und Namensiegel«. Jüngst etwa mit Blick auf die römische Literatur Irene Peirano, »›Sealing‹ the book: the sphragis as

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diese Weise expliziter Dichterstolz ausgedrückt zu werden vermochte, zeigt sich als Gedanke im 6. Jahrhundert v. Chr. beim Elegiker Theognis von Megara, der die Technik, seinen Namen in die Verse einzuarbeiten, um die eigene Verfasserschaft mitzuteilen und das dichterische Werk damit vor Diebstahl zu schützen, als ›Sphragis‹ (deutsch: ›Siegel‹) bezeichnete.258 So formuliert das elegische Ich nach der Anrufung der Musen und anderer Götter, indem es sich an einen gewissen Jüngling Kyrnos wendet, der in den Gedichten des Theognis mehrfach als Adressat auftaucht: Κύρνε, σοφιζομένωι μὲν ἐμοὶ σφρηγὶς ἐπικείσθω τοῖσδ‘ ἔπεσιν, λήσει δ‘ οὔποτε κλεπτόμενα, οὐδέ τις ἀλλάξει κάκιον τοὐσθλοῦ παρεόντος ὧδε δὲ πᾶς τις ἐρεῖ ›Θεύγνιδός ἐστιν ἔπη τοῦ Μεγαρέως· πάντας δὲ κατ‘ ἀνθρώπους ὀνομαστός.‹ ἀστοῖσιν δ‘ οὔπω πᾶσιν ἁδεῖν δύναμαι οὐδὲν θαυμαστόν, Πολυπαΐδη· οὐδὲ γὰρ ὁ Ζεύς οὔθ‘ ὕων πάντεσσ‘ ἁνδάνει οὔτ‘ ἀνέχων. Kyrnos, schlau habe ich mir ein Siegel ausgedacht, das auf diesen Worten liegen soll. So kann sie niemand unbemerkt stehlen, niemand sie zum Schlechteren ändern, weil das Gute ja da ist, und so wird ein jeder sagen: »Dies sind die Worte des Theognis aus Megara.« Doch auch wenn ich bei allen Menschen bekannt bin, kann ich es nicht allen Mitbürgern recht machen. Und das ist kein Wunder, Polypaïde, denn nicht einmal Zeus macht es allen recht, weder wenn er es regnen lässt, noch wenn er Regen zurückhält. (Theognis, Elegien, I, 19–26)259

Theognis flicht den Hinweis auf seine Autorschaft geschickt so in seine Distichen ein, dass die Namensnennung als unabtrennbarer Bestandteil der Elegie aufscheint. Über das Spiel mit der Selbstreferentialität markiert er sich als Verfasser seiner Verse, nicht ohne deutlichen Autorstolz zur Schau zu tragen sowie Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität zu theparatext«, in: Laura Jansen (Hg.), The Roman paratext. Frame, texts, readers, Cambridge 2014, S. 224–242. 258 In der aktuellen philologischen Forschung werden mit der Bezeichnung ›Sphragis‹ sämtliche Formen gefasst, bei denen ein Dichter werkintern – auch ohne explizite Namensnennung – Hinweise auf sein dichterisches Schaffen gibt. 259 Griechischer Text und deutsche Übersetzung nach der Ausgabe: Theognis, Mimnermos, Phokylides. Frühe griechische Elegien, griechisch und deutsch, eingel., übers. u. komm. von Dirk Uwe Hansen, Darmstadt 2004.

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matisieren. Theognis’ Beispiel wurde richtungsweisend: Seine Methode der Autorisierung wurde bereits in frühgriechischer Zeit, dann aber vor allem auch von den alexandrinischen Dichtern aufgegriffen, deren poetische Tätigkeit grundsätzlich mit Reflexionen über das (eigene) dichterische Schaffen verbunden war260 und denen deshalb die autoreflexive SphragisTechnik nur gelegen kam.261 Über den Rückgriff auf griechische Vorbilder gelangte die Sphragis als Methode der Autorsignatur auch zu den Epigrammatikern und Lyrikern der späten römischen Republik und der Kaiserzeit, die im dichterischen Spiel und als Referenz an die Archegeten über derartige Siegel-Gedichte ihre Sammlungen abschlossen, zu einem Zeitpunkt, als Paratexte als werkexterne Möglichkeit, die Autorschaft von Texten bekannt zu geben, im Buchwesen etabliert waren.262 Alles in allem blieb die werkinterne Nennung des Verfassers in der antiken Literatur allerdings eher die Ausnahme. Der Autor, der in den philologischen Kommentaren zur Dichter- oder Schriftstellerpersönlichkeit stilisiert wurde, die ihr (von den Musen inspiriertes) Werk so und nicht anders geschaffen hatte – wie es vorlag oder nötigenfalls durch editionskritische Verbesserungen zur Geltung gebracht werden musste –, war im Wesentlichen eine werkexterne Größe, die sich den Paratexten der hochentwickelten Buchkultur verdankte, wobei Verfassername, Werktitel und Gattung zentrale strukturelle Kategorien bildeten, um das griechische und später auch das lateinische Textgut zu ordnen.

260 Zur alexandrinischen Dichtung als einer selbstreflexiven und metapoetischen siehe etwa: Ernst-Richard Schwinge, Künstlichkeit von Kunst. Zur Geschichtlichkeit der alexandrinischen Poesie, München 1986; Mark Andreas Seiler, Ποίησις Ποιήσεως. Alexandrinische Dichtung κατà λεπτόν in strukturaler und humanethologischer Deutung, Stuttgart/Leipzig 1997. 261 Siehe Jacqueline Klooster, Poetry as window and mirror. Positioning the poet in Hellenistic poetry, Leiden 2011, S. 175–208. 262 Siehe Kranz, »Sphragis. Ichform und Namensiegel«, S. 118–121; Peirano, »›Sealing‹ the book«.

4.

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Mit dem Zusammenbruch des weströmischen Reichs verschwanden die antiken Errungenschaften im Buchwesen weitgehend.263 Der Fokus einer autororientierten Textkritik ging mit seinem weitreichenden Anspruch verloren, vor allem aber büßte das Buch seinen Status als Handelsware und Produkt, das marktwirtschaftlichen Gesetzen unterliegt, komplett ein. Mit diesen Veränderungen war der Wandel der Autorfunktion verbunden, die in ihrem Stellenwert modifiziert wurde, was mit einer Ausdifferenzierung verschiedener Arten und Vorstellungen von Verfasserschaft korrelierte. Mit Blick auf die Frage nach der ›Stimme des Erzählens‹ ist für die mittelalterlichen Jahrhunderte eine Reihe von Aspekten zu beleuchten, die mithin eng zusammenhängen, da die medialen Ausformungen des kodikalen Manuskriptwesens Hand in Hand mit der ›semioralen‹ (literat-illiteraten) Produktions- und Rezeptionskultur von Erzählungen bzw. Erzähltexten gin263 Siehe Ladislaus Buzás, Deutsche Bibliotheksgeschichte des Mittelalters, Wiesbaden 1975, S. 1–10. Geprägt waren die Veränderungen im Buchwesen durch allgemeine Prozesse des Wandels, die von Arnold Angenendt als »Dekomposition der Alten Welt« bezeichnet wurden (vgl. Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart 1990, S. 147). Dazu gehörten unter anderem die Enturbanisierung, die Rückbildung von Staatlichkeit wie auch der Rückgang der Schriftlichkeit (vgl. ebd. S. 147–158). Zu den vom Christentum geprägten Übergängen von antiker zu mittelalterlicher Bibliothekskultur, für die gerade auch der Medienwechsel von der Buchrolle zum Kodex eine entscheidende Rolle spielte, einführend auch: Uwe Jochum, Kleine Bibliotheksgeschichte, 3. verb. u. erw. Aufl., Stuttgart 2007, S. 49–67. Zu Cassiodor als Figur des kulturellen Übergangs etwa: Michele C. Ferrari, »›Manu hominis praedicare‹. Cassiodors Vivarium im Zeitalter des Übergangs«, in: Elke Blumenthal/Wolfgang Schmitz (Hg.), Bibliotheken im Altertum, Wiesbaden 2011, S. 223–249.

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gen264 und zudem durch gelehrt-philologische Vorstellungen geprägt wurden, die Verfasserschaft grundsätzlich anders typisierten, als es den heutigen Gepflogenheiten entspricht.265 Anknüpfend an die Dichterkommentare der Spätantike reservierte die mittelalterliche Philologie, die primär als Teil des klerikalen Schulwesens operierte, die Bezeichnung auctor für spezifische tradierte Schriftsteller.266 Autorschaft im Sinne der auctoritas kam folglich nur ganz bestimmten Verfassern zu: Bis ins Spätmittelalter wurden meist nur diejenigen Dichter und Schriftsteller auctores genannt, die durch die Kanonisierungsprozesse der Spätantike und des Frühmittelalters herausgehoben und sanktioniert

264 Dazu einschlägig Paul Zumthor, Introduction à la poésie orale, Paris 1983, dt.: Einführung in die mündliche Dichtung, aus dem Franz. übers. v. Irene Selle, durchges. v. Jacqueline Grenz, Berlin 1990; Paul Zumthor, La poésie et la voix dans la civilisation médiévale, Paris 1984, dt.: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französ. übers. v. Klaus Thieme, München 1994; Ursula Schaefer, Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1992; Wulf Oesterreicher, »›Verschriftung‹ und ›Verschriftlichung‹ im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit«, in: Ursula Schaefer (Hg.), Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, Tübingen 1993, S. 267–292; Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994; Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995; Harald Haferland, Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität. Heldendichtung im deutschen Mittelalter, Göttingen 2004. Weiterführend etwa auch die Sammelbände: Christine Ehler/Ursula Schaefer, Verschriftung und Verschriftlichung. Aspekte des Medienwechsels in verschiedenen Kulturen und Epochen, Tübingen 1998; Mark Chinca/Christopher Young (Hg.), Orality and literacy in the Middle Ages. Essays on a conjunction and its consequences in honour of D. H. Green, Turnhout 2005. Eine Übersicht über die in der Forschung verwendeten Begriffe von orality und literacy findet sich bei: Ursula Schaefer, »Die Funktion des Erzählers zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«, in: Wolfgang Haubrichs/Eckart Conrad Lutz/Klaus Ridder (Hg.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004 (Wolfram-Studien 18), S. 83–97, hier S. 87. 265 Siehe zu diesem Gedanken etwa Peter Strohschneider, »Situationen des Textes. Okkasionelle Bemerkungen zur ›New Philology‹«, in: Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft), S. 62–86, hier S. 69–71. 266 Einschlägig zur Thematik des mittelalterlichen Autorbegriffs: Alastair Minnis, Medieval theory of authorship. Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages, 2nd ed., with a new preface by the author, Philadelphia 2010 (Erstausgabe London 1984).

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worden waren.267 Nach spätantikem Vorbild wurden diese Verfasser in den im Schulunterricht verwendeten Accessus ad auctores als Autoritäten betrachtet, die mit Viten versehen waren und die man auf die Intentionen ihren Werken gegenüber befragte.268 Zeitgenössische lateinische Schriftsteller oder gar volkssprachige Dichter galten im lateinischen Schriftdiskurs dagegen gemeinhin nicht als Autorgestalten. Von daher blieb die Bezeichnung auctor bis ins 14. Jahrhundert einer spezifischen Gruppe von Verfassern vorbehalten, die der klerikalen Gelehrtenwelt allein als würdig erschienen, sie zum Gegenstand von philolo267 Grundlegend zum lateinischen Autorbegriff bzw. zum Autorverständnis, wie es die mittellateinische Literatur spiegelt: Paul Klopsch, »Anonymität und Selbstnennung mittellateinischer Autoren«, in: Mittellateinisches Jahrbuch 4 (1967), S. 9–25; Minnis, Medieval theory of authorship. Weiterführend auch: Jan-Dirk Müller, »Auctor – Actor – Author. Einige Anmerkungen zum Verständnis vom Autor in lateinischen Schriften des frühen und hohen Mittelalters«, in: Felix Philipp Ingold/Werner Wunderlich (Hg.), Der Autor im Dialog. Beiträge zu Autorität und Autorschaft, Sankt Gallen 1995, S. 17–31; Benedikt Konrad Vollmann, »Autorrollen in der lateinischen Literatur des 13. Jahrhunderts«, in: Matthias Meyer/Hans-Jochen Schiewer (Hg.), Literarisches Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, S. 813–827; Christel Meier, »Autorschaft im 12. Jahrhundert. Persönliche Identität und Rollenkonstrukt«, in: Peter von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, Köln 2004, S. 207–266; Hartmut Beyer, »Autorrollen und Legitimationsstrategien in der lateinischen Epistolographie des Mittelalters«, in: Christel Meier/Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), Autorschaft. Ikonen – Stile – Institutionen, Berlin 2011, S. 93–109; Christel Meier, »Autorstile im Hochmittelalter?«, in: Meier/Wagner-Egelhaaf (Hg.), Autorschaft, S. 69–91. 268 Siehe Edwin A. Quain, »The Medieval Accessus ad Auctores«, in: Traditio 3 (1945), S. 215–264; Almut Suerbaum, »›Accessus ad Auctores‹. Autorkonzeptionen in mittelalterlichen Kommentartexten«, in: Elizabeth Andersen/Jens Haustein/Anne Simon/Peter Strohschneider (Hg.), Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, Tübingen 1998, S. 29–37; Jean-Yves Tilliette, »Poesia e storia di fronte alla critica letteria medievale. L’insegnamento degli ›accessus ad auctores‹«, in: Storiografia e poesia nella cultura medioevale. Atti del colloquio, Roma, 21–23 febbraio 1990, Rom 1999, S. 151–164; Meta Niederkorn-Bruck, »Accessus ad auctores: Text als Weg zum Wissen«, in: Analecta Cisterciensia 59 (2009), S. 355–370; Pascale Bourgain, »Les auteurs dans les ›Accessus ad auctores‹«, in: Edoardo D’Angelo/Jan Ziolkowski (Hg.), Auctor et auctoritas in Latinis Medii Aevi litteris / Author and authorship in Medieval Latin literature. Proceedings of the VIth Congress of the International Medieval Latin Committee: Benevento-Naples, November 9–13, 2010, Florenz 2014, S. 119–132; Stephen M. Wheeler, Accessus ad auctores. Medieval Introductions to the Authors (Kodex latinus monacensis 19475), Kalamazoo 2014.

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gischen Überlegungen und Kommentaren zu machen, wobei das Gewicht, das einzelnen Dichtern zugemessen wurde, sich im Laufe der Jahrhunderte veränderte. Andere Verfasser, gar volkssprachige, besaßen für die Schriftgelehrten in der Regel keinen herauszuhebenden Stellenwert – was sich, wie oben ausgeführt, auch in der Aufmachung der Textträger dokumentiert –, waren oft gar nicht namentlich bekannt, wobei nicht selten die Überlieferung einen ursprünglich mit dem Werk verknüpften Verfassernamen verschwinden ließ, indem der Prolog oder Teile des Prologs bei der Abschrift bzw. der reproduzierenden Bearbeitung des Textes weggelassen wurden.269 Anonym präsentierte Werke waren im mittelalterlichen Buchwesen nicht die Ausnahme,270 sondern gehörten mit zur strukturellen Unterscheidung von Dichtern und Schriftstellern, denen Autorstatus zukam, und solchen, für die dies nicht galt. Insofern spiegelt die kodikale Textpräsentation, die nur sehr eingeschränkt mit verbalen Paratext-Elementen operiert, auch die mangelnde oder zumindest anders geartete Relevanz des Urhebers des Texts in weiten Teilen der schriftliterarischen Kultur wider. Zudem hatte die für bestimmte Sektoren des Literaturbetriebs fehlende Kategorie des auctor Konsequenzen für den Werk-Begriff: für die Abgeschlossenheit des Werks 269 Siehe weiterführend etwa Burghart Wachinger, »Autorschaft und Überlieferung«, in: Walter Haug/Burghart Wachinger (Hg.), Autorentypen, Tübingen 1991, S. 1–28; Rüdiger Schnell, »›Autor‹ und ›Werk‹ im deutschen Mittelalter. Forschungskritik und Forschungsperspektiven«, in: Joachim Heinzle/L. Peter Johnson/Gisela VollmannProfe (Hg.), Neue Wege der Mittelalter-Philologie. Landshuter Kolloquium 1996, Berlin 1998 (Wolfram-Studien 15), S. 12–73; Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010, S. 22–43. 270 Siehe zur Frage nach dem Verhältnis von Anonymität und Onymität in der mittelalterlichen Literatur: Ernst Hellgardt, »Anonymität und Autornamen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der deutschen Literatur des elften und zwölften Jahrhunderts. Mit Vorbemerkungen zu einigen Autornamen der altenglischen Dichtung«, in: Elizabeth Andersen/Jens Haustein/Anne Simon/Peter Strohschneider (Hg.), Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, Tübingen 1998, S. 46–72; Thomas Bein, »Zum ›Autor‹ im mittelalterlichen Literaturbetrieb und im Diskurs der germanistischen Mediävistik«, in: Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999, S. 303–320; Harald Haferland, »Wer oder was trägt einen Namen? Zur Anonymität in der Vormoderne und in der deutschen Literatur des Mittelalters«, in: Stephan Pabst (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literaturund Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin/New York 2011, S. 49–72.

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und die Vorstellung des vom Urheber so und nicht anders geschaffenen Texts.271 War der Verfasser der betreffenden Aufzeichnungen nicht in derselben Weise eine verpflichtende Größe wie der auctor, ließ sich die Ausgestaltung des Werks redaktionell verändern. Die häufigen Eingriffe in den Wortlaut volkssprachiger Dichtungen sind weniger als Ausdruck der Handschriftenkultur als solcher zu verstehen, wie dies mitunter Vertreter der ›New Philology‹ innerhalb der Mediävistik propagieren,272 sondern sie dokumentieren den gegenüber den tradierten und sanktionierten Schriftstellern divergierenden Status mittelalterlicher Verfasser.273 271 Siehe insbesondere Joachim Bumke, »Autor und Werk. Beobachtungen und Überlegungen zur höfischen Epik (ausgehend von der Donaueschinger Parzivalhandschrift Gδ«, in: Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft), S. 87–114; Schnell, »›Autor‹ und ›Werk‹ im deutschen Mittelalter«; Jan-Dirk Müller, »Aufführung – Autor – Werk. Zu einigen blinden Stellen gegenwärtiger Diskussion«, in: Nigel F. Palmer/Hans-Jochen Schiewer (Hg.), Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9.–11. Oktober 1997, Tübingen 1999, S. 149–166; Klaus Grubmüller, »Überlieferung – Text – Autor. Zum Literaturverständnis des Mittelalters«, in: Hans-Jochen Schiewer/Karl Stackmann (Hg.), Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften. Ergebnisse der Berliner Tagung in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 6.–8. April 2000, Tübingen 2002, S. 5–17. 272 Als zentrale Bände und Beiträge rund um die Diskussionen zur ›New Philology‹, bisweilen auch in kritischer Distanznahme, lassen sich nennen: Bernard Cerquiglini, Éloge de la variante. Histoire critique de la philologie, Paris 1989; Stephen G. Nichols, »The New Philology«, in: Speculum 65 (1990), S. 1–108; Keith Busby (Hg.), Towards a Synthesis? Essays on the New Philology, Amsterdam/Atlanta 1993; Martin-Dietrich Gleßgen/Franz Lebsanft (Hg.), Alte und neue Philologie, Tübingen 1997; Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft); Ursula Peters (Hg.), Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450, Stuttgart 2001; Arthur Groos/Hans-Jochen Schiewer (Hg.), Kulturen des Manuskriptzeitalters, Göttingen 2004; Michael Stolz (Hg.), Edition und Sprachgeschichte. Baseler Fachtagung 2.–4. März 2005, Tübingen 2007. 273 Aus der reichen Fülle an Forschungsbeiträgen gerade zu Fragen der Besonderheiten volkssprachiger Verfasserschaft hier nur einige weiterführende Hinweise: Walter Haug/Burghart Wachinger (Hg.), Autorentypen, Tübingen 1991; Elizabeth Andersen/ Jens Haustein/Anne Simon/Peter Strohschneider (Hg.), Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, Tübingen 1998; Silvia Schmitz, »Die ›Autorität‹ des mittelalterlichen Autors im Spannungsfeld von Literatur und Überlieferung«, in: Jürgen Fohrmann/Ingrid Kasten/Eva Neuland (Hg.), Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, Bielefeld 1999,

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Wie die Kodizes in ihrer materialen Ausstattung keine verfasserorientierte Gestaltung erhielten, da die Kategorie ›Autor‹ keinen generellen Stellenwert besaß und insofern nicht als Mittel der Systematisierung zu dienen vermochte, so eigneten den mittelalterlichen Büchersammlungen, gemessen am hochentwickelten Bibliothekswesen der griechisch-römischen Blütezeit, vergleichsweise rudimentäre Strukturen.274 Weder erfolgte eine paratextuelle Kennzeichnung des Buchinhalts im Sinne einer systematischen werkexternen Beschriftung des Materials,275 noch wurde das Ver-

S. 465–483; Ursula Peters, »Autorbilder in volkssprachigen Handschriften des Mittelalters. Eine Problemskizze«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 119 (2000), S. 321– 368; Timo Reuvekamp-Felber, »Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählerstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), S. 1–23; Sebastian Coxon, The Representation of Authorship in Medieval German Narrative Literature 1220–1290, Oxford 2001; Dorothea Klein, »Inspiration und Autorschaft. Ein Beitrag zur mediävistischen Autordebatte«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 80 (2006), S. 55–96; Gerald Kapfhammer/Wolf-Dietrich Löhr/ Barbara Nitsche (Hg.), Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2007; Renate Schlesier/Beatrice Trînca (Hg.), Inspiration und Adaptation. Tarnkappen mittelalterlicher Autorschaft, Hildesheim 2008; Unzeitig, Autorname und Autorschaft; Seraina Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung. Bearbeitungen des Alexanderstoffs als Modellfall differenter Verfasserkonzeptionen«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 134/3 (2012), S. 344–364; Susanne Friede/Michael Schwarze (Hg.), Autorschaft und Autorität in den romanischen Literaturen des Mittelalters, Berlin 2015. 274 Siehe weiterführend Otto Mazal, Frühmittelalter, Graz 2003, Bd. 1, S. 227–266. 275 Während mittelalterliche Kodizes oft keine textexternen Angaben zu Verfasser, Titel oder Gattung aufweisen, lassen sich hinsichtlich einzelner Bibliotheken durchaus Signaturensysteme rekonstruieren, allerdings erst für das Spätmittelalter, in welchem sich zunächst Pult-, dann Individualsignaturen entwickelten. Siehe grundlegend Theodor Gottlieb, Über mittelalterliche Bibliotheken, Graz 1955 (unveränd. Nachdruck der Ausgabe von 1890), S. 310–316. Konkrete Beispiele besprechen etwa: Albert Derolez, »A reconstruction of the library of the priory of Zevenborren at the end of the Middle Ages«, in: Anny Raman/Eugène Manning (Hg.), Miscellanea Martin Wittek: Album de codicologie et de paléographie offert à Martin Wittek, Leuven 1993, S. 113– 126, hier S. 113–116; Jochen Schevel, Bibliothek und Buchbestände des AugustinerChorherrenstifts Georgenberg bei Goslar. Ein Überblick über die Entwicklung im Mittelalter bis zur Zerstörung 1527, Wiesbaden 2015, S. 85–121; Britta-Juliane Kruse, Stiftsbibliotheken und Kirchenschätze. Materielle Kultur in den Augustiner-Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, Wiesbaden 2016, S. 289–294. Siehe weiterführend auch die Beiträge im Band: Andrea Rapp/Michael Embach (Hg.), Zur Er-

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fahren der alphabetischen Aufstellung der Bücher aus der Antike übernommen. Mittelalterliche Büchersammlungen, in aller Regel Klosterbibliotheken,276 ordneten hierarchisch, wobei zuerst die Bibel, dann die Kirchenschriftsteller und zuletzt weltliche Themen Berücksichtigung fanden.277 Wie die Reihenfolge der Anordnung der Kodizes im Einzelnen ausfiel, zeigte sich an den diversen Standorten unterschiedlich: Die erhaltenen Bücherverzeichnisse dokumentieren, dass schon die Abfolge der Kirchenväter keinem einheitlichen Prinzip unterlag.278 Zwar sind gerade aus dem Spätmittelalter zahlreiche Bibliothekskataloge tradiert, die ein spezifisches Signaturensystem zugrunde legen und als epitextuelle Verzeichnisse zu den Bücherbeständen des betreffenden Standorts gelesen werden können, doch erfassen sie den Inhalt der Textträger häufig nicht systematisch und lückenlos.279 Stellvertretend für viele Bücherverzeichnisse gilt, was Antje

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forschung mittelalterlicher Bibliotheken. Chancen – Entwicklungen – Perspektiven, Frankfurt a. M. 2009. Systematisierend Buzás, Deutsche Bibliotheksgeschichte des Mittelalters. Siehe Gottlieb, Über mittelalterliche Bibliotheken, S. 302–308; Albert Derolez, Les catalogues de bibliothèques, Turnhout 1979. Jünger auch: Frank Fürbeth, »Sachordnungen mittelalterlicher Bibliotheken als Rekonstruktionshilfen«, in: Andrea Rapp/ Michael Embach (Hg.), Rekonstruktion und Erschliessung mittelalterlicher Bibliotheken. Neue Formen der Handschriftenpräsentation, Berlin 2008, S. 87–104. Was die auf uns gekommenen Bücherinventare und Bibliothekskataloge aus dem deutschsprachigen Gebiet angeht, siehe die soweit erschienenen Bände: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, hg. von der Königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, München 1918–; Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs, hg. von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Wien 1915-. Des Weiteren auch: Gangolf Schrimpf, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse des Klosters Fulda und andere Beiträge zur Geschichte der Bibliothek des Klosters Fulda im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1992; Angelika Häse, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster Lorsch. Einleitung, Edition und Kommentar, Wiesbaden 2002; Almuth Märker, Das ›Prohemium longum‹ des Erfurter Kartäuserkatalogs aus der Zeit um 1475. Edition und Untersuchung, 2 Bde., Bern 2008; Antje Willing, Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg. Synoptische Darstellung der Bücherverzeichnisse, Berlin 2012. Vgl. Gottlieb, Über mittelalterliche Bibliotheken, S. 302. Häufig zu beobachten ist jedoch eine klare Trennung der Bücher in eine Kirchen- und eine Schulbibliothek, so dass diejenigen Texte, die im Unterricht behandelt wurden, in letzterer untergebracht waren (vgl. ebd., S. 303–307). Siehe auch: Birger Munk Olsen, »Le biblioteche del XII secolo negli inventari dell’epoca«, in: Guglielmo Cavallo (Hg.), Le Biblioteche nel mondo antico e medievale, 6. Aufl., Rom/Bari 2004, S. 137–162 (Erstausgabe 1988). Beispiele von besonders hoher Systematik verzeichnet etwa Buzás, Deutsche Biblio-

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Willing in Bezug auf den Bilbiothekskatalog des Klosters St. Katharina zu Nürnberg beobachtet, der in der Mitte des 15. Jahrhunderts von der Buchmeisterin Kunigunde Niklasin angelegt wurde: Zu jeder Signatur ist im Katalog der Inhalt des jeweiligen Kodex verzeichnet, allerdings nur dann erschöpfend, wenn er einige wenige Schriften enthält. […] Da jedoch die meisten Kodizes der Klosterbibliothek Sammelhandschriften sind, spiegelt die mittelalterliche Inhaltsangabe in der Regel nicht den vollständigen Textbestand eines Kodex. Vielmehr beschränkte sich die Buchmeisterin auf die Angabe einiger Texte, die sie allerdings meist nicht mit einem Titel bezeichnete, sondern deren Thema sie kurz beschrieb. Oftmals ist die Diskrepanz zwischen mittelalterlicher und neuzeitlicher Katalogbeschreibung eines Kodex gravierend.280

Die Mehrheit der Bücherverzeichnisse diente vornehmlich der Inventarisierung der Kodizes, weniger der strukturellen Organisation der Bestände, die die Auffindung eines bestimmten Textes zum Ziel hatte.281 Die in der mittelalterlichen Buchkultur kaum ausgebildeten Mechanismen der systematischen außerliterarischen Kennzeichnung des Inhalts der Kodizes brachten es mit sich, dass die textinterne Namensnennung, die Sphragis, für einen zeitgenössischen Verfasser die einzige halbwegs zuverlässige Möglichkeit darstellte, um seine Urheberschaft kundzutun und seinen Namen mit dem Werk zu verbinden. Textinterne Autorsignaturen finden sich denn in vielen volkssprachigen Erzähltexten, insbesondere in Prologen und Epilogen, aber auch in Exkursen und im Zusammenhang von Kommentierungen des Handlungsablaufs. Gerade dem Prolog kamen unter den rhetorisch-poetologischen Prämissen mittelalterlichen Dichtens besondere Aufgaben zu: Gemäß den Bestimmungen der antiken Theorieschriften, die in den Kloster- und Domschulen eine wichtige Grundlage des Rhetorikunterrichts bildeten und in den mittellateinischen Poetiken Widerhall fanden, hatte der Auftakt der Rede – und damit auch des Dichtwerks – das Publikum auf das Folgende einzustimmen, es aufmerksam, theksgeschichte des Mittelalters, S. 145–148. Für eine detaillierte Beschreibung eines solch elaborierten Beispiels siehe Märker, Das ›Prohemium longum‹ des Erfurter Kartäuserkatalogs. 280 Willing, Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg, S. XXI. 281 Vgl. etwa Buzás, Deutsche Bibliotheksgeschichte des Mittelalters, S. 143/144; Häse, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster Lorsch, S. 53.

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wohlwollend und gelehrig zu machen (attentum, benevolum, docilem facere).282 Diese erste Kontaktaufnahme mit den Rezipienten bot von daher besonders günstige Bedingungen für die Möglichkeit, metatextuelle Informationen zu vermitteln, so etwa auf einen Gönner zu verweisen und diesem zu danken oder eben den Verfassernamen anzuführen.283 Viele Prologe narrativer Texte zeigen fraglos paratextuelle Züge, scheinen eine Art Schwelle zwischen der Welt draußen und der zu erzählenden Geschichte zu bilden.284 Andererseits sind sie aber auch unzweifelhaft Teil der Dichtungen selbst: Oft sind sie in den betreffenden Manuskripten in keiner Weise graphisch abgesetzt, weichen weder im Metrum noch im Reimschema von der Fortsetzung des Texts ab und zeigen, was die Erzählstimme angeht, keinen Bruch zum Folgenden. So gehören die Prologe allein schon von den epistemischen Voraussetzungen der Rhetorik her zu den Werken als solchen, bilden sie doch die entscheidende Eröffnung der Sprechsituation der Dichtungen. Es ist evident, dass der moderne Begriff des Paratexts hier an seine Grenzen stößt. Das Konzept des biblionomen Paratexts, insbesondere als Peritext, setzt auf Visualität, vor allem auch auf 282 Einschlägig überliefert ist die Formel in zwei im Mittelalter weit verbreiteten antiken Schriften zur Rhetorik, nämlich: Rhetorica ad Herennium, I, 4; Cicero, De inventione, I, 15. Lateinische und volkssprachige Literaturproduktion sind im 12. und im 13. Jahrhundert wesentlich geprägt durch das lateinische Bildungssystem, in welchem die antike Rhetorik und die aus dieser heraus entstandene mittellateinische Poetik einen zentralen Stellenwert einnehmen. Die expliziten Dichtungslehren, die in dieser Zeit entstanden, sind untrennbar verzahnt mit den erhaltenen römischen Schriften zur Rhetorik, wobei die Werke Ciceros und die damals ebenfalls Cicero zugeschriebene ›Rhetorica ad Herennium‹ eine grundlegende Rolle spielten. Siehe weiterführend: Hennig Brinkmann, »Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung. Bau und Aussage«, in: Wirkendes Wort 14 (1964), S. 1–21 (wieder in: Hennig Brinkmann, Studien zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Bd. 2, Düsseldorf 1966, S. 79–105); Peter Kobbe, »Funktion und Gestalt des Prologs in der mittelhochdeutschen nachklassischen Epik des 13. Jahrhunderts«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 43 (1969), S. 405–457; Alexandru N. Cizek, Imitatio et tractatio. Die literarisch-rhetorischen Grundlagen der Nachahmung in Antike und Mittelalter, Tübingen 1994. 283 Siehe mit Blick auf altfranzösische Texte: Pierre-Yves Badel, »Rhétorique et polémique dans les prologues de romans au Moyen Âge«, in: Littérature 20/4 (1975), S. 81–94. 284 Sonja Glauch bezeichnet die textinternen Autornennungen in Prologen und anderswo als ›Paratexte avant la lettre‹ (vgl. Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009, S. 45–54).

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Lesefähigkeit. Er legt die spatiale Organisation des Schrifttexts zugrunde, bei der die betreffenden textuellen Komponenten graphisch ausgegliedert oder zumindest markiert werden.285 Mittels der Sillyboi liefern antike Textträger, analog zu modernen Büchern, spezifische Angaben zur Einordnung des Textes, bevor die Auseinandersetzung mit dem betreffenden Werk selbst beginnt. Es werden Informationen zum literarischen Diskurs geboten, die die Rezeption des Texts steuern und die eine metatextuelle Rahmung gewährleisten. Auch die philologischen Kommentare bilden in den Blütezeiten der Schriftlichkeit in der Antike ein epitextuelles Gefäß, um Klassifikationen und Bewertungen der betreffenden Literatur vorzunehmen. Diese Mechanismen der Einordnung lebten in der kodikalen Schriftlichkeit des lateinischen Mittelalters weiter, in der – zumindest hinsichtlich der auctores – die peri- und epitextuellen Möglichkeiten literarischer Kommunikation erhalten blieben, Formen und Fragen dichterischer (Selbst-)Reflexion zudem auch in der Textsorte der Poetik verhandelt werden konnten. Was die volkssprachige Erzählliteratur des Mittelalters angeht, gab es kein entsprechendes etabliertes literarisches Diskurs- und Referenzsystem. Die kodikalen Überlieferungsträger zeigen, wie die diversen Analysebeispiele im Folgenden verdeutlichen, kaum peritextuelle Ausprägungen, mittels derer konkrete Ordnungskategorien wie Autor, Titel oder Gattung werkextern geboten werden. Auch epitextuelle Formen der Annäherung standen – nicht nur aus mediengeschichtlichen, sondern vor allem auch aus bildungssoziologischen Gründen – kaum zur Verfügung, so dass den volkssprachigen Epikern für die literarische Einordnung und Klassifizierung ihrer Werke nur die narrativen Texte selbst blieben, die sie in origineller Weise nutzten, wie die Literaturexkurse und Dichterkataloge demonstrieren. Zugespitzt formuliert: Wollten die mittelalterlichen Verfasser das literarische Kommunikat kategorisieren und positionieren, waren sie gleichsam gezwungen, dies textintern vorzunehmen.

285 Siehe zu diesem Gedanken grundlegend Ivan Illich, In the vineyard of the text. A commentary to Hugh’s ›Didascalicon‹, Chicago 1993, dt.: Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Ein Kommentar zu Hugos ›Didascalicon‹, aus dem Englischen von Ylva Eriksson-Kuchenbuch, Frankfurt a. M. 1991.

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Systematisch betrachtet handelt es sich bei den Prologen und Epilogen, den poetologischen Einschüben, dichtungstheoretischen Exkursen und Katalogen, aber nicht zuletzt auch bei der Konturierung einer Sprecherinstanz, wie sie sich etwa zum Auftakt des ›Herzog Ernst B‹ fassen lässt, um extranarrative stilistische Mittel der Gestaltung des Erzähltexts. Sie gehören zweifelsfrei zum ›eigentlichen‹ Text, übernehmen aber – in Ermangelung medial institutionalisierter Paratextstrukturen – häufig Diskursfunktionen der Positionierung und Vermittlung des literarischen Kommunikats. Man könnte sie als Formen ›intrinsischer Rahmung‹ bezeichnen,286 wobei gerade die Pro- und Epiloge im Verhältnis zum verspoetischen Artefakt als Ganzem auch im buchstäblichen Sinne ›Grenzregionen‹287 bilden: Sie markieren Anfang und Ende der Dichtung – einerseits spatial-visuell hinsichtlich des schriftlich festgehaltenen Texts, andererseits temporal-akustisch, wenn der Text in der Vortragsituation einem oral-auditiven Erzählprozess unterworfen wird –, sind aber, wie erwähnt, oft weder formal-stilistisch noch in der kodikal-graphischen Darstellung vom ›Kerntext‹ abgehoben. Bei vielen volkssprachigen Erzähltexten ist denn auch nicht klar markiert, wo der Prolog endet oder wo der Epilog beginnt, sondern sind die Übergänge fließend,288 was nicht zuletzt von den rhetorischen Prämissen herrührt, von denen her die betreffenden Passagen systemisch gerade nicht zur Paratextualität gehören. Nichtsdestotrotz bilden Pro- und Epiloge in der kodikalen Manu-

286 Vgl. Till Dembeck, Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul), Berlin 2007, S. 34–52. Dembeck bezeichnet mit dieser Begrifflichkeit allerdings Phänomene des selbstreflexiv werdenden Spiels mit Rahmungen in der Romanliteratur des späten 18. Jahrhunderts, wo die ›intrinsische Rahmung‹ zu den im Buchdruck etablierten Paratextelementen hinzutritt (siehe vor allem S. 83–101). Zu Überlegungen, Prologe (etwa von Dramen) als Formen der Paratextualität zu betrachten und dafür den Begriff des Rahmens zu verwenden, siehe insbesondere auch: Werner Wolf, »Framing fiction. Reflections on a narratological concept and an example: Bradbury, Mensonge«, in: Walter Grünzweig/ Andreas Solbach (Hg.), Grenzüberschreitungen. Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries. Narratology in Context, Tübingen 1999, S. 97–124. 287 Vgl. Dembeck, Texte rahmen, S. 45/46. 288 Vgl. dazu auch, gerade mit Blick auf die frühmittelhochdeutsche Literatur, Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2. Aufl., Darmstadt 1992, S. 58.

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skriptkultur ›Übergangszonen‹289 bzw. ›Grenzregionen‹290, denen eine gewisse Unschärfe und Hybridität eignet, die im Mittelalter offenkundig durchaus als solche wahrgenommen wurde: Dies wird dadurch evident, dass die betreffenden Passagen in den Überlieferungszeugen vergleichsweise häufig fehlen. Im Grunde genommen überlagern sich bei den Pround Epilogen schriftlich festgehaltener Erzähltexte bis zu einem gewissen Grad Konzepte der Linearität, wie sie von den rhetorisch-poetologischen Grundlagen der kodikal gefassten Epik herrühren, und Konzepte der Spatialität, wie sie durch die stärker durch Paratexte bestimmte lateinische Handschriftenkultur geprägt sind291 – was sich auch in der Diskussion der einzelnen Analysebeispiele zeigen wird.

289 Vgl. etwa Uwe Wirth, »Paratext und Text als Übergangszone«, in: Birgit Neumann/ Wolfgang Hallet (Hg.), Raum und Bewegung in der Literatur, Bielefeld 2009, S. 167–180. 290 Dembeck versteht Rahmen als Grenzregionen auch insofern, als er sie »als solche Partien von Artefakten [identifiziert], die ein Ablöseproblem bereiten, von denen also einerseits gesagt werden kann, dass sie keine integralen Bestandteile des Gerahmten sind, dass sie andererseits aber auch nicht vom Gerahmten abgelöst werden können, ohne dass dieses Schaden nimmt« (Dembeck, Texte rahmen, S. 46). 291 Im Quervergleich hat die graphische Textorganisation auf der Blattseite bei lateinischem Schrifttum im Mittelalter tendenziell einen höhereren Stellenwert als bei volkssprachigem, was in der Verbindung von sprachlicher Visualität und Literalität begründet liegt. Grundsätzlich zu diesem Gedanken Illich, Im Weinberg des Textes.

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Wie der Rekurs auf die kodikalen Überlieferungsträger des ›Herzog Ernst B‹ verdeutlicht, tritt dieses verspoetische Artefakt in den erhaltenen Handschriften nicht als Dichtwerk mit biblionomen Paratexten in den Wahrnehmungsraum der Rezipienten,292 sondern präsentiert sich diesen erst mit dem Eintritt in den Lektüreprozess des Verstexts selbst, der eine Kommunikationssituation initiiert, welche auf auditive Aufnahme setzt. Hier noch einmal die betreffenden Auftaktverse: Nu vernemet alle besunder: ich sage iu michel wunder von einem guoten knehte. daz sult ir merken rehte. ez ist ze hoerenne guot, ez gît vil manigen muot, swâ man von degenheite seit. […] Diz spriche ich allez umbe daz daz ir merket deste baz ditze liet daz ich wil sagen, wan ich iuch niht wil verdagen die nôt und starke arbeit,

292 Dies gilt in besonderem Maße für den Wiener Kodex 3028, eingeschränkt für das Nürnberger Manuskript 998, das verbale Paratext-Elemente in Form des rot geschriebenen Titels Diß ist hertzog Ernst von Beiern und vereinzelter Kapitelüberschriften enthält.

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die der herzoge Ernest leit do er von Beiern wart vertriben. Nun hört alle zu! Ich werde euch viel Wundersames von einem ehrenwerten Ritter berichten. Dies sollt ihr aufmerksam verfolgen. Es ist gut zu hören und weckt vielerlei Erwartungen, wo immer man von Tapferkeit berichtet. […] Dies alles sage ich deshalb, damit ihr umso besser auf die Dichtung achtet, die ich euch kundtun will. Ich will euch nämlich die Not und Mühsal nicht verschweigen, die der Herzog Ernst erduldete, als er aus Bayern vertrieben worden war. (Herzog Ernst B, V. 1–7, 31–37)

Offensichtlich handelt es sich bei diesen Versen um einen Prolog, der auf das Dichtwerk als solches aufmerksam macht und in die folgende Geschichte einführt. Die Redeinstanz, die über das Pronomen der ersten Person Singular greifbar wird, eröffnet eine Reihe von Informationen, die zur Einstimmung dienen: So erhält das Publikum in Kürze Angaben zum Helden und zum Thema der Erzählung, doch liefert der Sprecher keinerlei Anhaltspunkte, die zu seiner eigenen Klassifizierung dienen, weder hinsichtlich seiner Relation zu den Akteuren der Geschichte noch zum Urheber des Texts. Zurück also zur eingangs gestellten Frage: Wer spricht hier überhaupt? Der Umstand, dass die materiale Präsentation des ›Herzog Ernst B‹ in den Kodizes keine Hinweise auf die Rahmung und Einordnung der entsprechenden Kommunikationssituation gibt, heißt nicht, dass der bereits in den Prologversen buchstäblich als Sprechakt gekennzeichnete Erzählvorgang grundsätzlich ohne frames zu denken ist, sondern bedeutet zunächst lediglich, dass sich der betreffende Rahmen nicht durch äußere Charakteristika des Mediums des Buchs konstituiert, sondern sich gegebenenfalls in anderer Form manifestiert. Da die Überlieferungsträger des verspoetischen Artefakts keinerlei extratextuelle Informationen zum Sprecher bzw. zu seinem Verhältnis zum Urheber der Dichtung preisgeben, bleibt zur Beantwortung der Frage nach der in diesem Sprecher greifbar werdenden ›Stimme des Erzählens‹ und ihrer Relation zum Verfasser nur die Analyse des Verstexts selbst, ja muss der Schlüssel zur Bestimmung der Redeinstanz notwendigerweise textintern gesucht werden. Mit der Nomenklatur der Genetteschen Erzähltheorie könnte man den Sprecher hier als extradiegetischen Erzähler klassifizieren; dieser wäre demnach mit dem Autor des Texts (gegebenenfalls im Sinne einer fiktiven

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Autorrolle) gleichzusetzen. Kundgaben zur Autorschaft zeigen sich jedoch an keiner Stelle des Prologs: Weder wird ein Verfassername genannt, noch verweist der Sprecher auf die Gemachtheit der angekündigten Dichtung, auf eine mögliche Urheberschaft seinerseits. Stanzels Theorie der Erzählsituationen ließe sich insofern fruchtbar machen, als man aufgrund des direkten Adressatenbezugs und der eröffnenden Kommentierung einen auktorialen Erzähler erkennen könnte, allerdings wiederum unter dem Vorbehalt der Problematik, dass damit letzten Endes eine Maske des Autors bezeichnet wäre.293 Im Grunde genommen ist das Konzept des Erzählers, wie es in den diversen Kategorisierungsvorschlägen der modernen Narratologie ausgeführt wird, immer schon dadurch geprägt, dass der Erzähler explizit oder implizit als Figur gedacht ist,294 sei es als eine Figur der dargestellten Welt oder im Hinblick auf die Person des Autors, den man scheinbar im auktorialen Erzähler verkörpert findet. Der ›Erzähler‹ im modernen Sinn ist insofern figuriert, als er in den meisten Modellen als eine Größe vorgestellt wird, die eine persönliche Identität gewinnt. Im Zusammenhang der folgenden Analysen sei deshalb der Instanz-Begriff verwendet, weil er offener ist: Er ist weder auf eine fiktionale Figur noch auf ein empirisches Individuum festgelegt, wodurch ein Abstraktionsgewinn erzielt wird. Von der ursprünglichen Wortbedeutung her handelt es sich bei einer Instanz um ein unmittelbar Gegenwärtiges, um ein Drängendes im allgemeinsten Sinne. Sprechinstanz (oder Sprecher295), Redeinstanz u. ä. werden entsprechend im Folgenden austauschbar immer dann verwendet, wenn die ›Stimme des Erzählens‹ im Pronomen der ersten Person Singular fassbar wird, das mit einem Verb des Sagens verknüpft ist. Personalität ist in diesem Fall zunächst nur im grammatischen Sinn vorhanden. Kommunikationsanalytisch be293 Auch mit den Theoremen Hamburgers oder Booth’ kommt man hier zunächst nicht weiter. Am ehesten ließe sich die über die erste Person Singular greifbare Sprechstimme mit Friedemanns Rhapsoden in Verbindung bringen (vgl. Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910, S. 40–43). 294 Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Käte Hamburger, die allerdings von einer sprachlichen Ontologie ausgeht (siehe oben). 295 Mitunter ist im Folgenden auch von ›Sprecher‹ die Rede, da das Lexem ›Sprecher‹ nicht wie der Erzähler-Begriff konzeptuell vorbestimmt ist, sondern eine ähnliche Offenheit gewährleistet wie die Bezeichnung ›Sprechinstanz‹.

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trachtet handelt es sich bei dieser Sprechinstanz um eine textuelle Größe, die kategoriell auf der Ebene der konzeptuellen Gestaltungsmittel des Erzähltexts angesiedelt ist,296 wobei das Verhältnis zum Verfasser, der dieses Gestaltungsmittel eingesetzt hat, nicht näher definiert sein muss. Wie die Prologverse des ›Herzog Ernst B‹ verdeutlichen, wird in diesem Erzähltext von Anfang an eine pronominal greifbare Sprechinstanz etabliert, die ein nicht näher spezifiziertes Publikum auffordert, ihr zuzuhören, um die wunderlichen Abenteuer des Herzogs mit seinen Mühsalen zu vernehmen. Aufgrund des ausdrücklichen Bezugs auf die ebenfalls nur pronominal zu fassenden Adressaten der Botschaft kann man insofern von einer Kommunikationsinstanz im betonten Sinne sprechen, als das kommunikative Dreieck von Sender, Mitteilung und Empfänger eigens ausbuchstabiert ist.297 Eröffnet wird die Erzählsituation par excellence: Die Stimme kündigt das Thema der Geschichte an und bittet die Adressaten um entsprechende Aufmerksamkeit. Dabei spielen Formulierungen, die den phatischen Aspekt298 des Erzählens stark machen, eine zentrale Rolle, wie bereits die allerersten Verse verdeutlichen: Nu vernemet alle besunder / ich sage iu michel wunder (›Nun hört alle zu! Ich will euch viel Wundersames erzählen‹, V. 1/2).299 296 ›Konzeptuell‹ sei mit Peter Koch und Wulf Oesterreicher hinsichtlich der Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit auch in Unterscheidung von ›medial‹ verstanden: Es geht hier zunächst um die spezifische Ausgestaltung des narrativen Kommunikats auf der Textebene, nicht um Fragen der faktischen Rezeptionsform (vgl. Peter Koch/Wulf Oesterreicher, »Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte«, in: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15–43, hier S. 17). 297 Um den Aspekt des nachdrücklichen Ausformuliertseins dieser Dreiecksrelation zu pointieren, wird auch im Rahmen der folgenden Analysen wiederholt von ›Kommunikationsinstanz‹ die Rede sein. 298 Dieser phatische Aspekt lässt sich mit Genettes ›Kommunikationsfunktion‹ in Verbindung bringen, der in diesem Zusammenhang selbst auch den Bezug auf Roman Jakobson und dessen phatische Funktion herstellt (vgl. Gérard Genette, »Discours du récit«, in: ders., Figures III, Paris 1972, S. 67–273; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Französischen v. Andreas Knop, München 1994, S. 9–176, hier S. 184). Zur phatischen Funktion bei Jakobson siehe: Roman Jakobson, »Linguistik und Poetik [1960]«, in: Ders., Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971, hg. v. Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert, Frankfurt a. M. 1979, S. 83–121, hier S. 91. 299 Ähnliche Phänomene analysiert Sophie Marnette in ihrer Studie zu altfranzösischen

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Im Verlauf der Erzählung tritt dieses Register der Stimme zwar etwas in den Hintergrund,300 doch rekurriert der Sprecher mit sporadischer Regelmäßigkeit unmittelbar und explizit auf die Narration im Sinne Genettes, also auf den Akt des Erzählens, etwa: als ir dâ vor hât vernomen (›wie ihr vorhin schon hörtet‹, V. 259) als Rückverweis auf bereits Erzähltes,301 als ich iu nu sagen wil (›wie ich euch jetzt berichten will‹, V. 3890) im Sinne der Ankündigung von zu Erzählendem302 oder Hie lâzen wir belîben daz: / ich wil iu sagen vürbaz (›Damit wollen wir das Bisherige sein lassen: Ich will euch nun weitererzählen‹, V. 4667/68) als den einen Erzählstrang abschließende Geste, die als Überleitung zu anderen Erzählinhalten dient.303 Indem die Redeinstanz die Adressaten immer wieder mit Bemerkungen zur Erzählregie direkt apostrophiert, manifestiert sich eine betonte Thematisierung des Erzählakts. Pointiert wird mit derartigen Wendungen des Sa-

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Erzähltexten, wobei sie sowohl den mit verba dicendi verknüpften Gebrauch des Pronomens der ersten Person Singular als auch den Stellenwert der in der zweiten Person Plural unmittelbar adressierten Zuhörerschaft kategoriell zu fassen sucht (vgl. Sophie Marnette, Narrateur et points de vue dans la littérature française médiévale. Une approche linguistique, Bern 1998, S. 29–75). Die unmittelbare Beziehung zu den Zuhörern wird pointiert, indem der Sprecher Aufmerksamkeit erheischt, so auch: vernemet wie er beginne (›hört zu, wie er anfängt‹, V. 351). Analoge Verweise auf zu einem früheren Zeitpunkt Berichtetes sind etwa: von dem ich nû gesaget (›von dem ich jetzt erzählt habe‹, V. 672); als ich iu ê gesagt hân (›wie ich euch vorher berichtet habe‹, V. 1636); als ich iu dâ sagete ê (›wie ich euch schon zuvor erzählt habe‹, V. 3119); als ich iu ê hân geseit (›wie ich euch schon vorher erzählt habe‹, V. 3707); als ich iu sagete ê (›wie ich euch schon sagte‹, V. 3911); daz habt ir dicke gehôrt / sagen vür ungelogen (›solches habt ihr ja schon oft als wahr vernommen‹, V. 4122/23); als ir ê habt gehôrt (›wie ihr vorher schon gehört habt‹, V. 4273); als ir ê habt vernomen (›wie ihr vorher schon gehört habt‹, V. 4392); als ich iu ê gesaget hân (›wie ich euch vorher berichtet habe‹, V. 5434). Ähnlich auch: ich will iuch vür baz wizzen lân (›weiter will ich euch berichten‹, V. 57); als ich iu wol sagen kan (›wie ich euch wohl zu berichten weiß‹, V. 198); ich sage iu (›ich sage euch‹, V. 222, V. 4910); als ich iu sagen sol (›wie ich euch berichten kann‹, V. 2386); als ich iu hie bediuten sol (›wie ich euch hier erklären will‹, V. 4903); ouch wil ich iu sagen mêr (›aber ich will euch noch weiter berichten‹, V. 5757); als ich iu sage (›wie ich es euch erzähle‹, V. 5836). Derartige Formulierungen könnten mit Stanzel als Kennzeichnungen auktorialer Erzählsituationen gedeutet werden, allerdings um den Preis, dass Autor und Erzähler letzten Endes gleichzusetzen wären (vgl. Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955, S. 27/28, 38).

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gens und der dazugehörigen Deixis das Erzählen in seiner oralen Prozessualität – was in der Vortragssituation mit der performativen Dimension des Erzählakts korrespondiert304 –, textuelles Schöpfertum hingegen kommt hierbei kaum in den Blick. Bisweilen steht in den Formulierungen die Versicherung der Glaubhaftigkeit des Präsentierten im Vordergrund: ir sult wol gelouben des (›ihr könnt dies durchaus glauben‹, V. 3898); vür wâr ich iu daz sagen wil (›ich will euch wahrheitsgemäß berichten‹, V. 4972).305 Auch hierbei spielt der phatische Aspekt resp. die kommunikative Funktion306 eine Rolle, verbunden wird diese jedoch mit Gesichtspunkten der Zeugenschaft, wie sie durch den Verweis auf Quellen des Erzählens ebenfalls virulent werden.307 Bereits zum Auftakt ihrer Ausführungen im Zuge der Vorstellung des Protagonisten Ernst hält die Sprechinstanz fest: in den buochen stêt geschriben, / daz 304 Ursula Schaefer spricht im Anschluss an Paul Zumthor von der ›Vokalität‹ mittelalterlicher Texte (siehe grundsätzlich Ursula Schaefer, Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1992, des Weiteren auch etwa Ursula Schaefer, »Die Funktion des Erzählers zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«, in: Wolfgang Haubrichs/Eckart Conrad Lutz/Klaus Ridder (Hg.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004 (Wolfram-Studien 18), S. 83–97). Zur Vokalität grundlegend Paul Zumthor, La poésie et la voix dans la civilisation médiévale, Paris 1984, dt.: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französ. übers. v. Klaus Thieme, München 1994. Zu diesem Problemkomplex auch perspektivenreich: Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009; Matthias Däumer, Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane, Bielefeld 2013. 305 Weitere Beispiele sind: des sult ir wol getrûwen (›ihr könnt es ruhig glauben‹, V. 4512); daz wisset vür ungelogen (›das könnt ihr durchaus für wahr halten‹, V. 4949). 306 Vgl. Genette, Die Erzählung, S. 184. 307 Im Verweis auf Quellen des Erzählens wird gemeinhin ein zentrales Charakteristikum mittelalterlicher Literatur erkannt (siehe weiterführend Stefanie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman, Tübingen 2005). Doch sehen auch diverse moderne narratologische Ansätze im Wahrheitsanspruch und im Streben nach Glaubhaftmachung ein grundlegendes, gleichsam überepochales Anliegen der Erzählliteratur. So will etwa Friedemann Wahrheitsbeteuerungen in Texten aller Epochen ausmachen (Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910, S. 84/85), Stanzel spricht vom »Streben nach Verifizierung und Glaubhaftmachung [als] Grundanliegen aller Erzählkunst« (Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 91), Genette wiederum rechnet zur testimonialen oder Beglaubigungsfunktion die Bemerkungen des Erzählers hinsichtlich seiner Quellen (vgl. Genette, Die Erzählung, S. 184).

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er der Beier landes wielt (›in Büchern ist festgehalten, dass er das Land der Bayern beherrschte‹, V. 38/39). Bezieht sie sich hier auf schriftliche Vorlagen, die im buchstäblichen Sinn als Textzeugen für das Erzählte aufgerufen werden, so wird gelegentlich auch unverbindlicher allgemeines HörenSagen als Quelle des Berichteten in Anspruch genommen: Die burger hâten ouch genomen / schaden, als ich hân vernomen, / an tôten und an wunden (›Wie ich hörte, hatten auch die Bürger Verluste an Toten und Verwundeten hinnehmen müssen‹, V. 1521–23).308 Dies kann so weit gehen, dass der narrative Diskurs selbst als Referenz für die Erzählung gewählt wird, so beispielsweise: uns tuot die âventiure bekant (›die Geschichte berichtet uns‹, V. 4813);309 aber auch unspezifischer: daz wunder sagt man uns noch / daz den helden dô geschach (›die seltsamen Erlebnisse erzählt man uns noch heute, die diese Ritter dort hatten‹, V. 4432/33). Im Kontext eines derartigen Quellenbezugs findet sich ein erster Hinweis auf das Verhältnis der Erzählstimme zum Urheber der Versdichtung. So heißt es im Zusammenhang der Entdeckung der wunderbaren Stadt Grippia durch Ernst und seine Gefährten: diu burc stuont gar unervorht: sie vorhte niemannes her. werchûs berfrît brustwer gemâlt und meisterlîch ergraben, als wirz von den buochen haben dâ ez an geschriben stât. wol im derz uns getihtet hât sô rehte wol ze tiute. 308 Ähnlich: Noch wil ich iu baz betiuten / von den seltsaenen liuten, / als ich von in vernomen hân (›Ich will euch noch mehr von den seltsamen Menschen erzählen, wie ich weiter über sie vernommen habe‹, V. 2879–81); oder als pluralische Wendung: als wir dâ von vernomen hân (›wie wir darüber gehört haben‹, V. 4504). Qualitativ unterscheiden sich diese Stellen insofern, als im Singular Ansätze individueller Subjekthaftigkeit durchschimmern, dazu mehr unten. 309 Vergleichbar ist die Phrase nâch der âventiure sage (›nach Angabe der Erzählung‹, V. 3891), wie sie in sehr vielen mittelhochdeutschen Erzähltexten regelmäßig verwendet wird (siehe dazu mehr weiter unten). Zum semantischen Feld von âventiure siehe die Beiträge von Franz Lebsanft, Volker Mertens, Hartmut Bleumer, Mireille Schnyder und Peter Strohschneider im Band: Gerd Dicke/Manfred Eikelmann/ Burkhard Hasebrink (Hg.), Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, Berlin/New York 2006.

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Die Stadt stand äußerst unerschrocken da: Sie fürchtete niemandes Armee. Werkbauten, Türme und Brustwehr waren mit Bildern und Reliefs geschmückt, wie uns die Bücher bezeugen, in denen es geschrieben steht. Wohl dem, der uns dies in einer Weise gedichtet hat, dass wir es angemessen nachvollziehen können. (Herzog Ernst B, V. 2240–47)

Wieder rekurriert der Sprecher auf Bücher als Quellen der Geschichte, verweist aber gleichzeitig auf die Erzählung als dichterisches Produkt. Über das Verb tihten wird die literarische Verfasserinstanz aufgerufen, der Schöpfer des verspoetischen Artefakts, der dezidiert nicht identisch ist mit der narrativen Instanz, dem Sprecher, der durch die Geschichte führt und wiederholt mit Mitteln der Deixis auf die Prozesshaftigkeit des Erzählens aufmerksam macht.310 Nicht zufällig ist für die Charakterisierung der schöpferisch-poetischen Tätigkeit das Wort tihten gewählt: In epischen Texten des 12. und 13. Jahrhunderts kommt das Verb häufig gerade in Kombination mit der expliziten Nennung eines Verfassernamens vor,311 wie auch weiter unten noch zu sehen sein wird. Augenfällig ist an dieser Stelle, dass die Erzählung als dichterisches Produkt durchaus einem individuellen Urheber zugewiesen wird, dieser aber anonym bleibt. Der namenlose Texterzeuger wird von der Redeinstanz vor allem als Gewährsmann für die Wohlgeformtheit des Erzählten in Anspruch genommen. Er ist in einem Atemzug genannt mit den buochen, die ebenfalls als Zeugen für das Be-

310 An diesem Punkt wird unter anderem deutlich, dass sich die von Käte Hamburger hinsichtlich des Realbezugs der Ich-Origo vorgenommene Differenzierung von faktualem vs. fiktionalem Erzählen (vgl. Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957, S. 28–35) bezüglich mittelalterlicher Erzähltexte nicht halten lässt. 311 Zur Wort- und Bedeutungsgeschichte des Verbs siehe Kurt Gärtner, »tihten / dichten. Zur Geschichte einer Wortfamilie im älteren Deutsch«, in: Gerd Dicke/Manfred Eikelmann/Burkhard Hasebrink (Hg.), Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, Berlin/New York 2006, S. 67–81. Zum Status und den Ausdrucksmöglichkeiten der Wörter tihten und tihtaere umfassend Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010, S. 173–183, 292–342 u. passim. Des Weiteren etwa Joachim Bumke, »Autor und Werk. Beobachtungen und Überlegungen zur höfischen Epik (ausgehend von der Donaueschinger Parzivalhandschrift Gδ«, in: Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft), S. 87–114, hier S. 108–111.

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richtete angeführt und – wie sich kaum anders verstehen lässt – als Träger der vom unbekannten Verfasser geschaffenen Dichtung erwähnt sind. Der Konnex zwischen der Redeinstanz einerseits, die immer wieder im Pronomen der ersten Person Singular fassbar wird, und dem namenlosen Schöpfer des schriftlich festgehaltenen – weil in Büchern stehenden – Dichtwerks andererseits besteht darin, dass der Sprecher vorgibt, eben dieses poetische Artefakt in seiner Gemachtheit an eine nicht näher spezifizierte Zuhörerschaft zu vermitteln. Die Erzählinstanz ist dabei selbst öfters auf die Seite des Publikums gestellt: Gerade in der zuletzt zitierten Passage ist sie buchstäblich zur Rezipientin stilisiert und in den Kreis der Adressaten des literarischen Werks mit eingemeindet (als wirz von den buochen haben … bzw. … derz uns getihtet hât). Die betreffenden Verse sind so formuliert, dass die Redeinstanz bereits auf der textuellen Ebene zur Mittlerin im wahrsten Wortsinn wird, zu der die kommunikative Funktion gehört, den Erzählprozess als Gemeinschaft stiftenden, akustischen Mitteilungsvorgang zu gestalten. Durch den pronominalen Wechsel zwischen Singular und Plural sind in der Sprecherposition Kollektiv und Einzelstimme gleichsam verbunden, bildet sie die spiegelnde Resonanz zwischen produktiver und rezeptiver Erzählgemeinschaft. Wird der Text von einem Rezitator vorgetragen, wird der Sprecher buchstäblich zum Vermittler und fungiert als Verbindungsglied zwischen gemeinschaftlichem Stoffgedächtnis, das während der oralen Textpräsentation aktualisiert wird, und diskursivem Kondensat in der Schriftlichkeit. Es wird an dieser Stelle deutlich, dass man beim ›Herzog Ernst B‹ mit den an neuzeitlichen Erzähltexten und auf der Basis des modernen Buchwesens gewonnenen Theoremen und begrifflichen Instrumenten der ›klassischen‹ Narratologie an Grenzen stößt. Der in den Manuskripten rahmenlos dargebotetene Text konstituiert eine Kommunikationssituation, die klar differenziert einerseits zwischen einer Sprechinstanz, die für die Darbietung der Dichtung im prozessualen Akt und den Kommunikationsvorgang des oral-auditiven Vermittelns in Anschlag gebracht ist, und andererseits einem unbekannten Verfasser, der die Dichtung geschaffen hat, so dass sie als poetisches Werk beim Ereignis des Berichterstattens bereits in Buchform vorliegt.312 Unterschieden wird der Dichter, der als Schöpfer des literari312 Mit der Genetteschen Terminologie könnte man die Erzählinstanz dieser Dichtung als

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schen Artefakts und Verantwortlicher für dessen poetische Wohlgeformtheit Erwähnung findet, vom Sprecher als Aussagesubjekt des narrativen Kommunikats. Letzterer besitzt kaum individuelle Züge,313 sondern erscheint als Standpunkt der Personaldeixis, als linguistische Markierung der zum Sprechakt gehörigen Redeposition.314 Wird die Dichtung dem Publikum durch einen Deklamator mündlich präsentiert, wird die Sprecherposition buchstäblich ausgefüllt durch einen materialen Vermittlungskörper, der zum Resonanzraum der ›Stimme des Erzählens‹ wird,315 wobei die kodikal fehlende Rahmung des Sprechakts geradewegs herstellt wird. Zwar können wir heute die mittelalterlichen Rezeptionsverhältnisse kaum rekonstruieren, da betreffende Quellen weitgehend fehlen.316 Dass der mündliche Vortrag317 zur Entstehungszeit des

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extradiegetisch-heterodiegetischen Erzähler kategorisieren, da es sich um einen Erzähler erster Ordnung handelt, der keine Figur der erzählten Welt ist, also nicht mit den Protagonisten der Diegese in irgendeiner Weise interagiert (zu den diesbezüglichen Unschärfen bei Genette siehe etwa Tilmann Köppe/Tom Kindt, Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart 2014, S. 94 u. 96). Der Erzähler wäre damit als Autor einzustufen im Sinne des Urhebers der Erzählung. Auch die anderen einschlägigen Theoriemodelle bieten keine Kategorie, über welche die Sprecherposition, wie sie hier greifbar wird, definiert werden könnte. Stanzels Ansatz etwa, der grundlegend zwischen »auktorialem und personalem Medium« (Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 25) differenziert, trifft die hier eröffnete Dichotomie nicht. Und selbst bei Friedemann wird der Erzähler als Mittler immer wieder mit dem Autor gleichgesetzt. Vgl. zu diesem Gedanken Glauch, An der Schwelle, S. 47. Ähnliches beobachtet A. C. Spearing in mittelenglischen Erzähltexten, insbesondere in ›King Horn‹ (siehe A[nthony] C. Spearing, Textual Subjectivity: The Encoding of Subjectivity in Medieval Narratives and Lyrics, Oxford 2005, S. 37–48). Vgl. dazu Zumthor, Die Stimme und die Poesie, S. 13; Zumthor, Einführung in die mündliche Dichtung, S. 144. Siehe zu dieser Problematik etwa: Green, Medieval listening and reading; Michael Curschmann, »Hören – Lesen – Sehen. Buch und Schriftlichkeit im Selbstverständnis der volkssprachlichen literarischen Kultur Deutschlands um 1200«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 106 (1984), S. 218–257; Manfred Günter Scholz, Hören und Lesen. Studien zur primären Rezeption der Literatur im 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1980 (der allerdings gerade die lesende Rezeption auch für das hochmittelalterliche Publikum stark macht; dazu auch Franz Lebsanft, »Hören und Lesen im Mittelalter (Besprechungsaufsatz)«, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 92/1 (1982), S. 52–64). Wenn hier und im Folgenden vom ›mündlichen Vortrag‹ die Rede ist, ist nicht nur jede Form des Vorlesens aus dem Manuskript gemeint – sei es durch Mitglieder des

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›Herzog Ernst B‹ die geläufigste Rezeptionsform volkssprachiger Erzähltexte war, lässt sich jedoch nicht nur aus dem Umstand schließen, dass selbst hohe Adlige mitunter ihr Leben lang illiterat waren, sondern auch aus eben dieser auf auditive Rezeption hin angelegten Gestaltung der Erzählsituation, wie sie vergleichbar auch in den weiteren von dieser Studie behandelten mittelhochdeutschen Erzähltexten greifbar wird.318 In Bezug auf derartige Gestaltungsphänomene von ›fingierter Mündlichkeit‹ zu sprechen, wie es in der mediävistischen Forschung mitunter geschieht, scheint den ausgestellten Sachverhalt gerade nicht zu treffen, da in der Vortragssituation Oralität nicht fingiert, sondern als Kommunikationsform realisiert wird.319 Insofern könnte man die betreffende Gestaltung der narrativen Vermittlungsebene in Anlehung an Peter Koch und Wulf Oesterreicher eher als eine Form konzeptueller Mündlichkeit bezeichnen, die im Falle des Vortrags mit der medialen korrespondiert.320 Im Grunde Adels, sei es durch ›professionelle‹ Deklamatoren –, sondern sind, wenn nicht anders vermerkt, sämtliche Arten der oralen – man könnte mit Paul Zumthor auch sagen: der vokalen – Präsentation des betreffenden verspoetischen Artefakts einbezogen, also auch diejenigen, die auf Memorieren des Texts beruhen. Von daher wird unter ›Deklamator‹ bzw. ›Rezitator‹ im Folgenden einfach generell der- oder diejenige verstanden, der oder die den Text zu Gehör bringt. Grundsätzlich finden sich in der mediävistischen Forschungsliteratur die unterschiedlichsten Überlegungen zu diesem Thema, sei es, dass die Texte an den Adelshöfen häufig auch von weiblichen Mitgliedern vorgelesen wurden, die beim Laienadel vergleichsweise öfters literat waren als die Männer, sei es, dass ein beruflicher Vortragender als regelrechter ›Performer‹ wirkte, also den narrativen Text mit viel Gestik, Mimik und Stimmmodulation präsentierte. Sämtliche dieser Überlegungen beruhen jedoch auf Hypothesen, gesicherte Belege haben wir nicht erhalten. 318 Was altfranzösische Texte angeht, siehe etwa Evelyn Birge Vitz, Orality and Performance in Early French Romance, Cambridge 1999 (mit zahlreichen Beispielen). 319 Siehe zu dieser Überlegung auch Däumer, Stimme im Raum, S. 54. Der Begriff der ›fingierten Mündlichkeit‹ wurde wesentlich von Paul Goetsch geprägt und zielt auf Phänomene innerhalb voll etablierter Schriftkulturen (vgl. Paul Goetsch, »Fingierte Mündlichkeit in der Erzählkunst entwickelter Schriftkulturen«, in: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 17 (1985), S. 202–218). 320 Vgl. Koch/Oesterreicher, »Sprache der Nähe – Sprache der Distanz«, S. 17. Konzeptuell bezieht sich in diesem Verständnis auf die Art der – im weitesten Sinne – stilistischen Ausgestaltung des Texts, zielt hingegen nicht auf die Form des Produktionsprozesses. Es geht um die »kommunikativen Strategien« (ebd.), die einem Text gleichsam eingearbeitet sind. Ob das verspoetische Artefakt ursprünglich im Akt des Aufschreibens (sei es durch Diktat oder durch eigenhändiges Schreiben) oder durch einen Akt

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genommen bleiben die ausdrücklichen Performativa des Sprechens situativ unterbestimmt, solange der handschriftliche Text stumm gelesen wird. In dem Moment hingegen, in welchem ein Rezitator die partiturartig321 bereitstehende Sprecherposition ausfüllt, gehen sie in der Rahmung der realen Vortragssituation auf. Was die textinterne Differenzierung von Sprechinstanz und Verfasser angeht, finden sich im ›Herzog Ernst B‹ zwei weitere einschlägige Belegstellen. Die eine steht im Zusammenhang mit dem Bericht des Fundes eines besonderen Edelsteins, den der Protagonist während seiner Abenteuerfahrt aus einem Stollen herausgebrochen und später dem deutschen Kaiser geschenkt haben soll. So hält die Erzählstimme in diesem Kontext fest: der stein gap vil liehten glast. den brâhte sît der werde gast ûz der vil starken freise. dâ von er wart der weise durch sîn ellen genant. er ist noch hiute wol bekant. ins rîches krône man in siht. von diu liuget uns daz buoch niht. ist aber hie dehein man der dise rede welle hân vür ein lügenlîchez werc, der kome hin ze Babenberc: dâ vindet ers ein ende ân alle missewende von dem meister derz getihtet hât. ze latîne ez noch geschriben stât: dâ von ez âne valschen list ein vil wârez liet ist. Der Stein gab einen sehr hellen Glanz. Diesen (Stein) brachte der edle Fremde später aus der schrecklichen Gefahr mit. Dadurch wurde er aufgrund seiner ungewöhnlichen Kraft ›der Waise‹ genannt. Er ist noch heute allgemein bekannt, in kreativer Gedächtnisleistung hergestellt und erst später schriftlich festgehalten wurde, spielt für die vorliegenden Analysen der kodikal auf uns gekommenen Erzähltexte keine Rolle. 321 Siehe etwa auch die Ausführungen zum Partitur-Begriff von Däumer, Stimme im Raum, S. 51.

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der Reichskrone sieht man ihn. Das Buch erzählt uns von daher keine Lügen. Sollte aber jemand hier sein, der diese Dichtung für ein Lügenwerk hält, der soll nach Bamberg kommen. Dort wird er untrüglich von dem Meister, der dies gedichtet hat, widerlegt werden. Es ist auch noch lateinisch aufgeschrieben. Deshalb ist es ohne trügerische Kunst eine wahre Dichtung. (Herzog Ernst B, V. 4459–76)

Unter den Maßgaben eines modernen Fiktionalitätsverständnisses322 könnte man diese Passage als Metalepse bestimmen, doch ist die vorgenommene Transgression der Ebenen im vorliegenden Kontext eher vor dem Hintergrund des die mittelalterliche narrative Literatur prägenden rhetorischen historia-Begriffs zu lesen, der Augenzeugenschaft als zentrales Kriterium für die Glaubhaftmachung des Erzählten definiert.323 Die Sprechinstanz wendet sich an die Zuhörerschaft – zu der sie sich wiederum in gemeinschaftsstiftender Weise hinzuzählt – und spricht die Adressaten als Teile des berichteten Universums an, indem sie sie zu Zeugen der Handlung ausruft.324 Der Edelstein wird zum Garanten für die Wahrheit des Erzählten, das auf einen meister derz getihtet hât zurückgeführt wird. Analog zur ersten Belegstelle ist das Verb tihten verwendet, um die schöpferische Tätigkeit der schriftliterarischen Textherstellung zu erfassen. Charakterisiert wird der namenlose Autor als meister – hier offensichtlich zu verstehen als magister, der schriftgelehrt und lateinkundig ist. Die Redeinstanz teilt nämlich im Weiteren mit, dass es von der Geschichte des Herzog Ernst auch eine lateinische Version gebe, die in schriftlicher Form existiere. Was deren Verhältnis zur deutschsprachigen Fassung anbelangt, werden allerdings keine 322 Siehe einschlägig etwa Frank Zipfel, Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001. 323 Dazu weiterführend Joachim Knape, »Historia«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding. Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 1406–1410; Gert Hübner, Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ›Eneas‹, im ›Iwein‹ und im ›Tristan‹, Tübingen 2003, S. 3; Alexandru N. Cizek, Imitatio et tractatio. Die literarisch-rhetorischen Grundlagen der Nachahmung in Antike und Mittelalter, Tübingen 1994, S. 265–269. 324 Die Geschichte von Herzog Ernst mutiert gleichsam zu einer aitiologischen Erzählung, die die Herkunft des Waisen in der Reichskrone expliziert (zu dieser Stelle auch Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994, S. 125).

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näheren Angaben gemacht, in gewisser Weise ist suggeriert, dass die volkssprachige Version auf der lateinischen basiert. Mit Letzterem liefert die Redeinstanz eine Information, die man einerseits als weiteres stilistisches Mittel der Beglaubigung interpretieren kann, die sich andererseits aber auch als werkspezifisches Metadatum lesen lässt, welches in der neuzeitlichen Buchkultur eher über Paratexte vermittelt würde. Die im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter ausgeführte Feststellung, die Erzählung der Abenteuer des Herzogs sei auch in lateinischer Sprache zugänglich, stellt eine Art Nobilitierung der Materie dar, will die Bedeutung und die Glaubwürdigkeit des Erzählten erhöhen. Allerdings handelt es sich durchaus um ein Faktum, dass vom Herzog Ernst-Stoff lateinische Bearbeitungen existieren – die ältesten der bis heute überlieferten Versionen datieren allerdings ins frühe 13. Jahrhundert, sind damit vermutlich jünger als der ›Herzog Ernst B‹.325 Angesichts der Tatsache, dass es vom Bildungs- und Buchwesen her keinen strukturell etablierten, werkexternen Ort gab, wo derartige metatextuelle Hinweise hätten platziert werden können, kann die Bemerkung über eine lateinische Stoffversion auch als werkspezifische Zusatzinformation gedeutet werden.326 Die dritte markante Passage, die sich mit der Entstehung des ›Herzog Ernst B‹ befasst, befindet sich unmittelbar vor dem Schluss der Dichtung und hat den Charakter eines Epilogs. Wie dem Prolog lassen sich auch dem Epilog grundsätzlich Funktionen zuschreiben, die im neuzeitlichen Buchwesen Paratexten obliegen, da Pro- und Epilog allein aufgrund ihrer Position am Anfang und am Ende des Werks eine entsprechend herausgehobene und rahmende Stellung einnehmen. So heißt es dort:

325 Eine Übersicht über die verschiedenen lateinischen und deutschen Fassungen des Herzog Ernst-Stoffs sowie deren moderne Editionen bietet Joachim Bumke, »Zur Überlieferungsgeschichte des Herzog Ernst und zu einer neuen Ausgabe des Herzog Ernst A«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 119/3 (2000), S. 410–415. 326 Da bei volkssprachigen Narrativen, auch wenn sie als schriftliche Texte vorlagen, häufig nicht das Buch das Medium der Übertragung war, sondern erst derjenige, der in der Vortragssituation die Erzählung mündlich zum Klingen brachte, liegt es ebenfalls nahe, dass metatextuelle Informationen textintern präsentiert wurden, war doch auf diese Weise mit einiger Sicherheit gewährleistet, dass sie ihren Weg – vermittelt durch den Rezitator – zu den Adressaten fanden.

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der keiser behielt dô den degen bî im wol bî zwelf tagen daz er im alles muose sagen diu manicvalden wunder und wa er gewan diu kunder, daz er niht dar an vergaz, daz er nie an daz gerihte saz noch ûz sîner kemenâten kam, unz er diu wunder von im vernam. dô liez ers niht belîben, der keiser hiez dô schrîben war umbe und wie er in vertreip und wie lange er in dem lande bleip und wier hin fuor und wider kam. Der Kaiser behielt den Helden dann noch etwa zwölf Tage bei sich, damit er ihm alles von den vielen außergewöhnlichen Erlebnissen erzähle und kundtue, wo er die seltsamen Lebewesen erworben habe; um Ernst nichts davon vergessen gehen zu lassen, saß der Kaiser in dieser Zeit weder zu Gericht, noch kam er aus seinem Gemach, bis er die Wundergeschichten von ihm vernommen hatte. Damit ließ er es aber nicht bewenden. Der Kaiser hieß sodann aufschreiben, warum und auf welche Weise er ihn vertrieben hatte und wie lange er in diesem Lande geblieben war und wie er ausgezogen und zurückgekehrt war. (Herzog Ernst B, V. 5994– 6007)

Diese Zeilen bringen die Geschichte zum Abschluss, die nach einem weiteren Dutzend Verse endet. Geschildert werden die angeblichen Umstände der Verschriftlichung der Abenteuer des Herzogs. Nicht ausgeführt wird allerdings, ob diese erste Schriftfassung lateinisch oder volkssprachig erfolgte und in welchem Verhältnis sie zur vorliegenden gedichteten Version steht. Weder finden sich weitere Hinweise auf den früher im Text erwähnten anonymen meister noch auf die im dortigen Zusammenhang angezeigte lateinische Bearbeitung des Stoffs. Die Rede ist hier auch nicht von tihten, sondern von schrîben, womit im 12. und 13. Jahrhundert in der Regel nicht die verspoetische Textherstellung bezeichnet wurde, sondern der handwerkliche Vorgang des Aufschreibens.327 Mit den zitierten Versen wird die erzählte Geschichte zum Abschluss noch einmal beglaubigt, da der Herzog 327 Siehe dazu ausführlich Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 317–342.

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– als Zeuge seiner eigenen Abenteuer – mittelbar als Urheber der ersten schriftlichen Textversion installiert wird. Über die Verfasserschaft des dichterischen Werks, wie es als mittelhochdeutsche Versbearbeitung vorliegt, ist damit jedoch nichts ausgesagt. Auch wenn es sich im ›Herzog Ernst B‹ bei der Redeinstanz offensichtlich gerade nicht um einen (mit dem Autor gleichzusetzenden) extradiegetischen-heterodiegetischen Erzähler im Sinne Genettes handelt, erhält der Sprecher als narrative Stimme mitunter Züge eines auktorialen Erzählers, wie ihn Stanzel328 definiert: Indem die Redeinstanz den vom omniscient author329 als literarisches Produkt gefertigten Text im prozessualen Akt an die Zuhörer vermittelt, liefert sie wiederholt Informationen, über die nur derjenige verfügen kann, der seinen Figuren gegenüber »eine Position der Überlegenheit«330 zeigt. Virulent wird dies im ›Herzog Ernst B‹ gerade in den vielen Prolepsen331, die auf spätere Entwicklungen der Geschichte verweisen.332 Dadurch, dass die Redeinstanz als Agentin des Erzählens wirkt, gibt 328 Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 55. 329 Percy Lubbock, The Craft of Fiction, London 1921, S. 255. 330 Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 38/39. Aus dieser Überlegenheit heraus ergibt sich gemäß Stanzel eine Diskrepanz zwischen der Einsicht des Erzählers und der Sicht, die die Figuren auf das jeweilige Geschehen besitzen (vgl. ebd., S. 49). Vgl. dazu in Bezug auf den ›Herzog Ernst B‹ beispielsweise Carsten Morsch, »Lektüre als teilnehmende Beobachtung. Die Restitution der Ordnung durch Fremderfahrung im Herzog Ernst (B)«, in: Wolfgang Harms/C. Stephen Jaeger/Horst Wenzel (Hg.), Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters, Stuttgart 2003, S. 109–128, hier S. 127; Seraina Plotke, »Kulturgeographische Begegnungsmodelle: Reise-Narrative und Verhandlungsräume im ›König Rother‹ und im ›Herzog Ernst B‹«, in: Alexander Honold (Hg.), Ost-Westliche Kulturtransfers. Orient – Amerika, Bielefeld 2011, S. 51–73, hier S. 58–68. 331 Vgl. zum Begriff Genette, Die Erzählung, S. 45–54, insbes. S. 50 (zu den »repetitiven Prolepsen«). In ähnlichem Verständnis spricht Eberhard Lämmert von »Vorausdeutungen« (vgl. Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens, 9. Aufl., Stuttgart 2004, S. 139–194 [Erstausgabe 1955]). 332 So beispielsweise: daz gerou in sît vil sêre, / wan er des harte genôz (›Später reute ihn dies sehr, weil er die Folgen zu spüren bekam‹, V. 856/57); des wart vil maniger sît unvrô (›das brachte vielen später Unglück‹, V. 2758); dâ von sie selbe ouch sint verdarp (›daran sollte sie später auch sterben‹, V. 3124); des kâmens sît in arbeit (›später sollten sie noch in Kampfesnot geraten‹, V. 3400); daz geschach ouch endelîche sider (›das sollte schließlich später auch wahr werden‹, V. 4244); der wart sît harte vil gevalt / von dem herzogen hêre (›der Herzog besiegte aber später viele von ihnen‹, V. 4832/33); daz wart in sider ze leide (›das sollten sie später noch büßen‹, V. 5174).

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sie zudem zwangsläufig auch Bewertungen zu den erzählten Ereignissen sowie zu den Figuren ab, wenngleich dies im ›Herzog Ernst B‹ nur zurückhaltend geschieht. Wiewohl der Sprecher die Verantwortung für den Text wiederholt explizit an den unbekannten Dichter abgibt, vermittelt er Einstellungen, die der Autor dem Text eingeschrieben hat, da, wie mit Booth konstatiert werden kann, ein Erzählen in völliger Teilnahmslosigkeit, geprägt von Neutralität und Gleichgültigkeit, kaum möglich ist.333 Umso mehr bleibt festzuhalten, dass derartige – meist nur unterschwelllig fassbare – Beurteilungen des Erzählten in diesem Text gerade nicht mit dem Personalpronomen der ersten Person Singular verknüpft werden, die Sprecherposition als solche nicht unmittelbar und prononciert als »d[ie] Bewertende, d[ie] Fühlende, d[ie] Schauende«334 – wie es Käte Friedemann vor der von Gérard Genette eingeführten und von Mieke Bal generalisierten Entkoppelung von Stimme und Perspektive bestimmt hat – in Erscheinung tritt. Auch explizite Erzählerkommentare finden sich im ›Herzog Ernst B‹ nicht. Ebenfalls ist zu statuieren, dass der Aspekt rhetorischer Produktionsgewalt mit Blick auf die Redeinstanz nicht gänzlich fehlt. So sind mit der Sprecherposition hinsichtlich des Rezitationsakts – allerdings nur sehr vereinzelt – auch schöpferische Qualitäten verknüpft, etwa wenn formuliert ist: waz er dô sper zerbrach / und wie manigen er nider stach / daz möhte ich iu müelîche sagen (›Was er dort an Lanzen zerbrach und wie viele er niederstach, euch das zu berichten, würde mich einige Mühe kosten‹, V. 5553– 55).335 Nicht zufällig steht diese Form der Reflexion über das Erzählen – vermittelt über die Deixis der Sprecherposition – im Zusammenhang mit rhetorischer Hyperbolik, lässt sich damit nur bedingt als Ausdruck individueller Subjekthaftigkeit der Kommunikationsinstanz lesen. Zumindest Spuren der Individuiertheit werden allerdings in denjenigen Quellenberufungen greifbar, in denen sich der Sprecher nicht als Teil des Kollektivs, sondern alleine als Empfänger der betreffenden Information darstellt, wie in den oben schon zitierten Passagen: Die burger hâten ouch genomen / 333 Vgl. Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction, Chicago 1961, dt.: Die Rhetorik der Erzählkunst, übers. v. Alexander Polzin, Heidelberg 1974, Bd. 1, S. 74/75. 334 Friedemann, Die Rolle des Erzählers, S. 40, über den Erzähler. 335 Vergleichbar, jedoch stärker die Beziehung zum Publikum fokussierend: iu künde nieman gesagen / die wünne und der freuden vil (›Die Wonne und den Umfang der Freude vermag euch niemand zu sagen‹, V. 506/507).

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schaden, als ich hân vernomen, / an tôten und an wunden (›Wie ich hörte, hatten auch die Bürger Verluste an Toten und Verwundeten hinnehmen müssen‹, V. 1521–23); oder: Noch wil ich iu baz betiuten / von den seltsaenen liuten, / als ich von in vernomen hân (›Ich will euch noch mehr von den seltsamen Menschen erzählen, wie ich weiter über sie vernommen habe‹, V. 2879–81). Doch handelt es sich auch bei derartigen Formulierungen um Wendungen, die der Redeinstanz keinerlei persönliches Gepräge geben, sondern sie lediglich als Medium der Vermittlung fassbar machen. Alles in allem ergibt sich hinsichtlich der Frage nach der Stimme des Erzählens im ›Herzog Ernst B‹ folgender Befund. Im Text werden zwei verschiedene Instanzen differenziert: auf der einen Seite eine Sprecherposition, die als Kommunikationsinstanz im Wortsinn fungiert und für den prozessualen Akt der Narration zuständig ist, auf der anderen Seite eine namenlose Verfasserschaft, der die Dichtung als verspoetisches Produkt zugeschrieben wird. Die Kommunikationsinstanz ist entsprechend das Subjekt der narrativen Konstellation, im Sinne des sujet de l’énonciation, wie es der Linguist Émile Benveniste gefasst hat und es in dessen Nachfolge auch in die Literaturtheorie eingeführt wurde:336 Da es mit der Erzählung einen Sprechakt des Erzählens gibt, ist zu unterstellen, dass dieser von einem Subjekt verursacht wird. Das immer wieder mit den Verben des Sagens verbundene Personalpronomen der ersten Person Singular ist im ›Herzog Ernst B‹ offensichtlich kaum mehr als die linguistische Markierung dieser Redeposition, die mit einer bestimmten Deixis des Vor- oder Rückverweisens verbunden ist.337 So wird die Sprechinstanz als Agentin des Erzählens installiert, aber gerade nicht mit dem Autor des Erzählten gleichgesetzt. Als Erzählinstanz fungiert in diesem Werk also die explizit markierte Sprecherposition, die in der Rezeptionssituation vom Vortragenden ausgefüllt und damit buchstäblich verkörperlicht werden konnte.338 Die Spre336 Siehe Émile Benveniste, Problèmes de linguistique générale II, Paris 1974, S. 82; Gérard Dessons, Émile Benveniste. L’invention du discours, Paris 1993, S. 97. Zur betreffenden Überlegung auch Spearing, Textual Subjectivity, S. 40/41. 337 Ähnliches beobachtet Spearing, Textual Subjectivity, S. 37–38, in Bezug auf den mittelenglischen Erzähltext ›King Horn‹. 338 Diese Sprechinstanz lässt sich gewissermaßen mit dem ›Rezitator‹ gleichsetzen, wie ihn Däumer, Stimme im Raum, S. 53/54, mit etwas anderem theoretischen Hinter-

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cherposition bildet quasi die Basis für den Transmitter, dessen es zur Entstehungszeit der Dichtung angesichts des vornehmlich illiteraten Publikums zur Textrezeption häufig bedurfte. Mit dem Sprecher tritt zwar scheinbar ein manifester Erzähler auf, dieser zeigt im ›Herzog Ernst B‹ jedoch keine individuierten Konturen, sondern wirkt als funktionales Redeorgan, das zwischen illiteratem Kollektiv und diskursiver Manuskriptpräsentation vermittelt und das – wie im Wortlaut der Dichtung wiederholt deutlich wird – einen gemeinschaftsbildenden Status hat.339 Wie oben festgestellt, besitzen die Textträger des ›Herzog Ernst B‹ kaum rahmende bzw. positionierende Elemente. Was die Rahmung der im Text etablierten Erzählsituation angeht, gäbe es für Paratexte im neuzeitlichen Sinn auch bildungsgeschichtlich betrachtet keinen breiteren Nutzen, da sie in Bezug auf den mehrheitlich illiteraten Rezipientenkreis funktionslos wären. Wie der Wortlaut der Dichtung zeigt, sind in das verspoetische Artefakt auf der textuellen Ebene rahmenbildende Elemente – insbesondere über die Konstituierung der Sprecherposition – gleichsam eingearbeitet. Ereignet sich die Rezeption des Texts über den mündlichen Vortrag, kommt die Situierung der narrativen Kommunikation letzten Endes durch außerdiskursive – ja außermateriale – Komponenten zustande, nämlich durch das gemeinschaftliche Zusammensitzen, während der Vorleser den Text zum Besten gibt.340 grund wie folgt definiert: »›Rezitator‹ meint also die Leerstelle, welche eine konkrete Person ausfüllt, die einen Roman vor einem Publikum vortrug (oder auch gegenwärtig vorträgt oder zukünftig noch vortragen wird). Dem modernen Interpreten ist der Rezitator nur als im Text eingebettete und vom Dichter konstruierte Größe zugänglich. Diese wurde von der Forschung bisher meist unter dem Begriff des ›Erzählers‹ subsumiert.« 339 Siehe zu diesem Punkt auch Corinna Laude, »›Hartmann‹ im Gespräch – oder: Störfall ›Stimme‹. Narratologische Fragen an die Erzählinstanz des mittelalterlichen Artusromans (nebst einigen Überlegungen zur Allegorie im Mittelalter)«, in: Julia Abel/ Andreas Blödorn/Michael Scheffel (Hg.), Ambivalenz und Kohärenz. Untersuchungen zur narrativen Sinnbildung, Trier 2009, S. 71–91, S. 81. 340 Es sei noch einmal betont: Es gibt keine historischen Zeugnisse darüber, wie die Textrezeption der volkssprachigen Epik um 1200 tatsächlich erfolgte. Dass sie sich überwiegend in einer gemeinschaftlichen, oral-auditiven Kommunikationssituation mit einem Deklamator konstituierte, muss Hypothese bleiben; allerdings legen nicht nur die fehlenden handschriftlichen Rahmungen, sondern auch der nachweisliche Analphabetismus in weiten Teilen des Laienadels sowie die textinternen, partiturar-

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Was hingegen die Verfasserinstanz angeht, die im ›Herzog Ernst B‹ namenlos bleibt, bestätigt diese Dichtung in gewisser Weise, was die in der mediävistischen Forschung unter dem Schlagwort ›New Philology‹ geführte Theoriedebatte in den 1990er-Jahren vor allem mit Blick auf die Überlieferungsvarianten mittelalterlicher Texte propagierte: »L’auteur n’est pas une idée médiévale.«341 Wie oben ausgeführt, wurde mittelalterlichen und insbesondere volkssprachigen Dichtern in der klerikalen Schrift- und Unterrichtskultur kein Autorstatus zuerkannt, was sich nicht zuletzt in der kodikalen Textpräsentation spiegelt, die gerade bei Erzähltexten nicht darauf ausgerichtet war, die Kategorie des Autors stark zu machen. Von der Einrichtung der Textträger und dem Buchwesen her – aber auch mit Blick auf den Bildungsstand der meisten Rezipienten – blieb volkssprachigen Verfassern nur das poetische Artefakt selbst, die Versdichtung, um sich dem Publikum als Dichterpersönlichkeit vorzustellen, ja sich überhaupt als Urheber des betreffenden Texts bekannt zu geben – eine Möglichkeit, von welcher der Bearbeiter des ›Herzog Ernst B‹ keinen Gebrauch machte,342 im Unterschied zu anderen Dichtern seiner Zeit, die die Technik der Sphragis nutzten, um sich ihren Texten buchstäblich einzuschreiben. Auch für metatextuelle und poetologische Überlegungen aller Art, beispielsweise für Stellungnahmen zu älteren oder konkurrierenden Versionen eines Stoffs sowie zu anderen Werken von Dichterkollegen, gab es in der Volkssprache keinen epitextuellen Ort, waren keine spezifischen Textgefäße und Gattungen etabliert, sondern standen ebenfalls nur die narrativen Versdichtungen selbst zur Verfügung, wie etwa die Dichterkataloge im ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg343 oder im ›Willehalm‹ und im ›Alexantigen Transpositionsmarker genau diesen Schluss nahe. Textinterne Szenen narrativer Kommunikation (also intradiegetisch präsentierte Erzählsituationen) untersucht etwa der Band: Ludger Lieb/Stephan Müller (Hg.), Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter, Berlin/New York 2002. Was die ›Aufführung‹ der Lyrik angeht, siehe einschlägig: Jan-Dirk Müller (Hg.), ›Aufführung‹ und ›Schrift‹ in Mittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 1996. 341 Bernard Cerquiglini, Éloge de la variante. Histoire critique de la philologie, Paris 1989, S. 25. 342 Warum sich der Herzog Ernst-Dichter nicht namentlich nennt, hat die mediävistische Forschung meist stofflich bzw. gattungsspezifisch begründet. 343 Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 4621–4820 (nach der Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, mhd./nhd., nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins

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der‹ Rudolfs von Ems344 dokumentieren.345 Als methodisches Problem ergibt sich dadurch, wie im ›Herzog Ernst B‹ mit Blick auf die textinterne Erwähnung einer lateinischen Stoffbearbeitung deutlich wird, dass sich nicht differenzieren lässt, was als stilistisches Mittel (mit oder ohne Faktenbezug), was als werkspezifische Hintergrundinformation zum gebotenen Text zu taxieren ist.

Gegenprobe: Die Stimme des Erzählens im ›Ernestus‹ Odos von Magdeburg Bevor das Augenmerk auf weitere volkssprachige Textzeugen gelegt wird, sei hier – wiederum im Sinne einer Gegenprobe – der Herzog Ernst-Stoff in der lateinischen Version Odos von Magdeburg in den Blick genommen, der den Abenteuern des bayrischen Herzogs im frühen 13. Jahrhundert eine verspoetische Bearbeitung von gut 3500 reimlosen Hexametern widmete. In welchem Verhältnis Odos Werk zur mittelhochdeutschen Bearbeitung des ›Herzog Ernst B‹ steht, ist nicht abschließend zu klären.346 Odos HexameNeuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980). 344 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 3105–3298 (nach der Ausgabe: Rudolf von Ems, Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, hg. v. Victor Junk, Leipzig 1928 [Nachdruck Darmstadt 1979]); Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens, V. 2170– 2324 (nach der Augabe: Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens, hg. aus dem Wasserburger Codex der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen von Victor Junk, Berlin 1905 [Nachdruck Dublin/Zürich 1967]). 345 Siehe weiterführend Walter Haug, »Klassikerkataloge und Kanonisierungseffekte. Am Beispiel des mittelalterlich-hochhöfischen Literaturkanons«, in: Aleida Assmann/Jan Assmann (Hg.), Kanon und Zensur, München 1987, S. 259–270. Nicht zuletzt diese Literaturexkurse belegen, dass die Vorstellung, in Bezug auf das Mittelalter und insbesondere die Volkssprachen hätte es keine Autorschaft gegeben, problematisch ist. Trotz der gleichsam strukturellen Gewalt der Literaturverhältnisse, die zeitgenössischen Verfassern den Autorstatus im tradierten Sinn nicht zugestanden, zeigten sich im Hochmittelalter selbstbewusste volkssprachige Dichter, die für sich eine vergleichbare Position beanspruchten und auch Mittel und Wege fanden, diese zu inszenieren, indem sie sich buchstäblich Gehör verschafften, wie weiter unten detaillierter an anderen Beispielen sichtbar werden wird. 346 Gemeinhin geht die mediävistische Forschung davon aus, dass bei diesem Stoff die lateinischen auf den mittelhochdeutschen Versionen beruhen. Die wahrscheinlich

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terepos weist sowohl stilistisch als auch inhaltlich stark antikisierende Züge auf: So trifft zwar nicht vollends zu, dass »die mittelalterliche Sage ganz in das klassische Altertum versetzt«347 ist, da das Christentum aufgrund der Kreuzzugsthematik auch in Odos Bearbeitung eine zentrale Rolle spielt,348 doch ist das Kleid, das dem Stoff angelegt ist – vor allem aufgrund der unzähligen sprachlichen Allusionen an antike und spätantike Autoren sowie wegen des gewählten reimlosen Versmaßes –, evidentermaßen auf das Altertum bezogen. Eine Vorbildfunktion hatten für Odos poetisches Schaffen, wie sich in einer Reihe von Anklängen und Parallelen zeigt, zudem auch mittelalterliche Verfasser, die sich an den römischen Dichtern orientierten, so insbesondere Walter von Châtillon, der mit seiner ›Alexandreis‹ nur wenige Jahrzehnte vorher ein Epos in antikisierender Manier geschaffen hatte.349 Das einzige Manuskript, das Odos Werk in die Neuzeit tradiert hat, ist heute verschollen, doch liefern die Herausgeber einer Edition aus dem Jahr 1717, die offenbar letztmalig Zugriff auf den Kodex hatten, wesentliche Informationen zur dortigen Textpräsentation, indem sie folgende Angaben zur Aufmachung, zum Alter und zum Besitzer der Handschrift machen: Carmen sequens octo distinctum libris suppeditauit nobis clarissimi uiri Jacobi Du Poirier apud Turones doctoris medici Codex manuscriptus ante annos quingentos exaratus. Nullum quidem titulum in capite praefert, sed in fine dumtaxat duo haec habet uerba, EXPLICIT ERNESTUS.350

347 348 349 350

älteste greifbare Fassung des Herzog Ernst-Stoffs – lediglich in drei Fragmenten überliefert – ist mittelhochdeutsch und wird, unter Vorbehalten, auf die Zeit 1160/70 datiert (vgl. Hans Szklenar/Hans-Joachim Behr, »Herzog Ernst«, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. v. Wolfgang Stammler, fortgef. v. Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Kurt Ruh, Bd. 3. Berlin/New York 1981, Sp. 1170–1191, hier Sp. 1178–80; Jens Haustein, »Herzog Ernst zwischen Synchronie und Diachronie«, in: Helmut Tervooren/Horst Wenzel (Hg.), Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, Berlin 1997 (ZdfPh 116, Sonderheft), S. 115–130, hier S. 125–127; Bumke, »Zur Überlieferungsgeschichte des Herzog Ernst«). Karl Sonneborn, Die Gestaltung der Sage vom Herzog Ernst in der altdeutschen Literatur, Göttingen 1914, S. 18. Vgl. Odo von Magdeburg, Ernestus, hg. und komm. von Thomas A.-P. Klein, Hildesheim 2000, S. XXXVIII. Siehe dazu die Edition: Walter von Châtillon, Alexandreis, hg. v. Marvin L. Colker, Padua 1978. Edmond Martène, Ursinus Durand (Hg.), »Ernestus, seu carmen de varia Ernesti

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Wie die Passage festhält, ist Odos Bearbeitung im vermissten Textträger, der zu diesem Zeitpunkt dem Arzt Jacques Du Poirier von Tours gehörte, in acht Bücher eingeteilt, die Handschrift nach Einschätzung der Herausgeber 500 Jahre alt, also ins frühe 13. Jahrhundert zu datieren. Was verbale Paratext-Elemente anbelangt, bemerken die Editoren, dass der Kodex weder eine Überschrift noch Incipit-Angaben aufweist, zum Schluss des Texts jedoch mittels der Explicit-Formel der Titel ›Ernestus‹ genannt ist. Weitere Rahmungsbestandteile, die hier nicht ausdrücklich erwähnt sind, bestehen in kurzen Zusammenfassungen, die jedem Buch vorangestellt sind und dessen Inhalt ankündigen. Diese Capitula sind ebenfalls metrisch gehalten und bestehen aus jeweils acht Versen.351 Als zusätzliches paratextuelles Gestaltungsmerkmal ist das sich über die Buchanfänge erstreckende Akrostichon anzuführen, das den Widmungsträger ALBERTUS nennt.352 Alle diese Elemente bilden Teile der Rahmung, die die Rezeption des Werks steuern, ohne dass unmittelbar in die Lektüre der einzelnen Bücher eingetreten werden muss. Wie für die antiken und die neuzeitlichen Paratexte gilt, dass diese frames im Wesentlichen auf Visualität setzen und Lesefähigkeit zur Basis haben. Was allerdings das Verhältnis von Verfasserschaft und Erzählinstanz angeht, ist zu konstatieren, dass aus den genannten extratextuell-verbalen Bestandteilen der kodikalen Werkpräsentation auch hier keine Informationen zum Urheber der Dichtung zu gewinnen sind. Während insbesondere die Kirchenväter, aber auch sonstige sanktionierte antike Autoren in den mittelalterlichen Handschriften häufig in Kombination mit der Angabe des Werktitels namentlich herausgehoben werden [Abb. 3], ist Odo353 nicht über werkexterne Angaben als Schöpfer des Epos auszumachen. Fragen der Autorschaft lassen sich offensichtlich auch im vorliegenden Fall nur textintern klären. Bavariae ducis fortuna«, in: Thesaurus Novus Anecdotorum, Bd. 3, Paris 1717 [Nachdruck Westmeat 1968], Sp. 307/308. 351 Von dieser Konzeption her orientert sich Odo an Walter von Châtillon, der den zehn Büchern seiner ›Alexandreis‹ Capitula von jeweils zehn Versen vorangestellt hat (vgl. Odo von Magdeburg, Ernestus, S. XLI/XLII). 352 Auch in diesem Punkt folgt Odo dem Beispiel Walters von Châtillon (vgl. Odo von Magdeburg, Ernestus, S. XLI). 353 Wie weiter unten noch eingehender behandelt wird, nennt sich Odo als Verfasser im Epilog.

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Das erste Buch des ›Ernestus‹ beginnt mit einem Proömium von 17 Versen, das mit einem Musenanruf anhebt und diesen mit der Apostrophierung des Widmungsträgers verknüpft, beides an der ›Alexandreis‹ Walters von Châtillon orientiert, die ihrerseits wiederum auf das Vorbild antiker Epen zurückgreift:354 Ardua Francorum dicturo principis arma, Clyo, faue uiresque doce, quibus inuida fregit Ora nec immerite cessit, sed restitit ire Ottonis, quantosque refer superare labores Quotque sibi dedit instabilis dea uincere casus. Nam multi dominus fati magnusque deorum Emulus ille suos tantis uirtutibus annos Impleuit, quod in ore sui languescit Homeri Pelides et clara stupet cum Cesare Musa. Tuque tuis memorandus auis cuiusque parentum Insignes elate colit Thuringia laudes, Quo Parthenopolis exultat presule, quantum Vtraque gaudebat Carolo Germania rege, Mitis ades uatemque hedera succinge secunda Daque nouam, quam fecundo sub pectore portas, Hippocrenis aquam nec eum tibi sperne laborem Ascribi mentemque mee moderare Camene. Sei demjenigen, der vorhat, von den schweren Kämpfen des Fürsten der Franken zu erzählen, gnädig, Klio, und zeige die Kräfte, mit denen jener die neidischen Münder bezähmte und dem ungerechtfertigten Zorn Ottos, den er sich unverdient 354 Vgl. Walter von Châtillon, Alexandreis, I, 1–26 (nach der Ausgabe: Walter von Châtillon, Alexandreis, hg. v. Marvin L. Colker, Padua 1978). Walter setzt sich zudem im dem Proömium vorangestellten und metrisch abgesetzten Prolog explizit ins Verhältnis zu Vergil (siehe dazu: Hartmut Wulfram, »Explizite Selbstkonstituierung in der ›Alexandreis‹ Walters von Châtillon«, in: Jan Cölln/Susanne Friede/Hartmut Wulfram (Hg.), Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen, Göttingen 2000, S. 222–269, hier S. 223–225; Dorothea Klein, »Zwischen Abhängigkeit und Autonomie. Inszenierung inspirierter Autorschaft in der Literatur der Vormoderne«, in: Renate Schlesier/Beatrice Trînca (Hg.), Inspiration und Adaptation. Tarnkappen mittelalterlicher Autorschaft, Hildesheim 2008, S. 15–39, hier S. 28–31; Seraina Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung. Bearbeitungen des Alexanderstoffs als Modellfall differenter Verfasserkonzeptionen«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 134/3 (2012), S. 344–364, hier S. 356–359).

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zugezogen hatte, nicht wich, sondern sich ihm widersetzte, und berichte, welch große Mühsale zu meistern und wie viele Schicksalsschläge zu bewältigen ihm die unstete Göttin bestimmt hat. Denn jener Herr mit bedeutendem Schicksal, ein großer Nachahmer der Götter, erfüllte seine Jahre mit so großen Heldentaten, dass der Pelide (= Achilleus) im Mund seines Homer schwach wird und die ruhmvolle Muse mit Caesar staunt. Und du – du bist zu preisen für deine Ahnherren, das erhabene Thüringen hält die außerordentlichen Ruhmestaten deiner Eltern hoch, unter dir als Erzbischof frohlockt Magdeburg, wie beide Germanien sich freuten unter König Karl – steh dem Dichter gnädig bei und umhülle ihn mit glückverheißendem Efeu, spende frisches Wasser des Musenquells, das du tief in deinem reichen Herzen trägst, verschmähe es nicht, diese Arbeit dir zuschreiben zu lassen, und lenke den Gedankengang meiner Dichtung. (Odo von Magdeburg, Ernestus, I, 1–17)355

Im Vergleich mit den Auftaktversen des ›Herzog Ernst B‹ sticht unmittelbar ins Auge, dass die lateinische Dichtung nicht mit der direkten Kontaktaufnahme zum Publikum beginnt, sondern eine Kommunikationssituation eröffnet, in der sich ein Sprecher an die Muse Klio richtet, die gebeten wird, das mit den ersten Versen begonnene poetische Unterfangen zu unterstützen. Während die volkssprachige Version das kommunikative Dreieck von Redestimme, Mitteilung und Adressat so aufspannt, dass eine mündliche Erzählsituation mit Relation zu einem apostrophierten Zuhörerkreis begründet wird, gibt es in diesem antikisierenden Epos keinen Rezipientenbezug, der über die Hinwendung an den Gönner hinausgeht. Was die Stimme des Erzählens anbelangt, identifiziert sich diese im Proömium explizit mit dem Dichter, spricht von sich als vates (V. 14), ohne damit jedoch eine namentliche Autorsignatur zu verknüpfen. Als vates wurde in augusteischer Zeit der Dichter-Seher bezeichnet, der als göttlich inspirierter Sänger von bedeutenden Ereignissen kündet. Die Frage ›Wer spricht?‹ lässt sich also mit dem Beginn des ›Ernestus‹ insofern klären, als sich die Erzählinstanz selbst mit dem enthusiasmierten Dichter gleichsetzt, wie er in antiken Epen immer wieder greifbar wird. Das Erzeugnis dieses Dichter-Sängers wird zum Abschluss der Eröffnung als Camena (V. 17) bezeichnet, womit an dieser Stelle weniger die betreffende weissagende 355 Der lateinische Text ist hier und im Folgenden zitiert nach der Edition: Odo von Magdeburg, Ernestus, hg. und komm. von Thomas A.-P. Klein, Hildesheim 2000; die Übersetzungen stammen von Beno Meier und Seraina Plotke.

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Quellnymphe, sondern metonymisch die Dichtung gemeint ist. Konturiert wird also eine Gestalt, die sowohl für den Akt des Erzählens als auch für das poetische Produkt verantwortlich zeichnet – ganz ähnlich, wie dies etwa für den Dichter-Sänger von Ovids ›Metamorphosen‹ gilt –, so dass im Hinblick auf den ›Ernestus‹ ebenfalls die Genettesche Gleichsetzung des extradiegetischen-heterodiegetischen Erzählers mit dem Autor geltend gemacht werden kann.356 Auch im weiteren Verlauf von Odos Hexameterdichtung ähnelt die Erzählinstanz den Sängerstimmen römischer Epen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie außerhalb des Proömiums oder des Epilogs kaum manifest werden, sondern sich zurücknehmen und als Medium der Erzählung vollkommen in den Hintergrund treten. So gilt für den ›Ernestus‹, dass eine explizit bewertende Instanz über weite Strecken fehlt, ja man mit Lubbock von szenisch-dramatischem Erzählen sprechen könnte: Nur die (sichtbaren) Handlungen sowie die Figurenreden geben über das Geschehen Auskunft, so dass aus ihnen die Intentionen der Figuren wie auch die Einschätzungen der Ereignisse erschlossen werden müssen, da kein Berichterstatter das Erzählte erklärt oder beurteilt.357 Nur sehr vereinzelt wird die Erzählinstanz greifbar, indem sie allgemeine Zeitklagen formuliert, Götter oder Figuren apostrophiert, mitunter den Weltenlauf als solchen emphatisch ausstellt. Solche Formen der Betroffenheitsbekundung oder der Kommentierung finden sich im ›Ernestus‹, wenn der Dichter-Sänger allgemeine Überlegungen zum Schicksal der Menschheit von sich gibt oder negative menschliche Charaktereigenschaften und den Verfall der Tugend beklagt,358 so beispielsweise: O penalis homo, tua cur discretio dormit Et stertit ratio? quid te sacer eris, auare,

356 Vgl. Genette, Die Erzählung, S. 175, 178. Dies betrifft den Autor als explizit genannten; in welchem Verhältnis dieser zum realen – d. i. empirischen – Verfasser steht, ließe sich nur über weitere Zeugnisse, Urkunden oder Dokumente klären, die wir im Falle Odos nicht zur Verfügung haben. 357 Vgl. Lubbock, The Craft of Fiction, S. 157, 162, 190. 358 Diese extranarrativen Kommentare lassen sich mit Genettes ideologischer Funktion des Erzählers begreifen (vgl. Genette, Die Erzählung, S. 184). Sie bleibt im ›Ernestus‹ alles in allem jedoch auf ein Minimum beschränkt.

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Pascit amor? quare lacrymosa pecunia cogit Quelibet in facinus? […] O Mensch voller Pein, warum schlummert dein Unterscheidungsvermögen und schläft deine Vernunft tief ? Was für eine verfluchte Liebe zum Geld nährt dich, du Geizkragen? Weshalb drängt dich das tränenreiche Geld zu jeder beliebigen Untat? […] (Odo von Magdeburg, Ernestus, I, 121–124)

Oder etwa in räsonierender Art über Fortuna und Copia, die Göttinnen des Schicksals und des Überflusses: Sed quem longa tulit umquam Fortuna leuatum, Quem non deiecit? mactum sinit illa relabi Ceca uirum pedibusque suis succumbere cogit Omnibus absumtis nec paupere Copia cornu Sufficit effusas totiens farcire crumenas. Aber wen hielt Fortuna jemals lange oben, wen stürzte sie nicht? Den gefeierten Mann lässt jene, blind, wie sie ist, zurückfallen und zwingt ihn, sich von ihren Füßen zertreten zu lassen, nachdem er alles verbraucht hat und Copia nicht mehr imstande ist, aus ihrem arm gewordenen Füllhorn die so oft geleerten Geldbeutel zu stopfen. (Odo von Magdeburg, Ernestus, IV, 5–9)

Zwar richten sich derartige generalisierende Kommentare natürlich auch an die Rezipienten des Epos, doch wird dabei nicht die klare Deixis der Ich-IhrBeziehung verwendet, welche die konkrete Kommunikationssituation explizit macht und beim Vortrag als tatsächliche Publikumsrelation aktualisiert wird. Während in der volkssprachigen Version des ›Herzog Ernst B‹ das Sprecher-Hörer-Verhältnis immer wieder akzentuiert und verdeutlicht wird, indem die Redeinstanz den narrativen Akt als solchen referentialisiert, markiert das mittellateinische Epos die Erzählsituation im Verlauf der Dichtung in keiner Weise. Ganz anders als in der mittelhochdeutschen Bearbeitung wird die Sprechstimme kaum virulent,359 ist die Prozessualität 359 Es finden sich im gesamten Epos außerhalb von Proömium und Epilog nur zwei Stellen, wo die Stimme des Erzählens – sehr beiläufig – in der ersten Person Singular auftritt: Et scio, si Danaum causa redeunte daretur / Dulichium fictis secum contendere uerbis, / Aurea portaret Aiax Thelamonius arma. – ›Und ich weiß, wenn die Sache der Danaer wiederkehrte und die Möglichkeit gegeben würde, dass Odysseus mit erfundenen Worten mit ihm stritte, dann würde Ajax der Telamonier die goldenen Waffen tragen.‹ (I, 470–472); Accipit Ernestus mulum, cui pectora circum / Pulcre dependent bulle cuiusque capistro / Colla micant amplexa bono, subsellia raris / Increpitant

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des Erzählens nicht spezifisch ausgezeichnet, erhält der Erzählakt keine auf eine auditive Rezeptionssituation rekurrierende performative Dimension. In Anlehnung an die antike Epik (und an das antikisierende Vorbild von Walters ›Alexandreis‹) tritt die Gestalt des Dichter-Sängers erst wieder im Epilog in markanter Weise zutage, auch hier verknüpft mit dem Musenbezug. So endet Odos ›Ernestus‹ wie folgt: Iam satis exhausto fontis mea tempora myrto Calliope cinxit passumque accedere ludis Pyeridum iussit fesso desistere Phebo. At tu, qui regum superas fortissimus iras, Qui multa ratione uiges, ut uincere possim Latrantes post terga canes, Alberte, benignus Accipito quem dat tibi supplex Odo laborem. Qui, quamquam te non dignus, tunica tamen huius Corporis exuta seruabit tempora fame Longa tue uiuesque diu cum uate superstes. Nun hat Kalliope genug aus ihrer Quelle geschöpft und meine Schläfen mit Myrte bekränzt. Sie hat befohlen, nicht mehr zu den Spielen der Musen zu gehen, da Phoebus müde sei. Aber du, der du die Zornesausbrüche von Königen, stark wie du bist, überstehst, der du auf vielerlei Art und Weise mächtig bist, so dass ich die im Rücken bellenden Hunde besiegen kann, Albert, nimm das Werk an, das dir Odo demütig überreicht. Dieses, obwohl deiner nicht würdig, wird die langen Zeiten deines Ruhms bewahren, wenn das Hemd dieses Leibes ausgezogen ist, und du wirst lange mit dem Dichter überleben. (Odo von Magdeburg, Ernestus, VIII, 418–427)

Mit Verweis auf Kalliope beschließt der Dichter-Sänger sein Werk. Wie im Proömium adressiert er dabei den Gönner, den er namentlich anspricht, nennt in diesem Zusammenhang nun auch in der Art einer Sphragis seinen eigenen Namen. Deutlich klingen hier die antiken Vorbilder an: Wie bei Vergil in den ›Georgica‹ sind Gönnerdank und Dichtersignatur eng miteinander verknüpft, erhält das eine gerade in Verbindung mit dem anderen appendiculis atque aurea selle / Dulces crediderim dare tintinnabula uoces. – ›Ernst erhielt ein weißes Maultier: Es hingen ihm rings an der Brust schöne Glöckchen, sein Hals war von gutem Zaumzeug umfasst und schimmerte, der Untersattel rasselte mit seltenen Anhängseln aus Metall und goldene Schellen am Sattel gaben – wie ich glauben möchte – liebliche Töne von sich.‹ (VII, 405–409).

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das nötige Gewicht. Anders als für Vergil stellt die Sphragis für den mittellateinischen Dichter aber die einzige Möglichkeit dar, sich als Verfasser seines Epos bekannt zu machen, da er nicht auf strukturell etablierte Paratexte zählen kann, welche Informationen zum Text wie den Autornamen werkextern transportieren: Hätte er seinen Namen nicht in die Schlussverse des ›Ernestus‹ eingearbeitet, wäre er der Nachwelt unbekannt geblieben, zählte seine Version des Herzog Ernst-Stoffs ebenfalls zu den diversen anonymen Bearbeitungen dieser Materie. Dass der Dichter seinen Namen hier offenbart, passt zur Selbststilisierung als vates im letzten Vers des Werks, der – vermittelt durch Walters ›Alexandreis‹360 – an Ovids ›Metamorphosen‹-Epilog anknüpft: Nach dieser Vorstellung findet der Dichter (in den mittellateinischen Beispielen gemeinsam mit dem Gönner) Unsterblichkeit dank des durch die Musen inspirierten Gedichts. Als Erzählinstanz wirkt also der Verfasser, der nach antikem Muster als Dichter-Sänger auftritt. Die Autorsignatur lässt sich jedoch nicht, wie in der augusteischen und kaiserzeitlichen Literatur des römischen Altertums, als rein stilistisches Mittel begreifen: Zwar ist sie von Odo einerseits offensichtlich im Sinne des Bezugs auf die antiken Vorbilder eingesetzt, andererseits übernimmt sie aber auch die Diskursfunktion der metatextuellen Datenvermittlung, die dem mittelalterlichen Dichter werkextern nicht offensteht, da sie vom Buchwesen her nicht vorgesehen ist. Alles in allem konstituiert Odos ›Ernestus‹ eine Erzählinstanz, die sich an der antiken Epik orientiert und mit den dort greifbaren Dichter-Sängern korrespondiert. Sie unterscheidet sich grundlegend von der in der volkssprachigen Stoffbearbeitung des ›Herzog Ernst B‹ virulent werdenden Sprecherposition, die als Kommunikationsinstanz eine Vermittlungsfunktion zum Publikum hin einnimmt. Im lateinischen Hexameterepos ist die narrative Instanz der Verfasser selbst, der sich mittels der Sphragis auch namentlich zu erkennen gibt. So inszeniert sich der Dichter als sehender Sänger, der sich mitunter über allgemeinere Fragen des Menschseins auslässt, sonst aber gleichsam unsichtbar bleibt und das Erzählen als solches nicht referentialisiert. Zugleich offenbart er sich als von den Musen inspi360 Odos Epilog weist große, teilweise wörtliche Anklänge an Walters Epilog auf (vgl. Walter von Châtillon, Alexandreis, X, 457–469).

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Die Stimme des Erzählens im ›Herzog Ernst B‹

rierter Urheber des poetischen Werks, der in den Schlussversen der Dichtung seine Autorschaft namentlich bekundet. Der Umstand, dass sich Odo im Epilog selbst in den Text einschreibt, lässt sich denn in verschiedener Hinsicht interpretieren, wobei sich die differenten Zwecke unauflösbar überlagern: Als poetisches Formelement ahmt die werkinterne Namensnennung die antiken Vorbilder nach, die sich, wie im Falle Vergils in den ›Georgica‹, ebenfalls der Sphragis bedienten. Im Sinne der Kundgabe des Autors als Diskursfunktion ist sie hingegen als Folge der fehlenden Paratextstrukturen zu werten. Sowohl stilistisch als auch als Ausdruck der Vermittlung von Metadaten wiederum lässt sich die Verbindung von Dichtersignatur und Gönnerapostrophe deuten.

6.

Die Stimme des Erzählens im Eneasroman Heinrichs von Veldeke

Im Literaturexkurs, den Rudolf von Ems am Anfang des zweiten Buchs seiner um 1240 entstandenen Alexanderdichtung präsentiert, wird Heinrich von Veldeke als erster nennenswerter mittelhochdeutscher Dichter aufgeführt. Aufgrund des kaum ausgebildeten literarischen Diskurssystems, das gerade für volkssprachige Werke keinen etablierten Ort der Literaturkritik vorsah, hat Rudolf seine Überlegungen und Einschätzungen zu diversen zeitgenössischen Dichtern in einen verspoetischen Erzähltext integriert. In Veldeke sieht Rudolf den künsterîchen stam / von dem getiht urhap nam (›den an Kunstfertigkeiten reichen Stamm, vom dem Dichtung ihren Anfang nahm‹, V. 3111/12).361 Wie auch die weiteren Ausführungen verdeutlichen,362 hielt er Heinrich für eine bedeutende Verfasserpersönlichkeit, der die seinerzeitige Literatur viel zu verdanken hatte. Dass es Heinrich von Veldeke trotz der fehlenden Paratext-Strukturen gelungen war, sich als Urheber seiner Texte und Dichter von Format bekannt zu machen, steht von Rudolfs Urteil her außer Frage.363 361 Zitiert nach der Edition: Rudolf von Ems, Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, hg. v. Victor Junk, Leipzig 1928 [Nachdruck Darmstadt 1979]. 362 Siehe dazu Claudia Brinker-von der Heyde, »Autorität dank Autoritäten. Literaturexkurse und Dichterkataloge als Mittel zur Selbststilisierung«, in: Jürgen Fohrmann/ Ingrid Kasten/Eva Neuland (Hg.), Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, Bielefeld 1999, S. 442–464, hier S. 457/ 458. 363 Auch Gottfried von Straßburg kommt im ›Tristan‹ im Literaturexkurs, der für Rudolf von Ems offenkundig Vorbildcharakter hatte, ausführlich auf Heinrich von Veldeke zu sprechen (vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 4726–50, nach der Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, mhd./nhd., nach dem Text von Friedrich Ranke neu

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Die Stimme des Erzählens im Eneasroman Heinrichs von Veldeke

Heinrichs gewichtigster Text ist sein Eneasroman, den er im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts auf der Basis einer anonymen französischen Bearbeitung des antiken Stoffs verfasste. Der unbekannte Dichter hatte gegenüber Vergils Epos markante Umakzentuierungen vorgenommen, insbesondere die beiden Liebesbeziehungen des Protagonisten – mit Dido und mit Lavinia – in den Vordergrund gerückt, wobei letztere überhaupt erst dadurch richtig Kontur gewinnt. Heinrichs Version folgt dieser Vorlage in der Makrostruktur, setzt in den Details jedoch eigene Akzente.364 Gerade mit Blick auf die Stimme des Erzählens lassen sich frappante Unterschiede beobachten. Ein Schlaglicht auf den altfranzösischen Text ist insofern erhellend, als auf dieser Folie die Art und Weise, wie die Erzählinstanz bei Veldeke umrissen ist, noch deutlicher hervortritt.

Exkurs: Die Stimme des Erzählens im altfranzösischen ›Roman d’Enéas‹ Wie bereits erwähnt, ist der um 1160 entstandene ›Roman d’Enéas‹ ohne Verfassername überliefert: So gibt die Manuskripttradition weder perinoch epitextuelle Hinweise auf die Person des Dichters, auch wird textintern hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980). 364 Für Einzelheiten siehe etwa Rodney W. Fisher, Heinrich von Veldeke, ›Eneas‹. A comparison with the ›Roman d’Eneas‹, and a translation into English, Bern [u. a.] 1992; Nikolaus Henkel, »Vergils ›Aeneis‹ und die mittelalterlichen Eneas-Romane«, in: Claudio Leonardi/Birger Munk Olsen (Hg.), The classical tradition in the Middle Ages and the Renaissance. Proceedings of the first European Science Foundation Workshop on ›The reception of classical texts‹ (Florence, Certosa del Galluzzo, 26–27 June 1992), Spoleto 1995, S. 123–141; Peter Kern, »Beobachtungen zum Adaptationsprozess von Vergils ›Aeneis‹ im Mittelalter«, in: Joachim Heinzle/L. Peter Johnson/Gisela Vollmann-Profe (Hg.), Übersetzen im Mittelalter. Cambridger Kolloquium 1994, Berlin 1996, S. 109–133; Nikolaus Henkel, »›Fortschritt‹ in der Poetik des höfischen Romans. Das Verfahren der Descriptio im ›Roman d’Eneas‹ und in Heinrichs von Veldeke ›Eneasroman‹«, in: Joachim Bumke/Ursula Peters (Hg.), Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, Berlin 2005 (ZdfPh 124, Sonderheft), S. 96–116; Annette Gerok-Reiter, »Die Figur denkt – der Erzähler lenkt? Sedimente von Kontingenz in Veldekes ›Eneasroman‹«, in: Cornelia Herberichs/Susanne Reichlin (Hg.), Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, Göttingen 2010, S. 131–153.

Die Stimme des Erzählens im altfranzösischen ›Roman d’Enéas‹

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kein Autorname genannt.365 Im Vergleich mit dem ebenfalls anonymen ›Herzog Ernst B‹ sticht darüber hinaus ins Auge, dass die französische Versdichtung im gesamten Text nirgendwo als literarisches Produkt problematisiert und an keiner Stelle auf die Gemachtheit des verspoetischen Artefakts Bezug genommen wird: Weder finden sich Verweise auf eine Buchform des Werks noch Andeutungen hinsichtlich des unbekannten Schöpfers. Ebensowenig ist Vergils ›Aeneis‹ als Quelle der Dichtung erwähnt. Die Position des Autors im Sinne des Urhebers eines Dichtwerks stellt im ›Roman d’Enéas‹ gleichsam einen blinden Fleck dar, scheint als Kategorie keine Relevanz zu haben, obwohl mit Vergil als Verfasser der Vorlage eine dichterische Kapazität mit auctor-Status hätte ins Feld geführt werden können. Doch auch was die Ebene der Narration angeht, gibt es in der altfranzösischen Bearbeitung kaum Anhaltspunkte, die zur Konturierung der Stimme des Erzählens beitragen. Weder in den Auftakt- noch in den Schlussversen der Dichtung wird der Erzählakt in besonderer Weise prononciert366 oder mit einem über die erste Person Singular hervortretenden Subjekt des Sprechakts verbunden. Zwar ist durchaus davon auszugehen, dass der volkssprachige Text seinen Rezipienten vornehmlich über den Weg des mündlichen Vortrags zugänglich gemacht wurde:367 Trotzdem pointiert 365 Der ›Roman d’Enéas‹ ist in neun – im Wortlaut teilweise stark differierenden – Handschriften überliefert, von denen keine Angaben zum Verfasser des Werks enthält; auch sonst gibt es keine Anhaltspunkte zur Autorschaft (eine Übersicht über die Manuskripte findet sich in: Le Roman d’Enéas, Edition critique d’après le manuscrit B. N. fr. 60, traduction, présentation et notes d’Aimé Petit, Paris 1997, S. 22/23). 366 Eine Ausnahme bildet die Textfassung der Handschrift Bibl. Nat. fr. 60 (vgl. Le Roman d’Enéas, Edition critique d’après le manuscrit B. N. fr. 60) aus dem späten 14. Jahrhundert, die als Schlussvers überliefert: Ci est li romans a sa fin (V. 10334: ›Hier kommt der Roman an sein Ende‹). 367 Siehe grundsätzlich: Paul Zumthor, Introduction à la poésie orale, Paris 1983, dt.: Einführung in die mündliche Dichtung, aus dem Franz. übers. v. Irene Selle, durchges. v. Jacqueline Grenz, Berlin 1990; Paul Zumthor, La poésie et la voix dans la civilisation médiévale, Paris 1984, dt.: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französ. von Klaus Thieme, München 1994; Paul Zumthor, La lettre et la voix. De la ›littérature‹ médiévale, Paris 1987. Siehe des Weiteren auch die Überlegungen von: Joseph J. Duggan, »Oral Performance of Romance in Medieval France«, in: Norris J. Lacy/Gloria Torrini-Roblin (Hg.), Continuations. Essays on Medieval French Literature and Language in Honor of John Lambert Grigsby, Birmingham AL 1989, S. 51–62; Joseph J. Duggan, »Performance and Transmission, Aural and Ocular

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Die Stimme des Erzählens im Eneasroman Heinrichs von Veldeke

der Wortlaut des Anfangs die betreffende Kommunikationssituation nicht eigens, wie dies im ›Herzog Ernst B‹ oder – wie zu zeigen sein wird – auch in Veldekes Eneasroman der Fall ist.368 Insgesamt finden sich im ›Roman d’Enéas‹ nur wenige Passagen, an denen sich ein realer Sprecher in der Vortragssituation mit einer textuell manifest werdenden Erzählinstanz aussagelogisch verbinden konnte, wobei die Belege je nach Handschrift differieren. Die erste ausdrückliche Markierung der Kommunikationssituation erfolgt im ältesten Manuskript, das den ›Roman d’Enéas‹ tradiert hat,369 nach knapp 100 Versen im Kontext des Exkurses zum Paris-Urteil, indem angekündigt wird: l’acheison de cel jugement / voil raconter asez briement (›den Anlass zu diesem Urteil will ich ganz kurz erzählen‹, V. 99/100).370 Um die Anmerkung, die die Hintergründe des Paris-Urteils erklärt, als solche herauszuheben, wird der Vorgang des Erzählens thematisiert, allerdings ohne direkten Adressatenbezug. Es handelt sich um eine Art Regiebemerkung, durch die eine Mittlerinstanz eingeführt wird, in der sich das Subjekt des Sprechakts konkretisiert. Ähnliche Bekundungen, die den Narrationsprozess betreffen und diesen dezidiert als eine Sprechsituation begreifen lassen, zeigt der Textverlauf nur sehr vereinzelt, wobei rhetorisch auf brevitas oder Unsagbarkeit rekurriert wird, etwa: Que direie de sa belté? / En tot le plus lonc jor d’esté / ne direie ce qu’en esteit (›Was sollte ich über ihre Schönheit sagen? Am allerlängsten Reception in the Twelfth and Thirteenth-Century Vernacular Literature of France«, in: Romance Philology 43/1 (1989), S. 49–58; Evelyn Birge Vitz, Orality and Performance in Early French Romance, Cambridge 1999. 368 Die explizite Aufforderung, aufmerksam zu sein und zuzuhören, gibt es als Prologauftakt auch in einer ganzen Reihe französischer Texte der Zeit, siehe für Beispiele etwa: Pierre-Yves Badel, »Rhétorique et polémique dans les prologues de romans au Moyen Âge«, in: Littérature 20/4 (1975), S. 81–94, hier S. 84/85. 369 Die älteste überlieferte Handschrift des Werks (Bibl. Laurent., Florenz, Plut. XLI. cod. 44) ist um 1200 entstanden und bildet die Grundlage der Edition von Jacques Salverda de Grave, auf der wiederum folgende zweisprachige Ausgabe basiert: Le Roman d’Eneas, nach dem Text der Ausgabe von Jacques Salverda de Grave übers. und eingel. von Monica Schöler-Beinhauer, München 1972. 370 Nach der Edition: Le Roman d’Eneas, nach dem Text der Ausgabe von Jacques Salverda de Grave. Andere Handschriften bieten diesen Exkurs nicht und entsprechend auch nicht den betreffenden Bezug auf den Erzählakt (vgl. Le Roman d’Enéas, Edition critique d’après le manuscrit B. N. fr. 60, S. 56/57).

Die Stimme des Erzählens im altfranzösischen ›Roman d’Enéas‹

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Sommertag würde ich nicht ausdrücken können, was es damit auf sich hatte‹, V. 4001–03).371 Auffällig ist bei diesen Begründungen des Erzählverhaltens, dass sie zwar aus der Sicht der kommunizierenden Vermittlungsinstanz gesprochen sind, sich jedoch nicht explizit an eine Zuhörerschaft wenden.372 Unmittelbare Adressierungen des Publikums nimmt die narrative Stimme nur ganz ausnahmsweise vor: ce vos semblast que fust Febus (›ihr hättet ihn für Phöbus gehalten‹, V. 1499); d’alcuns des princes, des barons / vos sai ge bien dire les nons (›von einigen der Fürsten, der Barone kann ich euch wohl die Namen sagen‹, V. 3907/08). Und überhaupt nur im letzteren Beleg steht der Rezipientenbezug im Konnex mit einer Thematisierung der Sprechsituation. Hinsichtlich der Frage, inwiefern die Erzählinstanz Züge eines konkreten Individuums mit spezifischen Ansichten und Einstellungen erkennen lässt, liefern spärlich eingebrachte, formelhafte Wendungen Hinweise, die entsprechende Bewertungen eines urteilenden Subjekts zumindest andeuten. So kommentiert die Erzählstimme das Berichtete gelegentlich mit: ce m’est avis (›so scheint mir‹, V. 1969); ne m’en merveil (›so verwundert es mich nicht‹, V. 2597). Darüber hinaus verweisen wenige allgemein formulierte Stellungnahmen auf spezifische Grundhaltungen und Ansichten, die jedoch so geäußert werden, dass die Erzählinstanz keinen unmittelbaren Bezug auf

371 Hier und im Folgenden zitiert nach der Edition: Le Roman d’Eneas, nach dem Text der Ausgabe von Jacques Salverda de Grave. Weitere Textstellen mit derartigen Formulierungen sind: ne sai que acontasse plus (›ich weiß nicht, was ich noch erzählen soll‹, V. 3955); l’acheison de cel maltalent / voil demostrer asez briement (›den Anlass jenes Streites will ich kurz erzählen‹, V. 4353/54); ne sai que acontasse anpleis (›ich weiß nicht, was ich noch erzählen sollte‹, V. 4407); ge ne puis mie tot nomer, / molt sereit fort a aconter / ki i josta, ki i chaï (›ich kann nicht alles erwähnen, sehr schwierig würde es sein aufzuzählen, wer dort kämpfte, wer dort fiel‹, V. 9433/34). 372 Ohne Rekurs auf ein Subjekt des Erzählens, aber unter rhetorischer Perspektive der brevitas formuliert, finden sich im ›Roman d’Enéas‹ zudem folgende ähnliche Passagen: Enuiz sereit de sa faiture / a dire tot ce qu’en esteit (›es wäre langweilig, über seine Ausführung alles zu berichten, was es damit auf sich hatte‹, V. 518/19); ennuiz sereit a desrainier / et a conter trestoz les mes, / ki sovent vindrent et espés (›es wäre langweilig, alle Gerichte aufzuzählen und zu nennen, die häufig kamen und in großer Anzahl‹, V. 828–30; mit sehr ähnlichem Wortlaut auch V. 4775–78); molt sereit fort tot a nomer / et les jostes a aconter (›es wäre sehr schwierig, alles zu erwähnen und von den Kämpfen zu berichten‹, 5641/42).

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sich selbst herstellt, in der Art von: amors nen a sens ne mesure (›die Liebe hat weder Vernunft noch Maß‹, V. 1882). Stärker tritt dieses Element in Passagen zutage, die in ihrer allgemein räsonierenden Art an die Charakteristik der Erzählinstanzen der antiken resp. antikisierenden Epik erinnern. So heißt es etwa mit Blick auf Eneas: Molt li esteit prospre fortune: fortune le ra esbaldi, ki de devant l’aveit marri. Por ce ne deit oem desperer, se li estuet mal endurer, et se il a tot son plaisir, donc ne se deit trop esjoïr, ne por grant mal trop esmaier, ne por grant bien trop leecier; et d’un et d’el de tot mesure; uns bien, uns mals toz tens ne dure. Fortune torne en molt poi d’ore, tels rit al main ki al seir plore; al seir est laie, al matin bele, si com el torne sa roele; cui el met a l’un jor desus, a l’altre le retorne jus: de tant com el l’a mis plus halt, tant prent il aval graignor salt. Fortuna war ihm [d.i. Eneas] sehr gewogen: Fortuna, die ihn zuvor betrübt hatte, hat ihn wieder ermutigt. Deswegen soll ein Mensch nicht verzweifeln, wenn er Übel erdulden muss, und wenn er alles hat, was er begehrt, dann soll er sich nicht allzusehr ergötzen, sich weder vor großem Ungemach allzusehr entsetzen, noch sich über großes Glück allzusehr freuen; und in dem einen sowohl als in dem andern durchaus maßvoll bleiben; ein Glück, ein Unglück dauert nicht allezeit. Fortuna wendet sich in sehr kurzer Zeit, manch einer lacht am Morgen, der am Abend weint; am Abend ist sie hässlich, am Morgen schön, je nachdem, wie sie ihr Rad dreht; wen sie an einem Tag nach oben setzt, den dreht sie am andern wieder nach unten: Je höher sie ihn gesetzt hat, einen desto größeren Sturz nach abwärts tut er. (Roman d’Enéas, V. 674–692)

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Derartige Kommentare, die man mit Genette der ideologischen Funktion des Erzählers zurechnen könnte,373 verleihen der narrativen Stimme das Gewicht einer Autorität, die als Arbiter auftritt und sich anheischig macht, die Mechanismen des Weltenlaufs als solchem offenzulegen.374 Dabei geht es weniger um die Bewertung des konkreten Handelns der Figuren, als um grundsätzliche, das menschliche Leben betreffende Überlegungen. Faktisch zielt die Kommentierung nicht so sehr auf die erzählten Ereignisse, im Vordergrund steht vielmehr das homiletische Nachdenken über das irdische Dasein, das sich nicht auf die Ebene des Texts beschränkt. Die Erzählinstanz rückt hier von ihrer Typik her in die Nähe des antiken vates, des (Dichter-)Sängers, der als Seher und Deuter nicht nur des Handlungsgeschehens, sondern auch des Weltenlaufs agiert. Signifikant sind im ›Roman d’Enéas‹ die vielfältigen Formen von direkter und indirekter Rede, insbesondere stechen die zahlreichen langen Figurenmonologe heraus, die es mit sich bringen, dass die Stimme des Erzählens von der Erzählinstanz erster Ordnung auf die Akteure in der Geschichte übertragen wird.375 Die Figuren werden damit ihrerseits zu Berichterstattern, wobei sich ihre Darstellungen sowohl auf Handlungsgänge als auch auf Emotionsdispositive beziehen können, etwa indem die Protagonisten in Soliloquien intellektuell ihre Befindlichkeiten ausloten.376 Für beide Fälle 373 Gérard Genette, Nouveau Discours du récit, Paris 1983; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 177–295, hier S. 183/184. 374 In ähnlicher Form räsoniert die Redestimme im ›Roman d’Enéas‹ über die Liebe (V. 1449–56), über die Funktionsweisen von Gerüchten (V. 1541–66) und über die Charaktereigenschaften von Frauen (V. 1589–1604). 375 Evelyn Birge Vitz sieht für die mittelalterlichen französischen Erzähltexte eine starke Dramatisierung gegeben, ein ›showing‹, wobei sie sich nicht explizit auf die betreffenden narratologischen Konzepte bezieht. Sie betont denn auch die Vervielfachung der ›Stimmen‹, die sich dadurch ergeben – was im mündlichen Vortrag wiederum durch stimmliche Modulationen und gestische Mittel verstärkend zum Ausdruck gebracht werden konnte (vgl. Vitz, Orality and Performance, S. 180–186). 376 Dies spielt im Wesentlichen im Zusammenhang mit den beiden Liebesbeziehungen zwischen Eneas und Dido einerseits, Eneas und Lavinia andererseits eine zentrale Rolle. Siehe dazu etwa Ingrid Kasten, »Herrschaft und Liebe. Zur Rolle und Darstellung des ›Helden‹ im ›Roman d’Eneas‹ und in Veldekes ›Eneasroman‹«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), S. 227– 245; Ursula Liebertz-Grün, »Geschlecht und Herrschaft. Multiperspektivität im Roman d’Enéas und in Veldekes Eneasroman«, in: Thomas Kornbichler/Wolfgang Maaz

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gilt, dass der Roman-Sprecher seine Verantwortung gleichsam abgibt. Besonders markant tritt diese Verschiebung der Zuständigkeit dort zutage, wo einzelne Figuren selbst ausführlich zu erzählen beginnen, so dass sich eine ›Erzählung in der Erzählung‹377 manifestiert. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist im ›Roman d’Enéas‹ der Bericht des Eneas von seiner Flucht aus Troja, den er am Hof der Dido zum Besten gibt. Im Vergleich zur ›Aeneis‹ Vergils, die dem unbekannten französischen Verfasser als Vorlage für die Ausarbeitung seines Textes diente, ist diese Passage zwar stark redimensioniert, ihre bei Vergil angelegte Eigenschaft, dass der Protagonist die Geschehnisse seiner eigenen Vergangenheit ausbreitet, ist jedoch beibehalten,378 so dass Eneas – um mit Genette zu sprechen – zum intradiegetischen-homodiegetischen Erzähler wird (vgl. V. 849–1196). Tatsächlich kommt es in diesem Zusammenhang sogar noch zu weiteren erzählerischen Verschachtelungen, indem der Hauptakteur seinerseits seine Stimme abgibt zugunsten anderer Sprecher, die er in seiner eigenen Erzählung in direkter Rede zu Wort kommen lässt (vgl. V. 967–1064 und 1078–1132). Stellenweise

(Hg.), Variationen der Liebe. historische Psychologie der Geschlechterbeziehung, Tübingen 1995, S. 51–93; Anna Mühlherr, »Offenlîche unde stille. Die Liebe des Herrschers im ›Roman d’Eneas‹ und bei Heinrich von Veldeke«, in: Gisela VollmannProfe/Cora Dietl/Annette Gerok-Reiter/Christoph Huber (Hg.), Impulse und Resonanzen. Tübinger mediävistische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug, Tübingen 2007, S. 115–130. 377 Zur Begrifflichkeit und zu Beispielen in der mittelhochdeutschen Literatur siehe den Band: Harald Haferland/Michael Mecklenburg (Hg.), Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996; weiterführend zudem: Ludger Lieb/Stephan Müller (Hg.), Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter, Berlin/New York 2002. 378 Eine markante Differenz zur Art und Weise, wie Vergil dieses Instrument der Erzählung zweiter Ordnung als Rückblende verwendet, besteht darin, dass in der ›Aeneis‹ von Anfang an medias in res erzählt wird und die trojanische Vorgeschichte ausschließlich über den Bericht des Aeneas in Karthago eingeholt wird, während die altfranzösische Bearbeitung diese Struktur aufbricht und die Erzählung erster Ordnung zunächst in Troja beginnen lässt, so dass der Protagonist bei Dido nur noch Zusatzaspekte seiner Vergangenheit schildert, die nicht vorher schon Teil der Narration waren. Siehe dazu weiterführend: Hans Fromm, »Die mittelalterlichen Eneasromane und die Poetik des ordo narrandi«, in: Harald Haferland/Michael Mecklenburg (Hg.), Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996, S. 27–39.

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finden sich damit im ›Roman d’Enéas‹ Erzählinstanzen dritter Ordnung, so dass die Verantwortlichkeiten für das Erzählen mehrfach delegiert sind. Was die Art und Weise angeht, wie Eneas als intradiegetischer Erzähler die Ereignisse rund um den trojanischen Krieg schildert, adressiert er seine Zuhörerschaft sowie insbesondere Dido zum Auftakt mehrmals ausdrücklich und rekurriert dabei auf den Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen, indem er persönliche Augenzeugenschaft geltend macht.379 Es handelt sich dabei um eine Form der kommunikativen Beglaubigung des Erzählens, wie sie der Sprecher erster Ordnung im altfranzösischen Text in Bezug auf seine eigene Tätigkeit gerade nicht in Anschlag bringt – der zwar aufgrund der Tatsache, dass er nicht von sich selbst erzählt, auch nicht als unmittelbarer Gewährsmann fungieren kann, der aber durchaus andere Informanten zur Beglaubigung ins Feld zu führen in der Lage wäre, beispielsweise durch die Nennung seiner antiken Quelle (wie dies in Veldekes Bearbeitung geschieht, wie noch zu zeigen sein wird). Der Umstand, dass die Stimme des Erzählens im ›Roman d’Enéas‹ verhältnismäßig häufig den Figuren selbst gehört, korrespondiert mit der wechselweisen Privilegierung verschiedener Handlungsträger, die von der Erzählinstanz ins Zentrum der Narration gerückt werden. Dabei spielt Perspektivierung resp. Fokalisierung eine signifikante Rolle, wobei die Innensichten, die gewährt werden, je unterschiedlich verteilt sind.380 Auch wenn sich der Roman-Sprecher damit streckenweise mit einzelnen Figuren gleichsam verbündet381 – ja gar verbindet, wie sich darüber hinaus in der auffälligen Häufigkeit der Verwendung der indirekten Rede spiegelt, in welcher sich Figuren- und Erzählerstimme überlagern –, bleibt er letzten Endes derjenige, der mehr weiß als die Akteure, indem er etwa wiederholt über proleptische Andeutungen den späteren Handlungsverlauf vorweg379 So formuliert Eneas: la verité vos en dirai, / car jo i fui, sel vi et sai (›ich werde euch die Wahrheit darüber sagen, denn ich war dabei, ich sah es und weiß Bescheid‹, V. 857/58). 380 Siehe dazu Gert Hübner, Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ›Eneas‹, im ›Iwein‹ und im ›Tristan‹, Tübingen 2003, S. 229–237, 249–256. 381 Für diese Formen der Perspektivierung haben die verschiedenen Erzähltheoretiker differente Bezeichnungen gewählt, wobei der grundlegende Unterschied in den Positionen darin besteht, dass die einen die Frage der Perspektivierung an die Erzählinstanz binden (z. B. Stanzel, Booth), die anderen Perspektive und Erzähler kategoriell trennen (z. B. Genette, Bal).

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nimmt. Von ihrer grundlegenden Prägung her ist die Erzählinstanz erster Ordnung also durchaus auktorial – verbunden mit der Einschränkung, dass Auktorialität streng genommen die Kategorie der Urheberschaft voraussetzt, die im ›Roman d’Enéas‹ als solche nirgendwo Relevanz gewinnt, ja quasi eine blinde Stelle bildet, indem sie noch nicht einmal über einen Verweis auf die antike Vorlage und deren Verfasser eingeholt wird. Entsprechend lässt sich hinsichtlich Veldekes Vorlage folgendes Fazit ziehen: Die Verortung und Spezifizierung der Stimme des Erzählens gestaltet sich mit Blick auf den ›Roman d’Enéas‹ aufgrund mangelnder textueller Indizien problematisch. Das Erzählen als kommunikativer Akt wird kaum mit Emphase hervorgehoben, wie dies im ›Herzog Ernst B‹ zu beobachten ist. Zwar expliziert die an wenigen Stellen über die grammatikalische erste Person Singular fassbar werdende Sprechinstanz mitunter ihre Vermittlungsfunktion, doch setzt sie sich weder in eine Relation zum Dichter des Werks, noch nennt sie die Quellen ihres Erzählens. Da weder textextern noch -intern Angaben zum Verfasser greifbar sind, steht die Redeinstanz in einem nicht weiter bestimmbaren Verhältnis zu diesem. Weil auch ihre Beziehung zum Publikum nicht prägnanter konturiert ist, lässt sie sich im Grunde genommen auch in dieser Hinsicht nicht weiter klassifizieren. Im Vergleich mit Vergils Epos tritt die Kommunikationsfunktion der Erzählstimme zwar deutlicher zutage, doch bleibt sowohl der explizite Verweis auf den Narrationsprozess als auch der ausdrückliche Rezipientenbezug aufs Ganze gesehen äußerst selten. Ob dies damit zu begründen ist, dass der altfranzösische Verfasser stilistisch die Nähe zur lateinischen Epik suchte, mit der er zumindest sprachlich enger verbunden war als die mittelhochdeutschen Dichter, darüber lässt sich nur spekulieren. Im Endeffekt erscheint der verspoetische Sprechakt des ›Roman d’Enéas‹ gleichsam rahmenlos, und zwar sowohl, was die kodikale Textpräsentation betrifft, als auch hinsichtlich der Vortragssituation, die nicht durch textinterne, rahmenbildende Formulierungen gesteuert wird. Indem keinerlei Informationen oder Hinweise gegeben werden, auf Grund derer die Art bzw. Typik der Erzählinstanz in ihrem Verhältnis zum Verfasser genauer zu definieren wäre, macht diese Versdichtung auch keine Diskursfunktionen geltend.

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Heinrichs von Veldeke Eneasroman Damit zurück zu Heinrich von Veldeke und dessen mittelhochdeutscher Bearbeitung des antiken Stoffs. Was die Stimme des Erzählens in Heinrichs Eneasroman angeht, zeigt sich in mehrfacher Hinsicht ein anderes Bild. Bezüglich der Darbietung dieser Dichtung in den mittelalterlichen Kodizes offenbart der Blick in die Träger der Überlieferung zwar auch hier, dass der Text in der Regel ohne Beiwerk im neuzeitlichen Sinn tradiert wurde, ohne extratextuelle verbale Schwelle also, die den Zugang zur Dichtung vor dem Eintritt in den Leseprozess der Verse selbst lenkt. So präsentiert etwa der 1333 in Würzburg entstandene Cod. Pal. germ. 368, der Heinrichs Versroman im Anschluss an Herborts von Fritzlar ›Liet von Troye‹ vorlegt, die üblichen graphischen Ausschmückungen der Blattseiten, indem der zweispaltig angeordnete Text rote und blaue Lombarden zur Strukturierung aufweist, mit Fleuronnée und roter Strichelung der Zeilenanfänge [Abb. 4].382 Graphisch hervorgehobene verbale Hinweise, die zur Einordnung der gegebenen Verse beitragen könnten, noch bevor man mit deren Lektüre beginnt, sucht man jedoch vergebens. Ein vergleichbares Bild lässt der heute in Cologny bei Genf aufbewahrte Cod. Bodm. 83 aus dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts erkennen, bei dem die Verse allerdings nicht abgesetzt sind [Abb. 5].383 Auch wenn sich bei diesen Handschriften keine Originaleinbände erhalten haben, ist davon auszugehen, dass jene ebenfalls keine Informationen zum Inhalt bereitgestellt hatten. Beim ältesten bekannten Überlieferungsträger des Eneasromans, dem um 1220/30 entstandenen, reich bebilderten Manuskript mgf 282 der Berliner Staatsbibliothek, handelt es sich insofern um eine Besonderheit, als über die Illustrationen durchaus inhaltliche Rückschlüsse auf den Text gezogen werden können und die Bilder Beschriftungen enthalten,

382 Siehe weiterführend Matthias Miller/Karin Zimmermann, Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 304–495), Wiesbaden 2007, S. 250–252. 383 Vgl. René Wetzel, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, mit einem Beitrag von Karin Schneider zum ehemaligen Kalocsa-Codex, Cologny-Genève 1994, S. 134–137 und Abb. 10.

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Abb. 4: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 368, fol. 120r

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Abb. 5: Fondation Martin Bodmer, Cologny (Genève), Cod. Bodmer 83, fol. 2r (www.ecodices.unifr.ch)

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die als Paratexte fungieren.384 Systematische werkexterne Angaben zur Dichtung und ihrem Verfasser gibt es jedoch auch hier nicht. Heinrichs Eneasroman ist in den meisten mittelalterlichen Textzeugen also nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar, insbesondere finden sich keine paratextuellen Metadaten, die programmatisch-orientierenden Charakter hätten. Die verbale Kommunikation mit dem Publikum beginnt bei den kodikalen Überlieferungsträgern auch dieser Dichtung erst mit dem Eintritt in die Lektüre der Verse selbst (mit Ausnahme von mgf 282, bei dem die Bilder zusammen mit den Spruchbandtexten den ersten Eindruck steuern). Und tatsächlich installieren die Auftaktverse des Texts – anders als in der altfranzösischen Vorlage, jedoch analog zur Konstellation im ›Herzog Ernst B‹ – das kommunikative Szenario ostentativ, indem die Rezipienten in der zweiten Person Plural direkt adressiert werden und die Redeinstanz auf mündliche Erzählsituationen rekurriert: Ir habet wol vernomen daz, wi der kunich Menelaus besaz Troien die rîchen vil gewaldechlîchen, do er sie zefuren wolde dorch Pârîses scholde, der im sîn wîb hete genomen. niht enwolder dannen komen ê danne er Troien gewan. manech wîb unde man beleib dâ jâmerlîche tôt.

384 Siehe die Ausgabe: Heinrich von Veldeke, Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel, kunsthistorischer Kommentar von Andreas Fingernagel, Wiesbaden 1992 (mit Abdruck der Spruchbandtexte). Des Weiteren: Nigel F. Palmer, »Manuscripts for reading: The material evidence for the use of manuscripts containing Middle High German narrative verse«, in: Mark Chinca/Christopher Young (Hg.), Orality and Literacy in the Middle Ages. Essays on a Conjunction and its Consequences in Honour of D. H. Green, Turnhout 2005, S. 67–102, hier S. 101 (Nr. 91); Christof L. Diedrichs/Carsten Morsch, »Bewegende Bilder. Zur Bilderhandschrift des Eneasromans Heinrichs von Veldeke in der Berliner Staatsbibliothek«, in: Horst Wenzel/C. Stephen Jaeger (Hg.), Visualisierungsstrategien in mittelalterlichen Bildern und Texten, Berlin 2006, S. 63–89.

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Ihr habt sicher schon davon gehört, wie der König Menelaus die mächtige Stadt Troja mit großer Heeresmacht belagerte, als er sie zerstörten wollte wegen Paris, der ihm seine Frau geraubt hatte. Er wollte nicht eher abziehen, bis er Troja eingenommen hatte. Viele Frauen und Männer fanden dort leidvoll den Tod. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 1–11)385

Mit den ersten Versen der Dichtung wird ein Sprecher inauguriert, der den Trojastoff thematisiert, indem er auf die potenzielle Kennerschaft des Publikums anspielt und den inhaltlichen Kern der Materie rekapituliert.386 Die Frage nach dieser Redestimme erscheint deshalb intrikat, weil die Problematik des Verhältnisses von Kommunikationsinstanz und Verfasserschaft mit Blick auf die in den Literaturexkursen herausgehobene Dichterpersönlichkeit Heinrich von Veldeke an Virulenz gewinnt. Angesichts der Tatsache, dass die Überlieferungsträger selbst keine determinierenden Informationen zum gebotenen Schrifttext präsentieren, muss auch im Fall des Eneasromans notwendigerweise textintern nach Hinweisen zu den frames der Erzählsituation gesucht werden, die mit dem Anfang der Versdichtung eröffnet wird. Nachdem der Sprecher über die Kontaktaufnahme mit den – textintern als solche adressierten – Rezipienten die Materie lanciert hat (was in der Vortragssituation eine performative Dimension erhält und im pragmatischen Publikumsbezug aufgeht), stellt er wenig später den Protagonisten des Folgenden vor und führt Vergil als zentralen Gewährsmann für die zu berichtenden Begebenheiten ein: In der borch an einem ende, entgegen dem sundern winde, dâ wonete ein rîche man, 385 Mittelhochdeutscher Text hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1997. 386 Vgl. Herfried Vögel, »Das Gedächtnis des Lesers und das Kalkül des Erzählens. Zum ›Eneasroman‹ Heinrichs von Veldeke«, in: Dietmar Peil/Michael Schilling/Peter Strohschneider (Hg.), Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisensburg, 4.–7- Januar 1996, Tübingen 1998, S. 57–85, hier S. 57; Claudia Kanz, »Ir habet wol vernomen daz. Erfahrung und Vermittlung im ›Eneasroman‹ Heinrichs von Veldeke«, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 252/2 (2015), S. 241–262, hier. S. 242–244.

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den ich genennen wole kan: daz was der hêre Ênêas, der dâ herzoge was. des kuneges tochter was sîn wîb. der generete sînen lîb. Virgilîûs der mâre, der saget uns, daz her wâre von der gote geslehte geboren mit rehte […] In der Stadt in einer Gegend, die südlich gelegen war, wohnte ein mächtiger Mann, den ich unschwer nennen kann: Das war der Herr Eneas, der dort Herzog war. Die Tochter des Königs war seine Frau. Dieser konnte sein Leben retten. Der berühmte Vergil berichtet uns, dass er seinem Stand nach aus dem Geschlecht der Götter sei […]. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 33–44)

Die Kommunikationsinstanz liefert wesentliche Informationen zur Dichtung, die auf alles Weitere einstimmen. Auf die Erzählung als poetisches Artefakt geht sie dabei allerdings nicht ein. Hinweise auf den volkssprachigen Autor des Werks, das unmittelbar darauf mit Eneas’ Flucht aus Troja seinen Lauf nimmt, sucht man zum Auftakt der Dichtung umsonst: Weder wird Heinrich von Veldeke als Verfasser erwähnt, noch ist ersichtlich, in welchem Verhältnis der Dichter des Verstexts zum Sprecher steht, der das Publikum adressiert, da die Redeinstanz ausschließlich auf die mündliche Erzählsituation verweist und sich zum poetischen Produkt als solchem nicht äußert. Prominent sticht jedoch die Nennung Vergils heraus, der als Autorität für das Erzählte ins Feld geführt wird. Dies rückt die mittelhochdeutschen Verse nicht nur implizit in die Nähe der antiken Dichtkunst, sondern autorisiert sie auch: Vergil zählte zu den auctores und war eine anerkannte Größe dichterischen Schaffens. Diejenigen unter den zeitgenössischen Rezipienten, die Schulbildung genossen hatten, kannten seine Werke aus dem Unterricht. Aber auch dem illiteraten Publikum signalisierte das Attribut der mâre die Bedeutung des Autors. Prinzipiell unterscheidet sich die Kommunikationssituation zu Beginn von Veldekes Eneasroman insofern kaum von derjenigen des ›Herzog Ernst B‹, als eine Narrationssituation konstituiert wird, die auf Mündlichkeit zielt und direkt die Zuhörerschaft anvisiert, wobei sich keine Hinweise finden, die zur Klärung der Frage nach der Redestimme beitragen. Eine volkssprachige

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Verfasserinstanz wird auch hier weder genannt, noch wird sie überhaupt als Kategorie greifbar. Bemerkenswert ist hingegen die Hervorhebung der Quelle, die als Autorität fungiert und offensichtlich von Anfang an als solche für die mittelhochdeutsche Erzählung in Anspruch genommen wird. Tatsächlich liefert auch der weitere Verlauf der Dichtung weder Angaben zum Verfasser noch Überlegungen zur Gemachtheit des verspoetischen Artefakts. Wo die Sprechinstanz metanarrative Äußerungen von sich gibt, betreffen diese entweder den prozessualen Akt mündlicher Erzählung oder dann die Quellen dieser oralen Narration. Wie im ›Herzog Ernst B‹ wird auch im Eneasroman immer wieder auf das Erzählen selbst rekurriert, indem die Situation gesprochener Narration und der Ablauf derselben ausgestellt wird. So wendet sich die Redeinstanz mit auffälliger Regelmäßigkeit direkt ans Publikum und erheischt Aufmerksamkeit für das zu Berichtende, mit Formulierungen wie: nû hôret, wie ez dar zû quam (›Hört jetzt, wie es dazu kam‹, V. 754); vernemet seltsâniu dink (›Vernehmt merkwürdige Dinge‹, V. 823).387 Neben derartigen imperativischen Wendungen, die auf die auditive Aufgeschlossenheit der Rezipienten zielen, gibt es solche, bei denen die Sprecher-Adressaten-Relation betont wird: ich sag û, wes si frô was (›ich sage euch, worüber sie froh war‹, V. 1877).388 Dabei verweist die Redeinstanz 387 Weitere Beispiele dieser Art sind: Nû hôret wie der jungelink (›Nun hört, wie der Jüngling‹, V. 4561); Vernemet scône hovescheit (›Hört von dem höfischen Glanz‹, V. 5241); vernemet wie si tâten (›Hört, was sie machten‹, V. 6558); Nû vernemet von der bâren (›Hört also von der Bahre‹, V. 7983); Vernemet wie der wîse man (›Hört, wie der gelehrte Mann‹, V. 9413); Nû hôret eine ander rede (›Nun hört etwas anderes‹, V. 9991); Nû hôret wie siz ane vienk (›Nun hört, wie sie es anstellte‹, V. 10823). Mit Betonung der Richtigkeit des Erzählten: daz vernemet vor wâr ungelogen (›hört die unverfälschte Wahrheit‹, V. 1732); Vernemet diz vor ungelogen (›Hört dies, es ist wahr‹, V. 4585). Nicht imperativisch formuliert, aber ebenfalls mit Pointierung der akustischen Rezeptionsweise: als ir wole moget hôren (›wie ihr genau hören könnt‹, V. 3214); als ir wole habet vernomen (›wie ihr genau gehört habt‹, V. 5315, V. 6034); Welt ir hôren vore baz / sô mogen wir û sagen daz (›Wenn ihr weiter zuhören wollt, so können wir es euch berichten‹, V. 6639/40); welt ir nû hôren / waz sie screip (›wollt ihr nun hören, was sie schrieb‹, V. 10792). Breiter ausformuliert: Welt ir nû rehte verstân / eine rede alsô getân, / die ir ê selden habet gehôrt, / so merket rehte miniu wort / bescheidenlîche sunder, / sô moget ir hôren wunder (›Wenn ihr nun in allen Einzelheiten eine Erzählung vernehmen wollt, die ihr noch nie gehört habt, so achtet aufmerksam und verständig auf jedes meiner Worte, dann könnt ihr Wunderdinge hören‹, V. 9385–90). 388 Ähnlich auch: ich sage û daz der sark was / ein prasem grûne alse ein gras (›ich

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gelegentlich auch nachdrücklich auf die Richtigkeit des Berichteten: als ich û sagen mach / vore wâr und ungelogen (›wie ich euch wahrheitsgemäß und ohne zu lügen berichten kann‹, V. 5270/71).389 In anderer Nuance wird das Gewicht auf die Vermittlung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit gelegt: ich sage û wie si dare quam / alsô von ir is geschriben (›ich sage euch, wie sie dahin gekommen war, wie über sie geschrieben steht‹, V. 292/93). Für sämtliche dieser phatischen Prononcierungen gilt, dass sie expressis verbis auf eine oral-akustische Erzählsituation rekurrieren. Auch Veldekes Eneasroman liefert mit solchen Wendungen also – ähnlich wie der ›Herzog Ernst B‹ – rahmenbildende Versatzstücke, die in der tatsächlichen Vortragssituation eine performative Dimension erhalten, indem sie vom Deklamator aktualisiert werden. Mitunter reflektiert die Sprechinstanz die Dauer der Narration,390 mit rhetorischen Formeln der brevitas wie: ez wâre ze sagene alze lank, / wer dâ viel und wer dâ stach (›es würde allzu lange dauern zu berichten, wer dort fiel, wer zustach‹, V. 7384/85).391 Ist dabei die Raffung des Erzählens akversichere euch, dass der Sarg aus einem Edelstein war, grün wie Gras‹, V. 2509/10); umb daz ich û sagen mach (›deswegen kann ich euch sagen‹, V. 2692); als ich û sagen sal (›wie ich euch erzählen werde‹, V. 3225); ich wil û sagen wer dâ was (›ich will euch sagen, wer da war‹, V. 3344); ich sage û wie diu hiez (›ich erzähle euch, wie diese hieß‹, V. 3584); ich sage û wes her mêre phlach (›ich sage euch, was er noch machte‹, V. 4604); ich sage û wes si nahtes phlach (›ich sage euch, was sie nachts machte‹, V. 5230); den ich û wol sagen kan (›von dem ich euch unschwer berichten kann‹, V. 5623); als ich û sagen mach (›wie ich euch berichten kann‹, V. 5637, V. 8276); ich sage û wes her gût was (›ich erzähle euch von seinen Vorzügen‹, V. 5803); Welt ir hôren vore baz, / sô mogen wir û sagen daz (›Wenn ihr weiter zuhören wollt, so können wir euch berichten‹, V. 6639/ 40); ich wil û sagen wie ez quam (›ich werde euch sagen, wie das vor sich ging‹, V. 6815); waz mach ich û mê sagen (›Was kann ich euch mehr darüber berichten?‹, V. 9093); als ich û wol sagen mach (›wie ich euch unschwer beschreiben kann‹, V. 9213); als ich û wol gesagen kan (›wie ich euch genau zu berichten weiß‹, V. 9541). 389 Mit Gérard Genette kann man bei diesem Beispiel sowohl die Kommunikations- als auch die testimoniale Funktion pointiert sehen (vgl. Genette, Die Erzählung, S. 183/ 184). 390 Vgl. auch Uwe Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos. Formen seines Hervortretens bei Lamprecht, Konrad, Hartmann, in Wolframs Willehalm und in den ›Spielmannsepen‹, Berlin 1971, S. 47–50. 391 Mit unterschiedlichen Nuancierungen: harde vile der was / der ich genennen niene mach (›es waren sehr viele, die ich nicht alle nennen kann‹, V. 3328/29); ich moht û wunder dar abe / sagen, ob es wâre nôt (›ich könnte euch Wunderdinge darüber berichten, wenn es nötig sein sollte‹, V. 5250/51); ez wâre ze sagene alze lank, / wer dâ

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zentuiert, bezieht sich die Redeinstanz in anderen Fällen auf gerade Berichtetes, etwa: Dô ez alsô was komen, / alsir wole habet vernomen (›Als es so gekommen war, wie ihr genau gehört habt‹, V. 1857/58).392 Dabei nimmt sie bisweilen die Sicht des Publikums ein und zählt sich selbst zu den Zuhörern: als wir ê vernâmen (›wie wir vorher vernommen haben‹, V. 3276). Deutlicher tritt dieser Aspekt des Eingemeindens des Sprechers in die Gruppe der Rezipienten in Formulierungen zutage, in denen zur Begründung des Berichteten unbestimmtes Hören-Sagen genannt ist: man saget uns (›man berichtet uns‹, V. 686);393 mehrfach auch in der formelhaften Wendung, die sich explizit auf Gedichtetes bezieht: alsus saget uns daz liet (›so erzählt uns das Gedicht‹, V. 1256).394 Damit wird die Redeinstanz wiederum den Zuhörern zugerechnet und zu einem Teil des Kollektivs stilisiert, dem die Geschichte vermittelt wird. Allerdings verweist der Sprecher gelegentlich auch dergestalt auf mündliche Quellen, dass er sich selbst zum Subjekt der Zeugenschaft macht: als ich es wol habe vernomen / und ich û wol gesagen kan (›wie ich es genau erfahren habe und euch genau berichten

genas und wer dâ starf / die man alle nennen niet endarf / noch genennen niene mach (›es würde zu weit führen zu erzählen, wer mit dem Leben davon kam und wer starb; man braucht nicht alle Namen zu nennen und kann es auch gar nicht‹, V. 11966–69); der sich des flîzen wolde, / daz her sagen solde, / wie dâ gedienet wâre, / ez worde ein langez mâre, / wand als ich û hie sagen wil (›Wenn einer sich bemühen wollte zu berichten, wie dort aufgetischt wurde, würde das eine lange Erzählung ergeben, deshalb will ich euch nur so viel sagen‹, V. 13143–47); ez wâre ze sagene alze lank, / was her wunders worhte (›es würde allzu lange dauern zu erzählen, welche Wundertaten er vollbrachte‹, V. 13390/91). Die topische brevitas-Formel deutet die Verschmelzung von Kommunikations- und Verfasserinstanz an. Dazu mehr unten. 392 Auch etwa: als ir dâ vor habet vernomen (›wie ihr eben schon gehört habt‹, V. 4613); als ich û sagete dâ bevoren (›wie ich euch vorher erzählt habe‹, V. 9994). In diesen Beispielen überlappen Kommunikations- und Regiefunktion, wie Genette sie definiert (vgl. Genette, Die Erzählung, S. 183/184). 393 Wörtlich gleich auch V. 5050. Derartige Formulierungen gibt es auch in Verbindung mit expliziter Beglaubigung: daz saget man uns vor ungelogen (›so wird uns wahrheitsgemäß berichtet‹, V. 9425). Grundsätzlich sind Wahrheitsbeteuerungen in der mittelhochdeutschen Epik in den unterschiedlichsten Formen omnipräsent (siehe umfassend Stefanie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman, Tübingen 2005; des Weiteren auch Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 75–83). 394 Identisch auch V. 3740, V. 7914, V. 10392, V. 13306.

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kann‹, V. 296/97).395 Letzteres unterscheidet sich qualitativ von den vorher genannten Belegen, da der Sprecher in gewisser Weise selbst zum Gewährsmann wird: Er persönlich hat die Informationen vernommen und bürgt deshalb für ihre Richtigkeit. Hier scheint die Erzählinstanz nicht mehr allein als linguistische Markierung der Kommunikationssituation zu fungieren, sondern erhält Konturen eines konkreten Individuums. Neben der Akzentuierung des Hören-Sagens, das als Ausgangspunkt für die Erzählung in Anspruch genommen wird, finden sich verschiedentlich Bezugnahmen auf schriftliche Quellen, jedoch nicht, wie man vermuten könnte, hinsichtlich der Verfertigung des verspoetischen Artefakts, sondern wiederum mit Blick auf die Redeinstanz, die sich dem Publikum zurechnet. Wiederholt beruft sich diese auf ein Buch oder auch auf Bücher im Plural, die die Basis der berichteten Geschichte bildeten: als uns daz bûch kunt tût (›wie uns das Buch erzählt‹, V. 9293); allenfalls kombiniert mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Wahrheit des Erzählten: diu bûch sagent uns vor wâr (›die Bücher berichten uns wahrheitsgemäß‹, V. 177).396 Auch hier stellt sich die Sprechinstanz auf die Seite der Rezipienten und erscheint mit diesen gemeinsam als Empfängerin der Geschichte. Allerdings gibt es, wie beim Bezug auf mündliche Quellen, ebenfalls die Variante, die den Sprecher als individuellen Garanten einsetzt: als ich ez an den bûchen las (›wie ich in den Büchern gelesen habe‹, V. 5015). Bisweilen rechnet der Sprecher auch mit der Mitwisserschaft der litterati, die die schriftlichen Quellen unter Umständen ebenfalls kennen. Einerseits vereinnahmt er diese als Zeugen der Richtigkeit des Berichteten, andererseits geht er davon aus, dass diese die Korrektheit der Schilderungen zu überprüfen in der Lage sind: nû

395 Ähnlich: alsô hôrde ich sprechen, / daz ez wâr wâre (›so hörte ich erzählen, dass es wahr sei‹, V. 8418/19); ich hôrde sagen daz der tach / dâ von wâre worden lieht: / vor wâr ne weiz ich des nieht (›ich habe erzählen hören, dass der Tag davon erstrahlte; ich weiß aber nicht, ob das stimmt‹, V. 12832–34). Weniger pointiert hingegen: sô ich die rede hân vernomen (›wie ich die Erzählung gehört habe‹, V. 253); als ich die rede hân vernomen (›wie ich die Erzählung gehört habe‹, V. 6929, V. 11604); als ich sagen hôrde (›wie ich erzählen hörte‹, V. 8809); des hôrte ich in zien (›das hörte ich von ihm rühmen‹, V. 9410); danen abe ich ie gehôrde (›von denen ich je gehört habe‹, V. 9563). 396 Weitere Beispiele: als uns daz bûch saget vor wâr (›wie uns das Buch wahrheitsgetreu berichtet‹, V. 5199); oder nuanciert: ob uns daz bûch niene louch (›wenn uns das Buch nicht belügt‹, V. 8103).

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wizzen wir daz wol vor wâr / die wir diu bûch hân gelesen (›nun wissen wir dies genau, die wir die Bücher gelesen haben‹, V. 5116/17).397 Abgesehen vom unspezifischen Rekurs auf Bücher wird gelegentlich Vergil als Gewährsmann für das Geschilderte genannt, auffälligerweise jedoch gerade nicht als Autor der Schriftquelle, sondern in Betonung seiner Eigenschaft als Erzähler: daz saget uns Virgilîûs (›so erzählt uns Vergil‹, V. 165); als uns saget Virgiliûs / von ir al vor wâr (›wie uns Vergil glaubwürdig von ihr berichtet‹, V. 2706/07); auch hier mit der Variante der formelhaften Infragestellung der Quelle: ob uns Virgiljûs niht enlouch (›wenn uns Vergil nicht angelogen hat‹, V. 4581). Der Sprecher gibt sich als Vermittler des von Vergil Erzählten, ordnet sich wiederum selbst den Rezipienten zu. Wie bei den anderen Formen der Quellenberufung steht die Bezeugung der Richtigkeit des Berichteten im Vordergrund. Demgegenüber wird der antike Dichter an einer Stelle – wohl nicht zufällig relativ früh im Text – ausdrücklich als Verfasser von schriftlichen Quellen erwähnt, und zwar in Kombination mit der öfters verwendeten brevitas-Formel398 ez wâre ze sagene alze lank: ez wâre ze sagene alze lank umbe die borch mâre, wie si gebûwet wâre. des Virgilîûs der helt in sînen bûchen dar von zelt, des scholen wir vil lâzen unde nâch der mâzen die rede harde korten.

397 Vergleichbar: des wil ich an die lûte jehen / die daz bûch hânt gelesen (›das will ich mit Blick auf diejenigen sagen, die das Buch gelesen haben‹, V. 2700/01); nû wir ez sagen mûzen / wande wirz an den bûchen lesen (›wir müssen es so wiedergeben, weil wir es in den Büchern lesen‹, V. 3232/33); daz ich erzûgen wole mach / mit den diez bûch hânt gelesen (›das kann ich unschwer bezeugen mit denen, die das Buch gelesen haben‹, V. 5034/35); daz welnt die wîsen vor wâr, / die ez von den bûchen sagent (›so wollen es die Gelehrten wahrheitsgetreu, die es aus den Büchern berichten‹, V. 5100/01). 398 Zum Verhältnis von brevitas-Formel und descriptio bei Veldeke, wie es hinsichtlich der zitierten Textstelle relevant ist, siehe Silvia Schmitz, Die Poetik der Adaptation. Literarische ›inventio‹ im ›Eneas‹ Heinrichs von Veldeke, Tübingen 2007, S. 122/123.

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Es würde allzu lange dauern, von der berühmten Stadt zu berichten, wie sie gebaut war. Was der Held Vergil in seinen Büchern davon erzählt, davon wollen wir viel weglassen und die Erzählung auf das rechte Maß stark verkürzen. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 354–361)

Ähnlich wie im Prolog wird Vergil hier mit einem besonderen Attribut versehen, das seine Relevanz kennzeichnet und seine Autorität hervorhebt: So wird der antike Dichter zum helt, vielleicht in Ermangelung eines volkssprachigen Äquivalents für auctor. Das Verb zeln, das zur Charakterisierung der Tätigkeit Vergils im Zusammenhang mit der Bucherwähnung gewählt ist, besitzt seinen Bedeutungskern nicht allein im Bereich der oralen Kommunikation (wie das im Kontext der anderen Vergil-Nennungen verwendete sagen), sondern drückt vor allem den Aspekt der geordneten Darstellung aus.399 Was die Sprechinstanz angeht, ist jedoch auch hier auf mündliche Rede rekurriert: Von der bedeutenden Stadt zu erzählen, wäre ze sagene alze lank, weshalb der Sprecher die rede harde korten will. Es handelt sich um eine der seltenen Passagen, wo der Redeinstanz – in Pointierung des oralen Vermittlungsakts – eine gewisse gestalterische Kompetenz zugestanden wird, zumindest suggeriert dies der Hinweis auf die Kürzung, der die Auslassung begründet.400 Zwar nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erwähnung Vergils, aber nur wenige Verse später wird ausdrücklich die ›Aeneis‹ als Buchvorlage für das Berichten des Sprechers in Anspruch genommen: swen sô des wundert, wil her ez versûchen, her kome zu den bûchen 399 Zeln bedeutet im Mittelhochdeutschen meist (noch) nicht ›erzählen‹, vielmehr ›zählen‹, ›berechnen‹, ›vergleichen‹, ›betrachten als‹, ›erklären für‹ oder ›ernennen zu‹ (vgl. Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-MüllerZarncke, Nachdruck mit einer neuen Einl. sowie einer zsgef. und wesentl. erw. Korrigendaliste von Kurt Gärtner, Stuttgart 1992, Bd. 3, Sp. 1053; siehe auch Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, München 1999, Bd. 31, Sp. 47–49). 400 Mit Berufung auf moralisch-ästhetische Prämissen begründet die Erzählinstanz die Auslassung in folgendem Beispiel: wâre ez niht unzuht, / ich gedûtez wole baz: / nû lâze ich ez umbe daz, / daz ich beschône dar mite (›wäre es nicht unfein, würde ich es genauer erklären; ich unterlasse es, damit ich die Schönheit (meiner Erzählung) nicht beeinträchtige‹, V. 5108–11).

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diu dâ heizent Êneide. nâch der wârheide, als ez dar ane gescriben is, sô mach hers wol sîn gewis. Wer immer sich darüber wundert, der komme, wenn er es überprüfen will, zu den Büchern, die ›Eneide‹ heißen. Der Wahrheit gemäß, wie es darin geschrieben steht, kann er sich dessen genau versichern. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 376–382)

Nicht nur kann der Schriftkundige401 in der ›Aeneis‹ nachlesen, was hier berichtet wird – so die Sprechinstanz –, sondern diese verbürgt auch die Wahrheit des Geschilderten.402 Gerade Letzteres ist aber kein Exklusivrecht der explizit genannten Quelle, wie in den diversen Beispielen bereits sichtbar wurde: Gerade so, wie die Bücher ganz allgemein die Wahrheit des Erzählten bezeugen können, so auch der mündliche Diskurs.403 Insgesamt verdeutlichen die angeführten Belegstellen, dass Veldekes Eneasroman eine Redeinstanz etabliert, die ihre Vermittlungsleistung immer wieder explizit hervorhebt. Sie wird als Trägerin der Kommunikation inauguriert und fungiert als Brücke zum Publikum, indem sie die Geschichte so bereitstellt, dass eine (nicht weiter charakterisierte und in der konkreten Vortragssituation mit den jeweiligen realen Rezipienten zur Deckung kommende) Zuhörerschaft in direkter Kontaktaufnahme regelmäßig adressiert wird, gleichwohl aber auch diejenigen, die selbst lesefähig und lateinkundig sind – also unmittelbaren Zugriff auf den auctor-Text haben – nicht ausgeschlossen, sondern zu Mitwissern und Kennern der 401 Signifikanterweise gibt es an dieser Stelle auch eine Art Individuierung der Adressaten, die sonst immer nur über das nicht weiter spezifizierte Pronomen der zweiten Person Plural fassbar werden. Sie wird hier in der Formulierung swen sô des wundert besonders charakteristisch. 402 Dazu Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994, S. 124. 403 Dass die Berufung auf mündliche Quellen gleichwertig neben derjenigen auf schriftliche Vorlagen steht, zeigt sich so auch in anderen mittelhochdeutschen Versromanen, so z. B. in Ulrichs von Zazikhoven ›Lanzelet‹ (vgl. dazu Jessica Quinlan, »dise nôt nam an sich / von Zatzichoven Uolrich, / daz er tihten begunde (v. 9343–45): Darstellungen dichterischen Selbstbewußtseins bei Ulrich von Zatzikhoven«, in: Renate Schlesier/ Beatrice Trînca (Hg.), Inspiration und Adaptation. Tarnkappen mittelalterlicher Autorschaft, Hildesheim 2008, S. 57–72, hier S. 59).

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Materie stilisiert werden. Entsprechend legitimiert sich die Redeinstanz nicht durch schöpferische Kreativität, sondern über die quellenbezogene Korrektheit ihres Erzählens. Dabei stehen schriftliche Vorlagen und die Referenz auf Vergil gleichwertig neben nicht näher spezifizierten Quellen des Hören-Sagens, das heißt die Art der Überlieferung – ob mündlich oder schriftlich – wird gerade nicht problematisiert. Betont wird einerseits die Narration als prozessualer Erzählakt, andererseits die – wie man sagen könnte – Orthodiegese: das ›richtige‹ Erzählen.404 Bei Letzterem erhält der Sprecher mitunter Züge eines Individuums, wird herausgehoben als derjenige, der die mündlichen Quellen selbst gehört oder die schriftlichen persönlich gelesen hat. Aspekte der Dichtung als eines verspoetischen Artefakts spielen hierbei allerdings keinerlei Rolle. Die Redeinstanz bezieht ihren Wahrhaftigkeitsanspruch auf das korrekte Erzählen, sie suggeriert, einen quellentreuen mündlichen Bericht abzugeben, und nimmt für sich keine Gestaltungsleistung in Anspruch. Bei erzählerischen Details, die eine untergeordnete Rolle spielen, räumt sie formelhaft ein, die Gegebenheiten nicht genau zu kennen: ichn weiz wie vil der wâre (›ich weiß nicht, wie viele es waren‹, V, 7230).405 Für alles Relevante unterstellt sie sich jedoch der Autorität der Überlieferung und betont emphatisch die Richtigkeit ihres Erzählens. So tritt die Sprechinstanz als diejenige auf, die sich für die Orthodiegese verbürgt, da sie sozusagen in der Schuld der Quellen steht. Der Eneasstoff ist wie kaum eine andere Materie der mittelalterlichen, 404 Zur Inszenierung von Wahrheitsbeteuerungen äußern sich Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910, S. 84/85; Genette, Die Erzählung, S. 183/ 184. 405 Ähnlich auch: ich ne weiz wer sime nam (›ich weiß nicht, wer sie ihm nahm‹, V. 142); ich ne weiz, wie manich maget / mit ir ze varne was gereit (›ich weiß nicht, wie viele Mädchen zum Ausritt mit ihr sich eingefunden hatten‹, V. 1736/37); ichn mach û die forsten niet / rehte genennen alle ensamen: / idoch weiz ich ein teil ir namen, / die dâ wâren aller hêrste (›ich kann euch die Fürsten nicht alle genau mit Namen nennen; doch kenne ich zum Teil die Namen derer, die die Vornehmsten waren‹, V. 5022–25); sold ich diu lant und die namen / zellen albesunder, / daz wâre ein michel wunder (›müsste ich die Länder und die Namen einzeln aufzählen, so wäre dies allzuviel‹, V. 5134–36); ichn weiz weder grûne od rôt (›ich weiß nicht, ob grün oder rot‹, V. 5775); ichn weiz uber wie manegen tach / des ich gesagen niene mach (›ich weiß nicht, nach wie vielen Tagen, darüber kann ich nichts sagen‹, V. 9377/78); ich ne weiz wie manegen tach (›ich weiß nicht, wie viele Tage‹, V. 13090).

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volkssprachigen Epik unverbrüchlich mit einem in der lateinischen Schultradition etablierten auctor verbunden. Anders als in der altfranzösischen Bearbeitung zollt die mittelhochdeutsche Erzählinstanz diesem Diskurssystem ausdrücklichen Tribut. Der Bezug auf Vergil sowie die wiederkehrenden Formeln, die die Wahrheit des Dargestellten bekräftigen, lassen sich als Tarif für die Aneignung des antiken Stoffkomplexes lesen. Damit verbunden wird das mehrfach explizit gemachte Wissen um den Umstand, dass Vergils Epos einer bestimmten Gruppe von Rezipienten durchaus bekannt und zugänglich war. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Autoritätsbezug immer wieder von der Redeinstanz aus und ausschließlich aus ihrer Perspektive erfolgt, ohne dass Aspekte volkssprachiger Verfasserschaft thematisiert würden. So ist es der – als Brücke zum Publikum fungierende – Sprecher, der die Obligationen zahlt für die Verwendung des antiken Stoffs, nicht der mittelalterliche Dichter, der als kategorielle Größe bis dahin im Eneasroman nicht in Erscheinung tritt. Umgekehrt betrachtet autorisieren Quellen und Stofftradition, ja nicht zuletzt Vergil, aber auch das Wissen des Sprechers, der mittels entsprechender Hinweise früheres oder späteres Handlungsgeschehen nachträgt oder vorwegnimmt. Mit Franz K. Stanzel könnte man die Redeinstanz mit einem auktorialen Erzähler gleichsetzen – allerdings mit dem Vorbehalt, dass Autorschaft als Kategorie gerade nicht mit dem Sprecher verbunden wird.406 Der Sprecher kommentiert, begründet und illustriert, beruft sich dabei jedoch immer wieder auf mündliche und schriftliche Informanten, die die entsprechende Kenntnis gewährleisten. Auch da, wo der Sprecher seine Stimme an die Figuren abgibt – was analog zur französischen Vorlage sowohl in größeren metadiegetischen Erzählpassagen als auch bei Soliloquien geschieht, welche Einsicht in die Gefühls- und Gedankenwelt einzelner Protagonisten erlauben –, autorisiert er die betreffenden Sprechakte (im Unterschied zur Vorlage) mittels Indienstnahmen von Erzähltraditionen. Zugespitzt formuliert: Was die Redeinstanz über den späteren Ausgang der Handlung oder über das Innenleben der Akteure weiß, verdankt sie ihren Erzählquellen. 406 Festzuhalten ist allerdings ebenfalls: Wie in der altfranzösischen Bearbeitung werden auch in Veldekes Version einzelne Figuren je unterschiedlich privilegiert (vgl. Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 202–263).

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Die Rolle der Erzählinstanz als einer Mittler-Figur, eines herausgehobenen Transmitters, der sich selbst ins Kollektiv der Rezipienten eingemeindet – mitunter stärker im Sinne der grammatikalischen Sprecherposition, bisweilen mit der Andeutung subjekthaft-individueller Eigenschaften –, wird ebenfalls in den beiden sogenannten Stauferpartien gegen Ende der Dichtung sichtbar, zwei Exkursen, die das erzählte Geschehen mit der Welt verbinden, in der sich die Redeinstanz selbst situiert. Beide Passagen verknüpfen die Erlebnisse der Protagonisten unversehens mit dem staufischen Kaiser Friedrich Barbarossa, einmal, indem auf der Ebene der histoire eine direkte Korrelation geschaffen wird, das zweite Mal dadurch, dass Ereignisse der über die Sprechsituation konstituierten Gegenwart des Erzählens mit Geschehnissen der vergangenen Welt der Erzählung verglichen werden. Eine erste entsprechende Wechselbeziehung thematisiert die Redeinstanz im Zusammenhang mit dem Bericht über die Leichenfeier für den gefallenen Pallas. Im Zuge der Schilderung der prächtigen Innenausstattung der Grabkammer wird die Beschreibung der kostbaren Lampe, die über dem Leichnam angebracht worden sei, zum Anlass genommen, die Ereignisse rund um die Urväter Roms mit dem staufischen Herrscher zu verzahnen. Dabei rekurriert der Sprecher wiederholt auf mündliches Erzählen und akzentuiert die Prozesshaftigkeit des narrativen Akts mit Formulierungen wie: nû ir ez vernemen solt / als ich ez gelêret bin (›nun sollt ihr es hören, soweit ich darüber unterrichtet bin‹, V. 8360/61); als man û sagete dâ bevor (›wie man euch vorher erzählt hat‹, V. 8411). Markanter noch zeigt sich der Sachverhalt bei der zweiten Bezugnahme auf die Gegenwart der Staufer, als die Erzählinstanz anlässlich der detaillierten Schilderung des Hochzeitsfests von Eneas und Lavinia an den Mainzer Hoftag von 1184 erinnert, bei dem die Söhne Friedrichs ihre Schwertleite erhielten. Dieses Fest wird als Vergleichsgröße für den glanzvollen Prunk herangezogen, wobei der Sprecher versichert, es habe die Feierlichkeiten sogar noch übertroffen, die zu Ehren des antiken Brautpaars veranstaltet worden seien. Zur Bekräftigung dieses Befunds nimmt er seine eigene Zeugenschaft sowie diejenige seiner Zeitgenossen in Anspruch. Signifikant ist in diesem Zusammenhang, dass der Sprecher hier deutlich personale Züge erhält:

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ichn vernam von hôhzîte in allen wîlen mâre, diu alsô grôz wâre, alsam dô het Ênêas, wan diu ze Meginze dâ was, die wir selbe sâgen. […] ich wâne alle die nû leben deheine grôzer haben gesehen. ichn weiz waz noch sole geschehen, desn kan ich ûch niht bereiten. ichn vernam von swertleiten nie wârlîche mâre, dâ sô manech vorste wâre und aller slahte lûte. ir lebet genûch noch hûte, diez wizzen wârlîche. Ich habe zu keinem Zeitpunkt je von einem Fest erzählen hören, das ebenso groß gewesen wäre wie das, welches Eneas veranstaltete – außer demjenigen, das zu Mainz stattfand, das wir selbst gesehen haben. […] Ich glaube, dass alle, die jetzt leben, kein größeres gesehen haben. Ich weiß nicht, was die Zukunft noch bringen wird, damit kann ich euch nicht dienen. Ich habe jedoch von keiner Schwertleite jemals glaubwürdig erzählen hören, bei der so viele Fürsten und Leute aller Stände zugegen gewesen wären. Noch heute leben genug, die es genau wissen. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 13222–27, 34–43)

Der Sprecher rechnet sich selbst denjenigen zu, die am Mainzer Hoffest zugegen waren und dessen Pracht zu bekräftigen in der Lage sind. Er macht eigene Augenzeugenschaft geltend, verweist zugleich auf weitere Gewährsleute unter den Zeitgenossen. Indem er sich explizit historisch verortet und eine persönliche Stellungnahme abgibt, zeigt er Eigenschaften eines konkreten Individuums. Auf diese Weise werden Merkmale eines figurierten Erzählers so virulent wie sonst nirgendwo im Lauf der Narration. Aufs Ganze gesehen zeichnet sich Veldekes Eneasroman bis kurz vor Schluss dadurch aus, dass eine Sprechinstanz auftritt, die die mündliche Vermittlungsleistung zum Publikum hin für sich in Anspruch nimmt, öfters auf die Wahrheit ihres Erzählens rekurriert, dieses Berichten jedoch nir-

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gends mit einem verspoetischen Artefakt in Verbindung bringt.407 So finden sich keinerlei Hinweise auf den Verfasser des Werks. Dies ändert sich erst mit dem Epilog, der mit fast 100 Versen überdurchschnittlich lang ist und folgendermaßen anhebt: Nû solen wir enden diz bûch. ez dûht den meister genûch, derz ûz der welsche kêrde, ze dûte herz uns lêrde: daz was von Veldeke Heinrîch. daz is gnûgen wizzenlîch, daz herz tihten kunde. Nun müssen wir dieses Buch beenden. Es schien dem gelehrten Mann genug, der es aus dem Französischen übersetzte und uns auf deutsch Wissen darüber verschaffte. Das war Heinrich von Veldeke. Viele wissen, dass er zu dichten verstand. (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 13429–35)

Ganz analog zum ›Herzog Ernst B‹ wird mit dem Auftakt des Epilogs eine klare Differenzierung von Kommunikationsinstanz und Verfasserschaft greifbar. Der Sprecher, der für den Akt der Narration und die kommunikative Vermittlung an das Publikum zuständig ist, stellt den Urheber der Dichtung – als schriftliterarisches Produkt408 – vor, der als meister bezeichnet und dessen Tätigkeit mit tihten charakterisiert wird.409 Dabei wird der mittelhochdeutsche Dichter namentlich genannt, wobei als weitere metatextuelle Erklärung festgehalten wird, dass das von ihm geschaffene poetische Werk auf einer französischen Vorlage basiert. Im Verlauf des Epilogs liefert der Sprecher weitere Hinweise zur Entstehung des verspoetischen Artefakts und berichtet von einem Raub des 407 Vgl. Christian Kiening, »Freiräume literarischer Theoriebildung. Dimensionen und Grenzen programmatischer Aussagen in der deutschen Literatur des 12. Jahrhunderts«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 66 (1992), S. 405–449, hier S. 442/443. 408 So kann man die Formulierung Nû solen wir enden diz bûch (V. 13429) als Beendigung der Rezitation deuten, die sich auf das Vorlesen einer schriftlichen Vorlage (diz bûch) bezieht. Der prozessuale Akt der Narration kommt mit dem Ende des Schrifttexts seinerseits zum Schluss. 409 Vgl. zur Bezeichnung des Verfassers als meister und zur verbalen Charakterisierung tihten oben die Ausführungen zum ›Herzog Ernst B‹, insbesondere die Verse 4459–76 betreffend.

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Dichter-Manuskripts, der während des Schaffensprozesses erfolgt sei und den Verfasser neun Jahre lang an der Fertigstellung des Werks gehindert habe.410 Die Angaben, die hierbei gemacht werden, haben keinerlei thematischen Bezug zum Eneasroman; es scheint, als vermittle sie die Kommunikationsinstanz nur deshalb textintern, weil Buch- und Bildungswesen keine anderen Optionen bereit hielten, um den Rezipienten derartige Hintergrundinformationen zum dichterischen Artefakt zukommen zu lassen. Mit dem Epilog ist derjenige Ort für die betreffenden Mitteilungen gewählt, der unter der Bedingung des mündlichen Vortrags eine ähnliche Schwellenfunktion zwischen innen und außen übernimmt wie die Parerga im frühen Buchdruck oder die Klappentexte beim modernen Buch – mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Epilog nicht auf Visualität und Literalität setzt, sondern das Publikum im Zuge einer Rezitation der Versdichtung in die Lage versetzt wird, die betreffenden Erläuterungen auditiv zu erfassen. Mit den Ausführungen zum Manuskriptraub werden Diskursfunktionen bedient, indem spezifische Eigenheiten des damaligen Literaturbetriebs thematisiert sind – wobei deren Wahrheitsgehalt letzten Endes keine Rolle spielt: Ob sich die geschilderten Umstände tatsächlich so ereignet haben oder ob sie lediglich vorgegeben sind, macht in Bezug auf ihren Stellenwert 410 Was es mit der Schilderung des betreffenden Abhandenkommens der Verfasserhandschrift auf sich hat, wurde in der mediävistischen Forschung eingehend diskutiert, siehe etwa als jüngere Beiträge: Bernd Bastert, »Dô si der lantrâve nam. Zur ›Klever Hochzeit‹ und der Genese des Eneas-Romans«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 123/3 (1994), S. 253–273; Reinhard Hahn, »unz her quam ze Doringen in daz lant. Zum Epilog von Veldekes Eneasroman und den Anfängen der höfischen Dichtung am Thüringer Landgrafenhof«, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 152 [237] (2000), 241–266; Tina Sabine Weicker, »Dô wart daz bûch ze Cleve verstolen. Neue Überlegungen zur Entstehung von Veldekes ›Eneas‹«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 130/1 (2001), S. 1–18; Friedrich Michael Dimpel, »Der Verlust der ›Eneas‹-Handschrift als Fiktion – Eine computergestützte, textstatistische Untersuchung«, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 61 (2006), S. 87–102; Timo Reuvekamp-Felber, »Genealogische Strukturprinzipien als Schnittstelle zwischen Antike und Mittelalter. Dynastische Tableaus in Vergils ›Aeneis‹, dem ›Roman d’Eneas‹ und Veldekes ›Eneasroman‹«, in: Manfred Eikelmann/Udo Friedrich (Hg.), Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen – Literatur – Mythos, Berlin 2013, S. 57–74, hier S. 65–74.

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Die Stimme des Erzählens im Eneasroman Heinrichs von Veldeke

als Diskursinformation keinen Unterschied.411 Auch im modernen und aktuellen Literaturbetrieb gehören Inszenierungen von Autorschaft, Fundlegenden, Pseudonymität und andere fingierte Angaben, die über Paratexte verbreitet werden, zur Tagesordnung.412 Dass im Rahmen der Ausführungen zum Raub der Verfassername Heinrich dreimal sowie ein weiteres Mal wiederum in der Kombination meister Heinrîch (V. 13465) genannt wird, bekräftigt den Status der umrissenen Befunde als Diskursinformationen. Zum Abschluss des Epilogs nimmt der Sprecher ein letztes Mal Bezug auf die Narration und die Richtigkeit seines Erzählens, indem er festhält: Ich hân gesaget rehte / des hêren Enêê geslehte (›Ich habe wahrheitsgemäß von der Sippe des Eneas gesprochen‹, V. 13491/92). Nach wenigen Versen, die die Relevanz der Materie erneut prononcieren, wird zu guter Letzt der Dichter als Schöpfer des verspoetischen Produkts noch einmal profiliert: daz is genûgen kuntlîch, als ez dâ tihte Heinrîch, derz ûzer welschen bûchen las, da ez von latîne getihtet was als nâch der wârheide. 411 Insofern fällt letzten Endes auch nicht ins Gewicht, ob der Epilog von Heinrich selbst stammt oder ob es sich – wie in der Forschung auch schon erwogen wurde – um einen späteren Zusatz handelt. 412 Derartige Mechanismen lassen sich zu allen Zeiten beobachten, in denen es einen schriftmedial entwickelten Literaturdiskurs gibt; berühmte Beispiele der Literaturgeschichte sind etwa der ursprünglich unter dem Autornamen Robinson Crusoe erschienene Erzähltext Daniel Defoes oder im gegenwärtigen Literaturbetrieb die Romane von Elena Ferrante. Dass Elena Ferrante nicht die empirische Autorin der betreffenden Texte ist, ja dieser Autorname gar nicht einer real existierenden Person zugehört, spielt für den Stellenwert als Diskursinformation – zumal zum aktuellen Zeitpunkt – keine Rolle: Die systematisierenden Ordnungsraster listen die Bücher unter dem Autornamen ›Elena Ferrante‹ (sehr fruchtbar ist in dieser Hinsicht Gérard Genettes Unterscheidung zwischen ›explizitem Autor‹ und ›realem Autor‹, vgl. Gérard Genette, »Discours du récit«, in: ders., Figures III, Paris 1972, S. 67–273; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 9–176, hier S. 164). Dass sich der Stellenwert einer derartigen Diskursinformation im Lauf der Entwicklungen (und Enthüllungen) verändern kann, zeigt gerade das Beispiel von Defoes ›Robinson Crusoe‹: Charakteristisch ist, dass sich in den betreffenden Fällen auch die Paratexte verändern (und sollten die Romane von Elena Ferrante in fünfzig Jahren noch gedruckt werden, werden sie vielleicht auch kategoriell unter einem anderen Autornamen erscheinen).

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diu bûch heizent Êneide, diu Virgiljûs dâ von screib, von dem uns diu rede bleib, der tôt is uber manech jâr. ne louch her niht, sô is ez wâr, daz Heinrîch gemachet hât dernâch. im ne was zer rede niht sô gach, daz her von sîner scholde, den sin verderben wolde, sint daz her sichs underwant. wand als herz dâ gescriben vant, alsô hât herz vor gezogen, daz her anders niht hât gelogen, wand als herz an den bûchen las. ob daz gelogen niene was, sô wil her unscholdich sîn: als is ze welsch und latîn âne missewende. hie sî der rede ein ende. Das ist vielen bekannt, wie es Heinrich in Verse fasste, der es aus französischen Büchern hatte, in denen es aus dem Lateinischen wahrheitsgetreu gedichtet stand. ›Eneide‹ heißen die Bücher, die Virgilius darüber geschrieben hat, von dem uns die Erzählung überliefert ist und der schon seit vielen Jahren tot ist. Wenn er nicht gelogen hat, so ist wahr, was Heinrich danach verfasst hat. Er war nicht so schnell mit dem Wort, da er nicht von sich aus die Bedeutung verfälschen wollte, als er sich ans Werk gemacht hatte. Denn so, wie er es geschrieben fand, so hat er es ausgeführt, dass er sich nicht weiter von der Wahrheit entfernte, als wie er es in den Büchern schon vorfand. Wenn das nicht gelogen war, so wird er ohne Schuld sein. Genauso lautet es französisch und lateinisch, ohne jede Abweichung. Hiermit sei die Erzählung zu Ende.(Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 13505–28)

Konzise werden die Fakten der Quellenlage nochmals auf den Punkt gebracht: Heinrich verfasste seinen Eneasroman auf der Basis einer französischen Vorlage, die wiederum auf Vergils ›Aeneis‹ fußt – die textgeschichtlichen Angaben zum Werk, die damit vermittelt werden, sind nachweislich korrekt.413 Wurde Vergil im Lauf der Erzählung als Ge-

413 Siehe weiterführend Fisher, Heinrich von Veldeke, ›Eneas‹; Henkel, »Vergils ›Aeneis‹

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währsmann für den Erzählvorgang herangezogen, ist er hier als Garant für das dichterische Produkt in Anspruch genommen: Dem mittelhochdeutschen Verfasser Heinrich von Veldeke wird vom Sprecher attestiert, den Eneasroman quellengetreu gedichtet zu haben. Insofern gehört die Stimme des Erzählens bis zum Schluss zu derjenigen Instanz, der die Kommunikation mit der Zuhörerschaft obliegt und die auch Metadaten zum Werk artikuliert, so zuletzt, indem sie Angaben zum volkssprachigen Dichter und dessen Verhältnis zu den Vorlagen macht.414 Der Sprecher ist es, der den Rezipienten Heinrich von Veldeke als Autor der mittelhochdeutschen Dichtung näherbringt, er vermittelt im Epilog die entsprechenden diskursfunktionalen Informationen. So stellt sich letzten Endes nochmals die Frage nach dem Verhältnis der Stimme des Erzählens zum Verfasser der Dichtung Heinrich von Veldeke, der im Epilog – und nur hier – endlich als solcher erwähnt und mit Namen genannt ist. Anders als in antiken und mittellateinischen Epen, die in der Regel den Dichter selbst als Sänger konstituieren, zeigt sich in Veldekes Eneasroman – ähnlich wie im ›Herzog Ernst B‹ – die arbeitsteilige Unterscheidung einer Kommunikationsinstanz einerseits, die die Dichtung im Akt des Erzählens den vielfältig direkt als Zuhörer apostrophierten Adressaten vermittelt (was in der Vortragssituation eine performative Dimension erhält), und des Dichters andererseits, der als Urheber des schriftlich festgehaltenen Werks angeführt wird. Diese Differenzierung ist nicht nur im Epilog virulent, sondern auch im Verlauf der Erzählung insofern ausgestellt, als dort nirgendwo auf das mittelhochdeutsche verspoetische Artefakt verwiesen, sondern ausschließlich auf den Erzählprozess als solchen rekurriert wird. Problematisch wird diese Konstellation im Eneasroman dadurch, dass Vergil nicht erst im Epilog als Gewährsmann für die Richtigkeit des Wortlauts des dichterischen Werks herangezogen wird, sondern auch der Sprecher mehrfach und von Anfang an auf den antiken Epiker als Garanten und die mittelalterlichen Eneas-Romane«; Kern, »Beobachtungen zum Adaptationsprozess von Vergils ›Aeneis‹ im Mittelalter«. 414 Vgl. dazu auch die Überlegungen von Matthias Däumer, Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane, Bielefeld 2013, S. 44–46, der die betreffenden Epilog-Verse allerdings nicht in ein Verhältnis zu den diversen weiteren textinternen Quellenberufungen setzt.

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des korrekten Erzählens zurückgreift: Auch die Kommunikationsinstanz beruft sich, wie oben ausgeführt, wiederholt auf Vergil, der zur zentralen Größe der Autorität stilisiert wird. So schafft die Redeinstanz eine Bezugsquelle für den Narrationsvorgang, indem sie das zu Erzählende (unter anderem) auf Vergil zurückführt, während der Epilog die ›Aeneis‹ als Basis für Veldekes Dichtwerk nennt. Im Grunde genommen konfligieren diese beiden Formen des Rekurses auf den antiken Epiker. Oder anders gesagt: Kommunikationsinstanz und Verfasser kommen über den Autoritätsbezug gleichsam zur Deckung, obwohl sie aussagelogisch klar voneinander geschieden sind. Dieser Befund lässt sich wie folgt interpretieren: Das Faktum, dass der Eneasstoff untrennbar mit Vergil als auctor verbunden ist, wird mit dem Sprecher als Vermittler der Geschichte insofern verknüpft, als die mittelhochdeutsche Erzählung über den Verweis auf den antiken Epiker gewissermaßen nobilitiert werden kann. Damit ist aber die Autorposition prominent besetzt, so dass die Option, neben dem etablierten Dichter den volkssprachigen Verfasser quasi gleichberechtigt ins Feld zu führen, gleichsam blockiert zu sein scheint. Veldeke ist als Schöpfer der mittelhochdeutschen Bearbeitung argumentativ denn auch über weite Strecken komplett ausgegliedert, weil die urheberschaftliche Autorität von Anfang an dem antiken Epiker zugesprochen ist. Die Kategorie des volkssprachigen Dichters wird überhaupt erst im Epilog eingeführt, der paratextuelle Funktionen auch dergestalt übernimmt, dass mit der Geschichte vom Manuskriptraub detaillierte Informationen rund um die Entstehung des Werks geliefert werden, die keinerlei textinterne Relevanz haben. Erst im Epilog verschafft sich der mittelhochdeutsche Verfasser buchstäblich selbst Gehör, indem er sich über die Methode der Sphragis so in den Verstext einwebt, dass sein Name auch beim Vortrag zum Abschluss der Erzählung vom Sprecher mitgeteilt – ja dem Publikum über die fünfmalige Nennung geradezu eingehämmert – wird. Was die Relation von Kommunikationsinstanz und Verfasser angeht, ergibt sich hier eine Art Dreieckskonstellation, die sich nicht stringent auflösen lässt. Veldeke installiert sich im Epilog zwar als namentlich genannter Schöpfer des mittelhochdeutschen Werks, überlässt die Autorposition ansonsten aber Vergil, den er bereits im Prolog als Autorität einführt, zu welcher er sich nicht in Konkurrenz setzt. Doch auch die Spre-

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cherposition nimmt er nicht für sich in Anspruch und adressiert nirgendwo selbst das Publikum. Indes bleibt angesichts der analog verwendeten Beschwörungsformeln der Orthodiegese, wie sie sowohl von der Sprechinstanz als auch mit Blick auf den volkssprachigen Dichter vorgebracht werden, vom Sinn her nichts anderes übrig, als Veldeke mit dem Subjekt der Erzählung zu identifizieren. Die Stimme des Erzählens gehört im Eneasroman demnach einerseits zu einer nicht individuierten Kommunikationsinstanz, die als Mittlerin sowohl zum illiteraten als auch zum lateinkundigen Publikum hin wirkt. Das Pronomen der ersten Person Singular markiert an vielen Stellen vornehmlich die Sprecherposition, die im Vortrag von einem Rezitator eingenommen werden kann, der den Narrationsakt gleichsam inkorporiert, indem er zum Resonanzkörper des Wortklangs wird. Konkret wird dies gerade in den zahllosen performativen Formeln von der Art ich sag û.415 Damit verschmilzt andererseits jedoch immer wieder eine Stimme, die dem Dichter zuzurechnen ist, der seine Kompetenz als jemand, der korrekt berichtet, demonstrativ prononciert, sich aber selbst nicht als Schöpfer des Erzählten installiert, weil diese Position durch den antiken auctor besetzt wird. Genau genommen oszilliert die Erzählinstanz in Veldekes Stoffbearbeitung zwischen diesen beiden Dimensionen der Stimme, was am Beispiel jener Passagen besonders augenscheinlich wird, die wortähnlich teils die kommunikative Vermittlungsfunktion, teils einen individualisierten Sprecher, der persönlich vernommen oder gelesen hat – oder gar am Mainzer Hoffest anwesend war –, stark machen: als uns daz bûch kunt tût (›wie uns das Buch erzählt‹, V. 9293) vs. als ich ez an den bûchen las (›wie ich in den Büchern gelesen habe‹, V. 5015). Sowohl das mittelalterliche Buchwesen mit seinen wenig entwickelten peri- und epitextuellen Diskursstrukturen als auch der Bildungsgrad eines Teils der Adressaten legten es nahe, volkssprachigen Erzähltexten auf der Gestaltungsebene eine Art Transmitterposition einzuweben, die in der Vortragssituation vom Deklamator ausgefüllt werden konnte, so dass die Medialität der Handschrift gleichsam ergänzt wurde, um das Publikum zu erreichen. Darüber hinaus machten es die genannten Gegebenheiten für einen zeitgenössischen Epiker nötig, seinen Namen textintern bekannt zu 415 Vgl. auch Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 20.

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geben, wenn er als Urheber seines Werks Geltung beanspruchen wollte. Als dritte Besonderheit der damaligen Literatursituation kommt hinzu, dass es einen im Schriftdiskurs etablierten Kanon von Autoren gab, die in der Wertehierarchie höher standen als andere. Alle diese Faktoren können als Ursachen dafür ins Feld geführt werden, dass sich in Veldekes Eneasroman werkintern und gerade in der Stimme des Erzählens unterschiedliche Textund Diskursfunktionen in einer Weise kreuzen und überlappen, dass sich Begriffsbildungen der modernen Narratologie als unzureichend für deren Erfassung herausstellen. So handelt es sich beim Sprecher um einen AutorErzähler im Sinne Genettes, wenn man die Bekundungen der Beglaubigung konsequent liest, doch kommt man mit dieser Diagnose aussagelogisch nicht weiter, da im Text eine klare Separierung von Sprecher und Verfasser konstituiert ist. Die Nennung Heinrichs im Epilog durch die Sprecherposition scheint dem Umstand geschuldet, dass systematisch organisierende Paratexte im volkssprachigen Literaturbetrieb der Zeit nicht etabliert waren, so dass es der Kommunikationsinstanz oblag, die den Verfasser betreffenden Informationen dem Publikum kundzutun. Zugleich hat die als Bezugspunkt aufgebaute Autorität Vergils verhindert, dass sich Veldeke selbstbewusst als Dichter-Sänger seines Werks konstituierte. Also suchte der mittelhochdeutsche Verfasser das Sprachrohr der kommunikativen Mittlerfunktion, um sich seiner Zuhörerschaft nicht über die gestalterische, jedoch über die prozessuale Orthodiegese näherzubringen.

7.

Die Stimme des Erzählens im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue

Ebenfalls um ein frühes Beispiel der deutschsprachigen höfischen Epik handelt es sich bei Hartmanns von Aue ›Iwein‹, der um 1190/1200 auf der Grundlage des ›Yvain ou Le Chevalier au Lion‹ des französischen Dichters Chrétien de Troyes entstanden ist und die Gattung des Artusromans wesentlich prägte.416 Wie Heinrich von Veldeke zählt auch Hartmann zu denjenigen mittelhochdeutschen Verfassern, die in den Literaturexkursen Gottfrieds von Straßburg und Rudolfs von Ems als zentrale Dichterpersönlichkeiten hervorgehoben sind. So lässt sich im Sinne einer epitextuellen Stellungnahme zu den Werken Hartmanns lesen, was Gottfried im ›Tristan‹ über diesen festhält: Hartmann der Ouwaere, âhî, wie der diu maere beide ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchverwet und durchzieret! wie er mit rede figieret der âventiure meine! wie lûter und wie reine sîniu cristallînen wortelîn beidiu sint und iemer müezen sîn si koment den man mit siten an, 416 Siehe zu Fragen der Datierung und der stofflichen Überlieferung den Forschungsstand zusammenfassend: Elisabeth Schmid, »Chrétiens ›Yvain‹ und Hartmanns ›Iwein‹«, in: René Pérennec (Hg.), Germania litteraria mediaevalis Francigena: 5. Höfischer Roman in Vers und Prosa, Berlin 2010, S. 135–167, hier S. 136–138.

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Die Stimme des Erzählens im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue

si tuont sich nâhen zuo dem man und liebent rehtem muote. swer guote rede ze guote und ouch ze rehte kan verstân, der muoz dem Ouwaere lân sîn schapel und sîn lôrzwî. Hartmann von Aue, ja, wie der die Geschichten sowohl stilistisch wie auch inhaltlich mit Worten und Kunstgriffen ausschmückt und verziert! Wie er mit der Sprache den Sinn der Erzählung ausformt! Wie klar und wie vollkommen seine kristallenen Worte sind und immer sein werden! Mit Anstand kommen sie auf einen zu, nähern sich und machen gute Gesinnung beliebt. Jeder, der gute Sprache gut und auch richtig zu verstehen in der Lage ist, der muss Hartmann seinen Siegerkranz und Lorbeer lassen. (Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 4621–37)417

Gottfrieds berühmte Charakterisierung Hartmanns und seiner Werke, die nicht zuletzt aufgrund der in der Volkssprache fehlenden Textsorten zu Literaturkritik und Poetik in den Rahmen des ›Tristan‹ eingebettet ist, zeichnet den mittelhochdeutschen Dichter als einen bedeutenden Schöpfer literarischer Texte aus und spricht ihm sowohl formal wie thematisch hohe Gestaltungskompetenz zu.418 Offensichtlich wurde Hartmann bereits von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern als erstrangiger Künstler wahrgenommen, dem als kreativem Urheber poetischer Werke die Bezeichnung ›Autor‹ im Sinne des Begriffs von Autorschaft kaum abgesprochen werden 417 Mittelhochdeutscher Text zitiert nach der Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, mhd./nhd., nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980. 418 Die markante Art und Weise, wie Gottfried die Gestaltungskompetenz Hartmanns charakterisiert, hat vielfältige Aufmerksamkeit der Forschung gefunden, siehe allein die jüngsten Beiträge: Manfred Günter Scholz, »Perspicuitas – Gottfrieds Stilideal«, in: Thordis Hennings/Manuela Niesner/Christoph Roth/Christian Schneider (Hg.), Mittelalterliche Poetik in Theorie und Praxis. Festschrift für Fritz Peter Knapp, Berlin 2009, S. 257–269; Christoph Huber, »Kristallwörtchen und das Stilprogramm der perspicuitas. Zu Gottfrieds ›Tristan‹ und Konrads ›Goldener Schmiede‹«, in: Elizabeth Andersen/Ricarda Bauschke-Hartung/Nicola McLelland/Silvia Reuvekamp (Hg.), Literarischer Stil. Mittelalterliche Dichtung zwischen Konvention und Innovation. XXII. Anglo-German Colloquium Düsseldorf, Berlin 2015, S. 191–204; Klaus Grubmüller, »cristallîniu wortelîn. Gottfrieds Stil und die Aporien der Liebe«, in: Andersen/ Bauschke-Hartung/McLelland/Reuvekamp (Hg.), Literarischer Stil, S. 179–190.

Die Stimme des Erzählens im ›Yvain‹ Chrétiens de Troyes

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kann. Wie Heinrich von Veldeke war es auch Hartmann gelungen, sich trotz der für einen zeitgenössischen Verfasser unvorteilhaften Modalitäten des Buchwesens als Dichter von Rang zu etablieren. Gottfrieds Einschätzungen des Dichterkollegen Hartmann lassen erahnen, dass die Frage nach der Stimme des Erzählens auch im ›Iwein‹ eine gewisse Vielschichtigkeit mit sich bringt, war die Werkpräsentation ja nicht darauf ausgerichtet, systematische Informationen zum Autor peritextuell zu vermitteln. Anders als bei Veldekes Eneasroman stammt die Vorlage des ›Iwein‹ allerdings selbst von einem namentlich bekannten zeitgenössischen Dichter, weshalb auch in diesem Fall der Blick in die altfranzösische Quelle lohnt. Mit dem ›Yvain‹ Chrétiens liegt das Werk eines Verfassers vor, der sich mit einer ganzen Reihe von Erzähltexten im damaligen Literaturbetrieb verankert und die höfische Dichtung wie kaum ein anderer über die Sprachgrenzen hinweg geprägt hat.

Exkurs: Die Stimme des Erzählens im ›Yvain‹ Chrétiens de Troyes Was die handschriftliche Überlieferung von Chrétiens ›Yvain‹ anbelangt, zeigen die Kodizes zwar unterschiedliche Formen der Ausstaffierung, Angaben zum Verfasser finden sich jedoch in der Regel nicht in peritextueller Form.419 Das ins späte 13. Jahrhundert datierte und für die moderne Edition zentrale Manuskript Bibl. Nat. fr. 1433 beispielsweise präsentiert Chrétiens Artusdichtung als zweiten und letzten Text nach dem anonymen Versroman ›L’Âtre périlleux‹.420 Bemerkenswert ist die künstlerische Bebilderung 419 Eine Übersicht über die Textzeugen bieten die Textausgaben: Chrétien de Troyes, Le chevalier au lion ou Le roman d’Yvain. Edition critique d’après le manuscript B. N. fr. 1433, trad., prés. et notes de David F. Hult, Paris 1994, S. 27/28; Chrestien de Troyes, Yvain, nach dem Text der Ausgabe von Wendelin Foerster übers. und eingel. von Ilse Nolting-Hauff, München 1983, S. 335/336. Zu Details zur Gestaltung der Manuskripte, speziell mit Blick auf die Frage nach den paratextuellen Zusätzen: Levilson C. Reis, »From Aural Reception to Visual Paratext: The Reader in the Manuscripts of Chrétien de Troyes’s Romances«, in: Neophilologus 94 (2010), S. 377–389. 420 Für Details zum Kodex siehe etwa Keith Busby/Terry Nixon/Alison Stones/Lori Walters (Hg.), Les manuscrits de Chrétien de Troyes, Amsterdam 1993, Bd. 2, S. 73–75 u. 200–202.

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des Kodex, der nicht nur zum Auftakt und zum Ende ganzseitige Illustrationen aufweist, sondern auch den zweispaltig dargebotenen Versfluss mehrfach unterbricht, um Szenen zu zeigen, die auf den ritterlich-höfischen Inhalt der Texte Bezug nehmen.421 Auch diese Miniaturen gehen von der Größe her über beide Kolumnen und nehmen einen beträchtlichen Teil der Blattseite ein. Der Anfang der beiden Versdichtungen wiederum wird mit einer vergoldeten historisierenden Initiale markiert, die mit den Ranken der Seitenrahmung verbunden ist; im Fall des ›Yvain‹ zeigt sie einen Ritter in Rüstung auf einem Schimmel unterwegs, den Blick zum Himmel gerichtet und die Hände zum Gebet zusammengelegt [Abb. 6]. Der Verstext selbst ist strukturiert durch kleine Initialen, auf Blau- oder Rotgrund, die Auftaktbuchstaben der Verse sind abgesetzt mit roter Strichelung. Sowohl die ganzseitigen Miniaturen als auch die aufwändige Initialdekoration bieten zwar visuelle Anhaltspunkte zum zu erwartenden Inhalt der Dichtung, verbale Hinweise zu Text und Verfasser finden sich jedoch – abgesehen vom Eintrag Explicit Yvag Explicit (fol. 117v) am Ende der Versdichtung – nicht außerhalb des Verskontinuums. Wie bei allen soweit reflektierten mittelalterlichen Textbeispielen eröffnet auch im ›Yvain‹ erst der Eintritt in die Lektüre der ersten Verse422 den Akt verbaler Kommunikation, und zwar mit folgendem Einstieg: Li boins roys Artus de Bretaigne, / La qui proeche nous ensengne, / Que nous soions preus et courtois / […] (›Der gute König Artus von Britannien, dessen Rittertugend uns lehrt, ritterlich und höfisch zu sein […]‹, V. 1–3).423 Anders als der ›Roman d’Enéas‹, der die erzählerische Vermittlungssituation zu Beginn nicht als solche pointiert, zeichnet sich Chrétiens Artusroman durch die Etablierung eines im Personalpronomen manifest werdenden Sprechers aus, der sich zunächst ausdrücklich in die Gruppe der Rezipienten einge421 Siehe zu den Illustrationen Nancy Black, »The Language of the Illustration of Chretien de Troyes, Le Chevalier au Lion«, in: Studies in Iconography 15 (1993), S. 45–75. 422 Chrétiens ›Yvain‹ beginnt unmittelbar mit der Darstellung der höfischen Beispielhaftigkeit des Artushofs, weshalb Peter Haidu von einem »non-prologial prologue« spricht (Peter Haidu, »Romance. Idealistic Genre or Historical Text?«, in: Leigh A. Arrathoon (Hg.), The Craft of Fiction. Essays in Medieval Poetics, Rochester 1984, S. 1– 46, hier S. 20). 423 Text hier und im Folgenden nach der Edition Chrétien de Troyes, Le chevalier au lion ou Le roman d’Yvain. Edition critique d’après le manuscript B. N. fr. 1433, trad., prés. et notes de David F. Hult, Paris 1994.

Die Stimme des Erzählens im ›Yvain‹ Chrétiens de Troyes

Abb. 6: Paris, Bibliothèque Nationale, fr. ms. 1433, fol. 61r

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meindet. Dies geschieht jedoch nicht in der Weise, dass sich die Erzählinstanz zur Mit-Empfängerin der zu berichtenden Geschichte stilisiert, sondern im Hinblick auf die Relevanz des Erzählstoffs für die aus Sprecher und Zuhörern bestehende Gruppe, die die kommunikative Situation begründet. Liefert der Sprecher mit den ersten Worten Informationen zum Stoffkreis der folgenden Geschichte, die diesen auf die eigene Gegenwart und den sich aus der Gemeinschaft mit den Rezipienten konstituierenden Sozialverband bezieht, verlässt er wenig später im fließenden Übergang die Perspektive aus der Gruppe heraus und installiert das kommunikative Dreieck von Sender, Mitteilung und Adressaten, wobei er selbst als Erzählinstanz an Kontur gewinnt: Mais pour parler de chix qui furent, Laissons chix qui en vie durent! Qu’encor vaut mix, che m’est a vis, Un courtois mors c’uns vilains vis. Pour che me plaist a reconter Chose qui faiche a escouter Du roy qui fu de tel tesmoing C’on en parole pres et loing; Si m’acort de tant ad Bretons Que tous jours mais dura ses nons. Aber um von denen zu reden, die früher waren, lassen wir die, die noch am Leben sind! Denn ein untadeliger Ritter ist, so meine ich, tot immer noch besser als ein gemeiner Mensch, der lebt. Deshalb gefällt es mir, Dinge zu erzählen, die sich hören lassen, von dem König, der solchen Ruhm besaß, dass man nah und fern von ihm redet. Darin stimme ich den Bretonen zu, dass sein Name allezeit lebendig bleiben wird. (Chrétien de Troyes, Yvain, V. 29–38)

Mit diesen Versen wird ein im Personalpronomen der ersten Person Singular konkretisiertes Subjekt als Träger der Narration greifbar, das deiktisch auf die Mündlichkeit der eröffneten Erzählsituation verweist (verdeutlicht durch die Lexeme parler, reconter, escouter, parole) und sich zugleich mit einem Werturteil zum Gegenstand seiner Erzählung positioniert: Persönlich steht der Sprecher für die Bedeutung der Materie ein, die er seiner Zuhörerschaft näherzubringen verspricht. Die Formulierungen sind so gestaltet, dass in der tatsächlichen Vortragssituation der Rezitator in die

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partiturartig ausgelegte Rolle des Sprechers schlüpfen kann, mit der Folge, dass die Ich-Origo der deiktischen Ausdrücke real wird.424 Um wen es sich bei diesem Sprecher handelt, darüber geben die Anfangsverse keine Auskunft, genauso wenig, wie das Verhältnis der referentialisierten Kommunikationssituation zum als dichterisches Werk konzipierten Artusroman und seinem Verfasser problematisiert wird. Entsprechend kommt auch die Kategorie des Dichters als des Produzenten des verspoetischen Artefakts nicht in den Blick. Deutlich wird indes, dass sich der Sprecher nicht ausschließlich auf die Funktion eines Transmitters beschränken lässt, der in der Vortragssituation die Medialität der Handschrift in den Resonanzraum oraler Kommunikation verlängert. Er trägt insofern Züge eines Individuums, als er dezidierte Ansichten und Überzeugungen äußert und sein Erzählen mit diesen Einschätzungen begründet. Nicht nur zum Auftakt, sondern auch im weiteren Verlauf der Erzählung thematisiert und kommentiert der Sprecher sowohl das Was als auch das Wie der Narration immer wieder. Öfters nimmt er beiläufig Stellung zum Berichteten, mit unverbindlichen Floskeln wie au mien ensciant (›wie ich meine‹, V. 2366) oder che me samble (›wie mir scheint‹, V. 3157).425 Derartige Formeln stehen im ›Yvain‹ weniger – wie es sich etwa in Veldekes Eneasroman beobachten lässt – im Zusammenhang mit dem Rekurs auf die Quellen des Erzählens, sondern sie dokumentieren die individuelle Anteilnahme der Erzählinstanz an der Geschichte. Mitunter verbindet der Sprecher mit solchen Bemerkungen aber auch den Verweis auf seine eigene Glaubwürdigkeit: Ne cuidiés pas que je vous mente, / Que si fu fiere la tormente / Que nus n’en conteroit le disme (›Glaubt nicht, dass ich euch eine Lüge sage; der Sturm war so heftig, dass niemand auch nur ein Zehntel davon zu erzählen vermöchte‹, V. 6525–27).426 424 Dies steht im Widerspruch zur Vorstellung Käte Hamburgers, dass das ›epische Ich‹ keine reale Ich-Origo besitzt (vgl. Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957, S. 28–34). Die Sache ist insofern komplex, als Hamburger den Unterschied von fiktionalem und historischem Erzählen in einer Weise fasst, wie sie in Bezug auf mittelalterliche narrative Texte nicht in Anschlag gebracht werden kann. 425 Ähnlich auch: je cuit (›ich glaube‹, V. 2661, V. 3009); ne cuit resp. ne quit (›ich glaube kaum‹, V. 2844, V. 4240, V. 5776); je ne sai (›ich weiß nicht‹, V. 5403, V. 5868). 426 Weitere Beispiele sind: ce vous acreant (›das versichere ich euch‹, V. 1952); che poés savoir (›das mögt ihr wissen‹, V. 775); Et dist li contes, che me samble (›und die Geschichte sagt, so scheint mir‹, V. 2685).

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Wie das letzte Beispiel verdeutlicht, gehören zu den gestalterischen Mitteln der Emphase mitunter superlativische Wendungen, über die der Sprecher einzelne Aspekte der Geschichte mit unmittelbarem Bezug auf die Narration hervorhebt: Ains de riens nule duel gregneur / N’oïstes conter ne retraire / Quë il encommencha a faire! (›Nie habt ihr größeren Schmerz über etwas erzählen oder beschreiben hören, als er ihn zu zeigen begann!‹, V. 3504–06).427 Mit derlei Prononcierungen vergleichbar sind die rhetorischen Wendungen, die die erzählten Ereignisse mit dem brevitas-Topos verknüpfen, wobei sich Varianten mit und ohne direkte Apostrophe der Adressaten finden.428 Bisweilen wird das oral-auditive Verhältnis von Sprecher und Zuhörern eindringlich markiert, indem die pragmatische Dimension des Narrationsakts betont wird: De cheste plaie vous deïsse Tant quë huimés fin ne preïsse, Se li escouter vous pleüst. Mais tost deïst, tel y eüst, Que je vous parlaisse d’uiseuse; Que le gent n’est mais amoureuse, Ne n’aiment mais si come il seulent, Que nis oïr parler n’en veulent. Mais or oés en quel maniere […] Von dieser Wunde könnte ich euch so viel erzählen, dass ich heute nicht mehr damit zu Ende käme, wenn ihr Lust hättet zuzuhören. Doch da würde bald einer behaupten, ich schwatzte müßiges Zeug, denn die Leute wissen nicht mehr, was Liebe ist, und lieben nicht mehr wie einst und wollen auch nicht mehr davon reden hören. Doch hört nun, auf welche Art […]. (Chrétien de Troyes, Yvain, V. 5385–93)

427 Ebenso: De si tres bele crestiënne / Ne fu onques plait ne parole (›von einer so schönen Christin wurde noch nie erzählt oder berichtet‹, V. 1148/49). 428 Etwa: Ne sai qu’alaisse demourant / A conter le duel qu’ele en fist (›Was soll ich mich dabei aufhalten, ihren Jammer zu erzählen‹, V. 2918/19); oder: Ne sai que vous doie conter / Comment mesire Yvains s’en part, […] Et del roy que vous conteroie […] Trop i feroie grant demore (›Ich weiß nicht, was ich euch von Yvains Abschied erzählen soll […], und was soll ich euch von dem König erzählen […], ich würde mich zu lange dabei aufhalten‹, V. 2624–33).

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Mit Nachdruck akzentuiert die Redestimme die Ich-Ihr-Relation, die die spezifische Erzählgemeinschaft von Sprecher und Rezipienten begründet, wobei dadurch in der realen Vortragssituation eine Gruppe konstituiert und ein Spiel mit ›ingroup‹ und ›outgroup‹ betrieben wird:429 Die Erzählinstanz tritt in ein interaktionales Verhältnis mit dem Publikum und suggeriert Reaktionen, die zum Zusammenschluss der ›Wissenden‹ führen. Der Prozess der Narration wird nicht nur thematisiert, sondern auch explizit vergegenwärtigt, indem verschiedene außernarrative Funktionen der Erzählinstanz gleichzeitig aufgerufen werden. Mit der Terminologie Gérard Genettes könnte man davon sprechen, dass sich in dieser Passage Regiefunktion, phatische Kommunikationsfunktion und ideologische Funktion überlagern.430 Etabliert wird ein Sprecher, der sich gegenüber dem Publikum mit eigenen Einschätzungen positioniert, jenes jedoch auch unterschwellig zu beeinflussen sucht. So ist es gerade das Thema der Liebe, das den Sprecher wiederholt zu gezielten Stellungnahmen und Erklärungen animiert.431 Besonders ausführlich ist die betreffende Kommentierung im Zusammenhang mit dem Kampf zwischen Yvain und Gauvain, anlässlich dessen sich der Sprecher über das Verhältnis von Liebe und Hass im Herzen der beiden Freunde auslässt und dabei mehrfach das Publikum direkt adressiert, zudem Fragen und Repliken der Zuhörer fingiert, um den eigenen Standpunkt schärfer zu konturieren (vgl. V. 5987–6103). Die Erzählinstanz erscheint dabei als eine Größe, die in Relation mit den Rezipienten agiert und die Erzählung auf die – suggestiv – erwarteten Ansichten der Zuhörer abstimmt, zugleich jedoch

429 Zu den Mechanismen, wie sie bei der Wahrnehmung von Eigengruppe (›ingroup‹) und Fremdgruppe (›outgroup‹) eine Rolle spielen, siehe etwa George A. Quattrone/ Edward E. Jones, »The Perception of Variability Within In-Groups and Out-Groups: Implications for the Law of Small Numbers«, in: Journal of Personality and Social Psychology 38 (1980), S. 141–152. 430 Vgl. Gérard Genette, Nouveau Discours du récit, Paris 1983; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 177–295, hier S. 183/184. 431 Siehe etwa David Staines, »Chrétien de Troyes and His Narrator/s«, in: Robert A. Taylor/James F. Burke/Patricia J. Eberle/Ian Lancashire/Brian S. Merrilees (Hg.), The Center and its Compass. Studies in Medieval Literature in Honor of Professor John Leyerle, Kalamazoo 1993, S. 415–456, hier S. 455.

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vor allem auch eine persönliche Betrachtungsweise zu erkennen gibt und über dezidierte Bewertungen individuelle Züge sichtbar werden lässt. Signifikant für die Charakteristik der Erzählinstanz im ›Yvain‹ sind denn gerade derartige Passagen, die den Narrationsakt als eine Tätigkeit bestimmen, die von einem individuierten Subjekt ausgeht. Der Sprecher erhält dabei eine eigene Identität, indem er verantwortlich zeichnet für die Art und Weise, wie erzählt wird. Dabei wird allerdings fast ausnahmslos auf das Erzählen als mündlichen Vorgang des Berichterstattens rekurriert, nur in einem Einzelfall kommt die Vorstellung der schriftlich festgehaltenen Geschichte in den Blick, die den Bezugspunkt der Redeinstanz bildet. Wohl nicht zufällig steht die betreffende Referenz auf Buchliteratur im Zusammenhang mit der Thematisierung von Beschreibung resp. descriptio (womit in französischer Sprache Schriftlichkeit schon von der Wortbildung her evoziert ist): Mesire Yvains oÿ les cris Et le duel, qui ja n’iert descris; Quë on ne le porroit descrire, Ne tix ne fu escris en livre. Herr Yvain hörte das Wehklagen, das hier nicht beschrieben werden wird; keiner vermöchte es zu beschreiben, und es wurde so noch nie in einem Buch aufgeschrieben. (Chrétien de Troyes, Yvain, V. 1173–76)

Der Sprecher beansprucht zwar auch hier nicht, einen schriftlich vorliegenden Text zu präsentieren, doch führt er hinsichtlich des eigenen Tuns den Vergleich mit der buchliterarischen Fixierung zu erzählender Ereignisse. Vom rhetorischen Gestus her, der eine Form des Unsagbarkeitstopos aufgreift, wie er symptomatisch im Zusammenhang mit dem Verweis auf die Möglichkeiten und Grenzen von Beschreibungen anzutreffen ist, unterscheidet sich die Stelle kaum von anderen seitens der Erzählinstanz verwendeten hyperbolischen Formeln zur Kennzeichnung der Unfähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt angemessen wiederzugeben. Indes lässt der Sprecher mit seinem Bezug auf skripturale Darstellungsweisen die eigene Anlehnung an Buchtexte zumindest durchschimmern. Erzählen als gruppenbildender Vorgang mündlicher Kommunikation wird im ›Yvain‹ nicht nur vom Sprecher immer wieder expliziert und referentialisiert, er spielt auch auf der Ebene der histoire eine zentrale Rolle,

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wo er gleich am Anfang der Geschichte signalhaft eingesetzt ist. Nicht zufällig ist der Auslöser für alles weitere Handlungsgeschehen, das sich um den Protagonisten Yvain dreht, eine Erzählsequenz, die als längere ›Erzählung in der Erzählung‹432 geboten wird. Anders als im ›Roman d’Enéas‹, in welchem das stilistische Mittel einer eingeschobenen Erzählung zweiter Ordnung ebenfalls zu Beginn der Geschichte genutzt wird, stößt der intradiegetische433 Sprecher aber nicht von außen zu einer Gruppe, sondern geht die Metadiegese aus einem Dialog hervor, in den verschiedene Mitglieder des Artushofs verwickelt sind. Unmittelbar nach den Anfangsversen, die den König Artus selbst vorstellen, wird intradiegetisch eine Erzählsituation konstituiert, die als solche ihrerseits expliziert und in ihren Modalitäten ausgeleuchtet wird, wie das dialogische Geplänkel zwischen hochrangigen Mitgliedern des Artushofs zeigt, das zur eigentlichen ›Erzählung in der Erzählung‹ führt (vgl. V. 42– 148). Es ergibt sich also eine Art Spiegelungsverhältnis zwischen dem Sprecher erster Ordnung, der sich während des gesamten Narrationsverlaufs wiederholt an eine spezifisch als höfisch charakterisierte Gruppe von Zuhörern wendet, und Calogrenant, dem Sprecher zweiter Ordnung, der seinerseits im Kreise einiger Mitglieder des Artushofs un conte (V. 61) zum Besten gibt – man könnte von einer Überblendungsrelation sprechen, die zwischen extradiegetischer und intradiegetischer Erzählinstanz erzeugt wird. So reflektiert Calogrenant, als Sprecher zweiter Ordnung, die Modalitäten mündlicher Erzählsituationen detailreich und mit besonderem Blick auf die Rezipienten. Dies geschieht gleich zum Auftakt seiner eigenen Erzählung, damit aber auch – quasi stellvertretend für den Sprecher erster Ordnung434 – ganz zu Beginn des Narrationsakts als Ganzem: 432 Siehe zu dieser Begrifflichkeit den einschlägigen Band: Harald Haferland/Michael Mecklenburg (Hg.), Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996. 433 Gemäß den Kategorisierungen Gérard Genettes konstituiert der extradiegetische Erzähler die Diegese bzw. intradiegetische Erzählung, der intradiegetische die Metadiegese etc. (vgl. Genette, Die Erzählung, S. 163). Diese Terminologie sei hier benutzt, um Sprecher erster und zweiter Stufe zu unterscheiden: Insofern wird ›extradiegetische Redeinstanz‹ (und ähnlich) synonym mit ›Sprecher erster Ordnung‹ verwendet. 434 So hält Staines, »Chrétien de Troyes and His Narrator/s«, S. 432 fest: »Calogrenant’s tale […] serves as a reflexive commentary on the art of narration and on Chrétien’s own narrative voice.«

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Puis qu’i vous plaist, or entendés! Cuer et oroeilles me rendés, Car parole oïe est perdue S’ele n’est de cuer entendue. Or y a tix que che qu’il oent N’entendent pas, et si le loent; Et chil n’en ont fort que l’oïe, Puis que li cuers n’i entent mie. As oreilles vient le parole, Aussi comme li vens qui vole, Mais n’i arreste ne demore, Ains s’en part en mout petit d’ore, Se li cuers m’est si estilliés C’a prendre soit appareilliés; Que chil le puet en son venir Prendre et enclorre et retenir. Les oreilles sont voie et dois Ou par ent y entre la vois; Et li cuers prent dedens le ventre Le vois qui par l’oreille y entre. Et qui or me vaurra entendre, Cuer et oreilles me doit rendre, Car ne veul pas servir de songe, Ne de fable, ne de menchonge, Dont maint autre vous ont servi, Ains conterai che que je vi. Da es euch so gefällt, so hört nun her! Leiht mir Herz und Ohren! Denn das gehörte Wort geht verloren, wenn es nicht mit dem Herzen verstanden wird. Manche verstehen nicht, was sie hören, und loben es doch, und die haben nur den leeren Schall davon, weil das Herz nicht achtgibt. Das Wort kommt zu den Ohren gleich wie der Wind, der daherweht; aber es hält sich dort nicht auf, sondern entweicht nach sehr kurzer Zeit, wenn das Herz nicht wach und gerüstet ist, es zu empfangen; denn dieses vermag es bei seiner Ankunft zu fassen, aufzunehmen und zu bewahren. Die Ohren sind Straße und Kanal, durch die die Stimme zum Herzen kommt; und das Herz nimmt im Leib drinnen die Stimme auf, die durch das Ohr hineindringt. Und wer mich jetzt hören will, der soll mir Herz und Ohr leihen. Denn ich will weder von Träumen reden noch von Erfindungen und Lügen, mit denen euch manche andere abgespeist haben, sondern ich werde euch sagen, was ich sah. (Chrétien de Troyes, Yvain, V. 149–174)

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Der eindringliche Appell, den Calogrenant als intradiegetischer Erzähler an seine Zuhörer am Artushof richtet, beschreibt die Rezeptionsbedingungen mündlicher Narration, wobei Stimme, Ohren und Herz zu zentralen Konstituenten einer gelungenen Rezeption stilisiert werden. Aufgrund der Tatsache, dass Calogrenant genau die gleichen imperativischen Formeln der Ich-Ihr-Relation verwendet, wie sie vom Sprecher erster Ordnung wiederholt benutzt werden, kommt es zu einer Überblendung einerseits der beiden Sprecher, andererseits der adressierten Zuhörerschaften.435 Die Imperative entendés! Cuer et oroeilles me rendés! können von den tatsächlichen Zuhörern in der realen Vortragssituation des Texts umstandslos als an sie gerichtete Aufforderungen verstanden werden. Die Delegation des Erzählens von einer Redeinstanz an die andere geschieht hier derart, dass sich die Kommunikationssituation von ihrer grundsätzlichen Anlage her nicht ändert, sie im Gegenteil noch einmal in aller Deutlichkeit pointiert wird, der Ebenenwechsel sich also vollzieht, ohne durch situationelle Differenzen manifest zu werden. Calogrenant stilisiert sich selbst zum Augenzeugen dessen, was er als zu Schilderndes ankündigt: Ains conterai che que je vi. Auch im weiteren Verlauf seiner Erzählung verwendet er Formulierungen, die sowohl auf den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte zielen als auch den phatischen Aspekt der Kommunikation stark machen, wenn er sagt: Se je le voir dire vos vueil (›wenn ich euch die Wahrheit sagen soll‹, V. 282); Et sachiés, ja a enscïent / Ne vous en mentirae de mot (›Mit Wissen und Willen werde ich euch jetzt keine Lügen sagen‹, V. 428/29). Ähnlich wie Enéas kann sich Calogrenant nicht zuletzt deshalb auf die eigene Augenzeugenschaft berufen, weil er eine Geschichte erzählt, die er selbst erlebt hat. Er schildert als homodiegetischer Erzähler sein eigenes – misslungenes – Abenteuer am Brunnen, tut dies allerdings in einer Weise, die sich stilistisch kaum von der Erzählweise des Sprechers erster Ordnung unterscheidet.436 Dies zeigt sich nicht zuletzt 435 Siehe zu diesem Gedanken auch die Überlegungen von Roberta L. Krueger, »Reading the ›Yvain/Charrete‹. Chretien’s Inscribed Audiences at Noauz and Pesme Aventure«, in: Forum for Modern Language Studies 19/2 (1983), S. 172–187, hier S. 172; zudem weiterführend Johannes Frey, Spielräume des Erzählens. Zur Rolle der Figuren in den Erzählkonzeptionen von Yvain, Îwein, Ywain und Ívens saga, Stuttgart 2008, S. 144– 151. 436 Siehe dazu John L. Grigsby, »Narrative Voices in Chrétien de Troyes: A Prolegomenon

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darin, dass er ausführliche dialogische Passagen in direkter Rede wiedergibt – wenn er etwa davon berichtet, wie er auf einer Rodung mit einem wilden Mann ins Gespräch gekommen sei (vgl. V. 326–405) –, gerade so, wie der extradiegetische Sprecher im späteren Verlauf der Narration des Öftern längere Dialogsequenzen einschiebt, bei denen die Akteure in direkter Rede ausführlich selbst zu Wort kommen. Umgekehrt gilt, dass der Sprecher erster Ordnung nach Abschluss der Erzählung Calogrenants hinsichtlich der Perspektivierung seines Berichtens eine Erzählweise an den Tag legt, die markante Fokalisierungseffekte zeigt, also auch diesbezüglich dem Erzählen Calogrenants ähnelt.437 Wie Gert Hübner herausgearbeitet hat, wechseln sich mit Blick auf die Innenwelt gerade des Protagonisten Yvain erzählte Wahrnehmung, Psychonarration, erlebte Rede und Soliloquien ab, was zur Folge hat, dass ›Erzählerrede‹ und Figurenbewusstsein mehrfach verschwimmen.438 Salopp formuliert könnte man sagen: Die extradiegetische Redeinstanz spricht quasi aus derselben Richtung, aus der die Augen des Hauptakteurs schauen, mit dem sie nicht nur die Gedankenwelt, sondern auch den Wissensstand über weite Strecken teilt; nur vereinzelt lässt der Sprecher erster Ordnung auktoriale Kenntnisse aufflackern. Die Rede des Calogrenant ist insofern in doppelter Weise programmatisch, als sie sowohl das perspektivierte Erzählen der extradiegetischen Redeinstanz vorwegnimmt als auch die spezifische Kommunikationssituation mit der Pointierung der oral-auditiven Medialität ausstellt, die soziabilen Charakter hat. Die Appelle Calogrenants können als rahmenbilto Dissection«, in: Romance Philology 32/3 (1979), S. 261–273, hier S. 272. Zur Art und Weise der Informationsvergabe, wie sie durch die verschiedenen Sprecher erfolgt, siehe Frey, Spielräume des Erzählens, S. 155–160. 437 So hält Gert Hübner, Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ›Eneas‹, im ›Iwein‹ und im ›Tristan‹, Tübingen 2003, S. 162, diesbezüglich fest: »In Kalogrenants Bericht ist, bei Hartmann wie bei Chrétien, so gut wie alles erzählte Wahrnehmung: Der Ich-Erzähler stellt seine Ankunft auf der Burg […] genauso dar, wie der heterodiegetische Romanerzähler Iweins Ankünfte auf den Burgen des zweiten Wegs, und ebenso ist das narrative Arrangement bei der Begegnung mit dem Wildhüter […], bei der Ankunft am Brunnen […] und beim Auftritt des Brunnenhüters […] gehalten. Wahrnehmungsverben durchziehen die Darstellung in hoher Rekurrenz.« 438 Vgl. Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 132–146.

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dende Spiegelung der Erzählsituation interpretiert werden, die der Rezitator beim Vorlesen des Texts konstituiert: Der frame des Sprechakts von Calogrenant steht stellvertetend für denjenigen der extradiegetischen Erzählinstanz, deren Sprechakt in der materialen Buchpräsentation keinen verbalen Rahmen hat. Damit konvergiert, dass die immer wieder im Personalpronomen der ersten Person Singular manifest werdende Stimme des Erzählens in Chrétiens ›Yvain‹ gerade nicht durch eine Positionierung gegenüber wie auch immer gearteten schriftliterarischen Texten ausgezeichnet wird: Sie rekurriert weder explizit auf Vorlagen noch auf eine in Buchform festgehaltene Dichtung. Vielmehr erhält sie ihre Eigenheit sowohl durch die – gleichsam engagierte – Nähe zu den adressierten Zuhörern als auch durch die Anteilnahme an der Geschichte und ihren Figuren, was sich nicht zuletzt in den Vertraulichkeit spiegelnden Bezeichnungen der Protagonisten als mes sire Yvains, mon seignor Gauvains etc. zeigt. Über die wiederholt geäußerten spezifischen Ansichten und Kommentare erhält die Erzählinstanz eine konturierte Identität. Die Art und Weise, wie die narrative Stimme im ›Yvain‹ textintern installiert wird, lässt sie gerade nicht als Transmitter zwischen Buchdichtung und (illiteratem) Publikum fungieren. Signifikant ist der Umstand, dass sich der Sprecher auch nirgendwo auf ein Werkganzes bezieht. Den discours betreffende Vor- oder Rückverweise, die zwar in erster Linie den Ablauf des Narrationsvorgangs spiegeln, letzten Endes jedoch ein abgeschlossenes literarisches Produkt oder zumindest eine in ihrer Ganzheit überblickte Erzählung supponieren, finden sich kaum. Entsprechend gibt es auch keine Hinweise auf den tatsächlichen Verfasser des ›Yvain‹ oder überhaupt nur auf die Kategorie des Dichters als Schöpfer des verspoetischen Artefakts. Dies ändert sich – zumindest in gewisser Hinsicht – erst in den allerletzten Versen des Texts, die selbstreferentiell konstatieren: Del chevalier al Lion fine Crestïens son romant issi; Onques plus dire n’en oï, Ne ja plus n’en orés conter S’on n’i velt mençogne ajoster.

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So beendet Chrétien seinen Roman vom Löwenritter; denn mehr hörte ich nicht davon sagen, und auch ihr werdet nicht mehr davon erzählen hören, wenn man keine Lüge hinzufügen will. (Chrétien de Troyes, Yvain, V. 6804–08)

Die als romant bezeichnete Erzählung wird hier mit dem Namen Chrétien verbunden,439 ohne dass sich das Verhältnis des Genannten zur Redeinstanz eindeutig bestimmen ließe. Ob der Sprecher sich selbst in der dritten Person Singular namentlich nennt, um dann sofort wiederum die Ich-Perspektive der Narration einzunehmen, oder ob er in Chrétien den Schöpfer des (Schrift?-)Texts440 bezeichnet, den er dem Publikum bis dahin im Erzählprozess vergegenwärtigt hatte, ist schwer zu entscheiden.441 Plausibler ist Ersteres, da der Verweis auf die mündlichen Quellen und die Wahrheit des Berichteten in dieser Zuordnung mehr Sinn ergibt. So gesehen wird die Stimme des Erzählens zu guter Letzt mit einer Signatur verknüpft, allerdings in einer Weise, die auf den Narrationsakt zielt, nicht auf das verspoetische Artefakt, das als Bezugsgröße textintern nirgendwo greifbar wird.442 Chrétien rückt damit in die Position des Erzählers im engeren Wortsinn, der – 439 Monika Unzeitig weist auf die Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale, fr. 794 hin, die ein graphisch abgesetztes Explicit aufweist, das zudem einen Schreibernamen vermerkt (vgl. Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010, S. 61). 440 Dies hängt davon ab, ob man dem Lexem romant im vorliegenden Kontext die Bedeutung eines schriftlich gefassten volkssprachigen Texts zuordnet oder allgemeiner einfach eine Erzählung in französischer Sprache darunter versteht (zum Bedeutungsspektrum von romanz/romant/romans im 12. Jahrhundert siehe Walther von Wartburg, Französisches Etymologisches Wörterbuch. Eine Darstellung des galloromanischen Sprachschatzes, Bd. 10, Basel 1960, S. 452–457). 441 Überlegungen dazu finden sich bei: Staines, »Chrétien de Troyes and His Narrator/s«, S. 433 u. 451; Sophie Marnette, Narrateur et points de vue dans la littérature française médiévale. Une approche linguistique, Bern 1998, S. 37; Ricarda Bauschke, »adaptation courtoise als Schreibweise. Rekonstruktion einer Bearbeitungstechnik am Beispiel von Hartmanns ›Iwein‹«, in: Elizabeth Andersen/Manfred Eikelmann/Anne Simon (Hg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/New York 2005, S. 65–84, hier S. 77/78. Siehe zu der sich hier spiegelnden Problematik zudem Klaus Ridder, »Fiktionalität und Medialität. Der höfische Roman zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«, in: Poetica 34 (2002), H.1–2, S. 29–40, der Überlegungen der Medialität programmatisch mit Fiktionalitätsdiskursen verknüpft. 442 Vgl. zu diesem Gedanken Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 211–213 u. 220– 229.

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ungeachtet der Tatsache, dass seine Dichtung kodikal fixiert ist – im mündlichen Sprechakt die Geschichte von Yvain den Zuhörern so berichtet, dass er zu Figuren und Rezipienten eine Relation der Unmittelbarkeit eingeht. Überspitzt formuliert könnte man in Bezug auf die Schlussverse des ›Yvain‹ also festhalten: Textintern erhält der Sprechakt des Erzählens einen metaleptischen Rahmen in der Art, dass mit Chrétien der Erzähler qua Sprecher, der während des Narrationsakts figurative Konturen gezeigt hat, zum Schluss namentlich bestimmt wird. Einen Autor im Sinne des Verfassers des verspoetischen Artefakts kennt der ›Yvain‹ bis zuletzt nicht. Insofern passt ins Gesamtbild, dass sich an keiner Stelle des Werks eine arbeitsteilige Unterscheidung von Kommunikations- und Verfasserinstanz beobachten lässt, wie sie etwa im ›Herzog Ernst B‹ greifbar wird. Den Dichter als jemanden, der einen Erzähltext als schriftliterarisches Produkt schafft, wie er als Typus in beiden soweit analysierten mittelhochdeutschen Werken textintern auftaucht, gibt es im ›Yvain‹ nicht, er wird weder im Prolog noch in den Schlussversen, aber auch nicht im Verlauf des Erzählens ins Feld geführt.

Hartmanns von Aue ›Iwein‹ Dass Hartmann von Aue die Chrétiensche Form der Konstituierung der Stimme des Erzählens in seiner eigenen Bearbeitung des Stoffs modifizierte, legt schon die oben zitierte Charakterisierung des Dichters in Gottfrieds Literaturexkurs nahe. Wie sich das Verhältnis von Dichterautorität und Erzählinstanz im ›Iwein‹ im Detail zeigt, ist wiederum allein textintern zu eruieren, da sich auch bei den Überlieferungsträgern des ›Iwein‹ kein anderes Bild der Textpräsentation zeigt als bei den soweit besprochenen Beispielen. Die ältesten erhaltenen Kodizes, die diesen Artusroman tradieren, stammen aus dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts und halten keine textexternen Informationen bereit. Die für die moderne Edition des ›Iwein‹ bedeutende Gießener Handschrift (Gießen, Universitätsbibl., Hs 97) etwa setzt unmittelbar mit dem Prolog ein, der graphisch nahtlos in die

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Erzählung im engeren Sinn mündet [Abb. 7].443 Paratextuelle Angaben, die über die reich verzierte Initiale und das luxuriöse – weil pergamentverschwendende – Layout hinausgehen, sucht man vergebens.444 Nicht von der Hand zu weisen ist der Umstand, dass die (zumindest im ersten Teil der Handschrift) mit großer Sorgfalt geschriebene frühgotische Minuskel selbst ungeübten Lesern die visuelle Rezeption des Texts leicht ermöglichte, was durchaus nahelegt, dass der Kodex nicht ausschließlich als Quelle für Vorleser konzipiert war.445 Aufgrund des Fehlens paratextuell gebotener Metadaten war (und ist) es jedoch auch im Fall einer persönlichen Lektüre nötig, in die Rezeption des Verstexts einzusteigen, um zu erkennen, worum es sich bei der präsentierten Dichtung überhaupt handelt. Zu Beginn des Prologs des ›Iwein‹ wird eine Narrationsinstanz inauguriert, die mit einer Exordialsentenz anhebt.446 Nach darauf folgenden kurzen 443 Vgl. Ulrich Seelbach, »Ein mannigfaltiger Schatz. Die mittelalterlichen Handschriften«, in: Irmgard Hort/Peter Reuter (Hg.), Aus mageren und aus ertragreichen Jahren. Streifzug durch die Universitätsbibliothek Gießen und ihre Bestände, Gießen 2007, S. 38–81, hier S. 56, 60–63; Karin Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache, I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, Text- und Tafelband, Wiesbaden 1987, Textband, S. 147–149. 444 Was weitere der frühen Überlieferungsträger des ›Iwein‹ angeht, hat sich der Anfang nicht erhalten. Dies gilt etwa für die wohl älteste Quelle des Werks, die Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 397, deren Seite 1r unleserlich geworden ist. Doch scheint auch dieses Manuskript im ursprünglichen Zustand keine Paratexte aufgewiesen zu haben (vgl. Karl Bartsch, »Die erste Seite der Iweinhandschrift A«, in: Germania 31 (1886), S. 122/123). Der um 1300 entstandene und in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrte Kodex mgf 1062, auch Riedegger Handschrift genannt, setzt überhaupt erst mit Vers 1331 des ›Iwein‹ ein. Vgl. zu diesem Manuskript auch Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache, Textband S. 226–228; Peter Jörg Becker, Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen. Eneide, Tristrant, Tristan, Erec, Iwein, Parzival, Willehalm, Jüngerer Titurel, Nibelungenlied und ihre Reproduktion und Rezeption im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1977, S. 57– 61. 445 Nigel Palmer erkennt in dieser Handschrift ein Exemplar, das für persönliche Lektüren gedacht war (vgl. Nigel F. Palmer, »Manuscripts for reading: The material evidence for the use of manuscripts containing Middle High German narrative verse«, in: Mark Chinca/Christopher Young (Hg.), Orality and Literacy in the Middle Ages. Essays on a Conjunction and its Consequences in Honour of D. H. Green, Turnhout 2005, S. 67–102, hier S. 100 [Nr. 87]). 446 Sinn und Bedeutung der Eingangsverse in Hartmanns ›Iwein‹ sind breit diskutiert worden, siehe etwa: Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2. Aufl., Darmstadt 1992, S. 122–128;

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Abb. 7: Universitätsbibliothek Gießen, Hs 97, fol. 1r

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Überlegungen zur Beispielhaftigkeit von König Artus, womit als Erstes der Stoffkreis angekündigt wird, in dem die Geschichte situiert ist, kommt die Erzählstimme auf den Verfasser der Ausführungen zu sprechen, mit den berühmten autoreflexiven Versen:447 Ein rîter, der gelêret was unde ez an den buochen las, swenner sîne stunde niht baz bewenden kunde, daz er ouch tihtennes pflac daz man gerne hoeren mac, dâ kêrt er sînen vlîz an: er was genant Hartman und was ein Ouwaere, der tihte diz maere. Ein Ritter, der über Schulbildung verfügte und in Büchern las, sogar dichtete, wenn er seine Zeit nicht besser einsetzen konnte, richtete auf das, was man mit Freude anhören kann, seinen Eifer. Er wurde Hartmann genannt und war von Aue; der hat diese Geschichte gedichtet. (Hartmann von Aue, Iwein, V. 21–30)448

Karina Kellermann, »Exemplum und historia. Zu poetologischen Traditionen in Hartmanns Iwein«, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 42/1 (1992), S. 1– 27; Hedda Ragotzky, »Saelde und êre und der sêle heil. Das Verhältnis von Autor und Publikum anhand der Prologe zu Hartmanns Iwein und zum Armen Heinrich«, in: Gerhard Hahn/Hedda Ragotzky (Hg.), Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart 1992, S. 33– 54; Wiebke Freytag, »rehte güete als wahrscheinlich gewisse lêre: Topische Argumente für eine Schulmaxime in Hartmanns Iwein«, in: Martin H. Jones/Roy Albert Wisbey (Hg.), Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an International Symposium, Cambridge 1993, S. 165–217; Klaus Ridder, »Fiktionalität und Autorität. Zum Artusroman des 12. Jahrhunderts«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 75 (2001), S. 539–560, hier S. 556–560; Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 164/165. 447 Ähnlich im Wortlaut, jedoch inhaltlich als Eröffnung der Legende konzipiert sind die Auftaktverse des ›Armen Heinrich‹ (vgl. V. 1–15, nach der Ausgabe: Hartmann von Aue: Der arme Heinrich, hg. von Hermann Paul, 16., neu bearb. Aufl. von Kurt Gärtner, Tübingen 1996). Für eine vergleichende Analyse siehe etwa Ragotzky, »Saelde und êre«, S. 47–50. 448 Mittelhochdeutscher Text hier und im Folgenden nach der Ausgabe Hartmann von Aue, Iwein, Text der siebenten Ausgabe von G[eorg] F[riedrich] Benecke, K[arl]

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Die Narrationsinstanz, die wenig später explizit mit dem Personalpronomen der ersten Person Singular verbunden wird, stellt den Dichter der anhebenden Erzählung namentlich vor, ohne sich jedoch selbst mit diesem zu identifizieren:449 Er, Hartmann, sei der Verfasser der Geschichte, dies verkündet die Erzählstimme, er habe das Werk gedichtet, damit es in der Vortragssituation beim Zuhören Freude bereite: daz man gerne hoeren mac.450 Wie im ›Herzog Ernst B‹ und in Veldekes Eneasroman ist es das Verb tihten, das – hier gleich zweimal innerhalb weniger Verse – die literarische Verfassertätigkeit anzeigt.451 Wie dort geht diese Verfassertätigkeit mit Schriftgelehrsamkeit Hand in Hand. Anders als im Eneasroman nennt der Sprecher den Verfasser im ›Iwein‹ zum Auftakt der Dichtung (zumindest in denjenigen Handschriften, die den Prolog mittradieren), und zwar in einer Weise, wie dies beispielsweise auch im Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht Lachmann und L[udwig] Wolff, Übersetzung und Anmerkungen von Thomas Cramer, 4., überarb. Aufl., Berlin 2001. 449 Vgl. zu diesem Gedanken auch Paul Herbert Arndt, Der Erzähler bei Hartmann von Aue. Formen und Funktionen seines Hervortretens und seine Äußerungen, Göppingen 1980, S. 159; Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994, S. 187–189; Timo Reuvekamp-Felber, »Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählerstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), S. 1–23, hier S. 6; Monika Unzeitig, »Von der Schwierigkeit, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden. Eine historisch vergleichende Analyse zu Chrétien und Hartmann«, in: Wolfgang Haubrichs/Eckart Conrad Lutz/Klaus Ridder (Hg.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004 (Wolfram-Studien 18), S. 59–81, hier S. 64; Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009, S. 52; Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 229–236; Matthias Däumer, Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane, Bielefeld 2013, S. 43. 450 Mit diesem Vers wird ausdrücklich auf eine oral-auditive Rezeption rekurriert. Im 13. Jahrhundert finden sich in narrativen Texten zunehmend auch Verweise der Erzählinstanz auf eine lesende Rezeptionsweise (vgl. dazu Manfred Günter Scholz, Hören und Lesen. Studien zur primären Rezeption der Literatur im 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1980; Michael Curschmann, »Hören – Lesen – Sehen. Buch und Schriftlichkeit im Selbstverständnis der volkssprachlichen literarischen Kultur Deutschlands um 1200«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 106 (1984), S. 218–257; Green, Medieval listening and reading). 451 Vgl. Unzeitig, »Von der Schwierigkeit, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden«, S. 74; Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 234.

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zu beobachten ist:452 Kommunikations- und Verfasserinstanz sind aussagelogisch klar differenziert. Ein Sprecher kündigt dem Publikum den Stoff der Dichtung an und liefert Informationen zum Autor, bietet damit zu Beginn der Dichtung substantielle Metadaten zum Text. Durchaus bemerkenswert ist, dass mit keiner Silbe auf die französische Quelle eingegangen oder gar der Name Chrétiens erwähnt wird,453 Hartmann als Verfasser von der Sprechinstanz die alleinige dichterische Autorität zugesprochen erhält. Die Technik der Sphragis wird im ›Iwein‹ also gleich im Prolog genutzt, um den Erzähltext mit seinem Verfasser zu verknüpfen. Man könnte die hier eröffnete Kommunikationssituation als rhetorischen Kunstgriff des Dichters bezeichnen, der auf der Gestaltungsebene die Rolle des Sprechers so anlegt, dass dieser dem Publikum den Autor des verspoetischen Artefakts kundtut – was gerade in der tatsächlichen Vortragssituation seine besondere Relevanz erhält. Im Grunde genommen wird der Sprechakt der Narration initial über den Trick einer metaleptischen Positionierung des Dichters gerahmt, wodurch die paratextuell fehlende Autorkennzeichnung kompensiert wird. Ganz ähnlich wie in der französischen Vorlage inszeniert sich der Sprecher im weiteren Verlauf des Prologs als Vermittler der Narration in gemeinschaftsstiftender Art und Weise, indem er mit Bezug auf die vergangene Welt des Artushofs festhält: mich jâmert waerlîchen, und hulfez iht, ich woldez clagen, daz nû bî unseren tagen 452 So lauten die Auftaktverse im sogenannten ›Vorauer Alexander‹: Diz lît, daz wir hî wurchen, / daz sult ir rehte merchen. / sîn gevûge ist vil reht. / iz tihte der phaffe Lambret. – ›Der Dichtung, die wir hier verfertigen, sollt ihr eure Aufmerksamkeit widmen. Sie ist ganz richtig zusammengestellt. Verfasst hat sie der Kleriker Lambrecht.‹ (mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe: Pfaffe Lambrecht, Alexanderroman, mhd./nhd., hg., übers. u. komm. v. Elisabeth Lienert, Stuttgart 2007). Siehe dazu Unzeitig, »Von der Schwierigkeit, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden«, S. 75; Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 235; Seraina Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung. Bearbeitungen des Alexanderstoffs als Modellfall differenter Verfasserkonzeptionen«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 134/3 (2012), S. 344–364, hier S. 353–356. 453 Das unspezifische an den buochen las wird in der Forschungsliteratur mitunter als Quellenberufung interpretiert, vgl. etwa Gertrud Grünkorn, Die Fiktionalität des höfischen Romans um 1200, Berlin 1994, S. 94.

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selch freude niemer werden mac der man ze der zîten plac. doch müezen wir ouch nû genesen. ichn wolde dô niht sîn gewesen, daz ich nû niht enwaere, dâ uns noch mit ir maere sô rehte wol wesen sol: dâ tâten in diu werc vil wol. Mich bekümmert wahrhaftig sehr, und, wenn es etwas nützte, wollte ich es laut beklagen, dass sich jetzt in unseren Tagen eine solche Festesfreude nicht mehr ereignen kann, wie man sie damals pflegte. Aber wir müssen nun eben heute zurechtkommen. Ich hätte damals nicht leben wollen, weil ich dann heute nicht hier wäre, da uns mit der Erzählung von ihnen wahres Vergnügen bereitet wird, damals freuten sie sich an den Taten selbst. (Hartmann von Aue, Iwein, V. 48–58)

Der Sprecher nimmt hier selbst die Perspektive der Rezeption ein und rechnet sich all denen zu, die die Geschichten von König Artus zu vernehmen in der Lage sind und dadurch Vergnügen finden.454 Allerdings wird in den Reflexionen der Erzählstimme über die eigene Gegenwart auch deutlich, dass die Instanz der Narration – wie in Chrétiens ›Yvain‹ – offensichtlich nicht allein mit der Sprecherposition als medialer Transmitterfunktion gleichzusetzen ist, sondern sie durchaus figurale Züge trägt. Auf die Frage ›Wer spricht?‹ lässt sich mit Blick auf den Iwein-Prolog antworten: jemand, der eigene Gefühle und Einstellungen äußert;455 ein Subjekt, das nicht allein auf die Funktion beschränkt bleibt, Agent des Sprechakts zu sein, sondern Merkmale einer konkreten Person zeigt.456 454 Diese Passage ist aufgrund ihres programmatischen Charakters beliebter Gegenstand der Forschung, siehe etwa: Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 119– 133; Bernd Schirok, »›Ein rîter, der gelêret was‹. Literaturtheoretische Aspekte in den Artus-Romanen Hartmanns von Aue«, in: Anna Keck/Theodor Nolte (Hg.), ›Ze hove und an der strâzen‹. Die deutsche Literatur des Mittelalters und ihr ›Sitz im Leben‹. Festschrift für Volker Schupp zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1999, S. 184–211, hier S. 191–194; Ulrich Hoffmann, Arbeit am Mythos. Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue, Berlin 2012, S. 333/334. 455 Zur emotionalen Beteiligung der Erzählinstanz bei Hartmann siehe Arndt, Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 132–139. 456 So gilt für die im Pronomen der ersten Person Singular manifest werdende Sprechinstanz, was Käte Friedemann dem Erzähler grundsätzlich zuschreibt, dass er »nicht

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Auch im ›Iwein‹ manifestiert sich im Weiteren eine besondere Akzentuierung des Erzählens als Prozess, indem sich die Redeinstanz mit einiger Regelmäßigkeit an die nicht näher bestimmte Zuhörerschaft wendet und den Akt der oralen Narration pointiert, mit phatischen Wendungen wie: ich wil iu von dem hûse sagen (›ich will euch von der Burg berichten‹, V. 1135).457 Dabei fungiert sie mitunter selbst als Garantin für die Richtigkeit des Erzählten: daz ich daz wol sagen mac (›dass ich dies versichern kann‹, V. 5034).458 Passend zur Tatsache, dass weder im Prolog noch an einer anderen Stelle auf die französische Vorlage verwiesen wird,459 finden sich im ›Iwein‹ kaum explizite Quellenberufungen. Vereinzelt rekurriert der Sprecher auf mündliches Hören-Sagen, ohne jedoch einen konkreten Gewährsmann zu nennen: als ich vernomen habe (›wie ich gehört habe‹, V. 1113); man saget (›man sagt‹, V. 3052, 4861); ist mir gesaget (›wie mir berichtet wurde‹, V. 6456).460 Mit derartigen Formulierungen vergleichbar ist auch die Quellenberufung in den Abschlussversen der Dichtung, wo mit Blick auf die Protagonisten der Geschichte von der Sprecherposition aus festgehalten wird: ichn weiz ab waz ode wie in sît geschaehe beiden. ezn wart mir niht bescheiden von dem ich die rede habe: durch daz enkan ouch ich dar abe

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einen Automaten, sondern einen lebendigen Menschen« verkörpert, folgerichtig auch als »der Bewertende, der Fühlende, der Schauende« bezeichnet werden kann (Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910, S. 40 [Hervorhebungen im Original]). Weitere Beispiele sind: als ich iu sage (›wie ich euch erzählen will‹, V. 1107); ouch sag ich iu ein maere (›doch sage ich euch eins‹, V. 2565); unde ich sage iu war an (›und ich sage euch womit‹, V. 2716); durch nôt bescheid ich iu wâ von (›es ist nötig, dass ich euch sage, weshalb‹, V. 3031); als ich iu ê hân verjehen (›wie ich euch schon gesagt habe‹, V. 3928); als ich iu hân gesaget (›wie ich euch gesagt habe‹, V. 5700); ich sage iu waz sî tâten (›ich sage euch, was sie taten‹, V. 7125); als ir ê habent vernomen (›wie ihr vorhin gehört habt‹, V. 7728). Ähnlich: ich versihe mich wol zewâre (›ich bin mir sicher‹, V. 6522); ouch sî iu daz vür wâr geseit (›auch sei euch dies wahrheitsgemäß gesagt‹, V. 6997). Vgl. Stefanie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman, Tübingen 2005, S. 33/34. Siehe dazu auch Arndt, Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 44–57.

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iu niht gesagen mêre, wan got gebe uns saelde und êre. Ich weiß jedoch nicht, was oder wie den beiden seither geschah. Der, von dem ich diese Erzählung habe, hat es mir nicht berichtet. Deswegen kann ich euch darüber nichts weiter sagen als: Gott schenke uns Gnade und Ansehen in der Welt. (Hartmann von Aue, Iwein, V. 8160–66)

Die Redeinstanz, die zum Ende der Dichtung nochmals den direkten Kontakt zur Zuhörerschaft sucht, bezieht sich auf einen nicht näher bestimmten Gewährsmann als Quelle ihres Erzählens, wobei allein auf den Narrationsakt rekurriert wird, während die im Prolog thematisierten Aspekte der Verfertigung des verspoetischen Artefakts durch einen schriftgelehrten Dichter nicht mehr in den Blick kommen: Der Sprecher inszeniert sich hier als jemand, der mündlich Berichtetes weitergibt. Tatsächlich ist im ›Iwein‹ die im Prolog installierte klare Unterscheidung einer Sprecherposition einerseits, die als Narrationsinstanz wiederholt den unmittelbaren Bezug zum Publikum sucht und für den Akt des Erzählens als solchen zuständig ist, und andererseits der namentlich genannten Verfasserpersönlichkeit, die für das Werk als verspoetisches Produkt verantwortlich zeichnet, im Verlauf des Werks gerade nicht aufrecht erhalten. So finden sich mehrfach Passagen, wo die Redeinstanz als ein gestaltendes Subjekt auftritt, das über das Erzählen als kreativen Akt nachdenkt und sich zum Schöpfer des Wortlauts, wie er gewählt ist, stilisiert. Symptomatisch etwa sind die Ausführungen im Zusammenhang mit dem tödlichen Zweikampf zwischen Iwein und dem Brunnenritter, in denen der Sprecher über die Mechanismen literarischer Berichterstattung reflektiert und deren Möglichkeiten und Grenzen thematisiert: Ich machte des strîtes harte vil mit worten, wan daz ich enwil als ich iu bescheide. sî wâren dâ beide, unde ouch nieman bî in mê der mir der rede gestê. spraeche ich, sît ez nieman sach, wie dirre sluoc, wie jener stach: ir einer wart dâ erslagen: dern mohte nicht dâ von gesagen:

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der aber den sige dâ gewan, der was ein sô hövesch man, er hete ungerne geseit sô vil von sîner manheit dâ von ich wol gemâzen mege die mâze ir stiche und ir slege. wan ein dinc ich iu wol sage, daz ir deweder was ein zage, wan da ergienc wehselslege gnuoc, unz daz der gast dem wirte sluoc durch den helm einen slag zetal unz dâ daz leben lac. Ich könnte jetzt den Kampf mit sehr vielen Worten präsentieren, aber das will ich nicht, wie ich euch erkläre: Sie beide waren da, aber sonst war niemand mehr bei ihnen, der mir die Erzählung garantieren würde. Wie könnte ich berichten – da es doch niemand sonst sah –, wie dieser schlug, wie jener zustach. Der eine von ihnen kam dort um, der konnte nicht mehr davon erzählen; derjenige aber, der damals gewann, war ein Mann von derart höfischem Benehmen, dass er ungern soviel von seiner Tapferkeit erzählt hätte, dass ich dadurch das Ausmaß ihrer Stiche und Schläge ermessen könnte. Aber eine Sache kann ich euch sehr wohl erzählen: dass keiner von beiden ein Feigling war, denn der wechselweisen Schläge erfolgten genug, bis der Fremde dem Burgherrn einen Schlag durch den Helm versetzte hinunter bis zum Ort, wo das Leben saß. (Hartmann von Aue, Iwein, V. 1029–50)

Just an dem Punkt, an welchem die Handlung kurz vor ihrem ersten Höhepunkt steht, schaltet sich die Erzählinstanz ein, unterbricht den Spannungsbogen und problematisiert die Darstellungsmittel des Erzählens – mit der Folge, dass die alles Weitere entscheidende Kampfszene nicht mimetisch beschrieben, sondern über Verfremdungstechniken, die das Erzählen als solches ausstellen, erfasst wird.461 Indem der Sprecher Fragen der Zeugenschaft und der parteilichen Perspektivierung diskutiert, überspielt er 461 Zu dieser Szene, die öfters im Zusammenhang mit Fragen der Fiktionalität gelesen wird, etwa auch Ridder, »Fiktionalität und Medialität«, S. 38; Timo ReuvekampFelber, Volkssprache zwischen Stift und Hof: Hofgeistliche in Literatur und Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts, Köln 2003, S. 130; Däumer, Stimme im Raum, S. 425–427; Susanne Koch, Wilde und verweigerte Bilder. Untersuchungen zur literarischen Medialität der Figur um 1200, Göttingen 2014, S. 159.

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gekonnt die Tatsache, dass jede Form von Mimesis ihrem Gegenstand gegenüber immer schon defizitär ist, was bei einer spannungsgeladenen Zweikampfszene natürlich besonders ins Gewicht fiele. Durch die explizite Einmischung der Erzählinstanz und die damit verbundene Auflösung der erzählerischen Immersion wird zwar die Rezipientenerwartung enttäuscht, zugleich jedoch die Herausforderung der Enargeia, also die Verlebendigung der Handlung mittels erzählender Beschreibung, umgangen und damit den Unzulänglichkeiten narrativer Mimesis ein Schnippchen geschlagen. Da das literarische Ausmalen eines ritterlichen Kampfs das tatsächliche Kampfgeschehen nie angemessen einzuholen vermag, verzichtet der Sprecher an dieser Stelle erzählstrategisch geschickt ganz auf die entsprechende Schilderung, versichert jedoch gleichzeitig das herausragende Verhalten der Protagonisten glaubwürdig. Durch diese Kombination von Aussparung und Emphase sind die direkt apostrophierten Adressaten – und demzufolge auch die jeweiligen realen Zuhörer in der Vortragssituation – gehalten, sich das Hauen und Stechen der Helden in ihrer Fantasie aktiv und in beliebiger Gestalt auszumalen.462 In der Art und Weise, wie die Redeinstanz hier über Perspektivierungstechniken und Fragen der Wahrheit reflektiert, maßt sie sich autorhafte Kompetenzen an. Indem sie über das Verhältnis von Mimesis und Diegesis nachdenkt, stellt sie einerseits die rhetorische Produktionsgewalt des Vortragsdiskurses deutlich aus, stilisiert sich aber andererseits auch zur künstlerischen Leiterin des Erzählens: Sie ist diejenige, die strategische Entscheidungen darüber fällt, was wie erzählt wird. Insofern ist symptomatisch, dass die Möglichkeit der Quellenberufung gerade aktiv verworfen wird. Das Personalpronomen der ersten Person Singular steht hier für denjenigen, der die Gestaltungsmacht hat – im Sinne des Urhebers der Erzählung, der bewusst auswählt, weglässt, präzisiert etc. Der Sprecher wird – um es mit Franz K. Stanzel auszudrücken – zur »Maske und Erscheinungsgestalt«463 des Autors, auch wenn es an dieser Stelle keinen expliziten 462 Man könnte hier von einer ›produktiven Leerstelle‹ sprechen, wie sie Wolfgang Iser im Zusammenhang seiner rezeptionsästhetischen Überlegungen charakterisiert hat (siehe grundsätzlich Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, Konstanz 1970). 463 Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955, S. 55.

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Hinweis auf den Schöpfer des verspoetischen Artefakts gibt. Wird der Text mündlich vorgetragen, spricht der Rezitator stellvertretend für den Dichter, ja schlüpft in dessen Rolle. Noch virulenter wird der Sachverhalt im Rahmen zweier weiterer Partien, in denen der im Prolog genannte Verfassername explizit ins Spiel gebracht wird. Die erste firmiert in der mediävistischen Forschung unter dem Stichwort des Herzenstausch-Exkurses.464 Im Kontext des ersten Abschieds von Iwein und Laudine lässt sich die Erzählinstanz von Frau Minne direkt mit dem Namen Hartmann ansprechen und in einen Dialog verwickeln: Dô vrâgte mich vrou Minne des ich von mînem sinne niht geantwurten kan. sî sprach ›sage an, Hartman, gihstû daz der künec Artûs hern Îweinen vuort ze hûs und liez sîn wîp wider varn?‹ Da fragte mich Frau Minne etwas, was ich mit meinem Verstand nicht beantworten kann. Sie sprach: ›Sage, Hartmann, behauptest du, dass der König Artus Herrn Iwein mit an den Hof nahm und dessen Frau zurückreiten ließ?‹ (Hartmann von Aue, Iwein, V. 2971–77)

Im Verlauf des sich aus dieser ersten Frage erhebenden Disputs wirft die allegorische Figur dem hier ausdrücklich mit Hartmann identifizierten 464 Siehe zu diesem Exkurs etwa die Interpretationen von: Nicola Kaminski, »Männerliebe contra weibliche Autorschaft? Geteilte Spiele im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue«, in: Oxford German studies 30 (2001), S. 26–51, hier S. 42–51; Sandra Linden, »Körperkonzepte jenseits der Rationalität. Die Herzenstauschmetaphorik im Iwein Hartmanns von Aue«, in: Friedrich Wolfzettel (Hg.), Körperkonzepte im arthurischen Roman, Tübingen 2007, S. 247–267; Corinna Laude, »›Hartmann‹ im Gespräch – oder: Störfall ›Stimme‹. Narratologische Fragen an die Erzählinstanz des mittelalterlichen Artusromans (nebst einigen Überlegungen zur Allegorie im Mittelalter)«, in: Julia Abel/Andreas Blödorn/Michael Scheffel (Hg.), Ambivalenz und Kohärenz. Untersuchungen zur narrativen Sinnbildung, Trier 2009, S. 71–91; Markus Greulich, »Imitatio Arthuri und mære(n) sagen. Zum Verhältnis von Prolog, histoire und discours in Hartmanns ›Iwein‹«, in: Monika Costard/Jakob Klingner/Carmen Stange (Hg.), Mertens lesen. Exemplarische Lektüren für Volker Mertens zum 75. Geburtstag, Göttingen 2012, S. 107–125; Katharina Philipowski, Die Gestalt des Unsichtbaren. Narrative Konzeptionen des Inneren in der höfischen Erzählliteratur, Berlin/Boston 2013, S. 140–144.

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Sprecher vor, er würde nicht die Wahrheit erzählen, so dass sich dieser genötigt sieht, seine Argumentation zu präzisieren. Es entwickelt sich ein Gespräch, in dem die beiden über die verschiedenen Bereiche und Bedeutungen des Herzens diskutieren, wobei Hartmann das Herz als lebenspendendes Organ und Sitz des heldischen Muts versteht, während Frau Minne die Liebe als Angelegenheit des Herzens betrachtet und deswegen die Meinung vertritt, die Protagonisten hätten die Herzen getauscht. Da Hartmann dies wiederum in Frage stellt, wirft sie ihm mangelnde Kenntnis in Liebesdingen vor und besteht darauf, dass man sehr wohl aus Liebe sein Herz verlieren und trotzdem bei Kräften bleiben könne (vgl. V. 2978–3028). Indem sich die Erzählinstanz hier mit dem im Prolog genannten Verfassernamen anreden lässt und mit Frau Minne über die richtige Art und Weise, die Geschichte zu erzählen, diskutiert, kommt es insofern zu einer Transgression, als die im Prolog klar vom Verfasser geschiedene Kommunikationsinstanz ausdrücklich mit der Autorperson identifiziert wird.465 Hartmann macht sich an dieser Stelle namentlich selbst zum Erzähler und zeigt sich damit als ein Verfasser, der auch in der Kommunikationssituation zum Publikum hin die Regie über seine Geschichte nicht aus der Hand geben will. So handelt es sich bei der Sprechinstanz hier um den AutorErzähler, der im kreativen Akt der Verfertigung der Erzählung als manifeste Figur auftritt. Ganz analog zeigt sich die Situation im sogenannten MinneHass-Exkurs (vgl. V. 7015–7074), der zweiten Stelle, an der sich der Sprecher mit dem Autornamen apostrophieren lässt. Zur Individuierung der Erzählinstanz, wie sie aus der Identifizierung mit dem Verfasser resultiert, passt, dass über das vom Prolog her mit der Sprecherposition verbundene Pronomen der ersten Person Singular im Verlauf der Erzählung immer wieder Wertungen, Gefühlsbekundungen, Randbemerkungen zum Geschehen oder persönliche Einschätzungen abgegeben werden, der Sprecher also die im Prolog schon angedeuteten Züge eines konkreten Subjekts, das als auktorialer Erzähler agiert,466 wiederholt sichtbar werden lässt.467

465 Siehe dazu insbesondere auch Unzeitig, »Von der Schwierigkeit, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden«, S. 76–78; Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 236– 242. 466 Vgl. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, S. 23. 467 Vgl. zu diesem Gedanken auch Uwe Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen

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Bei diesen Kommentaren und Verlautbarungen des Sprechers handelt es sich mitunter nur um kurze Einwürfe, streckenweise jedoch um längere, die Verhaltensweisen der Protagonisten bewertende Stellungnahmen, wie beispielsweise im Zusammenhang jenes Gesprächs, bei dem die Zofe Lunete ihrer Herrin Laudine plausibel macht, zum Schutz der Herrschaft Iwein zu heiraten, nachdem dieser ihren Gatten, den Brunnenritter, getötet hatte: Swie sî ir wârheit ze rehte hete underseit und sî sich des wol verstuont, doch tete sî sam diu wîp tuont: sî widerredent durch ir muot daz sî doch ofte dunket guot. daz sî sô dicke brechent diu dinc diu sî versprechent, dâ schiltet sî vil maneger mite: sô dunketz mich ein guot site. er missetuot, der daz seit, ez mache ir unstaetekheit: ich weiz baz wâ vonz geschiht daz man sî alsô dicke siht in wankelm gemüete: ez kumt von ir güete. man mac sus übel gemüete wol bekêren ze güete unde niht von guote bringen ze übelem muote. diu wandelunge diu ist guot: ir deheiniu ouch anders niht entuot. swer in danne unstaete giht, des volgaere enbin ich niht: ich wil niuwan guotes jehen. allez guot müez in geschehen. Obgleich sie ihr die tatsächliche Lage klar dargelegt hatte und die Herrin es auch einsah, verhielt sich diese doch so, wie es die Frauen tun. Wegen ihrer (weiblichen) Denkweise widersprechen sie dem, was ihnen doch oft gut erscheint. Dass sie so Epos. Formen seines Hervortretens bei Lamprecht, Konrad, Hartmann, in Wolframs Willehalm und in den ›Spielmannsepen‹, Berlin 1971, S. 14.

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häufig brechen, was sie versprechen, dafür tadelt sie so mancher. Mir scheint im Gegenteil, es sei gut. Derjenige tut Unrecht, der sagt, das liege an ihrer Wankelmütigkeit. Ich weiß besser, woher es kommt, dass man sie so oft unbeständig sieht: Es kommt von ihrer Gutmütigkeit. Man kann ein falsches Ansinnen wohl zum Guten wenden, hingegen nicht die gute Gesinnung zur schlechten hin. Eine solche Sinnesänderung ist aber nichts Schlechtes, und keine wird anders handeln: Wer sie dann der Wankelmütigkeit bezichtigt, dem will ich nicht zustimmen. Ich will nichts als Gutes von ihnen sagen und wünsche ihnen nur das Beste. (Hartmann von Aue, Iwein, V. 1863–88)

In diesem ausführlichen Kommentar zum Verhalten Laudines diskutiert der Sprecher gesellschaftliche Werturteile,468 positioniert sich mit einer eigenen Meinung und rekurriert zugleich auf sein Erzählen. Das Pronomen der ersten Person Singular markiert hier mehr als nur die grammatikalische Position des sujet de l’énonciation, vielmehr steht es für einen figurierten Sprecher. Über die geäußerten Einschätzungen erhält die Stimme des Erzählens klare Konturen und lässt sich als Person fassen, die spezifische Ansichten zur Schau stellt. Auf die für diese Untersuchung gleichsam als basso continuo fungierende Frage ›Wer spricht?‹ kann mit Blick auf diese Passage denn geantwortet werden: der Autor, der sich Hartmann von Aue nennt, streckenweise mit der Kommunikationsinstanz zur Deckung kommt und mit den Figuren gleichsam mitlebt, sie bewertet, ihre Handlungen beurteilt und dabei auch einiges über sich selbst und seine Einstellungen preisgibt. In welchem Verhältnis diese Einstellungen des explizit genannten Autors allerdings zu denjenigen des empirischen Autors stehen,469 lässt sich – wie in Bezug auf die meisten mittelalterlichen Dichter – nicht klären, da keinerlei Dokumentationen oder Hinweise bezüglich der Ansichten, Haltungen und Weltanschauungen des realen Autors erhalten sind.470 Indem die auktoriale Dimension der Erzählinstanz über thematisch vielseitige Kommentare und stiltheoretische Reflexionen prominent ent-

468 Vgl. etwa Arndt, Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 121/122; Frey, Spielräume des Erzählens, S. 121–124. 469 Zu diesem Gedanken auch Unzeitig, »Von der Schwierigkeit, zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden«, S. 60. 470 Zum Verhältnis von explizitem und realem (empirischem) Autor siehe Genette, Die Erzählung, S. 280.

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faltet wird, ist sie anders konturiert als diejenige in Chrétiens ›Yvain‹.471 Nicht im Widerspruch dazu steht, dass die deutsche Bearbeitung bezüglich des Gebrauchs bestimmter Fokalisierungseffekte nah an ihrer Vorlage bleibt bzw. diese sogar noch verstärkt:472 Was den Einsatz von Raum-, Zeitund Informationsfiltern angeht, wird auch im ›Iwein‹ meist nicht mehr erzählt, als dem Kenntnisstand des Protagonisten entspricht.473 Insbesondere spielen Vorgriffe und Vorausdeutungen nur eine untergeordnete Rolle,474 und auch die digressiv-kommentierenden Einlassungen der Erzählinstanz – etwa hinsichtlich des wankelmütigen Wesens von Frauen oder der Besonderheiten der Liebe – zeichnen sich gerade nicht dadurch aus, dass sie olympisches Überblickswissen hinsichtlich des Handlungsgeschehens zum Ausdruck bringen.475 Signifikant ist in diesem Zusammenhang, dass in Hartmanns Bearbeitung die Verteilung von ›Erzähler-‹ und Figurenrede in den groben Zügen zwar ähnlich gestaltet ist wie in Chrétiens ›Yvain‹, sich im Detail jedoch dahingehend unterscheidet, dass »der Anteil der Figuren an der Textvermittlung«476 bei Chrétien größer ist.477 Beide Versionen wiederum zeichnen 471 Siehe dazu Frey, Spielräume des Erzählens, S. 118/119. 472 Dazu Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 200: »Im ›Iwein‹ wird fokalisiert erzählt, ohne dass dabei die nichtnarrativen Funktionen der Stimme abgestellt würden.« 473 Siehe dazu die minutiöse Detailanalyse von Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 122–201; in Kurzfassung: Gert Hübner, »Fokalisierung im höfischen Roman«, in: Wolfgang Haubrichs/Eckart Conrad Lutz/Klaus Ridder (Hg.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004 (Wolfram-Studien 18), S. 127–150, hier S. 139–149. 474 Siehe zu den wenigen Beispielen (bei Chrétien wie auch bei Hartmann im Vergleich) Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 130/131. 475 In diesen Zusammenhang gehört auch folgende Beobachtung von Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 169: »Zu den Eigenarten der Erzähltechik im ›Iwein‹ gehört es, dass der Erzähler viele Vorgänge bewertet, die für die zentralen Aspekte der Handlung scheinbar nebensächlich sind, jedoch oft via Analogie mit ihnen in Zusammenhang gebracht werden können. Ebenso gehört es zu den Eigenheiten der Erzähltechnik, dass der Erzähler zentrale Vorgänge nicht explizit bewertet.« 476 Frey, Spielräume des Erzählens, S. 232. Frey (ebd., S. 235) hält entsprechend fest: »Chrétien erzählt den Text teilweise vollständig über die Figuren und streut unabhängig davon auktoriale Digressionen ein. Hartmann hingegen benötigt den Erzähler zur Textvermittlung, obwohl er die Tendenz der narrativ aufgewerteten Figuren in einigen Teilen übernommen hat.«

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sich dadurch aus, dass die Erzählinstanz als Mittlerin passagenweise ganz verschwindet und längere Einheiten ausschließlich über Figurendialoge modelliert werden. Man könnte mit Percy Lubbock von einem szenischdramatischen Modus sprechen,478 der über weite Strecken zum Tragen kommt. Insofern ist das Erzählen in Hartmanns ›Iwein‹ geprägt durch markante Wechsel zwischen ›telling‹ und ›showing‹, indem sich die Kommunikationsinstanz bisweilen stark in den Vordergrund spielt, mitunter komplett zurücknimmt und ihre Stimme vollends an die Figuren abgibt. Letzteres gilt ebenso für die ausführliche ›Erzählung in der Erzählung‹, über die auch in der deutschen Bearbeitung die Darstellung der ersten Handlungssequenz, Kalogrenants Brunnen-aventiure, erfolgt. Auch wenn sich Hartmann vergleichsweise eng an seine Vorlage hält, zeigen sich konzeptionelle Unterschiede gerade bei der Gewichtung der rezeptionsprogrammatischen Überlegungen zum Auftakt von Kalogrenants Rede. Während sich im ›Yvain‹ die Überblendung von extra- und intradiegetischer Redeinstanz aus der nahezu nahtlosen Überführung des Erzählauftakts in den Appell des Artusritters an seine – und damit auch die textexterne – Zuhörerschaft ergibt und sich der Mahnruf an die Rezipienten, nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen aufmerksam zu sein, über 25 Verse erstreckt, ist die betreffende Passage trotz teilweise ähnlicher Formulierungen im ›Iwein‹ anders konturiert. Sie erhält dadurch weniger Gewicht, dass die konkrete eindringliche Aufforderung, zuzuhören, nurmehr die Hälfte des Umfangs aufweist (vgl. V. 244–258). Zudem ist der vorausgehende Dialog zwischen den involvierten Mitgliedern des Artushofs

477 Vgl. die detaillierte Analyse der Unterschiede zwischen Chrétiens und Hartmanns Version von Frey, Spielräume des Erzählens, S. 37–75, der argumentativ ausleuchtet, wie stark in den Bearbeitungen des Iwein-Stoffs die Figuren an der Erzählarbeit beteiligt sind. Des Weiteren Peter Wiehl, Die Redeszene als episches Strukturelement in den Erec- und Iwein-Dichtungen Hartmanns von Aue und Chrestiens de Troyes, Bochum 1974, S. 204–98; Haiko Wandhoff, »Imaginäre Kopfreisen in die Wunderwelt der âventiure, oder: Wenn das Sehen zur Allegorie des Lesens wird. Neue Überlegungen zu Hartmanns Erec und Iwein«, in: Ricarda Bauschke/Sebastian Coxon/ Martin H. Jones (Hg.), Sehen und Sichtbarkeit in der Literatur des deutschen Mittelalters. XXI. Anglo-German Colloquium London 2009, Berlin 2011, S. 141–159, hier S. 149. 478 Vgl. Percy Lubbock, The Craft of Fiction, London 1921, S. 162.

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Die Stimme des Erzählens im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue

wesentlich ausführlicher dargestellt,479 so dass die Möglichkeit, den Appell Kalogrenants quasi als Fortsetzung des Prologs zu lesen, kaum gegeben ist. Zwar lassen sich die Überlegungen des Artusritters auch als Reflexion über die Bedingungen mündlicher Narration verstehen, doch verlieren sie aufgrund der skizzierten Änderungen den Überblendungseffekt, der textinternes und textexternes Publikum verschmelzen lässt. In der Konsequenz unterstreicht dies die im Vergleich zum ›Yvain‹ stärkere Differenzierung der unterschiedlichen Instanzen – Verfasser, Kommunikationsinstanz, figuraler Sprecher zweiter Ordnung –, wie sie den Auftakt der deutschen Bearbeitung kennzeichnet. Auf der Basis der ausgeführten Analysen können folgende Schlüsse gezogen werden: Die im ›Iwein‹ eingangs von der Sprecherposition klar differenzierte Verfasserinstanz verschmilzt im Lauf der Erzählung in markanter Weise mit der manifesten Erzählerrolle. Insbesondere da, wo sich Hartmann als formstarker Dichter inszeniert und stiltheoretische Fragen des Erzählens mit zum Thema seiner Geschichte macht, stellt er sich als Autor-Erzähler aus. Zwar gibt es auch im ›Iwein‹ eine Forcierung der phatischen Dimension der Erzählinstanz, wird öfters die klare Deixis der Ich-Ihr-Beziehung verwendet, die die konkrete oral-auditive Kommunikationssituation explizit macht. Doch fungiert diese Sprecherposition nicht als konturloser Agent des Erzählens, der als gemeinschaftsbildender Resonanzkörper die Buchmedialität ergänzt, sondern sie wird ausgefüllt durch ein individuelles Subjekt, das sich teils explizit dem Publikum zuwendet und auf den Akt des Erzählens verweist, teilweise spielerisch Fragen der literarischen Darstellung behandelt, häufig persönliche Meinungen und Wertauffassungen artikuliert und sich zum berichteten Geschehen in Beziehung setzt. So wird im ›Iwein‹ ein emphatisches Konzept von Autorschaft sichtbar,480 das sich in den Reflexionen der Narrationsinstanz zu Fragen der 479 Dazu weiterführend etwa: Franziska Wenzel, »Keie und Kalogrenant. Zur kommunikativen Logik höfischen Erzählens in Hartmanns ›Iwein‹, in: Beate Kellner/Ludger Lieb/Peter Strohschneider (Hg.), Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur, Frankfurt a. M. 2001, S. 89– 109. 480 Die in der mediävistischen Forschung übliche pragmatische Beschränkung auf den Begriff des Verfassers löst also die epistemischen Probleme der Kategorie Autorschaft in Bezug auf mittelalterliche Dichter nicht, sondern umgeht sie nur.

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Erzähltechnik äußert. Über unterschiedliche textinterne Zuschreibungsspiele erhält der Sprecher während des Rezeptionsprozesses die Konturen der Autorperson, deren Autorität sich noch dadurch verstärkt, dass keine Quellen des Erzählens genannt sind, neben Hartmann kein Gewährsmann im Werk aufgebaut oder überhaupt nur erwähnt wird.481 Auch hier gilt: Die gängigen Formen der Manuskriptgestaltung einerseits und der illiterate Bildungsstand eines Großteils der Rezipienten andererseits legten es nahe, die Übermittlung strukturbildender Metadaten werkintern durch den manifesten Auftritt eines Sprechers zu gewährleisten. Die Passage im Prolog, in der sich der Dichter durch eine Kommunikationsinstanz vorstellen lässt, übernimmt paratextuelle Funktionen. Im Verlauf der Dichtung inszeniert sich der Autor dann jedoch als Herr der Erzählung, wodurch sich stilistische Formelemente in markanter Weise über bloße Diskursfunktionen schieben. Auffällig ist der Umstand, dass sich der Sprecher an keiner Stelle selbst als Hartmann zu erkennen gibt: Entweder ist er – streng logisch – von Hartmann geschieden, wie im Prolog, oder er lässt sich in spielerischer Weise als Hartmann anreden, wie in den Exkursen. Insofern ist Hartmanns ›Iwein‹ – wie schon Veldekes Eneasroman – ein Beispiel für die im späten 12. Jahrhundert noch nicht etablierten volkssprachigen Literaturverhältnisse, in denen sich der Dichter dem Publikum derart vorstellt, dass er seinen Namen über einen dem Text auf der Gestaltungsebene eingearbeiteten Sprecher mitteilen lässt.

481 Auch wenn es sich bei Chrétien de Troyes, dem Verfasser der Vorlage Hartmanns, nicht um einen auctor handelt, wäre es durchaus nicht ungewöhnlich gewesen, auf ihn als Quelle zu verweisen. So führt beispielsweise der Pfaffe Lambrecht den französischen Dichter Alberic von Bisinzo als Verfasser seiner Vorlage prominent im Prolog des Alexanderlieds ein (V. 13–16 des ›Vorauer Alexander‹ lauten: Alberîch von Bisinzo / der brâhte uns diz lît zû. / er hetez in walhisken getihtet / nû sol ich es iuh in dûtisken berihten. – ›Alberic von Bisinzo brachte diese Dichtung zu uns. Er hat sie in romanischer Sprache verfasst, nun werde ich sie euch in die deutsche Sprache übertragen‹).

8.

Die Stimme des Erzählens im ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach

Die explizite textinterne Engführung von Verfassernamen und Kommunikationsinstanz findet sich bei Wolfram von Eschenbach, der die unmittelbare Verbindung der grammatikalischen ersten Person Singular des Sprechers mit der eigenen Namensnennung in seinen Werken mehrfach vollzieht. Vieldiskutiert ist der Abschnitt im ›Parzival‹ zum Ende des zweiten Buchs, im Kontext der sogenannten ›Selbstverteidigung‹: Swer nu wîben sprichet baz, deiswâr daz lâze ich âne haz: ich vriesche gerne ir vröide breit. wan einer bin ich unbereit dienstlîcher triuwe: mîn zorn ist immer niuwe gein ir, sît ich si an wanke sach. ich bin Wolfram von Eschenbach, unt kan ein teil mit sange, unt bin ein habendiu zange mînen zorn gein einem wîbe: diu hât mîme lîbe erboten solhe missetât, ichne hân si hazzens keinen rât. dar umb hân ich der andern haz. ôwê war umbe tuont si daz? Wenn immer jemand von Frauen besser spricht als ich, so lasse ich es gern gelten. Ich erführe gern, was ihnen große Freude bereitet. Nur einer verweigere ich den Treuedienst. Mein Zorn gegen sie ist stets wieder neu, seit ich sie einmal straucheln sah. Ich bin Wolfram von Eschenbach und verstehe mich einigermaßen auf

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Die Stimme des Erzählens im ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach

Sangeskunst, und bin eine Zange, die meinen Zorn gegen eine Frau festhält. Diese hat mir solches Unrecht angetan, dass ich nicht anders kann als sie hassen. Deshalb grollen mir nun die anderen Frauen. Ach, warum tun sie das? (Wolfram von Eschenbach, Parzival, 114,5–20)482

In dieser von der mediävistischen Forschung vielfältig ausgeleuchteten Passage483 stellt sich die Redeinstanz namentlich vor und charakterisiert sich selbst als jemanden, der sich mit sange auskennt. Virulent wird hier, dass sich – genau genommen – der figurierte Sänger, der für die Dichtung als Erzählakt zuständig ist, mit Namen nennt, darüber hinaus spezifische Befindlichkeiten bekundet, die ihn als Person weiter auszeichnen. Auch im Epilog, der nochmals die Formulierung ich Wolfram von Eschenbach (827,13) aufgreift, bezieht sich die Namenssignatur ausdrücklich auf diese Sprechinstanz.484 In Wolframs ›Willehalm‹ zeigt sich eine ähnliche Konstellation, die teilweise die handschriftliche Textpräsentation schon im 13. Jahrhundert geprägt hat. Vor dem Hintergrund der Frage nach Phänomenen der Para482 Mittelhochdeutscher Text hier und im Folgenden nach der Edition: Wolfram von Eschenbach, Parzival. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann, Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Spiewok, 2 Bde., Stuttgart 1981. 483 Siehe etwa Michael Curschmann, »Das Abenteuer des Erzählens. Über den Erzähler in Wolframs ›Parzival‹«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45 (1971), S. 627–667; Dennis Howard Green, Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge (Mass.) 1994, S. 190–194; Thomas Bein, »Autor, Erzähler, Rhapsode, Figur. Zum ›Ich‹ in Wolframs ›Parzival‹ 108,17«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 115/3 (1996), S. 433– 436; Klaus Ridder, »Autorbilder und Werkbewußtsein im ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach«, in: Joachim Heinzle/L. Peter Johnson/Gisela Vollmann-Profe (Hg.), Neue Wege der Mittelalter-Philologie: Überlieferung, Werkbegriff, Interpretation. Landshuter Kolloquium 1996, Berlin 1998 (Wolfram-Studien 15), S. 168–194; Christopher Young, Narrativische Perspektiven in Wolframs ›Willehalm‹. Figuren, Erzähler, Sinngebungsprozess, Tübingen 2000, S. 110–116; Christian Kiening, Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur, Frankfurt a. M. 2003, S. 199–201; Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009, S. 60–65, 113/114; Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010, S. 244–252. 484 Dies gilt auch für die ebenfalls mit dem Personalpronomen verknüpfte Namensnennung mir Wolfram von Eschenbach (Parzival, 185,7).

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textualität stellen die Überlieferungsträger dieses Werks insofern eine Besonderheit dar, als es etliche frühe illustrierte Manuskripte gibt,485 die über die szenische Veranschaulichung Rahmungen zum narrativen Verstext schaffen und mitunter sogar den figurierten Erzähler selbst ins Bild setzen.486 Welche Implikationen sich dadurch für die Erzählsituation ergeben können, hat Henrike Manuwald am Beispiel der Fragmente der sogenannten ›Großen Bilderhandschrift‹ herausgearbeitet.487 Wenn man die Überlieferungssituation als ganze betrachtet, bleibt jedoch festzuhalten, dass auch beim ›Willehalm‹ die Mehrheit der erhaltenen Textzeugen keine Formen der Ausstattung aufweist, die über den Text gliedernde Initialen unterschiedlicher Ausgestaltung, verzierenden Buchschmuck oder kurze titelartige Hinweise hinausgehen.488 Stofflich griff Wolfram mit seiner im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts entstandenen und unvollendet gebliebenen Versdichtung auf die französische chanson de geste-Tradition zurück, als Epiker war er zu diesem Zeitpunkt bereits als Verfasser des ›Parzival‹ hervorgetreten. Als Hauptvorlage für den ›Willehalm‹ diente ihm eine Fassung der ›Bataille d’Aliscans‹,489 die zum Liederzyklus um Guillaume d’Orange gehört. Offenkundig

485 Siehe weiterführend Ronald Michael Schmidt, Die Handschriftenillustrationen des ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach. Dokumentation einer illustrierten Handschriftengruppe, 2 Bde., Wiesbaden 1985. 486 Siehe zu dieser Problematik etwa: Kathryn Starkey, Reading the medieval book. Word, image, and performance in Wolfram von Eschenbach’s Willehalm, Notre Dame 2004; Henrike Manuwald, »Der Autor als Erzähler? Das Bild der Ich-Figur in der ›Großen Bilderhandschrift‹ des Willehalm Wolframs von Eschenbach«, in: Gerald Kapfhammer/Wolf-Dietrich Löhr/Barbara Nitsche (Hg.), Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2007, S. 63–92; Ursula Peters, Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts, Köln 2008, S. 96–98; Henrike Manuwald, Medialer Dialog. Die ›Große Bilderhandschrift‹ des ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte, Tübingen/Basel 2008. 487 Vgl. Manuwald, Medialer Dialog. 488 Eine kommentierte Übersicht über die Überlieferungszeugen bietet Christoph Gerhardt, Der ›Willehalm‹-Zyklus. Stationen der Überlieferung von Wolframs ›Original‹ bis zur Prosafassung, Stuttgart 2010. 489 Auf welche Fassung sich Wolfram hauptsächlich stützte, ist bis heute ungeklärt. Dazu grundlegend Susan Almira Bacon, The Source of Wolfram’s Willehalm, Tübingen 1910; jüngst etwa Thordis Hennings, »Willehalm. Der Stoff: Vorgaben und Fort-

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besaß Wolfram weitreichende Stoffkenntnisse, wobei ein Konsens dahingehend herrscht, dass er seine Quelle(n) stark bearbeitet hat.490 Die folgende Analyse der Stimme des Erzählens im ›Willehalm‹ bezieht sich auf unbebilderte Manuskripte, im Zentrum steht der für die WillehalmÜberlieferung so wichtige Codex Sangallensis 857, der älteste Tradent des Werks.491 Die bedeutende Sankt Galler Sammelhandschrift ist wahrscheinlich im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden und besitzt kein Bildprogramm im engeren Sinn.492 Im Willehalm-Teil gibt es neben den einfacheren blauen und roten Lombarden, welche die Dichtung strukturieren, über ein Dutzend aufwändig gestaltete Zierinitialen, die 12 bis 15 Textzeilen hoch sind und mehrheitlich Blattwerk enthalten, wobei der Anfang des betreffenden Verses mit zusätzlichen Unzialen in zwei bzw. drei Register rechts neben die Initiale gesetzt ist.493 Eine einzige dieser Zierinitialen weist im Innern eine Figur mit Zeigegeste auf (278,1: Cod. Sang. 857, p. 639). Dazu kommt, dass der Abschluss des Prologs graphisch markiert ist,

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schreibungen«, in: Joachim Heinzle (Hg.), Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Berlin 2011, S. 544–590. Siehe dazu etwa Fritz Peter Knapp, »Der ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach«, in: Geert H. M. Claassens/Fritz Peter Knapp/Hartmut Kugler (Hg.), Germania litteraria mediaevalis Francigena. 4: Historische und religiöse Erzählungen, Berlin 2014, S. 250– 267. Der Codex Sangallensis 857 diente der Textedition von Joachim Heinzle als Leithandschrift (im Folgenden wird entsprechend für die Analyse die Ausgabe herangezogen: Wolfram von Eschenbach, Willehalm, hg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 2009). Siehe zum jüngsten Forschungsstand zum Kodex und seiner Geschiche: Robert Schöller/Gabriel Viehhauser, »Das Skriptorium des Sangallensis 857«, in: Martin Schubert (Hg.), Schreiborte des deutschen Mittelalters. Skriptorien – Werke – Mäzene, Berlin/Boston 2013, S. 691–716. Weiterführend auch: Stephan Müller, »Der Codex als Text. Über geistlich-weltliche Überlieferungssymbiosen um 1200«, in: Peter Strohschneider (Hg.), Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006, Berlin/New York 2009, S. 411–426. Vgl. Nigel F. Palmer, »Der Codex Sangallensis 857: Zu den Fragen des Buchschmucks und der Datierung«, in: Joachim Heinzle/L. Peter Johnson/Gisela Vollmann-Profe (Hg.), Probleme der Parzival-Philologie. Marburger Kolloquium, Berlin 1992 (Wolfram-Studien XII), S. 15–31, hier S. 25. Abgesehen von den roten und blauen Lombarden gibt es eine weitere Subgliederungsebene, die durch einfache Majuskeln angezeigt wird. Siehe zu diesen Gliederungsebenen mit Blick auf den ›Parzival‹ Robert Schöller, Die Fassung *T des ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach. Untersuchungen zur Überlieferung und zum Textprofil, Berlin/New York 2009, S. 218–255.

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indem der folgende Vers mit einer kleinen Schmuckinitiale beginnt (5,15: Cod. Sang. 857, p. 562), wie sie sonst nirgends im Text verwendet wird. Im Unterschied zu den anderen in der Handschrift vereinigten Werken beginnt der ›Willehalm‹ auf einer Versoseite bei leer gelassenem Recto, was zu verschiedenen Erklärungen geführt hat: Die gängigste geht davon aus, dass der ›Willehalm‹ ursprünglich als Auftakt des Kodex konzipiert wurde und die freie Seite zum Schutz der folgenden ersten, besonders markanten Initiale dienen sollte [Abb. 8]. Verbale Paratextelemente, die noch vor dem Einstieg in den Verstext Rückschlüsse auf den Inhalt der Dichtung oder sonstige Informationen geben, weist das Sankt Galler Manuskript nicht auf. Die Frage nach der Erzählinstanz lässt sich in dieser Handschrift also ausschließlich textintern verfolgen, da es keine kodikalen Rahmungen gibt, die zur Bestimmung des narrativen Sprechakts herangezogen werden könnten. Letzterer beginnt mit den Auftaktversen des Prologs, dessen Schwellencharakter durch die kleine Schmuckinitiale, die den Einschnitt markiert, durchaus graphisch sichtbar gemacht ist. Auch wenn der Prolog von seinen rhetorisch-poetologischen Grundlagen her nicht als Paratext, sondern als genuiner Teil des Werks zu bewerten ist und sich hier auch verstechnisch nicht vom Rest der Dichtung abhebt, deutet das Sankt Galler Manuskript dessen Sonderstellung als Eingang in den Text damit visuell an. Der ›Willehalm‹ beginnt mit einem Gebet, indem der christliche Gott direkt angesprochen wird: Ane valsch dû reiner, / dû drî unt doch einer, / schepfaere über alle geschaft, / âne urhap dîn staetiu kraft / ân ende ouch belîbet. (›Du Vollkommener ohne Falschheit, du drei und doch einer, Schöpfer über alle Geschöpfe, ohne Anfang deine stetige Kraft und ohne Ende wirkt sie.‹, 1,1–5).494 In der unmittelbaren Fortsetzung dieser Apostrophe wird im Personalpronomen der ersten Person Singular der Sprecher des Gebets greifbar, der sich selbst mit allgemeinen Überlegungen zur menschlichen Sündhaftigkeit, wie sie die christliche Hamartiologie vorsieht, als Bittsteller an Gott wendet.495 Hinweise darauf, um wen es sich bei diesem 494 Mittelhochdeutscher Text hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Wolfram von Eschenbach, Willehalm, hg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 2009. 495 Formen und Funktionen des mittelhochdeutschen Prologgebets behandelt Eckart Conrad Lutz, Rhetorica divina. Mittelhochdeutsche Prologgebete und die rhetorische Kultur des Mittelalters, Berlin/New York 1984 (zum Willehalm-Prolog siehe insbes. S. 314–323). Siehe zu den betreffenden Auftaktversen zudem etwa auch Walter Haug,

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Abb. 8: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 857, p. 561

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Gebetssprecher handeln könnte, finden sich allerdings erst rund drei Dutzend Verse später, als die Redestimme über sich selbst sagt: mîn sin dich kreftec merket. swaz an den buochen stât geschriben, des bin ich künstelôs beliben. niht anders ich gelêret bin: wan hân ich kunst, die gît mir sin. diu helfe dîner güete sende in mîn gemüete unlôsen sin sô wîse, der in dînem namen geprîse einen rîter, der dîn nie vergaz. Mein Denken ist stark von dir bestimmt. Was auch immer in den Büchern geschrieben steht, davon habe ich kein Fach erlernt. Nicht anders bin ich unterwiesen als so: Was ich an Können besitze, daraus fließen meine Gedanken. Hilfreich sende deine Güte in mein Herz so ernsthafte, weise Gedanken, dass ich in deinem Namen einen Ritter preise, der dich nie vergaß. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 2,18–27)

Der Gebetssprecher charakterisiert sich als jemanden, der nicht über Buchgelehrsamkeit verfügt, ja überhaupt keine Kenntnisse aus Büchern gewonnen haben will.496 Als Quelle der eigenen Fähig- und Fertigkeiten nennt er den sin, wobei er sich wünscht, Gott möge diesen beflügeln, damit Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2. Aufl., Darmstadt 1992, S. 184–188; Christian Kiening, Reflexion – Narration. Wege zum ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach, Tübingen 1991, S. 44–47. 496 Diese Passage wurde in der mediävistischen Forschung vornehmlich dahingehend interpretiert, dass sich Wolfram gegen das lateinische Schulwissen wendet, siehe etwa: Joachim Bumke, Wolframs Willehalm. Studien zur Epenstruktur und zum Heiligkeitsbegriff der ausgehenden Blütezeit, Heidelberg 1959, S. 201/202; Friedrich Ohly, »Wolframs Gebet an den Heiligen Geist im Eingang des ,Willehalm‹«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 91 (1961/62), S. 1–37 [wieder in: Heinz Rupp (Hg.), Wolfram von Eschenbach, Darmstadt 1966, S. 455–518, hier S. 482–484]; Young, Narrativische Perspektiven, S. 108/109; Fritz Peter Knapp, »Poetik«, in: Fritz Peter Knapp (Hg.), Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich, Berlin 2014, S. 217–242, hier S. 235/236. Zur Selbststilisierung Wolframs als Analphabeten im ›Parzival‹ siehe weiterführend Joachim Bumke, Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach, Tübingen 2001, S. 131–133.

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ein gottgefälliger Ritter mit dem angemessenen Lob bedacht werden könne.497 Dass dieser Ritter auf französisch Guillaume d’Orange heiße und seine Geschichte dem Gebetssprecher von Landgraf Hermann von Thüringen zur Kenntnis gebracht worden sei (3,8–11),498 sind weitere Informationen, die geliefert werden, bevor die Redestimme den ins Zentrum des Interesses gerückten herre[n] sanct Willehalm (4,13) feierlich anspricht499 und um seinen Schutz bittet, nicht ohne dessen ritterliche Qualitäten in besonderer Weise zu betonen und ihn im unmittelbaren Umfeld Karls des Großen zu situieren. Die mit dem Wunsch um persönlichen Beistand verbundene Approximation an die französische Heldenfigur kulminiert in der Selbstbezeichnung des Sprechers als ich, Wolfram von Eschenbach (4,19),500 welche mit folgender Kundgabe verknüpft wird: swaz ich von Parzivâl gesprach des sîn âventiure mich wîste, 497 Der Wunsch nach göttlicher Inspiration korrespondiert hier mit dem Gebetsauftakt und der Stilisierung des Texts zum Legenden-Roman. Young, Narrativische Perspektiven, S. 109/110, spricht in diesem Zusammenhang davon, dass »Held und Erzähler […] in einer thematischen Relation zueinander« stehen. Siehe zur vorliegenden Verwendung von sin etwa auch Ohly, »Wolframs Gebet an den Heiligen Geist«, S. 482; Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 189–191; Kiening, Reflexion – Narration, S. 47–50. 498 Zu den Nennungen Hermanns von Thüringen im ›Willehalm‹ grundlegend Bumke, Wolframs Willehalm, S. 181–189; Joachim Bumke, Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150–1300, München 1979, S. 159–168; zu Hermann von Thüringen als bedeutendem Mäzen mittelhochdeutscher Dichtung einschlägig Ursula Peters, Fürstenhof und höfische Dichtung. Der Hof Hermanns von Thüringen als literarisches Zentrum, Konstanz 1981. 499 Zur Frage, welche Rolle Elemente des Legendarischen in Wolframs ›Willehalm‹ spielen, siehe weiterführend: Tomas Tomasek, »Legende und höfische Gesprächskultur. Überlegungen zum ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach«, in: Frühmittelalterliche Studien 32 (1998), S. 182–195; Annette Gerok-Reiter, »Die Hölle auf Erden. Überlegungen zum Verhältnis von Weltlichem und Geistlichem in Wolframs ›Willehalm‹«, in: Christoph Huber/Burghart Wachinger/Hans-Joachim Ziegeler (Hg.), Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters, Tübingen 2000, S. 171–194; Tobias Bulang/Beate Kellner, »Wolframs ›Willehalm‹. Poetische Verfahren als Reflexion des Heidenkriegs«, in: Peter Strohschneider (Hg.), Religiöse und literarische Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFGSymposion 2006, Berlin/New York 2009, S. 124–160, hier S. 127–129. 500 Siehe dazu die Überlegungen von Kiening, Reflexion – Narration, S. 50–54.

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etslîch man daz prîste – ir was ouch vil, die’z smaehten unde baz ir rede waehten. gan mir got sô vil der tage, sô sag ich minne und ander klage, der mit triuwen pflac wîp und man, sît Jêsus in den Jordân durh toufe wart gestôzen. unsanfte mac genôzen diutscher rede deheine dirre, die ich nû meine, ir letzte und ir beginnen. Was ich von Parzival erzählte, wie seine Geschichte mich lenkte, manch einer hat es gelobt – es gab auch viele, die es schmähten und ihr Erzählen besser formten. Gönnt mir Gott so viel an Tagen, so erzähle ich von Liebe und von folgender Klage, die Frau und Mann verlässlich übten, seit Jesus zur Taufe in den Jordan getaucht wurde. Schwerlich kommt eine der deutschen Erzählungen dieser gleich, auf die ich jetzt meine Gedanken richte, auf ihr Ende und ihren Anfang. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 4,20–5,3)

Der Sprechakt, der mit dem ausführlichen Gebet zu Beginn des Werks aus der Perspektive einer nur über Pronomina der ersten Person Singular fassbar werdenden Stimme eröffnet wurde, ist hier unzweideutig einem Wolfram von Eschenbach zugeordnet, welcher sich als jemand vorstellt, der Geschichten erzählt: So habe er auch von Parzival berichtet, und zwar in einer Weise, die von einigen Zuspruch, von anderen Kritik geerntet habe. In dieser Eigenschaft kündigt er an, eine weitere Geschichte zum Besten geben zu wollen, der keine ähnlich sei, die man auf Deutsch kenne. Die Stimme des Erzählens wird also mit dem Namen Wolfram von Eschenbach verbunden, der sich selbst jedoch gerade nicht als Verfasser einer schriftliterarischen Versdichtung einführt, im Gegenteil. Zur Bestimmung des eigenen Tuns sind ausschließlich Verben des Sagens bemüht,501 und auch das Objekt des Schaffens wird über das Lexem rede eingeholt;502 das Wort tihten hingegen, das im ›Herzog Ernst B‹, in Veldekes 501 Vgl. Starkey, Reading the medieval book, S. 86–88. 502 Kiening, Reflexion – Narration, S. 208, differenziert diesbezüglich wie folgt: »Das Werk erscheint dabei in verschiedenen Bezeichnungen, als maere (Sg. und Pl.),

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Eneasroman und in Hartmanns ›Iwein‹ zur Kennzeichnung dichterischer Tätigkeit im Zusammenhang mit Buch-Autorschaft verwendet wird, ist hier nirgendwo gebraucht.503 Wolfram stilisiert sich zum Erzähler im eigentlichen Wortsinn: Er ist derjenige, der von Parzivâl gesprach, genau so, wie er ankündigt: sô sag ich minne und ander klage. Obwohl er sich mit beidem offenkundig auf Erzähltexte bezieht, die in Schriftform vorliegen, bleibt dieser Umstand nicht nur unartikuliert, sondern wird durch die Art und Weise der Selbstinszenierung sogar noch bemäntelt.504 Ähnliches gilt indes auch für die Manier, wie unmittelbar davor über die Quelle gesprochen wurde: Mittels der Formulierung lantgrâve von Düringen Herman / tet mir diz maere von im bekant (›Landgraf Hermann von Thüringen hat mir die Geschichte von ihm [d. i. Willehalm] bekannt gemacht‹, 3,8/9) wird gerade nicht auf eine Vorlage in Buchform rekurriert, sondern das maere ins Zentrum des Interesses gestellt505 – was wiederum mit den weiteren Quellenberufungen direkt korrespondiert, die im Verlauf der Narration erfolgen.506 Auch wenn Wolfram dezidiert als Sprechinstanz in der ersten Person Singular auftritt und damit implizit eine mündliche Kommunikationssituation voraussetzt, geschieht die unmittelbare Hinwendung zur Zuhörerschaft erst ganz zum Schluss des Prologs. Nachdem noch einmal der französische Ursprung der Geschichte herausgehoben und mit diesem deren Wahrheit und Wertigkeit versichert ist (5,4–13), adressiert Wolfram das Publikum, indem er mit Nachdruck formuliert: des jehent si dort – nû hoerent se ouch hie (›das sagen sie dort – jetzt hört sie auch hier!‹, 5,14).

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aventiure und rede. Versucht man die bekanntermaßen unscharfen Begriffe zu differenzieren, so kann aventiure die quellenbezogene Dimension der Geschichte, maere allgemein deren stofflich-inhaltlichen Aspekt und rede die konkrete Ausformung, aktualisierende Darbietung und ordnende Erzählung des vorgegebenen Stoffes betreffen.« Vgl. dazu Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 246. Siehe zu dieser Überlegung mit Blick auf den ›Parzival‹ etwa Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 252–255; Hartmut Bleumer, »Autor und Metapher. Zum Begriffsproblem in der germanistischen Mediävistik – am Beispiel von Wolframs Parzival«, in: Susanne Friede/Michael Schwarze (Hg.), Autorschaft und Autorität in den romanischen Literaturen des Mittelalters, Berlin 2015, S. 13–40, hier S. 26–28. Siehe zu diesem Gedanken Young, Narrativische Perspektiven, S. 117; ähnlich mit Bezug auf den ›Parzival‹ Ridder, »Autorbilder und Werkbewußtsein«. Dazu mehr unten.

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Dieser in sich durch eine Mittelzäsur zweigeteilte Vers bildet eine Art Scharnier zwischen dem Prolog und der eigentlichen Erzählung, die daraufhin anhebt.507 Die Markierung des betreffenden Wechsels, die die Sankt Galler Handschrift über die kleine Schmuckinitiale graphisch zum Ausdruck bringt, verdeutlicht im mündlichen Vortrag die explizite Anrede der Rezipienten, indem nun erstmals die Zuhörer anvisiert werden, die die orale Erzählsituation – im Sinne der conditio sine qua non – überhaupt erst komplettieren. Was den diskursiven Status der Prologverse angeht, haben diese auch im ›Willehalm‹ einen neuzeitlichen Peritexten in gewisser Hinsicht analogen Charakter, wie allein schon der Imperativ nû hoerent nahelegt, der beim auditiven Rezeptionsvorgang den Einschnitt zwischen Vorrede und Erzählung im engeren Sinn kennzeichnet, den Prolog also vom Rest der Dichtung abgrenzt und als geschlossene Einheit erscheinen lässt. Inhaltlichfunktional ist die systemische Nähe zu Paratexten dadurch gegeben, dass eine Reihe metatextueller Informationen vermittelt wird, welche die folgende Erzählung ins literarische Diskursgefüge einordnen: So liefert der Prolog Hinweise zum Stoff und dessen Herkunft, situiert die Erzählung gattungsmäßig zwischen Heiligenlegende und Ritterroman, nennt mit Landgraf Hermann von Thüringen einen Förderer und installiert einen mit Namenssignatur verbundenen Sprecher, der sich selbst auch als Erzähler der Geschichte von Parzival zu erkennen gibt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich sämtliche Angaben kategoriell ausdrücklich auf mündliches Erzählen beziehen und jeglicher Hinweis auf Dichtung als schriftbasiertes Artefakt fehlt.508 Der Sprecher agiert im ›Willehalm‹ nicht als Mittler zwischen Buchtext und (illiteraten) Rezipienten, sondern tritt als Produzent einer Erzählung auf, die Werkcharakter in der Oralität in Anspruch nimmt. Mit Wolfram lässt sich also durchaus der Autor als extradiegetischer Erzähler im Genetteschen Sinn begreifen, die Konzeption dieser Autorrolle setzt 507 Zum unmittelbar folgenden Vers siehe Werner Schröder, »diz maere ist war, doch wunderlich. Zu Willehalm 5,15 und zum Gebrauch von maere, war und wunderlich bei Wolfram«, in: Hans Fromm/Wolfgang Harms/Uwe Ruberg (Hg.), Verbum et signum. Friedrich Ohly zum 60. Geburtstag überreicht, 10. Januar 1974, München 1975, 2. Bd., S. 277–298; Kiening, Reflexion – Narration, S. 60. 508 Vgl. Starkey, Reading the medieval book, S. 86–88.

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allerdings die Vorstellung eines nicht im Buchmedium verankerten Artefakts voraus – was realiter im Widerspruch zur kodikalen Überlieferung des Fragment gebliebenen Werks steht.509 Wolfram inszeniert sich von Anfang an selbst als Redeinstanz, die den direkten Kontakt zum Publikum in der Vortragssituation herstellt und den Vorgang der Narration durch phatische Elemente verdeutlicht.510 Nachdrücklich wird das oral-kommunikative Dreieck aus Sprecher, Zuhörerschaft und Geschichte zum Auftakt der Erzählung hervorgehoben, wo die betreffende Konstellation mit entsprechenden Pointierungen gefestigt wird: lât mich die helde iu nennen, / daz ir geruochet si erkennen (›erlaubt mir, euch die Helden vorzustellen, damit ihr sie kennt‹, 6,19/20); oder wenig später: umb der andern dienst und umb ir varn / wil ich nû mîne rede sparn / unde grîfen an den einen, / den die âventiure wil meinen (›vom Dienst der andern, ihren Fahrten will ich jetzt nicht berichten – ich wende mich dem einen zu, dem die Geschichte gewidmet ist‹, 7,11–14).511 Doch auch im weiteren Verlauf der Erzählung rekurriert die Redestimme mit großer Regelmäßigkeit auf eine reale Sprechsituation, in welcher der Narrationsakt offensichtlich seine vorgesehene Rahmung findet.512 So verweist der Wolfram-Erzähler buchstäblich auf die oral-auditive Konstellation, indem er die Zuhörerschaft unmittelbar anspricht, sei es prospektiv aus seiner eigenen Sicht, wie beispielsweise: die nenne ich iu vür unbetrogen (›die nenne ich euch zuverlässig‹, 26,19),513 sei es aus der Wahrnehmungsposition der Rezipienten: als ir schiere sult gehoeren (›wie 509 Zu diesem Gedanken in etwas anderer Akzentuierung mit Blick auf den ›Parzival‹: Bleumer, »Autor und Metapher«, S. 26–28. 510 Dazu Eberhard Nellmann, Wolframs Erzähltechnik. Untersuchungen zur Funktion des Erzählers, Bonn 1971, der diebezüglich einen Vergleich mit der klassischen Rhetorik zieht. Zur Konturierung des Publikumskontakts siehe Kiening, Reflexion – Narration, S. 151–157. 511 Siehe zu derartigen Publikumsadressen und ihren Funktionen mit zahlreichen Bezugnahmen auf Wolframs ›Willehalm‹ Uwe Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos. Formen seines Hervortretens bei Lamprecht, Konrad, Hartmann, in Wolframs Willehalm und in den ›Spielmannsepen‹, Berlin 1971. 512 Vgl. Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 50–59. 513 Ähnlich: die lât iu nennen und sagen (›lasst euch diese nennen und sagen‹, 73,6); der warp, als ich iu nû sagen wil (›der tat, was ich euch jetzt berichten will‹, 286,2); ich wil iu nennen, ob ich kan (›ich will euch sagen, wenn ich es kann‹, 344,4); ich sag iu, wer dâ hielt ze wer (›ich sage euch, wer da zur Abwehr hielt‹, 438,25).

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ihr gleich hören sollt‹, 144,11),514 oder auch retrospektiv aus der Erzählerperspektive: die ich iu nante nû (›die ich euch eben nannte‹, 29,11)515 bzw. wiederum vom Publikum her: ir habt daz ê wol vernomen / es endarf iu nû niht maere komen (›ihr habt es früher schon gehört, man muss es euch jetzt nicht erzählen‹, 7,23/24).516 In der faktischen Vortragssituation erhalten solche Formulierungen eine explizit performative Dimension, so dass es naheliegt, auch hier als frame für den durch die Redeinstanz hervorgebrachten Sprechakt den jeweiligen tatsächlichen Zuhörerkreis anzusehen, der akustisch der Geschichte folgt – mit der Besonderheit, dass der Rezitator unwillkürlich in die Rolle Wolframs von Eschenbach schlüpft. Neben den vor- oder rückwärts gerichteten Referentialisierungen517 des Narrationsvorgangs thematisiert die Sprechinstanz Auslassungen oder Kürzungen, teilweise formelhaft und topisch hinsichtlich der brevitas und der Unsagbarkeit.518 Dabei handelt es sich manchmal um knappe Einsprengsel wie: swaz dâ enzwischen bêdenthalp geschach, / des geswîg ich von in beiden (›was beiderseits seither geschah, das übergehe ich bei beiden‹, 8,26/27).519 Mitunter wird weiter ausgeholt und rhetorisch variiert: solt ichs iu alle nennen, / die mit grôzem here dâ lâgen / und sunder ringe pflâgen, / liute und lant mit namen zil, / sô het ich arbeite vil (›Sollte ich sie euch alle nennen, die mit großem Heer da lagen und eigene Lager unterhielten, mit 514 Vergleichbar: die wurben sus, nû hoeret wie (›hört jetzt, wie sie sich verhielten‹, 297,3); hoeret, wer mit im ûz sturme gienc (›hört, wer mit ihm die Schlacht verließ‹, 443,16). 515 Ebenso: als ich iu hân gesagt (›wie ich euch schon sagte‹, 284,12). 516 Ähnlich: Welt ir nû hoeren, wie ez gestê / umbe den zorn, den ir hôrtet ê? (›Wollt ihr nun hören, was aus dem Zorn wurde, von dem ihr schon hörtet?‹, 162,1/2); als ir mich ê hôrtet sagen (›wie ihr vorher von mir hörtet‹, 400,16). 517 Zu Vorwegnahmen und Vorausdeutungen in Wolframs ›Willehalm‹ siehe Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 31–36, dort auch zahlreiche Beispiele; Rückverweise und Erinnerungen an vorher Erzähltes ebd., S. 39/40, ebenfalls mit Beispielen; zur Kombination beider Formen der Referentialisierung ebd., S. 42/43. Pörksen weist auch auf die typischen »Scharnierformeln, durch die [die Sprechinstanz] eine Handlung abschließ[t] und eine neue, evtl. auf einem anderen Schauplatz, ankündig[t]« (ebd., S. 46). 518 Zu Abkürzungsformeln siehe Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 48. 519 Weitere Beispiele: waz hilfet, ob ichz lange sage? (›Was hilft es, wenn ich lange davon rede?‹, 69,17); ich het iu vil ze sagen / von sîner hôhen werdekeit (›von seinem hohen Ansehen hätte ich euch viel zu sagen‹, 78,8/9); ich mags iu niht benennen gar (›ich kann sie euch nicht alle nennen‹, 126,12).

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ihren genauen Namen Land und Leute, dann hätte ich viel zu tun‹, 319,16– 20). Charakteristisch für den Wolfram-Erzähler sind jedoch insbesondere Formulierungen, über die sich die Redeinstanz selbst Eigenschaften zuschreibt, die sie als Individuum konkretisieren. So wird die Problematik der Unsagbarkeit verknüpft mit einer spezifischen Attribuierung, die stilisierend als Begründung für die eigene Unzulänglichkeit angeführt wird: Poidjus, der selbe truoc an sîme lîbe des genuoc, daz ich der koste niht tar gesagen: sus kan mîn armuot verzagen. ob ers geruochet, ein rîcher munt solt iu diz maere machen kunt, wie sunder was gezieret, mit kost al überwieret daz dach ob sînem harnasch. Poidjus, der war selbst an seinem Körper dermaßen gerüstet, dass ich nicht zu sagen wage, wie kostbar: So kleinlaut wird meine Armut. Wenn er es wünscht, dann soll ein vornehmer Mund euch mitteilen, wie exquisit geschmückt und kostbar bestickt der Überwurf über seinem Harnisch war. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 376,9–17)

Auch wenn die aufgerufene Vorstellung, nur derjenige kenne sich wirklich mit Luxusgütern aus, der selbst über entsprechenden Reichtum verfügt, rhetorisch überformt ist, weist sich der Sprecher über den betreffenden Vergleich als jemand aus, der nicht zu dieser Gruppe von Leuten gehört. Spielerisch ist der Unsagbarkeitstopos so eingesetzt, dass sich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Redeinstanz ergeben, ja ihre Gestalt an Kontur gewinnt.520 Der im Prolog mit Wolfram identifizierte Erzähler gibt sich hier quasi ein Gesicht, lässt Aspekte seines Wesens aufscheinen, nicht ohne den direkten Kontakt mit dem Publikum zu halten und unmittelbar auf den mündlichen Narrationsvorgang zu rekurrieren. Diese Form der Selbststilisierung nutzt die Stimme des Erzählens im ›Willehalm‹ auf vielfältige Weise. Ebenfalls verbunden mit der Betonung 520 Siehe weiterführend Sonja Glauch, »Inszenierungen der Unsagbarkeit. Rhetorik und Reflexion im höfischen Roman«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 132 (2003), S. 148–176.

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der Limitiertheit des eigenen sprachlichen Ausdrucks ist eine Passage, die einen indirekten Bezug auf buchgelehrte Poetizität schafft. So konstatiert die Redeinstanz: sold ich gar in allen wîs von ir zimierde sagen, sô müese ich mînen meister klagen von Veldekîn: der kund ez baz. der waere der witze ouch niht sô laz, er nande iu baz denne al mîn sin, wie des iedwedern vriundîn mit spaecheit an si leite kost. Sollte ich ihnen allen verständig von der Helmzier berichten, dann müsste ich meinen Meister von Veldeke betrauern: Der konnte es besser. Der wäre auch nicht so ungeschickt und würde euch treffender als mein ganzer Verstand erzählen, wie sie eines jeden Freundin mit Kunstfertigkeit kostbar ausgestattet hatte. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 76,22–29)

Der Sprecher setzt seine eigene verbale Beschränktheit in ein Verhältnis zum Umstand, dass sein meister nicht mehr am Leben sei, der größere Fertigkeiten in der Beschreibungskunst gezeigt hätte.521 Indem er Veldeke als seinen vorbildhaften Lehrer bezeichnet, stellt er sich in die Tradition dessen poetischer Tätigkeit. Dass sich diese in kodikal gefasster Epik niedergeschlagen hat, bleibt hier allerdings unerwähnt. Veldeke wird nicht als Dichter literarischer Artefakte ins Feld geführt, sondern als einer, dessen scharfsinnige Sprachgewandtheit erzählerische Glanzstücke hervorzubringen in der Lage gewesen sei. Betont wird die kreative Leistung des Sprechers als Erzähler, indem – wie schon im Prolog – sein sin als Quelle schöpferischer Sprachvirtuosität pointiert ist. Auch hier ist der Topos der Unsagbarkeit in der Weise modifiziert, dass sich die Redeinstanz über die rhetorische Wendung hinaus dem Publikum vorstellt, das sie direkt adressiert. Basis der Selbststilisierung bleibt der auf die oral-auditive Konstellation hin angelegte Narrationsakt, mit der Folge, dass der Sprecher gegenüber der Zuhörerschaft nicht gesichtslos bleibt, sondern als konkretes Individuum greifbar wird, das in unterschiedlichen 521 Siehe zur Bezugnahme auf Veldeke auch die Überlegungen von Kiening, Reflexion – Narration, S. 102–106.

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Angelegenheiten Position bezieht. In der realen Vortragssituation erhält der Deklamator dadurch Züge einer Figur, die sich Wolfram von Eschenbach nennt und als Erzähler im strengen Wortsinn auftritt. Oder anders gesagt: Derjenige, der den ›Willehalm‹ rezitiert, bringt während des Narrationsvorgangs die über die Zuschreibungen des Texts aufscheinenden Charakteristika als mitlaufend sich zusammenfügendes Profil Wolframs zum Ausdruck. Das Gepräge, das die Redeinstanz aufgrund der betreffenden Selbstaussagen erhält, ist insgesamt facettenreich und bezieht sich auf verschiedenste Bereiche der Persönlichkeit. Öfters sind es dezidiert geäußerste Stellungnahmen und Werturteile, die mit der Eigenschaft, als Erzähler einer Geschichte aufzutreten, an sich nichts zu tun haben. Wenige Beispiele, auch ohne genaueren Kontext, mögen genügen, um diesen Sachverhalt zu dokumentieren. Es handelt sich jeweils um Kommentierungen des erzählten Geschehens, aufgrund derer der Sprecher spezifische Ansichten und Befindlichkeiten erkennen lässt: bescheidenlîch ich sprechen wil, / swen mîn kint ze vriunde kür, / ungerne ich den ze vriunt verlür (›ich will mit Verstand sagen, wen auch immer mein Kind sich als Freund aussuchte, den würde ich als Freund nicht missen wollen‹, 11,22–24); ich grîfe ouch billîch an daz mîn (›ich lege mit demselben Recht die Hand auf das, was mir gehört‹, 100,8); der noch ein sölhez gaebe mir, / daz naem ich vür ein vederspil (›wenn man mir so eines gäbe, das nähme ich lieber als einen Falken‹, 231,26/27); ich hete ungerne hiute / sölhe zimmerliute: / ine möht in niht gelônen (›ich hätte ungern heute solche Zimmerleute: ich könnte sie nicht bezahlen‹, 396,17– 19). Solche und ähnliche Einwürfe, die auf alltägliche Lebenssituationen Bezug nehmen, formuliert der Erzähler im ›Willehalm‹ zuhauf.522 Er wird dadurch als Mensch fassbar, mit persönlichen Eigenarten, die sich gerade nicht darauf beschränken, jemand zu sein, der vor Publikum Geschichten erzählt und sich auf Dichter wie Veldeke beruft. Die Stimme des Erzählens gehört im ›Willehalm‹ einem Wesen, das Überlegungen zu Verwandtschaftsbanden anstellt, sich Gedanken über sein Eigentum macht, darüber nachdenkt, welche Art Handwerker es zu beauftragen finanziell in der Lage 522 Ähnliches beobachtet mit Blick auf den ›Parzival‹ etwa Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 255–257.

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ist usw. Auf diese Weise wird eine Wolfram-Gestalt gezeichnet, die als Mitglied einer Gesellschaft Kontur gewinnt, die der alltagsweltlich bekannten gleicht. In welchem Verhältnis die Ansichten dieser explizit mit Wolfram von Eschenbach gleichgesetzten Sprechinstanz zu den realhistorischen Einstellungen und Geisteshaltungen des empirischen Wolfram von Eschenbach stehen, muss offen bleiben, da es keine außerliterarischen Quellen gibt, welche in dieser Frage erhellend wirken könnten.523 Tatsache ist jedoch, dass über die Stimme des Erzählens eine autorschaftliche Erzählerfigur modelliert wird, die immer wieder die eigene Meinung offenbart und dabei selbst als menschliches Wesen greifbar wird. Zu diesem gehört auch die emotionale Anteilnahme am Schicksal der Protagonisten der Geschichte, die öfters betont wird, mitunter über Apostrophierungen der betroffenen Figuren wie: ei, Gîburc, süeze wîp, / mit schaden erarnet wart dîn lîp! (›Ach, Giburg, schöne Frau, teuer wurdest du erkauft!‹, 14,29/30).524 Derartige Äußerungen der Sympathie und des Mitleids statten die Redeinstanz mit einem affektiven Innenleben aus. Der Erzähler demonstriert Nähe zu den Akteuren der Handlung, die er über seine eigene gefühlsmäßige Betroffenheit auch dem Publikum ans Herz legt.525 Protagonisten, Zuhörerschaft und Erzähler konstituieren damit eine Art Erlebens-Gemeinschaft, in der das Los des jeweils anderen nachemp-

523 Dies gilt denn gerade auch für die vielzitierte Passage, in der die Sprechinstanz ihre eigenen Französischkenntnisse thematisiert (vgl. 237,3–14). 524 So auch: ich waere immer mêr ein gans / an wizzenlîchen triuwen, / ob mich der niht solde riuwen (›ich wäre immer eine Gans an Gewissen und Zuverlässigkeit, wenn mich dieser nicht schmerzte‹, 13,22–24); mir ist liep, daz ers gedâhte, / want im nie orses dürfter wart (›ich bin froh, dass ihm das einfiel: er hatte niemals dringender ein Pferd gebraucht‹, 42,22/23); mich müet ouch noch sîn kumber. / dunk ich iemen deste tumber, / die smaehe lîd ich gerne (›Mich schmerzt heute noch sein Leid. Hält man mich deshalb für dumm, die Schmähung dulde ich gern‹, 163,1–3). Siehe zu diesen Passagen auch die Interpretationen von: Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 32/33, 88, 90; Kiening, Reflexion – Narration, S. 218/219; Young, Narrativische Perspektiven, S. 167/168. 525 Zu Überlegungen von Perspektivierung und Fokalisierung, die damit zusammenhängen, siehe Stephan Fuchs, Hybride Helden. Gwigalois und Willehalm. Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik im frühen 13. Jahrhundert, Heidelberg 1997, S. 246–251; Young, Narrativische Perspektiven, S. 154–175.

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funden resp. zum Nachempfinden anempfohlen wird.526 Virulent ist dies in Passagen, wo der Sprecher die Rezipienten zu Mitgefühl auffordert (vgl. 400,1–12) oder die Figuren ihrerseits um Teilnahme am Geschick des Erzählers bittet (vgl. 403,1–10).527 Entsprechende Gefühlsbekundungen gehen Hand in Hand mit anderen Engführungen der erzählten Welt mit jener Welt, in der erzählt wird. Den Erzähler im ›Willehalm‹ zeichnet in besonderem Maße aus, dass er die in der Vergangenheit situierte Erlebniswelt der Protagonisten mit dem Erfahrungshorizont seiner Gegenwart und derjenigen seiner Adressaten in Verbindung bringt. So weiß er beispielsweise: die heiden heten kursît, / als noch manec vriundinne gît / durh gezierde ir amîse (›die Heiden hatten Mäntel, wie sie noch heute die Freundinnen ihren Geliebten schenken‹, 20,25–27); oder er hält fest: si müet noch sêre, swâ mans giht, / die werden Franzeise, / diu vlühteclîche reise (›den edlen Franzosen ist diese Flucht noch immer unangenehm, wenn man davon spricht, 330,22–24). Derlei Formulierungen setzen voraus, dass die Gegenwart des Erzählens und die Vergangenheit des Erzählten ein und demselben Universum angehören. Daneben gibt es die Variante, dass die Redeinstanz das Berichtete über das Mittel des Vergleichs mit Persönlichkeiten des eigenen Umfelds verknüpft. In einem solchen Zusammenhang findet sich beispielsweise der Verweis auf den bereits im Prolog erwähnten Hermann von Thüringen, dessen Großzügigkeit damit betont wird: lantgrâve von Düringen Herman het in ouch lîhte ein ors gegeben: daz kund er wol al sîn leben halt an sô grôzem strîte, swâ der gerende kom bezîte. Landgraf Hermann von Thüringen hätte ihnen sicher auch ein Pferd gegeben: Das tat er gern sein ganzes Leben lang, selbst bei so großem Ansturm, wenn nur der Bittende beizeiten kam. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 417,22–26)

526 Siehe zu diesem Punkt etwa auch die Konturierungen von Kiening, Reflexion – Narration, S. 72, 83. 527 Kiening, Reflexion – Narration, S. 83, formuliert: »Erzähler und Publikum erscheinen in ebenso vielfältigen Facetten und Brechungen wie die erzählte Handlung, auf die sie bezogen bleiben.«

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Hier und anderswo wird der Handlungsverlauf oder das Vorgehen einzelner Figuren in Relation zu Gegebenheiten gesetzt, die im Erfahrungshorizont des Erzählers liegen – oder präziser: von denen der Erzähler vorgibt, entsprechende Kenntnisse zu besitzen, sei es durch persönliche Zeugenschaft oder aufgrund von Hörensagen. Bemerkenswert ist, dass derartige Bezugnahmen sowohl auf realhistorische Personen – wie Hermann von Thüringen oder Kaiser Otto – als auch auf Gestalten literarischer Werke geschehen. Auch Figuren aus dem ›Parzival‹528, dem Rolandslied529 oder der deutschen Heldenepik530 werden als Subjekte des Vergleichs herangezogen, um bestimmte Verhaltensweisen der Akteure im ›Willehalm‹ näher zu charakterisieren oder zu bewerten. Etwa um das heldenhafte Auftreten heidnischer Kämpfer hervorzuheben, hält der Erzähler fest: âne Feirefîz Anschevîn unt der bâruc Akarîn (ob der wâpen solde tragen) von heiden hôrt ich nie gesagen, der prîs sô wîten waere hel. Abgesehen von Feirefiz aus Anjou und vom Baruch Akarin (wenn der Waffen trüge), hörte ich von keinem Heiden, dessen Ruhm so weit erklungen wäre. (Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 45,15–19)

Feirefiz, der Halbbruder Parzivals, und der bâruc, in dessen Reihen Parzivals Vater Gahmuret im Orient Krieg führte,531 werden vom Sprecher über den Vergleich mit den Handlungsträgern des ›Willehalm‹ erzähllogisch auf dieselbe Ebene gestellt wie Hermann von Thüringen oder andere Exponenten der deutschen Reichsgeschichte.532 Dadurch werden die Ereignisse 528 Dazu Kiening, Reflexion – Narration, S. 94–102. 529 Vgl. 447,1–5; 455,6–10 (siehe dazu weiterführend Kiening, Reflexion – Narration, S. 86–94). 530 Vgl. 384,18–25; 439,16–19 (dazu Kiening, Reflexion – Narration, S. 111–116). 531 Im ›Parzival‹ nennt Wolfram den Namen des bâruc nicht, zur diesbezüglichen Forschungsdiskussion siehe: Wolfram von Eschenbach, Willehalm, hg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 2009, S. 866/867. Dass mit bâruc Akarîn der betreffende namenlose Herrscher gemeint ist, in dessen Diensten Gahmuret stand, wird im ›Willehalm‹ an späterer Stelle nochmals expliziert (vgl. 73,21–24). Siehe dazu auch Kiening, Reflexion – Narration, S. 95/96. 532 Weitere Vergleiche mit Figuren aus dem ›Parzival‹ finden sich etwa: 54,28–55,1; 73,21– 24; 99,27–100,1; 125,27–30; 167,5–8 (aus Figurenperspektive); 243,10/11; 248,26–

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der Erzählung in einen Kosmos eingeordnet, der nicht zwischen Textwelten und lebensweltlichen Geschehnissen unterscheidet. Welcher dieser Sphären jemand angehört, wird aus den narrativen Mechanismen, wie sie der Wolfram-Erzähler anwendet, gerade nicht ersichtlich. Damit korrespondiert, dass die Redeinstanz im Verlauf des Erzählens immer wieder auf die âventiure oder auf das maere, also quasi auf die Geschichte selbst verweist, die sie als eigentliche Quelle ihres Erzählens nennt.533 So ist es nicht eine schriftliche Vorlage,534 sondern die abstrakte Größe der personifizierten Narrativität, der sich der Erzähler verpflichtet fühlt, wenn er festhält: ob mich diu âventiure des man, / daz ich si muoz prîsen, / daz envelschen niht die wîsen (›wenn die Geschichte von mir fordert, sie zu rühmen, dann werden das die Kenner nicht für falsch erklären‹, 27,2–4).535 Solche Quellenberufungen macht die Redestimme in großer Zahl, wobei sie die Verantwortung für das Erzählen mitunter ganz an diese unbestimmte Informantin delegiert. Dass es sich bei der Narrativität explizit um eine Kategorie der Mündlichkeit handelt, verdeutlichen Formulierungen wie: hât mirz diu âventiure gesaget, / sô sag ich iu (›wenn die Geschichte

249,1; 271,17–21; 279,13–29; 283,26–30; 356,8/9; 379,26/27; 403,18–22. Vergleiche mit Bezug auf Lyriker: Walther von der Vogelweide: 286,19–22; Neidhart: 312,11–14. Was realhistorische Persönlichkeiten aus der Herrschaftspolitik angeht, werden neben Landgraf Hermann von Thüringen vergleichend in die Argumentation einbezogen: Welf VII.: 381,26–29; Otto IV. von Braunschweig: 393,30–394,5. 533 Dies steht in unmittelbarer Korrelation mit der Bezeichnung der Quelle als maere im Prolog 3,8/9. Uwe Pörksen weist darauf hin, dass âventiure im ›Willehalm‹ praktisch »durchgehend als den Dichter unterweisende, mahnende Muse zitiert« wird, während maere »als Subjekt in unpersönlichen Wendungen« oder in Verbindung mit »der WirForm« steht (Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 73/74, mit zahlreichen Belegstellen). 534 Wie Pörksen konstatiert, »beruft sich [die Redeinstanz] an keiner Stelle auf das buoch oder auf das Gelesenhaben, sondern ausschließlich auf mündliche Überlieferung« (Pörksen, Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos, S. 72). 535 Ähnlich: âventiure, als dû mich mans (›wie du, Erzählung, mir versicherst‹, 55,10); mich enhabe diu âventiure betrogen (›wenn es stimmt, was die Geschichte erzählt hat‹, 275,6); ob michs diu âventiure wîse, / der sol ich nennen iu genuoc (›sagt es mir die Geschichte, dann nenne ich euch viele‹, 361,4/5); diz maere uns niht betriuget, / daz sult ir hân vür ungelogen (›die Geschichte hier lügt uns nichts vor, ihr sollt es für bare Münze nehmen‹, V. 426,14/15). Siehe zu diesen Passagen auch die Überlegungen von Young, Narrativische Perspektiven, S. 123.

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mir es gesagt hat, dann sag ich euch‹, 42,8/9).536 Auch bei diesen Wendungen handelt es sich meist um Äußerungen, die die phatische Funktion des Sprechakts in den Vordergrund rücken. Der Autor affirmiert sich als Erzähler, indem er das Erzählen als solches zur legitimierenden Quelle macht und dabei für die Aufrechterhaltung des Kommunikationskanals zum Publikum hin sorgt. Entsprechend lässt sich folgendes Fazit ziehen: Die Stimme des Erzählens zeichnet sich im ›Willehalm‹ grundlegend dadurch aus, dass sie einen textvermittelnden Kommunikationsbereich schafft, in welchem sie sich als Erzählerfigur Wolfram von Eschenbach etabliert. Die Erzählerfigur Wolfram interagiert zwar nicht selbst mit den Protagonisten der Geschichte,537 doch sie lässt eine Art Rahmensituation entstehen, in der sie sich als handelndes, denkendes und fühlendes Subjekt installiert. Eröffnet wird diese Rahmensituation bereits im Prolog, wo sich die Wolfram-Figur als Erzähler im strengen Wortsinn vorstellt, gleichzeitig Informationen liefert, die sich als Metadaten zum Text verstehen lassen, indem sie diesen in ein literarisches Diskurssystem einordnen: Zu nennen ist der Hinweis auf den Gönner sowie die Anzeige der ›Parzival‹-Autorschaft. All dies geschieht jedoch in verfremdender Art und Weise, da die Bekanntgaben so präsentiert werden, dass Schriftlichkeit als Basis für den Werkcharakter der Texte ausgeblendet ist. Die im Prolog konstituierte Rahmensituation wird als Sphäre des Erzählers während des gesamten Narrationsvorgangs beibehalten und bietet 536 Ebenso: von im seit diu âventiure mir (›von ihm sagt mir die Geschichte‹, 368,21); als uns diz maere wider jach (›wie die Geschichte uns erzählte‹, 380,30). 537 Aus diesem Grund könnte man geneigt sein, die Erzählerfigur Wolfram von Eschenbach mit Gérard Genette als heterodiegetisch zu bezeichnen. Tatsächlich ist Genettes Unterscheidung des homo- und des heterodiegetischen Erzählers in der Bestimmung unscharf, was gerade im Fall des ›Willehalm‹ zu Buche schlägt und eine derartige Charakterisierung problematisch werden lässt. Die Erzählerfigur Wolfram interagiert zwar nicht mit den Akteuren der Geschichte, situiert sich jedoch durchaus in der erzählten Welt. Während Genette im ›Discours du récit‹ nur Hauptfiguren und unbeteiligte Zuschauer als homodiegetisch bezeichnet, räumt er im ›Nouveau discours‹ ein, dass grundsätzlich jede Form der Abstufung möglich ist, ja sogar die klare Grenze zwischen homo- und heterodiegetischer Instanz verschwimmen kann (Genette, Die Erzählung, S. 176 u. 261–263; siehe zu dieser Problematik auch die Überlegungen von: Tilmann Köppe/Tom Kindt, Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart 2014, S. 94 u. 96).

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Raum für dessen Profilierung. Mit Franz K. Stanzel könnte man hier auch vom »Raum des Autors« sprechen, in welchem sich der auktoriale Erzähler darstellt und charakterisiert.538 Diese Sphäre dient quasi als Terrain der Kommunikation, von dem aus sowohl Verbindungen zu den Protagonisten geschaffen als auch Brücken zur Lebenswelt der Adressaten geschlagen werden. Die hierbei sichtbar werdenden Aspekte der Sprecherfigur bauen im Verlauf der Narration ein kohärentes Personenbild des Autors auf, das steckbriefartig wie folgt zusammengefasst werden kann:539 Der im ›Willehalm‹ modellierte Erzähler heißt Wolfram von Eschenbach (4,19), besitzt keine Schulbildung (2,19/20), spricht jedoch etwas französisch (237,3–7; 449,9). Er nimmt für sich in Anspruch, die Geschichte von Parzival erzählt zu haben (4,20), beruft sich auf Veldeke als seinen meister (76,24/25) und hält Chrétien für einen nachlässigen Erzähler (125,20–23).540 Des Weiteren ist er christlich getauft (48,15), hat eine Tochter (11,23; 33,24) und ist nicht übermäßig wohlhabend (376,12; 396,19). Er ist der Meinung, dass es 72 Sprachen gibt (73,7) und weiß über das Flachsschwingen in Nördlingen Bescheid (285,16/17), auch ist er informiert über die verlorene Schlacht des Welfen bei Tübingen (381,26–29) und die Krönung von Kaiser Otto in Rom (393,30/394,1). Was die Besonderheiten der mitteleuropäischen Geographie angeht, verweist er auf die Bäume im Spessart (96,16; 377,24/25) und kennt den Bodensee (377,5), den Rhein und die Rhone (404,22) als bedeutende Gewässer. Zu Landgraf Hermann von Thüringen hat er persönlichen Kontakt (3,8/9; 417,22), vom Hörensagen weiß er von berühmten Rittern und Königen wie Feirefiz von Anjou (45,15; 54,30; 125,28; 248,29; 379,27)

538 Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955, S. 24. Stanzel bemerkt in diesem Zusammenhang, dass in auktorialen Erzählungen nicht nur die erzählte Welt einer spezifischen Interpretation bedarf, sondern auch »die eigentümliche Erscheinungsweise des auktorialen Erzählers, die Idiosynkrasie seiner Weltschau, seine fiktive Verstellung und Verwandlung« gedeutet werden muss. 539 Vgl. dazu Starkey, Reading the medieval book, S. 70; zudem mit Blick auf den ›Parzival‹: Heiko Hartmann, »Darstellungsmittel und Darstellungsformen in den erzählenden Werken«, in: Joachim Heinzle (Hg.), Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Berlin 2011, S. 145–220, hier S. 180/181. 540 Siehe zu Letzterem Kiening, Reflexion – Narration, S. 106/107; Young, Narrativische Perspektiven, S. 134.

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oder Anfortas (99,29; 167,6; 279,13; 283,29), auch sind ihm die Geschichten über Ezzel, Ermenrich und Witege bekannt (384,20–23). Sämtliche genannten Eigenschaften gehören zur Erzählerfigur, die sich über die kommentierenden Einschübe ein eigenes Gepräge gibt.541 Die zahlreichen betreffenden Erklärungen und Stellungnahmen der WolframFigur stören einerseits den Aufbau der erzählerischen Illusion und wirken in der Diegese als Verfremdungseffekte, andererseits situieren sie den Erzählvorgang und tragen dadurch zur kommunikativen Orientierung bei. Denn über diese Wolfram-Gestalt wird bereits textintern ein Rahmen zum Sprechakt des Erzählens geschaffen, der in der realen Vortragssituation von der Rahmung durch die tatsächliche Zuhörerschaft überlagert wird.542 Der Rezitator übernimmt dann zwangsläufig die Rolle des figurierten Erzählers, der als Sprecher auftritt und immer wieder den direkten Kontakt zu den Rezipienten über die phatischen Ausdrücke sucht. Da der textintern simulierte Narrationsvorgang während der Deklamation mit dem faktischoralen zusammenfällt, wird der Rezitator gleichsam zum Darsteller, nämlich zur performativen Verkörperung der Wolfram-Gestalt.543 Die Position des Dichters im Sinne des Verfassers des schriftliterarischen Produkts bleibt dabei allerdings ein blinder Fleck. Nichtsdestotrotz fungiert die Erzählerfigur als Vermittlerin von Informationen, die zum literarischen Diskurs gehören. Beim Hinweis auf den Erstling ›Parzival‹ und bei der Mitteilung, dass Hermann von Thüringen die Vorlage des ›Willehalm‹ zur Verfügung gestellt habe, handelt es sich um Angaben, wie sie in der modernen Buchwelt in aller Regel in Form von – graphisch und stilistisch von der Erzählung abgehobenen – Paratexten geboten werden. Dass sie im Prolog bekannt gegeben werden, verdeutlicht dessen hybride Stellung, die im ›Willehalm‹ stärker markiert ist als in anderen mittelalterlichen Erzähltexten. Auch was die rezeptionssteuernde 541 Spezifische Deutungen der betreffenden Konturierungen leistet Kiening, Reflexion – Narration, S. 157–168. 542 Kiening, Reflexion – Narration, S. 168, hält fest: »Über das Hier und Jetzt einer konkreten Kommunikationssituation hinausgehend, deutet sich das Prinzip an, erzählte Welt und Erfahrungsgegenwart füreinander durchlässig zu machen. Das Publikum läßt sich dabei weder textintern genau eingrenzen noch extern, etwa auf den thüringischen Raum, fixieren.« 543 Vgl. Starkey, Reading the medieval book, S. 71.

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Wirkung angeht, hat dieser Prolog insofern eine Paratexten vergleichbare Qualität, als er die betreffenden Diskursinformationen gleich zu Beginn der Textrezeption liefert, so dass jede weitere Impression des Werks immer schon im Zeichen dieser Angaben geschieht. Doch beschränkt Wolfram die eigene Positionierung im literarischen Gefüge der Zeit gerade nicht auf den Prolog, indem beispielsweise der Verweis auf Heinrich von Veldeke als Teil der Erzählung erscheint. Ganz ähnlich, wie Gottfried von Straßburg den poetologischen Literaturexkurs rhetorisch mit der Handlung verknüpft, sind derartige Anmerkungen auch im ›Willehalm‹ mit der Geschichte verwoben, fungieren sie als schöpferische Gestaltungsmittel. Wie grundsätzlich unter den Bedingungen fehlender buchmedial etablierter Paratexte überlagern sich auch in Wolframs Erzähltext werkinterne Formelemente mit der Bekanntgabe biblionomer Metadaten, ohne dass eine systematische Trennung möglich wäre. Die Originalität Wolframs besteht dabei gerade im paradoxen Kniff, trotz der stilisierten Distanz zur Buchkultur eine Erzählerfigur im Text zur Erscheinung zu bringen, welche sich in die Mechanismen literarischer Autorschaft rezeptionslenkend einschreibt.

9.

Die Stimme des Erzählens im ›Alexander‹ Rudolfs von Ems

Was in den narrativen Texten Wolframs von Eschenbach konsequent verhüllt wird, ist bei Rudolf von Ems Programm, nämlich die ausdrückliche und als solche ausgestellte Personalunion von Sprecher und schriftliterarischem Dichter. Wie Wolfram vor ihm oder Konrad von Würzburg später hat sich Rudolf als Verfasser epischer Werke hervorgetan, die aus unterschiedlichen Stofftraditionen stammen. So gilt denn auch für ihn, dass die Art und Weise, wie die Erzählinstanzen in seinen Werken konzipiert sind, zwar einerseits von der Stofffrage abhängt, andererseits aber vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass der Dichter einen spezifischen stilistischen Typus bevorzugt, der in Texten divergenter stofflicher Provenienz in ähnlicher Weise instituiert wird. Mit seinem ›Alexander‹ griff Rudolf eine der beliebtesten mittelalterlichen Materien überhaupt auf, die ihre prägende Gestalt in der Spätantike erhalten hatte und über die Jahrhunderte eine Vielzahl an Bearbeitungen in den verschiedensten Sprachen erlebte. Seine Version der Geschichte vom großen Welteroberer ist im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden und unvollendet geblieben. Tradiert ist sie in zwei Papierhandschriften aus dem 15. Jahrhundert, die beide in der Schreiberwerkstatt Diebold Laubers hergestellt wurden; daneben existiert lediglich noch ein Pergamentbruchstück aus dem späten 13. Jahrhundert.544 544 Für Details zu den Handschriften und zum Fragment siehe: Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 201–350 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V,2), Wiesbaden 1970, S. 32/33; Hartmut Beckers, »Handschriften mittelalterlicher deutscher Literatur aus der ehemaligen Schloßbibliothek Blankenheim«, in: Die Manderscheider. Eine Eifeler Adelsfamilie. Herrschaft, Wirtschaft, Kultur. Katalog zur Ausstellung, Köln 1990, S. 57–

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Auch wenn es bei diesem Werk also keine Textzeugen gibt, die dessen kodikale Präsentation in den ersten Jahrzehnten nach seiner Entstehung greifbar machen könnten, lassen die Lauber-Manuskripte zumindest Aspekte der Anlage des Texts erkennen, wie sie in den früheren Überlieferungsträgern vorgelegen haben musste. Was textexterne Hinweise betrifft, die zur Bestimmung und Einordnung der gebotenen Versdichtung dienen, sind die unter Lauber gefertigten Handschriften oft reicher ausgestattet als andere mittelalterliche Tradenten.545 Besonders gilt dies für die in der Königlichen Bibliothek zu Brüssel aufbewahrte Alexander-Handschrift (ms. 18232): Sie sticht durch 45 kolorierte Federzeichnungen hervor, die den Verlauf der Handlung illustrieren, wobei Überschriften und Bildbeischriften den Inhalt des Werks paratextuell kommentieren. Weniger aufwändig gestaltet ist der zweite Überlieferungsträger von Rudolfs Text, ein Münchner Kodex (Cgm 203), der nur zum Auftakt zwei (ebenfalls kolorierte) Federzeichnungen präsentiert, welche vor dem Hintergrund der Frage nach der Stimme des Erzählens allerdings beachtenswert sind: Links zeigt sich eingangs eine ganzseitige Belagerungsszene (fol. 1v, bei leer gelassenem fol. 1r), rechts ist die obere Blatthälfte der zweiten Illustration gewidmet, die eine Figur mit Zeigegeste vor einem Lesepult mit aufgeschlagenem Buch abbildet (fol. 2r), womit – wie der nach oben gerichtete Blick des Mannes nahelegt, der einen Inspirationsgestus andeutet – wohl der Autor gemeint ist [Abb. 9]. Titelartig über dieser Zeichnung formuliert in roter Schrift das Incipit: Hie vohet sich an das buoch dz do genant ist der grosse herre alexander vnd seit dis buoch sin 82, hier S. 70; Hella Frühmorgen-Voss (Hg.), Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, begonnen von Hella Frühmorgen-Voss, fortgeführt von Norbert H. Ott zusammen mit Ulrike Bodemann und Gisela FischerHeetfeld, Bd. 1, München 1991, S. 102–105; Lieselotte E. Saurma-Jeltsch, Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung. Bilderhandschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers in Hagenau, Bd. 2, Wiesbaden 2001, S. 15/16 u. 90; Hermann Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek II. Die Handschriften in Quartformat (Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek VIII), Leipzig 1926 [Nachdruck Graz 1970], S. 115. 545 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die unter Lauber gefertigten Manuskripte bereits unter dem Aspekt des Buchs als Handelsware produziert sind (siehe dazu die Ausführungen oben in den Kapiteln ›Paratextuelle Rahmung und mittelalterliche Manuskriptkultur‹ sowie ›Gegenprobe: Das antike Buchwesen als autorzentrierte Handschriftenkultur‹).

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leben gantz vnd gar wz er ie gedet by synem leben dz vindet man gantz vnd gar har ynne geschriben ston. Der Verstext selbst beginnt auf der unteren Blatthälfte mit einer großen Deckfarbeninitiale, in deren Innerm Tierdrolerien eingefügt sind. Über das Incipit wird das Thema der Dichtung angekündigt, Hinweise auf den Namen des Verfassers finden sich im Cgm 203 auf den ersten Blick nicht. Die über 20’000 Verse sind zweispaltig angeordnet mit roter Strichelung, einziges Gestaltungsmittel sind rote Lombarden, über die der Text in Abschnitte gegliedert wird. Diese lassen schon beim flüchtigen Augenschein erkennen, dass der Auftakt des Werks strophisch angelegt ist. Allerdings ist der Text in beiden erhaltenen Manuskripten so stark verderbt, dass das mittels dieser Initialen formulierte Akrostichon nurmehr erschlossen werden kann. Offenkundig bildeten die Anfangsbuchstaben der sieben Strophen, mit denen der Prolog anhebt, ursprünglich den Eigennamen Ruodolf.546 Der Dichter hat damit eine Autorsignatur in sein Werk eingewoben, die als paratextuelle Diskursinformation für denjenigen, der lesen konnte, gleich zu Beginn der Lektüre visuell wahrnehmbar war. Graphisch nur angedeutet ist in der Münchner Handschrift die Tatsache, dass der Verfasser seinen ›Alexander‹ in mehrere Bücher eingeteilt hat: So hat der Schreiber vor den Buchanfängen jeweils Abstände von einer oder zwei Leerzeilen gelassen, ohne über die standardisierten Lombarden hinausgehende Hervorhebungen oder Markierungen vorzunehmen. Wie aus diesen Buchanfängen zu ermitteln ist, die den Namen des Titelhelden als Akrostichon wiedergeben, hat Rudolf das Werk, das im sechsten Buch mitten in der Handlung abbricht, eigentlich über zehn Bücher geplant.547 In keiner Weise optisch erkennbar ist indes der Umstand, dass sämtliche dieser Bücher mit Prologen ausgestattet sind, in denen besonders kunstvolle 546 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 1–28 (nach der Ausgabe: Rudolf von Ems, Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, hg. v. Victor Junk, Leipzig 1928 [Nachdruck Darmstadt 1979]). Siehe dazu auch Sebastian Coxon, The Representation of Authorship in Medieval German Narrative Literature 1220–1290, Oxford 2001, S. 72–74; Florian Kragl, »Kanonische Autorität. Literaturexkurse und Dichterkataloge bei Rudolf von Ems«, in: Jürgen Struger (Hg.), Der Kanon – Perspektiven, Erweiterungen und Revisionen. Tagung österreichischer und tschechischer Germanistinnen und Germanisten, Olmütz/Olomouc, 20.–23. 9. 2007, Wien 2008, S. 347–375, hier S. 365–369. 547 Die Eingangsinitialen der erhaltenen sechs Bücher lauten: R, A, L, E, X, A.

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Abb. 9: Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 203, fol. 2r

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Reimschemata, Variationen der Strophenbildung und ausgeklügelte Wortspiele verwendet werden. Die Anlage der Überlieferungsträger allein aus dem 15. Jahrhundert legt nahe, dass die Vortragssituation auch für Rudolfs Werk als genuin vorgesehene Rezeptionsform unterstellt werden kann: Die Münchner Handschrift setzt diese Vorstellung bereits zum Auftakt ins Bild, lässt zudem vom Layout her keine Strukturen erkennen, welche einen visuellen Leseakt als begünstigten anzeigen würden, indem nicht einmal die einzelnen Buchanfänge und Binnenprologe Niederschlag in der mise en page gefunden haben. Die Tatsache, dass sich das Akrostichon am Textanfang in den tradierten Manuskripten nicht hat halten können, verweist auf die Vernachlässigung einer über die Optik verlaufenden Lektüre auch von Seiten der Schreiber. Wie sich noch zeigen wird, verwendete der Dichter im Verlauf des Verstexts zur Kennzeichnung der Bucheinteilung textinterne verbal-sprachliche Gestaltungsmittel, so dass die Orientierung an der phonischen Medialität als konzeptionelle Basis des ›Alexander‹ gelten kann. Der Gebrauch von Akrosticha steht dazu nicht in einem Widerspruch: Diese bilden – sofern sie korrekt ausgeführt sind – für den literaten Betrachter der Handschrift eine Zusatzinformation, die den Dichter als spielerisch-versierten Könner auszeichnet, so dass sie sich als handwerklicher Ausdruck seines Dichterstolzes lesen lassen.548 Der Einstieg in Rudolfs ›Alexander‹ erfolgt, wie erwähnt, über sieben vierzeilige Strophen, in denen sentenzenhaft allgemeine Überlegungen über das Verhältnis von dichterischer Kunstfertigkeit und segensreichem Erfolg angestellt werden.549 Direkt im Anschluss findet eine fokussierte Auseinandersetzung mit den strophisch vorgebrachten Gedanken statt, die von einer über das Pronomen der ersten Person Singular greifbar werdenden Gestalt artikuliert werden, welche aufgrund des formulierten Inhalts zwei-

548 Siehe dazu etwa Seraina Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung. Bearbeitungen des Alexanderstoffs als Modellfall differenter Verfasserkonzeptionen«, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 134/3 (2012), S. 344–364, hier S. 359–363. 549 Siehe auch die Interpretation von Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2. Aufl., Darmstadt 1992, S. 303–306.

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felsfrei mit dem Verfasser selbst zu identifizieren ist.550 Dieser spricht von seinem Wunsch, Gott möge die eigenen Bemühungen um die Dichtkunst dahingehend befördern, dass das Publikum Gunst und verdienten Lohn spende. Ohne es an dieser Stelle weiter auszuführen, macht er dabei deutlich, dass er bereits als Urheber anderer poetischer Werke hervorgetreten sei, und erklärt, jetzt die Lebensgeschichte eines sehr tugendhaften und erfolgreichen Ritters berichten zu wollen. Indem er die Rezipienten im Rahmen dieser Ankündigung in der zweiten Person Plural direkt adressiert, tritt er zugleich als Kommunikationsinstanz auf (wobei das hierbei verwendete Verb bescheiden (V. 41) zunächst nicht notwendigerweise auf einen oralen Erzählvorgang verweist). Doch bevor der sich als Erzähler installierende Dichter mit der Geschichte beginnt, liefert er metanarrative Informationen, die den Entstehungsprozess des Werks betreffen. Über den Verweis auf die zahllosen und in verschiedenen Sprachen vorliegenden Bearbeitungen führt er den Stoff ein, indem er zugleich für sich in Anspruch nimmt, als Vorbereitung für die eigene Erzählversion viele dieser Quellen geprüft zu haben. Aufgrund der Durchdringung der Materie sehe er sich in der Lage, angemessen – das heißt der wârheit entsprechend (V. 66, 75, 78, 90) – über Alexander zu berichten.551 Dass es sich beim Subjekt der Ausführungen um den Dichter persönlich handelt, bestätigt sich in diesem Zusammenhang noch einmal durch die Selbstaussage: durch daz hân ich gevlizzen mich / al mîne tage sît daz ich / tihtens ie begunde (›in diesem Sinn habe ich mich alle Zeit bemüht, seit ich mit Dichten angefangen habe‹, V. 67–69). Die Verknüpfung des Verbs tihten mit dem Pronomen der ersten Person Singular weist den Erzähler als Verfasser des schriftliterarisch festgehaltenen Werks aus. 550 Vgl. Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 306–308. 551 Siehe zum Phänomen der von Rudolf immer wieder in Anspruch genommenen wârheit: Trude Ehlert, Deutschsprachige Alexanderdichtung des Mittelalters. Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte, Frankfurt a. M. 1989, S. 115–118; Stefanie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman, Tübingen 2005, S. 115–126; Stefanie Schmitt, »Autorisierung des Erzählens in Romanen mit historischen Stoffen? Überlegungen zu Rudolfs von Ems Alexander und Konrads von Würzburg Trojanerkrieg«, in: Beate Kellner/Peter Strohschneider/Franziska Wenzel (Hg.), Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter, Berlin 2005, S. 187–201, hier S. 189–193.

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Die thematisierte Rechercheleistung wird indes nicht nur argumentativ als Basis für die dichterische Textgenese genannt, sondern auch zur Voraussetzung erhoben, um mit dem Narrationsprozess beginnen zu können. Hatte sich der Urheber des mit dem Prolog eröffneten Sprechakts gerade noch als derjenige vorgestellt, welcher auf der Grundlage umfassender Vorarbeiten die Geschichte von Alexander der rehten wârheit (V. 66) gemäß zusammenzustellen im Stande sei, so tritt derselbe unmittelbar darauf explizit als Sprecher auf, der sich ans Publikum wendet, um in die Erzählung als solche einzusteigen: sô wil ich gegen den maeren stegn und wil iu sagen wer der degn von art und von gebürte was, als ich die âventiure las. So werde ich eine Brücke zu den Erzählungen bauen und euch berichten, von welcher Art und Herkunft der Held war, wie ich seine Geschichte gelesen habe. (Rudolf von Ems, Alexander, V. 103–106)

Der Verfasser selbst ist derjenige, der für den Narrationsprozess verantwortlich zeichnet, wobei er – genau genommen – suggeriert, dass die Schöpfung des schriftliterarischen Werks und der adressatenorientierte, orale Erzählvorgang zusammenfallen. Schaffens- und Erzählakt werden gewissermaßen überblendet, indem der Dichter vorgibt, den verspoetischen Schrifttext in dem Moment zu kreieren, in welchem er ihn auch als Sprecher den Rezipienten näherbringt.552 Der Verfasser versetzt sich mit Blick auf die Werkgenese zwar in die Position dessen, der als mündlicher Berichterstatter auftritt, unterminiert dabei aber – anders als Wolfram – das Faktum, dass es sich beim ›Alexander‹ um eine kodikal festgehaltene Dichtung handelt, gerade nicht. Das Paradox dieser doppelten Perspektivierung hat der Illuminator der Münchner Handschrift insofern genau getroffen, als er die Gestalt zum Textbeginn einerseits mit Blick nach oben – als würde sie gerade inspiriert –, andererseits vor dem aufgeschlagenen Buch – als rezitiere sie den Inhalt desselben – präsentiert, wobei sich die Zeigegeste der 552 Eine ganz ähnliche Konstellation wird in Rudolfs ›Willehalm von Orlens‹ greifbar (siehe dazu Monika Unzeitig, Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2010, S. 274/275).

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linken Hand als Ausdruck sowohl des Diktierens als auch des Proklamierens lesen lässt [vgl. Abb. 9]. Die Stimme des Erzählens gehört in Rudolfs ›Alexander‹ also dem Dichter, der sich selbst als Narrations- und Kommunikationsinstanz einführt, ja das Heft auch für den Publikumskontakt nicht aus der Hand geben will. Dabei erscheint der Verfasser nicht als figurierter Erzähler – wie dies in Wolframs ›Willehalm‹ der Fall ist –, sondern er bleibt im Verlauf des Erzählakts gleichsam doppelgesichtig, indem er während der Narration über weite Strecken zum schemenhaften Sprecher mutiert, der (oft formelhaft) die kommunikative Relation zu den Adressaten sichert und nur ganz punktuell mittels raffinierter Wortspiele, über welche er seine dichterische Sprachgewalt aufblitzen lässt, den Handlungsgang kommentiert, in den Binnenprologen hingegen poetologische und diskursstrukturierende Überlegungen anstellt, die ihn selbst als Autor im zeitgenössischen Literaturbetrieb situieren. Was die Erzählinstanz als Mittlerin zum Publikum angeht, die ausdrücklich den akustischen Kanal bedient, so wird dieser Aspekt im ›Alexander‹ dutzendfach greifbar in den zahllosen phatischen Formulierungen und Bemerkungen zur Erzählregie, die die Narration als oral-auditiven Vorgang ausstellen.553 Besonders häufig und variantenreich sind hierbei Wendungen, bei denen die Kommunikationsinstanz die Zuhörer unmittelbar adressiert und auf bereits Ausgeführtes verweist, in der Art von: von der ich iu ê hân geseit (›von welcher ich euch schon erzählt habe‹, V. 2684), als ich iu hân verjehn (›wie ich euch erzählt habe‹, V. 8879, V. 16862), als ich iu dicke hân gesagt (›wie ich euch mehrfach gesagt habe‹, V. 18619); den ich iu hân alhie genant (›welchen ich euch eben hier genannt habe‹, V. 20523).554 553 Mit Gérard Genette könnte man davon sprechen, dass Rudolf als Erzähler die Kommunikationsfunktion mit auffälliger Emphase bedient (vgl. Gérard Genette, Nouveau Discours du récit, Paris 1983; dt.: Die Erzählung, mit einem Nachwort hg. v. Jürgen Vogt, aus dem Franz. übers. v. Andreas Knop, München 1994, S. 177–295, hier S. 183). 554 Sehr ähnliche Fomulierungen finden sich zuhauf: von dem ich iu ê hân geseit (›von welchem ich euch schon erzählt habe‹,V. 7622); als ich iu hân geseit (›wie ich euch gesagt habe‹, V. 16849, V. 18377, V. 21049); als ich iu hân hie vor geseit (›wie ich euch vorher gesagt habe‹, V. 2754, V. 6488, V. 7028, V. 13812, V. 17236, V. 19300); als ich iu nû hân geseit (›wie ich euch jetzt erzählt habe‹, V. 18958); als ich iu hân gesagt (›wie ich euch gesagt habe‹, V. 17579); als ich iu hân gesaget hie (›wie ich euch hiermit gesagt habe‹, V. 2810, V. 5016); als ich iu hân hie vor gesagt (›wie ich euch vorher gesagt habe‹,

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Alternativ dazu finden sich Versionen ohne expliziten Rezipientenbezug, wobei verschiedene Verben des Sagens zum Einsatz kommen: als ich ê hân von ir geseit (›wie ich schon von ihr erzählt habe‹, V. 8218); von dem ich ê gesprochen hân (›von dem ich schon gesprochen habe‹, V. 14763); den ich hân hie vor genant (›den ich vorher genannt habe‹, V. 15474); als ich hân gezalt (›wie ich berichtet habe‹, V. 21040).555 Mitunter thematisiert die Stimme des Erzählens in solchen Zusammenhängen des Rückverweises ausdrücklich den Akt des Vortragens,556 sowohl mit als auch ohne Publikumsapostrophe: von dem ich iu hie vor las (›von dem ich euch vorher vorgelesen habe‹, V. 7608, V. 13066); als ich ê las (›wie ich schon vorlas‹, V. 6828, V. 10762, V. 11150, V. 15662).557 Ferner gibt es auch die umgekehrte V. 2861); als ich iu nû hân verjehn (›wie ich euch jetzt erzählt habe‹, V. 2952); nû hân ich iu alhie geseit (›jetzt habe ich euch hier gesagt‹, V. 5581); diz hân ich iu hie vor gesagt (›dies habe ich euch vorher erzählt‹, V. 14497); nû hân ich iu hie vor gesagt (›nun habe ich euch vorher erzählt‹, V. 15377); den ich iu nû hân genant (›welchen ich euch nun genannt habe‹, V. 18651); den ich iu hie vor nande (›welchen ich euch vorher nannte‹, V. 13588); als ich iu hie vor wizzen liez (›wie ich euch vorher wissen ließ‹, V. 6762); ich han iuch ê bescheiden des (›das habe ich euch schon mitgeteilt‹, V. 20702). 555 Auch für diese Variante gibt es zahlreiche weitere Belege: als ich von jenen hân geseit (›wie ich von jenen erzählt habe‹, V. 11748); als ich hân geseit (›wie ich erzählt habe‹, V. 13954); diu ich hân hie vor gezalt (›die ich vorher genannt habe‹, V. 15590); swaz ich hân gesprochen ê (›alles, was ich schon gesagt habe‹, V. 5434); als ich ê sprach (›wie ich schon sagte‹, V. 6220, V. 10374, V. 17542); von der ich hân gesprochen hie (›von der ich hier gesprochen habe‹, V. 7762), von den ich hân gesprochen hie (›von denen ich hier gesprochen habe‹, V. 17454); von den ich hân gesprochen ê (›von denen ich schon gesprochen habe‹, V. 12273); als ich gesprochen hân (›wie ich gesagt habe‹, V. 17176); als ich ein teil gesprochen hân (›wie ich teilweise erzählt habe‹, V. 17290); von den ich ê sprach (›von denen ich schon sprach‹, V. 17699); als ich ê verjach (›wie ich schon sagte‹, V. 12096); die ich hân genant (›welche ich genannt habe‹, V. 10563, V. 17307); daz ich hân genant (›was ich genannt habe‹, V. 10985, V. 13535); den ich hân genant (›den ich genannt habe‹, V. 14254, V. 14376, V. 15714, V. 19089); diu ich hân hie vor genant (›welche ich vorher genannt habe‹, V. 17582); alhie hân ich genennet gar (›eben hier habe ich genannt‹, V. 15736); den ich genennet hân hie vor (›den ich vorher genannt habe‹, V. 16326); alhie hân ich gar genant (›eben hier habe ich genannt‹, V. 16338). 556 Vgl. dazu Dennis Howard Green, »On the primary reception of the works of Rudolf von Ems«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 115 (1986), S. 151–180, hier S. 167/168. 557 Weitere diesbezügliche Wendungen sind etwa: als ich iu hier vor las (›wie ich euch vorher vorgelesen habe‹, V. 6548); als ich iu ê las (›wie ich euch schon vorgelesen habe‹, V. 17622); von dem ich ê las (›von dem ich vorher vorlas‹, V. 8350); als ich hievor las (›wie ich vorher vorlas‹, V. 11216).

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Perspektive, indem beim Rekurs auf bereits Berichtetes der Standpunkt der Zuhörer akzentuiert wird: nû hôrtet ir mich ê wol sagn (›nun hörtet ihr mich schon erzählen‹, V. 7855); als ir ê habet vernomn (›wie ihr bereits vernommen habt‹, V. 9252).558 Allein die schiere Masse dieser Wendungen verdeutlicht, dass der ›Alexander‹ von einem Sprecher erzählt wird, der die Kohärenz der Narration immer wieder plakativ pointiert. Das Subjekt des Erzählens ist zwar streng logisch der sich in den Prologen als Autor verortende Dichter. Doch tritt dieser im Verlauf der Narration als Individuum in den Hintergrund zugunsten einer Redeinstanz,559 die von jedem realen Deklamator als Position ausgefüllt werden kann. Dies zeigt sich ebenfalls in den diversen Formulierungen mit kommissivem Charakter, die ihrerseits auf den prozessualen Akt des Erzählens zielen, wie: daz wil ich iu machen kunt (›das will ich euch verkünden‹, V. 9661); als ich iu sagen wil (›wie ich euch erzählen will‹, V. 13461, V. 15112).560 Noch stärker phatisch sind direkte Aufforderungen an die Zuhörer, für das Erzählte offen zu sein und diesem Aufmerksamkeit zu zollen: lât iu von im noch sagn ein teil (›lasst euch über ihn noch Weiteres sagen‹, V. 2549); nû hoeret rehte wie (›hört jetzt gut zu, wie‹, V. 21527).561 558 Als Spielarten finden sich auch beispielsweise: als ir mich ê hôrtet sagn (›wie ihr mich bereits sagen hörtet‹, V. 5118, V. 12378, V. 18348); als ir habet ê vernomn (›wie ihr schon vernommen habt‹, V. 9404); als ir ein teil ê hât vernomn (›wie ihr teilweise schon vernommen habt‹, V. 17338). 559 Ähnliches lässt sich auch in Rudolfs ›Willehalm von Orlens‹ beobachten (siehe dazu Unzeitig, Autorname und Autorschaft, S. 263–276). 560 Vergleichbar auch: daz wil ich iu sagen hie (›dies will ich euch hier erzählen‹, V. 15382, V. 15749); die wil ich nennen und sagn (›diese will ich deutlich nennen‹, V. 15772); die nenn ich iu hie (›diese nenn ich euch hier‹, V. 16283); und ich iu wil bescheiden (›wie ich euch mitteilen will‹, V. 16745); nû wil ich die ouch nennen / daz ir sie müget erkennen (›ich will sie euch jetzt nennen, damit ihr sie kennenlernen könnt‹, V. 16343/ 44); nû wil ich kurzlîche sagn (›ich will euch nun kurz erzählen‹, V. 17204); nû wil ich iuch wizzen lân (›ich will euch jetzt wissen lassen‹, V. 21055). Mitunter ins Verhältnis gesetzt zur Aufgeschlossenheit des Publikums: ruochet irs, ich tuon iu kunt (›wünscht ihr es, dann berichte ich euch‹, V. 4459); welt ir, ich sage iu vürbaz mê (›wenn ihr wollt, erzähle ich euch noch Weiteres‹, V. 5356); ich wil iu sagn / ob ir mirz geloubet (›ich will euch erzählen, wenn ihr mir es glaubt‹, V. 958/59); ob irz geloubet (›wenn ihr es glaubt‹, V. 2114); ob ir mirz geloubet (›wenn ihr es mir glaubt‹, V. 7192, V. 16407). 561 Diese Form des Publikumsbezugs ist im ›Alexander‹ vergleichsweise weniger häufig verwendet: nû lât iu rehte wîsen hie (›lasst euch nun genau zeigen‹, V. 387); nû lât iu

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Die angeführten Formen der Bezugnahme auf die Narration konturieren eine Erzählinstanz, die als Sprecherposition ohne individuelle Züge fungiert. Sie sorgt in der tatsächlichen Vortragssituation dafür, dass der Kontakt zum Publikum stets aufrecht erhalten bleibt, wobei es die regelmäßig verwendeten, mitunter phrasenartig gesetzten Wortfügungen erleichtern, den Schrifttext in die phonische Medialität zu überführen. Bei den formelhaften Wendungen handelt es sich offensichtlich um den Einbau klarer medialer Transpositionsvorgaben in den schriftlichen Text, die auf dessen orale Realisierung zielen.562 Die ungezählten ausdrücklichen Performativa des Sprechens bleiben situativ unterbestimmt, solange der handschriftliche Text stumm gelesen wird. In dem Moment hingegen, in welchem ein Rezitator in die partiturartig bereit stehende Sprecherrolle schlüpft und einem Rezipientenkreis den Text zu Gehör bringt, gehen sie in der Rahmung der realen Vortragssituation auf.563 Ein besonderes Profil erhält die Redeinstanz in Rudolfs ›Alexander‹ aufgrund ihrer vielseitigen Berufungen auf Quellen ihres Erzählens, ähnlich, wie dies in Veldekes Eneasroman zu beobachten ist, der stoffgeschichtlich ebenfalls in die Antike zurückführt.564 Auch in dieser Hinsicht präsentiert der Text Rudolfs zahlreiche stereotype Wendungen, wobei sich ein bevürbaz sagen hie / dâ daz maere wart gelân (›lasst euch hier nun weiter ausführen, wo die Geschichte vorher verlassen wurde‹, V. 1084/85); nû hoeret (›hört jetzt‹, V. 4066). 562 Dies korrespondiert mit der Position von Ursula Schaefer, die im Zusammenhang derartiger Phänomene von Vokalität spricht (vgl. Ursula Schaefer, Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1992). 563 Auch hier geht es also weniger um fingierte Mündlichkeit, sondern – um mit Peter Koch und Wulf Oesterreicher zu sprechen – um konzeptionelle, die, sobald der Text vorgetragen wird, in der phonischen Medialität aufgeht (vgl. Peter Koch/Wulf Oesterreicher, »Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte«, in: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15–43, hier S. 17). Zum Begriff der ›fingierten Mündlichkeit‹ siehe Paul Goetsch, »Fingierte Mündlichkeit in der Erzählkunst entwickelter Schriftkulturen«, in: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 17 (1985), S. 202–218. 564 Wie weiter oben bereits erwähnt, sehen diverse moderne narratologische Ansätze im Wahrheitsanspruch und im Streben nach Glaubhaftmachung ein grundlegendes, gleichsam überepochales Anliegen der Erzählliteratur (vgl. etwa Käte Friedemann, Die Rolle des Erzählers in der Epik, Berlin 1910, S. 84/85; Franz K. Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman, dargestellt an ›Tom Jones‹, ›Moby Dick‹, ›The Ambassadors‹, ›Ulysses‹ u. a., Wien/Stuttgart 1955, S. 91; Genette, Die Erzählung, S. 184).

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merkenswerter Variationsreichtum im Detail zeigt. Wie im Eneasroman steht der Rekurs auf mündliche Quellen unterschiedslos neben dem Verweis auf Geschriebenes, während die Stimme des Erzählens zwischen individuell-modellierter Narrationsinstanz und kollektivierender Stoffrezeption changiert. Am häufigsten ist dabei die Bezugnahme auf die Schriftquelle an sich,565 mitunter kombiniert mit der nachdrücklichen Beglaubigung, meist in der Art formuliert, dass sich der Sprecher der auditiven Rezeptionsgemeinschaft selbst zurechnet: nû seit uns diu schrift alsô (›nun berichtet uns die Schriftquelle wie folgt‹, V. 181); als diu schrift uns giht (›wie die Schriftquelle uns sagt‹, V. 15244), uns seit diu wârheit der schrift (›uns verkündet die Wahrhaftigkeit der Schriftquelle‹, V. 21018).566 Sehr viel seltener ist die modifizierte Version, welche das Schriftzeugnis gleichsam als Leitplanke für die Erzählinstanz einsetzt: als diu schrift bewîset mich (›wie die Schriftquelle mich belehrt‹, V. 4688); diu schrift der wârheit wîset mich (›die Schrift versichert mir‹, V. 5708). Die vielen Referenzen auf schriftliche Vorlagen werden zwar inhaltlich nicht genauer zugeordnet – was sicherlich nicht zuletzt daran liegt, dass der Alexanderstoff nicht auf einen einzelnen bedeutenden antiken auctor zurückgeführt werden kann, wie dies beim Eneasroman der Fall ist –, doch sind sie hinsichtlich der medialen Materialität konkret: Die Rede ist von schrift. In ähnlicher Weise beruft sich die Redestimme in Rudolfs ›Alexander‹ indes auch auf abstraktere Entitäten wie die âventiure oder die wârheit, wobei Letztere in beliebiger Kombination mit anderen Bezugsgrößen in Anspruch genommen wird. Was den Verweis auf die âventiure 565 Vgl. Green, »On the primary reception«, S. 163/164. 566 Ähnlich auch: nû seit uns diu schrift alsus (›nun verkündet uns die Schriftquelle folgendermaßen‹, V. 15688), als diu schrift uns seit (›wie die Schriftquelle uns verkündet‹, V. 5452, V. 14188), den nennet uns diu schrift alsus (›diesen nennt uns die Schriftquelle derart‹, V. 8788), als uns diu schrift bewîset hât (›wie uns die Schriftquelle belehrt hat‹, V. 5846, V. 14232, V. 20776), als uns diu schrift urkünde gît (›wie uns die Schriftquelle als Beweis liefert‹, V. 8774, V. 21058), diu schrift gewaerlîche seit (›die Schriftquelle berichtet zuverlässig‹, V. 11040), diu schrift der rehten wârheit / hat uns gewaerlîche geseit (›die Schriftquelle gewährleistet uns die Richtigkeit und Wahrheit‹, V. 12863/64). In Einzelfällen findet sich auch die Bezugnahme auf nicht weiter bestimmte Bücher: daz ist nâch der buoche sage (›so ist es, wie die Bücher berichten‹, V. 17107), des hân wir urkünde vil / von manger hande buochen (›diesbezüglich haben wir viele Beweise aus vielerlei Büchern‹, V. 18382/83).

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angeht, ist die explizite oder implizite Eingemeindung der Narrationsinstanz ins Kollektiv der Zuhörerschaft der geläufigste Fall: als uns diu âventiure seit (›wie uns die Geschichte berichtet‹, V. 4884, V. 7012), diu âventiure tuot uns gewis (›die Geschichte versichert uns‹, V. 15846).567 Wird die wârheit als Quelle genannt, bleibt der betroffene Adressat hingegen meist unbestimmt: des diu wârheit giht (›dies spricht die Wahrheit‹, V. 12410); giht die wârheit (›spricht die Wahrheit‹, V. 13236).568 Eine Profilierung als Einzelwesen erhält die Redeinstanz durch Formulierungen, welche sie als individuierte Empfängerin tradierter Informationen hervortreten lässt. Auch hier stehen mündliche und schriftliche Quellen gleichwertig nebeneinander. So bezieht sich der Sprecher einerseits wiederholt auf Hörensagen, ohne die Herkunft der Informationen näher zu spezifizieren: als ich vernomen hân (›wie ich vernommen habe‹, V. 322, V. 10181, V. 13547, V. 13912); als ich hoere sagn (›wie ich sagen höre‹, V. 355, V. 12781, V. 15064); als ich die wârheit hân vernomn (›wie ich die Wahrheit vernommen habe‹, V. 10360, V. 21482).569 Andererseits wird er als jemand 567 Auch in dieser Hinsicht finden sich diverse weitere Belege: diu âventiure von in giht (›die Geschichte erzäht von ihnen‹, V. 5152); nû giht diu âventiure (›nun bekennt die Geschichte‹, V. 5585); uns seit diu âventiure sus (›uns verkündet die Geschichte also‹, V. 8240); diu âventiure seit alsus (›die Geschichte berichtet uns auf solche Weise‹, V. 9488, V. 14125); als uns diu âventiure giht (›wie uns die Geschichte bekennt‹, V. 10106, V. 20482); der âventiure wârheit giht (›die Wahrhaftigkeit der Geschichte bekennt‹, V. 10195); uns tuot diu âventiure gewis (›uns versichert die Geschichte‹, V. 10514). Besonders häufig ist die auch in vielen anderen mittelhochdeutschen Erzähltexten anzutreffende Phrase nâch der âventiure sage (V. 1875, V. 5849, V. 6652, V. 7342, V. 7953, V. 10543, V. 10814, V. 12829, V. 13310, V. 13634, V. 13778, V. 18420, V. 18756, V. 19262, V. 20339, V. 20840). Seltener ist der Bezug auf das maere: ouch seit uns daz maere alsô (›auch berichtet uns die Erzählung auf solche Weise‹, V. 7609); als uns daz maere seit (›wie uns die Erzählung berichtet‹, V. 12290); des wîsent uns diu maere (›dies lassen uns die Erzählungen wissen‹, V. 15647). 568 Oft wird die entsprechende Wahrheitsversicherung phrasenhaft festgehalten: daz ist wâr (V. 2288, V. 2357, V. 5391, V. 9438, V. 12869, V. 15695, 15709, V. 16329, V. 17051), diz ist wâr ân allen wân (V. 15388). Daneben selten in die eine oder andere Richtung spezifiziert: uns tuot die wârheit gewis (›die Wahrheit versichert uns‹, V. 17306); als diu wârheit wîset mich (›wie die Wahrheit mich wissen lässt‹, V. 5125, V. 21114); daz ich wol von wârheit weiz (›das weiß ich wahrheitsgemäß‹, V. 2203). 569 Varianten hierbei sind: als ich hân vernomn (›wie ich gehört habe‹, V. 6621, V. 7846, V. 8227, 18690); daz hân ich von im vernomn (›was ich über ihn gehört habe‹, V. 2110); als ich von wârheit hân vernomn (›wie ich wahrheitsgemäß gehört habe‹, V. 7644, V. 8908); als ich diu maere hân vernomn (›wie ich die Erzählungen gehört habe‹,

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greifbar, der als handelndes Subjekt Schriftquellen konsultiert hat: als ich die âventiure las (›wie ich die Geschichte gelesen habe‹, V. 5644, V. 8607); als ich an den maeren las (›wie ich in den Erzählungen gelesen habe‹, V. 10438); ich hân gelesen anderswâ (›anderswo habe ich gelesen‹, V. 16944, 18434); daz sage ich iu als ich ez las (›dies berichte ich euch so, wie ich es gelesen habe‹, V. 12876).570 Gerade im Vergleich mit Wolframs ›Willehalm‹ sticht ins Auge, dass Rudolf âventiure und maere hier explizit mit Schriftlichkeit und Literalität in Zusammenhang bringt. Die betreffenden Formeln rücken die Personalunion von Sprecher und Dichter in den Vordergrund: Sie korrespondieren mit dem Gepräge, das sich der Verfasser in den Prologen selbst gibt, indem er sich als jemanden vorstellt, der die zahlreichen Bearbeitungen des Stoffs studiert hat und entsprechend zu erzählen in der Lage ist. Gleichwohl bleiben die Verweise auf die Quellen, wie sie die Kommunikationsinstanz in den Narrationsvorgang einbringt, phrasenhaft und vage. Sie dienen gerade nicht dazu, die Erzählinstanz als Person zu charakterisieren und sie in ihrer Besonderheit fassbar zu machen. Schemenhaft bleibt der Sprecher ebenfalls im Zusammenhang der wenigen rhetorischen Wendungen, durch welche er auf die Grenzen seines Erzählens oder auch auf gewollte Kürze aufmerksam macht, wie beispielsweise: des ich niht genennen kan (›dies kann ich nicht nennen‹, V. 9572); mê denn ich iu sagen wil (›mehr als ich euch sagen will‹, V. 10250).571 Alle diese V. 8740); als ich daz maere hân vernomn (›wie ich die Erzählung gehört habe‹, V. 13510); als ich daz maere hoere sagn (›wie ich die Erzählung sagen höre‹, V. 2098); als ich die wârheit hôrte sagn (›wie ich die Wahrheit sagen hörte‹, V. 5412); als ich die wârheit hoere jehn (›wie ich die Wahrheit sagen höre‹, V. 17706). 570 Weitere Belege sind: als ich ez las (›wie ich es gelesen habe‹, V. 14492, V. 15100, V. 15595, V. 20048, V. 21304, V. 21451); als ich an der schrift las (›wie ich in der Schriftquelle gelesen habe‹, V. 15704); als ich ez gelesen hân (›wie ich es gelesen habe‹, V. 20864). 571 Ähnlich auch: den ich niht wol genennen kan (›diesen kann ich nicht genau nennen‹, V. 4520); der ich nû niht nennen wil (›derer ich jetzt nicht nennen will‹, V. 5542); die wil ich ungenennet lân (›diese will ich unerwähnt lassen‹, V. 16334); die ich nû verswîgen wil (›diese will ich jetzt verschweigen‹, V. 17060); des kan ich iu niht gesagn / wan daz diu âventiure giht (›davon kann ich euch nur berichten, was die Geschichte hergibt‹, V. 12846/47); des wart dô vil und mê bereit / denn ich iu welle sagen hie (›darüber wurde dort mehr verhandelt, als ich euch hier berichten will‹, V. 2810/11). Mitunter holt der Sprecher weiter aus: des ist iu sô vil geseit / von der schrift mit wârheit / daz ich es geswîgen wil. / ich hân iu noch ze sagenne vil / wunderlîcher maere (›davon

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Formen, auf den Sprechakt der Narration Bezug zu nehmen, erfolgen in Rudolfs ›Alexander‹ in einer Weise, die zwar den Dichter als Erzähler etablieren, diesem jedoch keine weiteren Eigenschaften als Person angedeihen lassen. Als Kommunikationsinstanz, die über mehrere tausend Verse den Kontakt zu den Zuhörern sichert, bleibt der Sprecher gleichsam gesichtslos. Wo Äußerungen mit dem Personalpronomen der ersten Person Singular verbunden werden, ist die Diktion meist phrasenhaft und trägt kaum dazu bei, die Charakteristik der Redeinstanz zu individualisieren. Eine besondere Prägung erhält der Sprecher hingegen dort, wo er sich als Dichter zu Wort meldet, was in Rudolfs ›Alexander‹ meist nur punktuell geschieht und insofern in klar strukturierten Bahnen verläuft, als es fast ausschließlich in den die einzelnen Bücher eröffnenden Binnenprologen erfolgt. Diese Binnenprologe sind dadurch gekennzeichnet, dass der Dichter-Sprecher572 ausführliche poetologische Überlegungen anstellt und sowohl die Versdichtung als auch sich selbst als Autor im Literaturbetrieb der Zeit verortet. Von ihrer Funktion her zeigen sie eindeutig paratextuelle Züge, und auch die Art und Weise, wie sie formal gestaltet sind, hebt sie aus dem Textfluss der Versdichtung heraus. Was die Einteilung des Werks in mehrere Bücher angeht, ist bemerkenswert, wie hier ein ursprünglich durch die Bedingungen antiker Buchfabrikation entstandenes und in der mittelalterlichen Schriftkultur weiter gepflegtes Mittel der Gliederung so eingesetzt wird, dass es in der phonischen Medialität mündlich rezitierter Dichtung zum Tragen kommt. Ist die Untergliederung eines Texts in verschiedene Bücher von ihrer Herkunft her ein Phänomen, das durch die Stofflichkeit der Textträger bestimmt wurde – nämlich durch den durch das Material vorgegebenen möglichen Umfang ist euch so viel berichtet worden wahrheitsgemäß nach der Schrift, dass ich davon schweigen will; ich habe euch noch viele wundersame Geschichten zu erzählen‹, V. 17571–75); waz sol ich von den sprechen mê? / ich hân von in gesprochen ê / wie sie lebten in ir tagn, / durch waz sold ich ez aber sagn? (›Was soll ich weiter von diesen sprechen? Ich habe über sie bereits berichtet, wie sie zu ihrer Zeit lebten, wozu sollte ich es nochmals erzählen?‹, V. 16833–36). Zudem floskelartig: ich waene (›ich vermute‹, V. 825, V. 7739, V. 16943). 572 Mit der Begrifflichkeit der modernen Narratologie könnte man hier auch vom AutorErzähler sprechen, doch korrespondiert die Charakterisierung Dichter-Sprecher besser mit Rudolfs eigener Terminologie, die sich im Verb tihten sowie in diversen Verben des Sagens äußert.

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der Buchrollen –, hat sie sich im lateinischen kodikalen Schriftwesen zu einem reinen Gestaltungsprinzip entwickelt, das in erster Linie durch visuell wahrnehmbare Zeichen angezeigt wird. In Rudolfs ›Alexander‹ jedoch wird die Bucheinteilung durch den Sprecher selbst kommuniziert, indem die entsprechenden Informationen in den Verstext integriert sind. So formuliert die Redeinstanz beispielsweise zum Abschluss des zweiten Buchs, unmittelbar vor dem Beginn des dritten Binnenprologs: daz ander buoch sich endet hie. nû vernemet vürbaz wie daz dritte buoch sich hebet an von dem edelen wîsen man. Das zweite Buch endet hier. Hört nun weiter, wie das dritte Buch über den edlen, weisen Mann beginnt. (Rudolf von Ems, Alexander, V. 8009–12)

Was bei antiken oder neuzeitlichen Werken in der Regel aufgrund materieller Gegebenheiten oder der graphischen Gestaltung der Textträger sichtbar wird, ist in diesem Fall als Regieangabe so in den Verstext einbezogen, dass es akustisch erfahrbar ist. Die Stimme des Erzählens gehört hier dem Sprecher, der als Mittler zur Zuhörerschaft fungiert, indem er die kodikale Medialität gleichsam in den Resonanzraum des Publikums transponiert. Nicht die mise en page des Schrifttexts (dies gilt zumindest für die erhaltenen Manuskripte), sondern der Wortlaut des Versflusses ist so gewählt, dass die Gliederung des Werks erkennbar wird. Privilegiert wird dadurch die auditive Rezeption, wie sie in der realen Vortragssituation erfolgt: Aufgrund der werkinternen Formulierungen erhält die Zuhörerschaft die betreffende Strukturierung der Versdichtung in einzelne Bücher während der Deklamation vom Rezitator mitgeteilt. Obliegt die Kundgabe der Textorganisation der Erzählstimme qua Sprecher, erhält dieser in den Binnenprologen selbst wiederum Züge des Dichters, der sich zu Wort meldet, um metanarrative Erklärungen abzugeben. So behandelt Rudolf in den Eröffnungen der verschiedenen Bücher mit Blick auf das vorliegende Werk unterschiedliche literaturkritische und poetologische Aspekte, die den Stoff in seinen lateinischen und deutschsprachigen Versionen, die mittelhochdeutschen Epiker der Zeit und die Prinzipien der eigenen Gestaltungstechnik betreffen. Wie sich der Verfasser innerhalb der mittelhochdeutschen narrativen Literatur selbst positioniert,

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zeigt die Vorrede zum zweiten Buch. Gewidmet ist sie den literarischen Vorbildern, die der sich in der ersten Person Singular artikulierende Dichter als seine meister bezeichnet.573 Präsentiert wird ein umfangreicher Verfasserkatalog,574 indem siebzehn deutschsprachige Epiker namentlich aufgeführt und in ihrem Schaffen sowohl hinsichtlich formaler als auch inhaltlicher Gesichtspunkte kommentiert werden. Die Redeinstanz beginnt mit Heinrich von Veldeke, setzt sich ausführlich mit Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg auseinander und geht dann zu weiteren Exponenten wie Konrad von Heimesfurt, Wirnt von Grafenberg, Ulrich von Zatzikhoven, Heinrich von dem Türlin, Konrad Fleck und anderen über.575 Im unmittelbaren Anschluss thematisiert der Dichter-Sprecher seine eigene Person und die von ihm verfassten Werke, erwähnt den ›Guten Gerhard‹ und ›Barlaam und Josaphat‹ sowie eine Eustachius-Legende.576 573 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 3063–70. 574 Zu den spezifischen Funktionen von Dichterkatalogen siehe etwa: Walter Haug, »Klassikerkataloge und Kanonisierungseffekte. Am Beispiel des mittelalterlichhochhöfischen Literaturkanons«, in: Aleida Assmann/Jan Assmann (Hg.), Kanon und Zensur, München 1987, S. 259–270; Claudia Brinker-von der Heyde, »Autorität dank Autoritäten. Literaturexkurse und Dichterkataloge als Mittel zur Selbststilisierung«, in: Jürgen Fohrmann/Ingrid Kasten/Eva Neuland (Hg.): Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, Bielefeld 1999, S. 442–464; Patrizia Mazzadi, Autorreflexionen zur Rezeption. Prolog und Exkurse in Gottfrieds ›Tristan‹, Triest 2000, hier S. 81–91 u. 137–171. Speziell zu Rudolf von Ems: Kragl, »Kanonische Autorität«. 575 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 3105–3268. 576 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 3269–3398. Letztere ist nicht erhalten. Unerwähnt bleiben hier die ›Weltchronik‹ und der ›Willehalm von Orlens‹, die zur Abfassungszeit des Prologs offensichtlich noch nicht fertig gestellt bzw. noch gar nicht angefangen sind. Wie Ute Schwab gezeigt hat, gestaltete Rudolf diesen Literaturexkurs nach dem Darstellungsprinzip des Arbor Jesse (vgl. Ute Schwab, Lex et gratia. Der literarische Exkurs Gottfrieds von Straßburg und Hartmanns Gregorius, Messina 1967, S. 12–16). Rudolfs Dichterbaum korrespondiert mit einem in der bildenden Kunst beliebten Typus mit sechzehn Zweigen, an denen die vier großen und die zwölf kleinen Propheten des Alten Testaments mit Spruchbändern sitzen, wobei der Stamm »aus dem Jesse des alten Bundes« (ebd., S. 15) wächst. Im Literaturkatalog Rudolfs entspringt der Baum Heinrich von Veldeke, anstelle der Propheten tragen die Äste die diversen weiteren Epiker. Die Pointe des Gewächses zeigt sich allerdings in dessen Wipfel: Genau so, wie die Propheten die Geburt Christi ankündigen – Christus bildet in den Jessebaumdarstellungen die Krone –, weisen die sechzehn Dichter des Veldeke-

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Der Umstand, dass dieser Literaturkatalog im Rahmen eines Binnenprologs gegeben wird,577 unterstreicht den metatextuellen Charakter der Ausführungen und verdeutlicht, dass sich der Sprecher hier als Dichter und Literaturkritiker ans Publikum richtet. Da das mittelalterliche Buchwesen für volkssprachige Literatur kein strukturell etabliertes Gefäß der Kritik kennt, muss die entsprechende Auseinandersetzung werkintern als Teil der narrativen Versdichtung erfolgen. Die Binnenprologe erhalten Funktionen von Peritexten, die der literat-illiteraten Rezeptionskultur angepasst sind: Es handelt sich quasi um Peritexte für das Ohr, nicht für das Auge. Aufgrund der Art und Weise, wie die rezensorischen Überlegungen des Dichters in den auf orale Darbietung hin angelegten Erzähltext integriert sind, ist gewährleistet, dass sie bei der Textrezeption mit kommuniziert und auch von denjenigen aufgenommen werden, die auf die mündliche Wiedergabe angewiesen sind, da sie selbst nicht lesen können. Während sich Rudolf im Prolog zum zweiten Buch innerhalb der mittelhochdeutschen Epik im Allgemeinen situiert und Position zu seinem Schaffen als Dichter insgesamt bezieht, äußert er sich an anderen Stellen zum eigenen Rang im Verbund der verschiedenen Bearbeiter des Alexanderstoffs. In den Vorreden zum ersten und zum dritten Buch reflektiert er über den angemessenen Umgang mit möglichen Vorlagen und setzt sich grundsätzlich mit Fragen und Problemstellungen in Bezug auf die Quellen seiner Dichtung auseinander. Zudem nennt er im vierten Prolog spezifische lateinische Versionen, während er im fünften explizit auf konkurrierende deutschsprachige Alexanderdichtungen eingeht. Im Zuge der prinzipiellen Überlegungen über den Umgang mit den Vorlagen, die sorgfältig zu bewerten seien, vermerkt der sich als Sprecher einsetzende Verfasser bereits zum Auftakt des Werks, dass keiner seiner Baumes »auf das Kommen des letzten Zweiges hin, der die Blüte bringt. Dieses jüngste Reis aber ist durch Rudolf selbst, d. h. durch seine Dichtung vertreten« (ebd.). Was der Dichter-Sprecher mittels der Spiegelung seines Literaturkatalogs in den Jessebaumdarstellungen entwirft, ist nicht nur Kennzeichen des Wetteiferns mit dem Vorbild Gottfried von Straßburg, sondern drückt den absoluten Anspruch auf dichterische Hegemonie und ein Selbstverständnis höchster Meisterschaft aus (siehe dazu Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung«, S. 361/362). 577 Darin unterscheidet sich Rudolfs Dichterkatalog von demjenigen seines Vorbilds Gottfried von Straßburg (siehe zu diesem Punkt Plotke, »Autorschaft durch Autorisierung«, S. 360–363).

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Vorgänger die Taten Alexanders im Sinne der rehten wârheit berichtet hätte.578 Dieser Umstand habe ihn dazu veranlasst, mit großem Fleiß und in lange dauernder Arbeit verschiedene Quellen zu suchen und zu studieren, so dass er selbst nun die Wahrheit kenne, die er in seinem Werk darlege.579 Aus diesem Grund scheut er auch den Vergleich mit den lateinischen Bearbeitungen des Stoffs nicht, wie in der Vorrede zum vierten Buch deutlich wird. Dort setzt sich der – auch in diesem Zusammenhang die Zuhörerschaft direkt adressierende – Dichter-Sprecher mit Leo Archipresbyter sowie Curtius Rufus als Verfassern bedeutender Vorlagen auseinander und nennt Flavius Josephus als Quelle für Alexanders Umgang mit den Juden sowie [Pseudo-]Methodius für die Gog und Magog-Episode.580 Detailliert nimmt Rudolf zudem die deutschsprachige Konkurrenz in den Blick, die er zu Beginn des fünften Buchs nach stilistischen und inhaltlichen Kriterien einzeln bespricht und mit der er mitunter scharf ins Gericht geht.581 Zwar lobt er seine Vorgänger zunächst insofern, als er festhält, dass es schon manec wîse man (›schon etliche kluge Personen‹) vor ihm auf sich genommen habe, ze tichtenne diu maere (›die Geschichte dichterisch auszugestalten‹, V. 15769–71). Einem – sonst nicht weiter bekannten – Berchtold von Herbolzheim gesteht er zumindest zu, dass er gevuoge und wol gesprochen (›auf passende Weise und gut erzählt‹, V. 15776) habe, doch: hât er getihtet niht / des diu histôrje von im giht (›hat er 578 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 62–66. Siehe zu diesem Problemkomplex auch: Ehlert, Deutschsprachige Alexanderdichtung des Mittelalters, S. 115–118; Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 115–126; Schmitt, »Autorisierung des Erzählens«, S. 189–193. 579 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 67–78. Siehe weiterführend Ehlert: Deutschsprachige Alexanderdichtung, S. 119–128; Silvia Schmitz, »Die ›Autorität‹ des mittelalterlichen Autors im Spannungsfeld von Literatur und Überlieferung«, in: Jürgen Fohrmann/Ingrid Kasten/Eva Neuland (Hg.), Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, Bielefeld 1999, S. 465– 483, hier S. 472–478; Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 245–248. 580 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 12972–13064. Dazu Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 119–121; Maximilian Benz, »Exzentrisches Erzählen und staufische Erbauung. Rudolfs von Ems ›Alexander‹ als heterogener Text zweiter Stufe«, in: Stephanie Seidl/Marie-Sophie Winter (Hg.), Texte ›dritter Stufe‹. Deutschsprachige Antikenromane als Musterfälle romanisch-deutschen Literaturkontakts. Akten der Tagung Stuttgart, 25.-26. 2. 2015, Berlin 2016, S. 141–159, hier S. 137/138. 581 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 121–123.

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in seiner Dichtung nicht umgesetzt, was die Geschichte über ihn, d.i. Alexander, sagt‹, V. 15779/80). Noch schlechter wird das Alexanderlied von Lamprecht bewertet. Diesem spricht er nicht nur die rehten wârheit ab (V. 15788), sondern bezeichnet es auch als stumpflîche, niht wol besnitn (›stümperhaft, nicht angemessen bearbeitet‹, V. 15784). Nur vom Hörensagen kennt der Dichter-Sprecher hingegen die Alexanderdichtung eines gewissen her Biterolf, so dass die Kritik nicht ganz so scharf ausfällt.582 Für seine eigene Bearbeitung nimmt er sodann einmal mehr in Anspruch, dass er hâ[t] zesamene brâht / allez daz diu schrift uns seit / mit ungelogener wârheit (›alles zusammengetragen habe, was schriftliche Quellen uns der tatsächlichen Wahrheit entsprechend berichten‹, V. 15808–10). In den Prologen ventiliert der Verfasser die eigenen poetologischen Vorstellungen in aller Ausdrücklichkeit. Wie ein Dichter mit seinen Quellen umzugehen habe, wenn er einen Stoff adäquat traktieren wolle, dies formuliert er wiederholt explizit und macht dabei deutlich, dass er selbst gerade so vorgeht, wie es von einem seiner selbst gewissen Epiker zu erwarten sei.583 Es sind die Fähigkeiten des Einzelnen, sowohl auf dem Gebiet der Quellenrezeption wie auch im Bereich der Sprachbehandlung, die das herausragende, so und nicht anders gewollte Werk und also auch den erstrangigen Dichter auszeichnen. Dass sich der Dichter-Sprecher selbst gerade für einen solchen hält, erläutert er mehrfach prononciert. Im Ganzen gesehen lässt sich die Frage nach der narrativen Stimme in Rudolfs ›Alexander‹ demnach wie folgt beantworten: Auch in diesem Werk manifestiert sich die Stimme des Erzählens ganz wesentlich in einer Kommunikationsinstanz, welche die Versdichtung explizit einer nicht näher bestimmten Zuhörerschaft vermittelt, mit der Besonderheit, dass sich der Verfasser des verspoetischen Artefakts im Text persönlich als Mittler in582 Vgl. Rudolf von Ems, Alexander, V. 15789–15803 (dazu auch Coxon, The Representation of Authorship, S. 78–80; Schmitt, »Autorisierung des Erzählens«, S. 193/194). Siehe zu Biterolf: Michael Bärmann, »Biterolf. Ein Versuch zur Rezeption des Alexanderstoffes im ehemals zähringischen Herrschaftsgebiet«, in: Eckart Conrad Lutz (Hg.), Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisième Cycle Romand 1994, Freiburg 1997, S. 147–190. 583 Vgl. Timo Reuvekamp-Felber, »Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählerstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), S. 1–23, hier S. 20.

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stalliert. Genau genommen werden im ›Alexander‹ Elemente lateinischer Gelehrtenkultur, die durch skripturale Medialität geprägt ist, aufgegriffen und mit den auf die auditive Rezeptionsform hin ausgerichteten stilistischen Mitteln volkssprachiger Schriftnarrative kombiniert. Signifikant ist für die auf diese Weise etablierte Erzählinstanz, dass sie gewissermaßen janusköpfig ist: In den Prologen, die mitunter metrisch und reimtechnisch vom Rest der Dichtung abgehoben sind, gehört die Stimme der Vermittlung dem Dichter, der poetologische Überlegungen anstellt und sich selbst im literarischen Diskurs seiner Zeit verortet. Formal wie inhaltlich haben die Prologe in Rudolfs ›Alexander‹ einen Status, der neuzeitlichen Paratexten vergleichbar ist. Ein anderes Gepräge erhält der aussagelogisch mit diesem Dichter identifizierte Sprecher im Verlauf der Erzählung. Zwar wird auch dort immer wieder die Subjektform der ersten Person Singular greifbar, doch praktisch ausschließlich im Rahmen von Äußerungen, welche den phatischen Aspekt mündlich vermittelter Narration betreffen. Typisch für diese Seite der Erzählinstanz ist, dass sie kaum individuelle Züge zeigt und nur punktuell Bewertungen oder Kommentare zum Geschehen abgibt, über die das Aussagesubjekt den Charakter einer Person erhält. Über weite Strecken des Erzählens zeigt die Redeposition keine figuralen Eigenheiten, sondern wirkt als Agent des Sprechakts, dessen Aufgabe darin besteht, in der realen Vortragssituation den Kontakt zu den Rezipienten zu sichern.

10. Fazit und Ausblick

Die Frage nach der Stimme des Erzählens gehört zu den Kernproblemen narratologischer Forschung. Da sich Erzählen als Sprechakt im weitesten Wortsinne bestimmen lässt,584 stellt sich als grundlegende Aufgabe der Erzähltheorie, zu eruieren, wem dieser Sprechakt im jeweiligen Falle kategoriell zuzuordnen ist. Die Romanforschung und die strukturalistische Narratologie haben im Lauf des 20. Jahrhunderts diverse Modelle entwickelt, um die Erzählinstanzen, wie sie in unterschiedlichen narrativen Texten greifbar werden, zu typisieren, ja auch ihren grundsätzlichen Status zu klären, sie insbesondere ins Verhältnis zum Autor des jeweiligen Texts zu setzen. Studien zur Pragmatik wiederum haben herausgearbeitet, dass sich Sprechakte nicht unabhängig von ihren Rahmungen – ihren frames – bestimmen lassen. Die Rahmungen von Erzähltexten gehören zum Buchwesen, das in verschiedenen Epochen je differente Ausformungen aufweist. Gerade das in der modernen Narratologie immer wieder problematisierte Verhältnis von Autor und Erzähler hängt unmittelbar mit dem Buchwesen zusammen und mit der Frage, welche werkexternen Möglichkeiten Buchkultur und Literaturbetrieb für die Kundgabe der Verfasserschaft eines Erzähltextes vorsehen. Moderne Bücher, die die Basis und den analytischen Hintergrund der meisten narratologischen Modelle bilden, nutzen die biblionomen Para584 Zur Frage, ob man schriftliterarisch festgehaltenes Erzählen als Sprechakt im Sinne der Pragmatik taxieren kann, siehe Frank Zipfel, Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001, S. 30–67.

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Fazit und Ausblick

texte zur Nennung des Verfassers und regeln damit die Bekanntmachung der Autorschaft strukturell. Dank Peri- und Epitexten erhalten Erzähltexte im modernen Buchwesen Rahmungen, welche das Verhältnis und die Funktionen von werkinternen Formelementen und werkexternen Metadaten in vielen Fällen klar regeln, auch wenn mitunter offen bleibt, welche paratextuellen Bestandteile noch zum Werk im engeren Sinn gerechnet werden sollen und welche nicht – was nicht zuletzt in der Natur der Paratexte liegt, da es sich um Schwellenphänomene handelt. Die meisten narratologischen Theorieansätze konstituieren ihre kategoriellen Modelle explizit oder implizit vor dem Hintergrund, dass Aspekte und Fragen des literarischen Diskurses (auch) werkextern geregelt werden können. Der Blick in mittelalterliche Kodizes verdeutlicht, dass narrative Artefakte dort häufig ohne verbale Paratexte präsentiert sind, insbesondere ohne Paratexte, die strukturelle Metadaten wie die Angabe des Verfassers vermitteln. Dafür lassen sich einerseits bildungssoziologische Gründe geltend machen, andererseits spielen tradierte Autorschaftsmodelle der klerikalen Schriftkultur eine Rolle. Das Fehlen von Paratexten hat für das textuelle Verhältnis von innen und außen – von werkinternen und werkexternen Kommunikationsfunktionen – und damit für die Konstituierung der Erzählinstanz grundlegende Konsequenzen. Als zwei Hauptfolgen lassen sich nennen: 1. Da gerade volkssprachige Erzähltexte keinen Rahmen innerhalb des schriftliterarischen Diskurssystems besitzen, muss außerhalb der Buchmedialität ihre tatsächliche kommunikative Einbettung gesucht werden, die von heute aus nur noch indirekt zu greifen ist. Die Rahmung und/oder Positionierung des Erzählvorgangs ist also notwendigerweise aus textinternen Spuren zu ermitteln.585 2. Da sich volkssprachige Autorschaft nur als Teil eines textinternen Kommunikationsverhältnisses offenbaren kann, kollidiert sie nolens volens mit der Kategorie einer extradiegetischen bzw. textvermittelnden Erzählinstanz. Wie sich diese beiden Aspekte in konkreten, schriftlich tradierten Er585 Zu diesen Spuren können auch Binnenerzählungen gerechnet werden, da bei ihnen die Rahmung der betreffenden Kommunikationssituation textintern ausgeführt wird. Dazu weiterführend: Harald Haferland/Michael Mecklenburg (Hg.), Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996; Ludger Lieb/Stephan Müller (Hg.), Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter, Berlin/New York 2002.

Fazit und Ausblick

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zähltexten ausgeformt haben, kann nur am je einzelnen Beispiel herausgearbeitet werden. Die verschiedenen Textanalysen haben denn auch unterschiedliche Dimensionen dieser Problemstellungen ans Licht gebracht, wie sie in der mittelhochdeutschen Epik am Ende des 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts virulent werden. Der reichsgeschichtliche Herzog Ernst-Stoff ist in seinen volkssprachigen Bearbeitungen durchweg anonym überliefert. Was die Version B angeht, lässt sich die Erzählinstanz als Sprecherposition fassen, die als Medium der Kommunikation fungiert, indem über sie der Erzählvorgang referentialisiert und der Kontakt zum Publikum hergestellt wird. Diesem ›Agenten der Narration‹ fehlt jede figurierte Subjekthaftigkeit – deshalb sollte in diesem Zusammenhang nicht von einem ›epischen Ich‹ oder einem ›narrativen Ich‹ gesprochen werden, auch wenn die Sprecherposition im Pronomen der ersten Person Singular manifest wird. Im Unterschied zu anderen anonym tradierten Erzähltexten (etwa aus dem Bereich der Heldenepik) ist der Aspekt schriftliterarischer Verfasserschaft im ›Herzog Ernst B‹ durchaus problematisiert. So wird der Sprecherposition textintern eine namenlose Autorgestalt gegenüber gestellt, der die Verantwortung für die dichterische Ausformung des Werks übertragen ist. Aufschlussreich ist der Vergleich der volkssprachigen Bearbeitung mit dem ›Ernestus‹ Odos von Magdeburg, und zwar insbesondere deshalb, weil sichtbar wird, inwiefern aufgrund der Transposition des Stoffs in ein differentes Diskurssystem andere Konditionen für die Konstituierung der Erzählinstanz relevant werden. Im Anschluss an antike und mittelalterliche lateinische Vorbilder ist es in Odos Version des Herzog Ernst-Stoffs der namentlich genannte Dichter-Sänger, dem der Sprechakt des Erzählens zugeordnet werden kann, wobei sich keinerlei Thematisierungen des Erzählakts als solchem und kein Gebrauch phatischer Formeln finden. Von daher erhält der Vorgang des Erzählens in Odos Ernst-Epos auch keine performative Dimension, wie das bei sämtlichen fokussierten mittelhochdeutschen Texten der Fall ist. Die Erzählinstanz in Veldekes Eneasroman hingegen sucht das eigene Berichten im Anschluss an Vergil zu legitimieren, ohne dass jedoch Aspekte schriftliterarischer Poetizität in den Blick genommen werden. Erst im Epilog wird volkssprachige Verfasserschaft thematisiert und mit dem Namen Veldekes verbunden, wobei zur Beglaubigung des dichterischen

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Fazit und Ausblick

Werks ebenfalls auf die Autorität des antiken Epikers rekurriert wird. Aufgrund dieses doppelten Vergil-Bezugs kommen Kommunikations- und Gestaltungsinstanz semantisch zur Deckung, obwohl sie aussagelogisch getrennt sind. Die kategorielle Zuordnung der narrativen Stimme lässt sich entsprechend schwer vollziehen, da sie zwischen der konturlosen Sprecherposition, die als Träger des Erzählvorgangs fungiert, und dem konkreten Individuum, das sich mit dem Autor als Textproduzenten identifizieren lässt, hin und her laviert. Ein wiederum anderes Verhältnis zwischen Erzählstimme und Autorperson zeigt sich im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue. Während im Prolog die beiden Instanzen klar differenziert sind, indem der Sprecher den Verfasser mit Namen vorstellt und Informationen zu dessen Person liefert, wird im Lauf der Narration in spielerischer Weise der Sprecher selbst mit dem Verfassernamen angeredet. So zeigt sich am Beispiel des ›Iwein‹ in aller Deutlichkeit, welche Konsequenzen die mangelnde Möglichkeit, Autorschaft textextern zu konstituieren, mit sich bringt. Die spannungsgeladene Konvergenz von Produktions- und Vermittlungsinstanz, wie sie im ›Iwein‹ in signifikanter Weise greifbar wird, lässt sich als Befund in zwei Richtungen lesen. Zum einen kann die werkinterne Thematisierung einer Erzähl- und/oder Verfasserinstanz als Formelement interpretiert werden, als künstlerisches Gestaltungsmittel, das die betreffenden Versdichtungen in besonderer Weise prägt. Zum andern ist die Überlappung von Erzähl- und Verfasserinstanz innerhalb der textinternen Kommunikation literatursoziologisch als Diskursfunktion zu betrachten: Es geht um die gesellschaftliche Positionierung von Literatur in einem System ausbleibender Paratexte, um ein notwendiges Inkorporieren von Metadaten in die Werke selbst aus bildungssoziologischen Gründen, nämlich wegen der fehlenden Lesefähigkeit bestimmter Teile des Rezipientenspektrums. Mit Blick auf die Frage der Differenzierung von Narrations- und Verfasserinstanzen in mittelalterlichen Werken erweist sich die methodische Unterscheidung von einerseits gestalterischen Formelementen und andererseits Diskursfunktionen als fruchtbarer als die in der Literaturtheorie fixierte und auf mittelalterliche narrative Texte übertragene Trennung von ›Autor‹ vs. ›Erzähler‹. Zwar könnte man den ›Erzähler‹ den Formelementen zuordnen und die Diskursfunktion ›Autor‹ nennen, doch träfe dies nicht die spezifische textin-

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terne Überlagerung der Kategorien, wie sie aufgrund des mittelalterlichen Buch- und Literaturwesens in Erscheinung tritt. Das Auftreten eines manifesten Erzählers, wie er – gleichsam als Herr der Kommunikationssituation – in volkssprachigen Narrativen praktisch immer anzutreffen ist, lässt sich oft in kein aussagelogisches Verhältnis zur Nennung von Verfassernamen bringen. Das Beispiel des ›Iwein‹ dokumentiert, dass innerhalb desselben Werks der Verfassername sowohl im Zusammenhang mit der Installierung des Autors als auch im Spiel der Narrationsinstanzen Verwendung finden kann. Auch Veldekes Eneasroman verdeutlicht, dass sich Kommunikations- und Gestaltungsinstanz nicht systematisch zueinander in Relation setzen lassen. Wie der Blick auf den ebenfalls exemplarisch hinzugezogenen ›Herzog Ernst B‹ sichtbar macht, ist die stabile Größe bei volkssprachigen Dichtungen die Sprecherposition, die als Ich- oder Wir-Stimme die Kommunikationssituation der verbalen Äußerung initiiert und oft durch das gesamte Werk hindurch begleitet. Variabel und volatil ist das Verhältnis von Sprecherposition und Verfassernamen, wobei die Überlieferung in je einzelnen Fällen diese Unfestigkeit zusätzlich prägt: So finden sich schriftlich tradierte Werke, mit denen wohl von Anfang an kein Verfassername verknüpft war, neben anderen, bei denen die Überlieferung diesen teilweise zum Verschwinden brachte, indem einzelne Handschriften den Prolog gekürzt wiedergeben oder ganz weglassen. Die Sprecherposition wird im 13. Jahrhundert mitunter mit einem Verfassernamen qua Produktionsinstanz direkt verbunden, im ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach und im ›Alexander‹ Rudolfs von Ems in je ganz unterschiedlicher Konturierung. Sie kann – quasi am anderen Ende des Spektrums – aber auch vollkommen facettenlos bleiben und im Sinne des sujet de l’énonciation lediglich die grammatikalische Position der Kommunikationsinstanz bezeichnen. Wo ein Autor präsentiert wird, geschieht dies in den experimentellen Bahnen unetablierter Literaturstrukturen, wie die Beispiele Heinrichs von Veldeke und Hartmanns von Aue anschaulich machen, die als Archegeten des deutschsprachigen Literaturbetriebs gelten können und von den Zeitgenossen auch als solche wahrgenommen wurden, wie etwa die Literaturexkurse Gottfrieds oder Rudolfs belegen. So lässt sich als letztes Fazit festhalten: Tatsächlich kollabiert die Unterscheidung von Autor und Erzähler schon deshalb immer wieder, weil die

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Funktion des Erzählers in der gegenwartsbezogenen Narratologie in der Regel rein darstellungstheoretisch gefasst ist. Was die Kategorie des Autors angeht, hat diese auch in Bezug auf moderne Literatur immer wieder zu Verunsicherungen geführt,586 da sich in ihr Diskursfunktionen überlappen, wobei historisch-biographische Verortungen des Autors und Stilisierungen der Autorrolle – auch mittels Pseudonymen – zum Tragen kommen.587 In volkssprachigen Erzähltexten des Mittelalters ist die Erzählinstanz keine nur darstellungstechnische Größe, sondern auch Träger der manifesten literarischen Kommunikation, da die mittelalterlichen Literaturverhältnisse mit einem vornehmlich illiteraten bzw. leseungeübten Publikum notwendig eine Mittlerfunktion voraussetzten, wie sie modernen Rezeptionssituationen in der Regel abhanden gekommen ist. So kann eine historisch sensibilisierte Narratologie, die die epochal differenten Bedingungen mittelalterlicher Literatur berücksichtigt, die Erzählinstanzen nicht allein kompositorisch-stilistisch fassen, sondern muss Aspekte der Gestaltung ins Verhältnis zu den Diskursfunktionen setzen, die einerseits hinsichtlich der namentlichen Installierung des Textproduzenten, andererseits bezüglich 586 Die unter dem Einfluss der postmodernen Diskussion um den ›Tod des Autors‹ entbrannte Debatte gewann unter dem Stichwort der jüngsten Programmatik der ›Rückkehr des Autors‹ wieder an Virulenz. Siehe einschlägig: Roland Barthes, »The death of the author«, in: Aspen Magazine 5/6 (1967), S. 491–495, frz.: »La mort de l’auteur«, in: Manteia 5 (1968), S. 12–17, dt.: »Der Tod des Autors«, in: Fotis Jannidis/ Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 185–193; Michel Foucault, »Qu’est-ce qu’un auteur?«, in: Bulletin de la société française de philosophie, hg. v. Armand Collin, 22. Februar 1969, S. 75–104; dt.: »Was ist ein Autor?«, in: ders., Schriften zur Literatur, übers. v. Karin Hofer u. Anneliese Botont, Frankfurt a. M. 1988. S. 7–31 [wieder in: Jannidis/Lauer/ Martinez/Winko (Hg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 198–229]; Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999. Des Weiteren zur Problematik auch der Band: Stephan Pabst (Hg.), Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin / New York 2011. 587 Zu einigen Missverständnissen in der Forschung führt der Umstand, dass häufig nicht systematisch zwischen explizit genanntem und empirischem Autor unterschieden wird, deren Relation sich allein schon auf der Basis der außerliterarischen Dokumentationen des heutigen Literaturbetriebs oft nur schwer einfangen lässt. Besonders deutlich greifbar wird diese Relation bei Pseudonymen: Der Autor von ›Nachtzug nach Lissabon‹ beispielsweise ist Pascal Mercier, er ist explizit genannt und wirkt als Diskursfunktion im Sinne der strukturellen Autorfunktion, der empirische Autor jedoch ist Peter Bieri.

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der kommunikativen Vermittlung zu erfüllen sind, welche vornehmlich auf eine oral-auditive Rezeptionssituation zielt. Vielfältige Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass strukturalistische Begrifflichkeiten zwar zu heuristischen Zwecken hilfreich sein können, sie aber oft an Grenzen der Anwendbarkeit stoßen, da sie die tatsächlich vorliegenden Phänomene doch nicht einzuholen vermögen. Auch wenn die betreffenden Systematiken in der Einzelfallanalyse häufig präzisiert werden müssen, scheint es trotzdem sinnvoll, spezifische kategorielle Parameter zur Hand zu haben, um die vielfältigen narrativen Erscheinungsformen überhaupt beschreiben zu können. Was mittelalterliche, insbesondere volkssprachige Erzähltexte angeht, muss die überkommene Dichotomie von Autor und Erzähler dahingehend modifiziert werden, dass auf der Basis der Unterscheidung von Formelementen und Diskursfunktionen textintern nach dem Verhältnis von Gestaltungs- und Kommunikationsinstanz gefragt wird. Als Gestaltungsinstanz ist diejenige Größe zu fassen, die für die Ausgestaltung des dichterischen Artefakts verantwortlich zeichnet. Dieses Artefakt können wir heute nur in seiner schriftliterarischen Form greifen, weil es auf diese Weise tradiert worden ist.588 Ob es von der Gestaltungsinstanz von Anfang an schriftlich konzipiert oder im Akt memorierender Tätigkeit als künstlerisches Produkt für den Vortrag geschaffen wurde, ist letzten Endes irrelevant. Wenn der Autorbegriff in der historischen Dimension nicht problematisch wäre, war er doch im Mittelalter mit einer spezifischen Bewertung verknüpft, könnte man die Gestaltungsinstanz weiterhin ›Autor‹ nennen, einfach in dem Sinne, dass damit derjenige gemeint ist, der hinter der kompositorischen und stilistischen Formgebung des verspoetischen (oder auch in Prosa gehaltenen) Artefakts steht, also im ursprünglichen Wortsinn der Urheber des narrativen Texts. Als Kommunikationsinstanz ist die markierte Vermittlungsposition zu verstehen, die in mittelalterlichen Erzähltexten praktisch ausnahmslos über das Pronomen der ersten Person Singular (mitunter auch Plural) greifbar wird, aber gerade nicht als ›Ich‹-Instanz bzw. ›Ich-Erzähler‹ aufzufassen ist, 588 Auf einer systematisch anderen Ebene ist die Problematik angesiedelt, dass der betreffende, mit einer spezifischen Verfasserinstanz verknüpfte Text in mehreren Fassungen vorliegen kann.

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da sich das Pronomen in der Regel nicht auf eine Figur bezieht und seine Referenz auch nicht zwingend im Autor des Texts hat. So kann die Kommunikationsinstanz zwar mit der Gestaltungsinstanz zur Deckung kommen, muss aber nicht. Diese Kommunikationsinstanz lässt sich als Sprecherposition fassen, die den meisten volkssprachigen narrativen Artefakten aus dem Mittelalter partiturartig eingeschrieben ist, so dass sie in der Vortragssituation gleichsam somatisiert bzw. materialisiert werden kann, indem der Rezitator die Buchmedialität ergänzt und die Rezeption des Texts für einen Großteil des Publikums überhaupt erst ermöglicht. Vereinfachend ließe sich die Kommunikationsinstanz mit dem ›Erzähler‹ gleichsetzen, doch ist die Kategorie ›Erzähler‹ durch die moderne Narratologie in einer Weise geprägt, dass sie Konnotationen und Assoziationen aufruft, die in Bezug auf mittelalterliche Erzähltexte sachfremd und anachronistisch sind. Charakteristisch ist für die mittelalterlichen epischen Artefakte – und hier stößt eine strukturalistische Kategorisierung an ihre Grenzen –, dass sich das Verhältnis von Gestaltungs- und Kommunikationsinstanz in jedem Text wieder anders zeigt, auch wenn sich in der Gesamtschau der überlieferten Erzähltexte durchaus eine Art Typenbildung skizzieren ließe.

11. Literaturverzeichnis

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