Die Stellung des Arztes in der römischen Gesellschaft: freigeborene Römer, Eingebürgerte, Peregrine, Sklaven, Freigelassene als Ärzte 3515046984, 9783515046985

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Die Stellung des Arztes in der römischen Gesellschaft: freigeborene Römer, Eingebürgerte, Peregrine, Sklaven, Freigelassene als Ärzte
 3515046984, 9783515046985

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FORSCHUNGEN ZUR ANTIKEN SKLAVEREI IM AUFTRAG DER KOMMISSION FÜR GESCHICHTE DES ALTERTUMS DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR

DIE STELLUNG DES ARZTES IN DER RÖMISCHEN GESELLSCHAFT

HERAUSGEGEBEN VON JOSEPH VOGT UND HEINZ BELLEN BAND XVIII

FREIGEBORENE RÖMER, EINGEBÜRGERTE, PEREGRINE, SKLAVEN, FREIGELASSENE ALSÄRZTE

VON FRIDOLF KUDLIEN

FRANZ STEINER VERLAG WIESBADEN GMBH STUTTGART 1986

Gefördert durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn, und das Kultusministerium des Landes Rheinland-Pfalz, Mainz.

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kap. I: Die bürgerrechtlichen Kategorien der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1: Anteil und gesellschaftliche Situation freigeborener Römer

13 13

. .

13 46 71 92 118

Kap. II: Gesellschaftliche und berufsständische Grundprobleme . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1: Der Arztberuf - ein „Handwerk"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2: Die „Unterschicht" der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 : Die gesellschaftliche Bedeutung der Zugehörigkeit zum Ritterstand § 4: Römische Abwertung des Arztberufs: Motive und Grenzen . . . . § 5: Römische Anerkennung des Arztberufs: Argumente und Faktoren

153 153 154 181 187 190 198

Zusammenfassung

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(ingenu{) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2: Eingebürgerte Fremde (oder deren Nachfahren) von freiem Status § 3: Die Rolle der nicht-eingebürgerten freien Fremden (peregrini) . § 4: Servi medici (Sklaven als Ärzte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5: Die Chancen der Freigelassenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Kudlien,Fridolf: Die Stellung des Arztes in der römischen Gesellschaft : freigeborene Römer, Eingebürgerte, Peregrine, Sklaven, Freigelassene als Ärzte/ von FridolfKudlien. - Stuttgart: Steiner-Verlag-Wiesbaden-GmbH, 1986 (Forschungen zur antiken Sklaverei ; Bd. 18) ISBN 3-515-04698-4 NE:GT

© 1986 by Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Alle Rechte vorbehalten.

Ohne ausdrückliche Genehmigung ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus nachzudrucken oder auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie usw.) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Rheinhessische Druckwerkstätte, Alzey, Printed in Germany.

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Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VORWORT Ursprünglich hatte ich für das hier vorgelegte Buch nicht an die Reihe „Forschungen zur antiken Sklaverei" als Veröffentlichungsort gedacht. Es geht in ihm ja keineswegs nur (wenn auch natürlich, neben anderem, nicht unwesentlich) um servi medici und um Freigelassene als Ärzte. Als jedoch der Text schon zu großen Teilen entworfen war, informierten meine medizinhistorischen Kollegen G. Mann (Mainz) und J. Benedum (Gießen) den Herausgeber der Reihe und Vorsitzenden der Aka" demie-Kommission für Geschichte des Altertums, H. Bellen (Mainz), über mein Vorhaben. Dieser bat mich, die Arbeit im Rahmen des Projekts „Antike Sklaverei" fortzuführen und zum Abschluß zu bringen. Auf solche Weise nach etlichen Jahren wieder in den Kreis der „Sklavenforscher" eingetreten zu sein, bereue ich nicht. Wo könnte, für eine Untersuchung wie die vorliegende, Betreuung und kritische Anregung besser sein als im Kreise der genannten Mainzer Kommission und ihrer Mitarbeiter? H. Bellen, J. Benedum und H. Chantraine haben als Gutachter mein Buch vor vielen Fehlern bewahrt. Stellvertretend für andere Alt- und Rechtshistoriker (Romanisten) aus diesem Kreise seien H. Solin (Helsinki) und A. Wacke (Köln) mit Dankbarkeit als Ratgeber in Einzelfragen genannt. Als hilfreiche Gesprächspartner aus der Gruppe der Medizingeschichte treibenden klassischen Philologen nenne ich, wieder stellvertretend, gleichermaßen dankbar K. D. Fischer (Berlin), I. Mazzini (Macerata/lesi), V. Nutton (London). Einern Alt- und einem Rechtshistoriker, von denen ich zwar nicht im persönlichen Kontakt, aber durch ihre Arbeiten besonders profitiert habe, bleibt mein Buch durchgehend verpflichtet: R. MacMullen und D. Nörr. Frau Dr. E. Herrmann-Otto in der Arbeitsstelle der Mainzer Kommission für Geschichte des Altertums hat sich des Manuskripts mit Sachverstand und liebevoller Sorgfalt angenommen. Meinen bewährten Kieler Mitarbeiterinnen A. Philipp und Chr. Bechthold gebührt aufrichtiger Dank für Schreib- und bibliothekarische Hilfe. Kiel, im Spätsommer 1985

Fridolf Kudlien

EINLEITUNG Am Anfang muß eine persönliche Bemerkung stehen: Der Verfasser hatte eigentlich bei seinen Untersuchungen zur Sozial- und Berufsgeschichte des antiken Arztes die Situation im Römischen Reich nicht behandeln wollen. Nicht etwa, weil er eine solche Untersuchung für unnötig hielt: Für sie schienen ihm vielmehr andere Kollegen von vornherein kompetenter zu sein. Das hinderte ihn selbstverständlich nicht, sich eigene Gedanken auch zu diesem Thema zu machen - zumal ja im hellenistischen Zeitalter, mit dem unsere Untersuchungen begannen1, viele Griechen nach Italien, besonders auch nach Rom selber, gelangten und dort als Ärzte tätig waren oder Ärzte unter ihren Nachkommen hatten, die ihrerseits in Italien ansässig blieben. Gründe, über die sogleich näher zu sprechen ist, haben den Verfasser dann doch zur Ausarbeitung und Veröffentlichung seiner Gedanken veranlaßt. Damit soll in erster Linie methodischer Besinnung gedient sein. Die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Neubehandlung des hier gewählten, vieldiskutierten Aspekts schien sich uns aus mehreren Umständen zwingend aufzudrängen. Zunächst wird der Historiker der Medizingeschichtsschreibung mit Interesse vermerken, daß sich schon um die Wende vom 17. zum 18. Jh. eine lebhafte, kontroverse Diskussion zu unserem Thema entspann. Deren gegnerische Positionen sind etwa durch die beiden folgenden Titel markiert: Jac. Spon, Vingt-septieme Dissertation qu'il n'est pas vray que ce fussent seulement des esclaves qui pratiquassent la medecine a Rome ... , Lyon 1683; und Conyers Middleton, De medicorum apud veteres Romanos degentium conditione dissertatio, qua contra J ac. Sponium ... servilem eam fuisse ostenditur, Cambridge 1726 (die letztgenannte Arbeit rief ihrerseits eine Fülle von teils gegnerischen, teils bejahenden Veröffentlichungen hervor2). Um so bemerkenswerter erscheint es, daß diese Kontroverse in der modernen Forschung (welche ihre frühen Vorgänger offenbar nicht wahrgenommen hat) in solcher Schärfe nicht existiert, daß man vielmehr heutzutage, insgesamt gesehen, mehr oder weniger nahe bei Middletons Standpunkt verharrt, ohne inzwischen wesentlich bessere, wirklich überzeugende Argumente erarbeitet zu haben. So haben auch die neuesten Beiträge von medizinhistorischer Seite3 , wenngleich fast alle in ihrer Art wohlinformiert und gedankenreich, es unterlassen, bestimmte grundsätzliche Fragen überhaupt (oder, wenn ja, klar und konsequent) zu stellen. Statt dessen ziehen sie es, nach wie vor einer langen Tradition folgend, vor, bestimmte Dinge als 1

Kudlien, Hellenismus. Dazu s. die Literaturanaaben beiA. /'au(I', Hihliographic des Sciences Medicales, Paris 1874, Sp. 548-550. 3 Scarborough Kap. VIII (,.Tht dootor 1nd hia pliu;e in Roman aocicty"); Nutton; Baader; Fischer. 2

2

Einleitung

gegebenvorauszusetzen. Dabei ist dann zwar das Bild, welches etwa Nutton und Fischer vermitteln, logisch geschlossener als bei dem allen modernen Bearbeitern gemeinsamen unmittelbaren Vorgänger Gummerus 4 - aber es ist auch wiederum erheblich einseitiger. Daneben arbeitet einer der neuesten Versuche von althistorischer Seite, eine römische Sozialgeschichte zu skizzieren 5, ebenfalls mit zu wenig differenzierten Vorstellungen über den Platz des Arztes in der römischen Gesellschaft (für Einzelheiten s. nachher), ohne die Basis für seine weitreichenden Behauptungen zu überprüfen. Damit steht er, wie man feststellen muß, durchaus in der Tradition sozialgeschichtlich interessierter Althistoriker. Man vergleiche da nur etwa Rostowzew, für den der Arzt schlechthin im Römischen Reich unterhalb der „upper class of the city bourgeoisie" angesiedelt, d. h. zusammen mit Ladenbesitzern, Geldwechslern, Handwerkern u. ä. in die „petty bourgeoisie" verbannt ist 6• Auch was Finley neuerdings über den Arztberuf in der Antike überhaupt und über die römische Situation insbesondere sagt 6•, ist für jemanden, der vermeintliche oder tatsächliche „Ideologie" bei anderen so vehement aufdecken will, bemerkenswert vorurteilsgebunden: Die wenigen Seiten enthalten, was unser Thema betrifft, nur jene Klischees, denen wir in unserer Einleitung immer wieder begegnen werden - der Arztberuf in Rom sei „lange in den Händen von Sklaven und Freigelassenen hauptsächlich aus dem hellenisierten Osten geblieben"; erst später seien „Freie, peregrini eher als freigeborene Römer", in den Ärztestand hineingekommen; das gipfelt in der zusammenfassenden (und in dieser pointierten Form ziemlich unsinnigen) Bemerkung „members of the Roman elite, in sum, went to slaves and freedmen formedical treatment, and paid for it". Daß sowjetische Althistoriker, auf der Basis ihres Konzepts „Sklavenhaltergesellschaft", der These von der gesellschaftlichen Prägung des römischen Ärztestandes hauptsächlich durch Freigelassene (und Sklaven) anhängen 7, erscheint demgegenüber nur selbstverständlich. Wenn man zuzugeben hat, daß es bis jetzt noch keine wirklich umfassende, den Stoff ganz durchdringende Darstellung der römischen Sozialgeschichte gibt 1•, dann gilt dies gewiß ebenso, wenn nicht noch mehr, für die Sozialgeschichte des Arztberufs im Römischen Reich. Jedoch kann und sollte das den Historiker nicht daran hindern, sich klarere, hieb- und stichfestere Vorstellungen über bestimmte Grundgegebenheiten zu verschaffen, indem er die nötigen grundsätzlichen Fragen stellt. Die angedeutete Schwäche der bisherigen Forschung kann man sehr gut an einem zentralen Beispiel illustrieren. Für einige Historiker hat das 3. Jh. n. Chr. auch im Hinblick auf unser Thema jene Bedeutung besonderer Art erlangt, die es sonst für die Althistoriker besitzt: Es soll auch für die gesellschaftliche Stellung des Arztes 4

Vgl. vor allem dessen „Einleitung" S. 3-16.

5

A/földy. 6 M. Rostowzew, The social and economic history of the Roman Empire, 2nd ed. rev. by P. M. Fraser, Bd. I, Oxford 1957 (repr. 1979), S. 190. 6 " Finley, Slavery and ideology S. 105-107 (in dem hauptsächlich gegen J. Vogt gerichteten Kapitel „Slavery and humanity"). 7 Vgl. z.B. V. M. Smirin in: E. M. Staerman, V. M. Smirin u. a. (Hrsg.), Die Sklaverei in den westlichen Provinzen des Römischen Reiches im 1.-3. Jahrhdt., Moskau 1977, S. 48 f. 7 " Vgl. Alföldy S. 7.; s. auch Nutton, Diss. S. I.



ltz 1

3

einen grundlegenden Wandel 1ebr1chthaben.Laut Fischer8 hat der „Kampr• der Medizin (und des ärztlichen Stande•)um einen „festen und geschätzten Platz im Römischen Reich" erst im 3. Jh. n. Chr. endgültig zum Erfolg geführt. Dies wird hauptsächlich begründet und veranschaulicht am Fall des L. Staius Scrateius Manilianus, Sohnes des L. Staius Rutilius Manilius und Enkels des L. Staius Eutychus. Inschriften informieren uns über familiäre Zusammengehörigkeit und Karriere dieser drei Personen 9 : L. Staius Rutilius Manilius, dessen Vater, wie sein Cognomen zeigt, offenbar griechischen Ursprungs war, hatte in Benevent als Archiater praktiziert und war eques Romanus. Sein Sohn L. Staius Scrateius Manilianus war praetor Cerialis, ein recht hoher munizipaler Rang, welcher die Verpflichtung zur Ausrichtung der (sehr teuren) ludi Ceriales einschloß. Wie die ausdrückliche Nennung seiner Tribus (Stellatina) zeigt, war er Vollbürger. Ob nun freilich die Tatsache, daß für seinen Vater keine Tribus-Zugehörigkeit angegeben ist, beweist, daß erst der jüngste der drei Staii „sich mit Stolz freigeborener römischer Bürger nennen konnte" 10, scheint uns doch zumindest fraglich: Die Grabinschrift war ja in erster Linie eben für den Jüngsten, denpraetor Cerialis, gedacht (verstorben 231 n. Chr.), und zwar hatten die Großeltern den Grabstein gesetzt. Es scheint uns sehr wohl möglich, daß gerade deshalb nur für den Verstorbenen selber die Tribus-Zugehörigkeit ausdrücklich vermerkt wurde (und daß also zumindest auch der Vater durchaus schon Vollbürger mit Tribus-Zugehörigkeit gewesen sein könnte). Gleichwohl impliziert Fischer, daß, entsprechend seiner Grundauffassung, hier ein Fall von sozialem Aufstieg vorliegen müsse, der in dieser Art vor dem 3. Jh. n. Chr. nicht denkbar gewesen wäre; seine Begründung: ,,Der Anteil freigeborener Römer (sc. an der Gesamtärzteschaft) war außerordentlich gering ... das gilt bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts" 11• Was hier als Entwicklung zum Positiven hin genommen wird, war, wie es scheint, für den antiken Historiker Cassius Dio vielmehr, unter einem bestimmten Aspekt zumindest, eines der Symptome des Niederganges. Zu seiner Zeit, so klagt er (LXXX 7, 1-3 ), ,,ging alles so drunter und drüber", daß bestimmte Personen „sich das Streben nach Macht in den Kopf setzten", dazu ermutigt durch den Umstand, daß „viele wider Erwarten und im Widerspruch zu ihrem gesellschaftlichen Platz (1tap' e11.1ti6a Kai napa TI1V a~iav) die Hegemonie erklommen haben". Unter derartigen Personen waren „Wollarbeiter" und „andere i6t&tm", sowie zwei namentlich Genannte: ein gewisser Verus, der aus dem Centurionen-Stande kam und die 3. Legion (Gallica) kommandierte, und ein Gellius Maximus, Sohn eines Arztes, und als Legat der 4. Legion (Scythica) tätig. Beide gehörten außerdem dem Senat an. Wegen der von ihnen angezettelten Umsturzversuche wurden beide 218/19 n. Chr. hingerichtet. Nun läßt sich der Vater des Gellius Maximus identifizieren: Es handelt sich um den aus Inschriften bekannten L. Gellius Maximus, aus sozial durchaus gut etablierter, in Antiocheia in Pisidien seßhafter Familie, Archiater und kaiserlicher 8

Fischer, Entwicklung S. 170 f. Vgl. Gummerus, Nr. 193 u. 231. 10 So Gummerus zu Nr. 231. 11 Fischer, Entwicklung S. 170 und S. 175 A. 54.

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Einleitun11

Elnltltuna

,.Freund" bei Caracalla und Träger des Titels ducenarius, was eigentlich einen Prokurator mit einem Jahresgehalt von 200 000 Sesterzen bedeutet (in diesem Falle dürfte es sich aber wohl eher um einen Ehrentitel gehandelt haben) 12• Aus dem ärgerlichen Unterton des Kontextes bei Cassius Dio läßt sich wohl entnehmen, daß dieser Historiker der Meinung war, das alles zusammen spiegele einen Wandel, eine neue, zum Schlechten hin tendierende Entwicklung wider. Dem mag, rein formal gesehen, für unser Thema der Umstand unterstützend entgegenkommen, daß vor dem 3. Jh. n. Chr. kein Arztsohn als Senator (und vor dem 4. Jh. n. Chr. kein Arzt als Angehöriger des ordo senatorius) bezeugt zu sein scheint 13• Jedoch verstehtA(földy hier Cassius Dio noch etwas anders und zieht daraus viel weiter reichende Konsequenzen 14:Der Historiker habe sich darüber erregt, daß nunmehr sogar ein Arztsohn Legionslegat werden könne. Solches sei in der Tat als Zeichen für einen grundlegenden „Strukturwandel" im 3. Jh. n. Chr. zu nehmen. Für die damit implizierte Annahme, der Ärztestand habe bis dahin (und jedenfalls weiterhin für Cassius Dio selber) eine äußerst geringe gesellschaftliche Geltung, und entsprechend geringe gesellschaftliche Chancen gehabt, hätteA(földy zur Bekräftigung auch darauf verweisen können, daß etwa „Wollarbeiter" ein besonders bezeichnender Standard-Bestandteil des antiken „Lexicon ofsnobbery", des Arsenals an sozial deklassierenden ,,Schimpf'-Wörtern, war 15, und daß in einem derart vorgefärbten Kontext die Nennung des Arztberufes sicher einen eigenen, für den Leser deutlichen Ton gewann (dazu wäre auch der in Abschn. 3 des 1. Kapitels erörterte Fall des Arztes Thessalos und seiner gesellschaftlichen Herkunft zu vergleichen). In all dem ist jedenfalls für Alföldy augenscheinlich die Konsequenz beschlossen, daß es vor dem 3. Jh. n. Chr., vor dem ab dann zu datierenden „Strukturwandel", keinen Arztsohn (und damit logischerweise auch keinen Arzt selber) im Römischen Reich habe geben können, der die Chance gehabt hätte, einen höheren militärischen Rang zu erreichen. Für A(földy bietet sich nun auch ein sehr naheliegender Grund für einen solchermaßen vorauszusetzenden gesellschaftlichen Bann an: In den früheren Jahrhunderten des Römischen Reiches sei ja, so behauptet Alföldy ausdrücklich, der Arztberuf „ungefähr" als „Handwerk" eingestuft gewesen und habe damit eo ipso einen recht niedrigen Platz in der Gesellschaft eingenommen, indem auch die Ärzte ,,vor allem" zur plebs urbana, und das heißt für A(földy, zu den „städtischen Unterschichten", gehört hätten 16 - ein eines stark deklassierenden Beiklanges fähiger Begriff, den (ohne „städtisch") in diesem Zusammenhang auch Christes zur Kennzeichnung vonplebs, in Kontrast zu „der Oberschicht", gebraucht 17• Hierfür hätten

wiederumA (földy und Christes eine gewisse Bekräftigungfinden können in der bekannten Behauptung des älteren Plinius (n. h. XXIX 17), daß solam hanc artium Graecarum (sc. medicinam) nondum exercet Romana gravitas, in tantofructupaucissimi Quiritium attigere. Wenn man die Worte nondum exercet entsprechend weit faßt, dann wäre mit dieser Behauptung das gleiche impliziert wie mit Fischers ausdrücklicher Schlußfolgerung: So gut wie kein freigeborener römischer Vollbürger hätte unter gesellschaftlich so hinderlichen, abschreckenden Umständen den Arztberuf ergreifen wollen oder können - und wenn schon ein freigeborener Römer, dann allenfalls ein gesellschaftlich niedrig stehender Plebejer, eben ein Angehöriger der „Unterschicht". Dem entspricht auch Fischers jüngste (an 3 Ärzte fremder Herkunft geknüpfte) generelle Schlußfolgerung, daß Angehörige ärztlicher Berufe ,,eben[!] zu den Leuten gehörten, die ,infimo loco nati' (von niedriger Herkunft) waren"18. Überblicken wir weiterhin die in der Forschung vertretenen Standpunkte: Gummerus rechnet für das Römische Reich zwar ebenfalls mit einem Wandel in der sozialen Struktur und der gesellschaftlichen Einschätzung des ärztlichen Standes, meint aber, dieser Wandel habe schon viel früher stattgefunden. Am Ende der Republik seien die Ärzte „fast ausschließlich Griechen" gewesen, und zwar „entweder Freigeborene ... oder Sklaven, die ... meistens früher oder später freigelassen wurden" 19. Obwohl also Gummerus hier dem Anteil an Griechen von freiem Status wenigstens eine gewisse Bedeutung einräumt, fährt er dann doch fort „die Folge dieses nicht-nationalen Charakters des Berufs und seiner sozial herabgedrückten Stellung war, daß seine Ausübung in den maßgebenden höheren Schichten der römischen Gesellschaft als nicht standesgemäß galt ... ganz natürlich sah auch der ärmste freigeborene Römer mit Geringschätzung auf die ... nur notdürftig lateinisch sprechenden servi medici oder liberti herab". Demnach waren also für Gummerus letztlich doch nur die Griechen von unfreiem (oder zunächst unfreiem) Status von entscheidender Bedeutung für die gesellschaftliche Einschätzung des Ärztestandes; eine Ansicht, die sich mit der von Alföldy und Fischer (und Baader, s. u.) deckt. Doch gilt dies, im Gegensatz zu den Genannten, bei Gummerus eigentlich nur für die Republik: Schon „in der letzten republikanischen Zeit", vor allem dann in der ,,Folgezeit", habe sich „Ansehen" und „soziale Lage" des Ärztestandes „fortwährend gebessert", ,,allmählich geboben" 20 • Gleichwohl könne, entgegen der Meinung vor allem von Meyer-Steineg, von einer von oben her geförderten „Standeserhöhung der liberti medici", insbesondere von entsprechenden Maßnahmen des Augustus, nicht die Rede sein21 • Dies wiederum steht nun eigentlich im Widerspruch zur Behauptung einer „Besserung" oder „Hebung" insofern, als für Gummerus auch in der Kaiserzeit der Arztberuf doch „zum großen Teil von unfreien und freigelassenen Fremden ausgeübt wurde" 22 • Und dennoch habe sich, andererseits, ,,das römische Volkselement allmählich in den Reihen der Ärzte merkbar" gemacht, so daß

12 Zu den beiden Gellii vgl. A. Stein, Art. ,,Gellius 16, 16a", RE Suppl. III, 1918, Sp. 542; Scarborough S. 112 und S. 214 A. 23 (bringt allerdings einige Konfusion in die Sache); Nutton, Doctor and oracle S. 39 f.; ders., L. Gellius Maximus, physician and procurator, Class. Quart. 21, 1971, S. 262-272; Crook, Consilium Principis Nr. 161. 13 Vgl. Nutton, Doctor and oracle S. 39. 14 SoAlföldyin der 2. Aufl. S. 157; in der 3. Aufl. S. 134 ist die allgemeine Tendenz derlnterpretation unverändert. 15 Vgl. dazu MacMullen, Soc. rel. S. 139 s. v. eptoupyöi;. 16 Alföldy S. 116. 17 Christes, Bildg. u. Ges. S. 226 f.

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Fischer, Augenarzt S. 325. Gummerus S. 5. Ebd. S. 5 und 8. Ebd. S. 7. Ebd. S. 12.

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Einleitung

Plinius' ,,Wort von der römischen gravitas als Hindernis für den Eintritt in den ärztlichen Beruf mehr und mehr zu einem Anachronismus" geworden sei - eine Einsicht, die allerdings Gummerus nicht hindert, zu betonen, daß Plinius' Bemerkung ,,ohne Zweifel für die Aristokratie auch in der Kaiserzeit Gültigkeit" behielt, während sie „für die breiten Schichten der freien Bevölkerung ... keinen Sinn mehr" gehabt habe 23. Endlich ganz pauschal: ,,Die Ärzte ... waren in der späteren Kaiserzeit durchweg freie und freigeborene Leute" 24. Demgegenüber ist, wie schon angedeutet, das von Nutton gezeichnete Bild logisch geschlossener, aber eben auch einseitiger: Indem Nutton grundsätzlich die Situation im Westen des Römischen Reiches von der im Osten unterscheidet, bezeichnet er den gesellschaftlichen Standort der Ärzte im Westen -in scharfem Gegensatz zum Osten - als „relatively humble" 25(während demgegenüber für Gummerus „der Unterschied zwischen Osten und Westen hinsichtlich der sozialen Lage der Ärzte sich im Laufe der Zeit ausgeglichen hatte" 26). Nuttons Begründung für seine Annahme einer relativ niedrigen gesellschaftlichen Position der Ärzte im Westen: Da diese hier „häufig Griechen" gewesen seien, hätten sie in einer Stadt, die nicht in ihrem Heimatland lag, keine angemessen gute gesellschaftliche Position erreichen können 27. Den Maßstab für „relativ" setztNutton folgendermaßen: Ärzten im Westen sei zwar der Zugang zum ordo equester möglich gewesen, aber der Betreffende „blieb dann ein eques", das heißt er blieb, nach Nutton, gebunden an einen relativ niedrigen gesellschaftlichen Platz, verglichen mit der Zugehörigkeit zum ordo senatorius - diese letztere aber, da für Ärzte oder deren Söhne erst seit dem 3. beziehungsweise 4. Jh. n. Chr. bezeugt, soll also diesen vorher offenbar regelrecht verschlossen gewesen sein. Fazit: Der Arztberuf hätte als solcher keinen derart „akzeptablen" gesellschaftlichen Rang besessen wie etwa der Beruf des Juristen oder Redners. Den auch bei Fischer und A[földy vertretenen Standpunkt bringt Baader wohl am schärfsten zum Ausdruck: In der Republik sei „der Arzt zunächst Sklave, später Freigelassener", und beruflich dem „Handwerker" vollkommen gleichgestellt gewesen in bezug auf die entsprechenden gesellschaftlichen Konsequenzen 28. Diese Ausgangssituation einer „Institution des Sklavenarztes zunächst griechischer Herkunft" habe dann auch in der Kaiserzeit für den gesamten Ärztestand im Römischen Reich eine „Belastung in der öffentlichen Meinung bedeutet", von welcher er ,,sich nie" habe „lösen" können 29. Hierher gehört schließlich auch J. F. Schulzes aus seinem Habilitationsvortrag erwachsener Aufsatz. Zwei typische Zitate: ,,Die Heilkunde (sc. im Römischen Reich) war von Anfang an eine Domäne griechischer Sklaven und Freigelassener, und später freier griechischer Ärzte" 30(Sperrung meine); und „die Medi-

zin blieb ... ein FremdkBrper ImKranzder römischen Wissenschaftszweige" 31 , Von allem anderen abge11hen blockiert hier (wie bei anderen Gelehrten auch) die einseitige Konzentration auf die Griechen die Erkenntnis, daß es ja auch Nichtgriechen unter den Ärzten nichtrömischer Herkunft im Römischen Reich gegeben hat (s. u. in den einzelnen Paragraphen des 1. Kapitels). Im Gegensatz zu allen bisher Genannten vermeidet Scarborough faktisch jeden Versuch, den „Platz des Arztes in der römischen Gesellschaft", den doch die Überschrift seines diesbezüglichen Kapitels ausdrücklich anvisiert (s. o. S. 1 A. 3), wirklich zu bestimmen. Er kommt auch nicht etwa zu der (für ihn eigentlich naheliegenden) Feststellung, daß dieser Platz nicht auf einen Punkt festzulegen ist, daß es vielmehr, bürgerrechtlich wie soziologisch gesehen, verschiedene Gruppen ärztlicher Berufsvertreter mit entsprechend variierenden gesellschaftlichen Chancen gab. Immerhin deutet Scarborough (im Anschluß an Duff) aber doch etwa, sogar klarer als Gummerus oder Baader 32 , an, daß im Römischen Reich die Peregrinen (d. h. die freien, nicht mit dem servus- oder libertus-Status behafteten, aber auch nicht eingebürgerten Fremden) unter den Ärzten, zumal wenn sie aus Griechenland stammten, eine bedeutende Rolle als sozial Höhergestellte gespielt haben müßten, und meint demgegenüber, daß der Fall eines gesellschaftlich hoch gestiegenen Freigelassenen, wie er sich in dem aus Griechenland stammenden Antonius Musa darstellt, eine ,,bemerkenswerte Ausnahme von der Regel" gewesen sei33. Hinter Scarboroughs Darstellung steht allem Anschein nach kein eigentliches Konzept; jedenfalls hat sie Fragen, die eher im Vorbeigehen angerührt scheinen (etwa die nach dem Verhältnis zwischen negativen und positiven römischen Urteilen über Arzt und Medizin und nach der gesellschaftlichen Relevanz solcher Urteile34),nicht konsequent aufgenommen und weiterverfolgt. Wie hilf- und ergebnislos eine eines echten Konzepts ermangelnde Darstellung der Position des Ärztestandes innerhalb der römischen Gesellschaft bleiben muß, zeigt besonders augenfällig das Beispiel von Gervais' ausgedehntem Aufsatz. Die Autorin bietet wirklich im Endeffekt nur „eine bunte Sammlung von Zeugnissen" 35. Das von ihr angestrebte Ziel, ,,donner du relief ä Ja charge ... du röle et de Ja situation du ,medicus' dans la societe romaine" 36, war so keinesfalls zu erreichen. Insgesamt muß man feststellen, daß die dem Thema gewidmete neuere Forschung - abgesehen von nicht wenigen wertvollen Einzelerkenntnissen - hinsichtlich der Grundanschauungen nach wie vor in wesentlichen Punkten bei Meyer-Steineg stehengeblieben ist, trotz der Kritik, die etwa Gummerus an diesem übt 37. Auch Meyer-Steineg nimmt zum Beispiel an, daß der Ärztestand im Römischen Reich vor allem von Griechen „beherrscht" wurde 38. Allerdings sind dies für ihn zunächst 31

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Ebd. S. 10. Ebd. Nutton, Doctor and oracle S. 40. Gummerus S. 9. Hierzu und zum Folgenden s. Nutton, Doctor and oracle S. 39 f. Baader, Ärztl. Stand S. 1 J. Ders., Ärzte auf pann. Inschr. S. 279. Schulze, Entwicklung S. 504.

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Ebd. S. 485. Für dessen Ansicht zur Rolle der Peregrinen s. dens., Ärztl. Stand S. 14 f. Scarborough S. 11 J. Vgl. ebd. S. 109. So das Urteil von Vogt S. 78/79 A. 1. Gervais S. 200. Gummerus S. 6 f. Hierzu und zum Folgenden s. Meyer-Steine!( S. 22-24.

Einleitung

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die „freien griechischen Ärzte" (eingebürgert oder nicht), erst später die medici libertini, welchen er dann die „Hauptrolle" zuspricht. Daneben läßt Meyer-Steineg, freilich „ganz langsam und zögernd", auch freigeborene Römer in den Ärztestand einsickern, wobei er bemerkenswerterweise die Attraktivität des ärztlichen Berufs für diese damit begründet, daß dieser Beruf sich (offenbar nach Ansicht MeyerSteinegs auch in Rom seit je?) eines „hohen Ansehens" erfreut habe. Damit steht jedoch im Widerspruch, daß Meyer-Steineg anderswo 39 gerade im Zusammenhang mit den medici libertini, den Freigelassenen unter den Ärzten, von verachteter „Handwerks-Medizin" spricht, so jedenfalls für die „ältere Zeit" (wobei unklar bleibt, wie weit diese für Meyer-Steineg eigentlich reicht). Aus unserem Überblick dürfte zunächst einigermaßen deutlich hervorgegangen sein, daß die unserem Thema bisher gewidmete Forschung einerseits nicht selten einander widerspricht Ga daß sich bisweilen ein Forscher selber widerspricht, wie etwa Meyer-Steinegin puncto römische Einschätzung der Medizin), daß sie aber auch, andererseits, einige gemeinsame Grundannahmen teilt, welche den Verdacht erregen, eher pauschale Vorurteile zu sein. Allgemein gesprochen arbeitet die moderne Forschung auf diesem Gebiet mit „questionable arguments" 40 • Wir haben (neben Bemerkungen wie der eben zitierten von Astin) es als Ermutigung genommen, daß der Verdacht auf vorgefaßte Meinungen neuerdings auch von Chantraine, in dessen Besprechung von Treggiaris Buch 41 , ausdrücklich geäußert wird. Zwei gerade auch für unser Thema aufschlußreiche Zitate daraus: Chantraine erhebt Bedenken gegen das Pauschalverfahren, ,Jeden nicht lupenreinen ingenuus oder servus für einen möglichen oder wahrscheinlichen Freigelassenen zu erklären", und betont insbesondere, es sei „nicht glaubhaft, daß ,most doctors ... were probably slaves or freedmen rather than free foreigners"' 42 • In der Tat geht Treggiaris Voreingenommenheit noch einen Schritt weiter: Griechische Ärzte, die mit Römern in Kontakt kamen, hält sie eo ipso für Peregrine (welchen sie übrigens doch wenigstens eine gewisse Rolle neben den Sklaven und Freigelassenen einräumt 43), ohne die näheren Umstände zu überprüfen. So ist der Arzt Philotas aus Amphissa für sie ein peregrinus und „in the service of Romans", in diesem Falle des Sohnes des Mark Anton 44 • Liest man jedoch Plutarch Ant. 28 (Treggiaris Quelle) unvoreingenommen, so geht nur daraus hervor, daß dieser griechische Arzt mit Mark Anton und dessen Sohn in A 1ex andre i a Kontakt hatte, und zwar rein gesellschaftlichen (Treffen bei Einladungen). Von „service" kann hier füglich ebensowenig die Rede sein wie von einem Peregrinen-Status des Philotas (zu Ärzten in diesem Status, und zum präzisen Gebrauch von peregrinus, s. Kap. I § 3). Sandra Joshels große Untersuchung besticht demgegenüber im Hinblick aufunser Thema durch nüchterne Vorsicht und ist hilfreich durch manche methodisch wichtige (weiter unten an gegebener Stelle zu zitierende) Bemerkung 44 •. Weiterhin muß etwa die zwar beiläufi-

ge, aber von einemIOhufllnnlpnAnalytikerder römischen Gesellschaft stammende Bemerkuna, der„St1tu1derÄrzte" sei „hoch" gewesen 45, positiv zum Nach- und Umdenken anreaen:Wenn der Kreis der amici principis, zu welchem auch Ärzte gehören konnten, mit seiner consilium-Funktion eine gewisse Art von konkurrierender Parallele zum Senat bildete - relativiert sich nicht damit allein schon Nuttons Argument, Ärzte seien offenbar sehr lange vom Zutritt zum ordo senatorius ausgeschlossen gewesen, in seinem Wert nicht ganz unerheblich? Und will Crook mit seiner beiläufigen Bemerkung nur implizieren, daß die gesellschaftliche Stellung ein z e 1n er Ärzte - eben jener, die zu den amici principis gehörten - hoch war? Oder will er andeuten, daß der Arztberuf als solcher einen hohen gesellschaftlichen Rang einnahm? Wie vertrüge sich das dann mit anderslautenden Urteilen wie etwa dem des älteren Plinius? Ermutigt wird man schließlich zu einem Unternehmen wie dem vorliegenden auch durch einige (im Sklaven-Paragraphen näher zu besprechende) antike Aussagen. Hätte man diese ohne Vorurteil und sorgfältiger gelesen, dann wäre klar geworden, daß es schon in der altrömischen Bauerngesellschaft - von städtischen Verhältnissen ganz abgesehen - drei in ihrem gesellschaftlichen Status völlig verschiedene Arzttypen gegeben haben muß: den nichtprofessionellen Heiler, den der pater familias selber verkörpert (Beispiel: der ältere Cato); und zwei gesellschaftlich einander strikt entgegengesetzte professionelle Ärzte-Kategorien - den anniversarius vicinus, der offenbar ein Freier war und allen in einem vicus zusammengefaßten bäuerlichen Wohngemeinschaften gleichermaßen zur Verfügung stand, sowie den domesticus etfamiliaris medicus, der zum Besitzeinesdominus, einerfamilia gehörte, im Prinzip dieser allein zu dienen hatte und entsprechend ein Unfreier war. Unser Überblick sollte weiterhin auch die wesentlichen Grundfragen als solche deutlich machen, wie sie nunmehr mit um so größerem Nachdruck wieder zu stellen und erneut zu diskutieren sind. Sie bestimmen, als Kapitel- und Paragraphen-Überschriften, die Gliederung der vorliegenden Abhandlung. Diese selber mag, wenn man so will, als ein erster größerer Schritt zu einer neuen, modernen, Meyer-Steinegs nunmehr gut 75 Jahre alte Skizze ersetzenden Sozialgeschichte des römischen Ärztestandes genommen werden. Sie möchte auch versuchen, einen Teil an persönlicher Schuld Konrat Ziegler gegenüber abzutragen, der vor vielen Jahren einmal den Verfasser um einen Artikel Medicus für die RE (als Ersatz für S. Reinachs gleichnamigen, längst überholten Artikel in Daremberg-Saglios „Dictionnaire") gebeten hatte. Ein vielleicht nötiges Wort zum Begriff „römisch" im Titel: Eine bessere Bezeichnung des hier Gemeinten wäre „westlich-lateinisch" 46 • Nun könnte man wohl eine derartige Vermengung geographischer und kultureller Benennungen als vage, unpräzis rügen. Denn zunächst war ja sogar die Frage, ob jemand aus einer römischen Familie sensu stricto, oder aus einer italischen, kam, gerade in Hinsicht auf die gesellschaftliche Einschätzung des Betreffenden zweifellos von beträchtlicher Bedeu-

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Ebd. S. 13 f. . Vgl. Astin S. 171 A. 3 7 (speziell zu Baader, Ärztl. Stand und Schulze, Entwicklung). 41 H. Chantraine in: Gnomon 48, 1976, S. 269-272. 44 42 43 Treggiari S. 129. Ebd. S. 271. Ebd. S. 130. 44 • Einen Gesamtüberblick über die gesellschaftliche Stellung des Arztes in Rom bietetJoshel, für die von ihr behandelte Epoche, in Kap. 5 Abschn. IV (S. 443-469). 39 40

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Crook, Consilium Principis S. 152 (zu Nr. 35). Nach dem Vorschlag von Gummerus S. 12 u. 13 (.,das römische oderrichtigergesagt das westlich-lateinische Volkselement" bzw . .,westlich-lateinische ... Reichateile"). 46

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II

Einleitung

tung, zumindest in früher Zcit 47 • Und auch noch im 1. Jh. v. Chr. mochten Leute aus „ltalia" von manchen Römern recht gern mit Freigelassenen oderSklavenassoziiert werden'" (besonders typisch scheint Cicero, der zwar im Hinblick auf sich selber beklagt, daß man auf die aus Munizipalfamilien Stammenden herabsehe, der aber sonst selber in eine ähnliche Kerbe schlägt 49). In der ausgehenden Republik war dann „Italia" als Gebiet der „römischen" Bürger schlechthin umfangmäßig noch sehr begrenzt; Norditalien ebenso wie Sizilien waren davon ausgenommen, von den Provinzen ganz zu schweigen 50 • Aber seit dem Beginn der Kaiserzeit verwischte sich das endgültig, spielte die Unterscheidung zwischen „Römern" im strengen, und italischen Bürgern im engen oder weiteren Sinne, wenn überhaupt, nur noch in eng begrenzten Zirkeln eine halbwegs lebendige Rolle 51 • Wir gebrauchen daher die Worte „römisch" und „Römer" für unsere Zwecke in ihrer undifferenzierten, allgemeinen Bedeutung. Ärzte fremder Herkunft interessieren uns hier nur, insofern sie entweder servi und libertini, oder als Freie in Rom/Italien zu römischen Bürgern Gewordene waren oder als Peregrine (Nicht-Bürger) längere Zeit in römischen (westlich-lateinischen) Gebieten lebten. Um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen: Bei „römisch" denken wir hier nicht nur an das „Römische Reich" im Sinne von Kaiserreich; die Republik (vor allem die späte, wo wir bereits einiges für unser Thema sehr Wesentliche erfassen können) ist durchaus mit einbegriffen. Was unsere untere Zeitgrenze anlangt, so haben wir „the later Roman Empire", d. h. den in Jones' gleichnamigem Werk behandelten Zeitraum, hier weniger berücksichtigt als die davor liegende Zeit. Der Leser sei auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Wort „Arzt" im Titel wörtlich zu nehmen ist: Die Ärztin lassen wir hier aus; sie beansprucht, so meinen wir, gerade im römischen Bereich eine eigene Untersuchung 52 • Ebenso lassen wir hier die niederen Heiler wie mediastini (Diener der Ärzte), Pharmakopolai, latraliptai usw. aus; sie sollten lieber nicht „doctors" genannt, d. h. den Ärzten sensu

stricto gleichgestellt werdenu. Es acht uns nur um den „wirklichen ,medicus"', wozu wir dann freilich auch den Spezialisten (medicus ocularius, chirurgus, usw.) zählen 54 • Uns interessieren hier übrigens auch nicht bestimmte ärztliche Aufgaben (etwa Gutachtertätigkeit) oder Funktionen und Titel (etwa Archiater, Hofärzte) als solche. In das dornige, nach wie vor mit ungelösten Problemen belastete Gebiet der römischen Militärmedizin mit ihren verschiedenen Klassen von Militärärzten machen wir nur einen gelegentlichen Abstecher. Unsere Darstellung konzentriert sich statt dessen im wesentlichen auf die bürgerrechtlichen Kategorien, denen die Ärzte zugehören, auf die jeweilige soziale Herkunft der Ärzte, und auf deren Position in der römischen Gesellschaft. Auf dieser Basis wird dann versucht, einige berufs- und sozialgeschichtliche Grundprobleme des römischen Ärztestandes zu klären. Damit hoffen wir doch, ungeachtet Nuttons diesbezüglicher Resignation 55 , sogar hinsichtlich der ingenui unter den Ärzten etwas den Unternehmungen von Kunkel oder Christes wenigstens halbwegs Vergleichbares vorlegen zu können. Vollständigkeit der Belege ist dabei keineswegs unser Ziel; wer an ihr interessiert ist, kann sich immerhin, was Inschriften betrifft, an Gummerus und Rowlands Nachtrag zu diesem halten 56 • Gleichwohl haben sich einzelne Aspekte des Themas als zu umfangreich für die vorliegende Darstellung erwiesen; um diese zu entlasten, haben wir sie anderswo behandelt 57 , so daß wir uns hier diesbezüglich kurzfassen konnten. Ein letztes Wort zu neuesten Vorhaben anderer Forscher bezüglich des Themas, dem unsere Darstellung gilt: Durch Vermittlung von G. Mann ist mir ein Manuskript „Apotheker im antiken Rom. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung" bekanntgeworden; es stammt von dem Finnen J. J. Korpe/a und bildet einen Teil von dessen 1983 abgeschlossener größerer Untersuchung „Das Medizinalpersonal im antiken Rom. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung". Der von mir eingesehene Abschnitt über die „Apotheker" vermittelt den Eindruck einer fleißigen Quellensammlung, welcher ein solides Fundament sozialhistorischer Interpretation fehlt. Weit Qualitätvolleres über Medizin und Ärzte der späten Republik dürfte uns E. Rawsons Buch „lntellectual life in Rome and Italy in the age of Cicero" zu bieten haben, das bald gedruckt vorliegen soll (wie mir die Verfasserin vor einiger Zeit mitteilte). Es bleibt abzuwarten, wie weit unsere Darstellung jener Epoche über das von Rawson gezeichnete Bild hinausreicht. Schließlich bemerkt Scarborough 58 von einem jüngst erschienenen Aufsatz Nuttons (,,Murders and miracles: Lay attitudes towards medicine in Classical Antiquity"), dieser werde sicherlich „put to rest the overinflated and misleading, continual debate regarding the ,status' of doctors in Greco-Roman antiquity". Daß es, wie Nutton hier u. a. betont, in der Antike keine staatliche Kontrolle der Qualifikation zum Arzt gab, ist bekannt genug. Daß und warum dies eine sozialgeschichtliche Untersuchung des Arztberufs und der gesellschaftlichen Position seiner antiken

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Für den Fall des Cn. Flavius etwa (Ende des 4. Jhs. v. Chr.), dessen Vater einen nur in italischen Dialekten vorkommenden Namen trug, und der auch deshalb in seinen politisch-gesellschaftlichen Chancen beeinträchtigt gewesen sein kann (er war allerdings auch Freigelassener), vgl. K. Latte, KI. Schriften, München 1968, S. 842. 48 Vgl. Treggiari S. 49 mit A. 4. 49 Vgl. MacMullen, Soc. rel. S. 58 und S. 167 A. l. 50 Hierzu s. etwa J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Bd. 1, Paderborn 1978 (UTB), S. 313 f. " Zu einer entsprechenden Bemerkung bei Ammianus Marcellinus s. MacMullen, Soc. rel. S. 58. 52 In ihr wäre etwa der Anteil von Ärztinnen am Gesamtärztestand - den J. Carcopino aufgrund des stadtrömischen Befundes sehr einseitig (obendrein mit unzuverlässigen Zahlenangaben) darstellt (ders., Daily life in ancient Rome, transl. E. 0. Lorimer, ed. with bibliography and notes H. T. Rowell, repr. 1978, Penguin Books, S. 20 l) - zu diskutieren, mit Einschluß der iatrom( a)eae, deren Verhältnis zu den „medicae" zu bestimmen wäre. Dies müßte natürlich auch im allgemeinen Kontext der Frage nach der Rolle der Frau in der römischen Gesellschaft geschehen - eine umso schwierigere Aufgabe, als es nach dem Urteil vonL. P. Wilkinson (Classical attitudes to modernissues, London 1978, S. 10) bisher „no general disquisition on woman's place in antiquity" gibt (Carcopinos Ausführungen über ,,feminism and demoralization", a. 0. S. 104-109, sind jedenfalls alles andere als objektiv oder tiefdringend, und Wilkinsons eigener Beitrag über „women's liberation", a. 0. S. 47-78, wiewohl weit besser, mußte essayistisch bleiben).

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Wie Joshel S. 449 u. 451 es tut. Dazu vgl. Meyer-Steineg S. 19. Vgl. Nutton, Diss. S. II (,,a survey as detailed as that of Kunkel is ruled out ... "). R.J. Rowland, Some newmedici in the Roman Empire, Epigraphica 39, 1977, S. 174-179. Kud/ien, Anniversarii vicini; ders., Jüd. Ärzte. In: Soc. for Anc. Med. Newsletter No. 13, May 1985, S. 50.

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Einleitung

Vertreter überflüssig machen sollte, sehe ich nicht, glaube auch nicht, daß Nutton selber (dessen einschlägige frühere Arbeiten wir mit Gewinn benutzt haben) dies wirklich meint. Aber der Leser mag selbst urteilen.

Kapitel I DIE BÜRGERRECHTLICHEN

KATEGORIEN DER ÄRZTE

Vorbemerkung Der Begriff „bürgerrechtlich" meint hier den Zivilstand, den der Arzt jeweils als Bewohner eines römischen Gebietes hatte. Er meint nicht etwa, daß wir hier unser Hauptaugenmerk auf die mit den verschiedenen bürgerrechtlichen Status verknüpften formaljuristischen Bedingungen und Probleme richten wollen, wie sie in den Rechtsquellen niedergelegt und diskutiert sind. Letzteres ist zweifellos ein wichtiges Thema, das bereits die Aufmerksamkeit des auch als Jurist ausgebildeten und promovierten Mediziners und Medizinhistorikers Meyer-Steineg gefunden hatte 1 und neuerdings umfassend von Below bearbeitet worden ist. Demgegenüber werden wir für unser Thema jedoch des öfteren darauf hinzuweisen haben, daß, und wie, eine zu ausschließliche Konzentration auf die formale Rechtslage den Blick für die Wirklichkeit, für das, was tatsächlich der Fall war und jeweils vor sich ging, trüben kann. Bereits Duff hatte anläßlich seines Themas festzustellen, daß „die n o r m a 1e Sachlage niemals vollständig bei den Juristen repräsentiert ist" 2, und auch Crook stellt neuerdings wieder die prinzipielle Frage, ,,wie weit die juristischen Texte widerspiegeln, was wirklich passierte"3, und kommt zu der Antwort, daß das kodifizierte Recht „sicherlich eine gewisse Widerspiegelung der Gesellschaft" darstelle4. Nur in diesem distanziert-kritischen Sinne werden wir gegebenenfalls auf die formale Rechtslage und die sich aus dieser ergebenden Probleme hinweisen. Ein Eingeständnis noch: Die „incerti" (L. Ross Taylor) - jene leider nicht wenigen Fälle, die sich einer sicheren oder wahrscheinlichen bürgerrechtlichen Einordnung entziehen - haben wir nicht als Gruppe gesondert behandelt. Es genügt, wenn sie in den folgenden Paragraphen immer wieder warnend, verunsichernd auftauchen (für fehlende „status indication" als Problem s. bes. unten S. 66 f.). § 1: Anteil

und (ingenui)

gesellschaftliche

Situation

freigeborener

Römer

Es liegt ganz auf der Linie der in der Einleitung vorgeführten Pauschalurteile, ihrer weiten Verbreitung ebenso wie der ihnen innewohnenden Widersprüchlichkeit, wenn etwa auch bei Friedländer behauptet wird, daß im Römischen Reich „der 1

Vgl. vor allem dessen Abschn. VI. DujJS. 40. 3 Crook, Law and life S. 10. • Ebd. S. 7. 2

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ärztliche Berufbis in die späteste Zeit vielfach, vielleicht vorzugsweise, von Freigelassenen und Sklaven ausgeübt" wurde 1, dann aber doch einige geborene Römer genannt sind, die „namhafte und gesuchte Ärzte" waren, ja sogar in diesem Zusammenhang gemeint wird, daß „in den westlichen Provinzen die Mehrzahl der Ärzte nicht-griechischen Ursprungs gewesen sein" werde 2 (womit offenbar hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, geborene Römer ins Auge gefaßt sind). Wer das hier gestellte Thema behandelt, muß sich vielmehr der Quellenlage besonders klar bewußt sein. Die bei Friedländer a. 0. gegebenen Belege erlauben keine derart weitreichenden Schlußfolgerungen. Die Nachrichten in den literarischen Quellen sind, naturgemäß, gewöhnlich beiläufiger, eher zufälliger Art (sofern nicht der betreffende Arzt etwa für einen Historiker eine besonders interessante Rolle spielte, wie Vettius Valens oder C. Stertinius Xenophon). Ein besonders augenfälliges Beispiel dafür ist Plinius' Bemerkung über die multi medici celeberrimi, von denen er mit Namen, rein beispielshalber, Cassius, Calpetanus, Arruntius, Rubrius nennt (zu diesen vier s. nachher). Diese Ärzte mögen tatsächlich „hochberühmt" gewesen sein, sind uns jedoch sonst gänzlich ungreifbar. Hätten wir nicht Plinius' im Vorbeigehen hingeworfene Bemerkung, dann wüßten wir nicht einmal von ihrer Existenz. Und doch muß es, nimmt man Plinius ernst, neben ihnen immerhin noch eine Anzahl anderer derartiger Ärzte gegeben haben, die möglicherweise, wenn nicht sogar sicher, geborene römische Bürger waren (für einige weitere wenigstens ansatzweise faßbare Fälle solcher Art bei Plinius s. u.). Die andere in Frage kommende Quellenkategorie ist nicht-literarischer Natur: Inschriften (vor allem Graboder Ehreninschriften). Aber auch hier ist es allein der Zufall, welcher Entstehung, Erhaltung und Aussagewert bestimmt hat (vgl. dafür etwa schon die beiden in der Einleitung erwähnten, die Staii betreffenden Inschriften). Unter solchen Umständen dürfte es doch wohl von vornherein verfehlt sein, ohne ausreichende Stütze anderer Art irgendwelche einschränkenden Schätzungen, gar prozentuale, über den Anteil freigeborener Römer an der Gesamtärzteschaft des Römischen Reiches abzugeben. Das gleiche gilt natürlich letzten Endes ebenso für die Freigelassenen oder die servi medici. Ein anderes Dilemma liegt, wie zugegeben werden muß, in den Personennamen: Vor allem Gummerus 3 und Fischer4 weisen mit Nachdruck darauf hin, daß der Name (seine Form) allein nicht beweist, ob der Träger in eine römische gens hineingeboren war, oder ob er (selber, oder durch einen Vorfahren) griechischen, oder sonst fremden, Ursprungs war. Aber muß man denn dann, wie Gummerus und Fischer implizieren, angesichts dieses Dilemmas schlußfolgern, daß die allermeisten Ärzte mit solchen Namen, auch diejenigen mit rein römischen Vollnamen (Praenomen, Gentilnomen, Cognomen), fremden, in der Regel griechischen Ursprungs waren? Wenn keine zwingenden Gründe zu dieser Schlußfolgerung berechtigen, dann kann man doch ebensogut andersherum argumentieren, daß zumindest eine be1 2

3 4

Anteil und,...uachal\liche Situation freigeborener Römer

Die büraerrechtlichen Kateaoriender Ärzte

Friedländer Bd. I S. 190. Ebd. S. 191 f. s. 10 f. Fischer, Entwicklung S. l 70.

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trächtliche Zahl von Ärzten mit anstandslos römischen Namen durchaus geborene Mitglieder der mit dem Namen angesprochenen römischen gens gewesen sein können. Vielleicht ist es aufschlußreich, bei dieser Gelegenheit einen Blick auf eine ganz andere, als Beruf oder Liebhaberei ausgeübte Tätigkeit zu werfen, bei welcher man von vornherein ausschließlich, oder doch im wesentlichen, Sklaven oder Freigelassene fremden Ursprungs als beruflich Ausübende vermuten würde: die Schauspieler (histriones). Jedoch gab es schon unter Augustus sogar geborene Mitglieder römischer Ritterfamilien auf der Bühne - woraus man gescblossen hat, daß „several of the actors known to us only by nomen gentile were probably ingenuous" 5• Auch unter den Ärzten gab es, wie wir sehen werden, geborene Mitglieder römischer Ritterfamilien. Warum sollte man also, was das grundsätzliche Dilemma der Personennamen angeht, beim Ärztestand die Möglichkeit, ebenso zu schlußfolgern wie bei den Schauspielern, ausschließen? Im folgenden wollen wir uns möglichst auf solche Ärzte beschränken, bei denen entweder sicher ist oder doch wenigstens einiger Anlaß zu der Annahme besteht, daß sie geborene gens-Mitglieder waren, ingenui, ,,(Roman) citizens by birth", und daß ihre Vorfahren ebenfalls durch Geburt mit der betreffenden gens verbunden waren, also, formal gesehen, auf der Censusliste oder im Geburtenregister standen 6 - das heißt, nach Ciceros (Top. VI 29) strenger Definition, Römer, qui ab ingenuis oriundi sunt und quorum maiorum nemo servitutem servivit. Fälle wie der in der Einleitung erwähnte L. Staius Rutilius Manilius mit seinem offenbar als Grieche geborenen Vater sollen somit in diesem Paragraphen ausgeschlossen bleiben. Für unser Vorhaben hilft es nicht weiter, aus den „Römischen Altertümern" des Dionysios v. Halikarnass (X 53) zu erfahren, daß es schon um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. in Rom „Ärzte" gegeben habe, welche (erfolglos) eine „Pest" bekämpft hätten. Zur Interpretation dieser Behauptung vermutet Meyer-Steineg, ,,daß Dion. Verhältnisse seiner Zeit (um Chr. Geb.) auf die damaligen Zustände übertragen hat" 7 ; B aader ist noch skeptischer und hält Dionysios' Behauptung für einen „bloßen Topos" 8• Die langatmige, das thukydideische Vorbild der Pestschilderung übrigens nicht verleugnende Geschichte bietet in der Tat der historischen Forschung keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Falls es damals in Rom wirklich regelrechte Ärzte, und nicht nur Heiler irgendwelcher Art, gegeben hat, so wissen wir doch nicht, ob es sich dabei um geborene Römer handelte, oder ob sie nicht vielmehr (was mir jedenfalls wahrscheinlicher scheint) von außerhalb, und das heißt dann vor allem aus Griechenland oder kleinasiatischen beziehungsweise nordafrikanischen Kolonien der Griechen oder griechischen Siedlungsgebieten in Süditalien/Sizilien, gekommen waren. Was sodann den etwas besser faßbaren, gegen Ende des 3. Jh.s v. Chr. in Rom wirkenden griechischen Arzt Archagathos betrifft (für ihn s. § 2 dieses Kapitels), so wissen wir wiederum nicht, inwieweit er dort Schüler, darunter Treggiari S. 139. Dazu vgl. Crook, Law and life S. 46-48. 7 Meyer-Steineg S. 9 A. S. • Baader, Ärzti. Stand S. 8 f. (mit Berufungauf Daremberg). i 6

16

Diebür1crrcchtlichen Kategorien der Ärzte

etwa auch aeboreneRömer, hatte. Unseres Wissens der erste, bei dem dies, wie wir sehen werden,tatsächlich der Fall gewesen zu sein scheint, war der 91 v. Chr. nach Rom gekommene griechische Arzt Asklepiades aus Bithynien; er ist im PeregrinenParagraphen dieses Kapitels näher zu besprechen. Dagegen dürfte Varros (Res rusticae I 16,4) auf die altrömische Bauerngesellschaft bezogene Bemerkung von den anniversarii vicini unter den Ärzten für die Frage nach den römischen ingenui im Ärztestande sehr wichtig sein. Daß es sich bei diesen anniversarii vicini in der Regel um Freie handelte, steht unseres Erachtens außer Zweifel (s. dazu im einzelnen unten S. ·94). Aber wo kamen sie her, welchen · bürgerrechtlichen und gesellschaftlichen Status hatten sie? Ärzte fremder Herkunft mochten gerade in der Frühzeit wohl eher in die größeren Städte, vorzugsweise nach Rom selber, weniger dagegen aufs Land gehen. Vielleicht handelte es sich hier also um freie Provinziale (Italiker), die damals, formal gesehen, noch nicht römische Bürger sensu stricto, auf jeden Fall aber ingenui waren. Womöglich kann man, noch einen Schritt weitergehend, vermuten, daß es sich bei diesen anniversarii vicini um besitzlos gewordene frühere Bauern, und damit um eine Art von „Unterschicht", handelte (dazu s. Kap. II§ 2). Das muß freilich unter den gegebenen Umständen - Varro, unsere einzige Quelle, schweigt zu dieser speziellen Frage - Vermutung bleiben, muß aber doch erwogen werden. So können wir also, was wirklich konkrete Anhaltspunkte betrifft, das Thema dieses Paragraphen nicht früher als mit den Jahrzehnten zwischen ausgehender Republik und Prinzipal beginnen. Wenn Asklepiades während seines offenbar sehr langen Wirkens in Rom großen Einfluß auf die gesellschaftliche „Besserung" des römischen Ärztestandes gehabt haben mochte9, dann wäre dies demnach in unserem Zusammenhang zunächst und vor allem so zu konkretisieren, daß er auch freigeborene Römer zur Ausübung des Ärzteberufs veranlaßte. Wir werden sehen, daß für diese Annahme tatsächlich sogar eine bemerkenswerte Anzahl von Personen aus den uns zur Verfügung stehenden Quellen namhaft gemacht werden kann. Allein damit schon erweist sich Baaders Feststellung 1°,aus der Zeit der Republik sei nur ein einziger geborener römischer Bürger als Arzt namentlich bekannt (A. Rupilius, für welchen s. u.), als modifikationsbedürftig. Der Anfang sei mit drei Ärzten gemacht, welche (nur, oder unter anderem) bei Caelius Aurelianus, einer späten, aber aus guten Gewährsleuten schöpfenden Quelle, erwähnt sind, und zwar ausdrücklich in unmittelbarer Verbindung mit Asklepiades, wobei wir von der Möglichkeit ausgehen müssen, daß „Anhänger" ein persönliches Schülerverhältnis meinen kann. T. Aufidius aus Sizilien heißt bei Caelius Aurelianus Titus, sectator Asclepiadis 11• Die gens A ufidia (der Gentilname gehört in eine lange Reihe von mit Auf- beginnenden römischen Namen 12) war ursprünglich .eine plebejische, die aber schon in republikanischer Zeit einen Senator und einen Konsul hervorgebracht hat 13.Wenn der Arzt T. Aufidius auch in griechischer Sprache ge9

So vermutet Gummerus S. 8. Baader, Ärztl. Stand S. 16 f. 11 Für diesen Arzt s. M. Wellmann, Art. Aufidius 13, RE II 2, 1896, Sp. 2290. 12 Vgl. Schulze, Lat. Eigennamen S. 269. 13 Vgl. H. G. Gundel, Art. Aufidius, DKIP 1, 1964, Sp. 731 und Kunkel S. 30 f. 10

Anteil und gesellschaftliche Situation freigeborener Römer

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schrieben hat, so muß er doch deshalb keineswegs ein „griechischer Arzt" (so Wellmanna. 0.) gewesen sein, selbst wenn er aus Sizilien kam (für in Griechisch veröffentlichende römische Ärzte s. am Ende dieses Abschnitts; für Sizilien als „Umschlagplatz" für griechische ebenso wie römische Ärzte, s. u. S. 75 f.). Er kann vielmehr durchaus ein geborenes Mitglied der gens Aufidia gewesen sein und, falls er ein persönlicher Schüler des Asklepiades war, in der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. gelebt haben. Bei dem Arzt Clodius, wiederum einem sectator Asclepiadis (Cael. Aurel. Morb. Acut. III 96), dürfte es sich vermutlich um den in Benevent begrabenen A. Clodius A.filius handeln, dessen Grabinschrift wegen einiger Archaismen in die für Asklepiades und seine persönlichen Schüler in Frage kommende Zeit datiert wird 14 • Die gens Clodia hatte in republikanischer Zeit auch einige recht fragwürdige Mitglieder, darunter den berüchtigten Volkstribun P. Clodius Pulcher sowie, in direkterer Beziehung zu unserem Thema, den von Cicero (Pro Cluent. 40) sehr abträglich geschilderten L. Clodius, Anconitanus quidam, der einpharmacopoles circumforaneus gewesen sein soll 15• Deshalb aber nicht bloß speziell letzteren, sondern pauschal die ganze gens Clodia als „alles andere als achtbar" einzustufen 16 , geht doch wohl entschieden zu weit. Als dritter Arzt dieser Gruppe ist Artorius zu nennen, auch er bei Caelius Aurelianus alsAsclepiadis sectator aufgeführt und ohne Zweifel identisch mit dem gleichnamigen Arzt und „Freund" (amicus, Titel) des Octavian 17• Eine griechische Inschrift, die das Praenomen Marcus zusammen mit dem Cognomen Asclepiades bietet, ließ zunächst an einen Griechen denken, der das römische Bürgerrecht erworben hatte. Merkwürdigerweise hält nun Gummerus an dieser Ansicht fest (,,höchstwahrscheinlich ... "), obwohl gerade er betont, daß diese griechische Inschrift, die als einzige Quelle das Cognomen bietet, offenbar eine späte Fälschung ist 18 • Das Cognomen entfällt also wohl, während das Praenomen etwa auch durch Plutarch Brutus 41,7 gut bezeugt ist. Der demnach in zuverlässigen Quellen entweder Artorius oder M. Artorius genannte Arzt könnte sehr wohl ein geborenes Mitglied der gens A rtoria gewesen sein, von der wenigstens einige Vertreter bekannt sind (s. RE s. v.; der Gentilname ist wohl etruskischen Ursprungs 19). Daß er ein „peregrinus, probably from Smyrna" war 20, scheint mir jedenfalls nicht ausgemacht. Man sollte bei diesem Fall schließlich auch beachten, daß das - hier allerdings, wie gesagt, sicher entfallende - Cognomen „Asclepiades" bei Ärzten durchaus auch ein „künstlicher" Name, eine Art Berufsbezeichnung sein konnte und keineswegs als Personenname interpretiert, und daher als Zeichen griechischen Ursprungs des Betreffenden gewertet, werden m u ß 21• 14

Gummerus Nr. 195. Zu diesem s. auch Orth S. 17 und Kudlien in: Gesnerus 40, 1983, S. 92. 16 So Baader, Ärztl. Stand S. 16. 17 Für ihn vgl. M. Wellmann, Art. Artorius 4, RE II 2, 1896, Sp. 1461; Crook, Consilium Principis Nr. 35; J. Benedum in: Zs. f. Papyrol. u. Epigr. 29, 1978, S. 120; ders. in: Med. hist. Journ. 13, 1978, s. 308. 18 Gummerus S. 11 (sicher Fälschung, s. Benedum ZPE a. 0.). 19 Vgl. Schulze, Lat. Eigennamen S. 72. 20 So Treggiari S. 129 (unten). 21 Dazu wichtig F. Drexel bei Friedländer Bd. 4 S. 201 (M. Bang, ebd. S. 61, nimmt in seiner Aufstellung kaiserlicher amte/ ilbri1en1den Anl Artorius als Mann „von ungewissem Stande"). 15

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Anteil un~ ■

Die büraerrechtlichen Kateaorien der Ärzte

Indirekt bei Caelius Aurelianus erwähnt ist ein weiterer, vor allem aus Galen bekannter Asklepiades-Schüler: M. Aelius Gallus 22. Er hat an einer Expedition nach Arabien teilgenommen und dort (erfolgreich) die römischen Soldaten mit einem Antidot gegen Skorpionbiß behandelt. Nach der Rückkehr stellte er dieses dem Kaioap (so Galen) zur Verfügung. Damit kann nur Augustus gemeint sein, denn dieser initiierte die „älteste Forschungsreise nach Arabien" als positives Nebenergebniseines weniger erfolgreichen Feldzuges 23. Den Feldzug kommandierte ein ebenfalls den Namen Aelius Gallus (das Praenomen ist anscheinend nicht ganz sicher) Tragender, der praefectus Aegypti und Angehöriger des Ritterstandes war. Wellmanns Vermutung (,,höchstwahrscheinlich") der Identität des Praefekten mit dem Arzt dürfte kaum überzeugend sein 24. Daß dagegen der Arzt ein Verwandter, vielleicht ein Bruder, des Praefekten war, erscheint keineswegs ausgeschlossen. Die Tatsache, daß, wie Caelius Aurelianus überliefert, der Asklepiades-Schüler Antipatros dem Arzt Gallus ein medizinisches Buch „Briefe" dedizierte, mag sehr wohl für eine höherstehende und einflußreiche Person sprechen. Die gens Aelia, ursprünglich plebejisch, hatte von früh an viele politisch und gesellschaftlich bedeutende Mitglieder (s. RE s. v.). Als eine Art Enkel- oder Zweitschüler des Asklepiades wäre sodann S. Fadius anzuschließen, welchen Cicero (Ad fam. VII 20, von 44 v. Chr.) als medicus suavis erwähnt 25. Dieser Arzt war, laut Cicero, Schüler eines Nikon und hatte Cicero die (,,Über Völlerei") seines Lehrers diskret in die Hände geSchrift m:pi 1tOA.UO.otals „counsil" spricht 64 , den Galen weder in diesem Zusammenhang noch überhaupt sonst erwähnt (während umgekehrt Galen dem Kaiser höchst schmeichelhafte, ein amicus-Verhältnis suggerierende Bemerkungen über sich in den Mund legt 64a). Aber natürlich ist ein solcher Negativbefund nicht ohne weiteres im Sinne eines argumentum ex silentio beweiskräftig. Wir können die gestellte Frage also nur offenlassen. Zurück zu den Bedenken gegen die Annahme eines römischen Namens für Galen: Was die pergamenischen, den Namen Nikon in Verbindung mit dem Architektenberuf nennenden Inschriften betrifft, so wäre es natürlich sehr verlockend, hierbei an Galens Vater zu denken. Aber erstens hat es sich, nach Dillers (a. 0.) beson59 So Bowersock, Index s. v. ,,Galen" und Nutton, Diss. App. V (,,Imperial doctors and their statuses") S. 262 unten (im Galen-Kap. seiner Diss. sagt Nutton dagegen nichts zu diesem Problem). 60 Zum Folgenden vgl. Nutton ebd. S. 45 f. 61 Dazu vgl. Nutton, Archiatri S. 196 A. 36. 62 So Bowersock S. 63 f. 63 Vgl. Crook, Consilium Principis S. 74- 76. 64 Dazu vgl. Farquharsons Kommentar S. 466-468. 64 • CMG V 8, 1 S. 128, 26-28 Nutton; s. ebd. S. 219.

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nenen Erwägungen, dabei doch eher um zwei verschiedene Personen gehandelt. Und zweitens ist die Identifizierung keiner dieser beiden Personen mit Galens Vater sicher: Zunächst einmal nennt Galen selber den Namen seines Vaters nie (nur dessen Beruf); erst die Byzantiner bringen für den Vater den Namen Nikon ins Spiel, als erster Tzetzes, und dieser noch dazu mit deutlichem Zögern 65 • Und selbst wenn Galens Vater wirklich Nikon hieß - daß er Architekt war, verrät uns, wie gesagt, Galen selbst -, so muß es sich bei einem der beiden in pergamenischen Inschriften mit diesem Namen versehenen, eindeutig eingebürgerten Architekten doch nicht unbedingt um ihn handeln; es könnten ja auch gleichnamige Verwandte gewesen sein, die im Gegensatz zu Galens Vater cives Romani waren. So besteht nach allem doch ein sehr starker Verdacht, daß Galen in die bürgerrechtliche Kategorie der Peregrinen gehörte. Und warum sollte er eigentlich nicht ein solcher gewesen sein? Er blieb letztlich immer nur periodisch in Rom, hielt sich immer wieder auch in seiner griechisch-kleinasiatischen Heimat auf; gelegentlich läßt er uns in ganz persönliche Motive für eine wenigstens momentane Aversion gegen Rom, zugunsten griechisch-kleinasiatischer, ihn weit heimatlicher anmutender Städte, Einblick nehmen 66 • Er faßte sich selber, wie Nutton mit Recht betont, eindeutig als Grieche auf67, und das bedeutet eben auch, wie wir hinzufügen, daß nichts distinktiv „Römisches" an ihm zu erkennen ist. Und schließlich ist noch besonders daran zu erinnern, daß Galen offenbar auch gar keine starken Anreize hatte, sich formal zum civis Romanus machen zu lassen: In seinem Fall ist uns nichts von Frau und Kindern bekannt, die, wie bei anderen griechischen Ärzten (vgl. o. S. 62), at~s praktischen Gründen eine formale Einbürgerung in Italien hätten als unbedingt erstrebenswert erscheinen lassen. An dieser Stelle müssen wir ein Problem diskutieren, das ebenso auch für andere Ärzte von peregrinem Status in Italien gilt, insbesondere aber gerade auch für GaIen, der nachweislich sehr lange zumal in Rom gelebt hat: Wie weit galt ein Peregrine wie er formal als incola von Rom, und welche Implikationen hatte das möglicherweise? Dieser Begriff bezieht sich nur auf Städte und das dortige domicilium des Betreffenden, welcher ein Bürger sensu stricto da blieb, wo er seine origo hatte 68 • Dennoch kam der lncolat, welcher erworben wurde (das domicilium wurde zuerkannt!), dem Vollbürgertum verhältnismäßig nahe; und so unterscheidet sich auch, strikt genommen, der incola vom peregrinus, indem es sich beim letzteren um einen nur vorübergehend in der jeweiligen Stadt sich Aufhaltenden handelte. Rein formaljuristisch gesehen war nun die Situation auch eines incola „nicht gerade nur mit Vorteilen verbunden", obwohl sie andererseits, wie schon angedeutet, ,Jener der Vollbürger ähnlich, wenn auch nicht gleichgestellt" war (Berger). Wir treffen hier

65 Dazu Di/ler, Art. Nikon a. O.; auch Chr. Habicht, Altertümer von Pergamon VIII 3: Die Inschriften des Asklepieions, Berlin 1969, Nr. 104 zögert (,,vielleicht"). 66 Dazu vgl. meinen in Vorbereitung befindlichen Aufsatz „Die Großstadt Rom im Urteil griechischer Ärzte". 61 Nutton, Diss. S. 59; vgl. auch dens., CMG V 8,1 S. 177 (zu Text S. 90,9). 68 Hierzu und zum Folgenden vgl. Berger, Art. lncola, RE IX 2, 1916, Sp. 1249-1256; s. auch Crook, Law and life S. 37 f.

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erneut auf die für uns methodlach wichtiae Fraaenach dem Verhältnis von juristisch-theoretischer Sicht und Lebenswirklichkeit (dazu s.o. S. 13 u. ö.): Mit dem Blick auf letztere kam es eben darauf an, ob und wieweit etwa ein Arzt wie Galen in Rom überhaupt „die städtischen Lasten (munera) tragen" mußte (dies war, wie Berger zeigt, der Punkt, den der Jurist Gaius als hauptsächlichen Anlaß für Schwierigkeiten hervorhob). Eine Antwort auf diese Frage können wir weder für Galen noch für andere peregrine Ärzte in italischen Städten geben. Wir können nur wiede~holen, daß sie, wie es scheint, in diesem Status in Italien gelebt - und offenbar mcht schlecht gelebt haben. · Um nun an die oben gestellte Frage nach der Exzeptionalität oder Normalität von Galens Position in der römischen Gesellschaft anzuknüpfen: Es ist wiederum vor allem Nutton, der mit Recht darauf hingewiesen hat, daß hier gängige Ansichten beträchtlich modifiziert werden müssen. Galen selber stilisiert sich zwar gern als herausragenden Arzt von singulärer Statur, ,,standing alo~e in the sight ofthe_~mperor"69. Aber es gab in Wirklichkeit nicht wenige ander: A~~te von dur~haus ah~licher gesellschaftlicher Statur in Rom. Bezeichnend dafür durfte etwa sem, daß dte an Medizin interessierte Gattin Mark Aurels, Annia Faustina, Galen mit einem solchen offenbar sehr berühmten Arzt (Methodiker) konfrontierte, um eine Disputation in Gang zu bringen 7°. Unter den Erasistrateern in Rom, mit denen Galen sich öffentlich zu messen hatte, waren einige „hoch berühmte", wie er selbst betont (XI 196 Kühn). Zu ihnen gehörte der den weit jüngeren Gale~ scharfkri_tisie~~nd:, in der Tat weitbekannte Martianos 71• Die Existenz nicht weniger derarttger arzthcher „lions of society" in Rom hatte im übrigen, wie man zur Beibehaltung der angemessenen Perspektive nicht vergessen darf, eine lange Tradition. In sie mag schon Asklepiades v. Bithynien hineingehören, und dann ohne Zweifel solche Figuren wie die Ärzte Charmis und Krinas (s. o.). Ein weiterer in diesem Sinne sehr wesentlicher Vorläufer Galens, näher an dessen eigene Zeit heran, dürfte Archigenes gewesen sein. Er stammte aus Apameia in Syrien, war Sohn eines Philippos, ging nach Rom - doch wohl allem Anschein nach im Status eines Peregrinen (wir entdecken jedenfalls keinen Hinweis auf Einbürgerung bei ihm) - und galt dort zur Zeit Trajans, wie die Erwähnungen bei Juvenal (VI 236; XIII 98; XIV 252) zeigen, offenbar als der Modearzt, geradezu als „sprichwörtlich" (Wellmann RE s. v.). So mag sich denn etwa auch hinter dem Namen Marsus, dem Adressaten einiger der medizinischen · angese h ener M ann ver b ergen " 72. .,Briefe" des Archigenes, sehr wohl „em · Nimmt man dies alles zusammen, dann wird man die oben gestellte Frage mit Nutton durchaus so beantworten dürfen, daß Galen im Hinblick auf die Position innerhalb der römischen Gesellschaft weniger exzeptionell, nicht so einzigartig war, wie er selber es uns glauben machen will, und daß es im Grunde seine eigenen „verbose outpourings" - abgesehen von der unbezweifelbaren Tatsache, daß er große Hierzu und zum Folgenden s. Nutton, Diss. S. 56. Vgl. ebd. S. 49. 71 Für diesen s. J. Mewaldt, Art. Galenos 2, RE VII 1, 1910, Sp. 579 f. und Nutton, CMG V 8,1 S. 168 f. (zu Text S. 84,2) und S. 174 (zu S. 88, 16); vgl. außerdem Benedum in: Med. bist. Journ. 6, 1971, s. 276. 72 So W. Kroll, RE XIV 2, 1930, Sp. 1983, 36 f. 69

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Erfolge hatte - gewesen sind, die ihn in dieser Hinsicht allzu einseitig in den Vordergrund rückten 73 • Wir schließen unseren Überblick über mögliche Peregrine unter den Ärzten mit der Erörterung von exemplarischen Fragen, die sich an einige problematische Fälle knüpfen. Oben hatten wir, veranlaßt durch eine Behauptung Crönerts, bezweifelt, daß ein kaiserlicher Archiater als solcher unbedingt civis Romanus sein mußte, und dabei auf den Fall des Andromachos verwiesen. In seiner den Archiatri gewidmeten Studie ist Nutton nicht ausdrücklich auf das durch Crönerts Behauptung gestellte Problem eingegangen; aber wir schließen aus einigen seiner Bemerkungen 74,daß er durchaus mit der Existenz von Nichtbürgern, also Peregrinen, unter den (kaiserlichen) Archiatri rechnen würde. Nun ist Andromachos d. Ä., aus Kreta stammend, ausdrücklich als dpxunpöc;; Toß Nepcovoc;;bezeugt (Galen XIV 2 Kühn). War er Peregrine? Heitsch hat darauf hingewiesen, daß der zweite Vers des Nero gewidmeten Theriak-Gedichtes dieses Arztes Andromachos 75 - vor allem die Worte dfü:tµliV'tOU örowp eA.eu{h:piTI6t y&ypaµµtvov li1t6µVl]µa dvm heißt nicht „he said there was a notebook written by himselr'. sondern entspricht genau Plinius' 1•.~secommentarium sibi. Cato mag das Buch als Familienerbstück übernommen haben. '• Für deren eingehende Interpretation s. Kudlltn, Anniversarii vicini.

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Bereich die eigentlichen servi medici mehr auf den Besitztümern der alteingesessenen Groß-Bauern zu suchen wären (soweit diese nicht eben eine „Hausvater"-Medizin ala Cato bevorzugten). Was nun die anniversariivicini,darunter die medici, betrifft, so haben Historiker des römischen Ärztestandes die oben zitierte Varro- Passage, falls sie von ihr Kenntnis genommen haben, gewöhnlich insgesamt als auf den servus medicus sich beziehend aufgefaßt 6 - unbegreiflicherweise, möchte man sagen: Denn schon die offenkundige Kontrastierung in den zwei Teilen des Satzes (wir haben sie durch Gedankenstriche noch stärker hervorgehoben) zeigt, daß Varro in der ersten Satzhälfte (bisfabros) nicht Sklaven im Sinne gehabt haben kann. Nur letzere sind ja Besitz, sind die sui des Herrn, und dieser hat sie als Eigentum in seiner villa zur Verfügung. Nur die zweite Satzhälfte also kann sich auf Sklaven beziehen. Die erste Satzhälfte, mit den anniversarii vicini als alternativem Gegensatz, muß demgegenüber auf Personen von anderem, und das heißt doch wohl prinzipiell freiem Status abzielen. So fassen es denn auch mit Recht etwa Tilly (,,... employ skilled freemen") 7 und Kornemann (,,freie, von Hof zu Hof ziehende Gewerbetreibende")8 auf. Verträgt sich aber mit dieser Interpretation der Begriff imperent? Oder ist hierin nicht vielmehr ein striktes Abhängigkeitsverhältnis eingeschlossen, also im Prinzip hiermit doch der Unfreien-Status eindeutig angezeigt? Keineswegs: Zunächst ist zu beachten, daß, wie Nörr überzeugend ausführt, imperium zur Bezeichnung eines „privaten Unterwerfungsverhältnisses" weit weniger gut passen würde als potestas, und daß, überdies, keiner der beiden Begriffe in den juristischen Quellen des Dienstvertragsrechts vorkommt 9 • Unbeschadet dessen gab es, genc;rell gesehen, ein „Befehlsrecht" des Arbeitgebers, das aber nichts mit einem „Gewaltverhältnis" zu tun hat (Nörr a. 0.). Die Zugrundelegung eines solchen „Gewaltverhältnisses" lehnt denn auch, für seinen Beruf, der Arzt in Lukians 'A1to1eripo't't6µEvoc; strikt ab (vgl. ebd. § 1 'ti yevot't' liv äw1tci>'t&pov,f1i}1,pa1tEUEtv e1e 1tpocmiyµawc;;). Varros imperent muß hier also eine weit neutralere Bedeutung haben. Daß Tillys das rein Kontraktuelle des Arzt-Patienten-Verhältnisses betonende Paraphrase „employ" durchaus das Richtige trifft, zeigen griechische Parallelen: In einer kyprischen Inschrift - Vertrag zwischen einem Arzt als dem einen, und einem König/einer Polis als dem anderen Partner - sowie in einem Ehrendekret, welches die Tätigkeit eines Arztes für den 6i'jµoc;'Ailrivairov betrifft, tauchen die Ausdrücke ävroyov und 1tpoa&'ta~EV auf. Auch sie meinen hier, unter den gegebenen Umständen, keinesfalls eine „Weisung" an einen Subalternen, sondern beziehen sich auf ,,Erheischung" und Übernahme eines fpyov (,,Werk/ Arbeit") im Rahmen eines freiberuflichen Kontraktverhältnisses und müssen dementsprechend neutral (,,inviter" Masson für die kyprische Inschrift; ,,aufgeben" Kudlien für das Ehrendekret) übersetzt werden 10. Für imperarein der Varro-Passage träfe demnach etwa auch die im

Oxford Latin Dictionary s. v. (unter 1)) gegebene Übersetzung- ,,to demand the production ... of, (to) order [im Sinne unseres „bestellen"]" - zu. Die artifices, welche solche Bestellungen, solche Arbeitsaufträge entgegennehmen, wohnen im vicus,sind vicini- sie sind n i eh t, stattdessen, domesticietfamiliares (wie es in einer nachher zu besprechenden Seneca-Passage heißt). Sie scheinen aber im Regelfall nicht für immer im vicus zu wohnen und zu bleiben, sondern ,,jährlich", was möglicherweise(?), gelegentlich jedenfalls, auch einen regelrechten Zeitkontrakt (kombiniert mit dem eigentlichen „Arbeits"-Vertrag), der mit dem ganzen vicus als solchem abgeschlossen wurde, bedeutet haben mag. Dies würde an den frühgriechischen (homerischen) Arzt als 6riµt6Epyoc;und an die Eigenart dieses Berufstyps erinnern: Er war grundsätzlich ein Fremder, d. h. kein Angehöriger des 6i'jµoc;,in welchem er arbeitete, und später - zunächst jedenfalls - auch kein Bürger der betreffenden Polis. Vielmehr holten ihn 6i'jµoc; oder Polis, oder auch einzelne Einwohner, im Bedarfsfalle oder auch generell für eine gewisse Zeit, oder er selber ,,machte sich anheischig" (mhE1t