Die spätrömische Verwaltung der gallisch-germanischen Länder

Als der Plan Ernst Steins, seine Darstellung der 'kaiserlichen Beamten und Truppenkörper im römischen Deutschland u

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Die spätrömische Verwaltung der gallisch-germanischen Länder

Table of contents :
Die politische Gliederung des Landes 5
Gallien, die Zentralverwaltung und das Reich 23
Die 'notitia dignitatum' als Quelle 37
Die Wehrverfassung und die Verteidigung Galliens 48
Die bürgerliche Verwaltung 79
Namen- und Sachverzeichnis 102

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Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1938 Philosophisch-historische Klasse

Nr. 2

Die spätrömische Verwaltung der gallisch-germanischen Länder von

Dr. Herbert Nesselhauf

B e r l i n 19,38 Verlag der A k a d e m ie d er W is s e n s c h a fte n in K o m m is s io n b e i W a lt e r de G r u y t e r u .C o .

Vorgelegt von H m . N o r d e n in der Gesamtsitzung am 2. Juni 1938. Zum Druck genehmigt am gleichen Tage* ausgegeben am 12. Januar 1939·

Vorwort. Als der Plan E rn st S te in s , seine Darstellung der 'kaiserlichen Beamten und Truppenkörper im römischen Deutschland unter dem Prinzipat’ durch eine Be­ handlung der spätrömischen Heeresorganisation in den germanischen Provinzen zu ergänzen, in beiderseitigem Einvernehmen aufgegeben worden war, erhielt der Verfasser im Jahre 1933 von der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Römisch-germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts den Auftrag, die Arbeit zu übernehmen und die spätrömische Verwaltung in Gallien und Germanien darzustellen. Dazu stand ihm eine von E. S t e i n herrührende, noch unveröffentlichte Einzelbeschreibung der spätrömischen, aus den germanischen Pro­ vinzen bekannten Truppenkörper zur Verfügung. Sie konnte ebenso wie die von E. S te in im 18. Bericht der R G K (1928) veröffentlichte Untersuchung über ‘ D ie Organisation der weströmischen Grenzverteidigung und das Burgunderreich am Rhein’ als Vorarbeit für eine derartige Darstellung gelten. Beide Arbeiten sind indessen von der Auffassung bestimmt, daß die für diesen Gegenstand wichtigste Quelle, die notitia dignitatum, um das Jahr 430 abgefaßt sei. D ie Ablehnung dieser Ansicht, zu der der Verfasser im Laufe seiner Arbeit kam, mußte zu einem in wesent­ lichen Beziehungen andersartigen Bild von der Geschichte des Untergangs der Römerherrschaft in Gallien führen. D ie gerade darin zutage tretende Bedeutung des Gegenstandes machte aber eine ausführliche Darlegung und Begründung des Widerspruchs notwendig, was wieder, zumal bei der Verworrenheit des Quellen­ problems, zur Folge hatte, daß die Arbeit mehr die Form einer Untersuchung als, wie ursprünglich vorgesehen, einer Darstellung annahm. Die Abhandlung wurde im Sommer 1937 von der Philosophischen Fakultät der Universität Königsberg i. Pr. als Habilitationsschrift angenommen. Besonderen Dank schulde ich H m . Prof. W. E n s s lin in Erlangen und H m . Prof. H . Z e i ß in München, die mir in liebenswürdigster Weise ihre Erfahrung und ihren Rat zuteil werden ließen und mich durch ihre K ritik sehr gefordert haben, auch dort, wo ich nach reiflicher Überlegung glaubte, bei meiner Auffassung bleiben zu müssen.

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Inhalt. Scite

Die politische Gliederung des L a n d e s.....................................

5

Gallien, die Zentralverwaltung und das R e ich .......................

23

Die notitia dignitatum als Q u e lle .............................................

37

Die Wehrverfassung und die Verteidigung G a llien s............

48

Die bürgerliche V erw altu n g........................................................

79

Namen- und Sachverzeichnis........................................................

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Die politische Gliederung des Landes. Von dem großen Prozeß der Vereinheitlichung der römischen W elt in der Kaiser­ zeit wurden auch die gallisch-germanischen Länder ergriffen. Sie hatten zunächst bei ihrer Organisation unter Augustus und dann auch unter den folgenden Kaisern insofern eine Sonderstellung eingenommen, als sie nicht wie das übrige Reich und wie auch die schon längst romanisierte Senatsprovinz Narbonensis im Süden nach Stadtgemeinden, sondern nach Volksgemeinden gegliedert waren. So groß die Vergünstigung für die germanischen und keltischen Bewohner auch war, die ihre überkommene Siedlungsform in offenen Dörfern und Gauen beibehalten durften, so war Gallien für die römische Verwaltung damit doch keineswegs ein Fremdkörper im Reich. Denn die Volksgemeinde wurde geleitet und dem Reich gegenüber ver­ treten durch die Dekurionen und M agistrate, die sich von denen der Stadtgemeinden nur dadurch unterschieden, daß ihr W ohnsitz nicht an die Stadt gebunden war1. Die Gliederung und Siedlungsordnung Galliens konnte dank dieser Lösung nie ein Anstoß für die römische Verwaltung sein, der beseitigt werden mußte. Und in der Tat läßt sich auch kein einziger Eingriff von außen zugunsten einer Umwandlung der Volksgemeinden in Stadtgemeinden nachweisen. Es war unter der W irkung des inneren Gesetzes, nach dem sich die Vereinheitlichung der römischen W elt vollzog, geschehen, daß am Ende der Kaiserzeit auch die gallisch-germanischen Länder städtisch gegliedert waren. D ie Kräfte, denen dabei eine fördernde Rolle zukam und an denen es nicht fehlte, sind wenigstens z. T . für uns noch erkennbar. Die alten einheimischen Siedlungen in Straßburg, M ainz und Bonn123 , in deren unmittel­ barer Nähe die römischen Legionen ihre Standlager anlegten, gelangten durch diese zu immer größerer Bedeutung und nahmen schließlich stadtähnliche Formen an '. Wie die Lager selbst waren sie aus dem Gebiet der Volksgemeinden ausgesondert. Städte im römischen Sinne waren die alten Kolonien Equestris (Nyon), Raurica (Augst) und Lugudunum (Lyon), zu denen später noch die von Klaudius gegründete Kolonie Köln an der Spitze der niedergermanischen Provinz kam. Von diesen Punkten breitete sich römisches Leben und römische Weise über die gallischen 1 In den Stadtgemeinden des römischen Reichs waren die Dekurionen Stadträte, in der gallischen Volksgemeinde saßen sie in den vici, gewiß nur z .T . im Vorort (vgl. z.B . G o e ß le r , Germania 16, 1932, 119). 2 In Xanten wurde diese Siedlung — wenn B o h n (s. Anm. 3) recht hat, war es Vetera — von Traian in die Stadt Ulpia Traiana umgewandelt. 3 Die lange Zeit geltende Annahme der Entwicklung dieser Städte aus den canabae der Legionslager hat O. B o h n , Germania 10, 1926, 25fr. zu Fall gebracht.

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Provinzen aus. Diese Städte waren lebendige Beispiele dafür, daß römische Kultur und städtische Siedlung untrennbar zusammengehörten, daß jene nicht ohne diese leben konnte. Langsam hoben sich so mit der allmählichen Romanisierung die größeren Siedlungen und die Städte aus der Volksgemeinde heraus, die in dem Dunkel blieb, in dem sie von Anfang an war. Für uns tritt fast nur die Stadt in die Erscheinung, deren allmähliche Romanisierung wir an Hand der reichen Inschriften­ funde verfolgen können. Das offene Land folgte in weitem Abstand, und die Ro­ manisierung war hier noch lange nicht zum Abschluß gekommen, als mit der Völker­ wanderung die Gegenbewegung der Germanisierung einsetzte, die den alten vor­ römischen Kräften des Landes Nahrung gab und sie wieder aufleben ließ. Je stärker aber die S p annung zwischen Stadt und Land wurde, die durch die Verleihung des Kolonietitels an manche Vororte von Volksgemeinden noch augenfälliger wurde, desto mehr mußte die Stadt alles an sich ziehen, was mit der Verwaltung und mit römischer Organisation zusammenhing. D er Vorort trat immer mehr an die Stelle der Volksgemeinde, bis er diese schließlich ersetzt hatte; eine Entwicklung, die spätestens in konstantinischer Zeit ihren Abschluß gefunden hat1. Sein äußeres Merkmal hat dieser Vorgang darin gefunden, daß die Volksgemeinde m it ihrer Be­ deutung auch ihren Namen verlor, sei es daß er auf den Vorort, die Stadt, überging, sei es, daß der Name des Vororts sich durchsetzte und den der Volksgemeinde ver­ drängte12. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch andere Besonderheiten in der städtischen Gliederung des Reiches, deren praktische Bedeutung schon längst gesunken war, wie alles andere allmählich ausgeglichen wurden. D er Name colonia, den ursprünglich die Bürger- oder Veteranenansiedlung trug und der dann auch titular verliehen wurde, verschwand im Laufe des 4. Jahrhunderts3. Je nach ihrer Größe und Be­ deutung wurden die ehemaligen Kolonien zu civitates oder castra (s. u.). Dies blieb nicht die einzige Änderung im Sinne des Ausgleichsprozesses der Spätzeit. 1 H ir s c h fe ld , K l. Schrift. 734ff. hat in fruchtbarer Weise zur Verdeutlichung dieser Entwicklung die Meilensteine herangezogen. Die Steine wurden ursprünglich von der Volksgemeinde gesetzt, die Entfernung vom Vorort aus gerechnet (z. B. civitas Pictonum·, Lim onol.X VI), später ging der Name der civitas auf den Vorort über (z. B. α civitate Parisiorum). Im 3. Jahrhundert gehen die verschiedenen Formen ineinander über. Hirschfeld glaubt nachweisen zu können, daß die Einsetzung des Namens der civitas für den Vorort durch ein Gesetz Konstantins allgemein verbindlich wurde. Trifft dies zu, so war es nur die äußere Festlegung einer Änderung, die sich inhaltlich im Laufe des 3* Jahrhunderts vollzogen hatte und die sich auch langsam und allmählich vollziehen konnte, da es für Rom nicht von ent­ scheidender Bedeutung war, ob die Magistrate eine Volksgemeinde oder eine Stadtgemeinde vertraten. 2 Im allgemeinen wurde der Name der Volksgemeinde zum Stadtnamen, beispielsweise wurde Lutetia, der Vorort der civitas Parisiorum, zur civitas (= Stadt) Parisiorum, Paris. Der Name des Vororts setzte sich durch bei Kolonien (z. B. Lugdunum = Lyon), bei Um ­ nennungen oder Neuschaffungen in später Zeit (Cenabum von Aurelian in Aureliani = Orléans umgenannt, Mogontiacum = Mainz als diokletianische civitas), oder bei bedeutenden Vor­ orten in imbedeutenden Volksgemeinden (Burdigala = Bordeaux in der civitas der Bituriges Vivisci). Dies hat H i r s c h f e l d a. O. 735ff. klargelegt. 3 Vgl. K o rn e m a n n , RE IV 567.

D ie spätrömische V em altung der gallisch-germanischen Länder

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Unter der Regierung Diokletians wurde aus dem Legionslager Mogontiacum die civitas Mogontiacensium1. Damit fallt von einem neuen Punkte aus Licht au f die politischen Umgestaltungen des gallisch-germanischen Territorium s. Das bisher ausgesonderte Militärgebiet wurde in die bürgerliche Gliederung einbezogen, mit anderen Worten, es vollzog sich jetzt auch auf territorialem Gebiet eine Entwicklung, %ie in anderen Bereichen unter Hadrian begonnen, von Septimius Severus sehr ge­ fördert, damals schon weit vorgeschritten war, und die sich darin äußerte, daß der Soldat immer mehr verbürgerlichte. Zur selben Zeit wie die civitas Mogontiacensium wird auch die civitas Argentoratensium ebenfalls aus dem ehemaligen Legions­ territorium geschaffen worden sein. Während aber neben M ainz die civitas Van­ gionum mit dem Vorort Worms, nunmehr die Stadt Worms, bestehen blieb, ging hier die civitas Tribocorum im neuen Straßburger Stadtterritorium auf. Im Zusammen­ hang mit diesen Wandlungen wurden die Truppen aus ihren militärischen Lagern in die Städte hereingezogen und diese selbst ummauert (z. B. M ainz), oder die Lager­ mauer wurde zur Stadtmauer, das Lager also zum Stadtgebiet (z. B. Straßburg)12. Es gab von da ab nur noch Garnisonen, keine Lager mehr im alten römischen Sinn. N icht nur zu diesen, sondern auch zu anderen territorialen Umgestaltungen um die Wende des 3. zum 4. Jahrhundert mögen die Germanenstürme um die M itte des 3. Jahrhunderts, in deren Verlauf das gesamte rechtsrheinische Lim esgebiet dem Reich verlorenging, mehr beigetragen haben, als wir vermuten können. U nter den Städten auf Schweizer Boden, die damals zugrunde gingen, befand sich auch Augst, der Vorort der civitas Rauracorum, der es auch in der Folgezeit zu einer eigentlichen Blüte nicht mehr brachte, und an dessen Stelle die civitas Basiliensium, Basel, trat3. Wie überall in der Spätzeit zeigt sich auch in der städtischen Gliederung der gallisch-germanischen Länder das Bestreben, möglichst kleine Verwaltungseinheiten zu schaffen. Zahlreiche civitates wurden verkleinert, indem man Vororte von pagi der alten Volksgemeinde neben dem Vorort selbst zur Stadt erhob. Boulogne lag einst im Gebiet der civitas Morinorum, am Ende des 4. Jahrhunderts war es neben dieser (Thérouanne) eine eigene Stadtgemeinde, die civitas Bononensium. Von den nicht wenigen entsprechenden Fällen wird weiter unten gesprochen werden. Der Aufteilungsprozeß begann, wie es scheint, am Ende des 3. Jahrhunderts, wo von Aurelian aus der civitas Camutum die civitas Aurelianorum herausgelöst wurde4, und zog sich bis ans Ende des 4. Jahrhunderts hin; auf Gratian geht vermutlich das Stadtrecht der civitas Gratianopolitana zurück5. 1 C IL X III n. 6733. 6727. Dazu E. K o rn e m a n n , Zur Stadtentstehung 70. * Mainz: S c h u m a c h e r , Siedelungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande II (1923) 100. Straßburg: E. A n th e s , 10. Ber. der Röm.-germ. Komm. (1917) 118 und die zahlreichen dort genannten Arbeiten R. F o r r e r s . Doch vgl. S c h u m a c h e r a. 0 . 98. s Über den Zeitpunkt dieses Wechsels wissen wir nichts. In der not. Gail, um 400 ist jedenfalls schon von der civitas Basiliensium die Rede und nur noch von dem castrum Rauracense. 4 Doch vgl. J u llia n , Hist. IV 595 Anm. 2. 4 V g l.u . S .12 .

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So zerfiel Gallien in eine ständig wachsende Anzahl städtischer Gemeinden, neben denen es aber noch zahlreiche Ortschaften gegeben haben muß, die ummauert waren, wohl auch eigenes Territorium besaßen, aber kein Stadtrecht hatten. In der notitia Galliarum werden sie als castra bezeichnet. Unter diese Kategorie werden auch die festen Orte fallen, die Ammian in seinem geographischen Überblick über Gallien aufzählt und die sicher nicht civitates waren. W elcher A rt das A bhängigkeits· Verhältnis war, in dem diese castra doch wohl zu den Städten standen, läßt sich nicht sagen1. W ie die Stadtgebiete vermehrt und damit verkleinert wurden, so zerschlug man auch die Provinzen. Aus den neun gallischen Provinzen der Kaiserzeit waren am Ende des 4. Jahrhunderts siebzehn geworden. Auch hier liegen die Anfänge der Entwicklung im 3. Jahrhundert, der Abschluß am Ende des 4. Jahrhufiderts. Schon vor Diokletian wurde vielleicht die Provinz Novempopulana aus der Aquitania abgelöst und selbständig gemacht, und am Ende des 4. Jahrhunderts teilte Magnus M axim us, wie es scheint, jede der beiden lugdunensischen Provinzen in zwei neue12. In der Hauptsache geht allerdings die Zerschlagung der Provinzen — und ent­ sprechend verm utlich auch die der Stadtgebiete — au f Diokletian zurück3. D ie Neuerung hatte zweifellos zum Ziel, durch eine Verkleinerung der Verwaltungs­ bereiche die Verwaltung selbst intensiver zu gestalten, und dies, wie anzunehmen ist, vor allem im Interesse des Staatshaushaltes. Dieser beruhte seit Diokletian im wesentlichen au f der annona, die nicht von der Zentralstelle des Fiskus, sondern von der Praetorianerpraefektur verwaltet und in den Provinzen deshalb auch nicht von den Fiskalbeamten, sondern von dem Statthalter und seinen Offizialen einge­ zogen wurde, denen wieder die Kurialen der Städte zu Dienst waren. Je kleiner die Stadtgebiete und die Provinzen waren, desto umfassender war der Ü berblick der Steuerverwaltung, und desto eindringlicher konnte sie arbeiten. Von hier aus erhält die Zerschlagung der Provinzen ihren Sinn; m ilitärische Erwägungen scheinen überhaupt keine Rolle gespielt zu haben, denn militärlose Provinzen wurden in gleicher W eise wie solche mit Truppen geteilt, und andererseits erstreckten sich unter einheitlicher Führung stehende M ilitärbezirke in verschiedenen Fällen über mehrere Provinzen (s. u.). D ie von Diokletian in Gallien geschaffene Neuordnung, die im Jahre 297 wohl im wesentlichen abgeschlossen war4, gibt der verm utlich noch unter Diokletian, etwa im Jahre 305/6 verfaßte laterculus Veronensis, ein Verzeichnis der Provinzen 1 Ü ber die castra in der Spätzeit vgl. E. K u h n , Städt. und bürgerl. Verfassung II 413; M o m m se n , Ges. Schrift. V II 401; K o r n e m a n n , Zur Stadtentstehung 72. M it den Legionslagem der Kaiserzeit haben sie selbstverständlich nichts zu tun. 2 Vgl. u. S. 22 und 89. 2 Lactant, de mort, persec. 7: provinciae in frusta concisae, multi praesides et plura officia singulis regionibus ac paene iam civitatibus incubare, item rationales multi et magistri et vicarii praefecturarum. 4 E. S t e in , Gesch. I 102. Sie wird vorausgesetzt durch den zum erstenmal im Jahre 297 abgehaltenen Reichszensus.

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des römischen Reiches, wieder1. Danach war das gesamte gallische Gebiet in zwei Diözesen eingeteilt, eine nördliche dioecesis Galliarum>die acht Provinzen, die beiden germanischen, die beiden belgischen, die beiden lugdunensischen, die Sequania und die Alpes Graiae et Poeninae umfaßte, und in eine südliche dioecesis Viennensis, der sieben Provinzen, die zwei narbonensischen, die zwei aquitanischen, die Viennensis, die Novempopulana und die Alpes Maritimae angehörten. Durch diese Gliederung Galliens wurde die andere aufgehoben, die seit Augustus bestanden hatte und nach der Gallien in drei große, scharf von einander geschiedene Bereiche zerfiel: in den romanisierten Süden mit der Senatsprovinz Narbonensis, die militärlosen keltischen tres Galliae und die militärisch stark besetzten germanischen Grenzprovinzen. In den drei Jahrhunderten römischer Herrschaft und römischer Ordnung seit Augustus war das gesamte gallische Provinzialgebiet so zu einem organischen G lied des Reichs geworden, daß die ursprüngliche Gliederung immer weniger den eigentlichen Ver­ hältnissen entsprach. Unter der trennenden äußeren Einteilung hatte sich langsam der Ausgleich vollzogen. M it dem Schlagwort rational trifft man somit, wie diese Lage der Dinge zeigt, nur eine Seite der diokletianischen Maßnahmen. Sie waren rational, zugleich aber in hohem Maße geschichtsgerecht. Der Ausgleich, der durch die Neugliederung der gallischen Länder in der diokletianischen Reform heraufgefuhrt wurde, war nur der äußere formale Vollzug einer inneren Angleichung, die schon seit geraumer Zeit auf dem langsamen Wege der Romanisierung vor sich ge­ gangen war. M it der Schaffung der dioecesis Viennensis war im Süden das große Gebiet der Provinz Narbonensis, wie sie während des ganzen Prinzipats bestanden hatte, in drei Provinzen aufgespalten worden, und zwar so, daß die Provinz Viennensis die zwei Narbonenses von einander trennte, von denen die erste im Westen, die zweite im Osten lag. Dies gibt der latere. Veron. am Ende der Regierung Diokletians an. Ammian erwähnt jedoch unter den Jahren 359 und 361 rectores Narbonensis, was die Existenz einer einzigen Provinz Narbonensis zur Voraussetzung hat, und in 1 Vgl. M o m m sen , Ges. Schrift. V 561 ff. Das Datum hat C o s ta , Diz. epigr. II 1834 ermittelt (vgl. E. S te in , Gesch. I 102 Anm. 3). Jüngst hat E. S c h w a r tz , Abhandl. bayr. Akad. der Wissensch. 1937 einen neuen Versuch zur Datierung des latere. Veronens. unter­ nommen. Nach ihm ist das Verzeichnis der Ostprovinzen gegen Ende der Regierung Kon­ stantins I entstanden, das der Westprovinzen in valentinianischer Zeit. Die erste Be­ hauptung mag hier unerörtert bleiben, die zweite gründet sich auf den Umstand, daß die Aquitania II und Narbonensis II in unseren Quellen nicht vor Valentinian genannt werden· Damit sind aber die Argumente, die für eine Abfassung in diokletianischer Zeit sprechen, noch nicht widerlegt, während der das Urteil von E. S c h w a r tz bestimmende Tatbestand damit erklärt werden kann, daß unter Valentinian die diokletianische Provinzeinteilung wieder eingeführt wurde (u. S. 14). Indessen kann man sich fragen, ob das diokletianische Verzeichnis nachträglich überarbeitet worden ist, die beiden südgallischen Provinzen also doch vielleicht erst valentinianischen Ursprungs sind; man könnte dafür die u. S. 87 Anm. 2 gemachte Beobachtung anführen. Wir haben oben im Text die Gründe angegeben, die uns die Einrichtung dieser Provinzen in diokletianischer Zeit wahrscheinlich machen. Ein triftiger Beweis läßt sich vorerst weder für die eine noch für die andere Auffassung erbringen.

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Ammians gallischer Provinzliste ist eben M s nur von einer Narbonensis die Rede1. N icht anders ist es bei Hilarius und Rufius Festus12. Erst vom Jahre 381 ab wird die Narbonensis II wieder genannt3. Aus den eindeutigen Zeugnissen ergibt sich, daß die von Diokletian geschaffene Narbonensis II in der ersten H älfte des 4. Jahr­ hunderts als selbständige Provinz aufgegeben, später jedoch, nicht allzulange vor dem Jahre 381, vielleicht aber noch unter Valentinian, erneut als solche wieder eingerichtet wurde. Alles weitere entzieht sich unserer Kenntnis; immerhin geben vielleicht die Subskriptionen des Konzils von Arles im Jahre 314 einen Anhalts­ punkt dafür, daß damals die diokletianische Ordnung noch bestand4. D ort werden in der Aufzählung der Bischöfe der Provinz Viennensis die civitates, aus denen sie kamen, jeweils m it dem Zusatz ex provincia Viennensi versehen. D aß dieser Vermerk bei dem Abgesandten von A pt fehlt, darf vielleicht dahin gedeutet werden, daß Apt später zur Narbonensis II gehörig, damals nicht T eil der Provinz Viennensis war. Auch dies könnte also, wenn auch m it Zu­ rückhaltung, dafür geltend gemacht werden, daß die Narbonensis II nicht über­ haupt erst am Ende des 4. Jahrhunderts geschaffen wurde, wenn diese An­ nahme nicht ohnehin sehr unwahrscheinlich wäre. Denn abgesehen davon, daß der Beweis einer späten Interpolation im latere. Veron. erst noch zu erbringen wäre, hat M o m m s e n , Ges. Schrift. V 583 m it Recht darauf hingewiesen, daß der Name Narbonensis II nur dann gerechtfertigt war, wenn diese Provinz zu­ gleich m it der Narbonensis I entstanden, nicht aber, wenn sie aus dem G e­ biet der Viennensis ausgesondert war, was diejenigen annehmen müssen, die für die späte Entstehung eintreten. Außer allem Zw eifel steht es jedenfalls, daß das kleine G ebiet der Narbonensis II, solange es diese Provinz nicht gab, zur benach­ 1 Ammian. 18, 1, 4. 22, 1, 2. 15, 11, 14. Daß er nicht etwa die zwei Provinzen der Einfachheit halber zusammengefaßt habe (so ähnlich M o m m se n , Ges. Schrift. V I I 402 und M G H , Chron. min. I 552 Anm . 1), geht daraus hervor, daß keine der Städte, die er in der Narbonensis erwähnt, zur Narbonensis II, sondern alle zur ersten Provinz gehören. A m m ian hat eine Liste benutzt, in der die Provinzen und civitates des Reiches aufgezählt waren (M o m m sen , Ges. Schrift. V II 4ooff.). Sein Werk hat er zu Beginn der neunziger Jahre abgeschlossen. Nichts hindert aber anzunehmen, und vieles spricht dafür, daß die von ihm benutzte Liste die Zustände um die M itte des Jahrhunderts oder wenig später wieder­ gibt. * Hilar. de synodis (Migne Lat. 10, 479) vom Jahre 358 und Rufius Festus in dem bald nach 369 verfaßten (vgl. M o m m se n , Ges. Schrift. V II 396®.) breviarium c. 6. Vgl. D u c h e s n e , Fastes I2 7 i Anm. 1. Festus beginnt mit seiner Aufzählung im Südosten Galliens: Alpes Maritimae, Viennensis, Narbonensis, Novempopulana. D a die Narbonensis II zwischen den zwei erstgenannten Provinzen liegt, so ist mit Narbonensis hier allein die prima ge­ meint. * Zuerst in den Akten des Konzils von Aquileia vom Jahr 381 (M a n si, Cone. I I I 615), dann in der not. dign. occ. 1 114. III 28. X X I I 36 und in der not. Gail., also um die Wende des 4 · zum 5. Jahrh. (M o m m sen , M G H , Chron. min. I 553), und in dem wohl in der ersten Hälfte des 5. Jahrh. verfaßten latere, des Polemius Silvius (vgl. M o m m s e n , G es. Schrift. V II 648ff. und B u r y , Joum. Rom. Stud. 13, 1923, I 4 9 ff.). 4 M a n s i, Cone. I I 476.

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barten Viennensis, nicht aber etwa zu der von ihr durch eben diese Provinz ge­ trennten Narbonensis I gehörte1. Die Grenzen der N a r b o n e n s is I blieben seit Diokletian unverändert, und zwar deckten sie sich außer im Osten mit denen der früheren Provinz Narbonensis. Im Nordosten und Osten bildete wohl die Ardèche und weiterhin nach Süden die Rhône die Grenze. Für die Städte, die in dieser wie in den anderen gallischen Provinzen lagen, ist unsere wichtigste Quelle die notitia Galliarum, die, um die Wende des 4. zum 5. Jahrhundert verfaßt, die gallischen Bischofssitze aufzählt. Da damals jede civitas Sitz eines Bischofs war, dürfen wir annehmen, daß alle gal­ lischen civitates jener Zeit in der notitia genannt sind, nicht aber alle castra, von denen, wie es scheint, nur die aufgezählt werden, in denen ebenfalls Bischöfe, und zwar chorepiscopi, saßen12. Zur Narbonensis I gehörten auf Grund der notitia G al­ liarum c. X V die civitas Narbonensium (Narbonne), die auch in der Spätzeit Provinz­ vorort war, ferner die c. Tolosatium (Toulouse), c. Baeterrensium (Béziers), c. Nemausensium (Nîmes), c. Lutevensium (Lodève). Hinzu kommen noch castra Ucetia (Uzès), das aus dem Stadtgebiet von Nîmes ausgesondert wurde, Carcaso (Carcas­ sonne), das schon unter dem Prinzipat als colonia Iulia selbständig gewesen war, und das castrum Helenae (Eine)3. Die Provinz V ie n n e n s i s , der Kern der früheren Narbonensis, stellt ein voll­ kommen einheitliches Gebüde dar, fur dessen Gestaltung offenbar vor allem wirt­ schaftliche Gesichtspunkte maßgebend waren. Zu ihr gehörte fast das ganze Süd­ ufer des Genfer Sees — die Grenze wird wie in früherer Zeit so gelaufen sein, daß das Rhonetal bis zum See hin noch in der Provinz der Alpes Graiae et Poeninae lag — , zu ihr gehörte ferner die Rhone von ihrem Ausfluß bis zur M ündung, wo­ gegen nicht eingewandt werden kann, daß sie auf weite Strecken hin die Grenze 1 Ammian 15, 11, 14 f. zählt die Hauptorte der Provinz Viennensis auf und fährt dann fort: his prope Salluvii (Aix) sunt et Nicaea (Nice) et Antipolis (Antibes) insulaeque Stoechades. Diese Orte gehörten zur späteren Narbonensis II. Da Ammian aber keine neue Provinz nennt, ist zu schließen, daß sie damals, wie zu erwarten, zur Viennensis gehörten. Sollten die Worte his prope sunt mehr als nur eine unverbindliche Floskel sein, sollte in ihnen wirklich der Hinweis auf eine staatsrechtliche Gliederung liegen, so ließe sich das dadurch erklären, daß Ammian bzw. seine Quelle von der früheren Zugehörigkeit dieser Städte zu einer eigenen Provinz wußte. Vgl. M o m m sen , Ges. Schrift. V I I 402 Anm. 2. * Vgl. M om m sen , M G H , Chron. min. I 561. 3 Carcaso (vgl. H ir s c h fe ld , C IL X II p. 624) wird im Itinerar von 333 als castellum bezeichnet. £s war sicher zu Ende des 6. Jahrh. Bischofssitz, weshalb M om m sen , Chron. min. I 560 glaubte, daß es schon im 4. Jahrhundert civitas gewesen und als solche in der not. Gail, ausgefallen sei. Viel naheliegender ist aber die Annahme, daß es als castellum im 4. Jahrh. noch keinen Bischof hatte, vielmehr erst später, wohl nach dem Ende der römischen Herrschaft, Bischofssitz wurde. Was für Carcasoy wird in ähnlicher Weise für das von Eutrop brev. 9 genannte castrum Helenae gelten, das ebenfalls in der not. Gail, fehlt. Die civitates Agatensium (Agde) und Magalonensium (Maguelonne) sind später in die not. Gail. X V 5. 6 eingefügt, unter der römischen Herrschaft hatten sie sicher nicht Stadtrecht (M om m sen a. O.578 und J u llia n , Hist. V III 22 Anm. 4).

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bildete1, da alle wichtigen Rhönestädte außer Lyon au f der linken Flußseite liegen. Schließlich umschloß die Provinz noch das Isèretal und das T al der Drôme. M etro­ pole war die civitas Viennensium (Vienne), außerdem lagen im Bereich der Viennensis noch folgende civitates12, die unter dem Prinzipat schon Stadtgemeinden oder Kolo­ nien waren: c. Albensium (Aps), die frühere civitas Helvorum, c. Valentinorum (Valence), c. Arausicorum (Orange), c. Cabellicorum (Cavaillon), c. Arelatensium (Arles), sämtlich ehemalige Kolonien, c. Tricastinorum (St. Paul-trois-Châteaux), schon unter dem Prinzipat civitas Tricastinorum, c. Avennicorum (Avignon), das an die Stelle der civitas Cavarum trat. D ie civitas Vocontiorum ging in den beiden civitates Vasensium (Vaison) und Deensium (Die) auf3, und aus dem Gebiet von Vienna wurden im V erlauf des 4. Jahrhunderts ausgeschieden die civitas Genavensium (G en f)4*, die ihrer großen Bedeutung wegen wahrscheinlich schon sehr bald selbständig gemacht wurde, und Cularo, das von Gratian, seit dem es sicher Stadtrecht besitzt, den Namen Gratianopolis erhielt (Grenoble)6. D ie Kolonie Carpentorate (Carpentras) scheint in der Spätzeit nicht civitas gewesen zu sein, da sie erst in den jüngeren Handschriften der not. G ail, vorkommt*. D ie umstrittene Frage, ob Massilia schon vor der Zusammenlegung der Viennensis mit der Narbonensis II zur viennensischen Provinz gehört habe, läßt sich unzwei­ deutig bejahen. Schon die Lage und die wirtschaftliche Bedeutung verweisen M arseille in die Rhoneprovinz, ferner aber war diese Stadt noch im 5. Jahrhundert Enklave im Stadtgebiet von Arles, das selbstverständlich nicht zwei Provinzen zu­ geteilt sein konnte7. So wird M arseille auch in der not. G ail, zur Viennensis gerech­ net8. Wenn aber auf dem um 400 abgehaltenen K onzil von T urin der Bischof von M arseille über Gemeinden der Narbonensis II M etropolitanrechte für sich in An­ 1 Zunächst gegen die Maxima Sequania, soweit das Stadtgebiet von Nyon reichte, dann bis zum Einfluß des Gier gegen die Lugdunensis I und zuletzt von der Ardèche ab gegen die Narbonensis I. 2 Not. Gail. X I. 3 K o rn e m a n n , Zur Stadtentstehung u f f . 1 S tä h e lin , Die Schweiz2 282. 3 Vgl. H e rz o g , Gallia Narbonensis 174; Ih m , R E IV 1742. Die Ummauerung der Stadt in diokletianischer Zeit (vgl. C I L X II n. 2229) ist natürlich kein Beweis dafür, daß Cularo damals im rechtlichen Sinne Stadt war oder wurde. 6 M o m m sen , M G H , Chron. min. I 560 glaubte an mechanischen Ausfall. Dagegen hat sich meines Erachtens mit Recht D u c h e s n e , Fastes I2 69 gewandt. Bischofssitz wird die Gemeinde erst nach dem Ende der römischen Herrschaft in Gallien geworden sein. 7 Papst Zosimus schrieb im Jahre 417 : Arelatensium ecclesia, quae sibi Citharistam (Ceyreste) et Gargarium (St. Jean de Garguier) paroecias in territorio suo sitas incorporari iure desiderat. M it B a b u t, L e concil de Turin (1904) 62, und J u llia n , Hist. V II 305f. Anm . nehme ich gegen D u c h e s n e , Fastes I2 ιο ί an, daß der Bischof von Arles forderte, daß das gesamte munizipale Territorium von Arles dem dortigen Bischof unterstellt sein müsse. Und in der Tat gehörten diese beiden Orte schon mindestens seit Augustus zu Arles ( J u llia n , Hist. V I 313). Abzulehnen ist aber die Vermutung J u llia n s a. Ο. V II 305, daß arelatensisches Stadtgebiet zur Narbonensis II gehört haben könnte. • Das Zeugnis Ammians 15, 11, 14 besagt nichts, da zu dieser Zeit das Gebiet der Narbonensis II zur Viennensis gehörte.

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spruch nimmt, diese Gemeinden sich dagegen mit dem Hinweis auf die verschiedene Provinzzugehörigkeit gegen ihn wenden*1, so findet das die einleuchtendste Erklärung darin, daß vor der erneuten Einrichtung der Provinz Narbonensis II nicht lange vor 380 diese Gemeinden tatsächlich dem Bischof von M arseille unterstellt waren. Dies kann um so unbedenklicher angenommen werden, als die Schaffung der Epi­ skopate mit größter Wahrscheinlichkeit einem späteren Zeitpunkt angehört als die Zusammenlegung der Viennensis und Narbonensis II zu Beginn des 4. Jahrhunderts2, andererseits aber die Bedeutung der narbonensischen Metropole A ix ungleich geringer war als die von M arseille3. Im Süden reichte danach die Provinz Viennensis bis Toulon, das wohl auch in dieser Zeit noch zu Arles gehörte4. Die Provinz N a r b o n e n s is II umfaßte das eigentliche Alpenvorland mit Aus­ schluß des Rhonetales und der wichtigsten Nebentäler. Metropole war die frühere Kolonie, nunmehr civitas Aquensium (Aix), neben der noch folgende civitates in dieser Provinz genannt werden5: c. Aptensium (Apt), c. Reiensium (Riez), c. Foroiüliensium (Fréjus), alle drei ehemals Kolonien, ferner die aus der einstigen civitas Vocontiorum ausgeschiedenen civitates Vappincensium. (Gap) und Segesteriorum (Sisteron). Das frühere Gebiet der civitas Vocontiorum gehörte demnach zwei Provinzen an, teils der Viennensis, teils der Narbonensis II, ein Zeichen, wie wenig die Tradition der Volksgemeinde noch wirksam war. Ganz im Osten lag die civitas Antipolitana (Antibes), eine Stadt, die ehemals zu M arseille gehörte, und Nicaea (Nice), das allerdings nur zeitweise der zweiten narbonensischen Provinz zugeteilt w ar6. • Text bei B a b u t a. O. 223fr., dem ich in der Datierung des Konzils in das Jahr 417 nicht zustimme; vgl. G. K r ü g e r , Handbuch der Kirchengesch. I 2 (1923) * 5^ und J u llia n , Hist. V II 305. 2 Falls die Narbonensis II nicht überhaupt erst eine spätere Gründung ist (vgl. o. S. 9). ' Unnötig umständliche und unwahrscheinliche Erklärungen stellt J u llia n a. O. 305 A nm .3 zur Auswahl. 1 J u llia n a. O. 305f. * Not. Gail. X V I. « Sicher ist, daß es während der ganzen Spätzeit zur südgallischen Dioecese gehörte, fraglich kann nur sein, zu welcher Provinz, zu den Alpes Maritimae oder zu der Narbonensis II. Daß der portus Nicaeensis, wie Nice in den Subskriptionen des Konzils von Arles 314 genannt wird, eine gewisse Selbständigkeit gehabt hat, geht schon daraus hervor, daß er zu diesem Konzil einen eigenen Vertreter entsandte. Seine Stellung wird etwa der eines castellum entsprochen haben, und in der Tat wird es auch in einem Brief des Papstes Hilarius vom Jahre 465 so bezeichnet. Es gehörte also im 4. Jahrh. nicht mehr wie in früherer Zeit zu Marseille, um so weniger als diese Stadt zur Provinz Viennensis gehörte, während dies bei Nice nur kurze Zeit der Fall war. Ursprünglich scheint es der Narbonensis II bzw. der Viennensis zugeteilt gewesen zu sein, denn Ammian zählt es unter den Städten auf, die er zur Provinz Viennensis rechnet, mit der ja damals das Gebiet der Narbonensis II vereinigt 'war, während bei ihm die Alpes Maritimae überhaupt nicht erwähnt werden, sei es daß er sie ausgelassen hat, sei es daß er sie zu Italien rechnete. Vor dem Jahre 381 muß Nice dann Bischofssitz geworden sein, denn in jenem Jahre nahm ein Bischof am Konzil von Aquileia teil. Später hat Papst Leo (440— 461) die Kirche von Nicaea dem Bischof der in den Alpes Maritimae gelegenen civitas Cemenelum unterstellt, eine Maßnahme, die vorübergehend von seinem Nachfolger Hilarius aufgehoben wurde. Damals hatte der Bischof Ingenuus von Embrun, der Hauptstadt der Alpes Maritimae, der eben in seiner Provinz Metropolitanrechte geltend zu machen begann, einen Bischof in Nice ernannt, »um andere Einflüsse auszuschalten«.

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D ie geringe Bedeutung des Gebietes, das die Provinz Narbonensis II umschloß, läßt es verständlich erscheinen, daß man sie als selbständige Provinz, wenn sie dies überhaupt jemals vor Valentinian I war (vgl. o. S. 9), zu Beginn des 4. Jahrhunderts wieder aufhob und zur Viennensis schlug. W ie die Regierung Valentiniane, in vielem reaktionär gegenüber der konstantinischen Dynastie, in mancher Beziehung eine Wendung zurück zu diokletianischer Tradition bedeutete, so könnte auch auf sie die Erneuerung der zweiten narbonensischen Provinz, die den alten Namen wieder erhielt, zurückzuführen sein. Es würde dieser Zug, wie wir sehen werden, nicht einzeln dastehen im Schaffen dieses Kaisers, dessen Interesse in besonderem Maße G allien zugewandt war. An die narbonensische Provinz schlossen sich im Osten unter dem Prinzipat die Alpes Maritimae und Cottiae an. H ier wurden die Verhältnisse von Diokletian von Grund auf neu geordnet. Die Wasserscheide zwischen Italien und Gallien sollte auch für die politische Einteilung maßgebend sein. Durch diese vertikale Grenz­ ziehung fiel von den Alpes Cottiae der wichtigere T eil m it der Hauptstadt Segusio an Italien, von den Alpes Maritimae der bedeutendere an Gallien. Man zog daraus die Konsequenzen, indem man den Rest der kottischen Alpen westlich des Alpen­ kammes zu der gallischen Provinz A l p e s M a r it i m a e schlug, andererseits die Alpes Cottiae weiterbestehen ließ, nunmehr als italische Provinz, nachdem man ihr Gebiet vermutlich nach Süden hin durch Einbeziehung eines Teiles der früheren Seealpenprovinz abgerundet hatte1. Im Westen wurde schließlich die Grenze der Alpes Maritimae durch Einbeziehung der civitas Diniensium (Digne), die früher zur Narbonensis gehört hatte, einfacher gestaltet. Diese Provinz wurde von folgenden civitates gebildet: c. Cemenelensium (Cim iez), c. Vintiensium (Vence), c.G lam tiva (Glandève), c. Saliniensium (Castellane), c. Sanitiensium (Senez), c. Diniensium (Digne) und als Hauptstadt c. Ebrodunensium (Embrun). D ie außer diesen in der not. G ail. X V II noch genannte civitas Rigomagensium konnte bis jetzt noch nicht identifiziert werden2. Außerdem kam zu dieser Provinz nicht lange vor oder bald nach 400 das Papst Hilarius ordnete jedoch in einem Reskript vom Jahre 465 die erneute kirchliche Ver­ einigung von Cemenelum und Nice an, indem er allerdings die Metropolitanrechte des Bischofs von Embrun in der Provinz Alpes Maritimae voll und ganz anerkannte und das Verhalten des Ingenuus billigte. D ie Ansprüche eines Bischofs, der einer anderen Provinz angehörte als Ingenuus, also doch wohl der Narbonensis II, wurden unter Hinweis auf die Provinzzugehörigkeit abgewiesen. Daraus geht hervor, daß Nicaea damals zu den Alpes Maritimae gehörte. Die Ansprüche aber, die der narbonensische Bischof geltend machte, werden eben darauf beruht haben, daß Nicaea in früherer Zeit zur Narbonensis II bzw. zur Viennensis gehörte. Wann die Umordnung erfolgte, ob schon bei der Neuschaffung der Narbonensis II oder erst später, wissen wir nicht. Vgl. zu dieser ganzen Frage D u c h e s n e , Fastes I2 296fr., dem ich jedoch nur teilweise folgen kann. 1 Schon der latere. Veron. rechnet die kottischen Alpen nicht mehr zu Gallien. Die Neuordnung gehört also wohl in die diokletianische Zeit. * Uber die verschiedenen Identifizierungsversuche vgl. K e u n e , R E I A l o s f . An Thorame dachte D u c h e s n e , Fastes I2 74f., der die civitas Rigomagensium recht willkürlich mit einer in den Subskriptionen des Konzils von Vaison 442 erwähnten civitas Eturamine gleichsetzte. Vgl. M o m m se n , M G H , Chron. min. I 560.

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castellum Nicaea (o. S. 13 Anm. 6). Im Norden scheint Briançon in der Spätzeit zu den Seealpen und nicht zu den kottischen gehört zu haben1. In der not. Gail, ist es wohl deshalb nicht genannt, weil es in jener Zeit seine Qualität als civitas verloren hatte. Anunian nennt es denn auch castellum und im Itinerar von 333 wird es wenigstens nicht als civitas bezeichnet2. Im Westen war die frühere Provinz Aquitania in der Spätzeit in drei Provinzen aufgeteilt, die zwei Aquitanien und die N o v e m p o p u la n a . Vielleicht ist diese letzte, deren Einwohner iberischen Stammes waren, schon vor Diokletian, im Laufe des 3. Jahrhunderts, von dem keltischen Gebiet nördlich der Garonne abgetrennt und als eigene Provinz eingerichtet worden3. D ie not. Gail. X IV weist ihr zw ölf Städte zu, einmal die 9 früheren Völkerschaften: c. Elosatium (Eauze), c. Ausciorum (Auch), c. Aquensium (Dax), einstmals die Volksgemeinde der Tarbelli mit dem Vor­ ort Aquae, c. Lactoratium (Lectour), c. Convenarum (St. Bertrand de Cominges), c. Consoratmorum (St. Lizier), c. Boatium (Buch)4*, c. Vasatium (Bazas), c. Illuronensium (Oloron), dazu drei neue, vermutlich erst im 4. Jahrhundert geschaffene civitates: c. Benamensium (Lescar?), c. Aturensium (Aire), c. Turba (Tarbes)6. Hauptstadt dieser Pfovinz war zunächst offenbar Elusa6, aber es sind nicht nur jüngere Hand­ schriften der notitia Galliarum, die als solche Auch nennen, das diese Stellung in der kirchlichen Verwaltung spätestens vom Ende des 6. Jahrhunderts ab einnahm7. Der übrige T eil der früheren Provinz Aquitanien, das Gebiet zwischen Loire und Garonne, wurde möglicherweise schon von Diokletian in zwei Provinzen geteilt, die Aquitania prima und secunda8*. Aber Hilarius erwähnt im Jahre 358 nur eine Provinz, und Ammian kennt ebenfalls nur eine*. Ferner wird Saturninius Secundus10, der in den Jahren 361/4 und noch einmal 365/6 Prätorianerpräfekt war, in der Inschrift C IL V I n. 1764 praeses provinciae Aquitanicae genannt. Dieses Am t hat er kurz vor der Jahrhundertmitte bekleidet. W ir müssen also annehmen, daß die beiden Provinzen, wenn ihre erste Einrichtung auf Diokletian zurückgeht, in ähnücher Weise * C IL X II n. 94. 3 Ammian. 15, 10, 6j Itin. Hierosol. p. 555: mansio. 3 B u r y , Journ. Rom. Stud. 13, 1923, 139; E. S te in , Gesch. 1 65 Anm. 3 und ihm folgend E. L in c k e n h e ld , RE X V I I 1182. Anders H ir s c h fe ld , K l. Schrift. 2x8. Das einzige, allerdings nicht eindeutige Zeugnis dafür bietet die Inschrift von Hasparren (C IL X III n. 412). 4 Diese civitas wurde wohl im Laufe des 5. Jahrh. aufgelöst; vgl. D u c h e s n e , Fastes II2 I 7 f. * H ir s c h fe ld a. O. 217 Anm. 3 und 2i9ff. Ammian. 15, 11, 14 rechnet die Elusates fehlerhaft zur Narbonensis. « Not. Gail. Der einzige Vertreter dieser Provinz bei dem Konzil von Arles im Jahres 314 war der von Eauze, vgl. J u llia n , Hist. V I I 125 und 297. 7 Vgl. M o m m sen , M G H , Chron. min. 1 605. * Latere. Véron. IX 6. 7. Vgl. aber o. S. 9 Anm 1 . * Hilarius de synodis (Migne Lat. 10,479). Ammian. 15, 11, 13. »· Vgl. S e e c k , RE I I A 2072fr.

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wie dies bei den narbonensischen anzunehmen war, zu Beginn des 4. Jahrhunderts wieder vereinigt wurden. V ielleicht gab es schon im Jahre 314 nur eine Provinz, denn in den Subskriptionen des K onzils von Arles w ird die civitas Gabalum als in der provincia Aquitanica gelegen bezeichnet. W ie dem auch sei, jedenfalls wurde die eine Provinz kurz vor dem Jahre 3691 geteilt. Auch hier war es offenbar Valentinian, au f den die T eilung zurückgeht, der also vielleicht eine diokletianische Gliederung w ieder, und nun au f die D auer, erneuerte. D ie A q u i t a n i a I um faßte das eigentliche Binnengebiet der früheren Provinz, deren Grenzen im übrigen imverändert blieben, so daß also das ganze Loiretal nicht mehr zu ihr gehörte, daß weiterhin nach Süden der Kam m der Cevennen und der Tarn die Grenze bildete. D ie Hauptstadt war die civitas Biturigum (Bourges), bisher die Hauptstadt der einen Provinz12. Außerdem werden noch folgende sechs civitates genann t, die auch als Städte noch den alten Nam en der Volksgem einde trugen: c. Arvernorum (Clerm ont Ferrand), c. Rutenorum (Rodez), c. Cadurcorum (Cahors), c. Lemovicorum (Lim oges), c. Gabalum (Javols), c. Velavorum (St. Paulien), und außer ihnen noch die wohl erst im 4. Jahrhundert geschaffene civitas Albigensium (Albi). Für die Grenzziehung im W esten gegen die Aquitania II boten weder die N atur noch die wirtschaftlichen Bedingungen irgendwelche Anhaltspunkte; man verfuhr deshalb so, daß man das keltische Aquitanien in zwei genau gleiche T eüe aufspaltete. D ie Teüung war durch nichts m otiviert als durch die A bsicht, kleinere Verwaltungseinheiten zu schaffen. Gerade dies allzu rationale Vorgehen w ird K on­ stantin die Veranlassung gegeben haben, das in jeder Beziehung einheitliche G ebiet wieder zu einer Provinz zusam menzuschließen. Das Land zwischen Garonne und Loire wurde so geteilt, daß das ganze K üsten­ gebiet zu der einen Provinz kam. D ies ist die A q u i t a n i a II, deren Hauptstadt die civitas Burdigalensium (Bordeaux), bisher der Vorort der Bituriges Vivisci, wurde und in der die c.Aginensium (Agen)3, c. Santonum (Saintes), c. Pictavorum (Poitiers), c. Petrucoriorum (Périgueux) lagen4, die bis au f die erste den Nam en der ehemaligen Volksgemeinde trugen. Eine späte Gründung ist die civitas Ecolisnensium (Angoulême). D ie Diözese, in der die bisher besprochenen Provinzen lagen, w ird in unseren Quellen verschieden genannt. Ein einheitlicher Name hat sich, wie es scheint, erst in späterer Zeit gebüdet. D er laterculus Veronensis, das früheste Zeugnis, spricht am Ende der Regierung Diokletians von der dioecesis Viennensis, und wenn Festus brev. 6 bei seiner Aufzählung im Gegensatz zu seiner sonstigen Ü bung die Provinz Viennensis ausdrücklich als provincia kennzeichnet, so wußte er offenbar von der 1 Festus brev. 6 nennt zwei Provinzen. 2 J u llia n , Hist. V III 23 Anm. 3. Sie wird von Ammian. 15, 11, 11 falsch zur Lugdunensis I gerechnet. 3 Noch in diokletianischer Zeit hieß sie nach dem Stamm civitas Nitiobrogum (C IL X III η. 8886), dann aber setzte sich der alte Name der Siedlung, Aginnum, durch. 4 Not. Gail. X III.

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gleichnamigen Diözese, die er selbst allerdings Aquitania nennt, ebenso wie Ammian 15, i ï , 131. Offenbar um Mißverständnisse zu vermeiden, hat man sie aber schon bald nach der Zahl der in ihr enthaltenen Provinzen bezeichnet. Da begegnet einm al der Name quinque provinciarum12, dann später septem provinciarum3. Nach dem Vorausgegangenen bedarf es keiner langen Erörterungen über die Entstehung dieser Namen. Die südliche Diözese war allerdings von Diokletian, wie es scheint, in sieben Provinzen eingeteilt worden, hieß damals aber offiziell dioecesis Viennensis. Diese Einteilung war nur von kurzer Dauer. M it der Aufhebung der Narbonensis II und der Zusammenlegung der beiden Aquitanien unter Konstantin umfaßte die Diözese ein halbes Jahrhundert lang nur fü n f Provinzen. In dieser Zeit entstand der Name quinque provinciae, der sich so eingebürgert haben mochte, daß man ihn beibehielt, auch nachdem durch Valentinian die diokletianische Ordnung wiederhergestellt war. Erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts scheint er durch den den wirklichen Verhält­ nissen entsprechenden Namen septem provinciae verdrängt worden zu sein4. Die nördlichen Provinzen Galliens waren in der dioecesis Galliarum vereinigt, zu der der laterculus Veronensis die Belgica prima und secunda, die Germania prima und secunda, die Sequania, die Lugdunensis prima und secunda und die 1 Weitere Zeugnisse bei J u llia n , Hist. V III 20 Anm. 1. 2 So zuerst im Jahre 364 (C IL VI n. 1729), dann 374 (M a n si, Cone. III 491), 386 (CSE L, Coli. Avell. X L 2), 385/391 (Filastrius, diversar. hereseon liber L X I), 396/7 (Symmachus ep. IV 30 p. 108 [Seeck]), 401 (B abu t, Conc. de Turin 223), und in der not. dign. occ. X I 18. X II 14, wo rationales quinque provinciarum genannt werden. Vgl. J u llia n a. O. und J.-R. P a la n q u e , Rev. des étud. anc. 36, 1934, 362. 3 Zum ersten Male im Jahre 396 (vgl. D u c h e s n e , Fastes I2 71. 366) in der Adresse des Konzils von Nîmes, dann 400 (Cod. Theod. 1, 15, 15), ferner in der not. dign. occ. I 28. III 3. 14. X X II i. 20, in der not. Gail, und weiterhin. Vgl. J u llia n a. O. In dem Präskript Cod. Theod. 16, 10, 5 vom Jahre 399 ist das überlieferte Macrobio ppo Hispaniarum et Procliano vicano V provinciarum mit J.-R. P a la n q u e a. Ο. 363 wohl in Maar, vicario Hisp. et Proci, vicario V II provinciarum zu ändern, doch ist in der Übergangszeit mit einem Schwan­ ken auch im amtlichen Sprachgebrauch zu rechnen. 4 Die Erklärungen, die J u llia n , Hist. V III 20 Anm. 1 versucht, sind unnötig. Ganz abwegig ist B u r y , Joum. Rom. Stud. 13, 1923, 138fr., der annimmt, daß die ursprünglichen fünf Provinzen, die die diokletianische Diözese bildeten, schon vor seiner Regierung be­ standen hätten. Das trifft nicht zu. Wenn er weiter annimmt, daß die sieben Provinzen schon von Konstantin, noch vor seiner Alleinherrschaft, eingerichtet worden seien, so ist nicht einzusehen, wie die Diözese viele Jahrzehnte danach noch dioecesis quinque provinciarum genannt werden konnte. — Es ist möglich, daß der Name septem provinciae anstatt quinque provinciae für die südliche Diözese zugleich mit der Präfekturverlegung von Trier nach Arles, d. h. also auch mit der Unterstellung der nördlichen Diözese unter den Vikar der südlichen, offiziell eingeführt wurde. Z e l l e r , Westdeutsche Zeitschr. 23,1904,98f. hatte das vermutet, und J.-R. P a la n q u e hat diesen Gedanken neuerdings in derRev.des étud. anc. 36,1934,359ff. weiter ausgeführt. Dabei beging er allerdings den Fehler, den ganz unbewiesenen Zusammen­ hang dieses Namenswechsels mit der Präfekturverlegung als gesichert vorauszusetzen und diese letzte deshalb um das Jahr 395 zu datieren, weil im Jahre 396 die südliche Diözese schon septem provinciae genannt wird. Andere Gründe sprechen allerdings durchaus für ein Datum um das Jahr 395 für die Präfekturverlegung (vgl. u. S. 33), und da im Jahre 396 zum ersten­ mal der neue Name für die südliche Diözese auftaucht, so darf in der Tat vielleicht beides in Zusammenhang gebracht werden. Phil.-hiit. Abh. 1938, Nr. 2.

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Alpes Graiae et Poeninae rechnet. Im Laufe des 4. Jahrhunderts tarnen noch die Lugdunensis tertia und quarta hinzu. Von der F lut der Germanen in den Wirren des 3. Jahrhunderts waren nicht nur das gesamte rechtsrheinische G ebiet, sondern auch T eile des linksrheinischen überschwemmt worden. Der Rhein wurde zwar wieder erreicht und als Grenze gesichert unter den gallischen Gegenkaisem und unter der tatkräftigen Regierung des Aurelian und des Probus; das rechtsrheinische Gebiet war aber für immer dem Reich verloren. M it dem Rhein als Grenze blieben die beiden germanischen Provinzen auch in der Spätzeit bestehen. D ie frühere Germania inferior, schon immer unbedeutender als die obergermanische Provinz, wurde nun G e r m a n ia I I genannt. Zur Zeit ihrer Einrichtung wird sie außer der civitas Agrippinensium (Köln), ihrer Hauptstadt, vielleicht schon die civitas Tungrorum (Tongern), die unter dem Prinzipat wohl zur Belgica gehörte1, und sicher die civitas Batavorum (Nijmegen) mitumfaßt haben, die aber schon um die M itte des 4. Jahrhunderts, infolge der Einwanderung der Germanen, untergegangen war12. Wenn Ammian 18, 2, 4 noch weitere Orte dieser Provinz aufzählt, die er civitates nennt, so ist seine Term inologie hier ungenau. D ie von ihm g enannten Plätze entsprechen den castra der Spätzeit. Es sind dies castra Herculis, Quadriburgium (Qualburg), Tricensimae (Xanten), N ovaesium (Neuß), Bonna (Bonn). Unter diese Kategorie wird auch das von ihm 16,3, i als oppidum bezeichnete Rigomagus (Remagen) fallen3. D ie Grenze der Provinz im Süden bildete wohl wie unter dem Prinzipat der Vinxtbach, von dem aus sie westwärts zur Maas ging, dann, der Maas folgend, nordwärts zur D yle. Im Süden schloß sich die gegen früher erheblich verkleinerte G e r m a n ia I an mit der Hauptstadt M ainz, das in diokletianischer Zeit aus dem Legionslager zur civitas Mogontiacensium geworden war. W ohl zur selben Zeit und in gleicher Weise ist die civitas Argentoratensium (Straßburg^ aus dem Legionslager entstanden unter Hinzufügung des Territoriums der Volksgemeinde der Triboker (o. S. 7). Außer diesen nennt die not. Gail. V II noch die civitates Nemetum (Speyer) und Vangionum (Worms), die den alten Namen der Volksgemeinde bewahrten. Auch hier fügt Am m ian 16, 2, 12 eine Anzahl castra hinzu: Brotomagus (Brumath), das bisher Vorort der civitas Tribocorum war, Tabernae (Zabem ), Saliso (Selz). D ie Provinz­ grenzen blieben im wesentlichen die früheren4, nur wurde das ganze G ebiet südlich der Linie St. Püt (am Fuße der Hohkönigsburg)— Horburg, also das südliche Elsaß und die ganze Schweiz, abgetrennt5. 1 So L . V a n de W e e r d , L ’Antiq. Class. 4,1935, 175®. mit erwägenswerten Gründen gegen £. S t e in , Die kais. Beamt, und Truppenk. (1932) 17. * In der not. Gail. V III um die Jahrhundertwende wird sie nicht mehr erwähnt. Aber auch bei Ammian. 15, 11, 7 fehlt sie schon in der Provinzliste. * Vgl. K o rn e m a n n , Zur Stadtentstehung 75. Keune, RE I A 804. 4 Über die Grenze zwischen den Triboci und Mediomatrici, also zwischen Germania superior und Belgica, vgl. E. L in c k e n h e ld , Rev. des étud. anc. 34, 1932, 265fr. 387ff. und RE X I I A 2405fr. s B u r c k h a r d t- B ie d e r m a n n , Westd. Zeitschr. 25, 1906, i53f.

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Verwaltungszentrum der neugeschaffenen, in ihrem ganzen Umfang aus der früheren Provinz Germania superior ausgeschiedenen1 M a x im a S e q u a n o r u m 2 1 wurde die civitas Vesontiensium (Besançon), der Vorort der Sequaner, dessen Siedlungsname den der Volksgemeinde verdrängt hatte. Im Norden bildete der Rhein die Grenze, im Westen, da das ehemals zur obergermanischen Provinz gehörige Lingonengebiet der Lugdunensis zugeteilt war, wohl die Saône bis kurz oberhalb des Einflusses des Doubs, von da folgte sie im Süden der früheren Grenze. N ur im Osten scheint sie in diokletianischer Zeit eine unwesentliche Umgestaltung erfahren zu haben. So gehörten die früher in der Germania superior liegenden Orte Oberwinterthur und Irgenhausen in spätrömischer Zeit zu Rätien3. Außer dem schon erwähnten Besançon nennt die not. Gail. II noch drei civitates in der Sequania: die civitas Equestrium, die ehemalige colonia Iulia Equestris, deren Name allmählich auch im offiziellen Sprachgebrauch hinter dem ursprünglichen keltischen Noviodunum zurücktrat, aus dem der heutige Name Nyon entstanden ist, die civitas Helvetiorum, deren Name in ähnlicher Weise durch den einheimischen Namen Aventicum (Avenches) verdrängt wurde, und schließlich die civitas Basiliensium (Basel), eine Neugründung, die in der Spätzeit die Rolle der unter dem Prinzipat bedeutenden colonia Raurica übernommen hatte4. Außer diesen Städten werden noch castra genannt: Vindonissa (W indisch), Ebrodunum (Yverdon), Argentaria (Horburg) und das castrum Rauracense (Kaiseraugst), das neben der im 3. Jahrhundert zerstörten colonia Raurica errichtet wurde5. Eine ähnlich quasimunizipale Stellung wie die castra wird auch der portus Bucini (wohl Port-sur-Saône) eingenommen haben. M it völlig unveränderten Grenzen ging die wahrscheinlich schon im 1. Jahr­ hundert* geschaffene Provinz A lp e s G r a ia e et P o e n in a e in die Spätzeit über, deren Hauptstadt die civitas Ceutronum bzw. Darantasia (Moutiers en Tarentaise) wurde, das wohl erst im 4. Jahrhundert an die Stelle des ehemaligen Vororts der Volksgemeinde der Ceutronen Axima getreten war7. Außer ihr lag in dieser Provinz nur noch die schon in klaudischer Zeit geschaffene civitas Vallensium6, deren ehe­ maliger Vorort Octodurus (Martigny) als Stadt seinen alten Namen beibehielt. Mommsen hat angenommen, daß Viviscus (Vevey) und das T al der Rhône kurz vor 1 Vgl. E. S te in , Die kaiserl. Beamt, und Trappenk. (1932) 14. * Im latere. Veron. heißt die Provinz Sequania, später kommen auch andere Namenformen vor (Sequanica, Sequanicum). Die Annahme S t ä h e lin s , Die Schweiz2 259, daß sie ursprünglich Sequania geheißen habe, erst später Maxima Sequanorum, halte ich nicht für richtig. Es wird hier wie in der Bezeichnving der Viennensischen Diözese schon von Anfang an kein einheitlicher Name in Gebrauch gewesen sein. Am nächsten liegt es, den Namen Maxima Sequanorum mit Maximian in Zusammenhang zu bringen, wie es schon B u r y , Joum. Rom. Stud. 13, 1923, 138 getan hat. 3 S tä h e lin , Die Schweiz2 261. 264. H e u b e r g e r , Rätien (1933) 82. * M o m m sen , M G H , Chron. min. I 557 und o. S. 7. 5 S tä h e lin a. O. 225. 267f. • Vgl. zuletzt E. S t e in , Die kaiserl. Beamt, und Trappenk. 19. ’ H ir s c h fe ld , C IL X II p. 16. • S tä h e lin , Die Schweiz2 150.

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ihrem Einfluß in den See in der Spätzeit nicht mehr zur Alpenprovinz, sondern zur sequanischen gehört habe, weil in der notitia dignitatum occ. X L I I 15 ein Ebrodunum Sapaudiae, das er in der Gegend von Villeneuve am Ostende des G enfer Sees sucht, zur Gallia Riparensis, d.h. zur Viennensis gerechnet werde1. Abgesehen davon, daß eine sichere Identifizierung dieses Ortes bisher nicht gelungen ist12, ist dieser Schluß deshalb imverbindlich, weil der Name Gallia Riparensis nicht etwa gleichbedeutend ist m it provincia Viennensis, sondern offenbar gewählt wurde, weil zu diesem M ilitärbezirk auch Gebiete außerhalb der Viennensischen Provinz gehörten. Im Norden der gallischen Diözese wurde die Provinz Belgica, deren Grenzen im übrigen unverändert blieben, in zwei T eile geteilt. D ie B e lg i c a I, deren Territorium wesentlich kleiner war als das der zweiten, bekam diesen Namen, weil in ihr die Hauptstadt der früheren Provinz, die civitas Treverorum (Trier), lag, das zum Verwaltungszentrum der neuen Provinz wurde. Außer dieser Stadt werden in der not. Gail. V noch genannt die civitates Mediomatricorum (M etz), Leucorum (Toul) und die wohl im 4. Jahrhundert von M etz losgetrennte civitas Verodunensium (Verdun)3. D ie ungleiche Teilung der Provinz, bei der der B e lg i c a I I der ganze Westen zufiel, hängt wohl damit zusammen, daß man die civitas Catalaunorum (Châlonssur-Marne), die eine späte Gründung auf dem Boden der civitas Remorum (Reims) ist, und diese letzte selbst nicht vom Westen losreißen wollte, nach dem hin sie in jeder Beziehung orientiert waren. An die Stelle der gleichnamigen früheren Volks­ gemeinden waren außer dem schon erwähnten Reims, das Provinzhauptstadt wurde, und Châlons folgende Städte getreten4*: c. Suessionum (Soissons), c. Veromanduorum (St. Quentin), c. Atrabatium (Arras), c. Camaracensium (Cambrai) an der Stelle der früheren civitas Nerviorums, c. Tumacensium (Toum ay), die die civitas Menapiorum ersetzte6, c. SUvanectum (Seniis), c. Bellovacorum (Beauvais), c. Ambianensium (Amiens), c. Morinorum (Thérouanne), und die aus dem Gebiet der M orini aus­ geschiedene civitas Bononensium (Boulogne). 1 M o m m se n , C I L X II p. 20. Dagegen schon S t ä h e lin , Die Schweiz2 262 Anm. 3 Sicher ist, daß nicht das am Neuenburger See gelegene Ebrodunum gemeint ist. O e c h s li, Jahrb. für Schweiz. Gesch. 33, 1908, 228. 242 Anm. 1 denkt an Yvoire am Südufer des Genfer Sees. M ir scheint die Gleichsetzung mit dem von Ptolem. 2, 12, 3 zwischen Vevey und Martigny erwähnten Έβόδουρον am wahrscheinlichsten. Es würde sich dann in der Tat, wie M o m m se n annahm, um einen Ort am Ende des Genfer Sees handeln. Ü ber die Frage ausführlich S tä h e lin a. 0 . 301 A nm .6, wo auch die übrige Literatur verzeichnet ist. 3 Selbständige Stadt wurde Verdun vermutlich zu Beginn des 4. Jahrh., denn auf der Synode in Köln im Jahre 346 war es schon vertreten. Über den Namen Articlavorum bzw. Clavorum vgl. J u llia n , Hist. V II 141 Anm. 6. « Not. Gail. V I. 3 Hier handelte es sich nicht etwa um die Ersetzung der Völkerschaft und ihres Namens durch den Vorort und seinen Namen, denn nicht Cambrai, sondern Bavay war Vorort der Nervier, und nicht Tournay, sondern Cassel der der Menapier. Möglicherweise hängen diese Verschiebungen mit den Veränderungen in jenem Bereiche um die M itte des 4. Jahr­ hunderts zusammen (u. S. 62 f.).

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Ebenso wie die Aquitania und Belgica wurde auch die im Süden anschließende große lugdunensische Provinz von Diokletian geteilt. Der Osten wurde der L u g d u n e n s is I zugeteilt, deren Hauptstadt die civitas Lugdunensium (Lyon) wurde, die an die Stelle der civitas Segusiavorum getreten war, aus deren Gebiet sie früher ausgesondert war1. Diese Provinz umfaßte folgende Städte12: c. Aeduorum (Autun), c. Lingonum (Langres), c. Senonum (Sens), das in nicht näher bestimmter Zeit aus dem Senonengebiet ausgesonderte Autissiodurum (Auxerre), Tricassium (Troyes), Carnutum (Chartres) und die von ihr unter Aurelian losgelöste Stadt Aurelianorum (Orléans), Pannorum (Paris) und Meldorum (Meaux). D ie wichtigeren Handschriften der notitia Galliarum fügen noch das castrum Cabillonense (Chalonsur-Saône) hinzu, es erscheint aber schon in zahlreichen als civitas, und das wird auch für die längste Zeit des 4. Jahrhunderts zutreffen, denn es ist nicht nur schon im Jahr 346 Bischofssitz3*, sondern es wird auch von Ammian 1 5 , 1 1 , 1 1 als einer der Hauptorte dieser Provinz erwähnt. Ob das castrum Matisconense (Mâcon) noch unter römischer Herrschaft Stadt wurde, ist nicht zu ermitteln. Im Westen gehörten zur L u g d u n e n s is I I außer der Hauptstadt Rouen, der civitas Rotomagensium*, die Städte Baiocassium (Bayeux), zu der am Ende des 3. Jahr­ hunderts das Gebiet der ehemals selbständigen Viducasses hinzugefügt wurde5*, c. Abrincatum (Avranches), c. Ebroicorum (Evreux), c. Satorum (Seez), c. Lexoviorum (Lisieux)*, c. Constantia (Coutance), das seinen Namen und wohl auch das Stadtrecht vom Caesar Konstantius erhielt und dessen Stadtgebiet die einstige Volksgemeinde der Venelli war, c. Turonorum (Tours), c. Cenomannorum (Le Mans), c. Redonum (Rennes), c. Andecavorum (Angers), c. Namnetum (Nantes), Coriosopitum (Quim per)7, c. Venetum (Vannes), c. Osismorum (wahrscheinlich Carhaix)8, c. Diablinthum (Jublains)®. 1 H ir s c h fe ld , C I L X III 1 p. 221. 2 Not. Gail. I und IV. Die Zuteilung der civitates zu den zwei Provinzen ergibt sich, da die not. Gail, schon die Einteilung in vier Provinzen voraussetzt, aus Ammian. 15, 11, t i f . der Lyon, Chalon, Sens, Bourges (dies zu Unrecht), Autun zur ersten, Rouen, Tours, Evreux, Troyes (unrichtig) zur zweiten rechnet. 3 J u llia n , Hist. V II 149 Anm. 6. * Überliefert ist dies nicht, es ergibt sich aber daraus, daß nach der Vierteilung der lugdunensischen Provinzen der Name Lugdunensis II dem Provinzteil verblieb, in dem Rouen Hauptstadt war, und das wird bestätigt dadurch, daß Ammian. 15, 11, 12 Rouen an erster Stelle nennt. Rotomagus war der Vorort der Veliocasses; in seinen Stadtbereich wurde wahrscheinlich im Laufe des 4. Jahrhunderts das Gebiet der Caletes einbezogen. Vgl. M o m m sen , M G H , Chron. min. I 556 und D o r a n lo , Rev. des étud. anc. 34,1932,177. 5 Vgl. M o m m sen a. O. und D o r a n lo a. Ο. • Vgl. R. D o r a n lo , La civitas des Lexovii et ses abomements in Rev. des étud. anc. 34, 1932, i 59ff· 7 Daß so und nicht Coriosolitum (Corseuil) zu lesen ist, zeigte m .E . D u c h e s n e , Fastes II2 242f. 8 J u llia n , Hist. VI 443 Anm. $. 8 Diese Stadt verschwindet im 5. Jahrh., ihr Territorium wurde wahrscheinlich mit dem von Le Mans vereinigt. Vgl. D u c h e s n e a. O. 242f.

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N ur diese zwei lugdunensischen Provinzen kennen der laterculus Veronensis, Anunian und Festus. In der notitia dignitatum, in der notitia Galliarum und im laterculus des Polemius Silvius, die die Zustände um die Jahrhundertwende oder zu Beginn des 5. Jahrhunderts wiedergeben, ist von vier Provinzen die Rede. Daß die Teilung au f den Kaiser Magnus Maximus (383 bis 388) zurückgeht, ist m. E. m it Recht daraus geschlossen worden, daß die eine der neugeschaffenen Provinzen au f einer Inschrift Maxima Senonia genannt w ird1. Sens wurde Hauptstadt dieser Provinz, die sonst kurz S e n o n i a , in einigen Handschriften der notitia Galliarum Lugdunensis quarta genannt wird, und die in ihrem ganzen Um fang bisher zur Lugdunensis I gehört hatte. In ihr waren die Städte Paris, M eaux, Chartres, Auxerre, Troyes und Orléans zusammengefaßt. W ohl zu gleicher Z eit wurde von der zweiten lugdunensischen Provinz die L u g d u n e n s i s I I I abgespalten, in der die Städte Tours, als Hauptstadt, L e M ans, Rennes, Angers, Nantes, Quim per, Vannes, Carhaix und Jublains lagen. W ar die den Germanen und Kelten eigentümliche stammhafte Gliederung des Landes nach Volksgemeinden allmählich im M aße, in dem die gallischen Provinzen in das römische Imperium hineinwuchsen und sich durch seine K räfte gestalten ließen, in eine städtische Gliederung übergegangen, so mußten m it dem Einstrom der freien Germanen in diese Länder die gegenteiligen Tendenzen im Sinne einer Erneuerung der alten Ordnung wieder zur Geltung kommen. Und dies um so eindringlicher, als der Einstrom des neuen Blutes bis weit in das gallische K em gebiet hinein ein sehr starker war12. M it der Herrschaft der Römer verschwand in Gallien auch ihre verwaltungstechnische Einteilung des Landes, vor allem die Provinzen. D ie Städte blieben in der Form , in der sie die Völkerwanderungsstürme überdauert hatten, wenigstens als Siedlungen bestehen3. Ihre politische Funktion übernahmen aber die Gaue, die Gaugrafschaften, die sich allerdings der vorhandenen Gliederung wie einer vorgegebenen Form bedienten. Das Entscheidende hierbei 1 C I L X III n. 921 = D e s s a u , IL S η. 6117a. Vgl. B u r y , Journ. Rom. Stud. 13, 1923, 138 und J u llia n , Hist. V I I I 21 Anm. 4. Eine Maßnahme wie diese Provinzteilung fällt nicht notwendig unter die Bestimmungen über die Aufhebung von Verfügungen des Maximus (Cod. Theod. 15, 14, 8). * In jüngster Zeit hat F. P e t r i in seinem umfassenden Werk »Germanisches Volkserbe in Wallonien und Nordfrankreich« (1937) den Versuch gemacht, unter Heranziehung der galloromanischen Ortsnamen germanischen Ursprungs und der germanischen Bodenfunde das Bild der fränkischen Landnahme in Frankreich und den Niederlanden zu zeichnen. Deutlicher als früher zeigt sich, daß die fränkische Reichsgründung, getragen von der ger­ manischen Volkskraft, in der Landnahme ihre Grundlage hat und nicht in der Fremd­ herrschaft einer kleinen Minderheit (vgl. den zusammenfassenden Vortrag von F . P e t r i , Die fränkische Landnahme und das Rheinland [1936]). Hier wird der bleibende W ert des Buches liegen, das im übrigen »in den Einzelheiten wie in den Schlußfolgerungen« gänzlich abgelehnt wird von E. G a m ills c h e g , D L Z 59, 1938, 37off. Vgl. jedoch auch die Be­ sprechung von H. Z e i ß , H Z. 1 5 6 ,128ff. Zum Problem der Sprachgrenze u. S. 77ff. 3 Je weniger sie von der germanischen Landnahme berührt wurden, desto mehr wird ihnen auch ihre alte Bedeutung erhalten geblieben sein. Doch sind dies Fragen, die besonderer Untersuchung bedürfen.

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war jedoch, daß bei der Neugestaltung nicht so sehr die lokale Einteilung nach Städten als vielmehr die territoriale nach Stadtgebieten wirksam war. D ie städtische Gliederung, wie sie die Germanen vorfanden, wurde also übergangen und die ursprüngliche stammhafte nach Volksgemeinden wieder sichtbar und gültig. Es gab später einen Wormsgau und einen Speyergau, die den früheren Volksgemeinden der Vangionen mit Worms und der Nemeter mit Speyer als Vorort entsprachen; einen Mainzgau gab es so wenig wie vorher eine Volksgemeinde mit dem M ittelpunkt Mainz. Über das Endstadium also der Romanisierung Galliens, wo M ainz gleich­ berechtigte Stadt war neben Worms und Speyer, wurde zurückgegriffen1. Und doch fand die Linie, die von der Eingliederung Galliens in das Reich zu seiner Durchdringung mit römischer K ultur und damit zu seiner Urbanisierung geführt hatte, auch in der germanischen Zeit ihre Fortsetzung. Das römische Erbe wurde von der Kirche übernommen und bewahrt. Im 4. Jahrhundert zur Staats­ kirche geworden, hatte sie in steigendem M aße das staatliche Gefüge zu ihrem eigenen gemacht. Jede Stadt wurde Sitz eines Bischofs, das Stadtgebiet sein Sprengel; in denselben Provinzen, in denen die Städte vereinigt waren, wurden auch die Bistümer zusammengefaßt, und die Hauptstadt der Provinz war der Sitz des Metropolitanbischofs. In dieser Form lebte die römische Organisation weiter, und als Bischofssitze blieb auch den Städten ein Rest ihrer alten Funktion erhalten. Was sich bei jeder Betrachtung des Übergangs von der Antike zum M ittelalter zeigt, wird auch hier am Einzelfall deutlich: Durchdrungen haben sich die germa­ nischen und römischen Kräfte, die germanischen, für die das vorrömische Erbe fruchtbarer Boden war, und die römischen, die von der Kirche aufgenommen wurden und in ihr weiterlebten. In ihrem Zusammenwirken trieben sie die wunder­ bare Blüte der mittelalterlichen Kultur hervor. Gallien, die Zentralverwaltung und das Reich. Diokletian hat in der Erkenntnis, daß die römische Expansionskraft erloschen war, daß Rom, der M ittelpunkt des Reiches, nicht mehr die das Ganze durch­ flutende Kraftquelle sein konnte, den Versuch gemacht, durch ein rational kon­ struiertes, vielgliedriges Herrschaftssystem das Reich von seinen Grenzen her zu erhalten. D ie Herrschaftsordnung, wie sie im Jahre 293 voll ausgebildet wurde, sah die Teilung des Reiches in vier Bezirke vor, von denen der Osten dem ersten Augustus, Diokletian, unterstand, während Italien mit Afrika und Spanien dem zweiten 1 Diese Beziehungen hat G . W e ise in einem Aufsatz »Fränkischer Gau und römische civitas im Rhein-Maingebiet« in der Germania 3, 1919, 97ff. dargelegt. Der Durchbruch des Vorrömischen und seine Einwirkung auf die Neugestaltung nach der Völkerwanderung ist ein Phänomen von weitreichender historischer Bedeutung. Es gehört hierher, daß in der späteren Sprachgrenze weitgehend die Linie wieder sichtbar wird, die Germanen und Kelten in vorrömischer wie in römischer Zeit trennte — in der römischen Zeit unter der Germanisches wie Keltisches gleicherweise bedeckenden römischen Oberfläche für uns nur weniger sichtbar.

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Augustus, M aximian, G allien und Britannien dem ihm beigegebenen Caesar K onstantius und schließlich Illyricum dem Caesar Galerius übertragen wurden1. Man mag in dieser Verteilung und Abstufung die Lage des Reichs, wie sie sich dem politischen U rteil Diokletians darstellte, erkennen, und die Geschichte der folgenden Jahrzehnte w ird dem wenig entgegenzusetzen haben. D ie größte G efahr drohte im Osten, wo das von einem starken W illen geleitete, wohlorganisierte Perserreich jede Schwäche des Imperiums auszunützen und einzugreifen bereit stand; und hier im Osten lag auch während des weitaus größten T eiles des 4. Jahrhunderts die Schwer­ kraft des Reiches. Italiens Bedeutung als K em land im W esten wurde anerkannt, der zweite Augustus hatte seinen H of in M ailand, dessen Bedeutung in der Spätzeit die von T rier übertraf. D ie G efährdung, in der G allien und Illyricum standen, blieb zwar nicht verborgen, wie groß sie aber war, hat man erst, als es zu spät war, ein­ gesehen. Vorerst waren diese Länder noch in der Einheit des Reiches geborgen, die trotz der Dezentralisation durch die Neuordnung mehr als bisher gewährleistet war. Sie fand ihren sichtbaren Ausdruck in der Stellung des ersten Augustus, zu dem sich nicht nur die Caesaren, sondern auch der zweite Augustus in einem A b­ hängigkeitsverhältnis befanden. Sie waren ihm zu Gehorsam verpflichtet, und ihm allein war das Recht, G esetze zu geben, Vorbehalten12. Ü berall und jederzeit konnte er eingreifen, nicht nur in den Bereich seines zweiten Augustus, sondern auch unm ittelbar in den Sprengel des Caesars, der diesem als G ehilfe beigegeben war, so daß sich also Konstantius, der Caesar für G allien, in doppelter Abhängigkeit befand3. Aber selbst im eigenen Verwaltungsbereich war er weitgehend gehemmt. A ls Caesar hatte er zwar einen eigenen praefectus praetorio4, die Finanzhoheit sowie das Recht zu reskribieren und M ünzen zu prägen, so daß sich sein H of in nichts W esentlichem von dem eines Augustus unterschieden haben w ird5. Es fehlte ihm 1 E. S t e in , Gesch. I 99f. Anm. 6. E rst als Konstantius im Jahre 306 Augustus wurde, erhielt er Spanien dazu; von da an blieb Spanien offenbar mit Gallien und Britannien vereinigt; vgl. H . v. S c h o e n e b e c k in einer demnächst als Kliobeiheft erscheinenden Arbeit, dem ich hierin gegen E. S t e in a. O. 99 und 133 folge. 2 S e e c k , Unterg. I3 27. 33. 456. 3 Verordnungen Diokletians gehen direkt an Konstantius (Lact, de mort, persec. 15, 6). Ferner übt er Kontrolle in der Finanzverwaltung des Konstantius aus (vgl. unten Anm . 5). Wenn ein Erlaß Diokletians an den dem Maximian unterstehenden Prokonsul von Afrika ergeht (Coli. 15, 3), so ist daraus zu schließen, daß das Verfügungsrecht des ersten Augustus keine Grenzen kannte, nicht aber mit M o m m s e n , »daß die Regenten befugt waren, auch unmittelbar mit den zunächst ihren Kollegen untergebenen Beamten zu verkehren« (Ges. Sehr. II 264). 4 S e e c k , Regesten 143. 6 Gegen M o m m s e n , Ges. Sehr. II 267 nimmt S e e c k , Sav. Zeitschr. 10, I79f. und Unterg. I 3 33. 456 an, daß die Caesaren reskribieren durften. — Aus den anekdotenhaft ausgestatteten Berichten über die Finanzverwaltung des Konstantius wird immerhin so viel geschlossen werden dürfen, daß der Caesar in seinem Bereich die Finanzen unter sich hatte (Euseb. vit. Const. I. 14. Liban, or. 18, 59, 15). — Eumenius war nicht, wie noch J u llia n , Hist. V II 92f. annimmt, magister memoriae des Konstantius, sondern des Maximian ( S e e c k , Jahrb. für klass. Phil. 1888, 720). — Mittelbar dem Caesar, unmittelbar den Verwaltungs-

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aber das imperium und damit der Oberbefehl über das Heer, der wenigstens theoretisch in den Händen der Augusti blieb, mochten auch die Caesaren in ihrem Gebiet praktisch selbständig kommandieren*1. Und in diesen Zusammenhang gehört es, daß der Caesar seinen praefectus praetorio nicht selbst ernannte. Denn der Umstand, daß Hannibaüanus und Asklepiodotus, bisher praefecti praetorio des Diokletian und Maximian, in späterer Zeit in derselben Eigenschaft am Hofe der Caesaren nachweisbar zu sein scheinen, legt die Deutung nahe, daß sie ihnen von den Augusti beigegeben wurden2. Selbst wenn aber noch andere Hof- und Ver­ waltungsbeamte nicht von den Caesaren ernannt worden wären, so ändert auch das nichts daran, daß, wie der Augustus im ganzen Reich, so der Caesar in seinem Sprengel gewissermaßen die Spitze einer Verwaltungspyramide bildete, deren Getriebe bei seinem Ausscheiden gestört, wenn nicht entscheidend gehemmt war. A u f seine Person hin war die ganze Hierarchie aufgebaut. Darin lag eine Gefahr und nicht die einzige, die dieses System in sich barg. Es ist verwunderlich, daß in dieser von starken Leidenschaften bewegten Zeit eine Herrschaftsordnung aufgebaut werden konnte, die ausschließlich von dem G e­ danken der Selbstlosigkeit und Unterordnung getragen war und in der das Blut und die menschliche Herrschsucht keinen Platz hatten. Die Söhne der Herrscher zentralen an seinem Hofe unterstanden die zahlreichen Beamten, die noch durch die diokletianische Reform vermehrt worden waren. Die praefecti praetorio wurden in den zwei gallischen Diözesen von je einem vicarius in Trier und Vienne vertreten, die vizepräfektorische Gewalt besaßen. A u f der nächsten Stufe nach unten folgten die zivilen und mili­ tärischen Leiter der Provinzen, die praesides und duces. Ähnlich war es in der Finanz­ verwaltung, wo in jeder Diözese ein rationalis vicarius als Vertreter des rationalis und ein Vertreter der Zentrale der res privata, die Finanzkanzleien der einzelnen Provinzen beauf­ sichtigten. — C . Caelius Saturninus bekleidete das Amt eines rationalis vicarius per Gallias in diokletianisch-konstantinischer Zeit (Dessau, IL S n. 1214. M o m m sen , Mem. delPistit. 2, 1865, 325). Vermutlich war er in seiner Diözese Vertreter des Leiters des Fiskus und nicht des Leiters der res privata (doch vgl. zur Titulatur dieser Oberbeamten H ir s c h fe ld , Verwaltungsbeamt.2 38 Anm. 3). Der Zusatz vicarius ist nur hier überliefert, er wird un­ gebräuchlich gewesen sein und fiel dann ohnehin weg, als der Vorgesetzte nicht mehr ra­ tionalis summae rei, sondern comes sacrarum largitionum hieß. Analog dürfen wir annehmen, daß auch die res privata einen Vertreter in jeder Diözese hatte, der also den magister rei privatae bzw. den rationalis privatae vertrat. Seinen Titel für die frühe Zeit kennen wir nicht. Als aus dem rationalis privatae der comes rerum privatarum wurde, hat er wahr­ scheinlich die Bezeichnung rationalis rei privatae erhalten, mit der er uns aus der notitia dignitatum bekannt ist (occ. X II). 1 S e e c k , Unterg. I3 32. Daß Konstantes selbst kommandierte, zeigen zur Genüge die Äußerungen der Panegyriker; vgl. pan. V III (VI) 5. 15. 16. a S e e c k , Regesten 142f. Die dort zitierte Inschrift zeigt, daß jeder Augustus nur einen praefectus praetorio hatte. Damit ist aber die Interpretation S e e ck s von pan. X (II) 11, 4 (Unterg. I3 452), nach der Maximian zwei Präfekten hatte, deren einer Konstantius war, umnöglich. Konstantius war nicht Präfekt des Maximian, es hindert also auch nichts, seine Heirat mit Theodora nach dem einstimmigen Bericht der Quellen ins Jahr 293 zu setzen. Als nicht stichhaltig hat S e e c k s Interpretation auch schon O. S c h a e fe r , Die beiden Panegyrici des Mamertinus und die Geschichte des Kaisers Maximianus Herculius, Diss. Straßburg 1914, 73 ff. erwiesen.

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wurden absichtsvoll von der Teilnahm e an der Herrschaft und von der Nachfolge ausgeschlossen, und nach zwanzigjähriger Tätigkeit wurde die Abdankung den Augusti als Pflicht auferlegt. Aber nicht nur von der menschlichen Leidenschaft und Herrschsucht drohten hier Gefahren; im A ufbau des Systems selbst lagen Fehler. D ie Gleichartigkeit der vier Höfe und ihre Gebundenheit an die Person eines der vier Herrscher oder, von der anderen Seite gesehen, die allein durch die Abhängigkeit der drei Helfer vom ersten Augustus, also nur persönlich garantierte Einheit der Regierung, ließen in drohender Nähe die Gefahr erscheinen, daß vier Kaiser, jeder m it dem Anspruch der erste zu sein, das Reich in vier T eile zerreißen würden. N ur der K raft seiner überragenden Persönlichkeit hatte es Diokletian zu verdanken, daß er erst am Ende seiner Tage erleben m ußte, wie seine Konstruktion verzerrt und schließlich ganz vernichtet wurde. D ie alte Ordnung zerstört und aus den Trüm m ern eine neue aufgebaut hat Konstantin der G roße, der übergangene Sohn des Kaisers Konstantius. Am Ende seiner Regierung herrschte er als einziger Augustus, seine Söhne waren zu Caesaren ernannt worden; damit war aus der kaiserlichen, au f dem Prinzip der Leistung beruhenden Hierarchie diokletianischen Gepräges eine erbliche Dynastie geworden. Ohne daß jedoch die Söhne M itherrscher hätten genannt werden können. Denn sie standen zum Kaiser wie zu den Verwaltungskörpem des Reichs in einem ganz anderen Verhältnis als etwa die Caesaren des diokletianischen Systems. D ie Ver­ waltungspyramiden in den einzelnen Reichsteilen blieben bestehen, sie wurden aber von der Bindung an die Person eines Herrschers befreit und eigenständig gem acht, an einen Sprengel gebunden, und diese Sprengelverwaltungen wieder in der einen kaiserlichen Zentralverwaltung zusammengefaßt. D er Kaiser war nun nicht mehr die Spitze eines personengebundenen Verwaltungsorganismus, sondern er thronte als absoluter Herrscher über einem eigenständig gewordenen Beamtenstaat. Ebenso losgelöst von den Sprengelverwaltungen, die jetzt ihren festen Stand hatten, waren die Caesaren. N ur so war es m öglich, daß die Söhne Konstantins als K inder schon Caesaren sein konnten, und in nichts wird die abgrundtiefe K lu ft zwischen der Herrschaftsauffassung Diokletians und der Konstantins so augenfällig als gerade darin. Entsprechend dieser W andlung veränderten sich auch die G estalt, in der sich der Herrscher gesehen wissen wollte, und die Formen, m it denen man ihm begegnete. Diokletian war hier nicht der Neurer, für den man ihn lange Zeit hielt, er steht in einer Tradition, die ihren Ursprung lange vor ihm hat, und die er nur weiterführt. Konstantin, der eigentliche dominus, hat hier neues geschaffen1, und die geschichtliche Entwicklung der folgenden Zeit verlief in der Richtung, in der der konstantinische Anstoß erfolgt war. W ir haben die konstantinische Ordnung und ihr geschichtliches Fortleben am Beispiel von Gallien zu verfolgen. 1 Von den Ausdrucksformen des Prinzipats ausgehend hat A l f ö ld i in seinen ausge­ zeichneten Abhandlungen, Röm. Mitteil. 49, 1934, 3ff. und 50, 1935, 19 das Richtige über das Verhältnis Konstantins zu Diokletian gesagt.

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Noch zu Beginn des 4. Jahrhunderts war der praefectus praetorio der höchste militärische und zivile Verwaltungsbeamte des Reiches. Während aber in der Tetrarchie noch jeder der vier Kaiser einen solchen Prätorianerpräfekten hatte, der an seine Person gebunden war, schuf Konstantin Form und Inhalt dieses Amtes neu. Es wäre falsch, mehr als den Anlaß zu dieser Neuerung darin sehen zu wollen, daß sie, soweit sich ermitteln läßt, gleichzeitig mit der Ernennung der beiden minder­ jährigen Söhne Konstantins zu Caesaren im Jahre 317 erfolgte, deren Herrschaft natürlich nur eine nominelle sein konnte, und deren obersten Beamten, den praefecti praetorio, eben deshalb eine um so größere Verantwortung zukommen m ußte1. Beides, die Caesarenemennung wie die neue Definition der Prätorianerpräfektur, lag im Plan der Herrschaftsgestaltung, wie sie Konstantin vorschwebte. Den Präfekten wurde die militärische Kompetenz entzogen und auf zwei Heermeister, den magister equitum und den magister peditum, übertragen12. N icht weniger bedeutsam war es aber, daß sie einen eigenen Verwaltungssprengel erhielten, also von der Person des Kaisers losgelöst wurden. Die Westhälfte des Reiches wurde damals in drei solche Sprengel eingeteilt: Italien, Afrika und Gallien mit seinen beiden Annexen Britannien und Spanien3. Damit war die Entwicklung eingeleitet, die dazu führte, daß die Verwaltungszentren eigenständig, d. i. unabhängig davon wurden, ob ein Kaiser sich in ihrem Bereich befand oder nicht. Und eine Folge davon war es auch, daß die Kaiser und Caesaren nun auch ihrerseits keine feste Residenz zu haben brauchten. Mochten sie ihr Herrschaftsgebiet bereisen oder an entlegenen Grenzen Kriege fuhren, der Verwaltungsorganismus lie f unabhängig davon seinen Gang. Von dieser Umgestaltung blieb auch die Verwaltung der sacrae largitiones, d. h. des Fiskus, nicht unberührt4. M it der Verwaltung eines Gebietes im Umfang der Präfektursprengel wurden von Konstantin die comites largitionum beauftragt, von denen die notitia dignitatum (occ. X I) für den Westen drei nennt: den comes lar­ gitionum per Illyricum, den comes largitionum Italicianarum und den comes titulorum largitionalium per Africam. Der Amtsbereich entspricht, wie man sieht, seinem 1 Zum Datum E. S t e in , Zeitschr. für Neutest. Wiss. 30, 1931, i8of. — Über die Neu­ erungen S e e c k , Rhein. Mus. 49, 1894, 213f. * E. S t e in , Gesch. I 179. 3 S e e c k , Regesten 142fr. Der erste Prätorianerpräfekt Galliens ist danach Vettius Rufinus, der zuerst am 1. Dez. 318 (Cod. Theod. 5, 2, 1) nachweisbar ist. Die abweichende Auffassung von J.-R. P a la n q u e , Essai sur la préfecture du prétoire du Bas-Empire (1933) iff. erweist E. S t e in , Byzantion 9,1934, 328 (wo es unten Vettius Rufmus anstatt Vulcatius Rufinus heißen muß) als falsch. Der Titel praefectus praetorio Galliarum begegnet erst um die Mitte des Jahrhunderts. — Die Diözesen blieben auch nach der konstantinischen Neu­ ordnung bestehen, wenn sie mm auch zu Unterabteilungen der Präfektursprengel und die Vikare dementsprechend mehr als bisher zu Vollzugsorganen der Sprengelpräfekten wurden (E. S te in , Rhein. Mus. 74, 1925, 377 und Gesch. I i8 if.). Der stellvertretende Charakter ihres Amtes ging aber nicht, jedenfalls nicht schon damals verloren. Dafür spricht die schon längst gemachte Beobachtung (vgl. die bei Z e lle r , Westdeutsche Zeitschr. 23,1904, 99 Anm. 1 angegebene Literatur), daß die nordgallische Diözese unmittelbar von dem gallischen Prä­ fekten verwaltet wurde, dieses Vikariat also suspendiert war. Vgl. u. S. 82. 4 Uber sie vgl. u. S. 89ff.

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Umfange nach den Präfektursprengeln1, in ihm aber untersteht diesen Beamten der ganze Apparat der largitionalen Verwaltung von den rationales summarum, den diokletianischen rationales vicani12, der Diözesen ab bis zu den Finanzbeamten in den Provinzen. Diese comites largitionum unterstanden allerdings nicht unmittelbar dem Kaiser, sondern dem comes sacrarum largitionum, der am H ofe des Monarchen die gesamte Verwaltung der sacrae largitiones leitete. Auch au f diesem G ebiet sind also eigenständige Verwaltungszentren entstanden. N ur eine Lücke bleibt. Im Bereich des gallischen Präfektursprengels findet sich kein comes largitionum per Gallias, und, dasselbe von der anderen Seite gesehen, während im ganzen Westen die rationales summarum immittelbar den comites largitionum der einzelnen Sprengel, erst mittelbar dem comes sacrarum largitionum unterstehen, fehlt diese Zwischen­ instanz in Gallien. D ie nächstliegende Annahme, daß es sich hier nicht um einen Bruch im System, sondern nur um einen besonderen Anwendungsfall handelt, so daß das Am t eines gallischen comes largitionum zwar vorhanden, zeitweise aber nur latent vorhanden ist, diese A n n ah m e wird bei näherem Zusehen zur Gewißheit. Wenn der comes sacrarum largitionum Ursulus den Beamten, qui Gallicanos tuebatur thesauros — so drückt sich Ammian 22, 3, 7 aus — beauftragt, dem Caesar Julian zu geben, was er wünsche, so ist damit sicher nicht der rationalis einer Diözese gemeint, sondern, da Julians Kom petenz den ganzen gallischen Präfektursprengel um schloß, eben der comes largitionum per Gallias3. In der notitia dignitatum wird dieses Am t aus naheliegenden Gründen nicht genannt. Das K apitel occ. X I geht in seinem Grundstock etwa auf die gratianische Zeit zurück4. Nun war aber seit dem 1 Unter Konstantin hatten sowohl Italien wie Afrika einen eigenen Präfekten, für Illyricum, das damals nicht zur italischen Präfektur gehörte, wurde ein eigener Präfekt nicht bestellt, da dort gewöhnlich der Kaiser residierte ( S e e c k , Regesten 144). In späterer Zeit bildete es mehrmals einen eigenen Präfekturbezirk (vgl. E. S t e in , Rhein. M us. 74, 1925, 3ö4ff.). 2 Vgl. o. S. 24 Anm. 5. 3 M it Recht haben S e e c k , RE IV 657 und K a r lo w a , Röm. Rechtsgesch. I 838 Cod. Theod. 6, 19 vom Jahre 400 hierher bezogen, wo mit den comites Italicianorum et Galli­ canorum die comites largitionum gemeint sind. Sehr vorsichtig drückt sich E. S t e in , Gesch. I 174 aus: »In Britannien, Gallien und Spanien, wo der entsprechende Posten (sc. comes lar­ gitionum0, wie es scheint, nur von einem rationalis summarum bekleidet wurde.« 4 Es ist sicher vor 395 abgeschlossen, da unter den Prägestätten Trier noch, Mailand noch nicht genannt wird, die M ünze aber um das Jahr 395 von dort hierher verlegt wurde. D er Kern des Kapitels muß aus der Zeit vor 387 stammen, wo das noch erwähnte Siscia als Münze endgültig verschwindet. Andererseits fehlen die unter der Herrschaft Valentinians I noch tätigen Münzen Londinium und Sirmium. Klargelegt hat das A l f ö l d i , Unterg. I 77f., und S a lis b u r y , Journ. Rom. Stud. 17, 1927, I02ff. ist mit Recht in dieser Richtung weitergegangen. Die Einwände von E. S t e in , 18. Bericht 92 Anm . 1 hat er Joum. Rom. Stud. 23, 1933, 217fr. widerlegt. Für das Aufhören der Münzprägung in Trier ist auf den Aufsatz von V . K o b l i t z , Trier. Zeitschr. 3,1928, 24ff. zu verweisen, aus dem hervorgeht, daß in Trier geprägte Münzen des Honorius und Valentinian III nicht gefunden worden sind. Demgegenüber besagen die Trierer Münzen gallischer Gegenkaiser für ein offizielles Weiterarbeiten der M ünze selbstverständlich nichts, und die Silbermünze des Johannes zeigt nicht mehr als eine vorübergehende Wiederaufnahme der Edelmetallprägung von kürzester Dauer.

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Jahre 367 Trier wieder die Residenz des Westens, erst Honorius verlegte seinen

Herrschaftssitz aus Gallien weg nach M ailand, wo sich Valentinian II bis zur Nieder­ schlagung des Magnus Maximus aufgehalten hatte. In der Zeit also, in der das Kap. X I der notitia dignitatum entstanden ist, befand sich der comes sacrarum largitionum auf gallischem Boden, und es ist zweifellos, daß er Gallien als Immediatsprengel zu verwalten hatte, wie sich eine ganze entsprechende Immediatverwaltung auch auf militärischem Gebiet in Gallien nachweisen lassen wird. D ie comites largitionum der einzelnen Sprengel sind ebenso Stellvertreter des comes sacrarum largitionum wie die Diözesanvikare, mit deren Stellung die der comites largitionum der Struktur nach überhaupt am ehesten vergleichbar ist, in ihrem Bereich den praefectus praetorio vertreten. Das wird durch nichts deutlicher als dadurch, daß diese Ämter in dem Sprengel nicht besetzt werden, in dem sich der comes sacrarum largitionum oder ein Präfekt aufhält1. Als sich die Zentrale noch in Rom befand, unterstanden ihr unmittelbar die Provinzialverwaltungen ; hier setzten die Reformen ein, die Zentralverwaltung wurde entlastet, indem man in den Provinzen kleine Verwaltungsbereiche zusammenfaßte und mehrere eigenständige Verwaltungs­ zentren schuf, die möglichst hoch hinaufgetrieben wurden und an deren Spitze ein Vertreter der kaiserlichen Zentrale stand. Dadurch wurde der kaiserliche H of von einem gewaltigen Beamtenapparat befreit, er war nicht mehr an einen festen Sitz gebunden, sondern konnte dem Kaiser folgen, wohin er sich auch begab. Und die Aufgabe des Kaisers, die von allem Anfang an als eine im besonderen Sinne militärische gefaßt worden war, und die in den großen Gefahren, die dem Reich in der Spätzeit drohten, wieder ganz in ihrer eigentlichen ursprünglichen Bestimmung gesehen wurde, erforderte diese Bewegungsfreiheit. Vordem hatte der Kaiser Rom ver­ lassen, um K rieg zu führen, und war wieder an seinen H of in Rom zurückgekehrt, jetzt war der Kaiser überall, und sein kleiner H of konnte ihm überallhin folgen. Dafür waren in T rier, Mailand und anderswo im Reich große Verwaltungszentren eingerichtet, die der früheren Reichsverwaltung in Rom sehr ähnlich sehen mochten. In der Herrschaftsauffassung Konstantins war der Kaiser vor allem Feldherr; von frühester Jugend an wurden seine Söhne zu diesem Beruf erzogen. Er selbst hat sich in seiner neuen Herrschaftsordnung zwei gleichberechtigte Heermeister unterstellt, die zu seinem H of gehörten, und von denen der eine die Infanterie, der andere die Reiterei befehligte. D ie Teilung geschah mit Bedacht: der Ober­ befehl über das Heer sollte unmittelbar und ausschließlich in der Hand des Kaisers liegen. Bei der Auflösung dieser Ordnung wird ihr Sinn erst ganz deutlich: als später die Kaiser zu wirklicher Herrschaft unfähig waren, da ließen sich die beiden magistri militum auch nicht mehr in dem von Konstantin gewollten Gleichgewicht12 1 Für die Diözesanvikare vgl. o. S. 27 Anm. 3 und u. S. 84. 2 Dieses Gleichgewicht war selbstverständlich nicht dadurch gestört, daß der eine dieser Generäle, und zwar, wie E n s s lin in der unten zu zitierenden Arbeit nachgewiesen hat, zunächst der magister equitum, angesehener bzw. ranghöher war als der andere. A . H o e p fn e r ver­ sucht im Byzantion 11, 1936, 483 diese Aufstellungen E n s s lin s zu entkräften und zu zeigen,

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ihrer Stellung halten, der magister peditum hob sich empor, wurde m it dem T itel magister utriusque militiae und besonderen Vollmachten ausgestattet, bis schließlich er es war, der in W irklichkeit die Geschicke des Reiches bestimmte und dem am Ende die Herrschaft zufiel. Im 5. Jahrhundert haben die Heermeister mehr regiert als die K aiser, und Odovacar herrschte als römischer Heerm eister, nachdem er den letzten römischen Kaiser abgesetzt hatte. Auch das Heermeisteramt wurde, wie dies im Zuge der Z eit lag, insofern entlastet, als im W esten ein eigenes hohes m ilitärisches Kommando eingerichtet wurde, und zwar in G allien, das hier vorerst das einzige wirklich gefährdete G ebiet war. D ie Einführung dieses Am tes geht au f Konstantius II zurück1. A ls er im Jahre 350 nach dem Westen zog, hat er im Osten den U rsidnus als magister equitum et peditum per Orientem zurückgelassen. Schon bald wurde dieser aber in G allien m it der Be­ kämpfung des Silvanus betraut, nach dessen Ermordung er zunächst das Kommando in G allien führte. Er blieb auch dort, als M arcellus sein N achfolger in dieser Aufgabe wurde*12. Dieser M arcellus ist der erste magister equitum per Gallias3, nicht Ursicinus, der während der ganzen Zeit magister equitum et peditum per Orientem geblieben und nur m it einem Sonderauftrag betraut war, was daraus hervorgeht, daß seine Stelle im Osten nicht neu besetzt, sondern von einem vicarius versehen wurde. D ie Ernennung des gallischen Heermeisters ist also gleichzeitig m it der Ernennung Julians zum Caesar in Gallien erfolgt, und beides steht in innerem Zusammenhang : der Oberbefehl über das Heer in Gallien konnte nicht dem unerfahrenen Caesar gegeben werden, präsentalische magistri militum konnten ihm also nicht unterstellt werden, so blieb nur übrig, dieses Sprengelmagisterium zu schaffen, über das Julian erst Hann Befehlsgewalt erhalten sollte, wenn er sich als fähig erwiesen hatte4. Das Am t, dessen Schaffung ganz in der Richtung konstantinischer Politik liegt — wie überhaupt im W irken Konstantius II das väterliche Erbe sehr stark zu spüren ist — , wurde nicht wieder aufgehoben, sondern blieb bis zum Untergang der römischen daß im Westen bis Gratian und im Osten überhaupt kein Rangunterschied zwischen den beiden Heermeistern bestand. Indessen gelingt es ihm nicht, alle Beweisstücke E n s s l i n s aus dem Wege zu schaffen (vgl. S. 489). Sicher ist allerdings, daß nicht von einem Über­ gewicht oder gar einer Überordnung des magister equitum gesprochen werden darf — eine Aussage, die H o e p fn e r S. 487 zu Unrecht E n s s lin unterschiebt — , sondern allenfalls von einem höheren Ansehen, das wohl einfach auf der Höherschätzung der Reiterei gegen­ über der Infanterie beruhte. 1 Das Heermeisteramt der Spätzeit behandelt E n s s lin in einer sehr eindringlichen und ertragreichen Monographie, Klio 23, 1930, 306ff. und 24, 1931, 102ff. 467ff. 2 Ammian. 16, 2, 8. 3 Ammian. 16, 4, 3 und 16, 7, 3. 4 Er erhielt sie dann auch später: Sozom. 5, 2; Iulian. ep. ad Athen, p. 357— 359; Zosim. 3, 3, i . Wenn aber Konstantius im Jahre 360 Truppen aus Gallien verlangt und sich wegen der Feldtruppen nicht an Julian, sondern an den magister equitum per Gallias Lupicinus wendet (Ammian. 20, 4, 3), so scheint das dafür zu sprechen, daß der Ober­ befehl Julians nicht so sehr ein rechtlicher als ein faktischer war, und daß der gallische Heermeister immer noch in erster Linie den präsentalischen magistri militum und somit dem Kaiser selbst unterstand.

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Herrschaft in Gallien bestehen. Allerdings wurde die Stelle nicht immer besetzt. So hatte Valentinian I und Gratian, da sie immer in Gallien residierten, keinen magister equitum Galliarum, dessen Aufgaben die magistri militum des kaiserlichen Hofes erfüllten1. Wahrscheinlich hat aber schon Gratian selbst, als er sich zum Feldzug nach dem Osten rüstete, wieder einen gallischen Sprengelkommandanten eingesetzt, sicher hat dies Maximus beim Aufbruch nach dem Osten getan12. Im Range stand der magister equitum per Gallias nicht nur den beiden Heermeistem am Hofe nach, sondern er war geradezu ihr Untergebener3. Er war Vertreter und gleich­ zeitig Unterbefehshaber der beiden Heermeister in Gallien, als solcher kommandierte er Infanterie und Kavallerie des Feldheeres4. D ie auffallende Stellung, die dem magister equitum Galliarum in der notitia digni­ tatum zukommt, scheint auf eine besondere historische Situation hinzuweisen und verdient darum Beachtung. Nach der A rt, wie er im ersten Kapitel zusammen mit den beiden Heermeistem am Hofe (occ. 1 5— 7) genannt wird, erwartet man im Anschluß an die Kapitel des magister peditum (V) und des magister equitum (V I) einen besonderen Abschnitt mit der Aufzählung der unter dem Befehl des gallischen Heer­ meisters stehenden Truppen. Statt dessen steht im Kap. V II neben den Rubriken der einzelnen comites auch eine, die dem magister equitum Galliarum und seinen Truppen gilt ( V I I 63— 117. 166— 178). Diesem Abschnitt ist entgegen dem Brauch dieses Kapitels, aber entsprechend der Gewohnheit der selbständigen Kapitel der Heermeister und Generäle eine Übersicht über die Kanzlei des gallischen Heer­ meisters angehängt (V II i n — 117). Daraus geht hervor, daß dieser Abschnitt ur­ sprünglich selbständig war und erst später in das siebente Kapitel eingefugt wurde. Gar nicht mehr kennt den magister equitum Galliarum offenbar das fünfte Kapitel. Denn, obwohl Untergebener des Heermeisteramts am Hofe, fehlt er zu Beginn dieses Kapitels unter der Aufzeichnung der Generäle, andererseits werden seine gallischen Feldtruppen wie alle anderen in diesem und dem folgenden Kapitel mit aufgeführt, so daß die Auskunft, das Kap. V setze ein selbständiges, neben sich stehendes Kapitel des gallischen Heermeisters voraus, verfehlt wäre. Daß hier historische Vorgänge ihren Niederschlag gefunden haben, wird sofort klar, wenn diese Beobachtungen in das chronologische Gefüge der notitia dignitatum eingeordnet werden. Das siebente Kapitel ist frühestens um 410 geschrieben, das fünfte einige Jahre später, aber noch 1 E n s s lin , Klio 24, 1931, I23lf. 133. * Nach E n s s lin s Vermutung a. 0 . 133 ist Vallio gallischer Heermeister des Gratian gewesen. Für Maximus liegt der Bericht des Sulpicius Alexander bei Gregor v. Tours 2, 9 vor: Nanmnus — den E n s s lin mit Recht mit dem bekannten Nannienus identifiziert — et Quintinus militum magistri, quibus infantiam filii et defensionem Galliarum Maximus commiserat. 3 Wie die connus und duces erhielt er später auch von ihnen den Leiter seiner Kanzlei, den princeps officii (not. dign. occ. V II 112). 4 Deshalb führte er zunächst auch den Titel magister equitum et peditum Galliarum, der aber schon bald zur Bezeichnung magister utriusque militiae Galliarum zusammengezogen wurde. Später wird er magister equitum Galliarum genannt. So heißt er bei Ammian und in der notitia dignitatum. Zu dieser ganzen Entwicklung vgl. E n s s lin , Klio 23, 3i5ff. 3 i9f.

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vor 419. Im Jahre 408 fiel der damalige gallische Heerm eister Chariobaudes1. F.inpn N achfolger erhielt er offenbar wegen der ganz undurchsichtigen Lage in G allien nicht, das, der Regierung nicht mehr hörig, in die Hand von Aufständischen, Bar­ baren und Usurpatoren geraten war. Aber auch als zehn Jahre später der Patrizier Konstantius das Land wieder geordnet hatte, scheint ein gallischer Heermeister nicht ernannt, zum Ersatz dafür aber eine neue Kom m andostelle in Spanien, das Am t des comes Hispaniarum, geschaffen worden zu sein. D ies blieb so, bis nach langer Pause im Jahre 429 Aetius als erster einer langen Reihe von Nachfolgern wieder gallischer Heermeister wurde12. Das siebente K apitel der notitia dignitatum, in das das ehemals selbständige des gallischen Heermeisters eingeschoben wurde, zeigt die Auflösung dieses Am tes an, im fünften K apitel deutet au f sein früheres Bestehen überhaupt nichts mehr hin. Den innersten Sinn der konstantinischen Herrschaftsgestaltung, wie sie in seinen Reformen angelegt war, verwirklichte Konstantius II in seiner Regierung. Er herrschte allein, und ihm unterstand das ganze Reich. In harter entsagungsvoller Arbeit, ohne jedes Herrscherrecht sollte der Caesar Julian zum Augustus erzogen werden. Als er schließlich, von den Soldaten m it dem Diadem gekrönt, um Aner­ kennung als Augustus bat, wurde sie ihm verweigert, nicht von einem m ißtrauischen und ängstlichen Kaiser, sondern von einem, der sich als der Erbe Konstantins be­ wußt war, daß das Reich zerfallen m ußte, wenn die Alleinherrschaft aufhörte. Julian trat nach dem W illen des Konstantius in G allien gewissermaßen neben die eigenständige Verwaltung des Sprengels; seine Befugnisse, einzugreifen und m it­ zuwirken, waren genau abgegrenzt. Ganz ausgeschlossen war er von der Fiskal­ verwaltung, denn an seinem H ofe gab es keinen comes sacrarum largitionum, und der comes largitionum per Gallias unterstand ihm nicht3. Das Verhältnis zum gallischen Präfekten war so geregelt, daß dieser zunächst wie alle hohen Beamten vom Kaiser ernannt w urde4, dann aber auch insofern seine Selbständigkeit behielt, als zwar, wie es scheint, die Zustimm ung des Caesars zu seinen Maßnahmen erforderlich war, der Caesar aber nicht selbständig in sein Ressort eingreifen konnte5. Schließlich fehlte Julian, wie wir oben gesehen haben, im Bereich des M ilitärischen zunächst jede Kommandogewalt, erst später wurde er — wenn auch nicht unbeschränkter — Befehlshaber der gallischen Truppen. Valentinian I brach m it dieser Herrschaftsauffassung, wie sie sich von Konstantin herleitete. A ls O ffizier Julians in Gallien mochte er sich davon überzeugt haben, daß dieses Land ebenso wie der Osten einen Kaiser brauche, daß überhaupt e in Kaiser 1 S u n d w a ll, Weström. Studien (1915) 62. 2 Es war ein Fehler, wenn B u r y , Joum. Rom. Stud. 10, 1920, 145 überhaupt hier erst das Am t einsetzen läßt. Vgl. S u n d w a ll a. 0 . 36 und E n s s lin , K lio 24, 476f. A ls wieder ein gallischer Heermeister wirkte, hörte auch das als Ersatz geschaffene spanische Kommando auf (B u ry a. 0 . 145). 3 Ammian. 22, 3, 7. Vgl. o. S. 28. * Ammian. 16, 7, 1 und 10, 21. 20, 8, 14 und 9, 5. 5 Ammian. 17, 3.

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der riesenhaften Last des Reiches nicht gewachsen sei; vielleicht hat ihn auch die Aussicht, daß gegen den einen Kaiser sofort wieder ein Usurpator auftreten werde, dazu bestimmt, die Herrschaft zu teilen und damit den Anstoß zur Teilung des Reiches zu geben. Wie dem auch sei, nach langer Zeit zog in die Kaiserstadt Trier wieder ein legitimer Herrscher ein — der Caesar Julian vor ihm hatte wohl auf Ver­ anlassung des Konstantius seinen Sitz in der traditionslosen Stadt Paris inmitten Galliens nehmen müssen — und die Gallier baten ihn, sie nicht wieder zu verlassen1. M it dem Kaiser waren seine Palasttruppen, seine Heermeister und die obersten Hofbeamten in Gallien, so daß nun für lange Zeit die stellvertretenden Ämter, das des comes largitionum per Gallias und das des magister equitum Galliarum, unbesetzt bleiben konnten. Aber dieser für Gallien so verheißungsvolle Anstoß blieb ohne dauernde Wirkung. Nach den Unruhen, die dem Tode Gratians gefolgt waren und lange Jahre gefüllt hatten, übernahm Honorius die Regierung des Westens, dessen Maßnahmen für Gallien von der einschneidendsten Bedeutung werden sollten. Im Westen hatte sich die Lage im Laufe der Zeit verschoben. Die Kaiser, zuletzt noch Arbogast, hatten mit Erfolg die Rheingrenze gehütet. Gallien war ruhig. Dafür brachen in Pannonien die Barbaren ein, und die Balkanprovinzen, um die sich nach dem Tode des Theodosius die Herren des Ostens und des Westens stritten, wurden von den Goten geplündert. Angesichts dieser Lage sah sich die Regierung des Westens veranlaßt, ihre bisherige exponierte Residenz zu verlassen und sich auf die innere Grenze zurückzuziehen. Der H of wurde von Trier nach Mailand verlegt. Und wie wenig man diese Maßnahme als ein nur vorübergehendes Auskunftsmittel betrachtete, ließ sich daran sehen, daß man die Trierer Münze aufließ und an deren Stelle die Mailänder setzte12, daß man ferner den gallischen Präfekten von Trier weg­ zog und, um in möglichst naher Verbindung mit der gallischen Verwaltung zu sein, seinen Sitz für im m er nach Arles verlegte3. Man mag diese Maßnahmen vom Stand­ punkt eines Stilicho aus verstehen, für Gallien bedeuteten sie den Anfang vom Ende. Noch blieb zwar während der ersten zehn Regierungsjahre des Honorius alles ruhig, so nachhaltige Wirkung ging von der kraftvollen Regierung Valentinians und Gra­ tians aus, dann aber stürmten die Germanen über die Grenzen, brachen Aufstände im Innern aus, erhoben sich Usurpatoren und suchten die Herrschaft an sich zu 1 Ammian. 26, 5, 12. 2 Vgl. o. S. 28 Anm. 4. 3 Dies ist vor dem Jahre 402 geschehen, wie Z e lle r , Westdeutsche Zeitschr. 23, 1904, 9 iff. und 24, 1905, 4 f. erwiesen hat. Vgl. dazu E. S t e in , Rhein. Mus. 74,1925, 358 Anm. 2 und Gesch. I 378. Der Grund dafür war allerdings gewiß nicht die Unzulänglichkeit des Grenzschutzes, denn abgesehen davon, daß diese Maßnahme mit allen anderen eben be­ schriebenen im Zusammenhang steht, war die Grenze vorerst überhaupt noch nicht ge­ fährdet. Hängt aber die Verlegung der Präfektur mit der endgültigen Verlegung der Re­ sidenz nach Oberitalien zusammen, so wird man aus diesem ursächlichen Zusammenhang auch auf einen zeitlichen schließen dürfen, die Verlegung der Präfektur also tim das Jahr 39s ansetzen. Gut sind die Bemerkungen von J.-R. P a la n q u e , Rev. des étud. anc. 36, 1934, 364 f. Zu dieser Maßnahme, die P. auch richtig um das Jahr 395 datiert, ohne daß allerdings seine Beweisführung hierfür auch nur irgendwie stichhaltig wäre, vgl. o. S. 17. Phil.-hist. Abh. 1938. N r .2 .

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reißen, die ihnen sogleich wieder entrissen wurde. U nd doch war der Blick dieser Usurpatoren nie auf ein vom Reich getrenntes Gallien gerichtet, immer war die Herrschaft über das Imperium ihr Ziel. Separatistische Bestrebungen stoßen in den unruhigen Zeiten nach der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert in keltischen Gebieten wie der Aremorica an die Oberfläche, der eigentlich gallische Partikularismus trägt ganz andere Züge1. Er erwachte bezeichnenderweise in dem Moment, als sich die Regierung von der Peripherie des Reiches in die Mitte zurückzog und damit die Tradition der diokletianisch-konstantinischen Politik verließ, der sich die Kaiser während des 4. Jahrhunderts verpflichtet gefühlt hatten. Auch da galt aber der K am pf der Gallier nicht dem Reich, sondern der Reichsregierung. Sie kämpften um das Reich. Wenn im 5. Jahrhundert die Träger der Zentralgewalt in Gallien vorzüglich Einheimische waren, so war das nicht die Folge partikularistischer Agi­ tation, sondern umgekehrt der Versuch einer Regierung, das von ihr fallen gelassene Gallien schonsam zu behandeln. Immer wenn ein wirklicher Einsatz der Reichs­ regierung für Gallien zu spüren war, wie etwa unter Majorian, hörte auch der gallische Widerstand auf. Ja, Gallien hätte gar nicht mehr die Kraft gehabt, sich allein gegen die im Innern immer weiter um sich greifenden und von außen andrän­ genden Germanen zu behaupten. Es brauchte das Reich. Die T at des Avitus ist der verzweifelte Versuch, wieder zurückzufinden in die Zustände vor Honorius, Gallien wieder in seine Rechte einzusetzen, das Reich wieder für Gallien zu gewinnen. Der Versuch schlug fehl, und die Auflösung ging imaufhaltsam vorwärts. Die Zentralverwaltung blieb in Gallien bis zum Untergang der römischen Herrschaft erhalten, ihre einstmalige Bedeutung hatte sie längst verloren. Im Norden hatte sich der von Majorian begünstigte magister militum Ägidius dem Regimente Rikimers widersetzt, während der Süden des noch römischen Gallien in die Hand der Re­ gierung kam, die hier den Agrippinus zum gallischen Sprengelkommandanten ernannte12. Norden und Süden blieben von nun an getrennt. Die Nachfolger des Ägidius, Paulus und Syagrius haben auf eigene Faust regiert, der letzte hat sich bis zum Jahre 487 gehalten, während im Süden mit dem Verlust des letzten Rests römischen Gebietes, dem Landstrich südlich der Durance, im Jahre 477 die römische Verwaltung zu Ende ging3. Das römische Erbe traten die Germanen an. Immer mehr hatten im Laufe des 5. Jahrhunderts germanische Stämme im römischen Gallien Fuß gefaßt. Im Westen war den Goten im Jahre 418 Land ange­ wiesen worden, das der Kern des westgotischen Reiches werden sollte, im Norden waren schon vorher die Franken in die belgischen und germanischen Provinzen 1 Für das Folgende vgl. S u n d w a ll, Weström. Stud. io ff. 2 So richtig E n s s lin , K lio 24, 451 gegen S u n d w a ll. Das Am t eines comes Galliarum ( S u n d w a ll a. O. 37) gibt es nicht. 3 Bis zuletzt lassen sich gallische Präfekten nachweisen; vgl. S u n d w a ll a. O. 23f., wo zum 29. April 473 nicht Protadius, sondern Aurelianus zu schreiben ist ( S e e c k , Re­ gesten 473). Gegen Seronatus als praefectus praetorio Galliarum E. S t e in , Gesch. I 580 Anm. i.

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eingedrungen, und im Süden dehnten sich die im Jahre 443 in Savoyen angesiedelten Burgunder immer weiter aus1. Alle diese Stämme standen zum römischen Imperium im Verhältnis von foederati. Wir kennen allerdings weder die Verträge, die von den germanischen Königen abgeschlossen wurden, noch durchschauen wir im einzelnen die historische Entwicklung, die die Beziehungen zwischen Rom und diesen Foederaten nahmen, und die aus anfänglicher Abhängigkeit zu immer größerer Selb­ ständigkeit führte. Die Grundzüge waren jedoch folgende: die Foederaten waren zu militärischem Zuzug unter Beibehaltung ihrer einheimischen Formationen und unter ihren eigenen Führern verpflichtet12. Dafür erhielten sie Landsitze auf römischem Gebiet und behielten ihre Autonomie. Nichts anderes als müitärischen Schutz sollte also das Reich auf diese Art erhalten. Die eigene Wehrkraft: war schon längst im Schwinden, das Reich nicht mehr in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Da schien es der beste Weg zu sein, denen die Verteidigung anzuvertrauen, vor denen man sich nicht mehr zu sichern wußte. Vielleicht gab man sich auch dem Irrtum hin, durch eine solche Blutsemeuerung die Kräfte des Reichs wieder stärken zu können. Dazu war das Verhältnis aber zu imgleich; die bodenständige Bevölkerung war nicht widerstandsfähig genug, um sich den Germanen gegenüber durchsetzen zu können3, für die das Ziel, Herren des Landes zu werden, nahe genug lag, um es nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Im Gegensatz zu den außerhalb der Reichsgrenzen sitzenden Foederaten ergaben sich für die in Gallien siedelnden dadurch Kompli­ kationen, daß das Niederlassungsgebiet dieser Stämme von römischen Untertanen eingenommen war. Erfolgte die Besiedelung nicht auf Grund von Eroberung, sondern von vornherein kraft eines Vertrags, wie bei den Westgoten und Burgundern, so wurde das Land nach einer bestimmten Quote unter die Neuankömmlinge und die Römer geteilt4. Die Römer galten außer im fränkischen Reich, wo sie ent­ sprechend der kriegerischen Besetzung als Unterworfene behandelt wurden, als Gleichberechtigte. Sie lebten nach eigenem Recht und Gesetz. Wie sich unter diesen Umständen ihr Verhältnis zum Reich gestaltet hat, wissen wir nicht. Wahr­ scheinlich blieb die römische Verwaltung noch einige Zeit in den föderierten G e­ bieten erhalten, dann jedoch übernahm der germanische König die Funktion der römischen Zentralverwaltung56 . Damit war aber faktisch die volle innere Souveränität erreicht. Und die geschichtlichen Ereignisse führten auch immer mehr zur äußeren 1 L . S c h m id t, Gesch. der deutsch. Stämme I2 (Die Ostgermanen) i38ff. 46off. II 455. 2 Vgl. M o m m se n , Ges. Schrift. V I 225fr. 8 Wenn die Germanen später von der einheimischen Bevölkerung romanisiert wurden, so zeigt das nur, daß die Kraft der Selbsterhaltung allmählich nachließ, was sich gerade immer wieder bei den germanischen Gruppen feststellen läßt, die nicht mehr in Berührung mit dem Mutterboden standen. 4 Der Westgote und der Burgunder erhielten vom Ackerland zwei Drittel, von dem an­ fänglich ungeteilten Wald- und Weideland später wohl die Hälfte, von den Sklaven ein Drittel; bei späteren Teilungen wurde die Quote im Burgunderreich, wie sie es zu Anfang war, für die Einheimischen günstiger; L .S c h m id t a.O. I2i 7 i f . 505f. E. S t e in , Gesch. I 406. 491. 569. 6 Für das Westgotenreich nehmen L . S c h m id t a. Ο. I2 463. 503 und E. S te in , Gesch. I 407, an, daß die römische Verwaltung wenigstens anfänglich noch erhalten blieb.

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Unabhängigkeit vom Reiche. Unter Theoderich I wurde das westgotische foedus um das Jahr 439 gelöst und erst wieder von Theoderich II im Jahre 453 erneuert1. In dieser Zeit aber schufen die foedera nur noch der Form nach Abhängigkeits­ verhältnisse, in Wirklichkeit waren sie nichts mehr als politische Alliancen freier Staaten. W ie weit sie für Rom fruchtbringend waren, hing von dem Grad der Loyalität der Souveräne ab. Hervorgetan hat sich in dieser Hinsicht vor allem das burgundische Reich, das nach den ungeheuren Blutverlusten, die es erlitten hatte, nicht nur seinen römischen Untertanen, wie es im Interesse des eigenen geschwächten Volkes lag, das ius conubii mit den Burgundern gab12, sondern auch immer dem Reiche die Treue bewahrte. In die Hände von Burgunderfürsten legte die Reichsregierung schließlich die Verteidigung Galliens3. In einem Briefe des Papstes Hilarius vom Jahre 463 wird der Burgunderkönig Gundiok vir inlustris magister militum genannt45 ; er hatte diese Würde dem Rikimer zu verdanken, gegen den sich der bisherige gallische Heer­ meister Aegidius aufgelehnt hatte. Es scheint, daß nach Gundioks T ode im Jahre 470 das Am t seinem Sohne Gundobad übertragen wurde, der jedenfalls im Jahre 472 als στρατΗλάτΗς τόον Γαλλιώ ν bezeichnet wird®. Von Rikimer zum K am pf gegen Anthemius nach Italien gerufen, wurde Gundobad im selben Jahre noch vom Kaiser Olybrius zum zweiten präsentalischen Heermeister ernannt. Sein Nachfolger im gallischen Heermeisteramt wurde sein Oheim, der Burgunderkönig Chilperich, der im Jahre 474 als magister militum in Gallien bezeugt ist®. Kaum etwas bezeichnet besser die Lage, in der sich Gallien und das weströmische Reich kurz nach der Mitte des 5. Jahrhunderts befanden, als daß diese föderierten germanischen Fürsten, die letzten gallischen Heermeister, von denen wir wissen, im Aufträge des Reiches die Verteidigung Galliens leiteten. Die Erhaltung Galliens war auf die Loyalität der ver­ bündeten Germanen gestellt und auf die Selbsthilfe der Gallier. Denn nicht weniger bezeichnend ist es, daß zur selben Zeit ein Mann aus gallischem Adel, Syagrius, der Sohn des ehemaligen gallischen Heermeisters Aegidius, mit seinen Truppen auf eigene Faust gallisches Gebiet verteidigte und sich noch zehn Jahre über den Fall des weströmischen Reiches hinaus hielt, bis ihm der letzte Rest römischen Gebiets um das Jahr 487 vom Frankenkönig Chlodwig in der Schlacht bei Soissons entrissen wurde. 1 W . E n s s lin , RE X A 1736fr. 2 Zu dem ius conubii in föderierten Staaten G . H u m b e r t, D ict. des antiq. II 1213. L . S c h m id t a. Ο. I2 170. 3 Zum Folgenden vgl. E n s s lin , K lio 24, 493. 4 M . G . H . epp. V I p. 28 n. 19. Dazu L . S c h m id t a. Ο. I2 176fr. 5 Malalas X IV S. 374f. ed. Bonn. Diesen Bericht will E n s s lin a. O. als fehlerhaft verwerfen, da Chilperich im Jahre 470 bei der Ernennung eines Nachfolgers des Gundiok im gallischen Heermeisteramt schwerlich hätte übergangen werden können. Ich sehe keine Schwierigkeit darin, daß Rikimer nach dem Tode seines Schwagers zuerst seinen Neffen und dann erst den Bruder seines Schwagers mit diesem Am t betraute. 4 Apoll. Sid. ep. V I 6, 2.

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Die notitia dignitatum als Quelle. Bevor wir im einzelnen die Entwicklung der spätrömischen militärischen Ver­ waltung in Gallien schildern, sind wir genötigt, die Hauptquelle für sie einer eingehenden interpretatorischen Betrachtung zu unterziehen, da sich aus ihrem richtigen Verständnis Erkenntnisse gewinnen lassen, die für unsere Fragestellung von Belang sind. Die vorbereitende Betrachtung ist deshalb nötig, weil das Wasser dieser Quelle getrübt ist und der Klärung bedarf. Noch niemand hat bezweifelt, daß die notitia dignitatum kein einheitliches Dokument ist, was sich schon daraus ergibt, daß z. B. die Kapitel occ. V und V II nicht zu derselben Zeit entstanden sein können. Damit ist aber von vornherein methodisch die Möglichkeit elastischer Interpretation gegeben, ja es muß die Forderung nach ihr gestellt werden. Das Vorgehen B u r y s 1, dessen Ergebnissen, vor allem seiner Datierung der Schluß­ redaktion der notitia dignitatum auf das Jahr 428, E. S te in 12 beigepflichtet hat, ist demgegenüber zu starr. Schwerwiegende Einwände sind inzwischen vorgebracht worden: A. A l f ö l d i hat erwiesen, daß die pannonischen Kapitel der notitia digni­ tatum den Zustand am Ende des 4. Jahrhunderts darstellen, als diese Provinzen der direkten römischen Verwaltung entzogen wurden3. In allerjüngster Zeit hat E. P o lasch e k wieder mit Erfolg gezeigt4, daß die notitia dignitatum in verschiedenen Zeiten zuzuweisende Teile auseinanderfällt. Indessen bedürfen auch seine Be­ stimmungen im einzelnen der Korrektur. Wir halten den Beweis, daß Kapitel occ. V jünger ist als V II, deshalb für er­ bracht, weil eine Anzahl von Truppenkörpem in Kapitel V einer höheren Rangstufe angehört als in Kapitel V II, inzwischen also befördert worden ist56 . Es ist aber be­ 1 Joum. Rom. Stud. 10, 1920, 131fr. 3 18. Bericht der Röm.-germ. Komm. (1928) 92fr. a Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien II (1926) 59 ff. 4 RE X V II 1077ff. Etwa zu gleicher Zeit, aber unabhängig von P o la s c h e k hat F. L o t in der Revue des Étud. anc. 38, 1936, 285ff. die B u rysch e Datierung der not. dign. zum Gegenstand einer umfangreichen Polemik gemacht, die aber sehr im Allgemeinen bleibt und nur gelegentlich, nicht immer mit Glück, ins Einzelne geht. Das Ergebnis ist, daß der Text der not. dign., »tel que nous le possédons, a été exécuté entre 379 et 406— 408«. Da Inter­ pretationen der auf Gallien bezüglichen Teile der not. dign. fast überhaupt fehlen, ist ein näheres Eingehen auf diese Arbeit hier nicht am Platze. 6 Zuletzt verteidigte P o la s c h e k a. O. 1093 diese von S e e c k begründete Ansicht (vgl. auch G r o s s e , Röm. Militärgesch. 91 f.) gegen B u r y , der sie verwirft, ohne sie ernstlich zu widerlegen, und gegen E. S t e in , der sich ihm ohne Hinzufügung weiterer Gründe anschließt. Keine Schwierigkeit machen der Erklärung die Truppen, die Kapitel V II mehr hat als V, sie können 1. vor Abfassung von V zugrunde gegangen oder 2. nach Abfassung von V neu­ geschaffen sein. Schwieriger ist die Beurteilung der 5 Abteilungen, die Kap. V mehr hat als Kap. V II. Bei zweien (V 261/262) legt ihre Eigenschaft als pseudokomitatensische Legion die Deutung nahe, daß sie, nach Abfassung von Kap. V II aus dem Grenz- in das Feldheer ver­ setzt, vor der Zufügung der Nachträge zu diesem Kapitel zugrunde gegangen sind. Für die drei anderen, palatinische Auxilien (V 183. 207. 217), mag die Erklärung P o la s c h e k s a. O. 1096 zutreffen, daß ihr Fehlen in Kap. V II auf die zwischen den einzelnen Teillisten be­ stehenden Zeitlücken zurückzuführen sei.

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zeichnend fü r die komplizierte Schichtenlage in der notitia dignitatum, daß nichts­ destoweniger in Kapitel V II Nachträge stehen, die nach der Abfassung von Kapitel V in jenem zugefügt sind, in diesem aber fehlen. Damit ist schon eine der Besonder­ heiten der notitia dignitatum ins Licht gerückt: daß ein Kapitel in späterer Zeit Zusätze erhalten haben kann, ohne daß es als solches der Situation dieser späteren Zeit entsprechend umgestaltet worden wäre, d. h. ohne daß zugleich mit den Zu­ sätzen auch die nötigen Streichungen vorgenommen worden wären. Es ist bekannt, daß in zwei Kapiteln des Grenzheeres, sowohl des dux tractus Armoricani (X X X V II) wie des dux Mogontiacensis (X L I), Truppennamen Vorkommen, die in der Aufzählung der Gliederungen des Feldheeres in Kapitel V und V II wieder­ kehren. Man hat diese Gleichnamigkeit verschieden erklärt. A l f ö l d i a. O. 78ff. hielt die Truppen fü r identisch, glaubte also, daß die als T eil des Feldheeres auf­ gezählten Abteilungen in Grenzbezirken lagen und einem General des Grenzheeres unterstellt waren. E. S t e i n a. O. 93 ff. hat diese Ansicht überzeugend wiederlegt, indem er einmal zeigte, daß die Gleichsetzung der Grenztruppen der beiden oben­ erwähnten Dukate mit Feldtruppen nicht ganz durchgeführt werden kann, und indem er auf die Tatsache hinwies, daß »soviel wir wissen, nur Limitanformationen geziegelt haben«. Gerade von den Truppen des Mainzer Dukats sind aber zahl­ reiche gestempelte Ziegel erhalten. Nach S te in s Ansicht erklärt sich die Wieder­ holung der Namen daraus, daß Stammtruppen aufgespalten worden sind, von denen der eine T eil im Grenzheere zurückblieb, der andere ins Feldheer versetzt wurde. Für diese Theorie läßt sich nicht mehr sagen, als daß sie eben das Vorhandensein der gleichen Namen in den verschiedenen Kapiteln erklärt ; wahrscheinlich machen, geschweige denn beweisen läßt sie sich nicht. Sie bedarf also, findet sich eine glaub­ haftere Lösung, so wenig der Widerlegung, wie sie bewiesen worden ist. Einen ersten Hinweis zum rechten Verständnis des zur Rede stehenden Tatbestandes gibt uns folgende Beobachtung: unter den komitatensischen Legionen des magister equitum Galliarum erscheinen in Kapitel V und V II unter anderen Praesidienses, Geminiacenses und Cortoriacenses, die alle ihre Namen von einem Gamisonsort herleiten. Die beiden letzten beziehen sich auf ein bei dem heutigen Gosselies in Belgien an­ zusetzendes Geminiacum und auf Courtrai. N un widerspricht eine Benennung nach dem Gamisonsort dem Wesen der eben nicht fest gamisonierenden Truppen des Feldheeres so, daß der Name sicher nicht, wie S t e i n annimmt, den Standort der Truppe meinen kann, den sie als festen gar nicht hat. D er Fall liegt offenbar ähnlich wie bei den Comacenses, die, obwohl T eil des gallischen Feldheeres, doch den von ihrem früheren pannonischen Gamisonsort abgeleiteten Namen beibehielten. Auch die Geminiacenses und die Cortoriacenses waren einstmals Truppen des Grenzheeres. Dieser Schluß aus dem Namen fügt sich bestens zu dem, was wir auf den folgenden Seiten über die Grenzverteidigung der Spätzeit ermitteln werden. Vielleicht ist die Entwicklung von der Grenzgamison zum Truppenkörper des Feldheeres über die Zwischenstufe der pseudokomitatensischen Legion vor sich gegangen, zu deren Wesen es gehört, daß sie durch Versetzung von Grenztruppen ins Feldheer ent­

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standen ist1; die notitia dignitatum zeigt allerdings nur noch das Endergebnis an, aus dem auf die Vorstufen lediglich geschlossen werden kann. Bei dem oben dar­ gestellten Verhältnis von Kapitel V und V II zueinander ist der Fall aber durchaus denkbar, daß die notitia dignitatum selbst noch zwei Stufen einer entsprechenden Entwicklung aufweist. Nehmen wir die Feststellungen über die Geminiacenses und Cortoriacenses in den Blick sowie die Tatsache, daß die einzelnen Kapitel der notitia dignitatum nicht gleichzeitig entstanden zu sein brauchen, so bietet sich für die Namensgleichheit der Truppen, von der zu Anfang die Rede war, folgende Er­ klärung an: sie sind, wie A l f ö l d i gesehen hat, miteinander identisch, aber so, daß aus den Grenztruppen, die die Kapitel X X X V II und X L I nennen, zur Zeit, als Ka­ pitel V II (und V) abgefaßt wurde, pseudokomitatensische Legionen geworden sind2. Es würde also eine Entwicklung in der notitia dignitatum selbst faßbar werden, die für die nachdiokletianische Zeit charakteristisch ist, nämlich eine allmähliche Ent­ wertung des Grenzheeres und das immer stärkere Hervortreten der Feldarmee. Bevor wir auf Momente hinweisen, die unsere Ansicht zu stützen scheinen, wollen wir noch einmal das relative zeitliche Verhältnis, das sich fü r die einzelnen Kapitel bis jetzt ergibt, klarstellen. Am ältesten sind die Kapitel des dux tractus Armoricani und des dux Mogontiacensis. Als nächste Stufe folgt Kapitel V II, das die Truppen des Feldheeres in ihrer Verteilung auf die einzelnen Bezirke anführt; unter ihnen befinden sich ehemalige Grenztruppen der eben genannten Dukate, die also in der Zwischenzeit ins Feldheer versetzt wurden. Einer noch späteren Schicht gehört das Kapitel V an, in dem die Feldtruppen ihrer Gattung und ihrem Range nach aufgezählt werden. Tragen wir in diese vorläufige Konstruktion die Namen der Truppen ein, um die es hier geht, so zeichnen sich schon jetzt historische Ergebnisse ab. W ir stellen neben die Truppennamen des Kapitels X X X V II diejenigen Namen aus Kapitel V II und V , die sich auf dieselben Truppen beziehen. X X X V II

V II

V

14 coh. I novaArmoricana, Grannona (b. Bayeux) /5 rmlit. Carronenses, Blabia (Blaye a. d. Gironde)

99 Garronenses

16 milit. M auri Beneti, Benetis (Vannes)

1 G r o s s e , Röm. Militärgesch. 91; E. S te in , 18.Bericht 105. Die Comacenses sind noch zur Zeit der notitia dignitatum eine solche pseudokomitatensische Legion. 2 In Form einer Frage deutet P o la s c h e k a. O. 1094 diese Möglichkeit an, ohne jedoch eine zureichende Begründung zu geben.

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H. N e s s e l h a u f : X X X V II

V II

V

17 milit. Mauri Osismiaci, Osismis (Brest)

94 Mauri Osismiaci

268 Mauri Osismiaci

18 milit. Superventores, Mannatias (Nantes)

96 Superventores imiores

2 jo Superventores im i­ ores

19 milit. Martenses1, Aleto (Aleth)

91 Martenses

26$ Martenses

20 milit. primae Flaviae, Constantia (Coutances)

90 Prima Flavia Galli­ cana

264 Prima Flavia Galli­ cana, Constantia

21 milit. Ursarienses, Rotomago (Rouen) 22 milit. Dalmatae, Abrincatis (Avrenches)

104 Cursariensies im i­ ores 92 Abrincateni

266 Abrincateni

23 milit. Grannonenses, Grannono (b. Bayeux) Von den zehn Garnisonen des tractus Armoricanus waren bei Abfassung von Ka­ pitel V II nicht weniger als sieben im Feldheere. Das hat die Auflösung dieses Grenzdukats zur unbedingten Voraussetzung12. Das Fehlen der zwei weit ausein­ anderliegenden Garnisonen Grannona (bei Bayeux) und Vannes in Kapitel V II kann nicht so gedeutet werden, daß sie weiterhin im Grenzheere dem dux Armoricanus unterstellt blieben. Diese Truppen sind vermutlich vor der Zeit dieses Kapitels zugrunde gegangen, oder sie wurden aufgelöst und auf andere Formationen, vielleicht die ins Feldheer übernommenen, verteilt. Das Kapitel V zeigt die Auflösung der ehe­ maligen nordwestgallischen Grenzgamisonen schon in einem weiteren Stadium: im Feldheer befinden sich nur noch fü n f Abteilungen, die zwei fehlenden werden in der Zwischenzeit vernichtet oder aufgelöst worden sein. Ein ähnlicher Vorgang wie in dem eben besprochenen Dukat muß sich im Be­ fehlsbereich des dux Mogontiacensis (occ. X L I) abgespielt haben, dem die Grenz-

1 Da es auch im Heere des dux Mogontiacensis (X L I 19) Martenses gibt, so erscheint unsere Zuweisung fragwürdig. Bei der Betrachtung der Truppen des Mainzer Dukats wird sich aber zeigen, daß die meisten von ihnen in Kapitel V II schon nicht mehr genannt werden, in der Zeit von Kap. V aber überhaupt keine mehr besteht. 2 Eine Bestätigung dafür darf vielleicht in seinem Fehlen zu Beginn von Kap. V (133 ff.) gesehen werden. Indessen entsprechen sich die Listen der weströmischen comités ùnd duces in Kapitel I 30 ff., V 126 ff. und die Umschreibung ihrer Befehlsbereiche in den Kapiteln X X IV — X L I in allem so vollkommen, daß wir bei der einzigen Ausnahme, dem Fehlen des dux tractus Armoricani und des dux Sequanicae in Kap. V doch unter Umständen mit mechani­ schem Ausfall zu rechnen haben. Im allgemeinen wurde die notitia dignitatum ja auch mehr durch Zusätze als durch Streichungen auf dem laufenden gehalten.

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gamisonen der Germania prima von Selz bis Andernach unterstanden. Ein T eil der Truppennamen des Kapitels X L I kehrt in Kapitel V II wieder, Kapitel V ent­ hält überhaupt nichts Vergleichbares. XLI

V II

75 milit. Pacenses, Saletione (Selz) 16 milit. Menapii, Tabernis (Rheinzabern) 77 milit. Anderetiani, vico Iulio (Germersheim)

100 Anderetiani

18 milit. Vindices, Nemetis (Speyer) 79 milit. Martenses, Alta Ripa (Altrip) 20 milit. secundae Flaviae, Vangiones (Worms) 21 milit. Armigeri, Mogon­ tiaco (Mainz) 22 milit. Bingenses, Bingio (Bingen) 2g milit. Balistarii, Bodobrica (Boppard)

97 Balistarii

24 milit. Defensores, Con­ fluentibus (Koblenz)

98 Defensores imiores

25 milit. Acincenses, Antonaco (Andernach)

ιο ί Acincenses

Selbst wenn das Beispiel des tractus Armoricanus nicht davor warnen würde, hier nur das Herausziehen einiger Abteilungen aus einem Grenzdukat ins Feldheer anzunehmen, müßte ein Blick auf die Gamisonen, tun die es sich handelt, bedenk­ lich machen. D ie Besatzungen der drei nördlichsten Gamisonen Andernach, Koblenz und Boppard sind ins Feldheer versetzt worden, außerdem noch die Germersheimer Abteilung. Gerade angesichts der drei gebietsmäßig zusammengehörenden Gam i­ sonen im Norden legt sich die Vermutung nahe, daß diese Abteilungen Überbleibsel sind, die ins Feldheer aufgenommen wurden, als die anderen Trappen zugrunde gegangen waren. D er Germanenvorstoß, der nach dem Jahre 406 einsetzte, traf südlich von M ain? ab ins römische Gebiet. M ainz, W orms, Speyer und Straßburg wurden damals zerstört1; es ist geradezu undenkbar, daß sich die ohnehin nicht 1 Hieronym. ep. 123.

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starken Besatzungen der betroffenen Gebiete damals gehalten hätten1. Aus Gründen, die uns noch beschäftigen werden, blieb das Gebiet nördlich von Mainz wie auch die ganze Germania secunda unberührt von dem Germanensturm. Die drei A b­ teilungen, die hier lagen, sind, so schließen wir, damals gerettet und sofort oder später ins Feldheer versetzt worden. A u f welche Weise die Germersheimer Garni­ son dem Schicksal ihrer Nachbartruppen entgangen ist, wissen wir nicht, indessen kann sie schon vor dem Jahre 406 ins Feldheer versetzt gewesen sein (vgl. die Cornacenses, u. S. 70 Anm. 2) oder aber, wenn sie im Grenzheer blieb, bei dem Ein­ bruch der Germanen einen neuen Standort gehabt haben, in den sie aus Germers­ heim verlegt worden war. An der Auflösung des Mainzer Dukats vor Abfassung von Kapitel V II kann jedenfalls kaum gezweifelt werden. Damit haben wir schon an die Frage gerührt, welcher Zeit die einzelnen Kapitel zuzuvjeisen sind. Ihrer Klärung gilt unsere nächste Bemühung12. Das Kapitel des dux tractus Armoricani ist nach dem Jahre 386 geschrieben, da in ihm die von Magnus Maximus geschaffenen Provinzen Senonia und Lugdunensis tertia schon genannt 1 M an wird als Gegenargument auf den in Alzey gefundenen solidus Valentinians III hinweisen und darauf, daß nach den neuesten Untersuchungen U n v e r z a g t e , Germania 13,1929, I77ff. das Kastell sich bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts gehalten hat. Was den solidus anlangt, so hatte U n v e r z a g t in seiner ersten Publikation, Bonner Jahrb. 122, 1912, 161 ge­ äußert, er habe »für das Kastell keine Bedeutung, da gerade diese solidi unter den freien Ger­ manen vielfach im Um lauf waren«; offenbar unter dem Eindruck der S t ein sehen Interpretation der notitia dignitatum gewann aber dann derselbe solidus (Germ. 1929, 185) »in diesem Zu­ sammenhang eine besondere Bedeutung«. Man wird ihm dieses Gewicht einfach deshalb nicht zusprechen können, weil er außer jeder Verbindung steht mit der Münzreihe des Kastells, die mit einem Arcadius abbricht und keinen Honorius aufweist. Wie dem aber auch sei, die S te in sche Spätdatierung des Kapitels des dux Mogontiacensis in der notitia dignitatum kann durch eine Spätdatierung des Kastells Alzey schon deshalb nicht gestützt werden, weil Alzey in diesem Kapitel gar nicht genannt wird. Dieser letzte auffallende Umstand verlangt allerdings eine Erklärung, findet sie aber auch unschwer : das Kastell ist von Valentinian I vor 370 (so U n v e r z a g t) zumindest wieder neu instand gesetzt worden. Der Münzbefund ist folgen­ der: Valentinian I und Valens 120, Gratian 11, Valentinian II 2, Magnus Maximus 6, Theo­ dosius 4, Arcadius 1. E. A n th e s und W . U n v e r z a g t hatten aus diesem »rapiden Sinken der Münzreihe« den richtigen Schluß gezogen, daß die Besatzung vor dem Ende des 4. Jahr­ hunderts aus Alzey weggezogen wurde (Bonn. Jahrb. 1912, 161 und 10. Bericht der Röm.germ. Komm. [1917] 114). Als Zeit gaben sie an »etwa um 380«; die Auflassung des Kastells würde andern Eingriffen Gratians in die militärische Organisation Galliens durchaus ent­ sprechen (u. S. 65). Indessen muß man sich fragen, ob ein Wegzug der Besatzung am Ende der Regierung des Maximus dem Münzbefund und den historischen Gegebenheiten nicht ebenso entspricht. In jedem Falle fehlt, wie man jetzt sieht, das Kastell Alzey in dem Kapitel des dux Mogontiacensis, da dieses nach dem Jahre 395 geschrieben ist (u. S.43), ganz zu Recht. Vielleicht ist es später gelegentlich und vorübergehend von Feldtruppen benützt worden. Dies ist auch unter Valentian III noch denkbar, als in jener Gegend die föderierten Bur­ gunder saßen. 2 Unser Ergebnis rückt dem P o la s c h e k s recht nahe. Wir müssen die Untersuchung aber ganz durchführen, nicht nur weil die Wege P o la s c h e k s andere sind und weil zwei sich annähernde Ergebnisse in der Interpretation der notitia dignitatum immer noch zwei recht verschiedene sein können, sondern vor allem, weil es uns hier um die notitia dignitatum als Quelle der spätrömischen Verwaltung in Gallien und Germanien geht. Im Hinblick darauf wird hier interpretiert.

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sind1. Eine Beobachtung M o m m s e n s , die A l f öld i für die Datierung der pannonischen Kapitel schon ausgewertet hat, erlaubt uns, den zeitlichen Ansatz von Ka­ pitel X X X V II und X L I noch weiter herunter zu verlegen12. Die Kanzleileiter dieser beiden duces wie der meisten anderen werden nach der Angabe der notitia dignitatum von den magistri militum ernannt, während sie in früherer Zeit nachweislich aus der Kanzlei selbst hervorgingen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes des Gildo wurde im Jahre 398 diese Neuordnung in Africa eingeführt, mit Worten, aus denen hervorgeht, daß damit nur eine anderwärts schon herrschende Bestimmung in G el­ tung gesetzt wird3. Die notitia dignitatum erwähnt die alte Ordnung außer in der Belgica secunda auch in den drei pannonischen Dukaten, deren Heeresorganisation nach Alföldi um das Jahr 395 aufgelöst wurde. Die Neuordnung gehört sehr wahr­ scheinlich in die Zeit unmittelbar nach dem Tode des Theodosius, nicht vorher, da Osten und Westen ganz verschiedene Wege gehen4. Die hier zur Rede stehenden Kapitel sind also nach dem Jahre 395 abgefaßt5*. Das Kapitel V muß vor 419 zusammengestellt sein, da es den comes Hispaniarum noch nicht nennt, der in diesem Jahre zum ersten Male nachweisbar ist®, und es ist nach dem Jahre 409 geschrieben, wie E. S te in wahrscheinlich gemacht hat7. In diesem Jahre war der Feldherr Generidus Inhaber eines Kommandos, das die (west)illyrische Diözese und das zur italischen Diözese gehörige Rätien umfaßte. Dieses letzte Gebiet wäre gewiß nicht in den Sprengel dieses Generals einbezogen 1 Vgl. o. S.22. Dies ist natürlich nur ein terminus post quem für die Abfassungszeit dieses Kapitels, nicht aber etwa für die Entstehung des tractus Armoricanus selbst, wie A l f ö ld i meint. 2 M o m m se n , Ges. Schrift. IV 552. A l f ö ld i , Unterg. I 91. 3 Cod. Theod. 1, 7, 3. 4 Die Kapitel der not. dign. occ., die die Neuordnung der Offizien der comites und duces zeigen, sind unter sich auch nicht einheitlich, da im einen Fall der princeps, die numerant und der commentariensis abwechselnd von den beiden magistri militum praesentales gestellt werden, im andern der magister peditum allein entweder alle diese Beamten (so beim cornes lit. Saxon. und beim dux Sequanici) oder doch einen T eil (so beim dux tract. Armor, und beim dux Mogontiacensis) ernennt. Die Frage, wie diese Unterschiede zu deuten sind, ist imgelöst, vor allem läßt sich über das zeitliche Verhältnis dieser beiden Ordnungen zueinander nichts Stich­ haltiges ermitteln; ich sehe allerdings nichts, was ein Nebeneinanderbestehen ausschließen würde. 5 Nach P o la s c h e k a. Ο. ιο δ γί. sind sie s p ä te s te n s 395 geschrieben. Der Tatbestand, der seinen historischen Schlüssen zugrunde liegt, muß aber, wie sich zeigen wird, anders ge­ deutet werden. — Nicht als zeitweisend und gegen unsere Ansicht kann angeführt werden, daß alle duces schon die Spektabilität haben, die sie erst nach 398 erhalten haben können (Cod. Theod. 1 ,7 , 3). Irgendwann sind offenbar alle Kapitel schematisch daraufhin umge­ ändert worden. Ein zeitlicher Anhaltspunkt ergäbe sich nur dann, wenn die Spektabilität nicht gleichmäßig bei allen genannt würde, wenn sich also, wie bei den Kanzleileitem, Stufen der Entwicklung feststellen ließen. • Hydat. chron. 74. Die Nennung dieses comes in der notitia dignitatum V II Ii8 ff. ist damit als einer der Nachträge gekennzeichnet. A u f Anzeichen für solche Nachträge in diesem Kapitel hat P olasch ek, RE X V II I099f. aufmerksam gemacht. 7 18. Bericht 96.

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worden, hätte es damals schon einen comes Italiae gegeben1. Näher dem Ende als dem Anfang der zehn J a h r e n bis 419 wird das Kapitel dadurch gewiesen, daß es nicht nur sehr viele Truppenkörper aufzählt, die ihre Namen von Honorius erhalten haben, sondern auch keinen weniger als das Kapitel V II, dessen Nachträge über die Zeit der Herrschaft des Honorius hinausreichen. Daß in Kapitel V II der comes Italiae nicht genannt wird, kann nicht fü r ein Datum vor dem Jahr 409 angeführt werden, da in diesem Kapitel der comes Italiae und der comes Argentoratensis deshalb zu fehlen scheinen, weil »die beiden Letztgenannten sich in Diözesen befinden, in denen auch magistri militum persönlich anwesend sind«12* oder doch normalerweise anwesend waren. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Auflösung des Mainzer Dukats, wie ihn Kapitel V II voraussetzt, und dem Ger­ maneneinfall von 406, so kann das Kapitel nicht vor dem Ende des ersten Jahr­ zehnts, wie sich noch zeigen wird, frühestens um das Jahr 410, und, da es älter ist als Kapitel V , spätestens in der ersten Hälfte des zweiten Jahrzehnts des 5. Jahr­ hunderts die Gestalt erhalten haben, in der es uns vorliegt. Dies gilt allerdings nur fü r den Kern des Kapitels, das selbst wieder einerseits auf eine frühere Zusammen­ stellung zurückgeht, andererseits Zusätze enthält, die auch über die Abfassungszeit von Kapitel V hinausreichen. Gegenüber den zahlreichen nach Honorius benannten Truppen in Kapitel V II gibt es nur eine, die ihren Beinamen von Valentiman III hat, die in Kapitel V II 36 genannten Placidi Valentiniani felices. Daraus entnahm Mommsen® mit Recht, daß die Schlußredaktion dieses Kapitels in den Anfang der Regierung Valentinians III fällt. Das Kapitel des Mainzer Dukats ist nach unseren bisherigen Feststellungen vor dem Jahre 406 und nach dem Jahre 395 geschrieben worden. Die Ereignisse, die in der Aremorica fü r den Anfang des 5. Jahrhunderts überliefert sind, machen eine entsprechende zeitliche Bestimmung des Kapitels X X X V II möglich. In den Jahren 408/409 brach in der Aremorica ein Aufstand aus, der erst im Jahre 417 niedergeschlagen werden konnte4, und in dessen Verlauf die ganze Aremorica sich von der römischen Herrschaft frei machte. Die römischen Beamten wurden vertrieben und eine einheimische Regierung eingesetzt5. Die schwachen römischen Grenz­ garnisonen, denen gewiß nicht die Niederschlagung des Aufstandes zu verdanken ist, hat man vermutlich schon zu Beginn aus ihren Garnisonen gezogen, die im Be­ reich der Aufständischen lagen. Diese Stufe der Entwicklung gibt Kapitel V II 1 R. E g g e r , österr. Jahresh. 25, 1929, Beibl. 209fr. schließt aus der Tatsache, daß die Karstbefestigungen schon im 4. Jahrhundert nachweisbar sind, daß sie bereits im 4. Jahrhun­ dert dem comes Italiae anvertraut waren. Dieser Schluß ist so wenig zwingend wie etwa der, daß es den dux Mogontiacensis schon in diokletianischer Zeit gegeben haben müsse, weil die Befestigungen dieses Gebietes in diese frühe Zeit zurückreichen. Vgl. auch P o la s c h e k a. 0 . 1113. 2 E. S t e in , 18. Bericht 95. 2 Ges. Schrift. IV 558. 4 E. S t e in , Gesch. I 407. 5 Zosim. 6, 5, 3, wohl aus Olympiodor.

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wieder, das die Truppen des aufgelösten Dukats der Aremorica im Feldheer nennt, wo sie dann vermutlich auch gegen die Aufständischen eingesetzt wurden. K a­ pitel X X X V II, dem die Organisation der Aremorica vor den Wirren zugrunde liegt, gehört also etwa in dieselbe Zeitspanne wie Kapitel X L I 1. Der früheste Ansatz für Kapitel V II kann aber nun bis an das Jahr 410 herangeschoben werden. Daß die Kapitel X X X V II und X L I, obwohl nicht nur durch die Ereignisse, sondern auch durch andere Kapitel der notitia dignitatum überholt, nicht gestrichen wurden, entspricht einem gerade diesem Handbuch eigenen Brauch. Für die A b­ schnitte, die die pannonischen Grenzgebiete behandeln, hat A l f ö l d i a. O. dasselbe nachgewiesen. Es ist nicht nur der Vollständigkeit halber angemessen, der Herkunft der bisher nicht berücksichtigten peudokomitatensischen Legionen in Kapitel V II und V nach­ zugehen. Es handelt sich um folgende: V II

V

93 Defensores seniores

267 Defensores seniores

9S Prima Flavia

269 Prima Flavia Metis

102 Comacenses

272 Comiacenses

103 Septimani imiores

273 Septimani

106 Romanenses

274 Romanenses

J05 Musmagenses 107 Insidiatores 108 Truncesimani 109 Abulci n o Exploratores Nur fü r zwei von ihnen finden sich unter den Grenztruppen der notitia dignitatum Entsprechungen. Die Abulci und Exploratores lagen ursprünglich als numerus Abulcorum in Anderidos und als numerus Exploratorum in Portus Adumi an der britanni­ schen Südküste, von wo sie vor Abfassung von Kapitel V II, wohl um das Jahr 410, 1 Daß der Dukat der Aremorica keine Schöpfung des 5. Jahrhunderts ist, haben wir an anderer Stelle nachzuweisen versucht. Nun soll aber der dux noch für das Jahr 417 erwähnt sein. M it dem ducatus culmen et regimen per provincias, die dem Bischof Germanus von Auxerre in seiner vita zugeschrieben werden (M G H , Ser. Rer. M er.V I I 251), sei der Dukat der Aremorica gemeint, da er sich über mehrere Provinzen erstreckte (E. S t e in , 18. Bericht 96 Anm. 5). M ir scheint ebenso wie L e v is o n diese Interpretation dem verallgemeinernden und wohl auf dem Vorbild der vita des hl. Ambrosius beruhenden Text nicht angemessen zu sein. Im übrigen zeigt die Laufbahn des Mannes, daß er nicht ein militärisches, sondern ein ziviles Amt bekleidete, daß also ducatus hier in uneigentlichem oder übertragenem Sinne ge­ braucht ist, was in einer am Ende des 5. Jahrhunderts geschriebenen vita nicht überrascht. Es steht ferner nicht da, daß er mehrere Provinzen z u g le ic h verwaltet hat, und ebensowenig, daß diese in Gallien lagen.

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ins gallische Feldheer versetzt wurden1. Die übrigen finden sich sonst nirgends in der notitia dignitatum12, woraus sich nach unseren bisherigen Feststellungen er­ gibt, daß sie vor der Redaktion der die Grenzbezirke behandelnden Kapitel, also noch im 4. Jahrhundert, aus einem solchen in das Feldheer übernommen worden sind. Nach Ausweis der Ziegelstempel lagen die Cornacenses wenigstens zeitweise in Obergermanien; wann und aus welchem Grunde aus ihnen eine Truppe des Feldheeres wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Andere scheinen früher zur Grenzbesatzung der Germania secunda gehört zu haben, deren militärische Ver­ waltung zur Zeit der notitia dignitatum schon aufgelöst war: der Name der Musmagenses weist auf einen ursprünglichen Gamisonsort an der Maas hin, wohl in oder bei Maastricht (s. u. S. 52), und die Truncesimani, die Nachkommen der 30. Legion der Kaiserzeit, lagen in Xanten am Niederrhein. Aus der Germania secunda oder der Belgica secunda kamen nach einer Vermutung J u lli a n s 3 auch die Septimani und die Romanenses, und die prima Flavia Martis ist wohl keine andere Legion als die der Primani, die an der Langmauer bei Trier gebaut haben4, wohin sie vermutlich aus der benachbarten Germania secunda oder Belgica secunda geholt wurden. Damit ist gewiß nicht die Zahl der ehemaligen Grenzgamisonen Niedergermaniens erschöpft. Andere Abteilungen mögen in der Zwischenzeit untergegangen, andere zu komitatensischen Legionen erhoben worden sein; nur in den wenigsten Fällen läßt sich hier noch aus dem Namen die Herkunft aus dem Grenzheer erkennen. Den Abschluß dieser Interpretationen der not. dign. soll eine Untersuchung der in ihr vorkommenden Alen und Kohorten des Westens bilden. Sie wird unternommen, weil aus einer solchen Gesamtbetrachtung Aufschlüsse zu erwarten sind, die bei der Untersuchung der einzelnen gallischen Truppenkörper nicht gewonnen werden können, die aber andererseits für deren Beurteilung und zeitliche Ansetzung sehr wich­ tig sind. Bei einem Vergleich der notitia des Westens mit der des Ostens wird man bald inne, daß im Osten ungleich mehr Auxilien alten Systems, also Alen und K o­ horten, Vorkommen als im Westen. Bei den Alen ist das Verhältnis 9 im Westen zu 76 im Osten, bei den Kohorten 47 zu 72. Besonders scharf tritt der Unterschied bei den 1 Occ. X X V III 20,21. Die Gleichung mit den Truppen von Kapitel V II und V vollzieht richtig P o la s c h e k a. O. 1094. — Die Versetzung der Truppen wird mit der Auflösung der gesamten Heeresorganisation in Britannien Zusammenhängen. Ich brauche danach wohl kaum mehr auszusprechen, daß ich gegen B u r y und E. S t e in der Ansicht des weitaus größten Teils der englischen Forscher beipflichte, die die Aufgabe des Hadrianswalles um das Jahr 383 setzen und diese für den Anfang der militärischen Aufgabe Britanniens halten. Vgl. zuletzt C .E . S te v e n s , Joum. Rom. Stud. 26,1936,71 ff. Der Aufstand vom Jahr408/409 war die Einleitung des endgültigen Verlustes, der kurz darauf erfolgte. Das ist archäologisch beweisbar. D ie notitia dignitatum, in der vieles Veraltete und längst hinfällig Gewordene stehenblieb, kann demgegenüber nicht als Gegenbeweis gelten. 3 Vielleicht mit Ausnahme der Defensores, die aus dem britannischen numerus Defensorum (occ. X L 27) hervorgegangen sein könnten. Das bleibt aber sehr im Ungewissen. 3 Hist, de la Gaule V III 100 Anm. 1. 4 E. S t e in dachte entweder an diese oder an die prima Flavia Gallicana, die aber vor ihrerVersetzung ins Feldheer in der Aremorica lag und deshalb nicht in Frage kommt (o. S.40).

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Alen hervor, weil im Osten als Grenzschutz gegen die Reitervölker mehr Kavallerie als im Westen notwendig war. Ein weiterer Grund für die ungleiche Verteilung ist aber der, daß im Osten offenbar zu allen Zeiten Alen und Kohorten neu geschaffen wurden, während im Westen die letzten sicher nachweisbaren in die diokletianische Zeit fallen. Als Beweis für die erste Behauptung genügt es, auf die ala Arcadiana nuper constituta (or. X X V III 21) und die cohors I Theodosiana (or. X X X I 64 und X X X V III 33) hinzuweisen. Es tritt damit nur wieder ins L icht, daß in der ganzen Spätzeit die Entwicklung im Osten imgestörter und ruhiger verlief als im W esten, in dem schneller neue Formen gefunden und alte aufgegeben wurden. Von den neun Alen des Westens stammen vier britannische aus vordiokletianischer, eine weitere und drei rätische aus diokletianischer Zeit, für die eine pannonische ala Sirmiensis haben wir keinen zeitlichen Anhaltspunkt, soviel ich sehe. Ü ber die Kohorten gibt folgende Liste, die S e e c k s Ausgabe der notitia dignitatum zur Grundlage hat, Aus­ kunft. Provinz

Vor Dio­ kletian

Diokletianischer Zeit

Unbestimmter Zeit

Britannien ................. Pannonische P ro vin zen ...............

I7l 5

I Iovia

R a e tie n .......................

2

Mauret. Tingitana . . . Oallien .......................

3*

S p a n ien ....................... MnnVnm ................... .......................................

3

Herculia Pannoniorum — I I I Herculia Pannoniorum — I Herculia Raetorum — V Valeria Phrygum —: V I Va­ leria Raetorum Friglensis — Pacatianensis I Herculia I Flavia Sapaudica I Nova Armoricana — Novempopulana I I Flavia Pacatiana Lucensis Drei Namenlose

D

Caratensis oder Scarabantensis ? — Eine Namenlose

In Germanien und weitgehend in Rätien sind die Auxilien der ersten Jahrhunderte verschwunden, sie wurden bei den Germanenstünnen in der M itte des 3. Jahr­ hunderts, in denen der obergermanisch-rätische Limes fiel, vernichtet. D ie meisten frühen Auxilien haben sich in Britannien gehalten, das bis zum Ende des 4. Jahrhun­ derts keine derartigen Erschütterungen wie die germanischen Länder zu erleiden hatte. W ichtig wird fü r uns mm die Tatsache, daß die spätest feststellbaren N eu1 Lediglich bei der einen, der cohors prima Comoviorum, kann man, da wir keinen Beleg haben, im Zweifel sein, ob sie vordiokletianisch ist. Aus der Namensform — die Kohorte ist offenbar nach dem britannischen Stamm der Comohii genannt — hat aber C i c h o r i u s , RE IV 275 mit Recht auf den frühen Ursprung der Kohorte geschlossen. ' Ein neues in Banasa gefundenes Militärdiplom brachte vor kurzem den Nachweis, daß schon im Jahre 109 die cohors I I Hispanorum und die cohors I Ituraeorum inTingitanien standen. Vgl. R . T h o u v e n o t , Compt. rend, de l’acad. des inscript. 1935, 408 und C I L X V I nr. 73.

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gründungèn von Auxilien alten Stils in diokletianische Zeit zu setzen sind. Wir schöpfen daraus die Berechtigung, die eine Ala und die zehn Kohorten, deren Ent­ stehungszeit nicht nachweisbar ist, auch für vordiokletianisch oder höchstens für diokletianisch zu halten. Auffallend ist, daß bei fü n f von diesen e lf unbestimmbaren Auxilien der Name vom Gamisonsort abgeleitet ist. Das dürfte am ehesten damit Zusammenhängen, daß Truppenkörper mit langer Gamisonstradition ihren ur­ sprünglichen Namen ablegten, der von einem Volksstamm hergenommen sein mochte und längst nicht mehr zutraf, und sich statt dessen nur noch nach ihrer Garnisonsstadt nannten. Hier wären dann auch die namenlosen Kohorten einzurei­ hen, die nur als in der oder jener Garnison liegend bezeichnet werden (z. B. occ. X X X IV 44 tribunus cohortis, Boioduro). In all diesen Auxilien vermuten wir alte unter dem Principat geschaffene Formationen. Anders steht es mit der cohors I Nova Armoricana und der cohors Novempopulana. Sie können frühestens diokletianisch sein, sind aber nach unserem bisherigen Überblick auch nicht jünger, was dadurch noch wahrscheinlicher wird, daß eine andere Kohorte, deren Namengebung aufs genaueste der der eben genannten Kohorten entspricht, die I Flavia Sapaudica, mit größter Wahrscheinlichkeit der diokletianischen Zeit zugewiesen werden kann.

Die Wehrverfassung und die Verteidigung Galliens. In dem Riesenkörper des römischen Imperiums hatte Diokletian Kräfte wieder wach werden lassen, die von den Schlägen der letzten Jahrzehnte vernichtet schienen; Konstantin gab diesem Körper neues Leben und eine neue Seele. A u f keinem anderen Gebiet mehr als auf dem militärischen ist der Abstand zwischen diesen beiden Kaisern spürbar. Und welcher Lebensbereich der Spätzeit ist nicht mehr oder minder vom Militärischen durchsetzt ? Gewiß war die Wirkung des großen Organisators Diokletian nachhaltig — seine Spuren sind nach Jahrzehnten noch nicht verwischt — , die Zukunft bestimmender aber war die Leistung seines Nach­ folgers, dessen schöpferische Kraft neue und unmittelbar in die Erfordernisse der Zeit greifende Lösungen fand. Erst im Laufe seiner Reorganisationstätigkeit scheint sich dem Kaiser Diokletian in der Weiterentwicklung von Gedanken, die während des 3. Jahrhunderts immer mehr an die Oberfläche gekommen waren, das Prinzip ergeben zu haben, die T ren­ nung von Militär- und Zivilgewalt in der obersten Provinzialverwaltung vollständig durchzuführen. Noch im Jahre 294 beaufsichtigte der praeses provinciae die N eu­ befestigung von Oberwinterthur (C IL X III n. 5249), obwohl es wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher ist, daß diese Aufgabe dem militärischen Befehlshaber der Provinz, hätte es ihn gegeben, zugekommen wäre1. D er erste dux — so lautet der T itel des Generals, dem jetzt die Legionspräfekten und damit die Truppen einer 1 C od.Theod. 1 5 , 1 , 13; doch vgl. 1 5 ,1 ,3 4 . A n d e r s o n , Joum . Rom. Stud. 22,1932,29.

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Provinz unterstellt sind — ist im Jahre 303 nachweisbar1. Die Durchführung des neuen Prinzips wird einen gewissen Zeitraum in Anspruch genommen haben, dürfte aber noch unter der Regierung Diokletians abgeschlossen worden sein. Die Schlag­ kraft des Heeres wurde durch diese neue Maßnahme ganz erheblich erhöht, abge­ sehen davon, daß man für die Auswahl der militärischen und zivilen Provinzstatt­ halter jetzt einen viel größeren Spielraum hatte. Die duces unterstanden allerdings auch nach der diokletianischen Reform noch immer dem Oberbefehl des Kaisers und des Prätorianerpräfekten. Bis in diese höchste Spitze hinein hat die Trennung zwi­ schen militärischer und ziviler Gewalt erst Konstantin vorgetrieben, als er im Heer­ meisteramt eine eigenständige militärische Zentralorganisation schuf. Bei dieser entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung übersehen wir aber zu leicht, daß der Tat Konstantins ein ganz anderes Gewicht beikommt als der Diokletians, denn jetzt erst hatte sich die militärische Gewalt aus ihrer Verflechtung mit der zivilen gelöst und die Eigenständigkeit erlangt, die zur Durchführung der großen Aufgaben der Folgezeit unerläßlich war12. Diokletian hat die Grenzen, auch die Rheingrenze, durch die Befestigung oder den Bau von Städten, Lagern und Türmen geschützt und alles verfügbare Militär dort eingesetzt. Wieviel von der Organisation der Grenzverteidigung, wie sie in diokletianischer Zeit bestand, Diokletian selbst, wieviel seinen Vorgängern zuzu­ weisen ist, läßt sich schwer bestimmen. Nach dem Verlust des Limes waren nur noch die vier Legionen, die in ihren rheinischen Standlagem Xanten, Bonn, Mainz und Straßburg gamisonierten, zur Verteidigung da. Sie blieben vorerst auch hier, da sie aber allein unmöglich die Grenze verteidigen konnten, wird man auch schon vor Diokletian mit der Neuorganisation der Grenzverteidigung und mit der Auf­ stellung neuer Truppenkörper begonnen haben. Aus einer Panikstimmung heraus scheint das damals nicht geschehen zu sein. Trotz der Reste alter Denkmäler, die in die spätrömischen Befestigungen verbaut sind, kann man bei keiner einzigen von einer übereilten Herstellung sprechen. Und bis ins 4. Jahrhundert hinein scheinen weite rechtsrheinische Gebiete innerhalb des ehemaligen Limes wenigstens teilweise noch von der alten Bevölkerung bewohnt und vorübergehend vielleicht sogar von römischen Truppen geschützt gewesen zu sein3, wenn sie auch im eigentlichen Sinne 1 C I L III n. 10981. Vgl. S e e c k , R E V i869f. A n d e r s o n a. O . 30 Anm. 2. 2 Das hier Gesagte gilt nur in bezug auf die rein militärische Organisation und Führung, da für Verpflegung und Löhnung nach wie vor die Prätorianerpräfektur zuständig war. Vgl. E. S t e in , Gesch. I 181 und u. S .8 1. 9 Aus den vergleichsweise zahlreichen spätrömischen in Württemberg gefundenen M ün­ zen schloß O. P a r e t , Festschr. des Württemb. Vereins für Münzkunde (1927) 43if. im A n­ schluß an E .R i t t e r li n g , Germania 5 ,1921, H 7ff. (hinzu kommt noch der Münzfund von Stockstadt, veröffentlicht von O. R o lle r , Germania 9, 1925, H 3ff.), daß im Limesgebiet nach 260 ein wesentlicher T eil der gallo-römischen Bevölkerung zurückgeblieben ist und daß das Gebiet möglicherweise auch an wichtigen Punkten von römischen Truppen geschützt gewesen ist; dies letzte muß allerdings vorerst noch als ganz hypothetisch gelten. Wenn die Münzen mit den Prägungen von etwa 375 aufhören (vgl. H e r t le in , Die Römer inWürttemPhil.-hist. Abh. 1938. Nr. 2 . λ

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nicht mehr in der Hand der Römer waren und unter ihrer Verwaltung standen. Von der Arbeit an der Grenzverteidigung vor der Zeit Diokletians gibt eine Inschrift über den Bau eines burgus bei Liesenich im Moseltal im Jahre 269 Auskunft1; das um 100 n. Chr. aufgelassene Legionslager Windisch wurde offenbar um 260 wieder neu besetzt, und damals wurde auch auf der Mandacher Egg, in der Nähe von Win­ disch, ein burgus errichtet*12. Im Zusammenhang mit der Neuorganisation der Grenz­ wehr hob Diokletian auch neue Truppen aus und ergänzte die alten dort, wo es nötig war. Eine große Anzahl von Grenzlegionen läßt sich lediglich auf Grund ihres Na­ mens der diokletianischen Zeit zuweisen. Es war die Regel, daß in jeder Provinz, die einem dux unterstand, außer den Hilfstruppen zwei Legionen lagen3; in der Germania prima und secunda waren es die alten kaiserzeitlichen Besatzungen, die V III Augusta und X X I I Primigenia in Straßburg und Mainz, die I Minervia in Bonn und in Xanten die X X X Ulpia. Hier am Niederrhein ist aber außerdem schon vor dem Jahre 312 in Deutz die legio I I Divitiensium nachweisbar, mit der offenbar von Anfang an die legio Tungrecanorum vergesellschaftet war, deren ursprünglicher Gamisonsort das in der Germania secunda gelegene Tongern gewesen sein muß. Für die Maxima Sequanorum wurden vermutlich zwei neue Legionen geschaffen, von denen nur die eine, die legio I Martia, bekannt ist4. Aber die Tätigkeit Diokle­ tians und seiner Mitarbeiter in Gallien erstreckte sich nicht nur auf den Ausbau des Abwehrsystems am Rhein. Mit dem Ende des 3. Jahrhunderts begannen die Raubzüge der an der Nordsee­ küste ansässigen Germanen zu Schiff an die gallischen Küsten. Damit war plötzlich eine neue zu befestigende Grenze in den Blickpunkt getreten. Selbst wenn es nicht nachweisbar wäre, müßten wir vermuten, daß diese Grenze ebenso wie die anderen damals von der Organisation des Grenzschutzes mitberücksichtigt worden ist. Wir konnten aber oben schon wahrscheinlich machen, daß die in der Normandie bei berg I [1928] 188), so stimmt das sehr gut mit der Tatsache überein, daß dieses Gebiet zum letztenmal im Jahre 378 von einem römischen Heer betreten worden ist. D ie Polemik W . V e e c k s , Die Alamannen in Württemberg (1931) 127, der im übrigen auf Grund des archäo­ logischen Materials zu denselben Schlüssen kommt wie O. P a r e t , gegen dessen Interpretation der Münzen ist nicht überzeugend. Vgl. auch P. G o e s s le r , Württemb. Vierteljahrsh. 30, 1921, iff. und E. N o r d e n , Altgermanien (1934) 37ff. 1 C IL X III n. 11976. Die Befestigung von Jublains gehört offenbar auch in diese frühe Zeit; vgl. A. B la n c h e t , Les enceintes romaines de la Gaule (1907) 229fr. 2 Für W in d is c h : C I L X III n. 5203. Dazu S t ä h e lin , D ie Schweiz in röm. Zeit* 253 und R. L a u r - B e la r t , Anz. Schweiz. Altertumsk. 37, 1935, I73ff. und 'Vindonissa Lager und vicus’ Röm.-german. Forsch. X (1935) 9. Zur späten Befestigung gehört nach L a u r s überzeugendem Nachweis außer einigen Türmen und zwei breiten Gräben vor allem das Westtor, das man bisher in klaudische Zeit setzte. Diese Bauten gehören entweder zu der inschriftlich erwähnten Befestigung vom Jahre 260 oder zu späteren Umbauten und Erweite­ rungen. Vgl. L a u r - B e la r t a. 0 . 21 ff. 36. i o i f . — Für den burgus S t ä h e lin a. O. 254 und O. S c h u lt h e s s , Jahresb. der Schweizer. Gesellsch. für Urgeschichte 22, 1930, 9 if. 2 R it te r lin g , RE X II I349ff. 1 R itte r lin g a. O. 1354·

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Bayeux gamisonierende cohors I Armoricana eine Formation aus diokletianischer Zeit ist. Die Zählung scheint darauf hinzuweisen, daß sie nicht die einzige blieb; wenn noch weitere Kohorten damals dort eingerichtet wurden, so gingen sie im Laufe des 4. Jahrhunderts zugrunde. Aber auch von den in Vannes und in Brest in der Bretagne hegenden Mauri ist es wahrscheinlich, daß sie aus eben dieser Zeit stammen1. Die milites primae Flaviae — der Name weist auf Konstantius I — in Coutances können dann wohl als die eine der beiden ursprünglichen Besatzungs­ legionen dieses Grenzwehrbezirks angesehen werden; von der zweiten, die es gegeben haben muß, haben wir keine Nachricht. Am weitesten im Südwesten hatte die cohors Novempopulana ihre Garnison, die ebenfalls in vorkonstantinische Zeit gehört. Nach der notitia dignitatum werden vom tractus Armoricanus, mit dem wir schon jetzt unbedenklich den eben beschriebenen Wehrbezirk gleichsetzen dürfen, die Provinzen Aquitania I und II und die Lugdunensis II, III und IV berührt. Die Truppen, die aber nach dem Verzeichnis unter dem Befehle des dux tractus Armoricani stehen, liegen lediglich in den Provinzen Aquitania II und Lugdunensis II und III. Das bedeutet, daß zu einem früheren Zeitpunkt auch in den andern beiden Provinzen ihm unterstellte Truppen garnisonierten. Für die Lugdunensis IV können wir das im einzelnen nicht mehr nachweisen, wohl aber, wie es scheint, für die Aqui­ tania I: eine Vexillation des Feldheeres in Thrakien hat den Namen equites catafractarii Albigenses (not. dign. or. V I I I 29), die Truppe stand also früher in Albi in der Aquitania prima. Und in derselben Provinz in Bourges gamisonierte einst eine Truppe, die zur Zeit der notitia dignitatum als komitatensische Vexillation dem ersten Heermeister des Ostens direkt zur Verfügung stand {equites catafractarii Biturigenses; ebd. V 34). Schließlich müssen hier noch die equites catafractarii Pictavenses (C IL III 14046 a) erwähnt werden, die ursprünglich in Poitiers in der Aquitania II lagen und dann wohl dasselbe Schicksal hatten wie die Albigenses und Biturigenses. Diese Truppen können ebenso wie die Ambianensis, von denen bald die Rede sein soll, schon zu Beginn des 4. Jahrhunderts bestanden haben. Wann sie aus ihren Garnisonen weggezogen und ins Feldheer eingereiht wurden, wissen wir nicht12. Es steht nichts im Wege, eine weit größere Anzahl von Küstenschutz­ truppen anzunehmen, deren Namen wir nicht mehr kennen, falls nicht auch noch andere in der notitia dignitatum genannte Truppenkörper der Aremorica in so frühe Zeit zurückreichen. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Truppen dieses Küstenwehrbezirks in dieser frühen Zeit nicht ebenso wie später unter einem gemeinsamen Kommando, dem des dux tractus Armoricani et Nervicam, gestanden sein sollen. Nach der Neu­ ordnung der militärischen Verhältnisse unter Diokletian war es weder notwendig, 1 Sie sind vermutlich nach dem Maurenfeldzug Maximians in den Jahren 296/7 dorthin gekommen; vgl. R it t e r lin g a. O. 1354. 2 Möglicherweise kamen sie mit dem Heere des Maximus im Jahre 388 nach dem Osten. Schon früher, im Jahre 377, hatte aber Richomeres auf Befehl Gratians gallische Truppen nach Thrakien geführt (Ammian. 31, 7, 4).

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daß jede Provinz einen dux hatte, noch unmöglich, daß ein dux die Truppen mehrerer Provinzen befehligte1. Wenn Carausius, von dem berichtet wird, daß er die Befrie­ dung des Meeres apud Bononiam per tractum Belgicae etArmoricae übertragen bekam12, nicht der erste dux dieses Küstenbereiches war, so ist sein Kommando doch als der unmittelbare Vorläufer dieses Dukats anzusehen. Jedenfalls hat J u lli a n 3 mit Recht auf die bemerkenswerte Tatsache aufmarksam gemacht, daß das Kommando des dux tractus Armoricani et Nervkam zur Zeit der notitia dignitatum den nervischen Bezirk gamicht mehr einbegriff, der also irgendwann einmal von ihm abgetrennt wurde, wenigstens am Anfang aber, bei der Einrichtung des Amtes, zu ihm gehört haben muß. Und in der T at hatte Carausius seinen Sitz in Boulogne in der Belgica secunda und ihm war der tractus Belgicae et Armoricae übertragen. Man behielt in der Spätzeit gerne Namen und Bezeichnungen bei, auch dann, wenn der anfänglich von ihnen gedeckte Inhalt mit der Zeit teilweise oder ganz unter ihnen weggeschmol­ zen oder ein vollständig neuer untergeschoben war. Im Grunde war es alte römische Praxis, die man hier übte. Nach Osten setzte sich der Wehrbezirk der Aremorica in der Belgica secunda fort, die, anfänglich dem Befehl des dux tractus Armorkanus unterstellt, wohl bald schon selbständig gemacht wurde. Zur Zeit der notitia dignitatum lag an der belgischen Küste außer einer Flottenabteilung eine dalmatinische Reiterabteilung, vielleicht in Mardyk bei Dünkirchen, eher wohl in Mark bei Calais4, jedenfalls nicht weit östlich von Boulogne, und wenig südwestlich dieser Stadt, in Etaples, hatte eine Infanterie­ abteilung milites Nervii ihren Standort. Die d alm atinischen Reiterabteilungen der Spätzeit gehen größtenteils auf Gallienus und seine unmittelbaren Nachfolger zurück, die Nerviertruppe ist spätestens in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts gebildet, da damals die civitas Nerviorum umgenannt wurde (o. S. 20). Außer diesen läßt sich indirekt noch eine andere Truppe ermitteln. Dem magister militum praesentalis des Ostens ist zur Zeit der notitia dignitatum eine Vexillation des Feldheeres equites catafractarii Ambianenses unterstellt5. Diese Reiter lagen ursprünglich als Grenz­ truppe, wie ihr Name zeigt, in Amiens in der Belgica secunda, wo auch die Grab­ schrift eines circitor dieser Truppe aus dem Ende des 3. oder dem Anfang des 4. Jahr­ hunderts gefunden wurde*. Die Garnisonen der belgischen Küste gehörten also schon der diokletianischen Zeit an, sie bildeten nach Osten die notwendige Ergänzung zu den sicher gleichzeitigen Küstenbesatzungen in der Aremorica. 1 So blieb beispielsweise Rätien für die militärische Verwaltung ungeteilt. Es unterstand immer dem dux Raetiae primae et secundae. Vgl. S e e c k , RE V 1871 ff. 2 Eutrop. 9, 21. 3 Hist, de la Gaule V II 63 Anm. 3. J u llia n selbst nimmt an, daß Carausius der erste dux war. D a die Übertragung des Kommandos aber schon in das Jahr 286 fällt, sind die gegen diese Annahme vorgebrachten Bedenken sehr erwägenswert. Vgl. R i t t e r l i n g , RE X II 1355 und E n s s lin , RE X IV 2495. * Occ. X X X V III 7— 9. Die equites Dalmatae lagen in Marcis in litore Saxonico. 5 Or. V I 36. • C IL X III n. 3493·

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Man wäre allerdings wohl schwerlich jemals dazu gekommen, die Belgica secunda vom tractus Armoricanus abzutrennen und sie einem eigenen dux zu unterstellen, hätte es außer diesen Küstengamisonen keine Truppen in dieser Provinz gegeben. Und in der Tat ist eine militärisch geschützte Verbindung zwischen der befestigten Rheinlinie — denn daß die Germania secunda damals ebenso wie Obergermanien als Dukat eingerichtet war, steht außer Zweifel — und der Küste vorauszusetzen, wenn uns auch die notitia dignitatum aus Gründen, die uns noch beschäftigen werden, darüber nicht mehr unterrichtet. Offen bleibt nur die Frage nach dem Ver­ lauf dieser Wehrlinie. Fast in ganz Holland brechen die Funde römischer Gegenstände schon um die Mitte des 3. Jahrhunderts ab1. Spätrömisches hat sich außer in Nijmegen, wovon später die Rede sein wird, nur ganz im Süden gefunden. In Maastricht hat man in jüngster Zeit Bastion und Mauer eines Kastells des 4. Jahrhunderts ausgegraben12. Ebenfalls bis in dieses Jahrhundert reichen die Funde in einem Kastell in Heerlen, das zwischen Tongern bzw. Maastricht und Jülich hegt. Und schließlich wurden auf dem Goudsberg bei Valkenburg und einige Kilometer westlich davon spät­ römische burgi ausgegraben, die in das Ende des 3. und in den Anfang des 4. Jahr­ hunderts gehören, wie die dabei gefundene Keramik zeigt3. Aus all dem, verbunden mit der früheren Feststellung, daß zu Beginn des 4. Jahrhunderts in Tongern eine Besatzung lag, wird deutheb, daß sich in dieser frühen Zeit zwischen Jülich und Tongern eine Verteidigungkette hinzog, die der auf der Peutingerschen Tafel angegebenen Straße folgte. Daß diese Sperrkette östlich bis nach Köln verlängert wurde, ist nicht anzunehmen, da das Niederrheingebiet ja durch die Besatzungen der Rheinhnie gedeckt war. Nach Westen, wo die Verbindung mit dem Küstenschutz erreicht werden mußte, führt die Straße und vermutlich auch die Verteidigungs­ linie von Tongern aus zunächst nach Bavay. Archäologische Funde stützen vorerst allerdings diese Vermutung gar nicht oder kaum4, wohl aber die notitia dignitatum. Wir machten in anderem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß die occ. V 97 = V II 87 verzeichnete komitatensische Legion Geminiacenses ursprünglich eine Grenz­ schutzformation gewesen sein muß, die in Geminiacum, d. h. eben an dieser Straße etwa in der Mitte zwischen Tongern und Bavay, ihren Standort hatte (0. S. 38). Aber auch der weitere Verlauf der Befestigungslinie zum Meer hin wird nun deutlich,

1 H o lw e r d a , 15. Bericht der Röm.-germ. Komm. (1923) η ΐ. und Nederlands vroegste Geschiedenis2 (1925) 202. 205. 223. 2 G o o s s e n s , Oudheidk. Meededeel. N . R. 4, 1923,45ff. 3 H o lw e r d a , 15. Bericht 8f. ‘ Eine Zeitlang hielt man das Castelet de Rouveroy, etwa 20 km östlich von Bavay, nahe der Straße Bavay-Köln, für ein spätrömisches Fort (vgl. C u m o n t, Comment la Belgique fut romanisée2 [1919] 106 Anm .6). Neuerdings hat dies aber J .B r e u e r , Bullet, des Mus. Royaux (Bruxelles) sér. III 3, 1931, 98 bestritten. Nach ihm sind bisher zwei der Befestigungen des 'limes Belgicus’ gefunden worden, die eine in Brunehaut-Liberchies, die andere in Morlanwelz; vgl. u. S. 65 Anm. 2.

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denn ebenso wie die Geminiacenses war die zur Zeit der notitia dignitatum komitaten sische Legion der Cortoriacenses ursprünglich ein Truppenkörper des Grenzheeres, der in Courtray am L ys lag, also an der Straße, die von Tournay über Castellum Menapiorum (Cassel) ans M eer führte. Auch die ehemalige Garnisonstruppe von T oum ay selbst war am Ende des 4. Jahrhunderts noch nicht untergegangen; der numerus Tumacensium, der eine alte Formation gewesen sein m uß, da schon früh die Bezeichnung numerus durch die andere milites ersetzt wurde, stand damals allerdings in Britannien im Grenzheer1. Es liegt nahe, die Musmagenses, deren Namen a u f eine Maasgarnison hinweist12, die Romanenses und die Praesidienses ebenfalls dieser Sperr­ kette im Norden zuzuweisen3, hier versagt sich uns aber die Feststellung ihrer einsti­ gen Garnison. Auch bei der Suche nach dem westlichen T eil dieser Befestigungs­ linie hilft uns wie im Osten die negative Feststellung, daß jenseits dieser Grenze die römischen Funde noch vor dem Ende des 3. Jahrhunderts, also vor Diokletian, aufhören. Außer Einzelfunden, aus denen keine allgemeinen Schlüsse gezogen werden dürfen, hat sich lediglich am L ys und an der Schelde Spätrömisches gefunden, also gerade an den Flüssen, deren L a u f noch zu einem großen T eil innerhalb dieser Befestigungslinie liegt4. Auch heute hat diese Scheide ihre Bedeutung noch nicht verloren. In dem von den Römern preisgegebenen Land jenseits der spätrömischen Befestigungslinie hatten sich die Germanen niedergelassen, jetzt spricht man dort flämisch, das heutige wallonische Sprachgebiet aber reicht eben bis zu dieser Grenze, die die Römer selbst in der Spätzeit als politische und militärische aufgerichtet hatten5. Es ist anzunehmen, daß die Sperrkette quer durch die. Belgica secunda erst in einem späteren Stadium des großen diokletianischen Grenzverteidigungswerkes ausgebaut wurde, und daß damals auch erst diese Provinz, deren Verteidigung vorher zusam­ men mit der der Aremorica e in e m General aufgetragen war, im eigentlichen Sinne als Grenzprovinz erklärt und einem eigenen dux unterstellt wurde. Im Jahre 259 oder 260 drang ein Schwarm von Alamannen über den Oberrhein vor nach Avenches und weiter bis nach Italien. Versuche ähnlicher A rt wiederholten sich in den folgenden Jahrzehnten, wenn auch der Vorstoß in den meisten Fällen

1 Not. dign. occ. X X V III 15. 2 Daß wir eher an Maastricht als an das zwischen Reims und Trier an der Maas gelegene M ouzon denken müssen, wird aus dem eben Gesagten wohl verständlich sein. V gl. C . J u llia n , Hist. V I II 100 Anm . 1. 2 V gl. o. S. 46. 4 V gl. R . B la n c h a r d , L a Flandre (1906) I44f. 5 A . G r e n ie r hat in den Mélanges Paul Thom as (1930) 378ff. einen interessanten A u f­ satz über diese Frage geschrieben. Er spricht da von zwei Verteidigungslinien, von denen die am weitesten vorgeschobene von Courtray über Oudenaarde direkt nach Tongern führe, die zweite zurückliegende der Straße T ou rn ay-B avay-T on gern folge. F ür die erste kann er nur die Namen einzelner Orte anführen, die mit Chastre oder Castre gebildet sind, wobei in jedem Falle die Frage offenbleibt, ob der Name wirklich auf römischen Ursprung hindeutet oder erst mittelalterlich ist. M ir scheint aus dem oben Angeführten hervorzugehen, daß wenigstens die Hauptverteidigungslinie der großen Straße folgte, die den Kohlenwald umging.

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nicht sehr weit ins Land hinein gelang1. In der T at war die Schweiz sehr viel ge­ fährdeter als etwa die beiden Germanien, für die der Strom, der die Grenze bildete, auch schon die erste starke Wehr darstellte. An seinem Oberlauf mußten künstliche Befestigungen und verstärkte Bewachung den Schutz ersetzen, den der noch schwache Fluß selbst nicht leisten konnte. So ist es zu verstehen, daß der Oberrhein bis etwa zum Knie bei Basel mit einer dichten Kette von Wachttürmen versehen wurde, die, oft nur wenige Kilometer voneinander entfernt, ganz nahe am Fluß angelegt waren. Unterhalb von Basel ist dergleichen nicht mehr gefunden worden, von hier ab glaubte man sich offenbar durch den Rhein selbst einigermaßen gesichert vor allzu plötzlichen Überfällen12. Selbstverständlich hatte die wichtige und in besonders hohem Maße gefährdete Grenzprovinz Maxima Sequanorum schon in diokletianischer Zeit ihren eigenen dux, der auch noch von der notitia dignitatum genannt wird. Man war aber anscheinend davon überzeugt, daß die Sicherung der Rheinlinie3 für das Hinter­ land, vor allem für Italien, dessen nächste Grenze eben die des Oberrheins war, keinen ausreichenden Schutz bot. So hat man im Rhönetal eine zweite Verteidigungs­ linie angelegt, der im Osten eine hinter der Donau liegende Sperrkette im Savetal in der Anlage und dem Zweck, das Hinterland, in diesem Falle Dalmatien, damit aber die Küste und Italien zu schützen, vollkommen entsprach45 . In MontagnyChancy unterhalb Genfs an der Rhône fand man eine römische Villa, die im 3. Jahr­ hundert bei den Germaneneinfallen zerstört und auf deren Trümmern wohl zur Zeit Diokletians ein Kastell angelegt worden war, das dann später, vermutlich von Valentinian, erweitert wurde6. Das Recht, von einer Rhöneverteidigungslinie zu sprechen, gibt uns aber erst der Umstand, daß in Diokletians Zeit hier nachweisbar Truppen lagen. In Calarona, einem nicht näher bestimmbaren Ort der Sapaudia, hatte noch zur Zeit der notitia dignitatum eine cohors I Flavia Sapaudica, also eine Truppe, die ihren Ursprung in diokletianischer Zeit hat (0. S. 47), ihre Garnison. Da sie als erste gezählt wird, waren vermutlich noch andere Kohorten hier gestanden, die im Laufe der Zeit wohl zugrunde gingen und nicht ersetzt wurden, da seit Kon­ stantin der Schutz des Binnenlandes den Truppen des Feldheeres zufiel. Der Befehl über diese Truppen sowie über die im Bereich dieser zweiten Sperr­ linie liegenden Flotten auf dem Genfer See und auf der Rhône wird einem dux über­ 1 Vgl. S tä h e lin , Die Schweiz2 254. Wie gefährdet die Schweiz damals war, zeigen die Münzschatzfimde. Dazu H. Z e i ß , Bayr. Vorgeschichtsblätter 10, 1931/32, 46. 2 So hat man spätrömische Wachttürme an der Donau auch nur oberhalb von Regensburg ausgegraben; vgl. P. R e in e c k e , Germania 14, 1930, 205. 3 Von den Befestigungen gehören sicher in diokletianische Zeit das Kastell Tasgaetium (Burg bei Stein am Rhein) und Vitudurum (Oberwinterthur), beide allerdings zur Provinz Raetia gehörig; C I L X III n. 5256 und 5249. Dazu S t ä h e lin , Die Schweiz2 264f. ' Über die Verteidigungslinie längs der Save A . A l f ö ld i , Unterg. der Römerherrsch, in Pann. I 91 Anm. 2. 5 B lo n d e i, Genava 7, 1929, 155 fr., der in Montagny-Chancy ein Glied dieser zweiten Befestigungslinie sieht.

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tragen worden sein1, dessen Sprengel sich somit wie der des dux tractus Armoricani über mehrere Provinzen erstreckte: die Maxima Sequanorum, die Lugdunensis I und die Viennensis. Da der Dukat zur Zeit der notitia dignitatum nicht mehr be­ stand, überhaupt wahrscheinlich nur von kurzer Dauer war, können wir den Titel des Generals zunächst nicht angeben. Doch scheint die notitia dignitatum wenig­ stens einen Hinweis zu bieten. In Kapitel occ. X L II werden die Formationen auf­ geführt, die, ohne zum Feldheer zu gehören, doch unmittelbar dem Befehl des magister peditum unterstehen. W o es sich um reguläre Truppen handelt, werden als ihre Gamisonsprovinzen solche erwähnt, fü r die ein dux nicht ernannt ist, bei­ spielsweise die Lugdunensis I oder die Novempopulana. Eine Ausnahme in der Aufzählung machen nur die Genfer See- und Rhöneflotte, eine milites-Abteilung in Marseille und die cohors I Flavia Sapaudica, die nicht als in einer der bekannten Provinzen, sondern als in provincia Gallia riparensi liegend bezeichnet werden. Der Name ist, wofür es keines Beweises bedarf, fü r einen geschlossenen Kommando­ bereich geschaffen worden und weist eindeutig auf einen früheren Zustand hin, in dem die hier stationierten Truppen noch nicht dem magister peditum unterstellt waren. Dies letzte ergibt sich auch schon einfach daraus, daß die Garnisonen in die diokletianische Zeit zurückreichen, während das Heermeisteramt erst eine Schöpfung Konstantins ist. Die Verteidigung des Genfer Sees, der Rhönelinie und der Alpenpässe war also vielleicht — diese Vermutung sei mit aller Vorsicht geäußert — einem General übertragen, der den T itel dux Galliae riparensis führte. Als aus Gründen, die noch zu erörtern sein werden, dieser Dukat später aufge­ hoben wurde, kamen die Truppen, die noch weiterhin hier blieben, unter den Befehl des magister peditum. Von dem einstigen Dukat blieb nur noch der Name er­ halten. Über ein gewisses M aß von Wahrscheinlichkeit hinaus kann dies Ergebnis, so­ lange sich nicht neue Quellen öffnen, so wenig gesichert werden wie die andere Vermutung, daß es einen dux Belgicae primae gegeben hat. In der notitia dignitatum wäre jede Spur von ihm verschwunden, wofür allerdings eine Erklärung nahe ge­ nug läge. Indessen ist es kaum vorstellbar, daß· Trier, das schon Maximian und nach ihm Konstantius als Regierungssitz diente und das sich um so mehr in einer Gefahrenzone befand, als es ganz nahe an der Grenze lag, ohne Garnison geblieben sein soll. Solange es aber kein bewegliches Feldheer, sondern nur die den duces unterstellten Grenztruppen mit festen Garnisonen gab, wird die Hauptstadt unter dem Schutz von Truppenabteilungen des Grenzheeres gestanden sein. Nicht einen untrüglichen Beweis, wohl aber eine sehr willkommene Bestätigung unserer An­ nahme stellt eine in Trier gefundene Inschrift dar (C IL X III n. 3672). Sie ist errichtet fü r den Caesar Konstantius von einem Valerius Concordius v(ir) p(erfec~ 1 Daß die duces, wo nötig, auch Flottenstationen kommandierten, zeigen Cod. Theod. 7, 17, i und Nov. Theod. 2 4 ,1. Die zwei zur Saveverteidigungslinie gehörenden Flottenstationen unterstanden zur Zeit der notitia dignitatum dem dux Pannoniae secundae (occ. X X X I I 55f.).

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tissimus) dux, in dem man, da er seinen Amtsbereich im Titel nicht angibt, einen dux der Provinz sehen möchte, in der die Inschrift aufgestellt war, also der Belgica prima1. Die beiden Besatzungslegionen, die wir dann in dieser Provinz fü r die diokletianische Zeit voraussetzen müssen, könnten nach der Aufgabe des Dukats in eine Nachbarprovinz gelegt worden sein; vielleicht waren es die prima Flavia Pacis und die secunda Flavia Virtutis, die sich noch am Ende des Jahrhunderts in Obergermanien nachweisen lassen12. Alle diese Maßnahmen Diokletians liefen auf eine Erneuerung des alten Grenz­ wehrsystems hinaus, bei der die Wehrbezirke verkleinert, der Begriff der zu ver­ teidigenden Grenze durch die Einbeziehung der Küste und einiger Binnenzonen neu gefaßt, die Truppenzahl durch Neuaushebung oder Aufspaltung alter For­ mationen erheblich vermehrt, die ganze überkommene Wehrordnung also neu und intensiv durchgestaltet, aber nicht in ihrem Grunde umgewandelt wurde. Die Heere, mit denen die Kaiser der Tetrarchie ihre Schlachten schlugen, be­ standen wie in früheren Zeiten zum allergrößten Teil aus mobilisierten A b­ teilungen der an den Grenzen liegenden Legionen, die zeitweise abkomman­ diert wurden. Einige wenige auserlesene Truppen, die sich immer in der Ge­ folgschaft des Kaisers befanden, stellten zusammen mit den Prätorianern eine erweiterte Garde, den sacer comitatus des Kaisers dar3. Es wäre falsch, die Ver­ bindung, die von hier zum späteren Feldheer, den comitatenses, führt, leugnen zu wollen, ebenso falsch aber, ihre Bedeutung zu überschätzen und eine Entwicklung zu konstruieren, bei der Konstantin nur die Rolle eines Mittlers zufiele. Denn er ist der eigentliche Schöpfer des im Innern des Landes gamisonierenden, von eigenen Generälen befehligten mobilen Feldheeres, das bald in scharfen Gegensatz zum Grenzheer trat und dieses allmählich ganz verdrängte. Der einzige Bericht über die konstantinische Neuerung ist mit einer starken Kritik verbunden, die fü r uns in­ sofern von Wert ist, als wir durch sie über die Form, in der sich die Umgestaltung vollzog, unterrichtet werden4. Das Werk Diokletians, der die Grenzen mit Städten, Kastellen und Türmen befestigt und sie geschützt habe, so sagt Zosimus, sei durch Konstantin zerstört worden, der die Mehrzahl der Soldaten von den Grenzen weg­ gezogen und sie den Städten des Binnenlandes zugeteilt habe. Nicht mit frisch ausgehobenen Truppen wurde also das Feldheer gebildet, sondern indem man die alten Verbände des Grenzheeres zerschlug und sie mit Ausnahme der Teile, die auch weiterhin im Grenzheer verblieben, im Innern des Landes zu einer mobilen Feldarmee zusammenfaßte. Einem weiteren Auseinanderfallen der Formationen wurde aber zu gleicher Zeit dadurch ein Riegel vorgeschoben, daß für die Stärke der einzelnen Truppenteile wieder eine feste Norm eingeführt wurde, die ganz er1 Auch R i t t e r li n g , RE X II 1354 nimmt, allerdings ohne nähere Begründung, einen dux Belgicae primae an. 2 Not. dign. occ. X L I 15. 20. 3 Vgl. R it t e r lin g a. O. I358f. 1700. * Zosim. 2, 34.

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heblich unter der kaiserzeitlichen lag1. A u f die diokletianischen Maßnahmen, vor allem aber auf die Aufsplitterung der bestehenden Formationen durch Konstantin ist es also zurückzuführen, daß es in der Spätzeit im Feldheer und im Grenzheer zahlreiche gleichnamige Truppenkörper gab12. Bis auf Konstantin hing die Sicherheit des Reiches vom Grenzschutz ab; war es den Feinden gelungen, ihn zu durchbrechen, so sahen sie das Binnenland frei vor sich. Seit Konstantin war das ganze Land durchsetzt mit Truppen, die nicht nur sofort an die gefährdete Stelle geworfen werden konnten, sondern mit denen auch große militärische Expeditionen in das jenseits der Grenzen liegende Gebiet unternommen wurden, ohne daß deshalb an irgendeiner Stelle die Grenzwehr ge­ schwächt werden mußte; denn der Grenzschutz blieb mit seinen festen Garnisonen und unter der F ü h ru n g der duces in den einzelnen Provinzen zunächst wenigstens weiter bestehen. Die Truppen des Feldheeres lagen, meistens wie es scheint paar­ weise, unter dem Kommando eines hohen Offiziers wohl nicht allzuweit von der Grenze entfernt im Binnenland; so befehligte Magnentius die Ioviani und Herculiani3, und ein comes Severianus hatte im Jahre 367 die Führung der beiden komitatensischen Legionen, der Divitienses und Tungrecani, die damals in Chalon-sur-Saône in der Lugdunensis I lagen4. In den Anfängen der Organisation des Feldheeres unter Konstantin werden diese überall verstreuten Truppenverbände lediglich durch den Oberbefehl der Heermeister zusammengehalten worden sein. Schon bald wird sich aber, und vor allem wohl in den vom Kaiser und damit von den magistri militum nie oder kaum besuchten Gebieten, die Notwendigkeit der Ver­ einigung mehrerer Einheiten des Feldheeres unter dem Befehl eines Generals erwiesen haben. So gab es im Jahre 330 schon einen comes Africae5*7 , geraume Zeit später war derselbe Gratianus der Ältere, der dieses Am t bekleidet hatte, comes Britanniarum®, und Equitius kommandierte im Jahre 364 das illyrische Heer, wie es bei Ammian heißt, noch nicht als magister, sondern als comes1. Betrachtet man diese Sprengelkommandos, so kann man in gewissem Sinne von einer Angleichung der O rg anisation des Feldheeres an die des Grenzherees sprechen. In Gallien begegnet begreiflicherweise erst verhältnismäßig spät ein vergleichbares Kommando. 1 Seither waren die Legionen noch 1000, die anderen Abteilungen nur noch 500 Mann stark. Vgl. M o m m se n , Ges.Schrift. V I 260fr.; G r o s s e , Röm. Militärgesch. 30ff.j E. S t e in , Gesch. I 189. 2 Nach Konstantin, d. h. nach der neuen Ordnung, ist mit solchen Zerlegungen nicht mehr zu rechnen. Darauf führen schon allgemeine Überlegungen, dann aber auch die Tatsache, daß überall dort, wo sich Abspaltungen wirklich nachweisen lassen, die Mutterformationen auf diokletianische oder noch frühere Zeit zurückgehen oder zum mindesten nichts im Wege steht, sie in so frühe Zeit zu verlegen; vgl. M o m m s e n , Ges. Schrift. V I 238. :l Zosim. 2, 42, 2. 4 Ammian. 27, 1, 2. W ie sich aus Ammian. 26, 6, 12 ergibt, waren es die Divitienses und Tungrecani seniores. 5 Ammian. 30, 7, 3. Dazu S e e c k , RE IV 637!. * Ammian. ebd. 7 Ammian. 26, 5, 3; vgl. S e e c k a. O. 655f.

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Im Jahre 367 unternahm ein in römischem Dienst bewährter Franke Charietto, der als comes per utramque Germaniam bezeichnet wird, einen Verteidigungsfeldzug gegen eingefallene Alamannen1. Daß es sich hier um einen General des Feldheeres handelt, ergibt sich nicht nur daraus, daß der vorhin genannte comes Severianus mit den beiden ihm unterstellten komitatensischen Legionen zu seiner Verstärkung herangezogen wurde und ihm unterstellt war, sondern auch aus dem Umstand, daß in seinem Heere und unter seinem Befehl die vornehmen palatinischen Auxilien der Eruli und Batavi gekämpft haben. Beginn und Dauer dieses Amtes vermögen wir nicht mehr zu bestimmen, feststellen läßt sich lediglich, daß um die Jahrhundert­ wende offenbar an seiner Stelle einem comes Argentoratensis, ebenfalls einem Gene­ ral des Feldheeres, der Schutz der Rheingrenze übertragen war. Über ihn wird später noch zu sprechen sein. Die Geltung und das Ansehen, in denen das Feldheer und das Grenzheer standen, waren sehr verschieden und haben sich im Laufe der Zeit immer mehr zuungunsten dieses letzten verschoben. Die selbständig kommandierenden Offiziere des Feld­ heeres führten den Titel comes rei militaris oder einfach comes mit Angabe ihres Sprengels, während die Generäle des Grenzheeres duces hießen und nur ausnahms­ weise die Rangbezeichnung comes erhielten. Die comites des Feldheeres sowohl wie die duces des Grenzheeres waren um die Jahrhundertwende (vgl. o. S.43 Anm.5) viri spectabiles, die Stellung der ersten in der notitia dignitatum vor den duces zeigt aber, daß der comei-Titel wenn auch keine eigentliche Rangerhöhung, so doch einen Vorzug vor den duces bewirkte12. So hatten diese auch den Befehlen der comites des Feldheeres, wo die Sprengel sich deckten oder schnitten, Folge zu leisten3, während sie ihrerseits über die Truppen des Feldheeres keinerlei Befehlsgewalt ausübten, auch d ann nicht, wenn diese sich in ihren Provinzen befanden4. Selbst­ verständlich waren sie beide, die comites wie die duces, Untergebene der Heer­ meister und gewiß auch ihres Vertreters in Gallien, des magister equitum Galliarum, sooft dieses Amt besetzt war. 1 Ammian.27, i, 6. Aus demselben Jahr haben wir ein an den magister equitum Iovinus gerichtetes Gesetz (Cod. Theod. 7, 1, 9), in dem er aufgefordert wird, einen Befehl an die tam duces quam etiam comites et quibus Rheni mandata est custodia weiterzugeben. Die zunächst befremdende Voranstellung der duces erklärt sich wohl am einfachsten daraus, daß durch die Verbindung tarn — quam etiam das zweite Glied betont wird. Der Befehl ergeht an die comites und duces, und unter ihnen besonders an die der Rheingrenze — so ist das et quibus wahr­ scheinlich zu verstehen — , also die duces der beiden germanischen Provinzen und den oben­ genannten comes. Es ist nicht nötig, mit M o m m se n , Ges. Schrift. V I 214 Anm .5 an eine wesentliche Umgestaltung der Grenzverteidigung am Rhein unter Valentinian zu denken. 2 S e e c k , RE IV 663. ' Das hat E. S t e in , 18. Bericht 100 mit Recht betont. 4 G r o s s e , Röm. Militärgesch. 158 ist der Ansicht, daß der dux in späterer Zeit auch Verfügungsrecht über die Feldtruppen hatte, aber die Stelle, die er anführt, Cod. Theod. 7 ,1 , 18 vom Jahre 400, nötigt nicht dazu. Den comites und duces wird die Versetzung ausTruppenkörpern jeder Art in andere Truppenkörper verboten. Dies allgemeine Verbot wird an alle selbständig kommandierenden Generäle gerichtet, von denen die comites insonderheit die Feldtruppen, die duces nur die Grenzformationen befehligten.

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Die Bildung des Feldheeres unter Konstantin hatte zugleich eine dauernde er­ hebliche Schwächung des Grenzheeres bedeutet, denn es steht außer Zweifel, daß diesem damals die militärisch wertvollsten Teile entzogen worden sind, ohne daß dieser Verlust später wieder ausgeglichen wurde. So sank mit dem Ansehen auch immer mehr der Kampfwert dieser Truppen, bis das Feldheer schließlich selbst die Aufgaben der allmählich verkümmernden Grenzwehr übernehmen mußte. Die Zahl der Dukate verringerte sich, der Wechsel aus dem Grenzheer in das Feld­ heer hörte während des ganzen 4. Jahrhunderts nicht auf, es wurden Wehrsprengel auch fü r Generäle des Feldheeres eingerichtet, und schließlich verteidigten allein noch die Feldtruppen und, ihre eigenen Ziele verfolgend, die föderierten germani­ schen Stämme Gallien. Dieser allmähliche Verfall des Grenzschutzes, die Ersetzung durch das Feldheer und am Ende die Auflösung des gesamten Wehrsystems soll der Gegenstand der folgenden Seiten sein. Die Dukate der Belgica prima und der Gallia riparensis, mit deren Einrichtung wir in diokletianischer Zeit zu rechnen haben, wurden wahrscheinlich schon bei der Aufstellung des Feldheeres, dem nunmehr vor allem auch der Schutz des Binnen­ landes zufiel, aufgelöst. Keine Spur weist auf ein Weiterbestehen in konstantinischer oder späterer Zeit hin. Die wenigen Truppen, die auch ferner hier lagen, wurden wie alle fest gamisionierenden militärischen Formationen, die nicht in einer als Dukat eingerichteten Provinz lagen, und wie alle halbmilitärischen Ver­ bände dem immittelbaren Befehl des magister peditum unterstellt1. Das Verteidigungssystem an der Nordostgrenze Galliens muß zwischen der diokletianischen Zeit und dem Ende des 4. Jahrhunderts grundlegend umgestaltet worden sein. Die notitia dignitatum erwähnt im Dukat der Belgica secunda nur noch drei Gamisonsorte, M ark bei Calais (o. S. 52), Etaples südlich von Boulogne und L e Crotoy an der Sommemündung12, die, alle am M eer gelegen, die Fortsetzung des im Dukat des tractus Armoricanus zusammengefaßten Küstenschutzes bilden und ihrer militärischen Bedeutung und Aufgabe nach au f’ s engste mit ihm Zu­ sammenhängen. Auch nicht eine Spur mehr ist vorhanden von der einstigen Haupt­ verteidigungslinie in der Belgica secunda, der Sperrkette Boulogne-Tongern-Jülich, die den Küstenschutz mit den Rheinbefestigungen verband. Diese Linie muß da­ nach vor der Jahrhundertwende aufgegeben worden sein, um so mehr als schon um das Jahr 395 der Dukat der Belgica secunda überhaupt, d. h. der H am ak noch be­ stehende Küstenschutz, aufgelöst war, was sich aus dem Umstande ergibt, daß die um diese Zeit fü r andere Provinzen angeordnete Neuerung in der Ernennung des Kanzleileiters des dux in der Belgica secunda nicht durchgeführt wurde (vgl.o. S.43). Ebenfalls einige Zeit vor der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert muß der Dukat der Germania secunda aufgehört haben zu bestehen, da es in der notitia dignitatum überhaupt kein Kapitel mehr über diesen dux gibt, ohne daß dieses Fehlen etwa 1 Not. dign. occ. X L I I . 2 Occ. X X X V III 7— 9.

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mit mechanischem Ausfall erklärt werden könnte, denn auch die Übersichten über die Dukate zu Anfang von Kapitel I und V kennen den dux Germaniae secundae nicht1. Aus der Betrachtung der geschichtlichen Begebenheiten müssen wir ver­ suchen, den Zeitpunkt der Preisgabe des niedergermanischen Dukats sowie der Zurückziehung der Grenztruppen aus den Garnisonen der Linie Boulogne-Tongem, die wir eben nur in ganz vorläufige Grenzen einschließen konnten, näher zu um­ schreiben; schon jetzt legt sich aber die Vermutung nahe, daß die beiden Maß­ nahmen, die zwei benachbarte und militärisch eng zusammengehörende Provinzen betrafen, nicht voneinander zu trennen sind. Kaum hatte Magnentius mit seinem Heer Gallien verlassen, da drangen die Germanen über den Rhein in das imgeschützte Land ein. Als Julian im Jahre 356 mit dem Auftrag die Ordnung in Gallien wieder herzustellen einrückte, fand er das Grenzland weitgehend verwüstet vor. Fünfundvierzig Städte sollen damals zerstört gewesen sein, darunter auch Köln, in dessen Umgebung weder eine Stadt noch ein Kastell mehr zu sehen war. Die Germanen selbst hielten, entlang dem ganzen Flußlauf, einen breiten Streifen linksrheinischen Gebiets besetzt, der sich im Mündungsgebiet des Rheins bis zu 50 km ins Land hinein erstreckte, und vor dem eine 150 km breite unbewohnte und unbebaute neutrale Zone gelegen sein soll12. Noch im selben Jahr schloß Julian mit den am Niederrhein eingedrungenen Franken einen Frieden, der vorderhand dem Staat nützlich war — diese allge­ meine Wendung gebraucht hier Ammian — , außerdem gelang es ihm, Köln zu­ rückzugewinnen3. So bedeutend diese Erfolge auch dargestellt werden, angesichts 1 Vgl. E. S t e in , 18. Bericht 97. P o la s c h e k , RE X V II 1088 rechnet mit einer Verschrei­ bung aus Germania II in Germania I, so daß also nicht das Kapitel des obergermanischen, sondern das des niedergermanischen dux occ. X X X IX ausgefallen wäre; dies wird nur für den eine Möglichkeit der Erklärung sein, der davon überzeugt ist, daß ein Kapitel über den dux Ger­ maniae I I in unserer notitia dignitatum gestanden sein, das über den dux Germaniae I aber fehlen müßte. 8 Iulian ep. ad Athen, p. 359 H. Ammian. 16, 2 ,1 . 12. Der Ödlandstreifen als Grenze entspricht altem germanischem Brauch; vgl. S c h u m a c h e r , Siedelungs- und Kulturgesch. der Rheinlande. Köln im Jahre 355 zerstört: Ammian. 15, 8, 1, vgl. 16, 3, 1 : per quos tractus nec civitas ulla visitur nec castellum. Ein großer Münzschatzfund, der in Köln im WallraffRichartz-Museum liegt und noch unpubliziert ist, wurde bei diesem Germaneneinfall ver­ graben. Ammian nennt überhaupt nur Remagen und einen Turm in der Nähe von Köln. Und daß dieses Gebiet wirklich so verödet war, ergibt sich daraus, daß Julian im Jahre 359 eine Anzahl von Städten am Niederrhein, darunter auch Andernach und Bonn, erst wieder besetzen mußte. — Den Bericht Julians hat F .V e r c a u t e r e n , Mélanges Bidez (1934) 955ff. einer Prüfung unterzogen, die ihn zu dem Ergebnis führt, daß Julian die Zustände, die er bei seiner Ankunft in Gallien im Jahre 356 antraf und von denen auch Ammian 16, 2, 12 spricht, in seiner Schilderung auf das Jahr 337 übertragen habe. Das mag zutreffen. Daraus aber mit V e r c a u te r e n die Folgerung zu ziehen, daß der Bericht Julians nur so weit Wert hat, als er durch Ammian gedeckt wird — »dès lors le texte de Julien n’a de valeur que pour la région limitrophe du Rhin — , geht nicht an, mögen die Zustände im ganzen auch nicht so düster gewesen sein, wie sie in dem Gemälde Julians erscheinen. Julians und Ammians Berichte ergänzen sich vielmehr gegenseitig. 3 Ammian. 16, 3, 2 . . . pacem firmaret rei publicae interim profuturam et urbem reciperet.

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der Formulierungen Ammians bleiben doch noch einige Fragen über das Schicksal dieser Franken, um so mehr als es außer Zweifel steht und von Ammian auch aus­ führlich beschrieben wird, daß die Alamannen, die Julian vor die gleiche A uf­ gabe wie die Franken gestellt hatten, über den Rhein zurückgeworfen wurden. W ir gewinnen den Eindruck, daß zwar auch im niederrheinischen Gebiet die Oberhoheit des Reiches wieder hergestellt wurde, ohne daß jedoch die Franken zum Verlassen des von ihnen besetzten Gebietes gezwungen wurden; der Friede wird dem Reich einstweilen so nützlich gewesen sein wie er den Franken nicht schädlich war. Dieser Auffassung widerspricht es durchaus nicht, daß im nächsten Jahre der magister militum Severus, als er mit der Vorhut des in das Winterlager zurückkehren­ den Heeres Reims au f einem Umwege zu erreichen suchte, der ihn den Rhein entlang nach Köln und von da nach Jülich führte, beim Maasübergang, also etwa bei Maastricht1, auf eine Schar plündernder Franken stieß, deren Gefangennahme dem bald darauf eintreifenden Julian erst nach langwieriger Belagerung gelang. Ein Haufe von Franken war zur Befreiung ihrer Stammesgenossen herbeigeeilt, kam aber zu spät und mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen12. Für uns ist diese Begebenheit wichtig, da sie zeigt, daß damals in der Nähe von Maastricht Franken saßen, die man auch, vorerst wenigstens, unbehelligt ließ. Sie gehörten sicher zu den salischen Franken, die sich, wir wissen nicht wann, in Toxandrien, dem Gebiet zwischen Schelde, Demer und Maas, niedergelassen hatten und gegen die Julian im Jahre 358 zu Felde zog; ein Entschluß, zu dem auch der Bericht des Heer­ meisters Severus beigetragen haben mochte. A u f seinem Marsche wurde der Caesar von einer Bittgesandtschaft dieser Franken in Tongern aufgehalten, das somit wohl etwa an der Grenze zwischen dem römischen und dem von den Franken besetzten Gebiet lag. Das Ergebnis des unblutigen Feldzugs war, daß die Franken sich Julian ergaben und auf die Versicherung, daß sie Ruhe halten würden, in ihren bisherigen Sitzen belassen wurden. Das Versprechen haben sie Jahrzehnte hin­ durch gehalten. Aus ihrem Siedlungsbereich, der an der römischen Befestigungs­ linie Boulogne-Tongern haltmachte3, haben sie erst Ende der zwanziger Jahre 1 Vgl. J u llia n , Hist. V I I 197 Anm . 4. B id e z , L a vie de l’Empereur Julien (1930) i5 4 f. 2 Ammian. 17, 2, 1— 4. Der Bericht Ammians ist außerordentlich lehrreich. D a es, um von M ainz ins Winterlager nach Reims zu ziehen, sehr viel nähere Wege gibt als den über K öln, so kann der Zug des Severus nur als eine Kontrollierung der Grenze aufgefaßt werden. In der T a t bog Severus auch in Köln — von dort ab saßen eben, wie es scheint, schon die Franken — nach Westen ab, um der Linie Jülich-M aastricht-Boulogne zu folgen, die damals schon längst Grenzlinie war (o.S .5 3 f.). Wenn hier an der Maas der Grenzschutz fehlte (vacua praesidiis loca) und zwei Befestigungen leer standen, so wird das am ehesten auf Magnentius zurückzuführen sein, der sein Heer, mit dem er gegen Konstantius zog, möglichst stark machen mußte und der andererseits von den ihm befreundeten Franken nichts zu befürchten brauchte. 3 Vgl. die Karte bei G . D e s M a r e z , L e problème de la colonisation franque in M ém . de l’acad. royale de Belgique 1926.

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des 5. Jahrhunderts unter ihrem König Chlodio einen Vorstoß unternommen, ohne weit über die bisherigen Grenzen hinaus vorzudringen. Und erst um die Mitte des Jahrhunderts eroberte derselbe Chlodio Cambrai und rückte bis zur Somme vor1. Um die Zeit, als Julian den Vertrag mit den salischen Franken in Toxandrien schloß, hatte ein Schwarm Chamaven den Versuch gemacht, über den Rhein nach Gallien vorzudringen, war aber von Franken daran verhindert worden, die auf dem linken Rheinufer gesessen haben müssen und keine anderen sein werden als die von Julian im Jahre 356 in dem von ihnen eroberten Gebiet Belassenen. Die Cha­ maven waren daraufhin den Rhein hinuntergefahren, um die Salier, die seit langer Zeit auf der Bataverinsel saßen, zu vertreiben. Da griff Julian ein. Das Ergebnis der Kämpfe, die mm geführt wurden, war, daß die Salier, die bisher auf der Insel saßen, auf römisches Gebiet übersiedelten und in das Reich aufgenommen wurden, und daß die Chamaven mit den Römern einen fü r beide Teile günstigen Frieden schlossen12. Damals muß das schon vorher in der Germania secunda ansässige fränkische Bevölkerungselement noch einmal eine beträchtliche Stärkung erfahren haben, ohne daß aber dadurch das Niederrheingebiet dem Reich entfremdet oder gar von ihm abgetrennt worden wäre. Die Verbindung war vielmehr seit langer Zeit nicht mehr so eng gewesen wie damals. Schon im nächsten Jahre, 359, konnte Julian daran denken, den S c h iffa h rtsverkehr mit Britannien, der fü r die Getreide­ versorgung von besonderer Wichtigkeit war, wieder aufzunehmen. Er selbst zog auf dem linken Rheinufer zur Begleitung der Flotte bis an die Rheinmündung. Wenn es dabei heißt, daß ihn sein Weg durch bundesgenössisches Gebiet führte3, so sind eben damit die von ihm selbst auf dem linken Ufer angesiedelten Franken gemeint. Der Zug hatte den Erfolg, daß allenthalben Getreidespeicher errichtet werden konn­ ten und eine Anzahl von Städten und Kastellen des Rheinufers neu besetzt wurde: Castra Herculis, Qualburg, Xanten, Neuß, Bonn, Andernach und Bingen4. So er­ klärt es sich, daß in einer Gegend, die seit der Mitte des 3. Jahrhunderts fast über­ haupt nichts Römisches mehr aufzuweisen hat, in Holland, an zwei Stellen, bei Nijmegen und in Cujk, römische Funde aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gemacht wurden5. Es ist wahrscheinlich, daß hier mitten in einem Gebiet, das von Franken besiedelt war, kleine römische Stützpunkte von Julian angelegt wurden, 1 2 3 1

Gregor von Tours 2, 9. Dazu L . S c h m id t, Gesch. der deutsch. Stämme II 453ff. 465. Zosim. 3, 6. Eunap. Frgmt. 10— 12. Dazu W . K o c h , Kaiser Julian 403fr. Liban, epitaph. Iul. p. 551: ό δέ Ιχώρει tmv τώ ν ίναττόνδων τταρε^ιών. Ammian. 18, 2, 4. Eine spätrömische Befestigung wurde in Heumensoord bei Nijmegen ausgegraben; die Münzen beginnen mit Konstantius II und hören mit Valentinian I und Gratian auf. Derselbe Münzbefund liegt in Cujk vor, wo 1921 die Reste einer Maasbrücke zutage kamen. Vgl. H o lw e r d a , 15 .Bericht der Röm.-Germ. Kommiss. 3fr., und Oudheidk. Mededeel. 1933, 1 1 ff. Auch an der Maas, vielleicht an ihrem Unterlauf, hatte Julian drei Befestigungen wieder in Stand gesetzt (Ammian. 17, 9, 1).

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von denen aus die Schiffahrt beaufsichtigt werden konnte1. U nd ebenso wie diese waren vermutlich auch die flußabwärts von K öln liegenden Städte, N euß, Xanten usw. rings von Franken umgeben, die sich, wie überhaupt die Germanen, im offenen Land niederließen, die festen Städte aber wie die Gräber m ieden12. In den Maßnahmen Julians sehen wir die erste Ursache fü r die Umgestaltung des diokletianischen Wehrsystems an der Nordostgrenze Galliens, ohne damit etwas über die Zeit sagen zu wollen, in der dieses System abgelöst wurde von dem, das uns die notitia dignitatum am Ende des 4. Jahrhunderts zeigt. Es ist sogar nicht einmal anzunehmen, daß Julian selbst schon die römische Grenzwehr zurück­ gezogen hat. Die Erfahrungen, die er mit den Franken hatte machen müssen, er­ mutigten nicht dazu; ohnedies wird er bei seiner großen Zurückhaltung und seinem Mißtrauen den Germanen gegenüber nicht geneigt gewesen sein, die Sicherheit der Grenze von dem Vertrag mit den Franken abhängig zu machen. Jedenfalls hat er die Rheingrenze erneut befestigt und militärisch gesichert und seine Bautätigkeit auch auf das Gebiet westlich vom Niederrhein ausgedehnt (vgl. 63 Anm. 5). Wie Julian wird auch Valentinian I hier keine entscheidenden Änderungen vorgenommen haben. A u f die diokletianische Tradition in vielem bewußt über die konstantinische Ära hinweg zurückgreifend hat er auch das Grenzwehrsystem Diokletians wieder erneuert. Überall an den Lim ites des Reiches finden wir die Spuren seiner Tätig­ keit. Im gallischen Bereich hat er nach Ammians Bericht (28, 2 ,1 ) den ganzen Rhein befestigt a Raetiarum exordio ad usque fretalem Oceanum magnis molibus . . ., castra extollens altius et castella turresque adsiduas per habiles locos et opportunos, qua Galliarum extenditur longitudo. Ihm wird man am wenigsten die Auflösung der Grenzwehrorganisation im Nordosten Galliens zuschreiben wollen. Indessen führte der schwache Gratian die kraftvolle und au f die Sicherung des Reiches bedachte Politik seines Vaters nicht in dessen Sinne weiter. V or allem änderte sich jetzt grundsätzlich das Verhältnis zu den 'Barbaren*. Im Jahre 380 siedelte Gratian die über die Grenze eingebrochenen ostgotischen Scharen des Alatheus und Saphrax in Pannonien an, bald darauf schloß Theodosius mit den Westgoten einen ähnlichen Frieden3. N eu an diesen Abmachungen war, daß germanische Stämme im Reich angesiedelt wurden, ihre Autonomie behielten, aber zur Reichsverteidigung sich verpflichteten. Es spricht nun alles dafür, daß diese von Gratian durchgeführten und im Osten erprobten Grundsätze von ihm auch auf die Behandlung der links­ rheinischen verbündeten Franken angewendet wurden. Seit Julian trennte-die Linie Boulogne-Tongem zwar noch Römer und Franken, Reichsgrenze im eigentlichen Sinne war sie seither nicht mehr, da Julian die Franken in den Reichsverband auf1 So hatte Julian auch rechts des Rheins auf alamannischem Boden eine Befestigung, die nach Ammian 17, 1, 11 munimentum Traiani hieß, wieder aufbauen und besetzen lassen. a Ammian. 16, 2, 12. Was hier von den Alamannen gesagt wird, ist gewiß für die Ger­ manen überhaupt kennzeichnend. 3 E. S t e i n , Gesch. I 298. A . A l f ö l d i , Untergang II 60. L . S c h m i d t , Gesch. der deutsch. Stämme I2 260. 419.

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genommen hatte1. Was liegt näher, als daß der Kaiser, dessen 'Barbarenfreundlichkeit’ man bitter anklagte, die letzten Konsequenzen aus einer Ordnung zog, die sich schon zwei Jahrzehnte lang bewährt hatte (o. S. 62), daß er den Schutz einer Grenze aufgab, die ihren Charakter als militärisch zu schützende Reichsgrenze ver­ loren hatte, und daß er die Verteidigung des Reiches im Nordosten Galliens den Franken übertrug12. Ein Grund, die verbündeten Franken am Niederrhein anders zu behandeln als die salischen Franken Toxandriens, lag nicht vor. Im wesentlichen wird das Verhältnis dieser Franken zum Reich dasselbe gewesen sein wie das anderer später in Gallien angesiedelter germanischer Stämme, beispielsweise der Westgoten. Vor allem war ihnen die Verteidigung ihres Gebietes übertragen. Veranlassung, die römische Zivilverwaltung in den betroffenen Provinzen aufzulösen, hatte man um so weniger, als sowohl Teile der Germania secunda wie die ganze Belgica se­ cunda römisch besiedelt blieben3. Selbstverständlich hatte sich die Regierung mit dieser Ordnung der Dinge und mit der Auflösung des Dukats nicht etwa jeder militärischen Einflußnahme in der Germania secunda begeben. Es ist anzunehmen, daß zum mindesten das Gebiet südlich von Köln nicht von Franken, sondern auch weiterhin von regulären römi­ schen Truppen geschützt war, die aber angesichts des geringen zu sichernden Rau­ mes — schon Andernach gehörte zur Germania I — nicht in einem Dukat zusammen­ gefaßt waren. Ob allerdings auch später noch, wie dies unter Valentinian I der Fall war (s. 0. S. 59), ein General des Feldheeres in der Germania secunda komman­ dierte, wissen wir nicht, mehrmals aber zogen noch Truppen des römischen Feld1 Die Formulierungen der Quellen sind hier eindeutig : dedentes se (sc. Salios) cum opibus liberisque suscepit (Ammian. 17, 8, 4); ύττεδε|άμΗν μϊν μοίραν toö CaXicov ϊφνους (Iulian. ep. ad Athen, p. 261 H .); von den von den Batavern vertriebenen Saliern: οόστ* ä^iouv μετοικεΐν και μέρος είναι thç Ικείνου βασιλείας, was ihnen gewährt wird (Liban, or. X V III 75 S. 269 F.). 2 A u f eine friedliche Zurücknahme der Besatzung des limes Belgicus muß man auch aas einem andern Grund schließen. Wäre die Linie von Feinden überrannt worden, dann wäre es unmöglich, daß später noch nördlich von ihr an der Küste, in Mark, eine Besatzung lag. — Das Wenige, was die auf Veranlassung von J. B r e u e r in Angriff genommenen, bisher aber nur in sehr geringem Ausmaß durchgeführten archäologischen Untersuchungen des limes Belgicus ergeben haben, paßt gut zu unserer Annahme. Zwei sichere spätrömische Befestigungen wurden festgestellt in Brunehaut-Liberchies und in Morlanwelz; vgl. J. B r e u e r , Bulletin des Mus. royaux (Bruxelles) sér. III 2, 1930, i i o f . und III 3,1931, 98fr., ferner in*i