Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus

764 85 11MB

German Pages 471 [493] Year 1961

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus

Table of contents :
SAMMLUNG POLITEIA
DIE SOZIAL- UND WIRTSCHAFTSPHILOSOPHIE DES NEOLIBERALISMUS
1. Die ideengeschichtliche Bedeutung des philosophischen Nominalismus
/. Das Menschenbild des philosophischen Nominalismus
3. Die neoliberale Freiheitsideologie
1. Spannungsverhältnis %wischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse
2. Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

Citation preview

SAMMLUNG POLITEIA Veröffentlic hu ngen des Internationalen Instituts für Sozialwissenschaft und Politik Universität Freiburg/Schweiz

Herausgegeben von Prof. Dr. A. F. Utz

Bd. XIV

Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus

F. H. KERLE VE R L AG H E I D E L B E R G - V E R L A G E. N A U W E L A E R T S · L Ö W E N

EG O N ED G A R NAW ROTH

DIE SOZIALU N D WIRTSCHAFTSPHILOSOPHIE DES NEOLIBERALISMUS

F. H. KE RL E V E R L A G · H E I D E L B E R G - V E R L A G E. N A U W E L A E R T S · L Ö W E N

Copyright 1961 by F. H. Kerle Verlag, Heidelberg und Verlag E. Nauwelaerts, Löwen Recht der Übersetzung beim Internationalen Institut für Sozialwissenschaft und Politik, Universität Freiburg (Schweiz) Druck: F. Schmitt, Siegburg (Rhld.)

VORW ORT Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus steht zur Zeit im Brennpunkt der wissenschaftlichen, speziell der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion. Das sogenannte „Deutsche Wirtschaftswunder“ wird von neo­ liberaler Seite aus durchweg als die überzeugende Bestätigung und Konkreti­ sierung einer Doktrin hingestellt, die ihre entscheidenden Impulse und Struktur­ gesetze dem liberal interpretierten Grundbegriff der individuellen Freiheit ent­ nimmt. Hinzukommen bemerkenswerte Versuche neoliberaler Autoren, die neoliberalen Grundauffassungen mit der christlichen Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftslehre zu konfrontieren, mit dem Ergebnis, daß nach neoliberaler Überzeugung zwischen beiden Lehrsystemen keine beunruhigenden Unterschiede mehr bestehen. Da große Werte wie: Personwürde, Freiheit, soziale Verantwor­ tung, Gemeinwohl, Gerechtigkeit, soziale Marktwirtschaft usw., auf beiden Seiten eine entscheidende Rolle spielen, hat diese Überzeugung bei nicht wenigen Vertretern auch der christlichen Soziallehre, die sich nicht genügend Rechenschaft über die grundverschiedene Beinhaltung der genannten Begriffe geben, Eingang gefunden. Wie die Diskussion beweist, ist die Begriffsverwirrung beträchtlich. Der Neoliberalismus ist weder ein rein ökonomisches noch ein ausschließlich innerdeutsches Problem, sondern ein universal-ideologisches Phänomen der Gegenwart. Er beansprucht für sich, eine freiheitliche Philosophie zu sein. Wie auf den folgenden Seiten nachgewiesen wird, handelt es sich hierbei im Grunde um die Renaissance der nominalistischen Aufklärungsphilosophie, die allen entscheidenden Grundfragen der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftslehre das betont individualistische Gepräge gibt. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Vernachlässigung des sozialwirtschaftlichen Verteilungsproblems. Die von den neoliberalen Autoren in den Vordergrund des Blickfeldes gerückten ordnungspolitischen Modifikationen der neoliberalen Konzeption reichen auf Grund ihres akzidentellen Charakters nicht aus, um den Vorwurf des liberalen Individualismus zu widerlegen. Das Hauptanliegen der hier dargebotenen Arbeit besteht darin, vom Standpunkt der seinsrealistischen Philosophie her im Sinne einer Grundsatzdebatte die klärenden Voraussetzungen für ein vertieft zu führendes Gespräch zu schaffen. Nicht

die Negation, nicht das unfruchtbare „Anti“ dient dem gemeinsamen sozialen Anliegen, sondern die bewußte Verpflichtung aller sozial- und wirtschaftspoli­ tischen Bestrebungen auf die Anerkennung und Realisierung des situations­ gerecht interpretierten Gemeinwohls. Der vielbeschäftigte Nationalökonom und Sozialpolitiker wird möglicherweise die ideengeschichtlichen Ausführungen des ersten Kapitels als ermüdend und überflüssig empfinden. Da indessen die nominalistische Lösung des Universalien­ problems für das gegenwärtige Wiederaufleben altliberaler Ideen von funda­ mentaler Bedeutung ist, glaubten wir, im Interesse einer systematischen Darstel­ lung des modernen Liberalismus, die bis zur Stunde fehlt, gerade auf diesen Abschnitt nicht verzichten zu dürfen. Ich möchte das Vorwort zu dieser Arbeit nicht ohne ein Wort des Dankes beschließen. Dank schulde ich in erster Linie meinen Ordensoberen, die in stets großzügiger Weise die umfangreichen Vorstudien zu dieser Arbeit ermöglicht und unterstützt haben. Aufrichtiger Dank gebührt ferner Herrn Prof. Dr. Λ . F. Ut dessen Publikationen und Spezialvorlesungen im Internationalen Institut für Sozialwissenschaft und Politik an der Universität Freiburg/Schweiz eine wesent­ liche Hilfe boten. Auch den Herren Professoren W. Büchi und B. Biuccbi sei hiermit für ihr Interesse gedankt. E . E . Nawroth OP

INHALTSVERZEICHNIS V o r w o r t .......................................................................................................................

V

In h a ltsverzeich n is........................................................................................................ VII Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................XVII Z ur E in fü h r u n g

..................................................................................................

1

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus 1. Der „Dritte Weg“

.........................................................................................

3

Der N eo lib e ra lism u s..................................................................................... Der wirtschafdiche Intervendonism us....................................................... Die katholische S o z ia lle h r e ........................................................................

3 4 4

2. Das neoliberale R eform p rogram m ............................................................

5

Neoliberale G r u p p e n ..................................................................................... „Entarteter“ und „wahrer“ L ib e r a lism u s............................................... Das neoliberale R eform p rogram m ...........................................................

5 6 8

3. Gegenwärtige Kritik am neoliberalen P ro g r a m m ....................................... 12 Die wirtschaftliche S e ite ......................................................................................12 Die philosophischen G run dlagen ..................................................................... 13 Ziel und Methode des V orgehens.....................................................................18 E r ste s K a p ite l: Die nominalisdsche Grundlegung des Neoliberalismus .

21

1. Die ideengeschichtliche Bedeutung des philosophischen Nominalismus 23 a) Die erkenntnistheoretische Wurzel des Universalienproblems . . 24 b) Die geschichtliche Kontroverse um das Universalienproblem . . 25 c) Die dreifache Bewandtnis des Universalienproblem s.......................... 25 2. Die realistische Lösung des Universalienproblems....................................... 26 a) Die dreifache Einheit aller wirklichen D in g e ........................................... 27 b) Der gegenständliche Wert der allgemeinen B egriffe...............................29 c) Die realistische A b strak tion sleh re............................................................ 30 Sinnliche Vorstellung als werkzeugliche Ursache der intellektuellen E r k e n n tn is.......................................................................................................31 Wesentlicher Unterschied zwischen sinnlicher und intellektueller E r k e n n tn is.......................................................................................................32 Metaphysische Folgerungen der realistischen Abstrakdonslehre . 33 3. Die nominalistische Lösung des Universalienproblems...............................36 a) Die zeitgenössischen Grundtendenzen : Individualismus und Empi­ rismus ................................................................................................................... 36

VIII b) Der nominalistische Begriff des Z eich en s................................................38 c) Der englische Empirismus und Skeptizism us....................................... 38 / . Locke s induktiver Abstraktionsbegriff............................................... 39 G. Berkeley s Schritt zum U ltranom inalism us....................................... 42 D . Hume's Positivismus und G efühlssubjektivism us.......................... 42 Z u sa m m e n fa ssu n g und S te llu n g n a h m e (zu Kap. 1) Die nominalistische Wende vom Real-Objektiven zum Subjektiven . .

44

Z w e ite s K a p ite l : Individualrechdicher P er so n a lism u s...................................47 1. Das Menschenbild des philosophischen N om inalism us...............................50 a) A ktualistische Umwertung des Personbegriffes....................................... 51 b) Individualistische Übersteigerung des „Selbst“ ....................................... 54 c) Psychologische Begründung der E t h i k ....................................................56 2. Der neoliberale P ersonalism us.........................................................................57 a) Liberal-individualistische Persönlichkeitsauffassung (W . Röpke) . 58 b) Aktualistisch-utilitaristische Orientierung am Nebenmenschen ( F . A . H a y e k ).................................................................................................. 61 c) Anonym-mechanische Koordinierung der sozialen Beziehungen . 64 Anthropologische Skepsis des „wahren“ Individualismus . . . . 64 Das konkurrierende Selbstinteresse als Ordnungspotenz...................... 66 Nominalistische Entleerung der sozialen B eziehung.......................... 69 Z u sa m m e n fa ssu n g und S te llu n g n a h m e (zu 2 ) ...............................71 Sozialethische Struktur des chrisdichen Personalism us...............................72 Struktursoziologische Bedeutung des ethischen Personalismus . . . 73 Finalethische Konkretisierung des christlichen Personalismus . . . . 74 3. Die neoliberale Freiheitsideologie.....................................................................76 a) Individuelle Freiheit als personaler Höchstwert (W . Eucken) . . . 76 b) Identifizierung von persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit (W . Eucken, F. A . Hayek, A . Müller-Armack) ....................................... 78 c) Freiheit als „Kernpunkt der sozialen Frage“ ( W. Eucken) . . . . 79 Z u sa m m e n fa ssu n g und S te llu n g n a h m e (zu 3 ) ...............................81 Mangelnde Wertbezogenheit der neoliberalen Freiheitsauffassung . . 81 Ordnung und F r e i h e i t ..................................................................................... 83 Wertzuordnung und W ertausgleich................................................................ 84 D r it t e s K a p ite l: Individualistische Sozialmetaphysik....................................... 87 R ü c k b lic k ................................................................................................................... 89 Die Wertschätzung des sozialen Anliegens im neoliberalen Denken . . . 90 1.

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem ( F. Böhm)

93

a) Neutralisierung der gesellschafdichen M acht........................................... 93 Individualistische Freiheit unter dem G e se tz ........................................... 93 Indirekte Ausgleichsfunktion des G e s e t z e s ........................................... 95 Formalistische Relativierung des Gesetzes ........................................... 97 b) Sicherung der R e c h tsg le ic h h e it................................................................ 98

IX „Absolute Gleichberechtigung“ aller Gesellschaftsglieder . . . . 98 Individualistischer Charakter der neoliberalen Staatsethik . . . . 100 Trennung des Rechtes von der Idee der G e r e c h tig k e it.................... 102 c) Rechtsstaatlicher „Gleichgewichts- und Automatismusglaube“ . . 105 Das Kernproblem: Rechtsstaat oder W ohlfahrtsstaat..................105 Privatrechdich-institutioneller „Einpendelungsprozeß“ ............. 106 Synthese zwischen sozialem und politischem Freiheitsanliegen . . 1 0 9 Z u sa m m e n fa ssu n g u nd S te llu n g n a h m e (zu 1 ) .............................110 Individualistischer Gemeinwohlbegriff.......................................................... 110 Mißdeutung von Aristoteles und Thomas von A q u i n .............................I l l Versuch einer sozialethischen Rückorientierung..................................... 113 Verwischung des Begriffes „Wohlfahrtsstaat“ ......................................... 115 Gesamtbeurteilung des Böhm'sehen G ed a n k e n g a n g es.............................117 2. Das Soziale als funktional theoretisches Ordnungsproblem (W . Euchen) 118 a) Die einheitliche Ordnungs-Konzeption als Kriterium der „sozialen“ M o r a l ...................................................................................................... 119 Wirtschaftsordnung als legitimer Rahmen der F r e i h e i t ............. 119 Grundgesetz der „sozialen“ Interdependenz...................................120 Identität von Wirtschaftsordnungs-Politik und Sozialpolitik . . . 120 b) Die produktionsintensive Reflexion als „sozialer Ordnungs-Impuls“ 122 Soziale Frage als V ersorgungsproblem ........................................... 122 Produktivität als „Brennpunkt“ der O rdnungspolitik..................122 ökonom ische Funktion des sozialen F reih eitsp a th o s..................124 c) Die funktionsfähige Wettbewerbsordnung als „sozialer“ Ordnungs­ inhalt .............................................................................................................127 Wettbewerb als sozialethisches O rdnungs-K riterium ..................127 Soziale Gerechtigkeit als marktmechanische Tauschgerechtigkeit . 130 Soziale Bedeutung der „inneren Koordination“ .......................... 133 Z u sa m m e n fa ssu n g (zu 2 ) ........................................................................... 136 3. Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem (W . Eucken, A . MüllerA r m a c k ) .............................................................................................................137 a) Soziale Intervention als nachträgliche K orrek tu r.......................... 138 „Immanente Mängel“ der freien Marktwirtschaft.......................... 138 Ordnungspolitische Prädominanz des Wettbewerbs-Prinzips. . . 140 Quantitative Korrektur des P rod u k tivergeb n isses...................... 142 Z u sa m m e n fa ssu n g u n d S te llu n g n a h m e (zu a ) ..................144 b) Marktkonformität als regulatives Prinzip der Sozialpolitik . . ..1 4 5 Vorrang der ökonomischen S a c h lo g ik ........................................... 145 „Wettbewerbskonforme“ und „herkömmliche“ Sozialpolitik . . . 146 Marktgerechte E inkom m ensum leitung........................................... 148 Z u sa m m e n fa ssu n g u nd S te llu n g n a h m e (zu b ) .................. 152 c) Gesellschaftliche Begrenzung der Ausgleichskorrekturen. . . . 154 Sozialpolitik als „Linderungspolitik“ ............................................... 154 Gesetzliche „Previlegierung“ der S c h w a c h e n ...............................154 ökonomistische Tendenz der S o z ia lp o lit ik ...................................155

X Z u sa m m e n fa ssu n g u nd S te llu n g n a h m e (zu 3 ) ............................ 157 A b s c h lie ß e n d e B e u r t e i l u n g der n e o l i b e r a l e n S o z i a l e t h i k 158 (zu Kap. 3) Individualistische Beinhaltung des S o z i a l e n ..............................................158 Uneinheitlichkeit der sozialen K o n ze p tio n ..................................................158 Marktkonformität und S ozialk on form ität..................................................160 Gesellschaftlicher Charakter des V erteilungsproblem s.............................162 „Integrierende“ und „gestaltende“ S o z ia lp o litik ..................................... 164 Vernachlässigung der Familienpolitik als O rdnungspolitik.................... 165 V i e r t e s K a p i t e l : Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie . . . . 1 6 9 1. Spannvingsverhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse

. 171

a) Problematik des In teressen au sgleich es.................................................. 171 b) Die neoliberale Z w isch en lösun g...............................................................172 c) Selbstverantwortliches Eigeninteresse als Voraussetzung . . . . 1 7 3 2. Ethische Neutralisierung des H arm onieproblem s..................................... 173 a) Formale Interpretation des Harmonieproblems..................................... 173 b) „Höchstmögliche Reineinnahme“ und „bestmögliche Versorgung“ 176 Das Harmonieproblem in der geschlossenen Hauswirtschaft . . . 176 Das Harmonieproblem in der arbeitsteiligen Großwirtschaft . . . 179 Ethische Grundstruktur des H arm onieproblem s.................................180 c) Ethisch-normativer Charakter des „wirtschaftlichen Prinzips“ . . 1 8 0 Modelltheoretische Lösung des Harmonieproblems.............................181 Ethische Neutralisierung des wirtschaftlichen H a n d eln s.................... 182 „Wirtschaftliches Prinzip“ als zwecksetzender F a k to r ........................ 183 3. Markttheoretische Lösung des H arm on iep rob lem s................................. 185 a) Neue Harmonieerwartung durch preisautomatische Koordination . 185 Das Problem des funktionsfähigen B ew ertu ngssystem s.................... 185 Automatischer Ausgleich der Wirtschaftsprinzipien.............................186 Ordnungspolitisch begründete Harmonieerwartung.............................187 b) Marktmechanische Integration des G e sa m tw o h le s.............................189 Markttheoretisches Gesamtinteresse als ideelle N o r m ........................ 189 Mechanisch-additiver G em einw ohlbegriff..............................................190 Knappheitspreis als automatischer Indikator......................................... 191 c) Diskrepanz zwischen markttheoretischem und sozialwirtschaftlichem G esam tinteresse............................................................................................192 Ungleiche Verteilung der Kaufkraft.......................................................... 193 Einzelbetriebliche Planungsfreiheit als K o n flik tsq u e lle .................... 193 Individualistische Beinhaltung der K n a p p h e it..................................... 194 Z u s a m m e n f a s s u n g und S t e l l u n g n a h m e (zu Kap. 4 ) ........................ 195 Neoliberale Inkonsequenz bei der Lösung des Harmonieproblems . . . 1 9 7 Analoge Sinnfülle des echten Gemeinwohlbegriffs......................................... 198 Gegenseitige Bedingtheit von Eigen wohl und Gesamtinteresse . . . . 1 9 9 Wertzuordnung von Gemeinwohl und E igen w oh l......................................... 200

XI F ü n f t e s K a p i t e l : Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie . 203 1. Atomistische Gesellschaftsauffassung.......................................................... 205 a) Neoliberale Gesellschafts- und K u ltu rk ritik ......................................... 205 b) Ontologische Sicht des gesellschaftlichen P hän om en s........................ 207 Das Erbe des nominalistischen M on ism u s....................................... 207 Die unechte nominalistische A lternative........................................... 208 Das kollektivistische V e r d i k t ............................................................ 208 c) Negierung des organischen Pluralism us..................................................209 Ablehnung der soziologischen „Hierarchie“ und „Autonomie“ . 209 Historisches Mißverständnis des organischen Pluralismus . . . . 210 Atomisierungstendenz des sozialphilosophischen Individualismus . 211 2. Individualistische S o zia lp rin z ip ien .............................................................. 212 a) Gesellschaft als gefühlsbedingtes Wir-Bewußtsein (W . Röpke) . . 212 Monistischer Grundaspekt der Röpke9sehen Gesellschaftstheorie . 213 Individualpsychologische Normierung des Gesellschaftsbewußt­ seins ................................................................................................................. 215 Auflösung des gesellschaftlichen SpannungsVerhältnisses . . .. 2 1 6 b) Gesellschaft als anonym-funktionaltheoretisches Kräftekollektiv ( F . A . H a y e k )..........................................................................................217 Individualistische Handlungsfreiheit als Ordnungspotenz . . .. 2 1 8 Kausale Interpretation der sozialen E rsch einu ngen ...................... 221 Gesellschaft als gedachte Einheit anonymer Sozialprozesse . . . . 224 c) Gesellschaft als privatrechtlich-institutioneller Zweckverband (F. Böhm ).................................................................................................. 226 Gesellschaft als Gesamtheit privatrechtlicher Institutionen . . . . 226 Gesellschaft als Kraftfeld privatrechtlicher Ausgleichstendenzen . 227 Gesellschaft als Zweckverband autonomer Privatrechtsträger . . . 228 Z u s a m m e n f a s s u n g u nd S t e l l u n g n a h m e (zü 2 ) ............................ 229 3. ökonomistische G e sellsch a ftsp o litik .......................................................... 231 a) Markttheoretische Begründung der Strukturpolitik...................... 231 Wirtschaftsordnung als G esellsch a ftsin h a lt................................... 232 ,, Reintegrierung der Marktwirtschaft* ‘ als gesellschaftspolitisches Ziel 234 Wettbewerbstheoretische Negierung des Körperschaftsgedankens . 238 b) Uneinheitliche S taatsau ffassu n g........................................................ 241 Schwächung der Staatsmacht als ordnungspolitische „Generalidee“ 241 Verabsolutierte individuelle Freiheit als Staatsnorm...................... 242 Ruf nach dem starken Staat als ordnender P o t e n z ...................... 243 c) ökonomistische Entproletarisierungspolitik......................................... 244 Z u s a m m e n f a s s u n g und S t e l l u n g n a h m e (zu Kap. 5 ) ........................ 245 1)

Erkenntnistheoretische Begründung der realistischen Gesellschafts­ philosophie .........................................................................................................246 Eigensein und Eigenwert der G esellschaft..................................................246 Ganzheitscharakter der G esellschaft.............................................................. 249 Analogie des teleologischen Organismusgedankens...................................251

XII 2) Gesellschaft als hierarchisch-föderalistischer Pluralism us........................ 252 Der gesellschaftspolitische Ausgangspunkt der berufsständischen O r d n u n g ............................................................................................................ 252 Historische Zerrbilder der ständischen I d e e ............................................. 255 Ständeidee und Subsidiaritätsprinzip.......................................................... 256 3) Sozialphilosophische Beinhaltung des Subsidiaritätsprinzips.................... 257 Der soziologische Hintergrund des modernen Gesellschaftsdenkens . 257 Subsidiarität als Grundgesetz der sozialen Zuständigkeitsordnung . . 258 Subsidiarität als sozialethisch normiertes Handlungsprinzip.................... 260 Positive Begründung der staatlichen R eserve............................................. 261 Leistungsgemeinschaftliche Verwirklichung der Subsidiarität . . . . 264 Mangelnder Realismus der neoliberalen G e g en v o rsc h lä g e....................266 Negative Einstellung des säkularisierten Liberalismus zur Gesellschafts­ reform .................................................................................................................268 S ec h s t es K a p i t e l : Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung . 271 1. Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft . . . 274 a) Das „rationale Wesen“ der M arktwirtschaft......................................... 275 Wirtschaft als Summe analysierbarer Fakten und Prozesse . . . . 276 Logische Kohärenz als wirtschaftswissenschaftliches Objekt . . . 279 Identifizierung von „wirtschaftlichem Prinzip“ und „wirtschaft­ licher Vernunft“ ............................................................................................286 Wirtschaft als „variabler Rechnungs- und Signalapparat“ .................... 289 b) „Lenkungsmechanik“ der Marktwirtschaft............................................. 291 Wirtschaft als arbeitsteiliger Tauschzusammenhang.............................292 Relativierung der Freiheit und Verantwortung.....................................295 Marktprozeß als „geordnete Anarchie“ ..................................................299 „Außer- und übermenschliche Intelligenz des Marktes“ .................... 301 c) Wirtschaftsprozeß als „Nichtgeschichte“ ............................................. 303 „Naturordnung der inneren Koordination“ ......................................... 304 „Polarität der Koordinationsprinzipien“ ............................................. 306 Atomare Marktverfassung ...................................................................... 309 Z u s a m m e n f a s s u n g u nd S t e l l u n g n a h m e (zu 1 ) ............................ 309 Wirtschaftseinheit durch normativen Ganzheitswert.................................310 Wirtschaft als organisch gegliedertes Gesamtleistungsgefüge . . . . 3 1 0 Wirtschaft als finalethisch determinierte Gestaltungsaufgabe . . . . 3 1 1 2. Formalismus in der wirtschaftlichen Z ie ls e tz u n g .....................................312 a)

Überwindung der Knappheit als eigentlicher Sachzweck der W ir ts c h a ft.................................................................................................... 313 Individualistische Beinhaltung der K n a p p h e it.....................................313 Institutionelle Sicherung der maximalen Produktivität........................ 314 Vorrang der ökonomischen Sachgesetzlichkeit.....................................318

XIII

b) Gewinnstreben als allgemeine Antriebs- und Ordnungskraft der W ir ts c h a f t .....................................................................................................322 „Herrschaft der Rentabilität“ ...................................................................322 Selbsttätige Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz . . 323 Formalistische Sicherung der B edarfsbefriedigung............................ 328 c) Kaufkraft als P rod u k tion sn orm ...............................................................332 „Herrschaft des Konsumenten“ .............................................................. 332 „Wirtschaftsdemokratie“ der K aufkräftigen......................................... 333 Rational-subjektivistische Produktionslenkung.....................................334 Z u s a m m e n f a s s u n g u nd S t e l l u n g n a h m e (zu 1 u. 2 ) ....................335 Wesensdeutung und Sinnerfüllung der W irtschaft.....................................335 Gestalthaftigkeit und Gestaltgebung der W irtschaft.................................338 Sozialethische Durchformung der W irtschaft............................................. 342 3.

Formale Wertung der wirtschaftlichen L e i s t u n g ...................................344 R ückblick............................................................................................................. 344 a) Herrschaft des Ä quivalenzprinzips.......................................................... 345 b) Nachfragebedienung als L eistu n g sm a ß sta b ......................................... 345 c) Formal-sachliche Ertragsverteilung..........................................................347 Z u s a m m e n f a s s u n g u nd S t e l l u n g n a h m e (zu 3 ) ............................ 350 Sinnbestimmung der Wirtschaft als L eistun gsk riteriu m ........................351 Objektivität des Tauschwertes und der Tauschwertgleichheit . . . . 352 Teleologisch-komplementärer Charakter der G erechtigkeit....................354 D e f i n i t i v e B e i n h a l t u n g des W i r t s c h a f t s b e g r i f f e s ....................357 1) Wirtschaftsdefinition der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie . . 357 2) Umstrittene Folgerungen der neoliberalen Wirtschaftsauffassung . 357 Der neoliberale Prinzipienm onism us......................................................358 Die neoliberale A n tim o n o p o lp o litik ......................................................362 Die Problematik der „Marktgerechtigkeit“ ......................................... 365 3) Wirtschaftsdefinition der seinsrealistischen Wirtschaftsphilosophia 373 Wesenselemente der realistischen W irtschaftsdefinition....................373 Nominaldefinition der W irtschaft.............................................................374 Realdefinition der W irtschaft.....................................................................374

S i e bt e s K a p i t e l : Formalistische Wirtschaftsethik

.....................................377

Allgemeine Kriterien der neoliberalen Wirtschaftsethik.................................379 1.

Begriffsnominalismus der neoliberalen O r d o -Id ee.................................. 381 a) Wirtschaftsordnung als Gesamtheit des realisierten Wirtschafts­ formen .............................................................................................................381 b) Wirtschaftsordnung als Wesens- und Naturordnung............................ 382 c) Wirtschaftsordnung als funktionaltheoretischer Gleichgewichts­ zustand ............................................................................................................. 384

XIV Z u s a m m e n f a s s u n g und S t e l l u n g n a h m e (zu 1 ) .............................385 Individualistisch-funktionaltheoretische Entleerung des Ordo-Begriffs 385 Ordnung als teleologisch determiniertes Gliederungs-Gefüge . . . 386 Wettbewerb als relatives V ern u n ftp rin zip .................................................. 387 2. Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der W irtschaft............................................................................................................. 388 a) Die „neue Ordnungsidee“ ........................................................................... 388 Korrektur des altliberalen optimistischen Unbedingtheitsglaubens . 388 Der Staat als „Veranstalter“ und „Platzhalter“ des Wettbewerbs . 388 Der funktionsfähige Wettbewerb als „wesentliches Ordnungs­ prinzip“ der M arktw irtschaft...................................................................389 b) Totalitätsanspruch der Wettbewerbsordnung......................................... 390 „Universaler“ Charakter der W ettbewerbsordnung.............................390 Grenzverwischung zwischen Modelltheorie und Wirklichkeit . . 391 Apologetischer Charakter der Wettbewerbstheorie ........................ 394 c) Sittlich-normativer Charakter der Wettbewerbstheorie........................ 394 Der Markt als „moralische Korrektionsanstalt“ .................................394 Wettbewerbsordnung als „sittliche Aufgabe“ und „Gewissensfrage“ 395 Wettbewerbstheoretisch determinierte S o z ia le t h ik .............................396 Z u s a m m e n f a s s u n g und S t e l l u n g n a h m e (zu 2 ) .............................398 Das entscheidende „Datum“ der Startungleichheit..................................... 398 Sozialethische Normierung und Kontrolle des Wettbewerbs . . . . 399 Sozialethische Zuordnung von Norm und F r e ih e it .................................402 3. Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaues . . 403 a) Begründung des Eigentumsrechtes in der Freiheitsidee.................... 404 Privateigentum als „sicheres Fundament“ und „unerläßliche Bedingung“ der F r e ih e it ........................................................................... 404 Zweifache Sicherungsfunktion des Privateigentums.............................405 Privateigentum als „notwendiges Attribut der menschlichen Freiheit“ .........................................................................................................405 b) Statik der neoliberalen Eigentumsauffassung......................................... 406 Absolute Verfügungsfreiheit des E ig en tü m ers..................................... 406 Koordinationsmechanismus als Garantie sozial-nützlichen Eigen­ tumsgebrauchs ............................................................................................ 407 Eigentumsordnung als privatrechtlich-institutionelles Schutzsystem 408 c) Wettbewerb als regulatives Prinzip des E ig e n tu m s.............................409 „Entartungserscheinungen“ des Privateigentum s.................................409 Wettbewerbskonformität als Wertmaßstab des Eigentums . . . . 4 1 0 Wettbewerbsordnung als Kontrollinstanz der Eigentumsinstitution 411 Z u s a m m e n f a s s u n g und S t e l l u n g n a h m e (zu 3 ) .............................413 Privateigentum als Rechtsfaktor der sozialen O r d n u n g ........................ 414 Vorrang des Privateigentums vor dem Gem eineigentum ........................ 415 Soziale Gebundenheit des Privateigentum s............................................... * 416

XV A b s c h l i e ß e n d e B e u r t e i l u n g der n e o l i b e r a l e n W i r t s c h a f t s ­ e t h i k (zu Kap. 7 ) ................................................................................................ 418 Wirtschaftsethik und sittliche G e sa m to r d n u n g ............................................. 419 Wirtschaftsgesetz und Handlungsfreiheit.......................................................... 420 Finalethische Beinhaltung des ökonomischen P r in z ip s .................................421 Sozialethische Bindung des privaten W irtschaftsgew issen s........................ 423 Rückblick und A u sb lic k ........................................................................................424 L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s ............................................................................................427 A u t o r e n v e r z e i c h n i s ................................................................................................ 447 A l p h a b e t i s c h e s S a c h v e r z e i c h n i s .................................................................. 451

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ÄM ALw AR ARS AsArch ASp ASWP BF BKF ChMw Cs DFs DTh FAr FAZ FH FZPT GfTP GfW GJ GMK Greg H HJWGp

HK HwS HwSw

IO

Ärztliche Mitteilungen. Deutsches Ärzte-Blatt, Köln Arbeitsstelle für katholisches Laienwerk, Frankfurt Allgemeine Rundschau, Zirndorf Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeines statistisches Archiv, Organ der Dtsch. stat. Gesellschaft, München Arbeit und Sozialpolitik, Baden-Baden Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik, Tübingen Blätter der Freiheit Beiträge zur empirischen Konjunkturforschung, Berlin Der Christ und die soziale Marktwirtschaft, Stuttgart Civitas, Monatsschrift des Schweizerischen Studenten Vereins, Immensee Degenfeld-Festschrift (Lagler-Messner : Wirtschaftl. Entwicklung und soziale Ordnung, Wien 1952) Divus Thomas, Jahrb. f. Philos. u. spekulative Theologie, Freiburg (Schweiz) Finanzarchiv, Tübingen Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland, Frankfurt Frankfurter Hefte, Zeitschrift für Kultur und Politik, Frankfurt Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie ( = Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie Ser. 4), Freiburg/Schweiz Grenzfragen zwischen Theologie und Philosophie Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung Gewerbliches Jahrbuch Gewerkschaftliche Monatshefte, Köln Gregorianum, Rom Hochland, Kathol. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, München Hamburger Jahrbücher für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Veröffentlichungen der Akademie für Gemein Wirtschaft, Herausg. Heinz Dieter Ortlieb, Tübingen Herderkorrespondenz, Orbis catholicus, Freiburg/Br. Handwörterbuch der Soziologie, hrsg. von A. Vierkandt, Stuttgart Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Zugleich Neuaufl. des „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“. Herausgegeben von Erwin von Beckerath, Carl Brinkmann, Stuttgart, Tübingen, Göttingen Industrielle Organisation, Zürich

Abkürzungsverzeichnis

XVIII JNS JS JW KB KoP Ks KZS

= = =

MIHD MKP MW ND NG NO NR

= = = = = = =

NSRs Ordo

= =

OrS OZ Pol QA RM

= = =

SBA

=

SchAB

=

SchAdR = SchBU = Schol = SchUSw = SchVLs = SchVSp = SchwM = SchwZVSt = SF

=

SFK SHpW SJGVV

= = =

Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Stuttgart Jahrbuch für Sozial Wissenschaft, mit Bibliographie der Sozialwissenschaften, Göttingen Junge Wirtschaft, Zeitschrift für fortschrittliches Unternehmertum, Bonn Kommunalpolitische Blätter, Organ der Kommunalpolitischen Ver­ einigung der CDU/CSU Deutschlands, Recklinghausen Konkurrenz und Planwirtschaft Kyklos, Bern Kölner Zeitschrift für Soziologie, Köln. Ab 1954 ist Titel der Zeitschrift: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Mitteilungen der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund Monatsschrift für Kultur und Politik Magazin der Wirtschaft Das neue Dorf, Düsseldorf Die neue Gesellschaft, Bielefeld Die neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur, Paderborn Das neue Reich, Wochenschrift für Politik, Kultur und Volkswirtschaft, Innsbruck Neue Schweizer Rundschau Ordo, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Düsseldorf und München Ordo socialis, Carl-Sonnenschein-Blätter, Zeitschrift für christliche Soziallehre, Münster Orientierung, Zürich Politeia, Freiburg/Schweiz Quadragesimo Anno, 1931 Rheinischer Merkur, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Wirtschaft, Köln Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philo­ sophisch-philologische und historische Klasse, München Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungs­ werke Schriften der Akademie für deutsches Recht Schriftenreihe des Bundes katholischer Unternehmer, Köln Scholastik, Vierteljahresschrift f. Theologie u. Philosophie, Freiburg/Br. Schriftenreihe des UNESCO-Institut für Sozialwissenschaften, Köln Schriften zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme, Stuttgart Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Berlin Schweizerische Monatshefte Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, früher: Zeitschr. f. Schweizerische Statistik Sozialer Fortschritt, Unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik, Berlin, München Die soziale Frage und der Katholizismus, Paderborn 1931 Schriftenreihe der Hochschule für politische Wissenschaften Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im deutschen Reich, Berlin

Abkürzungeverzeichnis

SPol SR SRs Ss StS

sz ThWb TuG WdP

WiW WoW WpB WpM WR Wsp Ww WwA ZgStW ZN ZsR ZSr

Sammlung Politeia, Heidelberg, Löwen Soziale Revue, Glaube und Arbeit, München Schweizer Rundschau, Einsiedeln Synopsis, Heidelberg Studia socialia Stimmen der Zeit, Freiburg/Br. Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart Theologie und Glaube, Zeitschrift für den katholischen Klerus, Paderborn Wörterbuch der Politik (1—3: Beiträge zu einem Wörterbuch der Politik) hrsg. v. Oswald v. Nell-Breuning SJ u. Hermann Sacher, Frei­ burg/Br. Wirtschaft ohne Wunder, Erlenbach-Zürich Wort und Wahrheit, Monatsschrift für Religion und Kultur, Wien Wirtschaftspolitische Blätter, Organ des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Köln Wirtschaftspolitische Mitteilungen Wirtschaft und Recht Wirtschaftsspiegel, München Wirtschaftsverwaltung, Frankfurt-Höchst Weltwirtschaftliches Archiv, Zeitschrift des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Hamburg Zeitschrift für die gesamte StaatsWissenschaft, Berlin Zeitschrift für Nationalökonomie Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Basel Zeitschrift für Sozialreform, Wiesbaden

ZUR E I N F Ü H R U N G

DIE GEGENWÄRTIGE KONTROVERSE UM DEN NEOLIBERALISMUS

1. Der „Dritte Weg“ Die geschichtliche Vergangenheit der letzten 150 Jahre wurde im wirtschaftlichen und sozialen, weitgehend auch im politischen Bereich im wesentlichen von zwei Systemen bestimmt: vom liberalistischen Kapitalismus des vorigen Jahrhunderts und vom Sozialismus marxistischer Prägung, der die Reaktion auf die wirtschaft­ lichen Methoden des historischen Liberalismus darstellt. Die extreme Überbetonung und Ausschließlichkeit des Individualprinzips auf der liberalen und des sozialistischen Prinzips auf der gegnerischen Seite machten es unmöglich, eine gesunde wirtschaftliche und soziale Ordnung in Gerechtigkeit und Freiheit für alle zu verwirklichen. Aus diesem Grunde wurde bereits im vergangenen Jahrhundert von Wirtschafts­ theoretikern und Sozialphilosophen die Frage nach einem sozialphilosophisch brauchbaren Mittelweg gestellt. Als frühe Sucher nach dem sogen. „Dritten Weg“ sind ]. C. Sismondin P. J. Proudhon, W. H . Riehl, Krapotkin und F. Le Play anzu­ sehen, in deren allerdings mehr utopischer Grundkonzeption Elemente des späteren Lösungsversuches enthalten sind. Anklänge finden sich ebenfalls im etwas abstrakt philosophischen Mittelstandsprogramm der beiden Engländer G. K. Chesterton und Hilaire Belloc, das sie in den Jahren nach dem ersten Welt­ krieg vertraten {Röpke, b 308). Für die weiteren Schritte in dieser Richtung war Fr. Oppenheimer von Einfluß. Mit der „wirklich freien Konkurrenz“ glaubte er, ungesunde wirtschaftliche Machtkonzentration wie jede durch Monopolmacht ermöglichte Ungerechtigkeit in der wirtschaftlichen Leistungsbewertung ausschalten zu können {Dürr, 3). Der Neoliberalismus Der Gedanke der „wirklich freien Konkurrenz“ wurde zum Stichwort für die Gruppe der sogen. Neoliberalen. Die möglichst vollkommene Gestaltung und Veranstaltung der marktwirtschaftlichen freien Konkurrenz als unumgängliche Voraussetzung für die angestrebte maximale Produktivität erscheint ihnen als das einzig erfolgversprechende Mittel, um asoziale private Monopolmacht ebenso wie die Gefahr einer zentralen, freiheitsfeindlichen Wirtschaftslenkung zu bannen

4

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

bzw. einzudämmen. Die freiheitliche Lösung der sozialen Frage halten sie nur auf dieser Basis für möglich. In der geordneten und „bewußt sozial gesteuerten Marktwirtschaft“ sehen einige von ihnen einen „neuen Weg“, eine „neue dritte Form“, die über die beiden innerlich verbrauchten Alternativen der rein-liberalen Marktwirtschaft und der zentralen Wirtschaftslenkung hinausgehe. Die Aufgabe, „jenseits der überwundenen Polarität eine neue Stellung zu beziehen“ und der Wirtschaft eine „neue Gestalt“ zu geben {Müller-Λ ., d 87; e 290), wird als Ziel akzeptiert. Diese Grundkonzeption liegt in wesentlichen Punkten dem Wirtschaftsprogramm der „sozialen Marktwirtschaft“ zugrunde, für das sich die Wirtschaftsführung der Deutschen Bundesrepublik entschieden hat. Der wirtschaftliche Interventionismus Eine weitere Gruppe ist zu erwähnen, die zwar von liberalem Denken bestimmt ist, jedoch nicht den neoliberalen Optimismus bezüglich der freien Marktwirt­ schaft und ihrer sozialen Funktionsfähigkeit teilt. Die Verwirklichung einer wirt­ schaftlichen Mischform wird angestrebt. Sie realisiert sich in der kombinierten Steuerung der Wirtschaft mit Hilfe des Preissystems und durch sonstige Lenkungs­ maßnahmen des Staates. Als „methodisch fixierter Interventionsplan“ mit dem Ziel der Vollbeschäftigung liegt diese Theorie heute der Wirtschaftspolitik Eng­ lands zugrunde. Ohne totalitär ausgerichtet zu sein, sucht diese Methode den Fortbestand der Freiheit und die Verwirklichung sozialer Sicherheit durch An­ näherung an die zentralgeleitete VerwaltungsWirtschaft zu erreichen. Da den Vor­ teilen dieser mehr oder weniger „punktuellen“ Interventionspolitik angeblich die größeren Nachteile zu Lasten der Gesamtwirtschaft gegenüberstehen und das Wirtschaftsgeschehen zu sehr der politischen Macht ausgeliefert ist, wird dieser Weg von den Neoliberalen mit Bestimmtheit abgelehnt (.Eucken, h 140, 144; vgl. Seidel, 408; Preiser, b 5). Die katholische So^jallehre Das Problem der gesunden Mittellösung hat auch die Vertreter der katholischen Soziallehre beschäftigt. Sie suchen jedoch von Anfang an auf einem grundsätzlich anderen Wege zum Ziele zu kommen. Das angebliche Entweder-Oder zwischen Individualismus und Kollektivismus wird ebenso abgelehnt wie ein Kompromiß zwischen beiden Extremen. Vielmehr erscheint für die Lösung aller Fragen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereiches das naturhafte Aufbau­ gesetz der menschlichen Gesellschaft als der einzig brauchbare Ansatzpunkt. Dieses sozialphilosophische Grundgesetz ist im Grunde nichts anderes als „ein

Der „Dritte Weg1

5

ursprüngliches, d. h. nicht weiter zurückführbares, als Gegebenheit . . . anzu­ erkennendes eigentümliches Verhältnis wechselseitiger Zuordnung, Bezogenheit und Verbundenheit beider, sowohl der einzelnen als Glieder, wie auch des gesell­ schaftlichen Ganzen, dessen Glieder die einzelnen sind“ (W d P, H. V, Sp. 365 f). Dieser solidarische Grundgedanke, der als ontologisches und ethisches Aufbauund Ordnungsprinzip bestimmend ist, findet in der päpstlichen Enzyklika Quadragesimo anno seine konkrete Ausgestaltung. Die Verwirklichung der „leistungsgemeinschaftlichen“ Neuordnung wird hier als der einzig Erfolg ver­ sprechende „Dritte“ Weg zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Gerechtigkeit und Freiheit für alle angesehen. Aus den bisher angeführten Lösungsversuchen ergibt sich also eine verschiedene Beinhaltung des Begriffes „Dritter Weg“. Für die katholische Soziallehre ist weder die Rückkehr zum liberalen Optimismus noch eine Anlehnung an den staatlichen Kollektivismus sozialistischer Prägung, sondern die Verwirklichung des naturhaft gegebenen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Strukturprinzips charakteristisch. 2. D as neoliberale Reformprogamm Dem Thema der Arbeit entsprechend interessiert uns hier nur die Auseinander­ setzung mit den neoliberalen Reformbestrebungen. Neoliberale Gruppen Die Träger der neoliberalen Ideen, meist Fach Wissenschaftler, haben sich im internationalen Raum zu verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen, die in regem Gedankenaustausch miteinander stehen und auf regelmäßigen Tagungen der „Mont Pélèrin Society“ um Koordinierung ihrer gemeinsamen Interessen bemüht sind. Die wissenschaftliche und literarische Qualifikation der zahlreichen Veröffentlichungen und nicht zuletzt das stark ausgeprägte Sendungsbewußtsein einzelner Vertreter trugen dazu bei, daß das neoliberale Gedankengut in der Theorie wie in der Praxis international zu ständig wachsendem Einfluß gelangen konnte. In Amerika ist es die Chicagoer Gruppe, die von dem Theoretiker, Sozialphilo­ sophen und Wirtschaftspolitiker Frank A . Knight gegründet wurde. Unter seinen Schülern wie Aaron Director, George Stiglery Milton Friedman ist Henry C. Simons, der in den USA als Haupt der neoliberalen Schule durch seinen Kampf um die wirtschaftliche Freiheit, durch seine Vorschläge für die Monopolbekämpfung und die neue Geldordnung bekannt wurde, von besonderer Bedeutung. Er­ wähnung verdienen außerdem W. Lippmann, H . Kohny H . Schoeck. In England stellt die „London School of Economics“ das Zentrum neoliberalen Denkens dar. Als ihr Gründer ist Edwin Cannan anzusehen, der durch seine

6

Dic gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

zahlreichen wirtschaftspolitischen Aufsätze hervorgetreten ist. Unter seine Schüler sind zu rechnen: Lionel Robbins, Theodore Gregory, Arnold Plant, F. C. Benham, W. H . H utt und F. W. Paish. Erwähnt sei ferner M. Oakeshott. In Österreich sammelte sich ein Kreis um Ludwig von Mises, der in Wien, Genf und New York als Lehrer tätig war und durch seine Arbeiten über die Geldtheorie, die Gemeinwirtschaft und die nationalökonomische Theorie von Einfluß war. Zu seinen Schülern gehören: Gottfried von Haber1er, Frit% Machlup und der literarisch sehr rege F. A . Hayek, die alle drei in den USA ein Betätigungsfeld fanden. Außerdem muß hier Reinhard K a m it\der langjährige Finanzminister Österreichs, genannt werden. Die gegenseitige ideelle Befruchtung dieser drei erstgenannten Gruppen ist offensichtlich {Hayek, c 333; Dürr, 1). In Frankreich vertreten das neoliberale Ideengut neben D . Vtlley : ]. Rueff, R. Courtin, R. Aron, ferner L . Baudin, J. B. Duroselle und M. Allais. In Belgien bekennen sich zur neoliberalen Doktrin V. Baudhin und L. Dufrie%. In Italien sind es Luigi Einaudi und Costantino Bresciani Turroni, die als Träger der neoliberalen Ideen gelten. In Deutschland wurde die sogen. „Freiburger Schule“ unter ihrem Gründer Walter Eucken zum Forschungs- und Schulungszentrum der neoliberalen Wirt­ schaftsdoktrin. Zu ihren Trägern rechnen: seine Frau, Edith Eucken-Erdsieck, ferner Fran% Böhm, Hans Großmann-Doerth, Hans Oestrich, Bernhard Pfister, C. von Diethe ; W. Euckens Schüler Friedrich A . Lut£, K. F. Maier, Leonhard Miksch, K. P. Hensel u. a. m. Außerdem gehören zu diesem Kreis an hervorragender Stelle: Wilhelm Röpke, der von Genf aus durch ausgedehnte schriftstellerische Tätigkeit für die Idee des Liberalismus in besonderer Weise geworben hat, ferner der Religionssoziologe und Wirtschaftstheoretiker Alexander Rüstow, der Wirt­ schaftspolitiker Alfred Müller-Armack und Volkmar Muthesius. Da im Mittelpunkt des Freiburger Reformprogramms der „Ordo“-Gedanke steht, erhielt diese Rich­ tung des Neoliberalismus die nähere Bezeichnung „Ordo-Liberalismus“ . „Entarteter“ und „wahrer“ Liberalismus Dem Programm des Neoliberalismus liegt zunächst eine weitgehend überein­ stimmende Kritik seiner Vertreter an den „Schattenseiten“ des historischen Liberalismus zu Grunde. Folgende Tatsachen werden für die „tragische“ Fehl­ entwicklung und Verfälschung dieser geistigen Bewegung des vorigen Jahr­ hunderts verantwortlich gemacht: die ungebändigte „emanzipatorische Kraft“ des Liberalismus, die schließlich im Übermut des liberalen Rationalismus endigte {Röpke, i 25 f) ; der religiös geprägte, „optimistische Unbedingtheitsglaube“, der den Automatismus der Marktgesetze zu einem Glaubenssystem, zu einem

Das neoliberale Reformprogramm

7

Erlösungswissen, ja zu einer Wirtschaftsreligion gemacht habe, die jeden ordnenden Eingriff verbot (Rüstow, b 40 f, 87 £) ; die „fehlende Integrationskraft“ der Konkurrenz (Röpke, c 83), die, ohne Bindung und Gegengewichte gegenüber dem gesellschaftlich zersetzenden Egoismus, in der Selbstaufhebung der Kon­ kurrenz, in der machtmäßigen Erstarrung der Wirtschaft, in der „Entsittlichung der Freiheit“, im „Elendsdasein“ und in der „entsetzlichen“ Lage der Arbeiter­ schaft (Böhm, h 8) ihre verhängnisvollen Auswirkungen fand. Diese Tatsachen hätten schließlich zum Einbruch des Kollektivismus und zur heutigen Welt­ katastrophe geführt (Eucken, h 52 f, 178, 375; Miksch, d 67). A . Müller-Armack, der den Irrtum des historischen Liberalismus in der wirt­ schaftlichen Unklarheit und sozialpolitischen Passivität, ferner im rein formalen Wettbewerbsrecht und in der sozial unbefriedigenden Verteilung sieht, glaubt trotz allem nachdrücklich vor einer ungerechten Beurteilung und Gesamtab­ lehnung des wirtschaftlichen Liberalismus warnen zu müssen. Der relative soziale Fortschritt, der Anstieg der Reallöhne, die allgemeine Befreiung aus der Knecht­ schaft, der gewaltige Wohlstandsgewinn, die zahlreichen sozialen Impulse sprächen diese Zeit vom Vorwurf einer bewußt geschaffenen Verelendung frei (e 287f; c 128f; d 80f). Bemerkenswert ist andererseits, daß der im allgemeinen wohlbegründeten Kritik der Neoliberalen am „alten“ Liberalismus immer wieder die Versicherung gegen­ übergestellt wird, diese Verfallserscheinungen hätten nichts mit dem „wahren“ und „überzeitlichen“ Liberalismus, mit seiner wahrhaft kulturschöpferischen Kraft und brennenden Aktualität für unsere Gegenwart zu tun. Mit anderen Worten: Der Neoliberalismus legt Wert darauf, sich bewußt und betont vom „alten“ Liberalismus zu distanzieren und an seiner Stelle den geläuterten, echten, ja „christlichen“ Liberalismus der notwendigen Restaurierung der abend­ ländischen Kultur und dem gegenwärtigen Kampf gegen den drohenden Kollek­ tivismus programmatisch zugrunde zu legen (Boarman, 12). W. Röpke zeichnet uns das Bild dieses „unvergänglichen“ abendländischen Liberalismus, den er zunächst auf die beiden geistigen „Ahnen“ : auf die Antike und das Christentum, zurückführt. Zu dieser ehrwürdigen „Erbmasse“ gehören das jonische Griechentum ebenso wie die Stoa, die Gedanken eines Cicero wie die eines Thomas von Aquino als Vertreter einer Sozialphilosophie, die alle ent­ scheidenden Fragen nach den Postulaten der menschlichen Vernunft und der menschlichen Würde löste und der Macht des Staates die Freiheitsrechte des einzelnen entgegensetzte. Dieser Liberalismus sei seinem Wesen nach nicht Abfall vom Christentum, sondern im Gegenteil sein legitimes geistiges Kind, und als solches humanistisch, individualistisch oder „wenn man es lieber hört“ : personalistisch, antiautoritär, rationalistisch (i 16f, 18).

8

Dic gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

Ein wesentliches Element des Liberalismus greift F. Λ . Hayek heraus, indem er die geistige Tradition des „wahren“ wie die des „falschen“ Individualismus zu analysieren sucht. Als geistige Träger des ersteren bezeichnet er die englischen Nominalisttn des 18. Jahrhunderts, während die En^yklopädisttny Rousseau und die Physiokraten im Gefolge des Cartesianischen Rationalismus für die Tendenz des letzteren zum Sozialismus und Kollektivismus verantwortlich seien. Hayek hält es für das „albernste aller Mißverständnisse“, daß der echte Individualismus das Vorhandensein isolierter und selbstgenügsamer Individuen voraussetze, statt von Menschen auszugehen, deren Natur und Charakter völlig durch ihr Leben in der Gesellschaft bestimmt ist. Ganz im Gegenteil habe der Individualismus Wesent­ liches zum Verständnis der Gesellschaft beizutragen (b 22 f). Den führenden Geistern des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts sei der ursprüngliche Sinn der Freiheit aufgegangen, betont W Euckeny und zwar nicht als bloße Doktrin, sondern als „die einzig mögliche Form der menschlichen Existenz“. Die liberale Praxis des vorigen Jahrhunderts, die nicht mit dem Ideal der Freiheit Zusammenfalle, könne verworfen, geändert werden; die Freiheit aber könne nicht geleugnet werden, es sei denn, man wolle das Leben selber leugnen (h 175, 178). Darum werde niemand, dem die Freiheit etwas bedeutet, — so L . Miksch — sich gern über Gebühr von jener gewaltigen Bewegung des Abendlandes distanzieren, die zum erstenmal mit der Achtung vor der mensch­ lichen Person wirklich Ernst gemacht habe. Es sei daher sehr billig, auf den ökonomischen Irrtümern von Leuten herumzureiten, denen die größten Er­ rungenschaften der menschlichen Zivilisation zu danken seien (d 66 f). Diesen „kulturschöpferischen“ Liberalismus und vor allem sein kostbarstes Erb­ gut: die Freiheit der menschlichen Person, zu schützen und in allen Bereichen des kulturellen und politischen Lebens zu verwirklichen, ist das erklärte Ziel aller Neoliberalen. D as neoliberale Reformprogramm Sind sich die verschiedenen neoliberalen Gruppen in dem alles umfassenden Ziel der Freiheitssicherung, in der Kritik am Monopolismus und Kollektivismus, so­ wie in der Forderung nach dem starken Rechtsstaat einig, so zeigen sich nicht unerhebliche Differenzen in der Mittelwahl und in der Methodik des Vorgehens. Eine einheitliche Konzeption lassen vor allem die angelsächsischen Gruppen vermissen. Während z. B. F. Λ . Hayek (a 109), L . v. Mises und A . Hahn> ferner L . Miksch (d 60 f), O. v. Mering (106) und V . Muthesius (c3) nach wie vor an eine Verwirklichung der Interessenharmonie durch den freien Preismechanismus, also faktisch an eine „Renaissance“ des „alten“ Liberalismus glauben und dem-

Das neoliberale Reformprogramm

9

gemäß soziale und verteilungspolitische Interventionen ablehnen, sind beispiels­ weise bei A . Rüstow (1 63, 70; c 146, 152), und A . Müller-Armack (k 94f ; i 29, 31 ; j 391) sozial-revisionistische Ausgleichstendenzen festzustellen. Auch W. Eucken (h 318) hält neben der Wettbewerbspolitik noch Vorkehrungen für notwendig, um im Sinne einer „speziellen“ Sozialpolitik entstehende „Lücken auszufüllen und Härten zu mildern“. Ein wesentliches Reformelement des Dritten Weges stellt die Tendenz zur gesellschaftlichen Neuordnung dar, vor allem bei W. Röpke (b 145; c 83; g 226, 230) und A . Rüstow (c 138f). Die strukturpolitische Dezentralisation gilt als not­ wendige Voraussetzung für die „Reintegrierung“ der Marktwirtschaft wie für die „Entproletarisierung“ der Massen. A . Müller-Armack, der ebenfalls der An­ sicht folgt, daß der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung eine ebensolche Gesell­ schaft an die Seite gestellt werden muß, hegt jedoch deutliche Zweifel, ob diese Aufgabe „von den Kräften des säkularisierten Liberalismus“ bewältigt werden kann (g 264). Bei anderen fehlt dieser gesellschaftspolitische Grundgedanke, auch bei W. Eucken, der in dieser wichtigen Frage liberaler erscheint. Der Gruppe, die in der Verwirklichung der „wirklich freien Konkurrenz“ den Hauptpunkt des neoliberalen Programms sieht, hält L . v. Mises, der das Sonder­ eigentum an Produktionsmitteln als entscheidendes liberales Moment an die erste Stelle rückt, entgegen, dieses Schlagwort sei nur ein „nebelhaftes Phantom“ (44, zit. bei Dürr, 152). W. Eucken, der seine wirtschaftliche Theorie auf dem heuristischen Prinzip der Gleichgewichtstheorie für den Fall „vollständiger Konkurrenz“ aufgebaut hat, wird von F. A . Hayek entgegengehalten, daß die „vornehmliche Beschäftigung mit diesem Modell . . . zu praktischen Schluß­ folgerungen führt“, die „höchst irreführend und sogar gefährlich“ sind und die Bildung von „antisozialen Praktiken“ begünstigen könnten (d 134). Auch W. Röpke glaubt, daß das „Konkurrenzprinzip“ keineswegs auf allen Gebieten der Produktion anwendbar ist, ohne „zu schweren Unzuträglichkeiten“ zu führen (b 190). Nach F. Böhm ist es weder möglich noch wünschbar, „die Ordnung der Markt- und Wettbewerbswirtschaft in ihrer Reinheit zu verwirklichen“, und zwar wegen ihrer „prinzipiellen Schranken und immanenten Mängel“ (k 88). Auch A . Müller-Armack wendet ein, daß die Realisierung der Wettbewerbs­ ordnung allein nicht genügen könne, um aller wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme Herr werden zu können (i 34). In der Frage der wirtschaftlichen Startgleichheit steht die positive Einstellung A . Rüstows (c 152) und W. Röpkes (b 35 f) der ablehnenden Auffassung F. A . Hayeks gegenüber (b 46). Was die Verstaatlichung angeht, steht W. Röpke nach anfänglichem Schwanken auf der Seite der Verstaatlichungsgegner und wird darin von W. Eucken (h 191 f, 173f, 292f) unterstützt, der die Verbindung von

10

Dic gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

staatlicher und wirtschaftlicher Macht für schädlich hält. A . Rüstow hingegen setzt sich für die Sozialisierung aller Wirtschaftszweige mit „unvermeidlicher Monopolstruktur“ ein (c 133 f). Auch das Problem der staatlichen Monopol­ kontrolle läßt die Meinungen beträchtlich auseinandergehen. L . Miksch (a 103), K. F. Maier (a 25) und später auch A . Rüstow (c 162f) halten sie für mehr oder weniger undurchführbar, während W. Röpke (c 75), F . Böhm (b 174f, 177) und W. Eucken (h 294) sich dafür einsetzen. Was die grundsätzliche Ausrichtung der Theorie betrifft, geht es den einen primär um die Verwirklichung der freien Marktwirtschaft ohne ideologische Begründung, zu denen A . Müller-Armack und F. Böhm zu rechnen wären. F. A . Hayek und W. Eucken hingegen unterbauen ihre Forderungen durch entsprechende philo­ sophische Theoreme und gelangen so zur Ausarbeitung einer Wirtschaftsdoktrin, die von einer Verwischung der gebotenen Grenzen zwischen Wirtschaftstheorie und Ethik nicht freizusprechen ist. J. Cros (vgl. Fischer, 194) hat also nicht unrecht, wenn er den Neoliberalen insgesamt vorwirft, bisher den Versuch unter­ lassen zu haben, ihre verschiedenen Differenzen wirksam zu klären. Der Vorwurf der grundsätzlichen und methodischen Uneinheitlichkeit, der auf den internationalen Neoliberalismus zutrifft, verdient jedoch für den engeren Kreis der Freiburger Schule um W. Eucken eine Einschränkung. Ihrem wirt­ schaftlichen Reformprogramm ist in seiner Gesamtstruktur eine gewisse Klarheit und Konsequenz nicht abzusprechen. Es entspricht im wesentlichen dem „Ordo“ Gedanken, der die Sicherung der freien Marktwirtschaft durch „Veranstaltung“ des Wettbewerbs mit Hilfe staatlicher Rahmenpolitik bezweckt. Die wirtschafts­ politische Aufgabe des starken Rechtsstaates hat sich darauf zu beschränken, unter Verzicht auf lenkende Eingriffe in den Wirtschaftsprozeß die Gestaltung der wirtschaftlichen Ordnungsformen zu realisieren (Euckeny h 330f). Am Grundsatz des Privateigentums wird festgehalten. Jeglicher Mißbrauch des Privat­ eigentums durch monopolistische Vermachtung soll durch Verhinderung und Entmachtung bzw. staatliche Kontrolle der Monopole ausgeschaltet werden. Aktive Konjunkturpolitik wird als notwendig erachtet. Das Prinzip der Markt­ konformität gilt als entscheidend sowohl für die wirtschaftspolitischen Inter­ ventionen wie für die Sozialpolitik, die mit der Wirtschaftsordnungspolitik im wesentlichen zusammenfällt. Fügen wir dem Programm noch die von W. Röpke und A . Rüstow angestrebte gesellschaftliche Strukturpolitik, ferner die betont sozialpolitischen Bestrebungen A . Müller-Armacks hinzu, so ergibt sich in großen Zügen folgendes Bild des Ordo-Liberalismus : Er umfaßt jene Gruppe des revisionistischen Liberalismus, die zunächst die liberalen Grundprinzipien des unantastbaren Privateigentums, der privatwirt­ schaftlich-autonomen Entschluß- und Handlungsfreiheit, der „Herstellung eines

Das neoliberale Reformprogramm

11

funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz“ (Eucken, h 254f), der marktwirtschaftlichen Verteilung nach dem Grundsatz der „bilateralen, aus­ tauschmäßigen Entgeltlichkeit“ (Böhm, k 86) bejaht mit dem Ziel, im Rahmen einer die wirtschaftliche Sachgesetzlichkeit respektierenden staatlichen Wirt­ schaftsordnungspolitik die maximale Produktivität des Wirtschaftsprozesses zu realisieren, während sozialpolitische Belange durch indirekte Sicherung aus dem Sozialproduktvolumen und direkte Einkommensausgleichkorrekturen auf der Basis des marktwirtschaftlichen Einkommensprozesses und unter Beachtung der Marktkonformität berücksichtigt werden sollen, um auf diese Weise die freiheit­ liche Lösung der sozialen Frage gemäß den Grundsätzen der liberal-huma­ nistischen Weltanschauung zu verwirklichen. Eine „Wandlung“ des liberalen Wirtschaftsdenkens läßt sich aus diesem Pro­ gramm insofern erkennen, als dieBedeutung des Institutionellen für dieses Ordnungswollen charakteristisch ist. Im Ordo-Gedanken verkörpert sich der Pessimismus gegenüber dem liberalen Glauben an die „prästabilierteHarmonie“ und an den Markt als „moralische Korrektionsanstalt“ {Röpke,b2W). An die Stelle dieses Glaubens tritt im Ordo-Liberalismus eine „neue“ Harmonieerwartung, die jedoch nur durch den veranstalteten Wettbewerb als gerechtfertigt betrachtet wird. Dem entspricht der Ruf nach dem starken Staat, der die Wettbewerbsordnung als „robuster Schiedsrichter“ autoritär, aber „systemkonform“ zu garantieren hat {Röpke, d 200) Es zeigen sich hier also trotz aller vorsichtigen Einschränkungen bemerkenswerte „befehlswirtschaftliche“ Elemente, vor allem bei F . Böhm (b 57). H . Moeller (b 226) wirft daher die Frage auf, ob bei der geforderten institutioneilen Sicherung des freien Wettbewerbs durch umfangreiche legislative und admini­ strative Maßnahmen noch die Rede von Liberalismus sein kann. W. Röpke kann sich ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Ausdruck „Neoliberalismus“ nicht verhehlen. W. Eucken hält ihn für „tendenziös“ (h 374f). Nach W. Röpkes An­ sicht handelt es sich beim Neoliberalismus „ja um weit mehr als eine bloße Umwandlung alten Gedankengutes in zeitgemäßere Formen oder gar um epigonen­ hafte Nachahmung“. Er wirft die Frage auf, ob das, was manche Neoliberalismus nennen, sich nicht bereits weit vollständiger als der Sozialismus von dem allge­ meinen philosophischen Schema gelöst habe, das im 19. Jahrhundert dem Libe­ ralismus wie dem Sozialismus so weitgehend gemeinsam gewesen sei. Er hält dafür, daß wir auf diesem Wege zu einem Programm der Wirtschafts-, Gesell­ schafts- und Sozialreform gelangen, „von dessen Vorzügen es nicht der geringste ist, daß es sich im Grunde weniger um ein Programm als um eine Philosophie handelt, eine Umorientierung grundsätzlicher Art“ (c 274; g 226, 230). A . MüllerArmack glaubt ebenfalls von einer „Neufassung“ des Liberalismus sprechen zu können, die etwas grundsätzlich anderes darstelle als der „alte“ Liberalismus.

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

12

Der Neoliberalismus sei daher möglicherweise dazu berufen, „die weltanschau­ lichen Antagonismen der Gegenwart zu mildern“ und kirchliche „Vorurteile“ zu überwinden (k 82; g 264). Der Gedanke an wesentliche Unterschiede zwischen Neoliberalismus und katholischer Soziallehre z. B. beruht nach A . Rüstow (1 74), P. M. Boarman (12, 17) und D . Villey (b 60) auf einem Mißverständnis, im Bereiche des lumen naturale brauchten keine Unterschiede dazusein. Da der Neoliberalismus insgesamt kein einheitliches Programm aufzuweisen hat, konzentrieren sich die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit im wesentlichen auf das Reformprogramm des Freiburger Ordo-Kreises, das für neoliberales Ordnungswollen am repräsentativsten erscheint. Der auf den folgenden Seiten häufig wiederkehrende, an sich weitere Begriff „neoliberal“ erfährt also in diesem Sinne eine nähere Beinhaltung und Umgrenzung. 3.

Gegenwärtige K ritik am neoliberalen Programm

Die wirtschaftliche Seite Das besprochene Programm hat nicht nur bei Antiliberalen und Sozialisten, sondern darüber hinaus in der gesamten wirtschaftlichen Fachwelt eine rege Stellungnahme veranlaßt. Daß der Ton der Diskussion nicht selten die Grenze der sachlichen Auseinandersetzung überschreitet, liegt zum Teil an der manchmal verletzenden Schärfe extremer neoliberaler Forderungen, wie sie F . Haussmann bei F. Böhm und W. Röpke glaubt ablehnen zu müssen (b 11, 25), mehr aber noch am Absolutheitsanspruch des Ordo-Programms. W. Röpke z. B., dessen Bücher einen stark politischen Akzent haben, begegnet dem Leser verschiedentlich in der Rolle des beschwörenden Propheten, der sozu­ sagen mit dem Mut der Verzweiflung seine Zeitgenossen auf das neoliberale Programm als die einzig mögliche Rettung vor dem Untergang der abend­ ländischen Kultur zu verpflichten sich bemüht. Die Einwände der Kritik scheinen von vornherein wenig Überzeugungskraft zu besitzen, da nach der durchgängigen Meinung aller Neoliberalen ihre Wirtschafts­ politik das Siegel des unbestreitbaren Erfolges trage, so daß der Eindruck ent­ stehen konnte, die Einwände seien nicht sachlich, sondern ideologisch begründet. „Auch der hartnäckigste Gegner der Marktwirtschaft muß anerkennen, daß sie, gemessen an dem durch sie überwundenen Zustand, ein ungeheurer Erfolg und ein Experimentalbeweis für die Überlegenheit eines Wirtschaftsprinzips ist, so überzeugend, wie ihn die Wirtschaftsgeschichte kein zweites Mal kennt“, — diese Behauptung W. Röpkes (h 18) scheint unangreifbar zu sein und verleitet dazu, auch grundsätzliche philosophisch-ethische Einwände angesichts des faktischen Erfolges als leichtverzeihliche „Schönheitsfehler“ zu bagatellisieren. Mit der

Gegenwärtige Kritik am neoliberalen Programm

13

Frage, ob und inwieweit das sog. „Deutsche Wirtschaftswunder“ auf die Über­ legenheit der freien Marktwirtschaft neoliberaler Konzeption zurückzuführen ist, setzen wir uns im 6. Kapitel der Arbeit auseinander, wobei wir auf die Arbeiten von Ο. V. Nell-Breuning Bezug nehmen (w 101 ff., 110; v 104ff. ; t 67ff.). Die wissenschaftliche Kritik hat unter anderem folgende strittige Punkte der neoliberalen Wirtschaftstheorie herausgegriffen, die hier nur kurz angedeutet seien : das Denkmodell der „vollständigen Konkurrenz“ und die Frage, ob es in seiner Statik und Unwirklichkeit als wirtschaftliche Leitregel brauchbar und überhaupt realisierbar ist; die „marktkonforme Intervention“ als einzig legitime Form ordnender Eingriffe; die Problematik der antimonopolistischen Lenkungsmaß­ nahmen, wie sie sich besonders deutlich zeigt in der Fragwürdigkeit der „Als-ob“Korrektur mit ihrer staatlichen, „wettbewerbsanalogen“ Fixierung der Preise, in den Konzessionen an eine monopolamtliche Befehlswirtschaft, in der Über­ tragung des „Willkürelementes“ vom privaten Monopolisten auf das staatliche Monopolamt und in der daraus resultierenden „Machtverlagerung an die Spitze“, in der Ausschaltung der Mitverantwortlichkeit des befehlsmäßig bestimmenden Monopolamtes, in der erwiesenen Unwirksamkeit einer durchgreifenden Monopol­ gesetzgebung und -kontrolle und der damit gegebenen „Überforderung des Staates“ ; ferner: die freie Preisbildung als fragliches Steuerungsprinzip der Wirt­ schaft; die unübersehbaren Folgen verschiedener wirtschaftspolitischer Reform­ vorschläge für die Politik, den internationalen Handel, die Sozialpolitik und den Bereich des Rechtes1. Die philosophischen Grundlagen Von größerem Interesse für die vorliegende Arbeit sind die zahlreichen Einwände gegen den grundsätzlich-philosophischen Gehalt des Programms. An erster Stelle ist hier der Wirtschafts- und Sozialphilosoph O. v. Nell-Breuning zu nennen (e 13f, 20f ; k 304; j ; m; n; u 255, 259; v 8f ; s; w; y; p), der sich in zahlreichen Beiträgen mit den philosophischen Grundlagen des Neoliberalismus auseinandergesetzt hat. Gegenstand seiner Kritik ist die individualistische Grundkonzeption des Systems, der reinformale Freiheits- und Ordnungsbegriff, die gesamte Wirtschaftsauf­ fassung, die er charakterisiert sieht durch Automatismus, fehlende „institutionelle Sicherung des Sachziels“ auf Grund des neuen Harmonieglaubens, durch den 1 Arndt, 137, 139ff.; böhler, d; brinkmann, b; a 357f., 363, 365f.; dammer, 8f., 23, 35f., 149; v. eynern, 125f., 131, 139; fischer , 19,35, 37f., 41f., 46, 48; haussmann, b 7f., 16f., 21 f., 24f.; jöhr , e 243ff.; b 187; f 264ff., 268; kalliefe, 414ÉF.; kroll, c 3 ff., 7, 10; küng , 283f., 288f., 297f., 306; löwenthal, 1282f., 1285f., 1298; moeller, b 228f., 235; v. nell-breuning , v 8f.; p 219f., 224, 227; paulsen, b 33; peter , I 754; m 387; preiser, b 6f., 13, 17f., 24; ritschl, c 230f., 238f., 242, 248f., 251, 255f.; schmid , 61 f.

14

Dic gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

Mangel an echter Verantwortung in Mittel- und Zielwahl. Er befaßt sich weiter­ hin mit dem Verhältnis von Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, von Wirt­ schafts- und Sozialpolitik innerhalb der neoliberalen Doktrin, mit der „liberalen Utopie des vollständigen Wettbewerbs“ und dem Problem des geforderten „Marktgehorsams“ ; mit dem Verhältnis von berufsständischer Ordnung und Subsidiaritätsprinzip, Monopolismus, Entproletarisierung und Arbeitsmarkt, mit der Einkommensverteilung und Vermögensbildung, soweit sie als „system­ konform“ vorausgesetzt werden. Am Schluß seiner Untersuchungen kommt er zu dem Ergebnis, daß der Neoliberalismus trotz anzuerkennender Fortschritte in wesentlichen Punkten über den „alten“ Liberalismus noch nicht hinaus­ gekommen sei, eine echte Wandlung also bisher noch nicht vollzogen habe. Zu dem gleichen Ergebnis kommt H . Schmid in seiner zusammenfassenden Gegenüberstellung der neoliberalen Doktrin und der katholischen Soziallehre. Er betont, daß von der Ethik wie auch vom Weltbild her zwischen beiden Systemen unüberbrückbare Gegensätze bestehen (72 f.), was übrigens auch W. Ferber (173), namentlich in bezug auf die Gesellschafts- und Wirtschaftslehre W. Röpkes, unterstreicht. Gegen die häufig festzustellende individualistische Interpretation sozialphilo­ sophischer Grundbegriffe innerhalb des Ordo-Kreises wendet sich nachdrücklich A . F. Utζ (g; h 101 f.; n; e; f; j 358fi.; a 386f., 391f.; d 58f.; b 11, 58f., 78f., 136, 154) mit der definitiven Klärung der Begriffe: „sozial“, „Gesellschaft“ , „Gemeinwohl“, „Individual- und Sozialethik“, „soziale Gerechtigkeit“. Be­ sondere Aufmerksamkeit widmet er der gedanklich sauberen Erfassung des Subsi­ diaritätsprinzips : seines eigentlichen Sinnes, seiner geistigen Umwelt im Natur­ rechtsdenken, seiner entscheidenden Funktion als Aufbauprinzip von Gesell­ schaft, Staat und Wirtschaft. Damit sind klare Grenzen gegen jeglichen Begriffs­ nominalismus gezogen, wie wir ihn bei W’. Röpke (e 323 ff.) und anderen festzu­ stellen haben, die davon überzeugt sind, schon durch den Gebrauch dieser Grund­ begriffe die geistigen Verbindungslinien zu Thomas von Aquin, zur katholischen Soziallehre und zur Enzyklika Quadragesimo anno aufgewiesen zu haben. In der Frage nach der „Metaphysik der Wirtschaft“ befaßt sich A . F. Ut% mit dem Verhältnis von Wirtschafts theorie und Wirtschaftsethik. Seine Kritik wendet sich u. a. gegen W. Eucken, der in seinen wirtschaftspolitischen Grundsätzen die Diskussion um die freie Konkurrenz auf das philosophisch-ethische Gebiet verlagert und den freien Wettbewerb mit philosophischen Argumenten ver­ teidigt. Gegen die neoliberale „Ethisierung“ rein wirtschaftstheoretischer Analysen nehmen außerdem Stellung: H . Schmid (13, 61, 73), W. Dürr (142, 145, 154, 165), H . Peter (d 352ff., 356f, 364f.; e 239), R. Löwenthal (1283), P . Frank (a 172f.), C. Brinkmann (a 363) und B. Seidel (409).

Gegenwärtige Kritik am neoliberalen Programm

15

Die Frage, inwieweit die neoliberale Doktrin entgegen allen Behauptungen auf Grund ihres Menschenbildes und ihrer Gesellschaftsauffassung doch weltanschau­ lich orientiert ist, klärt A . F. Ut% in seiner Auseinandersetzung mit D . Villey. Auch J. Cros (vgl. Bespr. Fischer, 349) und G. Locher1 sind hier zu nennen, die beide auf die Bedeutung des nach liberal-humanistischem Verständnis ideali­ sierten Menschentypus für die gesamte Wirtschaftsdoktrin W. Röpkes hinweisen. Nach der Ansicht von Ut% wird das Ordnungsgesetz in Wirtschaft und Staat zu einem Problem auch der Moraltheologie, insofern naturrechtlichem Denken ge­ mäß das Gemeinwohl der Wirtschaft als Ziel und als Gestaltungsprinzip ethisch­ weltanschaulich vorgegeben ist, eine Tatsache, die im neoliberalen Denken keinen Platz hat. Die Vorbehalte der protestantischen Eigentumsauffassung gegen W. Röpke bringt G. Locher (114) zur Sprache, der beim Neoliberalismus insbesondere den reformatorischen Begriff der Eigentumsverwaltung vermißt. Einen verhältnismäßig breiten Raum nimmt die kritische Auseinandersetzung mit dem Wissenschaftsbegriff, der Erkenntnislehre und der Methodologie W.Euckens ein. An erster Stelle ist hier die tiefgründige Studie G. Gundlachs (681, 683f., 692) zu nennen, die sich mit den neukantianischen Denkvoraussetzungen W. Euckens befaßt: mit der logizistischen, transzendental-idealistischen Ausrichtung der Eucken*sehen Theorie, mit der wissenschaftstheoretischen Brauchbarkeit seiner immanenten Erkenntnislehre, des Abstraktionsbegriffes, der Typen- und Daten­ lehre, der Wirtschaftsauffassung. Gundlach kommt zu dem Ergebnis, daß die von Eucken intendierte Überwindung der „großen Antinomie“ zwischen lebendiger Anschauung und theoretischem Denken erkenntnistheoretisch nicht begründet und gesichert ist. Gundlach, wie auch G. Weippert (c 311 f., 317f., 321; d 299; e 30ff.), W. Vleugels (503, 506, 515) und A . v. Mühlenfels (419) sehen das konsti­ tuierende Element der Wirtschaft als geschichtlich-sozialem Vorgang: die kategorialen Haltungen und letzten Zielsetzungen des wirtschaftenden Menschen, bei Eucken vernachlässigt. G. Weippert weist mit Nachdruck auf den fundamentalen Irrtum Euckens hin, das sogen, „wirtschaftliche Prinzip“ als das einheitsschaffende und konstituierende Prinzip der Wirtschaft betrachten zu wollen. Damit ist das zentrale Wertproblem der nationalökonomischen Wissenschaft berührt. G. Weisser (h 13f., 16, 21 f, 26, 40), der die ökonomistische Interpretation tragender Grundbegriffe wie: Wertschöpfung, Leistung, Produktionsmaximum, Gerechtigkeit und Verteilung, innerhalb der liberalen Wirtschaftsauffassung auf­ zeigt, vermißt bei den Neoliberalen die erforderliche Klarheit bezüglich ihrer eigenen letzten wirtschaftlichen Wertvorstellungen. An dem gleichen Punkt setzt 1 114; G. Lochers Arbeit verliert dadurch, daß sein antipäpstlicher Affekt hier geradezu aufdringlich in Er­ scheinung tritt, an wissenschaftlicher Objektivität.

16

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

auch H . Peter (g 158f., 169f.; 1 753; n 729ff.; d 352ff.; m 387; o 128f.; e 234ff.; f 367ff., 381) mit seiner Kritik an. Bei der logischen Analyse der Methodologie W. EuckenSy des Ordo-Begriffs, mit dem sich übrigens auch E . v. Beckerat (293) auseinandersetzt, ferner der neoliberalen Gleichgewichtstheorie und der wirt­ schaftspolitischen Gerechtigkeitsauffassung, hebt Peter u. a. die Selbsttäuschung Euckens bezüglich seiner wissenschaftstheoretischen „Unvoreingenommenheit“ hervor. A . Amonn (b 131 f., 140f., 149, 155, 157), der ebenfalls die Methodologie, Erkenntnis- und Abstraktionslehre Euckens untersucht, ferner H . Ruppin (106), W. A . Jöbr (f) und H . Ritschl (c 230f.) stimmen mit H . Peter in dieser Fest­ stellung überein. Auch H . v. Stackeiberg (256 ff.) hält Euckens morphologisches System nicht für eine völlige Neuschöpfung. Eine Welle kritischer Stellungnahmen hat der neoliberale Freiheitsbegriff\ der für das gesamte System von zentraler Bedeutung ist, ausgelöst. Neben O. v. NellBreuning und H . Peter sind es B. Seidel (409) und C. Brinkmann (c 101, zit. bei Seidely 408), die gegen die wesentliche Bedingtheit zwischen wirtschaftlicher und politisch-kultureller Freiheit innerhalb der neoliberalen Doktrin den Vor­ wurf des „Ökonomismus“ erheben. E. v. Beckerat (295) kritisiert an der Theorie W. Euckens das eigenartige Verhältnis zwischen Freiheit und Zwang. F. Mar­ bach (229) vermerkt, daß die Freiheit im Neoliberalismus geradezu organisiert sei. W. Dürr (164), der in seiner reichhaltigen Materialsammlung wertvolle Ansatz­ punkte für eine grundsätzliche Beurteilung bietet, greift u. a. die merkwürdige „Identifizierung von Ordnung und Freiheit“ heraus. Aus diesem Grunde sei der Ordo-Gedanke nicht frei von ethischem Pragmatismus, der in offenem Gegensatz zum Ordo der Scholastik und zur metaphysisch begründeten Sittlichkeit der Kirche stehe, was auch F. Ottel (53) und P. Frank (a 173) unterstreichen. Allgemeine Ablehnung hat auch der Prin^ipienmonismus gefunden, wie er in der Marktformenlehre bei W. Röpke und dem gesamten Ordo-Kreis festzustellen ist. Mit P. Frank (a 172), der die neoliberale Alternative von freier Marktwirtschaft und kollektivistischer Zentralverwaltungswirtschaft als unrealistisch bezeichnet, sind H . Peter (m 387), F. Hausmann (b 16), C. Brinkmann (b 31), B. Seidel (412), F. Ottel (50f., 54), E . Salin (2), H . Ritschl (c 231, 238) und G. v. Eynern (136ff.) der Ansicht, daß in dieser Frage die doktrinäre Starrheit der Freiburger Schule echtem „pluralistischem“ Denken weichen müsse. Hier taucht wieder die Frage nach dem möglichen Dritten auf, die G. Locher (114) anschneidet und der als Tertium die „Kategorie der Gemeinschaft“ für das Gegebene hält. Zur Frage der Gesellschaftsauffassung und Staatssoziologie W’. Röpkes nimmt W. A . Jöhr (b 186, 188f.) Stellung, ebenso R. Fischer (25, 40f., 48, 70, 93) und H . Ritschl (c 251 f.). In Fischers Auseinandersetzung mit Röpkey die gelegentlich

Gegenwärtige Kritik am neoliberalen Programm

17

den sachlich-wissenschaftlichen Ton vermissen läßt, finden sich außerdem kritische Hinweise auf dessen mechanistische Wirtschaftsauffassung, von der auch D . Dämmer (149, 151) ausführlich spricht. Damit kommen wir zur sozialpolitischen Doktrin des neoliberalen Programms, die ebenfalls eine sehr lebhafte Diskussion veranlaßt hat. In einer anregenden Studie untersucht B. Biucchi (265ff., 272, 275f.) das Verhältnis zwischen Sozialethik und Wirtschaft. Ausgehend vom Problem der „wertfreien“ Wirtschaftsbetrachtung stellt er die Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen dem Wirtschaftsprinzip, dem Individual- und Sozialprinzip, die W. Röpke bewußt umgeht, und nach der neoliberalen Beinhaltung des Wortes „sozial“ . Um die erforderliche Verbindung zwischen der wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit und den „höheren Gesetzen“ der menschlichen Beziehungen zu sichern, betont Biucchi die Notwendigkeit einer erkenntnistheoretischen „Neuorientierung“ der modernen Nationalökonomie. Auf Grund der seinshaft-sozialen Veranlagung des Menschen, der Überein­ stimmung sozialethischer Werte mit der Seinswirklichkeit der Wirtschaft und der Sozialbedingtheit aller wirtschaftlichen Prozesse deutet er das „Wirtschafts­ richtige“ als etwas „Gerechtes“ im Rahmen einer Lebens- und Ordnungswirk­ lichkeit der Gesamtgemeinschaft. W. Dürr (165) kommt auf die sozialpolitischen Mängel der marktkonformen Sozial- und Verteilungspolitik des Neoliberalismus zurück. Die wichtige Frage der sozialgerechten Verteilung greifen außerdem P.Jostock (d 37ff.),/. Weibel (407), W. A . JÖhr (f; d 232), H . Peter (h) ,/ . Werner (87f., 178ff., 185), D . Dämmer (8 , 151), G. Weisser (i 49f., 54, 61 f., 68 ), F. Klüber (a 79), G. Kroll (c, Iff.), F . Oeter (d 3f., 17, 18), G. Mackenroth (b 464) auf, die insgesamt den neoliberalen Optimismus bezüglich der funktionalen Marktver­ teilung als sozial ungenügend ablehnen und statt dessen eine bewußte Eigentums­ bildung auf der Basis einer entsprechenden Lohnpolitik im Interesse sozialer Sicherheit befürworten, eine Forderung, die auch E . Preiser (6 f., 24 f.) nach­ drücklich unterstützt. E . Welty (f 362 f., 364) geht noch weiter und vertritt den Standpunkt, daß sozial­ politische Korrekturen allein nicht genügen können, daß vielmehr eine umfassende gesellschaftlich-wirtschaftliche Neuordnung mit dem Ziel einer schrittweisen Überwindung des Lohnarbeitsverhältnisses erforderlich ist. Nach den geltenden Normen der Marktwirtschaft neoliberaler Konzeption sei dieses Ziel jedoch nicht zu erreichen. Für eine soziale Durchformung der Marktwirtschaft, die sich nicht nur mit nachträglichen Korrekturen begnügt, setzen sich außerdem ein : G. V. Eynern (132), H . Ritschl (d 130), F. Klüber (a 76) und G. Weisser (i 49 f.). Daß die geforderte Sozialpolitik in erster Linie familiengerecht zu sein und daher ihre besondere Aufmerksamkeit auf den gesicherten Leistungslohn in Höhe des

18

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

Familienlohns zu richten hat, hält D. Dämmer (149 f., 155) für das Gebot der Stunde. Die „systemgerechte“ Familiensicherung des Neoliberalismus könne dieser wichtigen Aufgabe nicht genügen. Die neoliberale Forderung nach unbeschränkter Konsumfreiheit untersucht E . Küng (294, 297, 301, 304, 306) auf ihren volkswirtschaftlichen und wirtschafts­ ethischen Gehalt hin. Er weist dabei dem Staate wichtige Funktionen für die Förderung volkswirtschaftlich-richtiger Produktion zu. W. A . Jöhr (d 232) und / . Werner (88 ) unterstreichen diese Forderung, während G. Weisser (i 43) eine echte Bedarfsgestaltung als gesellschaftliche Aufgabe hervorhebt. Die Literaturübersicht umfaßt also eine Fülle von theoretischen und praktischen Einwänden, die von verschiedenen Seiten gegen das neoliberale Programm er­ hoben werden. Sie bieten Ansatzpunkte für eine gegenseitige Abstimmung und Annäherung der verschiedenen Auffassungen im Interesse der gemeinsamen Sache. Ein Blick über die neoliberalen Veröffentlichungen der letzten Jahre erweckt jedoch den Eindruck, daß es den Neoliberalen nicht so sehr um eine ernsthafte Diskussion der aufgeworfenen Probleme, sondern mehr oder weniger um ein Gespräch zwischen den eigenen vier Wänden geht, das sich im wesent­ lichen darin erschöpft, die eigenen Thesen ständig zu wiederholen und grund­ sätzliche Einwände mit Schweigen zu übergehen. Das von A . Müller- A r mack angeregte und vertieft zu führende Gespräch über die zentralen Wertprobleme (g 265) hat offenbar noch nicht begonnen. Dieser Eindruck wird durch die unqualifizierbare Diskussionsart D . Villeys verstärkt, der von W’. Röpke die „gewaltige Aufgabe“ erhielt, Klarheit in das widersprüchliche Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Liberalismus und katholischer Soziallehre zu bringen, sich aber diesem Auftrag auf Grund seines naiv-moralisierenden, wissenschaftlich unbe­ schwerten Vorgehens in keiner Weise gewachsen gezeigt hat1. Ziel und Methode des Vorgehens Aus der zusammenfassenden Darstellung der Suche nach dem Dritten Weg, der damit zusammenhängenden Lösungsvorschläge des Neoliberalismus und der daran anknüpfenden Kritik ist ersichtlich, daß es sich bei dem neoliberalen 1 Die sozialphilosophischen Vorbehalte im kathol. Lager führt er zurück auf Dilettanten, Journalisten, Philo­ sophen und Theologen, denen der Mißkredit des Liberalismus zum Vorwand diene, um die „Feld-, Waldund Wiesennationalökonomie“ (gemeint ist hier die nicht-neoliberale Nationalökonomie, der Verf.) gegen­ über der wissenschaftlichen zu rehabilitieren. Seiner Ansicht nach sind die Vorbehalte zurückzuführen auf: Unkenntnis des Marktmechanismus, Pharisäismus, schlechtgelaunten Moralismus, Integrismus und Prophe­ tismus, Vorliebe für Kompromißdoktrinen. Die katholische Sozialphilosophie solle besser für das Gemeinwohl arbeiten und sich um das geistige Verständnis Andersgläubiger bemühen (24, 34f., 46, 50, 69). Soweit theologische Fragen angeschnitten werden, kommt er zu Formulierungen und Antithesen, die wegen ihres eindeutigen Supranaturalismus unhaltbar sind (26, 27, 29, 35, 52, 58, 61, 63, 65). Es ist unverständlich, daß die seriöse Ordo-Jahresschrift auf einen derartigen Beitrag nicht verzichten konnte.

Gegenwärtige Kritik am neoliberalen Programm

19

Reformprogramm keineswegs nur um eine Summe rein wirtschaftstheoretischer und praktischer, also weltanschaulich neutraler Erwägungen handelt. W. Röpke (c 274) hat durchaus recht, wenn er dieses Programm der freiheitlichen Wirt­ schafts-, Gesellschafts- und Sozialreform auf der Basis einer dementsprechenden philosophischen Grundeinstellung aufgebaut sieht. Diese Philosophie an Hand des neoliberalen Programms in ihren geistesgeschichtlichen Wurzeln, in ihren Prinzipien und den daraus sich ergebenden ethischen Konsequenzen darzustellen, ist das Ziel der folgenden Untersuchungen. Sie sollen zugleich Antwort auf die Frage geben, ob es sich bei diesem Ordnungswollen nach Röpkes Auffassung tatsächlich um eine „Umorientierung grundsätzlicher Art“ handelt; um das Streben nach einer „neuen dritten Form“, wie A . Müller-Armack sich ausdrückt (d 88 ), oder ob hier zu treffender weise nur von einer „neuen Note des Liberalis­ mus“, wie W. Röpke an anderer Stelle vermerkt (i 142; g 216), die Rede sein kann. Aus der Antwort ergibt sich dann die Berechtigung sozial-philosophischer und wirtschaftstheoretischer Vorbehalte. Wir haben also davon auszugehen, daß der Neoliberalismus als ein Programm der freiheitlichen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialreform verstanden sein will, daß er für sich beansprucht, entschieden mehr als nur eine epigonenhafte Umwandlung althergebrachten Gedankengutes zu intendieren (Röpkey c 274; g 226, 230; Müller-A , k 82). Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß der Neo­ liberalismus im Unterschied zum „alten“ Liberalismus das Spannungsverhältnis zwischen Einzelmensch und Gesellschaft, zwischen Eigenwohl und Sozial wohl, zwischen privatwirtschaftlichem Verhalten und sozialwirtschaftlichen Sachnotwendigkeiten auf eine neue Basis zu stellen sich bemüht. Wie die Gesellschafts­ wissenschaft betont, liegt der entscheidende Wertmaßstab jeglicher Sozialreform im Menschenbild, im Personsein mit seinen Grundrechten und legitimen An­ sprüchen, eine Grundwahrheit, die auch auf neoliberaler Seite Beachtung findet. „Wie hältst du’s mit diesem Menschenbild? Was hast du historisch und seiner Idee nach vor dem Anspruch, den dieses Menschenbild stellt, an Verdiensten auf­ zuweisen?“ — das ist die radikale Frage, die F ’ Böhm (k 86 ) und mit ihm die Mehrzahl der Neoliberalen an die geforderte Neuordnung, insbesondere aber an die marktwirtschaftliche Lösung richten. Was Böhm jedoch unter „diesem“ Menschenbild und seinen berechtigten Ansprüchen versteht, bleibt zunächst unklar. Es handelt sich also in erster Linie darum, das neoliberale „Selbstverständnis“ auf seinen Inhalt und seine philosophischen Voraussetzungen zu prüfen. Die Ant­ wort entscheidet darüber, ob sich in der anthropologischen Konzeption im Ver­ gleich zum „alten“ Liberalismus ein Wandel vollzogen hat und ob die neoliberale Persönlichkeitsauffassung beispielsweise für die katholische Sozialphilosophie als

20

Die gegenwärtige Kontroverse um den Neoliberalismus

gemeinsame Arbeitsgrundlage annehmbar ist. Der gesamte anthropologische Fragenkomplex in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung zentriert sich um den Begriff des Sozialen, mit dem wir uns anschließend zu befassen haben. Dem neoliberalen Menschenbild entspricht naturgemäß das gesellschaftliche Ord­ nungsbild, die Staatsauffassung, sowie die menschenwürdige Wirtschaftsge­ staltung. Den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis jedes gesellschaftlichen Gebildes bietet jedoch der Gemeinwohlbegriff, der zugleich die entscheidende Maxime jeder wirtschaftlichen Neuordnung darstellt. Die vorliegende Arbeit erhärtet zunächst die grundlegende Tatsache, daß es sich bei der ideengeschichtlichen Grundausrichtung des neoliberalen Systemdenkens um philosophischen Nominalismus handelt, der speziell in der durch die englische Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts bedingten Prägung nahezu alle neoliberalen Dogmen und Postulate bestimmt. Das neoliberale Menschenbild, die Gesellschafts- und Wirtschaftsauffassung sind im Grunde nur aus der Ideologie des Nominalismus vy* verstehen. Die ersten fünf Kapitel, die sich die Aufgabe stellen, die sozialphilosophischen Grundlagen der neoliberalen Doktrin klarzulegen, bringen einen Überblick über das nominalistische Problem, über den neoliberalen Personalismus, die dement­ sprechende Sozialmetaphysik, Gemeinwohltheorie und Gesellschaftsauffassung. Die folgenden zwei Kapitel befassen sich mit der neoliberalen Wirtschafts­ auffassung, ihren Ordnungsprinzipien und den daraus resultierenden oder diese begründenden ethischen Postulaten.

I. K A P I T E L

DIE NOMINALI STI SCH E GRUNDLEGUNG DES NEOLIBERALISMUS

Die Frage nach der definitiven Beinhaltung einer sozialen Ordnung ist im Grunde eine philosophisch-anthropologische Frage. Wie jede anthropologische Reflexion ist auch die neoliberale wesentlich durch die philosophisch-weltanschaulichen Voraussetzungen des gesamten Systems bedingt. Wie in der Einführung ange­ deutet wurde, wird die Philosophie des Dritten Weges in ihrer Grundstruktur durch das Ideengut des philosophischen Nominalismus bestimmt, der seit der Spätscholastik für die geistesgeschichtliche Entwicklung der Folgezeit bis zur Gegenwart von tiefgreifendem Einfluß ist. W. Eucken, F. Λ . Hayek, W. Röpke, V. Muthesius, F. Böhm und O. Veit beispielsweise greifen in bestimmten Grund­ satzfragen, die im einzelnen noch zur Sprache kommen, bewußt auf die Ideen und die Argumentation der englischen Nominalisten des 17. und 18. Jahrhunderts zurück, die bei der gegenwärtigen Renaissance liberaler Ideen offenbar Pate ge­ standen haben. O. Veit spricht von der Konsequenz der Freiburger Schule „deren Erkenntnisinhalte aus nominalistisch-aufklärerischer Tradition gewonnen sind, und die auch heute noch am stärksten die Ideen der Aufklärung vertritt“ (b 44). Für die geistige Struktur und die grundsätzliche Beurteilung des neoliberalen Systemdenkens ist diese Feststellung fundamental. Eine dem Rahmen der vor­ liegenden Arbeit entsprechend kurz gefaßte Analyse des nominalistischen Phäno­ mens ist wegen seiner ideologischen Bedeutung für die Philosophie des Dritten Weges also nicht zu umgehen. 1. Die ideengeschichtliche Bedeutung des philosophischen Nominalismus Verfolgen wir die historische Entwicklung des Nominalismus über die englischen Philosophen und Staatsdenker bis zu ihrem Ausgangspunkt zurück, dann stoßen wir auf den Fragenkomplex des „Universalienproblems“ , dessen Wurzeln bis in die Philosophie des klassischen Altertums hinabreichen. Dieses Problem, bei dem es sich im Grunde um die Erkenntnisbeziehung zwischen Mensch und gegenständ­ licher Welt, um die kritische Reflexion des Verstandes über das Zustandekommen

24

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

und den Inhalt unserer Wesensbegriffe handelt, sollte im immer wieder auf­ flackernden „Universalienstreit“ als ein Entwicklungsfaktor von ungeahnter Breitenwirkung in die neue Philosophiegeschichte eingehen1. a) D ie e rk e n nt n is th eo re tis c h e Wurzel des U n i v e rs a lie n p ro b le m s Wie wir wissen, hat schon Heraklit sich mit dem Erkenntnisproblem befaßt. Nach ihm sind alle Erkenntnisse aus der materiellen Einwirkung der nur vereinzelt existierenden Dinge zu erklären, die mit Hilfe stofflicher, durch die Sinne von außen eindringender Bilder in der Seele die entsprechenden Vorstellungen er­ zeugen. Plato korrigierte diese materialistische Konzeption, für die es keine intellektuelle, auf das allgemeine, unwandelbare Wesen der Dinge gerichtete Er­ kenntnis, sondern nur sinnliche Einzelerkenntnis gab. Um die intellektuelle Er­ kenntnis zu rehabilitieren, hält Plato außer den körperlichen, sinnlich erfaßbaren Dingen noch die besondere Existenz ihrer überzeitlichen und unwandelbaren Urbilder für gegeben, in deren ideellem Sein er das kongruente Objekt der Ver­ nunfterkenntnis erblickte. Diese ist für Plato mit dem Bewußtwerden eines durch den Einfluß ideeller Wesen im Geiste vorhandenen Wissens identisch. Beiden Erkenntnistheorien, sowohl der materialistischen wie der platonisch­ idealistischen, liegt das Axiom zugrunde, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden könne und zwar derart, daß ein körperlicher Gegenstand nur körperlich­ sinnlich, ein immaterieller dagegen nur intellektuell zu erfassen sei. Aristoteles, der diese Auffassung und ihre Konsequenzen als irrig bekämpfte, machte dagegen geltend, das Erkannte sei im Erkennenden nach Weise des Erkennenden, also nicht auf dieselbe Weise, wie in sich selber (Aristoteles, Metaph. 1, 7; zit. bei Kleutgen, 34f., 253f.). Nach der aristotelisch-realistischen Lehre hat der Erkenntnisakt den Charakter einer geistigen Zeugung. Das erkennende Subjekt verhält sich zum Erkenntnisgegenstand zunächst rezeptiv, um dann durch eigene Tätigkeit dessen Bild im Intellekt auszuprägen. Das Erkennen wird als ein geistiges Ergreifen, als ein intellektueller Besitz der Sache verstanden. Das sinnliche wie auch das intelligible Bild kommt dem Intellekt nicht von außen hinzu, sondern hat den Charakter einer im Intellekt hervorgebrachten „Modifikation“ . Allein dieses ideelle Sein der Dinge im Erkennenden ermöglicht das intellektuelle Erfassen des realen Seins außer uns. Mit anderen Worten: Das Materielle wird durch immaterielle Vor­ stellungen aufgenommen (vgl. Stöckly 462ff.).

Eine ausführliche Darstellung des Universalienproblems findet sich im Buch j. Vorzeit, auf die wir stellenweise zurückgreifen.

kleutgens,

Philosophie der

Die ideengeschichtliche Bedeutung des philosophischen Nominalismus

25

b) D ie ge sch ic htl ich e K o n t r o v e r s e um das U n i ve rs a l ie n p ro b l e m Es ist interessant festzustellen, wie diese drei Grundauffassungen in der er­ kenntnistheoretischen Auseinandersetzung der nachfolgenden Jahrhunderte sich, mehr oder weniger abgewandelt, geltend zu machen suchten. In der Früh­ scholastik konzentrierte sich die Kontroverse auf die Fragestellung, die schon der römische Philosoph Boetius (gest. 524) einige Jahrhunderte vorher formuliert hat, ob das Allgemeine, das heißt: die Wesenheit der Dinge, in der extramentalen Wirklichkeit eine Entsprechung habe oder nicht. Während die griechischen Materialisten die skeptische Behauptung aufstellten, der sich die Stoiker, Arianer, Roscelin (gest. um 1120), Ockham (gest. 1349) und die späteren Nominalisten an­ schlossen, in der Wirklichkeit gebe es nur eine Vielheit einzelner Dinge ohne gemeinsame Wesenheit, hielt die platonistische Richtung in übersteigertem Realismus an der objektiven Subsistenz allgemeiner Wesenheiten außerhalb der Dinge fest. Demgegenüber verteidigt der aristotelische Realismus, vorwiegend durch die thomistische Schule vertreten, die These von der gegenständlichen Bedeutung allgemeiner Begriffe, die zwischen beiden Extremen insofern die Mitte hält, als sie die präexistenten Wesenheiten ebenso wie die inhaltliche Entleerung der Wesensbegriffe als rein subjektive Namen ablehnt und statt dessen allgemeine Wesenheiten in den Dingen nachzuweisen sucht. c) D ie dreifache Bew and tn is des U n i v e rs a l ie n pr ob l e m s Im Mittelpunkt der eigentlichen Problemstellung steht demnach die Frage nach der objektiven Realität kategorialer Wesenheiten bzw. nach der Beinhaltung unserer Wesensbegriffe: der Universalien. Zur Debatte stehen also drei Mög­ lichkeiten : Entweder wir haben uns nach platonischer Auffassung die allgemeine Wesenheit der angeblich nur sinnlich erkennbaren Einzeldinge als gesondert für sich präexistierende, intellektuell erfaßbare Wesensidee vorzustellen, die aufgrund ihres aus­ schließlich ideellen Seins keinen Anspruch auf sachlich begründete Objektivität, auf objektive Wahrheit in den sinnlich erfahrbaren Dingen erheben kann; oder wir verstehen mit den Nominalisten unter allgemeinen Wesenheiten faktisch nur gewisse Namen und Zeichen, die jeweils eine kategoriale Vielheit in sich einzelner Dinge rein äußerlich und gleichfalls ohne sachliche Begründung bezeichnen ; oder wir folgen dem gemäßigten Realismus, der die Begründung der allgemeinen Be­ griffe in der Natur der Dinge selbst gegeben sieht. Die Klarstellung dieser dreifachen Bewandtnis des Universalienproblems ist des­ halb notwendig, weil O. Veit, der sich um die erkenntnistheoretische Synthese

26

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

zwischen Nominalismus und Realismus, zwischen dem nominalistischen OrdoBegriff der „prästabilierten Harmonie“ und dem Ordo-Begriff der Scholastik be­ müht, den extremen Realismus der platonisch-idealistischen Lösung mit dem „Universalienrealismus“ der Hochscholastik identifiziert und dabei offenbar den Mittelweg des aristotelischen Realismus (neben dem „ante rem“ und dem „post rem“ das „in re“) übersieht (b 5, 9f., 13, 44f.). Da die nominalistische Beantwortung dieser an sich erkenntniskritischen Frage in ihren letzten Konsequenzen auch für die anthropologische, sozialphilosophische und ethische Konzeption der neoliberalen Theoretiker bestimmend ist, dürfte die klare Herausarbeitung der nominalistischen Universalienlehre für den weiteren Gedankengang entscheidend sein. Die Gegenüberstellung der aristotelischrealistischen und der nominalistischen Doktrin führt dabei am ehesten zum Ziel. 2. Die realistische Lösung des Universalienproblems Der sachliche Ausgangspunkt der Kontroverse liegt in der Tatsache, daß im Kosmos der geschaffenen Dinge die einzelnen Wesensformen, nach Kategorien verschieden, in einer Vielheit auftreten, z. B. Menschen, Tiere, Pflanzen. Es steht allgemein fest, daß wir durch eine gemeinsame Vorstellung eine Vielzahl von Dingen umfassen und von vielen dasselbe aussagen. Die Frage nach der eigent­ lichen Beinhaltung dieser allgemeinen Vorstellungen läßt, wie wir gesehen haben, die Meinungen auseinandergehen. Zunächst treffen sich Nominalismus und gemäßigter Realismus, den wir im folgenden — allerdings in klarer Unterscheidung zum Veit9sehen Realismus — kurz Realismus nennen, in der übereinstimmenden Feststellung, daß die realen Dinge für sich betrachtet keine Allgemeinheit besitzen, vielmehr alles Wirkliche individuellen Charakter zeigt. Der realistischen Lehre zufolge hat alles, was wirk­ lich ist, notwendig ein eigenes, bestimmtes Sein und zwar aufgrund seiner indi­ viduellen Einheit, die der Allgemeinheit entgegengesetzt ist. Das Individuelle ist dergestalt eines, daß es, in sich ungeteilt und eben deshalb von jedem anderen Wesen unterschieden, als solches in keinem anderen sein und darum nicht ver­ vielfältigt werden kann. Außerhalb der Einzeldinge kann es demnach keine allge­ meinen Wesen geben, die Dasein ohne Individualität hätten, denn Dasein und Individualität sind nicht voneinander zu trennen. Läßt sich nun daraus, daß alles Wirkliche individuell ist, mit den Nominalisten ohne weiteres folgern, daß etwas Wirkliches nicht allgemein sein kann ? Mit anderen Worten: Ist jedes reale Ding aufgrund seines individuellen Daseins notwendig so geartet, daß es in keiner Weise das Element des Allgemeinen in sich realisiert, also nicht auf ein mit anderen Dingen gemeinsames Wesen rückführbar, vielmehr als in seiner Wesensart

Dic realistische Lösung des Universalienproblems

27

einmalig %u betrachten ist? Daß diese Frage für die wissenschaftliche Wesens­ erkenntnis, wie überhaupt für die Möglichkeit einer realen, auf den allgemeinen Begriffen als realen Erkenntnisprinzipien fußenden Wissenschaft entscheidend ist, wird noch zur Sprache kommen. a) D ie dreifache Ei n h e it aller wi rk lic hen Di ng e Die grundsätzliche Antwort der Realisten lautet, daß die gemeinsamen Merkmale von Dingen ein und derselben Kategorie auch auf ein allen gemeinsames Wesen, auf einen Gattungsbegriff zurückgehen, der die Elemente der objektiven Realität und der Allgemeinheit in sich realisiert. Demnach gibt es in den Einzeldingen etwas, wodurch sie individuell sind, und etwas anderes, wodurch sie zugleich allgemein sind. Zur Erläuterung dessen weisen die Realisten auf die dreifache Einheit aller wirklichen Dinge hin : die individuelle, die formale und universale. Daß die i nd iv id ue ll e Einheit der Dinge, aufgrund deren die Individuen unge­ teiltes und unteilbares Wesen besitzen und untrennbar mit dem realen Dasein verbunden sind, nicht der Grund ihrer Allgemeinheit sein kann, leuchtet ein. Die Individualität eines Dinges schließt seine Allgemeinheit aus. Wie verhält es sich mit der form ale n Einheit der Dinge? In der Sprache der Scholastik bedeutet formale Einheit soviel wie Wesenseinheit, wodurch die Dinge ihr eigentümliches Sein und ihre bestimmte Natur besitzen. In dieser Abstraktheit betrachtet, schließt die Natur nur das in sich, was der Wesenheit eines Dinges als solcher zukommt und ohne das ein Ding weder sein noch gedacht werden kann: die naturhafte Bestimmtheit. Die menschliche Natur z. B., rein formal gesehen, besagt: Vernunftbegabtheit von Sinnenwesen, ohne die ein menschliches Individuum weder sein noch gedacht werden kann. Ausschließlich in ihrer for­ malen Einheit betrachtet, schließt eine Wesenheit weder die Individualität noch die Universalität ein, ohne jedoch beiden Seinsweisen entgegengesetzt zu sein. Damit ist gesagt, daß in jedem endlichen Ding die formale Wesenheit zunächst von seiner individuellen Eigentümlichkeit, z. B. das menschliche Wesen schlecht­ hin von dem Wesen dieses Menschen mit seinen individuellen Besonderheiten, zu unterscheiden ist, was gegen die Nominalisten klargestellt werden muß. Gibt es darin keinen Unterschied, ist vielmehr jedwedes Ding durch seine Wesenheit ohne weiteres individuell und einzigartig, gehört die Individualität also zu den wesentlichen Attributen existenter Dinge, dann folgt daraus, metaphysischen Denkgesetzen zufolge, daß jedes Individuum, da Individualität und Dasein in der realen Ordnung nicht voneinander zu trennen sind, durch seine Wesenheit auch sein Dasein hat. Damit würde den geschaffenen und darum endlichen Dingen das zuerkannt, was nur dem ungeschaffenen, unendlichen Sein, also Gott allein zu­ kommt: durch sich selber zu sein und darum eine wesenhaft individuelle Natur

28

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

zu besitzen. Die Geschöpflichkeit und Kontingenz aller realen Dinge lassen eine solche Folgerung als innerlich unmöglich nicht zu. Ebensowenig, wie das Sein der endlichen Dinge ihr Wesen ist, kann ihre Individualität ihr Wesen sein1. Auch die von den Realisten behauptete Al lg em ein h e it der Dinge kann nicht in ihrer formalen Einheit, in ihrem Wesen eingeschlossen sein. Es gehört zu dem Begriff des Allgemeinen, daß ein einzelnes als solches einer numerischen Vielheit gemein ist bzw. gemein sein kann, daß es also zugleich eines und vieles ist. Von einer allgemeinen Wesenheit kann nur dann die Rede sein, wenn sie als dieselbe zugleich in mehreren Dingen ist bzw. sein kann. Wie wir gesehen haben, umfaßt die Wesenheit der Dinge unter dem Blickwinkel der rein formalen Betrachtung nur das, was ihr als solcher zukommt und ohne das das einzelne Ding in Wirk­ lichkeit nicht sein kann. Obwohl wir aus diesem Grunde den ganzen Inhalt dieses Begriffes von allen Einzeldingen, die unter ihn fallen, aussagen müssen, folgt daraus nicht, daß die Wesenheit, rein in sich selber betrachtet, allgemein ist. Würde die Allgemeinheit zu den wesentlichen Attributen z. B. der menschlichen Natur gerechnet, ergäbe sich daraus die absurde Folgerung, daß jeder einzelne Mensch ein allgemeiner sei. Dagegen spricht unter anderem, daß in den einzelnen Menschen nicht nur das Zufällige, Individuelle, wodurch er sich von den anderen unterscheidet, sondern auch das Wesentliche, worin er ihnen gleicht, als etwas durchaus ihm allein Angehöriges, seinem realen und physischen Sein nach anderes, also nicht Gemeinschaftliches zu betrachten ist. Nach realistischer Auf­ fassung bilden Dinge derselben Art eine reale Vielheit, indem nicht nur ihre Individualität, sondern auch ihre Wesenheit vervielfältigt wird. Sie haben unter sich zwar das Verhältnis der Wesens- Gleichheit^ nicht aber das der Wesens-Einheit. Ihre formale Einheit darf demnach nicht mit der dem Allgemeinen wesentlichen Einheit in der Vielheit identifiziert werden. Die Vielheit gleichartiger Dinge ist also deshalb nicht ihre Allgemeinheit, weil ihre formale Einheit nicht ihre uni­ versale ist, was gegen die Formalisten klargestellt werden muß. Mit anderen Worten : Die von den Realisten behauptete Allgemeinheit oder universale Einheit endlicher Dinge gehört weder %u den wesentlichen Attributen einer Sache noch %u den außerwesentlicheny die dem Dasein in Ein^eldingen folgen. Der Nachweis der Allgemeinheit geschaffener Naturen fordert demnach eine andere Begründung, als sie ihre individuelle oder formale Einheit darstellt. Die für den Begriff des Allgemeinen erforderliche Einheit erhalten die in realer Viel­ heit existierenden gleichartigen Dinge allein im erkennenden Verstand, der sie 1 Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich hier auf den ersten Blick für die Engellehre. Nach thomistischer Auffassung ist jeder Engel auf Grund seiner Wesenheit individuell bestimmt und zwar deshalb, weil er als reiner Geist nicht durch Materie und Form konstituiert wird. Dabei bleibt bestehen, daß seine Wesenheit nicht sein Dasein, d. h. nicht durch sich selbst ist, sondern als geschaffene endlichen Charakter besitzt.

Die realistische Lösung des Universalienproblems

29

aufgrund ihrer Wesensgleichheit in einem einzigen Begriff, im Gattungsbegriff zusammenfaßt. Der Gattungsbegriff ist insofern ein allgemeiner Begriff, als der Intellekt durch ein und dieselbe Vorstellung etwas, was in Wirklichkeit nur eines ist, zugleich als Vielheit, nämlich als Gattungswesen denkt bzw. etwas, was eine Vielheit darstellt, durch einen Begriff auf seine Einheit zurückführt. Die Allge­ meinheit kommt demnach der Natur der Dinge nicht %u, wenn sie in sich selber oder in ihrem individuellen Dasein, sondern erst, wenn sie in ihrem idealen Sein, das sie in dem sie erkennenden Verstand besitzt, betrachtet wird. Nicht das Wesen der Dinge schlechthin, sondern das erkannte Wesen ist allgemein (vgl. Conimbr. Log. in praefat. Porph., qu. 1, a 4; zit. b. Kleutgen, 273). Wenn wir also oben von der dreifachen Einheit aller wirklichen Dinge sprachen, können wir jetzt bestimmter aussagen, daß es in den Dingen selbst nur eine doppelte Einheit gibt: die Einheit der Wesenheit oder die formale, sowie die Ein­ heit des Daseins, die mit der individuellen identisch ist. Die universale Einheit der Dinge dagegen besteht formal und wirklich nur im erkennenden Geist, in­ sofern dieser die Wesenheit der Dinge als gemeinsam, also als allgemein denkt (C. g., I, 1. c, 44; c 65; S. Th., I, 85, 2c). b) D er ge ge ns tä nd lic he Wert der all gemeinen Begriffe Ist damit erwiesen, was die Nominalisten behaupten, daß die gemeinsame Wesen­ heit der Dinge bzw. die Verschiedenheit der Arten und Gattungen nur in unseren Vorstellungen existiert, also als etwas Gedachtes oder Erdichtetes zu betrachten ist, das, weil ohne reales Fundament, keinen Anspruch auf objektive Wahrheit erheben kann? Trifft dies zu, dann können auch nur die Namen und Begriffe, nicht jedoch die Wesenheiten der Dinge selbst allgemein genannt und von einer Vielheit ausgesagt werden. Die Gegenthese der Realisten lautet, daß gerade in der Natur der Dinge der Grund dafür zu suchen sei, warum ihre Wesensbegriffe allgemein sein können. Wenn es zum Wesen des Allgemeinen gehöre, von vielen ausgesagt zu werden, dann könne das nur heißen, daß nicht nur die Vorstellung als solche, sondern das Vorgestellte selbst, nicht nur der Begriff der Gattung, sondern sein Inhalt, also die Wesenheit oder Natur der Dinge als jenes eine zu betrachten sei, das in vielen sein und von einer Vielheit ausgesagt werden kann (De ente, c 4; De anima, lib. 2 , lect. 12). Um den gegenständlichen Wert und die objektive Wahrheit der allgemeinen Be­ griffe oder Wesensaussagen besser nach weisen zu können, unterscheiden die Realisten in dem Allgemeinen die Sache selber von ihrer Allgemeinheit, den Inhalt von der Form, das, was allgemein gedacht wird, von der Allgemeinheit, in der es gedacht wird. Sachlich-inhaltlich gesehen ist die Allgemeinheit in den

30

Die nominalistischc Grundlegung des Neoliberalismus

Dingen, in deren Natur oder Wesenheit, der die Allgemeinheit zukommt, ent­ halten. Sein volles und eigentümliches Sein erhält das Allgemeine jedoch erst durch die Tätigkeit des erkennenden Intellekts. Nur im betrachtenden Geist ist die Natur der Dinge zugleich eines und vieles ; einmal deshalb, weil dieses eine, das der Geist denkt: die ent-individualisierte Natur, in vielen da ist oder dasein kann, und zum anderen, weil es eine Natur ohne Individualität nur im erkennenden Intellekt, nicht aber in der realen Dingwelt gibt. Hinzukommt, daß die Allgemeinheit, die das Wesen der realen Dinge im erkennenden Intellekt erhält, nicht nur eine Fiktion ist. Sie bat in der extramentalen Wirklichkeit ihren Grund. Der menschliche Geist denkt nur deshalb die Natur eines einzelnen als Gattungswesen, weil er zuvor diese Natur als eine solche erkannt hat, die unverändert in vielen Einzeldingen dasein d. h. vervielfältigt werden kam, was z. B. bei der göttlichen Natur nicht der Fall ist. Wenn andrerseits der Intellekt eine Vielheit im Gattungsbegriff als eines auf­ faßt, dann wiederum nur, weil er in den vielen bei aller Verschiedenheit des Indi­ viduellen eine Gleichheit des Wesens, dieses also als vervielfältigt erkennt. Mit anderen Worten: Allgemeinheit des Begriffs oder Namens ist nur dann gegeben, wenn eine Natur so beschaffen ist, daß sie wie in einem Einzelding, so auch in vielen Dasein hat oder haben kann, weshalb Aristoteles das Allgemeine nicht als das eine, das in vielen ist, sondern als das eine, das geeignet ist, in vielen %a sein, definiert (z.t. Kleutgen, 117). Unsere Wesensbegriffe besitzen also nicht nur ein fiktives, nominelles Sein im Intellekt, sondern ein reales Fundament in der extramentalen Wirklichkeit und damit objektive Wahrheit. Der Allgemeinbegriff ist %war seiner Form nach nur im Verstand, im be­ trachtenden Geist enthalten, insofern die Allgemeinheit der Dinge erst dadserch entsteht, daß sie erkannt werden. Seinem Grunde oder seinem Inhalt nachjedoch ist er in den Dingen verwirklicht, freilich facht auf die gleiche, abstrakte Weise wie im erkennenden Verstand, sondern in Daseinseinbeit mit dem im Begriff nicht miterfaßten Ein^elsein (vgl. S. Th., I, 85, 2 c). c) D ie realistische A b s t ra k t io n s l e h re Der metaphysische Nachweis des allgemeinen Wesens der Dinge setzt, wie wir gesehen haben, abstraktives Denken voraus. Der für die Klärung des Univer­ salienproblems entscheidende Begriff der Abstraktion bedarf also noch der Er­ läuterung, auch aus dem Grunde, weil wir im sechsten Kapitel zu dem Ab­ straktionsbegriff der Eucher?sehen Methodologie, der nominalistisch-empiristisch konzipiert ist, Stellung zu nehmen haben. Die realistische Abstraktionslehre, die sich von der nominalistisch-empiristischen wesentlich unterscheidet, läßt sich in folgende Grundgedanken zusammenfassen :

Die realistische Lösung des Universalienproblems

31

Sinnliche Vorstellung als werk^eugliche Ursache der intellektuellen Erkenntnis Die intellektuellen Vorstellungen gehen im Menschen auf ein Zusammenwirken der sinnlichen und geistigen Erkenntnis kraft zurück. Nur dadurch, daß der Ver­ nunft entweder durch den äußeren oder den inneren Sinn ein Objekt für ihre spezielle Betrachtung geboten wird, gewinnt sie ihre allgemeinen und inhaltlich bestimmten Begriffe. Die sinnliche Vorstellung ist demnach werk^eugliche Ursache der intellektuellen Erkenntnis. Bei der intellektuellen Auffassung des Realen unter­ scheiden die Realisten drei verschiedene Abstraktionsgrade. Im ersten Grad erfaßt der Intellekt die sinnlich feststellbaren Eigenschaften der Körper; im zweiten Grad beschränkt er sich auf die Attribute, die allen Körpern eigen sind, wie z. B. Größe und Ausdehnung. Erst auf der dritten und höchsten Stufe werden die intelligiblen Dinge durch die allgemeinsten Begriffe wie: Sein, Einheit, Substanz, Akzidenz und andere, durch die auch Unkörperliches erfaßt werden kann, gedacht. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß es sich hierbei um die Festlegung einer bestimmten, für die Begriffsbildung einzuhaltenden stufenweisen Ordnung handelt. Vielmehr soll damit nur die Verschiedenheit des intelligiblen Gegenstandes und dement­ sprechend der Inhalt der verschiedenen realen Wissenschaften gekennzeichnet werden. Während z. B. die Physik sich ausschließlich mit den unmittelbar sinnlich erfaßbaren Eigenschaften der Körper, die Mathematik mit ihren ersten Attributen, wie Größe, Ausdehnung und Gestalt, befaßt, sucht die Metaphysik die Dingwelt in ihren allgemeinsten, sinnlich nicht feststellbaren Gesetzen und aus diesen das Übersinnliche zu begreifen. Obwohl also die sinnliche Erfassung des Einzelnen der Erkenntnis des Allgemeinen vorausgeht, sind die höchsten und einfachsten Begriffe dennoch die ersten, die wir bilden, wird das Allgemeine früher erkannt als das Besondere (S. Th., I—II, 94, 2; De veritate, 9. 10, 6 , 1). Dieser Satz ist fundamental und hat auf nominalistischer Seite, auch bei W. Euckeny zu Mißverständnissen Anlaß gegeben. Die erkenntnistheoretische Erklärung für das realistische Axiom liegt in der Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens, derzufolge die intellektuelle Vorstellung ebenso wie die sinnliche bei dem Allgemeinsten beginnt, um weiter fortschreitend sich durch die bestimmte Auffassung des Besonderen zu vollenden. Es handelt sich bei diesem Prozeß, was nicht übersehen werden darf, um die mehr oder weniger vollkommene Auffassung eines und desselben Gegenstandes, indem der Intellekt in dem einzelnen Erkenntnisobjekt nur das auffaßt, was ihm im Unter­ schied zu den äußeren Sinnen und zur Phantasie zu erkennen eigen ist: die Natur und Wesenheit ohne das Zufällige. Wenn nun die intellektuelle Vorstellung allgemein genannt wird, dann nicht aus dem Grund, als hätten wir querst vergleichend und aussondernd in vielen Dingen das ihnen Gemeinsame gesucht, um es dann als das Wesen des Ein^eldinges %u denken. Die intellektuelle Auffassung des Realen konzentriert

32

Dic nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

sich vielmehr von vornherein, von den Eigentümlichkeiten des einzelnen Er­ kenntnisobjektes absehend, nur auf das, was dem betreffenden Gegenstand mit allen Einzeldingen einer artgleichen Vielheit, z. B. allen Menschen, gemeinsam und daher in jedem einzelnen Wesensgesetz ist, wodurch es seinem Sein und Er­ scheinen nach bestimmt und aus dem es auch begriffen wird. Mit anderen Worten : Der Begriff‘ mit dem wir die Wesenheit des Ein^eldinges erfassen, ist deshalb allgemein, weil wir durch ihn nicht nur das einzelne Objekt, sondern zugleich auch eine bestimmte Vielheit von Gegenständen auffassen können. Das Wesen des Gegenstandes aber ist allgemein, insofern es in vielen Dingen seiner Beschaffenheit, nicht der Zahl nach, dasselbe ist. Wesentlicher Unterschied 3 wischen sinnlicher und intellektueller Erkenntnis Wer die wesentliche Verschiedenheit des sinnlichen und intellektuellen Erkennens annimmt, kann die Wesenserkenntnis nicht so verstehen, als ob der Intellekt das Wesen der Dinge dadurch erfaßt, daß er durch Vergleichung in den sinnlich wahr­ genommenen Erscheinungen das Gemeinsame findet und im Begriff zusammen­ faßt. Das würde bedeuten, was z. B. die Nominalisten aufgrund ihrer empiristischen Abstraktion vertreten, daß der Intellekt im Grunde dasselbe erkennt wie die Sinne, nur auf andere Weise, indem er den von den Sinnen begonnenen Erkenntnisvor­ gang vollendet und intellektuell umformt, so daß die sinnliche Erkenntnis als Ursache der intellektuellen zngzsthen werden muß. Nach realistischer Auffassung befaßt sich die sinnliche Erkenntnis immer nur mit den äußeren Qualitäten der Dinge, an denen sie haften bleibt, während die intellektuelle von der Erkenntnis der Akzidenzen bis zu dem unter den Erscheinungen verborgenen Wesen vordringt. Die geistige Erkenntnis hat nur insofern in der sinnlichen ihren Ursprung, als der Intellekt in den Erscheinungen das Wesen des Dinges erfaßt, durch die sinnlichen Wahr­ nehmungen also zu etwas, was darüber hinausliegt, hingeleitet wird (De veritate, 10,6). Zwar ist dieselbe Sache Gegenstand der verschiedenartigen Erkenntnis, was aber nicht hindert, daß die menschliche Vernunft in dem gleichen Erkenntnis­ objekt etwas erfaßt, was den Sinnen naturgemäß verborgen bleibt : in den zufälligen Erscheinungen das Sein, das Wesentliche und darum auch das Allgemeine, weil nur das Wesentliche, nicht aber das Zufällige in den Dingen allgemein sein kann. Es ist also festzuhalten, daß die intellektuellen Vorstellungen ihrem Prinzip und ihrem Inhalt nach wesentlich von den sinnlichen unterschieden sind. Daraus folgt, daß die empiristische Abstraktion, die sich im Vergleichen, in der empirischen Analyse und Synthese rein äußerer Erscheinungen erschöpft, nicht als echte Ab­ straktion bezeichnet werden kann, da sie nicht zu einer über das sinnlich Erfaß­ bare hinausführenden Wesenserkenntnis gelangt. Das gilt auch, wie sich noch zeigen wird, für die „generalisierende Abstraktion“ W. Euckens (f 168 f., 226 f.).

Die realistische Lösung des Universalienproblems

33

Das Allgemeine der intellektuellen Erkenntnis, also die Wesenserkenntnis der Dinge, ist nicht identisch mit jener nominalistischen Allgemeinheit, die sich aus der empirischen Analyse und Synthese rein äußerer Erscheinungen ergibt. Für die Möglichkeit einer echten wissenschaftlichen Wesenserkenntnis ist diese Feststellung entscheidend. Wenn die Realisten also behaupten, das Allgemeine werde früher als das Be­ sondere erkannt, dann soll damit gesagt sein, daß wir im Besonderen zuerst nur das erkennen, was der Gattungsbegriff in sich schließt, nicht aber, daß wir das Allgemeine als solches: die Gattung, früher als das Individuelle erfassen. Ihrer Ansicht nach ist es etwas anderes, durch allgemeine Vorstellungen erkennen oder die Allgemeinheit der Vorstellungen einsehen (S. Th. ,1, 85, 1 ad 1). Um eine Vielheit von Dingen als Gattung, d. h. also ihre Übereinstimmung in dem, was allen wesentlich ist, erkennen zu können, steht zunächst der empirische Weg offen, indem durch Vergleichung aus dem Gemeinsamen der Erscheinungen auf die Übereinstimmung im Wesen geschlossen wird. Dieser Weg ist aber nicht der einzige. Da, wie wir bereits gesehen haben, der Grund für die Allgemeinheit des Wesens darin zu suchen ist, daß die Wesenheit eines Dinges unbeschadet ihrer Einheit in vielen Einzeldingen dasein, also vervielfältigt werden kann, läßt sich demnach die Allgemeinheit eines Dinges und eines Begriffes auch apriori durch Nachdenken aus der Natur dessen, was wir denken, erschließen. Das will sagen, daß nach realistischer Auffassung weder die intellektuelle Erfassung des allgemeinen Wesens noch die Erkenntnis des Allgemeinen als solchen : der Gattungsbegriffe, auf die empirische Vergleichung vieler Ein^eldinge angewiesen ist, vielmehr aus der Betrachtung des einzelnen gewonnen werden kann (vgl. Ternus, 296 f.).

Metaphysische Folgerungen der realistischen Abstraktionslehre Aus dem bisher Gesagten ergeben sich einige Folgerungen, die für die Aus­ einandersetzung mit den Nominalisten von Bedeutung sind: 1. Nach realistischer Auffassung sind für jedes Ein^elding %wei Seinsgründe relevant : das Allgemeinwesen oder die Artform, sowie der die Einzelheit bedingende Grund : die individuelle Bestimmtheit. Den beiden Seinsgründen entspricht die doppelte Einheit in den Einzeldingen : die formale als Einheit der Wesenheit und die individuelle, die mit der Einheit des Daseins zusammenfällt. Auch das Allgemeine hat, wie wir gesehen haben, Einheit, allerdings eine solche, der es nicht widerspricht, daß dieses allgemeine Eine sich in einer Vielheit verschiedener Dinge wiederfindet. Metaphysisch gesehen ist daher das Allgemeine als etwas „Höheres“ %u betrachten, weil es eine Vielheit unter sich hat, der es sich gleichsam mitteilt und zwar so, daß es, z· B.

34

Die notninalistische Grundlegung des Neoliberalismus

das menschliche Wesen, numerisch verschieden in jedem Individuum ganz ist, und ein jedes das ist, was das Allgemeine besagt. Dieser Sachverhalt bzw. sein Mißverständnis spielt bei W. Ockham und den Nominalisten eine nicht unwesentliche Rolle, die daraufhin das Individuum gegen eine Unterbewertung und begriffliche Auflösung durch das Allgemeine ver­ teidigen zu müssen glaubten. Was sie dabei jedoch übersehen, ist der Umstand, daßgrundsätzlich das Allgemeine nicht wirklich werden kann, ohnejene Einheit %u erhalten, die denIndividuen eigenist. Diese könnten der Zahl nach nicht unterschieden sein, wenn nicht jedes einzelne für sich sein ihm eigentümliches Sein bewahrte und in diesem etwas ihm Wesentliches besäße, das der Begriff der Art nicht in sich schließt. 2. Es besteht ein Unterschied zwischen der allgemeinen Wesenheit und der individuellen Bestimmtheit eines Dinges. Er wird von den Nominalisten negiert. Allerdings kann dieser Unterschied kein realer sein, denn die Individualität ist nicht als eine be­ sondere Seinsweise zu verstehen, die zum Sein der Wesenheit modifizierend hinzukommt wie etwa das akzidentelle zum substantiellen Sein. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Weise, in der die Wesenheit da ist, und zwar um jene erste Weise des Seins, wodurch die Wesenheit zugleich mit dem Sein auch ein bestimmtes Sein erhält. Andrerseits ist der Unterschied nicht nur ein gedachter, intellektueller, sondern sachlich begründet, da sich die beiden Begriffe inhaltlich nicht decken. Wenn die reine Wesenheit eines Dinges in einer Vielheit dasein, also vervielfältigt werden kann, was für die Individualität nicht zutrifft, dann muß die Individualität eines Dinges außer der Wesenheit etwas ihm Wesentliches ein­ schließen, was jene Vervielfältigung unmöglich macht. Der Unterschied ist in der Sprache der Realisten ein virtueller, der als solcher zwar im Sein der Dinge seinem Grunde nach vorhanden ist, aber erst im Denken wirklich wird. 3. Das Allgemeine in den Dingen ist der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft. Da wir mittels der sinnlichen Vorstellung nur das einzelne der realen Dingwelt und dieses nur seiner äußeren Erscheinung, d. h. seiner Zufälligkeit und Wandelbarkeit nach, zu erfassen vermögen, bleibt die sinnliche Einzelerkenntnis naturgemäß unbe­ friedigend. Das wissenschaftliche Streben des menschlichen Intellektes ist er­ fahrungsgemäß darauf gerichtet, suchend und forschend in der Erscheinungen Flucht das Unwandelbare, das Notwendige und Bleibende, also das einer Vielheit von Dingen Wesentliche zu begreifen. Der menschliche Geist strebt danach, mit Hilfe der Einzelerkenntnisse das Ganze und alles Einzelne in seinem Verhältnis zum Ganzen und somit die Ordnung und Gesetzmäßigkeit alles Seins zu erfassen, was ihm nur möglich ist, wenn er die Arten und Gattungen der Dinge erkennt. Um aber neben dem Bleibenden auch das Wandelbare in den Dingen begreifen zu können, beziehen wir auch die Gesetze alles Werdens und Vergehens in unser

Die realistische Lösung des Universalienproblems

35

Fragen und Forschen ein. Es kann sich für den Menschen als sittliches und soziales Wesen zudem nicht nur darum handeln, allein das zu erkennen, was ist und was geschieht, sondern vornehmlich das, was geschehen solly wie die erkannte Ordnung der Dinge durch menschlich-vernünftiges Handeln zu realisieren ist. Das Allgemeine zu erfassen, näherhin im bleibenden Wesen der Dinge den Grund des Zufälligen, die Einheit des Mannigfaltigen und die Gesetze des Wandelbaren nachzuweisen, steht nach realistischer Auffassung im Mittelpunkt des theore­ tischen, wie des praktisch-wissenschaftlichen Interesses. Obwohl, wie wir gesehen haben, die Erkenntnis des Wesens der Dinge bei den äußeren Erscheinungen als der instrumentalen Ursache der Wesenserkenntnis be­ ginnt, halten die Realisten dennoch daran festy daß das allgemeine Wesen der Dinge nicht nur dem Sein, sondern auch der Erkenntnis nach früher ist als die empirisch feststellbaren äußeren Erscheinungen. Um diese Behauptung verständlich zu machen, unterscheiden sie zwischen einer vorläufigeny sinnenhaften Kenntnis und einer vollkommenen Er­ kenntnis der Dinge. Die erstere trägt dazu bei, das Wesen zu finden und voll­ kommen zu erkennen. Erst dann ist es möglich, auf dem Wege der „Synthese“ auch die äußeren Erscheinungen, die nur ein relatives, von einem Träger ab­ hängiges Sein besitzen, von der Erkenntnis ihres Prinzips: der Substanz, also vom Wesen der Dinge her, zu erkennen. Es kann weder die Gattung der äußeren Erscheinungen ohne eine Beziehung auf die Substanz noch die A rt ohne die innere Be­ schaffenheit der Substanz erhärmt werden (De ente, c 7; vgl. Kleutgeny 172f.). Aus diesem Grunde betonen die Realisten: Wenn sich die Wissenschaft mit dem Realen, dem Einzelnen und Individuellen befaßt, dann deshalb, um auch das Besondere „im Lichte des Universalen“ (A. a. O., 60) zu betrachten und aus dem Allgemeinen zu erkennen. Ohne die Kenntnis des Allgemeinen gäbe es also für den menschlichen Intellekt nur ein aposteriorisches Erkennen, nicht aber ein apriorisches, das uns über die Einzeldinge, bevor sie durch die Einzelerfahrung bekannt werden, schon mannigfaltige Erkenntnisse vermittelt. Ohne Gattungs­ begriffe gäbe es nur eine Summe von Einzelfeststellungen ohne Einheit und Ord­ nung. Ohne Kenntnis der Wesensgesetze gäbe es weder im Leben des einzelnen noch der Gesamtheit ein verbindliches Wissen um die Gesetze der sittlichen Ord­ nung, die der Seinsordnung entsprechen. Wissenschaftstheoretisch gesehen steht fest, daß ohne Allgemeinbegriffe weder ein allgemeines Urteil noch ein Schluß, von dem jedes über die unmittelbare Erfahrung hinausschreitende wissenschaft­ liche Denken abhängt, möglich ist. Daraus ergibt sich von selbst, daß von einer realen Wissenschaft nicht die Rede sein kann, wenn das Allgemeine in der Dingwelt kein objektives Fundament besitzt, sondern, wie die Nominalisten behaupten, nur in den Namen und Begriffen der Dinge existiert und lediglich als eine Eigenschaft subjektiver, intellektueller Vorstellungen zu verstehen ist. Nur dadurch, daß unsere

36

Die nominalistische Grundlegung dee Neoliberalismus

allgemeinen Begriffe in der extramentalen Wirklichkeit eine Entsprechung habeny werden sie zu Erkenntnisprinzipieny die unserem Wissen über die Ein^eldinge das reale Fundament und damit objektive Wahrheit geben. Mit anderen Worten: Der Realismus als Lehre von der tatsächlichen Gegebenheit eines in einer Vielzahl gleichartiger Eiwçeldinge individuell ausgestalteten Allgemeinwesens und von der gegenständlichen Geltung der Allgemeinbegriffey die das wirkliche Sein des Gegen­ standes gedanklich darstellty ist unumgängliche Voraussetzung für die seinsgerechte Er­ kenntnis aller Wesens- und Wertordnung. 3. Die nominalistische Lösung des Urtiversalien- Problems Der philosophische Nominalismus, der in Roscelin von Compïègne (gest. um 1120) seinen ersten bedeutenden Vertreter und in Wilh. von Ockham (gest. um 1349) seinen bahnbrechenden Erneuerer aufzuweisen hat, hält die Annahme gegen­ ständlicher Wesenheiten, denen unsere Allgemeinbegriffe entsprechen, wissen­ schaftlich ebenso für ungerechtfertigt wie die Hypothese eines die Individualität der Dinge bedingenden Prinzips. Unsere innere wie äußere Erfahrung biete uns nur Einzeldinge. Die allgemeinen Begriffe, die wir durch gedankliche Ver­ gleichung existenter Dinge gewinnen, können nichts Reales in den Dingen sein, sondern gehen angeblich auf einen „psychologischen Prozeß zweiter Potenz“ zurück, der, wie jede Synthese, ausschließlich als „Funktion des Subjekts“ zu werten ist (Simmel, 107, 125). Zwar seien die allgemeinen Begriffe nicht ohne jeglichen Erkenntniswert, ein Erschließen und Erfassen des inneren Wesens der Dinge mit ihrer Hilfe sei jedoch unmöglich. Die Übertragung der Allgemeinheit von den bloßen Begriffen auf die Gegenstände wird als unstatthafte „Verding­ lichung“ der Begriffe ebenso abgelehnt, wie die Annahme eines Individuations­ prinzips der durch sich selbst einzelnen Dinge. a) D ie zeit gen ös si sch en und E m pi r is m u s

Grundtendenzen:

I n d iv i d u a li s m u s

Die nominalistische Lösung des Universalienproblems ist, vor allem seit W . Ock­ ham, durch zwei Grundtendenzen bedingt, die sich aus der damaligen geistes­ geschichtlichen Situation ergaben: durch den zeitgenössischen Individualismus und durch den Empinsmus, der die scholastisch-metaphysische Argumentation durch das aufgekommene Erfahrungswissen und das mathematisch-naturwissen­ schaftliche Denken abzulösen suchte. Das nominalistische Bestreben, das Indivi­ duum gegen die begriffliche Abwertung bzw. Auflösung, die mit der meta­ physischen Höherbewertung des Allgemeinen gegeben sei, sichern zu müssen, wurde u. a. durch die Argumentation der formalistischen Metaphyùk ausgelöst.

Die nominalistische Lösung des Universalienprobleras

37

Irrtümlicherweise wird diese von den Nominalisten und heute von neoliberaler Seite aus mit der realistischen Konzeption schlechthin identifiziert. In Wirklichkeit stellt der metaphysische Formalismus nichts anderes dar als eine Modifikation des übersteigerten platonischen Realismus, der als solcher tatsächlich das Individuum in seiner metaphysischen Existenz gefährdet. Nach der Lehre Platos sind, wie sich gezeigt hat, außer den Einzeldingen deren Ideen oder Wesenheit als ein präexi­ stentes Allgemeines in der Wirklichkeit vorhanden. Die Formalisten ihrerseits bezeichneten die Wesenheit der Dinge als das Allgemeine, das zwar nicht actu wirklich ist, wohl aber seiner Natur nach den Einzeldingen vorausgeht und in ihnen individuelles Dasein annimmt. Die sichtbaren Dinge sind im Grunde nur die konkrete Realisierung einer für jede Gattung objektiv gegebenen, dem Sein und der Zahl nach einzigen Natur, die in den Einzeldingen verschiedene indi­ viduelle Eigentümlichkeiten annimmt, sich nur jeweils verschieden individuali­ siert, also ganz in jedem einzelnen Individuum vorhanden ist. Abgesehen von den sonstigen absurden Folgerungen, die sich beispielsweise aus der Annahme einer einzigen menschlichen Natur in allen Individuen ergeben, interessiert hier mit Recht die Frage, wie unter diesen Voraussetzungen das Individuum in seinem Selbstand erhalten bleiben soll. Nach formalistischer Auf­ fassung sind das Allgemeine und Besondere, die Natur und die von ihr in den Dingen angenommenen individuellen Eigentümlichkeiten, die als solche zur Natur hinzukommen, wie Realitäten voneinander verschieden. Wären sie es nicht, dann würde die individuelle Eigentümlichkeit mit der allgemeinen Natur zu­ sammenfallen und das Individuum als solches in der Allgemeinheit aufgehen. Trotzdem ist mit dieser Distinktion das Individuum nicht zu retten. Ist die Indi­ vidualität von der Wesenheit im Dinge der Sache nach zu unterscheiden, dann haben beide im Dinge auch ihr eigenes Sein und sind real voneinander unter­ schieden. Die Individualität verhält sich dann %ur Wesenheit wie ein Akvfden^ %ur Substanz was %ur Folge haty daß das Individuum in seinem Für-sich-Sein aufgehoben und die allgemeine Substanz des Pantheismus vçuktvg unvermeidlich ist. Demgegenüber verfällt der Nominalismus, die gesunde realistische Mitte über­ schreitend, in das andere Extrem. Da es in der objektiven Wirklichkeit nur Individuelles gebe, könne die Allgemeinheit, die sich in unseren kategorialen Vorstellungen und Aussagen findet, nicht von den Dingen selbst, sondern nur von unseren Vorstellungen und von diesen deshalb ausgesagt werden, weil sie uns, ähnlich wie Namen, nur Zeichen für eine Vielheit von Dingen sind. Die objektive Realität des Allgemeinen wird also in jeder Beziehung negiert. Die allgemeinen Begriffe erweisen sich als rein subjektives Produkt unseres Denkens (vgl. Stockig 958 f., 962).

38

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

b) D er nominalistis che Begriff des Zeichens Der Angelpunkt dieser Theorie liegt im Begriff des Zeichens. Unsere Vorstellungen und Begriffe werden als natürliche Zeichen betrachtet, weil sie, im Gegensatz zu willkürlichen, ihrer natürlichen Beschaffenheit zufolge auf die Seele einwirken und geeignet sind, die Vorstellung von einem anderen zu geben, wie z. B. der Rauch bezüglich des Feuers. Diese von den Dingen hervorgebrachten intellektuellen Vorstellungen sind entweder bestimmt und lassen dann das einzelne nach seiner ganzen Eigentümlichkeit erkennen, z. B. Sokrates ; oder unbestimmt, so daß das einzelne von andern ihm ähnlichen nicht zu unterscheiden ist, z. B. : Mensch. Die letzteren sind die allgemeinen Begriffe. Auf seine naturhafte Wirklichkeit hin untersucht, erweist sich das Allgemeine als etwas Einzelnes in unserer Seele, als eine einzelne intellektuelle Vorstellung, die insofern allgemein ist, als sie geeignet ist, ein Zeichen für viele Dinge zu sein. Das Allgemeine ist demnach nichts anderes als eine Eigenschaft gewisser intellektueller, rein subjektiver Vorstellungen. Aus diesem Grunde besteht zwischen dem Allgemeinen und Individuellen in den Dingen kein Unterschied, wie auch nicht die Rede von einem besonderen Indivi­ duationsprinzip sein kann .Jedes Wesen ist durch sein Sein, also wesenhaft etwas Einzelnes. Daraus folgt, daß nur die Erfahrungserkenntnis Anspruch auf objektive Realität erheben kann, während die eigentliche spekulative Wissenschaft, die auf das Allge­ meine gerichtet ist, als ein bloßes Spiel mit subjektiven Vorstellungen und Begriffen ihr Objekt und damit ihre reale Begründung verliert. Zwar hat schon Abaelard (gest. 1142) nachzuweisen gesucht, daß die äußerlich feststellbare Artgleichheit, die eine wirk­ liche Beziehung zwischen vielen Einzeldingen darsteilt, ohne deshalb ein jedem Einzelding einwohnendes Sachwesen zu sein, genügend die gegenständliche Gültigkeit der Allgemeinbegriffe und damit eine reale Wissenschaft gewährleiste. Ob aber durch diesen „Konzeptualismus“ der Vorwurf des prinzipiellen Skepti­ zismus wirksam beseitigt und die Kluft zwischen rein subjektiven, unbestimmten AllgemeinVorstellungen und der objektiven Wahrheit der realen Ding weit über­ brückt werden kann, ist fraglich. Das zu untersuchen liegt jedoch nicht im Rahmen dieser Arbeit. c) D e r englische Em pirismus und Skeptizismus In der Folgezeit sind es vor allem die englischen Philosophen des 17. und 18. Jahr­ hunderts gewesen, die das nominalistische Ideengut aufgegriffen und weiter­ entwickelt haben.

Dic nominalistische Lösung des Universalienproblems

39

J. Lockes induktiver Abstraktionsbegriff J. Locke (gest. 1704), wohl der bedeutendste unter den englischen Nominalisten, dessen Philosophie, Staats- und Rechtslehre ganz besonders von den Neoliberalen als Erbgut gewertet wird, läßt sich in seinen Spekulationen über das Erkenntnis­ problem von dem Bestreben leiten, aus dem Empirismus eines F . Bacon (gest. 1626) und dem Rationalismus eines R. Descartes (gest. 1650) eine Synthese herzustellen, was bei ihm zu einer deutlich feststellbaren gedanklichen Inkonsequenz geführt hat. In der psychologischen Analyse des Erkenntnisaktes ist er Empirist, in der logischen Bestimmung der Erkenntnisgrenze nähert er sich den platonisierenden Idealisten, indem er dem sensualistischen Unterbau seiner Theorie eine rationali­ stische Spitze gibt. Obwohl er nur die sensitive und reflexive Wahrnehmung und willkürliche Kombination des Wahrgenommenen als einzige Erkenntnisquelle gelten läßt, überschreitet er die Grenzen des Erfahrungswissens, indem er den unabhängig von der Wahrnehmung geschaffenen VorstellungsVerbindungen — z. B. der Mathematik und Moral — Realität und ewige Gültigkeit beilegt und die Gleichheit der menschlichen Natur als den Grund ihrer Allgemeingültigkeit angibt. Uns interessiert im vorliegenden Zusammenhang/. Lockes Begriff der Abstraktion, da letzterer für die neuzeitliche Philosophie maßgebend geworden ist und in modifizierter Form über Kant in die Argumentation W. Euckens Eingang gefunden hat. / . Lockes Abstraktionsbegriff hat die empiristische Induktionsmethode zur Voraussetzung, die in der Neuzeit primär auf F . Bacon zurückgeht und von Locke weiter ausgebaut wurde. Dieser Induktion gemäß gilt der Schluß von den Ein^elfällen auf die darin erscheinende Regel als das M ittel richtiger Begriffsgewinnung. Sie setzt die umfassende Sammlung von Erfahrungen voraus, wobei die Beachtung der gegen eine vermutete Regel sprechenden Fälle als Gegenprobe und die Wertung ent­ scheidender Fälle anstelle der unerreichbaren Vollständigkeit von Bedeutung sind, während die aristotelische Induktion von Bacon als ungenügend abgelehnt wird. Nach Locke ist die Wahrnehmung nicht nur der erste Schritt %um Wissen, sondern auch die einzige Quelle des Wissens. Alle elementaren Ideen haben ihren Ursprung in der sensitiven oder reflexiven Vorstellung. Die daraus gewonnenen einfachen Urvorstellungen bilden den gesamten Wissensstoff, der als solcher ausschließlich auf die beiden Quellen der Erfahrung zurückgeht. Allerdings sind nur die völlig äußeren sinnlichen Eigenschaften der Dinge, die in unserem, von ihnen ge­ troffenen Wahrnehmungsapparat Eindrücke hervorrufen, erkennbar. Der Ver­ stand nimmt rein passiv wie ein Spiegel die Bilder der Dinge in sich auf. Die Aktivität des Intellektes beschränkt sich lediglich darauf, das von außen ohne sein Zutun eingedrungene Empfindungsmaterial durch Vereinigung und

40

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

Beziehung, durch Trennung und Benennung der Elemente zu verarbeiten bzw. in willkürlicher Kombination wie Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen. Bei W’. Euckeny der die Sammlung von Elementarformen der Wirtschaft mit einem „Kasten voller Instrumente“ vergleicht, über den der Theoretiker, der wirt­ schaftlichen Situation entsprechend, rein kombinierend verfügt, und bei F. W. Maier, der in der Gestalt des morphologischen Systems die „Lettern“ der mög­ lichen, wie Buchstaben zusammensetzbaren Wirtschaftsformen gegeben sieht {Eucheny f 168f., 227), findet die methodologische Auffassung J. Lockes ent­ sprechende Parallelen. Neue Ideen zu bilden ist der menschliche Geist nicht imstande. Da es bei der Fülle von Ideen unmöglich ist, jeder einzelnen ihr be­ stimmtes Zeichen zu geben, ist die Fähigkeit der A b s t r a k t i o n : viele Ideen auf­ grund ihrer Gemeinsamkeit in eine %usammen%ufasseny unerläßliche Bedingung für den Gedankenaustausch. Abstrakta sind nur Abkürzungen, nur ein „Kunstgriff“ zur Erleichterung des geistigen Verkehrs. Die zusammengesetzten Vorstellungen analysieren, sie wieder in ihre einzelnen Elemente zerlegen, heißt nach Locke : definieren. Die durch die Worte bezeichneten Gedankendinge sind nicht Bilder von wirk­ lichen allgemeinen Wesen, da in Wirklichkeit nur Einzeldinge existieren, die durch Raum und Zeit individuiert werden. Jede Erkenntnis, die Locke als Wahr­ nehmung der Übereinstimmung oder des Widerstreites zweier Vorstellungen definiert, ist demnach nur eine mittelbare. Unmittelbar erfaßt der Geist ledig­ lich seine eigenen Vorstellungen, so daß die Wahrheit nicht in der Überein­ stimmung der Ideen mit den Dingen, sondern der Ideen untereinander besteht. Unser Wissen reicht daher nicht weiter als unsere Vorstellungen und die Mög­ lichkeit, deren Übereinstimmung festzustellen. Erweitern läßt es sich einerseits durch Erfahrung, andererseits durch Verdeutlichung unserer Vorstellungen, so­ wie durch methodische Ordnung aller vermittelnden Vorstellungen. Syllogismen, die auf Axiomen basieren, tragen so gut wie nichts zur Entdeckung neuer Wahr­ heiten bei {Falkenbergy 131 ff.). J. Lockes Begriff der A b s t ra k t io n läßt sich demnach folgendermaßen veran­ schaulichen: Die Vernunft erfaßt das Wesen der Dinge und gewinnt ihre Begriffe dadurch, daß sie, auf die sinnlichen Vorstellungen gerichtet, durch Vergleichung zunächst das Ungleiche derselben ausscheidet, das Gemeinsame festhält und auf diese Weise durch Trennung und Verbindung, durch Analyse und Synthese allgemeine Vorstellungen erhält. Der Begriff als der Gedanke des Allgemeinen entsteht dadurch, daß der Verstand die von der Sinneserkenntnis im Gemeinbild begonnene Arbeit fortsetzt und vollendet. Das Gemeinbild, das aus mehreren sinnlich erfaßten Bildern nach der größeren oder geringeren Gleichheit ihrer Teilvorstellungen von der Phantasie gebildet wird und als solches nur aus

Dic nominalistische Lösung des Universalienproblems

41

unbestimmten Umrissen besteht, erhält durch den Verstand im Begriff nach Inhalt und Form seine Bestimmtheit. Universalien sind nur vollendete Zeichnungen der Gemeinbilder, die dadurch entstehen, daß die durch die Phantasie begonnene Ver­ vollkommnung von der höheren Erkenntniskraft fortgesetzt und vollendet wird. Das bedeutet, daß die Vernunft in ihren Begriffen nichts anderes erkennt als der Sinn, wie umgekehrt der Sinn das Gleiche erkennt wie der Intellekt; nur die Art der Auffassung ist verschieden. Die sinnliche Vorstellung, die durch eine gewisse Bearbeitung zur intellektuellen umgeformt wird, erweist sich damit als Ursache der intellektuellen Erkenntnis. Die intellektuellen Vorstellungen sind demnach weder ihrem Prinzip noch ihrem Inhalt nach wesentlich von den sinnlichen verschieden. Der Begriff kann nur das Allgemeine der ä uß e re n Erscheinungen ausdrücken. Daraus ergibt sich weiter, daß in J. Lockes Theorie die Vernunft von der Sinn­ lichkeit nur dem Namen nach verschieden ist. Dieselbe Erkenntniskraft heißt Sinnlichkeit, solange sie nur das real existierende Einzelne auf nimmt; sie wird Vernunft genannt, sobald sie durch Vergleichung im Besonderen das vielen Gemeinsame feststellt. Der wesentliche Unterschied\wischen der nominalistischen und der realistischen Abstraktion, der ein Unterschied fischen sinnlicher und geistiger Abstraktion ist, sowohl was das Prinzip wie auch das Ergebnis angeht, wird hier deutlich. Die empiristische Tendenz J. Lockes, in sinnlich erfaßten äußeren Erscheinungen durch Analyse und Synthese das Gemeinsame festzuhalten und dieses als das Wesen der Dinge zu denken, führt nach realistischer Auffassung weder zu einer echten Wesenserkenntnis noch zu einem Erkenntnisfortschritt. Wie J. Ternus mit Recht hervorhebt, besitzt die von der Sinneserfahrung und dem menschlichen Gedächtnis erreichte „gemein­ bildliche“ Vorstellung nicht einmal ansatzweise das prinzipiell Allgemeine, Wesen­ hafte einer echten Wesensidee. Die sinnliche Abstraktion, ohne die beispielsweise auch das höhere Tierleben undenkbar ist, verbleibt auf der Ebene der Wahrnehmungs- und Vorstellungsgestalten. Solange ein Akt des Erkennens stofflich gebunden und den biologischen, physiologischen und psychophysischen Gesetzen unterworfen ist, kann er unmöglich grundsätzlich allgemeine und wesensnot­ wendige Erkenntnis zum Ausdruck bringen (296, 304). Eine Erweiterung unseres Erkennens und Wissens über die begrenzte Einzel­ erfahrung hinaus ist nur dann gegeben, wenn das wissenschaftliche Forschen sich nicht nur auf die in der Erfahrungswirklichkeit gegebene Sonderart der realen Dingwelt konzentriert, sondern mit Hilfe allgemeiner, real gültiger Denk­ prinzipien nach den eigentlichen Urgründen des Besonderen, nach seinem Sein selbst, seinen allgemeinen Wesensgesetzen und Ordnungsprinzipien fragt; wenn die Möglichkeit besteht. Wesensverhalte in gültiger Einsicht zu erfassen, was nur mit Hilfe real fundierter Abstraktion realisierbar ist.

42

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

G. Berkeleys Schritt %um Ultranominalismus In dem Bemühen, die Unfertigkeiten und Widersprüche in der Erkenntnislehre J. Lockes auszugleichen und dessen Grundgedanken strenger durchzuführen, gelangt der Irländer G. Berkeley (gest. 1753) zur Ausgestaltung eines neuen Welt­ bildes. Die Annahme von Allgemeinbegriffen in unserem Geist und der Glaube an die Existenz einer extramentalen Körperwelt erschienen ihm als „materiali­ stische Hypothese“, als fundamentale Grundirrtümer, mit deren Widerlegung er die Hauptquellen der Gottesleugnung und philosophischen Zwietracht zu be­ seitigen bestrebt war. Für ihn sind nicht nur alle Wesen Einzeldinge, sondern ebenso auch alle Ideen Einzelvorstellungen. Einen Ausgleich für die Leugnung des realen und physischen Allgemeinen sucht er auf dem Wege über das göttliche Prinzip. Gewisse besonders deutliche, stetige und geordnete Empfindungen bzw. Ideen haben demnach ihre Ursache nicht in uns selbst, sondern in Gott, der die wirklichen Wahrnehmungen in uns hervorbringt. Mit der Negierung der Möglichkeit abstrakter Vorstellungen überhaupt vollzieht G. Berkeley den letztmöglichen Schritt zum Ultranominalismus. Von der uralten Formel ausgehend, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden, daß eine reale Körperwelt also weder in den Geist eingehen und Ideen erzeugen noch durch ideelle Vorstellungen „kopiert“ werden könne, kommt er zu der idealisti­ schen Negierung der realen Dingwelt außerhalb des wahrnehmenden Verstandes. Das Sein der Dinge sei ihr Wahrgenommenwerden ; es gebe nichts als Geister und deren Vorstellungen; alle Vorstellungen seien nur „Affektionen des Subjekts“, subjektive Zustände der Seele, Komplexe von Empfindungen. Die Behauptung endlich, nur Einbildungen würden von uns selbst, die wirklichen Wahrneh­ mungen aber von Gott: der allgemeinen Vernunft, dem allumschließenden Geist, hervorgebracht, von dem alles durch Partizipation des göttlichen Seins seine Existenz erhalte, läßt G. Berkeleys nominalistische Spekulationen in eindeutig pantheisierendem Spiritualismus enden (vgl. Falkenberg, 181 ff.). D. Humes Positivismus und Gefühlssubjektivismus D . Hume (gest. 1776), der neben / . Locke und dem späteren H . Spencer zu den universalsten Denkern des englischen Geisteslebens gerechnet wird, ist ein gutes Beispiel dafür, zu welchen abstrusen Konsequenzen die grundsätzliche Ab­ lehnung allgemeiner, real fundierter Denkprinzipien und die absolute Vorherr­ schaft eines bedingungslosen Subjektivismus im Bereich philosophischer Speku­ lationen notwendig führen. Die Grenze des Erfahrbaren ist für ihn zugleich die des Erkennbaren. Die aus­ schließliche Beschränkung der wissenschaftlichen Erkenntnis auf das exakt

Dic nominalistische Lösung des Univcrsalicnproblcms

43

Meßbare und das in der Erfahrung positiv Vorliegende, die jegliche denkerische, exakte Untersuchungen über Größe, Zahl und faktische Existenz überschreitende „Zutat“ als „Spitzfindigkeit“ und „Blendwerk“ ablehnt, macht D . Hume zum Vater des modernen Positivismus. In der Erkenntnistheorie läßt er sich zunächst ebenfalls von der Absicht leiten, J. Lockes Gedankengänge zu verbessern. Dabei überschreitet er den von ihm akzeptierten skeptischen Ultranominalismus G. Berkeleys durch die kritische Zersetzung der Kausalitätsidee und des Substanz­ begriffs, mit dem negativen Ergebnis, daß ein Erkennen aus kausalen Zusammen­ hängen unmöglich und dem körperlichen wie dem immateriellen Wesen die Substantialität abzusprechen sei. Die Wirkung sei von der Ursache gänzlich verschieden; es sei weder die Wirkung in der Ursache noch die Ursache in der Wirkung enthalten. D . Humes Tendenz, die „Willkür des Verstandes“ zu brechen, veranlaßt ihn dazu, für das unsichere und mangelnde Wissen Ersatz zu schaffen und zwar durch ein auf Instinkt, Gefühl und Gewohnheit gegründetes Glauben an Wahrscheinlich­ keiten. Unser gesamtes Denken wird unter die Herrschaft psychologischer „Assoziations-Gesetze“ gestellt, die menschliche Vernunft auf theoretischem und praktischem Gebiet zugunsten der Gewohnheit, des Gefühls und des Instinktes ihrer Weisungsbefugnis beraubt. Die Idee des Kausalnexus gilt nicht als Ergebnis intellektueller Einsicht, sondern als Erzeugnis der Einbildungskraft, als Kopie eines rein psychologischen Vorgangs, der seine Stütze im Gefühl der psychischen, durch die subjektive Gewohnheit des Vorstellens bedingten Nötigung findet. Humes psychologische Subjektivierung der Kausalitätsidee greift auch auf den Begriff der Substanz über, den wir angeblich auf Grund subjektiver Gewohnheit irrtümlich objektivieren, der aber in Wirklichkeit als überflüssige Funktion unserer Einbildungskraft zu gelten hat. Jedes reale Ding, auch das Ich, wird lediglich als eine Summe von Eigenschaften ohne substantiellen Träger inter­ pretiert, denen wir nur deshalb einen besonderen Namen geben, weil sie stets beisammen angetroffen werden. Die Auffassung der Substanz als „reales beharr­ liches Substrat“ der sichtbaren Erscheinungen hält Hume für einen Irrtum. Mit den materiellen werden in gleicher Weise die geistigen Substanzen geleugnet. Auch der Begriff der menschlichen Seele, die als bloße Summe innerer Vor­ stellungen und Zustände keinen Anspruch auf Unkörperlichkeit und Unsterb­ lichkeit erheben kann, fällt dem bedingungslosen Skeptizismus zum Opfer. Die Prädominanz der subjektiven Gewohnheit im Denksystem D . Humes führt folgerichtig zur Vorherrschaft des Gefühls im moralischen Bereich. Die be­ stimmenden Gründe des Wollens liegen in den Gefühlen. Die Vernunft als Lenkerin des Willens wird entthront, das Urteil über Recht und Unrecht wird ihr entzogen. Als tugendhaft gilt das, was das angenehme, uninteressierte Gefühl

44

Dic nominalistischc Grundlegung des Neoliberalismus

der Billigung hervorruft. Dies ist immer dann der Fall, wenn es sich um einen für den einzelnen oder mehrere angenehmen und nützlichen Effekt handelt. Lust und Nutzen gelten als Maßstab des Verdienstes. Wohlwollen und Gerechtigkeit sind deshalb als höchste Tugenden zu werten, weil ihr nützlicher Gehalt sich primär auf die Mitmenschen bezieht. Tugenden, die weder dem einzelnen noch der Gesamtheit Vorteile bringen, z. B. die Demut, haben keinen Anspruch auf Verdienstlichkeit. Bezeichnend ist die Interpretation der Gerechtigkeit, die im Unterschied zum natürlichen Wohlwollen als „künstliche“ Tugend gedeutet wird, da sie ihren Ursprung in der Überlegung und der Übereinkunft der Gesell­ schaft findet. Bei dem Bemühen um den Nachweis, daß es uninteressiertes und uneigennütziges Wohlwollen gibt, verliert sich Hume in Sophistereien. Dem Utilitarismus als entscheidender Grundtendenz ist damit das Tor zum ethischen, sozialen und rechtlichen Bereich geöffnet. Der sittliche Gehalt der einzelnen Handlungen, der zwischenmenschlichen Beziehungen und des Rechtes wird von der nützlichen Wirkung, vom Gefühl gemeinschaftlichen Interesses, von der gesellschaftlichen Konvention her begründet (vgl. Falkenberg, 186ff., 191 ff., 196 ff.). Es wird sich noch heraussteilen, daß gerade von den Spekulationen D. Humes deutliche ideologische Verbindungslinien über Kant und die ideali­ stische Philosophie zur anthropologischen Konzeption, zur Rechtsauffassung und zur Ethik des Neoliberalismus gehen.

Zusa mmen fassung und Stell un gna hm e (zu Kap. 1) Die nominalistische Wende vom Real-Objektiven %um Subjektiven Vom realistischen Standpunkt aus geurteilt läßt sich das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen über die Ideologie des philosophischen Nominalismus in die fundamentale Feststellung zusammenfassen, daß die erkenntnistheoretische Ver­ fehlung des Wesens der gedanklichen Allgemeinheit, die auf ein ausschließlich intramentales Dasein reduziert wird und so in ihrer seinshaften Realität wie auch in ihrer Eigenbedeutung gegenüber dem Individuum verkannt wird, als ideo­ logischer Ausgangspunkt des nominalistischen Phänomens zu betrachten ist. Der eigentliche Grund dafür liegt in der Verkennung der geistigen Abstraktion, die allein die Brücke von der Empirie zur Wesenserkenntnis schlägt, indem sie einer­ seits die Abhängigkeit der Begriffsbüdung von der konkreten Sinnesanschauung als äußerer, materialgebender Bedingung (Ternus, 297) voraussetzt, andererseits mit Hilfe der Allgemeinbegriffe in den alle Erfahrung „transzendenten“ Raum echter Wesenserfassung vordringt. Die unrealistische Verkennung der Wesens­ kraft des Geistes, mit jedem Seienden der Idee nach eins werden zu können, steht

Zusammenfassung und Stellungnahme

45

nicht nur in ursächlichem Zusammenhang mit der inhaltlichen Entleerung der allge­ meinen Begriffe, sie bedingt folgerichtig auch die These von der sinnlichen Einzel erfahrung als einzig legitimer Erkenntnisquelle. Unter dem Einfluß des naturwissen­ schaftlichen Denkens wird das Bild der Wirklichkeit auf das Sinnenhaft-Körperliche eingeschränkt. Mit der empiristischen Hinwendung zu den einzelnen Dingen ist die Abkehr von den allgemeinen Wesensgesetzen verbunden. Durch die inhaltliche Entleerung der Wesensbegrifle verlieren auch alle übrigen tragenden Begriffe, wie z. B. der zentrale Begriff der Gerechtigkeit, den Anspruch auf Verbindlichkeit. Im Empirismus J. Lockes, im Idealismus G. Berkeleys und im Skeptizismus D. Humes vollzieht sich die entscheidende neuzeitliche Wende vom Real-Objek­ tiven der Weltordnung zum Subjektiven bloß menschlicher Standpunkte. Der philosophische Subjektivismus in seinen verschiedenen Spielarten, der sozio­ logische Individualismus, die moderne Situationsethik, die positivistische Zer­ setzung des Geisteslebens und nicht zuletzt der Rechtspositivismus mit seiner klaren Absage an die naturhaft gegebene Wesens- und Rechtsordnung als Maß­ stab der Sittlichkeit und Gerechtigkeit sind unmittelbare ideologische Folge­ rungen aus dieser Wende. Nach realistischer Auffassung führt der Abfall von der Metaphysik notwendig zu einer Erschütterung der tragenden Grundbegriffe und damit zu einer Grundlagenkrise der Wissenschaft überhaupt (vgl. Überweg, 190ff., 206ff., 226ff.; Stock/, 986—1021). O. Veit beurteilt mit fast allen neoliberalen Theoretikern den Nominalismus positiv. Nach ihm fußen „alle bedeutenden Strömungen im nachmittelalterlichen Zeitraum und alle großen Leistungen des europäischen Geistes“ auf der nominalistischen Konzeption, „daß der Mensch befähigt ist, die Schöpfungsgedanken Gottes nachzuvollziehen, und daß er aus solchem Nachvollzug selbst die für die Ordnung der Welt maßgebenden Begriffe bildet“. Der nominalistischen Position im Universalienstreit entsprechend sei der Mensch „Herr der allgemeinen Be­ griffe, mit denen die Dinge dieser Welt zu regeln sind“. Nach Veits Ansicht unternimmt der Geist der Aufklärung mit dem Instrument der Vernunft den Versuch, „über die Erfahrung Hinausgehendes aus eigener Vollkommenheit und mit eigenen Begriffen zu erklären“ (b 11 ; c 46 f.). Nach dem bisher Gesagten erscheint jedoch diese Deutung der Erkenntnis­ wirklichkeit nicht zulässig. Welche Leistungen des europäischen Geistes als wahrhaft groß bezeichnet werden und ob die wahrhaft großen Leistungen auf den nominalistischen Abfall vom gesunden Realismus metaphysischer Denkgesetze zurückgeführt werden können, lassen wir dahingestellt sein. Veit übersieht jedenfalls, daß zwischen dem nominalistischen BegriffSubjektivismus und der realobjektiven Schöpfungsordnung eine unüberbrückbare Kluft besteht. Wie wir gesehen haben, ist ja gerade für das nominalis tische Denken bezeichnend, daß

46

Die nominalistische Grundlegung des Neoliberalismus

es den Intellekt nicht mehr zu dem gedanklichen, auf Gottes Schöpfungsgedanken hinweisenden Wesen der realen Dinge Vordringen läßt, sondern ihn in dem Sein der eigenen Denk- und Bewußtseinsformen gefangenhält. Die inhaltliche Ent­ leerung der nominalistischen Allgemein-Begriffe als rein intellektuelle Namen und Vorstellungen kann weder mit einem Nachvollzug göttlicher Schöpfungsgedanken identifiziert werden, noch ist es möglich, von der bewußten Leugnung der seinsge­ rechten Wesens- und Wertordnung der Dinge her irgendeinen Beitrag zur Ordnung der konkreten Welt zu leisten. Zudem hält es der Geist der Aufklärung für unmöglich und für überflüssig, „über die Erfahrung Hinausgehendes“ zu erklären. Selbst bei Kanty der nach Veits Ansicht eine Brücke vom Nominalismus zum Realismus (Realismus hier wieder in der unzulässigen Begrenzung des Wortes auf den extremen Realismus des Platonismus) schlägt, sind die Erkenntnisbrücken zu der erfahrbaren Welt ebenso wie zu wirklicher „Transzendenz“ abgebrochen. Kant betrachtet das erkennende Ich selber als die Quelle der apriorischen Denk­ formen, der Kategorien und Ideen. Zwar hält er an der Existenz der Körperwelt fest, beschränkt aber wie / . Locke ihre Wahrnehmung auf die Erscheinung der­ selben. Die Außenwelt bietet der Erkenntnis nur die Empfindungen, alles andere stammt vom erkennenden Menschen selbst. Was „an sich“ besteht, gilt als schlechthin transzendent, als für eine sichere Verstandes-Erkenntnis, die sich auf die „Immanenz der möglichen Sinneserfahrung“ beschränkt, unzugänglich. Es trifft zu, was Veit hervorhebt, daß Kant einerseits von der Erfahrung als Quelle der Erkenntnis ausgeht, andrerseits empirisch Beobachtetes nicht als erschöpfend für die Bildung allgemeingültiger Gesetze betrachtet. Es darf aber nicht übersehen werden, daß Kant die „apriorischen Kategorien“ als dem reinen Verstand ent­ stammende Urbegriffe nur zu den uns durch die Sinne gegebenen räumlich­ zeitlichen Erscheinungen von Körpern in Beziehung setzt, die sie lediglich zu ordnen haben, ohne selbst etwas vom „inneren Gefüge der Wirklichkeit“ wieder­ zugeben. Diese Auffassung Kantsy der auch den Geltungsbereich der „synthe­ tischen Urteile“ nur auf das grundsätzlich Erfahrbare einschränkt, ist im Sinne W. Ockhams als typisch „konzeptualistisch“ zu werten. Bei Kant gilt die Vernunft nicht mehr als höherer Grund eines „gegenstandsgemäßen Erkennens“, sondern lediglich des „ordnenden Denkens“. Zwar bemühte er sich, die Einseitigkeiten des englischen Empirismus und des Rationalismus durch die Vereinigung beider erkenntnistheoretisch auszugleichen, hat aber dadurch eher das Gegenteil er­ reicht. Der von Veit behauptete Brückenschlag Kants vom Nominalismus zum platonischen Realismus über die Seinsgründe, Wesensgesetze und Erkennbarkeit der real existierenden Welt hinweg und die angebliche „Begründung eines neuen metaphysischen Systems“ haben demnach dem philosophischen Erkenntnis­ realismus keinen Gewinn gebracht (vgl. Bochenskiy 17 ff.).

II. K A P I T E L

INDIVIDUALRECHTLICHER PERSONALISMUS

Wie W. Röpke versichert, geht es dem Neoliberalismus darum, mehr zu wollen und zu bieten als nur eine epigonenhafte Umwandlung althergebrachten Ge­ dankengutes (c 274; g 226, 230). Dieser Anspruch hindert die neoliberalen Theoretiker jedoch nicht daran, mit Nachdruck auf die ehrwürdige „Erbmasse“ hinzuweisen, die das neoliberale Selbstverständnis mit der nominalistischaufklärerischen Tradition des englischen Individualismus verbindet. Zu den geistigen Ahnen des „wahren“ Individualismus rechnet F. A . Hayek neben / . Locke : B. de Mandeville, D . Hume, die am Anfang der geistigen Tradition stehen, ferner die Engländer / . Tucker, A . Fergusony A . Smith, E . Burke, die sie weiterentwickelt haben (b 22). Die weltanschauliche Herkunft des echten, unvergänglichen und universellen Liberalismus, für den sich W. Röpke einsetzt, wird zurückdatiert auf die grie­ chische Antike, auf die englische Aufklärung, den Humanismus und das Christen­ tum. Neben W. v. Goethey W. v. Humboldty / . Burckbardty Gaetano Mosca und B. Constant werden als katholische Liberale neben Thomas v. Aquin zitiert: A . de Tocqueville, die Engländer Lord Acton, G. K. Chesterton (c 128, 229; e 324). Wie wir von O. Veit gehört haben, vertritt die Freiburger Schuley die ihre Erkenntnisinhalte aus nominalistisch-aufklärerischer Tradition entnommen hat, auch heute noch am stärksten die Ideen der Aufklärung (b 44). Der Einfluß des idealistischen Neukantianismus, mit dem wir uns im sechsten Kapitel auseinander­ zusetzen haben, ist vornehmlich für das methodologische Denken W. Euckens bestimmend (f 70,162,168, 226, 229, 243). Die Rechtsstaats-Philosophie F. Böhms, der die griechischen, römischen und nominalistischen Staatsdenker auf eine Linie stellt, beruft sich speziell auf die Rechts- und Staatsphilosophie J. Lockes, dessen nominalistische Rechtsdefinition als klassisch bezeichnet wird und den ideolo­ gischen Angelpunkt für die Böhm*sehen Spekulationen bildet (e 148, 119). Auch im Bereich der Wirtschaftsdoktrin werden die Grundgedanken der ökono­ mischen Theorie bis heute vom geistigen Standort der englischen Klassiker aus entwickelt {Veit, b 19). Der nominalistische Einfluß zeigt sich am deutlichsten, wie wir im sechsten Kapitel sehen werden, in der „Hypostasierung“ des wirtschaftlichen Wirk4

50

Individualrechtlicher Personalismus

Zusammenhangs durch den Begriff der „unsichtbaren Hand“, der neuerdings bei F. A . Hayek (b 24 f.) und V. Muthesius (c3) begeisterte Aufnahme gefunden hat und der in ordnungspolitischer Modifizierung als neue Harmonieerwartung von allen Neoliberalen vertreten wird. Die Überzeugung O. Veits, daß alle bedeutenden Strömungen des Nachmittelalters und alle großen Leistungen des europäischen Geistes auf die erkenntnistheoretische Konzeption des Nominalismus zurück­ zuführen seien (b 11; c 46 f.), gehört heute zum geistigen Rüstzeug der Neo­ liberalen. Sie bildet die ideologische Voraussetzung für die „ungestüme Renais­ sance des Liberalismus“ {Röpke, g 215) in ihren Reihen. Fragen wir uns nun im einzelnen, inwieweit das nominalistische Ideengut für die Philosophie des Dritten Weges von bestimmendem Einfluß ist, dann stoßen wir zunächst auf das zentrale Dogma: auf das Menschenbild der nominalistischen Tradi­ tion. Wie sich gezeigt hat, ist speziell die englische Aufklärung im Grunde nichts anderes als die mitreißende Emanzipationsbewegung des modernen souveränen Menschen, der auf den Gebieten des Wissens, des Forschens, der Moral und Weltanschauung sich von allen Bindungen des Mittelalters gelöst und auf sich selbst gestellt sieht. Die anthropologische Konzeption des Nominalismus, die von der modernen Philosophie bewußt aufgegriffen und heute bis in ihre letzten ideologischen Konsequenzen durchdacht wird, hat ihren zeitgemäßen Niederschlag im neoliberalen Selbstverständnis gefunden, das sich auf Grund seiner liberal-humanistischen Herkunft in allen wesentlichen Punkten mit dem nominalistischen Erbe identifiziert. Im folgenden handelt es sich zunächst darum, das Menschenbild des philosophi­ schen Nominalismus in seiner Wesensstruktur darzustellen, um anschließend die ideologischen Übereinstimmungen, wie sie speziell im neoliberalen Personalismus und Freiheitspathos festzustellen sind, klar herausarbeiten zu können. Die welt­ anschauliche Bewandtnis der intendierten Analyse liegt auf der Hand. Sie ist für die weiteren Ausführungen grundlegend, denn sie bietet uns den Schlüssel für das Verständnis des neoliberalen Ordnungswollens, näherhin der neoliberalen Ethik des Sozialen, der Gesellschaft und Wirtschaft.

/. Das Menschenbild des philosophischen Nominalismus In der philosophischen Doktrin des Nominalismus sind es vor allem drei Grund­ thesen, die sich unmittelbar aus der erkenntnistheoretischen Verfehlung des Wesens der gedanklichen Allgemeinheit ergeben und die ihrerseits die nomina­ listische Anthropologie prägen. Es sind: die kritische Zersetzung des Substanz begriffes, die monistische Verkennung des Wesens derphysischen Gemeinschaft, die Negierung einer naturhaft verbindlichen Wesens- und Wertordnung.

Das Menschenbild des philosophischen Nominalismus

51

Für die nominalistisch-anthropologische Konzeption ergeben sich daraus drei entscheidende Merkmale, die im folgenden zur Sprache kommen. Zunächst ist es die aktualistiscbe Umwertung des Personbegriffes, die aus der empiristischen Ver­ flachung der metaphysischen Begriffe resultiert. Dem Aktualismus entspricht, zweitens, die individualistische Übersteigerung des „Selbst“ ; des Selbstbewußtseins, der Selbstbestimmung, der Selbstgesetzlichkeit. Damit hängt, drittens, die psychologische Begründung der Ethik zusammen, die aus der subjekti vis tischen Ablehnung der objektiven Wertwelt zu erklären ist. a) A kt u a lis tis ch e U m w e r t u n g des Pe rson-B eg riffes Die kritische Zersetzung des Substanz-Begriffes, die für das philosophische Denken der englischen Aufklärung typisch ist, hat die Philosophie der Folgezeit entscheidend beeinflußt. Nach realistischer Auffassung besagt „Substanz“ als echter, ursprünglicher Seinsbegriff den „seinshaften Selbstand“ des existenz­ fähigen Wesens, im Unterschied zu den in einem anderen Wesen „in-existenten“ Akzidenzien. Dieser Begriff hat nicht nur ein rein gedankliches Sein ohne reales Fundament, sondern bezeichnet das wirkliche und wesentliche Sein, das als der „eigentliche und einheitliche Träger der dinglichen oder der personalen Eigen­ schaften“ vorauszusetzen ist. Wie O. Kraus bemerkt, ist nicht die Annahme einer Substanz eine Fiktion, sondern die Annahme einer Eigenschaft ohne Subjekt, das ihr Träger ist, eine unmittelbar absurde Fiktion (zit. bei Ternus, 280). Der Substanz-Begriff ist für den Begriff der Seele grundlegend. Entgegen der empiristischen Verkennung ist die menschliche Seele, wie / . Ternus hervorhebt, die Wesensform des Körpers, die innerhalb der substantiellen Konstitutionseinheit „Mensch“ all das zu organischer Gestalt und seelischer Funktion bringt, „was vom stofflichen und energetischen Potenzial des Körpers an beseelungsfähiger Möglichkeit dargeboten wird“. Als solche wirkt die Seele „durch ihre sub­ stantielle Inexistenz im substantiellen Partner und Konprinzip Leib“ primär seinskonstitutiv. Sie ist demnach ein selbständiges „substanti lies Etwas“ im wandelnden Strom seelischer Erlebnisse, vom stofflichen wesentlich verschieden und darum unsterblich; ist der substantiale, einheitlich bleibende Wurzelgrund aller Seelenfähigkeiten; die „Entelechie“ , d. h. das innerlich bestimmende, wesensgestaltende, ursächlich wirkende und zielsetzende Prinzip in allen „psycho­ physischen Prozessen“. Leib und Seele, die als seins-selbständige Wesensteile in der „Vollsubstantialität“ der beherrschenden übergeordneten Naturganzheit „Mensch“ in gegenseitiger Ergänzung und gemeinsamer Inexistenz ihren relativen Selbstand haben, stellen als solche auch wirksame Wirklichkeiten dar (288f.; Weltyy d B. I, 32ff., 57). Als besondere Ausprägung und Vollendung, als

52

Individualrechtlicher Personalismus

höhere Form der Substantialität ist das Personsein anzusehen, das den geistigen Selbstand, das unmittelbare Für-sich-sein, den Selbstbesitz und die Selbstmächtig­ keit einer geistigen Natur zum Inhalt hat. Die empiristische Auflösung des Substanz-Begriffes im Sinne einer bleibenden, rein gedanklichen Verbindung einfacher Vorstellungen (J. Locke)> als „über­ flüssige Fiktion“ unserer Einbildungskraft ( D . Hume) leitete innerhalb der philosophischen Spekulation zu einer rein aktualisdschen Betrachtungsweise über, die zunächst den Begriff der Potenz durch den der Funktion, den metaphysischen Ursache-Begriff durch den der experimentell prüfbaren und in Gesetzen rechne­ risch erfaßbaren Bedingung ( D . Hume) ersetzte. Das Wesen der Substanz wurde durch den „Aktualismus eines substratlosen Geschehens“ ersetzt und in die „kontingente Weise ihrer Verwirklichung“ verlegt, wurde nur noch „im zeitlich Beharrenden unter dem Wechsel der Erscheinungen“ (Ternus, 279 f., 281) ge­ sehen. Diese empiristische Verflachung führte folgerichtig %ur Leugnung der Substantialität der Seele, die nur als ein „Bündel von Vorstellungen“, als eine „Summe aufeinanderfolgender innerer Zustände und A kte“ ( D. Hume), nicht aber als substantial Träger seelischen Geschehens begrifftn wird. Das Wesen der Seele wird in die A kte verlegt. Bereits Descartes identifizierte die Seelensubstanz mit ihrer geistigen Betätigung, ihrem bewußten Tun, das er „Denken“ nannte, wie er umgekehrt eine geistige Substanz nicht mehr als gegeben annahm, wenn der Geist nicht tätig ist. Mit Berkeley, Hume stimmen auch Leibni%und Fichte darin überein, daß nur geistige Wesen tätig und nur tätige wirklich sind, das Sein der nichttätigen dagegen nur in ihrem Vorgestellt­ werden besteht (Falkenbergy 186). Für die Aktualitätspsychologie des 19. Jahr­ hunderts, deren ideologischer Einfluß bis in die Gegenwart hineinreicht, gilt die Seele nur noch als das Insgesamt aller seelischen Vorgänge und Anlagen. Das Leib-Seele-Verhältnis wird im Sinne eines „rein energetischen Interaktivismus“ dynamisch interpretiert (Temus, 289). Daraus ist %u entnehmen, daß eine Umwertung des Menschenbildes stattgefunden hat, diefür die anthropologische Spekulation ebenso wie für die praktische Auswertung von ungeheurer Tragweite ist. Die Seele des Menschen, in ihrer Geistigkeit und Unsterblichkeit das wesentliche Kriterium des Personseins, der christliche Grundwert des Daseins und als solcher der Wurzelgrund und das finale Prinzip des menschlich-sittlichen Handelns, wurde durch die energetische Umdeutung des psychologischen Aktualismus weitgehend aus dem modernen Bewußtsein verdrängt. Zugleich wurde damit die substantiale Einheit des Menschen gesprengt, das menschliche Sein in die Tätigkeit und das Werden, in bloße Akte aufgelöst und das Haupt­ merkmal des menschlichen Wesens in die Handlungen verlegt. Der moderne Aktivismus, der den Wert eines Menschen primär nach der „Lebenstüchtigkeit“,

Das Menschenbild des philosophischen Nominalismus

53

nach dem Maß der äußeren Aktivität und des greifbaren Erfolges einschätzt, ist die unmittelbare Konsequenz der nominalistischen Abwertung und Umwertung seinshaft bestimmender Grundgegebenheiten (Welty, d B. I, 35 f.). Für die soziale Spekulation ist diese ideengeschicbtliche Wende naturgemäß bestimmend. Sie führt folgerichtig — im Unterschied %ur sozialethisehen — ^ur individualistischen Beinhaltung des Sozialen. Während die sozialethische Betrachtungsweise, von der noch ausführlich die Rede sein wird, das eigentlich Soziale der menschlichen Gesinnung und Handlung, der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung grund­ sätzlich von einem überindividuellen, imperativen Wert her: dem des objektiv vorgegebenen Gemeinwohls, beurteilt, das als gemeinsamer intentionaler Gehalt den zwischenmenschlichen Wirkzusammenhang „beseelt“ und determiniert (Ut%, o 41 ff.), leitet die individualistische Erklärung ihre Begründung von Individualerscheinungen ab. Der ideologische Ausgangspunkt dieser Erklärungs­ weise liegt in der nominalistisch-monistischen Grundannahme, daß das Individuum in der realen Ordnung als der einzig wirkliche Faktor zu gelten hat, während die soziale Gemeinschaft und Werteinheit lediglich den Charakter einer rein gedank­ lichen Vorstellung erhält. Der aktualistischen Auffassung entsprechend wird das Individuum als ein in sich abgeschlossenes „Energiezentrum“ (o 29) betrachtet, das als solches in seine Umgebung hinein wirkt und von dort Impulse empfängt. In seiner Vielheit bedingt das energiegeladene Einzelwesen einen äußeren, wechselseitigen Wirkzusammenhang, der als „sozial“ bezeichnet wird. „Sozial“ ist demnach identisch mit „interaktionär“ ; „soziale“ Auswirkungen sind solche, die im zwischenmenschlichen Wirkungsbereich als Aktion und Gegenaktion faktisch feststellbar sind und je nach ihrer Intensität von wechselseitigem Einfluß sind; das „soziale“ Ordnungswollen konkretisiert sich in der Tendenz, zwischen Aktion und Reaktion autonomer Individuen einen gleichgewichtigen, reibungs­ losen Wirkzusammenhang, das „richtige Nebeneinander“ herzustellen. Wie sich später zeigen wird, erhält der Begriff der „Interdependenz“ aller individuellen Beschlüsse und Handlungen, aller Ordnungen und Reformen für diese energetisch­ funktionaltheoretische Interpretation des Sozialen zentrale Bedeutung. Ihre psychologische Begründung erhält die „Kategorie des Tatsächlichen“ durch die Beantwortung der Frage, welches Motiv die autonomen Individuen dazu veranlaßt, den Wirkzusammenhang zu konstituieren. Es ist das individuelle Be­ wußtsein des Aufeinander-Angewiesenseins und Miteinander-Auskommenmüssens, der Gedanke an die eigene Integration und Existenzsicherung, der jeden einzelnen beseelt. Aus der Summe dieser Einzelvorstellungen konstituiert sich das „Sozial­ bewußtsein“, das im Grunde nichts anderes darstellt als „Loyalität“ auf der Basis gegenseitiger Respektierung individueller Rechte und bewußter Einhaltung funktionaltheoretischer „Spielregeln“ . Der „soziale Milieuzwang“ als Inbegriff

54

Individualrechtlicher Personalismus

all jener praktischen Überlegungen, die den einzelnen um der eigenen Existenz­ sicherung willen zu einem gemeinnützlichen Verhalten veranlassen, spielt als Ordnungspotenz im Wirtschaftsablauf eine entscheidende Rolle. Die sozial­ philosophisch bedeutsame Frage, ob das Soziale im Funktionszusammenhang autonomer Individuen etwas Reales, Neues und Verpflichtendes darstellt, wird verneint und zwar mit der Begründung, daß es sich dabei um die unzulässige Versubstantivierung von etwas Gedachtem handelt. Der Begriff der sozialen Relation und ihre Wirklichkeitsbedeutung spielen in diesem unmetaphysischen Denken keine Rolle. b) In div idualistische Ü b e r s te ig er u ng des „ S e l b s t “ Die aktualistische Umwertung des Menschenbildes führte innerhalb der neuzeit­ lichen Philosophie folgerichtig zu einer immer deutlicher werdenden „Subjektivierung“ des Personbegriffs, die sich in der Übersteigerung, Überbewertung und Verherrlichung des „Selbst“ konkretisiert. Seit Hobbes> Locke> Hume, Leibni^ und Kant erscheinen das verwirklichte Selbstbewußtsein, die Selbstbestimmung und Selbstgesetzlichkeit als in sich selbständige, personbildende Merkmale, als Wesen, Sinn und Wert eines erfüllten Menschenlebens. Der erkenntnistheoretische Subjektivismus der nominalistischen Philosophie, der die Erkenntnisbeziehung zwischen Mensch und gegenständlicher Welt idealistisch umdeutet und als ein subjektives, durch das „schöpferische Bewußtsein“ bewirktes „Erzeugen“ des Erkenntnisgegenstandes auffaßt, steht am Anfang dieser Entwicklung. Das Postulat des verabsolutierten „Seiberseins“ und der Selbstbestimmung führen notwendig zur Verabsolutierung der Freiheit als personalem Höchstwert. Sie stellt sich mehr und mehr auf sich selbst und wird mit dem Wesen des Personseins identifiziert. Damit hängt zusammen, daß der Begriff der Person durch den der „gelebten“ Persönlichkeit ersetzt wird, in der Kant bereits die Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber dem Mechanismus der gesamten Natur als Wesenseigenschaft ver­ körpert sah. Der dieser Konzeption eigene „selbstische“ Zug ist bezeichnend für den auf kommenden Persönlichkeitskult. Der Gedanke, daß jedem einzelnen erst durch die soziale Gebundenheit die Möglichkeit gegeben ist, mit Hilfe ausge­ sprochen „sozialer“ Tugenden, wie Liebe, Freundschaft, Wahrhaftigkeit, Treue, Hilfsbereitschaft und Opfersinn, zum Voll wert und Reichtum wahrhaft sittlicher Persönlichkeit zu gelangen, wird, wie bei D. Hume> in starkem Maße utilitaristisch umgedeutet. Der Persönlichkeitskult ist nicht mehr von der verpflichtenden Sendung des naturhaft geschenkten, in edler Selbstformung realisierten Menschen­ tums für den Dienst an der Gemeinschaft, also nicht mehr von der bewußten Verantwortung für das Ganze beseelt. Die humanistische Tendenz, die

Das Menschenbild des philosophischen Nominalismus

55

Persönlichkeit als den Inbegriff der „reichen Individualität“ (W. v. Humboldt) zu fassen und ihre Bildung „der eigenen erfüllten Menschlichkeit, wie dem schönen Menschentum im andern“ zu widmen, offenbart deutlich, daß die Persönlichkeits­ formung individualistisch motiviert und zum Selbstzweck erhoben wird. In diesem Zusammenhang ist der Gedanke M. Schelers von Bedeutung, der zwi­ schen der Offenheit für die Transzendenz, für Gott, und der Offenheit für den Nächsten bzw. die personale Begegnung mit ihm einen geheimnisvollen Zusam­ menhang erblickt. Weil der Nominalismus die erkenntnistheoretischen Brücken zur echten „Transzendenz“, zu einer über die wahrnehmbaren Erscheinungen vordringenden Wesenserkenntnis abgebrochen hat, fehlt ihm auch das Ver­ ständnis für die transzendentale, in der Sozialnatur des Menschen begründete Beziehungswirklichkeit des Sozialen. Die uneigennützige Begegnung mit dem Du ist immer nur vom Ich her gesehen, nicht aber von einem das Du wie auch das Ich umfassenden Gemeinwert (Ut%, o 38ff.). Mit dieser Verkennung des eine Vielheit umfassenden Gemeinwertes ergibt sich zugleich auch die monistische Über­ spannung der Eigenbedeutung und des Eigenrechtes der einzelnen Persönlichkeit und damit auch die Abwendung von einer echten Gemeinschaft. Der soziologische Individualismus der Neuzeit sieht die Menschen von Natur aus neben- und gegeneinandergestellt, während er der Gesellschaft als der Summe aller einzelnen nur die Existenz eines rein gedanklichen, fiktiven Seins zubilligt. Der dogmatischen Negierung einer in allen einzelnen zwar individuell ausge­ stalteten, aber allgemeinen menschlichen Natur folgt die gesellschaftliche „Eman­ zipation“ des Individuums auf dem Fuße. Die menschliche Gesellschaft verkörpert in sich nur noch die Summe, nur ein „Aggregat“ ungezählter, in sich abgeschlos­ sener „Individuen-Moleküle“ (Ut%, o 29). Die empirische Tatsache der gegen­ seitigen sozialen Verhaftung wird in erster Linie vom kulturellen und materiellen Angewiesensein der Individuen auf die menschliche Gemeinschaft her begründet. Der freie Vertrag auf der Basis reiner Zweckmäßigkeitsüberlegungen gilt als Ursache des Gemeinschaftslebens, das den Charakter einer reinen Nutzveran­ staltung aufweist. Es liegt daher nahe, daß das Individuum Inhalt und Grenzen seiner gesellschaftlichen Bindung selbst festlegt. Alle überindividuellen Belange werden primär von den Integrationsansprüchen der einzelnen her bestimmt und auf ihr Wohlergehen bezogen. Um die personale Entfaltung des einzelnen, das „richtige Nebeneinander“ aller übrigen und die erforderliche Sicherheit im gesellschaftlichen Zusammenleben zu garantieren, verzichtet jeder freiwillig auf die unbegrenzte Ausübung seiner Freiheitsrechte und gibt diesem seinem Verzicht gesetzliche Form. Diese Auffassung ist gerade für das neuzeitliche RechtsstaatsDenken fundamental (Welty, d B. I, 55). Mit anderen Worten: „Sozial“ bedeutet so viel wie „inter-individuell“ ; die naturhaft geforderte „soziale Integration“ des

56

IndividualrechtUcher Personalismus

einzelnen wird mit seiner individualrechtlichen identifiziert; das geordnete menschenwürdige Gemeinschaftsleben manifestiert sich grundsätzlich als ein Zustand des interindividuellen Ausgleiches persönlicher, unantastbarer Rechte. c) Psychologische B e g r ü n d u n g der E t h ik Daß die individualistische Übersteigerung des „Selbst“ auch auf ethischem Gebiet zu entsprechenden Konsequenzen führen mußte, liegt auf der Hand. Der philosophische Subjektivismus, für den es nur einzelne, in sich integrierte, für sich daseiende Wesen gibt, leitete durch die erkenntnistheoretische Ver­ fehlung der seinshaft-gemeinsamen, gleichgeformten Wesenheit menschlicher Individuen folgerichtig zur Negierung eines für alle Menschen aus der seins­ haften Gemeinsamkeit resultierenden Lebensgesetzes über. Mit der Ablehnung der Wirklichkeitstreue unserer Vernunft und der objektiv gültigen Wahrheit unseres Denkens schwindet auch die Objektivität des Wollens, der Einsatz für eine jederzeit verbindliche, aus der Seinsordnung sich ergebende objektive Wert­ welt. Der Mensch des erkenntnistheoretischen Idealismus und Relativismus fühlt sich berufen, mit dem Sein auch sein Leben selbst zu bestimmen, nach dem seins­ schöpferischen „Nachvollzug“ der „Schöpfungsgedanken Gottes“ im Erkennt­ nisprozeß auch „selbst die für die Ordnung der Welt maßgebenden Begriffe“ {Ockham) zu bilden {Veit, b 11). An die Stelle eines normativen Sittengesetzes und naturhaft verbindlichen Rechtes tritt folgerichtig die sittliche Autonomie und Eigenmächtigkeit des einzelnen Menschen, der seine sittlichen Entscheidungen an den nominalistisch-übersteigerten Grundwerten der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung orientiert. Nur noch das private Gewissen gilt als entscheidende Instanz. Die moderne Philosophie hat den Gedanken des „verabsolutierten Seiberseins“ folgerichtig zu Ende gedacht, wenn sie im Existentialismus mit der allgemeinen Wesenheit „Mensch“ auch ein für alle verbindliches Wesensgesetz verwirft, indem sie für den in der jeweiligen Einsamkeit seines Daseins ver­ einzelten Menschen jede sittlich-normative Bestimmung seines Handelns — ob von oben oder von außen — grundsätzlich ablehnt. Mit der erkenntnistheoretischen Begründung der sittlichen Autonomie ist der Weg zur modernen „Situationsethik“ freigemacht, die ihre Weisungen den Er­ fordernissen des Augenblicks und der jeweiligen Situation anpaßt. An die Stelle einer seinshaft-objektiven tritt die psychologische Begründung der Ethik vom Motiv des individuellen Nutzens her. Die Spekulationen D . Humes, der, wie sich zeigen ließ, der Vernunft das Urteil über Recht und Unrecht entzog und den sittlichen Gehalt der menschlichen Handlungen im Gefühl der Lust und des Angenehmen, im nützlichen Effekt, im gemeinschaftlichen Interesse, in der gesellschaftlichen Konvention begründete, kann als der eigentliche Vater des

Der neoliberale Personalismus

57

modernen Utilitarismus angesehen werden, dessen Ideen über J. Bentham (gest. 1832) und J. St. M ill (gest. 1873) Eingang in alle, im Einflußbereich des modernen Liberalismus liegenden Problemstellungen des menschlichen, gesellschaftlich­ politischen und wirtschaftlichen Lebens gefunden haben. Von der zweck­ rationalen Konzeption der liberalen Gesellschaftsauffassung auf der Basis der Vertragstheorie war schon die Rede. Auch jenes sogenannte naturrechtliche Denken, das seinen Inhalt für die Gesetze einzig und allein aus dem gesellschaft­ lichen Wertempfinden holt, ist utilitaristisch konzipiert. Besonders augenscheinlich ist der Einbruch des philosophischen Utilitarismus in den Bereich der liberalen Wirtschaft, die bewußt als „wertfreier“ Raum deklariert und ausschließlich den Impulsen des Selbstinteresses, der Autonomie selbst­ gesetzter Zwecke und dem Gewinnstreben unterstellt wird. Das hier entstehende Vakuum wird theoretisch durch die Ordnungsfunktion des freien Wettbewerbs überbrückt, der angeblich jeden einzelnen zwingt, mit Rücksicht auf die eigene Existenzsicherung sich volkswirtschaftlich „richtig“ und „sozial“ zu verhalten. Der Appell an die geschäftliche Anständigkeit, an die Berufsehre und Loyalität in der Realisierung der Wettbewerbsregeln gilt faktisch als normativer Ersatz. E r erscheint durch die Erfahrungstatsache berechtigt, daß die Konkurrenz­ wirtschaft als „Moralzehrer“ zu betrachten und auf „Moralreserven außerhalb der Markt-Wirtschaft“ (Röpke, b 88, 214) angewiesen ist. Er erweist sich jedoch nicht, wie später noch einsichtig wird, als genügend wirksam, um das praktische Absinken der Wirtschaftsmoral auf das Niveau der „ Grenvynoral“ zu verhindern, die sich „das gerade noch ungestrafte Minimum“ der Anständigkeit zur Richt­ schnur wählt (Ut%, o 60). 2. D er neoliberale Personalismus Die Grundthese der vorliegenden Arbeit, daß das neoliberale Systemdenken ideologisch durch den philosophischen Nominalismus geprägt ist, bezieht sich in erster Linie auf den anthropologischen Problemkomplex. Die ideelle Überein­ stimmung zwischen dem nominalistischen und dem neoliberalen Menschenbild ist nicht zu übersehen. Sie konkretisiert sich vornehmlich im vielzitierten neoliberalen„Personalismus“, der im Abwehrkampf gegen den kollektivistischen Zu­ griff als entscheidender Programmpunkt herausgestellt wird. Nach neoliberaler Auffassung ist die ideologische Grundlage dieses Personalismus in der Persönlich­ keitsauffassung des liberalen Humanismus zu suchen. Seine eigentliche — wie sich zeigen wird: aktualistisch-utilitaristische — Beinhaltung erfährt der neo­ liberale Personalismus durch die bewußte Orientierung des individuellen Han­ delns an der erwarteten Reaktion, am konkurrierenden Selbstinteresse des

58

Individualrechtlicher Personalismus

Nebenmenschen. Die erforderliche Koordinierung aller zwischenmenschlichen Be­ ziehungen wird angeblich durch die anonyme Ordnungspotenz des individuellen Selbstinteresses realisiert. Wie anschließend dargelegt wird, gilt die für alle neoliberalen Spekulationen grundlegende Freiheitsideologie als überzeugende Bestätigung für die betont individualistisch-personalistische Grundtendenz der gesamten Doktrin. a) Li be ral -individua listische Pe r sö n l i c h k e i ts a u ff a s su n g (W. Röpke) Aus W. Röpkes Kulturphilosophie geht hervor, daß die eigentliche Grundlage des neoliberalen Personalismus im humanistischen Element des „universellen“ Liberalismus gegeben ist, im Grunde deshalb, weil der liberale Humanismus die Wertorientierung am Menschen als dem Maß aller Dinge schlechthin in sich ver­ körpert. Röpke sieht den Ausgangspunkt dieser Kulturbewegung in der ge­ schuldeten Achtung vor der Einmaligkeit des Menschen und seiner über die materielle Existenz hinausweisenden Bestimmung. Im Humanismus und Libe­ ralismus werde das Menschentum begrenzt, gehegt, vor rationalistischen Aus­ wüchsen und absolutistischen Übertreibungen bewahrt und zwar durch eine „große natürliche Instinktsicherheit und den Kompaß des menschlich Wesens­ gemäßen“, der es verbiete, den Menschen zum bloßen Mittel zu erniedrigen. Dieser Liberalismus sei daher individualistisch „oder, wenn man das lieber hört, personalistisch“ und zwar deshalb, weil er mit der christlichen Lehre daran festhalte, daß jede Menschenseele unmittelbar zu Gott ist und als ein abgeschlossenes Ganzes zu ihm eingeht ; daß die einzelne menschliche Person das letztlich Wirkliche sei, nicht aber die Gesellschaft, so sehr auch der Mensch nur in der Gemeinschaft die ihm gesetzte Erfüllung finden könne. Weiterhin typisch für diesen Personalismus ist nach Röpke das rationalistische Element, weil der Liberale als „Personalist“ in der allgemein-menschlichen Vernunft „des Menschen allerbeste Kraft“ sehe, als antiautoritärer und universalistischer Sozialphilosoph aber die Vernunft zum Richter mache, vor dem sich die Torheiten, Lügen und Bosheiten der Menschen zu verantworten haben. Zugleich mit dem Humanismus habe man die Wert­ orientierung überhaupt verloren (i 19; b 19, 111 ; e 322L). Bezeichnend für den von W’. Röpke vertretenen Personalismus ist also die aus­ gesprochen individualistische Konzeption, die „individualistisch“ und „perso­ nalistisch“ bewußt identifiziert. Zwar räumt Röpke theoretisch ein, daß die Gesell­ schaft ein Ganzes und etwas anderes sei als die Summe aller Teile und daß es ein „Normalmaß sozialer Integration“, ein „normales Mittelmaß des Kontaktes mit der Gesellschaft“ gebe: „nicht zu wenig, aber ebenso wenig zu viel“ . Ent­ scheidend ist jedoch, daß er dieses Normalmaß durch das Gefühl bestimmt sein läßt (i 28; b 144f.). Wie später noch dargelegt wird, übernimmt in seiner Theorie

Der neoliberale Personalismus

59

das Sicheinsfühlen mit dem anderen die Funktion eines gesellschaftlichen Struktur­ prinzips, das die Atomisierung und „soziale Unterernährung“ der Gesellschaft zu verhüten bzw. zu beseitigen hat. Zu dem ideellen Zusammengehörigkeitsgefühl, dem kulturellen und materiellen Aufeinanderangewiesensein gesellt sich das gemeinsame Wissen um den gemein­ samen kollektivistischen Gegner, das heute allen für Freiheit und Menschenwürde Besorgten gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt auf der Basis einer Sozial­ philosophie, „die man liberal nennen könnte“. Bezeichnend für diese Sozial­ philosophie ist nach Röpke, daß sie „das spannungsreiche Verhältnis zwischen Individuum und Staat . . . nach den Postulaten einer jedem Menschen einge­ pflanzten Vernunft und der jedem Menschen zukommenden Würde regelt und so der Macht des Staates die Freiheitsrechte der einzelnen entgegensetzt“. Sie realisiert in sich das eigentlich liberale Element in seinem „ewiggültigen Sinne der Persönlichkeitskultur und des gesunden Gleichgewichtes zwischen Indi­ vidualität und Kollektivität“ (e 321 f., 323, 324; i 17). Sozialphilosophisch gesehen ist der Personalismus Röpkes insofern interessant, als er eine unbewußte Synthese darstellt zwischen der Prädominanz des Gefühls­ subjektivismus bei D . Hume und der Grundidee des Rationalismus von der alles richtenden menschlichen Vernunft. Das Menschenbild Röpkes ist monistisch, insofern die einzelne menschliche Person im gesellschaftlichen Zusammenhang als das „letztlich Wirkliche“ gilt. Der „Kompaß des menschlich Wesensgemäßen“ besteht in der personalen Individualität, die beinhaltet wird durch die Absolutheit der vernunftbegabten Einzelseele in ihrer Einmaligkeit und individuellen Hin­ ordnung zu Gott. Was grundsätzlich über den „selbstischen“ Zug der liberalhumanistischen Persönlichkeitskultur bereits festgestellt wurde (2.K., 1b), wird im Persönlichkeitsbegriff Röpkes aktuell. Die humanistische Tendenz W. v. Hum­ boldts, auf den sich Röpke beruft, die Persönlichkeitskultur auf die Pflege der „reichen Individualität“ , der „eigenen erfüllten Menschlichkeit“ zu konzen­ trieren und zu beschränken, verleitet Röpke dazu, die transzendentale, in der Sozialanlage des Einzelmenschen begründete Beziehungswirklichkeit des Sozialen, die das naturhafte Geöffnetsein der in sich abgeschlossenen Person zum Sozial­ partner und zu dem integrierenden, überindividuellen Wert des Gemeinwohls hin bedingt, zu übersehen. Die „soziale Integration“ des Individuums interpretiert Röpke individualpsychologisch. Sie besteht in der wohldosierten und reservierten gefühlsmäßigen Kontaktnahme mit dem anderen. Für die von Röpke bejahte soziale „Opfer- und Hingabepflicht“, die aus dem Gefühl, also aus dem sub­ jektiven Wertempfinden der einzelnen abgeleitet wird, gibt es keinen imperativen überindividuellen Norm wert. Die Gesellschaft als solche stellt nur eine psycho­ logische Realität dar. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist durch das

60

Individualrcchtlichcr Personalismus

individualethisch verstandene, kulturell-materielle Aufeinanderangewiesensein und durch die gemeinsame kollektivistische Gefahr bedingt. Es besteht fakdsch in der „Koexistenz“ (A . F. Ut%y o 88) einer Vielzahl von atomisierten Individuen, die ihre vollmenschliche „Integration“ nicht durch finalethisches Hinbezogen­ sein auf das Gemeinwohl, sondern aus sich selbst, aus der eigenen „reichen Individualität“ ( W. v. Humboldt) realisieren. Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft soll zwar nach dem Prinzip „des gesunden Gleichgewichtes zwischen Individualität und Kollektivität“ gestaltet werden, wird aber faktisch zugunsten der individualrechtlichen Integration des einzelnen, der dem gesellschaftlichen Ganzen „nach den Postulaten einer jedem Menschen eingepflanztenVemunft“ die individuellen Freiheitsrechte entgegensetzt (W . Röpke e 323, 324), aufgelöst. Mit anderen Worten: W’ Röpke bestimmt als Personalist das soziale Phänomen grundsätzlich von Individualerscheinungen her, indem er die sozialethische Be­ trachtung durch die individualrechtliche ersetzt. Die gleiche Grundauffassung kristallisiert sich deutlich auch in der Ansicht W\ Euckens heraus, der prinzipiell dem Streben nach sozialer Sicherheit und Freiheit nur dann legitimen Charakter zubilligt, wenn es nicht auf Kosten anderer geht (h 318); oder wenn L . Miksch ebenfalls prinzipiell erklärt, daß die austeilende Gerechtigkeit, da sie zum Schaden anderer zur Verteilungswillkür Anlaß gebe, nur noch geschichtliches Interesse beanspruchen könne (d 60f.). Jegliche Sozialreform wird damit von vornherein individualrechtlich determiniert. Einen echten sozialethischen Ansatz läßt F.Böhm erkennen, indem er die geistig-kulturelle und materielle Verantwortlichkeit aller wirtschaftenden Menschen füreinander als „elementare Basisfrage“ herausstellt und das Problem der gerechten Verteilung — wie übrigens auch A . MüllerA r mack — als ein gesellschaftliches Problem wertet, das nur von der Verant­ wortung für das Ganze her zu lösen sei (k 85). Allerdings kann sich Böbmy wie noch gezeigt wird, in der Diskussion um die konkrete Realisierung dieser funda­ mentalen sozialethischen Frage nicht aus seiner dogmatisch-individualrechtlichen Befangenheit lösen. Die ausschließlich individualetbiscbe Konzeption des neoliberalen Personalismus, die durch das liberal-humanistische Menschenbildbedingt istybildet eine der tragenden Säulen desneoliberalen Gedankengebäudes. Sie wird uns in den folgenden Untersuchungen auf Schritt und Tritt begegnen: im neoliberalen Freiheitspathos, im Rechtsstaatsdenken, im Begriff der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, in der Sozialpolitik, in der Eigentumsfrage. Das neoliberale Altemativdenken, das die menschliche Gesellschaft lediglich aus der fortgesetzten „Polspannung“ zwischen Individualität und Kollektivität kon­ stituiert sein läßt, sowie die ständige Abwehrstellung gegenüber dem „kollekti­ vistischen Gegenpol“ verleiten W’. Röpke dazu, die Eigenbedeutung, Selbst-

Der neoliberale Personalismus

61

Bestimmung und Rechtsstellung des Individuums im gesellschaftlichen Lebens­ bereich sozialphilosophisch zu übersteigern (b 143; e 324). Röpke ist in seiner sozialphilosophischen Konzeption nicht „universalistisch“ (i 20), sondern indi­ vidualistisch orientiert. Der von ihm vertretene Personalismus, der in seiner Wurzel durch die nominalistische „Subjektivierung“ des Personbegriffes indi­ vidualethisch begrenzt ist, läßt einwandfrei, wie im 5. Kapitel noch eingehend dargelegt wird, die bewußte sozialethische Rückbindung der Einzelperson an die naturhaft aufgetragene Verantwortung vor dem Ganzen vermissen. b) A k tu a li s ti s c h - u t il it a ri s ti s c h e O r i e n t i e r u n g am N e b e n m en s c h e n (F. A. Hayek) Die Behauptung, die individualistische Philosophie sei außerstande, zum echten Verständnis der Gesellschaft etwas beizutragen, die sich auf die sozialphilo­ sophische Antithese zwischen „individualistisch“ und „gesellschaftlich-sozial“ stützt, wird von den Neoliberalen auf das heftigste bekämpft. F. Λ . Hayek, der sich um die gesellschaftliche „Ehrenrettung“ des Individualismus (Mutbesius c3) bemüht, hält es für „das albernste aller gangbaren Mißverständnisse“, daß der Individualismus das Vorhandensein isolierter und selbstgenügsamer Individuen voraussetze, statt von Menschen auszugehen, deren Natur und Charakter völlig durch ihr Leben in der Gemeinschaft bestimmt sind. Seiner Ansicht nach ist der „wahre“ Individualismus ganz im Gegenteil in erster Linie eine Theorie der Gesellschaft, nämlich ein Versuch, die Kräfte zu verstehen, die das Leben des Menschen in der Gesellschaft bestimmen, und erst in zweiter Linie ein System von politischen Maximen, die sich aus dieser Auffassung der Gesellschaft her­ leiten. Die grundlegende These des Individualismus sei die, daß es keinen anderen Weg %um Verständnis der sozialen Erscheinungen gebe als durch unser Verständnis des Handelns des einzelnen, das an seinen Nebenmenschen orientiert sei und von deren erwartetem Verhalten bestimmt werde. Die Gesellschaft über den faktischen Wirkzusammen­ hang hinaus als eine wirkliche soziale Ganzheit interpretieren zu wollen, hält Hayek für ausgesprochen kollektivistisch. Wie sich im Abschnitt über die neo­ liberale Gesellschaftsethik noch deutlicher zeigen wird, identifiziert Hayeky wie übrigens auch K . Pribram (b 256 f.) und O. Veit (b 5, 9f, 13, 44 f), unstatthafter­ weise den Ultrarealismus des platonischen Idealismus mit der „realistischen“ oder „essentialistischen“ Tradition (b 23f., Anmerkg. 7, 49). Die intendierte sozialphilosophische „Ehrenrettung“ des Individualismus ist ideologisch zunächst insofern interessant, als sich hier deutlich die aktualistische Umwertung des Person-Begriffes abzeichnet, wie sie für die nominalistischanthropologische Konzeption bezeichnend ist. Wie sich zeigen ließ, leitete die kritische Zersetzung des Substanz-Begriffes durch J. Locke und D . Hume zu jener

62

Individualrechdicher Personalismus

aktualistischen Betrachtungsweise über, die das menschliche Sein in die Tätigkeit und das Werden in bloße Akte auflöst und mit der Aktivität die Freiheit und Selbstbestimmung in die Wesensdefinition des Menschen aufnimmt. Diese Um­ wertung klingt übrigens auch in den ordnungspolitischen Gedankengängen W. Euckens an, wenn er die „Entfaltung der Kräfte, die im einzelnen Menschen zur Verwirklichung streben“, zu den Fragen rechnet, „die die Weltgeschichte aufgibt“ (h 190). Für die Interpretation des sozialen Phänomens ist dieser Ak­ tualismus verständlicherweise entscheidend. Wie das metaphysische Leib-SeeleVerhältnis wird auch der gesellschaftliche Zusammenhang als ein „energetischer Interaktivismus“ (/. Temus, 289) bestimmt, der, wie F. A . Hayek bemerkt, nicht „das Verbundensein isolierter und selbstgenügsamer Individuen“, sondern energiegeladene Einzelwesen voraussetzt, die Impulse ausstrahlen und auf­ nehmen und auf diese Weise einen wechselseitigen Wirkzusammenhang kon­ stituieren, den Hayek als „sozial“ bezeichnet. Es handelt sich hier also um die grundsätzliche Frage, unter welchen Voraus­ setzungen das Wort „sozial“ gerechtfertigt, wann etwas als gemeinschaftsbildend zu betrachten ist. In der Tat betrachten die Vertreter der Soziologie die direkte oder indirekte Wechs elw irkun g zwischen mehreren, die nicht auf eine bloße Summe von Individuen zurückgeführt werden darf, als das entscheidende Element des Sozialen. Der typisch menschlich-geistige Gehalt dieses Wirk­ zusammenhangs konkretisiert sich, im Unterschied zu dauernden tierischen Ver­ bindungen, im gleichen, mit Interesse verfolgten Bewußtseinsinhalt, der im Be­ reich des Tätigseins die gesellschaftliche „Wechseleinung“ realisiert. Die Tat­ sache, daß die gleiche intentionale, interessenbedingte Ausrichtung von mehreren Menschen gleichzeitig allen bekannt ist, einander in allgemeiner Form bewußt wird, bewirkt die erforderliche gegenseitige Zuordnung, das aktive „Ineinander­ greifen“ und gegenseitige „Sich-Durchdringen“ der Sozialverbindung. Sie um­ faßt und besagt daher im Unterschied zum Kollektiv entschieden mehr als etwa nur ein Bündel gleicher physischer Funktionen oder Gleichheit in äußeren Qualitäten, in der geistig-sittlichen Lebensauffassung. Auch der von F. A . Hayek zugrunde gelegte Konkurrenzkampf, in dem jeder auf seinen Vorteil bedacht ist und die gleiche Einstellung beim Partner voraussetzt, konstituiert nach Auf­ fassung der Soziologen eine Wechselwirkung, ein soziales Ganzes. Da der einzelne erst zum Handeln kommt, indem er die denkerische Reaktion des anderen voraus­ setzt, gleichsam, wie G. H . Mead treffend bemerkt, die Rolle des anderen spielt (Zit. bei A . F’. Ut%, o 25), jede Tätigkeit also durch das mutmaßliche Verhalten des Partners bestimmt und kontrolliert wird, läßt sich der Wettbewerb als ein gewisses „Verschmolzensein“, als soziale Wechselwirkung und Wirkeinheit bezeichnen ( Ut%, o 24f., 21 f., 23, 20, 25).

Der neoliberale Personalismus

63

Von der Basis des faktischen, rein energetischen Wirkzusammenhangs aus geur­ teilt, hat F. A . Hayek rein formal recht, wenn er die behauptete individualistische Isolierung des einzelnen als nicht gegeben betrachtet. Für ihn ist jedes Individuum ein in sich abgeschlossenes dynamisches Energiezentrum, das vom Neben­ menschen Impulse empfängt und wieder ausstrahlt, also keine isolierte Größe darstellt. Die personale Beziehung zum andern hat nach Hayek ausschließlich den Charakter des Interaktionären. Auch das trifft zu, daß unter dem Gesichtspunkt der rein energetischen Betrachtung der „wahre“ Individualismus eine „Theorie der Gesellschaft“ ist; Gesellschaft hier allerdings verstanden als eine Gruppe von tätigen Menschen, die in Form des wechselseitigen Wirkzusammenhangs insofern ein „soziales Ganzes“ konstituieren, als jeder einzelne für sich um der Reali­ sierung der eigenen Interessen willen aus der selbstgenügsamen Isolation heraus­ zutreten und auf die Interessenlage und Aktion seines Gegenüber kooperativ zu reagieren genötigt ist. Was F. A . Hayek und VM uthesius jedoch übersehen, ist die Tatsache, daß bisher der individualistischen Gesellschaftsauffassung die „Ehre“, lediglich ein energetischer Wirkzusammenhang einer Vielzahl mensch­ licher Energiezentren zu sein, von der realistischen Kritik nicht streitig gemacht worden ist, also auch nicht gerettet zu werden braucht. Den alltäglichen Tat­ bestand des faktischen Aufeinander-Angewiesenseins und Miteinander-kooperieren-Müssens negieren zu wollen, wäre in der Tat mehr als „albern“, darin ist Hayek Recht zu geben. Es geht hier vielmehr um das verabsolutierende „Nur“, ferner um die entschei­ dende sozialphilosophische Frage, ob diese Art rein energetischer und indivi­ dualistisch motivierter Kommunikation mit dem Nebenmenschen, die die indi­ viduelle Isolation nur funktionaltheoretisch überwindet, bereits als sozialethisch gewertet werden kann; ob die ausschließlich mechanisch-kausale Interpretation gesellschaftlicher Wechselbeziehungen dem inneren Befund des menschlich­ gesellschaftlichen Phänomens als geistig-sittlicher Lebens-, Wirk- und Kultur­ einheit gerecht zu werden vermag; ob das Verständnis der menschlichen Gesell­ schaft und „aller echten sozialen Erscheinungen“ im Sinne eines interaktionären, durch den Existenzkampf aufgedrängten Zweckverbandes in der Hayek sehen Ausschließlichkeit wirklich als „echt“ zu bezeichnen ist, was die realistische Kritik entschieden verneint. Zur Debatte stehen hier also die Möglichkeiten der funktionaltheoretischen und der so^ialethischen Isolation der Einzelperson, die nicht miteinander identisch sind, ohne sich deswegen auszuschließen. Hayeks „Miß­ verständnis“ besteht darin, außer acht gelassen zu haben, daß die fragliche Anti­ these zwischen „individualistisch“ und „sozial“ bzw. „personal“ nicht auf der funktionaltheoretischen, sondern auf der final-ethischen Ebene liegt und nur von da her, von der Frage nach der letztgültigen Zielsetzung der Aktion gelöst

64

Individualrechtlicher Personalismus

werden kann. Die eigentliche Problemstellung zwischen den Vertretern und Gegnern des gesellschaftlichen Individualismus wird damit von neoliberaler Seite aus verfehlt. c) Anonym-mechan ische K o o r d i n i e r u n g der sozialen Beziehungen Aus dem Gesagten geht hervor, daß die persönliche Aktivität jedes einzelnen im Rahmen der gesellschaftlichen Kooperation nicht als Beweis echter Sozialität und Personalität gewertet werden kann, bevor die Zielsetzung und Beinhaltung der wechselseitigen Beziehungen klargestellt ist. Daß der soziale Wirkzusammenhang, teleologisch gesehen, von F. A . Hayek eindeutig individualistisch interpretiert wird, ergibt sich aus der Behandlung des Ordnungsproblems, das sich mit der aktualistischen Auffassung der Gesellschaft von selbst stellt. Hayek beantwortet die Frage nach dem Ordnungsprinzip mit dem Hinweis auf die zweite funda­ mentale These des „wahren“ Individualismus. Sie besagt, daß die in den Ge­ schäften der Menschen waltende Ordnung zum größten Teil als das unvorher­ gesehene Ergebnis individuellen Handelns anzusehen sei und daß das spontane Zusammenwirken freier Menschen oft Dinge schaffe, die größer seien als der individuelle Verstand jemals vollständig erfassen könnte. Wir treffen hier auf die typisch nominalistische These von der „unsichtbaren Hand“, die speziell für das neoliberale Wirtschaftsdenken von fundamentaler Bedeutung ist und uns daher im sechsten Kapitel noch ausführlich beschäftigen wird. Hayek sieht in dieser Gesetzlichkeit, die als Naturergebnis gewertet wird, die „Grundlage unseres Verständnisses . . . auch der meisten anderen echten sozialen Erschei­ nungen“ und die „einzige Theorie, die den Anspruch erheben kann, die spontane Entstehung sozialer Bildungen verständlich zu machen“ . Den „großen“ indi­ vidualistischen Autoren der englischen Aufklärung: / . Tucker, A . Smith, A . Fer­ guson und E . Burke folgend, zieht er aus dieser Theorie drei für das gesellschaft­ liche Zusammenwirken bedeutsame Folgerungen, die zugleich den „wahren“ Individualismus in sich verkörpern: „Demut vor den unpersönlichen und anonymen sozialen Prozessen“ ; Freiheit des spontanen Handelns unter strikter Begrenzung jeder Zwangsgewalt; Abgrenzung des Verantwortlichkeitsbereiches als Ergebnis der „eigenen Handlungen und Pläne“ und zwar durch die „Aner­ kennung formaler Prinzipien“ (b 28, 24, 25, 47, 32f.). Anthropologische Skepsis des „wahren“ Individualismus Für die zur Debatte stehende anthropologische Auffassung ist die mechanistische Deutung der sozialen Wechselwirkung Hayeks insofern von Bedeutung, als die geforderte Demut vor den anonymen Sozialprozessen eine Korrektur des liberalen

Der neoliberale Personalismus

65

Menschenbildes voraussetzt. Von der Kritik der Neoliberalen am Laissez-faireLiberalismus und seinem „optimistischen Unbedingtheitsglauben“ (A . Rüstow, b 40, 87) war in der Einführung bereits die Rede. Sie erstreckt sich auch auf den anthropologischen Optimismus der alten Schule, der einer auffallenden Skepsis in der Beurteilung des konkreten Menschen gewichen ist. Die „antirationalistische“ Einstellung, wonach der Mensch als ein „sehr unverständiges und fehlbares Wesen“ zu werten ist, dessen Wissen, Können und Wollen sehr begrenzt sind, die Hayek auf B. de Mandeville zurückführt (b 25, 29, 47f.), wird von W. Röpke als der charakteristischste Zug der einzig wahren individualistischen Anthro­ pologie betrachtet. Sie gründet in der skeptischen Einschätzung der menschlichen Vernunft, die „der wirklichen Natur des Menschen entspricht“. Diese „Demut“ und „Bescheidenheit“ in der menschlichen Selbsteinschätzung, die der „Hybris der Vernunft“ und dem rationalistischen „Größenwahn“ gegenüberstehen, der das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bis ins einzelne ordnen zu müssen glaube, betrachtet V. Muthesius als ein typisch christliches Element des echten Individualismus. Es konkretisiert sich näherhin in dem Glauben an die „unsicht­ bare Hand“ als dem „Symbol des Glaubens an eine gleichsam übermenschliche Vernunft“. Ihre Funktion besteht darin, die Realisierung der privaten Interessen und der selbstgesetzten Zwecke des einzelnen zu garantieren und im Gegensatz zum intellektuellen „Übermut“ die „Niederwalzung der individuellen Pläne“ zu verhindern, aus denen sich angeblich spontan das Gesamtinteresse ergibt. Offen­ bar ist Muthesius, der unausgesprochen den Glauben an die „übermenschliche Vernunft“ des Interessenmechanismus mit dem Glauben an die göttliche Vor­ sehung identifiziert, der Überzeugung, auf diesem Wege „die Ehrenrettung“ des Individualismus „in seinem Verhältnis zur Religiosität und zum Christentum“ glaubhaft dargestellt zu haben (c3). W. Röpke treibt diesen Gedanken auf die Spitze, indem er die Alternative : Ordnung der gesellschaftlich-sozialen Beziehungen durch die menschliche Ratio oder durch die „unsichtbare Hand“, auf einen „fundamentalen Unterschied der Philosophie“ zurückführt, „bei dem es um die Stellung des Menschen als eines geistig­ moralischen Wesens“ und um den geistig-moralischen Charakter der Gesellschaft gehe. Während der Mensch durch das Vertrauen auf die spontanen Kräfte allein sich treu bleibe, indem er eine Gesellschaft freier Menschen erst ermögliche, bedeute es auf der anderen Seite eine Entwürdigung und Beleidigung des Menschen, eine solche rationale Ordnungs-Aufgabe überhaupt nur zu stellen und damit den Menschen und die Gesellschaft dem ihnen eigenen Bereiche des Geistigen und Sittlichen zu entreißen und einer technisch-naturwissenschaftlich gerichteten Ratio zu überantworten (e).

66

Individualrechtlicher Personalismus

Das konkurrierende Selbstinteresse als Ordnungspotenç Mit anderen Worten: Die Vernunft „als des Menschen bester Teil“ wird zu­ gunsten des unsichtbaren freiheitlichen Interessenmechanismus entthront, sobald es sich um das Ordnungsproblem des gesellschaftlichen Lebens handelt. Das Hauptverdienst und der soziale Charakter des wahren Individualismus besteht nach F. A . Hayek darin, daß er ein System darstellt, in dem schlechte Menschen am wenigsten Schaden anrichten können. Es bedarf weder eines sozialen Ord­ nungswillens noch der Einsicht der einzelnen. Da vielmehr dieses System von den Menschen in ihrer konkreten Verschiedenheit: „da gut oder dort böse, manchmal gescheit und viel häufiger dumm“, entsprechenden „Gebrauch“ macht, ist seine Funktionsfähigkeit weder von einer guten Leitung noch von einer sittlichen Besserung der Menschen abhängig. Eigenliebe und selbstsüchtige Interessen bilden zwar die treibende Kraft dieses Mechanismus, wobei jedoch in dieses „Selbst“ und in diesen „Egoismus“ die eigene Familie und die Freunde mit ein­ geschlossen sind. Der soziale Egoismus ist für Hayek nicht eine sozialethische, sondern lediglich eine funktionaltheoretische Frage, da für das individualistische System in jedem Falle die Möglichkeit besteht, „persönliche Irrtümer ... im Zuge eines sozialen Prozesses“ zu berichtigen. Als entscheidende Ordnungspotenz der „unpersönlichen und anonymen sozialen Prozesse“ und der spontan ent­ standenen „sozialen Bildungen“ gilt das konkurrierende Selbstinteresse aller Gesell­ schaftsglieder, aus dem sich auf mechanisch-kausalem Wege das Wohl aller Beteiligten von selbst ergibt. Es stellt zugleich das einheitsschaffende Moment dar, dessen ethischer Gehalt ausschließlich nach dem Kriterium der individuellen Freiheit beurteilt wird. Sie findet ihre Schranken in der „Anerkennung formaler Prinzipien“, die nach Hayek lediglich als ein Mittel zu betrachten sind, um Zu­ sammenstöße zwischen konkurrierenden Zwecken zu vermeiden, nicht aber um bestimmte Endzwecke festzulegen (b 29, 24, 25, 30, 32f., 35). Die grundsätzliche Frage, wie Hayek die soziale Beziehung von Mensch zu Mensch innerhalb der Gesellschaft beinhaltet, von der im Grunde die intendierte sozialethische „Ehrenrettung“ des „wahren“ Individualismus und die Beseitigung des „albernsten aller gangbaren Mißverständnisse“ abhängen, können wir folgendermaßen beantworten: Hayek läßt sich durch die ständige und an sich berechtigte Antithese gegenüber den kollektivistischen Gesellschaftstheorien zu dem alten nominalistischen Fehler verleiten, die realistische sozialphilosophische Mitte zu übersehen, die zwischen unstatthafter V er Substantivierung der gesell­ schaftlich-sozialen Ganzheit einerseits und ihrer begrifflichen E ntleerung im Sinne eines rein gedanklich-fiktiven Seins ohne reales Fundament andererseits liegt (b57). Er entscheidet sich für das nominalistische Extrem. In seinen Spekulationen

Der neoliberale Personalismus

67

besitzt das Gesellschaftlich-Soziale nur nominell den Charakter des Uberindi­ viduellen, das über das Individuum hinausweist und eine Mehrzahl durch Hin­ ordnung auf einen gemeinsamen Bewußtseinsinhalt zueinander in Wechsel­ wirkung bringt. Bei der näheren Konkretisierung des gemeinsamen intentionalen Gehaltes stellt sich heraus, daß Hayek, wie W\ Röpke und die übrigen Neoliberalen, in der Realordnung nur das einzelne Individuum in seiner Aktivität, seinen Zielsetzungen und Motivationen als einzige Realität gelten läßt, während das Gesellschaftsganze nur als gedachte Einheit von Ursachen und Prozessen (A . F. U tz, o 26), als Koexistenz in sich abgeschlossener, menschlich-individueller Energiezentren begriffen wird, die in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke wechselseitig Impulse ausstrahlen und einen energetischen WirkZusammenhang konstituieren. Ebensowenig wie die funktionaltheoretische, kann die rein psychologische Begründung der zwischenmenschlichen Beziehungen einen Zugang zur echten Sozialethik öffnen. Nach realistischer Auffassung ist eine Sozialethik „ohne den Schritt ins Metaphysische“ {Utz, o 62) nicht möglich. Die ethische Betrachtung und Beur­ teilung fußt auf dem Axiom, daß das ethische, für eine Mehrzahl verbindliche Soll stets dem Sein, also der Natur der Sache oder der Natur der jeweiligen mensch­ lichen Handlung zu entnehmen ist. Der Wert einer sittlich-guten Handlung be­ steht in ihrer Übereinstimmung mit dem darin betätigten Sein und darin, daß das Verhalten des Menschen der Erfüllung und Vollendung seiner Natur und dem ihm von Gott gesetzten Lebensziel entspricht. Da für die seinsrealistische Philo­ sophie jedes Soll nur ein Soll von Seiendem ist, lehnt sie folgerichtig die forma­ listische Wertethik Kants, die das Soll als einen vom Sein streng geschiedenen Bereich betrachtet, als inhaltsleer ab. Die ontologische Analyse der sozialen Werte ist demnach für die Begründung der Sozialethik entscheidend {Utz, o 315, 71). Soll die sozialethische Grundfrage nach dem gemeinschaftsbegründenden Handeln, das der Wesensidee des Menschen und der Natur der Sache entspricht, beantwortet werden, dann steht folgerichtig die Erkenntnis der Wesenheit des Menschen und die der realen Dingwelt am Anfang. Sie führt zur Erkenntnis der Sozialanlage des Menschen und des in ihr enthaltenen „apriorischen“ Sozialen, das die einzelnen Menschen schon vor jeder konkreten Handlung seinshaft miteinander verbindet. Die eigentliche Begründung der sozialen Verantwortung liegt jedoch nicht, wie A . F. Utz hervorhebt, im Onto­ logischen, im „naturalistischen“ Soll, sondern wesentlich im sittlichen Bewußtsein; darin, daß die theoretisch erfaßte Seinsordnung eine vom Schöpfer gefor­ derte Ordnung ist, also einen göttlichen Imperativ in sich schließt und als Norm des Handelns jedem Menschen auferlegt ist. Das natürliche Gewissen als eine „spontan nachwirkende Nachbildung des göttlichen Befehls“, das „die im Sein liegende göttliche Anordnung als solche erkennt und anerkennend nach-

68

Individualrechtlicher Personalismus

spricht“, erweist sich als der eigentliche und tiefste Grund sozialer Verantwortung im Sinne „der gegenseitigen Verbundenheit in einem gemeinsamen göttlichen Auftrag“ (o 64f., 68, 315). Dieser Auftrag bezieht sich, wie im Abschnitt über die Gemeinwohl-Ethik noch zu zeigen ist, auf die Realisierung eines überindi­ viduellen gemeinsamen Wertes, der mehr besagt als nur die Summe des Wohl­ ergehens aller einzelnen. Die ontologische Analyse der sozialen Werte setzt also eine zweifache erkenntnis­ theoretische Transzendenz voraus: die Erkenntnis des menschlichen Wesens und die der seinshaften, das Innerweltliche überschreitenden realen Beziehung des Menschen zu Gott als dem Schöpfer und Gesetzgeber. Da> wie sich geigen ließ, der erkenntnistheoretische Subjektivismus nominalistischer Konzeption weder die Wesens­ erkenntnis noch die natürliche Gotteserkenntnis für realisierbar hält, ist ihm von vornherein der Zugang %u einer unverfälschten Sozialethik versperrt. Die sozialethische Verant­ wortung und Verpflichtung ist weder vom gesellschaftlich-relativen Wertemp­ finden noch von der Situationsethik oder dem utilitaristischen Kalkül des Aufein­ anderangewiesensein oder der wirtschaftspraktischen Loyalität her begründbar. Die psychologische Begründung der zwischenmenschlichen Beziehungen führt nur zu einer rein individualethischen Betrachtung und Bewertung unter dem speziellen Gesichtspunkt des Nützlichen. Zusammenfassend läßt sich also sagen : Das fundamentale „Mißverständnis“ auf der Seite F. Λ . Hayeks besteht in der Annahme, nur vom Individuum und von Individualerscheinungen her zum Verständnis der „echten sozialen Erscheinungen“ und der Gesellschaft gelangen zu können. Aus diesem Grunde bestimmt und beinhaltet er die soziale Wechsel­ wirkung primär vom individuellen Bewußtsein des Aufeinanderangewiesenseins, vom autonomen Handeln des einzelnen, von der spontanen Reaktion des kon­ kurrierenden Selbstinteresses, vom Motiv des individuellen Nutzens, von der Loyalität in der gegenseitigen Respektierung individueller Rechte her. Der soziale Wirkzusammenhang manifestiert sich faktisch als ein unpersönlicher, anonymer „Sozialprozeß“, der durch die utilitaristisch motivierte Aktion und Reaktion der konkurrierenden Individuen konstituiert wird. Dieser Prozeß wird nicht von den Beteiligten ethisch-final gesteuert, sondern nimmt umgekehrt die Gesellschafts­ glieder „in Gebrauch“, indem er sie mit Hilfe bestimmter „formaler Prinzipien“, die Zusammenstöße zwischen konkurrierenden Zwecken zu vermeiden, nicht aber bestimmte Endzwecke festzulegen haben, mechanisch-kausal koordiniert. Das Gesamtwohl integriert sich spontan-mechanisch und additiv aus der Summe des Einzelwohles aller Beteiligten. Wir haben es hier also mit einer mechanistisch­ energetischen und individualpsychologischen Interpretation des Sozialen zu das àas Resultat des individualistischen Privatinteresses begriffen wird.

Der neoliberale Personalismus

69

Nominalistische Entleerung der sozialen Beziehung Der Mangel dieser Argumentation liegt im Philosophischen : in der monistischen Auffassung des Menschenbildes und in der Verkennung des imperativen Wirklich­ keitswertes der sozialen Relation. Dieser ist zwischen der idealistischen, von den Individuen losgelösten Versubstantivierung der sozialen Relation einerseits und der nominalistischen, von F. A . Hayek praktizierten Auflösung der sozialen Beziehung in unpersönliche, anonyme soziale Prozesse andererseits zu suchen. Die realistische Philosophie bestimmt die Relation als ein Sein, das zwar in den Individuen verbleibt, aber in seiner eigenen Funktion als Beziehung über das Individuum hinausreicht, also etwas Überindividuelles und Neues besagt. Dieses Neue ist weder im einzelnen noch in der Summe der Individuen, sondern nur in der echten „Wechseleinung“ aller Beteiligten realisiert. Zwar gründet die Relation als soziale im gegenseitigen aktuellen Bewußtsein und in der wechselseitig aktuellen Handlung; die aktive Wechselwirkung allein reicht jedoch nicht aus, um die für das Soziale erforderliche „Wechseleinung“ zu verwirklichen, wenn das individuelle Bewußtsein nicht auf einen „sozialen Wert“ hingeordnet wird. Nur dadurch, daß das „soziale Gewissen“ jedes einzelnen sich an diesen überindi­ viduellen Wert gebunden weiß und dementsprechend handelt, kommt die sozial beinhaltete Wechselwirkung zustande (Ut%, o 34, 38, 44). Das sozialethische Soll baut also auf der transzendentalen, durch das menschliche Wesen bedingten Relation auf, indem die Sozialanlage des Menschen als „die erste soziale Wirklichkeit“ jeden einzelnen durch die aufgetragene Verantwortung für den anderen grundsätzlich schon vor der konkreten Tat bindet. Es gründet ferner in jedem „faktischen sittlichen Akt der sich bindenden Menschen“ . Daraus ist zu entnehmen, daß die einzelnen Individuen auf Grund ihrer Sozialnatur auf einen gemeinsamen, für alle verpflichtenden Wert bezogen sind. Wie später gezeigt wird, ist dieser Wert ein „Ganzheitswert“, der die einzelnen in ihrer Besonderheit beläßt, andrerseits aber alle Individuen miteinbezieht. Nach rea­ listischer Auffassung schafft nur die transzendentale Hinordnung auf diesen gemeinschaftsbegründenden Wert: das Gemeinwohl, in dem jeder einzelne seine eigene Vollkommenheit findet, wirklich soziale Beziehung und inhaltlich gefüllte soziale Wechselwirkung. Die Sozialethik betrachtet daher den einzelnen Menschen nicht in seiner ge­ sonderten Beziehung zum eigenen Ziel oder in seinen Individualrechten, sondern in jenen personalen, dem Menschen naturhaft aufgetragenen Pflichten, insofern er Teilfunktion in einem durch das Gemeinwohl gebildeten Ganzen zu erfüllen hat (Ut%> o 41, 39f., 87, 89). In der individualistischen Überbetonung der „Eigen­ kraft des Subjektes“ liegt die ideologische Ursache dafür, daß das einzelne

70

Individualrcchtlicher Personalismus

Subjekt sich nicht mehr als ausführendes Glied der gegebenen Ordnung, sondern nur noch als selbstherrlichen „Begründer seines Lebens“ betrachtet; eine Grund­ einstellung, die im modernen Existentialismus zu jenem völlig „formalisierten Seibersein“ führte, demgemäß das Sein alles Seienden ausschließlich auf die eigene menschliche Entscheidung und Lebensmeisterung zurückgeht. Im Blick­ punkt der unverfälschten Sozialethik jedoch erscheint der einzelne nicht als in sich abgeschlossene individuelle Einheit, sondern insofern er vom Ganzen her begriffen werden muß. Im Gegensatz zur Röpke9sehen Auffassung, wonach der Mensch allein im Vertrauen auf die freiheitliche Interessenharmonie „sich treu bleibt“ (1), betont die sozialethische Sicht, daß die Einzelperson ihrer sozialen Wesensanlage nur dann treu bleibt, wenn sie mit ihrem ganzen sittlichen Wollen bereit ist, Teilfunktion im Dienste des Gemeinwohls zu übernehmen. Daß es sich hierbei nicht um eine kollektivistische, das Individuum vernachlässigende oder gar vergewaltigende, sondern um eine echte universale Sicht handelt, die dem einzelnen innerhalb eines festen Ordnungsgefüges und von der übergeordneten Einheit her gerecht zu werden sucht, wird im Laufe der folgenden Unter­ suchungen noch klar herausgestellt. Der fundamentale Unterschied zwischen der neoliberalen und der sozialethischen Ordnungstendenz sozialer Wechselwirkungen, auf den wir im vierten und siebenten Kapitel noch zurückkommen, leuchtet ein. Während die neoliberalen OrdnungsPrinzipien nur die rein formale Aufgabe ZP erfüllen haben, Zusammenstöße zwischen autonom festgesetzten, konkurrierenden Zwecken zp vermeiden, wobei das Sozialgewissen durch entsprechende moralische Appelle lediglich auf die loyale Einhaltung formaler „Spiel­ regeln“ verpflichtet wird, bindet das sozialethische Ordnungsprinzip das konkrete Handeln apnori durch willentliche Hinordnung auf den allgemein aufgttragenen Gesamtwert des Sozialwobles. Es steht hier demnach die mechanisch-kausale Ordnungstendenz des Individualismus der ethisch-finalen Ordnungsidee der metaphysisch begründeten sozialen Verantwortung gegenüber (U tz, o 41, 39f., 87, 89, 84f.). Die sozial­ politische Brauchbarkeit der beiden Ordnungskonzeptionen hingt von der Klärung der entscheidenden Fragen ab, ob die individualistisch-mechanische Integration des Gemeinwohls den sozialen Sachnotwendigkeiten der Gesamtheit genügen kann, was die Realisten bestreiten, und andererseits, ob eine objektive und legitime Interpretation des konkreten Gemeinwohls, die als Kriterium der faktischen sozialen Verantwortung betrachtet werden kann, überhaupt möglich ist, was die Neoliberalen verneinen. Für die sozialethische „Ehrenrettung“ des „wahren“ Individualismus genügt es also nicht, die Aufmerksamkeit nur auf die mechanische Koordinierungsfunktion anonymer Kräfte und Prozesse zu konzentrieren, während der Blick auf das Ganze, auf den einheitskonstitutiven Wert des Gemeinwohls vernachlässigt wird.

Der neoliberale Personalismus

71

F. A . Hayek übersieht, daß weder die naturhaft geforderte individuelle Selbst­ erhaltung noch die individualrechtliche Integration des einzelnen noch die erforderliche gegenseitige Loyalität das eigentlich Soziale ausmachen und die Bedingungen für einen gemeinsamen intentionalen Gehalt erfüllen. Die Reali­ sierung und Sicherung dieser Werte, die selbstredend für den einzelnen und die Gesamtheit ihre Bedeutung haben, gehören dem Bereich der individualethischen Betrachtung an. Vorerst stellen wir fest, daß die von F. A . Hayek, V . Muthesius, W. Röpke und anderen heftig bekämpfte Antithese zwischen „individualistisch“ und „sozial“ nichts mit moralischen Verdächtigungen zu tun hat noch auf „pseudophilosophische Dichotomien“ {Röpke, k 14) zurückgeht, sondern sozial­ philosophisch gerechtfertigt ist. Z u s a m m e n fa s s u n g und S t e llu n g n ah m e (zu 2) Die Untersuchungen über die ideengeschichtliche Bedeutung des Universalien­ problems und des nominalistischen Menschenbildes für den neoliberalen Perso­ nalismus lassen sich in folgendes Ergebnis zusammenfassen: Das Menschenbild der nominalistischen Aufklärung, dessen ideologische Entwicklung durch die aktuaüstische Umwertung des Personbegriffes bedingt ist, zeichnet sich in seinen wesentlichen Konturen deutlich in der anthropologischen Konzeption des Neoliberalismus ab. Das neoliberale Menschenbild ist monistisch; das Individuum gilt in der realen Ordnung als das „letztlich Wirkliche“. Der „Kompaß des menschlich Wesensgemäßen“ (Röpke, b 19) liegt in der Einmaligkeit und Absolutheit, in der vollendeten Individualität, in der Selbstbestimmung, in der individualrechtlichen Integration des Menschen. Die nominalistische Über­ steigerung des „Selbst“ mit der daraus folgenden Verabsolutierung der indi­ viduellen Freiheitsrechte ; der Glaube an die mechanisch-spontane Integration des Gesamtwohls auf Grund der anonymen Ordnungspotenz des konkurrierenden Selbstinteresses; sowie die formale Sicherung der Freiheitsrechte in der Verfolgung individuell selbstgesetzter Zwecke und zwar durch entsprechende Rahmenord­ nung und gegenseitige Loyalität: diese drei dogmatischen Grundforderungen können als die wesentlichsten Strukturelemente des neoliberalen Personalismus und als die tragenden Säulen des neoliberalen Gedankensystems überhaupt angesehen werden. Wie der Personalismus ist auch die soziale Konzeption des Neoliberalismus eindeutig individualistisch determiniert. Das gesellschaftlich-soziale Phänomen wird aktualistisch, individualpsychologisch und individualrechtlich interpretiert. Der neoliberale Personalist mag als Mensch und Christ das Postulat der sozialen Verantwortung für den Mitmenschen anerkennen, als Neoliberaler sieht er weder

72

Individualrechtlicher Personalismus

die Notwendigkeit ein, noch hat er die Möglichkeit, diese Verantwortung im System, d. h. also strukturell und finalethisch, zu realisieren, er müßte denn auf das fundamentale Apriori verzichten, daß sich das Soziale als Resultat des auto­ nomen und funktionaltheoretisch gesicherten Privatinteresses von selbst ergibt. Sozialethiscbe Struktur des christlichen Personalismus Die Diskussion um den christlichen Personalismus leidet vielfach an der man­ gelnden Klarheit in der Unterscheidung zwischen Individualismus und Perso­ nalismus, genauer: zwischen individualrechtlich und sozialethisch interpretiertem Personalismus. Obwohl, ontologisch gesehen, die Person als substantielles Sein der Gemeinschaft als nicht substantieller bloßer Ordnungs-Einheit vorgegeben ist, hält die realistische Auffassung daran fest, daß sich das Wesen des Menschen nicht im personalen Selbstbewußtsein, im Selbstbesitz und in der Selbstbestim­ mung, auch nicht in der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit erschöpft. Trotz ihres metaphysischen Abgegrenztseins von jedem anderen ist die menschliche Person wesenhaft auf das Geöffnetsein zum andern, auf das Verbundensein mit dem menschlichen Du angelegt. Diese naturhafte Gemeinschaftsgebundenheit besagt entschieden mehr als nur vorsichtige, durch das Gefühl der Zusammen­ gehörigkeit bedingte Kontaktnahme im Röpke*sehen Sinne. Sie gründet in der erkenntnistheoretisch gesicherten Grundauffassung, daß der einzelne nicht nur auf Grund reiner Zweckmäßigkeit, sondern von seinem ureigensten Wesen her auf die Gemeinschaft veranlagt und angewiesen ist, insofern die Werte, in deren Verwirklichung die menschlichen Anlagen und Fähigkeiten zur Entfaltung kommen, ausgesprochene Gemeinschafts werte sind. Die Tatsache, daß es seins­ hafte und sittliche Werte gibt, die außerhalb der Reichweite absoluter Individuen liegen, und daß andererseits das einzelne Individuum nur durch die Kultur dieser sozialen Werte zum personalen Vollwert integriert wird, nur durch die Begegnung mit dem Du zu sich selbst kommt, findet in der unmetaphysischen, individualrechtlichen Konzeption des „wahren“ Individualismus keine ernsthafte Beachtung. In diesem Sinne bedeutet der Individualismus „die Entmenschlichung der Person“ (W. d. P., V, Sp. 351, 347,130; I, 43). Aus den Darlegungen ergibt sich von selbst, daß die liberal-humanistische Persönlichkeitsauffassung, die im Sinne W. v. Humboldts die höchste Stufe und Ausformung der „reichen Individualität“ besagt, in ihrer Egozentrik nicht dem sittlichen Begriff der Persönlichkeit und Persönlichkeitskultur entspricht. Sie bejaht weder die Realität eines aus der gemeinsamen Menschennatur abgeleiteten Wesensgesetzes noch die einer für die Menschenformung allgemein verbind­ lichen objektiven Wertwelt. Wie A . F. Ut% hervorhebt, gründet der ethische

Der neoliberale Personalismus

73

Personalismus weder in der individuellen Aneignung kultureller und sittlicher Werte noch in der materiellen Beherrschung der Welt, sondern wesentlich im naturgegebenen gemeinsamen Auftrag, in der Verpflichtung für den Dienst vor Gott und in der Gemeinschaft. Daß die materielle Wohlfahrt, die Kulturleistung und auch die sittliche Formung nur in arbeitsteiliger Gemeinschaftsarbeit zu realisieren sind, wird von den Neoliberalen bejaht; allerdings spielt hierbei die nüchterne Überlegung des praktischen Aufeinanderangewiesenseins in der Ver­ folgung individueller Zwecke die ausschlaggebende Rolle. Der ethische Per­ sonalismus sieht jedoch grundsätzlich in den genannten Aufgaben jeweils ein sittliches Objekt, das naturhaft aufgetragen ist und jeden einzelnen verpflichtet, bei der Verwirklichung Teilfunktion zu übernehmen (o 111 ff.). Die Nahrungs­ sorge und materielle Wohlfahrt beispielsweise erhalten dadurch den Charakter und die Funktion der Gemeinwohlfahrt, die es unter Umständen erforderlich erscheinen läßt, zugunsten des Gesamtwohls individuelle Rechte einzuschränken, Ertrags Verteilung vorzunehmen und Privateigentum zu enteignen, was, wie sich später noch zeigen wird, von den Neoliberalen als freiheitsfeindliche Willkür abgelehnt wird. Struktursoziologische Bedeutung des ethischen Personalismus Daß es sich bei der Gegenüberstellung zwischen individualrechtlichem und sozialethisch interpretiertem Personalismus nicht etwa nur um eine subtil kon­ struierte Distinktion, sondern um eine ideologische Zeiterscheinung von schicksal­ hafter Aktualität und Breitenwirkung handelt, beweist eine sehr beachtens­ werte Schrift des deutschen Bundesfamilienministeriums vom August 1957, die sich mit den Gründen für den Geburtenrückgang in der Bundesrepublik Deutsch­ land befaßt. Der ministeriellen Schrift nach müsse einer Entwicklung entgegen­ getreten werden, in der vorwiegend das isolierte Individuum zum Partner und Baustein für die Gebilde der Gesellschaft, besonders für den Staat und das politische Leben werde (Schelsky). Der Individualismus mit seiner oft allzu einseitigen Hervorhebung des Rechts der Einzelpersönlichkeit habe es mit sich gebracht, daß schon die Ehe weitgehend nicht mehr so sehr als gesellschaftliche Institution im Sinne der christlichen Kirchen, sondern mehr als ein Mittel ge­ sehen wurde, die eigene Persönlichkeit an dem Partner zu vervollkommnen. Der Verfasser sieht darin insofern eine ernst zu nehmende Gefahr, weil in konse­ quenter Weiterentwicklung dieser Auffassung der einzelne weniger geneigt sei, Opfer für Kinder, also für die Gemeinschaft zu bringen und zugunsten der kommenden Generation auf einen Teil seines Lebensstandards zu verzichten. Es gehe nicht an, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ausschließlich

74

Indtvidualrechtlicher Pereonsdismus

aus der individuellen Natur des Menschen zu entwickeln. Seine gesellschaftliche Natur als integrierender Bestandteil der Persönlichkeit dürfe nicht einfach außer acht gelassen werden. Auch das Gemeinschaftsinteresse erfordere eine Gestaltung unserer sozialen Ordnung, in der die freie Entfaltung der gesellschaftlichen Persönlichkeit des Menschen, d. h. sein Recht, innerhalb der vorgegebenen Ordnung der Familie mit Kindern zu leben, möglich ist. Aus der Mißachtung dieses Grundrechts und der damit zusammenhängenden sozialen Pflichten sieht die Denkschrift auf weite Sicht unweigerlich Komplikationen erwachsen, die das Leben des einzelnen wie der Gemeinschaft gleichermaßen gefährden. Wenn demgegenüber P. M. Boarman seine Betroffenheit über die christlichen „Vorurteile“ bezüglich des liberalen Personalismus äußert, die er auf „Unkenntnis der genauen Unterscheidung zwischen Personalismus und Individualismus“ zurückführt, und die Ansicht vertritt, dieser Personalismus entspreche genau der christlichen Lehre von der Gesellschaft (13), dann ist er sich über den wahren sozialphilosophischen Sachverhalt nicht im klaren. Auch B. Kun^e, der die Personalethik der Sozialenzykliken und die des Neoliberalismus auf eine Linie stellt, glaubt den Neoliberalismus gegen den Vorwurf einer individualethischen Konzeption verteidigen zu müssen. Daß seine Auffassung und ihre Begründung, der Neoliberalismus sehe den Menschen als verantwortliches Individuum und „als verpflichtetes Sozialwesen“ (b 46) nicht stichhaltig sind, dürfte nach dem bisher Gesagten einleuchten. Finalethische Konkretisierung des christlichen Personalismus Unter anderem Betracht besteht jedoch zwischen dem christlichen Personalismus, den die Sozialenzykliken vertreten, und dem neoliberalen Personalismus eine gewisse Übereinstimmung: in der gemeinsamen, durch die gegenwärtige welt­ anschauliche Situation bedingten Abwehrstellung gegenüber kollektivistischen Zugriffen. Die neoliberale Skepsis in der Einschätzung des konkreten Menschen, die sich nicht nur auf den „kleinen Mann“, sondern vornehmlich auf den Men­ schen in gesellschaftlichen und staatlichen Machtpositionen erstreckt, bedingt wesentlich das neoliberale Freiheitspathos und Rechtsstaatsdenken, von dem später die Rede sein wird. Der christliche Personalismus geht von der konkreten Gegebenheit aus, daß die moderne säkularisierte Gesellschaft weder eine ein­ heitlich-christliche Weltanschauung noch ein einheitliches sittliches Gesamt­ bewußtsein besitzt, daß sie zudem, wie die jüngste Vergangenheit beweist, ihre eigene säkularisierte Weltanschauung mit totalitären Mitteln zu realisieren sucht. Die Tatsache, daß der moderne Staat nicht mehr ohne weiteres als der wohlwollende Vater aller Bürger und als der uneigennützige Garant des wahren, personalen Gemeinwohls

Der neoliberale Personalismus

75

angesehen werden kann, %wingt %u entsprechender realistischer Reserve gegenüber allen Ein­ griffen von seiten bestellter Autoritätsträger und Funktionäre. Dieser berechtigte innere Vorbehalt konkretisiert sich in dem Grundsatz: „So viel Freiheit wie möglich, so viel Autorität wie notwendig.“ Er fußt auf betont ontologisch eingestelltem Gesellschaftsdenken, das die einzelnen Personen als erste Gegebenheit und als Ausgangspunkt des Gesellschaftlichen in den Mittelpunkt aller Überlegungen rückt. Das gegenseitige Verhältnis zwischen Person und Gemeinschaft wird dahingehend bestimmt, daß die Gesellschaft in ihrem Charakter als sittliche Ordnungseinheit der verbundenen Personen den einzelnen Gliedern wie das Ganze dem Teil übergeordnet ist, daß sie jedoch, als „den personhaften Gliedern gegenüberstehendes Gebilde“ verstanden, einen „Dienstwert“ darstellt, der als solcher den personhaften Gliedern untergeordnet ist (U t o 326f., 315f.l 317; W .d.P., V, Sp. 352). Die christliche Soziallehre betont daher, daß der Staat für den Menschen, der vor dem Staate ist, dazusein habe, nicht aber umgekehrt. Für die Gemeinwohl-Spekulation ergibt sich daraus, daß das Gesamtwohl als „organisierender Wert“ (W.d.P., V, Sp. 364) der Einzelperson als dem ursächlich aufbauenden Prinzip des Gemeinwohls in der Form zu dienen habe, durch richtige Organisation der Freiheit eines jeden die freie Entfaltung der personalen Kräfte zum Vollwert der Persönlichkeit hin zu gewährleisten und rechtlich zu koordi­ nieren. Was die ontologische Begründung des christlichen Personalismus jedoch final ergänzt und zur ethischen umformt, ist die wichtige Einschränkung, daß die Wahrung und Sicherung der personalen Rechtssphäre im Rahmen des „richtig verstandenen Gemeinwohls“ ihre legitime Grenze findet. Im Unterschied zur individualistischen Konzeption, die den Personalismus prinzipiell auf dem Postulat der personalen Freiheit aufbaut und damit kausal-effizient das Gesamt­ wohl gewährleistet sieht, betrachtet der christliche Personalismus als bewußt ethisches Gesellschaftssystem die ständige Rückorientierung aller personalen Freiheitsrechte am Gesamtwohl als verbindlich. Dieser Gesichtspunkt wird sich später für die Lösung konkreter Sozialprobleme, beispielsweise für die „dyna­ mische“ Auffassung des Eigentumsrechtes, als entscheidend erweisen. Andrer­ seits bietet sich hier die Basis für eine gemeinsame fruchtbare Zusammenarbeit aller personalistisch eingestellten Staatsbürger (ί/Λζ, o 326f., 315f., 319, 323, 325). Erst auf dieser untersten Stufe personalistischen Denkens läßt sich der neoliberale Personalismus logisch eingliedern.

76

Individualrechtlicher Personalismus

3. Die neoliberale Freiheitsideologie Nach neoliberaler Auffassung konkretisiert sich, wie gezeigt wurde, das eigentlich personalistische Element im interindividuellen Wirkzusammenhang anonymer sozialer Prozesse als ein Zustand des individualrechtlichen Ausgleichs und des interaktionären Gleichgewichts zwischen autonomen Rechtsträgern auf der Basis vorstaatlicher Rechte. Unter den Personrechten, die die Integrität der personalen Sphäre zu garantieren haben, nimmt das Grundrecht auf Freiheit eine zentrale Stellung ein. a) Individuelle Freiheit als pe rsonaler H ö c h s t w e r t (W. Eucken) Die geistige Verwandtschaft zwischen dem neoliberalen Selbst Verständnis und der Philosophie der englischen Aufklärung kommt besonders deutlich im neo­ liberalen Freiheitspathos zum Ausdruck./. Locke war es, der in seiner umfassenden schriftstellerischen Tätigkeit das Recht jedes einzelnen auf individuelle Freiheit, das Prinzip grundsätzlicher Loslösung von allen bindenden Autoritäten zu­ gunsten der Herrschaft der Vernunft und das Postulat autonomen Handelns nach eigener, vernunftentsprechender Entscheidung für die Gebiete der Kultur und Wissenschaft, der Religion, des Staatswesens und der Volkserziehung verteidigte. Im Grunde ist seine Philosophie, mit der er die aufklärerische Bewegung in Eng­ land und Europa einleitete, eine Philosophie der verabsolutierten intellektuellen Freiheit im Dienste neuzeitlicher Menschenformung. Der Grundgedanke, durch umfassende Sicherung der individuellen Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit die erforderliche Integrierung des einzelnen zu realisieren und auf dieser Basis zu einem friedlichen Ausgleich der sozialen Spannungen zu gelangen, ist für das neoliberale Systemdenken und Ordnungs­ wollen von schlechthin entscheidender Bedeutung. Für das Weltbild W’. Euckens und seine gesamte wissenschaftliche Argumentation ist das Dogma vom Primat der Freiheit grundlegend. Bedeutsam ist zunächst die Feststellung, daß sich Eucken voll und ganz zum individualistischen Freiheitsbegriff des 18. und 19. Jahrhunderts und zur Kantischen Freiheits-Philosophie bekennt. Die liberale Praxis dieser Epoche könne zwar verworfen oder geändert werden, die Freiheit selbst aber dürfe man nicht ablehnen oder leugnen, „es sei denn, man wolle das Leben selber leugnen“ (iCanforay zit. bei Eucken, h 178). Für den Individualismus gilt die Freiheit als Höchstwert schlechthin, als letzter Maßstab für die Beziehungen der Menschen untereinander auf geistig-religiösem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet; bedeutet Unantastbarkeit und Autonomie, also: Tunkönnen, was der einzelne will, und: Freisein von jeder machtmäßigen Beschränkung. Die Freiheit erweist sich hier nicht nur als Vorbedingung, sondern als Wesen der Sittlichkeit selbst,

Dic neoliberale Frciheitsideologie

77

weil sie den sittlichen Gehalt einer Handlung nach dem Guten oder Schlechten hin bestimmt. Als Norm der Sittlichkeit wird nicht ein fremdes, von außen herange­ tragenes und mit der menschlichen Freiheit angeblich unvereinbares Soll angenom­ men, sondern das sittliche Soll wird aus der menschlichen Freiheit selbst geschaffen. Der rein formale „kategorische Imperativ“ übernimmt die Funktion der ethischen Norm, die das Soll vom formalen Pflichtbewußtsein her begründet (Ut£, o 262). Der Kantische Subjektivismus, wonach das Sittengesetz als das eigene Gesetz der Vernunft anzusehen und beim Handeln jeder außerhalb des Sittengesetzes liegende Bestimmungsgrund auszuschalten sei, kommt deutlich in den neu­ kantianischen Gedankengängen W. Euckens zum Ausdruck, wenn er den freien Menschen nur an die Gesetze der Logik, nicht aber an „Meinungen“ gebunden sieht, die von außen an ihn herangetragen werden (h 176). Für Eucken ist ohne Freiheit, ohne spontane Selbsttätigkeit „der Mensch nicht Mensch“ (h 176). Bei der Freiheitsfrage gehe es um nicht mehr und nicht weniger als um den Menschen als Menschen (h 178). Die Freiheit wird von ihm bewußt mit der „eigenen Substanz“ des Menschen identifiziert (h 178). Der Entzug der Freiheits­ rechte führe daher zur schlimmsten aller Folgen: zu einer „Zersetzung der menschlichen Substanz“ (Λ . Koestler, zit. h 193). Metaphysisch gesehen über­ nimmt damit Eucken die menschliche Freiheit in die Wesensdefinition des Men­ schen. Ideengeschichtlich ist diese anthropologische Auffassung insofern inter­ essant, als sich in ihr die bereits mehrfach erwähnte Umwertung des Person­ begriffes vom substantialen Sein in das Werden, in die freie Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung deutlich abzeichnet. Die Freiheit wird aus dem essen­ tiellen Gefüge der Person herausgelöst und als das eigentlich personale Sein der übrigen substantiellen Lebenswirklichkeit des Menschseins gegenübergestellt, also verabsolutiert. Der für die spätere Diskussion wesentliche ideologische Sach­ verhalt, daß der neoliberale Freiheitsbegriff nicht nur als das Wesen der Sittlich­ keit, sondern zugleich als das Fundament aller Personrechte begriffen wird, die systemgerecht von der Freiheit her begründet werden, findet in der nominalistisch bedingten Verabsolutierung der Freiheit ihre philosophische Begründung. Die Sicherung der persönlichen Freiheit als unantastbarer Höchstwert und als eigentliches Ziel des Ordnungswollens bildet den ideologischen Angelpunkt des neoliberalen Systemdenkens insgesamt. Von der Lösung dieses Problems wird die Zukunft des christlichen Abendlandes abhängig gemacht. Um die Sicherung der Freiheitsrechte zentriert sich die gesamte Rechtsphilosophie und das neo­ liberale Rechtsstaats-Denken in den Argumentationen F. Böhms. Die Sorge um die individuellen Freiheitsrechte begrenzt die sozialpolitischen Bestrebungen. Sie bestimmt die neoliberale Position in der Frage der Eigentumsordnung, der Ver­ teilungspolitik, nicht zuletzt in der ethischen Grundausrichtung des Systems.

78

Individualrechtlicher Personalismus

b) Id e n tifiz ie ru n g von p e rs ö n lic h e r und w ir ts c h a ftlic h e r Freiheit (W. E ucken, F. A. Hayek, A. M ü lle r-A rm ac k ) Von entscheidender Bedeutung ist das neoliberale Freiheitspathos für den Bereich der Wirtschaft. W'. Eucken bringt die moderne Freiheitsfrage mit der Lenkung des modernen Wirtschaftsprozesses und mit der Frage der Wirtschaftsordnung in engsten Zusammenhang (h 179). Er betrachtet die nationalökonomische Theorie als das wichtigste und wirksamste Mittel, um die bedrohten Freiheits­ werte auf der Basis einer entsprechenden Ordnung „aus der drohenden Um­ klammerung . . . durch nihilistische Kräfte“ zu befreien (.Miksch, e 279fl.). Diese Tendenz hat ihn dazu verleitet, die klare Grenze zwischen personaler und wirt­ schaftlicher Freiheit zu verwischen. In diesem Punkte geht Eucken noch über den alten Liberalismus hinaus. Wie E . Heimann bemerkt, hatte der Begriff „freie Wirtschaft“ im Liberalismus ursprünglich keine Beziehung zur menschlichen Freiheit, wurde vielmehr streng technisch gebraucht und besagte als solcher nur „das Fehlen einer Autorität für die Aufstellung einer Rangordnung von Bedürf­ nissen“. Die Frage blieb offen, inwieweit wirtschaftliche Freiheit dem Hochziel menschlicher Selbstverwirklichung förderlich sei (b 24). W. Eucken jedoch, wie übrigens auch F. A . Hayek (b 30), überträgt die Aussagen Kants über die persön­ liche Freiheit als „Voraussetzung aller Moral“ (h 176) und der freien Entscheidung des Menschen auf die wirtschaftliche Sphäre. Die „Freiheit der Person“ ist für ihn identisch mit wirtschaftlicher Freiheit (h 179). Wirtschaftliche Unfreiheit bedeutet soviel wie: Aufgabe der „spontanen Selbsttätigkeit“ , selbstverschuldete „Unmündigkeit“ (h 176), Leugnung der „eigenen Substanz“ (h 178), Verzicht auf die „moralische Autonomie“ (h 178). Als Teil des anonymen, staatlich-wirt­ schaftlichen Apparates verliere der Mensch den „Charakter als Person“ (h 177). Dieser Gedanke wird von Eucken mit Nachdruck unterstrichen, wenn er H . Belloc zustimmend zitiert: „Das Kommando über die Güterproduktion ist das Kom­ mando über das menschliche Leben schlechthin (In: Wirtschaftszeitung, 24.1. 47, zit. Seidel, 408). Obwohl Eucken verschiedentlich Front macht gegen die „ideologische Subjek­ tivität“ (h 370 f.) in der wirtschaftstheoretischen Entwicklung der Vergangenheit, ist er hier der gleichen Versuchung erlegen. Sein Freiheitsbegriff ist ebenfalls zur rechtfertigenden Ideologie einer bestimmten Wirtschaftsform geworden: der Wettbewerbsordnung, die für sich beansprucht, gegenüber dem Totalitarismus ein „Programm der Freiheit“ und mit diesem gleichzeitig ein „soziales und ethisches Ordnungswollen“ zu verwirklichen (h 370). Nach Eucken besteht ihr Anliegen darin, die soziale Frage im Geiste der Freiheit zu lösen und dadurch „die Freiheit überhaupt zu retten“ (h 370). Aus der Freiheit spontan entstandene

Die neoliberale Freiheitsideologie

79

Ordnungsformen seien nur insoweit gerechtfertigt, als sie wettbewerbskonform sind (h 179). Daraus ergibt sich im Sinne Euckens die Schlußfolgerung: Der Mensch ist als Person nur dann wahrhaft frei, wenn die Wirtschaftsordnung voll­ ständiger Konkurrenz verwirklicht wird, was immerhin bedeutet, daß Euchen die wirtschaftliche Freiheit als für den Menschen wesenskonstitutiv betrachtet. Nach A . Müller-Armack hängt der „Einbau unserer Lebensüberzeugungen“ in die Marktwirtschaft in erster Linie ab von der „Wahl einer marktwirtschaftlichen Organisation . . . zur Erhaltung und Sicherung unserer geistigen Freiheit und der des Volkes“ (d 105). Der primäre Gesichtspunkt für die Wahl einer Wirt­ schaftsordnung sei der, daß sie offen ist für die Möglichkeit freier, spontaner Ziel­ setzungen der Menschen, andernfalls man sich „an der Freiheit der Menschen“ versündige (e 299) ; also auch hier Übertreibungen und begriffliche Unklarheiten mit ökonomistischem Charakter. Das ausgeprägte marktwirtschaftliche Denken in den Reihen des Neoliberalismus führt auch auf politisch-kulturellem Gebiet zu Grenzverwischungen. B. Seidel weist auf die Vermischung von ökonomischer Theorie und politischem Glaubens­ bekenntnis auf neoliberaler Seite hin. Der „Ökonomismus“ des kulturpolitischen Neoliberalismus besteht seiner Ansicht nach darin, daß die ökonomische Freiheit der freien Konkurrenz wesentlich die politische Freiheit bedinge und jeder Abbau der Verkehrs wirtschaftlichen Marktwirtschaft auch als Abbau der politisch­ kulturellen Freiheit selbst, die ohne wirtschaftliche Freiheit für den Neolibe­ ralismus undenkbar sei, angesehen werde. Wirtschaftsplanung bedeute demnach automatisch politische Unfreiheit. Diese enge Verbindung zwischen Ökonomie und Politik, die erstmals und schon sehr früh der Sozialismus aufweist, lag den nationalökonomischen Klassikern des englischen Liberalismus wesentlich ferner. Innenpolitisch sei für sie die wirtschaftliche Freiheit durchaus nicht ohne weiteres mit entsprechender politischer Freiheit identisch gewesen, erklärt Seidel, der damit den oben geäußerten Gedanken von E . Heimann aufgreift (408f.). Wie sich noch zeigen wird, spielt hier das Grundgesetz der „Interdependenz“ die entscheidende ideologische Rolle. c) Freiheit als „ K e r n p u n k t der sozialen F r a g e “ (W. Eucken) Die Bedeutung der Freiheitsrechte greift naturgemäß auch auf die soziale Proble­ matik des gesellschaftlichen Lebens über. Ohne die „Freiheit der Person“ und ohne Gewährung der notwendigen Freiheitsrechte erscheint die Lösung der sozialen Frage für Eucken unmöglich (h 126). Er sieht das endgültige Scheitern der liberalen Bewegung des vorigen Jahrhunderts darin begründet, daß sie die Bedrohung der individuellen Rechte und der Freiheit weder klar gesehen noch wirksam abgewehrt habe. Damals wie heute habe die Gefahr gerade im

80

Individualrechtlicher Personalismus

wirtschaftlichen Bereich gelegen, dem die Freiheit in besonderem Maße zustatten kam. Die soziale Auseinandersetzung in der Entwicklung der letzten hundert Jahre sieht er durch eine dreifache Phase gekennzeichnet, der jeweils ein besonderer wirtschaftlicher, die Freiheit gefährdender Ubelstand zu Grunde gelegen habe. Während im 19. Jahrhundert der soziale Kampf im wesentlichen durch unge­ rechte V er teilun g ausgelöst wurde, der die soziale U n s i c h er h e it in Form langanhaltender Arbeitslosigkeit auf dem Fuße folgte, sei die chronische Unter­ v e rs o r gu n g breiter Volksschichten für die gegenwärtige Situation kenn­ zeichnend. Dieser Zustand geht nach Eucken zur Hauptsache auf die Heraus­ bildung großer sozialer Machtkörper, auf die Vollbeschäftigungspolitik und auf die Tendenz zur Transformation der Wirtschaftsordnung in Richtung auf die zentrale Wirtschaftslenkung mit all ihren produktionshemmenden Nachteilen zurück. Abhängigkeit des schaffenden Menschen von der Maschinerie des Staates und anderen öffentlichen Gewalten, wie überhaupt Verbürokratdsierung und Ver­ staatlichung des Lebens insgesamt hätten mit dazu beigetragen, daß ein neuer Menschentypus im Entstehen sei, der aus ver mass ten, völlig vom Staat ab­ hängigen Menschen bestehe. Der einzelne werde zur Sache, zum Mittel degra­ diert (h 185ff., 109, 142, 126, 176f., 179). Diese Bedrohung der Freiheit durch private Vermachtung, durch das Kollektiv und durch den Staat mache sich in allen Ländern geltend, womit erwiesen sei, daß sich auf dem Gebiet der sozialen Problematik eine totale Änderung vollzogen habe, auf Grund deren die gegen­ wärtige soziale Frage in ihrem „neuen Charakter“ eindeutig als Freiheitsproblem zu begreifen sei (h 126, 177, 186f., 179, 190; c 113). „Sozial“ und „freiheitlich“ gehören demnach untrennbar zusammen. Ohne Sicherung der persönlichen Frei­ heitssphäre, ohne Garantie der individuellen Freiheitsrechte und ohne freiheitliche Ordnungsformen erscheint die Lösung der sozialen Frage unmöglich. Mit anderen Worten: Die individuelle Freiheit ist nach Eucken als „Kernpunkt der sozialen Frage“ (h 126) zu werten. Daß diese Problemfassung W. Euckens nicht ohne Widerspruch geblieben ist, läßt sich denken. Diese Art der Problemvereinfachung erscheint deshalb bedenk­ lich, was auch G. v. Eynern hervorhebt (132), weil auf diese Weise der Blick allzu leicht von anderen sozialen Problemen abgelenkt wird, vor allem von der klassischen „sozialen Frage“ des Gegensatzes zwischen Unternehmern und Lohn­ arbeitern, die Eucken für das 20. Jahrhundert so gut wie gelöst betrachtet (h 186 f.).

Dic neoliberale Freiheitsideologie

81

Zu s a m m e n fa s s u n g und S t e ll u n gn ah m e (zu 3) Die soziale Bedeutung der individuellen Freiheitsrechte konkretisiert sich also im wesentlichen in der interindividuellen Ausgleichsfunktion, die durch die absolute Vorrangstellung der persönlichen Freiheit im individuellen Bewußtsein und in der gegenseitigen Respektierung der privaten Freiheitssphäre konstituiert wird. Freiheit wird begriffen als wesenskonstitutiver, mit der menschlichen „Substanz“ identischer Höchstwert (Eucken, h 176, 178, 193), als „Selbstzweck der Persön­ lichkeit“ (Miksch, d 67), als Voraussetzung personaler Selbstverwirklichung und Inbegriff persönlicher Autonomie. Philosophisch gesehen wird die Freiheit aus dem seinshaften Wesensgefüge der Person herausgelöst und als das eigentliche, mit der Selbstverwirklichung identifizierte personale Sein verabsolutiert. Sie gilt als das Wesen der Sittlichkeit und zugleich als tragendes Fundament aller mensch­ lichen Rechte. Ihre institutioneile Sicherung bildet das formale Ziel des recht­ lichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnungswollens und damit den ideologischen Angelpunkt des gesamten neoliberalen Systemdenkens. Die Sozialethik löst sich in die Lehre von den Freiheitsrechten auf. Die lebhafte Kritik, die sich mit dem zentralen Freiheitsdogma befaßt, greift im wesentlichen drei ideologische Tatsachen heraus, in denen die neoliberale Frei­ heitsauffassung gründet: die mangelnde Wertbezogenheit, die Identifizierung mit Autonomie, die Verkennung der gesellschaftlichen Wertzuordnung. Mangelnde Wertbezogenheit der neoliberalen Freiheitsauffassung Die mangelnde Wertbezogenheit zeigt sich in der vorwiegend negativen Frei­ heitsauffassung. Sie beinhaltet im wesentlichen „die Forderung einer strikten Begrenzung jeder Zwangsgewalt oder ausschließenden Macht“ (Hayek, b 32); besagt also grundsätzlich: Freiheit von etwas, Tunkönnen, was der einzelne in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke will. Der einzelne ist — im Kantischen Sinn — lediglich an die Sätze der Logik, nicht aber an „Meinungen“ gebunden, die von außen an ihn herangetragen werden (Eucken, h 176). Diese völlige Ungebundenheit erstreckt sich auf den Bereich der inneren Entscheide wie des äußeren Handelns. Die Lösung des Problems gegenseitiger Abgrenzung des Freiheitsbereiches gleichberechtigter Individuen liegt „in der Anerkennung formaler Prinzipien“ (Hayek, b 33 f.), die in der Freiheitsausübung eine gegen­ seitige Beeinträchtigung ausschließt. Die Diskussion um die Freiheitsfrage ist im Grunde eine Diskussion um die Persönlichkeitsauffassung und Weltanschauung des Individualismus und des Christentums. Die naturrechtlich orientierte Philosophie sieht in der personalen,

82

Individualrechtlicher Personalismus

an transzendente Werte gebundenen Freiheit das höchste Eigengut des Menschen und das auszeichnende Merkmal seiner personalen Würde. Die Freiheit offenbart in besonderer Weise das geistige Wesen des Menschen „mit der Bestimmung zu seiner Selbstintegrierung im Guten“ (Messner, j 101), die die freie Entscheidung zur Bedingung hat. Im gesellschaftlichen Raum besagt Freiheit Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Menschen in Anbetracht seiner ihm von Gott gesetzten Lebensaufgabe in religiöser, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Das Recht auf Freiheit hat in diesen aufgetragenen Zwecken der menschlichen Selbstverwirklichung und Sinnerfüllung seinen Ursprung, denn der Mensch bedarf der Freiheit, um seine Lebensaufgabe erfüllen zu können. Die Freiheit ist also auf Rechte gegründet, nicht aber die Rechte auf die Freiheit (Messner, j 101, 221), was übrigens auch H . Peter übersieht, der das Eigentums­ recht in der Freiheit begründet sieht (o 128). Die Freiheit ist ein positiver und dynamischer Begriff, der nicht nur das Fehlen von Eingriffen, sondern das sitt­ liche Wahlvermögen und Wollenkönnen besagt, das sich an die sittliche Norm bindet. Sie wird beinhaltet durch den Wertblick und durch den Wertgehalt dessen, wofür sie sich zu entscheiden hat. Der erforderlichen Wertbezogenheit entspricht die personale sittliche Verantwortung, die den zulässigen Gebrauch der Freiheit von den Normen des Sittengesetzes her begrenzt. Daraus ergibt sich die Doppelnatur der Freiheit: die unbehinderte Möglichkeit und die normative Bindung ihrer Ausübung. Als solche hat die Freiheit in allen Bereichen, in denen sich der mit einem Soll beladene Mensch betätigt, Gültigkeit, nicht zuletzt im wirtschaftlichen Leben. W. A.Jöhr, nach dessen Ansicht ethische Momente ebenso wenig in die Definition der Freiheit gehören wie etwa in die Begriffsbestimmung der Persönlichkeit, des Verstandes, des Geschlechtstriebes, deren Betätigung natürlich sittlich gebunden sei, definiert die Freiheit, obwohl er Gegner des Neoliberalismus ist, im liberalistischen Sinn rein formal als Möglichkeit des Menschen, seine eigenen Ziel­ setzungen zu verwirklichen. Er fordert daher die Ausschaltung aller Freiheits­ begriffe aus der wirtschaftlichen Diskussion, die irgendwie das Element der sittlichen Verpflichtung enthalten (c 16). Der Irrtum dieser Auffassung, die allerdings — aber auch nur — im begrenzten Bereich der kapitalistischen Wirt­ schaftsweise ein Körnchen Wahrheit besitzt, geht auf die Verkennung der Freiheit als ethische Kategorie und auf die Nichtbeachtung der verschiedenen Abstrak­ tionsgrade zurück. Für die Ebene der rein kausalen, modelltheoretischen Wirt­ schaftsbetrachtung hat die Freiheit als ethischer Begriff selbstredend keine Bedeutung. Sobald sich jedoch die Diskussion um die faktische Realisierung wirtschaftlicher Zielsetzungen dreht, ist das ethische Soll nicht mehr auszuklam­ mern, auch nicht aus der Wirtschaftsfreiheit, es sei denn, daß man das liberalistische

Die neoliberale Freiheitsideologie

83

Absinken des wirtschaftlichen Verhaltens in der Wahl der Ziele und der Mittel auf das Niveau der Grenzmoral von vornherein für erstrebenswert hält. Die Freiheit zu wirtschaftlichen Handlungen ist, wie H . Moeller mit Recht betont, mit der Existenz des Individuums als eines „sollenden Wesens“ untrennbar verbunden (b 238f.). Die Distinktion zwischen der Freiheit an sich und der sittlich normierten Freiheit ist für den Bereich der Wirtschaftspolitik unhaltbar. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß die sittliche Bindung der Freiheit dem unbeschränkten Urteil der gesellschaftlichen Autorität unterstellt sein müsse. G. Montesi sieht in der Tatsache, daß die liberale Freiheit als absolutes Attribut des souveränen und autonomen Menschen betrachtet wird, sie sich also nicht mehr durch ihren Bezug auf einen absoluten Wert, sondern aus irgendeiner weltimmanenten Vorstellung von individuellen Rechten und Zweckmäßigkeits­ überlegungen zu rechtfertigen sucht, den Mangel an echter Verpflichtung zur wahren Freiheit begründet. Die Idee der menschlich autonomen Freiheit mag Kraft genug haben zum Widerstand gegen kollektivistische Bedrohung, aber sie enthalte keine Sicherung gegen die Versuchung zur Selbstaufgabe (66). Ordnung und Freiheit Der Begriff der Ordnung ist demnach für den inhaltlich gefüllten Freiheitsbegriff entscheidend. Ordnung und Freiheit bedingen einander, was auch W. Eucken mit Nachdruck unterstreicht (h 179). Der wesentliche Unterschied der reali­ stischen Auffassung und der individualistischen des Neoliberalismus in diesem Punkt besteht wiederum in der Beinhaltung der Ordnung. Die wirtschaftliche Freiheit wird von den Neoliberalen mit der Freiheit zum Wettbewerb identi­ fiziert (vgl. 7. Kap.). Der Wettbewerb gilt als das erste sittliche Ideal und die Pflicht zum Wettbewerb als die erste sittliche Aufgabe. Alle Freiheitsrechte erhalten nur im Rahmen der Wettbewerbsordnung ihre Legitimation. Die Freiheit wird demnach ihres ethischen Innenwertes beraubt (£/Λζ, b 12), sie wird gewisser­ maßen in sich abgekapselt und zu einer markttheoretischen oder „soziotechnischen Kategorie“ (Böhm, k 93) degradiert. Als rein formale Prämisse wirt­ schaftlichen Handelns kann der Wettbewerb jedoch nicht als sittliches Kriterium begriffen werden, also auch nicht die Freiheitsordnung beinhalten. Das gemein­ same Anliegen der naturrechtlichen und neoliberalen Wirtschaftsauffassung, auf dem Ordnungswege zu einer echten Koordinierung des privatwirtschaftlichen Eigeninteresses und des sozialwirtschaftlichen Gesamtinteresses zu gelangen, läßt sich, wie im Abschnitt über die Gemeinwohlethik einsichtig wird, nicht auf wettbewerbsautomatischem Wege mit Hilfe des konkurrierenden, autonomen Selbstinteresses, sondern nur durch teleologisch normierte Verantwortung

84

Individualrechtlicher Personalismus

gegenüber dem Gesamtwohl, dem Wirtschaftsganzen, den im Ganzen integrierten Rechten aller realisieren, sowohl was die wirtschaftlichen Zwecksetzungen wie auch die Wahl der Mittel betrifft. Die Freiheit menschlicher Entscheidung und Gestaltung in einer sozialen Sphäre kann, wie B. Seide/ zu Recht betont, nicht durch individualistische Autonomie, sondern nur durch die Richtigkeit im Sinne der sittlichen und sozialen Ordnung normiert werden (21 f.). W. Röpke gibt selbst zu, daß persönliche Freiheit sich nur dort verwirklichen läßt, wo es gelingt, die Kooperationsbereitschaft des einzelnen und die freiwillige Unterordnung der Privatinteressen unter die gemein­ schaftlichen Ziele zu gewinnen. Die Freiheitsfrage wird von ihm jedoch nicht vom gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ganzen her gelöst, sondern einzig von unten her gesehen als ein Problem der Erziehung des Menschen und der Reife eines Volkes. Das Problem, ob es besser sei, die Freiheit zu beschränken und den einzelnen zur Kooperation zu zwingen, oder statt dessen die Schädigungen des Gesamtinteresses durch das freie Spiel der Kräfte in Kauf zu nehmen, wenn lnteressenkonflikte nicht auf freiwilliger Basis zu vermeiden sind, läßt Röpke immerhin als eine Frage „der Gewichtung und des Maßes“ offen (b 369). Seine moralischen Einsichten in das Freiheitsproblem haben für seine Wirtschafts­ doktrin keine praktisch-institutionelle Bedeutung. Er verläßt sich im Bereich der Wirtschaft nach wie vor auf die „Anarchie“ der aus dem Gleichgewichtsauto­ matismus sich spontan ergebenden Ordnung in der Verfolgung individuell selbst­ gesetzter Zwecke (d 19). Daß andererseits die individualistische Identifizierung von Freiheit und Autonomie notwendig zu einer Aushöhlung der Freiheit führt, hebt / . Messner hervor. Sie verleite den einzelnen dazu, seine Zwecke absolut zu setzen, die in dieser Form dann tatsächlich ihre eigene Autonomie entwickeln und dem Menschen ihre Gesetze aufzwingen. Da der individualistische Freiheits­ begriff, der in seiner negativen Konzeption nur jedes nicht-autonome Gesetz ausschließt, sich weitgehend den „Notwendigkeiten“ des kapitalistischen Wirt­ schaftssystems untertan macht, ist gesellschaftlicher Determinismus die Folge, indem der einzelne faktisch zum „Anhängsel der Automatik selbstgesetzter Zwecke“ wird (j 108). Wir werden dieser Tatsache bei der Auseinandersetzung mit der neoliberalen Ordnungskonzeption nochmals begegnen. WerZuordnung und Wertausgleich Der wesentliche Unterschied zwischen der realistischen und individualistischen Freiheitsauffassung liegt demnach in der Begründung und Zielsetzung der per­ sönlichen Freiheit. Daraus ergibt sich von selbst, daß die Freiheit nicht der einzige und höchste Wert schlechthin, sondern nur ein relativer Wert sein kann,

Dic neoliberale Freiheitsideologie

85

der inhaltlich durch das Soll der objektiv vorgegebenen sittlichen Wertordnung begrenzt wird. Freiheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Sicherheit und eine kontinuier­ liche, katastrophenfreie wirtschaftliche Entwicklung sind, wie B. Seidel (409) mit Recht bemerkt, gleichgeordnete persönliche und soziale Werte, die nicht ihren Ursprung in der Freiheit haben. Wird einer dieser Werte aus dem gesellschaft­ lichen Wertgefüge, aus der gegenseitigen Zuordnung herausgelöst und ver­ absolutiert, dann wird er zum Unwert und zum Grab der übrigen Werte, wird das gesellschaftliche Wertsystem als Ganzes gestört. Der gesunde Wertausgleich erscheint daher als vordringliche Aufgabe, die jede Gesellschaft von neuem zu lösen hat.

III. K A P I T E L

INDIVIDUALISTISCHE SOZIALMETAPHYSIK

Rückblick Wir sind davon ausgegangen, daß der Neoliberalismus als ein Programm der freiheitlichen Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftsreform, als eine „Um­ orientierung grundsätzlicher Art“ (Röpke, c274) verstanden sein will. Der Schlüssel zum Verständnis der neoliberalen Ordo-Idee liegt im nominalistisch-liberalen Menschenbild. Das neoliberale, nominalistisch bedingte Selbstverständnis weist eine gewisse Antinomie auf und zwar zwischen rational und antirational. Be­ stimmend ist zunächst die monistisch-aktualistische Übersteigerung des „Selbst“ mit der daraus resultierenden Verabsolutierung der individuellen Freiheitsrechte. Diese Grundtendenz konkretisiert sich ideengeschichtlich in der liberal-humani­ stischen These W. v. Humboldts von der Personalität als letzter Ausgestaltung „der reichen Individualität“, der „eigenen erfüllten Menschlichkeit“ (2. K., 1 b). Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Bürger und Staat wird nach den Postulaten einer jedem Menschen eingepflanzten Vernunft geregelt. Der liberale Personalist sieht in ihr „des Menschen allerbeste Kraft“ und den Richter über die Torheiten, Lügen und Bosheiten der Menschen (Röpke, i 17, 20). Dieser in der Theorie rationalistischen Auffassung vom Menschen tritt deutlich eine empirisch begründete antirationalistische Skepsis gegenüber, die die Intelligenz, Ordnungskraft und sozialethische Grundhaltung des Individuums praktisch in Zweifel zieht und zur „Demut“ in der persönlichen Selbsteinschätzung veranlaßt. Sie geht primär auf die Spekulationen de Mandevilles zurück (Hayek, b 25). Als Kompaß des menschlich Wesensgemäßen wird nicht eine objektiv verbind­ liche sozialethische Norm anerkannt. Um das beträchtliche Spannungsmoment zwischen theoretischer und praktischer Selbsteinschätzung zu überbrücken, nimmt der „wahre“ Individualist seine Zuflucht zu dem antiquierten nominalistischen Glauben an die kausal-mechanisch ordnende Kraft des unsichtbaren Interessenmechanismus, aus dem sich das ursprünglich deistische Element im Lauf der folgenden Säkularisierung verflüchtigt hat. Wie sich zeigen ließ, hat der

90

Individualistische Sozialmetaphysik

Interessenautomatismus die individuelle Planungs-, Entschluß- und Handlungs­ freiheit zur unabdingbaren Voraussetzung, während er andererseits die handeln­ den Individuen unmerklich „in Gebrauch“ nimmt und deren mögliche Irrtümer, Versager und asoziale Kombinationen im Zuge eines anonymen sozialen Pro­ zesses spontan korrigiert, falls sie sich zur Anerkennung und loyalen Einhaltung bestimmter rein formaler Prinzipien entschließen. Der soziale Egoismus wird nicht als ein primär sozialethisches, sondern funktionaltheoretisches Problem begriffen. Die gleiche Antinomie charakterisiert den neoliberalen Personalismus, der sich in der Hayek?sehen Fassung als kausal-mechanischer, utilitaristisch motivierter Beziehungskomplex freier Individuen manifestiert. Das soziale Ganze wird demnach als gedachte interaktionäre, zweckrationale Einheit einer Vielheit integrierter Energiezentren begriffen und individualpsychologisch von der Basis des individuellen Selbsterhaltungs- und Gewinnstrebens her begründet. Natur­ gemäß sind diese ideologischen Voraussetzungen zu berücksichtigen, wenn wir an die Analyse der eigentlichen Sozialmetaphysik des Neoliberalismus heran­ treten. Die Wertschätzung des sozialen Anliegens im neoliheralen Denken Bevor wir auf Einzelheiten, die sich um die Lösung der klassischen sozialen Frage zentrieren, näher eingehen, verdient die Tatsache besondere Erwähnung, daß das soziale Anliegen im Ordnungsdenken einer bestimmten Gruppe neoliberaler Theoretiker eine hervorragende Rolle spielt. Für W. Eucken als Wissenschaftler und Wirtschaftspolitiker ist das intensive Ringen um die Lösung des sozialen Problems bezeichnend. Seiner Ansicht nach sind soziale Sicherheit und Gerechtigkeit die großen Anliegen der Zeit, die nicht ernst genug genommen werden können. Seit Beginn der Industrialisierung sei die soziale Frage zur Zentralfrage menschlichen Daseins, der menschlichen Gesellschaft, der inneren Politik und der Kultur geworden, auf deren Lösung Denken und Handeln vor allem gerichtet werden müssen (h 1, 126f., 315 ff., 370f.). Die Untersuchung des sozialen Problems in seinem Wesen, seinem Erscheinungswandel und seiner Verquickung mit anderen Fragen des gesell­ schaftlichen Lebens bestimmt daher Euchens nationalökonomische Forscher­ arbeit ebenso wie sein wirtschaftspolitisches und soziales Ordnungswollen. A . Rüstow hält die gründliche Erneuerung des Liberalismus für notwendig. An die Stelle des Laissez-faire-Liberalismus soll ein „liberaler Interventionismus“ treten, dessen Aufgabe primär darin gesehen wird, unter Ablehnung des Wohlfahrtsstaats-Gedankens durch Realisierung der Startgerechtigkeit, der

Die Wertschätzung des sozialen Anliegens

91

Eigentumsbildung, einer gesunden mittelständischen Sozialstruktur allen berechtigten Einwänden des Sozialismus Rechnung zu tragen (c 131 f., 138f., 146f., 150; 1 63f., 68f.; n 7, 10). Bemerkenswert ist ferner die „soziale Kritik“ des Frankfurter Juristen F. Böhm, der sich mit den „vier großen sozialen Nöten“ auseinandersetzt, die seiner An­ sicht nach ihren Entstehungsgrund in den Eigentümlichkeiten und im Geltungs­ bereich der Wettbewerbswirtschaft haben. Darunter rechnet er: die ungleiche Verteilung der Kaufkraft, die Problematik des ArbeitsVerhältnisses, die Tatsache der Wirtschaftskrisen und das Problem der privaten Machtbildung auf den Märkten. Seine Kritik hat den Sinn, „an diese Ordnung den Maßstab letzter Ansprüche der Vernunft und der Ethik“ anzulegen. Sie veranlaßt ihn zu dem Eingeständnis, daß heute zwischen sozialethischem Postulat und sozialer Wirk­ lichkeit ein „beängstigender Abstand“ klafft, der nur durch entsprechende Ergänzung und Korrektur der Marktwirtschaft mit Hilfe gesetzlicher und inter­ ventionistischer Maßnahmen zu überbrücken sei. Wie stellen also bei Böhm die Tendenz fest, die Wirtschaftsordnung selbst sowie die Notwendigkeit ausglei­ chender Sozialpolitik nach Maßgabe „sozialethischer Mindestansprüche“ zu begründen und zu gestalten (k 75ff., 84ff., 88). Eine ebenfalls beherrschende Rolle spielt das soziale Anliegen in der wissenschaft­ lichen, publizistischen und politischen Arbeit A . Müller-Armacks. Seine zahl­ reichen Wirtschafts- und sozialpolitischen Abhandlungen sind für den Sozial­ philosophen insofern von grundsätzlichem Interesse, als der Begriff „sozial“ im Rahmen seiner Grundsatzerklärungen in verschiedenen Sach- und Sinnzusammen­ hängen erscheint, die nicht ohne weiteres auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, ja zu widersprüchlichen Formulierungen führen. Er spricht häufig von der sozialen Zielsetzung, Leistung und Ausgestaltung der Marktwirtschaft, ebenso auch von der dem Marktsystem „innewohnenden Sozialfunktion“ und der „sozialen Funktionsfähigkeit des Instrumentariums (j 390ff.). Wie wir im ein­ zelnen noch sehen werden, faßt Müller-Armack sozialethische, funktional­ theoretische und sachlich-produktive Erwägungen und Postulate nominell unter dem sozialen Gesichtspunkt zusammen, ohne allerdings das für die verschieden­ artigen sozialen Aspekte maßgebende Kriterium anzugeben. Es wird gut sein, sowohl Terminologie als auch Problemfassung genau im Auge zu behalten, wenn bei den neoliberalen Theoretikern von der sozialen Problematik die Rede ist. Die soziale Kritik F. Böhmsy die ihre Sonde an „Wunden“ des Sozialkörpers und der Markt- und Wettbewerbswirtschaft legt, stellt ebenfalls Tatsachen soziologischer, funktionaltheoretischer und marktstrategischer Natur auf den „sozialen“ Nenner, wenn er z. B. von der Funktionsfähigkeit vorgegebener

92

Individualist)sehe Sozialmetaphysik

„sozialer“ Gleichgewichtstendenzen, von der moralisch bindenden „sozialen“ Lage des Wettbewerbsteilnehmers, von der Ordnungsfunktion des „sozialen Milieuzwanges“ spricht (k 75ff.; 1 122, 126, 104). W. Röpkes Auseinandersetzung mit der von ihm neuerdings zitierten „demo­ kratisch-sozialen Inflation“, der „sozialen Erosion“ und dem „sozialen Ratio­ nalismus“ verlangt ebenfalls Aufmerksamkeit bezüglich der Terminologie. Er will unter letzterem jene unorganische, die marktwirtschaftliche Sachgesetzlichkeit ignorierende Denkgewohnheit einer „wesentlich unbürgerlichen Welt“ ver­ standen wissen, die den Charakter der Marktwirtschaft ids eines Teils der „geistig­ sozialen Gesamtordnung“ übersieht und ihr Angewiesensein auf ein bestimmtes „geistig-soziales Klima“ außer acht läßt. Hier hat „sozial“ die soziologische Bedeutung des Organischen und Interdependenten, das nach Ansicht Röpkes durch rationalistisch-abstraktive und daher verengende Sicht unberechtigterweise ausgeklammert wird (o; p 195f., 153, 131 fl.). Schon diese kurze Übersicht läßt erkennen, daß der Begriff „sozial“ für die neoliberale Terminologie zu einem allzu häufig gebrauchten Lieblings wort geworden ist. F. A . Hayek sieht mit Recht in der Vieldeutigkeit und dem lässigen Gebrauch dieses Wortes eine wirkliche Gefahr für jedes klare Denken, für jede Möglichkeit vernünftiger Diskussion vieler unserer ernstesten Probleme. Seiner Ansicht nach gibt es kaum eine wichtigere Aufgabe, „als den goldenen Nebel zu zerstreuen, mit dem so ein ,gutes* Wort alle Erörterungen innerpolitischer Probleme verschleiern kann“, nicht zuletzt deshalb, weil seine Verwendung meist nur dazu diene, „den Mangel an wirklicher Übereinstimmung zwischen Menschen zu verdecken, die sich scheinbar auf eine Formel einigen“ . Es scheint ihm im weiten Maße die Folge eines solchen Bemühens zu sein, „politische Schlagworte so einzukleiden, daß sie allen verschiedenen Geschmäckern behagen, dem ,soziale* Marktwirtschaft und ,sozialer* Rechtsstaat ihre Entstehung verdanken“ (f 72 f.). Es wird sich allerdings später zeigen, daß auch seine Sozialinterpretation der eigentlichen Sinnfülle dieses zentralen Begriffes keineswegs gerecht wird. Aus der verschiedenartigen Anwendung des Beiwortes „sozial“ lassen sich im wesentlichen drei Sinndeutungen herausschälen, die zusammengenommen das neoliberale Verständnis der sozialen Problematik wiedergeben. Demnach wird das Soziale aufgefaßt als interindividuelles Gleichgewichtsproblem, als funktional­ theoretisches Ordnungsproblem, als quantitatives Korrekturproblem. Im wesent­ lichen stehen hier die sozialen Spekulationen des Rechtsstaatlers F. Böhm, des Ordnungspolitikers W’. Eucken und des Sozialpolitikers A . Müller-Armack zur Diskussion.

93

/. D as Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem (F. Böhm) Die neoliberale Auffassung, daß speziell den individuellen Freiheitsrechten für die faktische Lösung sozialer Probleme die entscheidende Funktion zufällt, rückt das alte Problem, das aus dem Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und sozialer Verpflichtung resultiert, in den Vordergrund. Es konkretisiert sich in der Frage: Wie läßt sich der stets drohende Mißbrauch der individuellen Freiheitsrechte, der zur ungleichgewichtigen Vermachtung des gesamten Wirt­ schaftslebens mit all ihren verheerenden Folgeerscheinungen geführt hat, in Zukunft vermeiden ? Daß sich die Neoliberalen mit dieser Frage, die im Grunde eine Ordnungsfrage ist, intensiv befaßt haben, wurde bei der Charakterisierung des Ordo-Liberalismus bereits betont. Wir greifen die Antwort von F. Böhm heraus, der mit dem Hinweis auf den Begriff der „rechtsstaatlichen“ Freiheit zu verstehen gibt, daß der neoliberalen Freiheitsauffassung im gesellschaftlichen Raum eine „begrifflich sehr modifizierte Freiheit“ zugrunde liegt (k 92). Als solche hat sie bestimmte Begrenzungen und Sicherungen zur Voraussetzung, die angeblich die Gefahr eines Mißbrauches ausschalten oder entsprechend ein­ dämmen. Die nähere Untersuchung dieser These führt uns in den Bereich der neo­ liberalen Staatsphilosophie, die rechtsstaatlich konzipiert und in klar ausgeprägter Form von F. Böhm, F. Λ . Hayek> W. Eucken und W. Röpke dargeboten wird. Ihrer Ansicht nach hängt die freiheitliche Lösung der sozialen Frage von drei Faktoren ab, in denen sich jeweils das rechtsstaatliche Ordnungs-Denken kristalli­ siert, und zwar: von der Neutralisierung der gesellschaftlichen Macht, von der Sicherung der Rechtsgleichheit, vom Gleichgewichts- und Automatismusglauben. a) N e u t r a l i s i e r u n g der ge s ellschaftlichen Macht Individualistische Freiheit unter dem Gesetz Zunächst ist festzuhalten, daß nach rechtsstaatlicher Auffassung dem Staat als legitimer Autorität und als Garanten des Gemeinwohls, der selbst unter dem Recht steht, primär die Aufgabe obliegt, die Freiheits- und Rechtssphäre der einzelnen Bürger anzuerkennen und zu schützen. Dieser Rechtsschutz wird nach zwei Seiten hin als erforderlich betrachtet: gegen die Zwangsgewalt des Staates selbst, gegen Übergriffe und Machtansprüche der Mitbürger. Durch organi­ satorische Trennung der staatlichen Tätigkeit in die drei Einzelfunktionen der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung, ferner durch verfassungs­ mäßige Sicherung menschlicher Grundrechte und endlich durch Schaffung einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit soll die Einzelperson gegen mögliche Will­ kürakte staatlicher Organe gesichert werden. Weitere Maßnahmen, wie z. B. die Beseitigung bestehender Hörigkeitsverhältnisse oder die Sicherung der privaten

94

Individualistische Sozialmetaphysik

Eigentumsfreiheit, haben nach W. Eucken den Schutz der individuellen Freiheit im zwischenmenschlichen Bereich zum Ziel. Er sieht daher im Rechtsstaat „ein geschichtlich-universales Phänomen, das überall erscheint, wo mit der Realisierung der Freiheit ernst gemacht wird“ (h 48). F. Böhm findet diesen Gedanken durch die kulturgeschichtliche Erfahrung bestätigt. Er hält es für erwiesen, daß der Kampf um den Rechtsstaat eine uralte Freiheitsbewegung der bedeutendsten Kulturvölker verkörpert, deren Ziel seit jeher darin bestanden habe, die Freiheit der Menschen gegen Ausbeutung und Vergewaltigung zu sichern (1 148, 136). F. A . Hayek sieht den springenden Punkt der Rechtsstaats-Philosophie darin, daß der Staat in seiner Tätigkeit nicht von einem bestimmten Prinzip geleitet, sondern seine Gewalt vielmehr darauf beschränkt werden soll zu sichern, daß jeder einzelne formale Prinzipien, d. h. ein für allemal festgesetzte allgemeinverbindliche Lebensregeln befolgt. Die „Freiheit unter dem Gesetz“ steht dem Gebrauch des Gesetzgebungsapparates zur Unterdrückung der Freiheit gegenüber (b 33 f.). Die von F. Böhm erwähnte „Modifizierung“ der rechtsstaatlichen Freiheit besteht also zunächst darin, daß sie grundsätzlich als eine nach allen Seiten hin rechtlich gesicherte Freiheit zu verstehen ist. Wie Böhm weiterhin ausführt, ist die rechts­ staatliche Freiheit weder mit der sittlichen Freiheit noch mit der Freiheit gegen­ über den Naturgesetzen noch mit der Freiheit vom positiven Gesetz in seinen vielfachen Erscheinungsformen als Moralgesetz, Rechtsgesetz, gesellschaftliche Konvention identisch. Die Bindung des Individuums durch die verschiedenen natürlichen, moralischen und gesetzlichen Bestimmungsfaktoren wird vielmehr anerkannt. Nicht hingenommen wird jedoch jede Inanspruchnahme des Indi­ viduums für irgendein übergeordnetes „Kollektivvorhaben“, wenn es auf die Initiative „politischer, hoheitsvoller Autorität“ zurückgeht. Nach rechtsstaat­ lichem Sprachgebrauch güt jedes übergeordnete Vorhaben als „Willkür“, wenn es nicht „von der freien, privatvertraglichen Zustimmung und Selbstunter­ werfung“ des Individuums „von Fall zu Fall und auf Zeit“ abhängig gemacht wird. Falls die politisch-autoritative Beanspruchung des einzelnen aus zwingenden Gründen notwendig erscheint, wird sie „durch strenge formale und verfahrens­ mäßige Kautelen, ferner durch ein ganzes Instrumentarium verfassungsmäßiger Einrichtungen . . . erschwert und begrenzt“. Nach Böhms Darstellung handelt es sich bei der rechtsstaatlichen Freiheit um die Freiheit jedes Menschen „vom autoritativen unmittelbaren oder mittelbaren Dreinreden bestimmter anderer Menschen in seine individuellen Pläne zum Vollzug kollektiver Aktionspläne wechselnder Art“ (k 92f.). Sie ist identisch mit der „Freiheit von diskretionären Ermessensentscheidungen politischer Gewalten“ (1 121), also mit politischer Freiheit. Wie Böhm abschließend versichert, wollen die Neoliberalen gar nicht die

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

95

individuelle Freiheit schlechthin, nicht also irgendeine individualistische Anarchie, sondern vielmehr die „individualistische Freiheit unter dem Gesetz“ (1 99). Er ist davon überzeugt, daß diese Art „Freiheit“ nicht oder nur sehr bedingt zu den philosophischen Grundfragen gehört, die sich aus letzten Postulaten der Vernunft oder der Moral ableiten lassen. Ob unter diesem Betracht Freiheit ein Gut und Herrschaft ein Übel ist oder umgekehrt, sei nicht oder nur sehr bedingt philo­ sophisch evident; darüber belehre uns ausschließlich die geschichtliche Erfahrung und die Einsicht in das menschliche Herz (k 92). Darin, daß die politische Freiheit nicht eine apriorische Grundsatzfrage ist, muß Böhm beigepflichtet werden. Die Macht kann nämlich sehr wohl ein Gut dar­ stellen. Um sie als gut oder schlecht zu erkennen, genügt aber psychologisches und geschichtliches Wissen allein noch nicht. Vielmehr ist die geschichtliche und psychologische Erfahrung unter ein apriorisches Sittengesetz zu stellen, im Sinne wie ein Mittel dem Zweck untergeordnet ist. Erst nachdem diese Subsumierung unter eine höhere, nämlich sittliche Wertordnung vollzogen ist, läßt sich die Freiheit unter der „alleinigen Herrschaft der Gesetze“ mit Böhm be­ stimmen als „umfassende Freiheit zur autonomen Planung und Gestaltung“ aller „eigenen Angelegenheiten und selbstgesetzten Zwecke jeder Art“ (k 92). Unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß die soziale Frage in ihrem Charakter als interindividuelles Ausgleichsproblem nur auf der Basis funktions­ fähiger Freiheitsrechte lösbar ist, glaubt Böhm offenbar, die hauptsächlichsten Einwände gegen eine betont freiheitliche Lösung des Problems mit dem Hinweis auf die gesetzliche Sicherung ausgeräumt zu haben. Der Angelpunkt der Böhm*sehen Beweisführung dafür, daß es „wenigstens im großen und ganzen“ möglich ist, die soziale Frage mit rechtsstaatlichen Mitteln zu lösen (k 95; 1 101), liegt in der Funktion, die angeblich das Gesetz im Bereich der gesellschaftlichen Ko­ operation erfüllt. Die Analyse dieses zentralen Begriffes gibt uns zugleich Aus­ kunft darüber, welchen Preis der neoliberale Rechtsstaats-Anhänger für die Freiheit zu zahlen bereit ist. Indirekte Ausgleichsfunktion des Gesetzes Bei der näheren Bestimmung dessen, welche „materielle Qualität“ ein Gebotssatz haben muß, um als Recht oder Gesetz anerkannt zu werden (1 113), und welche Funktion es primär zu erfüllen hat, bezeichnet BöhmyJ. Locke folgend, als Haupt­ aufgabe des Gesetzes, jegliche Macht zu begrenzen und die Herrschaft der einzelnen Gesellschaftsglieder zu mäßigen. Der einzige Schutz der Gesellschaft gegen die Macht bestehe ausschließlich in der „Kleinheit der Portionen“, in denen sie vorkommt. Machtverhinderung, Machtaufspaltung und Machtauf-

96

Individualistische Sozialmetaphysik

lösung im Bereich der Gesellschaft sowie Machtbegrenzung bis zur äußerst möglichen Grenze im Bereich der Staatsverfassung gilt als „Fundamentalrezept“, als „Generalidee“, als „schlechthin allgemeines Prinzip“ der rechtsstaatlichen Konzeption (1 119f., 124, 120). Der neoliberale Rechtsstaatler läßt sich in der Begründung dieser „Grundthese des Rechtsstaats-Denkens“ (1 120) von folgenden Gedanken leiten: Wer keine oder zu wenig Macht besitzt, um dem Mitmenschen seinen Willen aufzwingen zu können, und wer in diesem Status der annähernden Machtgleichheit mit anderen kooperiert, muß sich „notgedrungen“ mit ihnen verständigen, sich ihnen gegen­ über nützlich erweisen, um selbst existieren zu können. Sobald man auf den Nebenmenschen angewiesen ist, verbietet sich gemeinschädliches, egoistisches Verhalten von selbst. Gelingt es, mit Hilfe des Gesetzes jegliche Machtkonzen­ tration wirksam zu erschweren und den Zustand eines relativen Machtausgleichs herbeizuführen, dann seien neun Zehntel von dem erreicht, was eine Rechts­ ordnung überhaupt leisten kann. Was sonst noch zu einem geordnet-friedlichen Bestehen und Gedeihen der Gesellschaft an Geboten, Verboten und Spielregeln notwendig ist, bringe die Gesellschaft „unter dem Druck der animalischen Not“ (1 119) von selbst hervor. Diese für eine reibungslose gesellschaftliche Koopera­ tion erforderlichen Grundregeln, die angeblich „aus der Natur der Sache“ folgen, kristallisieren sich stets dann von selbst heraus, wenn machtlose Gesellschafts­ glieder miteinander wirtschaften (1 114). Umgekehrt könne selbst der „sozial­ ethisch vollkommenste Gebots- und Verbotskodex“ nichts nützen, wenn seine Normen von den Mächtigen nicht respektiert würden und keine Möglichkeit besteht, sie dazu zu zwingen (1 119). Mit anderen Worten: „Die rechtsstaatliche Revolution sozialisiert die Herrschaftsgewalt, um sie stillzulegen“ (1 126). Das Gesetz beseitigt oder begrenzt — allerdings indirekt — Egoismus, Willkür und Diktatur mit ihren asozialen Folgeerscheinungen, indem es auf der Basis der relativen Machtgleichheit aller Wirtschaftsbeteiligten jeden einzelnen um seiner eigenen Existenzsicherung willen zu einem loyalen und dienstbereiten Verhalten veranlaßt. Jeder hilft also unbewußt und ungewollt in seinem Wirkbereich aus eigenem Interesse mit, die soziale Frage für alle zu lösen. Nach F. Böhm kommt es bei der rechtsstaatlichen Lösung der sozialen Frage also nicht auf den sozialpolitisch relevanten Inhalt des Gesetzes an. Er hält es im Gegenteil für geradezu klassisch-rechtsstaatlich gedacht, wie / . Loche in seiner Gesetzesdefinition den sozialethischen Gebots- und Verbotscharakter des Gesetzes bewußt ignoriert und ihm statt dessen die Aufgabe zuerkennt, den einzelnen, der umso weniger Vertrauen verdiene, je mehr er an Macht besitzt (1113), durch das Gesetz in eine „soziale Lage“ zu versetzen, die es ihm wegen ein­ tretender persönlicher Nachteile unmöglich oder doch schwer macht, durch

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

97

unmoralisches oder egoistisches Individualverhalten Frieden und Ordnung der Gesellschaft ernsthaft zu stören (1 119). Diesen Status der relativen Machtgleich­ heit realisiert das Gesetz in Form von Geboten, Verboten und Zuteilungen, z. B. der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, der Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit, des Eigentumsrechtes und anderer mehr, indem es dafür sorgt, daß jeder einzelne auf das gleiche Recht seiner Mitmenschen Rücksicht nimmt (1 119, 111). Der Zusammenhang zwischen dem rechtsstaatlichen Gesetz und der Lösung der sozialen Frage ist demnach nur ein indirekter, mehr dispositiver oder prophy­ laktischer, nicht aber ein vom Inhalt her bestimmter. Die Aufgabe, das indi­ viduelle Handeln und Planen auf ein vorgegebenes sozialgerechtes Ziel zu lenken, steht dem Gesetz nicht zu. Formalistische Relativierung des Gesetzes Vom rechtslogischen Standpunkt aus ist F. Böhms Argumentation insofern von grundsätzlicher Bedeutung, als er prinzipiell die Gesetzgebung von gegebenen Machtverhältnissen, also von ihrer Realisierbarkeit abhängig macht. Selbst sozialethisch vollkommene Gesetze hätten nur dann praktischen Wert, wenn sie auch befolgt würden; da jede gesellschaftliche Machtgruppe die Realisierung sozialer Gesetzesforderungen willkürlich zu hintertreiben imstande sei, ist es seiner Ansicht nach ein völlig illusorisches Unterfangen, gute und gerechte Sozialgesetze zu beschließen. Die Nützlichkeit einer solchen rein praktischen Überlegung soll nicht in Zweifel gezogen werden. Es kann sich hier nicht darum handeln, etwa sozialethisch vollkommene, aber nach Lage der Dinge illusorische Gesetze unter allen Um­ ständen zu verteidigen. Die Frage, die im vorliegenden Zusammenhang zur Debatte steht, ist vielmehr die, ob der Sprung von der möglichen, durch gruppen­ egoistischen Machtmißbrauch bedingten Schwierigkeit der jeweiligen Gesetzes­ realisierung zu seiner prinzipiellen Ablehnung rechtslogisch annehmbar ist, ganz abgesehen davon, daß ja auch die neoliberalen Theoretiker gerade den Faktor der institutionellen Macht für die Realisierung ihrer eigenen Ideen als durchaus notwendig erachten. Es fragt sich ferner, ob der gesellschaftliche Machtmißbrauch dazu berechtigt, den Gesetzgeber grundsätzlich nur als Garanten des allgemeinen Interesses im Sinne der Neutralisierung gesellschaftlicher Macht, und alle anderen, etwa notwendigen Direktiven nur als selbstverständliches Ergebnis von gesell­ schaftlichen Spielregeln ansehen zu wollen, was bei Böhm der Fall ist. In dieser Supposition würden die rein praktischen Überlegungen der Exekutive für die Legislative normativen Charakter annehmen, das Gesetz würde relativiert, seines sozialethischen Charakters beraubt und individualistisch determiniert. Tatsächlich

98

Individualistische Sozialmetaphysik

verfängt sich die neoliberale Auffassung vom Gesetz in dieser minimisierenden Vorstellung vom Gesetz. Wie deutlich zu sehen ist, konkretisieren sich in ihr die typisch neoliberalen Ideenelemente der verabsolutierten Freiheitsauffassung, des Gleichgewichtsglaubens und des mechanisch-additiven Gemeinwohlbegriffs, von dem im nächsten Kapitel die Rede ist. b) Sicherung der R echtsgleichheit »Absolute Gleichberechtigung‘ aller Gesellschaftsglieder Die rechtsstaatliche Tendenz zur bewußten Machtneutralisierung im gesellschaft­ lichen Raum findet ihre eigentliche Begründung in der Allgemeingültigkeit des Gesetzes, die als „wesentliche Qualität“ herausgestellt wird. Der Allgemein­ verbindlichkeit entspricht auf der Seite des Rechtssubjektes das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz und der Unteilbarkeit des Rechtes. Dieses Prinzip besagt angeblich nicht nur, daß gleiche Gesetze für alle Arten von Personen zu gelten haben und jegliche Privilegierung einzelner abzulehnen ist, sondern darüber hinaus, daß die Menschen in ihrem Planen und Handeln n u r den Ge­ setzen unterworfen sein sollen, nicht aber den Entscheidungen und Lenkungs­ maßnahmen staatlicher Organe (1 121, 153). Die Formel des Aristoteles, die von den Engländern des 17. und 18. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und nominalistisch interpretiert wurde: in Staat und Gesellschaft sollen Gesetze herrschen und nicht Menschen, steht nach F. Böhm im Zentrum der „wichtigsten Funda­ mentalsätze“ rechtsstaatlichen Denkens (1 111, 123, 128, 148, 167). Der nächstliegende Grund dafür ist der, daß im Gegensatz zu diskretionären Ermessens­ entscheidungen politischer Gewalten die objektiven Gesetze die unleugbaren Vorzüge der Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit aufweisen (1154). Daß mit dieser Auffassung eine ganz entscheidende Begrenzung der Staatsgewalt und ihrer Funktionen verbunden ist, leuchtet ein. Irgendwelche Aktionen zu planen und durchzuführen sei nicht Sache der staatlichen Herrschaftsgewalt, sondern, von der Abwehr äußerer und innerer Staatsfeinde und der Beseitigung besonderer Notstände abgesehen, ausschließlich Angelegenheit der im Staat lebenden Menschen und ihrer freien Vereinigungen (1 111). Die Regierung als neutrale Wahrerin und Verwalterin der bürgerlichen Interessen gilt nicht als befugt, den Bürgern irgendwelche Befehle zu erteilen. Ihr Verhältnis zu den Staatsbürgern ist kein Autoritätsverhältnis, sondern entspricht etwa dem eines briefmarkenverkaufenden Postbeamten zum Publikum (1 105). Als „einzige Daueraufgabe“ falle dem Staat zu, „dem Gesetz Geltung zu verschaffen“ (1112); nur zu diesem Zweck organisiere sich Gesellschaft im Staat, würden Macht- und

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

99

Herrschaftsmittel bereitgestellt und Magistrate geschaffen (1 112). Aus der Tat­ sache, daß der Staat selbst die „Autorität des Gesetzes“ zu respektieren hat, ergibt sich von selbst, daß er die „absolute Gleichberechtigung“ aller Rechts­ subjekte anerkennt und in der Ausübung seines Amtes den Individuen und der Gesellschaft gegenüber sich „absoluter Neutralität“ befleißigt (1 121, 123). Ein „mit allem Komfort der Neuzeit ausgestatteter Gesetzes- und Richterstaat“ würde im Gegensatz zum „Willkür- und Ermessensstaat“ nach Böhms Ansicht sich auf die „ausschließlich der Privatrechtsgesellschaft dienende, in völliger Selbstbescheidung und Neutralität geübte verwaltende Staatstätigkeit“ zu be­ schränken haben, die ohne jeden eigenen Gestaltungs- und Planungsehrgeiz nur der glatten Abwicklung des Privatrechtsverkehrs und der Sicherung der privaten Rechte zu dienen bestimmt ist (1 104). Faktisch tritt demnach der Staat nur als „ehrlicher Makler“ der Gesellschaft (1 123) und als Diener des Privatrechts­ verkehrs, also ausdrücklich nur in einer „dienenden Hilfsstellungsrolle“ (1 104) in Funktion. Mit anderen Worten: Die Unterwerfung unter das allgemeingültige, für Staat und Einzelperson gleicherweise verbindliche, machtneutralisierende Gesetz gilt als unumgänglicher Preis für die Ausschaltung politischer Willkür und die Sicherung der rechtsstaatlichen Freiheit (1 121). „Wir sind alle Knechte des Gesetzes, damit wir frei sein können“, dieser Ausspruch Ciceros (Pro Cluentio, C, L, VII; zit. 1 121) wird von Böhm, der den Nachdruck auf das Wort „alle“ legt, ebenso wie die erwähnte Formel des Aristoteles heran­ gezogen, um den „materiellen Inhalt“ und den „Wahrheitsgehalt der rechts­ staatlichen Konzeption“ zu demonstrieren (1 111, 119, 118). Hat er damit sein Ziel erreicht ? Wir haben von ihm bisher lediglich gehört, daß das Gesetz schlecht­ hin für Individuum, Gesellschaft und Staat „absolute Geltung“ (1 117) besitzt; die wesentliche Frage aber, „was Gesetz sein soll“ (1 112) beziehungsweise überhaupt sein kann, läßt er hier völlig offen. Um über den eigentlichen Inhalt des rechtsstaatlichen Gesetzes und seine rechtsphilosophische Struktur Klarheit zu erhalten, haben wir Böhms Darlegungen insgesamt daraufhin zu untersuchen, wo nach rechtsstaatlicher Auffassung diz Quelle des Rechtes und seiner Autorität liegen, nach welchen Normen die „Rechtheit“ der einzelnen Satzungen und die Grenze ihres Geltungsanspruches bestimmt werden, welchem Ziel die Gesetz­ gebung insgesamt dient. Die Antwort auf diese Teilfragen gibt uns zugleich auch Auskunft darüber, ob eine im neoliberalen Sinne verstandene rechtsstaatliche Lösung der sozialen Frage überhaupt möglich ist.

100

Individualistische Sozialmetaphysik

Individualistischer Charakter der neoliberalen Staatsethik Böhm hält es für ausgemacht, daß für das europäische Bewußtsein der Staat die Quelle allen Rechtes ist, daß also die Entstehung von Recht wesentlich ein politischer Vorgang ist. Will eine Gesellschaft Recht erzeugen, muß sie sich zuvor bewußt als Staat konstituieren und als solcher handeln. Dieses Faktum des „Staat-Seins“ allein ist in der Lage, der gesellschaftlichen Konvention die „Qualität von Recht“ und den einzelnen Rechtssätzen die erforderliche Autorität zu verleihen, die als solche von dem inhaltlichen Einverständnis des einzelnen unabhängig ist. Daraus zieht Böhm die für alle weiteren Erörterungen entschei­ dende Schlußfolgerung: „Recht und Gesetz sind nicht etwas eindeutig Definier­ tes“ (1 113). Beide Begriffe lassen sich vielmehr erst dann definitiv erfassen, wenn zuvor die verfassungspolitische Gesamt- und Grundentscheidung „über die gewollte Art von Staat und die mit dieser Art von Staat gegebene Art von Recht und von Gesetz getroffen worden ist“. Der jeweiligen Staatsauffassung ent­ sprechend haben wir demnach verschiedene Arten von „Recht“ gelten zu lassen, im Grunde deshalb, weil es sich bei der Staats- und Rechtswerdung um einen „uno-actu Vorgang“ handelt und die beiden Begriffe des Gesetzes und des Staates „logisch“ einander zugeordnet sind (1 112f.). Nach Böhm zu urteilen ist also die Rechtsstaats-Philosophie eindeutig rechtspositivistisch orientiert. Für die Wesensbestimmung des Gesetzesrechtes ist diese Feststellung entscheidend. Sie besagt, daß Böhm eine Fundierung der Rechtssatzung in überzeitlichen, natur­ rechtlichen Normen grundsätzlich ablehnt und statt dessen die autoritative Weisungs­ befugnis des Rechtes nur von der positiven staatlichen Setzung ableitet, jegliches Recht also ausschließlich nach rein menschlichen Maßstäben konstituiert sein läßt. Die damit gegebene rechtsphilosophische Relativierung des Gesetzesrechtes geht wie jeder Rechts-Positivismus auf eine individualistische Grundkonzeption zurück. Sie zeigt sich deutlich zunächst in der von Böhm dargelegten Rechts­ findung. Ist der Rechtsstaat auf Grund gesamtpolitischer Entscheidung als solcher konstituiert, dann werden das Recht und die elementaren Grundsätze des Rechts nicht gemacht, sondern vorgefunden und zwar in Form von Konventionen. Es handelt sich dabei um traditionelle Grundregeln, die sich angeblich immer dann von selbst ergeben, wenn Menschen im Status der allgemeinen Gleich­ berechtigung und der relativen Machtgleichheit aus Rücksicht auf die eigene Existenz zu Verständigungsbereitschaft und Loyalität gezwungen werden. Nach Böhm ergeben sich die Konventionen „aus der Natur der Sache“ und sind „in der Schöpfungsordnung sozusagen — als Möglichkeiten — vorgegeben“ (1 114). Unter „Natur der Sache“ kann hier nur das gegenseitige Aufeinanderangewiesen­ sein gemeint sein, das unter dem „Druck der animalischen N ot“ (1 119) den

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

101

„sozialen Milieuzwang“ (1 104) bedingt. Die daraus resultierenden rein prak­ tischen Verhaltensregeln sind insofern in der „Schöpfungsordnung“ vorgegeben, als sie dem allgemeinmenschlichen Selbstinteresse und Selbsterhaltungstrieb ent­ sprechen. Was auf den ersten Blick „naturrechtlich“ konzipiert erscheint, erweist sich in Wirklichkeit als Rechts-Subjektivismus. Die Gewohnheitsrechtsbildung, die am ehesten der rechtsstaatlichen Vorstellung von Rechtserzeugung entspricht (1 114, 103), hat ausgesprochen individualistische Voraussetzungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Gesetzesrecht als „vorgeformtes Recht“ normativ zugrunde gelegt werden: die Mentalität vergangener Generationen, Überein­ kunft gegenseitiger Loyalität, praktische Bewährung durch den ständigen Gebrauch (1 103, 115). Mit anderen Worten: Böhm legt das Wertempfinden der einzelnen Gesellschafts­ glieder dem sozialen Wirkzusammenhang und der rechts staatlichen Wertordnung zugrunde. Nur jene Werte werden für die Gesellschaft und ihre Organisation als verbindlich erklärt, die von der Mehrheit der Glieder als ideal oder als brauch­ bar und erprobt akzeptiert werden. Jede andere Orientierung, etwa die nach einer objektiven, naturrechtlichen Wertwelt, scheidet aus, der soziologische Charakter dieser rechts staatlichen Wertethik ist also offensichtlich. Für die rechts­ staatliche Lösung der sozialen Frage ist diese Feststellung insofern fundamental, als es vom soziologisch-individualistischen Wertempfinden her keinen Zugang zu einer echten Sozialethik gibt, die, wie gezeigt wurde, grundsätzlich ihr Soll von dem Blick auf das Ganze entnimmt o 57, 66). Die philosophische Wurzel der soziologischen Rechtsauffassung findet sich, wie gezeigt wurde, im englischen Nominalismus, vornehmlich bei D . Hume. Wie die Untersuchung ergab, bestand dessen Tendenz darin, das menschliche Denken der „Willkür“ des Verstandes zu entrücken und unter die Herrschaft psychologischer Gesetze, der subjektiven Gewohnheit als sicherer Führerin durchs Leben, des Gefühls und des Instinktes, zu stellen. Der sittliche Wert der menschlichen Handlungen wird von ihren nützlichen Wirkungen abgeleitet. Recht und Gerechtigkeit haben daher ihren Grund im Gefühl gemeinschaftlichen Interesses, in geselliger Neigung, in utilitaristisch bedingter gesellschaftlicher Übereinkunft (Falkenberg, 196 ff.). Der Gesichtspunkt der Geset^esdauer spielt daher eine große Rolle. Das wahre Gesetz ist nach F. Böhm das Gesetz „unvergänglichen Alters“ (1103). Der Begriff des „unvergänglichen Herkommens“ im Bereich der Rechtsfindung und Rechts­ setzung bürgt zunächst dafür, daß das Gesetz seine Herkunft nicht der egoistischen Willkür eines einzelnen, sondern statt dessen dem traditionsgebundenen, un­ organisierten, laienmäßigen Gemeinwillen vieler Glieder der Rechtsgemeinschaft verdankt (1 117). Es stützt sich also auf eine äußere Interessengemeinschaft, auf gemeinsame Erfahrung und bewährte Gebräuche. In dem Augenblick, wo das

102

Individualistische Sozialmetaphysik

Gesetz aus dem gesellschaftlichen Erbstrom und traditionellen Gemeinschafts­ willen herausgelöst wird und in den Verfügungsbereich der politischen Führung gerät, ist es nach rechtsstaatlicher Auffassung um die bürgerlichen Freiheitsrechte geschehen. Das Gesetz in den Dienst politischer „Kollektivvorhaben“ zu stellen, ist nach Böhm gleichbedeutend mit der Tendenz, es als „schlagkräftiges Mittel im Dienst des Tageskampfes um die Macht und im Dienst rein exekutiver Fehl­ regiererei“ (1 118) zu verpolitisieren und zu denaturieren. In der Exekutive sieht er „die geborene Feindin“ (1 118) des Gesetzes und zwar nicht nur deshalb, weil sie am konzentriertesten das Element der Macht und Herrschaft in sich verkörpert und sich als autoritäts- und freiheitsfeindlich erwiesen hat (1 106), sondern weil sie darauf hinwirkt, durch eine „atemberaubende Gesetzesmacherei“, durch eine „Inflationierung mit Rechtsnormen“ und durch eine „fachmännische Vertechnifizierung des gesetzgeberischen Fabrikationsprozesses“ dem Gesetz die Dauer zu nehmen. Das aber heißt nach Böhmy das Gesetz seiner „Berechenbarkeit, des eigentlichen Geheimnisses seiner Autorität“ (1 118), berauben und der interessen­ bedingten politischen Willkür den Weg ebnen. Nur als „Gebilde von langer Lebensdauer und allgemeiner Anwendung“ (1 117) kann das Gesetz Anspruch darauf erheben, Repräsentant und Hort der Freiheitsrechte zu sein, indem es nicht nur die Freiheit zu sichern, sondern auch zu mehren imstande ist, da es „die Freiheit erleuchtet“ (1 106). Trennung des Rechtes von der Idee der Gerechtigkeit Noch unter einem anderen Betracht ist nach neoliberaler Auffassung die Gesetzesdauer für rechtsstaatliches Denken von Bedeutung. Böhm muß selbst zugeben, daß es im Laufe der Rechtsgeschichte auch bei ausgesprochen rechtsstaatlich struktu­ rierten Nationen mitunter „drückende, grausame, gehässige“, also freiheits­ feindliche, schlechte Gesetze gegeben hat, die zwar dem „laienmäßigen Gemein­ willen“ entwachsen, aber eher alles andere als verehrungswürdig waren. Dabei ist hier an solche Fälle gedacht, wo das mangelhafte Gesetz auf ein Versagen an sich freier gesetzgebender Körperschaften zurückgeht, die, sei es aufgrund unwürdiger Servilität gegenüber der Krone oder aus weltanschaulicher Vor­ eingenommenheit oder wegen enggezogener Standes-, Partei- und Wirtschafts­ interessen, ihre gesetzgeberische Funktion mißbraucht haben (1117). Die eigent­ liche Wurzel dieses Versagens, das keineswegs zu den seltenen geschichtlichen Ausnahmen gehört und als solches die Schwäche der rechtsstaatlichen Konzeption aufdeckt, liegt offenbar darin, daß die fraglichen Gremien als Gesetzgeber sich nicht an überpersönlichen und überzeitlichen Rechtsnormen, sondern nur an Nützlichkeitserwägungen des Augenblicks orientierten.

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

103

Böhm indessen betont, es komme auch gar nicht so sehr darauf an, „daß die Gesetze immer gut, immer gerecht, immer weise sind“ und daß die gesetzgeben­ den Körperschaften in ihrer Zusammensetzung jeder Kritik standhalten. Die Frage nach der sittlichen und sozialethischen Qualität der einzelnen Gesetze, wie die nach der menschlich-charakterlichen und fachlichen Qualifikation der er­ wähnten Körperschaften tritt völlig hinter der fundamentalen rechtsstaatlichen Forderung zurück, daß die gesetzgebende und richterliche Gewalt auf jeden Fall gegen jegliche Beeinflussung seitens der Exekutive abzuschirmen ist. Böhm treibt diesen Gedanken in bewußter Pointierung auf die Spitze: „Lieber dreihundert Jahre lang ein fragwürdiges Gesetz, als zwanzig Jahre lang einen guten Regenten“ (1 155). Mit anderen Worten: Lieber ein inhaltlich unzulängliches unter Um­ ständen sogar gehässiges, grausames und ungerechtes Gesetz mit all seinen Nachteilen auch über einen langen Zeitraum hin in Kauf nehmen, wenn es nur auf freiheitlichem Wege zustande gekommen ist, als sich auf die sittliche und fachliche Qualifikation einer mit politischer Macht ausgestatteten und darum apriori freiheitsfeindlichen Autorität verlassen zu sollen. Die neoliberale Skepsis in der Einschätzung des Autoritätsträgers erweist sich hier als die absolut vor­ herrschende Grundeinstellung, die trotz weitgehender Berechtigung deshalb jeglichen Halt verliert, weil sie sich ausschließlich an einem formalistisch ent­ leerten, verabsolutierten Freiheitsbegriff orientiert. Die formale Wahrung der individuellen Freiheit, sowohl was die Entstehung wie die Zwecksetzung des Gesetzes betrifft, rangiert in der rechtsstaatlichen Wertskala an oberster Stelle. Die maßgebliche Devise lautet: Koordination, nicht Subordination. Was die von Böhm intendierte „materielle“ Bestimmung des rechtsstaatlichen Gesetzes betrifft, ist vorerst festzustellen, daß er mit dem Hinweis auf die „wesent­ lichen Qualitäten“ der Machtneutralisierung, der Allgemeinverbindlichkeit, des unvordenklichen Alters und der Dauer in der Peripherie rein formaler Aussagen verbleibt, die uns der Beantwortung der entscheidenden Frage, was Gesetz sein soll und kann, keinen Schritt näher bringen. Daß man aus naturrechtlichen Prinzipien in der Rechtspolitik zu einer Bevorzugung der Freiheit gegenüber dem materiellen Wert gelangen kann, einfach aus dem Grunde, um eine sichere demokratische Spielregel aufzustellen, sei nicht geleugnet (vgl. Utç, n 115). Bei Böhm handelt es sich aber offenbar nicht um eine rein praktische Spielregel, sondern um ein Prinzip. Da er als Rechtspositivist das rechtsstaatliche Gesetz von den normativen Begriffen des Guten und Gerechten, wie sie aus den überzeit­ lichen Forderungen des natürlichen und göttlichen Rechtes sicher erkennbar sind, trennt, beraubt er sich grundsätzlich der Möglichkeit einer echten „materiellen“ Bestimmung des Gesetzes.

104

Individualistische Souaimetaphysik

Im vorliegenden Zusammenhang ist die Frage von Interesse, wie der Rechts· staatler Böhm mit seinem nominalisdsch entleerten und entsittlichten Gesetz das rechtsstaatliche Ziel der Freiheitssicherung für alle zu realisieren gedenkt. Wenn wegen Mangel an objektiven Normen nicht nur die über alles gefürchtete Exe­ kutive, sondern ebenso auch die gesetzgebenden Körperschaften als Feinde der Freiheit in Erscheinung treten können, wie will dann der Rechtsstaat seine Daseinsberechtigung begründen? Besteht nicht die Gefahr, daß durch das rechts­ staatliche System Unrecht in Form freiheitlicher, aber ungerechter Gesetze sanktioniert und damit der Rechtsunsicherheit Tür und T or geöffnet wird? Dieser Überlegung kann sich auch Böhm nicht verschließen. E r sucht dem Problem, das sich aus dem fragwürdigen Werdeprozeß des Rechtes ergibt, durch den Hinweis auf den allgemeinen Läuterungsprozeß gegebener Rechtssatzungen beizukommen. Er antwortet mit der Gegenfrage: „Verbessert sich nicht jedes Gesetz im Laufe der Zeit von selbst ?“ (1153). E r vergleicht das Gesetz mit einem Felsblock, der in „das Gebirgsgewässer der Gesellschaft förmlich eingetaucht“ ist, „das ihn unablässig umspült, glättet, formt und patiniert“ . Gemeint ist damit der nie aussetzende, öffentliche Vorgang der allseitigen Diskussion, Auslegung, Überprüfung, der sachlichen Kritik und Änderung, dem jedes erlassene Gesetz über Generationen hin seitens der Rechtswissenschaftler, Richter, Anwälte, Journalisten und Parteien ausgesetzt ist (1 117). Dieser auf Dauer angelegte gesellschaftliche Glättungs- und Fortbildungsprozeß, der faktische Ungerechtig­ keiten oder Härten der rechtsstaatlichen Gesetzgebung nachträglich zu beseitigen oder zu mildem hat, bietet gewissermaßen den normativen Ersatz für das, was der laienmäßige, nur auf seine Entscheidungsfreiheit und das Gruppeninteresse bedachte „Gemeinwille“ im Augenblick der Rechtssetzung an echter Gemeinwohlverantwortung hat fehlen lassen. N ur so bekommt der an sich widersprüch­ liche Satz Bibms>wonach jeder Fortschritt in der Geschichte letzten Endes auf die Herrschaft des Gesetzes zurückgehe, „und sei dieses Gesetz noch so unvoll­ kommen, wenn es nur dauernd ist“ (1156), einen Sinn. Wir lassen hier die bekanntlich nicht geringen Schwierigkeiten außer acht, die mit der jeweiligen Abänderung oder Neufassung eines erlassenen Gesetzes im öffentlichen Rechtsbereich verknüpft sind; auch die Tatsache, daß die Korrektur eines vom Standpunkt des Gesamtinteresses reformbedürftigen Gesetzes aufgrund des umständlichen gesellschaftlichen Glättungsprozesses relativ spät erfolgt, so daß normalerweise erst spätere Generationen in den Genuß eines tragbaren Gesetzes kommen würden. Im Augenblick geht es um die Klärung der Frage, nach welchem L â ê ë i das rechtsstaatliche Gesetz im Laufe der Zeiten sich „von selbst** verbessert, wenn die rechtsstaatliche W ahrung und Sicherung der indi­ viduellen Fvetbeksrechte offenbar nicht ab absolut verlässige Norm der Rechts-

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

105

werdung betrachtet werden kann. Kommt wenigstens nachträglich das Leitbild der objektiven Gerechtigkeit, das offensichtlich mit dem individualrechtlich gesicherten Gruppeninteresse nicht identisch ist, normativ zur Geltung ? Die Antwort kann nur lauten, daß Böhms Rechtsstaats-Philosophie mit ihrer Tendenz zur gesellschaftlichen Korrektur des Gesetzesrechtes keineswegs die rechtspositivistische Negierung der Idee einer für die Legislative verbindlichen Gemeinwohlgerechtigkeit aufgibt. Der Grund für die ablehnende Haltung liegt auf der Hand: weil die erforderliche authentisch-autoritative Interpretation des Gemeinwohls und die damit verbundene, unter Umständen erzwingbare Unter­ ordnung der privaten Ermessens- und Handlungsfreiheit unter überindividuelle Sacherfordernisse der Gesellschaft als freiheitsfeindlich abgelehnt wird. An diesem für die Lösung der sozialen Frage entscheidenden Punkt zeigt sich wiederum die rechtslogische Schwäche des Systems: Der gesellschaftliche Läuterungsprozeß vollzieht sich nach dem gleichen individualrechtlichen Grundprinzip, aus dem auch die gesetzlichen Ungerechtigkeiten entstanden sind. Die Sicherung der individuellen Autonomie, der Freiheitsrechte und des Privatrechtsverkehrs gegen jeglichen autoritativen oder privaten Zugriff gilt für das Zustandekommen ebenso wir für die Zwecksetzung und den gesellschaftlichen Läuterungsprozeß des rechtsstaatlichen Gesetzes als a priori normativ. Das Recht, ob als Gewohnheits- oder Gesetzesrecht, erweist sich in rechtsstaatlicher Prägung als ein rein zweckhaftes Mittel, um die individualrechtliche Integration des einzelnen durch entsprechende Gebote, Verbote und Rechtszuteilungen im Bereich der gesell­ schaftlichen Kooperation zu gewährleisten. Böhm bringt diesen Sachverhalt mit den Worten seines Gewährsmannes J. Locke zum Ausdruck, der definitiv erklärt, daß Gesetze gemacht werden „als Schutz und Gehege für das, was allen Mit­ gliedern der Gesellschaft eigen ist“ (1 119). c) R e c ht sst aat lic he r „ G l e ic h ge w i ch t s - und A u t o m a t i s m u s g l a u b e “ Das Kernproblem : Rechtsstaat oder Wohlfahrtsstaat Wie wir gesehen haben, gibt es im Rechtsstaat mit seiner individualistisch­ positivistischen Rechtswerdung eine sichere Garantie weder dafür, daß die Gesetze immer gut und gerecht sind, noch daß sie es durch Läuterung werden. Die Frage, wie das soziale Problem gelöst werden soll, wenn kein Wert darauf gelegt wird, daß die Gesetze immer objektiv gerecht zu sein haben, wird wieder akut. Läßt sich das soziale Problem überhaupt von der Basis individueller, staatlich gesicherter Freiheitsrechte begreifen und verwirklichen ? Auch K. M arx hat die gleiche Fragestellung zum Ausgangspunkt seines Frontal­ angriffes gegen die Rechtsstaats-Idee genommen. Die denkwürdige Leistung der

106

Individualistische Sozialmetaphysik

Marx*sehen Analyse besteht darin, was auch Böhm zugibt (1 134), daß hier das kritische Augenmerk von der rechtsstaatlich-internen Sorge um das mögliche Überhandnehmen der exekutiven Gewalt weg auf das Kernproblem gerichtet wird, ob die sozialethischen Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Ge­ rechtigkeit für alle überhaupt auf rechtsstaatlicher Basis verwirklicht werden können, was K. Marx entschieden verneint. Mit anderen Worten: Müssen wir uns nicht, wie die Rechtsstaatsgegner behaupten, um der sozialen Belange und Notwendigkeiten willen mit einem gewissen Maß an interventionistischen Lenkungsmaßnahmen abfinden, die selbstverständlich ohne ein entsprechendes Opfer an privater Entschluß- und Handlungsfreiheit undenkbar sind ? Wie aktuell diese Frage ist, ergibt sich aus der Tatsache, die auch Böhm erwähnt, daß seit K. Marx, der die Rechtsstaatsidee als reaktionäre Interessentenideologie bekämpft hat, zum erstenmal in der Geschichte die soziale Revolution sich nicht nur von der rechtsstaatlichen Revolution getrennt, sondern ihr den Kampf angesagt hat. Die Wiedervereinigung der sozialen mit der rechtsstaatlichen Bewegung ist bis zur Stunde noch nicht erfolgt (1 136, 169). Im Grunde handelt es sich hierbei um die Alternativfrage, ob der moderne Staat nur als Rechtsstaat oder als Wohlfahrtsstaat im neoliberalen Sinne des Exekutivstaates dem sozialen Anliegen voll gerecht zu werden vermag. Während die Gegner des Rechtsstaates davon überzeugt sind, daß dieser Staat auf Grund einseitiger Begünstigung besitzender Kreise eine Gesellschaft konstituiert, in der sich der Impuls: der sozialen Wohlfahrt mit aller Kraft zu dienen, gar nicht entwickeln kann, sind F. Böhm und die Neoliberalen, die in der sozialistischen Bejahung des Herrschafts­ elementes im Rahmen des Wohlfahrtsstaates eine „dogmatisch bedingte Rechts­ staats-Blindheit“ sehen, entgegengesetzter Meinung. Sie behaupten ihrerseits, daß es „wenigstens im großen und ganzen“ möglich sei, die soziale Frage mit rechtsstaatlichen Mitteln zu lösen (1169, 101 ; k 95). Privatrechtlich-institutioneller „Einpendelungspro^eß“ Die rechtsstaatliche Lösung der sozialen Frage gründet im Glauben an die aus­ gleichende Funktion gewisser Ordnungs- und Gleichgewichtstendenzen, deren Wirksamkeit auf institutionellem Wege zu sichern als Hauptaufgabe des Gesetzes gilt. Zu diesen Einrichtungen gehören nach Böhm die Privatrechtsinstitute, wie z. B. Privateigentum, Privatautonomie, Vertragsfreiheit, unbeschränkte Haftung und Wettbewerb (1 122, 134). Wie er versichert, ist eine ausgebildete Privatrechts­ ordnung erfahrungsgemäß durchaus geeignet, die Entstehung einer differenzierten arbeitsteiligen Gesellschaft zu ermöglichen und den sozialen Kooperationsprozeß zwischen frei und autonom planenden Privatrechtssubjekten zureichend durch-

Das Soziale als interindividu elles Gleichgewichtsproblem

107

sichtig, klar und sinnvoll zu ordnen. Je mehr durch das Gesetz jegliche Macht ausgeschaltet werde, desto reiner würden sich" die mittelbaren Ordnungsfunk­ tionen der einzelnen Privatrechtseinrichtungen durchsetzen. Außerdem kämen dann gewisse vorgegebene außerrechtliche „soziale Gleichgewichtstendenzen“ zum Zuge, worunter Böhm die spontanen Reaktionen aller Wirtschaftsbeteiligten ver­ steht, von denen die steuernde Kraft der Marktpreise abhängt (1122). Die nominalistische Theorie vom mechanisch-anonymen Charakter des angeblich gleichgewichtigen Sozialprozesses wird also durch das Rechtsstaats-Denken privatrechtlich-institutionell unterbaut und ordnungspolitisch begründet. Da jedes Individuum bei seinen Reaktionen die für alle gleichen Gesetze beachten und auf Grund seiner Machtlosigkeit den eigenen Erfolg durch den Dienst an den Inter­ essen der anderen erstreben müsse, komme ein gewisser „Einpendelungsvorgang“ zustande, der nicht etwa durch den unberechenbaren Willen einer einzelnen Regierungsautorität, sondern durch allgemeine Rechts- und Gleichgewichts­ gesetze gelenkt werde (1 153). Wie Böhm erklärt, erstreben alle Gleichgewichts­ theoretiker eine Begrenzung der exekutiven Gewalt, wie umgekehrt Menschen, die eine Begrenzung der Gewalt und eine Herrschaft des Gesetzes anstreben, sich zu irgendeiner Gleichgewichtstheorie bekennen. Da beides auf den Rechtsstaat zutrifft, lebt er von Gleichgewichtstheorien (1 111). Aus diesem Grunde habe der Rechtsstaatler eine sehr hohe Meinung von der Kraft einiger weniger elementarer Rechts­ normen, Rechtseinrichtungen, Faustregeln und Gleichgewichtstendenzen, eine Ge­ sellschaft „einigermaßen zufriedenstellend zu lenken und zu ordnen“, und eine sehr geringe Meinung von dem, was man Staats- und Organisationskunst nennt (1154). Die privatrechtlich-institutionelle Gleichgewichtstheorie bedingt andererseits die rechtsstaatliche Reserve gegenüber der staatlichen Sozialgesetzgebung. Zwar wird die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ausgleichskorrektur des Gleichgewichts­ mechanismus anerkannt, da das Sozialgesetz jedoch auf dem Prinzip der Privile­ gierung beruht und somit von der rechtsstaatlichen Gesetzesvorstellung abweicht, wird es nur unter deutlichem Vorbehalt hingenommen. Was den Rechtsstaatler einigermaßen damit versöhnt. Schwache gesetzlich zu privilegieren, ist das funktionaltheoretisch-utilitaristische Kalkül, daß der bezweckte Ausgleich fak­ tischer Machtungleichheiten und Chancenverschiedenheiten geeignet sei, „das Spielen der Gleichgewichtstendenzen wirksamer zu machen“ . Das Sozialgesetz, das grundsätzlich nur als die abweichende Ausnahme der rechtsstaatlichen Regel hingenommen wird, hat als „künstliche Stütze“ lediglich die Funktion, die von ihm Privilegierten in eine gesellschaftliche Position hineinwachsen zu lassen, die als dauerhafte „faktische Stütze“ das Sozialgesetz abzulösen und so den „Ein­ pendelungsprozeß“ der privaten Interessen für die Dauer gleichgewichtig zu gestalten imstande ist.

108

Individualistische Sozialmetaphysik

Um zu verhüten, daß die sozialpolitische Stützungstendenz zu einem Instrument gruppenegoistischer Interessenpolitik umgeformt und der Rechtsstaats-Gedanke auf diese Weise ausgehöhlt wird, soll jeder hoheitliche Eingriff, von äußersten Notfällen abgesehen, nicht durch ein die Exekutive ermächtigendes, sondern für jeden Sonderfall bewilligtes und mit entsprechenden Ausführungsbestimmungen versehenes Gesetz getragen werden. Die damit gegebene Schwerfälligkeit der sozialgesetzlichen Interventionspolitik wird bewußt als zu zahlender Preis ein­ geplant im Vertrauen darauf, daß „asketisches Dulden“ im Hinblick auf die Ordnungskraft bewährter institutioneller Gleichgewichtstendenzen auf weite Sicht mehr Frucht bringe als die raschen, „aber fast niemals erfolgreichen Korrek­ turen“ exekutiver Lenkungspolitik. Die „soziale Tatkraft“ des Rechtsstaates habe sich in der Weise zu bewähren und zugleich zu beschränken, daß er durch Verbesserung der Gesetze die Bedingungen für die ungeminderte Funktions­ fähigkeit der institutionellen Gleichgewichtstendenzen sicherstellt: zum Wohle der ganzen Gesellschaft und damit auch der wirtschaftlich schwachen Schichten. Das soziale Problem in seinen akuten Erscheinungsformen soll demnach auf indirektem Weg über den „Ordnungsrahmen der Gesellschaft“ einer Lösung zugeführt werden. Leitbild und zugleich Grenze dieser „sozialen“ Gesetzeskorrek­ turen ist faktisch der Gleichgewichtszustand. Die Lösung der sozialen Frage wird demnach als spontanes Ergebnis funktionsfähiger, institutioneller Gleich­ gewichtstendenzen interpretiert (1 161 f., 163, 123f., 170L). Eine für immer gültige Bestätigung erhielt „der Gleichgewichts- und Auto­ matismusglaube“ des Rechtsstaatlers (1 154) bzw. seine These von der auto­ matischen Ordnungskraft der „individuellen Freiheit unter dem Gesetz“ durch die Theorie der klassischen Nationalökonomie von der sich selbst ordnenden freien Markt- und Wettbewerbswirtschaft, die nach F. Böhm als eine „denkwürdige Verfeinerung der Lehre vom Rechtsstaat“ (1 125, 134) zu werten ist. Die funda­ mentale Entdeckung und wissenschaftliche Erklärung „sozialer und wirtschaft­ licher Gleichgewichtstendenzen“ habe erstmals die Gewißheit gegeben, daß die Herstellung der wirtschaftlichen Freiheit nicht zu sozialem Chaos und zu gesell­ schaftlicher Anarchie führe, sondern vielmehr „ein bewundernswürdig geordnetes Ineinandergreifen autonomer Handlungen und Pläne“ bewirke. Die Entdeckung, daß frei sich bildende Wettbewerbspreise die Pläne und Aktionen aller Wirt­ schaftsbeteiligten ohne rechtlichen Zwang sinnvoll zu koordinieren die Kraft besitzen, habe den rechtsstaatlichen Politikern die Möglichkeit gegeben, den Satz, daß Gesetze herrschen sollten und nicht Menschen, auch auf den Bereich der Wirtschaft auszudehnen und damit der Freiheit ein neues unermeßliches Gebiet zu erobern (125 f.).

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

109

Synthese \ wischen sozialem undpolitischem Freiheitsanliegen Damit erscheint die rechtsstaatliche These als erwiesen, daß in einer nur vom Gesetz, von der Privatrechts-Ordnung gelenkten Gesellschaft die sozialen Spannungen sich von selbst ausgleichen und die Lösung der sozialen Frage ohne nennenswerten bürgerlichen Freiheitsverlust möglich ist. Da das wirtschaftliche Zusammenwirken aller um so geordneter und ergiebiger sei, je mehr Freiheit dem einzelnen gewährt werde, können im Rechtsstaat im Gegensatz zum Wohlfahrts­ staat die wirtschaftenden Individuen gar nicht genug Freiheit haben (1 143). Die wechselseitige Bedingtheit zwischen der „Freiheit unter dem Gesetz“ und der faktischen Lösung der sozialen Frage steht für Böhm außer Zweifel; einmal deshalb, weil unter der alleinigen Herrschaft des Gesetzes dem einzelnen weit­ gehende Freiheit zur autonomen Planung und Gestaltung der eigenen Angelegen­ heiten und selbstgesetzter Zwecke jeder Art garantiert wird (k 92); zum anderen, weil jeder einzelne durch das Gesetz veranlaßt wird, bei seinem Planen und Handeln aus Gründen der Selbsterhaltung das Dasein ebenso wie das Personsein und das gleiche Recht seiner Mitmenschen gebührend zu respektieren (1 112). Abschließend kommt Böhm zu dem Ergebnis, daß die Privatrechtsordnung und das nach Art eines Gesetzes wirkende System freier Marktpreise als „wirtschaftsund staatsordnende Kräfte höchsten Ranges“ einzuschätzen seien (1 166). Halte man sich an das rechtsstaatliche Programm, so erziele man einen klar und durchsichtig aufgebauten Staat mit einer leistungsfähigen, grundsatzorientierten und parlamentarisch kontrollierbaren Exekutive, und eine durch Gesetz und Gleichgewichtstendenzen streng und klar geordnete Gesellschaft mit einem Minimum an Machtverfilzungen und einem Maximum an individueller Freiheit (1 165). Rechtsstaatlicher Auffassung nach sind damit die Voraussetzungen für eine echte Synthese zwischen dem sozialen Anliegen und dem politischen Frei­ heitsanliegen gegeben, so daß nach Böhm die Frage, ob die soziale Revolution sich mit dem uralten Kampf um den Rechtsstaat wieder versöhnen lasse (k 95), zu bejahen ist. Um so unbegreiflicher ist es für ihn, daß gerade diejenige Elite von Menschen, die zwei Jahrtausende hindurch das Banner des Rechtsstaates hochgehalten habe, seit einem Jahrhundert ins Gegenlager übergegangen sei und heute ihre Anhänger unter dem Banner des Sozialfortschritts in den Kampf gegen die rechtsstaatliche Idee führe. Er hält diesen „Frontwechsel“ für einen „tragischen geistesgeschichtlichen Irrtum“ (1 100).

110

Individualistische Sozialmetaphysik

Z usam m enfassung und S te llu n g n a h m e (zu 1) Fassen wir die Argumentation F. Böhms zusammen, kommen wir zu folgendem Ergebnis: Die rechtsstaatliche Lösung der sozialen Frage wird grundsätzlich als ein Gleichgewichts- oder Einpendelungsproblem zwischen absolut gleich­ berechtigten, frei und autonom planenden Privatrechtssubjekten begriffen, die unter der Voraussetzung relativer Machtlosigkeit im Rahmen einer gesicherten Privatrechtsordnung in eine „soziale Lage“ versetzt werden, die egoistisches Individualverhalten unmöglich macht oder zum mindesten sehr erschwert. Das utilitaristische Kalkül, daß die eigene Existenz nur durch die Respektierung der gleichen Rechte anderer, durch den Dienst an den Interessen anderer und durch loyale Einhaltung inter individueller „Spielregeln“ gesichert werden kann, er­ weist sich als spontaner Ordnungsimpuls. Das Soziale in seinen verschiedenen Erscheinungsformen wird demnach apriori vom Individuum und seinen Rechts­ ansprüchen her bestimmt. Es erhält faktisch die Bedeutung des richtigen interindividuellen Nebeneinanders autonomer Privatrechtsträger, aus dem sich auto­ matisch das geordnete Ganze ergibt.

Individualistischer Gemeinmhlbegriff Damit ist der Gemeinwohl-Begriff des Gleichgewichtstheoretikers F. Böhm ge­ kennzeichnet. Das Gesamtwohl ist für ihn im Grunde nichts anderes als das spontane Resultat institutionell gesicherter, individueller Planungs- und Hand­ lungsfreiheit in der Realisierung eigener Angelegenheiten und selbstgesetzter Zwecke jeder Art (k 92). Es ist auf Grund seiner mechanischen Integration individualistisch determiniert. Die Realität eines objektiv vorgegebenen, über­ individuellen, allgemeinverbindlichen und daher unter Umständen erzwingbaren sozialen Ganzheitswertes wird als totalitär und freiheitsgefährdend abgelehnt, da er eine authentische und autoritäre Interpretation voraussetzt, die grundsätz­ lich als unerträgliches „Dreinreden“, als „Kollektivvorhaben“ und als „Willkür“ eingestuft wird (1 118; k 92). Absolutes Mißtrauen gegen jede Macht und gegen ein staatlich-autoritatives Weisungsrecht bezüglich der Realisierung gemein­ nütziger Interessen ist für Böhms rechtsstaatliches Denken bestimmend. Selbst in den Fällen, wo unter dem Zwang eines gemeingefährlichen Notstandes das Prinzip der individualrechtlichen Autonomie zugunsten der staatlichen Direktive einge­ schränkt wird, bleibt die subjektive Ermessensfreiheit insofern normativ, als die Weisungsbefugnis politischer Organe theoretisch und praktisch von der freien, zeitlich begrenzten und verklausulierten Zustimmung der einzelnen abhängig gemacht wird. Wie sich später in der Gesellschaftstheorie Böhm noch zeigen

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

111

wird, ist hier der individualistische Rechtsmonismus, der nur die Rechte des Individuums als ursprüngliche Rechte gelten läßt, während die Rechte der Staatsautorität grundsätzlich als abgeleitete gewertet werden, relevant. Das Recht, ob als Gewohnheits- oder Gesetzesrecht, wird grundsätzlich als rein zweckhaftes Mittel zur Sicherung der individuellen Freiheitsrechte begriffen. Da für die Beinhaltung des rechtsstaatlichen Gesetzes weder die normative Idee des Guten noch ein sozialer Gesamtwert, sondern primär das subjektive, zeitgebundene und gruppen-egoistisch determinierte Wertempfinden der je­ weiligen Gesellschaft als allein zuständig anerkannt wird, ist die Gefahr, daß die antiautoritäre Einstellung und der Rechtssubjektivismus die soziale Orientierung verlieren und in das andere Extrem absinken, wie die moderne Rechtsstaats­ geschichte beweist, nicht wirksam genug zu bannen. Das „Opfer“, das die Rechtsstaats-Anhänger mit Pathos für die Freiheit zu bringen bereit sind, indem sie sich „der alleinigen Herrschaft der Gesetze“ beugen, besteht faktisch darin, daß sie mit dem teil weisen Verzicht auf unbegrenzte individuelle Aktionsfreiheit die möglichst reibungslose und darum erfolgversprechende Realisierung selbst­ gesetzter Zwecke insgesamt einzutauschen beabsichtigen. Es ist ein Opfer, das dem lukrativen Selbstinteresse, nicht aber der Gemeinverantwortung gebracht wird. Mißdeutung von Aristoteles und Thomas von Aquin Für die eigentliche sozialethisch-ganzheitliche Sicht und Lösung des sozialen Problems findet sich in der Rechtsstaats-Theorie kein Ansatzpunkt. Aus diesem Grunde ist es wissenschaftlich nicht zu vertreten, daß Aristoteles von Böhm als einer der geistigen Ahnen der neoliberalen Rechtsstaats-Philosophie betrachtet und damit individualistisch interpretiert wird (1 111, 123, 128, 167). Die aristo­ telische Staats- und Rechtsphilosophie zentriert sich um einen ausgesprochen sozialethisch beinhalteten Gemeinwohlbegriff, der als das „göttlichere“ Wohl gegenüber dem Eigen wohl aufgefaßt wird und daher einen geradezu „totalitären“ Charakter auf weist (U t^ o 323). Dem aristotelischen Satz, daß in einem geordneten Staatswesen nicht Menschen herrschen sollen, sondern das Gesetz, liegt ein völlig anders beinhaltetes Gesetz zugrunde als es nach Böhm (1 123) scheinen möchte. Es ist das aus der universalen Gemeinwohl-Verantwortung geborene Gesetz. Der Böhmysehe Begriffsnominalismus ist hier besonders offenkundig. Ebenso unmöglich ist es, Thomas v. Aquin, der den aristotelischen Gemeinwohl­ begriff aufgegriffen, im Sinne der Seinsanalogie umgeformt und zum ideologischen Angelpunkt seiner gesamten Philosophie gemacht hat (Ut%> o 323, 127ff.), als geistigen Vater des modernen Liberalismus zu bemühen. W'. Röpke verkennt, daß Thomas in seinen Spekulationen von einem überzeitlichen, absoluten, rein

112

Individualistische Sozialmetaphysik

ideellen, typisch ethischen Ordnungsgefüge der Gesellschaft, also von einem Abstraktionsgrad ausgeht, auf dem die moderne kontradistinguierende Frage nach den individuellen Freiheitsrechten einerseits und der staatlichen Autorität andererseits überhaupt nicht gestellt, die staatliche Autorität vielmehr ethisch begründet wird (vgl. Utξ, o 321, 326). Diese Tatsache verbietet es, den AquinaUn als Vertreter einer individualrechtlichen Sozialphilosophie zu zitieren, die „der Macht des Staates die Freiheitsrechte des einzelnen entgegensetzte“ (Röpke, i 16, 18). Die neoliberalen Rechtsstaatler übersehen offenbar, daß die Rechts­ staats-Idee, deren Verständnis von der Beinhaltung des Gemeinwohls als dem eigentlichen Schlüssel zum Verständnis jedes gesellschaftlichen Gebildes abhängt, im Laufe der Philosophiegeschichte zugleich mit dem Gemeinwohlbegriff einen grundlegenden Wandel zu verzeichnen hat. Der ideologische Werdegang des neoliberalen Rechtsstaatsgedankens reicht mit seinen Wurzeln nicht in die Staatsweisheit des klassischen Altertums, nicht in die „edelsten Traditionen der Menschheit“ (Böhm, 1 170f.), sondern im Grunde nur bis zur nominalistischen Wende hinab. Ideologisch gesehen mußte die philosophisch-empiristische Auf­ spaltung und aktualistische Umwertung des Personbegriffes, die das Spannungs­ verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und Gemeinwohl zugunsten ver­ absolutierter individueller Freiheitsrechte aufgelöst hat, den klassischen Staats­ gedanken in seinem Kern treffen. Wie Fr. Hauck hervorhebt, haben gerade die Griechen, die im Gegensatz zum Orient das Individuum, sein Eigenleben und sein Eigenrecht entdeckt haben, die Verpflichtung des einzelnen für die Gemein­ schaft ganz stark empfunden, indem jeder einzelne bewußt aus der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft gelebt hat (ThWb 791). F. A . Hayek spricht ebenfalls von der „Zerstörung des Rechtsstaates“ . Er führt sie auf die „sozialistische Jurisprudenz“ und, durchaus zu Recht, auf den „juristischen Positivismus“ zurück. Allerdings übersieht auch Hayek, daß der Rechtspositivismus nicht als das Ergebnis einer „Abkehr von der liberalen Tradition“, die angeblich erst um das Jahr 1870 begann, zu betrachten ist. Er geht vielmehr in seinen geistigen Wurzeln bis zur nominalistischen Aufklärung zurück, die, wie sich zeigen ließ, auf Grund des verabsolutierten Individualismus eine metajuristische Normierung des Rechtes und der Gerechtigkeit ablehnte (e 57, 60f.). Zwischen dem von F. Böhm postulierten modernen Rechtsstaat, der als Hüter privater Interessen, als „Liftboy des Privatrechtsverkehrs“ (1123), als Briefmarken verkaufender Beamter oder als Markt-Polizist und Schiedsrichter eine völlig unschöpferische Funktion zu erfüllen hat, einerseits und dem politischen Ethos der aristotelischen „sozietas perfecta“ , der griechischen Polis und der römischen Staatsphilosophie andererseits gibt es keine genuine ideologische Verbindung, es sei denn die des nominalistischen Verfalls.

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

113

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die bis zur Stunde bestehende Kontroverse zwischen den Rechtsstaats- und Wohlfahrtsstaats-Anhängern im Grunde eine Kontroverse um den jeweiligen Gemeinwohl-Begriff und seine Realisierung ist. Und zwar steht die rechts staatliche Konzeption des Gesamtwohls als mechanisch­ additives Resultat des privatrechtlich gesicherten Individualinteresses der poli­ tischen, theoretisch auf das Ganze und die jeweilige soziale Situation bezogenen Interpretation des Gemeinwohls gegenüber. Die intendierte Lösung des Konfliktes zwischen der rechtsstaatlichen und sozialen Revolution wird also primär von der sozialphilosophischen Klärung bestimmter Grundsatzfragen ausgehen müssen, zu denen in erster Linie die Fragen nach dem Menschenbild und nach der sachgerechten Beinhaltung des Gesamtwohles gehören. Diese Erkenntnis scheint sich auch im Wissenschaftlichen Beirat durch­ gesetzt zu haben. Dieses Gremium, das sich aus etwa 20 Universitätslehrern verschiedener wirtschaf tstheoretischer „Lager“ zusammensetzt, erhielt die Aufgabe, grundsätzliche Normen und theoretische Erkenntnisse für eine gesunde, dauer­ hafte Gesellschaftsordnung zu erarbeiten und das Wirtschaftsministerium der Bundesrepublik in wichtigen Fragen zu beraten. Die Notwendigkeit, die noch bestehenden Gegensätze in der wirtschaftstheoretischen Auffassung, die sich im wesentlichen um die Position der Neoliberalen und Neosozialisten zentrieren, durch ein klärendes Vordringen bis zu den sozialphilosophischen Grundpositionen und letzten Prämissen beider Richtungen zu überbrücken, hat nach vierjähriger Arbeit zur Einsetzung eines vierköpfigen Grundsatzausschusses geführt. Dieser wurde beauftragt, „die Grundlage für eine umfassende Grundsatzdiskussion und Grundsatzbesinnung“ zu schaffen (Böhm, k 72 f.). Versuch einer sozialethisehen Rückorientierung Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die zwiespältige Haltung F. Böhms. Es ist bei ihm, wie auch bei W. Eucken, zu unterscheiden zwischen dem ortho­ doxen Gleichgewichtstheoretiker und dem für philosophische Argumente zu­ gänglichen, gegenwartsverantwortlichen Mitglied des Grundsatzausschusses. Nach Böhms Darstellung führte die gemeinsame philosophische Besinnung, deren Notwendigkeit er anerkennt, zunächst zur Einigung über eine „elementare Basisfrage“, nämlich darüber, „daß der Mensch für den Menschen verantwortlich ist“. Böhm faßt dieses „Grundpostulat“ noch genauer: jeder einzelne solle nach Maßgabe seiner Kräfte und Fähigkeiten mit dazu beitragen, daß alle Menschen ein menschenwürdiges Dasein führen können; die Gesamtheit der beitragsfähigen Gesellschaftsglieder habe nicht nur sich selbst, sondern auch die Gesamtheit der nichtbeitragsfähigen Menschen mitzuerhalten. Mit dieser geradezu klassisch-

114

Individualistische Sozialmetaphysik

sozialethischen Umschreibung charakterisiert er das echte gesellschaftlich­ soziale Phänomen, das der Sozialphilosoph bezeichnet als „Wechsel­ einung“ auf Grund eines für alle sittlich verpflichtenden und das Bewußtsein aller zusammenkettenden gemeinsamen sozialen Wertes, des Gesamt­ wohls: „Einer für alle, alle für alle“ ; jeder einzelne übernimmt bewußt Teilfunktion in der Realisierung eines gemeinsamen verbindlichen intentionalen Gehaltes (vgl. ί/Λζ, o 43f.). F. Böhm zieht aus dem sozialethischen „Grundpostulat“ auch die praktischen Konsequenzen und zwar in der wichtigen Verteilungsfrage. Da der einzelne im gesellschaftlich-produktiven, arbeitsteiligen Zusammenwirken nicht für sich selbst, sondern für die Gesellschaft produziere, ist seiner Ansicht nach die Frage der gerechten Verteilung jedenfalls ein ge sel lschaftl iches Problem, das die Frage nach der verteilenden Gerechtigkeit aufwerfe. Die spezifisch marktwirt­ schaftliche Verteilung nach dem Prinzip der bilateralen, austauschmäßigen Entgeltlichkeit und nach dem Prinzip des Unternehmergewinnes könne an sich nicht den Anspruch erheben, „eine gesellschaftlich befriedigende Endlösung zu sein, sondern bestenfalls den Anspruch, eine provisorische Vorweglösung dar­ zustellen, die einer letztinstanzlichen Kritik unter dem Aspekt der Gerechtigkeit zugänglich und bedürftig“ sei. Er gibt zu, daß zwischen diesem sozialethischen Postulat und der sozialen Wirklichkeit eine „sehr erhebliche Diskrepanz“ bestehe, die keine „Selbstbeschwichtigung“ zulasse (k 85ff.). Die Analyse dieses Gedankenganges, den Böhm seinen Ausführungen über die Freiheitsordnung und soziale Frage, über das Problem des Rechts-Staates und des sozialen Wohlfahrts-Staates vorausschickt, führt zu folgendem Resultat: Zunächst setzt er ein Menschenbild voraus, das nicht nur auf sich selbst bezogen ist, nicht nur soziale Ansprüche stellt, sondern soziale Verpflichtungen anerkennt. Diese sozialethische Einstellung konkretisiert sich in der Bereitschaft, Verteüungsinterventionen anzuerkennen, die mit persönlichen Opfern verbunden und ohne gewisse autoritäre „Einmischung“ in bestehende Rechtsverhältnisse nicht durch­ führbar sind. Es wird ferner zugegeben, daß der Automatismus der äquivalenten, markt-mechanischen Verteilung nicht zu einem gerechten, in sozialer Hinsicht befriedigenden Ergebnis führt, sondern einer „letztinstanzlichen“ Kritik und Korrektur bedarf, die der sozialen Verantwortung für die Gesamtheit die Ver­ teilungsmaßstäbe für das legitim Verdiente entnimmt. Das individualistische Gemeinwohl als gleichgewichtsautomatisches Resultat des konkurrierenden Selbstinteresses gilt demnach nicht als mit dem Sozialwohl schlechthin identisch. Damit unterstreicht Böhm das sozialethische Postulat, daß, falls wir die berech­ tigten Forderungen des Menschenbildes an die Wirtschaftsordnung ernst nehmen wollen, nicht das Prinzip der individualrechtlich-automatischen Koordination,

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

115

sondern letzten Endes das der S u b o r d in a t io n unter die in zeitnaher Verant­ wortlichkeit immer wieder neu zu prüfenden Sachnotwendigkeiten des um­ fassenden Gesamtinteresses zum sozialen Ausgleich führt. Mit der anerkannten Notwendigkeit einer letztinstanzlichen Kritik und der verteilenden Gerechtigkeit setzt Böhm logischerweise auch eine letzte Instanz voraus, die in der Lage ist, das Sozialwohl autoritär zu interpretieren und dem­ entsprechende Weisungen zu geben. Daß eine solche sachgerechte Interpretation möglich ist, bestätigt die Existenz des Wissenschaftlichen Beirats, dessen Emp­ fehlung beispielsweise die sozialwirtschaftlich folgenschwere Grundsatzentschei­ dung der Bundesrepublik für die freie Marktwirtschaft mitbedingt hat (k 70f.). Böhm sieht die eigentliche Bedeutung der bisherigen Arbeit des Grundsatz­ ausschusses gerade darin, daß die gemeinsame philosophische Besinnung „zu einer Bereicherung der Gesichtspunkte und zu einer Annäherung und beider­ seitigen Korrektur der Ansichten geführt habe“ (90f.) ; näherhin: daß der „soziale Wohlfahrtszweck“ als das eigentliche Ziel der Politik allgemein an­ genommen, „sehr viel substantiierter definiert“ und „das Bewußtsein von seiner Wichtigkeit und seinem Rang geschärft worden ist“ (1 168). Offenbar ist hier ein Weg beschritten worden, der der Lösung des Konfliktes von den philo­ sophischen Prämissen her und in bewußt teleologischer Orientierung näher­ zukommen sucht. Verwischung des Begriffes „ Wohlfahrtsstaat“ Es wirkt zunächst verblüffend, daß Böhm in seinem methodologischen Vorgehen jedoch einen völlig anderen Weg einschlägt. Der offenkundige, nahezu alle Teilfragen berührende Gegensatz zwischen der sozialethischen Präambel und der rechts staatlichen Doktrin Böhms wird nicht etwa im Interesse der Sache klar herausgearbeitet, sondern einfach ausgeklammert. Die Tatsache, daß im Grund­ satzausschuß die Frage nach dem Menschenbild und nach dem sozialen Wohl­ fahrtszweck gemeinsam gestellt worden ist, genügt Böhm, um bereits von völliger Übereinstimmung in der sozialethischen und sozialphilosophischen Grundposition sprechen zu können. Meinungsverschiedenheiten gibt es seiner Ansicht nach eigentlich nur noch in nachgeordneten Fragen der „Soziotechnik“, bei denen es sich nicht mehr um letzte Fragen der Philosophie, der Sozialethik, des Menschen­ bildes, der Weltanschauung, sondern nur noch um eine „Verfahrensfrage“ handelt, wie etwas als richtig Erkanntes „in die rauhe Wirklichkeit des sozialen Alltags überführt werden soll“ (k 87). Aus diesem Grunde sieht er bewußt von der Gruppe jener Argumente ab, die dem rechtsstaatlichen und wohlfahrtsstaat­ lichen Einigungsproblem teleologisch beizukommen suchen, etwa auf dem Wege

116

Individualistische Sozialmetaphysik

über wirtschaftspolitische, sozialpolitische und staatspolitische Erwägungen, bei denen es im wesentlichen um Fragen der Zielsetzung, „vielleicht auch um Fragen der sozialen Gerechtigkeit“ (k 90 f.) geht. Der nächste Schritt ist der, daß Böhm, um „falsche Alternativen“ zu vermeiden, kurzerhand beide Staatsformen zu „Wohlfahrtsstaaten“ erklärt, die beide das gleiche Ziel: den sozialen Wohlfahrtszweck, anstreben. Zwar gibt er zu, daß es sich bei beiden Verfassungen um einen jeweils anderen „Baugedanken“ und um eine andere „Ordnungskraft“ handelt: um das Gesetz und um den politischen Gestaltungswillen, er interpretiert aber diese Verschiedenheit rein verfahrens­ technisch, indem er beide auf das gleiche Ziel ausgerichtet sein läßt (1 167). Hinzukommt, daß er als konsequenter Neoliberaler den Wohlfahrtszweck als automatisches „Naturergebnis“ des konkurrierenden Selbst intéresses begreift, dessen Ordnungspotenz und Integrationskraft wesentlich von der privatrechtlich gesicherten Entschluß- und Handlungsfreiheit abhängen. Logischerweise ist für ihn das zur Debatte stehende Einigungsproblem nur eine Freiheitsfrage bzw. eine Dosierungsfrage des Freiheits- und Herrschaftselementes, bei der es nicht darauf ankommt, was beide Faktoren leisten können, um etwa die sozialen Fragen zu lösen (k 91). Beide Elemente erfüllen lediglich die Funktion von „sozio-technischen Kategorien“ (k 93), die als solche nicht nach philosophischen Grundfragen zu beurteilen seien, sondern höchstens die Frage aufwerfen, bei welchem von beiden Systemen ein „Plus an Vernunftgehalt“ (1 154) vermutet werden dürfe. Da Böhm das vorliegende Problem nicht teleologisch, sondern kausal-verfahrens­ technisch zu lösen sucht, steht für ihn verständlicherweise die Frage im Vorder­ grund des Interesses, wie sich Menschen „vermutlich“ verhalten, wenn sie unter den Bedingungen eines Rechtsstaates oder eines Exekutivstaates wirtschaften. Die Beantwortung ist seiner Ansicht nach wiederum nicht Sache der Philosophie, sondern des „psychologischen, soziologischen und politischen Kalküls“ (1 168) und liegt empirisch fest. Bejahen die Menschen die „Freiheit unter dem Gesetz“, dann beachten sie die „schöpfungsmäßigen Ordnungstafeln und Wegweiser“, also die natürlichen „Automatismen“, während umgekehrt das Element der Herrschaft erfahrungsgemäß die Tendenz und Fähigkeit habe, das Element der Freiheit zu verdrängen und die Wegweiser zu denaturieren (1 99f.). Vom neo­ liberalen Apriori und von der psychologischen Erfahrung her betrachtet ist damit auch die Entscheidung über das „Plus an Vernunftgehalt“ der beiden möglichen Wege gefallen, wobei jedoch festzuhalten ist, daß Böhm die Vernunft nur auf das reibungslose Verfahren, nicht aber auf die Zielsetzung bezieht, die ja angeblich in jedem Fall die gleiche ist.

Das Soziale als interindividuelles Gleichgewichtsproblem

117

Jedenfalls fühlt sich Böhm daraufhin berechtigt, die Rechtsstaatsgegner mit einem Sarkasmus zu traktieren, der ein ernsthaftes wissenschaftliches Gespräch ungemein erschwert. In der Rechtsstaatsfeindschaft sieht er lediglich eine intellek­ tuelle Mode der unpolitischen, ideenschwachen, vergessenen soziologischen Mittelschichten innerhalb der modernen Industriegesellschaft; weiterhin die Blüte eines historisierenden und soziologisierenden Halb- und Scheinwissens von Spießbürgern und Stammtischstrategen; endlich das geistige Gemeingut weiter bürgerlicher Schichten, unter denen die Kunstmaler, Musiker, Schriftsteller und Geistlichen offenbar besonders geeignet sind, die Inkompetenz der Mittelschicht für derartige Fragen zu demonstrieren (1 146). Die erforderliche Wiedervereini­ gung zwischen der rechtsstaatlichen und sozialen Bewegung sei nur durch eine grundsätzliche Umbesinnung zu vollziehen und zwar in dem Sinne, daß die Rechtsstaatsgegner aufhören, die Grenze zwischen sozialem Fortschritt und Reaktion an einer falschen Stelle zu ziehen, und ihre Bekehrung zum Rechts­ staatsgedanken durch die „entschlossene Preisgabe des Exekutivstaates“ doku­ mentieren (1 173f., 169). Gesamtbeurteilung des Böhmischen Gedankenganges Vom Standpunkt der Logik und Sozialphilosophie her ist F . Böhms methodisches Vorgehen folgendermaßen zu beurteilen: Der Versuch, den bestehenden Konflikt zwischen der rechtsstaatlichen und der sozialen Bewegung von der Basis soziotechnischer Verfahrensfragen aus lösen zu wollen, muß apriori scheitern, weil er die eigentliche Problemstellung verfehlt. Die Ursache dafür liegt in Böhms begriffsnominalistischer Manipulation, beide Verfassungssysteme als Wohlfahrtsstaaten zu erklären, die nicht zum Ausdruck bringt, daß zwischen dem „sozialen Wohlfahrtszweck“ der rechtsstaatlich­ individualistischen und der wohlfahrtsstaatlich-politischen Interpretation ein wesentlicher Unterschied besteht, der beiden Systemen vom Ziele her einen jeweils verschiedenen Baugedanken gibt. Die Tatsache, daß gerade der privatrechtlich gesicherte Gleichgewichts- und Automatismusglaube die bestehende Diskrepanz beider Auffassungen bedingt, hindert Böhm nicht daran, seine gesamte Beweisführung auf diesem umstrittenen neoliberalen Dogma aufzubauen und unlogischer weise das als bewiesen voraus­ zusetzen, was zu beweisen ist. Zwischen der sozialethischen Präambel, die die Klärung der ideologischen Prämissen beider Systeme und die substantiierte Beinhaltung des für alle verbindlichen Wohlfahrtszweckes zum einzig erfolg­ versprechenden Ausgangspunkt praktisch-wirtschaftspolitischer Überlegungen wählt, und der neoliberal-orthodoxen Gleichgewichtstheorie Böhms gibt es keine

118

Individualistische Sorialmetaphysik

Brücke. Die vorausgeschickte sozialphilosophische Besinnung, von der sich Böhm für die Zukunft noch einiges verspricht, hat für seine gesamte Argumentation lediglich dekorativen Wert. Da wir uns mit der neoliberalen GemeinwohlTheorie später noch ausführlich zu befassen haben, genügt hier die Feststellung, daß eine echte Synthese zwischen dem im wahren Sinne rechtsstaatlichen und sozialen Anliegen nur dann realisierbar ist, wenn die verantwortlichen Träger beider Ordnungskräfte sich auf den für das soziale Gesamtinteresse repräsen­ tativen, einheitskonstitutiven Sozialwert besinnen, seinen objektiven, der sozialen Situation entsprechenden Gehalt noch substantiierter als bisher definieren und zur verbindlichen Norm erklären. Nur dann wird die sozialistische Behauptung gegenstandslos, daß auf der Basis der rechtsstaatlichen Ideologie sich ein echter sozialer Impuls nicht entwickeln könne. 2. Das Sodale als funktionaltbeoretisches Ordnmgsproblem (W . Eue km ) Wie wir bisher gesehen haben, manifestiert sich das soziale Problem in der neo­ liberalen Spekulation als ein typisches Freiheitsproblem, dessen Lösung um so dringlicher erscheint, da es sich bei der Freiheit in den verschiedenen Lebens­ bereichen um den personalen Höchstwert schlechthin handelt. Ein weiteres Element tritt hinzu, das sich als typisch neoliberal erweist. Es ist durch die von den Fehlem des alten Liberalismus gewonnene Erkenntnis bedingt, daß die durch Beseitigung unzähliger alter Bindungen zur Entfaltung gebrachte Freiheit sich nicht selbst überlassen bleiben darf, wenn die Gewährung von Freiheit nicht eine Gefahr für die Freiheit werden soll. Diesem Drang nach Sicherung der Freiheit entspringt im Grunde die Rechtsstaatsidee, die als ein „geschichtlich­ universales Phänomen“ überall da erscheint, „wo mit der Realisierung der Freiheit ernst gemacht wird“ {Euchen, h 48). Ist mit der Realisierung des Rechtsstaates allein eine hinreichende Garantie dafür geboten, daß die individuelle Aktionsfreiheit ihre entscheidende Antriebs- und Ausgleichsfunktion erfüllt? W. Euchen, der dieser Frage seine besondere Auf­ merksamkeit gewidmet und die Intentionen des Freiburger Ordo-Liberalismus darauf gerichtet hat, antwortet mit einem generellen Nein, das sich vor allem auf den Bereich der Wirtschaft bezieht (h 49 f.). Neben der individualrechtlichen Sicherung der Freiheit hält er außerdem für notwendig, durch bestimmte Ord­ nungsformen das autonome Planen und Handeln der einzelnen so zu steuern, daß ohne gegenseitige Behinderung und ohne freiheitsfeindliche Reglementierung von oben ein ausgeglichener „sozialer“ Wirkzusammenhang entsteht. Die frei­ heitliche Lösung der sozialen Frage hängt demnach nicht nur von individual­ rechtlichen, sondern ebenso auch von ordnungspolitischen Sicherungen ab, die

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

119

das intendierte interaktionäre Gleichgewicht konstituieren. Die funktional­ theoretische Bewandtnis des sozialen Problems wird damit offenbar und klar herausgestellt. Sie läßt sich im neoliberalen Sinn in drei Thesen zusammenfassen : a) Die einheitliche Ordnungs-Konzeption als Kriterium der „sozialen Moral“, b) die pro­ duktionsintensive Reflexion als „sozialer“ Ordnungs Impuls, c) die funktionsfähige Wett­ bewerbsordnung als „sozialer“ Ordnungs-Inhalt. a) D ie einheitliche O r d n u n g s - K o n z e p t i o n als K r i te r iu m der „ s o z i a l e n “ Moral Wirtschaftsordnung als legitimer Rahmen der Freiheit Um die Gefahr zu illustrieren, die trotz verfassungsmäßig gesicherter Grund­ rechte für die individuelle Freiheit besteht, weist W. Eucken auf die Vermachtung des Marktes hin. Wenn z. B. das Recht auf Privateigentum zu Monopolen führt, ist die Freiheit von vornherein sehr eingeengt. Das auf Grund der Vertragsfreiheit selbstgeschaffene Recht der privaten Geschäftsbedingungen, das Zwangsgewalt besitzt, hat das individuelle und auch staatliche Recht aus weiten Bereichen ver­ drängt und in seiner Einseitigkeit nicht selten Unrecht geschaffen. Hinzukommt, daß die Funktion von Rechtsinstitutionen zugleich mit der Marktform und dem Ordnungsgefüge der Wirtschaft variiert, z. B. das Eigentumsrecht. Wirtschafts­ formen zentraler Lenkung bedrohen das Recht von der staatlichen Seite her, indem staatliche Lenkungsfunktionäre gezwungen sind, in der Praxis rechts­ staatliche Garantien zu ignorieren. Wenn verhindert werden soll, daß die Frei­ heitsrechte sich gegenseitig aufheben und die rechtsstaatliche Freiheit für den einzelnen nur formalen Wert erhält, ist es nach Eucken absolut notwendig, auch die Wirtschaftsordnung als ordnungspolitische Aufgabe zu begreifen und zugleich mit der rechtsstaatlichen Ordnung eine „adäquate“ Wirtschaftsordnung zu reali­ sieren. Eine „freie, natürliche Ordnung“ entstehe nicht einfach dadurch, daß die Wirtschaftspolitik ihre Verwirklichung der Entwicklung überläßt, sondern nur dann, wenn sie selbst darauf gerichtet sei. Wie der Rechtsstaat, so müsse auch die Wirtschaftsordnung einen Rahmen schaffen, in dem die freie Betätigung des einzelnen durch die Freiheitssphäre des anderen begrenzt wird und die mensch­ lichen Freiheitsrechte ins Gleichgewicht kommen. Die wirtschaftliche Aktions­ freiheit erfüllt demnach nur insofern ihre soziale Funktion, als sie sich im Rahmen einer wirtschaftlichen Gesamtordnung realisiert, die einen Mißbrauch der indi­ viduellen Freiheit zum Schaden anderer unterbindet. Nach Eucken spitzt sich daher alles auf die Fragen zu: Welche Ordnungsformen gewähren Freiheit? Welche begrenzen zugleich den Mißbrauch der Freiheitsrechte ? Kann die Freiheit des einzelnen ordnungspolitisch so begrenzt werden, daß sie an der Freiheit der anderen ihre Grenze findet? (h 49f., 176f., 129, 53, 250, 179).

120

Individualistische Sozialmetaphysik

Grundgesetz der „sozialen“ Interdependenz Die Dringlichkeit des Ordnungsanliegens ist also klar erkannt und dement­ sprechend betont. Zur Begründung dessen weist W. Eucken auf ein soziologisches Gesetz hin, das für die sozialen Spekulationen ebenso wie für die Gesellschafts­ und Wirtschaftslehre des Neoliberalismus eine fundamentale Rolle spielt: das Grundgesetz der Interdependenz. Es hat die wechselseitige Abhängigkeit und gegenseitige Beeinflussung aller individuellen Pläne und Aktionen im zwischen­ menschlichen Wirkbereich zum Inhalt. Nach Eucken gibt es nichts, was nicht „sozialwichtig“ ist; keine wirtschaftspolitische Maßnahme, die nicht zugleich auch direkt oder indirekt „soziale Auswirkungen“ und „soziale Bedeutung“ hat (h 313). Auf Grund der Interdependenz aller Ordnungen kann das soziale Pro­ blem in seiner komplexen Bedeutung nur von der gesellschaftlichen und wirt­ schaftlichen Gesamtordnung her begriffen und gelöst werden. Die Beachtung der Interdependenz ist daher für die Lösung der sozialen Frage von fundamentaler Bedeutung. Sie macht es notwendig, daß die Ordnungsprinzipien der Wirtschaft mit den Prinzipien anderer Ordnungen von vornherein abgestimmt werden (h 312, 133). Identität von Wirtschaftsordnungspolitik und Sozialpolitik Die Bejahung und Realisierung einer positiven Wirtschaftsordnungspolitik, die im Rahmen einer bewußt gestalteten, umfassenden Gesamtordnung der interdependenten Einheit aller Einzelprobleme gerecht wird, bezeichnet W. Eucken als ein soziales Anliegen von eminenter Wichtigkeit (h 255). Wie Theorie und Erfahrung bestätigen, hängt z. B. die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung in erster Linie von den Arbeitsmärkten in ihrem Ordnungsaufbau und von den speziellen Ordnungsformen des Markt- und Geldsystems ab, die in der jeweiligen Gesamtordnung dominieren. Da letztere innerhalb der Verkehrs Wirtschaft für den Grad sozialer Sicherheit und für den Verteilungsprozeß entscheidend sind, haben wir nach Euckens Ansicht mit der Frage nach den speziellen Wirtschaftsordnungs­ formen die soziale Frage an einem „zentralen Punkt“ berührt (h 48). Arbeiter und alle, die sich in Not befinden, könnten mehr verlangen als Mitleid, Mildtätigkeit und sozial-politische Hilfe; sie hätten Anspruch auf eine Ordnung, die sie bejahen können, weil sie ihnen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht (k 313). Wer also soziale Interessen vertreten und die Entstehung neuer sozialer Fragen ver­ hüten wolle, habe jeglichen „Punktualismus“, der der universalen Bedeutung des Ordnungsanliegens nicht gerecht wird, zu vermeiden (h 313). Das ganzheitliche Ordnungswollen weist demnach apriori ausgesprochen „sozialen“ Charakter auf; es gilt nach Eucken geradezu als Wertmaßstab der

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

121

„sozialen Moral“ . Es komme alles darauf an, daß sich die soziale Gesinnung der Verantwortlichen in der Gestaltung der Ordnung äußere, daß der Ordnungs­ gedanke bewußt in die soziale Gesinnung mi taufgenommen werde (h 323). L. Miksch unterstreicht die Forderung unter Hinweis darauf, daß das Verhalten des einzelnen gewiß nicht gleichgültig, in wirtschaftlichen Fragen aber die Ordnung das Primäre sei. Auf die Wiederherstellung einer leistungsfähigen Ordnung müsse darum das „echte ethische und soziale Wollen“ gerichtet sein. Die „Versittlichung der Wirtschaftspolitik“ beginne nicht beim Individuum, sondern bei den Stellen, die für die Wirtschaftspolitik insgesamt verantwortlich sind (c 5). Die Identität zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ergibt sich daraus von selbst. W. Eucken bezeichnet es als eine seiner Hauptabsichten, immer wieder deutlich zu machen, daß die Sozialpolitik nicht als Anhängsel der übrigen Wirtschafts­ politik betrachtet werden darf. Das soziale Anliegen in seiner dringlichen Wichtig­ keit müsse für das gesamte Denken über jede Wirtschaftsordnung mitbestimmend sein, wie umgekehrt jede Sozialpolitik, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben wolle, in erster Linie Wirtschaftsordnungspolitik zu sein habe. Richtig verstandene Sozialpolitik sei universaler Art; sie sei identisch mit der Wirtschaftsverfassungs­ politik (h 312). Eucken stellt also mit bemerkenswertem Nachdruck die Forderung nach einer einheitlichen Ordnungs-Konzeption, die das wirtschaftliche und soziale Anliegen zu einer Ordnungseinheit zusammenfaßt. Er konzipiert seine Wirtschafts­ politik bewußt als Sozialpolitik, wie er umgekehrt die Sozialpolitik in der Wirt­ schaftspolitik aufgehen läßt. Auf den ersten Blick besteht hier ein Unterschied zur Theorie der „sozialen Marktwirtschaft“. A . Müller-Armack, der die Aufgabenbereiche des Wirtschafts­ und Sozialpolitikers getrennt sehen möchte (k 85 f., 97), spricht nur von einer „neuartigen Synthese“ zwischen dem Prinzip der Marktfreiheit und dem des sozialpolitischen Ausgleiches. Er ist davon überzeugt, damit die sozialen und soziologischen Probleme genügend berücksichtigt zu haben. Ob in der Kon­ zeption Müller-Armacks im Vergleich zur Ansicht Euckens ein sachlicher Unter­ schied besteht, wird sich herausstellen, sobald Klarheit über das eigentliche Ordnungskriterium gewonnen ist. Vorerst gilt der neoliberale Grundsatz, der sich aus der Identität zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ergibt, daß die beste Wirtschaftspolitik zugleich auch als die beste Sozialpolitik zu gelten habe. Für die sozialethische Beurteilung dieses Ordnungswollens ist die Frage von Bedeutung, ob von der imponierenden Ordnungskonzeption Euckens und ihrer ganzheitlich-konstruktiven Tendenz der Zugang zu einer echten Sozialethik möglich ist; inwieweit die postulierte ordnungspolitische „soziale Moral“ und die „Versittlichung der Wirtschaftspolitik“ sozialethisch zu interpretieren sind. Die

122

Individualistische Sozialmetaphysik

Antwort hängt wesentlich davon ab, nach welchem Leitbild das „soziale Ord­ nungswollen“ sich orientiert. Damit stoßen wir wieder auf das Problem der sozialen Frage und ihres Grundanliegens. b) D ie p r o d u k ti o n s in t e n s i v e Reflexion als „s o zi a le r Ord nu ng sImpuls“ Soziale Frage als Versorgungsproblem Wie sich zeigen ließ, analysiert WEucken, der sich eingehend mit der geschicht­ lichen Seite des sozialen Problems befaßt hat, die gegenwärtige soziale Frage als ein typisches Versorgungsproblem. Die chronische Unterversorgung breiter Volksschichten sei für die gegenwärtige Situation kennzeichnend. Die Wurzel dieses Ubelstandes sieht er in der freiheitsgefährdenden Bildung sozialer Macht­ körper, in der Vollbeschäftigungspolitik und in der zentralen Wirtschaftslenkung. Auf die Neutralisierung des individuellen Freiheitsimpulses, dessen automatische Ordnungs- und Lenkungsfunktion durch fehlerhafte künstlich-rationalistische Lenkungsmethoden ersetzt wird, reagiert der Wirtschaftsprozeß mit „Eng­ pässen“ : mit Produktionshemmung und Konsumgüterausfall (h 185ff., 109,142). Die wichtigste Voraussetzung für die Beseitigung der gegenwärtigen Verschär­ fung der sozialen Frage auf dem Versorgungssektor ist nach Euckens Ansicht die Herstellung eines funktionsfähigen Systems zur Lenkung der arbeitsteiligen Wirtschaftsweise (h 314). Produktivität als „Brennpunkt“ der Ordnungspolitik Die Schlußfolgerung, daß die Überwindung der wirtschaftlichen Knappheit durch maximale Produktivität als eine sozialpolitische Aufgabe ersten Ranges anzusehen ist, drängt sich auf. Aus der Tatsache, daß nur das verteilt und der allgemeinen Versorgung zur Verfügung gestellt werden kann, was vorher produziert wurde, folgert Euckeny daß die Aufmerksamkeit aller Sozialreformer in erster Linie auf die Wirtschaftsordnung mit dem „höchsten wirtschaftlichen Wirkungsgrad“ gerichtet sein müsse. Auch die beste Sozialpolitik könne zu keinem befriedigenden Ergebnis führen, wenn die Produktivität der menschlichen Arbeit gering ist. Die Frage nach der Produktivität und die Sorge um die Leistungsfähigkeit des Produktionsapparates steht daher im „Brennpunkt“ aller ordnungspolitischen Maßnahmen. Alle anderen Fragen sind nachgeordnet (h 314). Wie A . Müller-Armack in seinen Grundsatzerklärungen ausführt, realisiert jede Produktivitätserhöhung als „soziale Verbesserung“ und als Garantie des „sozialen Fortschritts“ die „Sozialfunktion“ der Wirtschaft. Überhaupt sei die „soziale Funktionsfähigkeit des Instrumentariums“ an der Produktionsleistung zu messen.

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

123

Dafür sprechen zwei „soziale“ Gründe. Zunächst gelingt die Befriedigung der individuellen Verbraucherwünsche um so optimaler, je größer die Produktions­ leistung ist. Die Orientierung des Produktions Vorganges am Verbrauch ist aber nach Müller-Armack als „soziale Leistung“ zu werten, die in Verbindung mit der Produktivitätserhöhung die „innewohnende Sozialfunktion“ der Wirtschaft doku­ mentiert. Hinzukommt, daß die gesteigerte Marktleistung die materiellen Vor­ aussetzungen für die Erfüllung sozialpolitischer Aufgaben schafft. Daraus ergibt sich von selbst, daß die Politik der „sozialen Marktwirtschaft“ nur als „bewußte Politik des wirtschaftlichen Wachstums“ zum sozialen Erfolg führen kann (j 390ff.). Da die wirtschaftliche Expansion zugleich einen Sozialfortschritt bedeutet, habe die Sicherung der Gesamtexpansion als das eigentliche Anliegen und zugleich als zentraler Vorgang der Wirtschaftspolitik zu gelten. Die größere wirtschaftliche Ergiebigkeit sei daher von vornherein als sozialpolitischer Gewinn zu buchen (d 86, 108). Der allgemeine Anstieg der Produktion sei eine sozial ungemein wichtige Sache, zeuge von einer gewaltigen sozialen Leistung (k 85, 86 f.). Das wesentliche Ansteigen des Produktionsindexes und der Investitionsrate seit 1948 müsse als ein sozialer Erfolg gewertet werden, „wie immer es auch um die Verteilung dieser Güter stehen mag“ (i 28). Aus diesem Grunde wehrt sich Müller-Armack gegen die noch übliche ungerechte Beurteilung des Laissez-faireLiberalismus, weil dessen geschichtliche Leistung in einem gewaltigen Wohl­ standsgewinn und in der Steigerung des Lebensstandards aller Gesellschafts­ schichten bestehe. Seiner Ansicht nach gelangen wir heute dazu, die soziologischen Möglichkeiten des Liberalismus in seiner Bedeutung als unersetzliches Mittel sozialer Gestaltung in einer bisher nicht gekannten Tiefe zu würdigen (e 288). L. Miksch sieht in der Wiederherstellung einer leistungsfähigen Wirtschafts­ ordnung ein Kriterium für das „echte ethische und soziale Wollen“ (c 5). W. Röpke warnt zwar vor der „Verabsolutierung der materiellen Massenwohlfahrt“, sieht aber in der „Waffe der höheren Produktivität und der besseren Massenversorgung“ und in der Tatsache, daß „die Freiheit und Entbindung des individualistischen Schaffensdranges in den Dienst der Überwindung der Armut“ gestellt wird, eine unschätzbare Hilfe in der Überwindung des Kommunismus (m). Für die ethische Beurteilung sind die angeführten Erklärungen insofern von Bedeutung, als sich in ihnen eine ganz konkrete Umdeutung des Sozialbegriffes vollzieht. Das Soziale wird aus der überindividuellen Verantwortung heraus­ gelöst und seines ethischen Gehaltes entleert. Es ist faktisch gleichbedeutend mit „produktiv“. Der gesteigerte Produktionsindex gilt, völlig unabhängig von der sozialgerechten Verteilung des Güterstromes, als soziale Leistung. Diejenige Wirtschaftsform ist die sozialste, die den höchsten Produktivitätsgrad erreicht. Die produktionsintensive Reflexion begründet und bestimmt daher das „soziale

124

Individualistische Sozialmetaphysik

Ordnungswollen“. Dabei muß im Auge behalten werden, daß sich die intendierte maximale Produktivität primär auf die individuellen und zwar kaufkräftigen Konsumwünsche bezieht, deren Befriedigung grundsätzlich als „soziale Leistung“ gewertet wird. Vom rein-formalen Charakter des Leistungsbegriffes ganz abgesehen, macht sich in der produktionsintensiven Beinhaltung des Sozialen wiederum ein typisch nominalistisches Element geltend, auf das wir im Bereich der neoliberalen Doktrin immer wieder stoßen werden: der normative Charakter des individuellen Nutzens. Das Soziale wird mit dem nützlichen Effekt identifiziert und damit individualethisch interpretiert. Der allgemeine Wohlfahrtszweck ist für die sozialwirtschaftliche Konzeption nicht von teleologisch-konstruktiver Bedeutung, sondern hat in der neoliberalen Fassung als automatisches Additionsergebnis nutzbringender Teileffekte den Charakter einer nachträglich-plausiblen Bestäti­ gung produktionsintensiver Bestrebungen. Daß es sich bei dieser Kritik nicht etwa um wirtschaftsfremden philosophischen „Moralismus“ (Röpke, 4o) handelt, der das wirtschaftliche Grundpostulat der Produktivität aus Mangel an wirtschaftlicher Sachkenntnis rundweg ablehnt, sondern vielmehr um die Feststellung einer Grundauffassung, die für die sozial­ politischen Bestrebungen insgesamt normativen Charakter beansprucht, wird sich später noch zeigen. Es kommt nur darauf an, unter welches philosophische Prinzip man den Grundsatz der Produktivität stellt, d. h. ob man ihn verabsolu­ tieren darf oder nicht. ökonomische Funktion des sozialen Freiheitspathos Die neoliberale Deutung der gegenwärtigen sozialen Frage als eine ausge­ sprochene Versorgungsfrage, die durch die kollektivistische Tendenz zur zentral­ verwaltungswirtschaftlichen Lenkung des Wirtschaftsprozesses verschärft worden sei, rückt die funktionaltheoretische Bedeutung der wirtschaftlichen Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit in den Vordergrund. Der außerordentlich intensive Freiheitskult läßt zunächst den Gedanken aufkommen, daß es dem Neoliberalismus dabei in erster Linie um ein humanitäres Problem zu tun ist: um die Sicherung der abendländischen Kultur gegen den kollektivistischen Ver­ fall. In der Tat ist dieser Gedanke, wie bereits in der Einleitung betont wurde, besonders von W’. Röpke nicht ohne Pathos in den publizistischen Vordergrund gerückt worden. L . Miksch erklärt, W. Euchens Kampf um eine freie Ordnung für Wirtschaft und Gesellschaft sei keiner nationalökonomischen Theorie entsprungen. Es sei ein Kampf um die ewigen Werte der Menschheit gewesen, bei dem die nationalökonomische Theorie für ihn nur ein Mittel gewesen sei, um eine Ordnung

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

125

zu entwerfen, die diese Werte aus der drohenden Umklammerung durch nihi­ listische Kräfte befreien sollte (1 279 ff.). Daß dieses für unsere gemeinsame Zu­ kunft entscheidende kulturpolitische Ziel den führenden Autoren auf neoliberaler Seite ein persönliches Anliegen ist, wird niemand in Zweifel ziehen wollen. Etwas anderes aber ist es, ob der moralische Appell einiger weitsichtiger Männer dazu berechtigt, dem neoliberalen System als solchem ein kulturphilosophisches Freiheitsanliegen zu Grunde zu legen, so daß, wer zum Neoliberalismus ja sagt, sich damit spontan für die Rettung des christlichen Abendlandes vor dem kollek­ tivistischen Untergang entscheidet. Demgegenüber muß unbedingt festgehalten werden, daß der betont starke Freiheitskult im Rahmen der neoliberalen Doktrin in erster Linie einer ausge­ sprochen ökonomischen Zwecksetzung dient. Dem Neoliberalen liegt zunächst daran, durch Sicherung der wirtschaftlichen Entschluß- und Handlungsfreiheit die Antriebskraft des uneingeschränkten Selbstinteresses und die steuernde Kraft gewisser marktwirtschaftlicher Automatismen freizulegen und zum Zuge zu bringen, um so die maximale Produktivität als bestimmendes Ziel realistischen Wirtschaftsdenkens zu garantieren. Der Glaube an die „unsichtbare Hand“ funktionsfähiger Automatismen, der in ordnungspolitischer Modifikation bei allen neoliberalen Theoretikern anzutreffen ist, gibt dem neoliberalen Freiheits­ pathos die wirtschaftstheoretische Begründung. Dieser Glaube hat, wie sich zeigen ließ, im Grunde nichts anderes zum Inhalt als die „Personifizierung“ jenes „erstaunlichen“ Mechanismus, der angeblich aus den spontanen Reaktionen freier, auf den eigenen Vorteil bedachter und ausschließlich durch den freien Preis­ mechanismus gelenkter Wirtschaftsindividuen resultiert und auf diese Weise den unüberschaubaren Wirtschaftskosmos funktionsfähig erhält. Wie W. Euchen immer wieder versichert, lassen sich ohne individuelle Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, ohne gewisse Wahlmöglichkeiten, ohne den leistungs­ steigernden Impuls der Vertrags-, Handlungs- und Konsumfreiheit weder best­ mögliche Versorgung noch gerechte Verteilung noch soziale Sicherheit reali­ sieren. Auf jeden Fall seien hier die stärksten Kräfte gegeben, welche für die Denkenden und Handelnden notwendig sind, um die wirtschaftliche Knappheit zu überwinden. Ohne die „Freiheit der Person“, die Euchen offensichtlich mit der wirtschaftlichen Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit identifiziert, ohne Sicherung der individuellen Freiheitsrechte und ohne freiheitliche Ordnungs­ formen sei weder die produktionstechnische noch die soziale Frage optimal zu lösen (h 189, 123ff., 315f., 360). Die Tendenz, den leistungssteigernden Freiheitsimpuls mit dem sozialen Impuls 2u identifizieren, läßt sich auch in der Theorie der „sozialen Marktwirtschaft“ eindeutig feststellen. A . Müller-Armack sieht den „Sinn“ der sozialen Markt-

126

Individualistische Sozialmetaphysik

Wirtschaft in der „neuartigen Synthese“ von wirtschaftlicher Freiheit und sozialem Ausgleich konkretisiert. Hierbei hat die freie, privatwirtschaftliche Initiative die Funktion, die marktwirtschaftliche Leistung zu steigern und auf der Basis er­ höhter Produktivität den „sozialen Fortschritt“ zu ermöglichen. Eine soziale Wirtschaftsordnung ist demnach nur als freiheitlich gewollte und gestaltete Marktwirtschaft denkbar und zwar hauptsächlich deshalb, weil die intendierte maximale Produktivität und bestmögliche Gesamtversorgung nur unter Aus­ schaltung jeglicher Reglementierung als realisierbar erscheinen (j 390). Die zentrale Bedeutung der institutionell gesicherten Freiheit als entscheidende Ordnungskraft der Rechtsstaatsphilosophie, als „soziotechnische Kategorie“ und Ausgangspunkt vorgegebener außerrechtlicher und rechtlicher Gleichgewichts­ tendenzen ließ sich in den Gedankengängen F. Böhms feststellen. Seiner Ansicht nach ist auch das wirtschaftliche Zusammenwirken aller um so geordneter und ergiebiger, je mehr die Freiheit des einzelnen gewahrt wird (k 93; 1 143). Die utilitaristische Motivierung des sozialen Freiheitspathos ist also unverkennbar. Die Feststellung, daß im Wirtschaftsalltag das neoliberale Freiheitsstreben die Funktion einer das private Erwerbsstreben rechtfertigenden Ideologie erfüllt, dürfte daher nicht %u wider­ legen sein. Die Auffassung L . Mikschs, der sich gegen die liberalistische Abwertung der Freiheit als bloßes Mittel zweckmäßiger Wirtschaftsgestaltung ausspricht, daß die Freiheit im neoliberalen Systemdenken nicht etwa der Wirtschafts­ verfassung und irgendeiner materiellen Wohlstandssteigerung diene, vielmehr umgekehrt die gesamte Wirtschaftsverfassung die Freiheit als Selbstzweck der Persönlichkeit zu sichern habe (d 67), erscheint nicht haltbar. Während in der anthropologischen Spekulation des Neoliberalismus die Freiheit als absoluter Höchstwert, als Selbstzweck rangiert, wird sie im Rahmen des Systems wegen ihrer wirtschaftlichen Wirksamkeit gewollt. Wie H . Moeller treßend bemerkt, entspricht es der Strenge des spezifisch marktwirtschaftlichen Denkens auf neo­ liberaler Seite, die Freiheit als Mittel, das Brot als Ziel zu setzen (b 227). Der Neoliberalismus als solcher dient nicht in erster Linie dem kulturethischen Freiheitsanliegen, sondern dem privatwirtschaftlichen Produktivitätsanliegen, dem der Freiheitsimpuls in dienender Funktion untergeordnet ist. Ob und inwieweit mit Hilfe wirtschaftlicher Freiheit und Prosperität auch der bedrohten abendländischen Kultur gedient werden kann, ist eine andere Frage, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß aus der angestrebten maximalen Produktivität und dem Massenkult des gehobenen Lebensstandards neue Formen materialistischer Unfreiheit entstehen können und auch entstanden sind. Wie G. Weisser (h 16) hervorhebt und übrigens auch W. Röpke (m) bestätigt, bezahlen wir einen ungeheuren Ausstoß an Gütern mit nicht minderen Opfern an Werten, die unmittelbar beim Wirtschaften entstehen.

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

127

c) D ie f u n k ti o n s f ä h i g e W e t t b e w e r b s o r d n u n g als „ s o z i a le r “ Ordnungsinhalt Wettbewerb als „sozial-ethisches“ Ordnungskriterium Wie aus den bisherigen Feststellungen zu ersehen ist, konzentriert sich das neo­ liberale „soziale Ordnungswollen“ auf die Kardinalfrage als den ordnungs­ politischen Brennpunkt aller übrigen Teilfragen, welche Wirtschaftsform den höchsten Grad an individueller Freiheit und gesellschaftlicher Produktivität und damit zugleich an Sozialität garantiert. Nach neoliberaler Auffassung kann es nur die funktionsfähige Wettbewerbsordnung sein. Wie W. Röpke erklärt, besitzt die „echte“ Marktwirtschaft als „Feld der Freiheit, der Spontaneität, der individuellen Verantwortung und der unkommandierten Ordnung“, in der Triebkraft des individuellen Selbstbehauptungs- und Ent­ faltungsdranges „jene ungeheure Kraft, die unsere Kultur im letzten bewegt“ und „eingedämmt durch den echten Leistungswettbewerb über die Turbinen der Wirtschaft zu leiten ist“ (4o). W. Eucken ist davon überzeugt, daß die gut funk­ tionierende Wettbewerbsordnung der einzige Ordnungs-Typ ist, der den Egoismus bändigt und auch den reinen Egoisten zwingt, für das Gesamtinteresse tätig zu sein (h 365). Ihr allein gelinge es, mit Hilfe ihrer Rentabilitätsrechnung eine ge­ rechte Lenkung des Gesamtprozesses zu realisieren (h 349) und ein harmonisches Verhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse herzustellen (h 368). Darum bewahrt sie vor wirtschaftlicher Not und sichert bei alledem den Grund­ wert der Freiheit, denn der Wille zur Wettbewerbsordnung ist mit dem Willen zur Freiheit eng verbunden (h 318, 250). Als ausgesprochenes „Programm der Freiheit“ sieht die Wettbewerbsordnung ihr Grundanliegen darin, „die soziale Frage im Geiste der Freiheit zu lösen und dadurch die Freiheit überhaupt zu retten“ (h 370). Da die Produktivität des Wirtschaftsapparates von der Gesamtheit der ökonomischen Hergänge und ihrem reibungslosen Ineinandergreifen abhängt, ist nach Eucken die befriedigende Lösung der sozialen Frage bei bewußter Ab­ lehnung jeglichen „Punktualismus“ insgesamt auf folgende strukturelle Grund­ voraussetzungen angewiesen: Verwirklichung des marktwirtschaftlichen Grund­ prinzips und zwar der Schaffung eines funktionsfähigen Preissystems vollstän­ diger Konkurrenz unter strenger Beachtung genauer Wirtschaftsrechnung und des Kostenprinzips; ferner: Durchsetzung aller übrigen konstituierenden und regulierenden Prinzipien, von denen im sechsten Kapitel noch die Rede sein wird (h 314). A . Müller-Armack sieht im Wettbewerb eine Form, „möglichst unbehindert den technischen und ökonomischen Fortschritt zu realisieren“ . Damit ist zugleich die „soziale“ Bewandtnis des Wettbewerbs umschrieben, denn mit dem

128

Individualistische Sozialmetaphysik

ökonomischen Fortschritt auf der Basis der marktwirtschaftlichen Leistung ist auch der „soziale Fortschritt“ gewährleistet. Jede Produktivitätserhöhung kommt als „soziale Verbesserung“ der Allgemeinheit in umso höherem Maße zugute, je mehr durch den Wettbewerb einseitige marktstrategisch bedingte Einkommens­ bildungen eingedämmt werden. Der Wettbewerb ist es, der durch die stetige Produktionssteigerung die „innewohnende Sozialfunktion“ der Wirtschaft kon­ stituiert und aus diesem Grunde in sozialpolitischer Hinsicht sich selbst recht­ fertigt (j 392). F. Böhm sieht außerdem im Wettbewerb das Mittel, das Privat­ eigentum seiner „sozialen Gefährlichkeit“ zu entkleiden, da er die Konzentration wirtschaftlicher Monopolmacht in der Hand von Privatrechtssubjekten erschwere und auf splittere (1 147). Die Teilnahme am Wettbewerb hält er daher für eine sozialpolitische Ehrenpflicht (c 122), denn jeder Wettbewerbsteilnehmer sehe sich dauernd gezwungen, zur Mehrung des Wohlstandes anderer beizutragen (f 200). Für Böhm ist die Wettbewerbsordnung das Ergebnis eines „ungewöhnlich ent­ wickelten Gemeingeistes und Freiheitssinnes“ (h 13). Sie allein ist imstande, wie W. Röpke betont, den Wildbach des Privatinteresses zu bändigen und in eine wohltätige Kraft zu verwandeln (d 279). Auch L. Erhard betont ausdrücklich, das Wettbewerbsprinzip sei „ein aus sich heraus wirkendes Ordnungselement des marktwirtschaftlichen Geschehens“. Es sei keineswegs so, daß die Konkurrenz von außen her geordnet werden müsse. Erhard anerkennt zwar gewisse „Grenzen der Durchsetzbarkeit des Wettbewerbs­ prinzips“ , betont aber, für den Kern des Wirtschaftslebens, vor allem für die Industrie und den Handel, müsse das Wettbewerbsprinzip „als Motor der wirt­ schaftlichen Dynamik unbedingt und ohne Einschränkung gelten“ (g 66 f.). Die Funktion des Wettbewerbs als Ordnungsprin^ip der Wirtschaft gilt allgemein als Grundstein des neoliberalen Systemdenkens, demgemäß die Aufgaben der Wirtschaftspolitik vor allem darin gesehen werden, die Bedingungen zu schaffen, unter denen sich der Wettbewerb möglichst wohltätig und störungsfrei auswirken kann. K. P. Hensel versucht, der prinzipiellen Bedeutung des Wettbewerbs eine ontologisch-sittliche Begründung zu geben. Er bezeichnet den Wettbewerb als vorgegebenes, im Sein verankertes, aus der natürlichen Seinsordnung sich er­ gebendes Ordnungsprinzip; als eine Möglichkeit, die die Natur zur Verfügung stellt, auf die hin alle ordnungspolitischen Bemühungen notwendig ausgerichtet sein müssen. Den Wettbewerb zu negieren oder durch die Idee der sozialen Gerechtigkeit oder der sozialen Liebe zu ersetzen, ist demnach als Verstoß gegen die natürliche Seinsordnung zu werten. Das Verhältnis dieser beiden Ideen zueinander müsse ihrer „wesensmäßigen Rangordnung“ entsprechen. Da die Idee der sozialen Gerechtigkeit der Konkretisierung bedarf und zwar durch den Wettbewerb, besitzt der Wettbewerb den Vorrang. Ein ideologischer Zusammen-

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

129

hang zwischen beiden Ideen besteht insofern, als der Wettbewerb „im Geiste der sozialen Gerechtigkeit und Liebe“ geführt werden müsse. Der Wettbewerb stellt also zugleich eine „ordnungspolitische und sittliche Aufgabe“ dar. Allerdings muß dabei festgehalten werden, daß der Wettbewerbsgedanke bzw. seine loyale Realisierung die Norm der Sittlichkeit darstellt. Hensel erklärt also die Wett­ bewerbsordnung zum Inhalt eines sozial-ethischen Solls, das ontologisch be­ gründet wird (266f.). W. Eucken betont ebenfalls, es sei nur die eine Seite der Wettbewerbsordnung, daß sie auf die Durchsetzung der ökonomischen Sachgesetzlichkeit drängt. Ihre andere Seite bestehe darin, daß hier gleichzeitig ein soziales und ethisches Ord­ nungswollen verwirklicht werden soll. In dieser Verbindung liege ihre besondere Stärke. Ein sozial-ethisches Wollen ohne Verbindung mit der ökonomischen Sachlogik sei ebenso ohnmächtig, wie andererseits die wirtschaftliche Sachlogik nicht zur Auswirkung komme, wenn nicht ein soziales Ordnungswollen die Gestaltung der Formen beeinflußt (h 370). Die finale Beinhaltung des „sozial-ethischen“ Ordnungswollens durch die Markt­ form vollständiger Konkurrenz ist also offenkundig .In der hervorgehobenen ideellen „Verbindung“ erhält die Sozialethik lediglich die Aufgabe, der ökono­ mischen Sachgesetzlichkeit durch entsprechende Rahmenordnung zur Funktion zu verhelfen. Die Sozialethik wird damit im Sinne einer wettbewerbskonformen Funktionalethik relativiert. Daraus ist zu ersehen, daß die Wettbewerbsordnung nicht etwa nur Mittel zum Zweck, sondern Ordnungsprinzip und sozialethisches Ordnungskriterium ist, was gegenüber allen Umdeutungsversuchen z. B. von L. Miksch (a) und B. Kunv^e (b 46) festgehalten werden muß. Die Realisierung der Wettbewerbsordnung wird auf neoliberaler Seite offenbar zu einem sozial­ ethischen Postulat erhoben und zu einer Gewissensfrage gemacht. Die Grenze zwischen Markttheorie und Sozialethik wird damit verwischt. M. Hättich beklagt sich also — mit einem Seitenblick auf Quadragesimo anno und die christliche Soziallehre insgesamt — völlig zu Unrecht über die „Identifizierung eines Organisationsprinzips (hier des Wettbewerbsprinzips, d. Verf.) mit einer ethisch­ normativen Idee“ bzw. des Wettbewerbsinstrumentes mit einem allgemeinen moralischen Prinzip, ganz abgesehen davon, daß er selber, einige funktionaltheore­ tische Rahmenbedingungen vorausgesetzt, von der autonomen Ordnungskraft des Wettbewerbsmechanismus überzeugt ist (167ff.). Die soziale Frage bzw. ihre Lösung wird demnach von den neoliberalen Theore­ tikern als ein ausgesprochen funktionaltheoretisches Problem begriffen. Die Tendenz, die soziale Problematik mit markttheoretischen Kategorien und Postulaten zu erfassen und zu lösen, ist deutlich feststellbar. Ihre Lösung konzentriert

130

Individualistische Sozialmetaphysik

sich im wesentlichen darauf, im Rahmen eines möglichst reibungslosen „sozialen“ Wirkzusammenhanges die produktiven Impulse des Wettbewerbs gegen Macht und Monopole abzuschirmen und zu sichern. Das soziale Problem erscheint in dem Maße lösbar, als die faktische Wirtschaftsform dem Modell der vollkommenen Konkurrenz angeglichen wird. Der „soziale“ Charakter der wettbewerbs­ theoretischen Funktionsethik bleibt insofern gewahrt, als die funktionsfähige Wettbewerbswirtschaft auf Grund ihres Produktivitätsgrades und ihrer Frei­ zügigkeit apriori als die „sozialste“ Wirtschaftsform gewertet wird. „Sozial“ ist demnach gleichbedeutend mit „wettbewerbskonform“ . Soziale Gerechtigkeit als marktmechanische Tauschgerechtigkeit Das neoliberale Apriori bezüglich des „sozialen“ Charakters der funktionsfähigen Wettbewerbswirtschaft findet nach neoliberaler Auffassung seine Bestätigung, wenn der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit in Betracht gezogen wird. Die erste Frage aller Sozialreformer nach der Wirtschaftsordnung mit dem „höchsten wirtschaftlichen Wirkungsgrad“ (Eucken, h 315) bedingt die weitere Frage nach der sachgerechten Verteilung. Die grundsätzliche Überzeugung ist die, daß der gesamte Wirtschaftsprozeß in seinem Verlauf und Ergebnis um so gerechter ist, je reibungsloser der Wettbewerbsmechanismus funktioniert. W. Eucken hat diesen Gesichtspunkt besonders herausgearbeitet. Das zentrale Problem der Formenbildung besteht seiner Ansicht nach in der immer gleichen Aufgabe, eine funktionsfähige und gerechte Ordnung herzustellen. Es läßt sich nur auf der Basis des Gleichgewichts lösen. Die Funktionsfähigkeit sei eine Frage des Gleich­ gewichts ; nicht weniger sei es die Gerechtigkeit. Dem Gleichgewicht komme also mehr als eine bloße ökonomisch-technische Bedeutung zu (h 166). Die Schluß­ folgerung liegt nahe, daß der im Gleichgewicht sich befindliche Markt auch eine gerechte Ordnung darstellt. Wie H . Peter bemerkt, wird hier das Rechtsprinzip inhaltlich durch die Funktionsbedingungen des natürlichen gesellschaftlichen Geschehens begründet (n 730). Die funktionaltheoretische Beinhaltung der Gerechtigkeit wird noch deutlicher, wenn Eucken erklärt, daß die Gestaltung der Tausch Vorgänge vom gesamten Wirtschaftsgeschehen abhängig sei, „weshalb auch die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit von der Verwirklichung des Grundprinzips und aller anderen Prinzipien abhängig ist“ (h 315). Die soziale Gerechtigkeit wird demnach als marktmechanische Tauschgerechtigkeit begriffen. Der Zusammenhang zwischen wettbewerblicher Funktionsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit ist ein kau sale r; die Wirtschaftsordnung ist apriori gerecht, wenn sie wettbewerbskonform ist.

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

131

Zur Begründung weist Eucken darauf hin, daß die Verteilung des Sozialproduktes ein Teilhergang des gesamten Wirtschaftsprozesses und seiner Lenkung ist. Die Verteilungspolitik lasse sich nicht aussondern, und sie sollte von vornherein als das angesehen werden, was sie ist : als ein Glied des ordnungspolitischen Gesamt­ problems. Diese Erkenntnis sei der erste Schritt zur Lösung der sozialen Frage (h 13). In der vollständigen Konkurrenz teilt ein anonymer Wirtschaftsprozeß den Menschen ihre Einkommen zu. Obwohl hier die Verteilung einem „ethisch­ gleichgültigen Automatismus“, nämlich der Preismechanik der vollständigen Konkurrenz überlassen ist, biete sie im Gegensatz zu willkürlichen Entschei­ dungen privater und öffentlicher Machtkörper „trotz vieler Mängel“ die Vorteile der Objektivität und Unbestechlichkeit. Als Kriterien der Verteilung gelten das „reine Leistungsprinzip“, das nach L . Mikscb allein sittlich ist (d 60), und die Knappheitsrelation. Zu einem Problem „der Gerechtigkeit in wirtschaftlichem Sinn“ wird nach Euckens Ansicht die Verkehrs wirtschaftliche Verteilung erst dann, wenn sich ihre Höhe nicht nach Maßgabe der Knappheitsrelationen, sondern auf Grund von Marktmachtstellungen bestimmt (h 316). Eucken kommt zu dem Ergebnis, man sollte soziale Gerechtigkeit durch Schaffung einer funktionsfähigen Gesamtordnung und insbesondere dadurch herzustellen suchen, daß man die Einkommensbildung den strengen Regeln des Wettbewerbs, des Risikos und der Haftung unterwirft (h 317). M. Hättich bietet auch in diesem Punkte nichts Neues. Von der obersten Norm der Gerechtigkeit her gebe es nur die Entschei­ dung für das Organisationsprinzip des Wettbewerbs (173f.). Die wirtschaftliche Gemeinschaftsleistung allein oder auch nur mit Schwergewicht auf die soziale Gesinnung der Glieder bauen zu wollen, wäre nicht nur unrealistisch, sondern auch ungerecht (106). F. A . Hayek gibt ebenfalls zu bedenken, daß irgendeine Politik, die sich direkt das substantielle Ideal der Verteilungsgerechtigkeit zum Ziel setze, zur Zerstörung des Rechtsstaates führen müsse, da eindeutige und allgemeingültige Maßstäbe der Gerechtigkeit fehlen (a 109). Daß es ein materiales Prinzip der Gerechtigkeit einfach nicht gebe, unterstreicht auch F . A . L u t Das marktautomatische Leistungsentgelt hält er bei der menschlichen Unzulänglichkeit für das einzig tragbare, um einen rapiden Rückgang des Sozialproduktes zu vermeiden. Der Frage nach der gesellschaftlich-sozialen Bewandtnis des Verteilungsproblems bringt er, im Gegensatz zu F. Böhm (k 86), kein Verständnis entgegen. Die Gerechtigkeit der ungleichen Marktverteilung liegt seiner Ansicht nach in der Tatsache, daß hierdurch Leistungen belohnt werden, „durch die das ganze System in Gang gehalten wird“. Die marktwirtschaftliche Funktionsfähigkeit erscheint demnach als das maß­ gebliche Kriterium der sozialgerechten Verteilung; die Gerechtigkeit wird damit

132

Individualistische Sozialmetaphysik

funktionalisiert und ihres ethischen Solls völlig entleert. Die Ungleichheiten in der Verteilung gelten als Preis für die Ergiebigkeit der Wirtschaft insgesamt. Der Hinweis von F. A . Lutζ auf die Steigerung des produktiven Gesamtvolumens und darauf, „daß wir alle wohlhabender werden“ und daher die damit zusammen­ hängende ungleiche Einkommensverteilung ertragen können müßten, geht tröstenderweise der eigentlichen Problematik aus dem Weg (249, 247, 252). Auch P. M. Boarman, der dem Verteilungsproblem das Pathos seiner Überzeugung entgegenstellt, die Marktwirtschaft sei nicht nur die produktivste, sondern habe außerdem am besten Gerechtigkeit und Freiheit gefördert, was für den Grad ihrer Sittlichkeit zeuge (15), übersieht in seiner zu allgemeinen Formulierung, daß die von ihm nominierte marktwirtschaftliche Gerechtigkeit, Freiheit und Sittlichkeit nur relative Bedeutung haben. Es fehlt also auch hier die notwendige prinzipielle Einordnung. In vorsichtigen, aber unklaren Formulierungen sucht W. Schreiber eine Synthese zwischen dem neoliberalen Harmonieglauben und der christlichen Ethik herzustellen. In der wirtschaftstheoretischen Tatsache, daß der vollständige Wettbewerb die Preisgerechtigkeit sichere, daß also niemand auf Grund der „gesellschaftlichen Wertschätzung“, die im einzelnen schließlich Sache des Gewissens sei, preismäßig übervorteilt werde, erkennt er eine gewisse immanente Ethik, einen gewissen Automatismus dieser Gerechtigkeit „zum sittlich Guten hin (als ein Gnadenakt Gottes vielleicht)“ . Schreiber empfiehlt, den Preisauto­ matismus mit sittlichem Wollen zu durchsetzen, und so „kraft göttlicher Gnade, aber unter tätiger Mitwirkung durch Einsatz persönlicher sittlicher Kraft, eine eigene, das Maximum von Harmonie verwirklichende Gesellschaft“ zu reali­ sieren (b 22fL). Die intendierte Ethisierung der Preisgerechtigkeit entnimmt also ihre Maßstäbe der Wirtschaft selbst und dem individualistischen Wertempfinden. Das sozial­ ethische Problem der Marktgerechtigkeit wird nicht berührt. Nach F. Böhm ist das marktwirtschaftliche Entgeltsystem zwar „unter keinem wie immer gearteten Ge­ sichtspunkt gerecht“ ; dafür aber sei es da, wo es im gewollten Sinn funktioniert, im hohen Grade praktisch und für das Wohl der Gesamtheit nützlich, da es immense Verwaltungskosten erspare und dem Volkswohlstand zugute komme. Der Preischarakter der Entlohnungen, das bilaterale, marktwirtschaftliche Ent­ geltprinzip, sei der Tribut für das ganz außerordentliche Maß an Freiheit, das die Marktwirtschaft gewähre (c 116; k 77). Die soziale Verteilungsgerechtigkeit wird demnach markttheoretischen Kate­ gorien unterworfen. Als Kriterien dienen die individuelle Freiheit, die maximale Produktivität, das Leistungsprinzip, die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs­ systems. Den faktischen, für das Gesamtwohl relevanten Ungleichheiten in der marktwirtschaftlichen Ertragsverteilung wird das gesteigerte Sozialprodukt-

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

133

volumen insgesamt gegenübergestellt, das als solches unabhängig von der sozialen Verteilung bereits eine soziale Leistung und sozialen Fortschritt beinhaltet. Die Versicherung A . Müller-Armacks, daß bei einer Steigerung des Sozialprodukt­ volumens die Verteilungsproportionen gleichbleiben, mithin der Effekt der Steigerung den breitesten Schichten zugute komme (k 85), ändert nichts an der Tatsache, daß die Kriterien für die gerechte Verteilung dem wirtschaftlichen Bereich selbst entnommen werden. Soziale Bedeutung der „inneren Koordination“ L . Miksch verabsolutiert die marktwirtschaftliche Gerechtigkeitsauffassung durch den Hinweis, daß die austeilende Gerechtigkeit, die zu Willkür und Gruppen­ egoismus verleite, nur noch von geschichtlichem Interesse sei. An ihre Stelle sei die „Gerechtigkeit der inneren Koordination“ getreten. Er versteht darunter eine „natürliche Ordnung“ , die sich seit den ältesten Zeiten von selbst entwickelt habe. Sie baut auf dem ökonomischen Prinzip, dem Tauschtrieb und der sich daraus ergebenden Arbeitsteilung auf, wurde aber erst im 18. Jahrhundert durch die Entdeckung der klassischen Nationalökonomie in das Bewußtsein der Mensch­ heit gehoben. Diese Koordination entspricht seiner Ansicht nach dem „allein­ sittlichen“ Leistungsprinzip und dem „Gesetz der großen Zahl“ und ist darum gerecht. Den Staat zu einem sittlich verpflichteten Wesen zu machen und zu ermächtigen, Menschen etwas zuzuteilen, was sie nicht auf Grund eigener Leistung oder einer „wohlbegründeten Gefahrengemeinschaft“ beanspruchen können, hält Miksch für unsittlich bzw. für eine „sittlich sehr gefährliche Auffassung“, als habe der Staat an sich gewissermaßen die ethische Aufgabe, für arbeitsunfähige Menschen zu sorgen und Not zu verhindern. Es offenbare sich hier eine falsche, historisch bedingte Auffassung von sozialer Gerechtigkeit im Sinne einer „Kollek­ tivethik“, die der Staatstotalität eine „pseudoideelle Grundlage“ gebe. Die Unterstützung notleidender Menschen könne nur auf das Caritas-Prinzip ge­ gründet werden; jeder einzelne habe die sittliche Verpflichtung, Not zu ver­ hindern. Interessant ist die sozialphilosophische Begründung, mit der Miksch seine abstruse These zu stützen sucht. Sie gipfelt in dem lapidaren Satz : ein Kollektiv als solches könne keine sittlichen Verpflichtungen haben. Sittlichkeit gebe es nur bei der menschlichen Persönlichkeit; alle sozialethischen Maßnahmen müßten daher auf den vernünftigen individuellen Willen zurückgeführt werden und in ihm begründet sein, auch wenn dies gelegentlich unbequem sei (d 60f.). Miksch beurteilt demnach die sozialethische Handlung ausschließlich vom Subjekt, von der physisch-kausalen Ordnung her. Es trifft zu, daß jede soziale Handlung nur vom substantialen Individuum gesetzt und verantwortet werden kann, während

134

Individualistische Sozialmetaphysik

die Gesellschaft als bloße Beziehungseinheit weder sittliche Verantwortung tragen noch als solche handeln kann. Mikscb übersieht jedoch, daß es einen Unterschied zwischen individualethischem und sozialethischem Handeln gibt, der nur vom Objekt, von der teleologischen Ordnung der Werte, vom Gemeinwohl her bestimmt werden kann. Soziale Gerechtigkeit setzt nicht voraus, daß ein hypostasiertes Kollektiv zum Träger der Sittlichkeit gemacht wird, sondern besagt lediglich, daß „aus der Erkenntnis der konkreten historischen Art der Gemein­ schaftsverbundenheit von Menschen die besonderen Rechte und Pflichten der einzelnen als Glieder solcher Gemeinschaft abgeleitet und gezeigt werden“ (Messner, a 33). Jede sozialethische Maßnahme wird demnach nur physisch auf den „vernünftigen individuellen Willen“ zurückgeführt; eine Sozialethik aber von hier her inhaltlich begründen wollen, führt notwendig zum utilitaristischen Indivi­ dualismus Benthams, zum „größtmöglichen Glück der größten Zahl“ (vgl. Ufy o 262 f.). Bezüglich der „sogenannten austeilenden Gerechtigkeit“ erklärt Mikscb, sie sei kein ursprüngliches Moralprinzip, weil sie keinen klar definierten Inhalt habe und bei ihr die verschiedensten Prinzipien „durcheinanderlaufen“ . Die einzig annehmbare Gerechtigkeit, nämlich die ausgleichende Gerechtigkeit, definiert er rein negativ als: Unterlassung einer Schädigung anderer und Begrenzung der eigenen Lebenssphäre im Hinblick auf die Lebenssphäre der anderen. Austeilende Gerechtigkeit besagt für ihn grundsätzlich: „schematische Gleichheit“ in der Behandlung. Um die Inkonsequenz und Unbestimmtheit der Lehre von der aus­ teilenden Gerechtigkeit nachzuweisen und sie dadurch ad absurdum zu führen, stellt er fest, daß z. B. ein Familienvater als Sachwalter der austeilenden Gerechtig­ keit seine Kinder nur dann gerecht behandle, wenn er sie gleichbehandelt. In Wirklichkeit durchbreche er jedoch die schematische Gleichheit sehr oft, ohne deshalb als ungerecht angesehen zu werden, sei es daß er für die Ausbildung begabter Kinder mehr aufwendet, sei es daß er kranke Kinder besonders versorgt. Nach der Theorie von Mikscb wird in diesem Falle das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit durch das Leistungs- und Bedürfnisprinzip durchbrochen. Auf die Idee, daß die austeilende Gerechtigkeit entgegen seiner falschen Definition nicht jedem das Gleiche, sondern in teleologischer Orientierung jedem das Seine, dessen er in seiner jeweiligen Situation bedarf, um seine Lebensaufgabe erfüllen zu können, zu teilt, kommt Mikscb nicht. Der Vater ist im Gegensatz zu Mikschs Auf­ fassung nicht etwa inkonsequent, sondern ganz im Gegenteil nur dann gerecht, wenn er seine ungleich veranlagten Kinder nicht schematisch gleichbehandelt. Mikscb hat ferner auszusetzen, die Rechtspersönlichkeit der von der austeilenden Gerechtigkeit Berücksichtigten spiele überhaupt keine Rolle, denn auch vom Sklaven- oder Tierhalter werde diese Art von Gerechtigkeit gefordert. In diesem

Das Soziale als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem

135

Beispiel verwechselt Miksch das utilitaristische Kalkül eines Besitzers zur Er­ haltung seines Eigentums mit dem sozialethischen Soll eines vom Gemeinwohl her für andere Rechtspersonen Verantwortlichen. Einen dritten Mangel glaubt Miksch in der Quelle der austeilenden Gerechtigkeit zu erkennen, die er in der Macht gegeben sieht. Da der einzelne das sittliche Postulat, die Freiheitssphäre des anderen zu achten, von sich aus nicht realisieren könne — eine Begründung dieser Behauptung gibt Miksch allerdings nicht —, müsse er dazu gezwungen werden. Auf der historischen Stufe, als die „Naturordnung“ der „inneren Koordi­ nation“ noch nicht entdeckt war, sei dieser Zwang durch gesellschaftliche Macht erfolgt; in der aufgeklärten Gegenwart jedoch erfülle diese Aufgabe der spontane Ausgleichsmechanismus der Marktgerechtigkeit. Der Nachweis, daß die aus­ teilende Gerechtigkeit, die grundsätzlich nur für die Sicherung der individuellen Rechtssphäre zu sorgen habe, überlebt und abgelöst ist, scheint damit erbracht. Den Einwand der Gegenseite, daß diese Art von „Gerechtigkeit“ den breiten Massen nicht zu ihrem Recht verhilft, läßt Miksch unter der einschränkenden Voraussetzung, daß die Einkommen lediglich Leistungseinkommen sind, nicht zu. Aus der Tatsache, daß alle Leistungen, die dem durchschnittlichen Geschmack und der durchschnittlichen Willensbefriedigung entsprechen, vom Markte aus­ reichend bewertet werden, dagegen Leistungen aristokratisch-singulären Cha­ rakters, z. B. der Kunst und Wissenschaft, „unzureichend“ berücksichtigt werden, folgert Miksch nicht etwa, daß die Marktgerechtigkeit als einziges Entgeltprinzip auf das Ganze gesehen unzulänglich und zu wenig sozial ist, sondern im Gegenteil „zu sehr sozial“ ist, was sich angesichts ihres Grundcharakters als Massener­ scheinung eigentlich von selbst verstehe (d 46, 68, 59ff.). Die neoliberale Bein­ haltung des Sozialen erhält hier eine neue, kollektivistische Note: „Sozial“ ist, was dem „Gesetz der großen Zahl“ und dem „Massengeschmack“ gerecht wird. Die gesamte Argumentation Mikschs, in der sich der philosophische Individua­ lismus in konzentrierter Form bemerkbar macht, gründet in der These, daß die Freiheit der Persönlichkeit Selbstzweck sei (d 67), die Sicherung der indivi­ duellen Freiheitssphäre aber als zentrale Aufgabe der Gesellschaft und des Wirt­ schaftssystems zu gelten habe. Da für ihn die Realität eines objektiv vorgegebenen Gemeinwohls als imperativer Wert, als Inhalt und Rechtsnorm des gesamten Sozialgefüges, der verabsolutierten Freiheit wegen einfach indiskutabel ist, bleibt für ihn nur die Zuflucht zu Begriffsformulierungen, die in ihrer teils falschen, teils einseitigen Beinhaltung vom Standpunkt der sozialethischen Problemstellung her als völlig ungenügend bezeichnet werden müssen. Dazu gehören in erster Linie : die ausschließlich physisch-kausale Interpretation der sozialethischen Aktivität, die Identifizierung von sozialer Gerechtigkeit und „Kollektivethik“, das ein­ deutige Mißverständnis der austeilenden Gerechtigkeit bezüglich ihres Ursprungs,

136

Individualistische Sozialmetaphysik

ihres Inhaltes und ihrer Funktion, die individualrechtliche Normierung der sozialen Gerechtigkeit durch die markttheoretische Kategorie des reinen Leistungs­ prinzips, die kollektivistische Beinhaltung des Sozialen durch das „Gesetz der großen Zahl“, die Verwischung der Grenze zwischen Wirtschaftstheorie und Ethik durch das Bestreben, die Wettbewerbsordnung mit dem Mantel des ethischen Solls zu umhängen. Miksch gibt zwar selbst zu, daß die individualethische Forderung dort versagt, wo es sich um die Versittlichung des sozialen Zusammen­ lebens handelt, die nur als Ordnungsproblem zu realisieren sei (d 68). Er ist aber nicht in der Lage, der erforderlichen Ordnung ein echtes sozialethisches Soll zugrunde zu legen, weil er auf Grund seiner nominalistisch-individualistischen Denkvoraussetzungen nicht die Realität eines überindividuellen, normativen und einheitskonstitutiven Gesamtwertes anerkennt. Z u s a mm en fas su ng (zu 2) Die zu Beginn dieses Abschnittes gestellte Frage, ob die betont ganzheitliche, die Identität von Wirtschafts- und Sozialpolitik begründende Ordnungstendenz, die W. Eucken als Kriterium der „sozialen Moral“ wertet (h 323), sozialethisch zu interpretieren ist, muß nach den vorausgegangenen Erörterungen verneint werden. Die finale Beinhaltung des „sozialethischen“ Ordnungswollens durch die Marktform vollständiger Konkurrenz ist eindeutig. Sie hat den Wettbewerb als „sozialethisches“ Ordnungsprinzip und als „sozialetischen“ Ordnungsinhalt zur Voraussetzung. Die Sozialethik hat lediglich die Aufgabe, durch Gestaltung der Ordnungsformen die Funktionsfähigkeit der ökonomischen Sachgesetze zu realisieren. Sie wird demnach im Sinne einer wettbewerbskonformen Funktional­ ethik relativiert. Das „soziale“ Alibi dieser Ethik liegt in der Auffassung, daß das maximale Sozialproduktvolumen von vornherein als „soziale Leistung“ zu werten ist; weiterhin in dem neoliberalen Apriori, wonach die funktionsfähige Wett­ bewerbsordnung als produktivste, mithin auch als „sozialste“ Wirtschaftsform zu gelten hat. Der im Gleichgewicht sich befindliche Markt stellt zugleich eine gerechte Ordnung dar. Die anonyme Marktgerechtigkeit realisiert die faktische Lösung des Verteilungsproblems. Als Kriterien der gerechten Verteilung gelten: das Leistungsprinzip, die Knappheitsrelation, die Funktionsfähigkeit des Wett­ bewerbssystems, die maximale Produktivität. Der Zusammenhang zwischen wettbewerblicher Funktionsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit ist ein kausaler. Die Tendenz, die soziale Frage mit markttechnischen Kategorien zu erfassen und zu lösen, ist bestimmend. Die entscheidende Frage, die von der Kritik in den Vordergrund gerückt worden ist, und mit der wir uns später auseinanderzusetzen haben, ist begreiflicherweise die, ob auf rein funktionaltheoretischem Wege die soziale Frage in ihrer

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

137

vielschichtigen Problematik überhaupt zu lösen ist. Genauer gesagt handelt es sich darum, ob der neoliberale Gemeinwohlbegriff als automatisches Additions­ ergebnis frei funktionierender Marktgesetze mit dem sozialwirtschaftlich be­ inhalteten Gesamtinteresse identisch ist; ob der funktionsfähige Wettbewerb als universelles Ordnungsprinzip imstande ist, das vielfältige Eigeninteresse mit dem Gesamtinteresse zu koordinieren, oder ob es einer übergreifenden Ordnungs­ potenz bedarf, die den Marktautomatismus auf ein vorgegebenes, sozial be­ inhaltetes Sachziel hinzulenken hat. Einen interessanten Beitrag zu dieser Frage bietet das wirtschaftspolitische Verhalten W. Euckens, von dem bekannt geworden ist, daß er als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats seinen beratenden Einfluß auch dahingehend geltend machte, trotz theoretischer Ablehnung jeglicher Wett­ bewerbsbeschränkung vor unterschiedsloser und darum folgenschwerer Liberali­ sierung der Wirtschaft zu warnen. Wie 0. v. Nell-Breuning berichtet, verwarf er einen durchaus konformen Vorschlag, der unter Berufung auf marktwirtschaft­ liche Prinzipien ein lebenswichtiges Bedarfsgut seiner Meinung nach verfrüht aus Bewirtschaftung und Preisbildung entlassen wollte, mit den Worten: „Ja, wenn Sie 20 Millionen Menschen zugrundegehen lassen wollen!“ (w 104). Da wir uns im Laufe der folgenden Untersuchungen, vor allem im siebenten Kapitel, mit der Problematik der neoliberalen Ordnungskonzeption noch ausführlich zu befassen haben, genügt hier die zusammenfassende Klarstellung der neoliberalen Wettbewerbsdoktrin. 3. D as Soziale als quantitatives Korrekturproblem (W . Euchen, A . M üller-Ar mack) Wie wir bisher gesehen haben, dominiert in der neoliberalen Theorie die grund­ sätzliche Auffassung der sozialen Frage als eines funktionaltheoretischen Ordnungs­ problems. Die funktionsfähige Wettbewerbsordnung garantiert auf Grund ihrer produktiven Höchstleistung generell die optimale Konsumgutversorgung. Sie rechtfertigt sich auf Grund dieser „sozialen Leistung“ von selbst und dokumen­ tiert die Identität zwischen Wirtschaftsordnungs-Politik und Sozialpolitik. In der Realität des Wirtschaftsalltags jedoch hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Realisierung der funktionsfähigen Wettbewerbsordnung allein nicht genügt, um der sozialen Problematik in ihren vielfältigen Erscheinungsformen durch­ gängig Herr werden zu können (Eucken, h 318). Die Notwendigkeit hinzu­ tretender „spezieller“ Sozialpolitik wird von der sozialfortschrittlichen Gruppe der Neoliberalen, zu der wir hier in erster Linie W. Eucken, Λ . Müller-Armack und A . Rüstow rechnen können, anerkannt. Die Analyse der speziellen Sozialpolitik stößt auf eine dreifache Bewandtnis der neoliberalen Tendenz zur Korrektur. Sie

138

Individualistische Sozialmetaphysik

konkretisiert sich: im Moment des Nachträglichen, gemessen an der ordnungs­ politischen Gesamtentscheidung; in der Normierung aller Ausgleichskorrekturen durch das Prinzip der Marktkonformität; in der Tatsache des Begrenztseins auf bestimmte Gesellschaftsgruppen. Für die grundsätzliche Beurteilung sind damit geeignete Anhaltspunkte gegeben. a) Soziale I n te r v e n t io n als na ch trä gl ic h e K o r r e k t u r „Immanente Mängel“ derfreien Marktwirtschaft Für einen Neoliberalen immerhin bedeutsam ist F. Böhms Feststellung, daß es weder möglich noch wünschbar sei, die Ordnung der Markt- und Wettbewerbs­ wirtschaft ohne Einschränkung zu verwirklichen. Die fachwissenschaftliche Einsicht in die „prinzipiellen Schranken“ und „immanenten Mängel“ , die mit der „reinen“ Realisierung gegeben seien, wie auch die politisch-soziale Erfahrung unterstreichen seiner Ansicht nach die Notwendigkeit gesetzlicher Korrekturen oder politischer Interventionen. Sehr ernst zu nehmende Notstände, die Böhm als Systemnöte charakterisiert, sind die eigentliche Ursache für die heute feststell­ bare „sehr erhebliche Diskrepanz“zwischen sozialethischen Mindestansprüchen und sozialer Wirklichkeit, die übrigens geschichtlich immer bestanden habe, wo Verkehrs Wirtschaft verwirklicht war (k 88, 84, 87). Zu den spezifischen, besonders beunruhigenden Gegenwartsnöten, „die mit irgendeinem Grad von Wahrscheinlichkeit ihren Grund in den Eigentümlich­ keiten und Besonderheiten“ der Wettbewerbswirtschaft haben, rechnet Böhm in erster Linie die ungleiche Verteilung der Kaufkraft, daß also „bei dieser Ordnung Einkommen und Vermögen höchst ungleich und ohne Rücksicht auf das Daseins­ interesse der Individuen, auf den Wert der Persönlichkeit und auf das Gefühl der sozialen Solidarität zwischen Menschen verteilt werde“ (k 78). Böhm übergeht auch nicht die schwerwiegenden Folgen, die sich aus der marktmechanischen, sehr ungleichen Kaufkraftverteilung für den Wirtschaftsprozeß und das Gesamt­ interesse ergeben. Im Gegensatz zu L . Miksch vertritt er, wie bereits festgestellt wurde, den Standpunkt, daß der anonyme Verteilungsprozeß zwar als „eminent praktisch“ zu bezeichnen ist, wenn man die produktive Leistung anregen will und auf die Freiwilligkeit des ganzen Sozialprozesses Wert legt; ihn aber als „gerecht“ bezeichnen zu wollen kommt seiner Ansicht nach einer „etwas kühnen“ Inter­ pretation der Gerechtigkeit gleich (c 116). Die Dringlichkeit dieses ungelösten Problems ergibt sich aus den weittragenden gesellschaftlichen und sozialen Folgen, die Böhm in der Problematik des Arbeitsverhältnisses auf der Basis der Vertragsfreiheit zentriert sieht. Ungleichheit der Chancen im Bereich der Bedarfs­ deckung, der Berufswahl und des Wirtschaftsalltags, des politischen und sozialen

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

139

Einflusses, ferner die Entstehung von Klassen auf privatrechtlicher Grundlage, sowie die mit dem Merkmal der Vermögenslosigkeit schicksalhaft verknüpfte vertragliche Dauersubordination mit ihren Nachteilen, legen, wie er treffend bemerkt, gegen die freie Marktwirtschaft den Verdacht einer „unehrlichen Frei­ heitsordnung “nahe. Sehr zu denken gäben ferner die mit der freien Marktwirt­ schaft zusammenhängenden Wirtschaftskrisen, die in ihrer konkreten Gestalt als periodisch auftretende Störungen in den marktwirtschaftlichen Anpassungsvor­ gängen dem Gesetz anpassungswidriger Kettenreaktionen zu unterliegen scheinen ; außerdem die unzureichende Steuerungsfunktion des Preisautomatismus, die auf Grund der faktischen, nicht zu beseitigenden Monopolisierung des Marktes bestenfalls nur modelltheoretischen Wert besitze; zudem gewisse „Schönheits­ fehler“, wie etwa die Tatsache, daß der faktisch geltend gemachte Bedarf ohne weiteres „mit berechtigtem, vernünftigem und sittlich einwandfreiem Bedarf“ gleichgesetzt werde (k 75ff.). In dieser freimütigen Kritik hat Böhm im wesentlichen das zusammengetragen, was die wirtschaftliche Erfahrung gegen die freie Marktwirtschaft einzuwenden pflegt. Zur Erklärung für die von Böhm hervorgehobene markttheoretische Dis­ krepanz zwischen autonomem Eigeninteresse und sozialwirtschaftlichem Gesamt­ interesse weist W, Eucken auf einen sehr bezeichnenden Umstand hin, der uns noch in der Gemeinwohlfrage beschäftigen wird: Wenn es der Wettbewerbs­ ordnung „nicht überall“ gelinge, die Äußerung des Eigeninteresses mit dem Gesamtinteresse zu koordinieren, dann liege es nicht an der Steuerfunktion des Preissystems, das seiner Ansicht nach genau arbeitet, sondern daran, daß die unvermeidlichen Rückwirkungen der einzelwirtschaftlichen Pläne auf die gesamt­ wirtschaftlichen Daten nicht berücksichtigt werden (h 302, 365). Wirtschafts­ politik allein könne daher trotz ihrer Bedeutung nicht ausreichen. Da selbst die beste Ordnungspolitik den individuellen Fall als solchen nicht berücksichtigen könne, seien über sie hinaus Vorkehrungen und soziale Hilfsmaßnahmen not­ wendig, um Lücken auszufüllen und Härten zu mildern. Eucken fügt beruhigend hinzu, dies sei nicht verwunderlich, denn vollkommene Lösungen gebe es im Bereich menschlicher Ordnungszusammenhänge nun einmal nicht (h 313). Letztere Erklärung läßt F. Böhm allerdings nicht gelten. Er sieht sich mit den übrigen Mitgliedern des Grundsatzausschusses in dem Bestreben einig, der bagatellisierenden „Selbstbeschwichtigung“, die faktische Diskrepanz zwischen Postulat und Wirklichkeit sei nicht größer als die übliche zwischen Ideal und Wirklichkeit, „das Milieu zu verderben“ (k 86). A . RüstoWy für den die erbliche Startungleichheit das „wesentlichste institutioneile Strukturelement“ darstellt, „durch das der Feudalismus in der Marktwirtschaft fortlebt und sie zur Plutokratie, zur Reichtumsherrschaft macht“, setzt sich mit

140

Individualistische Sozialmetaphysik

konkreten Vorschlägen, die unter anderem eine Reorganisation des Erbrechts befürworten, für die Realisierung der „Startgerechtigkeit“ ein (c 152, 150, 146f.; 1 68ff.). F. A . Lutii gibt sowohl die ungleiche Verteilung wie auch die Start­ ungleichheit innerhalb der Wettbewerbsordnung zu, sieht jedoch keinen brauch­ baren Ausweg aus diesem „Dilemma“ (249f., 250). W. Röpke erklärt generell, weder mit einem romantischen „nationalökonomisch-ahnungslosen Moralismus“ noch mit unbekümmertem individualistischem Freiheitspathos allein sei dem sozialen Problem beizukommen (o4). Der neoliberalen Kritik liegt das unausgesprochene Eingeständnis zugrunde, daß die liberale These von der marktmechanischen Integration des Gesamtwohles in ihrer Absolutheit faktisch nicht zu halten ist. Demnach bedarf das neoliberale Ordnungswollen, das sich, wie wir bisher gesehen haben, um den funktions­ fähigen Wettbewerb als entscheidender Ordnungspotenz zentriert, einer ent­ sprechenden, über die marktmechanische Lösung der sozialen Frage hinaus­ greifenden überindividuellen Orientierung und Ergänzung. Für den Sozialethiker ist die Frage von Interesse, ob der sozialrevisionistische Neoliberalismus sich zu dieser Erkenntnis durchringt und daraus die Konsequenzen zieht, indem er sich im Bereich der speziellen Sozialpolitik zu einem objektiv vorgegebenen und be­ inhalteten Gemeinwohl als dem imperativen Grundwert aller interventionistischen Überlegungen bekennt. Die Antwort entscheidet darüber, ob die spezielle Sozial­ politik sozialethisch zu interpretieren ist oder nicht. Ordnmgspolitische Prädominan^ des Wettbewerbsprin^ips Über die Frage nach der letztgültigen Normierung der speziellen Sozialpolitik hat sich auch W\ Eucken Gedanken gemacht. Er sieht grundsätzlich im wettbewerbs­ politischen und sozialethischen Ordnungswollen zwei verschiedene „Denkweisen“, die Zusammenstößen; ihre „Synthese“ sei deshalb schwierig, weil jede dazu neige, ihr Recht zu behaupten (h 349 f.) Wie überwindet Eucken generell diese Spannung ? Wo liegen die Grenzen, die der Neoliberale den sozialpolitischen Korrektur­ bestrebungen zieht ? Zunächst ist festzuhalten: Bei aller anerkennenswerten Aufgeschlossenheit für die Belange des sozialen Anliegens dominiert die Sorge, die Wirtschaftspolitik insgesamt könne durch spezielle Interventionen durchkreuzt und die soziale Frage in neuer Form hervorgerufen werden (h 313 f.). W’ Eucken beeilt sich förmlich zu betonen, daß auch die spezielle Sozialpolitik vorbehaltlos nach Maß­ gabe der ordnungspolitischen Gesamtentscheidung zu realisieren sei, wenn sie Erfolg haben wolle. Zwei Grundwerte werden seiner Ansicht nach durch inter­ ventionistischen „Punktualismus“ bedroht: erstens, die individuelle Freiheit, nämlich dann, wenn durch Mißachtung der ordnungspolitischen Interdependenz

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

141

die Tendenz zur „Transformation“ in Richtung auf die Zentralverwaltungs­ wirtschaft ausgelöst wird (h 180f., 186, 189, 54f., 349); zweitens, das neoliberale Apriori, wonach die maximale Produktionsleistung und mit ihr die Lösung der sozialen Frage in ihrer Eigenschaft als Versorgungsfrage nur dann zu garantieren ist, wenn der vollständige Wettbewerb als Ordnungspotenz aller wirtschafts- und sozialpolitischen Bestrebungen respektiert wird. Besteht die wirtschaftspolitische Überzeugung, daß die sozialen Fragen nur in einer freien Ordnung und in dieser nur dann zu lösen sind, wenn die Konkurrenzpreise das Instrument der gesamt­ wirtschaftlichen Lenkung sind, dann müssen nach Eucken konsequenterweise auch alle Einzelmaßnahmen auf diesen Grundsatz abgestimmt werden (h 321). Zwar räumt er ein, daß die Wettbewerbsordnung auf Grund dieser Mängel mit einer „relativ“ guten Maschine zu vergleichen sei; diese Mängel aber dadurch be­ seitigen zu wollen, daß die gesamte Wettbewerbsordnung über Bord geworfen und zentrale Planung eingeführt wird, die die gleichen Mängel in viel größeren Ausmaße besitze, hält er für widersinnig (h 366). Wenn der ordnungspolitische Grundsatz, daß nicht am einzelnen Punkt Gerechtigkeit realisiert werden könne, sondern nur durch Herstellung von Ordnungsformen, die eine „gerechte Len­ kung“ des Gesamtprozesses ermöglichen, außer acht gelassen wird, dann fördert nach Euckens Ansicht die ethische Reflexion wirtschaftspolitische Maßnahmen, die sich ungerecht auswirken und dadurch den religiös-sittlichen Zweck der kirch­ lichen Reformbestrebungen illusorisch machen. Für Eucken erscheint die Span­ nung zwischen der ökonomischen und der sozialethischen Reflexion nur in der Form lösbar, daß beide Denkweisen „zur Koinzidenz gebracht werden“ und zwar im Rahmen der Wettbewerbsordnung (h 349). Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß im sozialen Ordnungsdenken W. Euckens nicht von einer echten Ordnungseinheit zwischen markttheoretischen und so^ialetischen Über­ legungen^ sondern nur von einer ordnungspolitischen Prädominanz des Wettbewerbsprinzjps mit seinen konstituierenden und regulierenden Prinzipien die Rede sein kann. Dem neo­ liberalen Apriori entsprechend geht das soziale Anliegen im Wettbewerbsanliegen auf. Die konsequente Realmerung der Marktform vollständiger Konkurrenz rangiert an oberster Stelle der sozialen Wertordnung. Die Tendenz V*r sozialen Korrektur, die sich in der speziellen Sozialpolitik konkretisiert und lediglich darauf beschränkt, Luchen auszufüllen und Härten zu mildern, ist für das Wirtschaftsordnungs-System nicht von struktureller, sondern nur von modifizierender Bedeutung. Es wird sich auf den folgenden Seiten immer deutlicher abheben: Das, was Eucken zu vermeiden gesucht hat, die Sozialpolitik nur als „Anhängsel“ der Wirtschafts­ ordnungs-Politik zu behandeln, ist in Wirklichkeit die unausbleibliche logische Konsequenz aus der verabsolutierten wettbewerbstheoretischen Prämisse. Diese bedingt zugleich das für den Ordo-Liberalismus typische Alternativdenken, den

142

Individualistische Sozialmetaphysik

„Prinzipienmonismus“, der sich nur zwischen den beiden Extremen der reinen Wettbewerbsordnung und der zentralgelenkten Wirtschaftsform bewegt (h 245). Als solcher bildet er den theoretischen Ausgangspunkt für die neoliberale Argu­ mentation gegen jede teleologische Ordnung des Wettbewerbs. Quantitative Korrektur des Produktivergebnisses Betrachten wir daraufhin die Theorie der „sozialen Marktwirtschaft“, dann ent­ steht zunächst der Eindruck, daß A . Müller-Armack weiterzugehen sucht. Was wir bisher bei W. Eucken festgestellt haben, daß nämlich das neoliberale Ordnungs­ wollen zu sehr wettbewerbsdogmatisch gebunden ist, um den entscheidenden Schritt zu einer konstruktiven Sozialidee tun zu können, deutet Müller-Armack in einer abschließenden Beurteilung der Äj^&’schen Theorie vorsichtig an. Sei­ nem Dafürhalten nach scheint der Neue Liberalismus W. Röpkes bei wichtigen Ansätzen noch nicht zu einem vollen Abschluß gekommen zu sein, sobald es sich darum handelt, „die sozialen Möglichkeiten einer Marktwirtschaft wirklich aus­ zuschöpfen“ und „das Maximum möglicher Sozialgestaltung, das mit einem marktwirtschaftlichen System noch verträglich ist, zu ermitteln“ . Den Hinweis auf die sozialen Vorteile eines gegen Macht und Monopole abgeschirmten Wett­ bewerbs hält er für ungenügend (g 266). Die Zielsetzung einer sozialen Markt­ wirtschaft habe über eine Modifikation oder klarere Herausarbeitung des Wett­ bewerbsprinzips „wesentlich“ hinauszugehen; die Herstellung einer formalen Wettbewerbsordnung allein sei dafür in jedem Falle nicht ausreichend. Die soziale Marktwirtschaft setze die freie Marktwirtschaft voraus, dürfe aber mit ihr nicht identifiziert werden. Wenn sie mehr sein will als ein ethischer Appell, ist nach Müller-Armack die „institutionelle Verankerung ihres Doppelprinzips“ in der Wirtschaftsordnung: der freien Initiative und der sozialen Gestaltung, un­ umgänglich (i 32, 34, 37; j 390). Neben die Konservierung konkret überschau­ barer Lebensbeziehungen und neben die soziale Sicherung aus den Produk­ tivitätsergebnissen des marktwirtschaftlichen Prozesses müsse der Ausbau sozialer Sicherungen und sonstiger Maßnahmen treten, „die sehr bewußt zu einer sozial­ gelenkten Marktwirtschaft ausgestaltet werden können“ (g 266). Es handle sich nicht nur darum, gleichsam negativ Funktionslücken des Wettbewerbs und des Konjunkturzyklus auszufüllen, vielmehr darum, der Marktwirtschaft eine „neue Gestalt“ zu geben, bei der ihr Prinzip nicht verfälscht, ihr aber vom heutigen sozialen Wollen ein „neuer Weg“ gewiesen wird. Eine „neue dritte Form“ (d 87) sei zu entwickeln; die Aufgabe müsse zugleich als „geistig-sittliche Aufgabe“ begriffen werden (c 149). Er hält es für einen verhängnisvollen Irrtum, der Automatik des Marktes in seinem „technischen und partiellen Charakter“

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

143

die Aufgabe zuzumuten, eine letztgültige soziale Ordnung zu schaffen (d 85). Die Marktwirtschaft heute bedürfe im stärksten Maße einer „geistigen Formung“ (d 104). A . Müller-Armack vertritt demnach die Auffassung, daß das soziale Anliegen im Raum der Wirtschaft nur dann über den engen Rahmen des ethischen Appells hinauskommt, wenn sein Recht durch das soziale Ordnungswollen institutionell gesichert wird. Der Ansatzpunkt zu einer sozialethischen Durchformung der neoliberalen Ordnungstendenz und des sozialen Impulses im Sinne einer sozial­ philosophischen Umbesinnung auf ein objektiv vorgegebenes, substantüert definiertes (Böhm, 1168j und als ordnungspolitischer Zielwert anerkanntes Ge­ meinwohl ist damit gegeben. Es fragt sich jedoch, ob Müller-Armack die „geistige Formung“ der Marktwirtschaft so verstanden wissen will; ob er bereit ist, den entscheidenden Schritt zu einer wirklich „neuen dritten Form“ sozialer Wirt­ schaftsgestaltung zu vollziehen. In der Begriffsbestimmung der „sozialen Marktwirtschaft“ als wirtschaftspoli­ tisches System unterscheidet er zunächst zwischen der „innewohnenden Sozial­ funktion“ und der „sozialen Ausgestaltung“ der Wirtschaft. Zu ersterer rechnet er die Steuerung der Wirtschaft durch den Verbraucher sowie die Produktivitäts­ erhöhung, die beide von vornherein als „soziale Leistung“, als „sozialer Fort­ schritt“ (k 85) bewertet werden und als solche den „sozialen Ansatz“ (e 301) der Marktwirtschaft manifestieren. Die „soziale Ausgestaltung“ basiert auf der institutionellen Sicherung des Wettbewerbs und der damit garantierten „sozialen Funktionsfähigkeit des Instrumentarismus“ . Hinzukommt die staatliche Ein­ kommensumleitung auf dem Fundament des marktwirtschaftlichen Einkommens­ prozesses. Der ideologische Angelpunkt der Ordnungskonzeption Müller-Armacks liegt demnach ebenfalls im Wettbewerb, der als „primäres Koordinierungsprinzip“ aller ordnungspolitischen Bestrebungen (j 390) und als „sozialökonomisches Organisationsmittel“ (i 30) die Synthese zwischen dem Prinzip der Marktfreiheit und dem des nachträglichen Ausgleiches im Rahmen der marktwirtschaftlichen Gesamtordnung zu realisieren hat (390f.). Die Begriffsordnung, die sich im neo­ liberalen Ordo-Gedanken konkretisiert, ist nach Müller-Armack eine „geistige Ordnung“, die nicht durch politische Gewalt hergestellt, sondern durch die Gesetze des Wettbewerbs erzeugt wird (h 79). Wie wirgesehen haben (3. K., 26), betrachtet er die wirtschaftspolitische Sicherung maximaler Produktivität als die „entscheidende Aufgabe“ der „sozialen Gestaltung“ der Wirtschaft. Aus diesem Grunde empfiehlt er eine „zweckmäßige Arbeitsteüung zwischen dem Wirtschafts­ politiker und dem spezifischen Sozialpolitiker“ (h 85 f., 97), der anschließend die notwendigen Korrekturen und Ergänzungen zu dem rein technisch verlaufenden

144

Individualistische Sozialmetaphysik

Prozeß der Güterordnung vollzieht (d 85). Da die Marktwirtschaft in ihrem instrumentalen Charakter als Rechnungsapparat und Organisationsmittel sowieso auf eine „übergeordnete Regelung der sozialen Grund Verhältnisse“ angewiesen ist (d 93), brauchen weder die in den Marktprozeß eingehenden Ausgangsdaten noch der aus ihm hervorgehende Einkommensaufbau mit unseren sozialen Maß­ stäben in Übereinstimmung zu stehen (i 30); das sei keine Sache, die die Markt­ wirtschaft selbst lösen könne (k 85). Nur unter der Voraussetzung, daß nicht versucht wird, „etwa soziale Ziele mit der variablen Wirtschaftsrechnung zu erreichen“, verträgt sich die Marktwirtschaft mit den verschiedensten Formen sozialer Ordnung (d 93). Müller·A r mack definiert die von ihm intendierte Wirt­ schaftsform als eine nach den Regeln der Marktwirtschaft ablaufende, aber mit sozialen Ergänzungen und Sicherungen versehene Wirtschaft (c 148 f.). Zusammenfassung und S t e ll u n g n a h m e (zu a) Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die von A . M üller-Armack intendierte „geistige Formung“ und „von außen kommende Prägung“, die „neue dritte Form“, die „konstruktive Umgestaltung“ der Wirtschaft und die „institutionelle Verankerung“ des sozialen Elements nur anspruchsvolle Formulierungen sind für die Tatsache, daß er der nachträglichen quantitativen Korrektur des markt­ wirtschaftlichen Produktivergebnisses mit dem Ziel der indirekten sozialen Sicherung (e 299 f.) und unter Befürwortung bestimmter „Stabilisatoren“ (i 31) mehr Bereitschaft entgegenbringt als die übrigen Ordnungspolitiker. MüllerA r mack distanziert sich zwar von gewissen mythischen Verabsolutierungen des Wettbewerbsautomatismus; von einer „geistigen Umformung“ des gängigen neoliberalen Gedankengutes kann jedoch bei ihm keine Rede sein. Die Tatsache, daß das Wort „sozial“ in seinen Grundsatzerklärungen und Abhandlungen er­ staunlich oft und zwar in den verschiedensten Kombinationen anzutreffen ist, ändert nichts daran, daß das soziale Anliegen auch für die Theorie der „sozialen Marktwirtschaft“ nicht von struktureller, sondern nur von modifizierender Be­ deutung ist. Die verschiedenen Einsichten, Ansprüche und Sinngebungen, die Müller-Armack im Begriff des Sozialen zum Ausdruck zu bringen sucht, finden ihre gemeinsame Beziehungsebene in der „grundsätzlichen Prädominanz des Wettbewerbs-Instrumentes“. „Sozial“ ist für ihn inhaltlich identisch mit „pro­ duktiv“, „expansiv“, „wettbewerbskonform“ , „preisgesteuert“ (i 31 ; 1301). Mit anderen Worten: Das soziale Element ist nicht institutionell gesichert, nicht im Wesen der Wirtschaft verankert. Die bewußte „Eingliederung“ sozialer Ziele in die Marktwirtschaft ist, dem neoliberalen Apriori entsprechend, von vorn­ herein nur auf die Verteilungskorrektur des Produktionsausstoßes seitens des marktwirtschaftlichen „Halbautomaten“ (d 94; i 30) bezogen. Die gesamte

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

145

Spezialpolitik ist bewußt als eine nachträgliche Korrektur von Fehlwirkungen des marktwirtschaftlichen Ablaufes, mit dem sie direkt nichts zu tun hat, konzipiert; daher auch die geforderte Arbeitsteilung zwischen dem Wirtschafts- und Sozial­ politiker. Die mechanistische, entpersönlichte Wirtschaftsauffassung MüllerArmacks, von der im sechsten Kapitel noch die Rede sein wird, tritt hier deutlich zutage. Der Gedanke einer bewußt „integrierenden“ Sozialpolitik, die sozial­ politische Aufgaben als Gesamtproblem begreift und in die Wirtschaftslehre eingliedert, liegt ihm fern. Von dieser Grundposition aus hält es Müller-Armack „für völlig falsch“ zu sagen, wir hätten eine „unkorrigierte“ Marktwirtschaft, da in Wirklichkeit der Markt­ prozeß sehr erheblich „von dem Volumen unserer steuerwirtschaftlichen Ein­ kommensumleitung“ korrigiert sei (k 86). Daß hier begrüßenswerte Fortschritte erzielt wurden, ist bereits anerkannt worden. Für den Sozialpolitiker ist jedoch die später zu beantwortende Frage von Interesse, ob diese „erheblichen Ausgleichs­ korrekturen“, sowie die „erheblichen automatischen Ausgleichskräfte“ der Marktwirtschaft, die insgesamt „noch kein ideales Gleichgewicht verbürgen (d92), praktisch ausreichen können, um dem sozialen Anliegen in seiner Dringlichkeit voll gerecht zu werden und den Anspruch einer „sozialen Marktwirtschaft“ zu rechtfertigen. Vorerst stellen wir fest: das soziale Problem hat auch für A . MüllerArmack die Bedeutung einer primär mit markttheoretischen Kategorien erfaß­ baren und lösbaren Problematik (g 266; vgl. v. Eynem, 136). b) M a r k t k o n f o r m i t ä t als reg u la tiv e s Pr in zi p der Sozialpolitik Vorrang der ökonomischen Sachlogik Wie wir bisher gesehen haben, konkretisiert sich die neoliberale Sozialpolitik, soweit sie nicht mit der Wirtschaftspolitik identisch ist, in der Tendenz zur nach­ träglichen, quantitativen Korrektur des Wirtschaftsergebnisses. Das neoliberale Dogma von der ökonomischen Funktion der individuellen Freiheitsrechte auf der Basis des Gleichgewichts- und Automatismusglaubens liegt dieser Konzeption zugrunde und zieht die ordnungspolitische Grenze. W Euckens wissenschaftliche Arbeit geht darauf aus, diese durch die ökonomische Sachgesetzlichkeit vorge­ gebene Grenze klar herausarbeiten und der sozialethischen Reflexion normativ zugrunde zu legen. Die Lösung der Ordnungsfrage für die Wirtschaft und Ge­ sellschaft insgesamt ist seiner Ansicht nach weder in unmittelbarer Erfahrung noch in unmittelbaren naturrechtlichen Ableitungen möglich. Erst die wissen­ schaftliche Analyse der Probleme ermögliche die Gestaltung der Ordnungen in dem von den Kirchen erstrebten Sinne (h 347). „Wider das Unelementare des Denkens — zu den Sachen“, unter Verzicht „auf alles unverbindliche ideologische

146

Individualistische Sozialmetaphysik

Gerede“, lautet seine Devise. Unterordnung der Wettbewerbsidee und ihrer Sachnotwendigkeiten unter andersgeartete Gesichtspunkte ist für ihn gleichbedeutend mit „einem Verfall des ökonomischen Denkens“, der in erster Linie zu ver­ nichtenden Folgen für die Freiheit führe. Die vorbehaltlose Rücksicht auf die volle Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmechanismus, die sorgfältige Re­ spektierung der „wirtschaftlichen Notwendigkeit“ und der „ökonomischen Sachgesetzlichkeit“ (h 370) gelten als unüberschreitbare Grenze des „sozialen Ordnungswollens“ insgesamt und der speziellen Sozialpolitik im besonderen. „ Wettbewerbskonforme“ und „herkömmliche“ Sozialpolitik Daraus ergibt sich die für das neoliberale Ordnungsdenken fundamentale Bedeu­ tung der Marktkonformität als regulatives Prinzip sozialer Interventionen. F'. Böhm sieht die logische Begründung dieses Prinzips im Grundgesetz der Interdependenz aller wirtschaftlichen Reaktionen sowie in der grundsätzlichen Wirtschaftsauflassung gegeben, die sich der Technik der Wirtschaftssteuerung mit Hilfe von Automatismen bediene und die Gesetze dieser Automatismen auch da respektiere, wo man mit politischen oder sozialpolitischen Planmaßnahmen glaubt eingreifen zu müssen (k 88). Alle Lösungen, die das ordnungspolitische Grundgesetz der Marktkonformität, sei es durch Verstaatlichung des Privat­ eigentums oder durch zentrale Wirtschaftslenkung, außer acht lassen, vermindern nach W. Eucken die Leistungsanreize, verschlechtern die Kostenrechnungen und führen zur Bürokratisierung der Wirtschafts Verwaltung. Verminderung der Produktivität, Verschlechterung der Versorgung und Freiheitsbeschränkungen seien die Preise, die für jedes Ab weichen von der Wettbewerbswirtschaft zu zahlen seien, ohne daß eine gerechtere Verteilung des Sozialprodukts erwartet werden könnte (h 317). Die erforderliche Synthese zwischen sozialethischem Ordnungs­ wollen und ökonomischer Sachlogik (h 370) hält Eucken nur im Rahmen wett­ bewerbskonformer Sozialpolitik für möglich. Das Postulat der Marktkonformität als regulatives Prinzip sozialer Interventionen, der Produktion und der ihr entsprechenden Einkommensumleitung gehört auch zum ideologischen Bestand der „sozialen Marktwirtschaft“ (246). A . MüllerArmack setzt sich für sozialen Fortschritt und für soziale Gerechtigkeit ein und zwar „innerhalb der Möglichkeiten, die der Marktprozeß bietet“, und soweit sie „nur durch marktkonforme Maßnahmen“ realisierbar sind (i 30f., j 391 f.). Er erstrebt die „Eingliederung sozialer Ziele“ in die Marktwirtschaft „durch Schaf­ fung einer mit den Gesetzlichkeiten des Marktes verträglichen Sozialpolitik“ (e 301). Die intendierte Sicherung der Familie und die Bildung neuen Eigentums als vordringliche Ziele der nahen Zukunft sind der wichtigen Einschränkung unterworfen: „unter Wahrung der marktwirtschaftlichen Funktion“ (j 392). Die

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

147

bestehenden sozialpolitischen Maßnahmen sollen nicht aufgehoben, sondern zunächst überprüft und falls notwendig durch systemkonforme Lösungen ersetzt werden. Müller-Armack ist der Überzeugung, daß es für alle vernünftigen sozialen Ziele neben dem antimarktwirtschaftlichen Weg eine besondere marktwirtschaft­ liche Lösungsmöglichkeit in den Bedingungen einer freien Organisation gibt (g 266). Die „herkömmliche“ Sozialpolitik, die nach Euchen zu „punktualistisch“ ist, um durchgreifenden Erfolg haben zu können, gilt in Bezug auf das markt­ wirtschaftliche System als nicht homogen (h 312ff.). Der tiefere Grund dafür ist darin zu suchen, daß die herkömmliche Sozialpolitik ihre Notwendigkeit von einem sozialen Apriori herleitet und ihre konkreten Zielsetzungen von daher als vorgegeben betrachtet. Nach neoliberaler Auffassung gilt jedoch ein normativer außerwirtschaftlicher Wert mit der internen Sachgesetzlichkeit des Marktmechanismus als unvereinbar. Demnach dreht sich alles um die Frage, ob Marktkonformität mit Sozialkonformität identisch ist, ob der Wettbewerb die legitime Grenze sozialer Interventionen bilden kann, ohne daß dadurch das soziale Anliegen effektiv beeinträchtigt wird. Zu den wesentlichen Merkmalen wettbewerbskonformer Sozialpolitik wird die Dezentralisation gerechnet. Die Tendenz geht dahin, durch Entmachtung der zentralistischen Sozialpolitik die Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat hin aufzu­ halten und die drohende Verstaatlichung des Menschen zu unterbinden. Da der arbeitende Mensch gleichzeitig verschiedenen Lebensbereichen angehört, gliedert W. Eucken die spezielle Sozialpolitik nach: Haushaltsverfassung, Betriebsver­ fassung und Arbeitsmarktverfassung (h 318ff.). Eine dezentralisierte Betriebs­ und Arbeitsmarktverfassung schalte Unrecht aus (h 320 f.) und biete die Garantie für die Erfüllung sozialpolitischer Anliegen. Die betriebliche Sozialpolitik gewinnt damit an Bedeutung, nicht zuletzt deshalb, weil sie nach F. Böhm die Möglichkeit bietet, betriebsfremde Einflußnahme einzudämmen (82f.). Dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend kommen als Träger der Sozialpolitik, die erst dann von der staatlichen Sozialpolitik abgelöst werden sollen, wenn sie ihre Auf­ gaben nicht aus eigener Kraft erfüllen können, in Frage : die Berufsverbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die Berufsstände, die einzelnen Unternehmer in ihren Betrieben. Der Realisierung dezentralisierter Sozialpolitik stellt sich jedoch eine sehr erheb­ liche wettbewerbsbedingte Tatsache in den Weg, auf die auch W. Dürr hinweist: Die praktischen Möglichkeiten betrieblicher Sozialpolitik verringern sich mit zunehmender Konkurrenz, falls die Sozialpolitik nicht auf Kosten der Konsu­ menten realisiert werden soll, was die Neoliberalen zu vermeiden suchen. Wenn betriebliche Sozialpolitik nicht allgemein durchgeführt wird, sind dem einzelnen Unternehmer durch den Konkurrenzkampf kostspielige soziale Sonderkosten

148

Individualistische Sozialmetaphysik

untersagt, es sei denn, daß er eine besonders günstige Marktposition besitzt. Die einzelnen Konkurrenten schreiben sich also gegenseitig das Maß der sozialen Aufwendungen vor. Die Konkurrenz hat gerade im Industriezeitalter die Ent­ stehung einer marktkonformen Sozialpolitik unterbunden, sei es daß die allgemeine Anwendung sozialer Maßnahmen durch den Hinweis auf die Konkurrenz unter­ blieb, sei es daß „Fortschrittbesessenheit und ökonomisches Kalkül das Emp­ finden für soziale Probleme zurückdrängten“ und den Vorteil geringerer Lohn­ kosten ausnützten (66, 117, 125 f, 138). Der Druck von seiten der organisierten Arbeiterschaft rückte das kollektivistische Versorgungsprinzip in den Vorder­ grund und gab der Sozialpolitik den Charakter der Interessenpolitik. Das Konkur­ renzprinzip hat also nicht nur die Entstehung marktkonformer Sozialpolitik von vornherein unterbunden; es steht der betriebsinternen Sozialpolitik praktisch hemmend gegenüber, da ein Unternehmer in „vollständiger Konkurrenz“ nach L· Miksch keinen „sozialethischen Effekt“ zu erzielen vermag (d 69). Grund­ sätzlich gilt also, daß das Konkurrenzsystem von seinen individualistischen und wirtschaftstheoretischen Voraussetzungen her sich weder ein sozialethisches Soll geben noch ein solches realisieren kann, selbst wenn die Bereitschaft dafür vorhanden ist, im wesentlichen wegen der in ihm geltenden Grenzmoral, auf die G. Briefs hinweist (170 f.). Marktgerechte Einkommensumleitung Da die marktmechanische Einkommensverteilung zu untragbaren Dispropor­ tionen führt, obliegt der marktkonformen Sozialpolitik die sehr wichtige Aufgabe, einen optimalen Ausgleich herzustellen, ohne allerdings dabei die übrige Wirt­ schaftsordnungspolitik zu durchkreuzen. Kann der intendierte marktkonforme Einkommensausgleich, von dem die Kaufkraftverteilung, die Eigentumsbildung und die wirtschaftliche Startgerechtigkeit in erster Linie abhängen, gegenüber der bisherigen Praxis der „herkömmlichen“ Sozialpolitik einerseits und der anti­ marktwirtschaftlichen Tendenz zur Sozialisierung andererseits als eine kon­ struktive sozialgerechte Lösung betrachtet werden ? Das von neoliberaler Seite am häufigsten empfohlene Mittel zur Korrektur ist die Steuerprogression, über deren Begrenztheit man sich jedoch im klaren ist. W. Euchen sieht ihre Grenzen durch die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbs­ ordnung gezogen, in deren Rahmen sie ihren „sozialen Sinn“ erhalte. Sie dürfe nicht so weit gehen, daß die Neigung zu investieren nachläßt und der Gesamt­ prozeß dadurch geschädigt wird. „So notwendig die Progression unter sozialem Gesichtspunkt ist, so notwendig ist zugleich, durch die Progression nicht die Investition zu gefährden. Hiermit sind die Grenzen nach unten und nach oben

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

149

prinzipiell bezeichnet“ (h 300f.; 365f.). W. Röpke befürwortet ebenfalls eine durch den Staat vorgenommene oder geförderte Korrektur der Einkommens- und Besitzverteilung, soweit sie die marktwirtschaftlichen Grenzen berücksichtigt (h 64f.). F. A . Lut%empfiehlt zwar auch, „zu große“ Einkommensunterschiede durch gemäßigte Steuerprogression abzuschöpfen, glaubt aber, wie wir bereits gesehen haben, die bestehenden Disproportionen durch das generelle Bewußtsein kompensieren zu können, daß der Leistungswettbewerb zwar mit einer un­ gleichen Einkommensbildung verbunden sei, anderseits jedoch zu einer außer­ ordentlichen Erhöhung des Lebensstandards der Massen geführt habe. Aus diesem Grunde müßten die marktwirtschaftlichen Einkommensungleichheiten eben als Preis für die wirtschaftliche Produktivität hingenommen werden (252). F. Böhmy in der Beurteilung der sozialen Situation mehr Realist, ist der Meinung, die Einkommensunterschiede ließen sich sozial nur dann ertragen und rechtfertigen, wenn die unteren Einkommen, vor allem die aus weniger qualifizierter Arbeit, wenigstens ausreichen würden, um Unterhalt und Sicherheit einer Familie zu garantieren. Sie seien aber unerträglich, wenn die bittere Not zum unentrinn­ baren Schicksal unzähliger rechtschaffener Menschen wird und die beständige asoziale Lage es ihnen schwermacht, rechtschaffen zu bleiben (k 77). Wie wir bereits gehört haben, geht die Ansicht Böhms dahin, daß die marktwirtschaftliche Verteilung nur als eine „provisorische Vorweglösung“ zu betrachten ist, die unter dem Gesichtspunkt der verteilenden Gerechtigkeit einer letztgültigen Lösung zuzuführen sei (k 86). Bei der Frage nach der konkreten Verwirklichung gerät er jedoch mit sich selbst in Konflikt. Zwar stimmt er dafür, daß die Ein­ kommens- und Vermögens Verteilung „in gewissem“ Umfang zu korrigieren sei, weist aber im gleichem Atemzug auf das Problem hin, das mit der nachträglichen Korrektur durch steuerliche Abschöpfung gegeben ist Die Tatsache, „daß das nach System legitim Verdiente nachträglich aus einem anderen Gesichtspunkt als nicht geziemend verdient disqualifiziert werden muß“, und der daraus resul­ tierende psychologische Effekt könnten die steuernde Kraft der primären Ein­ kommensverteilung und damit die Produktionsimpulse, Dispositionen und Investitionen beeinträchtigen. Übrigens bezeichnend für seine individualrecht­ liche Befangenheit ist die Auffassung, die den ausgleichenden Eingriff nach Maßgabe der austeilenden Gerechtigkeit als Disqualifikation wertet (k 78). Daraus ist zu entnehmen, daß Böhm auch heute noch seinen alten Standpunkt vertritt. Demgemäß hält er die Methode der psyschologischen Beeinflussung als das einzig wirksame und zugleich mit der Konstruktionsidee der Wirtschaftsver­ fassung durchaus verträgliche Mittel, eine stark progressiv gestaffelte Einkom­ mens- und Vermögensbesteuerung jedoch als das schlechteste und schädlichste, wenn es sich darum handelt, „die sozial verstimmenden und das Rechtsgefühl

150

Individualistische Sozialmetaphysik

verletzenden Wirkungen“ des marktwirtschaftlichen Verteilungssystems zu überwinden oder abzuschwächen. Durch moralische Verpflichtung der höheren Einkommen, Aktivierung der Sparmoral, höheren sozialpolitischen Ehrgeiz, repräsentative Konsummoral der begüterten Schichten usw. glaubt er im wesent­ lichen die erforderliche, volkswirtschaftlich entscheidende Einkommens- und Kaufkraftkorrektur realisieren zu können. Die Sorge um das „psychologische Funktionieren“ des Wettbewerbssystems erweist sich hier als das entscheidende sozialpolitische Ordnungskriterium und als Ausgangspunkt wirklichkeitsfremder Spekulationen (c 116 ff.). Vom Einwand F . A . Hayeks (a 109) und L . Mikschs (d 60f.) gegen eine Ver­ teilungskorrektur, die „überhandnehmende Ermessensfreiheit“ müsse zur Zer­ störung des Rechtsstaates führen, war schon die Rede. Praktischer Natur ist der Einwand A . Rüstorvs, der beim Vollzug der „sozialen Steuergerechtigkeit“ die „weitgehenden marktwirtschaftlichen Uberwälzungs- und Ausweichmöglichkeiten“ vor Augen hat, die eine Realisierung des gesetzten Zieles illusorisch machen (c 136). Zu den Befürwortern der fraglichen Intervention gehört A . Müller-Armack. Die Einkommensbildung des Marktes, die er für „sozial blind“ hält, soll durch Regulierung vor allem derjenigen Einkommen, die nicht aus dem marktwirt­ schaftlichen Prozeß stammen bzw. im marktwirtschaftlichen Prozeß unzulänglich bleiben, korrigiert werden und zwar auf dem Wege über eine „Umorientierung der Wirtschaftspoliitk auf marktkonforme Möglichkeiten“ (k 97). Dem be­ rechtigten Einwand, daß die marktkonforme Bindung der Verteilungspolitik zugleich eine Einengung bedeutet, stellt er zunächst eine erweiterte, für soziale Zielsetzungen angeblich offene Interpretation der Marktkonformität entgegen. Für den erforderlichen Ausbau sozialer Sicherungen biete der Begriff der markt­ konformen Intervention wohl das Prinzip und die Form, aber noch nicht den eigentlichen Inhalt. Zwischen Antimarktwirtschaftlichkeit und völliger Markt­ konformität gebe es eine Zwischenschicht „noch“ mit der Marktwirtschaft verträglicher Maßnahmen, die sehr bewußt zu einer sozial gelenkten Marktwirt­ schaft ausgestaltet werden könnten (g 265 f.). Es fragt sich jedoch, ob die Unterscheidung in völlig-marktkonforme und noch­ marktkonforme Interventionen, die keine qualitative ist, eine sozial befriedigende Einkommenskorrektur zuläßt. Den erforderlichen Ausgleich der marktwirt­ schaftlichen „sozial unerwünschten“ Einkommensverschiedenheiten (d 109) er­ wartet er in erster Linie von der indirekten Umgestaltung der Einkommens- und Besitzverhältnisse und zwar durch „Freigabe des wirtschaftlichen Fortschritts“ und die damit verbundene indirekte Eigentumsbildung auf der Basis maximaler Produktivität (e 299). Die bedeutende Steigerung des Gesamtvolumens der

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

151

Industrieproduktion in den letzten Jahren beinhalte zwar noch keine soziale Verteilung, der Effekt der Steigerung komme aber den breitesten Schichten zugute, nicht zuletzt deshalb, weil in den letzten Jahren die selbständigen Einkommen relativ gesunken seien (k 85). Ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Gesamtexpansion und der Eigentumsbildung des kleinen Mannes besteht nach Müller-Armack insofern, als die Steigerung des Gesamtprodukt­ volumens neben den gesicherten Kleineinkommen die Möglichkeit des Sparens biete, die durch steuerliche Hilfsmaßnahmen unterstützt werden könne (k 97). Die Ermöglichung des Sparens hält übrigens auch W. Eucken für besser als caritative Hilfe oder staatliche Subsidien, da sie die individuelle Sicherung begünstige (h 319). A . Rüstow erhofft sich gerade von der Eigentumsbildung in Arbeiterhand, z. B. durch Gewinnbeteiligung und Sparen, eine Annäherung an die Startgerechtigkeit und gleichmäßigere Verteilung der Chancen (1 68 ff.). Erfahrungsgemäß reicht jedoch die allgemeine indirekte Sicherung nicht aus, um allen wirksam zu helfen. Dies trifft in erster Linie auf diejenigen zu, die aus irgend­ einem Grund nicht am Marktprozeß und seiner produzierten Güterfülle teil­ nehmen. A . Müller-Armack hält es in diesen Fällen für durchaus möglich, einzelnen Schichten, die nicht genügend Sicherung gefunden haben, „besondere Ver­ günstigungen zu geben“ . Um die Ausschließlichkeit dieser Hilfsmaßnahmen zu betonen, fügt er hinzu, daß diese „jedoch auf das Ganze angewendet, illusorisch werden müssen“ (e 299 f.). Darunter fallen Maßnahmen, die den direkten Ein­ kommensausgleich durch Besteuerung, Kinderbeihilfen, Miet- und Wohnungs­ bauzuschüsse, durch Sicherung des Handwerker- und Mittelstandes bezwecken (d 109). Außerdem kommen nach Maßgabe des marktwirtschaftlichen Ein­ kommensprozesses Fürsorgeleistungen, Renten, Lastenausgleich und sonstige Subventionen hinzu (j 391). Entscheidend ist nach Müller-Armack jedenfalls der Verzicht auf radikal vom Marktausgleich wegführende, den Markt blokkierende Maßnahmen, auf eine Lohnsicherung z. B., die die Höhe des Lohnsatzes nicht nach der Grenzproduktivität der Arbeit, sondern — wie beim Familien­ lohn — nach anderen Gesichtspunkten festzulegen und gegen die Markttendenzen zu behaupten sucht (d 108 f.). Der wirtschaftliche Gesamtprozeß dürfe durch Fragen der Lohnbemessung nicht berührt werden (k 98). Müller-Armacks Weg zum Einkommensausgleich ist also im Prinzip derselbe, den W. Eucken vorschlägt. Ein Unterschied besteht insofern, als Müller-Armack größere Bereitschaft zeigt, die bestehenden sozialpolitischen Mängel der Modelltheorie als solche anzuerkennen und durch entsprechende Maßnahmen zu korrigieren. Trotz der anerkennenswerten Fortschritte, die in dieser Richtung bereits erzielt worden sind, darf die fundamentale Tatsache nicht übersehen werden, daß auch MüllerArmack die Kategorie der Marktkonformität als sozialpolitische Maxime akzeptiert.

152

Individualistische Sozialmetaphysik

wie besonders deutlich in der Frage des sozialen Familienlohnes zu ersehen ist. Seine Theorie nimmt damit dieselben Begrenzungen in Kauf, von denen W. Eucken, F . A . Lut^y F. Böhm und A . Rüstow sprechen. Die Fülle begrüßens­ werter Hilfsmaßnahmen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das zentrale sozialwirtschaftliche Verteilungsproblem auf diesem Wege nicht in sozialgerechter Form zu lösen ist. Zusa mm enfassung und St e ll u n g n ah m e (zu b) Die Marktkonformität als regulatives Prinzip der intendierten Einkommensaus­ gleichskorrektur führt in ein Dilemma. Die Beachtung der marktwirtschaftlichen „Eigenlogik“ und die Rücksicht auf die Sacherfordernisse des Sozialwohls schlechthin lassen sich in diesem engen Rahmen nicht zur Deckung bringen. Das Prinzip der Marktkonformität ist mit dem Prinzip der Sozialkonformität nicht identisch. Eine Sozialpolitik, die ausschließlich marktkonform konzipiert ist, muß notwendig eine erhebliche Lücke zwischen markttheoretischer und sozial­ ethischer Ordnung in Kauf nehmen. W. Eucken ist sachlich genug, dieses Dilemma offen zuzugeben, indem er darauf hinweist, daß an dieser Stelle die Kritik an der Wettbewerbsordnung „einhaken“ könne. Er fügt allerdings abschwächend hinzu, daß die kritische Überbetonung dieser schwachen Stelle ein Kennzeichen der modernen Diskussion sei. Der Vorwurf unsachlicher Kritik diesem Übelstand gegenüber erledigt sich jedoch von selbst, da es sich nach den eigenen Worten W. Euckens beim Verteilungsproblem um jene Fragestellung handelt, die für die meisten Menschen immerhin „das primäre wirtschaftliche Problem“ darstellt und daher für die „stärksten wirt­ schaftspolitischen Bewegungen der Neuzeit“ den Ausgangspunkt bildet (h 12). Da nach neoliberaler Auflassung der marktmechanischen Verteilung nur die Alternativlösung der zentralen Planung gegenübersteht, durch die die Mängel nur noch vergrößert würden, bleibt nach Euckens Ansicht keine andere Wahl als die des kleineren Übels der marktwirtschaftlichen Verteilung (h366). Daß diese Alternative jedoch nicht echt ist, wird später zur Sprache kommen. A . Müller-Armack gibt im Jahre 1952 ebenfalls „das Mißliche eines auf bestimmte Schichten begrenzten Vermögenszuwachses“ zu, dem der Einkommensrückstand der Rentner, Fürsorgeempfänger, Beamten und Angestellten gegenüberstehe. Was in den ersten Jahren in Deutschland geschehen sei, könne nicht einfach mit der „sozialen Marktwirtschaft als geistiger Konzeption“ gleichgestellt werden. Er führt die feststellbaren Mängel auf die Schwierigkeiten der Anlaufzeit zurück (i 28 f.) und erhofft von der weiteren Ausgestaltung und dem Einbau von „Stabili­ satoren“ (i 31) die entsprechende Realisierung seiner sozialen Ziele. A . Rüstow spricht im Jahre 1955 davon daß von einer sozialen Marktwirtschaft, noch nicht

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

153

die Rede sein könne ; sie solle erst noch eine werden. Seiner Ansicht nach sind wir zu dem Zeitpunkt insbesondere von einer gleichmäßigen Verteilung der Chancen sehr weit entfernt (1 68ff.). Im Jahre 1959 bemerkt L. Erhard, die Methode der Selbstfinanzierung aus Gewinnen der Unternehmungen und auch im Staats­ haushalt sei in den Aufbaujahren nicht geeignet gewesen, „die Neubildung von Vermögen in den Händen breiter Kreise der Bevölkerung zu fördern“. Wegen dieser einseitigen Vermögensbildung sei „ein Rest sozialer Unzufriedenheit“ haften geblieben, den Erhard als gering wertet. Immerhin sei ihm dieser geringe Rest Anlaß gewesen, „eine bewußte Politik mit dem Ziel einer besseren Streuung in der Neubildung von Vermögen einzuleiten“ (g 62 f.). Ob es sich hierbei wirklich nur um eine Geringfügigkeit handelt, wird noch zur Sprache kommen. Die festgestellten sozialpolitischen Mängel gehen auf die grundsätzliche Frage zurück, ob ein befriedigender Kompromiß zwischen Marktkonformität und sozialer Sachnotwendigkeit auf der Basis markttechnischer Kategorien überhaupt möglich ist. Sie muß verneint werden. Wie W. Dürr mit Recht hervorhebt, kann die Marktkonformität als „Indifferenz zum Preismechanismus“ der „vollständigen Konkurrenz“ deshalb nicht über die Qualität und Zulässigkeit sozialpolitischer Interventionen entscheiden, weil diese nicht nur nach einem Indikator, dem markt­ technischen, bestimmt werden dürfen (145f.). Selbst F . A . Hayek ist der Ansicht, die strukturpolitische Neuordnung gemäß dem Modell der „vollständigen Konkurrenz“ würde nicht nur sehr einschneidende Maßnahmen erfordern, sondern könnte zur Billigung von „antisozialen Praktiken“ führen (d 134). Die Feststellung Dürrs, daß die „vollständige Konkurrenz“ und eine eng ausgelegte „Marktkonformität“ wesensgemäß sozialpolitische Mängel aufweisen (145 f.), findet ihre sozialphilosophische Bestätigung in der Tatsache, auf die wir noch zu sprechen kommen, daß das marktwirtschaftliche Gesamtinteresse als spontanes Ergebnis wirtschaftsimmanenter Gleichgewichtskräfte inhaltlich mit dem sozial­ ethisch interpretierten umfassenden Gemeinwohl nicht identisch ist. Die Ein­ engung sozialpolitischer Bestrebungen in den „Formalismus der reinen Markt­ konformität* würde zudem nahezu das Ende der „herkömmlichen“ Sozialpolitik bedeuten, ohne daß dafür ausreichender Ersatz geschaffen werden kann. „Wie aber soll ,systemgerecht* nach sozialpolitischen Belangen korrigiert werden“, fragt Dürr mit Recht, „wenn das System selbst Grenzen angibt, die ethisch nicht gerechtfertigt sind?“ (156f., 165). A . Müller-Armack sieht das vorliegende Problem sehr klar, wenn er darauf hinweist, daß unsere Zeit dringend einer integrierenden Lösung bedarf, die die Spannung zwischen sozialem Wollen und dem berechtigten Wunsch nach Freiheit zumindest mildert, wenn nicht gar aufhebt (i 29). Dieses Ziel läßt sich jedoch nur auf der Basis bewußt integrierender Wirtschaftspolitik erreichen, die davon

154

Individualistische Sozialmetaphysik

abgeht, Sozialpolitik grundsätzlich nur als nachträgliche Korrektur von Fehl­ wirkungen des autonom ablaufenden Wirtschaftsgeschehens zu werten, sondern der echten Synthese zwischen Wirtschaftstheorie und Sozialpolitik die kon­ struktive Idee einer gesellschaftlichen Wirtschaftsauffassung zugrunde legt. c) Gesellschaftliche Begr en zun g der A u s g l e ic h s k o rr e k tu r e n Sozialpolitik als „Linderungspolitik“ Wieweit das neoliberale „soziale Ordnungswollen“ noch von einer integrierenden undwahrhaft konstruktivenAuffassung entfernt ist, zeigt sich an der bewußten gesell­ schaftlichen Begrenzung der Tendenz zur sozialen Korrektur, die wir neben dem Charakter des Nachträglichen und der markttheoretischen Begrenzung als drittes Element herausgestellt haben. Die Tatsache, daß die korrektive Tendenz nicht von universellem Charakter ist, sondern sich lediglich auf unumgängliche Sachnotwendigkeiten zugunsten besonders Benachteiligter oder Bedürftiger erstreckt, gibt der speziellen Sozialpolitik nach W. Röpke (c 350) und A . Rüstow (c 151) das Gepräge einer kurzfristigen „Linderungspolitik“. Die Nutznießer der sozialen Interventionen lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. An erster Stelle stehen die besitzlosen Lohnarbeiter mit ihren Familien, die Arbeitslosen und Unselbständigen mit ihren Rechts-, Schutz- und Subventionsproblemen. Zu der zweiten Gruppe gehören die Alten, Schwachen und Kranken, die nicht aus eigener Kraft für sich aufkommen können, denen aber das soziale Versicherungs­ wesen zu helfen hat. Eine dritte Gruppe umfaßt Vertriebene, Ausgebombte, Katastrophengeschädigte usw., die durch Lastenausgleich und sonstige Hilfs­ maßnahmen wirksam zu unterstützen sind. Die Tendenz, die Interventionsmaß­ nahmen dort zu konzentrieren, wo sie am dringendsten benötigt werden, ist demnach bestimmend. Gesetzliche „Privilegierung*der Schwachen Der innere Vorbehalt, der auf neoliberaler Seite gegen die soziale Interventions­ politik festzustellen ist, geht nicht auf mangelndes soziales Verständnis zurück. Es ist, wie wir gesehen haben, die Sorge um die Funktionsfähigkeit der markt­ wirtschaftlichen Gesamtapparatur und deren Produktionsausstoß, die das Sozial­ ethos der neoliberalen Ordnungspolitiker umgrenzt. Rechtsstaatliche Erwägungen kommen hinzu. Nach F. Böhms Ansicht weicht die moderne Sozialgesetzgebung von der rechtsstaatlichen Gesetzesvorstellung insofern ab, als sie auf dem Prinzip der Privilegierung beruht, das sich mit der allgemeinen Rechtsgleichheit nicht vertrage. Da es sich jedoch, im Gegensatz zum feudalen Privilegienwesen, bei

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

155

den sozialgesetzlichen Privilegierungen um Arbeiter, Unselbständige, Besitzlose und Machtunterlegene und um das Ziel handle, faktische Machtungleichheiten und Chancenverschiedenheiten auszugleichen, könnten sie von Rechtsstaatsan­ hängern gebilligt werden. Die Erkenntnis, daß der reine Rechtsstaat keineswegs allen gesellschaftlichen Problemen und Situationen gewachsen sei, veranlasse seine Anhänger, „in diesem Punkt nicht doktrinär, sondern praktisch zu denken“ . Immer aber bleiben sie sich nach Böhm der Gefahren bewußt, die mit der gesetz­ lichen Einführung von Privilegien für eine freie Gesellschaft verbunden seien. Als unerläßliche Voraussetzungen für diese Art von Eingriffen in die Einkommens­ und VermögensverteÜung gelten für den neoliberalen Rechtsstaatler : die Tatsache eines wirklichen, offen zu Tage liegenden Notstandes; das „schwere Geschütz der Gesetzgebung mit aller Feierlichkeit“ und zwar mit dem Ziel einer auf jeden Sonderfall zugeschnittenen Gesetzesformulierung, die nur in äußersten Notfällen durch ein Ermächtigungsgesetz ersetzt werden soll; Abbau der Privi­ legien sobald als möglich. Nur so könne verhütet werden, daß jede Gesellschafts­ gruppe, die sich in irgendeiner „Verlegenheit“ befinde, nach einer sozialpolitischen „Extrawurst“ in Form gesetzlicher Sicherung verlange, oder daß durch direkte, aber „fast niemals erfolgreiche Korrekturen“ des Wirtschaftsprozesses die institu­ tionellen Gleichgewichtstendenzen durch Einengung der individuellen Freiheit unwirksam werden (1 162f., 164, 170). Das Sozialgesetz gilt nach Λ . Rüstorv grundsätzlich als Abweichung und Ausnahme von der rechtsstaatlichen Regel, als Notbehelf und künstliche Stütze, die nur eine vorübergehende Funktion zu erfüllen hat, als „soziale Hilfe für die Schwachen“ (1 63f.). ökonomisttsche Tendenz der Sozialpolitik Die Funktion des Sozialgesetzes besteht, wie F. Böhm erklärt, primär darin, den institutionellen Gleichgewichtstendenzen zum Vorteil der ganzen Gesellschaft und damit auch der wirtschaftlich schwachen Schichten zur Wirkung zu verhelfen (1 170). Die gesetzliche Arbeitszeitbeschränkung beispielsweise interpretiert Böhm als „jene bei weitem wirksamste und erfolgreichste Veranstaltung zur Verbesse­ rung der Austauschposition von Anbietern unselbständiger Arbeitskraft“ (1 162). Die ökonomistische Tendenz, die sozialpolitische Gestaltung des Wirtschafts­ lebens nach Kategorien des reinen Wirtschaftsdenkens zu realisieren und die Billigung sozialgesetzlicher „Privilegienerteilungen“ markttheoretisch zu be­ gründen, ist, wie sich auf den folgenden Seiten immer deutlicher abheben wird, für das neoliberale Systemdenken schlechthin bezeichnend und übrigens auch folgerichtig. Zudem spielt Böhms zweckrationale Überlegung, daß die Wettbe­ werbsordnung ohne die Arbeiterschaft nicht zu realisieren ist (g 216), ja daß die

156

Individualistische Sozialmetaphysik

Gefahr besteht, der Mangel an konjunkturbeständigem Eigentum könnte das berechtigte Sicherheitsstreben der Arbeiterschaft dazu verleiten, sich für den Wohlfahrtsstaat und eine freiheitsfeindliche zentrale Wirtschaftslenkung zu ent­ scheiden, in neoliberalen Kreisen eine nicht geringe Rolle. Wie Ο. V. Nell-Breuning treffend bemerkt, werden auf neoliberaler Seite schwere Wirtschaftskrisen durchaus ernst genommen, allerdings unter dem Gesichts­ punkt, daß die durch die Wirtschaftskrisen bedingten sozialen und politischen Katastrophen in ihrer Reaktion die Freiheit bedrohen; die sozialen Absichten müßten sich gleichsam durch die Hintertür einschleichen (k). R . Löwenthal sieht darin einen „Kurzschluß von idealen Prämissen auf die krude Rechtfertigung höchst materieller Interessen“ (1283). Wie W. Dürr zu Recht bemerkt, ist der neoliberale Ordo-Gedanke nicht frei von „Pragmatismus“, der im Gegensatz zum Ordo der Scholastik und zur metaphysisch begründeten Sittlichkeit der Kirche stehe (165). Er will damit sagen, daß die angeblich in den Dingen selbst vorzufindende „vollständige Konkurrenz“ nicht die Maxime des sittlichen Ver­ haltens begründen kann, insofern die Marktkonformität bestimmt, was sozial­ ethisch nicht sein darf, daß also die soziale Bewandtnis des Wettbewerbs nicht von seiner marktwirtschaftlichen Brauchbarkeit abgeleitet werden kann. Wir werden der gleichen ökonomistischen Motivierung bei der Analyse der neo­ liberalen Gesellschaftspolitik wiederbegegnen. Wie deutlich zu sehen ist, macht sich in dieser mehr negativen, funktionaltheoretischen Auffassung des Sozial­ gesetzes die Verabsolutierung der individuellen Freiheitsrechte und ihrer aus­ gesprochenen ökonomischen Gleichgewichtsfunktion geltend. Auf Grund der Tatsache, daß die soziale Interventionspolitik bewußt auf bestimmte gesellschaft­ liche Gruppen beschränkt wird, erhält der Begriff „sozial“ in der neoliberalen Rechtsstaatsphilosophie ebenso wie in der Theorie der „sozialen Marktwirt­ schaft“ den Charakter des Fürsorgerischen, der keinerlei Rechtsanspruch in sich schließt. Von einer bewußt integrierenden Lösung des sozialen Problems kann daher keine Rede sein. Im Gegenteil: Wie wir gesehen haben, muß nach A . MüllerA r mack jede soziale Intervention illusorisch werden, sobald sie auf das Ganze bezogen wird (e 299f.). Der Vorwurf des „Punktualismus“ (h 312ff.) und der symptomatischen Oberflächenbehandlung, den W. Euchen gegen die herkömmliche Sozialpolitik erhebt, trifft ebenso die marktkonforme Behandlung der sozialen Problematik. Der restaurative Charakter des neoliberalen Programms, auf den H . Ritschl (d 127) hinweist, ist offenkundig. Er geht, wie / . Weihei (407) bemerkt, auf sozialethischen Indifferentismus zurück, der das Problem des sozialen Aus­ gleichs ungelöst läßt.

Das Soziale als quantitatives Korrekturproblem

157

Zu s a m m e nf a s s un g und Stellu ng nah m e (zu 3) Die Analyse der speziellen Sozialpolitik des Neoliberalismus läßt sich in die Feststellung zusammenfassen, daß alle sozialpolitischen Interventionen darauf hinauslaufen, nachträglich Funktionslücken des Wettbewerbsmechanismus aus­ zufüllen und soziale Härten zu mildern. Daß es sich bei diesen Fehlerscheinungen nicht etwa nur um erträgliche „Schönheitsfehler“, sondern zum Teil um folgen­ schwere Systemnöte handelt, die einer entsprechenden Korrektur bedürfen, wird zugegeben. Die neoliberale These von der marktmechanischen Integration des Gesamtwohles ist demnach in ihrer Absolutheit faktisch nicht zu halten. Die aufgeworfene Frage, ob der sozialrevisionistische Neoliberalismus im Bereich der speziellen Sozialpolitik aus der Erkenntnis der „immanenten Mängel“ des Systems die Folgerung zieht und sich zu einer echten überindividuellen, sozial­ ethischen Orientierung aller Korrekturmaßnahmen entschließt, muß verneint werden. Die ordnungspolitische Prädominanz des Wettbewerbsprinzips als „primäres Koordinierungsprinzip“ aller Interventionen räumt den sozialethischen Revisionen nur eine modifizierende Funktion ein. Von einer institutionellen Sicherung des sozialen Anliegens kann keine Rede sein, weil das System selbst dem sozialen Anliegen die Grenzen zieht. Die intendierte Eingliederung sozialer Ziele in die Marktwirtschaft bezieht sich von vornherein nur auf die nachträgliche Verteilungskorrektur des marktwirtschaftlichen Produktionsausstoßes. Die Kategorie der Marktkonformität gilt als sozialpolitische Maxime und legitime Grenze aller Interventionen. Die Tendenz, sozialpolitische Mängel, die auf die Funktionsbedingungen des marktwirtschaftlichen Systems zurückgehen, nach Maßgabe der gleichen Be­ dingungen korrigieren zu wollen, kann apriori zu keinem befriedigenden Ergebnis führen, was sich vor allem in der Verteilungsfrage erweist. Trifit es zu, was an Hand der Erfahrungen des sogen. „Deutschen Wirtschaftswunders“ später gezeigt wird, daß die neoliberale These von der erforderlichen reinen Markt­ konformität aller wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen in ihrer Absolutheit sachlich nicht begründet ist, dann erweist sich dieses Dogma modell­ theoretischen Denkens als Hemmschuh sozialwirtschaftlicher Zielsetzung und Verantwortung. Es zieht Grenzen, die den generellen Anspruch des Sozialen für die Marktwirtschaft nicht rechtfertigen.

158

Individualistische Sozialmetaphysik

Absch lie ße nde Be ur tei lun g der n e o lib e ra le n Soz ialethik (Kap. 3) Individualistische Beinhaltung des Sozialen Die abschließende Beurteilung der neoliberalen Ethik des Sozialen ergibt ein­ deutig die individualistische Begründung der sozialen Konzeption. Die Grund­ tendenz, die soziale Problematik grundsätzlich vom Individuum und seinem Rechtsanspruch auf Freiheit her zu deuten, bedingt die dreifache Bewandtnis des neoliberalen Lösungsversuches. Die soziale Frage wird als individualrechtliches Ausgleichsproblem, als funktionaltheoretisches Ordnungsproblem und als quanti­ tatives Korrekturproblem begriffen. „Sozial“ ist gleichbedeutend mit: „frei­ heitlich“, „produktiv“, „Wettbewerbskonform“, „fürsorgerisch“. L . Erhard erklärt zusammenfassend, daß für ihn der Begriff der sozialen Gerechtigkeit primär mit dem Problem verbunden sei, wie jedermann mit Hilfe wirtschaftlicher Unabhängigkeit „gegen Übergriffe in den eigenen Persönlichkeitsbereich“ ge­ schützt werden könne. Die Ergiebigkeit des Wirtschaftssystems müsse „auch unter sozialem Aspekt als allererstes empfohlen werden“ (g 60). Die gemeinsame Beziehungsebene für die verschiedenen Sinngebungen des Sozialen bildet der funktionsfähige Wettbewerb. Das Soziale wird also grundsätzlich von Individual­ erscheinungen her beinhaltet; die Sozialethik löst sich in die Lehre von den Individualrechten auf; die gegenseitige Loyalität gilt als sozialethisches Grund­ gesetz. Daß auf Grund dieser in ihrem sozialphilosophischen Ansatz verfehlten Problemsicht weder eine unverfälschte, ganzheitlich orientierte Sozialethik noch eine befriedigende Lösung der sozialen Spannungen möglich ist, wurde bereits ausführlich dargelegt.

Uneinheitlichkeit der sozialen Konzeption Wie bei F. Böhm und W. Eucken findet sich allerdings auch bei A . Müller-Armack eine bemerkenswerte ideologische Uneinheitlichkeit in der sozialen Konzeption, die zu widersprüchlichen Formulierungen Anlaß gibt. In seinen Grundsatzer­ klärungen vom Jahre 1953, in denen er die Liberalisierung und volle Eingliede­ rung der noch gebundenen Wirtschaftsbereiche in die freie Marktwirtschaft als Aufgabe der nahen Zukunft bezeichnet, macht er die bedeutsame Einschränkung: „bei Wahrung sozialer Gesichtspunkte“ (j 392). Sie besagt, daß die vorzeitige Herauslösung gewisser Versorgungsbereiche aus der zeitbedingten Bewirtschaf­ tung nicht beabsichtigt ist und zwar aus Gründen sozialpolitischer Rücksicht­ nahme auf die Lebensinteressen bestimmter Bevölkerungskreise. Diese Klausel ist insofern von grundsätzlichem Interesse, als die ins Feld geführten sozialen Gesichtspunkte auf eine Begründung zurückgehen, die sich durch eine gewisse

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Sozialethik

159

ganzheitliche Wertbezogenheit auszeichnet. Sie besteht in der Verantwortung vor einem situationsgerecht interpretierten Gemeinwohlbegriff, der nicht mit dem marktmechanischen Harmonisierungsergebnis privatwirtschaftlicher Ermessens­ freiheit identisch ist, vielmehr eine überindividuelle Wertqualifikation aufweist. Müller-Armack hält hier einen originären, nicht marktkonformen Eingriff in den Wirtschaftsprozeß, wie ihn Preisbindung und Bewirtschaftung darstellen, und den damit verbundenen Verzicht auf die begrenzten Augenblicks vorteile umfassender Liberalisierung um der Gesamtheit willen für notwendig. Diese Behandlung der sozialen Frage im Versorgungssektor hat im Unterschied zur neoliberalen Doktrin eine typisch sozialethische Bewandtnis. Die von Müller-Armack propa­ gierte „soziale Funktionsfähigkeit“ des marktwirtschaftlichen Instrumentariums und die von ihm geltend gemachten „sozialen Gesichtspunkte“ liegen, was ihren „sozialen“ Gehalt betrifft, auf zwei ganz verschiedenen Ebenen, die sich von­ einander unterscheiden wie die Modelltheorie von der sozialethischen Wert­ bezogenheit. Dieser erhebliche Unterschied in der Beinhaltung des Sozialen kommt in seinen Grundsatzerklärungen nicht zum Ausdruck, was auf einen gewissen Begriffsnominalismus schließen läßt. Die damit verbundene Begriffsunklarheit zieht sich durch das gesamte Schrifttum Müller-Armacks hin und führt an verschiedenen Stellen zu untragbaren Grenz­ verwischungen und Widersprüchen, z. B. : Die Marktwirtschaft als „rein formales Verfahren“ funktioniere nur dann in den verschiedensten „sozialen Rahmen“ und vertrage sich nur unter der Voraussetzung mit den „verschiedensten Formen sozialer Ordnung“, wenn nicht versucht werde, „etwa soziale Ziele mit der variablen Wirtschaftsrechnung zu erreichen“ (d 92f.); oder: die „soziale Funk­ tionsfähigkeit“ des Wettbewerbs sei um „sozialer Gesichtspunkte“ willen einzu­ schränken; oder: die in den Marktprozeß eingehenden „sozialen Ausgangsdaten“ brauchten nicht mit unseren „sozialen Maßstäben“ in Übereinstimmung zu stehen (i 30f.); oder: die marktwirtschaftliche Einkommensbildung, die als solche eine „soziale Leistung“ darstelle und den „sozialen Fortschritt“ auf der Basis „sozialer Verbesserungen“ ermögliche, führe zu Einkommensverschiedenheiten, die als „sozial unerwünscht“ erscheinen (d 109); oder: die reine Wettbewerbs­ wirtschaft wirke „einfach durch ihre Produktionssteigerung sozial“, sie habe als solche schon „gewisse soziale Funktionen“, obwohl ihre Einkommensbüdung „sozial blind“ ist (k 85). F ’. A . Hayeks Bemerkung, „sozial“ sei heute zu einem Beiwort geworden, das jeden Begriff, mit dem man es verbinde, seiner klaren Bedeutung beraube und zu einem unbeschränkt dehnbaren Kautschukwort mache, weshalb man sich durch eine radikale Operation von dem „verwirrenden Einfluß einer solchen magischen Beschwörungsformel“ befreien müsse (f. 72f.), hat gerade im vorliegenden Zusammenhang ihre Berechtigung. Jedenfalls gibt Müller-

160

Individualistische Sozialmetaphysik

A r mack indirekt zu, daß die funktionaltheoretische Beinhaltung des Sozialen gemäß dem Prinzip der Marktkonformität mit dem sozialethischen Postulat nicht identisch ist und der echten sozialpolitischen Verantwortung nicht genügen kann. Marktkonformität und Sozialkonformität Die lebhafte Kritik, die sich mit der sozialen Konzeption des Neoliberalismus auseinandersetzt, kreist im wesentlichen um das Mißverhältnis zwischen Wirtschafts­ und Sozialpolitik, sowohl was die ideologische Wertung wie auch das effektive Ergebnis betrifft. In einer abschließenden Beurteilung der sozialen Marktwirtschaft kommt O. v. NellBreuning zu dem Schluß, daß die anzuerkennenden Erfolge der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik im Bereich der Versorgung, des Arbeitsmarktes und der Produktion als „sozial erfreuliche Nebeneffekte“ zu werten seien, die noch nicht von einer bewußten Ausrichtung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik selbst als Instrument für eine bewußte gesellschaftlich-soziale Gestaltung unseres Zusammenlebens zeugen (w 110,118). O. v. Nell-Breunings wie auch F . Klüher und L . Preller sehen in dem neoliberalen Axiom, daß die beste Wirtschaftspolitik auch die beste Sozialpolitik sei, eine unstatthafte Umkehrung der Tatsachen, die der Wirtschaftspolitik den Vorrang vor der Sozialpolitik gibt. Ob eine Wirtschafts­ politik gut oder schlecht ist, bestimme sich danach, wie viel oder wie wenig sie beiträgt zu einer befriedigenden, gemäß ethisch-kulturellen Maßstäben positiv zu bewertenden Gestaltung des sozialen Lebens, nicht aber umgekehrt. F. Klüber bemängelt mit Recht, daß der Neoliberalismus zwar die Notwendigkeit staatlichinstitutioneller Sicherungen für das Funktionieren der Wirtschaft und die Maxi­ mierung des Sozialprodukts anerkenne, jedoch darauf verzichte, institutionelle Sicherungen dafür anzugeben, daß der arbeitende Mensch in jeder Phase des Wirtschaftsprozesses zur Geltung kommt, seine Menschenwürde gewahrt bleibt und er in gerechter Weise am Ergebnis beteiligt wird. Nicht das Produktions­ maximum, sondern das im Dienst seiner personalen Entfaltung stehende Optimum, das unter der Weisung der sozialen Gerechtigkeit und bei voller Berücksichtigung der geschichtlichen Situation von Fall zu Fall zu bestimmen ist, sei mit dem Sachziel der Wirtschaft identisch (a 76f; Preller, 185). Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammen­ gesehen werden müssen; der Wert des Sozialpolitischen muß von vornherein und gleichzeitig mitanerkannt werden. Wie W'. Dürr betont, kann das Sozialprinzip die Normen für eine ethisch befriedigende Gestaltung des Wirtschaftslebens nicht vom Konkurrenzprinzip her empfangen, denn die „vollständige Konkurrenz“ ist

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Sozialethik

161

als rein gedankliches Modell kein ethischer Begriff. Zudem können die gestal­ tenden Kräfte der Gesellschaft nicht nur nach einem ihrer Teilbereiche ausge­ richtet werden. Marktkonformität und Sozialkonformität sind nicht identisch. Die intendierte Umgestaltung der herkömmlichen Sozialpolitik nach Maßgabe der Marktkonformität stößt auf die erhebliche Schwierigkeit, daß das neoliberale Arsenal an „konformen“ Mitteln zur Bekämpfung sozialer Schäden und Fehl­ entwicklungen völlig ungenügend ist. Die dogmatische Abkehr vom „Herkömm­ lichen“ ist also zumindest bedenklich (148, 154, 142ff, 163ff.). A . F. Ut% erklärt dazu grundsätzlich, daß die freie Konkurrenz, da sie nicht im Sinne eines posi­ tiven Sozialprogramms, sondern einfach als inhaltsleere Prämisse wirtschaftlichen Handelns begriffen wird, nicht als sozialethisches Soll aufgefaßt werden kann, weshalb auch die Loyalität in der Beachtung der wettbewerblichen Spielregeln noch kein sozialethisches Prinzip darstelle (o 56). G. v. Eynern (129ff., 137f.) geht mit W’. A . Jöhr, W. Dürr, D . Dämmer darin einig, daß der Begriff des Sozialen, der sozialen Frage, der Sozialpolitik im neoliberalen Verständnis viel zu eng ist, um der sozialen Problematik gerecht werden zu können. Die Beinhaltung der sozialen Aktivität durch die Maßnahmen zugunsten Benachteiligter und Hilfs­ bedürftiger lenkt das Augenmerk ab von der umfassenden Aufgabe der mensch­ lich-gesellschaftlichen Gestaltung der Wirtschaft als solcher, die gerade die Beson­ derheiten des Faktors Arbeit und seiner Teilprobleme zu berücksichtigen hat, was nicht nach Maßgabe von Marktkategorien zu realisieren ist. W. Euckens Charakterisierung der sozialen Frage als Freiheitsfrage hält W .A. Jöhr (f 276) für zu begrenzt, als daß sie jene Nöte genügend berücksichtigen könnte, die sich aus der Existenzunsicherheit der Arbeiter, ihrer Stellung im Betrieb, den Spannungen mit der Unternehmerschaft ergeben und noch keineswegs als überlebt zu be­ trachten sind. W. Dürr (161) sieht den Aufgabenbereich der wirklichen Sozial­ politik so weit gespannt und stets aktuell, wie es menschliche Unvollkommen­ heiten gibt und Existenznöte geben wird, während W. Röpke (b 353) und F. Böhm (1162f, 170) davon überzeugt sind, daß mit dem Ende der Entproletarisierungsperiode und gewisser Notstände die Sozialpolitik sich von selbst aufhebe. Die unzureichende, weil verengende Sicht der sozialen Problematik seitens der Neoliberalen tritt deutlich auf der 12. Arbeitstagung der „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V.“ (vom 22. bis 23. Januar 1959 in Bad Godesberg), die das geistige Testament W’. Euckens zu verwalten beansprucht, in Erscheinung. Zur Diskussion standen „sinnvolle“ und „sinnwidrige“ Sozialpolitik. Die eigent­ liche Aussprache begnügte sich im Endergebnis mehr oder weniger mit einer Anklage gegen den bisherigen sozialpolitischen „Wildwuchs“. Da man auf die prinzipielle Bestimmung von Sinn und Zweck einer „sinnvollen“ Sozialpolitik und damit auch auf die systematische Gegenüberstellung der faktischen sinn-

162

Individualistische Sozialmetaphysik

widrigen mit der intendierten sinnvollen Sozialpolitik verzichtete, blieb die aller­ seits geforderte Aufstellung eines „Sozialplans“ notwendig im rein Formalen stecken. Die dem Gespräch faktisch zugrunde gelegte simplifizierende Sozial­ gleichung: Sozialfürsorge + nachträgliche Einkommensausgleichskorrektur = Sozialpolitik, kann nichts zu einer „Neubestimmung“ der Sozialpolitik beitragen. Wie W. Büchi bemerkt, hat echte Sozialpolitik sich nicht nur mit dem „sozialen Bodensatz“ der funktionsfähigen „sozialen Marktwirtschaft“, sondern primär mit der integrierenden Einordnung und Erhaltung hilfsbedürftiger einzelner oder Gruppen als Glieder einer gesellschaftlichen Gesamtordnung zu befassen, die der Neoliberalismus vermissen läßt. Auf die Realisierung der einzig sinnvollen Gleichung: Sozialpolitik = Gesellschaftliche Struktur- und Ordnungspolitik, und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Schutz erheben gerade heute u. a. die schwächeren Partner des Arbeitsverhältnisses, die Bauern, die von der Proletarisierung bedrohten Mittelständler und Angehörigen der „freien“ Berufe, die auf ihre gesellschaftliche Integrierung wartenden Flüchtlinge und Heimat­ vertriebenen, Anspruch (a 121 ff.). Gesellschaftlicher Charakter des Verteilungsproblems Das Ungenügen der neoliberalen Sozialpolitik, das am Schluß des 6. Kapitels noch zur Sprache kommt, zeigt sich besonders in der Vernachlässigung des Verteilungsproblems, sei es daß sie dieses, wie H . Moeller (b 228) bemerkt, bei funktionierender Wettbewerbsordnung für überflüssig oder für systemwidrig halten. G. Kroll, der die Vermögensbildung in ihrem Verhältnis zur sozialen Gerechtigkeit untersucht und an Hand statistischer Erhebungen der Bank Deut­ scher Länder über die Zeit von 1950—55 zu den Fragen der Vermögens Verteilung, Eigentumsbildung und Gewinnbeteiligung kritisch Stellung nimmt, kommt zu dem Ergebnis, daß die derzeitige Vermögensbildung in Deutschland ungerecht ist, und das freie Spiel der Kräfte eine gerechte Ordnung nicht zu gewährleisten vermag (c Iff., 96ff.). P.Jostock stellt fest, daß von den 60 Milliarden DM, die seit 1948 bis 1953, über den Ersatz des Kapitalverzehrs hinaus, allein in Industrie und Gewerbe neu investiert wurden, gegen 40 Milliarden DM aus unverteilten Ge­ winnen der Unternehmungen, die übrigen 20 Milliarden aus verteilten Gewinnen, sonstigen Einkommen und Kreditgewährungen stammen. Das besagt, daß der arbeitenden Bevölkerung trotz des im allgemeinen gestiegenen Lohnes der gerechte Anteil am Ertrag, vor allem an den unverteilten Gewinnen, nicht zuge­ flossen, sondern in das Eigentum der Unternehmer und Kapitalbesitzer überge­ gangen ist (d 38). Der Einwand, der Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft und die Bereitstellung von fünf Millionen neuer Arbeitsplätze hätten ohne ein starkes

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Sozialethik

163

Zwangssparen über die öffentlichen Haushalte und die unverteilten Gewinne der Unternehmen nicht in so kurzer Zeit bewältigt werden können, wie dies tat­ sächlich der Fall war, weshalb die daraus resultierende Verzerrung der Vermögens­ struktur als das kleinere Übel hätte in Kauf genommen werden müssen, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, obwohl auch dagegen gewichtige Ein­ wände bestehen. Die entscheidende Frage jedoch, ob das Versäumnis in der faktischen Vermögens Verteilung wenigstens vom Jahre 1955 an, in dem der wirtschaftliche Wiederaufbau im großen und ganzen als abgeschlossen gelten kann, durch entsprechende strukturelle Neuordnung tatkräftiger in Angriff genommen worden ist, muß, wie an Hand der letzten statistischen Erhebungen am Schluß des 6. Kapitels dargelegt wird, verneint werden. Ob die von neoliberaler Seite empfohlene sekundäre Einkommensverteilung durch den Staat, der erhebliche Beträge aus direkten Steuern oder Sozialver­ sicherungsbeiträgen durch Renten, Fürsorge- und Wohlfahrtsunterstützungen und dergl. neu zur Verteilung bringt, einen brauchbaren Ersatz bieten kann, erscheint u. a. aus dem Grunde zweifelhaft, weil zugegebenermaßen, wie P.Jostock ausführt, auch die direkten Steuern heute überwälzt werden, so daß sich die Last einseitig auf die große Masse der Unselbständigen verlagert, die ihre Lohnsteuer und ihre Beiträge nicht überwälzen können und in den Preisen ihrer Bedarfsgüter die direkten Steuern der anderen zu zahlen haben (d 43 f.). Das Schwergewicht der Redistribution ist infolge der Steuerüberwälzung auf die Schicht der unselbständigen Erwerbstätigen selbst verschoben und zwar derart, daß die Kosten der Versorgung der Kranken, Invaliden, Alten und Einkommens­ schwachen weitgehend von den in Arbeit stehenden Angehörigen, also von der gleichen sozialen Schicht, aufgebracht werden (d 38 f, 43 f). P. Jostock und E. Welty (f 326 f., 364) fordern als Heilmittel nicht etwa eine allgemeine Gleich­ macherei, sondern eine „der Menschennatur gemäße Reform der Wirtschafts- und Sozialstruktur“ . E . Preiser weist auf die sozial höchst unerwünschte Erscheinung hin, daß auf Grund des steigenden Unternehmergewinnes nicht vom Sparer, sondern vom Unternehmer die Investitionen finanziert werden, woraus klar zu ersehen sei, daß die Frage der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit entgegen dem neoliberalen Optimismus nicht von der Wettbewerbsordnung zu lösen ist (b 24). Aus der Wettbewerbsordnung allein ist kein gültiges Kriterium für die gerechte Verteilung zu entnehmen, da letztere sich als gesellschaftliches Problem nicht allein nach dem Äquivalenzprinzip bestimmen läßt, wie O. v. Nell-Breuning (p 226f.) und G. Weisser (i 49f., 52f, 61 f; h 21) unterstreichen.

164

Individualistische Sozialmetaphysik

„Integrierende“ und „gestaltende“ Sozialpolitik Die gesamte Kritik konzentriert sich auf die Forderung nach der „integrierenden“ und „gestaltenden“ Sozialpolitik, die sich nicht mit nachträglichen quantitativen Korrekturen von Fehlwirkungen des automatischen Wirtschaftsablaufes begnügt, sondern die Beseitigung der Fehlerquellen durch „soziale Durchformung“ des Wirtschaftsprozesses und „institutionelle Verankerung“ des sozialen Anliegens, also die qualitative Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Aufgabe betrachtet. Nachdem es durch das Versagen des Gesamtsystems in der Verteilungsfrage bereits zu offenkundigen Fehlleistungen gekommen ist, kann nach Ansicht F. Oeters eine bloße Neuordnung der sozialen Leistungen niemals über ein rein symptomatisches Kurieren an Einzeltatbeständen hinauskommen, während in Wirklichkeit eine grundlegende Reform nottut. Um die „in dem vorhandenen Ausmaß ganz fraglos als Fehlentwicklung zu betrachtende Kumulierung der Vermögenswerte“, um den „unheilvollen Prozeß dieser Vermögensumschich­ tung“ (d 3f., 17 f.) oder, wie G. Mackenroth formuliert, „die Irrationalitäten der modernen Verteilungsordnung (c 466) umzugestalten, müßten wir, wie O. v. NellBreuning festgestellt, so viel wie eben möglich auf eine uno-actu-Distribution hinauskommen. Dies erfordere eine bewußte Gestaltung der Wirtschaft, eine ökonomische Strukturpolitik mit sozialer Ausrichtung. Die fehlerhafte Ausgangs­ vorstellung der klassischen Sozialpolitik, sich auf nachträgliche Verteilung der im Wirtschaftsprozeß ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zu­ stande gekommenen Einkommen zu beschränken, wobei der ökonomische Pro­ zeß der ursprünglichen Einkommensbildung und der sozialen Redistribution als sozusagen unabhängige Vorgänge betrachtet würden, dürfe heute nicht mehr hingenommen werden. Schon allein die Reibungsverluste dieser Zweigleisigkeit seien bei der Höhe des gegenwärtigen Redistributionsprozesses untragbar geworden (z 12). Nach Ansicht F. Oeters (d 6) und G. Mackenroths (c 466) beschränken sich die Reibungsverluste keineswegs auf den Verwaltungsapparat des Staates und der Einrichtungen der sozialen Sicherheit; sie sind vielmehr ebenso in unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem nicht weniger selten festzustellen. Die Er­ haltung und Neubildung eines breit gestreuten Klein- und Mittelbesitzes rechnet Oeter zu den wichtigsten Maßnahmen sozialer Strukturpolitik (d 12). Beachtliche Bestrebungen in der Richtung, sozialökonomische Überlegungen im engeren Sinn in die nationalökonomische Theorie einzubeziehen, z. B. in der Lohn- und Investitionsfrage, waren auf der Kölner Tagung des Vereins für Sozialpolitik im Oktober 1956 feststellbar {Die Zeity 40/1956) und werden z. B. in der gegen-

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Sozialethik

165

wärtigen Diskussion um den Investivlohn aktuell. F. Klüber (a 79), G. Weisser (h 20f.; i 49, 54, 61 f., 68), G. v. Eynern (126, 136£.) heben drei Ansatzpunkte für eine soziale, nicht nur funktionale Sicherung der Wirtschaftsordnung hervor: Schaffung annähernd gleicher Startbedingungen durch Eigentumsbildung, Steuermaßnahmen, Erbrechtsreform, Begabtenförderung u. a. mehr; bezüglich des Wirtschaftsablaufes: Anerkennung der Mündigkeit des Arbeiters durch entsprechende Mitbestimmung und Mitverantwortung; hinsichtlich des Ergeb­ nisses: sozial befriedigende Einkommensbildung und gerechte Verteüung des Sozialproduktes und zwar primär auf originärem Wege, im Bedarfsfälle durch redistributive Maßnahmen. Vernachlässigung der Familienpolitik als Ordnungspolitik Die Frage des Familienlohnes tritt dabei besonders in den Vordergrund. Die Diskrepanz zwischen „sozial“ und „Marktwirtschaft“ kommt auch in dem bisherigen Versagen der Marktwirtschaft in der Frage der Sicherung des Familien­ lohnes zum Ausdruck. Eine Bestätigung dafür bietet H . Beckendorf, der Familienhilfe-Maßnahmen in der sozialen Marktwirtschaft systemgerecht nur auf individuelle Hilfeleistung, auf Fürsorgemaßnahmen ohne jeglichen Rechts­ anspruch beschränkt sehen möchte (94). Familienpolitik als „ordnende“ Sozial­ politik wird faktisch abgelehnt. Das überarbeitete sozialpolitische Sofortprogramm der „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V.“ bestätigt diese Feststellung. Entgegen der grund­ sätzlichen Erklärung, Sozialreform solle als Strukturreform intendiert werden und dabei den „materiellen und immateriellen Status der Kinder... in einer Weise vorsehen, die einer Gesellschaft freier, selbstverantwortlicher Menschen ent­ spricht“, ernüchtert und enttäuscht die nachfolgende Einschätzung und Beur­ teilung der Familienpolitik schlechthin. Die Grundkonzeption dieses Aktions­ programms ist insofern typisch neoliberal, als sie lediglich die Rechte und An­ sprüche des marktaktiven Individuums zugrunde legt, die Familie in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung jedoch faktisch ausklammert. Bezüglich der erforder­ lichen familiengemäßen Einkommensgestaltung wird festgestellt: „In einer gesunden Wirtschaftsordnung, die jedem Arbeitsfähigen die Chance gibt, seine Fähigkeiten zu entwickeln und aus eigener Leistung seine Existenz zu gestalten, kann und muß wieder vollauf der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Familienlohn und Kindergeld für den Tüchtigen nicht nötig sind, den beruflich untüchtigen Familienvater aber sinnwidrig begünstigen, da sie Leistungsstreben und Verantwortungsgefühl beeinträchtigen“. „Je mehr die Wirtschaftsordnung verbessert wird und der allgemeine Wohlstand steigt, desto stärker sollte der

166

Individualistische Sozialmetaphysik

Empfängerkreis von Kindergeld eingeschränkt und schließlich auf diese Insti­ tution ganz verzichtet werden“. Die entscheidende Frage, wer die Lasten für das Aufziehen der nächsten Generation zu tragen habe, wird folgendermaßen beantwortet: „Familiengründung, Kinderzeugung und Kinderaufzucht sind individuelle Entscheidungen der innersten persönlichen Intimsphäre jedes Menschen, in die der Staat nicht durch Sozialisierung der Aufzuchtkosten eingreifen sollte. Gesund empfindenden Eltern liegt der Gedanke fern, die Allge­ meinheit wäre verpflichtet, ihnen die Kosten der Aufzucht ihrer Kinder teilweise oder ganz abzunehmen“ (vgl. Wingeny a 305 f) Diese Argumentation, die in neoliberalen Kreisen anzutreßen ist, läßt sich in ihrer individualistischen Vereinseitigung und ausschließlich markttheoretischen Begründung nicht halten. Familiengründung und Kinderaufzucht gehen selbst­ verständlich auf individuelle Entscheidungen zurück, sind aber für das Volks­ ganze und nicht zuletzt für die Marktwirtschaft selbst von entscheidender Be­ deutung. Die Familienlasten mit einem Appell an das Selbstbewußtsein einseitig auf die Schultern des tüchtigen Familienvaters abschieben zu wollen, betrachten „gesund empfindende“ Eltern als billigen Fluchtversuch. Er überschätzt die Wirtschaftskraft der Familie und ignoriert zudem grundlegende soziologische Tatsachen, auf die G. Mackenroth (c 68f), F. Oeter (f 52) und P . Jostock (f 35f) hinweisen: die heutige Disproportionalität zwischen unserer generativen und wirtschaftlichen Struktur, die durch das äquivalente Leistungsprinzip, sowie die Konsum- und Genußorientierung der Marktwirtschaft verschärft wird ; ferner der biologisch begründete Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, zwischen den Personengesamtheiten, die die Leistungen für unsere soziale Siche­ rung aufzubringen haben, und der Zahl der Leistungsempfänger; endlich der grundsätzliche Wandel der sozialpsychologischen Situation, der den stets steigen­ den Lebensstandard in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen und sozialen Bewußt­ seins gerückt hat. Wie die wirtschaftliche Situation der Familien in der Bundesrepublik im 10. Jahre des „Deutschen Wirtschaftswunders“ in Wirklichkeit aussieht und unter welchen Opfern die entscheidende wirtschaftliche Vorleistung der durchschnittlichen kinderfreudigen Familie für die Regenerierung unserer sozialen Leistungskraft zustande kommt, ergibt sich aus den neuesten statistischen Erhebungen der Denkschrift des Familienministeriums vom Jahre 1959. Demnach besteht die heutige Erwachsenengeneration zur Hälfte aus Ledigen, kinderlos Verheirateten und Eheleuten mit nur einem Kind. Diese bestimmen infolge des Massenwirkungs­ gesetzes den Lebensstandard ihrer Berufe, der weit über dem liegt, was sich eine Familie mit zwei oder mehr Kindern bei gleichen Einkommensverhältnissen auch nur annähernd gestatten kann. Die kinderreiche Familie kann bei uns heute nicht

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Sozialethik

167

mehr standesgemäß leben, sie wird deklassiert. Trotz anerkennenswerter steuer­ politischer Vergünstigungen sinkt, sofern die Familie lediglich vom Arbeits­ verdienst des Ernährers leben muß, die Lebenshaltung auf den Status der Fürsorge­ empfänger (80 DM monatlich als Bedarf für ein Kind im Durchschnitt aller Lebens­ alter vom 1. bis 18. Lebensjahr) bei etwa zwei Drittel der Familien mit vier Kindern (Grenze: 520 DM netto, 590 DM brutto), bei ein Drittel der Familien mit drei Kindern (Grenze: 410 DM netto, 470 DM brutto), bei ein Viertel der Familien mit zwei Kindern (Grenze: 350 DM netto, 400 DM brutto). Das relativ größte Mißverhältnis zwischen Aufwendungen und Vergünstigungen in allen Einkommensschichten besteht bei den Familien mit zwei Kindern. Die Gesamt­ vergütung für zwei Kinder beträgt in der Einkommensstufe bis 400 DM brutto (350 DM netto), in der sich im Jahre 1958 etwa 20 bis 25% aller Lohnsteuer­ pflichtigen mit zwei Kindern befanden, 4 DM monatlich, d. h. den Gegenwert eines Glases Milch täglich. Rund ein Drittel dieser Familien haben ein Einkommen unter 450 DM, rund die Hälfte ein solches unter 500 DM, bei denen sich die Vergünstigung etwas erhöht. Die Folgen dieser Notlage: Die Bundesrepublik ist mit 21 Kindern unter 15 Jahren auf 100 Einwohner das kinderärmste Land der Welt. Mit der Geburtenzahl von 17 Geburten auf 1000 Einwohner im Jahre 1958 (35,6 Geburten im Jahre 1900) befindet sich die Bundesrepublik fast an der untersten Stelle in der Welt (vgl. Wuermelingyeff). Wie Wingen zu Recht bemerkt, hat der erforderliche Familien­ lastenausgleich nicht den Sinn, den Eltern etwas abzunehmen, was sie eigentlich selbst tragen müßten, um sie dadurch „sinnwidrig“ zu begünstigen. Es handelt sich vielmehr darum, daß die gesamte erwerbstätige Generation „einen teil weisen Konsumverzicht zugunsten der heranwachsenden Generation zu leisten und damit die unerläßliche Vorleistung dafür zu erbringen hat, daß sie — einmal aus dem Erwerbsleben ausgeschieden — von der nächsten Generation versorgt wird“ (a306), m. a. W. darum, die Kosten für die nächste Generation gerecht auf das ganze Volk zu verteilen. Die im Aktionsprogramm empfohlene Pflege des Familiensinnes kann die erforderliche konstruktive Familienpolitik innerhalb der „sozialen Marktwirtschaft“ keinesfalls ersetzen. Wie M. v. Gruber treffend be­ merkt, ist unsere gesellschaftliche und staatliche Ordnung so widersinnig, „daß sie jene geradezu wirtschaftlich bestraft, die der Gesamtheit durch Erzeugung eines zahlreichen, lebenskräftigen Nachwuchses den größten Dienst leisten“ (zit. Wuermeling, b 259). Im Grunde handelt es sich bei der Auseinanderstzung über die neoliberale Ethik des Sozialen um die ideologischen Voraussetzungen für die grundlegende Neu­ ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nach G. Weisser (h 13ff., 37, 40), B. Seidel (406ff., 412), H . Peter (n 729f., 732f.),/. Weibel (407), O. v. Nell-Breuning

168

Individualistische Sozialmetaphysik

(w 117, 119), W. A .jö h r (f 276), H . Moeller (b 235) und G. Weippert (9ff., 17t, 282 f., 308 f., 322) ist von der Basis des neoliberalen Systemdenkens aus nur dann ein fruchtbarer Beitrag zu erwarten, wenn sich seine führenden Vertreter zu einem grundsätzlichen Verzicht auf die ausgesprochen ökonomistische Begrün­ dung ihrer sozialen Ordnungskonzeption verstehen. Das bedeutet näherhin: sozialethische Revision des Begriffs der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Sozialen, der grundsätzlichen Wirtschaftsauffassung und ihrer Zielsetzung, der wirtschaftlichen Wertvorstellungen, und zwar mit dem konkreten Ziel, den funktionaltheoretischen Gleichgewichts- und Automatismusglauben durch posi­ tive praktische Axiome sozialethischer Wirtschaftsgestaltung zu ersetzen.

IV. K A P I T E L

MARKTMECHANISCH-KAUSALE GEMEINWOHLTHEORIE

Die neoliberale Ethik des Sozialen, die sich in der individualistischen Grund­ tendenz konkretisiert, die soziale Problematik mit markttheoretischen Kategorien zu erfassen und zu lösen, ließ immer wieder das Problem aktuell werden, ob die soziale Frage auf ausschließlich funktionaltheoretischem Wege überhaupt zu bereinigen ist. Im Grunde handelt es sich dabei um die konkrete Frage, ob der neoliberale Gemeinwohl-Begriff als automatisches Additionsergebnis frei funktio­ nierender Marktgesetze mit dem sozialwirtschaftlich beinhalteten Gesamtinteresse identisch ist. Die Antwort hängt davon ab, ob der funktionsfähige Wettbewerb als „universelles Ordnungsprinzip“ imstande ist, ohne eine übergreifende Ord­ nungspotenz das vielfältige Eigeninteresse mit den Sacherfordernissen des Ge­ samtinteresses in Einklang zu bringen. Damit treten wir an das fundamentale Harmonieproblem heran, das die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der letzten hundert Jahre bestimmt hat. 1. Spannungsverhältnis %wischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse a) P r o b le m a ti k des Inte re s s e n a us gl e ic h s Die Kontroverse, wie individuelle Wirtschaftsfreiheit und wirtschaftliches Gesamtwohl, Eigennutz und Gesamtinteresse sich zueinander verhalten, hat sich im wesentlichen auf zwei Grundpositionen festgelegt, die das wirtschaftliche Denken und Handeln auf zwei gänzlich verschiedene Wirtschaftsformen und wirtschaftspolitische Methoden ausgerichtet haben. Auf der einen Seite wird der Standpunkt vertreten, daß zwischen Eigennutz und Gesamtwohl eine grund­ sätzliche Diskrepanz besteht, die eine unmittelbare Intervention des Staates notwendig macht, wenn Schädigungen der Gesamtheit vermieden werden sollen. Es sind vor allem die Merkantilisten gewesen, die ihr Ordnungssystem auf dieser Deutung des Harmonieproblems aufgebaut haben. Die staatliche Wirtschafts­ politik, die sich mit Hilfe entsprechender Maßnahmen um den Ausgleich der Interessengegensätze bemüht, geht im Grunde von der gleichen Annahme aus. Die andere Theorie kommt in der Reaktion auf den merkantilistischen

172

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

Interventionismus zum Ausdruck und zwar in der nationalökonomischen Lehre der Klassiker, die erstmalig durch Λ . Smith klar formuliert und als Laissez-faireLiberalismus bekannt wurde. Demgemäß führt das Streben nach dem eigenen Vorteil bei freier Entfaltung der privatwirtschaftlichen Kräfte automatisch vpr Harmonie zwischen Eigenwohl und Gesamtwohl. Der Staat hat, wie W. Euchen erklärt, in diesem System als Hüter der Privatinteressen nur den rechtlichen Rahmen zu schaffen und für die Verwirklichung des Rechtsprinzips zu sorgen, während die„unsichtbare Hand“die erforderliche Harmonie herbeiführe (h 356 ff.). b) D ie neoliberale Zw isc he nlö su ng Wie wir bereits wissen, steht der Neoliberalismus beiden Theoremen skeptisch gegenüber. W. Euchen hält dafür, daß beide Grundansichten, ob sie nun die Harmonie zwischen wirtschaftlichem Privatinteresse und Gesamtinteresse von vornherein leugnen oder behaupten, irren, obwohl beiden die Erfahrung recht zu geben scheine. Als Grund führt er an, daß beide „an eine gegebene Konstruk­ tion der Welt in dem von ihnen behaupteten Sinne“ glauben (h 354). Nach neoliberaler Ansicht ist die Lösung des Harmonieproblems zwischen den beiden Extremen der absolut freien wie der interventionistischen Wirtschaftspolitik zu suchen. Der „fundamentale Fehler“ der liberalen Wirtschaftspolitik bestehe darin, daß der Ausgleich der Interessen bewußt dem Marktmechanismus mit seinem freien Spiel von Angebot und Nachfrage, letzten Endes also den frei sich betätigenden Wirtschaftskräften selbst überlassen wurde. Dieser Optimismus habe sich durch die „Fehlentwicklung“ des Wirtschaftsliberalismus und die daraus folgenden sozialen Spannungen selbst widerlegt. Daß jeder frei wirt­ schaftende Mensch von sich aus, ohne es zu wollen, dem Gesamtinteresse diene, bezeichnet Euchen als eine altliberale Verallgemeinerung, die die Gefahr unter­ schätzte, daß das Einzelinteresse sich gegen das Gesamtinteresse wenden kann (h 357f., 360, 363). Die Lenkung des wirtschaftlichen Eigeninteresses wird also grundsätzlich als notwendig anerkannt; ein Zeichen dafür, daß der Neoliberalismus über die liberalen Fehler der Vergangenheit hinauszukommen sucht. Die Erfahrungen aus der merkantilistischen Periode und mit den Systemen zentralverwaltungswirt­ schaftlicher Prägung lassen es jedoch geraten erscheinen, den direkten wirtschafts­ politischen Interventionismus, der nach neoliberaler Auffassung den Wirtschafts­ prozeß einem zentralgesteuerten Reglement und damit der Willkür, dem Inter­ essenegoismus, der Kurzsichtigkeit der Bürokratie ausliefere, wegen seiner lähmenden Wirkung auf die freiheitlichen und fortschrittlichen Gestaltungskräfte grundsätzlich abzulehnen.

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

173

c) S e l bs tv e ra nt w or t li c he s Eig en int ere sse als Vor a u sse tz u n g Es geht also nicht darum, ob überhaupt gelenkt werden soll oder nicht, sondern in welchem Ausmaß und mit welchen Mitteln. Wenn sich der Neoliberalismus zu irgendeiner Lenkung des Privatinteresses versteht, dann nur unter der Be­ dingung, daß das eigene wirtschaftliche Ermessen und die wirtschaftliche Hand­ lungsfreiheit des einzelnen nicht angetastet werden. Nur bei freier Entfaltung der spontanen Kräfte, also bei freiem Wirken des Eigeninteresses, sei es möglich, das Gesamtinteresse zu fördern. Jegliche Knebelung der individuellen Freiheit drossele letzten Endes in den Einzelinteressen der vielen Haushalte und Betriebe die Motore des Wirtschaftsprozesses, die dem Gesamtinteresse umso besser dienen, je freier sie sich betätigen können. Der Wirtschaftsliberalismus habe die Realität des Gesamtinteresses nicht übersehen, betont Eucken in seinem Kommentar zur Wirtschaftspolitik dieser Epoche. Ganz im Gegenteil sei es dem Liberalismus darum zu tun gewesen, das Selbstinteresse anzuregen, um das Gesamtinteresse zu fördern, ein Umstand, der beachtet werden müsse, wenn die Kritik am alten Liberalismus nicht in eine falsche Richtung gelenkt werden soll (h 357f., 363). Nicht die Freiheitsidee als solche, sondern der Mangel an wirt­ schaftspolitischem Realismus und ordnungspolitischem Denken sei es gewesen, der unter dem Einfluß religionsphilosophischer Strömungen die Freiheit sich selbst überließ, anstatt sie gegen Mißbrauch zu schützen und Schädigungen der Gesamtheit zu verhüten. Individuelle Freiheit, eigenes Ermessen und Spontaneität einzelwirtschaftlichen Handelns, mit einem Wort: das Einzelinteresse der Menschen als „die wesentliche Kraft, die dem Gesamtinteresse dient“ (h 362), gilt als unabdingbare Voraussetzung des Gesamtwohles. Der individualistische Ausgangs­ punkt dieser Theorie ist eindeutig. Eine teleologische Lösung des Harmonie­ problems scheidet damit von vornherein aus. 2. Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems a) Formale I n t e r p r e t a t i o n des H a r m on i e pr ob l e m s Nach eingehender Untersuchung der Problemlage stellt W. Eucken zunächst fest, daß das Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenartigen Interessen als ein „Problem des tatsächlichen Lebens“ gegeben ist, dessen Klärung als notwendige Voraussetzung für ernsthafte Wirtschaftspolitik betrachtet werden muß (h 356). Als solches ist es in jedem Wirtschaftstyp vorhanden. In der zentralgeleiteten Wirtschaft, die beispielsweise ihre Investitions- und Rüstungsprogramme auf Kosten der allgemeinen Konsumguterzeugung durchführt, zeigt sich die Span­ nung vor allem in der mangelnden Gesamtversorgung, ohne durch zentrale

174

Marktmcchanisch-kausale Gemeinwohltheorie

Zuteilungen befriedigend überwunden werden zu können (h 354; f 209). Aber auch in den verkehrswirtschaftlichen Formen tritt das Problem in Erscheinung. Eucken weist darauf hin, daß hier das Einzelinteresse in doppelter Richtung wirksam wird und dementsprechend auf verschiedene Weise zum Gesamtinteresse in Gegensatz geraten kann. Zunächst betätigt es sich, wie er darlegt, im Wirtschaftsprozeß selbst und zwar in der Regel so, daß alles privatwirtschaftliche Planen und Handeln sich jeweils auf einen einzelwirtschaftlichen Zweck richtet. Ein jeder wirtschaftet als Glied eines arbeitsteiligen Wirkzusammenhangs in der engbegrenzten Welt seines Alltags und für diesen seinen Lebenskreis, den er im Haushalt oder Betrieb überblicken kann. Er handelt also primär im eigenen Interesse und zu eigenem Nutzen, ohne dabei ausdrücklich an das Gesamt wohl zu denken. Obwohl diese Einstellung nicht ohne weiteres mit „Egoismus“ oder „kapitalistischem Geist“ identifiziert werden könne, führe sie unter bestimmten Voraussetzungen zu Konflikten mit dem wirtschaftlichen Gesamtinteresse. Besonders augenfällig sei dies bei uns in den Hungerjahren der Nachkriegszeit in Erscheinung getreten, als der Selbsterhaltungstrieb und die ganz auf sich gestellte Selbstfürsorge zu einem wirtschaftlichen Verhalten zwangen, das für die Gesamt Wirtschaft verhängnisvoll werden mußte. Auf die Frage, wo hier die Wurzel des Konfliktes zu suchen ist, gibt Eucken zur Antwort : nicht in der Schuld, in der Pflichtvergessenheit oder im Egoismus des einzelnen, sondern im Versagen des Wirtschaftssystems als solchem, demgegenüber der einzelne machtlos war (h 353f., 355, 368). Eine zweite Quelle ständiger Konfliktsmöglichkeiten ist nach Eucken in der Tatsache gegeben, daß sich das wirtschaftliche Einzelinteresse bewußt oder unbewußt auch in der Gestaltung der Wirtschaftsform betätigt, in der sich Haushalt oder Betrieb jeweils befinden. Normalerweise haben z. B. die ver­ schiedenen Marktteilnehmer aus Gründen der besseren Existenzsicherung ein Interesse daran, ihre Marktposition zu verbessern, indem sie etwa Kartellen, Ge­ werkschaften oder Verbrauchergenossenschaften bei treten. Wird dabei einem „Hang zur Monopolbildung“ oder zur Eroberung von Machtpositionen statt­ gegeben, dann liegt die Gefahr für das Gesamtinteresse in der wirtschaftlichen Vermachtung. Oder es entstehen aus der spontanen Betätigung im Laufe der Zeit gewisse Formen, in deren Rahmen die Belange der Gesamtheit nicht gewahrt werden können. Eucken erinnert in diesem Zusammenhang besonders an die moderne Entwicklung des Geld- und Bankwesens. So kann es Vorkommen, daß einzelne Banken, z. B. im Falle der Inflation, durch Kreditgewährung oder, im Falle der Deflation, durch Kreditaufkündigung durchaus ihrem „wohlverstan­ denen“ Eigeninteresse entsprechen, indem sie im Rahmen der gegebenen Form

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

175

„richtig“ handeln, in Wirklichkeit jedoch durch ihr Verhalten den vorliegenden wirtschaftlichen Krisenzustand noch verschlimmern, ohne daß ihnen nach Euckens Ansicht daraus ein Vorwurf gemacht werden könnte. Allein die Form sei hier fehlerhaft und führe zum Konflikt zwischen Einzel- und Gesamtinteresse (h 359f.). Eine Konfliktsmöglichkeit sei ebenfalls dann gegeben, wenn durch wirtschaftliche Privatinteressen bestehende Ordnungen beeinträchtigt werden. Das geschieht nicht selten z. B. durch entsprechende Geschäftsbedingungen und Absprachen, die den Rechtsbereich anderer Wirtschaftspartner oder des Staates verletzen. Oder es tritt der Fall ein, daß durch ein Großunternehmen das gesellschaftliche Gefüge einer ganzen Gegend empfindlich gestört wird, indem etwa durch Land­ flucht die Bauernhöfe und Handwerkerstuben entvölkert werden (h 356). Auch hier wird das Interessenproblem aktuell. In jedem der erwähnten Fälle handelt es sich also faktisch darum, daß die Wirt­ schaftsindividuen zwar ihrem eigenen Interesse folgen, zugleich aber, sei es aus Gründen der Selbsterhaltung und Selbstfürsorge, aus Rentabilitätsstreben oder Machthunger, zum Gesamtinteresse in Gegensatz treten. Der private Vorteil wird auf Kosten der Gesamtheit erkauft. Unrationelle Lenkung von Produktions­ mitteln zum Schaden der bestmöglichen Knappheitsüberwindung, deutliche Mangelerscheinungen im Bereich der Gesamtversorgung, soziale Spannungen auf Grund ausbeuterischer Arbeits- und Lebensbedingungen sind einige der spür­ barsten Folgen (h 301 f.). Erfahrungsgemäß schlägt aber jeder Augenblicks­ vorteil, wenn er auf Kosten der Gesamtheit realisiert wird, über kurz oder lang in sein Gegenteil um (h 359). Die genannten Mißstände mit ihren wirtschaftlichen Begleiterscheinungen haben nach Euckens Ansicht ihre Wurzel nicht etwa in individualistischer Wirtschaftsgesinnung oder im Streben nach dem eigenen Vorteil, sondern in der angewandten mangelhaften Wirtschaftsform. Demnach sei das Harmonieproblem primär als ein Problem der Form anzusehen, sei es daß sie vollständig versagt oder daß sie fehlerhaft ist und auf diese Weise die erforderliche gegenseitige Abstimmung der verschiedenartigen Interessen unter­ bindet. Da die geeigneten Formen sich nicht von selbst ergeben, wie die kritische Überprüfung des Laissez-faire-Liberalismus und die tägliche Erfahrung beweisen, ist eine Harmonisierung der Interessengegensätze nur dann von Erfolg, wenn es gelingt, „Ordnungsformen zu realisieren, in deren Rahmen sich eine Harmonie einstellt“ (h 355, 366 f., 368). Der Weg zur Lösung des Problems ist damit im wesentlichen vorgezeichnet. Die entscheidende Frage ist natürlich die, ob diese rein formale Deutung des Harmonieproblems der eigentlichen Sachlage wirklich gerecht wird. Bevor wir also auf Einzelheiten des neoliberalen Ordnungsprogramms näher eingehen, haben wir zunächst die für die gesamte Wirtschaftsordnungspolitik fundamentale

176

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

Frage zu untersuchen, ob es einen ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen den feststellbaren Interessenkonflikten und der ethischen Einstellung des wirt­ schaftenden Menschen. b) „H ö c h stm ö g lic h e Rei neinnahme“ und „ b e s t m ö g l i c h e Versorgung“ W\ Eucken selbst widmet der Klärung dieses Fragenkomplexes im Rahmen seiner analytischen Erhebungen besondere Aufmerksamkeit. Seiner Ansicht nach ist dabei zunächst die Verschiedenartigkeit der Problemlage zu berücksichtigen, wie sie für die beiden Wirtschaftsstufen der geschlossenen Eigenwirtschaft und der arbeitsteiligen Großwirtschaft charakteristisch ist. Das Harmonieproblem in der geschlossenen Hauswirtschaft Im Bereich der geschlossenen Hauswirtschaft interessiert Eucken zunächst das Verhalten des verantwortlichen Wirtschaftsleiters (h 352f.). Hier wie in jeder zentralgeleiteten Wirtschaftsform bestimmt der Leiter die Rangordnung der Bedürfnisse, deren Deckung dem Wirtschaftsprozeß obliegt. Dabei könne er „egoistisch“ handeln, d. h. auf Kosten aller übrigen Hausmitglieder nur seine persönlichen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Freilich könne er auch anders handeln und zwar primär an die Versorgung der anderen denken. Nach der Terminologie Euckens ist der Wirtschaftsleiter also entweder bestrebt, mit Hilfe der anderen eine „möglichst hohe Reineinnahme“ zu erzielen und für sich persönlich zu verwenden, was nicht ausschließe, daß er seinen Untergebenen das Existenzminimum zur Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zubilligt. Oder aber er sucht mit dem gemeinsam erarbeiteten Ertrag primär die „bestmögliche Versorgung“ seiner Mitarbeiter oder Abnehmer sicherzustellen. Letzteres ist allerdings nur bei entsprechender Einschränkung seiner eigenen Bedürfnisse durchführbar (h 353; f 208, 217f.). Der Wirtschaftsleiter ist also frei, sowohl in der Wahl der wirtschaftlichen Zweck­ setzung wie auch der wirtschaftlichen Prinzipien. Eucken gibt ausdrücklich zu, daß es für die Festlegung des Wirtschaftsplanes und damit für die Lenkung des Wirtschaftsprozesses „sehr viel“ bedeutet, je nachdem ob sich der Verantwortliche von egoistischen Motiven oder von der Sorge für die anderen, also von sozial­ ethischen Prinzipien leiten läßt. Die Güter, die laufend erzeugt werden, sind andere, wenn er vorwiegend an sich denkt oder wenn er primär die Versorgung seiner Hausgenossen berücksichtigt, wie überhaupt der gesamte Wirtschaftsplan in allen seinen Teilen jeweils wesentliche Unterschiede aufweist (f 215 f., 217). Eucken bestätigt damit die allgemeingültige Tatsache, daß in der Wirtschaft, wie überall im Bereich des menschlich-vernünftigen Handelns, der Zweck für das

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

177

menschliche Verhalten schlechthin bestimmend ist. Die Wahl des Zweckes entscheidet über den Aufbau des Wirtschaftsplanes, über das konkrete Produk­ tionsziel und über die Güterverteilung ebenso wie über die geeignete Mittelwahl für den technisch richtigen Vollzug. Weiterhin wird klargestellt, daß der Konflikt zwischen dem Interesse des Leiters und dem der übrigen Hausbewohner im Bereich der wirtschaftlichen Zielsetzung zu suchen ist. Er läuft auf die faktische Beantwortung der Frage hinaus, wessen und welcher Art Bedürfnisse primär durch den Wirtschaftsprozeß berücksichtigt werden sollen. Im vorliegenden Falle tritt eine Disharmonie dann ein, wenn die individuelle Bedürfnisbefriedigung seiner Hausgenossen verwirklicht wird. Diese an sich selbstverständliche Feststellung, daß die Wahl des jeweiligen Wirtschaftszweckes — im vorliegenden Beispiel: des egoistisch oder altruistisch motivierten Wirtschaftszweckes — alle nachfolgenden Überlegungen bis zur wirtschaftstechnischen Realisierung entscheidend bedingt, ist hier deshalb besonders hervorzuheben, weil Eucken, wie sich zeigen wird, den normativen Charakter der in der Zweckwahl konkretisierten Ethik für den eigent­ lichen Wirtschaftsvorgang nicht gelten läßt, indem er die ethische Einstellung des Wirtschaftenden lediglich als dekoratives moralisches Postulat einer unsicht­ baren Gesinnungsethik interpretiert, die keine strukturelle Bedeutung hat (h 354). Da nach Ansicht Euckens das wirtschaftliche Verhalten entweder auf das Erwerbs­ prinzip oder das Versorgungsprinzip zurückgeht, muß die Wahl der beiden antithetischen Wirtschaftsprinzipien mit dem Interessenkonflikt bzw. mit seiner Überwindung in ursächlichem Zusammenhang stehen. Er erläutert diesen Sach­ verhalt an Hand einiger Beispiele. Wird das wirtschaftliche Handeln durch das erstgenannte Prinzip bestimmt, dann steht die Verwirklichung der individuellen Wirtschaftszwecke des betreffenden Wirtschaftsleiters, Fronherrn, Monopolisten oder Verwaltungsgremiums im Vordergrund. Kommt jedoch das Versorgungs­ prinzip vorwiegend zur Anwendung, dann wird auf den lebensnotwendigen Bedarf der Untergebenen, der Mitarbeiter, der Abnehmer, des Gemeinwesens, also der breiten Konsumentenschicht Rücksicht genommen und zwar durch entsprechende Wirtschaftsplanung, Lohn- und Preispolitik (f 128, 208, 217, 218 f.; h 31 f., 352ff., 359, 366). Eine Diskrepanz zwischen den verschiedenartigen Interessen ist also dann feststellbar, wenn sich die Wirtschaftsleitung auf das Prinzip der „höchstmöglichen Reineinnahme“ festlegt, denn sie entscheidet sich damit zugunsten des individuellen Bedürfnisstandes eines einzelnen oder einiger weniger, während die Gesamtversorgung vernachlässigt wird. Das Handeln nach diesem Prinzip unterbindet wegen der ihm zugrunde liegenden Selbstbereiche­ rungstendenz die Realisierung des Gemeinwohlinteresses. Das Wirtschaften gemäß dem Versorgungsprinzip sucht indessen den sozialen Belangen gerecht zu werden und zwar primär dadurch, daß sich das individuelle Gewinnstreben des

178

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

Leiters im Interesse der sozial wirtschaftlichen Versorgung einer gewissen Ein­ schränkung, also teleologischer Normierung unterzieht (f 217 f. ; h 353). Wir halten also fest, daß in der zentralgelenkten Wirtschaft der Interessenkonflikt in erster Linie von der Zweckwahl und dem durch sie bedingten Streben nach „höchstmöglicher Reineinnahme“, also von der ethischen Einstellung des Verant­ wortlichen abhängt. Die Wahl des jeweiligen Wirtschaftsprinzips läßt demnach auf einen bestimmten „Wirtschaftsgeist“ schließen, was Eucken ausdrücklich zugibt. Seiner Ansicht nach wird das Handeln des Leiters nach dem Versorgungs­ prinzip „den ethischen Prinzipien“ mehr gerecht (h 352); ob in einer zentral­ geleiteten Wirtschaft die Selbstbereicherungs- oder Versorgungstendenz domi­ niert, hängt „von dem moralischen und religiösen Stand der Führung“ ab (f 208), zumal im vorliegenden Beispiel, wie überhaupt in der zentralgeleiteten Wirtschaft, „eine gewisse Freiheit der Zwecksetzung“ besteht (f 217). Gesetzt den Fall, es würde in der Wirtschaft das Streben nach „höchstmöglicher Sittlichkeit“ domi­ nieren, dann würde nach Eucken daraus folgen, daß beispielsweise die Führer­ schicht in einer zentralgeleiteten Wirtschaft wie auch die Monopolisten in der Verkehrs Wirtschaft „von selbst“ um die Verwirklichung des Gesamtinteresses und um eine „möglichst reichliche Güterversorgung“ der Abnehmer bemüht wären (h 367f.). Im umgekehrten Falle, wenn also alle Menschen nur „aus Impulsen der Selbstsucht und des Eigennutzes“ handeln würden, gäbe es weder im Haushalt noch im Betrieb irgendeine Rücksicht auf andere; es käme zu hem­ mungsloser wirtschaftlicher Ausbeutung in der Zentralverwaltungswirtschaft, zu Lohndruck bei Nachfragemonopolen, während Angebotsmonopole „stets den Punkt der höchsten Reineinnahme“ erstreben würden (h 366). Der Gedanke ist also berechtigt, daß von der Anwendung der beiden gegensätzlichen Wirtschafts­ prinzipien auf eine ebenso unterschiedliche ethische Grundhaltung geschlossen wer­ den kann. Das Streben nach „höchstmöglicher Reineinnahme“ wird offenbar von egoistischem „Wirtschaftsgeist“ diktiert, während das Handeln nach dem Versor­ gungsprinzip auf altruistische Einstellung des Wirtschaftenden schließen läßt. Damit ist zugleich erwiesen, daß der Interessenkonflikt im Bereich der Eigen­ wirtschaft seine eigentlichen Wurzeln im Egoismus, also in der Ethik der Wirt­ schaftsführung findet. Egoismus und Altruismus als ethische Kategorien stehen hier mit dem Konflikt zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse in ursäch­ lichem Zusammenhang. Der ethische Charakter des Harmonieproblems, das im Grunde auf die Spannung zwischen Eigennutz und Gemeinwohl zurückgeht, tritt damit deutlich zutage. Es kann demnach folgerichtig nur gelöst werden, wenn der Ausgangspunkt in der ethischen Umbesinnung, d. h. in der Aner­ kennung des Gemeinwohlbegriffes und seines normativen Charakters gesucht wird. Auf die konkrete Frage, ob in der geschlossenen Eigenwirtschaft das

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

179

Harmonieproblem nach dem „kategorischen Imperativ der Pflicht“ oder nach dem „christlichen Liebesgebot“ gelöst werden könne, antwortet Eucken mit einem uneingeschränkten Ja (h 367). Die Begründung für dieses Ja kann nicht darin liegen, daß Pflichtbewußtsein und Liebesgebot als ethische Kategorien zugleich für wirtschafts- und ordnungspolitische Sachnotwendigkeiten zuständig sind. Vielmehr sind für die Lösung des Interessenkonflikts in der Hauswirtschaft, wie aus der Analyse Euchens zu entnehmen ist, drei Voraussetzungen maßgebend: als erste und wichtigste, daß der Leiter das Wohl seiner Hausgenossen sucht und verwirklichen will; als zweite, daß er das Gesamtinteresse, das hier dem Wohl der Familie oder Eigenwirtschaft entspricht, und zugleich die Art und Weise, wie er ihm am besten dient, unmittelbar erkennen kann; als dritte, daß er etwas vom Wirtschaften versteht, also bei der wirtschaftstechnischen Realisierung des ge­ setzten Zieles rational vorgeht (h 367, 352). Die Analyse dieses einfachen Beispiels macht also die dreifache Bewandtnis des Harmonieproblems deutlich: in erster Linie die ethische, dann die ordnungspolitische und an dritter Stelle die wirt­ schaftlich-technische. Bereits hier wird deutlich, daß Euchens Analyse, soweit sie den Interessenkonflikt im Rahmen der geschlossenen Eigenwirtschaft betrifft, zu seiner rein formalen Deutung des Interessenproblems in Widerspruch tritt. Das Harmonieproblem in der arbeitsteiligen Großwirtschaft Auf der Stufe der arbeitsteiligen Großwirtschaft weist die Analyse W. Euchens auf entsprechende Abweichungen in der Problemlage hin. Der einzelne in Haushalt und Betrieb steht hier nicht in einem Nebeneinander von verschiedenen Eigen­ wirtschaften, die jede für sich einen eigenständigen, in sich abgeschlossenen Wirkbereich darstellen. Er ist vielmehr nur ein Glied in einem ineinandergreifenden, unüberschaubaren Wirkzusammenhang ungezählter Wirtschaftskräfte und Vergemeinschaftungen, die alle ihrem eigenen Interesse folgen. Was das Gesamt­ interesse im Einzelfall fordert und wie es zu verwirklichen ist, kann der einzelne von sich aus nicht erkennen. Aus diesem Grunde kommt es zu Konflikten zwischen dem Wohl der selbständig wirtschaftenden Glieder und der Gesamtheit, wobei über das Wie ihrer Beseitigung für den einzelnen Unklarheit besteht. Aus den Darlegungen Euchens ist jedoch zu entnehmen, daß auch im Bereich der arbeits­ teiligen Großwirtschaft die Bewältigung des Interessenproblems ebenfalls von den obengenannten drei Voraussetzungen abhängt. Als erste und wichtigste gilt: das Gesamtinteresse muß gesucht werden, die Rücksicht auf andere muß bestimmend sein; die Frage muß aufgeworfen werden, ob und wie dem Gemeinwohl gedient werden kann ; das Bedürfnis nach einer brauchbaren Ordnung muß vorhanden sein. Wenn alle Menschen nur aus „Impulsen der Selbstsucht und des Eigennutzes“,

180

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

also „rein egoistisch“ handeln, ist es nach Ansicht Euckens „sehr schwer“, eine brauchbare Ordnung entstehen zu lassen, weil niemand die ordnungs­ politische Aufgabe ergreife (h 366f.). Als zweite Bedingung kommt hinzu: das Gesamtinteresse muß erkannt werden können. Da dies in der arbeitsteiligen Wirtschaft ohne weiteres nicht möglich ist, bedarf die Frage einer konkreten Beantwortung, ob es einen gültigen Maßstab gibt, an dem das Gesamtinteresse gemessen werden kann, und in welchem Wirtschaftssystem er zu finden ist. Damit ist die ordnungspolitische Seite des Problems berührt. Sind die beiden ersten Voraussetzungen erfüllt, kann an die praktische Realisierung des Gesamtinter­ esses gedacht werden. Dies geschieht mit Hilfe des ökonomischen Rational­ prinzips (h 352 f.). Auch für die arbeitsteilige Großwirtschaft gilt demnach die Feststellung, daß das Harmonieproblem in erster Linie ein ethisches und dann erst ein ordnungs­ politisches und wirtschaftlich-technisches Problem ist. Ob die Menschen nur aus Impulsen der Selbstsucht und des Eigennutzes oder nach dem Ideal höchst­ möglicher Sittlichkeit handeln, ist für den Wirtschaftsablauf keineswegs gleich­ gültig. Die ethische Motivierung ihres Handelns führt sowohl innerhalb der Zentral verwaltungs Wirtschaft wie auch der monopolisierten Verkehrs Wirtschaft zu wesentlich unterschiedlichen Ergebnissen (h 366 f.). Ethische Grundstruktur des Harmonieproblems W. Euckens Analyse läßt deutlich den ursächlichen Zusammenhang zwischen der ethischen Einstellung der Menschen und den bestehenden Interessenkonflikten erkennen. Die Ethik ist für das gesamte Wirtschaftsgeschehen von struktureller Bedeutung, indem sie nicht nur das allgemeine Ziel und damit die Gesamtplanung bestimmt, sondern darüber hinaus bei der praktischen Realisierung auch auf die Wahl der Prinzipien von entscheidendem Einfluß ist. Sie ist daher grundsätzlich nicht nur als Gesinnungsfrage, sondern wesentlich als Tatfrage zu werten, die an der dementsprechenden Gestaltung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses selbst abzulesen ist. Für die Lösung des zur Diskussion stehenden Harmonieproblems ist diese Feststellung von fundamentaler Bedeutung. c) E t h i s c h - no rm at i ve r Char ak ter des w i r ts c h a ft li c h e n Prinzips W. Eucken kommt jedoch bei der grundsätzlichen Auswertung seiner Analyse zu völlig entgegengesetzten Schlußfolgerungen. Er erklärt generell, daß der Inter­ essenausgleich als rein ökonomisches Problem zu betrachten und daher „losgelöst von der ethischen Frage“ zu behandeln sei. Die Frage des Egoismus oder Altruis­ mus müsse vorläufig ausgeschaltet werden. Die spätere Erkenntnis, daß die

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

181

erfolgte Lösung „auch ethisch bedeutungsvoll“ ist, dürfe zunächst nicht beachtet werden, wenn dieser Problemkomplex überhaupt geklärt werden soll (h 354). Eine Harmonisierung der verschiedenartigen Interessen durch altruistische Hin­ ordnung des einzelwirtschaftlichen Handelns auf ein für alle gemeinsames, sozialwirtschaftlich beinhaltetes Ziel wird ohne Einschränkung abgelehnt. Die Begründung lautet, der kategorische Imperativ sage nichts darüber aus, wie dem Gesamtinteresse am besten gedient und was produziert werden soll (h 367). Modelltheoretische Lösung des Harmonieproblems Die Erklärung für den zunächst überraschenden Sachverhalt, daß Euckens sach­ liche Analyse und grundsätzliche Beurteilung des Interessenproblems sich völlig widersprechen, ist zunächst im ethischen Formalismus Kants zu suchen, zu dem sich Eucken bekennt, ferner in der Tatsache, daß er, formal gesprochen, in seiner Argumentation unerwartet den Abstraktionsgrad ändert. Obwohl er festgestellt hat, daß im Wirtschaftsalltag die ethisch motivierte Zielwahl des wirtschaftenden Menschen für den gesamten Wirtschaftsvollzug schlechthin bestimmend ist, klammert er in seinen Konklusionen die ethische Bewandtnis des Sachverhalts bewußt aus. Die für die Lösung des Harmonieproblems entscheidende Frage, ob der verantwortliche Wirtschaftsleiter nun egoistisch oder nicht egoistisch handelt, interessiert ihn nicht mehr. Statt dessen hält er die rein formale Feststellung für entscheidend, daß der Betreffende sich stets nach dem wirtschaftlichen Prinzip richtet, er also bestrebt sein wird, in seinen Plänen und Anweisungen einen bestimmten Zweck mit einem möglichst geringen Aufwand an Mitteln zu er­ reichen, oder: mit den vorhandenen Arbeitskräften und sachlichen Produktions­ mitteln die Bedürfnisse, die er befriedigen will, auch wirklich soweit als möglich zu befriedigen (h 352; f 266). Die ethische Qualifikation der jeweiligen Zwecke und Bedürfnisse, um die sich die ganze Diskussion bisher gedreht hat, wird völlig übergangen. Das besagt, daß Eucken von der Analyse eines Beispiels aus dem tatsächlichen Leben plötzlich auf die Ebene der modelltheoretischen Betrachtung überwechselt und zwar nicht etwa nur, um das wirtschaftliche Verhalten des Leiters theoretisch zu durchleuchten, sondern in der Absicht, die weitere Lösung des gestellten Problems von der reinen Modelltheorie her zu realisieren. Bekanntlich läßt die Modelltheorie, die das Wirtschaftsziel lediglich als „Datum“ hinnimmt und ihre Aufmerksamkeit auf den funktionaltheoretischen Ablauf konzentriert, die ethische Bewandtnis des Zieles bewußt außer acht. Dement­ sprechend erklärt Eucken, daß wirtschaftlich „richtiges“ Handeln mit ethischen Maßstäben nicht zu messen sei. Mit Egoismus oder Altruismus habe das Handeln nach dem „wirtschaftlichen Prinzip“ gar nichts zu tun. In der rein formalen

182

Marktmechanisch-kausalc Gemeinwohltheorie

Tatsache, daß der Wirtschaftsleiter in jedem Fall, ob er nun als Egoist oder Altruist handelt, konstant ökonomisch rational Vorgehen muß, wenn er seinen Zweck so weit wie nur möglich durchsetzen will, sieht Eucken die Bestätigung dafür, daß das Handeln nach dem ökonomischen Rationalprinzip mit ethischen Zwecksetzungen nichts zu tun haben kann. Ein Zusammenhang bestehe höchstens insofern, als die Nichtbeachtung dieses Prinzips als Pflichtversäumnis angesehen werden muß, wenn dadurch die wirtschaftliche Existenz der Hausgenossen in Gefahr gerät. Die dauernde Vermischung von „Egoismus“ und „wirtschaft­ lichem Prinzip“ sei der Krebsschaden der ganzen Diskussion über diesen wich­ tigen Fragenkomplex (h 352, 354). Eucken hält es für ausgesprochen „töricht“, Menschen, die einzelwirtschaftlich „richtig“ handeln, dabei aber wissentlich das Gesamtinteresse schädigen, daraus einen Vorwurf zu machen (h 359). Es sei abwegig, diese Kräfte zu diffamieren oder zu loben (h 360). Mit Schelten gegen Eigennutz, kapitalistische Gewinnsucht und dergl. werde das Problem, wie Eigeninteresse und Gesamtinteresse in Harmonie zueinander kommen, nicht gefördert. Die übliche Kritik sei unzureichend (h 358). Die Antithese Eigennutz und Gemeinwohl verdecke mehr das Problem als daß sie es beschreibe (h 354). Ethische Neutralisierung des wirtschaftlichen Handelns Um seinen Gedankengang logisch zu unterbauen, führt Eucken folgende Distink­ tion ins Feld, die die beiden verschiedenen Abstraktionsgrade deutlich kenn­ zeichnet: „Egoismus und Altruismus bestimmen die Zwecke, auf welche die Wirtschaftspläne ausgerichtet werden, durch Handeln nach dem wirtschaftlichen Prinzip wird die Auswahl der Mittel bestimmt, um die Zwecke zu erreichen. ,Egoismus* und wirtschaftliches Prinzip* befinden sich gleichsam auf verschie­ denen Ebenen“ (h 353). Der Hinweis auf die beiden verschiedenen Ebenen, von denen Eucken nur die Ebene der Zweckwahl mit der Ethik in Zusammenhang bringt, soll unterstreichen, daß die Mittelwahl und das daraus resultierende Handeln ausschließlich nach wirtschaftstechnischen Gesichtspunkten zu beur­ teilen seien. Die ethische Grundeinstellung des Wirtschaftenden ist für das praktische Handeln zwar nicht bedeutungslos, Eucken läßt sie jedoch nur als Gesinnungsethik gelten, die als solche von außen her schwer festzustellen sei (h 355). Sie erfüllt lediglich die Funktion eines moralischen Postulats, das für alle Wirt­ schaftsordnungen gilt: nicht „egoistisch** zu handeln (h 354). Als solche ist sie ohne strukturellen Einfluß, sie erleichtert nur die Lösung des Interessenkonfliktes, falls sie auf die Ordnungspolitik gerichtet ist (h 368) ; deutlicher gesagt, wie wir gleich sehen werden: falls sie den Wettbewerbsmechanismus als universelles Ordnungsprinzip bejaht. Damit ist die Zweckethik Euckens bereits charakterisiert.

Ethische Neutralisierung des Harmonieproblems

183

Sie wird ebenso wie die Mittelwahl ausschließlich funktionaltheoretisch beinhaltet und zwar durch die Ordnungsgesetze des Marktes. Auf diese Weise erreicht jBucken seinen Zweck, das Harmonieproblem als rein ökonomisches Ordnungs­ problem nachzuweisen. Der Kunstgriff, dessen er sich dabei bedient, besteht darin, daß er die sittliche Einheit des menschlich-wirtschaftlichen Handelns sprengt, indem er das wirtschaftstechnisch-richtige Handeln aus der ethischnormativen Zielordnung herauslöst und damit ethisch neutralisiert. Daß im vorliegenden Fall ein wirtschaftsfremder Moralismus, der mit wohl­ meinenden Postulaten das ökonomische Rationalprinzip negiert und die Markt­ ordnung durcheinanderbringt, nicht die Lösung sein kann, darin ist Eucken recht zu geben. Damit ist aber noch nicht die Berechtigung zugegeben, die durch das Gemeinwohl final beinhaltete Ethik grundsätzlich aus dem Harmonieproblem auszuklammern. Auch die unverfälschte Zweckethik bedarf zur Realisierung ihrer Ziele des ökonomischen SachVerstandes. Die moralphilosophische Unhalt­ barkeit der neoliberalen Argumentation, die für den Wirtschaftsalltag von einer eminent praktischen Bedeutung ist, wird noch im 7. Kapitel zur Sprache kommen. Sie besteht im wesentlichen darin, daß das wirtschaftliche Prinzip ethisch­ normativen Charakter erhält, wie es umgekehrt die ökonomische Absolutions­ formel für egoistisch motiviertes Handeln darstellt. Das sozialethische Soll wird formalisiert bzw. relativiert und seines finalethischen Inhalts beraubt. Wirtschaftliches Prinzip als yv echetzender Faktor Wir treffen hier auf ein für das neoliberale Wirtschaftsdenken wesentliches Dogma. Wie im 6. Kapitel dargelegt wird, führt W’. Eucken die Einheit und Konstanz des wirtschaftlichen Gesamtverhaltens auf das „wirtschaftliche Prinzip“ als das einheitsschaffende und struktursetzende „Fundamentalprinzip alles Wirtschaftens“ zurück. Das Wirtschaften selbst wird mit ökonomisch-rationalem Handeln identifiziert. Ebenso wird auch die Verschiedenartigkeit des wirtschaftlichen Verhaltens von der jeweils verschiedenen Durchführung dieses Prinzips her erklärt (h 213). Der Gedanke liegt also nahe, daß feststellbare Differenzen im wirtschaftlichen Handeln primär durch entsprechende Anwendung des fraglichen Prinzips zu beseitigen sind. Auf der Stufe der arbeitsteiligen Großwirtschaft besteht nach Eucken das Inter­ essenproblem darin, das ökonomische Prinzip, das in den Einzelwirtschaften individuell verfolgt wird, allgemein mit dem wirtschaftlichen Prinzip in Überein­ stimmung zu bringen. Hier wie im Bereich der Einzelwirtschaft stellt es angeblich bestimmte Forderungen, die jedoch über den Bereich des wirtschaftstechnischen Zweck-Mittel-Zusammenhangs hinausgehen. So „verlangt“ das genannte Prinzip

184

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

z. B. „individuell“, daß jeder Ein2elbetrieb sich in seinen wirtschaftlichen Über­ legungen und Produktionsanweisungen primär vom Rentabilitätsinteresse leiten läßt, auch dann, wenn der dringendste Nachholbedarf der Gesamtheit dabei nicht berücksichtigt wird; „allgemein“ wiederum „verlangt“ es die Produktion der für die Gesamtheit lebenswichtigen Güter. Euchen denkt dabei speziell an die Nach­ kriegswirtschaft mit ihren zahlreichen Konfliktsmöglichkeiten, in der wir erlebt haben, wie er ausführt, daß das wirtschaftliche Prinzip z. B. „allgemein“ die Produktion von Kochtöpfen, „individuell“ jedoch die Produktion von unnützen, aber preisgünstigen Aschbechern „verlangte“ . In einem solchen Fall sei der Konflikt dadurch entstanden, daß die individuelle Wirtschaftsleitung „vom Gesamtinteresse aus gesehen“ nicht dem wirtschaftlichen Prinzip entsprach, daß also die individuellen und allgemeinen Produktionsanweisungen des Prinzips nicht übereinstimmten. Das Harmonieproblem bestehe im wesentlichen darin, „wie das Handeln nach dem wirtschaftlichen Prinzip in Haushalt und Betrieb allgemein mit dem wirtschaftlichen Prinzip“ in Übereinstimmung gebracht werden kann. Es in seiner verschiedenen Anwendungsweise zur Deckung zu bringen, sei eine spezifisch wirtschaftspolitische Aufgabe. Sie werde in der Form gelöst, daß die Pläne und Handlungen, die aus der individuellen Anwendung des wirtschaftlichen Prinzips hervorgehen, aufeinander abgestimmt werden müssen, damit auch insgesamt nach dem wirtschaftlichen Prinzip gehandelt werde (h 354). W. Eucken löst also das Handeln nach dem ökonomischen Rationalprinzip aus der ethisch fundierten Zwecksetzung heraus und verselbständigt es; er macht, zweitens, das wirtschaftlich „richtige“ Handeln selbst zu einem zwecksetzenden Faktor, er verabsolutiert es. Das wirtschaftliche Prinzip diktiert sowohl im Bereich des individuellen wie des allgemeinen Wirtschaftens, was produziert werden soll. Es beinhaltet also die Wirtschaftspläne. Auf den Begriff des Gesamtinteresses kann nach Eucken, wie wir noch sehen werden, zwar nicht verzichtet werden (h 356), er tritt jedoch für wirtschafts­ politische Überlegungen und für die Lösung des fraglichen Harmonieproblems in keiner Weise normativ in Erscheinung. Diese Funktion übernimmt faktisch das wirtschaftliche Prinzip. Das Interessenproblem kann angeblich nur dann bewältigt werden, wenn die aus der individuellen und allgemeinen Anwendung des ge­ nannten Prinzips hervorgehenden Wirtschaftspläne durch entsprechende Ord­ nungsformen so koordiniert werden, daß die wirtschaftlichen Einzelinteressen, unabhängig von der sittlichen Einstellung des Handelnden, automatisch zur Übereinstimmung mit dem Gesamtinteresse geführt werden (h 353ff., 365, 367). Die Tatsache, daß Eucken die Beseitigung des Interessenkonfliktes vom Bereich der Mittelwahl aus zu realisieren sucht, obwohl er analytisch festgestellt hat, daß die Wurzel des Problems im Bereich der Zwecksetzung, nämlich in der

Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems

185

individualistischen Bedürfnisbefriedigung auf Kosten der Gesamtversorgung zu suchen ist, macht die Problematik der apriori verfehlten Argumentation offen­ kundig. 3. Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems a) Neue H a r m o n i e e r w a r t u n g du rch preisau tom ati sch e K o or di nat io n Die nächstliegende Frage ist die, welche Ordnungsformen der Neoliberalismus realisiert sehen möchte, damit eine Harmonie der verschiedenartigen Interessen sich spontan einstellt. Wie bereits festgestellt wurde, führt W. Euchen das wirt­ schaftliche Verhalten prinzipiell entweder auf das Streben nach „höchstmöglicher Reineinnahme“ oder „bestmöglicher Versorgung“ zurück. Es hat sich ferner gezeigt, daß ein Konflikt zwischen wirtschaftlichem Eigeninteresse und Gesamt­ wohl stets dann eintritt, wenn das Prinzip der „höchstmöglichen Reineinnahme“ für das wirtschaftliche Verhalten bestimmend ist. Der eigentliche Grund ist der, weil die diesem Prinzip entsprechende egoistische Selbstbereicherungstendenz die individuelle Bedürfnisbefriedigung auf Kosten der Gesamtversorgung realisiert. Das Problem desfunktionsfähigen Bewertungssystems Der Gedanke liegt nahe, daß der Interessenkonflikt primär von der Verantwor­ tung für das Gemeinwohl her, also von der ethischen Basis aus angefaßt werden muß. Wie sich zeigen ließ, läßt Eucken diese Schlußfolgerung nur für die ge­ schlossene Eigenwirtschaft gelten, während er sie für die arbeitsteilige Wirtschaft ablehnt. Dies geschieht deshalb, weil, wie er ausführt, im Raum der unüberseh­ baren Großwirtschaft Pflichtbewußtsein, christliches Liebesgebot, ja selbst das Streben nach „höchstmöglicher Sittlichkeit“ das erforderliche funktionsfähige Bewertungssystem nicht ersetzen können, mit dessen Hilfe es allein möglich sei, das Gesamtinteresse inhaltlich zu bestimmen. Weder „globale Bewertungen“ noch „punktuelles “ Eingreifen des Staates seien in der Lage, die gegenseitige Ab­ stimmung einzelner Wirtschaftshandlungen zu realisieren, nicht zuletzt deshalb, weil alle Lösungsversuche zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Wett­ bewerbsordnung wegen ihrer „Tendenz zur Transformation“ als „unstabil“ zu gelten haben (h 367 f., 198, 215 f.). Eucken setzt hier offenbar voraus, daß in der geschlossenen Eigenwirtschaft der sittliche Imperativ wegen der gegebenen Übersichtlichkeit das ökonomische Bewertungssystem gewissermaßen ersetzt, aller­ dings zu Unrecht, denn auch hier ist es nicht das Liebesgebot, sondern vielmehr der finalethisch motivierte ökonomische Sachverstand, der die Produktionsan­ weisungen gibt. Für den Bereich der Großwirtschaft kommt Eucken zu dem

186

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

Schluß, die Beseitigung der bestehenden Interessenkonflikte von einem Appell an die ethische Gesinnung des einzelnen erwarten zu wollen, heiße, das Problem „in geradezu gefährlicher Weise“ verschieben, weil dann die eigentliche Ord­ nungsaufgabe vernachlässigt werde; der zwingenden „Sachlogik“ des wirtschaft­ lichen Alltags gegenüber sei auch der beste Wille ohnmächtig (h 199). Automatischer Ausgleich der Wirtschaftsprin^ipien Das Problem liegt also darin, eine Wirtschaftsform zu finden, die in der Lage ist, unabhängig von der ethischen Einstellung der Wirtschaftenden die aus der Anwendung der antithetischen Wirtschaftsprinzipien resultierenden Planungs­ unterschiede auszugleichen und auf diese Weise die bestmögliche Versorgung zu garantieren. Nach neoliberaler Auffassung erfüllt einzig und allein die Wirt­ schaftsform der vollständigen Konkurrenz diese Voraussetzung und zwar aus folgendem Grunde: Während für den Leiter in der zentralgelenkten Wirtschaft und den Monopolisten in der Verkehrs Wirtschaft eine „gewisse Freiheit“ in der Wahl der wirtschaftlichen Zwecksetzung und der jeweils entsprechenden Wirt­ schaftsprinzipien bestehe (f 217 f.), die erwiesenermaßen zu wesentlichen Unter­ schieden in der Planung und im Vollzug führen, zwinge die Marktform der vollständigen Konkurrenz zu einem Verhalten, das letzten Endes zu einem effektiven Ausgleich der beiden Wirtschaftsprinzipien hinsichtlich der bestmög­ lichen Versorgung führt. Dieser Zwang geht auf die automatische Lenkungs­ funktion zurück, die nur in der Konkurrenzwirtschaft voll zur Geltung kommt. Die beiden fundamentalen Gegebenheiten der Marktform vollständiger Kon­ kurrenz : die Steuerung der Produktion durch das Grenzkostenprinzip, mit dessen Hilfe alle wirtschaftlichen Handlungen und Produktionsmittel aufeinander abge­ stimmt werden und so die gesamte Wirtschaft ins Gleichgewicht gebracht wird, sowie das Preissystem, das in den Knappheitspreisen zuverlässige Be­ deutungsindizes für die einzelnen Kostenrechnungen bietet, gelten als die ent­ scheidenden Faktoren für die optimale Befriedigung von Bedürfnissen (h 160ff.). W. Eucken erläutert diesen Sachverhalt folgendermaßen: Herrscht vollständige Konkurrenz, werden also die Preise der Produktionsmittel und Produkte als Plandaten angesehen, dann ist die Ausbringung der einzelnen Betriebe so, daß Grenzkosten und Preise gleich sind. Indem die Betriebe so viel produzieren, handeln sie nach dem „Prinzip der höchstmöglichen Reineinnahme“ . Damit wird aber zugleich genau so viel produziert, wie in Anwendung des „Prinzips bestmöglicher Versorgung“ an Gütern bereitgestellt werden kann. In der Markt­ form der vollständigen Konkurrenz sei es mithin gleichgültig, nach welchem der beiden Prinzipien gehandelt wird. In beiden Fällen wird unter dem Druck der

Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems

187

vollständigen Konkurrenz gleich viel erzeugt und verkauft, was z. B. für die Marktform des Nachfrage- und Angebotsmonopols nicht zutrifft. Je nachdem welches der beiden Prinzipien in Anwendung kommt, seien hier die Unterschiede in Produktion, Preis, Lohnhöhe und Versorgung unter Umständen erheblich, weshalb ein entsprechender Ausgleich durch betriebliche oder staatliche Sozial­ politik notwendig sei (f 218 f.). Ordnungspolitisch begründete Harmonieerwartung Die dargelegte Theorie, die am didaktisch vereinfachten Modell der vollständigen Konkurrenz gewonnen wurde, dient als Bestätigung der neoliberalen Grund­ ansicht, daß der erforderliche Interessenausgleich nicht nach Maßgabe teleo­ logisch-ethischer und ökonomisch-rationaler Normierung, sondern ausschließlich auf Grund nationalökonomischer Koordinationsprinzipien zu erfolgen habe. Eine „neue Harmonieerwartung“ ist also nach F. Böhm für das neoliberale Wirtschafts­ denken bestimmend (f 195 f., 198). Von der Harmonielehre des Laissez-faireLiberalismus unterscheidet sie sich insofern, als sie ihre Berechtigung nicht allein auf das freie Spiel von Angebot und Nachfrage, sondern auf ordnungspolitische Sicherungen des Marktmechanismus zurückführt. Die vom alten Liberalismus behauptete „selbsttätige Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz“, die bisher von der Kritik als zu optimistisch und illusionär abgelehnt wurde, findet, wie A . Rüstow unterstreicht, im Neoliberalismus unter ordnungspolitischen Bedingungen ihre Rehabilitierung (c 132). Die Wettbewerbspolitik sorgt nach W'. Eucken dafür, daß die spontanen Wirtschaftskräfte sich nicht gegen das Gesamtinteresse wenden. Sie sei realistisch genug, „die ungeheure Kraft des Egoismus und des Selbsterhaltungstriebes in Rechnung zu stellen“ ; andererseits habe die Wettbewerbsordnung als der einzige Ordnungstyp zu gelten, „welcher die Kräfte des Egoismus bändigt“. Sie zwinge auch den reinen Egoisten, für das Gesamtinteresse tätig zu sein, indem sie ihn veranlaßt, „sinnvoll (und ohne es zu wollen) der Überwindung der Knappheit an Konsumgütern zu dienen“ (h 365). Das Selbstinteresse, wenn es zum Zuge kommen und das Optimum seiner Verwirklichung herbeiführen will, müsse das gleiche Selbstinteresse bei anderen voraussetzen; ja es lasse sich optimal nur durch den Dienst für die anderen verwirklichen. Damit wird angeblich erreicht, daß die egoistischen Einzelinteressen in ihrer Vielfalt nicht gegeneinander arbeiten, sondern in Harmonie miteinander wirken (h 365, 367) und für den Dienst am Ganzen, so A . Müller-Armack, in den „sozial­ nützlichen Rahmen“ (d 73; i 31) volkswirtschaftlicher Leistungen gespannt werden. Wie W. Röpke bestätigt, sei allein der LeistungsWettbewerb in der Lage,

188

Marktmechanisch- kausale Gemeinwohltheorie

„den Wildbach des Privatinteresses zu bändigen und in eine wohltätige Kraft zu verwandeln“, indem der Widerstreit der Interessen automatisch zum Ausgleich gebracht werde. Zu den „erprobten Einrichtungen“ , die das Eigeninteresse dem Gesamtinteresse „geräuschlos“ koordinieren, rechnet Röpke neben dem Wett­ bewerb: Freiheit, Selbstverantwortung und Eigentum (i 95; d 279; b 203). Nach A . Rüstow wird jeder, der im Wettbewerb steht, dauernd gezwungen, zur „Meh­ rung des Wohlstandes anderer beizutragen, er mag wollen oder nicht“, durch bessere und billigere Produktion ebenso wie durch Bekämpfung wirtschaftlicher Machtpositionen (1 57). Hinzukommt, worauf A . Müller-Armack hinweist, daß durch die wettbewerbliche Ausschaltung von Monopolgewinnen lediglich „dem Gesamtinteresse dienende Entwicklungsgewinne“ zugelassen werden und jegliche „Verpfandung von Erwerbspositionen“ ausgeschaltet wird (e 299). Die „List der Idee“, die nach der wirtschaftspolitischen Auffassung des Laissez-faire-Libera­ lismus im Preissystem zur Geltung kommt, sieht W. Eucken im Rahmen der Wettbewerbsordnung bestätigt (h 367). Das deistische Element im Harmonie­ glauben der Frühzeit hat dem „aufgeklärten“ und „wohlverstandenen“ Selbst­ interesse Platz gemacht. Im Grunde ist es also die Rentabilitätsrechnung nach Maßgabe des Grenzkosten­ prinzips, die im Gegensatz zur Wirtschaftsrechnung der Monopole „eine gerechte Lenkung des Gesamtprozesses“ (h 349) und damit die Lösung des Harmonie­ problems ermöglicht, ganz abgesehen davon, daß beispielsweise preispolitisch bedingte, aber unsoziale Vernichtung von Lebens mittel Vorräten auf diese Weise unterbunden werde (h 32f.). Wie F . Böhm bemerkt, wollten die alten Klassiker mit ihrer zu Unrecht verspotteten Harmonielehre auch nicht mehr sagen, als daß unter den Bedingungen eines „einigermaßen zureichenden“ Wettbewerbs alle Wirtschaftssubjekte sich volkswirtschaftlich richtig verhalten, „wenn sie ihr Handeln an einem privatwirtschaftlichen Erfolg orientieren und diesen Erfolg wirklich erzielen“ (f 196). Theoretisch wird also durch die Wettbewerbsordnung die neoliberale Idee realisiert, ein Wirtschaftssystem aufzubauen, das unabhängig von der ethischen Einstellung der wirtschaftenden Menschen zum Wohle des „Ganzen“ funktio­ niert. Die Fragwürdigkeit eines durch Erziehungsarbeit herbeizuführenden Gesinnungswandels als Voraussetzung für die Lösung des Harmonieproblems werde damit ausgeschaltet. Vielmehr bietet nach W. Eucken die freiheitliche, institutionell gesicherte Wettbewerbsordnung überhaupt erst die Möglichkeit, ethische Gesinnung zur Auswirkung kommen zu lassen (h 368). Von den Men­ schen dürfe nicht verlangt werden, was allein die Wirtschaftsordnung leisten könne: ein harmonisches Verhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse herzustellen (h 368). Der ausschließlich wirtschaftsimmanente Charakter der Argu-

Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems

189

mentation Euckens ist offenkundig, ebenso allerdings auch die Grenzverwischung zwischen reiner Modelltheorie und dem Bereich des wirtschaftlichen Handelns. Wie schon dargelegt wurde, nimmt die Modelltheorie das Wirtschaftsziel als Datum hin, ohne die Bewandtnis des Zieles näher zu untersuchen. Euchen geht jedoch dazu über, von der modelltheoretischen Basis aus ein normatives Urteil über die faktische Zielsetzung des Handelnden zu fällen, indem er als Markt­ theoretiker ausspricht, was ethisch nicht sein darf. Die Ethik des Handelnden wird von der Modelltheorie in Dienst genommen, insofern sie lediglich die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmechanismus zu rechtfertigen und zu garan­ tieren hat. Die moralphilosophische Wertordnung wird damit auf den Kopf gestellt. b) M a rk tm ec ha nis ch e I n t e g r a t i o n des Gesamtwohles Wie zu ersehen ist, steht und fällt die neoliberale Beweisführung mit der Möglich­ keit, das Modell der vollständigen Konkurrenz im Wirtschaftsalltag hinreichend realisieren zu können. Von den vielfachen, zum Teil unüberwindlichen Schwierig­ keiten, die sich der Tendenz dieses „hypothetischen“ Liberalismus, modell­ theoretische Erkenntnisse auf den wirtschaftspolitischen Alltag zu übertragen, entgegenstellen, wird im sechsten Kapitel noch die Rede sein. Vorerst ist die grundsätzliche Frage von Bedeutung, ob das Spannungsverhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse durch die wettbewerbstheoretisch bedingte „selbsttätige Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz“, von der A . Rüstow spricht (c 132), wirklich beseitigt und das Harmonieproblem hinreichend gelöst wird. Um die lenkungswirtschaftlichen Lösungsversuche, die von einem sozialen Apriori ausgehend das Harmonieproblem teleologisch zu bewältigen suchen, ad absurdum zu führen, bedient sich W. Euchen zweier Kunstgriffe. Markttheoretisches Gesamtinteresse als ideelle Norm Von dem ersten Kunstgriff, der die Verabsolutierung des ökonomischen Rationa*prinzips als zwecksetzender Faktor, als ethisch-normative Instanz aller wirt­ schaftlichen Pläne und Handlungen zum Inhalt hat, war bisher die Rede. Der zweite besteht darin, daß Euchen dem Begriff des Gesamtinteresses still­ schweigend eine Sinnbedeutung unterlegt, die sich in keiner Weise mit dem zur Debatte stehenden universalen Begriff des sozialwirtschaftlich beinhalteten Gesamtinteresses deckt. Seine gesamte Beweisführung, die die Lösung des Harmonieproblems auf der Grenzkostenrechnung und dem funktionsfähigen Preismechanismus vollständiger Konkurrenz aufbaut, zentriert sich um den engen Begriff des markttheoretischen Gesamtinteresses kaufkräftiger Wirtschafts­ subjekte. Steht jedoch fest, wie nachgewiesen wurde, daß der Interessenkonflikt

190

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

durch die gewinnsüchtige Ausschaltung des „Prinzips bestmöglicher Ver­ sorgung“ auf Kosten der Gesamtheit schlechthin bedingt ist, dann wird erneut deutlich, daß Eucken hier die gemeinsame Diskussionsbasis verlassen hat. Er argumentiert von der modelltheoretischen Ebene aus, beansprucht aber, mit seinen Schlußfolgerungen das Harmonieproblem als „Problem des tatsächlichen Lebens“ (h 356) lösen zu können. Im Grunde ist es die gleiche Manipulation, die uns bereits bei F. Böhm begegnet ist, der kurzerhand den Rechtsstaat zum „Wohl­ fahrtsstaat“ erklärt und damit den individualistisch beinhalteten „Wohlfahrts­ zweck“ gegen seine Gegner ins Feld führt (1 160, 165, 167). W'. Eucken, der die inhaltliche Klärung des Gesamtinteresses für notwendig erachtet, wenn Wirtschaftspolitik ernsthaft getrieben werden soll, hält es für schwierig, diesem Begriff oder dem der „volkswirtschaftlichen Produktivität“, des „gesellschaftlichen Nutzens“ einen „bestimmten Inhalt“ zu geben. Zwar ist seiner Ansicht nach der Lösung des tatsächlichen Interessenproblems nicht damit gedient, daß man auf Schwierigkeiten der Definition verweist, er selbst weicht jedoch einer klärenden Stellungnahme aus und begnügt sich statt dessen mit einem diesbezüglichen Literaturhinweis. In einer rein formalen „Umschreibung“ des Interessenkonfliktes, die angeblich für wirtschaftspolitische Zwecke genügt, führt er die Schwierigkeiten einer definitiven Beinhaltung des Gesamtinteresses darauf zurück, „daß die Bewertung der Güter mit der verschiedenen Höhe der Einkommen variiert“ (h 356). Mechanisch-additiver Gemeinwohlbeoriff Nach Eucken entscheiden die einzelnen Wirtschaftsindividuen als Konsumenten, „also alle Menschen“ darüber, was das Gesamtinteresse ist (h 361). Individuelle Freiheit, eigenes Ermessen und Spontaneität des einzelwirtschaftlichen Handelns gelten, wie wir bereits gesehen haben, als unabdingbare Voraussetzungen des Gesamtwohles, während die „Verminderung der Spannung zwischen Bedarf und Deckung“ (h 357), die „sinnvolle Überwindung der Knappheit an Konsum­ gütern“ (h 354ff., 364 f., 370) mit dem Interesse der Gesamtheit identifiziert wird. Mit Hilfe des funktionsfähigen Preissystems als probatem Knappheits­ messer läßt sich die für den wirtschaftenden Einzelmenschen unlösbare Aufgabe bewältigen, die Bedürfnisse in ihrer unübersehbaren Mannigfaltigkeit festzu­ stellen und so das Gesamtinteresse zu erkennen (h 362; f 209). Es wird in der Form realisiert, daß die Wirtschaftsrechnung der Gesamtheit durch die Einzel­ wirtschaften gleichsam in viele Teilchen gespalten und dann wieder sinnvoll zusammengefügt wird, indem das Preissystem die einzelnen Wirtschaftsrech­ nungen aufeinander abstimmt (h 301).

Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems

191

Dabei ist jedoch zu beachten, daß die preisautomatische Koordinierung der Einzelinteressen nicht um des Gesamtwohles, sondern um des Eigenwohles willen angestrebt wird. Sobald auf ordnungspolitischem Weg alle Hindernisse und Gefährdungen für die optimale Realisierung des Eigenwohles ausgeschaltet sind, ergibt sich nach neoliberaler Auffassung das Gesamtinteresse automatisch aus der Summe der vielfältigen, institutionell gesicherten Eigeninteressen, die im Rahmen der intendierten Ordnungsformen angeblich stets der Gesamtheit dienen. Das Gesamtinteresse erweist sich demnach als ein Zustand des Gleichgewichtes im freien Spiel der Interessen; als mechanische Folgeerscheinung privatwirt­ schaftlicher Kostenrechnung; als Summe der durch Kaufkraft legitimierten rationalen und irrationalen Bedürfnisse, begründet durch die „Souveränität“ des Individuums in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke. „Sorgt für euch und eure Leute, so gut ihr könnt“, empfiehlt A . Rüstow, dann brauche sich niemand um das Wohl der Allgemeinheit Gedanken zu machen (1 57). Knappheitspreis als automatischer Indikator Aus dem Gesagten ist zu entnehmen, daß nach neoliberaler Auffassung kein wesentlicher Unterschied zwischen Eigenwohl und Sozial wohl besteht. Das Gesamtwohl besitzt aus diesem Grunde in der realen Ordnung keine überindivi­ duelle, normative Bedeutung, es läßt sich primär in die ungezählten Einzel­ interessen auflösen. Der einzelne steht mit seinen Ansprüchen der Summe aller übrigen Wirtschaftsindividuen gegenüber. Aus diesem Grunde kommt es, wie W. Eucken ausführt, nicht selten zu einem „Konflikt der Pflichten“, nämlich der Pflicht gegenüber dem eigenen Wohl und der gegenüber der Gesamtheit. Das Einzelinteresse fordert mitunter „gebieterich“, was dem Gesamtinteresse wider­ spricht, wie umgekehrt z. B. eine zentrale Wirtschaftsplanung zu den „Geboten der Pflicht, die der einzelne gegenüber der unmittelbaren Umwelt... hat“, in Gegensatz geraten kann (h 367). Die Rücksicht auf die Souveränität des Indivi­ duums verbietet es, den erwähnten Konflikt der Pflichten dadurch zu lösen, daß eine grundsätzliche Vorrangstellung des Sozialwohles und seiner Sachnotwendigkeiten anerkannt wird. Eine Normierung des Einzelinteresses durch übergeord­ nete Gesichtspunkte auf Grund einer authentischen und allgemeinverbindlichen Interpretation des Gemeinwohls wird hier ebenso wie in der Rechtsstaatsphilo­ sophie als überflüssig und als unmöglich abgelehnt. Die Meinung, durch eine legitime „Führerschicht“ den allgemeinen Volkswillen im Bereich der wirtschaft­ lichen Interessen entsprechend festlegen und zur Geltung bringen zu können, gehört nach neoliberaler Auffassung zu den ideologischen Fundamenten aller Ordnungen des zentralverwaltungswirtschaftlichen Typs, die auf diesem Wege

192

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

eine pseudoideelle Legitimation ihrer Lenkungsinterventionen anstreben. Die Erfahrungen gerade der neuesten Zeit hätten erwiesen, daß dieses Vorhaben auch bei bestem Willen mißlingen müsse, da es wegen Mangel an einem geeig­ neten Knappheitsmesser nur mit globalen Bewertungen arbeiten könne (h 161 ff., 368; f 209). Der preisautomatische Knappheitsmesser gilt demnach als einzig autorisierter Indikator für das Gesamtinteresse, das sich aus den rationalen und irrationalen, marktmäßig feststellbaren Konsumwünschen ergibt. Nicht Subordination, sondern „sinnvolle Koordination“ der am privaten Rentabilitätsinteresse orientierten Einzelpläne und Wirtschaftshandlungen führe stets zum Besten der Gesamtheit. Bentbams Theorie vom „größten Glück der größten Zahl“ als Beinhaltung des Gemeinwohls findet damit im Neoliberalismus unter ordnungspolitischen Vor­ aussetzungen ihre Wiederbelebung. L . Erhard negiert die Bentham*sehe Unter­ stellung seiner Wirtschaftspolitik, hält allerdings auch nichts davon, daß einige Leute einen Unterschied zu machen suchen zwischen einem Sozialprodukt, wie es sich aus der ungehinderten Funktion des marktwirtschaftlichen Prozesses ergibt, und demjenigen Sozialprodukt, wie es nach der Vorstellung der „ewigen Besserwisser“ im „wohlverstandenen Interesse“ des Konsumenten eigentlich bemessen und zusammengesetzt sein sollte (g 60). W. Röpke präsentiert ebenfalls den Bentham*sehen Gedanken in moderner Fassung als „Massenwohlfahrt“. Im Abwehrkampf gegen den Weltbolschewismus realisiere die freie Welt im Rahmen ihrer unvergleichlich überlegenen Wirtschaftsordnung, die Freiheit und Ent­ bindung des individualistischen Schaffensdranges in den Dienst der Überwindung der Armut stelle, mit der „Waffe der höheren Produktivität und der besseren Massenversorgung“ den „Massenwohlstand“ (m; p 161). Nach A . MüllerArmacks Auffassung ist die Wettbewerbswirtschaft das einzige bisher in der Ge­ schichte entwickelte Organisationsmittel, das die Kraft besitzt, „ohne äußeren Zwang Massenkulturen wirtschaftlich möglich zu machen“ (d 73). c) Diskrepanz zwischen m a r k t th e o r e t is c h e m u n d sozialwirtschaft­ lichem Gesamtinter esse Die auf den ersten Blick plausible Beweisführung der neoliberalen Wettbewerbs­ theoretiker läßt jedoch die entscheidende Frage völlig offen, ob das zur Diskussion stehende Interessenproblem überhaupt zu lösen ist, wenn das wirtschaftliche Gesamtinteresse mit der Summe marktmäßig sich äußernder Einzelinteressen identifiziert und als solches der Beweisführung zugrunde gelegt wird. Dagegen spricht die Tatsache, daß die intendierte marktmechanische Integration des Gesamtwohles nicht mit dem sozialen Wohlfahrtszweck identisch ist, vielmehr zwischen dem markttheoretischen und sozialwirtschaftlichen Gesamtinteresse eine

Markttheoretische Lösung des Harmonieproblems

193

erhebliche Diskrepanz besteht. Sie geht im wesentlichen auf zwei markt­ theoretische Axiome zurück: auf die systemkonforme „Verteilungsgerechtigkeit“ und auf die einzelbetriebliche Planungsfreiheit. Ungleiche Verteilung der Kaufkraft Zunächst ist zu berücksichtigen, daß individuelle Bedürfnisse vom Wirtschafts­ prozeß mit Hilfe des Knappheitsmessers nur insoweit registriert und berück­ sichtigt werden, als sie sich auf dem Markt durch kaufkräftige Nachfrage äußern. Von der Kaufkraft wissen wir jedoch, daß sie auf Grund der marktmechanischen Verteilung und der daraus resultierenden Unterschiede in der Einkommenshöhe sehr ungleich verteilt ist. Wie W. Eucken bestätigt, lassen sich zudem die sub­ jektiven Wertschätzungen der gehobenen Einkommensschichten mit den Bedürf­ nissen unterer Einkommensstufen nicht ohne weiteres auf den gemeinsamen Nenner einer für das Interesse aller repräsentativen Bedürfnisskala bringen, da die Bewertung der Güter mit der verschiedenen Einkommenshöhe variiert. Das bedeutet praktisch, daß das marktwirtschaftliche Gesamtinteresse entgegen der von Eucken geäußerten Auffassung nicht durch die Bedarfswünsche aller Glieder des Wirtschaftsvolkes, sondern vielmehr durch die geltend gemachten Ansprüche bestimmter kaufkräftiger Einkommensschichten konstituiert wird. Aus diesem Grunde ist es möglich und faktisch nicht selten der Fall, wie Eucken selbst ver­ schiedentlich hervorhebt, daß gerade in angespannten Wirtschaftsperioden kauf­ kräftige Luxusbedürfnisse durchaus systemgerecht auf Kosten der dringlichen Gesamtversorgung befriedigt werden (h 353, 355 f., 365 f.). Es geht hier nicht darum, etwa die Befriedigung von Luxusbedürfnissen schlechthin ablehnen und einer übertriebenen Produktionsplanung das Wort reden zu wollen, sondern lediglich um den Nachweis, daß das markttheoretische Gesamtinteresse und die erstrebte „sinnvolle“ Überwindung der durch Nachfrage geltend gemachten Knappheit aus verteilungspolitischen Gründen nicht mit dem wirklichen, also sozialwirtschaftlich beinhalteten Gesamtinteresse identifiziert werden kann. Einzelbetriebliehe Planungsfreiheit als Konfliktsquelle Ein weiterer Grund kommt hinzu. Selbst wenn vollständige Konkurrenz herrscht, wenn also theoretisch das System der Konkurrenzpreise die unzähligen Einzel­ wirtschaftsrechnungen abstimmt und über die Gesamtwirtschaftsrechnung eine zureichende Lenkung der Volkswirtschaft garantiert, kommt es trotzdem noch zu erheblichen Konflikten zwischen den verschiedenartigen Interessen. Sie gehen, wie W. Eucken ausführt, auf die Tatsache zurück, daß die „schädlichen

194

Marktmechanisch- kausale Gcmcinwohltheoric

Rückwirkungen“ der einzelwirtschaftlichen Pläne und Handlungen auf das Gesamt­ interesse nicht oder nur teilweise in die Wirtschaftsrechnungen der vielen Haus­ halte und Betriebe einkalkuliert werden. Die Nichtberücksichtigung dieser Fern Wirkungen bei der Realisierung der eigenwirtschaftlichen Vorteile führt erfahrungsgemäß zu Konflikten zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse, vor allem, wenn es sich um Gruppenaktionen handelt (h 301 f., 313, 118f., 365). Eucken gibt also die Diskrepanz zwischen markttheoretischem und sozialwirt­ schaftlichem Gesamtinteresse ausdrücklich zu, ohne allerdings diesen erheblichen Unterschied terminologisch klar zum Ausdruck zu bringen. Die markttheoretische Interpretation des Gesamtinteresses veranlaßt ihn zur Feststellung, daß die Wettbewerbsordnung als der einzige Ordnungstyp zu gelten hat, „welcher die Kräfte des Egoismus bändigt“ und auch den „reinen“ Egoisten zwingt, „für das Gesamtinteresse tätig zu sein“. Die sozialwirtschaftliche Beinhaltung des Gesamt­ interesses hingegen, die nicht nur die kaufkräftigen, sondern auch die dringenden Bedürfnisse der unteren Einkommensschichten umfaßt, nötigt ihm das Einge­ ständnis ab, daß die markttheoretisch-exakte Wirtschaftsrechnung und Wirt­ schaftslenkung nicht im „Gesamtinteresse“ erfolge (h 365). Zwar befürwortet er Versuche, diese Diskrepanz mit Hilfe bestimmter Maßnahmen auszugleichen, indem etwa durch Einkommensausgleichskorrekturen allen berechtigten Bedürf­ nisansprüchen mit der erforderlichen Kaufkraft der entsprechende Einfluß auf den Produktionsprozeß gesichert oder indem durch dauernde gewerbe- und sozial­ politische Kontrollen die einzelbetriebliche Planungsfreiheit sozial korrigiert wird (h 301 f., 365). Wie begrenzt und unzureichend dergleichen nachträgliche Korrek­ turen wegen der erforderlichen Rücksicht auf die „ökonomische Sachlogik“ in Wirklichkeit sind, ist schon hervorgehoben worden, ganz abgesehen davon, daß Eucken selbst hier unbewußt einen letztinstanzlichen Gemeinwohlbegriff in die Diskussion einführt, der mit dem markttheoretischen Gesamtinteresse nicht identisch ist. Individualistische Beinhaltung der Knappheit Eucken bringt also durch seine „Umschreibung“ des Interessenproblems unge­ wollt zum Ausdruck, daß es nicht nur „schwierig“, sondern unmöglich ist, den Begriff des Gesamtinteresses vollinhaltlich zu interpretieren, wenn lediglich der preisautomatische Knappheitsmesser als einzig legitimer Indikator zugrunde gelegt wird. Für die intendierte neoliberale Lösung des Harmonieproblems ist diese Feststellung entscheidend. Wenn Eucken die praktische Wirkung des Grenz­ kostenprinzips darin sieht, daß „der riesige Apparat an Produktionsmitteln... optimal auf die Befriedigung von Bedürfnissen der kaufkräftigen Konsumenten

Zusammenfassung und Stellungnahme

195

ausgerichtet“ wird (h 161), er aber andererseits seine Harmonieerwartung mit der Grenzkostenrechnung begründet, dann muß das Harmonisierungsergebnis von vornherein als zu begrenzt und darum als ungenügend bezeichnet werden. Die preisautomatische Koordination berücksichtigt das Spannungsverhältnis der ver­ schiedenartigen Interessen nur im Bereich der kaufkräftigen Nachfrage. Auch der Hinweis auf den im Konkurrenzpreis gegebenen idealen Knappheitsmesser ändert nichts an der Tatsache, daß die Knappheit individualistisch beinhaltet wird, also nur einen Teil der faktischen Bedürfnisse repräsentiert. Die eigentliche Wurzel des Interessenkonfliktes, die wir in der Tatsache gegeben sahen, daß die individuelle Bedürfnisbefriedigung einer begrenzten Konsumentenschicht auf Kosten einer vernünftigeren Gesamtversorgung realisiert wird, kann auf diese Weise nicht erfaßt werden. Die vollständige Konkurrenz oder die Herstellung eines Zustandes, der in seinen Auswirkungen der vollständigen Konkurrenz annähernd entspricht, reicht also nicht aus, um dem Gesamtinteresse in seiner sozialen Problematik gerecht werden und die sozialen Spannungen befriedigend ausgleichen zu können. Eine erhebliche Spanne zwischen dem ordnungspolitischen Koordinationsergebnis und den Sachnotwendigkeiten des Gesamtwohles, die nicht nur auf menschliche Unvoll­ kommenheiten oder auf akzidentelle „Schönheitsfehler“ des Systems zurückge­ führt werden kann, ist nicht nur in der monopolisierten Verkehrs Wirtschaft, sondern auch in der funktionsfähigen Wirtschaftsform vollständiger Konkurrenz gegeben. Wie bereits erwähnt wurde, gibt W\ Eucken offen zu, daß es der Wett­ bewerbsordnung „nicht überall“ gelingt, „die Äußerung der Einzelinteressen mit dem Gesamtinteresse zu koordinieren“, ja daß sich in der marktmechanischen Verteilung und unbefriedigenden Ausgleichskorrektur der Kaufkraft eine schwache Stelle des gesamten Systems offenbare, die zu berechtigter Kritik Anlaß gebe. Die einzige Konsequenz, zu der sich Eucken, seinem ausgeprägten Alternativdenken entsprechend, aufzuschwingen vermag, ist lediglich die Fest­ stellung, daß die Wettbewerbsordnung nur als eine „relativ gute Maschine“ zu bewerten sei, die jedoch im Vergleich zum „primitiven Apparat“ der Zentral­ verwaltungswirtschaft wesentlich geringere Mängel aufweise (h 365 f.). Z u s a m m e n fa s s u n g und Ste llu ngn ahm e (zu Kap. 4) Die Zusammenfassung der neoliberalen Argumentation führt zu folgendem Resultat : Das zur Diskussion stehende, aus dem Spannungsverhältnis von Eigenund Gesamtinteresse resultierende Harmonieproblem wird vom Neoliberalismus als ein Problem des tatsächlichen Lebens anerkannt. Die liberale Annahme, jeder frei wirtschaftende Mensch diene von sich aus, ohne es zu wollen, dem Gesamt­ interesse, gilt als optimistische Verallgemeinerung, die die Gefahr übersieht, daß

196

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

das Eigeninteresse sich gegen das Gesamtinteresse wenden kann. Die geforderte Lenkung des wirtschaftlichen Eigeninteresses wird als entscheidende ordnungs­ politische Aufgabe begriffen, die die gesunde Mitte zwischen der Wirtschafts­ politik des Laissez-faire-Liberalismus und des zentralverwaltungswirtschaftlichen Interventionismus zu realisieren hat. Als normgebendes Kriterium der inten­ dierten Interessenordnung gilt zunächst die privatwirtschaftliche Ermessens- und Handlungsfreiheit. Nur bei freier Entfaltung der spontanen Kräfte und bei freiem Wirken des Eigeninteresses sei es möglich, das Gesamtinteresse zu fördern und zu realisieren. Das Privatinteresse gilt als die wesentliche Kraft, die dem Gesamtinteresse dient, die Freiheitsidee des Laissez-faire-Liberalismus wird also bewußt wieder aufgegriffen. Die Lösung des Harmonieproblems von einer sozial­ ethischen Umorientierung des Gewinnstrebens erwarten zu wollen, wird als verfehlt betrachtet. Das Interessenproblem wird grundsätzlich als ein Problem der gegebenen mangelhaften „Wirtschaftsform“ charakterisiert, sei es daß diese völlig versagt oder durch monopolistische und sonstige Manipulationen in ihrer Funktionsfähigkeit verfälscht wird. Die rein formale Sicht des Harmonieproblems, die eine ethisch-normative Behandlung des Fragenkomplexes ausschließt, wird durch einen zweifachen Fehlschluß begründet: W. Eucken macht, erstens, die ethische Bewandtnis des Harmonieproblems von der unmittelbaren inhaltlichen Erkennbarkeit des Gesamt­ interesses abhängig; er löst, zweitens, das ökonomisch richtige Handeln in be­ wußter Verabsolutierung des wirtschaftlichen Prinzips als zwecksetzende Instanz aus der der Wirtschaft unmittelbar aufgetragenen ethischen Wertordnung heraus. Auf diese Weise sucht er die Harmonisierung der verschiedenartigen Interessen als rein ökonomisches Ordnungsproblem nachzuweisen. Seine Tendenz besteht darin, die antithetischen Wirtschaftspläne unabhängig von der ethischen Ein­ stellung der Wirtschaftenden im Rahmen der Wettbewerbsordnung auf der Basis des Grenzkostenprinzips und des funktionsfähigen Preissystems zur Koinzi­ denz zu bringen. Die neue, durch preisautomatische Koordination begründete Harmonieerwartung hat den engen Begriff des markttheoretischen Gesamtinter­ esses, das nach den Kriterien der Knappheitsrelationen, also individualistisch beinhaltet wird, zum Mittelpunkt. Das deistische Element im Harmonieglauben der Klassiker hat dem „aufgeklärten“ und „wohlverstandenen“ Selbstinteresse Platz gemacht. Das Gesamtinteresse erweist sich als eine Summe des vielfältigen Eigeninteresses, der subjektiven Wertschätzungen und des institutionell ge­ sicherten Eigenwohles. Als einzig autorisierter Indikator des Gesamtinteresses fungiert das Preissystem in seiner Eigenschaft als automatischer Knappheits­ messer. Die intendierte Realisierung des Gesamtwohles ist mit der Befriedigung der durch Kaufkraft legitimierten rationalen und irrationalen Konsumenten-

Zusammenfassung und Stellungnahme

197

wünsche identisch. Die unter Umständen erhebliche, durch die ungleiche Ver­ teilung der Kaufkraft und die einzelbetriebliche Planungsfreiheit bedingte Diskrepanz zwischen markttheoretischem und sozial wirtschaftlichem Gesamt­ interesse soll durch nachträgliche marktkonforme Ausgleichskorrekturen ge­ mildert werden. Die Rücksicht auf die Souveränität des Individuums in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke und auf die Sachlogik des wettbewerblichen Funktionsablaufes verbietet es, die notwendige Harmonisierung der gegen­ sätzlichen Interessen nach den überindividuellen Gesichtspunkten des authentisch und verbindlich interpretierten Gesamtwohles zu realisieren. Das Spannungs­ verhältnis zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse wird vielmehr zugunsten des autonomen Selbstinteresses aufgelöst. Neoliberale Inkonsequenz bei der Lösung des Harmonieproblems Die Einwände der Kritik gegen die neoliberale Lösung des Harmonieproblems konzentrieren sich im wesentlichen auf die Feststellung, daß weder die rein formale Deutung noch die ausschließlich funktionaltheoretische Lösung des Harmonieproblems der sozialen Bewandtnis und Dringlichkeit des Anliegens gerecht wird. Die Tatsache, daß die Interessenkonflikte nicht ausschließlich auf Funktionslücken der Wirtschaftsform zurückgeführt werden können, da die Diskrepanz auch durch die funktionsfähige Wettbewerbsordnung nicht aus der Welt geschafft, sondern im Gegenteil theoretisch bedingt wird, wird von den Neoliberalen nicht genügend berücksichtigt. Eine rein funktionaltheoretische Lösung des fraglichen Problems scheidet daher von vornherein als illusorisch aus, nicht zuletzt deshalb, weil der zentrale Begriff des markttheoretischen Gesamt­ interesses, also die Überwindung der individualistisch beinhalteten Knappheit, der universellen sozialen Problematik des Interessenkonfliktes nicht gerecht werden kann. Dieser Sachverhalt findet auch auf neoliberaler Seite insofern eine Be­ stätigung, als F. Böhm (3. K., le), W. Eucken (3. K., 2c), A . Müller-Armack (3. K., 3 c) und^4. Rustow (3. K., 3 a) ausdrücklich die Notwendigkeit entsprechender Korrekturen und gegebenenfalls auch nichtmarktkonformer Interventionen um übergeordneter sozialer Gesichtspunkte willen zugeben. Der Ansatzpunkt für die finalethische Lösung des Harmonieproblems ist damit gegeben. Diese Einsicht veranlaßt offenbar auch W. Röpke, dem funktionaltheoretischen Optimismus des Laissez-faire-Liberalismus den wirksamen „Appell an das Gewissen und an jenes Minimum der Bereitschaft zur entsagenden Unterordnung unter die Allgemein­ interessen“ entgegenzustellen; eine Frage der Moral lasse sich eben nicht auf dem mechanischen Wege einer Veränderung der Organisation lösen (b 200f., 204). Die Inkonsequenz der neoliberalen Wirtschaftspolitiker besteht faktisch dariny daß sie

198

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

nicht bereit sind, der erforderlichen Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter das sozialethisch beinhaltete Gesamtinteresse auch institutioneilen Ausdruck zu geben. Sie überlassen statt dessen nach wie vor, ihrem ausgeprägten modelltheoretischen Denken zufolge, die moralische Ordnung des Marktes (Röpke, b 203) und die Lösung des Harmonieproblems der Prädominanz des Wettbewerbsprinzips und seiner spontan­ mechanischen Ausgleichsfunktion. Nach W. Röpke beispielsweise ist das markt­ wirtschaftliche System nur dann aufrecht zu erhalten, „wenn der Widerstreit der Interessen, soweit er durch eine veredelte Wirtschaftsmoral nicht bereits in erträglichen Schranken gehalten wird, in einer ständig wirksamen und lauteren Konkurrenz seinen Ausgleich findet“ (b 203). Das Unlogische dieser Argumen­ tation besteht darin, faktische Mängel durch dieselben Funktionsprinzipien be­ heben zu wollen, durch die sie hervorgerufen werden. Analoge Sinnfülle des echten Gemeimvohlbegriffs Die neoliberale Ethik des Gemeinwohls ist in ihren verschiedenen Grundthesen als Ergebnis des philosophischen Nominalismus zu werten. Die nominalis tische Lösung des Universalienproblems, die dem metaphysischen Allgemeinbegriff und der überindividuellen Ganzheit nur ein rein gedankliches, fiktives Sein zubilligt, führte notwendig zur individualistischen Verfälschung und Auflösung des Gemeinwohlbegriffes, von der bisher die Rede war. Nach realistischer Auffassung läßt sich der gesamte Fragenkomplex über das Wesen und die Wirklichkeit des Sozialwohles nur von der fundamentalen Voraussetzung her lösen, daß es sich beim Gemeinwohl um einen allgemeinen Begriff, ein Universale handelt, das, wie A . F. Utz hervorhebt, als „vielgestaltige analoge Wirklichkeit“ (o 149) zu be­ greifen ist und eine dementsprechende „analoge Sinnfülle“ (o 154) aufweist. Wie das Sein im ontischen Bereich, ist das Gemeinwohl in ethischer Hinsicht ein analoger Sachverhalt, — diese metaphysische Tatsache übersehen heißt: die Wesensmitte des Gemeinwohlbegriffes verfehlen (o 322, 151f.). Die richtige Auffassung vom Gemeinwohl steht und fällt demnach mit dem philosophischen Verständnis der Analogie, des in analoger Weise Gemeinsamen. Im vorliegenden Zusammenhang besagt Analogie zunächst, daß es sich beim Gemeinwohl um einen Ganzheitswert im Sinne einer umfassenden, überindivi­ duellen Realität handelt. Er ist, wie A . F. U tz (o 39, 152) und E . Welty (i 322f.) ausführen, weit genug, die vielen einzelnen in ihrer Besonderheit zu belassen und das persönliche Eigenwohl des einzelnen, seine Verschiedenheiten und indivi­ duellen Rechte vollinhaltlich mit einzuschließen. Der Grundirrtum der neo­ liberalen Gemeinwohl-Konzeption besteht darin, daß der intendierte Zustand des Gleichgewichts im freien Spiel der Interessen die Ungleichheit der Individuen:

Zusammenfassung und Stellungnahme

199

ihrer geistigen Anlagen und physischen Kräfte, ihrer äußeren Verhältnisse, ihrer wirtschaftlichen Chancen, völlig außer acht läßt, weshalb die weniger begünstigten Gesellschaftsglieder im Mechanismus des Kräftespiels unweigerlich benachteiligt werden. Obwohl das Gemeinwohl wie jedes Universale außerhalb der Individuen keine Realität besitzt, stellt es deswegen doch nicht nur einen Sammelbegriff, eine numerische Vielheit oder Summe des Einzelwohles, sondern vielmehr eine eigene, neue Wirklichkeit dar. / . Messner sieht die Wirklichkeit des Gemeinwohls speziell durch seine Wirkung bestätigt, die er in der nur durch gesellschaftliche Kooperation und Hilfeleistung realisierbaren „Existenzerfüllung“ des einzelnen für gegeben erachtet (j 132). Um das Eigene und Neue der Gemeinwohl-Wirklich­ keit zu demonstrieren, weist A . F. Ut% darauf hin, daß es sich beim Gemeinwohl zwar um die Gesamtleistung aller Gesellschaftsglieder handelt, andererseits das Ergebnis der gesellschaftlichen Kooperation ein überindividueller Gesamtwert ist, der über die Individualleistung hinausgeht, wie z. B. das Eheglück, der Familien­ friede, das Staatswohl (o 152f., 154). Gegenseitige Bedingtheit von Eigenwohl und Gesamtinteresse Der Unterschied zwischen dem Begriff des Eigeninteresses und des Gesamt­ wohles, der in der Verschiedenheit des Inhalts, der Zielsetzung und der Wirkung der beiden Prinzipien seine Begründung findet, ist entgegen der neoliberalen Auffassung also ein wesentlicher. Er bedeutet jedoch nicht Gegensätzlichkeit. Abgesehen davon, daß eine Gegenüberstellung und gegenseitige Abgrenzung beider Wertgrößen nur in der Ordnung der Mittel, unter dem Gesichtspunkt der speziellen Mittelwahl, möglich ist, insofern das Einzelwohl mit Mitteln erstrebt wird, die ausschließlich vom Individuum bestimmt werden, besteht der analoge Sachverhalt gerade darin, daß Eigenwohl und Gemeinwohl trotz ihrer Ver­ schiedenheit wesentlich voneinander abhängig sind und sich gegenseitig bedingen. Das Gemeinwohl als solches konkretisiert sich in der durch die Gemeinschafts­ verbundenheit ermöglichten Verwirklichung des Individualwohles aller Gesell­ schaftsglieder; andererseits kommt der einzelne nur insofern zu seinem Eigen wohl und zu seiner „Existenzerfüllung“, als er nach dem Wohl des Ganzen und Gemein­ samen strebt, bei dessen Realisierung er bewußt als Teil und auf seine je eigene Weise „Teilfunktionen“ übernimmt. Zur Veranschaulichung der „analogen Sinnfülle“ des Gemeinwohlbegriffes dient als Beispiel das Verhalten dreier Schiffbrüchiger im Boot. Ist jeder individual­ ethisch nur auf die eigene Rettung bedacht, indem jeder einzelne sich selbständig macht und etwa durch Schwimmen das Heil sucht, gehen alle drei zugrunde; ist

200

Marktmechanisch-kausale Gemeinwohltheorie

jeder bereit, etwa durch abwechselndes Rudern, Steuern und Wasserschöpfen Teilfunktion zu leisten, damit alle drei gerettet werden, dann realisiert die inten­ dierte Rettung aller zugleich das Heil jedes einzelnen. Das Eigen wohl des einzelnen ist im Gemeinwohl vollgültig enthalten, weil das Ganze ihn in seiner jeweils verschiedenen Teilfunktion einschließt. Es bedarf einer teleologischen Umorien­ tierung jedes einzelnen, wobei jeder der drei vom gemeinsamen Wohl her zum eigenen Wohl gelangt. Jeder strebt nach dem Gemeinwohl auf verschiedene Weise, und doch ist das Ziel ein gemeinsames. Jeder leistet seinen Teilbetrag zum Wohle des Ganzen in der Überzeugung, damit und nur so die eigene Rettung zu er­ möglichen1. WerZuordnung von Gemeinwohl und Eigenwohl Aus dem Gesagten wird deutlich, inwiefern am Vorrang des Gemeinwohls vor dem Eigen wohl, an der Unterordnung der Gesellschaftsglieder, ihrer Pläne und Aktionen unter die Sachnotwendigkeiten des Ganzen festgehalten werden muß, ohne damit einer Kollektivierung des einzelnen oder Versubstantivierung der Gemeinschaft das Wort reden zu wollen. Für die Lösung des zur Debatte stehen­ den Spannungsverhältnisses zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse ist diese Über- und Unterordnung beider Werte naturgemäß entscheidend. Nach realistischer Auffassung ist das Harmonieproblem primär ein finalethisches Problem, das nur von der klaren Einsicht in die analoge Sinnfülle des Gemein­ wohls her zu erfassen und zu bewältigen ist. In definitiver Formulierung besagt das sozialethisch interpretierte Gemeinwohl den Inbegriff des immanenten und äußeren personellen Wohles aller Gesellschaftsglieder, sofern es nur auf der Basis wechselseitiger Bezogenheit, natürlicher und institutioneller Voraus­ setzungen öffentlicher Art und gesellschaftlicher Kooperation realisierbar ist. Soll die Harmonisierungstendenz zu einem befriedigenden Ergebnis führen, dann ist zunächst das Gemeinwohl in seiner Eigenschaft als sozialer „ Ganv^heitswert“ (£//ζ, o 39) und als dementsprechende Verpflichtung anzuerkennen; es muß in seiner Funktion als Ordnungsprin^ip und Rechtsnorm angenommen werden; es ist ferner in seinem jeweiligen materialen Gehalt situationsgerecht zu bestimmen; es muß endlich ökonomisch-rational realisiert werden2. Die Bedeutung der Ord­ nungsfunktion, die bei der Realisierung der letztgenannten Forderungen gerade der staatlichen Ordnungsgewalt zufällt, liegt auf der Hand. Daß hierbei ein um­ fassender und schwieriger Problemkomplex angerührt wird, etwa ob und inwie­ weit das unübersehbar vielfältige Gemeinwohl einer Volksgemeinschaft näher 1 vgl. UTZ, o 141, 150, 152f., 161 ; messner, j 146,132; welty, i 322f.; Soz. Kat., I, 76, 86f., 91. * Vgl. UTZ, o 145ff., 150, 132,136, 39, 161 ff.; welty, i 328f.; messner, j 134.

Zusammenfassung und Stellungnahme

201

bestimmt werden kann, oder ob der moderne, von übermächtigen Interessenten­ organisationen bedrängte Staat zu einer sachgerechten Interpretation der Gemein­ wohlbelange überhaupt in der Lage und dazu zu ermächtigen ist, davon zeugt die überreiche Literatur auf neoliberaler und nicht-neoliberaler Seite. Das Experiment der letzten 10 Jahre westdeutscher Wiederaufbaupolitik beispielsweise berechtigt jedoch zu der Annahme, daß wir in dieser Hinsicht um der gemeinsamen Zukunft willen trotz aller notwendigen Vorbehalte und demokratischen Sicherungen, trotz der noch vorhandenen Mängel zu einer „Ehrenrettung“ des Staates bzw. des ehrlichen Willens und der Sachkunde der verantwortlichen staatlichen Ordnungs­ organe kommen müssen und kommen dürfen. Wie sich zeigen ließ, geht der Neoliberalismus, um jegliche Beschränkung der individuellen Freiheit durch eine authentische und verbindliche Interpretation des Gesamtinteresses auszuschalten, theoretisch einen anderen Weg. Die Tendenz, im arbeitsteiligen Wirtschaftszusammenhang mittels vielfältiger ineinandergreifender Teilfunktionen auf ordnungspolitischem Wege zu einer Integration des Gesamt­ interesses zu gelangen, ist zwar auch für das neoliberale Wirtschaftsdenken be­ stimmend, entscheidend ist jedoch die individualistische Beinhaltung des Gesamt­ interesses, das grundsätzlich mit dem marktmechanisch-kausalen Additionser­ gebnis realisierter kaufkräftiger Einzelinteressen identifiziert wird. Inwieweit der Ökonomismus der Euckeri*sehen Argumentation, der, von der gedanklichen Unter­ scheidung der zwei verschiedenen „Ebenen“ der Mittel- und Zweck wähl aus­ gehend, das sachgerechte Wirtschaften gegenüber der ethischen Qualifikation der Zwecksetzung abzukapseln sucht, vom moralphilosophischen Standpunkt aus als völlig unhaltbar abzulehnen ist, wird im siebenten Kapitel noch ausführlich zur Sprache kommen. Vorerst ist festzuhalten, daß der neoliberale Harmonisierungs­ versuch, der die dargelegte ökonomisch-formalistische Interpretation des Inter­ essenproblems zum Ausgangspunkt nimmt, als bereits im Ansatz verfehlt be­ zeichnet werden muß1.

1 Bemerkenswert inkonsequent ist m. hättichs Auffassung auch in der Gemeinwohlbestimmung. Während er für den geseUschafdichen Bereich einen teleologisch beinhalteten, allgemein verbindlichen und autoritativ zu realisierenden Gemeinwohlbegriff vertritt (21, 32, 108f.. 179), setzt er sich im wirtschaftlichen Bereich in eindeutig neoliberaler Manier für einen mechanisch-addidven, ausschließlich wettbewerbstheoretisch be­ dingten Gemeinwohlbegriff im Sinne eines automadschen Koordinadonsergebnisses ein, wobei er das markttheoredsche Gesamtinteresse mit dem wirtschaftlichen Gesamtinteresse identifiziert (104ff., 109, 113).

V. K A P I T E L

ATOM ISTI SCH-M ECHAN I STI SCHE GESELLSCHAFTSPHILOSOPHIE

Die neoliberale Gemeinwohltheorie ist für die neoliberale Gesellschaftsauffassung grundlegend. Grundsätzlich gilt, wie A . F. Ut% betont, daß jede Gesellschaft durch das Gemeinwohl konstituiert wird, welcher Art sie auch immer sein mag (o 245). Das Gemeinwohl verkörpert in sich den gemeinsamen intentionalen Gehalt, der eine Vielheit von Menschen in der gemeinsamen Verantwortung für ein zu realisierendes Soll zusammenschließt und einander zuordnet. Als „Wesens­ form“ (o 157f.) und „Einheitsprinzip“ (o 247) der Gesellschaft ist das Gemein­ wohl zugleich der Schlüssel zum Verständnis jedes gesellschaftlichen Gebildes. Wie sich zeigen ließ, stellt der neoliberale Gemeinwohlbegriff nichts anderes dar als das spontane Additions- und Gleichgewichtsergebnis des marktwirtschaft­ lichen Interessenmechanismus, der sich um die Souveränität des Individuums in der Realisierung selbstgesetzter Zwecke zentriert. Die Aufgabe der Gesellschaft kann dementsprechend nur darin bestehen, der ideologischen Prädominanz des Individuums institutioneilen Ausdruck zu geben. Dadurch werden die individua­ listischen Dogmen der neoliberalen Anthropologie auch für die neoliberale Gesell­ schaftskonzeption relevant. Wie sich herausstellen wird, sind es im wesentlichen drei Grundauffassungen, die für die gesellschaftsphilosophischen Spekulationen des Neoliberalismus bestimmend sind: der soziologische Monismus, die aktualistische Beinhaltung und die psychologische Begründung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. /. Atomistische Gesellschaftsauffassung a) Neoliberale Gesellschafts- und K u l t u r k r i t i k W. Röpke ist im Kreis der Neoliberalen wohl derjenige, der sich am eingehendsten mit dem gesellschaftlichen Problem, mit der Notwendigkeit einer grundlegenden gesellschaftlichen Neuordnung des politischen und wirtschaftlichen Lebens­ bereiches befaßt hat. In der „sozialen Unterernährung“ sieht er die Wurzel aller typischen Krankheitserscheinungen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebens gegeben. Sie zeige sich in der fehlenden „Wärme des Zusammenhalts“ . Hinzu­ kommt, daß die natürliche soziale „Einbettung“ des einzelnen in die kleinere und

206

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

größere Gemeinschaft im Laufe der letzten hundert Jahre weitgehend geschwunden sei, ohne die jedoch der einzelne wie die Gesellschaft als Ganzes auf die Dauer „sozialkrank“ werden müßten. Die Gesellschaft von heute habe sich in lauter freischwebende Individuen aufgelöst, deren Zusammenhalt mehr und mehr ein bloß mechanisch-anonymer, auf Markt, Konkurrenz, Arbeitsteilung, Technik und Gesetz beruhender sei. Röpke sieht sie zu einer Masse von Individuen „zer­ mahlen“, die enger zusammengedrängt und stärker voneinander abhängig, gleich­ zeitig aber wurzelloser, vereinzelter und sandkornähnlicher seien als je zuvor. Er führt diese Krisenerscheinungen auf die „emanzipatorische Kraft“ des Liberalis­ mus zurück, auf die liberalistische Tendenz zur Selbstbefreiung des Menschen durch Abwerfung aller Bindungen zugunsten seiner Autonomie (i 18). Als schlimmsten Schaden der gegenwärtigen Gesellschaft kennzeichnet er die „Kon­ zentration“ (g 230). Alle Not, alle Probleme unserer Zeit gehen seiner Ansicht nach auf die „tödlichen Gefahren“ (c 83) der Vermassung, Atomisierung und Proletarisierung zurück. Sämtliche Neubaupläne unserer Gesellschaftsarchitekten seien daher nichts wert, wenn sie nicht von diesem letzten und tiefsten Gebrechen unserer Zeit ausgingen (b 144f.). Röpke sieht sich in der gesellschaftlichen Situationskritik völlig mit der Enzyklika „Quadragesimo anno“ einig, die er in vornehmer Weise respektiert (e 323f.; c 96). W. Eucken, der allenthalben die alten Formen sozialen Lebens und mit ihnen die gesellschaftliche Stabilität dem Zerfall preisgegeben sieht, datiert die Auflösung des altüberkommenen Gesellschaftsaufbaus in Europa auf die beiden Revo­ lutionen des 18. Jahrhunderts zurück: auf die französische Revolution und auf den Beginn der Industrialisierung. Seiner Ansicht nach bewegt sich die moderne Gesell­ schaft auf einen Zustand hin, „in dem eine fluktuierende Masse von Individuen vom Staat zusammengehalten wird“. Tragfähige Ordnungen aufzubauen, die der raschen BevölkerungsVermehrung, der Verstädterung und Technisierung der industrialisierten Gegenwart Rechnung tragen, hält er für eine der vordringlichen Aufgaben des wissenschaftlich geschulten Denkens (h 13). Wie W. Röpke befaßt sich auch A . Rüstow mit der Wiederherstellung einer ge­ sunden Sozialstruktur. Seine gesellschaftspolitischen Reformvorschläge zentrieren sich ebenfalls um die „Notwendigkeit der Deglomeration“ (c 146). A . MüllerArmack stimmt mit Röpke in der Ansicht überein, daß der Verwirklichung einer neuen marktwirtschaftlichen Ordnung eine entsprechende „gesellschaftliche Regeneration“ und Neuordnung an die Seite zu stellen ist (g 264). Die Wett­ bewerbsordnung als solche sei nicht imstande, die Gesellschaft als Ganzes zu integrieren, gemeinsame Haltungen und Gesinnungen, gemeinsame Wertnormen zu setzen. Sie bedürfe daher der Ergänzung durch eine Gesellschaftspolitik, die den Menschen nicht nur funktionell als Konsumenten und Produzenten, sondern

Atomistische Gesellschaftsauffassung

207

auch in seiner persönlichen Existenz sieht. Nur wenn es innerhalb einer freien Ordnung gelinge, den einzelnen auch als Menschen einzugliedern, sei es möglich, das tiefe Mißtrauen gegen eine freie Ordnung zu überwinden. Müller-Armack hält es daher für notwendig, die geistige und gesellschaftliche Ordnung in eine sinnvolle Beziehung zur Wirtschaftsordnung zu setzen (i 31, 33). Die neoliberale Beurteilung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation ist also durchaus realistisch und zutreffend. Die Notwendigkeit einer strukturellen Neuordnung unseres gesellschaftlichen Lebensraumes ist klar erkannt. Damit stellt sich die konkrete Frage, welche Sozialprinzipien der Neoliberalismus der emanzipatorischen, auflösenden Kraft des alten Liberalismus und den modernen Vermassungstendenzen entgegenzustellen in der Lage ist, um die erforderliche soziologische „Einbettung“ und „Verwurzelung“ der vereinzelten, „sandkorn­ ähnlichen“ Individuen realisieren zu können. Die Antwort ergibt sich aus der neoliberalen Gesellschaftsauffassung. b) O n to lo g isc h e Sicht des gesellschaftlichen Phänom ens Das Erbe des nominalistischen Monismus Die erforderliche gesellschaftliche Neubesinnung und Neuorientierung der Gegen­ wart hat von der Tatsache auszugehen, daß die offenkundige Atomisierung und Konzentration der modernen Gesellschaft als unmittelbare ideengeschichtliche Folgeerscheinungen der nominalistischen Aufklärung zu betrachten sind. Wie sich zeigen ließ, verfehlte der Nominalismus mit dem Wesen der gedanklichen Allgemeinheit zugleich auch das Wesen der physischen Gemeinschaft. Da es angeblich keine allgemeine, in vielen einzelnen verwirklichte Natur und Wesen­ heit, sondern stets nur einzelne, in sich abgeschlossene und für sich existierende Wesen gibt, wird jegliche Spekulation über den Eigenwert und die Eigenbe­ deutung der Gesellschaft hinfällig. Die nominalistische Überspannung und Über­ steigerung des personalen „Selbst“, des individuellen Eigenwertes und Eigen­ rechtes, von der ausführlich die Rede war (2. K., 1 b), bedingt das „monistische“ Grunddogma individualistischer Gesellschaftsauffassung, demzufolge in der Realordnung das aus sich integrierte, absolute Individuum als das einzig und letztlich Wirkliche zu gelten hat. Der soziologische Monismus, der ontologisch begründet wird, ist für die gesamte individualistische Gesellschaftsphilosophie fundamental. Aus der Tatsache, daß die Gesellschaft kein substanzhaftes, von ihren Gliedern unabhängiges, sondern nur akzidentelles, auf die einzelnen Menschen als Träger angewiesenes Sein besitzt, schließt die individualistische Sozialphilosophie, daß die Gesellschaft nur ein metaphysisch sekundäres, abgeleitetes, gedanklich-fiktives Sein ohne

208

Atomistisch-mcchanistische Gesellschaftsphilosophie

Eigen Wirklichkeit beanspruchen könne. Nur das Individuum besitze wirkliches Sein. Dieser Fehlschluß, der im Mangel an metaphysischem Denken begründet ist, führt dazu, daß die Gesellschaft nur noch als Sammelbegriff, als Summe selbstfertiger Individuen gewertet wird. Die unechte nominalistische Alternative Die gesellschaftspolitischen Konsequenzen dieser Argumentation ergeben sich von selbst. Da die nominalistisch-empiristische Erkenntnislehre die Möglichkeit einer echten Wesenserkenntnis der objektiv-realen Dingwelt negiert, fehlt dem nominalis tisch orientierten Denker notwendig das Verständnis für die in der sozialen Natur des Menschen begründete BeziehungsWirklichkeit des Sozialen (2. K., 2 c). Die ständige, an sich verständliche Antithese gegenüber dem pla­ tonischen Ultrarealismus und der platonisierenden Metaphysik des sogenannten Formalismus, in neuester Zeit: gegenüber jeder, durch den Hegelianismus und Spann*sehen Universalismus bedingten Übersteigerung und Hypostasierung der gesellschaftlichen Ganzheit, hat die Nominalisten seit jeher in eine unechte Alter­ native gedrängt. Um die philosophisch-begriffliche Auflösung und metaphy­ sische Abwertung der subsistenten Einzelperson bzw. ihre totalitäre Entpersön­ lichung von vornherein auszuschalten, wurde zugleich mit der unstatthaften kollektivistischen Übersteigerung und Versubstantivierung die objektive Realität der Gesellschaft schlechthin negiert bzw. zu einem subjektiven Produkt der menschlichen Vorstellungskraft abgewertet (1. K., 3a). Das kollektivistische Verdikt Diese alternative Problemfassung des gesellschaftlichen Spannungsverhältnisses, die auf die ausschließlich ontologische Sicht des gesellschaftlichen Phänomens zurückgeht, beherrscht faktisch das neoliberale Gesellschaftsdenken. W. Röpke beispielsweise, der das Gesellschaftsganze aus der „fortgesetzten Polspannung“ zwischen Individualität und Kollektivität konstituiert sieht, glaubt nachdrücklich vor jeder „Gemeinschaftsromantik“ warnen zu müssen, die die staatliche Organi­ sation zum Gegenstand eines mystischen Kultes, zu einer Art von Supraorgani­ sation oder gar zum Gott mache (b 143; e 324; i 20). L , Miksch betrachtet die Tatsache, daß im geschichtlichen Ablauf die menschliche Persönlichkeit das Bleibende, die Gemeinschaftsform das Veränderliche gewesen sei, als über­ zeugenden Beweis für die Unhaltbarkeit der von der sogenannten organischen Staatslehre aufgestellten Behauptung, die Gemeinschaft sei vor dem einzelnen (d 46f.). Daß die vielzitierte Vorrangfrage allerdings nicht mit simplen Negie­ rungen zu lösen ist, wird später noch zur Sprache kommen. Wie schon erwähnt

Atomistische Gesellschaftsauffassung

209

wurde (2. K., 2 b), sieht auch F. A . Hayek (b 23 f., 49 f.) mit K. Pribram (b 256 f.) und O. Veit (b5) die gesellschaftstheoretische Kontroverse der Neuzeit aus­ schließlich durch den ideologischen Gegensatz zwischen Individualismus und Kollektivismus bestimmt. Es ist bezeichnend, daß die drei Autoren, die den „wahren“ Individualismus auf die nominalistische, alle kollektivistischen Theorien jedoch auf die platonisch-idealistische Tradition zurückführen, letztere fälschlich mit der „realistischen“ oder „essentialistischen“ Gesellschaftslehre, die auch die Sozialenzykliken vertreten, identifizieren. Zugleich mit dem Axiom aller kollekti­ vistischen Gesellschaftstheorien, man könne „soziale Ganzheiten“ oder „Kollektiv­ einheiten“, wie z. B. die Gesellschaft, die Klasse und dergleichen, als unab­ hängig von den Individuen bestehende, mit „Eigendasein“ begabte „Wesen eigener Art“ erfassen, fällt auch die Gesellschaftsauflassung des gemäßigten Realismus, die, ohne deswegen auch nur entfernt kollektivistisch zu sein, die menschliche Gesellschaft als neue und überindividuelle Wirklichkeit mit eigenem Wert und eigenem Recht, als Ganzheit, als organischen Pluralismus begreift, unter das kollektivistische Verdikt der Neoliberalen. A . Rüstow z. B. glaubt, im Bereich der christlichen Sozialphilosophie eine deutliche „kollektivistische Knochenerweichung“ (b 129) festgestellt zu haben. c) Ne gierung des or g an i s c h en Pluralismus Ablehnung der soziologischen „Hierarchie“ und „ Autonomie“ Aus dem soziologischen Monismus leiten sich zwei Sozialprinzipien ab, die im wesentlichen jenen revolutionären gesellschaftlichen Umschichtungsprozeß ein­ leiteten, der die Auflösung des bis dahin bestehenden Gesellschaftsorganismus zur Folge hatte. Es ist, erstens, die Grundauffassung, das aus sich selbst integrierte, autonome Individuum habe als einzig gesellschaftlicher Faktor zu gelten; es ist, zweitens, das Postulat, die Funktion des Gesellschaftsganzen habe sich auf den Ausschluß von freiheitsgefährdenden Übergriffen der Individuen untereinander, im Grunde also auf eine rein negative Aufgabe zu beschränken. Der grundlegende Baugedanke der traditionellen Gesellschaftsphilosophie, demgemäß die mensch­ liche Gesellschaft insgesamt einen sozialen Pluralismus der verschiedensten Organismen darstellt, wird fallengelassen. Der soziologische Monismus läßt, wie J. Messner bestätigt, eine „Hierarchie“ kleinerer Gemeinschaften mit eigenen Zwecken und relativer Autonomie, die jede für sich, ihrem jeweiligen Zweck entsprechend, für die vollmenschliche Integration des ergänzungsbedürftigen Individuums von „existentieller“ Bedeutung sind, nicht zu. Nicht gegenseitige Ergänzung und gesellschaftliche Kooperation, sondern individuelle Freiheit und

210

Atomistisch-mcchanistischc Gesellschaftsphilosophie

Autonomie sind die Grundideen individualistischen Denkens. Die Beseitigung der gesellschaftlichen Zwischenglieder zwischen Individuum und Staat ist die unausbleibliche Folge. Statt den organischen Gesellschaftsaufbau zu suchen, tendiert man auf eine gesellschaftliche „Organisation für selbstgewählte Zwecke“, deren einzelne Gebilde unter Betonung der zweckhaft-willkürlichen Seite ihres Zusammenschlusses durch den Interessenmechanismus der frei planenden, konkurrierenden Individuen in der Verfolgung ihrer Interessen zusammenge­ halten werden (j 113f., 116f., 147 f.). Die hier auf tauchende Frage, ob dergleichen Organisationen als echte organische Bindeglieder zwischen dem einzelnen und dem Staat gelten können, wird später beantwortet. Historisches Mißverständnis des organischen Pluralismus Zunächst haben wir zu klären, inwieweit die nominalistische Ablehnung der soziologischen Hierarchie und Autonomie in das neoliberale Gesellschaftsdenken Eingang gefunden hat. W. Röpke z. B. betrachtet Vergemeinschaftungen mit relativer Autonomie als „Interessentengruppen“ und den soziologischen „Plura­ lismus“ grundsätzlich als eine Zersplitterung des Staates, die zur „Anarchie“ und zu der „Leute Verderben“ führe (b 148). Er wendet sich damit gegen verschiedene politische Theorien der jüngsten Vergangenheit, die die prinzipielle Gleich­ wertigkeit der staatlichen Macht und der Macht innerstaatlicher autonomer Gruppen gegen den monopolistischen Souveränitätsanspruch des Staates geltend zu machen suchten. Sie gewannen praktisch-politische Bedeutung im sogenannten Gildenso^ialismus, in der Theorie H . Laskis, in der Rätebewegung der Weimarer Verfassung, im Syndikalismus, in gewissen ständischen Bestrebungen des Faschis­ mus, in modernen pressure groups. Daß mit der Existenz einer Vielzahl zentral unabhängiger, öffentlich-rechtlicher ökonomischer und politisch-sozialer Macht­ träger, die insgesamt das Souveränitätsprinzip bewußt ablehnen, die Gefahr einer pluralistischen Aufsplitterung des demokratischen Staates greifbar erscheint, leuchtet ein (vgl. Fraenkely235 ff.). Dieser Gefahr sind sich auch die Verfechter der leistungsgemeinschaftlichen Neuordnung durchaus bewußt. Sie machen allerdings geltend, daß der funktionale und regionale Pluralismus der Berufsständischen Ordnung zwar in der Öffentlich-Rechtlichkeit und in der Selbstverwaltung gründet, sich aber von allen polykratischen Bestrebungen durch die ausdrückliche Sanktionierung des Souveränitätsprinzips wesentlich unterscheidet. Wie bei der späteren Erläuterung des Subsidiaritätsprinzips klargestellt wird, bleibt der legitimen politischen Instanz und ihrer unabdingbaren Verantwortung für das Wohl des Ganzen grundsätzlich die korrektive oder ergänzende Befugnis gegen­ über allen Institutionen der berufsständischen Selbstverwaltung Vorbehalten.

Atomistische Gesellschaftsauffassung

211

Was W. Röpkes affektvolle und unterschiedslose Ablehnung des sozialen Pluralis­ mus betrifft, scheint sich neuerdings in seiner Grundeinstellung ein Wandel vollzogen zu haben, der nicht übergangen werden soll. Bei der Analyse der modernen Massengesellschaft läßt er keinen Zweifel über den inneren Zusam­ menhang zwischen Vermassung und Individualismus. Weü der Vermassungs­ vorgang das Individuum aus seinem „natürlichen Sozialgewebe“ herauslöst, sei er gleichbedeutend mit „sozialer Entflechtung und mit Gemeinschaftszerfall“. Umgekehrt ist Röpkes Überzeugung nach der Individualismus „als Kult des auf sich selbst gestellten Individuums und des bloßen, millionenfach multiplizierten Stimmbürgers, im Gegensatz zu echter Gemeinschaft und sozialer Gliederung, zu ,corps intermédiaires*, zu Föderalismus und politisch-sozialem Plurismus, eine der schärfsten geistigen Ätzsäuren geworden, die durch Auflösung der organischen Gesellschaftsstruktur zur BÜdung der Massengesellschaft und der Massendemo­ kratie beigetragen haben“. Dieser scharfsinnigen Diagnose fügt er bei der Behand­ lung der politischen Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft die Unterscheidung zwischen gesundem und krankem Pluralismus hinzu. Für gesund hält er den Pluralismus dann, wenn es sich um Sondergruppen handelt, „die sich gegen den um sich greifenden Machtanspruch des Staates. . . verteidigen und damit eine heilsame Begrenzung bewirken“. Der kranke Pluralismus hingegen sei nicht defensiv, sondern offensiv. Er begrenze nicht den Staat, sondern er suche ihn für seine eigenen Zwecke zu benutzen und von seiner wirtschaftspolitischen Macht Gebrauch zu machen. Röpke bemerkt abschließend, die Gegengewichte gegen die umfassende Zusammenballung staatlicher und wirtschaftlicher Macht wie: Föderalismus, Gemeindeautonomie, Marktwirtschaft, Eigentum, Privatinitiative, wohlerworbene Rechte, die ,corps intermédiares* und andere mehr, seien in dieser Zeit immer leichter geworden (p 95f., 192f.). Mit anderen Worten: Die Furcht vor kooperativem Handeln und vor einer möglichen Beschränkung der individuellen Souveränität, die alle Neoliberalen ohne Ausnahme die leistungs­ gemeinschaftlichen Reformbestrebungen der katholischen Soziallehre und den Körperschaftsgedanken rundweg ablehnen läßt, scheint in den Überlegungen Röpkes angesichts der faktischen politisch-wirtschaftlichen Machtbedrohung einer Auffassung zu weichen, die unter anderem auch gewissen „corps intermédiaires“ eigenständige Funktionen gegenüber dem usurpatorischen Staat zuerkennt. Atomisierungstenden^ des so^ialphilosophiseben Individualismus Wie schon hervorgehoben wurde (2 K., 2 b), sucht speziell F. A . Hayek die gesellschaftsphilosophische „Ehrenrettung“ des „wahren“ Individualismus in der Form zu realisieren, daß er die strukturpolitisch unhaltbaren Konsequenzen der liberalistischen Gesellschaftsdoktrin dem rationalistisch verfälschten „Pseudo-

212

Atomistisch-mcchanistische Gesellschaftsphilosophie

Individualismus“ oder „Libertinismus“ auf das Konto schreibt. Dieser Erklä­ rungsversuch muß deshalb von vornherein mißlingen, weil es sich bei der atomistischen Grundauffassung des gesellschaftlichen Liberalismus, wie aus den bisherigen Untersuchungen eindeutig hervorgeht, um genuin-nominalistisches Ideengut handelt, dem sich die „wahren“ Individualisten grundsätzlich und mit Enthusiasmus verpflichtet fühlen. Mit der nominalistischen Negierung der allgemeinen Wesenheit „Mensch“ wird auch das aus der innermenschlichen Gemeinsamkeit resultierende, naturhaft verbindende Lebens- und Ordnungs­ gesetz, der naturgesetzliche Aufbau und die organische Durchgliederung des Gesellschaftsganzen, hinfällig. Der gesellschaftliche Zusammenhalt besagt im Grunde nur noch das „richtige“ gleichgewichtige Neben- und Miteinander autonomer Gesellschaftsglieder. Wie A , F. Ut^ bemerkt, gilt die menschliche Gesellschaft faktisch nur noch als „Aggregat“ ungezählter, aus sich selbst inte­ grierter „Individuenmoleküle“ (o 29), die von Natur aus unverbunden neben- und gegeneinander gestellt sind. Der einzelne steht der Gesamtheit aller übrigen gegenüber. Daher kommt es zur Vorherrschaft der unmittelbaren Beziehungen zwischen Individuum und Staat, die übrigens durch die deutsche Philosophie, durch Kant und Fichte ideologisch gestützt wurde. Mit Recht bezeichnet daher J. Messner die liberalistische Revolution des 19. Jahrhunderts auf Grund ihrer auflösenden Wirkungen als die „weitreichendste gesellschaftliche Revolution der Weltgeschichte“ (j 150). Warum die sozialphilosophische Rehabilitierung des Individualismus auch praktisch zu keinem brauchbaren Ergebnis führen kann, wird die folgende Darlegung der individualistischen Sozialprinzipien erweisen, mit denen die neo­ liberalen Autoren dem rationalistisch konzipierten Kollektivismus zu begegnen suchen. Es handelt sich dabei im wesentlichen um drei : das soziologische Gefühl, die aktualistische Beziehung, die zweckrationale Motivation. 2. Individualistische So^ialprin^ipien a) Gesellschaft als g e fü h ls be d in g te s W ir - B e w u ß t s e i n (W. Röpke) Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob W’. Röpke, der am nachdrück­ lichsten auf das GegenseitigkeitsVerhältnis zwischen Individualismus und Ver­ massung hinweist, die ideologische Wende von der nominalistisch infizierten Gesellschaftsdoktrin zu einer echten sozialphilosophischen Neubesinnung und Neuorientierung vollzogen hat. Röpke betont zunächst, daß die Gesellschaft ein Ganzes ist, politisch, ökonomisch, kulturell, und etwas anderes als nur die Summe aller Teile. Der Dezentrist müsse zugleich der überzeugteste Universalist sein, mit

Individualistische Sozialprinzipien

213

dem Blick auf eine Ganzheit, die um so echter sei, je mehr sie Struktur und Gliederung besitze. Die Marktwirtschaft beispielsweise habe nur als Teil eines Ganzen Recht und Möglichkeit der Existenz, eines Ganzen, für das nicht die Nationalökonomie, sondern die Philosophie, die Geschichte und die Theologie zuständig seien. Für alle am Wirtschaftsleben beteiligten Individuen und Gruppen müsse es daher höhere, ethische Werte geben, die wir mit Erfolg anrufen können : Gerechtigkeit, Verantwortung für das Ganze, Wohlwollen und Sympathie (p 317f., 131 f., 168f.). Er hält dafür, daß es ein Normalmaß „sozialer Integration“, der gesellschaftlichen „Eingliederung“ dieser Teile geben muß, das einer gesunden Gesellschaft entspreche und allein das Gleichgewicht von Freiheit und Ordnung verbürge (i 28; b 138,144). Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft sieht er durch eine „fortgesetzte Polspannung... zwischen dem Willen zur sozialen Gemeinschaft (Integration) und dem anderen zur individuellen Ab­ sonderung (Differentiation)“ gekennzeichnet. Er weist damit auf ein für das Gesellschaftsleben wesenskonstitutives Element hin, das die Dynamik des wechsel­ seitigen Gebens und Empfangene gesellschaftlicher Kooperation zum Ausdruck bringt. Die soziale „Opfer- und Hingabepflicht“, ferner die „selbstverständliche Unterwerfung unter die elementaren Gebote des Zusammenlebens“ und die Aufrechterhaltung der „Spannung zwischen Freiheit und Bindung“ hält er im Interesse des einzelnen und der Gesellschaft insgesamt für unentbehrlich (b 144 ; i 19). Er spricht außerdem von der „Biologie der Gesellschaft“ (b 147), was eine organische Gesellschaftskonzeption vermuten läßt. In der „Unantastbarkeit von natürlichen Ordnungen vor und über dem Staat“ sieht er einen der Leitsterne abendländischen Denkens (i 16). Mit besonderem Nachdruck weist er auf die für die innere Wiedergesundung des Westens entscheidende Funktion der geistig­ moralischen Kräfte hin, auf die pflegliche Bewahrung und Befestigung „der überkommenen und dem Menschen gemäßen Formen des Daseins und der natürlichen Ordnung“, die allem Halt und Schutz gebe (m). Das Ideal, „nach dem der Schwerpunkt unten, bei dem einzelnen und seiner Familie, bei den kleinen Gruppen, in Eigentum, Eigenreserven und Eigenverantwortlichkeit ruht“, betrachet er als „für das Schicksal unserer Gesellschaft schlechthin entscheidend“ (o4). Monistischer Grundaspekt der Röpke'sehen Gesellschaftstheorie Die nominellen Übereinstimmungen zwischen den Röpke'sehen Gedankengängen und der Gesellschaftsauffassung der naturrechtlichen Sozialmetaphysik sind nicht zu übersehen. Es fragt sich jedoch, inwieweit die Verwandtschaft beider Ge­ dankenrichtungen auch dem Inhalt nach gegeben ist. Die Antwort hängt in erster Linie davon ab, was Röpke unter dem Gesellschaftsganzen eigentlich verstanden

214

Atomistisch-mcchaiiistischc Gcscllschaftsphilosophie

wissen will, wenn die Gesellschaft etwas anderes sein soll als nur ein formaler Sammelbegriff. Daß er sie nicht als eigene, neue und überindividuelle Wirklich­ keit begreift, geht aus der individualistischen Beinhaltung des von ihm propa­ gierten neoliberalen Personalismus hervor (2. K., 2a). Nach Röpkes Auffassung hat die einzelne Person als das „letztlich Wirkliche“ zu gelten, nicht aber die Gesell­ schaft, so sehr auch der Mensch nur in der Gemeinschaft, in ihrem Dienst und möglicherweise in der Aufopferung für sie die ihm gesetzte Erfüllung finden könne (i 19). Der monistische Grundaspekt der neoliberalen Anthropologie ist also auch für Röpkes Gesellschaftskonzeption relevant. Er sieht im Gesellschaftsganzen lediglich eine rein psychologische Realität, die nur im aktuellen Bewußtsein der unge­ zählten absoluten Individuen existiert und sich nach außen in der gefühlsbe­ dingten, vorsichtig dosierten gegenseitigen Kontaktnahme manifestiert. „Das Gefühl, dazu zugehören, das Gefühl der sozialen Opfer- und Hingabepflicht, der müde Patriotismus, die selbstverständliche Unterwerfung unter die elementaren Gebote des Zusammenlebens, das Sicheinsfühlen mit den andern, Glied eines großen Ganzen zu sein und darin seinen Platz auszufüUen“ (b 144; k 14), — diese emotionalen Regungen entsprechen nach Röpke dem erforderlichen „Normalmaß sozialer Integration“, der Eingliederung der Teile in das Ganze (i 28), worauf weder der einzelne noch die Geseüschaft als Ganzes auf die Dauer verzichten könnten, ohne „sozialkrank“ zu werden. Sowohl die „soziale Integration“ als Heilmittel wie auch die Diagnose der Sozialkrankheit selbst werden vom Gefühl her bestimmt. Die „soziale Unterernährung“ als „die typische Krankheit der sich in vereinzelte Individuen auflösenden Gesellschaft“ führt Röpke darauf zurück, daß es zwischen den vielen einzelnen „an der Wärme des Zusammenhalts“ fehle, daß „das Gefühl, nicht nur mit unseren Rechten, sondern auch mit unseren Pflichten an einem bestimmten Platz in der Gesellschaft zu stehen, mit anderen Worten, das Gefühl der Einbettung in die kleinere und größere Gemeinschaft mehr und mehr schwindet“. Wenn aber das Zusammengehörigkeits- und Geborgenheitsgefühl verloren geht, dann erscheint nach Röpke die Gesellschaft „aufgelöst in lauter freischwebende Individuen, deren Zusammenhalt mehr und mehr ein bloß mechanisch-anonymer“ ist (b 145). Mit anderen Worten: Das soziale Empfinden des Individuums gilt in der Röpke’sdncxi Spekulation faktisch als wesenskonstitutiv für die Gesellschaft, als soziologisches Strukturelement, als Norm der sozialen „Eingliederung“, „Verpflichtung“ und „Unterwerfung“. Das Geseüschaftsganze wird mit dem koüektiven Wir-Bewußtsein identifiziert.

Individualistische Sozialprinzipien

215

Individualpsychologische Normierung des Gesellschaftsbewußtseins Metaphysisch gesehen hat hier die Gesellschaft als Resultat des subjektiven Zusammengehörigkeits- und Geborgenheitsgefühls lediglich die Bedeutung eines ideellen Sammelbegriffs. Sie ist nichts anderes, was W. Röpke übersieht, als die Summe des individuellen Einzelbewußtseins einer Vielzahl von Individuen. Denn das Bewußtsein der kooperierenden Gesellschaftsglieder wird, wie die neoliberale Gemeinwohltheorie ergab (4. K., 3b), nicht etwa durch einen vorgegebenen, einheitskonstitutiven intentionalen Gehalt: das Gemeinwohl, sondern durch individualistische Motive determiniert, aus deren Realisierung sich das Gesamt­ interesse angeblich von selbst integriert. Es fehlt der individualistisch-neoliberalen Mentalität die gemeinsame Verantwortung vor einem überindividuellen, impera­ tiven Ganzheitswert, durch dessen Realisierung die individuellen Bewußtseins­ inhalte, Wechselbeziehungen und Teilaktionen zu einer, wie A , F. Ut% formuliert, echten „Wechseleinung“ (o 22, 39f.), zu einer konstruktiven Ordnungseinheit zusammengefaßt werden, die als solche kraft des ihr innewohnenden Sozial­ zweckes als Formprinzip eine neue Wirklichkeit darstellt, was / . Messner besonders hervorhebt (j 121f.). Die logische Folge ist die, daß, wie das Einzelbewußtsein, so auch das Gesellschaftsganze individual-psychologisch normiert und beinhaltet wird. Für die grundsätzlich vergleichende Beurteilung der Röpke9sehen und der naturrechtlichen Gesellschaftsphilosophie ist dieser ideologische Sachverhalt naturge­ mäß fundamental. Zunächst ergibt sich daraus, daß von einer echten sozialen Einbettung und Eingliederung der vereinzelten Individuen nicht die Rede sein kann, wenn das Gesellschaftsganze, wie bei Röpke, faktisch nur in der Gefühlswelt des einzelnen existiert, als Gefühlskomplex nur ein rein subjektiv-intentionales Dasein besitzt. Die Bedeutung des gesellschaftlichen Zugehörigkeitsbewußtseins soll nicht geleugnet werden, denn die menschliche Gesellschaft kann auf den Gesellschaftssinn nicht verzichten. Die Frage, um die es hier geht, ist vielmehr die, ob individuelles Sozialbewußtsein und Gemeinschaftsbedürfnis allein genügen, um dem wurzellosen und sandkornähnlichen Individuum (b 145) seinen gesell­ schaftlichen Standort, seine soziale Geborgenheit zurückzugeben. Die Frage ist zu verneinen, im Grunde deshalb, weil die offenkundige gesellschaftliche Atomi­ sierung ihrerseits nicht nur eine rein gefühlsmäßige, sondern eine soziologisch­ strukturelle mit ganz konkreten Folgeerscheinungen ist. Mit anderen Worten: Nicht allein der Mangel an gesellschaftlichem Bewußtsein des einzelnen erzeugt letztlich die gesellschaftliche Desintegration; vielmehr ist es die faktische, nominalistisch bedingte Auflösung des überkommenen pluralistischen Gesellschaftsaufbaues in eine „Masse von Individuen“ (b 145), die ein

216

Atomistisch-mcchanistische Gesellschaftsphilosophie

gesundes Sozialbewußtsein nicht mehr auf kommen läßt. Das jeweilige Gesell­ schaftsbewußtsein hat stets eine dementsprechende Gesellschaftsstruktur zur Voraussetzung. Auflösung des gesellschaftlichen Spannungsverhältnisses Aus den individualistischen Prämissen W. Röpkes folgt weiterhin, daß die von ihm postulierte „soziale Integration“ keine sozialethische Bewandtnis besitzt. Nach realistischer Überzeugung ist für die echte sozialethische Integration des Individuums der Gedanke grundlegend, daß die Einzelperson zu ihrer mensch­ lichen Vollendung wesenhaft auf die Gesellschaft und jene integrierenden Werte, die als gemeinsame Werte außerhalb der Reichweite absoluter Individuen liegen (2. K., 2, Zusammenfassung), angewiesen ist. Diese Auffassung liegt dem liberal­ humanistischen Selbstverständnis Röpkes fern. Wie sich zeigen ließ, begreift er den Einzelmenschen als ein in sich „abgeschlossenes Ganzes“ (i 19) und als eine autonome Welt im Kleinen. Warum der einzelne angeblich nur in der Gemein­ schaft, im Dienst und in der Aufopferung für sie, die ihm gesetzte Erfüllung finden kann (i 19), dafür vermag Röpke keine Erklärung beizubringen. Subjektive Gefühlsbande allein reichen nicht aus, um die soziale „Opfer- und Hingabepflicht“ (b 144) des einzelnen gegenüber der Gesamtheit überzeugend begründen zu können. Aus dem gleichen Grunde kann auch die bereits erwähnte „Polspannung“ zwischen Individuum und Gemeinschaft (b 143) dem Röpke’sehen Verständnis nach nicht als echt bezeichnet werden, da die für die fruchtbare und dynamische Polarität immerhin wesenskonstitutive Hinordnung aller Glieder auf den fordern­ den und zugleich integrierenden Norm wert des Gesamtwohles für die neoliberale Spekulation nicht als annehmbar gilt. Das naturhafte Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft wird vielmehr von Röpke ganz eindeutig zugunsten des einzelnen, der dem Anspruch der Gesellschaft die Postulate seiner individuellen Vernunfteinsicht, seine Freiheitsrechte (i 17, 20) und die Zweck­ mäßigkeitserwägungen des Augenblicks entgegenstellt, aufgelöst. Wie sich gezeigt hat, möchte Röpke das Verhältnis des einzelnen zu der ihm gegenüberstehenden Masse aller übrigen auf ein klug überlegtes „normales Mittelmaß des Kontaktes: nicht zuwenig, aber ebensowenig zuviel“ (b 144), reduziert wissen, wobei über ein „zuwenig“ oder „zuviel“ an „sozialer Integration“ der einzelne selbst zu befinden hat. Was von der kulturnotwendigen, angeblich durch den Liberalismus aufrechterhaltenen „Spannung von Freiheit und Bindung“ (i 19) sozialphilo­ sophisch zu halten ist, hat die Analyse des neoliberalen Freiheitspathos erbracht (2. K., 3, Zusammenfassung). Das utilitaristische Kalkül, durch teilweisen Verzicht auf ungehinderte Ausübung individueller Freiheitsrechte ein relatives

Individualistische Sozialpriirapien

217

Höchstmaß an gegenseitiger Sicherung in der Realisierung selbstgesetzter Zwecke einzutauschen, läßt eine sozialethische Beinhaltung dieses Spannungsverhältnisses im Sinne einer bewußten Verantwortung für das Gesellschaftsganze nicht zu. Bezeichnend ist ferner, nach welchen Kriterien Röpke die organisch-gesunde Gesellschaft, die er der entarteten proletarisierten Massengesellschaft gegenüber­ stellt, bestimmt sein läßt. „Unabhängigkeit, Eigentum, individuelle Reserven, natürliche Anker des Lebens, Sparen, Verantwortungssinn, vernünftige Lebens­ planung“, — diese Begriffe wertet er als die Voraussetzungen einer Gesellschaft, „die mit der Marktwirtschaft die Freiheit bewahren will“ (o4). So wertvoll diese humanitären Elemente selbstredend für das Leben in der Gesellschaft sind, darf dennoch nicht übersehen werden, daß sie ausschließlich der individualethischen Optik des gesellschaftlichen Zusammenhangs entsprechen, die als solche zu einseitig ist, um das Phänomen der Vermassung in seinem vordergründig gesell­ schaftspolitisch-institutionellen Charakter voll erfassen zu können. W. Röpkes gesellschaftsphilosophischer Reformversuch läuft also im Grunde darauf hinaus, der emanzipatorischen, auflösenden Tendenz des rationalistischen Liberalismus das irrationale, individuelle Gesellschaftsbewußtsein, dessen nominalistischer Ursprung unverkennbar ist, als konstruktives Sozialprinzip entgegen­ zustellen. Daraus geht eindeutig hervor, daß bei Röpke vorerst von einer philo­ sophischen „Neuorientierung“ seiner Sozialmetaphysik noch nicht die Rede sein kann. Bestimmte, von ihm ins Feld geführte Formulierungen weisen zwar einen echten sozialethischen Ansatzpunkt auf, bedürfen aber, wenn sie mehr sein wollen als nur Begriffsschablonen eines ausgesprochen individualistischen Gesell­ schaftsdenkens, der sozialethisch-teleologischen Beinhaltung und Normierung. Es handelt sich dabei um die Kernfrage, ob es genügt, die „biologische Struktur“ der Gesellschaft lediglich als subjektiven Gefühlskomplex ohne körperschaftlichrechtliche Bewandtnis zu verstehen, was zu verneinen ist. Röpkes Absicht, die Beseitigung der tiefgreifenden Strukturschäden innerhalb der modernen Gesell­ schaft und die erforderliche soziologische „Einbettung“ des entwurzelten und vereinzelten Individuums zu realisieren, kann nur insoweit zum Erfolge führen, als er bereit ist, sich philosophisch von den nominalistischen Prinzipien zu lösen, die die diagnostizierte „Sozialkrankheit“ verursacht haben. b) Gesellschaft als a n on y m - f u n k ti o n al t h eo r e ti s ch e s Krä fte k o lle k tiv (F.A. Hayek) Während W. Röpke dem Problem der gesellschaftlichen Neuordnung im Grunde mit seinem Gefühlssubjektivismus beizukommen sucht, richtet F . Λ . Hayeky wie bereits ausführlich dargetan wurde (2. K., 2 b), seine ganze Aufmerksamkeit auf

218

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

den energetischen Interaktivismus der gesellschaftlichen Kooperation. Dem Einwand, daß der Individualismus außerstande sei, zum Verständnis der Gesell­ schaft etwas beizutragen, stellt er die Grundauffassung entgegen, daß der „wahre“ Individualismus ganz im Gegenteil in erster Linie deswegen als eine Theorie der Gesellschaft bezeichnet werden müsse, weil er die Kräfte zu verstehen suche, die das Leben des einzelnen in der Gesellschaft bestimmen (b 23). Diese Kräfte sind, wie sich aus den beiden grundlegenden Thesen dieser Theorie ergibt, individuell­ zweckbestimmter, sowie anonym-unpersönlicher Natur. Individualistische Handlungsfreiheit als Ordnungspoten% Wie F. A . Hayek zunächst betont, gibt es nach individualistischer Auffassung keinen anderen Weg zum Verständnis der sozialen Erscheinungen als durch unser Verständnis des Handelns des einzelnen, das an seinen Nebenmenschen orientiert ist und von deren erwartetem Verhalten bestimmt wird. Daraus ist zu entnehmen, daß für den „wahren“ Individualisten die menschliche Gesellschaft im Grunde nichts anderes darstellt als einen weitverzweigten Kräftekosmos, in dem eine Vielzahl von energiegeladenen Einzelwesen durch Aktion und Reaktion einen Wirkzusammenhang konstituieren, der sich aus ungezählten, individuell moti­ vierten Teilaktionen mechanisch zu einem intentionalen Ganzen integriert. Diese These wende sich vornehmlich gegen die kollektivistischen Erklärungsversuche, die vorgeben, in der Gesellschaft und ihren sozialen Gebilden soziale Ganzheiten als Wesen eigener Art erfassen zu können, die angeblich unabhängig von den Individuen bestehen, aus denen sie zusammengesetzt sind (b 24). Die neoliberal-alternative Problemfassung des gesellschaftlichen Fragenkomplexes tritt hier in modifizierter Form wieder deutlich zutage. Der ultrarealistischen Versubstanti vierung des Gesellschaftsganzen wird ein Gesellschaftsbegriff entgegengestellt, der als Aggregat von ungezählten Einzelenergien, als gedachte Einheit von Wirkkräften, wie bei W. Röpke, nur die intentionale Wirklichkeit eines Sammelbegriffs besitzt. Hayek ist zudem davon überzeugt, daß die grund­ sätzliche Orientierung des individuellen Handelns an den erwarteten Reaktionen des Nebenmenschen den Vorwurf widerlegt, der gesellschaftliche Individualismus setze das Vorhandensein „isolierter“ Individuen voraus, statt von Menschen auszugehen, deren Natur und Charakter völlig durch ihr Leben in der Gesellschaft bestimmt sind (b 23). Was den Zusammenhang zwischen Individualismus und menschlicher Selbstgenügsamkeit, menschlichem Eigennutz betrifft, erläutert Hayek, daß zwar „Eigenliebe und selbstsüchtige Interessen als treibende Kraft“ des gesellschaftlichen Wirkzusammenhangs gelten, daß damit jedoch nicht dem Egoismus in dem engen Sinn der ausschließlichen Sorge für die unmittelbaren Bedürfnisse der eigenen Person das Wort geredet werde; in dem „Selbst“ seien

Individualistische Sozialprinzipien

219

auch die eigene Familie und die Freunde mit eingeschlossen (b 28). Von der sozialen Verantwortung, die den engen Kreis privater Interessen über­ schreitet, ist keine Rede. Um diese „selbstsüchtige“ Grundhaltung plausibel zu machen, weist Hayek auf zwei Tatsachen hin: eine „geistige“ und eine sachlich-wirtschaftliche, die wichtiger seien als die tatsächliche ethische Einstellung des Menschen. Die erstere beschreibt er als die „in der Natur des Menschen gelegene Begrenzung des menschlichen Wissens und der Interessen des einzelnen“, der jeweils nur einen winzigen Teil der Gesellschaft kennen, mithin also nur die unmittelbaren Auswirkungen seiner Handlungen auf den ihm bekannten Bereich als Beweg­ gründe akzeptieren könne. Die zweite sieht er darin, daß die Bedürfnisse, für die jeder einzelne Sorge tragen könne, nur einen verschwindenden Bruchteil der Bedürfnisse aller Glieder der Gesellschaft ausmachen. Mit anderen Worten: Der einzelne kann von Natur aus gar nicht anders als „egoistisch“ handeln, und wenn er es tut, ist es weiter nicht schlimm, da er in seinem verschwindend kleinen Aktionsbereich nicht viel Schaden anrichten kann. Die kritisierte sozialethische Isolierung des Individuums wird also von Hayek bestätigt. Er zieht daraus die Folgerung, daß die tatsächliche sittliche Einstellung des einzelnen, sei er nun völlig selbstsüchtig oder der vollkommenste Altruist, soweit ihre Bedeutung für die Ordnung der Gesellschaft in Betracht komme, faktisch „wenig“ ausmache im Vergleich zu den beiden genannten ungleich wichtigeren Tatsachen. Die ent­ scheidende Frage sei daher nicht, ob der einzelne von selbstsüchtigen Beweg­ gründen geleitet wird oder geleitet werden soll, sondern vielmehr, ob er Freiheit besitzt, also grundsätzlich unabhängig von der Meinung eines anderen sich in seinen Handlungen von jenen unmittelbaren Folgen bestimmen läßt, die er kennen und um die er sorgen könne (b 29). F. A . Hayek sieht dieses rein formale Freiheitspostulat ethisch durch die aner­ kannte christliche Überlieferung gestützt, daß der einzelne frei sein müsse, in moralischen Fragen seinem eigenen Gewissen zu folgen, falls seine Handlungen Verdienst haben sollen; auf den wirtschaftlich-sozialen Bereich übertragen: daß der einzelne von seinem eigenen Wissen und Selbstinteresse vollen Gebrauch machen können müsse, wenn er in der Lage sein soll, seinerseits den größt­ möglichen Beitrag im Dienste des gesellschaftlichen Gesamtinteresses zu leisten. Hayek legt hier den nominalistischen Begriff der Sittlichkeit zugrunde, der die Freiheit nicht nur als Vorbedingung, sondern als Wesen der Sittlichkeit wertet, um einem verpflichtenden überindividuellen Soll aus dem Wege zu gehen (2. K., 3a). Die Schlußfolgerung, auch die Moralität der wirtschaftlich-sozialen Handlung werde durch die Freiheit konstituiert, liegt nahe. Daß in Wirklichkeit die Ver­ dienstlichkeit der moralischen Handlung nicht von der formalen Freiheit, sondern

220

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

von der normierten und verantwortlichen Freiheit, von der bewußten und freien Unterordnung des individuellen Tuns unter das Soll objektiver sittlicher Wert­ normen abhängt, übersieht Hayek als Nominalist. Desgleichen übergeht er die wichtige Frage, ob die postulierte Entschluß- und Handlungsfreiheit auch dann noch als sozial verdienstlich zu rechtfertigen ist, wenn der einzelne die gemein­ schädlichen Auswirkungen seines selbstsüchtigen Handelns, von denen beispiels­ weise W. Eucken spricht (h 355f., 359f., 365f.), sehr wohl voraussehen bzw. unmittelbar feststellen kann, eine Frage immerhin, die im Wirtschaftsalltag um so dringlicher werden muß, als die gleiche egozentrische Grundeinstellung ja bei allen Wirtschaftsbeteiligten als „in der Natur des Menschen“ liegend voraus­ gesetzt wird. Die sachliche Begründung des individualistischen Freiheitspostulates und seiner Funktion als gesellschaftliche Ordnungspotenz sieht F. A . Hayek in der zweiten These der individualistischen Gesellschaftstheorie gegeben, die auf die gemein­ samen Wirkungen der individuellen Handlungen abzielt. Sie geht auf das „große Thema“ der britischen Individualisten und auf die „große Entdeckung“ der klassischen Nationalökonomie zurück, daß nämlich das spontane Zusammen­ wirken freier Menschen oft Wirkungen und Leistungen erziele, Dinge und Ein­ richtungen schaffe, die angeblich größer sind als der individuelle Verstand jemals vollständig erfassen könnte, die als solche zwar das Ergebnis menschlichen Handelns, nicht aber menschlicher Absicht sind und zudem funktionieren, ohne von einem menschlichen Geist entworfen worden zu sein oder gelenkt zu werden (b 24, 26, 47). In dieser Grundanschauung, die uns schon verschiedentlich be­ gegnet ist, daß „die in den Geschäften der Menschen waltende Ordnung zum größten Teil als das unvorhergesehene Ergebnis individuellen Handelns“ anzu­ sehen sei, erblickt Hayek den ersten großen Gegensatz zwischen dem „wahren“ und rationalistischen Individualismus und zugleich die „Grundlage unseres Verständnisses nicht nur des Wirtschaftslebens, sondern auch der meisten anderen echten sozialen Erscheinungen“ (b 24). Wie er betont, entspringt diese Konzeption aus dem vollen Bewußtsein, daß dem individuellen Verstand Grenzen gezogen sind, ein Bewußtsein, das zur Demut vor den unpersönlichen und anonymen sozialen Prozessen führe, durch welche die einzelnen mithelfen, Dinge zu schaffen, die größer seien als sie selbst wissen (b 25). Die entscheidende ordnungspolitische und soziale Funktion dieses Systems, zu dem in erster Linie der spontan ent­ standene Markt rechnet (b 30), besteht nach Hayek in der Tatsache, daß es völlig unabhängig von der sittlichen Einstellung der Beteiligten funktioniert, indem es vom konkreten Menschen, so wie er nun einmal ist, „Gebrauch macht“ (b 27), seine persönlichen Irrtümer und Unvollkommenheiten berichtigt und faktisch das Bestmögliche aus ihm herausholt (b 25).

Individualistische Sozialprinzipien

221

Unter den praktischen gesellschaftspolitischen Folgerungen, die die Funktions­ fähigkeit dieses Systems zu sichern haben, gilt als wichtigste : die Forderung nach einer strikten Begrenzung jeder Zwangsgewalt oder ausschließenden Macht (b 32). Daraus ergibt sich die ausschließlich negative Funktion des Staates, dessen Tätig­ keit nicht von einem bestimmten Prinzip geleitet werden soll, sondern nur zu sichern hat, daß der einzelne Prinzipien folgt, die er selbst kennt und auf die er bei seinen Entscheidungen Rücksicht nehmen kann (b 34). Die Anerkennung dieser rein formalen Prinzipien, ferner die allgemeine Unterwerfung unter allgemeine Regeln und Institutionen realisieren die erforderliche Abgrenzung des indivi­ duellen Verantwortlichkeitsbereiches und die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen. Die sozialen Prinzipien dienen grundsätzlich nur dazu, Zusammen­ stöße zwischen konkurrierenden Zwecken zu vermeiden, nicht aber dazu, bestimmte Endzwecke festzulegen. Ihre Anerkennung sei deshalb notwendig, weil der einzelne, der nicht allwissend sei, im praktischen Leben sich nicht von voller Kenntnis und Beurteilung aller Folgen seines Handelns leiten lassen könne (b 35). Die entscheidende Frage, die das bereits besprochene Harmonieproblem betrifft, nach welchem Prinzip zu verfahren ist, wenn die Ordnungspotenz der rein formalen Prinzipien versagt, wenn also der demütige Individualist eines Tages trotz aller Begrenztheit seines Verstandes plötzlich erkennen muß, daß die bewunderten anonymen Sozialprozesse zu einer offenkundigen Diskrepanz zwischen Eigeninteresse und Gesamtinteresse, also zu einem höchst unsozialen Ergebnis führen, übergeht Hayek als Modelltheoretiker völlig. Er kommt zu dem abschließenden Ergebnis, daß die Gesellschaft nur insofern größer ist als das Individuum, als sie frei ist. Soweit sie bewußt beherrscht oder gelenkt werde, sei sie auf die Fähigkeiten der Individuen beschränkt, die sie beherrschen oder lenken (b 47f.). Seine Grundthese ist die, daß der wahre Individualismus als die einzige Theorie zu gelten hat, die den Anspruch erheben kann, die spontane Entstehung sozialer Bildungen verständlich zu machen (b 26). W. Röpke sieht Hayeks Hauptgedanken, daß der ordnende Verstand vor der außerordentlichen „Komplexheit der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft“ notwendig kapitulieren und die Lösung der entscheidenden Probleme einer spontanen Ordnung überlassen müsse, so überzeugend, unwiderleglich und nach allen Seiten abgewogen dargestellt, daß kein Ausweichen mehr gestattet sei (1 3). Kausale Interpretation der sozialen Erscheinungen Für die abschließende Beurteilung der gesellschaftsphilosophischen Spekulationen F. Λ . Hayeks ist ausschlaggebend, daß hier neben dem ideologischen Gedanken­ gut der englischen Aufklärung die Beziehungslehre L . v. Wieses offenkundig die

222

Atomisdsch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

entscheidende Rolle spielt. Der philosophische Angelpunkt der gesamten Dis­ kussion über das Soziale liegt, wie sich zeigen ließ (vgl. 2. K., 2 c), in der Frage nach dem Wirklichkeitswert der sozialen Relation. L . v. Wiesey der gegen jede Substantialisierung von Sozialgebilden ankämpft, kann sich als Positivist nicht zu der metaphysischen Tatsache bekennen, daß das Soziale wie jede Beziehungs­ einheit gegenüber dem rein Individuellen eine Realität darstellt. Unter dem Blickwinkel der ausschließlich kausalen Betrachtung ist die Gegenüberstellung der beiden sittlichen Wertordnungen natürlich nicht gerechtfertigt, da in der physisch-kausalen Ordnung auch die soziale Handlung nur von einem sub­ stantiellen Individuum und nur als Einzelhandlung gesetzt werden kann. Insofern hat v. Wiese recht. Der Mangel liegt jedoch in seiner einseitigen Problemsicht, die sich keine Rechenschaft darüber gibt, daß jede soziale Beziehung und jede sittliche Handlung primär von ihrem Inhalt, von ihrer Wertbezogenheit her zu beurteilen ist. Während die individualethische Sicht ihre Bestimmung durch die Hinordnung auf ein einzelnes Individuum erhält, wird die sozialethische Verantwortung inhaltlich durch ein Ordnungsgefüge, eine Ordnungseinheit determiniert, in der mindestens zwei Individuen zueinanderstehen und als ein Ganzes erfaßt werden. Mit anderen Worten: Wo immer die sittliche Verantwortung auf das Wohl mehrerer, auf ein Gemeinwohl bezogen ist, ist von Sozialethik die Rede. Die Unterscheidung beider Begriffe kann also nur auf der Ebene der Wertmotive, der Finalität, begründet werden. Hier ist sie eine reale, die als solche gesehen werden muß, wenn die begrifflichen Grenzen zwischen Individualethik und Sozialethik aufrecht erhalten werden sollen (Utv^ o 44, 38, 264, 262f., 86 f.). Die ausschließlich kausale Interpretation der sozialen Erscheinungen, die die eigene Realität der Beziehungseinheit nicht anerkennt, verleitet v. Wiese dazu, die Beziehungseinheit in reine soziale Prozesse aufzulösen. Sie wird lediglich unter dem Blickwinkel der gegenseitigen Anziehung und Abstoßung betrachtet. Für die Definition und Beinhaltung der Gesellschaft ist diese Grundeinstellung natur­ gemäß fundamental. Da v. Wiese sein Augenmerk auf die zwischenmenschliche Wechselwirkung, auf das aktuelle Bewußtsein und wechselseitige Handeln konzentriert, indem er allein dem substistenten, aus sich wirkenden einzelnen als Träger der faktischen gegenseitigen Einwirkung Wirklichkeit zuerkennt, wird notwendig der Begriff der Ganzheit, ohne den die soziale Relation undenkbar ist, aus der wissenschaftlichen Reflexion ausgeklammert. Für v. Wiese gibt es nicht die Gesellschaft, sondern nur gesellschaftliches Geschehen, Prozesse, die sich in Aktion und Reaktion selbständiger Individuen abspielen (£7/^, o 12f., 38, 44, 76). Die Gesellschaft erhält damit als „gedachte Einheit von Ursachen“ (o 26) den Charakter einer gedanklichen Fiktion ohne Eigenwert und ohne Eigenbedeutung, sie wird dann in ihrem eigentlichen Wesen verfehlt.

Individualistische Sozialprinzipien

223

Diese einseitige Deutung des sozialen Phänomens hat auch in die neoliberale Ideologie Eingang gefunden. Wir sind ihr bei L . Miksch begegnet, der nur die physisch-kausale Beurteilung der sittlichen Handlung kennt und von da her die soziale Gerechtigkeit ad absurdum zu führen sucht (3. K., 2c). Bei F. A . Hayek führt diese Problemsicht zu absurden Folgerungen. Von der mythischen Entwicklungs- und Gleichgewichtstheorie der englischen Nominalisten, vom ethischen Formalismus Kants und vom einseitig äquivalenten Gerechtigkeitsbegriff aus­ gehend konstruiert Hayek vier Gegensätze zwischen „moralisch“ und „sozial“ . Die Vorherrschaft des Ideals des „Sozialen“ bzw. des „sozialen“ Interesses, das im „falschen Rationalismus“ seinen Ursprung habe, richte sich gegen die Grundlagen aller Moral, führe zu einem Mißbrauch des Gerechtigkeitsbegriffes bzw. zu allgemeiner Ungerechtigkeit, wobei sie das individuelle Verantwortungsgefühl zerstöre. Die „soziale Bewegung“ mit ihrer Betonung konkreter Ziele habe die notwendige Entwicklung „echter Prinzipien politischer Ethik“ mehr verhindert als gefördert. Der Gesellschaft konkrete, allen bekannte und von allen anerkannte Aufgaben zuerkennen und die einzelnen auf die Erfüllung dieser Aufgaben verpflichten zu wollen, heißt seiner Ansicht nach, die Gesellschaft im Sinne eines denkenden Kollektivums personifizieren. Das „wahrhaft Soziale“ sieht Hayek in dem anonymen Ergebnis eines nicht-rationalen, überindividuellen Entwicklungs­ prozesses gegeben. Der „wahre Sinn“ des Sozialen ist demnach in der Wort­ bedeutung: „aus dem spezifisch gesellschaftlichen Prozeß hervorgehend“, also in der rein kausalen Interpretation zu suchen, die er ausdrücklich der teleologisch­ ethischen Beinhaltung des Begriffes, etwa im Sinne von sozialem Gewissen, sozialer Politik, Gesetzgebung, Gerechtigkeit u. a. mehr, gegenüberstellt. Aus diesem Grunde kommt seine These, eine „soziale Ethik“ müsse aus Regeln bestehen, die das kollektive Handeln binden, wobei er unter diesen Regeln anonyme, vom zielbewußten Wollen des Menschen unabhängige Ordnungskräfte verstanden wissen will, über den engen Rahmen einer formalistischen Aussage nicht hinaus (f 79, 82, 76 ff.). Daß die hier vertretene ausschließlich soziologische Sicht des Sozialen der eigentlichen Sinnfülle dieses Begriffes nicht gerecht wird, dürfte nach dem bisher Gesagten einleuchten (vgl. 2. K., 2 b, c). W. Röpke hingegen bezeichnet Individual- und Sozialprinzip als „pseudophilosophische Dichotomien“ (k 14). Bezeichnend ist ferner die ausdrückliche Beschränkung der sozialen Verantwortung auf die Selbstfürsorge und auf die Sorge für die eigene Familie, wie wir sie bei F. A . Hayek (b 29), bei A . Rüstow (1 57) und insgesamt als Ausgangspunkt der neoliberalen Lösung des Harmonieproblems festge­ stellt haben. Im Grunde handelt es sich bei dieser Art Sozialphilosophie um nichts anderes als um den Versuch, die Sozialethik grundsätzlich von der Basis der physisch-kausalen Betrachtung der sozialen Aktivität

224

Atomistisch-mcchanistischc Gesellschaftsphilosophie

her aufzubauen. Das Ergebnis ist die individualistische Beinhaltung des Gesamtwohles als „das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl“ (vgl. U t^ o 263). Gesellschaft als gedachte Einheit anonymer Sovfalpro^esse Wie L. V. Wiese löst auch F. A , Hayek, um die Freiheit des Individuums gegen den angeblichen Totalitätsanspruch kollektivistischer Hyperorganismen oder personi­ fizierter, denkender Kollektiveinheiten wirksamer verteidigen zu können, die metaphysische Wirklichkeit des Gesellschaftsganzen in die gedachte Einheit anonymer, unpersönlicher Sozialprozesse auf. Auf Grund seiner mechanistisch­ energetischen und individualpsychologischen Interpretation des Sozialen, von der ausführlich die Rede war (2. K., 2b), begreift er die Gesellschaft lediglich als interindividuellen Kräftekosmos, als Koexistenz in sich abgeschlossener, mensch­ licher Energiezentren, die in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke einen interaktionären äußeren Wirkzusammenhang, einen energetischen „Beziehungs­ komplex“ (Messner, j 125 f.) konstituieren, der durch das faktische Aufeinander­ angewiesensein, also utilitaristisch beinhaltet wird. Die echte soziale Beziehung und Wechselwirkung, die, wie sich zeigen ließ, wesentlich durch den gemeinsamen Bewußtseinsinhalt des für alle verbindlichen Gemeinwohls, durch das „soziale Gewissen“ bedingt wird, läßt Hayek in der Unpersönlichkeit und Anonymität eines Kräftekollektivs, das die einzelnen auf der Basis des konkurrierenden Selbstinteresses mechanisch-kausal koordiniert, aufgehen. Obwohl die von der englischen Aufklärung übernommene Skepsis bezüglich der „reichen Individualität“ des Menschen der aktualistischen Gesellschaftstheorie Hayeks zugrunde liegt, hält er, was an sich nahe liegen würde, weder eine ontische noch final-ethische Integration des Individuums durch echte Gemeinschafts­ bezogenheit für notwendig. Diese Inkonsequenz ist ideologisch begründet. Für //ayek ist der Einzelmensch als „sehr unverständiges fehlbares Wesen“ (b 25), nicht mehr der planende, bestimmende und verantwortliche Mittelpunkt des sozialen Kosmos, sondern nur noch ein energetisches Quantum im Ablauf eines von unsichtbarer Hand gesteuerten mythischen Sozialprozesses, der jeden Beteiligten „in Gebrauch“ nimmt, sein meistens sehr dummes Verhalten, seine Begrenztheiten, Fehler und Irrtümer automatisch berichtigt (b 27 f.) und ihn damit faktisch der sozialen Verantwortung für sein Tun enthebt. Im Glauben an die effektive nachträgliche Korrektur, Harmonisierung und Ordnung des selbst­ süchtigen Handelns aller durch den anonymen Gleichgewichtsautomatismus fordert Hayek daher grundsätzlich Freiheit für alle, für „die Guten und Weisen“ ebenso wie für „die Schlechten“ (b 27f.). Den kritischen Einwand, daß die individualistische Gesellschaftstheorie das Vorhandensein isolierter und

Individualistische Sozialprinzipien

225

selbstgenügsamer Individuen voraussetzt, glaubt er mit dem Hinweis darauf als albernes Mißverständnis abtun zu können, daß das gesellschaftskonstitutive individuelle Handeln stets am Nebenmenschen orientiert sei und von dessen erwartetem Verhalten bestimmt werde (b 23 f.). Was von dieser Erklärung zu halten ist, wurde bereits im 2. Kapitel dargelegt (2 b, c). Nach realistischer Auffassung läßt sich die menschliche Gesellschaft in ihrem Wesen und in ihrer Entstehung nicht primär und nicht allein durch die individuelle Freiheit in der Verfolgung selbstgesetzter Zwecke, also nicht utili taris tischaktualistisch begründen. Hayek ignoriert als Nominalist die grundlegende soziale Tatsache, daß der einzelne schon vor der aktiven Wechselwirkung auf Grund seiner Sozialnatur, also wesenhaft auf die Gemeinschaft hingeordnet, an sie gebunden und ihr gegenüber verpflichtet ist. Nicht die faktische Wirkung und Gegenwirkung allein schafft echte soziale Gemeinschaftsbindung, sondern das bewußte und unbewußte Zueinanderhalten auf Grund gemeinsamer Verant­ wortung gegenüber dem Gesamtwohl als aufgetragenem, einheitsschaffendem Ganzheitswert. Daß damit weder einer Entpersönlichung des Individuums noch einer Ausschaltung der privaten Initiative und Selbstfürsorge noch einem kollek­ tiven Reglement das Wort geredet wird, bedarf nach dem bisher Gesagten keiner Erörterung mehr. Das eindeutige „Mißverständnis“ derHayek'schen Gesellschafts­ theorie besteht darin, daß hier die menschliche Gesellschaft lediglich als Ko­ existenz menschlicher Energiezentren, als interindividueller Beziehungskomplex, als gedachte Einheit von unpersönlichen Sozialprozessen, als anonymes Kräfte­ kollektiv begriffen und mit einem energetischen Sammelbegriff identifiziert wird, der, metaphysisch gesehen, keine andere Wirklichkeit für sich beanspruchen kann als die Summe seiner Bestandteile. Diese atomistisch-mechanistische Sicht des Gesellschaftsganzen ist zu einseitig und zu oberflächlich, als daß sie einen wesent­ lichen Beitrag zum echten Verständnis der Gesellschaft und der sozialen Er­ scheinungen leisten könnte. Hayeks Gesellschaftstheorie stellt im Grunde nichts anderes dar als die moderne Vermaterialisierung des antiquierten nominalistischdeistischen Harmonieglaubens, der damals wie heute als theoretischer Ersatz die Ordnungsfunktion des naturhaften, zugleich mit der allgemeinen menschlichen Natur negierten gesellschaftlichen Lebens- und Ordnungsgesetzes zu übernehmen hat. Wie 0. v. Nell-Breuning treffend bemerkt, besagt „gesellschaftlich-sozial“ mehr als nur hinterindividuell. Einen Sozialprozeß nach dem Vorbild der klas­ sischen Mechanik unter alleiniger Rücksicht kausaler oder funktionaler Beziehun­ gen der isolierten (atomisierten) Individuen zueinander betrachten, heißt seiner Ansicht nach diesen Sozialprozeß als solchen verkennen und denaturieren, heißt den Sinngehalt, der sich nicht als Quantum, sondern seinem Wesen nach nur als Quale fassen läßt, austreiben (n 398).

226

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

c) Gesellschaft als p r i v a t r e c h t l i c h - i n s t i t u t i o n e l l e r Zw eck ve rb and (F. Böhm) Gesellschaft als Gesamtheit privatrechtlicher Institutionen Während F. A . Hayek sich vorwiegend mit der Analyse des dynamischen Charak­ ters der nominalistischen Freiheitsideologie befaßt, verfolgt F. Böhm in seiner Gesellschaftsauffassung und Rechtsstaatsphilosophie das Ziel, die nominalistische Theorie vom mechanisch-anonymen Charakter des angeblich gleichgewichtigen Sozialprozesses privatrechtlich-institutionell zu unterbauen und zu begründen. Seiner Ansicht nach leuchten in einer Gesellschaft von Menschen, die in individueller Freiheit gesellschaftlich Zusammenleben, spontan die „schöp­ fungsmäßigen Ordnungstafeln und Wegweiser“ auf, während umgekehrt der politische Planungs- und Ordnungstrieb der Menschen nur allzu leicht die natürliche Ordnung denaturiere und unsichtbar mache (1 99). Was er darunter verstanden wissen will, ist früher schon dargelegt worden (3. K., 1 b, c). Jedenfalls sieht er in dieser Grundauffassung den eigentlichen Kern des gesellschafts­ philosophischen Unterschiedes zwischen der Rechtsstaats- und Wohlfahrtsstaats­ ideologie gegeben. Während die Anhänger des Wohlfahrtsstaates, wie Böhm bemerkt, von einem philosophisch konzipierten, darüber hinaus aber geschichtsund soziologiereformerisch breit ausgemalten „Stilbild der Gesellschaft“ ausgehen und die Aufgabe der Politik darin erblicken, dieses Stilbild durch Organisation mit pädagogischen und herrschaftlichen Mitteln zu verwirklichen, lehnen es die neoliberalen Anhänger des Rechtsstaates überhaupt ab, sich ein „prophetisches Bild oder Gleichnis“ von wünschenswerten Gesellschaftsstilen und Gesell­ schaftsgestaltungen zu machen und sodann vorauszuberechnen, wieviel Macht und wieviel Freiheit eine Gesellschaft brauche, wenn der gewünschte Stil, die gewünschte Gestaltung Zustandekommen soll (1 99). Wie sich im Verlauf der vorausgehenden Untersuchungen gezeigt hat (3. K., 1c), ist es die grundverschiedene Gemeinwohlkonzeption beider Staatsauffassungen, die ihren ebenso verschiedenen gesellschaftlichen Baugedanken bedingt. Es steht hier die realistische Auffassung, die auf Grund der verschiedenen Lebensaufgaben des Einzelmenschen und der daraus erwachsenden verschiedenen Gesellschafts­ zwecke und Kooperationsformen pluralistisch konzipiert ist, dem individua­ listischen Gemeinwohlbegriff gegenüber. Dieser besagt im Grunde nichts anderes als das spontane mechanisch-additive Resultat der individuellen Entschluß- und Handlungsfreiheit. Während die realistische Gesellschaftsphilosophie vom plura­ listischen Wesen des Gemeinwohls ihre organische Gesellschaftsauffassung ableitet, die Gesellschaft als Ordnungseinheit, als Hierarchie von zweckbedingten Gemeinschaften begründet und die relative gesellschaftliche Autonomie der

Individualistische Sozialprinzipien

227

verschiedenen sozialen Organismen verteidigt, gehört es zum alteisernen Bestand der individualistischen Gesellschaftstheorie, wie J. Messner darlegt, zugleich mit dem organischen Pluralismus des Gesellschaftsaufbaus die relative Autonomie der kleinen Vergemeinschaftungen rundweg abzulehnen. An ihre Stelle treten Verbandseinheiten und Privatrechtsinstitute, in denen die individualistische Rechtsphilosophie bewußt nur die einzelnen Glieder, deren Willen, Rechte und Handeln sieht (j 147, 113f, 184). Der individualistische Monismus, der in der realen Ordnung nur das Individuum als das eigentlich Wirkliche anerkennt, führt im gesellschaftlich-rechtlichen Bereich folgerichtig zum Rechtsmonismus, der letztlich nur die Rechte des Individuums als ursprüngliche, die Gemeinschaftsrechte jedoch ausschließlich als abgeleitete, als „Anhängsel“ der Individualrechte gelten laßt (j 182). Die Idee der zu realisierenden individuellen Freiheit als Inbegriff des gesellschaftlichen Gesamt­ interesses und Gesamtzweckes bietet zugleich den Maßstab für die Erfüllung der Funktionen und Aufgaben aller Organisationen und Formationen im Rahmen der individualistischen Gesellschaftsordnung. Die erforderliche Harmonie aller Zwecke wird als „Harmonie der Interessen“ vom freien Spiel der Einzelkräfte, die theoretisch als dynamische Energien aufeinander einwirken und angeblich zum Gleichgewicht kommen, erwartet (j 152, 126). Die ausschließlich negativ konzi­ pierte Funktion der Gesellschaft, die im wesentlichen nur Übergriffe der Gesell­ schaftsglieder in fremde Freiheits- und Rechtsbereiche zu verhüten hat, findet hier ihre Begründung. Gesellschaft als Kraftfeld privatrechtlicher Ausgleichstendenden Die für die individualistische Gesellschaftsauffassung typischen Elemente lassen sich deutlich in den Gedankengängen F. Böhms feststellen. Als bewußter Gleich­ gewichtstheoretiker ist er davon überzeugt, daß eine ausgebildete Privatrechts­ ordnung durchaus imstande ist, eine differenzierte arbeitsteilige Gesellschaft zu konstituieren, sowie den sozialen Kooperationsprozeß zwischen autonom planenden Privatrechtsträgern genügend klar und sinnvoll zu ordnen. Er hält es für entscheidend, daß durch bewußte Ausschaltung jedes machtmäßigen Eingriffs die mittelbaren Ordnungsfunktionen der verschiedenen elementaren Rechts­ normen, Faustregeln und Privatrechtseinrichtungen, wie z. B. der Vertrags­ freiheit und unbeschränkten Haftung, des Wettbewerbs und Privateigentums, voll zur Wirksamkeit gebracht werden. Ihre Ordnungsfunktion soll außerdem durch außerrechtliche spontane „Gleichgewichtstendenzen“, unter denen Böhm mit F. A . Hayek die spontanen Reaktionen aller Marktbeteiligten verstanden wissen will, ergänzt werden (1 122, 134). Da er als Rechtsstaatler angeblich eine sehr

228

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

geringe Meinung von Staats- und Organisationskunst hat, vielmehr die recht­ lichen und außerrechtlichen Gleichgewichtskräfte als „wirtschafts- und staats­ ordnende Kräfte höchsten Ranges“ einschätzt (1 166), läßt er die Aufgabe des Staates auf den Schutz der Privatrechtsordnung und der sich unter ihr entfaltenden Ordnung des sozialen Lebens begrenzt sein, um auf diese Weise dem individual­ rechtlichen Anspruch jedes einzelnen auf persönliche Integrität Geltung zu ver­ schaffen. Aus dem gleichen Grunde macht er die Rechts- und Weisungsbefugnis staatlicher Organe grundsätzlich von der freien, zeitlich begrenzten und entsprechend verklausulierten Zustimmung der Privatrechtsträger abhängig (1121 f-, 163). Gesellschaft als Ziveckverband autonomer Privatrechtsträger Mit anderen Worten: Für Böhm stellt die Gesellschaft als die Gesamtheit aller Sozialbildungen und Privatrechtsinstitutionen im Grunde nichts anderes dar als das gleichgewichtige, interindividuelle Nebeneinander von freien, absolut gleich­ berechtigten und autonom planenden Privatrechtsträgern, die sich zur Sicherung ihrer privaten Rechtssphäre zu einem Zweckverband organisieren. Jedes Indivi­ duum erhebt Anspruch darauf, innerhalb der gesellschaftlichen Organisation als eine in sich abgeschlossene Welt gewertet und in seinen spezifischen Grundrechten dementsprechend respektiert zu werden. Eine kommunikative oder kooperative Verbindung zu den übrigen Privatrechtsträgern wird nur im eigenen Interesse, nicht zuletzt unter dem „Druck der animalischen N ot“ (1119) aufgenommen. Das sachlich-utilitaristische Kalkül, daß die eigene Existenz ohne Verständigungs­ bereitschaft, ohne Loyalität in der Befolgung gewisser praktischer Spielregeln, ohne Dienst an den Interessen anderer gefährdet wird, erweist sich praktisch als Garant für Frieden und Ordnung in der Gesellschaft. Die legale Sicherung der individuellen Planungs- und Handlungsfreiheit hat die Funktionsfähigkeit gewisser rechtlicher und außerrechtlicher Ordnungspotenzen zu gewährleisten, die das aktuelle Nebeneinander der vielen automatisch auf der Basis des Selbst­ erhaltungstriebes und Gewinnstrebens zu einem Ganzen integrieren. Wenn Böhm vom Staat erwartet, daß er ausschließlich als „ehrlicher Makler der Gesellschaft“ in Funktion zu treten habe, dann ist praktisch damit gemeint, daß der Staat nur als ehrlicher Makler der gesicherten Privatinteressen seiner Aufgabe gerecht werden kann. Nicht das Gesetz des objektiv beinhalteten Gesamtwohls, sondern das Gesetz der privatrechtlich gesicherten Souveränität des Individuums in der Verfolgung seiner selbstgesetzten Zwecke im Kraftfeld automatisch wirkender Ausgleichstendenzen gilt demnach als entscheidendes Baugesetz und Ordnungs­ prinzip der freiheitlichen Gesellschaft.

Individualistische Sozialprinzipien

229

Z u s a m m e n fa s s u n g u n d St el l u n g n ah m e (zu 2) Fassen wir die Gesellschaftsdoktrin der genannten drei Autoren zusammen, ergeben sich folgende Grundansichten, die in ihrer Gesamtheit für die neoliberale Gesellschaftsdoktrin repräsentativ sind: der soziologische Monismus, der die ausschließlich ontologische Sicht des gesellschaftlichen Phänomens und den Rechtsmonismus bedingt ; die grundsätzliche Ablehnung des sozialen, organischen Pluralismus und des Eigenrechtes relativ autonomer Gemeinschaften; die zentrale Bedeutung der Freiheit und Souveränität des Individuums und ihrer privat­ rechtlich-institutionellen Sicherung als primärer Gesellschaftszweck; der Gleich­ gewichts- und Automatismusglaube, der die Lösung des komplexen gesellschaft­ lichen Ordnungsproblems grundsätzlich privatrechtlichen und außerrechtlichen anonym-spontanen Ordnungskräften und Sozialprozessen überläßt; die Bein­ haltung des gesellschaftlichen Gesamtwohls als mechanisch-additives, funktional­ theoretisches Ergebnis des institutionell gesicherten Eigenwohles aller Gesell­ schaftsglieder. Im wesentlichen sind es also drei Sozialprinzipien, die der gesellschaftstheo­ retische Neoliberalismus der „emanzipatorischen Kraft“, den „libertinistischen“ Selbstbefreiungstendenzen des „Pseudo-Individualismus“ entgegenstellt: das irrationale soziologische Zusammengehörigkeitsbewußtsein als wesenskonstitu­ tives Prinzip der Gesellschaft, als Norm der sozialen Eingliederung, Verpflichtung und Unterwerfung; die spontane kollektive Aktionsfreiheit als Basis für die Entstehung und das Verständnis der meisten „echten sozialen Erscheinungen“ ; das privatrechtlich gesicherte loyale Selbsterhaltungs- und Gewinnstreben als Garant für Frieden und Ordnung in der Gesellschaft. Diesen individualistischen Prinzipien entspricht als Ergebnis ein Gesellschafts­ begriff, der als Sammelbegriff keine andere Wirklichkeit besitzt als die Summe seiner Teile. Ob die Gesellschaft aufgefaßt wird als irrationales, durch das rein subjektive Zusammengehörigkeits- und Geborgenheitsgefühl bedingtes kollek­ tives Wir-Bewußtsein (W . Röpke) oder als Gesamtheit anonymer, unpersönlicher Sozialprozesse, die sich spontan zu einem unbeabsichtigten, unerklärlichen Kräftekollektiv integrieren (F. A . Hayek), oder als das gleichgewichtige Neben­ einander freier autonomer Rechtsträger, die insgesamt auf Grund des natürlichen Selbsterhaltungstriebes und Gewinnstrebens einen privatrechtlich konstituierten Zweckverband bilden (F. Böhm)\ stets handelt es sich darum, daß eine Vielheit selbstfertiger Individuen miteinander Kontakt aufnehmen dem Zwecke, sich ein Maximum an persönlicher Freiheit und Souveränität in der Verfolgung ihrer selbstgesetzten Zwecke %u sichern. Im Grunde ist es, wie G. Simmel treffend bemerkt (107), die von den englischen Individualisten übernommene politische Freiheitsideologie, die jeden

230

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

Eigenzweck und Eigenbestand des sozialen Ganzen aufhebt und dadurch der Atomisierung der Gesellschaft Vorschub leistet. Der gesellschaftliche Zusammen­ schluß erhält additiven Charakter. Dieser bestätigt sich durch die Tatsache, daß dem äußeren Zusammenhalt, den Bewußtseinsinhalten, Wechselbeziehungen und Teilaktionen die ethische Hinordnung auf den einheitskonstitutiven Ganz­ heitswert des objektiv beinhalteten Sozialwohls fehlt. Interindividuelle Wechsel­ beziehungen, Aktion und Reaktion, gegenseitige Loyalität und Orientierung am Nebenmenschen haben ausgesprochen individualethische Bewandtnis. Sie realisieren als solche nicht die für das soziale Ganze erforderliche sozialethische „Wechseleinung“ und Ordnungseinheit. Damit ist von neuem erwiesen, was F. Λ . Hayek und seine Gefolgsleute nicht wahrhaben wollen, daß jeder Individualismus, auch der „wahre“, notwendig %umgesellschaftlichen Atomismus hintendiert. W’. Röpke sieht klar, daß die „soziale Unterernährung“ nur durch die Sorge, Verantwortung und Leistung für das Ganze behoben werden kann (o4). Er ist davon überzeugt, daß persönliche Freiheit sich nur dort verwirklichen läßt, wo es gelingt, die Kooperationsbereitschaft und freiwillige Unterordnung der Privat­ interessen unter gemeinschaftliche Ziele zu realisieren. Diese Überzeugung und die daraus resultierende entscheidende gesellschaftliche Aufgabe haben für ihn jedoch nur unverbindlichen Charakter. Die wichtige Frage, ob die Freiheit des einzelnen zu beschränken oder statt dessen die Schäden des freien Spiels der Kräfte in Kauf zu nehmen sind, falls sich die Antinomie zwischen Privatinteresse und Gemeinschaftsinteresse nicht auf freiwilliger Basis überwinden läßt, ist für ihn nicht so sehr eine Frage grundsätzlicher Entscheidung als eine solche der Gewichtung und des Maßes (b 369). Da er als Individualist nicht bereit ist, dem Gesellschaftsganzen konkret-institutionelle, das allgemeine soziale Gewissen bindende Wirklichkeitsbedeutung und Autorität zuzuerkennen, fehlt seinen eindringlichen Appellen an die ethischen Prinzipien des einzelnen die final-ethische Substanz. Solange auf neoliberaler Seite der für alle sozialphilosophischen Spekulationen zentrale Grundwert des Gemeinwohls in seiner sozialethischen Sinnfülle und essentiellen Bedeutung für die erforderliche Integration des Individuums wie für die Konstitution und den Wirklichkeitswert des Gesellschaftsganzen nicht klar erkannt ist und respektiert wird, kann von einer sozialphilosophischen Rehabili­ tierung der individualistischen Gesellschaftsdoktrin keine Rede sein. Die unaus­ weichliche Grundsatzfrage, ob die individualistische Freiheit oder das objektiv beinhaltete Sozialwohl als eigentlicher Gesellschaftszweck anerkannt und realisiert werden muß, ist heute in der Tat, um ein Wort Röpkes zu gebrauchen, zur wahren „Wasserscheide der Sozialphilosophien“ (p 312f, 139) geworden.

231

3. ökonomistische Gesellschaftspolitik Für die strukturpolitischen Reformbestrebungen des Neoliberalismus ist die gesellschaftstheoretische Grundeinstellung naturgemäß entscheidend. Als oberster gesellschaftspolitischer und sittlicher Leitsatz gilt das individualistische Dogma: Das Individuum mit seinem Anspruch auf Autonomie, Freiheit und individual­ rechtliche Integration ist höchster Wert und eigentlicher Zweck der Gesellschaft. Ein zweiter, für neoliberales Ordnungsdenken schlechthin typischer Grundsatz, von dem im sechsten Kapitel noch ausführlich die Rede sein wird, tritt hinzu: die Prädominanz der Marktgesetzlichkeit als entscheidende Maxime aller ordnungs­ politischen Bestrebungen. Das eigentliche Anliegen der neoliberalen Gesell­ schaftstheoretiker besteht nach ihren eigenen Worten darin, gegen die tödlichen Gefahren der Vermassung, Atomisierung, Proletarisierung und Konzentration (Röpke, c 83; g 230) zur erforderlichen gesellschaftlichen Regeneration (Müller-A., g 264) eine gesunde Sozialstruktur wiederherzustellen (Rüstow, c 146) und tragfähige Ordnungen aufzubauen (Eucken, h 13), die den einzelnen nicht nur funktionell als Produzenten und Konsumenten, sondern auch in seiner persönlichen Existenz sehen und als Menschen eingliedern (Müller-A ., i 31, 33). Die Frage, die uns im folgenden beschäftigt, ist also die: Läßt sich das von den Neoliberalen intendierte Ziel einer echten gesellschaftlichen Regeneration mit Hilfe ihres grundsätzlich individualistisch-monistisch begründeten und markt­ theoretisch normierten gesellschaftlichen Ordnungswollens überhaupt realisieren ? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der näheren Untersuchung der neoliberalen Strukturpolitik, der Staatsauflassung und der Entproletarisierungs bestrebungen. a) M a rk t th e or et i sc he B e g r ü n d u n g der S tr u k t u r p o li ti k Wie sich zu Beginn dieses Kapitels zeigen ließ, ist die neoliberale Beurteilung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation durchaus realistisch. Das Problem, welche Sozialprinzipien und Ordnungspotenzen der Neoliberalismus der vor­ liegenden gesellschaftlichen Vermassung, Atomisierung und Verproletarisierung entgegenzustellen in der Lage ist, stellt sich hier von neuem. W. Eucken lehnt zunächst die marxistische These, die Wirtschaft sei der tragende Unterbau für den Überbau der Gesellschaftsordnung, des Staates, des Rechtes und anderer Ordnungen, als unannehmbar ab. Nicht einseitige Abhängigkeit von der Wirtschaft bestehe, sondern vielmehr eine wechselseitige aller Ordnungen. Die Geschichte der neueren Zeit lehre ebenso eindeutig wie die Geschichte früherer Epochen, daß auch die staatliche Ordnung oder die Rechtsordnung die Gestaltung der Wirtschaftsordnung beeinflussen (b 72; h 182f.). Lenkung des alltäglichen

232

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

Wirtschaftsprozesses in „adäquaten“ Wirtschaftsordnungen und Abstimmung der wirtschaftlichen Ordnungsprinzipien mit denen anderer Ordnungen sind nach Ansicht Euckens zwei der wichtigsten wirtschaftspolitischen Forderungen und zugleich eine „universalgeschichtliche Aufgabe“ (h 50, 180, 52, 133, 184). Wirtschaftsordnung als Gesellschaftsinhalt Es ist sicher ein wissenschaftliches Verdienst Euckens, mit Nachdruck auf die wechselseitige Abhängigkeit aller Lebensordnungen, auf ihre Interdependenz hingewiesen zu haben, in der er eine „Zentralfrage unseres Zeitalters“, einen „wesentlichen Tatbestand des Lebens und gerade des modernen Lebens“ sieht. Daß die Lösung vieler Probleme des außerwirtschaftlichen Bereiches, nicht zuletzt die Frage nach der „geistig-seelischen Existenz des Menschen“, mit sehr nüch­ ternen Fragen der wirtschaftlichen Lenkungsmechanik sehr eng Zusammenhängen (h 183 f. ; b 72) und daß demnach alle sozialen Reformprogramme auch wirtschaft­ lich durchdacht sein müssen, ist ohne weiteres zuzugeben. Handelt es sich aber im Gedankensystem Euckens, was die wertmäßig abgewogene Bedeutung der einzel­ nen Ordnungen angeht, wirklich um eine echte Rangstufe und bilaterale Interde­ pendenz oder nicht doch um ein sehr ungleichgewichtiges Abhängigkeitsver­ hältnis aller Ordnungen von der Wirtschaftsordnung ? „Unter den Fragen, die die Weltgeschichte auf gibt“, steht nach Ansicht Euckens an erster Stelle „die Herstellung eines möglichst störungsfreien Wirtschafts­ prozesses“, denn erst auf der Grundlage einer zureichenden Gesamtversorgung und der vernünftigen Verteilung des Sozialproduktes sei die Entfaltung der Kräfte, die im einzelnen Menschen zur Verwirklichung streben, und die sinnvolle Einordnung dieser Kräfte in den Gesamtprozeß, mit alledem größtmögliche Verwirklichung von Gerechtigkeit, Sicherheit und Freiheit im menschlichen Zusammenleben überhaupt erst möglich. Nach Ortega y Gasset, den Eucken zu­ stimmend zitiert, gibt es keine Kultur, es sei denn auf der Basis einer funktio­ nierenden marktwirtschaftlichen Verkehrsordnung, „unter deren Schutz man sich stellen kann“ (h 190, 199). Die Vermachtung der Wirtschaft, die Wirtschafts­ politik der Experimente und die freiheitsfeindliche Tendenz zur Zentralver­ waltungswirtschaft stellen nach Eucken den „Weltmoment“ (Ranke) dar, in dem wir uns befinden (h 192f.). Um die außerordentliche „Effizienz“ der Wirtschafts­ ordnung auf die anderen menschlichen Ordnungen (h 306) deutlich werden zu lassen, betont Eucken mit Nachdruck: „Es muß in das allgemeine Bewußtsein eingehen: Indem man sich für Zentralverwaltungswirtschaft oder für die Wett­ bewerbsordnung entscheidet, entscheidet man sich zugleich. . . für ganze große Lebensbereiche“ . Mit Bedauern stellt er fest, es fehle in allen Ländern an einer

ökonomistiechc Gescllschaftspolitik

233

Führungsschicht, die begriffen hat, was die Wettbewerbsordnung ist: „nicht nur als Ordnung der Wirtschaft, sondern auch als Bedingung für eine Ordnung der Gesellschaft, als großes Gegenbild, das man der totalen Konzeption entgegen­ setzen kann“ (h 371). Je mehr sich die Wirtschaftsordnung nach der Zentral ver­ waltungswirtschaft hin entwickle, um so mehr werde der einzelne Mensch „im Zentrum seiner Existenz“ bedroht (h 188), denn — nach einem Worte H . Bellocs, das Eucken bejahend zitiert — „das Kommando über die Güterproduktion ist das Kommando über das menschliche Leben schlechthin“ (Wirtschaftszeitg. v. 24. 1. 1947; zit. b. Seidel, 408). Eucken ist davon überzeugt, daß keine „geistig­ religiöse oder politische Bewegung“ die Fragen „der menschlichen Ordnungen und des Menschen überhaupt“ lösen wird, „wenn es nicht gelingt, in adäquaten Wirtschaftsordnungen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses durch­ zuführen“ (h 183f.). Alle aus der Freiheit spontan entstandenen Ordnungsformen, also auch die gesellschaftlichen, seien nur insoweit berechtigt, „als sie wettbewerbs­ konform sind“ (h 179). Seiner Ansicht nach werden nicht nur die einzelnen Rechtsgebiete und der Begriff der „SittenWidrigkeit“ nach Inhalt und Auslegung von der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtentscheidung „wesentlich“ abhängen (f 241), auch die Funktionsfähigkeit des Staates ist durch sie bedingt: „Ohne eine Wettbewerbsordnung kann kein aktionsfähiger Staat entstehen und ohne einen aktionsfähigen Staat keine Wettbewerbsordnung“ (h 338). Fügen wir noch den für das neoliberale Systemdenken zentralen Begriff der Marktkonformität als entscheidender Leitregel der gesamten Ordnungspolitik hinzu, dessen Prädominanz nicht nur zur Identifizierung von Wirtschaftsver­ fassungspolitik und Sozialpolitik (h 313), sondern darüber hinaus zum eindeutigen Vorrang der Wirtschaftspolitik gegenüber der Sozialpolitik führt, dann wird daraus ersichtlich, daß das neoliberale Grunddogma von der marktwirtschaft­ lichen Sachgesetzlichkeit als Fundament der persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit Eucken dazu verleitet hat, das Schwergewicht seiner gesellschaftstheo­ retischen Überlegungen und Forderungen in prinzipieller Überbetonung auf die Sicherung der marktwirtschaftlichen Eigenlogik zu legen. Er bemüht sich zwar, die marxistische Alternative: Unterbau-Überbau, in seinem Gedankensystem zu vermeiden, hat aber offensichtlich, jedenfalls nach realistischer Auffassung, den erforderlichen Mittelweg zwischen beiden Extremen nicht beschritten. Die von ihm stark hervorgehobene Interdependenz aller Ordnungen ist nicht bilateral­ gleichgewichtig, sondern einseitig-normativ zugunsten der Marktwirtschaft ausgerichtet. Während beispielsweise seiner Ansicht nach die Methoden der Wirtschaftslenkung dengesellschaftlichen Aufbau „formen“ (hl 83),also strukturell­ wesentlich beeinflussen, ist die hervorgehobene Rückwirkung der faktischen Gesellschaftsordnung auf die Wirtschaft nur akzidenteller Natur (h 126f., 138).

234

Atomistisch-mechanistischc Gesellschaftsphilosophie

Eucken gibt zwar zu, daß nicht alle Fragen der menschlichen Ordnungen und des Menschen überhaupt durch die Wirtschaftsordnungspolitik allein gelöst werden können, versichert aber in gleichem Atemzuge, daß die Lösung eben dieser Fragen von der Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in adäquaten Wirtschaftsordnungen abhänge (h 183f.). Der „zentrale Baugedanke der Wirt­ schaftsordnung“ (h 306) wird damit zum regulativen Prinzip der intendierten gesellschaftlichen Regenerierung; die Gesellschaftsordnung geht faktisch in der Wirtschaftsordnung auf. Diese ideologische Akzentverschiebung zugunsten der Wirtschaftsordnungs­ politik ist für das neoliberale Systemdenken schlechthin bezeichnend. W. Röpke beispielsweise erblickt in der Marktwirtschaft diejenige Wirtschafts Verfassung, „mit der unser ganzes Gesellschafts- und Kultursystem steht und fällt“. Das Fest­ halten am Marktwirtschaftssystem sei geradezu eine Schicksalsfrage unserer Zivilisation (c 85, 49), denn sie allein erlaube die Wahrung der Ideale des geistig­ politischen Liberalismus (i 30). Wird das Wirtschaftsleben nicht von starken moralischen Stützen getragen, dann muß schließlich „ein System freier Wirtschaft und mit ihm die freie Staats- und Gesellschaftsordnung zusammenbrechen“ (p 168f.). Das besondere Verdienst der Enzyklika Quadragesimo anno sieht er — allerdings zu Unrecht — darin, daß sie „das Prinzip der Marktwirtschaft und damit unsere Gesellschaft überhaupt vor dem um sich fressenden Kollektivis­ mus zu retten“ sich bemüht (1 326). Er setzt sich ein für die Kombination von Marktwirtschaft und „natürlicher Ordnung“, letztere „in dem doppelten Sinne einer naturgemäßen, sozio-biologisch richtigen Einbettung des Menschen und des ,ordre naturel* einer wohlgeordneten und wohleingehegten Marktwirtschaft“. Diese natürlichen Ordnungen bezeichnet er als die „beiden Säulen eines neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsdenkens“ (g 320). Es wird sich jedoch noch zeigen, daß in seinem Gedankensystem allein der „ordre naturel“ des Marktmechanismus von struktureller Bedeutung ist, während seine Gesellschaftspolitik darauf hinausläuft, der eigengesetzlichen Marktwirtschaft den soziologisch richtigen Rahmen zu schaffen. „ Reintegrierung der Marktwirtschaft“ als gesellschaftspolitisches Ziel Damit ist W’ Röpkes Auffassung vom „ZuordnungsVerhältnis“ zwischen dem politischen und ökonomischen System (b 138) bereits gekennzeichnet. Bei näherer Betrachtung fällt in seinem Reformprogramm, das für die kleine Gruppe der neoliberalen Gesellschaftstheoretiker in etwa repräsentativ ist, zunächst die starke Tendenz zur D e z e nt r a lis at io n auf. Er läßt sich von der Idee leiten, die Entpersönlichung, Naturentfremdung und chaotische Beziehungslosigkeit der

Okonomistische Gesellschaftspolitik

235

Individuen zu beseitigen und den Menschen in einer „auf menschliche Maße“ zu­ rückgeführten Gesellschaft wieder seßhaft machen zu können. Er fordert daher generell die Schaffung von Existenz- und Produktionsformen, die der Natur des Menschen gemäßer sind als diejenigen der heutigen Industrie- und Großstadtwelt und ihn wieder der Natur selbst näher führen. Die Tendenz zur „natürlichen Ordnung“ bezeichnet er als das Ergebnis einer fundamentalen Gesellschafts- und Kulturkritik (g 226). Sie wird realisiert durch räumliche und genössische Dezen­ tralisation, Landesplanung, intensive Agrar-, Mittelstands-, und Betriebsgrößen­ politik, also auf weite Sicht: durch Verbäuerlichung, Verhandwerkerlichung, Entkollektivierung des Industrieproletariates (c 84; p 312 f.). Der ausgesprochen konservativ-patriarchalische Charakter des Röpke’schtn Gesellschaftsbildes, in dem die familiären, berufsständischen und landständischen Elemente vorherr­ schen, ist nicht zu übersehen. Das Gleiche ist in verstärktem Maße von der Gesellschaftskonzeption Æ Riistows zu sagen. Neben der allgemeinen Förderung des Genossenschaftswesens, des Mittelstandes, der freien Berufe und des Beamtentums verspricht er sich von dem „Gedankenexperiment“ einer grundlegenden Erbrechtsreform einen wesentlichen Beitrag zur Beseitigung des wirtschaftlichen Feudalismus. Um die intendierte Volkswirtschaft kleinbäuerlicher Betriebe sowie gewerblicher und kaufmän­ nischer Mittelbetriebe auf möglichst breiter Basis zu ermöglichen, soll jeder Nachkomme jeweils immer nur einen Betrieb erben dürfen, während „über­ zählige“ durch die öffentliche Hand an Besitzlose weitergegeben werden sollen. Zur Durchsetzung der erforderlichen „Deglomeration“ empfiehlt Rüstow durch­ greifende Aufsiedlung der wirtschaftlich schwachen Großgüter, Werkstattaus­ siedlung, Milderung der Verstädterung, progressive Besteuerung überoptimaler Betriebsgrößen, genossenschaftliche Betriebsform der übrigen Großbetriebe, Stückelung der Eigentumstitel (c 138ff., 146ff.). Weitere Reformvorschläge anderer Theoretiker liegen innerhalb des von Röpke und Rüstorv verhältnismäßig weit abgesteckten Betätigungsfeldes. Hier taucht die Frage auf, was die neoliberalen Gesellschaftstheoretiker im letzten dazu bewegt, nicht nur eine sehr konservative, sondern darüber hinaus zum Teil rückschrittlich anmutende Strukturpolitik zu befürworten. Hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß das vereinzelte Individuum nicht nur der materiell-wirtschaft­ lichen, sondern primär der menschlich-sozialen Integration bedarf, wie sie nach realistischer Auffassung durch die Kultur der bewußten Gemeinschafts­ verwurzelung und der echten Gemeinschaftswerte realisiert wird ? Die Antwort gibt W. Röpke. Sie entspricht der typisch neoliberalen Verquickung von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Seiner Ansicht nach bedarf die Markt­ wirtschaft, um ihre freiheitliche und produktive Aufgabe erfüllen zu können,

236

Atomistisch-mcchanistische Gesellschaftsphilosophie

eines festen Rahmens, den er den „anthropologisch-soziologischen“ nennt. Dem Individualprinzip im marktwirtschaftlichen Kern müsse zum Ausgleich und zur Ergänzung der fehlenden Integrationskraft der Konkurrenz das „Sozial- und Humanitätsprinzip“ gesunder Gesellschaftspolitik die Waage halten. Zerbricht dieser Rahmen, dann sei auch die Marktwirtschaft nicht mehr möglich. Sie sei nur zu halten bei gleichzeitig wiedergelagerter Gesellschaftspolitik (c 80, 83 ff., 274,45). Er hält es daher für absolut notwendig, die Kritik an der Mechanisierung und Devitalisierung unserer Kultur mit der Achtung vor der Freiheit und Spontaneität der Marktwirtschaft zu verbinden. Es bestehe sonst die Gefahr, die Unnatur auf der ganzen Linie nur noch zu vermehren, falls man mit gesellschaftlichen Refor­ men der anderen „natürlichen Ordnung“ , nämlich derjenigen des wirtschaftlichen Preisautomatismus, Gewalt antue. Röpke betrachtet diese Kombination, in der die Marktwirtschaft im Rahmen einer „natürlichen Ordnung“ und eine „natürliche Ordnung“ als Rahmen der Marktwirtschaft empfohlen wird, als „neue Phase der wirtschaftspolitischen Diskussion“ (g 230 f.). Wir werden uns mit dem Nomina­ lismus der neoliberalen Ordnungsbegriffe im siebenten Kapitel noch zu befassen haben. Vorerst steht fest, daß Röpke die Marktkonformität als legitime Norm und Grenze der gesellschaftlichen Strukturpolitik bezeichnet. Nur durch „Reintegrierung“ der Marktwirtschaft lasse sich die Gefahr des Kollektivismus bannen (c 84). Die ausgesprochen markttheoretische Begründung der Röpke*sehen Gesell­ schaftspolitik ist nicht zu übersehen. Die für das neoliberale Freiheitspathos be­ zeichnende Identifizierung von wirtschaftlicher, persönlicher und gesellschaft­ licher Freiheit, von der ausführlich die Rede war (2. K., 3b), spielt hier die entscheidende Rolle. Es ist primär die Sorge um die Marktfreiheit, die das Pro­ blem der gesellschaftlichen Dezentralisierung nicht zuletzt deshalb in den Vorder­ grund rückt, weil letztere als unumgängliche Voraussetzung der funktions­ fähigen freien Wettbewerbsordnung gilt. Eine möglichst vollkommene Konkur­ renz wird nur gewährleistet durch möglichst viele und wirtschaftlich gesunde Konkurrenten, ganz abgesehen von der angeblich geringeren Krisenempfindlich­ keit des Kleinbetriebes. Hinzukommt, daß nach Röpke ohne das Minimum an Lohnelastizität, das nur erreichbar ist, wenn der einzelne Arbeiter ein Minimum an materieller und immaterieller Stabilität seiner Existenz erhält, eine wirkliche Marktwirtschaft undenkbar ist. Dem Arbeiter müsse, wenn es die Marktsituation mit sich bringt, eine Lohnkürzung, Teilarbeit, ja vorübergehende Arbeitslosigkeit zumutbar sein, ohne daß er gleich radikalisiert wird, was nur bei einem verbäuerlichten, verbürgerlichten und verhandwerkerlichten Arbeiter mit Eigentum und teüweiser Selbstversorgung, mit standfester Existenz und natürlichem Selbstvertrauen vorausgesetzt werden könne. Es sind demnach primär

ökonomistische Gesellschaftspolitik

237

markttheoretische und konjunkturtheoretische Argumente, mit denen Röpke seine Dezentralisierungsbestrebungen begründet. Sie sind für ihn die Voraussetzungen jedes einigermaßen aussichtsvollen Versuches, die Grundlagen einer freien Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung zu retten. Er spricht es unumwunden aus, daß es im letzten um diese Freiheit, nämlich die Marktfreiheit als Voraus­ setzung der gesellschaftlichen Freiheit gehe, worauf wir uns mit aller Kraft zu besinnen hätten (c 85ff.). Er betont zwar, die funktionsfähige Marktwirtschaft allein sei nicht genug, die Wiederherstellung eines freien Preismechanismus könne das Programm der Gesellschaftsreform nicht erschöpfen (i 114; p 131 f.), er läßt aber keinen Zweifel darüber, daß „die Veränderung der sozialen Voraussetzungen der Marktwirtschaft“ als das eigentliche Ziel seiner gesellschaftlichen Struktur­ politik gedacht ist (c 79). Seiner Ansicht nach bedeutet es eine Unterminierung der Marktwirtschaft in ihren Grundlagen, wenn außer acht gelassen wird, daß die Marktwirtschaft eines „geistig-sozialen Klimas“ bedarf, das von den gleichen Werten bestimmt ist (o4). Aber auch diese Bemerkung ändert nichts an der Tat­ sache, daß die funktionsfähige Marktwirtschaft auf der Basis der individualisti­ schen Freiheit und Selbstverantwortung der ideologisch-normative Angelpunkt seiner konservativen Gesellschaftsdoktrin ist. Mit anderen Worten : Die Röpke*sehe Strukturpolitik ist im Grunde nur ein zweckrationales Mittel zur Sicherung des funktionsfähigen Marktmechanismus und als solche vom Ökonomismus nicht freizusprechen (vgl. Ritschl, c 251 f.). A , Müller-Armack folgt Röpke in der Ansicht, daß der Verwirklichung einer neuen marktwirtschaftlichen Ordnung eine solche gesellschaftliche Ordnung an die Seite gestellt werden müsse (g 264). Die geistige und gesellschaftliche Ord­ nung zur Wirtschaftsordnung in sinnvolle Beziehung zu setzen, um eine neue Lebensform zu finden, in der der Mensch frei und sozial gesichert leben kann, bezeichnet er als das Ziel der „sozialen Marktwirtschaft“. Er gibt durchaus zu, daß die Wettbewerbsordnung auf Grund ihrer Begrenztheit die Gesellschaft als Ganzes nicht zu integrieren und keine gemeinsamen Wertnormen zu setzen vermag. Vielmehr bedürfe sie der Ergänzung durch eine Gesellschaftspolitik, die den Menschen nicht nur funktionell als Konsumenten und Produzenten, sondern auch in seiner persönlichen Existenz sieht (i 32f.). Er hofft auf diese Weise, „den Durchstoß zu einer Wirtschaftsordnung zu vollziehen, die den vollen Wesens­ möglichkeiten des Menschen wirklich entspricht“ (e 303). Die entscheidende Frage ist hier wiederum die, wohin Müller-Armack in dem wechselseitigen Beziehungsverhältnis zwischen Wettbewerbs- und Gesellschafts­ ordnung das Schwergewicht verlagert. Er weist zwar darauf hin, das Eintreten für die Marktwirtschaft dürfe nicht als Verzicht verstanden werden, „unsere Lebensform kulturellen Maßstäben zu unterwerfen“. Da jedoch die intendierte

238

Atomistisch-mechanisdsche GeseUschaftsphilosophie

„Prägung“ und „geistige Formung“ der Marktwirtschaft und der „Einbau unserer kulturellen Lebensüberzeugungen in die Marktwirtschaft“ unter stetiger Rücksichtnahme auf „die marktwirtschaftlichen Notwendigkeiten“ zu erfolgen hat, wird notwendig die unter allen Umständen zu wahrende „Eigenlogik“ der Marktwirtschaft nicht nur zum regulativen Prinzip der gesamten Gesellschafts­ und Sozialpolitik, sondern darüber hinaus zum entscheidenden kulturellen Maß­ stab unserer Lebensform selbst (vgl. d 103 ff., 166). Auch bei Müller-Armack gehört die Verwirklichung „einer harmonischen, gesunden Mittelstands- und Agrarpolitik“ zum Kreis der sichernden, fördernden und bremsenden wirtschafts­ politischen Maßnahmen, die die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft zu garantieren haben (d 94ff., 111, 128f.). Die Gesellschaftsreform hat sich seiner Ansicht nach letztlich um die Aufgabe zu zentrieren, die Marktwirtschaft auf­ rechtzuerhalten und zu sichern. Wettbewerbstheoretische Negierung des Körperschaftsgedankens Die ökonomistische Grundeinstellung der neoliberalen Gesellschaftsideologie ist naturgemäß für die neoliberale Beurteilung des ständischen Ordnungswollens ausschlaggebend. A . Müller-Armack^ der mit W. Röpke grundsätzlich die Not­ wendigkeit einer „inneren Regeneration“ der modernen Gesellschaft bejaht, gibt der kirchlichen Soziallehre zu bedenken, der Liberalismus heute sei, entgegen früheren weltanschaulichen Ambitionen, auf dem Wege, sich in erster Linie als Hüter bestimmter gesellschaftlicher Organisationsformen und wirtschaftlicher Ordnungstechniken zu begreifen (g 264). Welche Organisationsformen gemeint sind, bleibt allerdings völlig unklar. Die Ablehnung organisch-körperschaftlicher oder berufsständisch-leistungsgemeinschaftlicher Gesellschaftsbildungen mit relativer Autonomie ist auf neoliberaler Seite einhellig. Die Erklärung dafür liegt in der allgemeinen Annahme, der Marktmechanismus werde durch die berufs­ ständische „Gruppenanarchie“ (.Hensel, 260), durch Gruppenegoismus, Stände­ monopolismus und die damit gegebene Ausschaltung des Wettbewerbs gefährdet. Die daraus resultierenden Lenkungsschwierigkeiten und sozial unerwünschten Konsequenzen innerhalb der modernen Marktwirtschaft lassen nach W. Eucken (h 244, 326), W. Röpke (1325; b 148), A . Müller-Armack (k 77 f.), A . Rüstow (155), K P. Hensel (258 f.) und P . Boarman (14, A. 5) die berufsständische Selbstver­ waltung und Ordnung der Wirtschaft als denkbar ungeeignet erscheinen. MüllerArmack glaubt zudem, das Interesse der kleinen, aus der Bahn geworfenen Existenzen gegen die Idee der Berufsstände, in denen er faktisch zunftmäßige, mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen versehene Zwangskartelle erblickt, schützen zu müssen (k 77f., A. 4). Röpke möchte den Staat der Zukunft gegen die

ökonomistische Gesellschaftspolitik

239

„magische Formel des Korporativismus“, gegen „wirtschaftspolitischen Obskuran­ tismus“ und die „Anarchie des Pluralismus“ gesichert wissen. Er befürchtet die Zersplitterung der Staatssouveränität, die Auflösung der parlamentarischen Demokratie zugunsten der autonomen „Interessentenhaufen“ und grundsätzliche Kollisionen mit dem Gesamtinteresse. Seiner Ansicht nach ist der Beruf im berufsständischen Sinne ein auflösendes, nicht aufbauendes Element und daher völlig ungeeignet zur Integrierung des Menschen in einem geordneten Staats­ leben (b 147f., 149f. ; i 130). K. P. Hensel hingegen hat die Gefahr eines totalen ständischen Wirtschaftsstaates vor Augen. Als vorgesehene oberste Schlichtungs- und Kontrollinstanz könne der Staat dem Interessenstreit und der übermächtigen Gruppenanarchie nur mit entsprechender Macht und einem zentralen Plansystem beikommen, was zudem nicht ausschließe, daß er trotzdem zum Spielball der Interessentenhaufen werden kann. Hensel, der sich in seiner Ordnungs-, Naturrechts-, Freiheits- und Wett­ bewerbs-Konzeption als Nominalist erweist, ist davon überzeugt, den philoso­ phischen Nachweis für den inneren Gegensatz zwischen dem Subsidiaritäts­ prinzip und der berufsständischen Ordnung als einer naturrechtlich fehlkonstru­ ierten Ordnung erbracht zu haben. Wie später noch gezeigt wird, vertritt er allerdings eine typisch individualistische Interpretation des Subsidiaritätsprinzips, der sich übrigens auch W. Eucken anschließt (h 348). Hensel führt in seinem Be­ weisgang zunächst von der neoliberalen marktwirtschaftlichen Modelltheorie und von der Psychologie her entsprechende Befürchtungen eines möglichen Mißbrauchs der berufsständischen Idee an. Unlogischer weise kommt er dann von seinen irrealen Prämissen zu der realen Konklusion, die ordnungspolitische Unmöglich­ keit der berufsständischen Ordnung als funktionsfähiger und menschenwürdiger Ordnung „erwiesen“ zu haben (258, 260, 262, 265 f.). M. Hättich findet den von Hensel behaupteten inneren Gegensatz zwischen beiden Prinzipien auf der Ebene der geschichtlichen Konkretisierung bestätigt (140f.). Versuchung zum Gruppen­ egoismus, zur „Interessenanarchie“ und zum Monopol (187, 159), ferner über­ mäßige Institutionalisierung des Gesellschaftslebens (162, 92), sowie unreali­ stische Überschätzung des Gemeinwohldenkens auf seiten der Berufsstände (152) : das sind die üblichen und auch Hättichs Einwände gegen das berufsständische Ordnungswollen, von seiner ökonomistischen Grundeinstellung ganz abgesehen, daß die Möglichkeit einer berufsständischen Gliederung von der Struktur der Marktwirtschaft her überhaupt in Frage gestellt werde (135). Bei Hättich zeigt es sich besonders deutlich, daß die gesamte Diskussion um die berufsständische Ordnung auf neoliberaler Seite sich mehr oder weniger um die Frage nach dem voraussichtlichen Verhalten des wirtschaftenden Menschen zentriert, wobei die Möglichkeit einer institutionellen Sicherung gegen Mißbrauch, auf der beispiels-

240

Atomisdsch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

weise die Wettbewerbsordnung aufbaut, ganz aus dem Gesichtskreis verdrängt wird. Daß auch Hätticbs Interpretation des Subsidiaritätsprinzips ausgesprochen individualistisch ist, kommt später noch zur Sprache. O. Veit sieht sich ebenfalls auf Grund seiner nominalistischen Naturrechtsauffassung und grundsätzlicher Vorbehalte gegenüber Staatseingriffen, nicht zuletzt aus Sorge um das angeblich gefährdete wirtschaftliche Ertragsmaximum dazu veranlaßt, die berufsständische Idee in ihrem Grundgedanken und in ihrer „Wirklichkeitsfremdheit“ rundweg abzulehnen (d 272). Die Frage, welchen Weg die neoliberalen Theoretiker bei aller negativen Kritik einzuschlagen bereit sind, um, nach A . M üller-Armacky „eine innere Regene­ ration der Gesellschaft durch neue konkrete Institutionen“ zu schaffen (g 264) und die individualistische Atomisierung zu überwinden, bleibt völlig offen. Wie stellt sich W. Euchen die „soziale Einbettung“ der einzelnen und die sachgerechte, von unten nach oben durchzuführende Gliederung der modernen Gesellschaft, in der heute der einzelne nach Euchens Ansicht entwurzelt und schutzlos anonymen Machtgebilden gegenübersteht (h 147, 187f. 13, 126, 138, 180), eigentlich vor? Ständische, rechtlich-körperschaftliche Gruppierungen können es seiner Meinung nach nicht zu einer echten Gliederung der Gesellschaft bringen, da sie im Gegenteil auf Grund ihres „Gruppenegoismus“ die Gesell­ schaft „zerhacken“ und den freien Marktablauf gefährden (h 146 f ; 148, 326). Der Leistungswettbewerb kann es ebenfalls nicht, denn er soll die Wirtschaftskräfte parallel, nicht aber in echter Verzahnung auf ein gemeinsames Ziel hinlenken. Die von Euchen empfohlene erweiterte gesellschaftspolitische Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden und Landkreise (h 148), so notwendig sie praktisch ist, führt ebenfalls nicht zum genannten Ziel. Mit anderen Worten: Euchen und die übrigen neoliberalen Gesellschaftspolitiker greifen das Strukturproblem, das sich bei der kritischen Betrachtung der modernen Gesellschaft unausweichlich auf­ drängt, wohl auf, ohne jedoch eine überzeugende und realisierbare Lösung aufzuzeigen. Obwohl Euchen zugeben muß, daß die Wirtschaft nicht ein völlig eigengesetzlicher und mechanisierter Kosmos, sondern als menschliches Geschehen nur ein gesellschaftlicher Vorgang sein kann, der Impulse von außen empfängt und wieder ausstrahlt (h 210), gelangt er nicht dazu, aus dieser seiner Erkenntnis für Aufbau und Ordnungsgefüge der Wirtschaftsgesellschaft die entsprechenden Konstitutionsgesetze, die naturgemäß ebenfalls gesellschaftlicher Natur sein müssen, abzuleiten. Die von W. Euchen und W. Röpke stark hervorgehobene Interdependenz aller Ordnungen läßt die eigentliche gesellschaftliche Begründung vermissen. Sie wird, der klassisch-nominalistischen Gesellschaftsauffassung entsprechend, aktualistisch interpretiert und dient faktisch als Strukturersatz, ohne allerdings einer sachgerechten Lösung des Strukturproblems näherführen zu

ökonomistische Gesellschaftspolitik

241

können. Sehr einfach, aber wenig überzeugend, „löst“ das Strukturproblem M. Hättich. Er interpretiert die heutige gesellschaftliche Atomisierung kurzer­ hand als rein geistigen Vorgang. Die für die Gesamtheit gesunde gesellschaftliche Integration sei daher eine Frage der geistig-seelischen Verfassung des modernen Menschen, also eine Frage der Bewußtseinsbildung, die sich nicht durch Gliede­ rungsexperimente verändern lasse (109f, 139). Es fragt sich nur, wo die konkrete Ursache für den vielfach feststellbaren Mangel an gesellschaftlichem Bewußtsein zu suchen ist. Wir kommen auf diesen vereinfachenden Einwand noch zurück. b) Uneinheitliche Staatsa uff ass un g Daß die Frage nach der gesellschaftlichen Strukturreform in innerem Zusammen­ hang mit der notwendigen „Regeneration“ der modernen Staatsauffassung steht, ergibt sich aus dem Zusammenhang von selbst, handelt es sich nach realistischer Auffassung ja darum, die Expansionslust des modernen Staates und die unnatür­ lich ausgeweitete Staatsunmittelbarkeit der vereinzelten Individuen durch die Schaffung organisch-körperschaftlicher Zwischenglieder auf ein gesundes Normalmaß zu reduzieren. Wie W. Eucken betont, besteht das Problem des gegenwärtigen Staatsdenkens darin, die Gefahr des totalitären Staates in gleicher Weise zu sehen wie die Notwendigkeit eines stabilen Staatsapparates, der genug Macht besitze, eine bestimmte, genau umschriebene Ordnungsaufgabe zu erfüllen (h 331). Es ist der Ruf nach Freiheit und der Ruf nach dem starken Staat als ordnender Potenz, deren homogene Vereinigung den Inhalt des neoliberalen Ordo-Programms ausmacht. Es sind also im wesentlichen zwei Ideenkomplexe, die das neoliberale Staatsdenken heute bestimmen, die aber, wie sich speziell bei W. Röpke zeigen wird, jeder für sich so forciert werden, daß sie zueinander in Gegensatz geraten. Schwächung der Staatsmacht als ordnungspolitische „ Generalidee“ Zunächst fällt im neoliberalen Schrifttum die historisch und psychologisch begründete absolute Skepsis gegenüber der Staatsmacht und ihrer Exekutive auf. Nach W. Euckens Ansicht berechtigt uns die moderne politische Entwicklung, von einem offensichtlichen „Verfall des Staates“ sprechen zu können. Dafür zeugen folgende Symptome: Umbildung zum Zentralismus, Zurückdrängung der Rechtsprechung und der Parlamente zugunsten einer übergewichtigen Büro­ kratie, Zunahme der Tätigkeit des Staates an Umfang bei gleichzeitiger Abnahme seiner Autorität, Interessenpolitik, Verdrängung des staatlichen Rechtes durch das selbstgeschaffene Recht partikulärer Gewalten, von den jüngsten Erfahrungen mit dem ruinösen Staatstotalitarismus ganz abgesehen. Von einer idealisierenden

242

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

Auffassung des Staates, als ob er der unabhängige und wohlwollende Vater seiner Bürger sei, dem man unbeschränkt Aufgaben übertragen dürfe, könne daher nicht genug gewarnt werden. Eucken weist dem Staat als Hauptaufgabe zu : Garantie der individuellen Grundrechte und der freien Selbstverwirklichung jedes einzelnen; für den wirtschaftlichen Bereich: Auflösung oder Schwächung bestehender Machtgruppen, Konzentration auf die Gestaltung der wirtschaft­ lichen Ordnungsformen bei gleichzeitigem Verzicht auf unmittelbare Wirtschafts­ lenkung durch laufende Eingriffe (h 327ff., 330, 334). Auch in W. Röpkes Staatsdenken überwiegt zunächst, wohl unter dem Eindruck der jüngsten politischen Ereignisse, die Abwehrbereitschaft gegenüber der alles niederwalzenden Macht des Staates. Seiner Ansicht nach ist der gesunde Staat der dezentralisierte, genössische und gleichgewichtige Staat. Eindämmung und Schwächung der Staatsmacht durch Gewaltenteilung, durch Stärkung bestimmter gesellschaftlicher Gegenkräfte und geistiger Eliten, durch die Schaffung aus­ gleichender institutioneller Gegengewichte, dadurch vor allem, daß der Staat im Raum der Wirtschaft sich auf die Rolle des Spielleiters und Schiedsrichters beschränkt, ohne dabei gleichzeitig Fußball zu spielen (c; i 142), gilt als Ziel. Die gleiche absolute Skepsis gegenüber der Staatsmacht, der Staats- und Organi­ sationskunst, der Loyalität in der staatlich-exekutiven Gewaltausübung begegnete uns in der Rechsstaatsphilosophie F. Böhms (3. K., la). Die Grundtendenz, durch weitgehende Beschränkung, Einengung, Hemmung und Aufspaltung der Staatsgewalt (1 123f.) „bis zur Grenze des gerade noch zu Verantwortenden“ (1 120) das Element der Macht zu sozialisieren (1 126), zu neutralisieren und dadurch stillzulegen, bezeichnet Böhm als die „Generalidee des rechtsstaatlichen Denkens“ (1 120). Sie bedingt die „dienende Hilfsstellungsrolle“ der in völliger Selbstbescheidung und Neutralität geübten verwaltenden Staatstätigkeit, die ohne jeden eigenen Gestaltungs- und Planungsehrgeiz nur der glatten Abwicklung des Privatrechtsverkehrs und der Sicherung der privaten Rechte zu dienen bestimmt sei (1104f.). Der „springende Punkt“ ist nicht der, wie F. A . Hayek bemerkt, daß die Tätigkeit des Staates von einem bestimmten Prinzip geleitet werden soll; wesentlich sei vielmehr, z. B. im Bereich der Wirtschaft, daß die einzelnen „die Maschine des Staates für ihre eigenen Zwecke verwenden können“ (b 34). Verabsolutierte individuelle Freiheit als Staatsnorm Das individualistisch-monistische Grunddogma von der individualrechtlichen Integration des freien und autonomen Individuums als höchstem Wert und eigentlichem Zweck der Gesellschaft hat also in der neoliberalen Staatsauffassung den ihm kongruenten Ausdruck gefunden. Das Staatsganze wird lediglich als

ökonomistische Gesellschaftspolitik

243

Rahmen für ein Spielfeld mit bestimmten Spielregeln begriffen, zu deren Ein­ haltung und Sicherung von den Beteiligten durch gemeinsame Übereinkunft und Vertragsabschluß ein Apparat, der Staat, geschaffen wird. Die Regeln selbst ergeben sich aus dem subjektiven Wertempfinden, aus dem erprobten Gewohn­ heitsrecht. Der staatsphilosophisch grundlegende Gedanke, daß es neben der zerstörenden auch eine aufbauende und integrierende Kraft der staatlichen Ordnungsgewalt gibt und gegeben hat, deren Aufgabe und legitime Norm darin besteht, durch entsprechende Lenkung, Zuordnung und Aufsicht das Gesamt­ wohl zu fördern und zu verbürgen, den inneren Zusammenhalt und Frieden zu gewährleisten und damit verbundene Einschränkungen, Opfer und Verzichte zu fordern, tritt hinter der atomistisch-mechanistischen Gemeinwohl- und Gesell­ schaftskonzeption und dem nominalistischen Freiheitspathos der neoliberalen Ideologie völlig zurück. Im Grunde handelt es sich darum, daß einheitskonsti­ tutive Normen, bewußte Lenkung und subsidiäre Eingriffe von oben, wenn sie nicht an der Grenze der verabsolutierten individuellen Freiheit, Autonomie und Selbstgenügsamkeit haltmachen und sich nicht auf die Einsicht und verklausulierte Zustimmung der Privatrechtsträger stützen können, von vornherein als totalitär gebrandmarkt werden. Ruf nach dem starken Staat als ordnender Poten^ Wie bereits vorausgeschickt wurde, tritt zu der neoliberalen Skepsis, Reserve und negativen Beurteilung des Staates und seiner Funktionen eine andere Auffassung in Gegensatz. Sie entspringt der nüchternen Einsicht, daß die Realisierung des neoliberalen Ordo-Programms, vor allem was die „Veranstaltung“ des Wett­ bewerbs betrifft, mit einem starken Staat als machtvoller Ordnungspotenz steht und fällt, was z. B. von W’. Eucken (h 330f.), W. Röpke (b 147f.), A . Rüstow (163; c 133f.), A . Müller-Armack (d 94 f.) offen ausgesprochen wird. Mit anderen Worten: Dem neoliberalen Staatsdenken fehlt die konstruktive Einheit und Konsequenz. Dies ergibt sich aus der paradoxen Frage, in der die Antinomie des neoliberalen Staatsdenkens deutlich zum Ausdruck kommt, nämlich wie stark der bewußt dezentralisierte, entmachtete und ausbalancierte Staat in Wirklichkeit sein muß, um beispielsweise die intendierte Auflösung, Schwächung oder Kontrolle von übermächtigen Monopolen, Kartellen und Marktmachtstellungen wirksam durchführen zu können; oder wie robust er vorgehen muß, um die speziell von W. Röpke und A . Rüstow propagierte, tief in bestehende Interessenbereiche und Rechtsverhältnisse eingreifende Strukturpolitik zu verwirklichen. Auf der einen Seite also Mißtrauen, Abwehr und Sicherung gegen den staatlichen Hoheitsanspruch, auf der anderen enorme Machtdelegation

244

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

an die Exekutive, Überforderung der staatlichen Bürokratie, mangelnder Realismus in der Beurteilung der kollektivistischen Gefahr. F. Marbach beispielsweise kommt sich als Sozialist in diesem Punkte weit weniger „kollekti­ vistisch“ vor als die neoliberalen Monopolkontrolleure es in der Tat seien (229). W. Röpke ist mit W. Eucken davon überzeugt, daß die Gefährlichkeit des modernen usurpatorischen Staates in der unnatürlichen und ungebührlichen Konzentration an Aufgaben, Funktionen und Machtpositionen zu sehen ist, die vordringlich durch Dezentralisation zu beseitigen sei. Wird diese Forderung jedoch, wie z. B. von der naturrechtlichen Staatslehre, ernsthaft und unter bestimmten Sicherungs­ voraussetzungen erwogen, stellt sich Röpke ebenso nachdrücklich vor den Staat und seine Souveränität, um ihn gegen jegliche „Zersplitterung“ auf „staats­ fremde Instanzen“ und „Interessentenhaufen“ , gegen die „Anarchie des Plura­ lismus“ und Gruppenegoismus (b 148 f.) zu verteidigen. Die Zwiespältigkeit gerade der Äö^^’schen Gedankenführung, die auch W. A . Jöhr herausstellt (c 182f.) und auf die wir später noch zu sprechen kommen, ist hier offenkundig. Sie geht im Grunde auf das ideologische Dilemma zurück, das sich wie ein roter Faden durch alle neoliberalen Spekulationen und Reformbestrebungen hindurch­ zieht: auf der einen Seite Verabsolutierung der individuellen Souveränität, Freiheit und Autonomie als Fundament des Gleichgewichts- und Automatismus­ glaubens; auf der anderen: die nüchterne Erkenntnis, daß mit dem Interessen­ mechanismus allein gesellschaftliche Probleme nicht zu lösen sind, daß es vielmehr echter Verantwortung und Opferbereitschaft im Interesse des Ganzen (o4), also gültiger Normen und einer letztinstanzlichen Kritik (k 86) und Korrektur von seiten des legitimen staatlichen Autoritätsträgers bedarf. Die neoliberale Staatsphilosophie ist nicht in der Lage, das universale, stets aktuelle Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Bindung, zwischen Eigen­ verantwortung und autoritärem Weisungsrecht, zwischen berechtigtem Eigen­ interesse und echter Gemeinschaftsverantwortung einheitlich-konstruktiv zu lösen, weil die bestehende Antinomie nicht durch die bewußte Hinordnung auf den normativen Gesamtwert des Sozialwohls, also nicht sozialethisch gelöst, sondern individualrechtlich aufgelöst wird und daher zu Inkonsequenzen führen muß. c) Ök o n o m ist isc h e E n t p r o l e t a r i s i e r u n g s p o l i t i k Die Prädominanz des markttheoretischen Denkens, die für die neoliberale Struk­ turpolitik und Staatssoziologie bezeichnend ist, gibt auch den intendierten Entproletarisierungsbestrebungen ein bestimmtes Gepräge. Wie W. Röpke aus­ führt, bedarf die freie Marktwirtschaft zu ihrer „Reintegration“ und Funktions­ fähigkeit eines gesunden „anthropologisch-soziologischen“ Rahmens, bewußter

Zusammenfassung und Stellungnahme

245

gesellschaftlicher Dezentralisation, möglichst vieler konkurrenzfähiger Klein­ existenzen, einer gewissen Lohnelastizität und hauswirtschaftlicher Krisen­ sicherung in den Reihen der Industriearbeiterschaft. Die zweckrationale Über­ legung, daß nur der konservative, verbürgerlichte, auf eigenem Grund und Boden verwurzelte, also entproletarisierte und entradikalisierte Arbeiter mit konjunkturbeständigem Eigentum genügend Immunität gegenüber sozialistischer und kollektivistischer Beeinflussung besitzt, ist für die neoliberalen Entproletarisierungstendenzen letztlich bestimmend (c 80, 83 ff; b 36). Es ist im Grunde die Sorge um die Marktfreiheit in ihrer angeblich fundamentalen Bedeutung für die gesellschaftliche und politische Freiheit (vgl. 2. K., 3 b), ferner die Befürch­ tung, die Arbeiterschaft könnte sich in ihrem berechtigten Streben nach Sicherheit dazu verleiten lassen, dem Wohlfahrtsstaat und der freiheitsfeindlichen Zentral­ verwaltungswirtschaft ihre Zustimmung zu geben, die der generellen Sozial­ politik wie der speziellen Entproletarisierungspolitik das eigentlich ökonomistiscbe Gepräge geben (vgl. 3. K., 3c). Was für die neoliberale Gesellschaftspolitik im allgemeinen gilt, ist für die Entproletarisierungsbestrebungen im besonderen normativ : die Begrenzung der intendierten gesellschaftlichen Humanisierung durch die verbindliche Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmechanismus und des Zuordnungsverhältnissesy das nach W. Röpke zwischen dem politischen und ökonomischen System besteht (g 230 f.; b 138). Die von Λ . Rüstow ausgesprochene, mit naturrechtlichen Grundsätzen übereinstimmende Forderung, daß ein neues positives Programm des Gesellschaftsaufbaues eine eindeutige Bestimmung der Sozialstruktur ver­ lange, zu deren Bestimmung außer der Wirtschaftsgleichung der Marktwirtschaft eine von ihr unabhängige, aber mit ihr vereinbare Sozialgleichung nötig sei (m 235), läßt sich auf dem von der neoliberalen Gesellschaftstheorie einge­ schlagenen ökonomistischen Wege nicht verwirklichen. Z u s a m m e n fa s s u n g und Stellu ng nah me (zu Kap. 5) Wie aus den bisherigen Darlegungen eindeutig hervorgeht, ist das neoliberale Menschenbild in seiner nominalistisch-individualistischen Konzeption für die neo­ liberale Gesellschaftsphilosophie von zentraler Bedeutung. Das Wesen des Menschen erschöpft sich demnach in der Individualität, die den einzig gültigen gesellschaftlichen Faktor darstellt. Die Integration zum vollwertigen Menschen­ tum durch gesellschaftliche Bezogenheit, Ergänzung und Vervollkommnung wird daher abgelehnt. Dem soziologischen Monismus und der nominalistischen Verkennung der gesellschaftlichen Wesensanlage des Einzelmenschen entspricht die ausschließlich ontologische Deutung des gesellschaftlichen Phänomens, ferner die rein kausale Interpretation der sozialen Wechselbeziehungen, der Rechts-

246

Atomistisch-mcchanistischc Gesellschaftsphilosophie

monismus, die negativ konzipierte Funktion der Gesellschaft, die Negierung des sozialen Pluralismus. Für den neoliberalen Theoretiker stellt die Gesellschaft im Grunde nichts anderes dar als die Summe freier, gleichberechtigter und autonom planender Privatrechtsträger, die bei der Verfolgung ihrer selbstgesetzten Zwecke und zur Sicherung ihrer privaten Rechtssphäre im Kraftfeld privatrechtlicher, sowie außerrechtlicher Ausgleichstendenzen ein gleichgewichtiges Nebenein­ ander, einen automatisch integrierten Ordnungszusammenhang, einen Zweck­ verband konstituieren. Der kollektive Charakter dieses individualistisch moti­ vierten Zusammenschlusses ergibt sich aus der mangelnden überindividuellen Wertbezogenheit aller interindividuellen Bewußtseinsinhalte, Wechselbeziehungen und Teilaktionen. Die neoliberale Gesellschafts- und Entproletarisierungspolitik wird markttheoretisch begründet und zwar als zweckrationales Mittel zur Sicherung der marktmechanischen Funktionsfähigkeit. Aus dem Ökonomismus dieser Gesellschaftsideologie resultiert die uneinheitliche Staatsauffassung, die zwischen der postulierten Entmachtung des Staates und dem Ruf nach dem starken Staat hin und her schwankt.

1) Erkenntnistheoretiscbe Begründung der realistischen Gesellschaftsphilosophie Vom Standpunkt der realistischen Seinsphilosophie aus betrachtet, sind die entscheidenden metaphysischen und gesellschaftsethischen Diskussionspunkte zwischen der neoliberalen und der naturrechtlichen Gesellschaftsauffassung folgende: der gesellschaftliche Charakter der menschlichen Natur, Eigensein, Eigenwert und Ganzheitscharakter der Gesellschaft, Analogie des Organismus­ begriffes, gesellschaftlicher Pluralismus. Es stehen sich in diesen Fragepunkten zwei Philosophien gegenüber, an deren Scheideweg das Erkenntnisproblem steht. Zwischen beiden gibt es keine Brücke. Eigensein und Eigenwert der Gesellschaft Die erkenntnistheoretische Begründung der realistischen Gesellschaftsauffassung geht von der Leib-Geist-Natur des Menschen aus. Als Leib-Seele-Wesen ist er den Begrenzungen der Materie unterworfen und zur Realisierung der ihm wesens­ eigenen Zwecke auf die Ergänzung durch andere, auf die menschliche Gemein­ schaft und die in ihr investierten, über die Reichweite des vereinzelten Individuums hinausliegenden Gemeinschaftswerte angewiesen. Die aus der gegenseitigen Ergänzung resultierenden Anstrengungen der gesellschaftlich geeinten Individuen ermöglichen eine Wirkung, die die Summe individueller Einzelbemühungen wesentlich überragt. Sie realisieren das Neue der vollmenschlichen Integration,

Zusammenfassung und Stellungnahme

247

aus dem der überindividuelle Wirklichkeitscharakter der Gesellschaft abgeleitet wird. Was beispielsweise für die eheliche Gattengemeinschaft gilt, die in ihrer Sinnfülle und in ihrem Lebenswert etwas anderes und wesentlich mehr ist als nur ein Sammelbegriff, trifft auf die Gesellschaft insgesamt zu. Sie ist weder eine bloße Summe aus sich und in sich integrierter Individuen noch ein anonymes Kräfte­ kollektiv noch primär eine zweckrationale Formation oder Organisation, sondern nach realistischem Verständnis eine Realität mit eigenem überindividuellem Sein, eine Ordnungseinheit kraft des vorgegebenen Gesellschaftszweckes als Form­ prinzip. Sie ist daher eine Ganzheit, die wesentlich durch die Zweckbetrachtung beinhaltet wird, und zugleich ein Organismus (Messner, j llOff., 119ff.; Weltyy d I 58ff., 82). Die realistische Gesellschaftsphilosophie ist sich über die ideologischen Gefahren­ punkte dieser Gesellschaftskonzeption vollkommen im klaren. Wenn von der überindividuellen Wirklichkeit der Gesellschaft die Rede ist, darf daraus nicht geschlossen werden, daß sie im Sinne eines substanzhaften Hyperorganismus ein von ihren Gliedern unabhängiges Sein besitzt. Das Gesellschaftliche hat, so sagt man, nur akzidentellen Charakter, denn es sei auf das menschliche Individuum als auf seinen substantiellen Träger angewiesen. Das ist unbedingt richtig. Andrer­ seits ist man geneigt, unter dem Ausdruck „Akzidenz“ etwas Nebensächliches und mehr oder weniger Zufälliges zu verstehen. In diesem rein logischen Sinne ist aber die Gesellschaft gerade nicht aufzufassen. Sie ist ein ontologisches Akzidenz, ein Akzidenz also, das aber im engsten Kontakt mit der Natur steht, von dieser sogar gefordert wird. Die Vollkommenheit einer einzelnen Person ist sicher ein Akzidenz, aber doch ebenso sicher nichts Beiläufiges, denn sie ist Ziel der Tätigkeit der menschlichen Substanz. Wohlergehen und Unglück sind Akzidenzien, aber es wird niemandem einfallen, deren Realität auch nur im geringsten zu leugnen. Das Gesellschaftliche besteht aber in nichts anderem als in der von allen Gliedern anzustrebenden und zu verwirklichenden Vollendung, sofern die vielen personalen Vollkommenheiten in der Mittel-Zielordnung miteinander verbunden sind. Diese Unterscheidung von logischem und ontologischem Akzidenz ist auch insofern wichtig, als nach realistischer Auffassung im Gegensatz zur individua­ listischen und kollektivistischen Sozialphilosophie das individuelle wie das gesell­ schaftliche Wesen der Menschennatur gleichursprünglichen Charakters ist, mithin keines von beiden ontologisch nur aus dem anderen abgeleitet oder nur auf das andere zurückgeführt werden kann. Die Gesellschaft als im Wesen des Menschen gründende Wirklichkeit besitzt demnach im Vergleich zum Sein des Individuums nicht nur ein sekundäres, abgeleitetes, ausschließlich auf das Individuum bezogenes, sondern ein eigenes, wenn auch nicht substantielles Sein. Mit dieser rein

248

Atomistisch-mechanistische Gcscllschaftsphilosophic

ontologischen Feststellung ist jedoch das eigentliche Wesen der Gesellschaft noch gar nicht berührt. Sie besagt zunächst nur, daß die Gesellschaft, da Eigen­ sein und Eigenwert stets einander bedingen, nicht von vornherein nur als Mittel oder Werkzeug im Dienste des Individuums verstanden und eingeschätzt werden darf. Sie stellt auf Grund ihrer eigenen Beschaffenheit und Bedeutung, also ihrer selbst wegen, einen Wert dar. Ihr Eigenwert liegt zunächst in ihrem Charakter als Ordnungseinheit. Es treten in ihr selbständige, selbstwertige und selbstverant­ wortliche Personen zueinander in Beziehung, in ein wechselseitiges Zuordnungs­ verhältnis. „Ordnungseinheit von Personen“ besagt wesentlich mehr als nur Vielheit, Masse oder nur gedanklich-fiktive Einheit. Ziehen wir ferner in Betracht, daß jedes Glied dieser Einheit mit freiem Willen begabt ist, der den Normen des Sittlichen und der persönlichen Verantwortung untersteht, und daß diese natur­ hafte Selbständigkeit innerhalb der Einheit durchaus gewahrt bleibt, dann ergibt sich daraus der sittliche Charakter der gesellschaftlichen Ordnungseinheit, ganz abgesehen davon, daß sie in einer nur ihr möglichen Weise die individualen Werte ergänzt und mit Hilfe sozialer Tugenden zur Vollentfaltung der Person bringt. Dem inhaltlich gefüllten Sinn der Gesellschaft kommt man aber nur bei, wenn man die Aufmerksamkeit auf die sittliche Normierung und inhaltliche Bestimmtheit der gesellschaftlichen Ordnungseinheit konzentriert. Sie ist nach realistischer Auffassung mit dem Gemeinwohl identisch, das der innere Bestimmungs­ grund der Gesellschaft ist und ihr das ihr eigene Wesensgepräge verleiht. Die analoge Sinnfülle des Gemeinwohlbegriffs tritt damit erneut in den Vordergrund. Wir haben sie bestimmt als die Gemeinsamkeit vieler Indi­ viduen in einem und demselben Wert, der in jedem jeweils verschieden verwirklicht ist. Aus dem Gesagten erhellt einigermaßen, daß Eigensein und Eigenwert der Gesellschaft nicht erfaßt werden, wenn man rein ontologisch vorgeht, d. h. nur von Substanz und Akzidenz und von der Tätigkeit spricht, die von der Substanz ausgelöst wird. In der Kausalordnung, in der sich die Neoliberalen ausschließlich bewegen, ist immer das Individuum zuerst; hier existiert nichts Gesellschaftliches. Vielmehr muß man die wesens- und naturgemäße Hinordnung jeder menschlichen Person auf den gleichen gemeinsamen Wert aller Mitmenschen ins Auge fassen, um überhaupt zu verstehen, daß die Gesellschaft die Vollendung aller bedeutet, sofern diese aufeinander bezogen sind. Mit dem Augenblick allerdings, da man die Ordnungseinheit der Gesellschaft im Sinne von Organisation begreift, wird man die Gesellschaft nur als reines Werk­ zeug der individuellen Vollkommenheit der vielen, voneinander als getrennt gedachten Substanzen begreifen können. In diesen Ontologismus hat sich offenbar F. A . Hayek verirrt, wenn er glaubt, „daß es keinen anderen Weg zum Verständnis

Zusammenfassung und Stellungnahme

249

der sozialen Erscheinung gibt als durch unser Verständnis des Handelns des einzelnen, das an seinen Nebenmenschen orientiert ist und von deren erwartetem Verhalten bestimmt wird“ (b 32f.). Wer nur im engen Raum der Unterschei­ dung zwischen Substanz und Akzidenz verbleibt und die allgemeinen personalen Werte nicht sieht, der wird mit W. Röpke (i 19) immer nur vom unendlichen Wert der einzelnen menschlichen Seele reden und die Gesellschaft als ein gewisses notwendiges Übel auffassen, wie es tatsächlich die Organisation zum Teil ist. Begreift man jedoch die Gesellschaft als ein Universale, das als solches die Indivi­ dualität miteinschließt, als eine Ordnungseinheit also, die die Substanzen, d. h. die Personen, umgreift, dann ist die Kontradistinktion zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Eigenwohl und Gesamtwohl nicht mehr möglich. Die Menschen sind die Gesellschaft. Rein kausal gesehen bilden sie eine Gesellschaft, insofern sie sich institutionalisieren. Nur dann steht diese Gesellschaft in Dienst­ funktion zum einzelnen. Die Organisation und Institution ist aber noch nicht die Gesellschaft, sondern vielmehr nur ein Mittel für die Realisierung des Gemein­ wohls (vgl. U t o 148). Ein typisches Beispiel für die rein ontologisch-kausale Bestimmung der Gesellschaft bietet M. Hättichy der vom personalen Sein (104), vom „personalen Charakter“, von der „Personalität“ (37), von der aus dem personalen Eigensein angeblich resultierenden Selbstbestimmung und Selbst­ verantwortung der Gemeinschaft (38) als einer „Realität personaler Zuordnung“ (37) spricht. Der Autor kennt nur die soziologische Relation, indem er von den existierenden Substanzen ausgeht, die aus freier Verantwortung zur Handlung schreiten. Die wichtige Frage: welches sind die Werte, die den einzelnen Ver­ antwortungsbereich inhaltlich umgrenzen, umgeht Hättich auf Grund seines mechanisch-additiven Gemeinwohlbegriffs, von dem schon die Rede war. Nur dann, wenn die Vervollkommnung des einzelnen als integrierender Faktor der Gesamtheit, also vom Gemeinwohl her begriffen wird, ist es möglich, die Gesellschaft „personal“ zu nennen. Ganyheitscharakter der Gesellschaft Als sittliche Ordnungseinheit ist die Gesellschaft zugleich ein Ordnungsganzes, dessen Wesensmerkmal darin besteht, daß selbständige Personen in ein gegen­ seitiges ZuordnungsVerhältnis gebracht werden, ohne deswegen ihre Wesens­ eigenart aufgeben zu müssen. Wo von einem Ganzen und seinen Teilen die Rede ist, wird sofort, vor allem wenn es sich bei diesen Teilen um selbstwertige Personen handelt, gemäß dem aristotelischen Axiom: „Das Ganze ist vor dem Teil“, die Vorrangfrage aktuell. Die Beantwortung dieser vieldiskutierten Frage bildet einen der Kreuzungspunkte, an dem sich die verschiedenen Gesellschaftsphilosophien

250

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

scheiden. Nach realistischer Auffassung liegt sie zwischen der kollektivistischen Überbetonung und der nominalistisch-individualistischen Aushöhlung des Ganzheitscharakters der Gesellschaft. Die neoliberale Gesellschaftsphilosophie sieht auf Grund ihres Nominalismus im Gesellschaftlichen nichts anderes als eine Beziehung von Individuum zu Indivi­ duum, wobei die Ganzheit eine rein begriffliche Fiktion darstellt, die sich aus der rationalen Zusammenfassung der vielen individuellen Beziehungseinheiten ergeben würde (vgl. das, was über den mechanistisch-additiven Gemeinwohl­ begriff im 4. Kap., 3b gesagt worden ist). Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft kann aus dieser Sicht heraus nur bestimmt werden, indem man sich ausschließlich mit der Beziehung zwischen Substanz und Akzidenz befaßt. Darum die typisch ontologische Orientierung der neoliberalen Sozialphilosophie. Es verrät unzweideutig den Neoliberalen, wenn z. B. L . Miksch erklärt, im geschichtlichen Ablauf sei die menschliche Person das Bleibende, die Gemein­ schaft dagegen das Veränderliche. Es ist klar, daß der Autor jeglichen Vorrang des Gemeinschaftlichen vor dem einzelnen als nachweisbar falsch ablehnen muß (d 40, 72). Es nützt auch wenig, wenn W. Röpke erklärt, die Gesellschaft beinhalte als Ganzes mehr als die Summe der Teile (i 28), solange er sich nicht zum realen Vorrang des Gemeinwohls vor dem Eigenwohl durchzuringen versteht. Wenn man im ontologischen Zusammenhang von handelndem Subjekt und Handlung verbleibt, kann das Individuum stets nur Anfang und Ende allen Sozialdenkens sein. Man gelangt dabei höchstens zur Auffassung des Individuums als Herdentier, das aus individuellem Instinkt das Zusammensein mit anderen pflegt. Das Problem der gesellschaftlichen Ganzheit ist nur vom Auftrag, also von einer ethischen Konzeption her erfaßbar. Wer nicht in die sittliche Wertwelt vordringt, die dem Menschen im Hinblick auf seine Vollendung aufgetragen ist, hat nicht einmal an die Oberfläche der Gesellschaft gerührt. Offenbar ist es für den Neo­ liberalen schwer, sich eine gemeinsame Wertwelt vorzustellen, in der die perso­ nalen Werte aller miteingeschlossen sind. Wie kann man aber von dieser Sicht her noch den Vorrang des Gemein wohl wertes gegenüber dem Einzelwohl bestreiten? Es erübrigen sich hier weitere Worte, da am Schluß des 4. Kap. genügend von der analogen Sinnfülle des Gemeinwohls die Rede war. Die Gesellschaft ist jene Wirklichkeit im Menschen, die von diesen gemeinsamen sittlichen Werten geprägt ist. Sie ist darum nicht nur vorgängig vor dem Individuum, sondern auch zugleich die umfassende Wirklichkeit. Dabei verlieren wir uns in keiner Weise in einen träumerischen Universalismus, da es sich hierbei nicht um ein Allgemeines handelt, das die Individualität absorbiert, sondern vielmehr als solche bestehen läßt, ja sogar unterstreicht.

Zusammenfassung und Stellungnahme

251

Die Neoliberalen werden hier natürlich fragen, ob diese Gesellschaftsphilosophie sich anders verwirklichen lasse als durch einen ebenso abzulehnenden Kollekti­ vismus. Gerade diese Supposition beweist das große Mißverständnis. Die Gesell­ schaft, die sich als die in allen Menschen grundgelegte sittliche Ausrichtung auf einen gemeinsamen Wert definieren läßt, ist als sittliche Beziehungseinheit nicht durch sich selbst schon Wirklichkeit wie eine Substanz, sondern verdankt ihre Verwirklichung dem Einsatz der Wirkkräfte der vielen Individuen. Man wird also in der Konkretisierung des sittlichen Auftrags, der die Menschen erstmalig und grundsätzlich zur Gesellschaft konstituiert, wohl oder übel auf die tatsächliche Verhaltensweise der Gesellschaftsglieder Rücksicht nehmen müssen, wenn man nicht utopisch oder diktatorisch sein will. Und hier, aber erst hier, kommt das auf das Individuum konzentrierte Denken der Neoliberalen zum Zuge. Der konkret realistische Blick erkennt, daß tatsächlich der einzelne Mensch besser und leichter sein Eigenwohl als das Gemeinwohl sucht. Das besagt aber nicht, daß wir das Gemeinschaftsziel von den Aktionen der einzelnen her bestimmen. Wir stellen vielmehr nur fest, daß sich die Verwirklichungsmöglichkeit des höchsten Gemein­ wohles und Gesellschaftszieles auf Grund der individuellen Einstellung der Gesellschaftsglieder begrenzt. Damit ist aber die Grundwahrheit nicht aufgehoben, daß dem Gemeinwohl der Vorrang vor dem Eigen wohl gebührt. Die Unhaltbar­ keit des Rechtsmonismus individualistischer und kollektivistischer Prägung, der alle Gemeinschaftsrechte aus den Individualrechten bzw. alle Individualrechte vom Gemeinschaftsrecht abzuleiten sucht, ergibt sich aus dem Gesagten von selbst. Analogie des teleologischen Organismusgedankens Die begrifflich saubere Unterscheidung zwischen „ontologisch“ und „teleo­ logisch“ ist für die organische Gesellschaftsauffassung, die von den Neoliberalen rundweg abgelehnt wird, grundlegend. Zugegeben, daß der Organismusbegriff der biologischen Ordnung, der Ordnung der effizienten Kausalzusammenhänge und Funktionen angehört, die Gesellschaft aber entgegen der Hegel9sehen Auf­ fassung weder im seinshaften noch im physischen Bereich als Organismus mit einem substanzhaften Lebensprinzip oder als platonischer Supraorganismus mit eigener Substistenz angesprochen werden darf, so bringt doch der Organis­ musgedanke unter einem anderen, nämlich dem analogen Betracht, ein wesentliches Element des gesellschaftlichen Zusammenhalts zum Ausdruck: die Einheit in wohlgegliederter Vielheit, das Verhältnis wechselseitiger Zuordnung, Bezogenheit und Verbundenheit beider: der einzelnen Gesellschaftsglieder und des Gesell­ schaftsganzen (W b Pol V, 365). Zwischen dem physischen und gesellschaftlichen Organismus besteht insofern eine echte Analogiey eine innere, wesenhafte

252

Atomistisch-mechanistlsche Gesellschaftsphilosophie

Ähnlichkeit, als die Zweckursache als eigenes Tätigkeitsprinzip der Gesellschaft die vielfältigen innergesellschaftlichen Teilfunktionen zum Dienst am Ganzen zusammenfaßt und eint. Die Gesellschaftsidee, im Sinne der teleologischen Ganzheit und als geistiger Organismus begriffen, meidet den Irrtum Hegels und Spanns ebenso wie das individualistisch-mechanistische Extrem der neoliberalen Gesellschaftslehre, die im Grunde die gesellschaftliche Einheit nur als das automatisch-gleichgewichtige Ergebnis des Spiels der individuellen Kräfte und Interessen begreift (vgl. Ut%, o 45f.; Welty, d I, 86). Die Gesellschaft stellt also nach realistischem Verständnis eine dauernde, bewußt gewollte überindivi­ duelle Beziehungseinheit und Verbundenheit dar, die durch die wesenhafte, aus der Wirklichkeit der menschlichen Natur sich ergebende und darum sittlich aufgetragene Teilnahme an der gegenseitigen Ergänzung zur „menschlichen Vollexistenz“ {Messner, j 113) teleologisch beinhaltet wird. 2) Gesellschaft als hierarchisch-föderalistischer Pluralismus Da die verschiedenen Zwecke, die der gesellschaftlichen Kooperation zur Reali­ sierung der vollmenschlichen Integration zugrunde liegen, sich in einer Vielheit von Gesellschaftsbildungen aus wirken, stellt die Gesellschaft als Ganzes einen sozialen Pluralismus, einen Organismus von Organismen, eine Hierarchie kleinerer Gemeinschaften dar, die sich als gesellschaftliche Faktoren unter Beibehaltung ihrer relativen Autonomie „föderativ“ zu einem größeren Ganzen vereinigen. Die beiden Tatsachen: die Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Funktionen, die durch die verschiedenen gesellschaftlichen Zwecke bedingt ist, ferner der daraus resultierende Pluralismus des Rechtes, dem eine relative, körper­ schaftlich-rechtliche Selbständigkeit zum Handeln entspricht, bilden im Grunde die ideologische Basis für das leistungsgemeinschaftliche und subsidiäre Ordnungs­ wollen der realistischen Sozialphilosophie (vgl. Messner, j 125, 148, 182ff.). Das Für und Wider der berufsständischen Idee, über das bereits eine reichhaltige Literatur existiert, im Rahmen dieser Arbeit bis ins einzelne abhandeln zu wollen, würde zu weit führen. Im folgenden soll daher das berufsständische Anliegen der katholischen Soziallehre nur kurz zusammengefaßt werden. Es wird sich zeigen, daß die neoliberale Antithese weitgehend am Verständnis der Sache und am gestellten Problem vorbeigeht. Der gesellschaftspolitische Ausgangspunkt der berufsständischen Ordnung Das berufsständische Ordnungswollen der Enzyklika Quadragesimo anno richtet sich auf den heute gegebenen Zustand der kapitalistischen Klassengesellschaft, der durch eine zweifache Monopolisierung gekennzeichnet ist: durch das bilaterale

Zusammenfassung und Stellungnahme

253

Monopol der kämpfenden Arbeitsmarkt-Parteien und durch das positivistische Rechtsmonopol des liberalen Rechtsstaates. Die moderne Gesellschaft ist zunächst eine um den Arbeitsmarkt zentrierte Gesellschaft. Der Arbeitsmarkt selbst, auf dem sich die beiden gesellschaftlichen Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer als machtmäßig organisierte Arbeitsmarkt-Parteien im Interessenstreit gegenüber­ treten, ist vermachtet. Er bedingt als solcher eine vermachtete, politisierte Wirtschaft, die aus dem bilateralen Monopol der kämpfenden ArbeitsmarktParteien keinen anderen Ausweg kennt als die Flucht in den „politischen“, d. h. hier: den manipulierten Lohn, der nicht als Ergebnis der marktmechanischen Leistungsäquivalenz gewertet werden kann. Was O. Veit an der berufsständischen Konzeption befürchtet und grundsätzlich ablehnt, daß nämlich der Staat in bestimmten unlösbaren Streitfällen als oberste Schlichtungsinstanz faktisch zum Vollstrecker einseitiger Marktinteressen gemacht wird, nachdem die Konkur­ renten die Richtung des Staatseingriffes bestimmt haben (d 272), ist innerhalb der liberal-kapitalistischen Klassengesellschaft der Gegenwart Wirklichkeit. Der Staat muß sich gegebenenfalls, wie O. v. Nell-Breuning bemerkt, die Aufgabe zuschieben lassen, den streitenden Marktparteien, z. B. in der entscheidenden Lohnfrage, diejenige Lösung ihres Konflikts aufzunötigen, die sich aus ihrem Kräfteverhältnis ergibt und die sie aus Prestigegründen glauben von sich aus nicht annehmen zu dürfen (a 243, 274, 286), eine Tatsache, die auf neoliberaler Seite stillschweigend in Kauf genommen wird. Nach realistischer Auffassung ist weder das Monopolproblem als solches zu lösen noch eine grundlegende Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft zu realisieren, wenn im Mittelpunkt der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft der vermachtete Arbeitsmarkt bestehen bleibt. Die entscheidende Frage, wie dieser unhaltbare Zustand zu beseitigen ist, beantwortet die christliche Soziallehre mit der Forderung nach einer gesellschaftlichen Umgruppierung auf weite Sicht, wobei die mecha­ nische Gesellschaftsschichtung auf Grund des Besitzes durch eine echte und natürliche Gliederung nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Funktion zu ersetzen ist. Die intendierte gesellschaftliche Entmachtung hat nach O. v. NellBreuning die Aufgabe, die Entmarktung des an sich unnatürlichen Arbeitsmarktes, ferner die Herstellung echter Märkte mit Hilfe des funktionsfähigen Wettbewerbs zu realisieren (a 283, 243, 276). Die Notwendigkeit der berufsständischen Ordnung wird also bewußt auf der ordnungspolitischen Ebene gesehen. Das will heißen: In Zukunft soll mit Hilfe wirtschaftlicher und außerwirtschaftlicher körperschaftlicher Leistungsgemein­ schaften das Zusammenwirken aller Gesellschaftsglieder auf die Verwirklichung des autoritativ interpretierten Gemeinwohls, das die Funktionen der einzelnen wie der Gruppen beinhaltet und begrenzt, konzentriert und institutionell

252

Atomistisch-mechanistlsche Gesellschftftsphilosophie

Ähnlichkeit, als die Zweckursache als eigenes Tätigkeitsprinzip der Gesellschaft die vielfältigen innergesellschaftlichen Teilfunktionen zum Dienst am Ganzen zusammenfaßt und eint. Die Gesellschaftsidee, im Sinne der teleologischen Ganzheit und als geistiger Organismus begriffen, meidet den Irrtum Hegels und Spanns ebenso wie das individualistisch-mechanistische Extrem der neoliberalen Gesellschaftslehre, die im Grunde die gesellschaftliche Einheit nur als das automatisch-gleichgewichtige Ergebnis des Spiels der individuellen Kräfte und Interessen begreift (vgl. Ut%, o 45 f.; Welty, d I, 86). Die Gesellschaft stellt also nach realistischem Verständnis eine dauernde, bewußt gewollte überindivi­ duelle Beziehungseinheit und Verbundenheit dar, die durch die wesenhafte, aus der Wirklichkeit der menschlichen Natur sich ergebende und darum sittlich aufgetragene Teilnahme an der gegenseitigen Ergänzung zur „menschlichen Vollexistenz“ {Messner, j 113) teleologisch beinhaltet wird. 2) Gesellschaft als hierarchisch-föderalistischer Pluralismus Da die verschiedenen Zwecke, die der gesellschaftlichen Kooperation zur Reali­ sierung der vollmenschlichen Integration zugrunde liegen, sich in einer Vielheit von Gesellschaftsbildungen aus wirken, stellt die Gesellschaft als Ganzes einen sozialen Pluralismus, einen Organismus von Organismen, eine Hierarchie kleinerer Gemeinschaften dar, die sich als gesellschaftliche Faktoren unter Beibehaltung ihrer relativen Autonomie „föderativ“ zu einem größeren Ganzen vereinigen. Die beiden Tatsachen: die Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Funktionen, die durch die verschiedenen gesellschaftlichen Zwecke bedingt ist, ferner der daraus resultierende Pluralismus des Rechtes, dem eine relative, körper­ schaftlich-rechtliche Selbständigkeit zum Handeln entspricht, bilden im Grunde die ideologische Basis für das leistungsgemeinschaftliche und subsidiäre Ordnungs­ wollen der realistischen Sozialphilosophie (vgl. Messner, j 125, 148, 182ff.). Das Für und Wider der berufsständischen Idee, über das bereits eine reichhaltige Literatur existiert, im Rahmen dieser Arbeit bis ins einzelne abhandeln zu wollen, würde zu weit führen. Im folgenden soll daher das berufsständische Anliegen der katholischen Soziallehre nur kurz zusammengefaßt werden. Es wird sich zeigen, daß die neoliberale Antithese weitgehend am Verständnis der Sache und am gestellten Problem vorbeigeht. Der gesellschaftspolitische Ausgangspunkt der berufsständischen Ordnung Das berufsständische Ordnungswollen der Enzyklika Quadragesimo anno richtet sich auf den heute gegebenen Zustand der kapitalistischen Klassengesellschaft, der durch eine zweifache Monopolisierung gekennzeichnet ist: durch das bilaterale

Zusammenfassung und Stellungnahme

253

Monopol der kämpfenden Arbeitsmarkt-Parteien und durch das positivistische Rechtsmonopol des liberalen Rechtsstaates. Die moderne Gesellschaft ist zunächst eine um den Arbeitsmarkt zentrierte Gesellschaft. Der Arbeitsmarkt selbst, auf dem sich die beiden gesellschaftlichen Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer als machtmäßig organisierte Arbeitsmarkt-Parteien im Interessenstreit gegenüber­ treten, ist vermachtet. Er bedingt als solcher eine vermachtete, politisierte Wirtschaft, die aus dem bilateralen Monopol der kämpfenden ArbeitsmarktParteien keinen anderen Ausweg kennt als die Flucht in den „politischen“, d. h. hier: den manipulierten Lohn, der nicht als Ergebnis der marktmechanischen Leistungsäquivalenz gewertet werden kann. Was O. Veit an der berufsständischen Konzeption befürchtet und grundsätzlich ablehnt, daß nämlich der Staat in bestimmten unlösbaren Streitfällen als oberste Schlichtungsinstanz faktisch zum Vollstrecker einseitiger Marktinteressen gemacht wird, nachdem die Konkur­ renten die Richtung des Staatseingriffes bestimmt haben (d 272), ist innerhalb der liberal-kapitalistischen Klassengesellschaft der Gegenwart Wirklichkeit. Der Staat muß sich gegebenenfalls, wie O. v. Nell-Breuning bemerkt, die Aufgabe zuschieben lassen, den streitenden Marktparteien, z. B. in der entscheidenden Lohnfrage, diejenige Lösung ihres Konflikts aufzunötigen, die sich aus ihrem Kräfteverhältnis ergibt und die sie aus Prestigegründen glauben von sich aus nicht annehmen zu dürfen (a 243, 274, 286), eine Tatsache, die auf neoliberaler Seite stillschweigend in Kauf genommen wird. Nach realistischer Auffassung ist weder das Monopolproblem als solches zu lösen noch eine grundlegende Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft zu realisieren, wenn im Mittelpunkt der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft der vermachtete Arbeitsmarkt bestehen bleibt. Die entscheidende Frage, wie dieser unhaltbare Zustand zu beseitigen ist, beantwortet die christliche Soziallehre mit der Forderung nach einer gesellschaftlichen Umgruppierung auf weite Sicht, wobei die mecha­ nische Gesellschaftsschichtung auf Grund des Besitzes durch eine echte und natürliche Gliederung nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Funktion zu ersetzen ist. Die intendierte gesellschaftliche Entmachtung hat nach O. v. NellBreuning die Aufgabe, die Entmarktung des an sich unnatürlichen Arbeitsmarktes, ferner die Herstellung echter Märkte mit Hilfe des funktionsfähigen Wettbewerbs zu realisieren (a 283, 243, 276). Die Notwendigkeit der berufsständischen Ordnung wird also bewußt auf der ordnungspolitischen Ebene gesehen. Das will heißen: In Zukunft soll mit Hilfe wirtschaftlicher und außerwirtschaftlicher körperschaftlicher Leistungsgemein­ schaften das Zusammenwirken aller Gesellschaftsglieder auf die Verwirklichung des autoritativ interpretierten Gemeinwohls, das die Funktionen der einzelnen wie der Gruppen beinhaltet und begrenzt, konzentriert und institutionell

254

Atomistisch-mcchanistischc Gesellschaftsphüosophie

gesichert werden. Bestimmend ist hier die realistische Auffassung, daß allgemein im gesellschaftlichen Bereich und speziell im Bereich der Wirtschaftsgesellschaft eine Fülle von wirtschafts- und sozialpolitischen Aufgaben zu meistern ist, die sich nicht allein mit der vom Staat getroffenen Wahl der jeweiligen WirtschaftsVer­ fassung, mit formalen Rechtsregeln und marktpolizeilichen Maßnahmen erledigen lassen. Die neoliberale Antithese hingegen liegt inhaltlich nicht auf der ordnungs­ politischen Ebene, wo die Wirtschaft bewußt als Sozialprozeß begriffen wird, sondern auf dem Abstraktionsgrad der ausgesprochen modelltheoretisch-katallaktischen Betrachtung. Diese zentriert sich um den Marktmechanismus, d. h. um die „natürliche Ordnung“ der vollständigen Konkurrenz, um den Preisautoma­ tismus nach Maßgabe der Knappheitsrelationen, um die wettbewerbsautomatische Integration des Gesamtwohles. Sie läßt naturgemäß für gesellschaftliche Ord­ nungspotenzen nichts Wesentliches zu tun übrig. Insbesondere ist es K. P. Hensel, der in seiner Auseinandersetzung mit der katholischen Soziallehre die Verschie­ denheit der beiden Abstraktionsgrade nicht beachtet (247 f.). Hier bricht not­ wendig auch die Diskussion mit M. Hättich ab. In bemerkenswerter Inkonsequenz zu seinen gesellschaftstheoretischen Spekulationen vertritt er im wirtschaftlichen Bereich nicht nur den kausal-mechanischen Ordo-Begriff, er versucht darüber hinaus, wie später noch deutlicher gezeigt wird, von der Basis seiner vorgefaßten neoliberalen Wirtschaftsauffassung her die Terminologie der Sozialenzykliken mit neoliberalem Inhalt zu füllen bzw. ihren eigentlichen Sinngehalt auf die neoliberale Zielsetzung hin umzubiegen. „Ordnung der Wirtschaftsgesellschaft“ ist für Hättich identisch mit der konsequenten Realisierung der Marktwirtschaft (187) und „Ordnung des Marktes“ dasselbe wie „Herbeiführung und Erhaltung der Wettbewerbsordnung“ (130f.). Auch „von der obersten Norm der Gerechtigkeit her“ gibt es für ihn „nur die Entscheidung für das Organisationsprinzip des Wettbewerbs“ (173f.). Wer Modellerkenntnisse auf den Wirtschaftsalltag über­ trägt und auf der Basis des staatlich „veranstalteten“ Wettbewerbs an die „unsicht­ bare Hand“, an eine neue Harmonie auf Grund preisautomatischer Koordination glaubt, für den ist selbstverständlich die ordnungspolitische Bedeutung der Berufsstände völlig gegenstandslos und nicht zu begründen. Wer hingegen mit der Sozialenzyklika die Überzeugung teilt, daß es im Wirtschaftsalltag keinen Automatismus gibt, sondern statt dessen individuelle Zielsetzungen, also „Politik“, sei es im mißbräuchlichen Sinne als marktstrategische Machtpolitik oder im ursprünglichen Sinn als nähere Beinhaltung und Realisierung der gemeinsam zu lösenden Wirtschaftsaufgabe, für den ist, wie O. v. Nell-Breuning zu Recht betont, die Frage nach sachkundigen und gemeinnützigen gesellschaftlichen Ordnungs­ potenzen ein dringendes Problem (a 279).

Zusammenfassung und Stellungnahme

255

Historische Zerrbilder der ständischen Idee Die neoliberale Polemik, die das von der Sozialenzyklika in den Vordergrund gerückte Ordnungsproblem im Grunde als marktautomatisch und daher optimal gelöst betrachtet, sieht grundsätzlich im berufsständischen Ordnungswollen, so weit es wirtschaftspolitische Probleme berührt, eine ernst zu nehmende Gefahr. Diese Auffassung findet in der Tat ihre Bestätigung in den Zerrbildern der berufsständischen Idee, mit denen sich die neoliberale Kritik ausschließlich befaßt und zugleich das berufsständische Ordnungswollen identifiziert. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die ständestaatliche Mißdeutung, um die Furcht vor öffentlich-rechtlich sanktioniertem, kartellistischem Gruppenegois­ mus, um die weitverbreitete Verwechslung mit der mittelalterlichen, entarteten Zunft, um das paritätisch-syndikalistische Mißverständnis im Sinne eines Korpo­ rativismus, um die zentralistisch-plan wirtschaftliche Interpretation (vgl. v. Nell-Br.y a 234 ff.), wie sie insgesamt z. B. bei W. Eucken (h 145 ff.), W'. Röpke (i 130; b 147f., 149; c 44), K. P. Hensel (247f., 250 f., 252f., 254f., 258ff), Ά . Müller-Armack (k 77f.) und Λ . Rüstotv (1 55) anzutreffen sind. W. Röpke räumt zwar ein, daß bei näherem Zusehen von den genannten Miß­ deutungen in der Sozialenzyklika nichts zu finden sei, ja daß ihr Verfasser sich zum Teil ausdrücklich von ihnen distanziert, trotzdem ist festzuhalten, daß auch Röpke das eigentliche Anliegen der Enzyklika nicht trifft. Seinem Erklärungs­ versuch liegt die paritätische Umdeutung der ständischen Idee zugrunde, die auf die Verwechslung von Berufsgemeinschaft und Berufsstand zurückgeht und die Funktion der Leistungsgemeinschaft im sozialpolitischen Beziehungsaus­ gleich zwischen den beiden Arbeitsmarkt-Parteien erschöpft sieht (e 325; c 44; vgl. v. Nell-Br.y a 296 ff.). Röpke erweist sich in seiner Stellungnahme zu Quadra­ gesimo anno als Eklektiker. Was seinen eigenen neoliberalen Ideen konform ist, erkennt er an, was ihnen widerspricht, übersieht er, z. B. die These, daß der Wettbewerb unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein könne (QA. Nr. 88). Um das Grundanliegen dieses Rundschreibens voll begreifen zu können, genügt es nicht, nur dieses „unvoreingenommen“ durchzulesen. Wer die ideelle Gedankenführung Pius X I. über Rerum novarum hinaus bis zur Enzyklika Libertas aus dem Jahre 1888 zurückverfolgt (vgl. Schmidy 53 f.), dem leuchtet ein, daß es dem Lehramt letztlich nicht darum ging, wie Röpke meint, das Prinzip der Marktwirtschaft und damit unsere Gesellschaftsordnung überhaupt vor dem um sich fressenden Kollektivismus zu retten (e 326), das gesellschaftliche Problem also von der institutionell gesicherten Marktfreiheit her zu lösen. Im Gegensatz zur neoliberalen Konzeption vertritt die Enzyklika den Standpunkt, daß umge­ kehrt die leistungsgemeinschaftliche Durchstrukturierung der atomisierten

256

Atomisdsch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

Wirtschaftsgesellschaft die Grundlagen für eine entmachtete, funktionsfähige Markt- und Wettbewerbswirtschaft zu sichern hat, daß die erforderliche Humani­ sierung der zwischenmenschlichen Beziehungen primär durch körperschaftlich­ institutionelle, solidarische Gemeinschaftsverbundenheit und Gemeinschafts­ leistung, nicht aber im Geiste der als Höchstwert gepriesenen individualistischen Freiheit zu realisieren ist. Ständeidee und Subsidiariiätspriwyp Die gesellschaftspolitische Grundeinstellung der Enzyklika Quadragesimo anno findet ihre systematisch sozialphilosophische Begründung in der Lehre vom Subsidiaritätsprin^ipy das als oberstes Prinzip für die Gestaltung des sozialen Lebens herausgestellt wird (QA. Nr. 79). Nach Auffassung W. Euckens ist eine Kombination zwischen dem Subsidiaritätsprinzip und dem Ständeprinzip unmöglich. Die katholische Kirche sei daher vor die klare Entscheidung zwischen beiden Prinzipien gestellt, die nur zugunsten der Wettbewerbsordnung ausfallen könne, da diese auf jeden Fall die einzige Ordnung sei, in der das Subsidiaritäts­ prinzip voll zur Geltung komme (h 348). Nach K. P . Hensel besteht zwischen der Wettbewerbswirtschaft und dem Subsidiaritätsprinzip ein „Bedingungsver­ hältnis“. Die Wettbewerbswirtschaft charakterisiere das genannte Prinzip gerade­ zu am besten, denn allein der Marktmechanismus mache die arbeitsteilige Ver­ kehrswirtschaft als eine freie Wirtschaftsweise überhaupt erst möglich, während die Tätigkeit des Staates auf allgemeine Ordnungsaufgaben beschränkt bleiben könne. Die Entscheidung für das Subsidiaritätsprinzip schließe daher nicht nur eine Entscheidung für die Verkehrs Wirtschaft, sondern mit dieser auch die Anerkennung des Wettbewerbs als deren systementsprechendes Ordnungs­ prinzip ein. Den inneren Widerspruch des naturrechtlichen Subsidiaritätsprinzips und der berufsständischen Ordnung, die Hensel auf das natürliche Recht der Vereinigungsfreiheit zurückführt, glaubt er durch die alternative Überlegung nach weisen zu können: entweder die erforderliche Subsidiarität der Staatstätigkeit steht dem Gruppenegoismus der Berufsstände völlig ohnmächtig gegenüber und dann ist sie illusorisch; oder aber der starke Staat verstößt im Falle der Unter­ werfung und Entmachtung der Berufsstände gegen das Prinzip ihrer Eigen­ ständigkeit. Hensel leitet also seine negative Einstellung zur berufsständischen Idee nicht etwa von einer sachlichen Prüfung ihres sozialphilosophischen Gehaltes und ihrer gesellschaftspolitischen Berechtigung bzw. Notwendigkeit, sondern statt dessen von ihrem möglichen Mißbrauch ab. Seine auf irrealen Vorausset­ zungen basierende Argumentation verliert damit ihre Beweiskraft (239, 250, 262, 238, 258ff.). Sie ist nur insofern von Interesse, als sie von dem angeblichen

Zusammenfassung und Stellungnahme

257

Bedingungsverhältnis zwischen Wettbewerbs- und Subsidiaritätsprinzip auf die für neoliberales Denken typische einseitige Beinhaltung des Subsidiaritätsprinzips als individualistisches Freiheitsprinzip schließen läßt. 3) So^ialpbilosophische Beinhaltung des Subsidiaritätsprin^ips Der soziologische Hintergrund des modernen Gesellschaftsdenkens Die eben angedeutete zu enge Auslegung liegt bei oberflächlicher Betrachtung der subsidiären Grundkonzeption, wie sie von Quadragesimo anno formuliert wird, in der Tat nahe. Zunächst ist hervorzuheben, daß es sich beim Subsidiaritäts­ prinzip als einem Freiheitsprinzip seiner Form und seinem Inhalt nach um ein „modernes“ Strukturprinzip handelt, das als sozialphilosophische Reaktion auf die ideologische und soziologische Umwälzung innerhalb der modernen Gesell­ schaft zu verstehen ist. Wie bereits ausführlich dargelegt wurde, ist die ideologische Situation der Neuzeit gekennzeichnet durch den tiefen Einbruch des indivi­ dualistischen Denkens mit seiner liberal-humanistischen Persönlichkeits-, Freiheits- und Rechtsauffassung und der daraus resultierenden Säkularisierung der gesamten Lebens- und Kulturauffassung. Da der moderne, weltanschaulich zerklüftete Staat weder eine einheitlich verpflichtende Ethik noch eine bewußt christliche Normierung seiner faktischen Politik akzeptiert, kann er, wie W’. Eucken, W’. Röpke und F. Böhm mit dem Blick auf die jüngsten geschichtlichen Ereignisse betonen, nicht mehr ohne weiteres als uneigen­ nütziger Vater seiner Bürger, als wohlwollender Garant und Sachwalter des richtig verstandenen universellen Gemeinwohls betrachtet werden. Die soziologische Situation der gegenwärtigen Kulturepoche ist also durch die berechtigte Abwehrstellung des Individuums gegen die kollektivistische Bedrohung charakterisiert. Verschiedene soziologische Gegebenheiten, die durch die moderne Freiheits­ ideologie inspiriert sind, tragen diesem Sachverhalt Rechnung. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der grundlegende Wandel in der Gemeinwohlauffassung. Da die grundsätzliche Orientierung an einem durch die gemeinsame menschliche Natur vorgegebenen Gemeinwohl im nominalistischen Denken untergegangen ist, eine maßgebliche Autorität für die objektiv-authentische Interpretation des Gemein­ wohls zudem nicht mehr anerkannt wird, bleibt nichts anderes übrig, als die Gemeinwohl- und Gesellschaftsordnung im Sinne der positivistischen Kontrakt­ theorie nach Maßgabe der faktischen freien Willensbildung aller einzelnen aufzu­ bauen. Den Ausgangspunkt aller gesellschaftsphilosophischen Spekulationen bildet das Individuum als vorgemeinschaftliches Wesen und Träger vorstaatlicher

258

Atomistisch-mechanistische Gescllschaftsphilosophic

Rechte. Die Gemeinwohlgerechtigkeit selbst wird als rein privatrechtliche Koordinierung der vielen in der Gesellschaft geeinten Individuen begriflen. Die neuzeitliche Auffassung der Menschenrechte, die ausschlaggebende Bedeutung des individuellen Wertempfindens für die Rechtsfindung im Rahmen des ausge­ prägten Rechtsstaats-Denkens, die Verkehrsgerechtigkeit als Prinzip und Aufbau­ gesetz der gesellschaftlich-sozialen Ordnung, die Tatsache endlich, daß in der modernen Formulierung der Gewissensfreiheit (bzgl. der Kriegsdienstverweige­ rung) die Verantwortung für das Gemeinwohl bzw. die Bestimmung des jeweiligen individuellen Beitrags an die Gemeinschaft der Urteilsfähigkeit und Bereitschaft des Individuums überantwortet wird, sind als Symptome für die umwälzende ideengeschichtliche Entwicklung des Gemeinwohlbegriffes zu werten. Sie zentriert sich um die Tatsache, daß in der modernen Gesellschaftsphilosophie das Ideal-Ethische zugunsten des Privatrechtlichen zurückgedrängt worden ist (vgl. U t^ g 7ff., 15f.; h 113f., o 290fi.; i 566ff.). Subsidiarität als Grundgesetz der sozialen Zuständigkeitsordnung Dieser ideologische Wandel hat auch in der naturrechtlichen, die jeweils gegebene soziologische Verfassung der Gesellschaft berücksichtigenden Sozialphilosophie seinen entsprechenden Niederschlag gefunden und zwar in der Doktrin des Subsidiaritätsprinzips, die als solche erstmals vonjQuadragesimo anno klar formuliert wurde. Ihre wesentliche Grundtendenz konkretisiert sich in der Hochachtung vor der kollektivistisch bedrohten Würde der Einzelperson und den ihr eigenen Kräften, Zuständigkeiten und Rechten. Das Subsidiaritätsprinzip zeugt dafür, daß die Integration und Vitalität der menschlichen Person aus der Betätigung ihrer Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit resultieren. Der Einzelmensch und die einzelnen Gesellschaftsgebilde werden als vorstaatliche, mit eigenen Rechten ausgestattete Rechtsträger begriffen, deren Zuständigkeit sich ebenso auf die privaten Angelegenheiten wie auf die Verantwortung gegen­ über dem Gesamtwohl erstreckt. Die erforderliche Einordnung in das Ganze der gesellschaftlichen Kooperation wird zunächst der Urteilsfähigkeit und dem Verant­ wortungsbewußtsein der vielen einzelnen oder der autonomen Gesellschafts­ gebilde überlassen. Den umfassenderen Gesellschaftsgruppen wie auch dem Staat wird nur ein bedingtes Eingriffsrecht zugestanden, das erst dann in Kraft tritt, wenn das untergeordnete Gesellschaftsglied, trotz vorausgegangener Hilfe­ leistung zur Hebung und Förderung der individuellen Eigenkräfte, die gestellte Aufgabe von sich aus zu bewältigen nicht in der Lage ist. Die gesellschaftliche Autorität fungiert demnach nicht mehr wie in der ethischen Gesellschaftsauffassung der alten thomistischen Philosophie als das wesensnotwendige Gestaltprinzip des

Zusammenfassung und Stellungnahme

259

Gemeinwohls, sondern im Grunde nur noch als gelegentliche „Zwangs- oder Riegelinstitution“ zur Sicherung des Gesamtinteresses. Aus all dem ist ersichtlich, daß es sich bei der Subsidiarität grundsätzlich um ein Rechtsverhältnis handelt, das naturrechtlich begründet ist und die natürlich-hierarchische Ordnung bzw. Streuung der Zuständigkeiten zu sozialen Handlungen zum Inhalt hat (vgl. Ut%, g 8f., 12f., 15f. ; o 278). Forciert man nun die in der Subsidiarität offenkundige Vorrangstellung des Individualprinzips einerseits und die geforderte Nur-Hilfeleistungsfunktion des Staates andererseits, dann scheint alles dafür zu sprechen, daß es sich beim Subsidiaritätsprinzip im Grunde um ein ausgesprochen individualistisch-personalistisches Freiheitsprinzip zum Schutze des autonomen Individuums und seiner selbstgesetzten Zwecke handelt. Wie bereits vorausgeschickt wurde, herrscht diese Auffassung auf neoliberaler Seite vor, z. B. bei W. Eucken (h 348) und A . Rüstow (n 5). Die Interpretation des Subsidiaritätsprinzips hat hier eine betont negative Note, insofern das Gebot der Nur-Subsidiarität ausschließlich als Gebot der gesellschaftlichen und staatlichen Zurückhaltung gegenüber der Souveränität des Individuums und als Postulat der bewußten Nichteinmischung in den Funkti­ onsablauf des freiheitlichen Marktverhaltens begriffen wird. Ganz deutlich kommt diese Sicht bei K. P . Hensel zum Ausdruck (237f.). Ebenso wie der Wettbewerb als freiheitliches Ordnungsprinzip das Eingriffsrecht des Staates lediglich auf die ordnungspolitische Gewährleistung der preisautomatischen Funktionsfähigkeit beschränkt und nur in dieser Form erträgt, wird auch von der Ordnungsfunktion des Subsidiaritätsprinzips auf Grund des Entsprechungsverhältnisses, das nach Hensel zwischen beiden Prinzipien besteht, eigentlich nur die Gewährleistung der individuellen Freiheit als automatischer Ordnungspotenz durch Ausschaltung jeglicher Fremdeinmischung erwartet. Subsidiarität besagt nur noch ein Nichttun, bewußte Enthaltung seitens der gesellschaftlichen Autorität, nur Abgrenzung und Abwehr von unten nach oben zum Schutze der einzelnen und der kleineren Lebenskreise wie der Familie, der politischen Gemeinde usw. M. Hättich betont zwar, das Subsidiaritätsprinzip sei nicht nur das Prinzip der Freiheit, sondern auch das der gesellschaftlichen Verantwortung (39), vertritt aber in Wirklichkeit die individualistische Interpretation des Prinzips. Die Übereinstimmung des marktwirtschaftlichen Modells und der Wettbewerbsordnung mit dem Prinzip der Subsidiarität ist für ihn ausgemachte Sache (135, 186 f.), im Grunde deshalb, weü er das fragliche Prinzip nur als ein freiheitliches Koordinationsprinzip (104) gelten läßt. Es verträgt ebensowenig wie der Markt- und Wettbewerbsmechanis­ mus einen Eingriff von oben bzw. beschränkt die gesellschaftliche Verantwortung nur auf die Veranstaltung des Wettbewerbs. Die ideologische Fundierung dieser individualistisch verengten Konzeption im neoliberalen Freiheitspathos und in

260

Atomisüsch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

der dementsprechenden mechanisch- additiven Gemeinwohltheorie liegt auf der Hand. Daß auf Grund dieser Problemsicht das Grundanliegen der Sozialenzyklika insgesamt individualistisch umgedeutet wird, ganz augenscheinlich auch bei W’ Röpke (e 325 ff.), leuchtet ein. Subsidiarität als sozialethisch normiertes Handlmgsprinvÿp Demgegnüber weisen die Vertreter der naturrechtlichen Sozialphilosophie, u. a. A . F. Ut% (o 279ff.), E . Welty (d I, 136f., 143), O. v. Nell-Breuning (y 2f., 10), J. van der Ven (47f.), G. Kücbenhoff (73f.), J. Messner (j 199 f., 532f.) in Überein­ stimmung mit dem von der Bundesregierung angeforderten Gutachten zur „Neuordnung der sozialen Leistungen“ (Köln 1955, 22f.), ferner 1F. Büchi (c 19ff., 33ff.) darauf hin, daß das Subsidiaritätsprinzip sich keineswegs in der Negation, im unfruchtbaren „Anti“ erschöpft, vielmehr als echtes sozialphilo­ sophisches Prinzip einen durchaus positiven Gehalt aufzuweisen hat. Es trifft zu, daß es, für sich betrachtet, als Grundgesetz der sozialen Zuständigkeitsordnung und Kompetenzenverteilung von stark formalem Charakter ist, insofern es bei der Zuständigkeitsverteilung generell der engeren gesellschaftlichen Einheit vor der umfassenderen den Vorzug gibt. Entscheidend ist jedoch, daß das Subsidiaritäts­ prinzip wie jedes Ordnungsprinzip seine eigentliche Bestimmung erst durch den Inhalt empfängt, auf den es Anwendung findet. Es wird letzten Endes beinhaltet durch die ständige Rückorientierung auf den situationsgerecht interpretierten und als ethischen Ganzheitswert vorgegebenen Begriff des Gesamtwohles. Mit andern Worten: Über dem Prinzip der Subsidiarität steht im gesellschaftlichen Raum das Gemeinwohl. Die Subsdiarität ist nur ein Handlungsprinzip, das sich aus dem Gemeinwohl ergibt, also dem Rechts- und Gerechtigkeitsprinzip unter­ steht. Es ist ein Anwendungsprinzip des Gerechtigkeitsverhältnisses, der sozialen Gerechtigkeit. Obwohl die Zuständigkeit für die nähere Bestimmung des jeweiligen Beitrages an die Gesellschaft zunächst bei dem einzelnen bzw. dem kleineren autonomen Gesellschaftsgebüde verbleibt, steht im Hintergrund als verbindliche Norm der Zusatz: soweit die Sachnotwendigkeiten des Gesamtwohles dadurch gewähr­ leistet werden. Auf diese Weise erhält die auch von der realistischen Sozial­ philosophie intendierte Freiheit der Privatinitiative bzw. die für die subsidiäre Gestaltung des öffentlichen Lebensraumes erforderliche Reserve des gesellschaft­ lichen Eingreifens ihre positive, sozialethische Begründung. Sie besteht, wie gesagt, in der ständigen Orientierung des Spannungsverhältnisses zwischen gesellschaftlicher Freiheit und Autorität an der korrektiven Norm der jeweiligen sozialen Situation.

Zusammenfassung und Stellungnahme

261

Damit stoßen wir wieder auf den Zentralbegriff aller sozialethischen Spekulationen und Forderungen: den Gemeinwohlbegriff. In seiner analogen Sinnfülle bedingt er als jenes überindividuelle Gemeinsame, das die persönliche Vollendung, die Freiheitsrechte und Mündigkeit aller Gesellschaftsglieder miteinschließt, jenes Solidaritätsverhältnis gegenseitiger Verpflichtung zwischen dem Gemeinschafts­ ganzen und dem einzelnen, das allein als Leitnorm für alle subsidiären Forderungen zu gelten hat. Diese Solidarität gründet in dem der Gesellschaft vorgegebenen und ihrem Baugedanken zugrunde liegenden Recht des einzelnen auf jene Teil­ funktion, die ihm innerhalb der Gesellschaft um des Gemeinwohls willen zu­ kommt (vgl. U t^ o 286f.; Welty, d I, 136f., 142). Subsidiarität als inhaltlich gefüllter, positiver Begriff besagt demnach grund­ sätzlich keineswegs Verabsolutierung der individuellen Freiheit und Einengung der Autorität als solcher, sondern gegenseitige Abstimmung der beiden polaren Elemente nach Maßgabe der gemeinwohlrelevanten Sacherfordernisse des Augen­ blicks. Daß innerhalb dieses Rahmens eine gewisse Vorrangstellung des Indivi­ dualprinzips möglich ist, ergibt sich aus der funktionaltheoretischen Bedeutung der normierten Freiheit für die faktische Realisierung des Wohles aller, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. So verbinden sich das Gebot der Nichteinmischung, die Verpflichtung zur solidarischen, fördernden Hilfeleistung von oben und die bewußte Einordnung der freien Privatinitiative in das Gesellschaftsganze zu einem sinnvollen, objektiv normierten und integrierenden Wirkzusammenhang. Auf Grund dieser normativen Voraussetzungen war es der naturrechtlichen Sozialphilosophie möglich, trotz bewußter Anpassung an die gegebene unab­ änderliche soziologische Situation der Gegenwart ein Absinken in den Indivi­ dualismus zu vermeiden. Zugleich wird deutlich, daß die Behauptung A . Rüstom, die Kirche habe das Subsidiaritätsprinzip dem Gedankengut des Liberalismus entnommen (n 5), in dieser Form wissenschaftlich nicht erwiesen ist. Trotz formeller Übereinstimmung unterscheidet sich die neoliberale Interpretation des fraglichen Prinzips von der naturrechtlichen ebenso wie die formal-mechanische Integration des neoliberalen Gemeinwohlbegriffs von der ethisch-normativen Gemeinwohlidee der realistischen Sozialphilosophie. Positive Begründung der staatlichen Reserve Die hier wiederum akut werdende Zentralfrage, wer nach Lage der Dinge als authentischer Interpret des Gemeinwohls überhaupt in Frage kommen kann, läßt sich sachgerecht nicht vom Apriori der theoretischen, allerdings nicht immer konsequenten Skepsis der Neoliberalen gegenüber der staatlichen Weisungs­ befugnis her beantworten. Auch die Reserve gegenüber der staatlichen Autorität

262

Atomisdedi-mcchanisdschc Gesellschaftsphiloeophic

bedarf zu ihrer Berechtigung der positiven Begründung, die wiederum nur aus der gemeinwohlrelevanten politischen Situation der Gegenwart gewonnen werden kann. Auf Grund der geschichtlichen Erfahrung mit dem totalitären Mißbrauch des Staatsgedankens den positiven Nachweis erbringen zu wollen, daß die gewählten Vertreter der gegenwärtigen Demokratie, z. B. der Bundes­ republik, weder genügend Sachkenntnis noch W eitsicht noch politisches Ethos besitzen, um ein autoritär-korrektives Eingriffsrecht zum Wohle des Ganzen rechtfertigen zu können, hieße unter völliger Ignorierung der anzuerkennenden Erfolge des gemeinnützigen Wiederaufbaus die nihilistische Skepsis zur staats­ tragenden Idee erklären zu wollen. In dem Maße, wie der Individualist von den legitimen politischen Autoritätsträgem der freiheitlichen Staatsformen der Gegen­ wart erwartet, aus der Verantwortung für das Gesamtinteresse sich für die universelle Antriebskraft und Ordnungspotenz der politisch-wirtschaftlichen Frei­ heit zu entscheiden, muß ihnen billigerweise auch die gleiche Verantwortung und Weitsicht zumutbar sein, wenn es sich darum handelt, ordnend eingreifen zu sollen, falls bei objektiv-kritischer Beurteilung der Sachlage die Realisierung des Gemein­ wohls durch das Prinzip der individuellen Freiheit nicht mehr garantiert wird. Von dieser Sicht her ist auch der Versuch K. P. Hensels abzulehnen, der darauf hinausläuft, einen inneren Gegensatz zwischen dem Prinzip der Subsidiarität der Staatstätigkeit und der Idee der berufsständischen Ordnung zu konstruieren (258). Von einem „inneren“ Gegensatz kann nur dann die Rede sein, wenn das sub­ sidiäre Eingriffsrecht des Staates der Idee und dem Anliegen der leistungsgemeinschaftlichen Konzeption widerspricht. Im Grunde geht es hierbei um ein recht­ liches Problem, näherhin um die Frage nach der Rechtssetzungsbefugnis. Wie A . F. U * (o 286f.),/. van der Ven (57f., 61 f.) und G. Kncbenboff (90f.) betonen, untersteht die Subsidiarität im gesellschaftlichen Raum dem Rechts- und Gerech­ tigkeitsprinzip, demgemäß jedem das Seine zugeteilt werden soll und zwar nach Maßgabe des Gemeinwohls als der obersten Rechtsnorm der Gesellschaft. Diese Feststellung ist naturrechtlicher Art, insofern der Einzelmensch auf Grund seiner Natur ein Recht auf all das besitzt, was seine wesensgemäße Entfaltung gewährleistet. Dazu bedarf jeder Mensch im gesellschaftlichen Raum jenes Mindestmaßes an Freiheit, Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Eigen­ tätigkeit, ohne das die Selbstverwirklichung seiner personalen, geistig-sittlichen Natur, die auf V ervollkom mnung angelegt ist, undenkbar ist. Das Gleiche gilt entsprechend für die natürlichen, hierarchisch gestuften Gesellschaftsgebilde. Es handelt sich auch hierbei um einen Rechtsanspruch gegenüber der umfassenderen Gemeinschaft, der auf das Recht nach natürlicher Selbstentfaltung zurückgeht. Die realistische Sozialphilosophie verteidigt die These, die für den neoliberakn Rechts staatler a!s völlig unhaltbar gilt, daß das Recht nicht beim Staate, sondern

Zusammenfassung und Stellungnahme

263

beim Menschen beginnt, in dessen naturhafter gesellschaftsbildender Kraft es wurzelt, die ihrem Wesen nach rechtsschaffend ist. Im Gegensatz zur ifäWschen Auffassung ist der Staat nicht Quelle, nicht Formalprinzip des Rechtes, sondern dessen Garant, dem in der Rechtsbildung nur die Funktion des ganzheitsformen­ den Prinzips obliegt. Daraus wird einerseits die erforderliche Zurückhaltung des Staates in der Rechtsbildung und im Rechtseingriff, andererseits, sobald ein Ausfall oder Mißbrauch auf der Seite der Einzelglieder zum Schaden des Ganzen gereicht, die wesentliche Hilfsfunktion oder das Eingriffsrecht der staatlichen Autorität abgeleitet, wie A . F. Utξ (h lllf.), E . Welty (d I, 142) und 0. v. NellBreming (j 222 f.) übereinstimmend hervorheben. Mit anderen Worten : Der Staat hat nur subsidiären Charakter, denn, nach A .F .U ts^\ „jede Verantwortung ist zunächst dem anheimgegeben, der als Rechtsträger für die ihm übertragene Aufgabe zu gelten hat“. Die menschliche Person aber kann den gesamten Aufgabenbereich, der ihr individuelles Dasein betrifft, als ihren ureigenen Rechtsbereich betrachten, ohne erst vom Staat dazu legitimiert zu werden (h 113). Das Gleiche trifft im Prinzip auf die innerstaatlichen Gesellschaftsgebilde und deren Rechtssetzungsbefugnis zu. Letztere ist nach realistischer Auffassung gleichursprünglich wie die des Staates und zwar öffentlichen wie privatrechtlichen Charakters. Die Tatsache, daß das Subsidiaritätsprinzip seiner ursprünglichen Konzeption nach die Kompetenzenstreuung und Dezentralisation intendiert, indem es die Verantwortung wieder auf die ihr kongruenten vorstaatlichen Rechtsträger herabzuverlagern sucht, unterstreicht, was O. v. Nell-Breuntng besonders betont, daß es frontal gegen den Rechtsmonismus, Rechtspositivismus und gegen das Monopol des modernen Rechtsstaates gerichtet ist (j 222 f.). Dieser subsidiäre rechtsphilosophische Sachverhalt wird vom Neoliberalismus, der im selbstgeschaffenen Recht innerstaatlicher Gruppierungen für die indivi­ duellen Freiheitsrechte wie für die Staatssouveränität eine ernst zu nehmende Gefahr erblickt und daher für den echten rechtlichen und politischen Pluralismus in seinem System keinen Platz hat, übersehen bzw. negiert. Nach realistischer Auffassung gilt das Subsidiaritätsprinzip in seiner Eigenschaft als rechtlich­ pluralistisches Zuständigkeitsprinzip zugleich als das natürliche Aufbauprinzip der freien Gesellschaft, als umfassendes Formprinzip, das, so G. Küchenhoff‘ die gegliederte, zur Einheit des Gemeinwohls zusammengefaßte Vielheit des mensch­ lichen Lebens durchwaltet (73, 87). Es bürgt nach / . Messner für den Lebens­ reichtum, die Vitalität der staatlichen Gemeinschaft, da es dem Einzelmenschen den nötigen Raum gibt, seine eigentliche Lebenserfüllung in der Vielfalt seiner selbstgesetzten und im Rahmen der gesellschaftlichen Kooperation eigenverant­ wortlich realisierten Ziele zu finden (j 532, 534).

264

Atomistisch-mechanistische Gesellschaftsphilosophie

Leistungsgemeinschaftliche Verwirklichung der Subsidiarität Die ideelle Übereinstimmung zwischen dem Subsidiaritätsprinzip und der ständischen oder leistungsgemeinschaftlichen Idee, die auf den Postulaten der Eigenverantwortung, Autonomie und Selbstverwaltung basiert, ist offenkundig. Genauer gesagt: Die berufsständische oder leistungsgemeinschaftliche Ordnung ist, wie Ο. V. Nell-Breuning klarstellt, die konkrete Verwirklichung des subsidiären, föderalistischen Prinzips im Bereich der vielfältigen gesellschaftlichen Funktionen (j 242). Ihr Grundanliegen besteht kurz zusammengefaßt darin, die beiden zentralen Monopole: das bilaterale Monopol des vermachteten Arbeitsmarktes und das angemaßte Rechtsmonopol des liberalen Staates durch eine Hierarchie von körperschaftlich verfaßten Leistungsgemeinschaften strukturpolitisch zu überwinden mit dem Ziel, den Interessengegensatz der kämpfenden Arbeits­ marktparteien organisatorisch durch die echte Interessenverbundenheit aller Leistungsverbundenen zu ersetzen. Es handelt sich prinzipiell nicht darum, den Wettbewerb aufzuheben, sondern ganz im Gegenteil darum, den wirklichen Markt von monopolistischen Machenschaften und Verfälschungen möglichst zu befreien, um ihn in die Lage zu versetzen, markttechnisch und ebenso wirt­ schaftlich richtige, unbeeinflußte Preise zu bilden (j 225 f., 231 f.). Ein ideologischer Gegensatz zwischen dem ständischen und dem subsidiären Prinzip, wie ihn W. Euchen von rein wettbewerbspolitischen Erwägungen her zu begründen sucht, läßt sich nur unter der Voraussetzung konstruieren, daß man das Subsidiaritäts­ prinzip als individualistisches Freiheitsprinzip und die berufsständische Ordnung als ein System von allmächtigen Zwangskartellen interpretiert. Ob das von der Enzyklika aufgezeigte gesellschaftspolitische Ziel auf dem vor­ geschlagenen Wege und unter Berücksichtigung der erwachsenden Schwierig­ keiten wirklich erreichbar ist, ist eine rein praktische und durchaus diskutable Frage. Was die Sache selbst betrifft, ist jedoch festzustellen, daß auf neoliberaler Seite bis zur Stunde offenbar weder der vermachtete Arbeitsmarkt noch das staatliche Rechtssetzungsmonopol in ihrer zentralen gesellschaftspolitischen Problematik begriffen worden sind, ja daß jede Bereitschaft zu einer ernsthaften Diskussion über das Ziel der leistungsgemeinschaftlichen Neuordnung leider schon im Ansatz in einer leidenschaftlichen Kampagne untergegangen ist, die antiquierte Zerrbilder einer Idee unbesehen von Schreibtisch zu Schreibtisch weiterreicht, ohne sich mit der Idee selber auseinanderzusetzen. Insbesondere sind es die unsachlichen Verunglimpfungen, die W. Röpke verschiedentlich seinen wissenschaftlichen Gegnern zugedacht hat, z. B. in der Gesellschaftskrisis (S. 147 f, 150), die aber als bedauerliche Verwilderung der wissenschaftlichen Diskussion abzulehnen sind. M. Hättich bemüht sich zwar um eine objektive Analyse

Zusammenfassung und Stellungnahme

265

bestimmter berufsständischer Modelle (49 ff.), gelangt aber auf Grund seiner extremen markttheoretischen Ordnungskonzeption nur zu einer generellen Ablehnung des ständischen Ordnungswollens. Zudem bietet der Arbeitsmarkt für ihn kein Problem, nicht zuletzt deshalb, weil Hättich den zwischen beiden „Kollektivmonopolen“ ausgehandelten Lohn offenbar mit dem marktgerechten Lohn identifiziert (121 f., 126, 153) und jede „Entmarktung“ des Arbeitsmarktes mit zentralverwaltungswirtschaftlichen Tendenzen auf eine Stufe stellt (129 f). Eine Befruchtung der gegenwärtigen Diskussion ist also von hier aus nicht zu erwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Verlauf der Geschichte bisher weder die ständische Idee, wie sie der realistischen Sozialphilosophie vorschwebt, noch das Idol der Neoliberalen: das Marktmodell der vollständigen Konkurrenz, in ihrer Reinheit verwirklicht werden konnten. Interessant ist jedoch die Inkonsequenz der Neoliberalen bei der Verteidigung und Propagierung ihrer eigenen wettbe­ werblichen Ordnungsidee. Während z. B. W. Eucken für den faktischen, machtmäßig verfälschten Wettbewerb in Anspruch nimmt, die Brauchbarkeit einer Idee dürfe nicht nach ihrem Mißbrauch beurteilt werden (h 358), oder K. P. Hensel trotz aller Skepsis in der ethischen Beurteilung des wirtschaftenden Menschen den Appell an den Geist der sozialen Gerechtigkeit und Liebe, an den sittlichen Willen jedes Teilnehmers für die Realisierung des vollkommenen Wettbewerbs als erforderlich und zugleich aussichtsreich betrachtet (267), oder die Mehrzahl der neoliberalen Theoretiker die staatliche Unterbindung und Kontrolle der über­ mächtigen Monopole als wesentlichen Punkt des neoliberalen Ordo-Programms herausstellt und für realisierbar hält, schlägt die Einsicht und Bereitschaft der neoliberalen Theoretiker auf der ganzen Linie ins gerade Gegenteil um, sobald es darum geht, die gleichen ethischen Prinzipien und Chancen einer anderen Ord­ nungsidee, nämlich der ständischen, zuzubilligen. Ethische Dekadenzerschei­ nungen der ständisch orientierten Wirtschafter wie Selbstsucht, Machthunger und Anarchie werden als sicher vorausgesetzt und psyschologisch begründet. Der demokratische Staat wird als viel zu schwach hingestellt, um dem Gruppen­ egoismus moderner Berufsstände überhaupt begegnen zu können (254, 258f.). Was die vorgesehene wirtschaftliche Ordnungsaufgabe der Berufsstände betrifft, macht M. Hättich geltend, die staatliche Bürokratie sei dem wirtschaftenden Menschen bzw. seinem Sachverstand und seiner tieferen Einsicht in die Sach­ zusammenhänge insofern überlegen, als bei ihm die Gefahr einer „Erkenntnis­ trübung durch das unmittelbare Interessiertsein“ doch wohl größer sei als bei Menschen, die von berufswegen auf das Gemeinwohl verpflichtet seien (143 f.), — eine Behauptung, die von jedem Neoliberalen leidenschaftlich abgelehnt wird, sobald es darum geht, den Marktmechanismus gegen ordnende Eingriffe von

266

Atomisdsch-mechanistische GeeeUschaftsphilosophie

oben zu schützen. Bemerkenswert inkonsequent ist auch W. Röpke, von dessen soziologischem Gefühlssubjektivismus ausführlich die Rede war, wenn er kritisiert, die berufsständische Formel appelliere mehr an das Gefühl als an den Verstand (b 147). Mangelnder Realismus der neoliberalen Gegenvorschläge Hinzukommt, daß die neoliberalen gesellschaftspolitischen Gegenvorschläge, speziell die von A . Rüstow (c 138ff., 146ff.) und W. Röpke, im Urteil der Kritik z. T. als inkonsequent und unrealistisch bzw. als undurchführbar gelten. W'. A.Jöhr (b 178ff.) z. B. greift den tiefen Gegensatz zwischen der konservativen Gesellschaftsauffassung und dem Prinzip der freien Marktwirtschaft heraus, der die Konzeption W. Röpkes bestimmt. Röpke beachtet nicht, was übrigens auch für M. Hättich (160) gilt, daß der Hauptfaktor der Vermassung in der Ausdehnung des Arbeitsmarktes auf alle Lebensbereiche zu suchen ist. Gerade der freie Markt hat im Zeitalter der Industrialisierung auf Grund seiner Expansionskraft die Menschen in Mammutbetrieben und Großstädten zusammengeballt, entwurzelt und anonym gemacht und dies nicht erst auf Grund kapitalistischer oder mono­ polistischer Entartung. Wie E . Salin bemerkt, ist die Proletarisierung nicht ausschließlich als eine Folge der ultraliberalen Wirtschaftspolitik zu werten, die durch eine gemäßigte hätte vermieden werden können bzw. heute rückgängig zu machen wäre, sondern als Ergebnis des Ausbaues der Schwerindustrie (c 238). Die von Röpke geforderte Einschränkung der Marktwirtschaft, die sich faktisch in der Ermöglichung einer teilweisen Selbstversorgung des seßhaft gewordenen Arbeiters durch eigenes Pflanzland erschöpft, hält Jöhr in der Wirkung mit Recht für viel zu gering. Ferner fällt ins Gewicht, daß Röpke den Gegensatz zwischen der gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Entwicklung und der von ihm beab­ sichtigten Politik der strukturellen Entmassung und Dezentralisierung nicht entsprechend berücksichtigt. Dieser Gegensatz läßt sich nicht dadurch verschleiern, daß Röpke von einer natürlichen Tendenz zur Rückbildung der Millionen­ städte und Riesenbetriebe spricht (c 83 f.), die als allgemeine Bewegungsrichtung für die Gegenwart nicht feststellbar ist. Ganz im Gegenteil weisen, wie Salin (c 238) feststellt, in Europa und den USA alle Zeichen auf eine immer weiter um sich greifende Landflucht und ein Anwachsen der Riesenbetriebe und Industrie­ städte hin. Das konjunkturtheoretische Argument, mit dem Röpke im Grunde seine Mittel­ standspolitik unterbaut, nämlich durch Entproletarisierung ,Verbäuerlichung und Verhandwerkerlichung des Arbeiters, durch Förderung gesunder Klein- und Mittelbetriebe der Wirtschaft erhöhte Krisenfestigkeit zu gewährleisten, wird

Zusammenfassung und Stellungnahme

267

weitgehend hinfällig, wenn es an die Realisierung dieser Vorschläge geht. Daß während der langen Dauer der tiefgreifenden strukturpolitischen Umgestaltung die Unternehmerinitiative nicht gelähmt und der damit gegebene depressive Ein­ fluß auf die gesamte Wirtschaft verhindert werden könnte, hält Jöhr für undenk­ bar. Ebenso darf der andere vielfach erhobene Einwand, dem sich auch Jöhr (b 188) anschließt, nicht übersehen werden, daß bei der radikal durchgeführten Strukturveränderung die internationale Konkurrenzsituation eines Landes, falls nicht alle übrigen Exportländer der Welt sich gemeinsam zu dieser Reform entschließen, was nicht anzunehmen ist, sich zwangsläufig so verschlechtern muß, daß es entweder im Interesse einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz zum Protektionismus Zuflucht nehmen oder die Strukturpolitik rückgängig machen müßte. Zudem bleibt hier die schwerwiegende Frage völlig offen, auf die wir schon gestoßen sind, inwiefern der Staat Träger einer derartig revolutionären und tief in private Rechtsverhältnisse eingreifenden Strukturpolitik sein könnte. Der Ruf nach dem starken Staat bringt Röpke unvermeidlich in offenen Gegensatz zu seiner Staatsauffassung, die von der Tendenz bestimmt ist, den mächtigen Staat als Hauptschuldigen der Gegenwart durch soziologische Gegengewichte syste­ matisch zu schwächen. Jöhr kommt zum Ergebnis, daß Röpkes Synthese der Staatsidee, Gesellschafts- und Strukturpolitik als mißlungen zu betrachten sei und zwar deshalb, weil die Ziele dieser Teilbereiche unabhängig voneinander auf­ gestellt und durch radikale Forderungen zudem so übersteigert würden, daß sie in einen starken Gegensatz zueinander geraten mußten (b 189 ff.). Im Grunde handelt es sich hier, wie W. Ferber bemerkt, um den Gegensatz zwischen dem mehr konservativen Soziologen und dem liberalen Nationalökonomen Röpkey zwischen dem nahezu patriarchalischen Gesellschaftsbild Röpkes, das an ein um die Technik bereichertes neues Biedermeier erinnere, und dem liberalen Dogma von der absoluten Eigengesetzlichkeit und Determiniertheit der Wirtschaft, das Röpke preiszugeben nicht willens sei. Auch darin erblickt Ferber mit Recht eine ideo­ logische Inkonsequenz, daß Röpke in seiner Gesellschaftskrisis als Kulturkritiker auf die intellektuell-moralische Dekadenz der überkommenen christlich abend­ ländischen Werte und Normen hinweist, die er als Ergebnis eines Zersetzungs­ und Verweltlichungsprozesses bezeichnet, andererseits die Wiederherstellung christlich-ganzheitlicher Kultur ausgerechnet vom Neuen Liberalismus erwartet, ohne zu bedenken, daß gerade der Liberalismus diesen Prozeß eingeleitet hat (171 ff.). Daß hier die Röpke*sehe Unterscheidung zwischen „wahrem“ und „falschem“ Liberalismus, wenn man sich über die gemeinsame nominalistische Erbmasse beider Spielarten Gedanken macht, nicht die Lösung bringen kann, ist ausführlich dargelegt worden (2. K., 2a, b).

268

Atomistisch-mechanistische Gcsellschaftsphilosophie

Negative Einstellung des säkularisierten Liberalismus %ur Gesellschaftsreform Λ . Müller-Armacky der mit W. Röpke grundsätzlich die Notwendigkeit einer „inneren Regeneration“ der modernen Gesellschaft bejaht, nimmt das Röpke'sehe Reformprogramm zum Anlaß, der kirchlichen Soziallehre gegenüber zu betonen, der heutige Liberalismus sei, entgegen früheren weltanschaulichen Ambitionen, auf dem Wege, sich in erster Linie als Hüter bestimmter gesellschaftlicher Organi­ sationsformen und wirtschaftlicher Ordnungstechniken zu begreifen. Allerdings bedürfe es einer kritischen Besinnung, inwieweit Röpkes Idee einer inneren gesell­ schaftlichen Regeneration mittels neuer konkreter Institutionen realisierbar sei (g 264). Hierzu wäre zu bemerken, daß strukturpolitische Reformtendenzen auf neoliberaler Seite noch zu vereinzelt und systemlos sind, um eine derartig all­ gemeine Feststellung zu rechtfertigen. Zudem hat die kritische Besinnung dort offenbar bisher zu einem negativen Ergebnis geführt. Die Fragen, ob der säku­ larisierte Liberalismus schon bereit sei, ein gesellschaftliches Reformprogramm zu akzeptieren, und ob er überhaupt in der Lage sei, es zu realisieren, beantwortet Müller-Armack als Neoliberaler sehr skeptisch. Die Fähigkeit der liberalen Theoretiker, Werte zu sehen und Ordnungen zu setzen, stünden weit hinter ihrer eigentlichen Stärke, nämlich der rational-theoretischen Analyse ökonomischer Verhältnisse, zurück. Abgesehen davon, daß der Liberalismus in der Vergangen­ heit wenig Kraft gezeigt habe, den gefährlichen Prozeß der Aufzehrung der gesell­ schaftlichen Bindungskräfte aufzuhalten, sei man allzu schnell bereit gewesen, jeden Versuch in dieser Richtung als Romantik und persönliches Abenteuer abzutun (g 264). Hat sich an dieser Einstellung etwas geändert? Müller-Armack antwortet darauf resigniert: der Widerstand, dem gerade die gesellschaftspolitischen Reformvor­ schläge W. Röpkes in liberalen Kreisen begegnen, lasse daran zweifeln (g 264). Mit anderen Worten : Der Neoliberalismus, der für sich beansprucht, die Rettung der abendländischen Kultur vor dem kollektivistischen Verfall zu intendieren, hat faktisch auf Grund seiner individualistischen Denkvoraussetzungen bis zur Stunde in der überwiegenden Mehrheit seiner Vertreter die dringende Not­ wendigkeit einer innergesellschaftlichen strukturpolitischen Regeneration noch nicht bejaht. Wie die bisherigen Untersuchungen erbracht haben, sind es im Grunde die tragenden Dogmen des philosophischen Nominalismus: das monistische Menschenbild, der ihm kongruente verabsolutierte Freiheitsbegriff ökonomistischer Prägung, der archaische Gleichgewichts- und Automatismus­ glaube, der mechanisch-additive Gemeinwohlbegriff und die atomistische Gesell­ schaftsauffassung, die in ihrer Gesamtheit die neoliberale Doktrin beinhalten. Nach realistischer Auffassung sind in diesen nominalistischen Elementen zugleich

Zusammenfassung und Stellungnahme

269

auch die treibenden Kräfte des Zersetzungs- und Säkularisierungsprozesses aller überkommenen innergesellschaftlichen Werte, Normen und Ordnungen zu sehen. Auf Grund seiner gegenwärtigen philosophischen Verfassung ist der Neoliberalismus daher weder in der Lage, die drohende gesellschaftspolitische Kollektivierung abzu wehren noch den von A . Müller-Armack behaupteten Beitrag zur „Milderung der weltanschaulichen Antagonismen“ (g 264) zu leisten und die berechtigten Vorbehalte der christlichen Soziallehre zu zerstreuen. Bereits hier wird deutlich, daß die von A . Rüstow immer wieder erhobene Be­ hauptung, zwischen der katholischen und neoliberalen Position bestehe im Bereich der Schöpfungsordnung „keine einzige wesentliche Differenz“ (p 50), völlig unhaltbar ist.

VI. K A P IT E L

MECHANISTISCH-INSTRUMENTALE WIRTSCHAFTSAUFFASSUNG

Die Analyse der philosophischen Grundlagen des Neoliberalismus bietet uns den Schlüssel zum Verständnis der eigentlichen Wirtschaftsdoktrin, die innerhalb des neoliberalen Systemdenkens den breitesten Raum einnimmt. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß die jeweilige Wirtschaftsauffassung und Wirtschaftsgestaltung einer Zeit als sichtbare Konkretisierung bestimmter sozialphilosophischer Wertvorstellungen zu betrachten sind. Die konkrete Wirtschaft ist daher, wie A. F. Ut%hervorhebt, stets Wirtschaft im Sinne der Gesellschaftsauffassung, zu der sich die führenden Wirtschaftspolitiker jeweils bekennen (e 453). W. Eucken ist zwar davon überzeugt, den Begriffsinhalt der Wirtschaft völlig unabhängig von dem der Gesellschaft analysieren zu können (f 27), es wird sich jedoch herausstellen, daß auch seiner Wirtschaftstheorie eine ganz bestimmte über­ kommene Gesellschaftsauffassung als ideologisches Apriori zugrunde liegt. Wenn aber von Gesellschaft die Rede ist, ist letztlich der Mensch als Persönlichkeit mit bestimmten Rechten, Pflichten und Aufgaben gemeint. Damit stoßen wir auch im Bereich wirtschaftsphilosophischer Untersuchungen auf den ideologischen Angel­ punkt der Sozialmetaphysik schlechthin: auf das Menschenbild. Wie A . MüllerArmack treffend bemerkt, ist die Wirtschaftsordnung im Grunde nichts anderes als die grundsätzliche Form, die sich der Mensch entwirft, um seine wirtschaft­ lichen Ziele in den Bedingungen seiner Wesensform zu erreichen (e 293). Die entscheidende Bedeutung des nominalistischen Ideengutes für die innere Be­ gründung der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin ergibt sich daraus von selbst. Wie im Verlauf dieses Kapitels nachgewiesen wird, läßt sich das nominalistische Erbe eindeutig verfolgen und zwar in der formal-instrumentalen Wesensbestim­ mung der Wirtschaft, die in der ordnungspolitisch modifizierten Renaissance des nominalistischen Harmonieglaubens gründet; im Formalismus der wirtschaft­ lichen Zielsetzung, insofern die neoliberale Theorie im Gefolge der klassischen Wirtschaftstheorie lediglich auf maximale Expansion und Produktivität gerichtet ist; in der formalen Wertung der wirtschaftlichen Leistung, auf Grund deren der Inhalt der „Marktgerechtigkeit“ begriffsnominalistisch ausschließlich nach der Maxime des reinen Äquivalenzprinzips bestimmt wird. 18

274

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

/. Formal-instrumentale Wesensbestimmung der M arktwirtschaft Zunächst verdient festgehalten zu werden, daß die führenden neoliberalen Theoretiker in der Wirtschaft insgesamt durchaus mehr erblicken wollen als nur einen seelenlosen Mechanismus. W. Eucken betrachtet den Wirtschafts Vorgang als typisch menschliches Geschehen, als einen sozialen Lebensprozeß, für den die geistige Haltung der Menschen vielfach wichtiger und bestimmender sei als die wirtschaftlichen Tatsachen selbst. Die Annahme einer Zwangsläufigkeit anonymer Wirtschaftsgesetze hält er für einen Mythos (h 210, 339; f 16f.). Jeder Versuch, einen gesetzmäßigen Ablauf in der Geschichte oder in der Wirtschaft in Regeln bannen zu wollen, muß nach Ansicht O. Veits immer wieder scheitern, denn alles sei vom Menschen gemacht und darum stets einmalig, ungeordnet, unwiederholbar, neu. Aus diesem Grunde sei der Mensch als Herr der Geschichte verantwortungsbeladen (b 38). Auch W. Röpke sieht im Wirtschaftsprozeß nicht etwas ausschließlich Objektives und rein Mechanisches, sondern vielmehr die Summe individueller Erwägungen und menschlicher Entscheidungen, die dem freien menschlichen Ermessen unterstehen. Die Menschen sind es mit ihren Gefühlen, ihren Urteilen, ihren Sorgen und ihren Hoffnungen, die die „objekti­ vierten“ wirtschaftlichen Erscheinungen in letzter Linie bestimmen (d 23). Wir stehen, wie A . Müller-Armack betont, auch im Wirtschaften in einer spezifisch menschlichen Situation (e 293). Darum verkörpert der Wirtschaftsprozeß ins­ gesamt, so F. Böhm, in sich „die Fülle und den Reichtum spontaner Sozialabläufe und Individualentscheidungen“ (e LVIII). Für die eigentliche Begriffsbestimmung der Wirtschaft, wie für die nähere Bein­ haltung der wirtschaftlichen Zielsetzung und die Motivation des Wirtschaftens überhaupt ist demnach das menschlich-soziale Element von konstitutiver Be­ deutung. Die Frage, die uns im folgenden beschäftigen wird, ist die, ob die neoliberalen Theoretiker bereit sind, der bekundeten apriorischen menschlich­ sittlichen Bewandtnis des Wirtschaftens im Rahmen ihrer Wirtschaftsdoktrin den entsprechenden institutionellen Ausdruck zu geben. Es wird sich herausstellen, daß dies nicht der Fall ist, was immerhin auf eine deutliche ideologische Inkonse­ quenz des neoliberalen Systemdenkens schließen läßt. Sie geht in ihrer Wurzel nicht zuletzt auf die wissenschaftliche Methodenlehre W . Euckens zurück, mit der er die wirtschaftliche Wirklichkeit zu erfassen sucht, die aber auf Grund ihrer transzendental-idealistischen Konzeption von vornherein jegliches humanitäre Apriori aus der Begriffsbestimmung des Wirtschaftsganzen ausklammert. Da Euckens Methodologie für das wissenschaftliche Gebäude speziell des Freiburger Ordo-Liberaüsmus fundamental ist, haben wir uns anschließend wenigstens in großen Zügen mit ihr zu befassen, denn „die Methode einer Wissenschaft ist von

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

275

weit größerer Bedeutung als irgendeine einzelne Entdeckung“, so Cuvier, den W. Eucken zitiert. Für die „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ ist auch seiner Ansicht nach die Methode „wichtiger als alle Einzelheiten“ (h 369). a)

Das ,,rationale W e s e n “ der M a rk tw ir ts c h af t

Zunächst ist bezeichnend, daß W. Eucken es als verhängnisvoll betrachtet, wenn an den Anfang wirtschaftstheoretischer Untersuchungen die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft und nach Definitionen gestellt wird. Die Forschung gerate auf diese Weise nur in „Tiefsinn und Spekulation“ hinein und verliere die Wirk­ lichkeit aus dem Auge. Nationalökonomische Definitionen sollen, wenn sie nicht nur „Pseudoaxiome“ sein wollen, Ergebnisse von Sachuntersuchungen zum Ausdruck bringen, also durch sachliche Analysen begründet sein. Eucken hält es für ebenso abwegig, von früher geäußerten Lehrmeinungen auszugehen, und empfiehlt, vom Lehrgehalt aller überkommenen Nationalökonomie zunächst völlig abzusehen (f 67). „Analyse der Sache“ durch eigenes unmittelbares und selbständiges Fragen, „Wendung zur Realität“, „Durchstoß zur wirtschaftlichen Wirklichkeit“ gegen die „Herrschaft des Wortes“ und die „Begriffsnational­ ökonomen“ sei die Hauptforderung, die an die wissenschaftliche Forschung gerichtet werden müsse (f 7f., 15f., 21 f., 28, 243). Aus der Tatsache, daß Eucken auch am Schluß seiner Untersuchungen keine definitive Begriffsbestimmung der Wirtschaft bietet, ist zu entnehmen, daß er es grundsätzlich ablehnt, eine Wesens­ definition in das Fundament der nationalökonomischen Wissenschaft einzu­ bauen. Dies hat seinen Grund. Wir stoßen bereits hier auf ein Ideenelement der neukantianischen Erkenntnistheorie, von der noch die Rede sein wird, und zwar auf die idealistische Schöpferkraft des „transzendentalen“ Geistes, der in voller Immanenz mit Hilfe der apriorischen Anschauungs- und Denkformen den Erkenntnisgegenstand in der Erfahrung selbst „konstituiert“ . Auch das wissen­ schaftliche Forschen steht, wie G. Gundlach bemerkt, unter dem Gesetz des Probleme erzeugenden und zu idealtypischer Reinheit erhebenden „transzenden­ talen“ Geistes (688 ). Eucken tritt daher „problematisierend“ an die Wirtschaft heran. Er folgt dabei der Theorie M ax Webers, wonach „Wissenschaften und das, womit sie sich beschäftigen, dadurch entstehen, daß Probleme bestimmter Art auftauchen und spezifische Mittel ihrer Erledigung postulieren. Die ,Wirtschaft* ist dann etwas, was unter dem Gesichtspunkt bestimmter Probleme aus der Mannigfaltigkeit des Geschehens ausgelesen wird“ (zit. f 243). Eine Abgrenzung des eigentlichen Wissenschaftsobjektes der Nationalökonomie vorzunehmen, hält Eucken für undurchführbar und entbehrlich, weil sie sich, nach M. Weber, aus den auftauchenden Problemen von selbst ergebe.

276

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Wirtschaft als Summt analysierbarer Fakten und Prozesse Aus dieser ideologisch bedingten problematisierenden Grundeinstellung ergibt sich notwendig eine bestimmte Wirtschaftsauffassung, die, rein formal gesehen, im Wirtschaftsganzen grundsätzlich die summarische Zusammenfassung, das gedankliche Mosaik einer Vielzahl von Teilproblemen sieht, die ihrerseits be­ stimmte Mittel und Forschungsmethoden zu ihrer Lösung postulieren. Daß bei dieser atomistischen Grundkonzeption und der ihr kongruenten positivistischen Forschungsmethode das sachlich-analytisch nicht feststellbare menschlich-gesell­ schaftliche Grundelement und das ethisch-finale Leitgesetz allen Wirtschaftens von vornherein unberücksichtigt bleiben, ergibt sich von selbst. Zwar räumt Eucken ein, daß bloße Beschreibung von Tatsachen nicht zum Ziel führt, sondern nur „richtiges“ Fragen, d. h. das Stellen „wesentlicher“ Fragen, deren Unter­ suchung ein Eindringen in die Wirklichkeit ermöglicht und die Wirtschaft in ihren Zusammenhängen erschließt. Wie sich zeigen wird, beschränkt jedoch Eucken seine Fragen nur auf die Außenansicht und das Getriebe der Wirtschaft: auf die Formen, in denen gewirtschaftet wird und auf den Wirtschaftsprozeß, der alltäglich innerhalb der gegebenen Formen abläuft. Die verschiedene Struktur allein dieser beiden Fragenkomplexe gibt nach Eucken der Nationalökonomie ihren Charakter (f 224 f.). Das erste große Problem wissenschaftstheoretischer Begriffsbestimmung, das in jeder empirischen Wissenschaft zu bewältigen ist, wenn es darum geht, aus der empirischen Erkenntnis theoretische Sätze abzuleiten, liegt nach Ansicht Euckens in der Spannung, in der „großen Antinomie“ zwischen der individuell-histo­ rischen und der allgemein-theoretischen Seite der einzelnen Teilprobleme. Diese Antinomie läßt sich nach Eucken weder durch historische Anschauung noch durch Theorie allein, sondern nur durch die gleichzeitige Berücksichtigung beider Aspekte lösen, dadurch, daß „Leben und Ratio“ im Dienste wissenschaftlicher Erfahrung und Erkenntnis zu echtem Zusammenwirken gebracht werden (f 15ff., 18f., 21 f., 23, 24). Die Verwandtschaft zwischen der von Eucken aufgezeigten Antinomie und der Fragestellung des Universalienstreites, auf die auch 0. Veit hin weist mit der Bemerkung, sie sei bisher nicht beachtet worden (b 5), ist nicht zu übersehen. Die entscheidende Frage ist die, ob es der Eucken’schen Wissen­ schaftsmethode, auf die wir im folgenden kurz eingehen, gelingt, das wirkliche Leben, speziell den Wirtschaftsalltag als Sozialprozeß, in dem Menschen mit ihren Bedürfnissen, Zielen, Motivationen und ethischen Grundeinstellungen die Haupt­ akteure sind, wissenschaftsgegenständlich zu machen. Im wesentlichen geht es also um das Verhältnis bzw. die schöpferische Harmonie zwischen Empirie und Theorie. Die Überwindung der „großen Antinomie“ kann

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

277

nach Eucken faktisch nur dann realisiert werden, wenn es gelingt, in der Welt der Wirtschaft eine gewisse Gleichförmigkeit aufzudecken, wie sie offenkundig in der konkreten Natur herrscht und z. B. der Physik erlaubt, allgemein-theoretische Fragen aufzuwerfen. Eucken geht davon aus, daß auch die unübersehbare Mannig­ faltigkeit der konkreten Wirtschaft auf einer besonders gearteten „Invarianz des Gesamtstils“, auf einer „Gleichförmigkeit der elementaren Ordnungsformen“ beruhe, die zunächst die theoretische Behandlung und in Anwendung der theo­ retischen Sätze auch die Bewältigung der konkreten Probleme des Wirtschafts­ prozesses ermögliche (f 177f., 15ff., 230). Aufgabe der „Anschauung“ bzw. der analytischen Forschung sei es, diese Gleichförmigkeit aufzudecken. Euchen umschreibt die empirische Basis für die theoretische Behandlung der Materie durch drei Verfahren: erstens, durch vereinfachte Reduktion der historisch gegebenen „Wirtschaftsordnungen“ auf die beiden Grundformen der „zentral­ geleiteten Wirtschaft“ und der „VerkehrsWirtschaft“ (f 77, 79 ff.); zweitens, durch Vereinheitlichung des Wirtschaftsablaufes nach fünf Kriterien, die insgesamt auf die Überwindung der Knappheit hingeordnet sind: Lenkung der Produktion, zeit­ licher Aufbau der Produktion, Verteilungshergang, Anwendung bestimmter Techniken, räumliche Anordnung der Wirtschaft (f 2ff., 6); drittens, durch Eingrenzung des wirtschaftlichen Erfahrungsmaterials mittels der Lehre von den Daten, die in ihrer Gesamtheit die Grenze des ökonomischen Kosmos und der theoretischen Erklärung bilden. Der gesamtwirtschaftliche „Datenkranz“ spielt in der ordoliberalen Theorie eine indirekte, aber bedeutsame Rolle. Er umfaßt in sechs Gruppen Gegebenheiten, die zwar selbst außerwirtschaftlicher Natur, aber auf das wirtschaftliche Geschehen von Einfluß sind: Bedürfnisse, Klima, leitende und ausführende Arbeit, Gütervorräte, technisches Wissen, soziale und rechtliche Organisation (f 27ff., 156ff., 229ff., 247, 262; h 377). Die gedankliche Übereinstimmung mit der neoklassischen Auffassung ist hier nicht zu übersehen. Um der Forderung „strenger Wissenschaftlichkeit“ gerecht werden zu können, gilt die strikte Scheidung des wirtschaftlichen vom außerwirtschaftlichen Sein, insbesondere vom politischen Seinsoll, als notwendig. Für die spätere Beurteilung ist ferner wichtig, daß das Ganze der außerwirtschaftlichen Faktoren, also auch die Gesinnung des Wirtschaftenden, der Wirtschaftsgeist, da er angeblich nur zur natürlichen und gesellschaftlichen „Umgebung“ der Wirtschaft gehört, nicht von konstitutiver, sondern nur modizifierender Bedeutung ist (Λ . Weber, b 2ff.; c 18; zit. bei Th. Pütv^ a 105 f., 109; vgl. W. Euchen, h 377.) Auf dieser Grundlage, die die von Eucken mit Nachdruck geforderte Anschauung der wirtschaftlichen Wirklichkeit beinhaltet, fußt die Arbeit der Theorie. Da nach Eucken alle Anschauung blind ist (f 69), besteht die Aufgabe der Theorie darin, die historisch gegebenen Grundformen durch ein Abstraktionsverfahren

278

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

in die Sphäre des innerlich Notwendigen und Überzeitlichen hineinzuheben. Da es ihm gerade um die Verbindung des Individuell-Historischen mit der Theorie zu tun ist, kommt die „generalisierende Abstraktion“ (vgl. 1. Kap., 2c) grund­ sätzlich nicht in Frage. Statt dessen entscheidet er sich im Anschluß an E. Husserl für die „pointierend hervorhebende Abstraktion“. Deren Aufgabe besteht darin, die faktisch gegebenen Ordnungsformen gewissermaßen von fremdem Beiwerk zu reinigen und das idealtypische Element aus ihnen herauszukristallisieren. Eucken ist davon überzeugt, daß die Anwendung der logischen Kategorie des „Idealtyps“ die Erkenntnis sowohl der geschichtlichen Wirtschaftsordnungen wie auch der Wirtschaftsabläufe ermöglicht (f 124), daß also die Idealtypen in ihrer Gesamtheit als „universales Erkenntniswerkzeug“ zugleich die „haltbaren Verbindungsglieder“ zwischen der Anschauung des Historisch-Individuellen, aus der sie gewonnen sind, und der allgemein-theoretischen Analyse darstellen (f 124). Der Nationalökonom treibe durch die intendierte Typisierung die Beob­ achtung der konkreten Wirklichkeit auf die Spitze, wobei dem Verfahren der pointierend hervorhebenden Abstraktion für die Realisierung des Erkenntnis­ prozesses und die Erzielung wissenschaftlicher Erfahrung die entscheidende Rolle zufalle (f 225ff., 228). Ob die Eucken’sche Methode, unter globaler Ablehnung aller bisherigen wirt­ schaftswissenschaftlichen Forschungsergebnisse und Erkenntnisse die gestellten Probleme stets „neu“ und voraussetzungslos zu erfassen, wissenschaftlich die einzig fruchtbare ist, erscheint zweifelhaft. Daß die Definition empirischer Begriffe der analytischen Erfahrung nicht vorausgehen kann, ist evident; nicht einzusehen ist jedoch, warum es „Mißbrauch der Vernunft“ (f 29) und Begriffs­ fetischismus sein soll, wenn in einer systematischen Darstellung die induktiv gewonnene Begriffsbestimmung an die Spitze der Deduktionen gerückt wird. Euchen arbeitet übrigens selbst von vornherein mit allgemeinüblichen Begriffen der Alltagserfahrung, die er als „Krücken“ benutzt, mit Definitionen und „Ideal­ typen“, ohne jedoch über deren Zustandekommen ein Wort zu verlieren. Der Hinweis, daß es sich dabei nur um vorwissenschaftliche Begriffsbestimmungen handelt, bietet dafür keine befriedigende Erklärung, da der Unterschied zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Erfahrung, wie H . Peter im Gegensatz zur Auffassung Euchens (f 21) zu Recht bemerkt, kein spezifischer, sondern nur gradueller ist (g 162). Es fragt sich außerdem, ob die von Eucken geforderte wissenschaftliche Voraussetzungslosigkeit überhaupt möglich ist. Hierbei spielt seine offenkundige Selbsttäuschung eine gewisse Rolle, von der G. Weippert (c 14), A . Amonn (b 15f., 27, 130f.), H . Ritscbl (c 231, A. 1) und H . Rupptn (106) sprechen, und die Eucken nicht wahrhaben möchte (f 243f.). Er tritt nämlich keineswegs voraussetzungslos, sondern ganz offenkundig mit einer apriorischen

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

279

Wirtschaftsdefinition an die analytische Klärung der wirtschaftlichen Grund­ formen und Grundfragen heran. Es ist die durch die neukantianische Ideologie prädeterminierte Grundkonzeption, die auf den folgenden Seiten immer deutlicher zum Vorschein kommen wird, wonach das Wirtschaftsganze im Grunde nichts anderes darstellt als die Summe analysierbarer Wirtschaftsfakten, technologischer Prozesse und Bedingungszusammenhänge, die nach Euckens Ansicht ohne weiteres aus dem menschlich-sozialen Zusammenhang herausgelöst und für sich betrachtet werden können. Dieses Apriori bestimmt das typisierende Abstrak­ tionsverfahren Euckens ebenso wie die Auswertung und Kombination der analytischen Ergebnisse. Hinzukommt, worauf A . Amonn (b 14f.), W. A . Jöhr (f 268) und H . v. Stackeiberg (256 f.) übereinstimmend hinweisen, daß Eucken bei der Festlegung seines Systems der Elementarformen die Kenntnis der gesamten modernen Theorie zur Verfügung gestanden hat. Es ist für einen Forscher unmöglich, was auch H . Peter unterstreicht (g 162), den Schritt zur Erfahrung bewußt zu vollziehen. Ebenso unmöglich ist es, die Wirtschaftstheorie ausschließ­ lich von den Ausschnitten der Alltagserfahrung her aufbauen zu wollen, wenn ein neuer Weg gesucht werden soll, wie W. A . Jöhr zu Recht bemerkt (f264,268). Eucken konnte nur deshalb die erforderlichen „wesentlichen“ Fragen stellen, aus einzelnen Beispielen die fünf Hauptseiten des einen nationalökonomischen Hauptproblems ableiten und aus dem einzelnen Tatbestand abstraktiv die Hauptsätze der Theorie entwickeln, weil er mit der ganzen Theorie schon vertraut war. Euckens System ist nach H. v. Stackeibergs Ansicht eher als „fortschrittliche Synthese auf Grund gediehener Analyse“, denn als eigentliche Neuschöpfung zu betrachten (a 260). Logische Kohärernζ als wirtschaftswissenschaftliches Objekt Von größerem Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang die erkenntnistheoretische Frage, mit der sich G. Gundlach ausführlich befaßt (684ff.), ob es W. Eucken mit Hilfe der „Idealtypen“ faktisch gelingt, die intendierte Über­ windung der „großen Antinomie“ zu realisieren und innerlich zu begründen. Vom Standpunkt der realistischen Erkenntnistheorie aus muß diese Frage nach alldem, was im ersten Kapitel bei der Gegenüberstellung der realistischen Ab­ straktionslehre und dem nominalistischen Abstraktionsbegriff / . Lockes geklärt worden ist (3c), verneint werden. Auch auf der Basis der Eucken'sehen Argumen­ tation stehen der Intention, mit Hilfe der Idealtypen die Brücke zwischen dem Historisch-Individuellen und der Theorie zu schlagen, drei Tatsachen hindernd im Wege : die logische Natur des Idealtypus ; die völlige Immanenz des Erkennt­ nisprozesses ; der ausschließlich faktische Charakter der Vorgefundenen Wirt­ schaftsordnungen.

280

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

W. Eucken betont zwar mit Nachdruck, daß die Idealtypen durch „Anschauung“ bzw. durch typisierende Isolation aus der historisch-individuellen Wirklichkeit gewonnen werden (f 123, 124); andrerseits erklärt er ebenso — und hierin ist er ganz Kantianer —, daß die Idealtypen nicht mit Realtypen verwechselt werden dürfen (f 227, 234ff., 253: A. 24,268: A. 66 ). Sie stellen keinesfalls Abbilder der Wirklichkeit dar (f 41, 123). Sie haben nicht den Charakter von Allgemein­ begriffen mit inhaltlicher Grundlage in der Wirklichkeit, da ja die „generali­ sierende Abstraktion“ und mit ihr jegliche Verbindung zwischen Erkenntnis­ theorie und Metaphysik einfach abgelehnt wird (f 249: A. 13; 70,162). Was Eucken bei der wissenschaftlichen Bestimmung der konkreten Wirtschaftsordnungen als „generalisierende Abstraktion“ zuläßt (f 226, 168), ist in Wirklichkeit keine. Der ausgesprochen singuläre Charakter des Idealtypus ist nicht zu übersehen. Seine theoretische Brauchbarkeit gründet nicht im Inhalt, sondern in seiner Form, in der Form der Idealität: der idealen Verknüpfung verschiedener Elemente zur begriff­ lichen Einheit. Mit Recht weist jedoch G. Gundlach darauf hin (684f.), daß Idealität als Form der Einheit jeweiliger Planungs- oder Wirtschaftsordnungen in der erfahrbaren Wirklichkeit nicht existiert, ja dort nicht einmal, im Unterschied zum gegenständlichen Wert der allgemeinen Begriffe (vgl. 1. K., 2b), einen real begründeten Ansatz aufweisen kann. Eucken läßt bewußt die wissenschafts­ theoretische Brauchbarkeit des Idealtypus ausschließlich im Intellekt verankert sein: im „strengen Gebrauch der Vernunft“ (f 227), in der „Kraft“ und im „vollen Einsatz“ rationalen Denkens (f 20, 22, 177), in der reinen Ratio (f 242). Daraus ist zu entnehmen, daß die erkenntnistheoretische Basis der „Kritik der reinen Vernunft“ Kants, auf die sich Eucken ausdrücklich beruft (f 29; vgl. 245; h 126, 176, 360, 375), als ideologisches Fundament der Eucken’sehen Theorie anzusehen ist. Die Kantischen Grunddogmen: das Sein als Erzeugnis des menschlichen Denkens, das Erkennen als „Setzen“ von „Gegenständlichkeit“ , das erkennende Ich als Quell der apriorischen Denkformen der Kategorien und Ideen, die synthetisierende Natur des Intellekts in der Erkenntnis, die Vernunft als höherer Grund des ordnenden Denkens, das nicht mehr gegenständliches Erkennen ist, endlich der Kantische Begriff der „Transzendenz“ und des „transzendentalen Intellekts“ (vgl. 1. K., 3c), sind demnach für die innere Begründung der Eucken’sehen Argumentation zugunsten der Ideal typen ausschlaggebend. Von dieser ideologischen Basis her ist übrigens auch Euckens polemische Intoleranz gegen­ über den „Begriffsnationalökonomen“ zu verstehen. Er unterschiebt ihnen generell und daher zu Unrecht, sie würden mit ihren Begriffen das Wesen des Historisch-Individuellen hinter den Dingen suchen, weshalb ihnen die Dinge selbst entglitten, und am Schluß nur noch leere Worte übrigblieben (f 7f., 243,30) Dieser Vorwurf entspricht Euckens eigener erkenntnistheoretischer Perspektive

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

281

insofern er selbst zwischen Begriffen einerseits und konkreten Sach- und Wesens­ verhalten anderseits eine inhaltlich-reale Verbindung nicht gegeben sieht. Durch die Kantische Transzendentalphilosophie wird jedoch der erkenntnis­ theoretische Wert der ideal typischen Analyse — jedenfalls nach realistischer Auffassung — bereits vom Ansatzpunkt her in Frage gestellt. Die unmittelbaren Folgerungen aus den Kantischen Denkvoraussetzungen verstärken den Einwand gegen die von Eucken behauptete Brauchbarkeit der Idealtypen als Brücke zwischen konkreter Wirklichkeit und theoretischer Analyse (f 124). Der Forma­ lismus der Synthesis durch den „transzendentalen“, idealistisch-schöpferischen Intellekt klammert von vornherein jeglichen erkenntnistheoretischen Einfluß seitens des empirisch Gegebenen auf die „Wahrheit“ aus. Die Wirtschaftsord­ nungen als Idealtypen stellen in der Euckerfsehen Theorie nur logische, begriff­ liche Einheiten dar (f 233). Sie dienen einerseits dem schöpferischen Intellekt als kongruente Werkzeuge; sie sind zugleich Erkenntnisgegenstand und zwar als inhaltliches Ergebnis der schöpferischen Tätigkeit des Intellekts. Auf Grund der völligen Immanenz des Erkenntnisprozesses und der logischen Idealität des Erkenntnis­ gegenstandes kann, so folgert G. Gundlach zu Recht, die wissenschaftsgegenständ­ liche Weise der idealtypischen Ordnungsformen nicht ein „Sein“, sondern nur ein „Gelten“, ein logisches „Sollen“ sein, eben weil der Gegenstand vom Intellekt in Übereinstimmung mit dessen innerer Gesetzmäßigkeit erzeugt ist. Es ist die Gesetzmäßigkeit, die „auf äußerste Reinheit logischer Kohärenz der zusammen­ gefügten Elemente, auf die Sauberkeit im strengen Ausschluß aller nicht einfügbaren Elemente“ hintendiert (685 f., 688 ). Hieraus ergibt sich nun eine für die Eucken'sohzn Denkvoraussetzungen unüber­ windliche Schwierigkeit. Abgesehen davon, daß die Idealität als Form der ideal­ typischen Wirtschaftsordnungen in der konkreten Wirtschaft keine Begründung hat, erkenntnistheoretisch also nicht gesichert ist, fragt es sich, wie die ideal­ typischen Ordnungsformen als theoretische Erkenntnisobjekte ihre angebliche Funktion als unentbehrliche „Modelle“ (f 123, 269 f.) zur wissenschaftlichen Klärung des faktischen Aufbaus der wirklichen Wirtschaft erfüllen sollen, ohne daß man in die konkret-historischen Aufbauformen ebenfalls ein „Sollen“ hineindeutet. Eben dieses scheitert jedoch am Ordnungsbegriff W. Euckens, am faktisch­ effektiven Charakter der Vorgefundenen Wirtschaftsordnungen. Nach Euckens Ansicht enthalten diese in ihrem Charakter als individuelle, positiv gegebene Tat­ sachen (f 238f., 51,167f.), als rein äußere, einheitliche Zusammenfassung verschie­ dener wirtschaftlicher Grundelemente lediglich den quantitativ bestimmten wirt­ schaftlichen Tatbestand, das wirtschaftliche Planen und Ordnen also ausschließlich im Effekt. Den feststellbaren faktischen äußeren Ordnungseinheiten kommt für den Aufbau der Wirtschaft grundsätzlich keine irgendwie geartete innere Notwendigkeit oder objektive

282

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Gesetzlichkeit zu* Eine überzeugende erkenntnistheoretische Begründung für die modelltheoretische Verwendbarkeit der Idealtypen, mit deren Hilfe Eucken die wirtschaftliche Wirklichkeit durchdringen, notwendige Zusammenhänge und Ein­ heit entdecken und zu wissenschaftlicher Erfahrung gelangen will (f 227), bleibt dann allerdings unmöglich, es sei denn, man sieht das innerste Aufbauprinzip konkret wirklicher Einheiten, der logischen Eigenart der Modelle entsprechend, in der logischen Kohärenz vereinter Elemente. Daraus würde folgen, daß das IndividuellKonkrete der erfahrbaren Wirklichkeit nicht als qualitativ und quantitativ Eigenes, sondern als Schnittpunkt mehrerer logischer Kohärenzen, als eine „Mischung“ von Wirtschaftsordnungen zu betrachten ist. Gundlach äußert demgegenüber mit Recht, daß eine derartig theoretische Behandlung des Individuell-Konkreten keinesfalls, zumal nicht in einer Sozialwissenschaft gegenüber gesellschaftlicher Wirklichkeit, als ausreichend betrachtet werden kann (f 687; vgl. 681, 686 , 683). Diese Feststellung ist für die wissenschaftliche Erkenntnis der Wirtschafts­ abläufe, die nach Eucken ebenfalls durch die logische Kategorie des Idealtyps ermöglicht werden soll (f 171 ff., 226, 233), wesentlich; schon allein deswegen, weil die idealtypischen Wirtschaftsordnungen auch die Theorie des Wirtschafts­ ablaufes mitbedingen (f 177). Der erkenntnistheoretische Weg zur wissenschaft­ lichen Erfassung des Wirtschaftsprozesses ist der gleiche wie der zur Durchleuch­ tung des Wirtschaftsaufbaus: Trennung der abstrakten Theorie des Ablaufes von ihrer konkreten Anwendung (f 172, 178); Gründung der Wahrheit aller Erkennt­ nisse über den wirtschaftlichen Ablauf ausschließlich im vollen Einsatz des Denkens (f 20), in der reinen Ratio (f 242), in der inneren Gesetzmäßigkeit des synthetisierenden Intellekts. Die theoretischen Sätze sagen nichts aus über das faktische Wirtschaftsgeschehen, sie beschreiben nichts. Die Theorie als solche besteht vielmehr aus „hypothetischen Urteilen über notwendige Bedingungs­ zusammenhänge im Rahmen verschiedener möglicher Bedingungskonstellationen“ (f 173). Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß die Nationalökonomie aus vorläufigen und unverbindlichen „Hypothesen“ besteht. Vielmehr besagt das hypothetische Urteil „im strengen Sinn der Logik“ , „daß sich aus einem bestimm­ ten Grund eine bestimmte Folge ergibt“ . Im hypothetischen Urteil, das auf dem „Satz vom zureichenden Grunde“ basiert, kommt nach Eucken in besonderem Maße die Ratio zum Ausdruck. Ist es richtig gewonnen, dann gilt es „unum­ stößlich, streng notwendig, apodiktisch und keineswegs vorläufig“ (f 264: A. 54). Die logische Kohärenz beim Ablauf der Wirtschaft ist also eine andere als beim Aufbau. Sie bedeutet hier nicht die logische Vereinbarkeit, sondern das Aufeinander­ folgen von verschiedenen Elementen zur inneren Einheit des hypothetischen Zusammenhangs in GrundundFolge. Auf dieser Basis der hypothetischen Notwendigkeit

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

283

von Grund und Folge kommt nach Eucken den Urteilen der Theorie überzeitliche Gültigkeit zu (f 264: A. 54; vgl. Gundlach, 6 8 8 f.). Da Eucken den Erfolg aller theoretischen Forschung davon abhängig macht, daß die Theorie mit der konkret­ geschichtlichen Wirklichkeit in Verbindung steht (f 228, 143, 156, 161 £.), erhält der Datenkranz als gesamtgeschichtlicher Rahmen der jeweiligen Bedingungs­ konstellation, zumal er auf das Wirtschaftsgeschehen von bestimmtem, wenn auch nur quantitativ meßbarem Einfluß ist (f 156f., 160f., 263), im Gesamt­ system den ihm gebührenden Platz. Um die jeweiligen konjunkturellen Ver­ schiebungen konkreter Wirtschaftsprozesse in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Abhängigkeit von den Daten wissenschaftsgegenständlich machen zu können, ist es nach Eucken notwendig, „hypothetische Urteile über die Wirkungen von Datenänderungen“ in die Theorie einzubauen. Dafür sind zwei Voraussetzungen notwendig: erstens, Festhalten an der grund­ legenden „Idee des statischen Zustandes“ des Wirtschaftsgeschehens, von dem, wie übrigens auch die klassische Theorie von der Stabilität der natürlichen Wirtschaftsordnung und ihrer automatischen Erneuerung lehrt (Heimann, b 82), auszugehen ist und zu dem alle konjunkturellen Schwankungen wieder zurück­ kehren; zweitens, Verwendung der Methode der „Datenvariation“ (f 188f., 160f., 148, 192). Auf diese Weise wird die Theorie des Wirtschaftsablaufes ermöglicht, insofern dieser „in logischen Kohärenzen hypothetischer Art“ wissenschaftlich zu erfassen ist (Gundlach, 690). Eucken vergleicht seine Theorie mit ihrem logischen Apparat sowohl für den Aufbau wie für den Ablauf der Wirtschaft mit einem „Kasten voller gedanklicher Instrumente“ (f 173), mit deren Hilfe er in jedem Fall die wirkliche Wirtschaft wissenschaftlich erfassen zu können glaubt. Daß durch die idealtypische Analyse und durch die Tendenz, die reinen Formen als Modelle, als exakt bestimmte Bedingungskonstellationen zu benutzen, an denen die theoretischen Ableitungen erfolgen (f 269), der aufkommenden Modell­ betrachtung und Modellbildung neoklassischer Prägung im allgemeinen und dem ausgeprägten modelltheoretischen Denken der Freiburger Schule im besonderen eine fruchtbare ideologische Ausgangsbasis geschaflen ist, läßt sich denken. Es wird sich herausstellen, daß die Grenze zwischen Modelltheorie und wirtschaft­ licher Wirklichkeit von den Neoliberalen nicht immer konsequent beachtet wird, weshalb man mit Recht vom „hypothetischen“ Liberalismus gesprochen hat. W’. Euckens logizistische Methodologie ist bei den Wissenschaftlern, die nicht dem Neukantianismus ideologisch nahestehen, auf erheblichen Widerstand gestoßen. Vom Standpunkt der realistischen Seinsphilosophie aus geurteilt, erscheint die Überwindung der „großen Antinomie“ auf der Basis der Eucken9sehen Argu­ mentation nicht realisierbar. Die logische Natur des Idealtypus, die daraus resultierende völlige Immanenz des synthetisierenden Erkenntnisprozesses und

284

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

der faktische Charakter der Vorgefundenen Wirtschaftsordnungen lassen eine stichhaltige erkenntnistheoretische Begründung der idealtypischen Wirtschafts­ ordnungen als haltbare Verbindungsglieder zwischen der konkret-historischen und der theoretisch-begrifflichen Sphäre nicht zu. Die Idealtypen sind auf Grund ihres kategorialen Charakters Kantischer Prägung weder inhaltlich noch formell der konkreten Wirklichkeit entnommen. Inwiefern sie als stilisierende Übersteigerung oder auf die Spitze getriebene Anschauung der Wirklichkeit betrachtet werden können, ist erkenntnistheoretisch nicht zu begründen. Sie sind, wie H. Ritschl bemerkt, rein logische „Konstruktivmodelle“ (c 265, A. 1 ; vgl. Eucken> f 269), die als solche für die wissenschaftliche Erkenntnis der konkreten Wirklichkeit nicht geeignet sind. Da die Idealtypen geschichtsentleerte, bloße Denkfiguren dar­ stellen, betrachtet G. Weippert Euchens Überwindung der Antinomie als ge­ scheitert. Wenn mit der Theorie wirtschaftliche Wirklichkeit erfaßt werden soll, dann bedürfen wir seiner Ansicht nach eines anderen Theorie-Typus, der nicht auf der Seite der Ratio steht. Das entscheidende Kriterium bilden nicht Denk­ gesetze, die nur die Form äußerer Sätze betreffen, sondern die Wirtschaftswirk­ lichkeit, die ihnen den Inhalt gibt, sowie das Heranführen des Denkens an das Wesen der Dinge, wenn die gesamte Analyse nicht in die Leere gehen soll. Das Wahrheitsproblem muß daher anders gesehen werden, als es bei dem Idealisten Euchen der Fall ist. Euchen konnte die Kluft zwischen Ratio und Leben nicht überbrücken, da es für ihn als Neukantianer kein gegenstandsgemäßes Erkennen, keine Verstehbarkeit und Erklärbarkeit der realen Welt, sondern nur ordnendes Denken gibt (c 277ff., 283f.). Damit ist zugleich, da die Idealtypen im Rahmen der Bedingungskonstellationen und in den Konstruktionen des statischen Zustandes wieder auftauchen, auch das Nötige über den erkenntnis- und wissenschafts­ theoretischen Wert der logischen Apparatur Euchens für die Erfassung des konkreten Wirtschaftsablaufes gesagt. Es fragt sich daher, wie Euchen dem Vorwurf der wirklichkeitsfernen „Speku­ lation“, den er gegen die Begriffsnationalökonomen erhebt (f 8 ), selbst entgehen will. Nach realistischer Auffassung trifft gerade das auf seine Theorie zu, was er unter allen Umständen zu vermeiden sucht: sie stellt ein System von Begriffen oder Definitionen dar, „das weder ein Fundament hat, noch mit der geschicht­ lichen Wirklichkeit in Verbindung steht“ (f 227f.). Dieser Sachverhalt muß auch O. Veit gegenüber geltend gemacht werden, der davon überzeugt ist, mit Hilfe der idealtypischen Ordo-Idee W. Euchens die Überwindung der erkenntnis­ theoretischen und zugleich auch der philosophiegeschichtlichen Antinomie zwischen scholastisch-realistischer und nominalistischer Wissenschaftsgegen­ ständlichkeit realisieren zu können (b 44f.; c 39). Damit ist zugleich das Not­ wendige zur simplifizierenden Auffassung M. Hättichs (64ff., 94, 135f) gesagt.

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

285

Die logizistische Grundausrichtung der Euckeri*sehen Theorie, auf Grund deren die rein logische Kohärenz der Vereinbarkeit für den Wirtschaftsaufbau und der hypothetischen Einheit von Grund und Folge für den Wirtschaftsablauf das wissenschaftliche Forschen beinhaltet, verschließt zudem von vornherein den Erkenntniszugang zur Wirtschaft als spezifisch menschlich-personalem Ge­ schehen und gesellschaftlichem Lebensprozeß. Wenn Eucken daran festhält, daß der jeweilige Alltag wie alles menschliche Tun zur Realität der „Geschichte“ gehört, ja selbst „Geschichte“ ist (f 16 f.), mithin also in Verlauf und Ergebnis den Meinungen, Zielsetzungen und Entschlüssen der wirtschaftenden Menschen unterliegt, dann ist es unmöglich, wie W. V leugelsH . Ritschl (c 238 f.), H . Peter (g 164f.) und G, Weippert (c 9ff., 51) übereinstimmend hervorheben, zugunsten logisch einwandfreier, formaler Ableitungen aus idealtypischen Modellen den Wirtschaftsgeist und die Wirtschaftsgesinnung, Zweckeinstellungen und Grund­ haltungen, das eigentliche gesellschaftlich-soziale Element der Wirtschaft zu unterschlagen. Die Wirtschaft als soziales Phänomen verkennen heißt, das Wesen der Wirtschaft verfehlen, ganz abgesehen davon, daß die Elemente der sozial­ wirtschaftlichen Wirklichkeit sich nicht wie Objekte der Physik oder Anatomie mosaikartig zerlegen lassen. Die Betrachtung des sozialen Wesens des Menschen, seiner Beziehungen zur Umwelt, seiner Lebenserfüllung und Endbestimmung als inhaltlicher Begründung des eigentlichen Sozialzwecks der Wirtschaft legt der wissenschaftlichen Reflexion über das Wirtschaften jenes generelle Apriori auf, das den Forscher nicht „proble­ matisierend“ , sondern final-ethisch an den Bereich der Wirtschaft herantreten läßt. Im Gegensatz zur transzendental-idealistischen Philosophie W. Euchensy der im Gefolge von M ax Weber den neukantianischen Intellektualismus und Erkenntnisformalismus in die nationalökonomische Wissenschaft einzuführen suchte, haben nach realistischer Auffassung, wie G. Gundlach (686 , 691) betont, nicht logische Kohärenzen, sondern die metaphysischen Grundwerte der Substantialität, Kausalität, Finalität und reale Relationen das theoretische Fundament für die wissenschaftliche Forschung zu bilden2.1 1503,506, 515: nach vleugels Ansicht ist daran festzuhalten, daß vor allem der Wirtschaftsgeist, die sittliche Zweckeinstellung ein idealtypisch hervorragendes Charakteristikum bildet und zugleich den gedanklichen Werkzeugen der Erkenntnistheorie erst zu ihrem notwendigen Seinszusammenhang verhilft. vleugels gibt also dem „Idealtyp“ eine andere Interpretation. Zu ergänzen wäre noch, daß der Seinszusammenhang nicht nur ethische Bewandnis hat. 1Aus dem Schrifttum w. euckens ist zu entnehmen, daß er ideologisch der marburger Schule des deutschen Neukantianismus nahesteht. Die für den Neukantianismus insgesamt konsumtiven Merkmale wie : Ablösung der Metaphysik durch die transzendentale Methode, Leugnung der intellektuellen Anschauung im Sinne des Kantischen Konzeptualismus, erkenntnistheoretischer Idealismus des die Erkenntnisobjekte erschaffenden Intellekts, erhalten durch die marburger Richtung eine betont logizistische Begründung bzw. Weiterbildung. In euckens Gedankengängen finden sich neben der logizistischen Grundausrichtung seiner idealtypischen Methode folgende Ideenelemente dieses „logischen Idealismus“ : kants „Kridk der reinen Vernunft“ als

286

Mechanistisch-instnimentale Wirtschaftsauffassung

Identifizierung von „wirtschaftlichem Prinzip“ und „wirtschaftlicher Vernunft“ Wie sich zeigen ließ, hat nach W. Eucken die Überwindung der „großen Anti­ nomie“ zur Voraussetzung, daß in der konkreten Wirklichkeit eine gewisse „Invarianz“ elementarer Urformen feststellbar ist, die die Anwendung der Theorie ermöglicht. Die Frage, ob die Theorie auch auf das wirtschaftliche Verhalten anwendbar ist, hängt demnach von der fundamentalen Voraussetzung ab, ob im Bereich des faktischen Wirtschaftens ein einheitliches Prinzip als allgemein konstitutives Element des wirtschaftlichen Handelns feststellbar ist. Nach eingehender Analyse der wirtschaftlichen Wirklichkeit stellt Eucken fest, daß das Verhalten des einzelnen im wirtschaftlichen Planen und Handeln beides ist: konstant und mannigfaltig. Die Wirtschaft zeige, daß alle Menschen, soweit sie geistig gesund sind, stets und überall nach dem „wirtschaftlichen Prinzip“ handeln, mit anderen Worten: daß sie seit jeher bemüht sind, einen bestimmten Zweck mit einem möglichst geringen Aufwand an Werten zu erreichen. Hierin besteht nach Eucken die Konstante (f 211, 221). Die Mannigfaltigkeit hingegen komme in der Durchführung des „wirtschaftlichen Prinzips“ zur Geltung. Während die Konstanz des wirtschaftlichen Verhaltens die Konstruktion und Anwendung eines einzigen theoretischen Apparates erlaube und erfordere, lasse die Mannigfaltigkeit des Verhaltens den Ausbau und die vorsichtige Anwendung dieses Apparates angezeigt sein (f 221, 213, 222). Insoweit zeigen also nach Eucken auch die Menschen in der Wirtschaft eine eigenartige „Invarianz des Gesamtstils“ . Außerwirtschaftliche Motivationen, die das menschliche Verhalten in sehr verschiedenerWeise bestimmen, wie z. B.: Selbsterhaltungstrieb, Machthunger, soziale Liebe und echte Humanität, setzen nach Eucken das ökonomische Prinzip, da es als allgemein menschliches Vernunft­ prinzip mit den Zielen und Zwecken des menschlichen Handelns nichts zu tun habe, nicht außer Kraft. Dasselbe sei von den umwälzenden Änderungen der neuzeitlichen Wirtschaftsmethodik zu sagen, die nicht ein Beweis dafür seien, daß ein anderer, rechnerischer Wirtschaftsgeist eingezogen und eine völlige Um­ gestaltung im Verhältnis des Menschen zur Wirtschaft eingetreten ist. Ganz im Gegenteil sind sie nach Eucken dafür ersonnen worden, um dem „wirtschaftlichen Prinzip“ mit größerer Exaktheit folgen zu können (f 212f., 266: A. 61 ;: h 352f.). ideologisches Fundament aller Deduktionen ; Begründung alles Seienden in den immanenten logischen Gesetzen der reinen Vernunft; Reduzierung alles Wirklichen auf ein „Gewebe von logischen Relationen“; Lösung des „Wahrheitsproblems“ auf der Basis der apriorischen Kategorien als Bedingungen der Erkenntnis; die philosophisch-monistische Tendenz, mit Hilfe eines einzigen logischen Prinzips — bei w. eucken: der logischen Kohärenz — die ganze Wirklichkeit erklären zu wollen (cf. bochenski, 17ff., 103f., 105ff.; ferner: c. NiNK, Kommentar zu kants Kritik der reinen Vernunft, 1930; a. wilmsbn . Zur Kritik des logischen Transzendentalismus, 1935; v. rüfner. Die transzendentale Fragestellung als metaphysisches Problem, 1932).

Formal-inatrumentale Weaenabestimmung der Marktwirtschaft

287

Das „wirtschaftliche Prinzip“ nimmt demnach im Wirtschaftsdenken Euckens als das „Fundamentalprinzip alles Wirtschaftens“ (f 213) eine beherrschende Stellung ein. Der äußere Grund für seine Prädominanz liegt im zentralen Phänomen der wirtschaftlichen Knappheit, auf das sich alle wirtschaftlichen Überlegungen und Handlungen konzentrieren, um nach Maßgabe der vorhandenen Mittel optimal zu seiner Überwindung beizutragen (h 8 ). Eucken folgt hier wiederum der klassischen Doktrin. Wie A . Weber erklärt, schließt der wirtschaftende Mensch, um die Spannung zwischen beschränkt verfügbaren Gütern und unbeschränktem Güter­ begehren, zwischen ökonomischem Wollen und ökonomischem Können zu überwinden, einen Kompromiß, indem er „haushälterisch“ verfährt, also mög­ lichst wenig auf wendet, um möglichst viel zu erhalten. Der innere Grund für die zentrale Bedeutung des Rationalprinzips ist nach Eucken darin zu suchen, daß es als Prinzip des allgemein menschlich-vernünftigen Handelns auch für das wirt­ schaftliche Verhalten von konstitutiver Bedeutung sein müsse und überzeitliche Gültigkeit besitze. Als konstanter Faktor bilde es für die Theorie wie für die Praxis das einheitsschaffende und struktursetzende Prinzip. Wie A . Weber erklärt, ist das ökonomisch-rationale Handeln mit der menschlichen Natur gegeben, die durch das allgemein gleichartige, psychologisch bedingte rational-haushälterische Verhalten jedes einzelnen die Wirtschaft in ihrem eigentlichen Sinn bestimme. Nach Webers früher Auffassung hat das „wirtschaftliche Prinzip“ nicht nur als die Hauptwurzel der wissenschaftlichen Sozialökonomik zu gelten, sondern die Wirtschaft schlechthin erschöpft sich wesentlich in einem am Wirtschaftsprinzip ausgerichteten Verhalten des einzelnen, der sich vor die Tatsache der Güter­ knappheit gestellt sieht (a 5ff.; zit. Pät^y a 99). Die aus dieser Betrachtungsweise resultierende rein formale Begriffsbestimmung der Wirtschaft als zweckrationales Verhalten nach dem ökonomischen Prinzip, als eine „Mittel und Zwecke abwägende Tätigkeit, um vorsorglich knapp vorhandene Mittel für die Bedürfnisbefriedigung bereitzustellen* ‘ {Weber, a 16), ist für das neoliberale Wirtschaftsdenken insgesamt repräsentativ. W. Röpke z. B. sieht ebenfalls in der Verwirklichung des „wirtschaftlichen Prinzips“ das wesens­ konstitutive Element der Wirtschaft gegeben. Da wir nicht aus dem Vollen schöpfen können, lassen sich seiner Ansicht nach alle wirtschaftlichen Erwägungen als ein „Haushalten“ charakterisieren, ja „Auswahl und Begrenzung“ machen geradezu das Wesen der Wirtschaft aus. Schließlich sei Wirtschaften nichts anderes als die fortgesetzte Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, und die Nationalökonomie im Grunde nichts anderes als die Lehre von den Alternativen (d 23, 32). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings A . Webers spätere Revision dieser Auffassung, wenn er davor warnt, das Rationalprinzip zu einem entscheidenden Kennzeichen der Wirtschaft überhaupt zu machen. Richtig

288

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

sei vielmehr nur, daß das ökonomische Prinzip als eine „allgemeine Maxime für das menschliche Handeln“ für den wirtschaftenden Menschen eine besonders große praktische Bedeutung habe (d 16). W. Eucken jedoch, der sich dieser Korrektur nicht anschließt, sieht gerade in der allgemeingültigen Tatsache, daß es sich beim ökonomischen Rationalprinzip um eine „Maxime des vernünftigen Handelns“ überhaupt handelt (f 212), den Beweis für die zentrale Bedeutung dieses Prinzips. In bewußter theoretischer Verabsolutierung charakterisiert er es nach wie vor als wesenskonstitutives Element der Wirtschaft schlechthin. „Wirt­ schaften ist Anpassen“ (h 5), letztlich von der praktischen Vernunft diktiert. Daß hier die Kritik mit dem Argument einhakt, ein Prinzip, das in allen Bereichen des menschlichen Handelns wirksam ist, könne unmöglich als für das wirtschaft­ liche Gesamtverhalten spezifisch und wesenskonstitutiv angesehen werden, wenn die Nationalökonomie nicht zu einer „Allwissenschaft“ 1 erklärt werden soll, läßt sich denken. G. Weippert insbesondere weist auf den grundlegenden Irrtum dieser Auffassung hin, die im Grunde das „wirtschaftliche Prinzip“ als Prinzip der technischen Vernunft mit der wirtschaftlichen Vernunft schlechthin identifiziert (c 314ff., 319, 311, 295). Obwohl selbstverständlich das wirtschaftliche Handeln als ein „Handeln verhältnismäßig hohen Rationalitätsgrades“ und die Wirtschaft als Handlungszusammenhang mit einer zutiefst rationalen Struktur auch dem „wirtschaftlichen Prinzip“ unterstehen, ist letzteres dennoch nicht, wie später noch gezeigt wird, mit dem einheitsschaffenden, struktursetzenden und system­ erzeugenden Prinzip des Wirtschaftsganzen identisch. Wie die realistische Begriffsbestimmung der Wirtschaft klarzulegen hat, führt nicht primär das Erforschen der faktischen, die Außenansicht der Wirtschaft repräsentierenden elementaren Ordnungsformen und Wirtschaftsabläufe zur wissenschaftlichen Erfassung der Seinsart der Wirtschaft, sondern das Fragen nach der sozialwirt­ schaftlichen Zielsetzung, nach den Aufbaunotwendigkeiten und Sachzusammen­ hängen, nach den kategorialen Haltungen der Wirtschaftenden. Das Ergebnis nur dieses ganz andersartigen, nicht von bloßen Denkgesetzen ausgehenden Fragens kann den Anspruch auf den Rang einer allgemeinen Theorie zur Erkenntnis der wirklichen Wirtschaft erheben. W. Eucken polemisiert energisch gegen die angebliche „Hypostasierung“ von Allgemeinbegriffen durch die Begriffsrealisten, gegen ihren Anthropomor­ phismus und die daraus resultierende „magisch-mystische Betrachtungsweise“ alles Wirtschaftsgeschehens (f 64, 252f.). Ziehen wir jedoch das in Betracht, was 1h.

RUppiN, 108; vgl. o. v. n b ll-b re u n in g , WdP IV, Sp. 6 f; w. k alv eram weist darauf hin, daß das Prinzip zweckvollen Einsatzes und zielbewußter Kombination der Produktionskräfte im Grunde ein kosmisches Prinzip“ ist, das uns überall im Naturgeschehen begegnet, vor allem für jeden Bereich menschlichen Wirkens gilt (40).

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

289

bereits bei der Behandlung des Harmonieproblems über den ethisch-normativen Charakter des „wirtschaftlichen Prinzips“ festgestellt worden ist, wo Eucken von den individuellen und allgemeinen „Produktionsanweisungen“ des ökonomischen Prinzips spricht und zudem für das „richtige“ Handeln nach diesem Prinzip zugunsten der privaten Wirtschaftsrechnung generelle Legitimation und Absolu­ tion beansprucht (4. Kap., 3a), dann ergibt sich daraus eindeutig, daß Eucken hier der gleichen Versuchung erlegen ist. Er löst das ökonomische Prinzip aus dem wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang heraus, verselbständigt und „hypostasiert“ es, indem er es zum zwecksetzenden Faktor und zur eigentlichen Wirk­ ursache des Wirtschaftens erklärt, um ihm obendrein noch das Mäntelchen des ethischen Solls umzuhängen (h 352, 359). Diese einseitige Problemsicht entspricht der Logik seiner Methode, die ausschließlich von der isolierenden Betrachtung einer Formalität zur Wesenserfassung der Gesamtrealität vorzudringen sucht, dabei aber die Problematik dieses Vorgehens übersieht (f 226). Es wird sich auf den folgenden Seiten noch deutlicher zeigen, daß Eucken, der zwar jeglichen Punktualismus in der wirtschaftstheoretischen Problembehandlung grund­ sätzlich ablehnt (h 344 f.), auf Grund seines pointierenden Vorgehens und ideologisch determinierter Schwerpunktverlagerung das harmonische Ordnungs­ gefüge des Wirtschaftsganzen aus dem Auge verliert. Wirtschaft als „variabler Rechnungs- und Signalapparat“ (A . Müller-Armack) Die grundsätzliche Charakterisierung des wirtschaftlichen Verhaltens als zweck­ rational-haushälterisches Verfahren nach dem ökonomischen Prinzip spiegelt sich augenscheinlich in der Wirtschaftsdoktrin A . Müller-Armacks wider, der in prägnanten Formulierungen den formal-instrumentalen Charakter der Wirtschaft als rechenhafte Apparatur für die intendierte Überwindung der wirtschaftlichen Knappheit herausarbeitet. Seiner Auffassung nach hat die „soziale Marktwirt­ schaft“ im Kern „ein in die verschiedensten Datenkonstellationen einfügbares formalwirtschaftliches Verfahren“, das in der Wirtschaft ein „höchstrationales System wirtschaftlicher Rechenhaftigkeit“ erkennen läßt. Als „variabel gestaltete Form der Wirtschaftsrechnung“ und als „Instrument rechenhaften Wirtschaftens“ offenbart die Marktwirtschaft ihren „wahren Sinn“. Die Entwicklung und Ausgestaltung der rationalen Rechnungsform beweglicher Preis- und Wert­ rechnung, sowie die Bereitwilligkeit, den volkswirtschaftlichen Austausch diesen Wertziffern gemäß zu vollziehen, machen das „eigentlich rationale Wesen“ der Marktwirtschaft aus. In ihrer Funktion als „variabler Rechnungs- und Signal­ apparat“, als „formales Organisationsgefüge“ und „formales Prinzip der Daten­ bearbeitung“ sieht Müller-Armack die Bestätigung für ihren wesenhaft

290

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

instrumentalen Charakter, der nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten begriffen werden muß (d 90ff., 71, 111, 86 ). Die Marktwirtschaft ist für ihn im Grunde nur eine „sich an den Konsumentenwünschen orientierende rechenhaft exakt funktio­ nierende Apparatur, die gemäß den Markterfordernissen Einkommen bildet“ (i 30 f.). In der „bewußten Hervorkehrung des nur instrumentalen Sinnes einer freien Marktverfassung“ glaubt Müller-Armack ein deutliches Anzeichen für „die umfassende Wandlung in der gegenwärtigen Selbstdeutung des Liberalismus“ zu erkennen (g 2). Er will damit zum Ausdruck bringen, daß die Marktwirtschaft als „formales und neutrales Organisationsmittel“ selbst noch keine bestimmte Lebensgesinnung zum Inhalt hat und darum auch nicht den Anspruch erheben kann, „eine ausreichende Gesamtordnung des Lebens“ zu bieten oder Idol einer „Weltanschauung“ zu sein (d 103, 86 ). Dadurch, daß er altliberale weltanschau­ liche Ambitionen ablehnt und das Rational-Rechenhafte an der Wirtschaft betont hervorhebt, sucht er sich offenbar von gewissen Übertreibungen im neoliberalen Lager zu distanzieren, von denen noch die Rede sein wird. Zwar erlaubt seiner Ansicht nach die Auffassung der Wirtschaft als „Rechnungs- und Signalsystem“, den Wirtschaftsablauf als Ganzes „einigermaßen selbsttätig“ sich vollziehen zu lassen, er lehnt es aber grundsätzlich ab, in die Wirtschaft „rätselhafte Gleich­ gewichtskräfte hineinzugeheimnissen“ (d 92). Falls man sich darüber klar sei, daß auch unsere besten Automaten einer gewissen Bedienung bedürfen, brauche man dem heute so verpönten Ausdruck einer gesellschaftlichen Automatik nicht so ängstlich aus dem Wege zu gehen. Eine bewußt gestaltete Marktwirtschaft sei kein „Vollautomat“, sondern ein der Bedienung und Steuerung bedürftiger „Halbautomat“. An eine Vollautomatik zu glauben, sei verboten (d 92, 94). Statt die Wirtschaftspolitik auf Mythen zu gründen, sollten wir sie wieder der Vernunft anvertrauen, deren Führung sie bedenklich entglitten sei (d 303). Im Ganzen gesehen ist die betont abstrakt-geldrechenhafte Wirtschaftsauffassung des Initiators der „sozialen Marktwirtschaft“ die letzte formalistische Konsequenz des neo­ liberalen Wirtschaftsrationalismus, der auf Grund methodisch-einseitiger Kausalanalyse und ausgeprägten modelltheoretischen Denkens das eigentliche gesellschaftliche Wesen des Wirtschaftsganzen verfehlt. Daß die Quantifizierbarkeit und Rechenhaftigkeit der Wirtschaft, z. B. im Bereich der Erzeugung und des Verbrauches, im Tausch­ verkehr, im betrieblichen Rechnungswesen und im Bankwesen, in den Haushalts­ und Erwerbswirtschaften, eine wichtige Rolle spielt, braucht als nüchterne Erfahrungstatsache nicht erst noch bewiesen zu werden. Etwas anderes ist es jedoch, ob daraufhin das Wert- und Tauschverhältnis der Wirtschaftsgüter auf der Basis des technologischen Rechenvorgangs zum ersten Wesenselement der Wirtschaft schlechthin erklärt werden, ob das Wirtschaftsganze als rein rechenhafter

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

291

Beziehungszusammenhang ausschließlich quantitativ bestimmter Größen und Mengenverhältnisse interpretiert werden darf, wie es bei Müller-Armack der Fall ist. Selbst wenn wir hier die Problematik des Geldes als beeinflußbarem Wertmesser und der vielfach mangelhaften Steuerungsfunktion des Preismecha­ nismus im Bereich der undurchsichtigen, vermachteten und schwerfälligen Groß­ wirtschaft vorerst außer acht lassen, bleibt immer noch die Frage offen, ob sich alle Wirtschaftsgrößen überhaupt als abstrakte Wertgrößen und ohne Rücksicht auf die Bedeutung ihrer jeweiligen Eigenart auf den einzigen Nenner — den des Rechnens in Geldziffern und Preisen — bringen lassen. Bei jenen Wirtschafts­ einheiten jedenfalls, die als solche nicht auf die marktmäßige Verwertung ihrer Leistungen, also nicht erwerbswirtschaftlich eingestellt sind, sind die Grenzen der Geldrechenhaftigkeit deutlich. Die Wirtschaft schlechthin als „höchstrationales System wirtschaftlicher Rechenhaftigkeit“ bezeichnen, heißt demnach, die Wirtschaft als Ganzes mit ihrer begrenzten „Marktbezogenheit“ identifizieren, heißt, die umfassende Sinnfülle des gesamtwirtschaftlichen Seins und Lebens auf einen technologischen Teüaspekt einengen. In didaktischer Vereinfachung gelangt diese Betrachtungsweise zu Schlußfolgerungen, die mit der vielgestaltigen Wirklichkeit und dem dynamischen Charakter des Wirtschaftsvollzugs nicht vereinbar sind. Für Müller-Armack ist die Marktwirtschaft insgesamt nur ein Apparat, den der wirtschaftende Mensch selbst nicht konstruiert hat, dessen Getriebe er lediglich rechenhaft-exakt einstellt, in Gang bringt und in seiner Funktionsfähigkeit laufend überwacht, um schließlich den Produktionsausstoß dieses Automaten nach sozialpolitischen Gesichts­ punkten in verschiedene Fächer zu sortieren (d 91 ff., 85,90,104). Nach realistischer Auffassung ist es ein fundamentaler Irrtum zu glauben, der „gesellschaftliche Gesamtprozeß“ der Wirtschaft, der ein Lebens- und Kulturprozeß ist, lasse sich wie ein gesetzmäßig ablaufender Naturprozeß analysieren und quantifizieren (vgl. WdP., IV, Sp. 21 ff., 129ff., 134, 138). Es wird sich auf den folgenden Seiten noch deutlicher zeigen, daß die isolierend-formalistische Betrachtungsmise und die Tendernζ %ur Quantifizierung für die wissenschaftstheoretische Einstellung des Neoliberalismus insgesamt von ausschlaggebender Bedeutung sind. b) ,,L e n k u n g s m e c h a n i k “ der M ark tw irt sc h aft Wie bereits hervorgehoben wurde, lehnt es W. Eucken ab, seiner Forschungs­ methode die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft zugrunde zu legen, weü angeblich das grundsätzliche Fragen dadurch in wirklichkeitsfremde „Speku­ lationen“ (f 8) hineingerate. Wir sehen hier davon ab, daß dieser typisch neu­ kantianische Einwand den wesentlichen Unterschied zwischen der Wesens­ betrachtung und der im Sinne Euckens verstandenen Spekulation übersieht,

292

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

insofern Wesensbetrachtung stets wirklichkeitsbezogen ist, während die einseitig verstandene Spekulation sich bewußt von der konkreten Wirklichkeit entfernt, was übrigens auch für die idealtypisch-konstruktive und in diesem Sinne „speku­ lative“ Methode Euckens gilt. Von methodisch weittragender Bedeutung ist die Feststellung, daß Eucken, eben weil er grundsätzlich davon absieht, die analytisch gewonnenen Teilergebnisse in eine universale, das Ganze der Volkswirtschaft berücksichtigende Wesensschau harmonisch einzufügen, der damit gegebenen Gefahr der falschen Pointierung insofern erlegen ist, als er das praktisch zwar unentbehrliche ökonomische Rationalprinzip in unstatthafter Verabsolutierung zum einheitskonstitutiven Prinzip und zwecksetzenden Faktor des wirtschaft­ lichen Gesamtverhaltens schlechthin erhebt. Die ideelle und methodische Prädo­ minanz des ökonomischen Prinzips läßt deutlich jenen dialektischen Umschlag erkennen, mit dem wir uns in den folgenden Untersuchungen noch eingehend zu befassen haben und der sich am besten mit den Worten W. Schwers als Sieg der Wirk­ ursache über die Zweckursache charakterisieren läßt (706 ff.). Es wird sich zeigen, daß diese Art des angeblich voraussetzungslosen und streng wissenschaftlichen Fragens notwendig zu einer für realistische Begriffe unhaltbaren, weil einseitigen und unvollständigen Wesensbestimmung der Wirtschaft insgesamt führt. Wirtschaft als arbeitsteiliger Tauscb^usammenhang Um die Wirklichkeitsnähe seines Forschens zu dokumentieren, stellt W. Euchen zuerst die Frage nach dem Lenkungsproblem der Gesamtwirtschaft, das er als das eine große nationalökonomische Hauptproblem bezeichnet und von fünf verschiedenen Punkten aus betrachtet: „Wie erfolgt die Lenkung dieses gewaltigen arbeitsteiligen Gesamtzusammenhanges, von dem die Versorgung des Menschen mit Gütern, also jedes Menschen Existenz, abhängt?“ (f 1, 2). Der eigentliche Grund dafür, warum Eucken sich zunächst dem Lenkungsproblem zuwendet, liegt in seiner Grundüberzeugung, im arbeitsteiligen Gesamtzu­ sammenhang das „Ganze“ (f 206), das „wirtschaftliche Ganze“ (f 218), den „gesellschaftlichen Gesamtprozeß der Wirtschaft“ (f 6 ) zu erfassen: „Die wirt­ schaftliche Existenz eines jeden ist vom Tun sehr vieler, oft unübersehbar vieler anderer Menschen abhängig, und umgekehrt wirkt ein jeder durch sein Tun auf die wirtschaftliche Existenz einer überaus großen Zahl von Menschen ein“. Mit Nachdruck fügt er verdeutlichend hinzu: „Erkenntnis wirtschaftlicher Wirklich­ keit ist Erkenntnis dieses wirtschaftlichen Ganzen und seines Gesamtzusammen­ hangs“ (f 18), wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß im Sinne Euckens dieser Gesamtzusammenhang nicht etwa sozialethischen, sondern formal-wirtschaft­ lichen Charakter besitzt.

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

293

Mit anderen Worten: W. Euckert bekennt sich mit seiner programmatischen Forderung zu der gleichen aktualistischen Perspektive, aus der auch die Klassiker die „GesellschaftsWirtschaft“ zu erfassen suchten. Ihr großes, von ihm stark hervorgehobenes Verdienst bestand seiner Ansicht nach darin, das Lenkungs­ problem gestellt, mit neuartigen Methoden behandelt und den Gesamtzusammen­ hang des ökonomischen Geschehens auf gedeckt zu haben (f 243, 24). Nicht genug damit: Obwohl Eucken es theoretisch ablehnt, seinen Wirtschaftsbegriff einer definitiven Gesellschaftsauffassung zu konfrontieren (f 27), argumentiert er, wie übrigens auch F. A . Hayek, faktisch vom Boden der klassisch-aktualistischen Gesellschaftsphilosophie aus. Sie identifiziert, wie sich zeigen ließ, das Wesen der Gesellschaft und der Gesellschaftswirtschaft mit dem interaktionären Kräftespiel eines Wirkzusammenhangs, der sich aus Aktion und Reaktion konkurrierender Individuen integriert (vgl. 2. K., la, 2b; 3. K., 2c; 5. K., 2b). Da der klassische Begriff der Gesellschaftswirtschaft den anthropologischen Individualismus zur Voraussetzung hat, läßt die funktionaltheoretische Problem­ sicht W. Euckens zugleich Rückschlüsse auf sein Menschenbild zu. Er wertet den Einzelmenschen theoretisch als integriertes, autonomes und isoliertes Individuum, das lediglich energetisch aus seiner Isolation heraustritt, indem es Impulse ausstrahlt und wieder aufnimmt und in seiner Vielzahl ein „Aggregat“, ein „gesellschaftliches“ Kräftekollektiv konstituiert. Die Wirtschaft selbst wird daher als rein äußerer, zweckrational bestimmter Kräftekosmos begriffen, der als solcher eine in sich abgeschlossene, aus dem politisch-sozialen Gesamtzusammenhang prinzipiell herauslösbare Einheit darstellt. Eucken übernimmt von der Klassik mit dem Menschen- und Gesellschaftsbild auch das Erkenntnisobjekt der Volkswirtschaft als Wissenschaft, das A . Weber mit Barone und Carell lediglich im Ineinandergreifen von Einzelwirtschaften gegeben sieht gemäß dem Axiom : „Auf einem Markt wird getauscht und produziert“ (b 20). Wie Smith und Ricardo glaubt auch A . Weber, das wirtschaftliche Seih kernhaft im Beziehungssystem, im arbeitsteiligen Tauschzusammenhang, in der Funktionen­ theorie des Marktes erfaßt zu haben. Die Wirtschaft schlechthin wird wesentlich mit dem Marktgeschehen identifiziert, dessen Gesetzmäßigkeit zu erforschen nach neoklassischer Ansicht die zentrale Aufgabe der Nationalökonomie als Wissen­ schaft beinhaltet (b 20). Euckens wissenschaftstheoretisches Ziel konkretisiert sich im gleichen Erkenntnisobjekt. Er weist von vornherein auf die Kompliziertheit des modernen Wirtschaftsprozesses hin, der auf Grund der unübersehbaren Arbeitsteilung „an sich“ die Kraft des Menschen übersteigen würde, wenn es nicht „zu seinem Glück“ so etwas gäbe wie die „Lenkungsmechanik der Markt­ wirtschaft“, die den Menschen wenigstens einen Teil der Aufgaben abnehme. Bezüglich der Koordinierung von Eigeninteresse und Gesamtinteresse z. B.

294

Mechanistisch-instrumentale Wi rtschaftsauffassung

dürfe vom Menschen nicht gefordert werden, „was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann“ (h 369, 368). Die immanenten Gesetzmäßigkeiten bzw. Tendenzen des unpersönlichen Tauschmechanismus, die als „ökonomische Notwendig­ keiten“ (h 370) das Wesensgefüge der Wirtschaft und die Grenzen der Wirtschafts­ politik konstituieren, durch funktionaltheoretische Analyse herauszukristalli­ sieren, betrachtet auch er als die Hauptaufgabe der nationalökonomischen Wissenschaft. Es geht ihm primär darum, die wirkliche Wirtschaft in ihren konkreten Ordnungsgefügen und Abläufen im Rahmen eines bestimmten Bedingungsnetzes zu erfassen, um schließlich die Vielfalt möglicher Bedingungs­ konstellationen in den beiden elementaren Ordnungssystemen der zentralgeleiteten und der Verkehrs Wirtschaft unterzubringen. Das inhaltliche Ungenügen dieser Forschungsmethode, die sich mit der Außen­ ansicht des wirtschaftlichen Formenkleides und Getriebes begnügt, ist offenkundig. W. Eucken konzentriert seine Aufmerksamkeit auf einen zwar sehr wichtigen Teilbereich der Wirtschaft: das Tauschgeschehen, den kausalen Funktions­ zusammenhang, den Ablauf innerhalb verschiedener Bedingungskonstellationen. Sein fundamentaler Irrtum bestehtjedoch darin, daß er im Gefolge der klassischen Theorie den funktionaltheoretischen Beziehungszusammenhang des Wirtschaftsvollzugs mit dem „gesellschaftlichen Gesamtpro^eß der Wirtschaft“ schlechthin identifiziert. Für ihn ist die Wirtschaft nur eine Summe technologischer Professe. Nach realistischer Auffassung kann die funktionaltheoretische Analyse allein nicht ausreichen, um die Wirt­ schaft in ihrem wirklichen Wesen als menschlich-sittliches Geschehen, als gesellschaft­ liche Gestaltungsaufgabe und als Kulturprozeß wissenschaftlich exakt zu erfassen. Was Eucken in den Griff bekommt, ist die „Physik“ des Wirtschaftsprozesses, die technologische Seite des Wirtschaftens, die Verbindlichkeit gewisser ZweckMittel-Zusammenhänge. Andere, für den Gesamtprozeß der Wirtschaft wichtige, aber nicht ablesbare Faktoren und Problemstellungen werden bei dieser Methode von selbst übergangen. Wie O. v. Nell-Breuning mit Recht betont, ist für die Beurteilung der Wirtschaft der Blick auf das Ganze, die „Komplementarität“ entscheidend, die letztlich von der Auffassung des Menschen über den Inhalt seines Lebens und die Werte seiner Lebensführung bestimmt ist. Die ausschließ­ lich katallaktische Behandlung des wirtschaftlichen Phänomens läßt seiner Ansicht nach die „Gestalthaftigkeit“ der Wirtschaft außer acht: die Tatsache, „daß die Marktwirtschaft einen sozialen Organismus von bestimmter Gestaltung zur institutionellen Voraussetzung hat“ (p 227; k 304; m 398f.). Auf das eigentliche Sein und das mit der Wirtschaft verbundene soziale Moment nicht eingegangen zu sein, betrachtet G. Weippert als schweren Fehler Euckens, weil dadurch die eigentliche Wirklichkeit der Wirtschaft notwendig verfehlt wird. Ist die Wirtschaft „geschichtlich“, woran Eucken festhält (f 16f.), dann kann

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

295

das soziale Moment nicht von ihr getrennt werden. Daß die Wirtschaft das Soziale wesentlich zur Bedingung hat, ja daß sie in der sozialen Ordnung entstand und in ihr ursprünglich überhaupt beinhaltet ist, insofern der Bereich der eigentlichen Wirtschaft mit dem Sozialen ins Dasein tritt und auf die Existenzerhaltung des Sozialen ausgerichtet ist, gilt nach realistischer Auffassung als evident. Weippert folgert daraus sehr zu Recht, daß die wesenhaft-soziale Bewandtnis der Wirt­ schaft, falls man nicht in wirklichkeitswidrige „spekulative“ Konstruktionen verfallen will, bei jedem Abstraktions Vorgang im Auge behalten werden muß, was Eucken bei seiner idealtypischen Betrachtungsweise versäumt hat (c 9f., 300). Die Frage, ob ein Klassifikationsschema eine systematische Erfassung des ge­ samten Wirtschaftsprozesses überhaupt ergeben kann, wird von A . Mühlenfels verneint (419). W. Euchens Wissenschaftsmethode, die die wirtschaftliche Ordnungsaufgabe im Nachtasten von in der Naturordnung vorgegebenen Linien und Gesetzen gelöst sieht und zudem die Marktbezogenheit der Wirtschaft, das Tauschgeschehen, mit dem Wirtschaftsganzen gleichgestellt, ist eine im Prinzip quantifizierende Methode. Sie erscheint zu positivistisch, um den Unterschied zwischen der National­ ökonomie als einer Geistes- und Sozialwissenschaft einerseits und der Natur­ wissenschaft andrerseits entsprechend berücksichtigen zu können. „Und gerade, indem man gewisse Naturwissenschaften — vor allem die Physik — nachahmt“, bemerkt Eucken selbst an anderer Stelle gegen die marxistische Geschichts­ philosophie, „werden entscheidende Tatsachen der Geschichte — nämlich die Einwirkung menschlichen Denkens auf das geschichtliche Werden — nicht gesehen1.

Relativierung der Freiheit und Verantwortung Wie schon früher dargelegt wurde, hat der mechanistisch-funktionaltheoretische Optimismus der neoliberalen Theorie und die daraus resultierende ausgesprochen katallaktische Behandlung der wirtschaftswissenschaftlichen Problematik zur Voraussetzung, daß alle geistig-sittlichen, sozialethischen und geschichtlichen Faktoren in den Datenkran^ versetzt werden. Der von der Kritik erhobene Vorwurf, die menschlich-sittlichen Elemente der Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit fielen einem starren Wirtschaftsmechanismus zum Opfer, h 212; EUCKENS stark an das naturwissenschaftliche Vorgehen erinnernde Methode des gedanklichen Sezierens, Vereinfachens, Umgrenzens, Isolierens und Quantifizierens ist insofern bemerkenswert, als gerade Neu­ kantianer wie M. Weber und h. RiCKERT (Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1921) die Grenzen der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise und die Unfähigkeit naturwissenschaftlichen Denk­ verfahrens zum Erfassen geistiger und geschichtliche' F.-«chci"un^en hc'vo'gchnbcn h?ben.

296

Medianietisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

wird allerdings von W. Eucken und seiner Schule energisch in Abrede gestellt. Der eigentliche Wirtschaftsprozeß spielt sich theoretisch in einem ethisch neu­ tralen Raum ab. Es fragt sich also, ob unter dieser Voraussetzung die ethischen Gestaltungskräfte, ohne die auch nach neoliberaler Auffassung der „gesellschaft­ liche Gesamtprozeß der Wirtschaft“ undenkbar ist, genügend zur Auswirkung kommen können. Eucken selbst kommt verschiedentlich auf das Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Freiheit und wirtschaftlicher Sachgesetzlichkeit zu sprechen. Den Angelpunkt seiner Überlegungen bildet das Zentralproblem der Wirtschaft: die Überwindung der wirtschaftlichen Knappheit. Der sachliche Vorrang, den die Wettbewerbsordnung der wirtschaftlichen Notwendigkeit einräumt, muß nach Eucken in Kauf genommen werden; er habe mit materialistischer Auflassung nichts zu tun. Seiner Ansicht nach gibt es hier keine Wahl: „Wenn die ökono­ mische Notwendigkeit als untergeordnet vernachlässigt wird — was gleich­ bedeutend ist mit einem Verfall des ökonomischen Denkens — dann werden die Menschen nur noch in einem viel höheren Grade von der Wirtschaft abhängig. Dann ist die Freiheit wirklich in Gefahr“ (h 370). Eucken gibt also offen eine Abhängigkeit und einen Freiheitsverlust zu, der jedoch im Verhältnis zur Euckerischen Alternative : der Gefahr des Kollektivismus, relativ gering erscheint. Wenn man letztere nicht will, dann muß man wollen, daß der Wettbewerb herrscht, folgert Eucken. „Und wenn der Markt herrschen soll, dann darf man sich auch nicht weigern, sich ihm anzupassen“ (h 371). Eucken fügt erläuternd hinzu, daß die menschliche Freiheit immer an bestimmten Vorgegebenheiten ihren Wider­ stand und ihre Grenzen finde. Ihr Wesen sieht er gerade darin, daß sie dem Gesetz der Dinge sein Recht läßt und sich dennoch als das, was sie ist, behauptet (h 369). Daß Eucken in Wirklichkeit der Beantwortung der gestellten Frage mit dieser formalistischen Argumentation aus dem Wege geht, ist nicht zu übersehen. Ob Materialismus und Unfreiheit vorliegen oder nicht, läßt sich nicht allein an der rein formalen Tatsache, ob Knappheitsüberwindung und Wettbewerbsordnung intendiert werden, beurteilen. Entscheidend ist vielmehr die Wertbezogenheit der Freiheit; mit anderen Worten: ob der Inhalt dieser beiden Kategorien ge­ eignet ist, die menschliche Handlungsfreiheit ethisch zu determinieren (vgl. 2. K., 3 c). Daß die ausschließliche Befriedigung der durch Kaufkraft legitimierten Konsumwünsche vom sozialwirtschaftlichen Gesamtinteresse her als ungenügend zu betrachten und der funktionsfähige Wettbewerb nicht als ethische Kategorie einzustufen ist, wurde bereits dargelegt (vgl. 3. K., 3c; 4. K., 3c). Ebenso unbefriedigend ist auch die neoliberale Sicherung der menschlichen Verantwortlichkeit für das Wirtschaftsgeschehen. Die menschliche Verantwortung soll, wie Eucken versichert, keineswegs aufgehoben werden. Während die

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

297

eigentliche Wirtschaftstheorie den Datenkranz als Gegebenheit und als Grenze ihrer Erklärung hinzunehmen hat, wirkt die Wirtschaftspolitik im engeren und weiteren Sinn gerade durch die Veränderung der Daten, speziell des sechsten Datums: der Rechts- und Sozialordnung. Daraus wird das spezifische Merkmal der Wirtschaftspolitik als „Kunst der Datengestaltung“ (h 378) und, wie wir von A . Müller-Armack gehört haben, das der Wirtschaft selbst als „formales Prinzip der Datenbearbeitung“ (d 93) abgeleitet. Da sich der wirtschaftliche Gesamt­ prozeß notwendig aus der Konstellation der Daten ergibt, wir aber letztere weitgehend beeinflussen können, sind wir nach Euchen verantwortlich für das Ergebnis, ganz abgesehen davon, daß der Mensch auch die wirtschaftsverfassungs­ rechtliche Grundentscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem zu treffen hat. Ist die ordnungspolitische Entscheidung gefallen, dann läuft allerdings der „Lenkungsmechanismus“, der als neutrale Potenz keine Verantwortung tragen kann, nach seiner eigenen Gesetzmäßigkeit ab (h 378). Die Frage ist wiederum die, ob das Wirtschaftsganze noch als gesellschaftlicher Lebensprozeß bezeichnet werden kann, wenn die ethische Verantwortung für die Wirtschaft auf die Gestaltung der Ordnungsformen und des Datenkranzes beschränkt wird. Zunächst muß festgehalten werden, daß die wirtschaftsver­ fassungsrechtliche Grundentscheidung von einem verhältnismäßig kleinen, autorisierten Gremium getätigt wird, also der Verantwortung des einzelnen weitgehend entzogen ist. Hinzukommt, daß die wirtschaftspolitische Beein­ flussung und Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Daten nach Lage der Dinge, wie Euchen selbst zugibt, nur begrenzt sein kann (h 378), womit auch eine Be­ grenzung der Verantwortung ausgesprochen ist. Außerdem sind noch die beiden Probleme zu lösen, die sich aus der inhaltlichen Festlegung des Datenkranzes und aus der sachbedingten Vorrangfrage bei der wechselseitigen Beeinflussung des ökonomischen und außerökonomischen Bereichs ergeben. Euchen warnt zwar davor, die Datengrenze zu weit oder zu eng zu ziehen; es sollen keine Probleme theoretischer Analyse unterworfen werden, die durch sie nicht gelöst werden können, wie umgekehrt ein lösungsbedürftiges typisch ökonomisches Problem nicht als gesamtwirtschaftliches Datum betrachtet werden dürfe (h 159). Was gehört aber nach neoliberaler Auffassung wirklich zum eigentlichen ökono­ mischen Problemkreis und was nicht? Wie später noch zur Sprache kommt, bemängelt die Kritik, daß von den neoliberalen Theoretikern unberechtigterweise zugunsten der modelltheoretischen Funktionentheorie immer mehr Probleme in den Datenkranz abgedrängt werden, so daß schließlich, wie O. v. Nell-Breunin bemerkt, der Rahmen von größerem Interesse ist als die eigentliche Theorie selbst (w 117).

298

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Für die neoliberale Akzentset^ung im beiderseitigen Verhältnis von Wirtschafts­ kosmos und Datenkran^ dürfte das Ergebnis der Untersuchungen des dritten Kapitels von Bedeutung sein. Die Analyse des neoliberalen Sozialbegriffes, d. h. des Bedingungsverhältnisses, das angeblich zwischen dem eigentlichen Wirt­ schaftshergang und dem Datum der sozialpolitischen Sachnotwendigkeiten besteht, stieß insgesamt auf die funktionaltheoretische Beinhaltung des neo­ liberalen Ordnungswollens durch die Marktform vollständiger Konkurrenz und die damit identische Relativierung der neoliberalen Wirtschaftsethik im Sinne einer wettbewerbskonformen Funktionalethik (vgl. 3. K., 2 c). Im einzelnen kamen zum Vorschein: die ökonomistisch-pragmatische Tendenz, die Lösung des Harmonieproblems und die sozialpolitische Gestaltung des Wirtschaftslebens nach Kategorien der reinen Markttheorie zu realisieren (vgl. 4. K., 3a; 3. K., 2a, 3c); ferner die kausale Interpretation des Zusammenhangs zwischen wettbewerblicher Funktionsfähigkeit und sozialer Verteilungsgerechtigkeit (vgl. 3. K., 2c); die Tendenz W. Euckens (vgl. 4. K., 3a, c) und F . A . Hayeks (vgl. 2. K., 2c), wirt­ schaftlich „richtiges“ Handeln ethisch zu neutralisieren und zu absolvieren bzw. die sozialethische Verantwortung für egoistisches Verhalten auf die Ordnungs­ potenz eines anonymen, unpersönlichen Ausgleichsprozesses zu überwälzen; endlich die Marktkonformität als regulatives Prinzip der öffentlichen Sozial-, Gesellschafts- und Entproletarisierungspolitik (vgl. 3. K., 3b; 5. K., 3a, c). Aus den einzelnen Erhebungen ist zu entnehmen, daß der ökonomische Kosmos in Wirklichkeit keineswegs den Datenkranz als verbindliche Gegebenheit hin­ nimmt, die Wirtschaft als solche also durchaus nicht generell als „formales Prinzip der Datenbearbeitung“ deklariert werden kann. Wie tief auch die Verbeugung vor den gesellschaftlich-sozialen Faktoren im Datenkranz auf neoliberaler Seite sein mag: in Wirklichkeit hat sich das Bedingungsverhältnis zwischen Wirtschafts­ kosmos und Wirtschaftsumwelt durch die neoliberale Schwerpunktverlagerung zugunsten der marktwirtschaftlich-funktionaltheoretischen Sachnotwendigkeiten aufgelöst bzw. zur eindeutigen Prädominanz des markttheoretisch-sachlogisch begründeten Wirtschaftsdenkens umgewandelt, das allen „außerwirtschaftlichen“ Faktoren letzten Endes die Zügel anlegt. Das Eintreten für die Marktwirtschaft darf zwar nach A . Müller-Armack nicht als Verzicht verstanden werden, „unsere Lebensform kulturellen Maßstäben zu unterwerfen“ . Da jedoch auch seiner Ansicht nach die „geistige Formung und Prägung der Marktwirtschaft“ in stetiger Rücksichtnahme auf die „marktwirtschaftlichen Notwendigkeiten“ zu erfolgen hat, wird faktisch die unter allen Umständen zu wahrende „Eigenlogik der Marktwirtschaft“ nicht nur zur bestimmenden Grenze der gesamten Struktur-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern darüber hinaus zum entscheidenden kulturellen Maßstab unserer Lebensgestaltung überhaupt (d 103ff., 106). Im

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

299

Grunde ist es der alte Harmonieglaube, der in säkularisierter Form und im Rahmen bestimmter Bedingungskonstellationen die Gestaltungs- und Ordnungsfunktion innerhalb der neoliberalen „GesellschaftsWirtschaft“ übernimmt und damit zugleich die metaphysische Begründung für den Vorrang der Marktlogik bietet. Es wird sich zeigen, daß dieses Erbstück der nominalistischen Aufklärung bei W. Eucken und allen neoliberalen Theoretikern in verschiedenen Varianten, denen der Nymbus des Naturgesetzlichen und darum Unantastbaren gemeinsam ist, auftaucht. Marktpro^eß als „geordnete Anarchie“ Einen interessanten Beitrag zur Lösung des fraglichen Freiheitsproblems im Bereich des neoliberalen Lenkungsoptimismus bietet W. Röpke. Wie wir bereits gehört haben, sieht er im Wirtschafts Vollzug keinen rein mechanischen Vorgang, da seiner Ansicht nach die „objektivierten“ wirtschaftlichen Erscheinungen in letzter Linie durch das freie menschliche Ermessen bestimmt werden (d 23). Dieser Auffassung steht auch bei ihm eine deutliche Überbetonung und Ver­ absolutierung der reinen Marktmechanik gegenüber. Die unzähligen freiwilligen Wirtschaftsakte insgesamt sieht er der Regelung durch den Markt unterstellt, der angeblich allen Beteiligten die Direktiven für die Abstimmung der Produktion erteilt. Die Form der markttechnischen Koordination aller Einzelhandlungen hält er deshalb für notwendig, weil nur so eine Verpolitisierung des Marktgeschehens mit all ihren gruppenegoistischen Nachteilen verhindert werden könne (b 148). Für die Abstimmung und den geordneten Verlauf des Wirtschaftsprozesses sorgt nach Röpke niemand, denn das neoliberale Wirtschaftssystem ist, ohne deswegen „chaotisch“ zu sein, ein „Gebilde von höchster und subtilster Differenziertheit bei grundsätzlicher Anarchie“. Gehorsam gegenüber den Weisungen des Marktes werde belohnt, Ungehorsam bestraft, äußerstenfalls mit Konkurs. Die Tatsache, „daß Fleiß, Initiative, Anpassungsfähigkeit und Intelligenz vom Markte belohnt und die entsprechenden Untugenden vom Markte bestraft werden“, verbürge zudem „ein Maximum an den von den Menschen wirklich begehrten Gütern mit geringstem Aufwand“ (b 141). Daß die Wirtschaft im Grunde ein System von „automatischen und unpersönlichen Sanktionen und Belohnungen“ ist, hält Röpke für eine „glückliche Einrichtung“ (i 18; b 141; d 15, 18, 21). Die immanente Ordnungskraft dieser Anarchie liegt im Mechanismus des Preissystems, der faktisch diesen „niemand“ ersetzt. F . Böhm, der sich über die „erheblichen Unvollkommenheiten“ des marktwirtschaftlichen Preissystems samt seinem gesetzlichen Rahmen im klaren ist, glaubt dennoch hervorheben zu müssen, daß auch im System einer völlig freien Marktwirtschaft jeder einzelne

300

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Wirt trotz seiner individuellen Freiheit gelenkt werde und zwar dahin, wohin das Preissystem ihn dirigiert. Im Preissystem sieht Böhm nichts anderes als die plebiszitär geäußerten Reaktionen aller Menschen auf die Wirtschaftspläne aller Men­ schen. Der einzelne müsse tun, was der Wille der Gesamtheit will. Jedes wirt­ schaftliche Individuum verdanke mithin sein Schicksal den Reaktionen aller anderen Individuen (1 152, 153f.). Im Grunde liegt es, wie F. Λ . Hayek erläutert, daran, daß auf dem spontan entstandenen Markt zwar der begrenzte Gesichts­ punkt des einzelnen den des Nächsten immer wieder überschneide, jede Ver­ änderung aber durch viele Zwischenglieder weitergemeldet werde. Dieses zuverlässige Informationsmittel sei im „abstrakten Symbol“ des Preises gegeben, dessen Aufgabe neben allgemeiner Information darin bestehe, alle marktbedingten Veränderungen auszugleichen. Wäre dieser Preismechanismus in seiner alles um­ fassenden und überragenden Ordnungsfunktion auf verstandesmäßige Planung zurückzuführen, dann müßte er nach Ansicht Hayeks „als einer der größten Triumphe des menschlichen Geistes“ ausgerufen werden (d 116). Sein Mißgeschick sei jedoch, daß die Menschen, die sich durch ihn leiten lassen, gewöhnlich nicht wissen, warum sie zu dem geführt werden, was sie tun. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der Ausspruch Whiteheads, den Hayek zustimmend zitiert, wonach der Fortschritt der Zivilisation darin besteht, „daß wir immer wichtigere Hand­ lungen ohne Nachdenken ausführen können“ (d 116). Die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz wertet W. Euchen daher als das „wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundprinzip“, als „Kernfrage“ der modernen Wirtschaftspolitik und zugleich als „wesentliches Kriterium“ jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme (h 254f.). Nach W’. Röpkes Ansicht ist leicht einzusehen, wie gefährlich der „soziale Rationalismus“ jener Kreislaufingenieure sei, die, oft im Namen der Marktwirtschaft, „die kompli­ ziertesten Projekte zur Lenkung der Ströme des wirtschaftlichen Kreislaufes ausklügeln“, dabei aber, da sie die Sachgesetzlichkeit des marktwirtschaftlichen Funktionsablaufes ignorieren, sich denkbar „unrational“ und „unsozial“ ver­ hielten (o4). Er betont demgegenüber mit Nachdruck : „Das Riesengetriebe einer modernen Volks- und Weltwirtschaft wird gesteuert durch Wettbewerb, Preis, Zins und Rentabilität“ (i 95 ; b 141). Wie steht es aber um die menschliche Freiheit in diesem Funktionszusammenhang ? Von außen her geurteilt trifft es zu, daß der überdimensionale Wirtschaftsprozeß die Summe individueller Erwägungen und Entscheidungen darstellt, insofern hat W. Röpke rein formal recht. Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch heraus, daß das freie Ermessen der Wirtschaftssubjekte sich nur darauf erstreckt, entweder „Marktgehorsam“ zu leisten oder andernfalls empfindliche Strafen zu erwarten. Es gibt nur eine Freiheit zum Wettbewerb, also eine relativierte Freiheit. Der

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

301

einzelne ist, der neoliberalen Marktdoktrin zufolge, faktisch gezwungen, seine persönliche Entschluß- und Handlungsfreiheit im Vorraum des Wirtschafts­ getriebes abzugeben, wenn er nicht unter das Räderwerk des Konkurrenz­ kampfes geraten will. Mit a. W.: Selbstgeschaffene Einrichtungen mit ihren Gesetzmäßigkeiten und selbstgesetzte Zwecke erscheinen als übergeordnete Macht, denen sich der „Marktaktive“ bei Strafe des Untergangs zu beugen hat; sie werden verabsolutiert. Das altliberale Erbe kommt in den neoliberalen Speku­ lationen über die Ordnungskraft des Preismechanismus, die vom Denkmodell der „reinen Konkurrenz“ abgeleitet ist, deutlich zum Vorschein, ungeachtet dessen, daß die modelltheoretischen Voraussetzungen der Transparenz und der Macht­ freiheit des Marktes wie auch der erforderlichen Reaktionsfähigkeit des tech­ nischen Produktionsapparates heute weniger gegeben sind als je zuvor. „ Außer- und übermenschliche Intelligenz des Marktes“ F. Böhm fügt einen weiteren Gedanken hinzu, der illustrieren soll, daß der wirtschaftende Mensch auch gar nicht intelligent genug sei, um innerhalb der wirtschaftstheoretischen Grenzen eine gestalterische Funktion überhaupt ausüben zu können. Wer z. B. als monopolistischer Unternehmer Marktstrategie treibe und die Marktpreise durch entsprechende Absprachen festsetze, überschreite damit seine menschlichen Möglichkeiten und Grenzen, denn er müsse die Rollen und die Aufgaben des Marktes übernehmen. Um aber sachgerechte Preispolitik betreiben zu können, brauche er die „außer- und übermenschliche Intelligenz des Marktes“. Wie unsinnig, ja geradezu ungeheuerlich das Unterfangen einer bewußten Lenkung des Wirtschaftsprozesses angeblich ist, unterstreicht übrigens auch W. Röpke^ indem er darauf hinweist, daß eine Marktlenkung von der planenden menschlichen Vernunft unter keinen Umständen gemeistert werden könne, da diese Aufgabe „die Fassungskraft des menschlichen Geistes übersteigt und buchstäblich Allwissenheit verlangt“. Sie könne daher nur dadurch gelöst werden, „daß das Teilwissen aller Individuen durch ihr spontanes und unbewußtes Zusammenwirken, so wie es uns Markt, Preismechanismus und Wettbewerb zeigen, zu einer Gesamtordnung verbunden wird“ (1 3). Wird der Markt in seiner Funktionsfähigkeit nicht gestört, dann rechtfertigt er nach F. Böhm als „automatisch wirkendes Lohn- und Straf system“ und unter den Bedingungen eines einigermaßen zureichenden Wettbewerbs eine neue Harmonieerwartung (f 195f., 198). Die Entdeckung dieses „Automatismus der Marktwirtschaft“ feiert A . Rüstow als eine der „allergenialsten Leistungen des 18. Jahrhunderts“ (155 f., 58). Daß die Markt- und Wettbewerbswirtschaft durch Automatismen, durch ein System von frei sich einpendelnden Preisen und eine an ganz bestimmte Prinzipien

302

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsaufiassung

gebundene Geldpolitik gesteuert wird, begründet nach Böhm den „ungewöhn­ lichen Freiheitsgehalt“ dieser Wirtschaftsform (k 75). Das Ergebnis dieses Freiheitssystems sei dennoch nicht ein wirtschaftliches und soziales Chaos, sondern vielmehr ein bewundernswürdig geordnetes Ineinandergreifen autonomer Handlungen und Pläne (1126). Seiner Ansicht nach handelt es sich hier tatsächlich um einen „prästabilierten Vorgang“, insofern er nicht von uns, aber gleichwohl in gesetzmäßiger, wissenschaftlich erklärbarer Weise gesteuert wird (e I L). Nicht weniger enthusiastisch äußert sich W. Schreiber, wenn er von der „groß­ artigen Ordnungsautomatik des marktwirtschaftlichen Systems“ spricht und davon, daß das Zusammenwirken der vielen Eigeninteressen in einem „be­ wundernswerten Automatismus“ zu einer Gesamtlösung und einem gesellschaft­ lichen Gleichgewicht führe: „Wir schätzen diese Automatik, die ja ,Freiheit* bedeutet, sehr hoch“ (e il). Wie bereits früher dargelegt wurde (2. K., 2b; 5. K., 2b), glaubt F. A . Hayek die Erklärung für diesen Sachverhalt in jenem eigenartigen Naturphänomen gefunden zu haben, wonach das spontane Zusammenwirken freier Menschen oft Dinge schaffe, die größer sind als der individuelle Verstand jemals vollständig erfassen könnte. Der spontan entstandene Markt stelle eine wirksame Methode dar, um den einzelnen an einem Prozeß teilnehmen zu lassen, dessen Vielfältigkeit und Aus­ dehnung sein Begriffsvermögen übersteige, um ihn damit zugleich an Ergebnissen zu beteiligen, auf die er selbst nicht hinzielte. Was liegt näher, als daß wir aus dem Bewußtsein unseres begrenzten Verstandes „zur Demut vor den unpersönlichen und anonymen Prozessen“ hinfinden, wie sie uns der „wahre Individualismus“ lehre (b 24, 30, 25). Welche Gefahr für die abendländische Kultur in jener An­ maßung des modernen Geistes liegt, der sich nicht ohne weiteres dem anonymen Sozialprozeß des übermenschlich intelligenten Marktes anvertraue, statt dessen vielmehr den Wirtschaftsprozeß mit seinem individuellen Denkvermögen zu beeinflussen suche, glaubt Hayek durch einen Ausspruch des Engländers E. Burke illustrieren zu können, nach dessen Ansicht wir uns, falls der menschliche Geist „nicht beizeiten haltzumachen lernt“ , fest darauf verlassen können, „daß alles um uns allmählich einschrumpfen wird, bis schließlich unsere Angelegenheiten auf das Ausmaß unseres Geistes beschränkt sein werden“ (b 47). V. Muthesius sieht in den Ausführungen Hayeks die Bestätigung dafür, daß die „unsichtbare Hand“ als „Symbol des Glaubens an eine gleichsam übermensch­ liche Vernunft“ wieder zu ihrem Recht zu kommen habe, in diametralem Gegen­ satz „zu jener Hybris, die alles wirtschaftliche und soziale Geschehen durch »Planung* beherrschen will“ . Er stützt sich dabei auf ein Wort Montesquieus: „Merkwürdig! Fast niemals ist es die Vernunft, die die vernünftigen Dinge macht, und man kommt fast nie zu ihr durch sie selbst“ . Daß der falsche Individualismus

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

303

die „unsichtbare Hand“ aus dem Hause gejagt und dafür die Überschätzung des eigenen Verstandes auf den Thron gesetzt habe, hält Muthesius für „Größenwahn“, in dem schließlich die Zivilisation untergehe. Der von den Rationalisten zu Unrecht verspottete Glaube an die Harmonisierung des individuellen Interesses mit dem Gesamtwohl, dem schließlich der entscheidende Anstoß für Wohlstand und Frieden in der ganzen zivilisierten Welt zu verdanken sei, gehöre mit in die erforderliche geistige Haltung der Demut vor der übermenschlichen Vernunft. Muthesius, der, wie M. Wiehel bemerkt (Ordo II., 345), unter dem Einfluß L.v. Mises faktisch an die prästabilierte Harmonie glaubt, beschließt seine Apologie der wiedererweckten „unsichtbaren Hand“ mit der treuherzigen Frage: „Sollten wir also nicht lieber uns wieder der Betrachtungsweise Adam Smiths und Edmund Burkes erinnern, oder, was dasselbe ist {von uns gesperrt, d. V e r j sollten wir in den Sozialwissenschaften und in der Wirtschaftspolitik nicht lieber auf Stimmen wie diejenigen W. Röpkes und W. Euckens und ihrer Freunde hören?“ (c). Das würde u. a. bedeuten, daß wir mit W. Röpke in der Alternative: Ordnung und Lenkung der Wirtschaft durch die menschliche oder durch eine übermenschliche Vernunft, letztlich einen fundamentalen Unterschied der Philosophie anerkennen. Röpke sieht die zentrale Stellung des Menschen als geistig-moralisches Wesen und den geistig-moralischen Charakter der Gesellschaft in dem ihnen eigenen Bereich des Geistigen und Sittlichen nur dadurch gewahrt, daß beide, anstatt sich von menschlicher Vernunft dirigieren zu lassen, als Werkzeuge einer anonymen Supervernunft fungieren. Das Widersinnige dieser typisch nominalistischen Argumentation, für die es kein metaphysisch begründetes, normatives Ordnungsbild von Wirtschaft und Gesell­ schaft, sondern nur individualistische Freiheit und Spontaneität als Inbegriff der neuen Sittlichkeit gibt, liegt darin, daß der vernunftbegabte, erstverantwortliche Mensch angeblich sich nur dann treu bleibt, wenn er die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsaufgabe einem mythischen Mechanismus übergibt; wenn er sich, wie Hayek fordert (b 27 f.), von einem anonymen Sozialprozeß „in Gebrauch“ nehmen läßt; wenn er die ethische Verantwortung für seine wirt­ schaftlichen und sozialen Immoralitäten auf die automatische Ausgleichsfunktion dieses Prozesses überwälzt, der alle menschlichen Handlungen ohne Ausnahme effektiv stets zum allgemeinen Besten hinlenke. c) Wirt sch aft sp roz e ß als , , N i c h tg e s c h ic h t e “ L. Miksch faßt die neoliberalen Feststellungen über die Lenkungsmechanik der Marktwirtschaft in prägnanter Form zusammen, indem er den Wirtschaftsprozeß als „Nichtgeschichte“ charakterisiert (d 40). Das will besagen: Der Wirtschafts­ vorgang selbst ist das Ergebnis von notwendigem Naturgeschehen, im Gegensatz

304

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

zu jenem Prozeß, der vom wirtschaftenden Menschen durch persönliche Überle­ gungen und Entscheidungen gestaltet wird. „Der Wirtschaftsprozeß ist vollkommen determiniert“. Die „Geschichte“ als Verkörperung menschlicher Verantwortung, Gestaltungskraft und Zielstrebigkeit wird „völlig in den Datenkranz verbannt“, im Gegensatz zur ZentralverwaltungsWirtschaft, in der nach Mtksch „alles... Geschichte“ ist, weil sich der Wirtschaftsprozeß in die Einzelentscheidungen eines Individuums auflöst (d 40, 45). Die Stellung des wirtschaftenden Menschen in diesem Prozeß unpersönlicher Nichtgeschichte ist eindeutig festgelegt. Nach Miksch ist im Wirtschaftsablauf „der einzelne in der Regel nur ein Atom. Er soll es sein, denn nur, wo es der Fall ist, kann die Naturordnung funktionieren“ (c 4). „NaturOrdnung der inneren Koordination“ In dem Stichwort „Naturordnung“, hinter dem sich „die unsichtbare Hand“ verbirgt, begegnet uns ein Begriff, der für die gesamte Wirtschaftsordnungs­ konzeption der neoliberalen Theorie von fundamentaler Bedeutung ist. Er beinhaltet eine gewisse Antinomie, die auch für die Ordo-Idee bezeichnend ist: einmal durch den Charakter des Vorgefundenseins, des Naturgesetzlichen und darum Unantastbaren; zum anderen durch die Forderung, daß diese Ordnung entwicklungsmäßig sich nicht selbst überlassen bleiben darf, vielmehr in Form eines Nachtastens der vorgegebenen Linien „gesetzt“ werden muß. Mit anderen Worten : Der Imperativ für die Realisierung der Wirtschaftsordnung wird aus der Grund­ struktur der vorgegebenen Naturordnung abgeleitet. Zur näheren Erklärung dieses Sachverhaltes weist O. Veit darauf hin, daß Determination und Zwangsläufigkeit, die den Wirtschaftsprozeß nach innen bestimmen, auf ein Ordnungsgesetz der Wirtschaft zurückzuführen seien, das „nichtgeschichtlich und daher zeitlos“ ist und von einer „unsichtbaren Kraft“ erzwungen wird. Diese Kraft ist als ein „höheres Gesetz“ anzusehen, welches das Wirtschaftsgeschehen im Bereich des Datenkranzes ohne Lenkung von außen zur Harmonie führt (b 37 f.). Es läßt sich letztlich aus „Äquivalenzerscheinungen des Naturgeschehens“ ableiten (c 39) und kann als „Instrument einer höheren Vernunft“ aufgefaßt werden (b 20). W. Eucken stellt ebenfalls fest, daß die nach dem „heuristischen Prinzip der vollständigen Konkurrenz“ entworfene neo­ liberale Wirtschaftsordnung als eine „natürliche“ zu betrachten ist, die vorgefunden und nur zur Geltung gebracht wird. Während der alte Liberalismus durch die „frei gewachsene“ Ordnung die Realisierung des Seinsollenden bringen wollte, richtet der Ordo-Gedanke sich auf die zu „veranstaltende“ Ordnung und zwar in dem Sinne, daß sich die natürliche Ordnung, durch einen entsprechenden Rahmen gegen monopolistische Verfälschung gesichert, frei entfalten kann (h 373 f.).

Formal-instrumentale Wcecnebcetimmung der Marktwirtschaft

305

Wie stark der Ordo-Gedanke Euckens mit der Vorstellung einer „prästabilierten Harmonie“, die angeblich in der Naturordnung vorgefunden wird, verknüpft ist, hebt F. Böhm hervor. Demnach beinhaltet der Ordo-Begriff „eine vom Menschen Vorgefundene, nicht von ihm geschaffene Ordnung, gekennzeichnet durch die Freiheit des Planes unter der Herrschaft eines Gesetzes“. Die Konzeption dieser Ordnung stamme nicht aus dem menschlichen Gehirn, sondern sei ein Teil des Gesetzes, nach dem wir angetreten sind. Allerdings setze ihre optimale Entfaltung eine ziemlich komplizierte Konstellation von Bedingungen voraus (e XLVIII, L, LI). Jedenfalls handelt es sich bei diesem Ordnungsbemühen um ein „Nach­ tasten der Linien“, die in der Wirklichkeit vorgegeben sind, wie E . EuckenErdsieck bestätigt, weil die Schöpfung in sich schon ein Gefüge von Ordnungen, ein Ineinander von immanenten Sachgesetzen trägt (8). Die „schöpfungsmäßigen Ordnungstafeln und Wegweiser“ leuchten allerdings nur in einer freien Gesell­ schaft auf, erkärt F. Böhmy „während der politische Trieb der Menschen, die Schöpfung umzudenken, umzuplanen und umzugestalten, nur allzu leicht diese Ordnungstafeln und Wegweiser verrückt, denaturiert und unsichtbar macht“ (1 99). Daher kommt dieser Ordnung, was F. Eulenburg besonders betont, wie jeder natürlichen Ordnung ein „Anspruch auf Totalität“ zu (29). W. Schreiber, der mit vorsichtig einschränkenden Formulierungen um das Phänomen des wirt­ schaftlichen Automatismus kreist, versucht hier theologisierend sogar die „göttliche Gnade“ im Wettbewerbsmechanismus zu investieren, indem er in diesem „Automatismus zum guten Ende hin“ einen „Gnadenakt Gottes“ zu erkennen glaubt (b 24, 27). L. Miksch bezeichnet diese Gesetzmäßigkeit als „innere Koordination“, die sich ohne bewußtes Zutun der Menschen seit den ältesten Zeiten von selbst entwickelt habe und die als „Ordnungsprinzip“ auf den natürlichen Anlagen des Menschen, auf dem ökonomischen Prinzip, dem Tauschtriebe und der sich daraus ergebenden Arbeitsteilung beruhe. Sie sei daher eine natürliche Ordnung, eine Naturordnung. Obgleich seit Anbeginn der Menschheit vorhanden, sei sie erst im 18. Jahrhundert in das Bewußtsein der Menschheit gehoben worden, ihre sozialethische Aus­ wertung aber liege noch vor uns. In ihrem Kern sei sie auf die wechselseitige Anpassung des individuellen Verhaltens und der individuellen Wirtschaftspläne vermittels eines neutralen Mediums zurückzuführen. Tauschwerte und Markt­ preise, die ein innerlich zusammenhängendes System darstellen, seien „neutrale Medien“ dieser Art (d 46, 67f., 38).

306

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

„Polarität der Koordinationsprin^ipien“ Um dem naheliegenden Einwand zu begegnen, daß es sich bei der auffallend starken Betonung der ,,Naturordnung“ faktisch nur um die Renaissance einer altliberalen Idee handeln kann, bemüht sich L . Miksch, den Unterschied zwischen der neoliberalen Konzeption und der des 18. Jahrhunderts in dieser Frage heraus­ zuarbeiten. Wie schon verschiedentlich hervorgehoben wurde, distanziert sich der Neoliberalismus theoretisch von jenem „optimistischen Unbedingtheitsglauben“ des liberalen „Laissez faire“, der unter dem Einfluß bestimmter naturphilo­ sophischer Ideen in der Natur das Vollkommene und Harmonische und zugleich die Grundstruktur einer idealen, freiheitlichen Wirtschaftsordnung verkörpert sah, die ohne jegliche Rahmensicherung „von selbst“ zur optimalen harmo­ nischen Gestaltung des Wirtschaftsvorganges führen sollte. Im Gegensatz zu diesem „Irrglauben“ des 18. Jahrhunderts hält nach Ansicht Mikschs der Neo­ liberale von heute jedoch nicht mehr an der Güte und Vollkommenheit der Natur fest, sondern ist eher von ihrer Ergänzungs- und Korrekturbedürftigkeit über­ zeugt. „Die Natur ist etwas, was man nicht verleugnen darf, was aber auch über­ wunden werden muß“ . Wenn heute trotzdem die „innere Koordination“ als Naturordnung bezeichnet wird, dann klingt das eher nach einem negativen als positiven Werturteil, erklärt Miksch. Da die Naturordnung nur Bausteine, nicht aber den geschlossenen Aufbau der Wirtschaftsordnung selbst darbietet, ergibt sich daraus von selbst die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit der Wirtschafts­ politik. Diese ist ihrem Wesen nach „äußere Koordination“ und entspricht der Notwendigkeit einer Kombination gemäß der „Polarität“ beider Prinzipien. Damit in diesen Raum der Randgestaltung weder Macht noch Willkür einbrechen können, muß die „äußere Koordination“ versachlicht werden. Sie gehört in die Hand des Staates und regionaler Körperschaften als den Vertretern der Gesamt­ heit (d 46, 47). Dieser Forderung stimmt auch O. Veit zu. Als „Prinzip der Äquivalenz“sei die „supra-empirische Gesetzmäßigkeit“ , „die im Naturgeschehen wurzelt und die in allem sozialethischen Handeln Ausdruck sucht“, auf die Sicherung durch den starken Rechtsstaat angewiesen. Damit ist die besondere Verantwortung des Staates, der den Datenkranz weitgehend bestimmt, klar umrissen. Sie besteht vor allem darin, die äußere Koordination der inneren an^upassen (b 38f.). Da jedoch die vorhandene Naturordnung, die sich im auto­ matischen Streben aller Wirtschaftsfaktoren nach einem Marktgleichgewicht äußert, nach Mikschs Auffassung „so umfassend und vollständig ist“, kann sich der Staat auf relativ wenige Formen und Eingriffe beschränken, um die in der Wirtschaft vorhandene Naturordnung zu ergänzen (c 3). Damit gibt Miksch indirekt zu, daß es sich bei dem BedingungsVerhältnis beider Koordinations-

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

307

prinzipien nicht um eine echte „Polarität“, sondern primär um die ergänzende „Instandsetzung“ der Naturordnung handelt, die als entscheidender Beziehungs­ punkt für die staatliche Koordination fungiert. Eine unverfälschte Polarität wäre nur dann denkmöglich, wenn beide Prinzipien auf einen gemeinsamen Norm wert hingeordnet wären, etwa auf den einheitskonstitutiven Ganzheitswert des Gemeinwohls, was offenbar nicht der Fall ist. Daraus ist zu entnehmen, daß der Unterschied zwischen dem alten und dem neoliberalen Harmonieglauben im Gegensatz zur Auffassung Mikschs kein wesentlicher sein kann. Die gedankliche Inkonsequenz dieser Argumentation, die insgesamt wenig Überzeugungskraft besitzt, ist nicht zu übersehen. Abgesehen davon, daß es unlogisch wäre, wenn sich der Neoliberalismus ausgerechnet auf Grund eines „negativen“ Werturteils so betont zum Begriff der „Naturordnung“ bekennen würde: Miksch widerspricht sich hier. Nicht unvollkommen ist die Naturordnung, sondern nach seinen eigenen Worten „so umfassend und voll­ ständig“, daß sie nur durch wenige staatliche Eingriffe ergänzt zu werden braucht; ihre Lenkungsfunktion ist so geordnet, daß sich der einzelne ihr wie ein willen­ loses „Atom“ anvertrauen kann und soll; ja ihre Leistungsbewertung auf dem Markt ist wegen ihres „Grundcharakters als Massenerscheinung“ „zu sehr sozial“ (d 61). Die Skepsis der frühen englischen Nominalisten, die sich bei F. A . Hayek und anderen wiederfindet, bezieht sich nicht auf die Funktionsfähigkeit der Natur­ ordnung, sondern auf die menschliche Hybris und ihren Größenwahn, durch Vernunftdiktat die automatische Ordnungsfunktion der Natur ersetzen zu wollen, anstatt sich in Demut vor den „anonymen sozialen Prozessen“ zu beugen (b 24, 47f.; vgl. 2. K., 2c). Ein „Irrglaube“ liegt nach neoliberaler Auffassung nur dann vor, wenn diese Ordnung ohne entsprechenden Schutz gegenüber machtmäßiger Verfälschung sich selbst überlassen wird. Grundsätzlich handelt es sich also bei dem für den Menschen aufgegebenen Ordnungsproblem nicht darum, „die Natur zu überwinden“ , sondern im Gegenteil, wie E . Eucken-Erdsieck betont, „ihre vorgegebenen Linien nachzutasten“, die Wirtschaftsordnung mit der „vor­ gegebenen Ordnung in Einklang zu bringen“ (8) und ihrem „Totalitätsanspruch“ möglichst umfassend Geltung zu verschaffen (Eulenburg, 29). Der Neoliberalismus bekennt sich also ostentativ zu jener für die Gegenwart antiquiert anmutenden „Hypostasierung“ der wirtschaftlichen Wechselbe­ ziehungen. Die eigentliche Wirkursache für die relative Gesetzmäßigkeit des Marktgeschehens wird nicht in den Wirtschaftssubjekten selbst, sondern auf „höherer Ebene“ in den mythischen Gebilden einer „unsichtbaren Hand“ oder „unsichtbaren Kraft“, einer „außer- und übermenschlichen Intelligenz“ und „höheren Vernunft“, eines „höheren Gesetzes“, eines „Gnadenaktes“ erblickt, die insgesamt zu einer „höheren Harmonie“ führen. Zwar wird die naturrechtliche

308

Mechanistisch-instnimentale Wirtschaftsauffassung

These des alten Liberalismus von der „prästabilierten Harmonie“ abgelehnt, die entstandene Lücke wird jedoch durch eine neue Harmonieerwartung ausgefüllt und zwar durch den Glauben an die Gleichgewichtstendenz der freien Markt- und Wettbewerbswirtschaft. Der theoretisch mit Hilfe des veranstalteten Wettbewerbs realisierte abstrakte Ausgleich wird, was H . Peter (d 352, 355 f.) und H. Ritschl (d 60) mit Recht kritisieren, mit dem harmonischen Zustand identifiziert, der das allgemeine Wohlergehen verbürgt, während der funktionsfähige Wettbewerb selbst als Ideal mit normativer Kraft und als Kriterium des praktischen Verhaltens begriffen wird. Für die grundsätzliche Beurteilung ist diese ideelle restaurative Renaissance, selbst wenn wir die, allerdings unwesentliche, ordnungspolitische Modifizierung des neuen Harmoniedogmas in Betracht ziehen, insofern erstaunlich, als bekannt­ lich die neoliberalen Theoretiker — an ihrer Spitze W. Euchen — gegen das Arbeiten mit personifizierten Begriffen leidenschaftlich zu Felde ziehen. Was Euchen bei den Begriffsnationalökonomen festgestellt zu haben glaubt, trifft ebenfalls auf den funktionaltheoretischen Optimismus des gegenwärtigen Neo­ liberalismus zu, daß nämlich eine „anthropomorph gedachte, übernatürliche Kraft“ zum „Leiter des Marionettenspiels“ erhoben wird, das hier „Wirtschaft“ heißt (f 252: A. 23). Im Grunde handelt es sich bei der neoliberalen Harmonievorstellung um die letzten Wellenschläge einer ideologischen Entwicklung) die mit der Harmonielehre Λ . Smiths und der in ihr vollzogenen Wende der Nationalökonomie zur Naturwissenschaft beginnt, um schließlich, wie W. Schwer treffend bemerkt, nach einem stetigen Säkulari­ sierungsprozeß mit dem Sieg der Wirkursache über die Zweckursache zu enden (706ff.). M. Hättich, der die Mißverständnisse innerhalb der Diskussion über das regulative Prinzip des Wettbewerbs und das des Laissez-faire beklagt und die Behauptung zu verteidigen sucht, es handle sich hier um zwei ganz verschiedene Prinzipien mit verschiedenen Fragestellungen auf verschiedenen Ebenen (170), übersieht offenbar den wahren Sachverhalt. Die für die neoliberale Argumentation zentrale Frage, ob der Wettbewerbs­ mechanismus naturgesetzliche Bewandtnis und die Wettbewerbswirtschaft den Charakter einer realisierten „Naturordnung“ besitzt, wird noch zur Sprache kommen. Metaphysisch gesehen geht das Wiederaufleben der „unsichtbaren Hand“ auf den alten Fehler zurück, ZF^sc^en mehreren Elementen spielende Vorgänge zu außerhalb der­ selben liegenden Wesenheiten zu personifizieren. Es ist, wie G. Simmel hervorhebt, der Doppelsinn des „Zwischen“, an den sich der ganze Irrtum heftet, daß man sich nämlich eine Wechselwirkung zwischen zwei Elementen als ein gewissermaßen im räumlichen Sinn zwischen ihnen liegendes Objekt vorstellt (123).

Formal-instrumentale Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

309

Atomare Marktverfassung Die neoliberale Lehre über die Lenkungsmechanik der Marktwirtschaft und den Wirtschaftsprozeß als Nichtgeschichte läßt eindeutige Schlußfolgerungen über die Funktion des wirtschaftenden Menschen innerhalb des mehr oder weniger natur­ gesetzlich ablaufenden Wirtschaftsprozesses zu. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens, gewiß, aber nach neoliberaler Auffassung als „Atom“, so wie das Atom gemeinhin als kleinster körperlicher Baustein schließlich im Mittelpunkt des gesamten Kosmos steht. Daß er nur Atom sein kann, ja sein muß, wie L. Miksch ausdrücklich fordert, ergibt sich eindeutig aus dem bisher über die neoliberale Ideologie Gesagten. Der Mensch kann demnach nur Atom sein, weil der komplizierte moderne Wirtschaftsprozeß die menschlichen Kräfte „an sich“ übersteigt und unter keinen Umständen, da er nun einmal „buchstäbliche All­ wissenheit“ voraussetzt, von der planenden Vernunft gemeistert werden kann. Der Mensch darf Atom sein, weil „zu seinem Glück“ die „außer- und über­ menschliche Intelligenz des Marktes“ die egoistische Isolierung der auf ihren eigenen Vorteil bedachten Wirtschaftssubjekte überwindet, das Zusammenspiel aller Individualentscheidungen mit Hilfe einer „gleichsam übermenschlichen Vernunft“ genial ordnet und durch die „unsichtbare Hand“ zu einem für alle Beteiligten optimalen Ergebnis führt; selbst dann, wenn er das „Böse“ will, schafft er das „Gute“, indem er durch sein Erwerbs- und Konkurrenzstreben den automatischen Selbstregelungsprozeß des Menschen in Gang bringt und vor­ wärtstreibt. Der Mensch endlich muß Atom sein, falls er sich nicht der verhängnis­ vollen Anmaßung schuldig machen will, durch lenkende Eingriffe den „Lauf unpersönlicher und anonymer sozialer Prozesse“ zu unterbrechen und die Wirkung „nichtgeschichtlicher, daher zeitloser“ Ordnungsgesetze zu durch­ kreuzen. Z u s a m m e n fa s s u n g und St ell un g n ahm e (zu 1) Dem „gesellschaftlichen Gesamtprozeß der Wirtschaft“ wie ihn W. Euchen (f 6) und die neoliberale Theorie sehen, liegt also eine im Kern atomare Marktverfassung zugrunde. Der Wirtschaftsvorgang etabliert sich, so O. v. Nell-Breuning, lediglich als „Spiel von Interaktionen zwischen atomisierten Individuen“ (w 119). Die wesentliche Bedingtheit der neoliberalen Wirtschaftsauffassung durch eine „vor­ gelagerte“ Philosophie und Weltanschauung, die Eucken ausklammern möchte, tritt hier klar zutage. Sie hat das aus sich selbst integrierte, autonome Individuum der individualistisch-aktualistischen Gesellschaftslehre zur Voraussetzung, das bekanntlich nur funktionaltheoretisch aus seiner Isolation heraustritt. Zwischen den einzelnen Marktaktiven gibt es keine echte, finalethisch fundierte Verbindung

310

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

und Kooperation, sondern nur die allgemeine Interdependenz und, wie v. NellBreuning treffend formuliert, „Parallelethik“ (k 304) konkurrierender Individuen im Rahmen rein äußerer Interaktionen. Wirtschaftseinheit durch normativen Gan^heitswert C. Bresciani-Turroni, der demgegenüber geltend zu machen sucht, die produzierende, verteilende und verbrauchende Gesellschaft sei nicht einfach als eine An­ häufung von Individuen, von Atomen anzusehen, da ganz im Gegenteil die Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichts die durchgehende Einheit des Wirt­ schaftslebens und den zwischen den einzelnen Teilen des wirtschaftlichen Systems bestehenden inneren Zusammenhang beweise, identifiziert unstatthafterweise die funktionaltheoretische Kommunikation der Wirtschaftsteilnehmer mit der sozialen Ordnung im strengen Sinn. Daß die Theorie des marktmechanischen Gleichgewichts auf der Basis eines individualistisch motivierten interindividuellen Wirkzusammenhangs nicht als Beweis für die durchgehende Einheit des Wirt­ schaftslebens und für den inneren Zusammenhang der Wirtschaftssubjekte herangezogen werden kann, ist im dritten und vierten Kapitel eingehend nach­ gewiesen worden. Bresciani-Turroni übersieht ebenso wie F. A . Hayek (5. K., 2c; 2. K., 2c), daß die faktische Kooperation allein keine echte, von innen her be­ gründete gesellschaftliche Einheit schaffen kann, solange nicht ein einheits­ konstitutiver, normativer Ganzheitswert als Maxime des einzelwirtschaftlichen Handelns anerkannt wird. Wie O. v. Nell-Breuning zusammenfaßt, stellt die neo­ liberal verstandene Wirtschaft nichts anderes dar als eine Summe der im wirt­ schaftlichen Leben sich marktmäßig abspielenden Verkehrsakte, ein reines Tauschgeschehen zwischen den ihren eigenen Tausch vorteil suchenden Geschäfts­ partnern, einen zufälligen Zusammenprall einzelner Wirtschaftsakte wie in der Welt der Moleküle: „Aus der Zufälligkeit und Regellosigkeit all der zahllosen Zusammenstöße (in der Wirtschaft: Tauschakte) ergeben sich unter Beachtung der Randbedingungen („Datenkranz“) sogenannte stochastische Gesetzmäßig­ keiten“. Die Wirtschaft wird mit Marktgeschehen identifiziert (w 118; s 9; n 397). Wirtschaft als organisch gegliedertes Gesamtleistungsgefüge Nach realistischer Überzeugung besagt „gesellschaftlich“ jedoch wesentlich mehr als nur „interindividuell“ oder „interaktionär“ oder „interdependent“ (3. K , 2c, 3c; 5. K., 2a, b). Die unverfälschte gesellschaftliche Auffassung der Wirtschaft setzt grundsätzlich ein organisches Gefüge voraus, näherhin: Gültigkeit der

Formal-instnimentsue Wesensbestimmung der Marktwirtschaft

311

gesellschaftlichen Konstitutionsgesetze für den organischen Aufbau der Wirt­ schaftsgesellschaft; ferner echtes kooperatives Ineinandergreifen des Tuns aller Wirtschaftsbeteiligten im Rahmen umfassender Leistungsgemeinschaft; drittens, die Ausrichtung aller selbst verantwortlichen Einzelaktionen und Vergemein­ schaftungen auf ein allen gemeinsames, naturhaft vorgegebenes sozialwirtschaft­ liches Sachziel, das von der legitimen Autorität sachgerecht zu interpretieren und zu gewährleisten ist. Wie im folgenden Abschnitt darzulegen ist, verdichtet sich das Nebeneinander des markttechnischen Verkehrs- und Leistungsv^usammenhangs nur dann %u einem organischgegliederten Gesamtleistungs- und Versorgungsgefiige, wenn echte, teleologisch motivierte Gemeinhaftung aller Wirtschaftsbeteiligten die Einordnung aller Eintelleistungen in den wirtschaftlichen Gesamtvoll^ug bedingt. Auf dieser Basis findet auch die wirtschaftspolitische Aktivität des Staates für die Ausgestaltung und Sicherung der Volkswirtschaft ihren Platz, sei es daß er selbst im Bedarfsfälle wirtschaftet, sei es daß er unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips die Leistungsglieder in der Erfüllung ihrer Versorgungsfunktion fördert und stützt. Wirtschaft als finalethisch determinierte Gestaltungsaufgabe Nach realistischer Überzeugung gibt es im konkreten Wirtschaftsalltag keinen vollgültigen Lenkungsautomatismus, sondern nur „Politik“, entweder die Politik einzelner Marktstrategen oder die bestimmter Interessentengruppen oder die der echten umfassenden Volksgemeinschaft, die sich über die Beinhaltung und Realisierung der gestellten Wirtschaftsaufgabe im Interesse des Gesamtwohles Rechenschaft gibt. Einen Sozialprozeß, wie ihn die Wirtschaft darstellt, nach dem Vorbild der klassischen Mechanik unter alleiniger Berücksichtigung kausaler oder funktionaler Beziehungen der isolierten (atomisierten) Individuen zueinander betrachten, heißt, wie O. v. Nell-Breuning ausführt, diesen Sozialprozeß als solchen verkennen und denaturieren, heißt den Sinngehalt, der sich nicht als Quantum, sondern seinem Wesen nach nur As Quale (d. h. : als gesellschaftliche, finalethisch determinierte Gestaltungsaufgabe) fassen läßt, austreiben (n 400ff.; W d P, I, Sp. 23f.,3f.;r 241). Die \u Anfang dieses Kapitels gestellte Frage, ob die neoliberalen Theoretiker bereit sind, der von ihnen bekundeten menschlich-sittlichen Bewandtnis des Wirtschaftsganzen im Rahmen ihrer Doktrin institutioneilen Ausdruck %u geben, ist nach dem bisher Gesagten %u verneinen.

312

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

2. Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung Die für die wirtschaftsethische Beurteilung des neoliberalen Systems entscheidende Frage nach der eigentlichen Zielsetzung und der damit umschriebenen Beinhal­ tung des neoliberalen Wirtschaftsdenkens ist durch die vorausgehenden Unter­ suchungen im wesentlichen bereits beantwortet. Aus der Analyse der nominalistisch-neoliberalen Sozialmetaphysik geht hervor, daß die neoliberale Doktrin weder für den gesellschaftlich-sozialen noch für den wirtschaftspolitischen Be­ reich einen objektiv vorgegebenen, einheitskonstitutiven Ganzheitswert als finalethische Norm anerkennt. Ebenso wie das gesellschaftliche Gesamtwohl sich angeblich aus der Summe des vielfältigen Einzelwohles zusammensetzt, erscheint auch das wirtschaftliche Gesamtinteresse oder allgemeine Wirtschaftsziel, wie sich L . Miksch ausdrückt, als der summarische Inbegriff aller „rationalen und irrationalen Zielsetzungen der Individuen“ (d 39). Wir haben es also von vorn­ herein mit einer eindeutig individualistischen Beinhaltung und Motivierung des wirtschaft­ lichen Gesamtgeschehens zu tun, die über den Formalismus der individuellen Kauf­ kraftbefriedigung als Wirtschaftsziel nicht hinauskommt. Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu. Die rein formale Begriffsbestimmung der Wirtschaft als zweckrationales, durch die Güterknappheit bedingtes Verhalten nach dem ökonomischen Prinzip, als „Rechnungs- und Signalapparat“, als inter­ individueller, atomar verfaßter Tauschmechanismus, läßt darauf schließen, daß der eigentliche Wirtschaftskosmos als „exakt rechenhaft funktionierende Appa­ ratur“ das ihm gesetzte Ziel nur bei strenger Beachtung der ihm zugrunde liegen­ den „Eigenlogik“ zu realisieren vermag. Damit wird die Prädominanz der öko­ nomischen „Sachgesetzfichkeit“ für den teleologischen Fragenkomplex relevant. Ferner ist der fundamentale Harmonisierungsautomatismus der „außer- und über­ menschlichen Intelligenz des Marktes“ zu berücksichtigen, der auf der Basis des intendierten wettbewerblichen Gleichgewichtszustandes die gegenseitige Ab­ stimmung aller wirtschaftlichen Einzelinteressen und damit die optimale Kon­ kretisierung des wirtschaftlichen Gesamtinteresses zu garantieren hat. Aus den verschiedenen ideologisch vorgelagerten Elementen ergeben sich, wenn wir sie um die drei Faktoren des Marktgeschehens : die Produktivität, Rentabilität und Kaufkraft, gruppieren, im wesentlichen drei Thesen, die über die indivi­ dualistische Beinhaltung des neoliberalen Wirtschaftsdenkens Aufschluß geben: Die Überwindung der Knappheit als eigentlicher Sachzweck der Wirtschaft ; das Gewinn­ streben als allgemeine Antriebskraft und zugleich als Ordnungsfaktor der Wirtschaft; die kaufkräftige Nachfrage als Produktionsnorm.

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

313

a) Ü b e r w i n d u n g der K n a p p h e i t als eigentlicher Sachzweck der Wirtschaft Individualistische Beinhaltung der Knappheit Wie sich in den vorausgehenden Kapiteln verschiedentlich gezeigt hat, ist das Phänomen der wirtschaftlichen Knappheit für das neoliberale Wirtschaftsdenken von zentraler Bedeutung. Die Überwindung der wirtschaftlichen Knappheit erscheint nach W. Eucken als „grundlegender Tatbestand“, als „konkretes, unab­ dingbares Problem“ des wirtschaftlichen Alltags schlechthin, von dessen Lösung die Bewältigung vieler anderer Probleme abhängt. Jede einzelne Handlung ist daraufhin zu prüfen, ob und wie sie dem Zweck der Knappheitsüberwindung dient. Das Knappheitsproblem bedingt die Arbeitsteilung, den Tauschzusammen­ hang, die Dispositionen der Betriebe, die Kombination der Produktionsmittel, kurz: das für den wirtschaftlichen Gesamtprozeß konstitutive rational-haus­ hälterische Verfahren. Der Einbau eines zureichenden, funktionsfähigen Knapp­ heitsmessers, der die objektive Verwirklichung des ökonomischen Prinzips er­ möglicht, erscheint daher als die Kernfrage jeglicher Wirtschaftslenkung und zugleich als entscheidendes Kriterium einer produktiven Wirtschaftsordnungs­ politik (h 8, 370,100, 70,114,141 ff., 184,195; f 214). Da nach der Ansicht Euckens die chronische Unterversorgung breiter Volksschichten für die gegenwärtige soziale Situation bezeichnend ist, wird die Überwindung der Knappheit zur ent­ scheidenden Voraussetzung für die Lösung der sozialen Frage und zum Angel­ punkt jeder konstruktiven Sozialpolitik (3. K., 2b). Der „sachliche Vorrang“, den Eucken der Knappheitsüberwindung als unausweichlicher „wirtschaftlicher Notwendigkeit“ theoretisch einräumt (h 370), ist seiner Überzeugung nach durch die nüchterne Realität des wirtschaftlichen Alltags gefordert und begründet. Daß die Güterknappheit für die Wirtschaft schlechthin ein fundamentales Problem darstellt, steht außer Zweifel. Was jedoch die neoliberale Theorie von allen anderen unterscheidet, ist zunächst der Individualismus hei der Beinhaltung der Knapp­ heitsverhältnisse und deren Bewältigung^ der durch die Logik des neoliberalen System­ denkens begründet ist. Da der preisautomatische Knappheitsmesser als einzig legitimer Indikator des wirtschaftlichen Gesamtinteresses gilt, das Preissystem selbst nach F. Böhm aber die „plebiszitär geäußerten Reaktionen“ (1152) aller Marktbeteiligten wiedergibt, bestimmt sich die Zielrichtung des Wirtschafts­ ganzen ausschließlich nach dem rein subjektiven, in unübersehbarer Mannig­ faltigkeit frei auftretenden Begehren, nach den durchschnittlichen Wertschätzungen und selbstgesetzten Zwecken der marktaktiven Nachfrager, wie L . Miksch sich ausdrückt (d 40).

314

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Institutioneile Sicherung der maximalen Produktivität Da immer nur das der allgemeinen Versorgung zur Verfügung gestellt werden kann, was vorher produziert worden ist, und da andrerseits das Datum „Bedürf­ nisse“ von unübersehbarer Mannigfaltigkeit ist bzw. durch die fortwährende Steigerung des kulturellen Lebensstandards ständig variiert, hat die Frage nach dem „höchsten wirtschaftlichen Wirkungsgrad“ und die Sorge um die Leistungs­ fähigkeit des Produktionsapparates, wie W. Eucken erklärt, im Brennpunkt aller ordnungspolitischen Maßnahmen zu stehen. Alle anderen Fragen seien nach­ geordnet (h 314). Die Tendern^ %ur maximalen Produktivität als notwendiger Voraussetzung einer möglichst umfassenden Bedürfnisbefriedigung rechtfertigt sich demnach von selbst. Sie erweist sich als entscheidende Maxime des neo­ liberalen Wirtschaftsdenkens. A . Müller-Armack z. B. versichert immer wieder mit Nachdruck, daß letzten Endes nur eine „bewußte Politik des wirtschaftlichen Wachstums“, die auf die Maximierung des Sozialprodukts hintendiert, die Lösung aller wirtschaftlichen und sozialen Probleme bringen könne (j 390 ff.). Die „Freigabe des wirtschaftlichen Fortschritts“, die „Sicherung der Gesamtexpansion“ , die „größere wirtschaftliche Ergiebigkeit“, kurz: den „allgemeinen Produktionsanstieg“, der auf die Ver­ sorgung der breiten Masse, auf sozial nützliche Eigentumsbildung und soziale Sicherstellung abziele, bezeichnet er als das primäre Ziel, als eigentliches Anliegen und zentralen Vorgang der Wirtschaftspolitik (e 299 f.; k 97, 85; d 86 f., 108). Die Aufgabe der Wirtschaft läßt sich nach W. Röpke dahingehend präzisieren, „ein Maximum an den von den Menschen wirklich begehrten Gütern unter geringstem Aufwand“ bereitzustellen (b 141). Wie im dritten Kapitel bereits festgestellt wurde, kommt nach allgemeiner neo­ liberaler Überzeugung für die Realisierung der produktionsintensiven Ziel­ setzung nur die Wirtschaftsform vollständiger Konkurrent in Frage. A . MüllerArmack lehnt zwar die Alternative, als hätte der wirtschaftende Mensch nur die Wahl zwischen zwei möglichen geschichtlichen Grundformen der Wirtschaft, ab, da sie mit der menschlichen Entscheidungsfreiheit unvereinbar sei. Das hindert ihn jedoch nicht zu erklären, daß wir in der Wahl des Wirtschaftssystems „im tieferen Sinn“ gar nicht frei sind, falls wir Wert darauf legen, ohne gefährliche Experimente „Millionenbevölkerungen zu produktiver Tätigkeit zusammenzu­ führen“ (e 302). Die Wettbewerbsordnung, deren Rechtfertigung in der stetigen Produktionssteigerung liegt (j 392), hält auch er für die einzig brauchbare. Im Unterschied zu anderen Neoliberalen betont er allerdings, daß die Herstellung einer formalen Wettbewerbsordnung allein nicht ausreichen würde. Für eine „soziale Marktwirtschaft“ ist seiner Ansicht nach „die institutionelle Verankerung

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

315

ihres Doppelprinzips in der Wirtschaftsordnung“ : der Marktfreiheit und des sozialen Fortschritts, entscheidend (i 37; e 300; j 390). Wenn hier von institutioneller Verankerung die Rede ist, dann muß dabei im Auge behalten werden, daß diese sich faktisch nur auf die durch ungehinderte Fort­ schrittsinitiative zu realisierende Produktivität bezieht. Die staatlich-institutionell %u gewährleistende Produktivitätssteigerung steht in der wirtschaftspolitischen Wertordnung der „sozialen Marktwirtschaft“ an oberster Stelle. Die erforderliche soziale Sicherung wird bewußt nur als indirektes Wirtschaftsergebnis eingeplant, insofern sie aus­ schließlich in der „Möglichkeit einer indirekten Ordnung und einer konstruktiven Umgestaltung“ des Produktivitätsergebnisses begründet wird. Jeder lenkende Eingriff in den Marktprozeß selbst, der geeignet ist, den maximalen Produktions­ ausstoß irgendwie zu beeinträchtigen, wird rundweg abgelehnt. Die Marktwirt­ schaft als „rein formales Verfahren“ funktioniert nach Müller-Armack nur dann in den verschiedensten „sozialen Rahmen“ und verträgt sich nur unter der Voraussetzung mit den verschiedensten Formen „sozialer Ordnung“, daß nicht versucht wird, „etwa soziale Ziele mit der variablen Wirtschaftsordnung zu erreichen“ (d 92f.). Diese können marktwirtschaftlich nicht erledigt werden; die Marktwirtschaft habe vielmehr für sie nur die ökonomischen Voraussetzungen zu schaffen (k 86f.). Müller-Armack kalkuliert daher von vornherein besondere nachträgliche „Vergünstigungen“ für die wirtschaftlich Benachteiligten ein, „die jedoch auf das Ganze angewendet illusorisch werden müssen“ (e 299). Der nach­ trägliche Ausgleich kann nur soweit zum Zuge kommen, als der wirtschaftliche Gesamtprozeß nicht durch soziale Forderungen und Fragen der Lohnbemessung, etwa die des sogenannten „Familienlohnes“, berührt wird (k 98). Aus diesem Grunde befürwortet Müller-Armack eine Trennung bzw. zweckmäßige Arbeits­ teilung zwischen dem Wirtschafts- und Sozialpolitiker (k 85, 97). Der Vorrang der Wirtschaftspolitik vor der Sozialpolitik wird damit deutlich zum Ausdruck gebracht. In seiner Wirtschaftskonzeption ist Müller-Armack also durchaus liberal. Das soziale Alibi der produktionsintensiven Reflexion scheint zunächst insofern gesichert, als Müller-Armack auf Grund seiner formalistischen Sozialkonzeption „sozial“ mit „produktiv“ identifiziert und jede Produktivitätserhöhung grund­ sätzlich als Ergebnis der „innewohnenden Sozialfunktion“ der Marktwirtschaft wertet (j 390; vgl. 3. K., 2c). Er vergleicht z. B. das Gesamtproduktionsvolumen der Bundesrepublik bis zum Jahre 1955 rein statistisch mit dem Ergebnis der Nachkriegswirtschaft und mit dem relativ geringeren Produktionsausstoß anderer Länder. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß die erheblichen Zuwachsprozente des Sozialprodukts, das wesentliche Ansteigen der Investitionsrate, die Gesamt­ expansion und Ergiebigkeit der „sozialen Marktwirtschaft“ von vornherein als Sozialfortschritt, als sozialpolitischer Gewinn, als sozialer Erfolg zu buchen seien,

316

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

der von einer gewaltigen „sozialen Leistung“ zeuge, »wie immer es auch um die Verteilung dieser Güter stehen mag“ (i 28; d 86, 108; k 86f. ; e 301). Die freie Wett­ bewerbswirtschaft wirkt seiner Ansicht nach „einfach durch ihre Produktivitäts­ steigerung sozial“ ; sie hat als solche schon „gewisse soziale Funktionen“, obwohl ihre Einkommensbildung „sozial blind“ ist (k 85). Die „soziale Marktwirt­ schaft“ ist demnach in erster Linie sozial, weil sie produktiv ist. Hinzukommt, daß das Produktivergebnis die sachlichen Voraussetzungen und den „sozialen Ansatz“ für die nachträgliche „soziale Ausgestaltung“ der Marktwirtschaft bietet (j 391; e 301). Insofern handelt es sich bei der intendierten Produktivitätssteigerung nach Müller-Armack auch um eine „sozial ungemein wichtige Sache“, um „die letzte, für die soziale Gestaltung vielleicht entscheidende Aufgabe“ der Wirtschafts­ politik (e 299f.; k 97, 85; d 86f., 108). Den gleichen Standpunkt vertritt übrigens auch L. Erhard. Unter der Überschrift: „Der Kuchen muß größer werden“, bringt er ganz offen zum Ausdruck, daß die von ihm angestrebte Erhöhung des Lebensstandards nicht so sehr Verteilungs- als vielmehr Produktivitätsprobleme berühre. Die Lösung liege nicht in der Division, sondern in der Multiplikation des Sozialprodukts. Er fügt die allerdings wenig überzeugende Begründung hinzu, diejenigen, die ihre Aufmerksamkeit den Verteilungsproblemen widmen, würden immer wieder zu dem Fehler verleitet, mehr verteilen zu wollen als die Volks­ wirtschaft herzugeben imstande sei. Daß umgekehrt die Gefahr einer Bagatellisierung des Verteilungsproblems von seiten der Produktionsspezialisten min­ destens ebenso akut ist, ergibt sich aus seiner anschließenden Bemerkung, er wolle damit nicht sagen, „daß die gegenwärtigen Verteilungsquoten in jeglicher Hin­ sicht ideal oder »gerecht* seien“ (e 226f.). Wir werden uns mit der Vernach­ lässigung des Verteilungsproblems auf neoliberaler Seite noch ausführlich zu befassen haben. Von dieser Sicht her, die den Produktivitätserfolg apriori und unabhängig von der Verteilungsfrage als soziale Errungenschaft wertet, ihn also aus dem gesamtwirtschaftlich-teleologischen Zusammenhang herauslöst und als isolierte statistische Größe dem markttheoretischen Gesamtbedarf gegenüberstellt, ist es zu verstehen, wenn Müller-Armack sich gegen die noch übliche „ungerechte“ Beurteilung des Laissez-faire-Liberalismus wenden zu müssen glaubt, dessen geschichtliche Leistung er im gewaltigen Wohlstandsgewinn sieht, und dessen „soziologische Möglichkeiten“ und Bedeutung „als eines unersetzlichen Mittels sozialer Gestaltung“ wir angeblich gegenwärtig „in einer bisher nicht gekannten Tiefe zu würdigen“ auf dem Wege sind (e 288). Gehen wir jedoch von der realistischen Grundannahme aus, daß die Wirtschaft als gesellschaftlicher Kulturpro^eß nur dann die ihr wesenseigene, sachlich begründete Aufgabe erfüllt, wenn die wirtschaftlichen Teilvorgänge der Erzeugung, der

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

317

Verteilung und des Verbrauches insgesamt in den teleologischen Sinnzusammenhang der kulturell werthaften Bedarfsbefriedigung für alle Glieder des Wirtschafts­ volkes eingeordnet werden, dann geht aus dem bisher Gesagten eindeutig hervor, daß von einer institutioneilen Sicherung des Sachvfels innerhalb der „sozialen Marktwirt­ schaft“ nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil! A . Müller-Armack ist der Auffassung, daß ein derartig beinhaltetes, mit dem sozialgerechten Verteilungsproblem zuinnerst verbundenes Sachziel nicht Aufgabe der Marktwirtschaft sein kann (k 86). Er argumentiert ebenso wie W. Eucken von der verengten Basis des markttheo­ retischen Gesamtinteresses aus, das lediglich durch die Kaufkraft der Marktaktiven beinhaltet wird und als solches mit dem sozialwirtschaftlichen Gesamtinteresse nicht identisch ist (vgl. 4. K., 3c). Die Zwecksetzung der „sozialen Markt­ wirtschaft“ konzentriert sich primär auf die Maximierung des Sozialprodukts, die durch die staatlich-institutionelle Sicherung der Markt- und Wettbewerbsfreiheit gewährleistet werden soll. Letzten Endes ist die maximale Befriedigung der auf dem Markt geltend gemachten individuellen Konsumwünsche beabsichtigt, die als „soziale Leistung“ (j 390) eingestuft wird. Um die Grenze der markttheo­ retischen Bedarfsbefriedigung möglichst weit zu ziehen, setzt Müller-Armack seine Hoffnung auf nachträgliche quantitative Einkommensausgleichs- und Kaufkraftkorrekturen. Daß jedoch der sozial-liberale Ausgleichsoptimismus die zwischen markttheoretischem und sozialwirtschaftlichem Gesamtinteresse klaffende Lücke nicht hinreichend schließen kann, vielmehr in einem Dilemma enden muß, was übrigens auch W. Schreiber in seinem Optimismus bezüglich der sozialen Gestaltung der liberalen Marktwirtschaft übersieht (e 11), ist bereits zur Sprache gekommen (3. K., 3b). Mit anderen Worten: Müller-Armack kommt trotz anerkennenswerter sozialfortschrittlicher Aufgeschlossenheit und echter Bereitschaft zur nachträglichen Realisierung sozialpolitischer Teilziele als neo­ liberal-orthodoxer Wirtschafts- und Sozialtheoretiker über die engen Grenzen rein formaler Wirtschaftsbetrachtung nicht hinaus. Die liberale und die „soziale Marktwirtschaft“ sind in ihrer originären wirtschaftspolitischen Zwecksetzung miteinander identisch; sie unterscheiden sich lediglich in der ordnungspolitischen Mittelwahl. Dieser wirtschaftspolitische Formalismus bezüglich der eigentlichen Zweck­ setzung des Wirtschaftsganzen ist für das neoliberale Wirtschaftsdenken ins­ gesamt bezeichnend. Er findet sich auch bei W’. Eucken. Wie bereits bei der Analyse des Harmonieproblems im vierten Kapitel festgestellt wurde, ist Eucken auf Grund seiner mechanisch-additiven Gemeinwohlkonzeption außerstande, den Begriffen des „Gesamtinteresses“, der „Produktivität“, der „volkswirt­ schaftlichen Produktivität“ oder des „gesellschaftlichen Nutzens“, dessen Realisierung dem Wirtschaftsganzen als Gesamtziel obliegt, einen integralen, dem

318

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Gesellschaftsganzen entsprechenden Inhalt zu geben (h 356). Den wichtigen Fragen nach der sachgerechten Beinhaltung der Güterknappheit weicht er daher aus (h 356). Produktivität und Freiheit betrachtet er generell als die wesentlichen Kriterien für eine funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnung (f 240). Ob die jeweilige Wirtschaftsplanung „richtig“ und „sinnvoll“ ist, ob das „Optimum“ der Bedarfsdeckung erreicht ist, bestimmt sich ausschließlich nach der einzelnen Wirtschaftsrechnung, aus deren Vielzahl die Gesamtwirtschafts­ rechnung zusammengefügt wird (h 365, 301 f.). Daraus ergibt sich von selbst, wie F. Böhm bestätigt, daß die Marktwirtschaft den faktisch geltend gemachten Bedarf ohne weiteres mit berechtigtem, vernünftigem und sittlich einwandfreiem Bedarf gleichsetzt, eine Tatsache, die immerhin für die sozialwirtschaftliche Sinnerfüllung der Wirtschaft von weittragenden Folgen ist, die Böhm jedoch nur als Nachteil von geringerer Bedeutung, als „Schönheitsfehler“ wertet (k 83f.). Das Unhaltbare dieser wirtschaftspolitischen Problemsicht besteht nach realistischer Auf­ fassung darin, daß hier das Produktivitätsanliegen vom sosfalwirtschaftliehen Verteilungsund Versorgungsanliegen abgesondert wird; daß die intendierte staatlich-institutionelle Sicherung sich nur auf ein wirtschaftliches Teilziel beschränkt; daß die Gesamt­ produktion lediglich der Gesamtheit der kaufkräftigen Nachfrage, nicht aber der Gesamtheit der wirklichen Bedürfnisse gegenübergestellt wird, und von daher Schlußfolgerungen über die eigentliche „Sinnerfüllung“ der Marktwirtschaft abgeleitet werden. Die für die Steuerung des wirtschaftlichen Gesamtprozesses entscheidenden Fragen, wem der erwirtschaftete Wohlstandsgewinn originär zufließt und welcher Art Bedürftige primär brücksichtigt werden, spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vorrang der ökonomischen Sachgesetylichkeit Statt dessen treten automatisch all die technologischen und funktionaltheo­ retischen Problemstellungen in den Vordergrund, von deren Lösung in erster Linie die Produktivitätssteigerung abhängt. Die Verabsolutierung dieses Teil­ zieles, die ideologisch im Grunde auf den neoliberalen Gemeinwohlbegriff und auf die daraus resultierende unsachgemäße Pointierung und Gewichtsverlagerung zugunsten der Produktionsintensität im Bereich der definitiven Beinhaltung des Wirtschaftsganzen zurückgeht (4. K., 3 b, c), fordert ihr Recht. Da die Produk­ tivität des Wirtschaftsprozesses durch die Gesamtheit der ökonomischen Hergänge und deren reibungsloses Ineinandergreifen bedingt ist, wird nach W. Eucken die strikte Beachtung der marktwirtschaftlichen Eigenlogik und Sachgesetzlichkeit zur unausweichlichen Grundvoraussetzung jeglichen Wirtschaftserfolges. Aus­ gehend von der für ihn „wesentlichen“ , im Grunde jedoch bereits relativierten

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

319

und formalistisch entleerten Frage, wie der riesige Apparat an Produktionsmitteln „optimal auf die Befriedigung von Bedürfnissen der kaufkräftigen Konsumenten ausgerichtet werden“ kann, betrachtet er die ,,allgemeine Erfüllung des Grenz­ kostenprinzips“ als erste Grundforderung und zugleich als Angelpunkt für alle weiteren wirtschaftspolitischen Erwägungen. Denn durch das Handeln nach der Grenzkostenrechnung würden alle Handlungen und Produktionsmittel aufein­ ander abgestimmt; die Wirtschaft komme ins „Gleichgewicht“ ; die gesamte Produktion werde auf die „optimale Befriedigung von Bedürfnissen“ ausgerichtet. Da in der arbeitsteiligen Großwirtschaft allein das Preissystem den „Bedeutungs­ index“ für den Aufbau der Grenzkostenrechnung bietet, ergibt sich nach Eucken daraus die zweite fundamentale Notwendigkeit: die Schaffung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrent das die Bedeutung der knappen Güter für die Bedürfnisbefriedigung richtig registriert (h 160ff., 162, 143, 34). Von der zentralen Bedeutung des preisautomatischen Knappheitsmessers für den neoliberalen Gleichgewichts- und Harmonieoptimismus war schon ausführlich die Rede (4. K., 3a; 6. K., la, b). Da, wie Eucken ausführt, das Preissystem als „Rechenmaschine“ und „Kontrollapparat“ (h 70) für Art und Umfang der Produktion und des Verbrauches, sowie für die Verteilung des Wirtschafts­ erfolges (Lohn als Preis der Arbeitsleistung, Beschränkung gewisser Güter auf bestimmte Personenkreise) von bestimmendem Einfluß ist und auf diese Weise die objektive Verwirklichung des ökonomischen Rationalprinzips ermöglicht (f 214), realisiert nach neoliberaler Auffassung die preisautomatische Ordnungsfunktion die Sinnerfüllung der Wirtschaft insgesamt. Im Grunde handelt es sich hier um die These der Klassiker von der „überpersönlichen Gesamtlenkung“ des Wirt­ schaftsgeschehens durch das Preisystem, das, wie F. Böhm erläutert, „alle indivi­ duellen Wirtschaftspläne aller Betriebe und Konsumenten einander sinnvoll und in wissenschaftlich nachweisbarer Art und Weise koordiniert“ (1 135)* Den Preismechanismus funktionsfähig zu machen bzw. zu erhalten, bezeichnet W. Eucken daher als wirtschaftspolitische „Hauptsache“, als „Schlüsselstellung“, als strategischen Punkt, „von dem aus man das Ganze beherrscht und auf den deshalb alle Kräfte zu konzentrieren sind“ . Staatliche Preisfesthaltung, Devisen­ kontrolle, Politik des billigen Geldes, Kreditexpansion und andere Maßnahmen mehr führen nach Eucken unweigerlich zur „Stillegung“ dieser entscheidenden Ordnungspotenz (h 142). Die Problematik und Begrenztheit des verabsolutierten preisautomatischen Lenkungsmechanismus ergibt sich zunächst aus der bereits behandelten Frage, inwieweit die Wirtschaft als Ganzes geldrechenhaft und quantifizierbar ist. Außer­ dem ist fraglich, ob Preis und Preissystem von vornherein als derart ursprüng­ liche und unabhängige Größen betrachtet werden dürfen, so daß von hier aus die

320

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Beherrschung des gesamten Funktionsablaufes der Tausch- und Verkehrswirt­ schaft möglich ist. Nach realistischer Auffassung trifft dies nicht zu. Der Wirt­ schaftsalltag beweist hinlänglich, daß die Preise selbst weitgehend durch wirt­ schaftliche Gegebenheiten bestimmt sind, daß außerdem bis zu einem gewissen Grade der menschliche Wille von Einfluß ist. Die Preisbildung vollzieht sich demnach in der Verkehrs Wirtschaft nicht nach naturgesetzlicher Notwendigkeit. Nicht nur der Markt selbst, sondern ebenso, wenn nicht noch mehr, ist die Marktbeeinflussung für das Zustandekommen der Preise relevant. Die theoretische Preismechanik und deterministische Preisgesetzlichkeit, von der die liberale Wirtschaftslehre ausgeht, besteht nur in der Marktform der totalen Konkurrenz bei absoluter Markt-Transparenz, Machtfreiheit und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft, in der die Marktbeteiligten die Marktpreise als Daten hinzunehmen haben, ohne selbst die Preisbildung beeinflussen zu können. Daß dieses didaktisch vereinfachte Denkmodell in Wirklichkeit nicht rein existiert, daß vielmehr das Marktgeschehen auf Grund der modernen Wirtschaftsentwicklung sich immer weiter von den genannten drei modelltheoretischen Voraussetzungen entfernt hat, steht außer Zweifel. In allen atypischen Marktformen überwiegt die Markt­ strategie in der Preisbildung. Die Brauchbarkeit der Grenzkostenlehre, die auf der Voraussetzung fußt, daß die Preise zuverlässige Bedeutungsindizes sind, wird damit von vornherein erheblich eingeschränkt. Weitere Einwände gegen die Preistheorie der Grenznutzenlehre kommen noch hinzu. Auch die beiden preis­ theoretischen Grundannahmen der Grenznutzenlehre, daß, erstens, der Preis sich nach der subjektiven Wertschätzung oder dem Grenznutzen richte, und daß, zweitens, jeder Wirtschaftler den größtmöglichen Vorteil für sich im Tausch zu erringen suche, werden von der realistischen Kritik als in der behaupteten Allgemeingültigkeit nicht zutreffend nachgewiesen. Das für die Grenznutzen­ schule fundamentale „Gesetz von Angebot und Nachfrage“, wonach sich im freien Marktverkehr ein ganz bestimmter Preis zwangsläufig bilden müsse, der Preis also aus Angebot und Nachfrage gesetzmäßig resultiert, trifft rein formal zu. Die entscheidende Frage jedoch, wie Angebot und Nachfrage Zustandekommen, wird durch das Gesetz nicht beantwortet. Im Grunde ist es der „psychologistische Subjektivismus“ in der Wertlehre, der an verschiedenen wichtigen Punkten %um Versagen dieser Theorie fährt (vgl. W. d. P., IV, Sp. 140ff., 144, 33f.). Als weitere Forderung, von der die wirtschaftliche Produktivität und Versorgung der Menschen im hohem Maße abhängig sind, tritt nach W. Eucken die Durch­ setzung der anderen konstitutierenden und regulierenden Prinzipien hinzu (h 255,314ff), die die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbswirtschaft zu garantieren haben. Daß die Wettbewerbsordnung der wirtschaftlichen Notwendigkeit einen „sachlichen Vorrang“ einräumt und auf die „Durchsetzung der ökonomischen Sachgesetz-

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

321

lichkeit“ dringt, ist für Eucken eine Selbstverständlichkeit, die durch das zentrale Problem des wirtschaftlichen Alltags: die Überwindung der Knappheit, bedingt und unausweichbar gefordert wird (h 370). Diesem Vorrang hat sich auch das soziale Ordnungswollen zu beugen. Die beiden divergierenden „Denkweisen“ der sozialethischen Reflexion, die den vorgegebenen sittlichen Zweck des Wirtschaftens im Auge hat, und der Ordnungstendenz der Wirtschaftspolitik, die sich primär an der marktwirtschaftlichen Sachgesetzlichkeit orientiert, müssen nach Eucken wegen der Dringlichkeit des zu lösenden Sachproblems „zur Koinzi­ denz gebracht werden“ . Seiner Ansicht nach kann und hat dies im Rahmen, also nach Maßgabe der Wettbewerbsordnung, zu geschehen. Jede Unterordnung des rein ökonomischen Denkens unter andersgeartete Gesichtspunkte wertet Eucken von vorn­ herein und alternativ als Vernachlässigung und Verfall des ökonomischen Denkens, wie er umgekehrt das ein^elwirtschaftlieh „richtige“, dem ökonomischen Prinzip entsprechende Handeln grundsätzlich legalisiert bt(W · ethisch neutralisiert (vgl. 4. K., 2 c). Er gibt dieser von allen Neoliberalen vertretenen, auf den ersten Blick plausiblen Wert­ ordnung eine prägnante Formulierung, wenn er zu den Fragen, „die die Welt­ geschichte aufgibt“, an erster Stelle rechnet: „Herstellung eines möglichst störungsfreien Wirtschaftsprozesses, dadurch Ermöglichung einer zureichenden Gesamtversorgung und auf dieser Grundlage auch eine vernünftige Verteilung“ (h 190). Den Vorwurf des Materialismus weiß er nur durch den Hinweis auf die fundamentale Notwendigkeit der alltäglichen Knappheitsüberwindung zu entkräften (h 370f., 349; vgl. 3. K., 2a, c). Ob die Eucken*sehe Alternative: optimale Knappheitsüberwindung durch die Realisierung der vollständigen Konkurrenz oder totalitär infizierter Verfall des wirtschaftlichen Denkens auf Grund sozialethisch normierter Hinordnung des Wirtschaftsganzen auf ein objektiv vorgegebenes Sachziel, wirklich echt ist, wird noch zur Sprache kommen. Jedenfalls beherrscht diese alternative Problem­ sicht das neoliberale Wirtschaftsdenken insgesamt. A . Müller-Armack ist zwar davon überzeugt, daß der Marktordnung in ihrem partiellen Charakter als zweck­ mäßiges, automatisches Organisationsmittel die Schaffung einer letztgültigen sozialen Ordnung nicht zuzumuten ist; andererseits normiert er den erforder­ lichen Einbau der marktwirtschaftlichen Ordnung in eine übergreifende Lebens­ ordnung, die die notwendigen Korrekturen und Ergänzungen an dem rein technisch verlaufenden Prozeß der Güterordnung vorzunehmen habe, nicht etwa nach den Gesetzen dieser umfassenden Lebensordnung, sondern nach den Marktgesetzen. Für ihn ist es eine ausgemachte Sache, daß die intendierte soziale Sicherung nur unter ständiger Rücksicht auf die „Eigenlogik“ der Marktwirt­ schaft und nur nach Maßgabe der „marktwirtschaftlichen Möglichkeiten“ zu verantworten ist (d 104, 106). Der für das neoliberale Ordnungswollen zentrale

322

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Begriff der Marktkonformität wird als „regulatives Prinzip sozialer Interven­ tionen“, der Produktion und der ihr entsprechenden Einkommensumleitung akzeptiert. Die marktwirtschaftliche Sachgesetzlichkeit bestimmt damit faktisch das Maß der von Müller-Armack empfohlenen kulturellen „Prägung“ und „geistigen Formung“. Sie umgrenzt den „Einbau unserer Lebensüberzeugungen“ und „sozialer Ziele“ in die Gesamtwirtschaft (d 104ff.; i 30; e 301). Ihr dient letztlich auch die staatlich-institutionelle Sicherung. Der Staat wird, wie H. Moeller bemerkt, „Diener einer ökonomischen Maschinerie, die er installiert oder weitgehend vorgefunden hat und bei der er für die systemgerechte Ein­ stellung aller Apparaturteile sorgt... Das, was der Staat installiert, ist nicht Erzeugnis staatlichen Zweckdenkens ; diese Apparatur als solche ist unwandelbar, sie will nicht wechselnden Zwecken hörig sein“ (b 225, 227). „Wenn der Markt herrschen soll, dann darf man sich auch nicht weigern, sich ihm anzupassen“, erklärt W’. Eucken (h 371) dazu. Die „Verselbständigung und Eigengesetzlich­ keit des Institutionellen“ führt jedoch nach J. Messner zu dem Ergebnis, daß der Mensch weitgehend „Zubehör“ der Automatik und der Organisation wird, die er selbst geschaffen hat (j 742). Die Tatsache des „Pragmatismus“ innerhalb der neoliberalen Ordo-Idee, von der W'. Dürr spricht (165, 142), insofern die angeb­ lich als natürliches Gesetz in den Dingen vorgegebene „vollständige Konkurrenz“ durch den Begriff der Marktkonformität bestimmt, was finalethisch nicht sein darf, ist für den wirtschaftspolitischen Formalismus des neoliberalen System­ denkens von grundlegender Bedeutung. b) Ge w in n st re be n als allgemeine A nt r ie b s - und O r d n u n g s k r a f t der Wirtschaft „Herrschaft der Rentabilität“ Zu den entscheidenden Faktoren, die die Knappheitsüberwindung auf der Basis maximaler Produktivität zu realisieren haben, gehört nach neoliberaler Auffassung das privatwirtschaftliche Streben nach Gewinn. Wie W. Röpke versichert, wird das Riesengetriebe der modernen Volks- und Weltwirtschaft gesteuert durch Wett­ bewerb, Zins, Preis und Rentabilität (i 95). Der Gesichtspunkt der Rentabilität beherrscht die gesamte Wirtschaft, vor allem die Produktion. Dieser Umstand beweise nur, daß wir in der Rentabilität einen zuverlässigen und unersetzlichen Maßstab dafür haben, ob sich ein Unternehmer in den volkswirtschaftlichen Zusammenhang einordnet oder nicht. Die „Herrschaft der Rentabilität“ bewirke, daß ein Unternehmer, der sich einfügt, vom Markt belohnt oder bestraft werde. Der Markt entscheidet also über die Rentabilität. Nach Röpkes Auffassung wird das Wirtschaftssystem „letzten Endes durch den Konkurs“ reguliert, denn die

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

323

Konkurrenz sorge dafür, daß nur der Weg äquivalenter Leistung zur Rentabilität führe (d 278f., 282). Die neoliberale These von der leistungssteigernden Dynamik und Ordnungskraft des Profitinteresses überzeugt zunächst insofern, als durch sie eine ganz natürliche, dem Erwerbsstreben zugrundeliegende Veranlagung des Menschen angesprochen wird: der Selbsterhaltungstrieb, das Verlangen nach Sicherheit, der Drang nach weiterer Entfaltung der eigenen Lebensmöglichkeiten, die Vorsorge für die Zukunft. Der durch den Wirtschaftsalltag bestätigte Grundgedanke, daß Selbst­ verantwortung und Selbstfürsorge und das durch die Gewinnchance mobilisierte Privatinteresse zu den stärksten wirtschaftlichen Antriebskräften gehören, spielt in der freiheitlichen Wirtschaftsdoktrin des Neoliberalismus naturgemäß eine bestimmende Rolle. Allerdings erhält er hier wiederum seine typisch neoliberale Note. Aus der Tatsache, daß der Wirtschaftsprozeß zur Realisierung der maxi­ malen Produktivität und Güterversorgung auf die Antriebskraft der freiheitlich­ selbstverantwortlichen Wirtschaftsimpulse nicht verzichten kann, zieht W. Eucken die Schlußfolgerung, mit der er sich bewußt auf die Seite der Laissez-faireTheorie stellt, daß nur bei freiem Wirken des uneingeschränkten Eigeninteresses das Gesamtinteresse gefördert werden könne. Das Privatinteresse ist für ihn apriori „die wesentliche Kraft, die dem Gesamtinteresse dient“, vorausgesetzt, daß jegliche Knebelung der Privatinitiative als gemeinschädlich abgelehnt wird (h 360, 357, 362). Wie A . Rüstow bestätigt, sichert die Selbstfürsorge nur als „ungebremste Antriebskraft“ der freien Marktwirtschaft vor allen anderen Versuchsanordnungen die bei weitem höchste Produktivität (1 55f.). Der primäre Gesichtspunkt für die Wahl einer produktiven Wirtschaftsordnung ist nach A. Müller-Armack daher der, daß sie für die Möglichkeit freier, spontaner Ziel­ setzungen offen ist (d 92). Das neoliberale Freiheitspathos wird damit dem ökonomischen Kalkül intendierter Leistungssteigerung unterstellt und von der Wirtschaftstheorie in Dienst genommen (vgl. 3. K., 2b, c). Die produktions­ intensive Grundeinstellung bietet die plausible Begründung dafür, warum der Neoliberalismus es als seine erste Aufgabe betrachtet, so W. Eucken, den spon­ tanen Kräften zur Selbstentfaltung zu helfen, jegliche Knebelung der freien Initiative auszuschalten und das Eigeninteresse zu mobilisieren, zum Wohle des Ganzen (h 365, 357, 360, 362f.). Selbsttätige Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz Für die allgemeinwirtschaftliche Bedeutung des Rentabilitätsinteresses als unum­ gänglicher Voraussetzung jeglichen Wirtschaftserfolges spricht zunächst der Wirtschaftsalltag selbst. Sinnen und Trachten jedes einzelnen, ob im Haushalt

324

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

oder Betrieb, ist erfahrungsgemäß auf Erwerb gerichtet. Um selbst leben, die Familie sichern, das eigene Geschäft konkurrenzfähig halten und den Betrieb womöglich erweitern zu können, ist jeder gezwungen, Aufwendungen und Ertrag nach dem ökonomischen Rationalprinzip klug abzuwägen, also rentabel zu wirtschaften, um so zu einem größtmöglichen Ertrag an Gütern oder Leistungen zu gelangen. Bei der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsweise äußert sich der „Zwang zur Rentabilität“ in der Ausrichtung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf den geldrechenhaften, bilanzmäßigen Erfolg. Die Saldoziffer der Gewinn- und Verlustrechnung am Schluß des Wirtschaftsjahres bildet das Ziel und zugleich den magischen Punkt der Unternehmertätigkeit, der alles Sinnen und Trachten auf sich zieht. Der geldrechenhafte Ertrag erscheint als Eigenwert und als Kriterium des privatwirtschaftlichen Verhaltens; mit anderen Worten: Das Erwerbsstreben wird objektiviert. Es wäre verfehlt, diese gegebene A r t %u wirtschaften, apriori mit Egoismus, Habsucht und Wirtschaftsdämonie identifizieren *(u wollen. Das rationale Streben nach Ertrag und Gewinnerzielung dient als wertvolle Antriebskraft, als haushälterische Norm und als brauchbares Steuerungsmittel für die einzelnen Unternehmungen zugleich der Sinnerfüllung der Wirtschaft insgesamt. Die Tendenz zur privat wirtschaftlichen Rentabilität schlechthin für die Entartung oder Fehlleitung moderner Wirtschaftspraxis verantwortlich machen und ver­ femen zu wollen, hieße, wie O. v. Nell-Breuning zu Recht betont, den Mißbrauch einer gegebenen Wirtschaftsverfassung mit ihrer ursprünglichen Idee verwechseln, näherhin: die Objektivierung des Erwerbsstrebens mit seiner unstatthaften Verabsolutierung gleichsetzen zu wollen (f 8f.; W. d. P., IV, Sp. 150ff.). Die entscheidende Frage, um die es hier geht, ist jedoch die, ob das private Gewinnstreben die gesellschaftliche Wirtschaft insgesamt zu steuern geeignet ist; mit anderen Worten: ob die intendierte größtmögliche privatwirtschaftliche Rentabilität mit der volkswirtschaftlichen Produktivität identisch ist und von sich aus die Sinnerfüllung der Volkswirtschaft garantieren kann. Diese beiden Größen miteinander gleichgesetzt zu haben und davon ausgegangen zu sein, daß die vielfältigen Gewinninteressen auf dem freien Markt von selbst in Harmonie zueinander kommen und in ihrer Gesamtheit das eigentliche wirtschaftliche Gesamtinteresse konstituieren, macht den optimistischen Grundirrtum der Laissez-faire-Theorie aus. Wie stellt sich die neoliberale Theorie zu diesem Problem? Die Analyse des Harmonieproblems im vierten Kapitel ergab, daß W. Eucken realistisch genug ist, nicht nur in der zentralgeleiteten, sondern auch in verkehrswirtschaftlichen Systemen die Möglichkeit einer skrupellosen Entfaltung des Erwerbstriebes und rücksichtsloser Äußerungen eines unbegrenzten, brutalen Erwerbsstrebens in Rechnung zu ziehen (f 207, 208, 217 f.). Auch darüber läßt er keinen Zweifel,

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

325

daß das „Erwerbsstreben um jeden Preis“ zwar einzelwirtschaftlich „richtig“, aber objektiv unrational bzw. falsch planen und handeln und auf diese Weise mit dem volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse in Kollision geraten kann, z. B. im Falle rentabler, aber unsachgemäßer Produktions- und Kreditpolitik. Eucken gibt ferner zu, daß auf weite Sicht die Schädigung des Gesamtwohles auf den einzelnen Wirtschafter selbst zurückschlägt und schließlich das Wirtschaftsganze ernsthaft gefährdet (h 359). Demnach genügt die maximale Steigerung der privaten Gewinnquote durch die ungebremste Antriebskraft des Selbstinteresses allein noch nicht, um insgesamt die Interessenharmonie und Sinnerfüllung der Wirt­ schaft garantieren zu können. Der Gedanke, daß das private Gewinnstreben einer gesamtwirtschaftlichen Ziel­ setzung und Leitregel zu unterstellen ist, liegt nahe. Wie sich zeigen ließ, lehnt W. Eucken jedoch jegliche teleologische Normierung oder Umorientierung der Privat­ initiative rundweg ab. Ob das einzelwirtschaftliche Verhalten „richtig“ ist oder nicht, darüber entscheidet seiner Ansicht nach ausschließlich die Orientierung des wirtschaftlichen Planens und Handelns am privatwirtschaftlichen Rentabilitäts­ interesse der einzelbetrieblichen Wirtschaftsrechnung, das mit dem vielzitierten „wohlverstandenen“ Selbstinteresse identifiziert wird. Kommt es trotzdem zu einem Konflikt mit dem Gesamtinteresse, dann ist hier nach Eucken lediglich die allgemein gegebene Form fehlerhaft, in der gewirtschaftet wird, für die der einzelne aber nicht ohne weiteres verantwortlich gemacht werden kann. Eucken hält es daher für ausgesprochen „töricht“, den Betreffenden wegen ihres faktisch gemeinschädlichen Verhaltens etwa Egoismus vorwerfen, in einer solchen Situation also die Belange der Gesamtheit ver­ pflichtend in den Vordergrund rücken zu wollen. Es sei ebenso abwegig, diese Kräfte zu diffamieren als sie zu loben. Ob das echte Streben, auf andere Rücksicht zu nehmen, oder ob „Eigennutz“ und „reiner Egoismus“ im Wirtschaftsalltag wirksam sind, ist für ihn belanglos. Jeder diesbezügliche Ein wand hat hinter der elementaren Tatsache zurückzutreten, daß im privaten Profitinteresse auf jeden Fall die stärksten Kräfte gegeben sind, die für die Denkenden und Handelnden zur Überwindung der alltäglichen Knappheit nun einmal notwendig seien. Eucken wertet diese Schlußfolgerung als „positives Resultat“ der Laissez-faire-Kritik. Die Lösung des Interessenproblems, von der die eigentliche Sinnerfüllung der Gesamt­ wirtschaft abhängt, betrachtet er, wie wir gesehen haben, ausschließlich als eine funktionaltheoretische Formfrage. Es handelt sich seiner Ansicht nach nur darum, mittels bestimmter Wirtschaftsordnungsformen die Kräfte der Privatinitiative so zu lenken, daß sich die Einzelinteressen von selbst sinnvoll koordinieren (h 360, 355, 366 f, 368), daß also, um mit A . Rüstow zu sprechen, eine „selbsttätige Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz“ eintritt (c 132).

326

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Aus den Untersuchungen des dritten (2 c) und vierten Kapitels (2 a) geht hervor, daß nach neoliberaler Ansicht einzig und allein die funktionsfähige Wettbewerbs­ ordnung die sozialnützliche Funktion des Interessenausgleichs im Bereich des allgemeinen Gewinnstrebens realisiert. Der neoliberale Grundgedanke ist hierbei der, daß im Rahmen des Konkurrenzsystems theoretisch durch die Ausschaltung von Monopolgewinnen, wie A . Müller-Armack versichert, „lediglich dem Gesamtinteresse dienende Entwicklungsgewinne“ zugelassen, jegliche „Verpfründung von Erwerbspositionen“ ausgeschlossen und dauernde wirtschaftliche Machtpositionen bedroht werden (e 299; d 73). Außerdem wird, so A . Rüstow, durch bessere und billigere Produktion, durch höchste Produktivität und Freiheit (1 57) und, was F. Böhm besonders betont, durch unbewußte „Mehrung des Wohlstandes“ anderer Menschen (f 20) das Interesse der Allgemeinheit gebührend berücksichtigt und zugleich, wie W'. Röpke bemerkt, mit dem vielfältigen Eigen­ interesse „geräuschlos“ koordiniert (i 95). Eingedämmt und gebändigt durch den echten „egoismusbrechenden LeistungsWettbewerb“ soll der „Wildbach des Privatinteresses“, soll der individuelle Selbstbehauptungs- und Entfaltungstrieb zu jener „wohltätigen Kraft“ umgewandelt werden, die, über die Turbinen unserer Wirtschaft geleitet, „unsere Kultur im letzten bewegt“ (d 279; o 4). Die neoliberale Wirtschaftstheorie modifiziert demnach die Laissez~faire- Theorie insofern, als sie dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben nur im Rahmen der veranstalteten, funktionsfähigen Wettbewerbsordnung Antrieb und Steuerung der Gesamtwirtschaft zutraut und auch überträgt. Die höchstmögliche Produktivität der Gesamtwirtschaft wird vom Zwang zur privatwirtschaftlichen Rentabilität abhängig gemacht. Privat­ wirtschaftliche Rentabilität und volkswirtschaftliche Produktivität werden also auch hier, wie den Ausführungen A . Müller-Armacks (d 73) und F. Böhms (f 196 f.) zu entnehmen ist, miteinander gleichgesetzt. Die Notwendigkeit einer ordnungs­ politischen Lenkung des Profitinteresses findet ZFar formale Anerkennung^ entscheidend bleibtjedoch, daß die neoliberalen Ordnungskriterien dem Mark t geschehen selbst, nicht aber der übergreifenden gesellschaftlichen Gesamtordnung entnommen sind. Nicht Subordi­ nation, sondern markttheoretische Koordination der Einzelpläne und Wirtschafts­ handlungen garantiert angeblich das volkswirtschaftliche Gesamtwohl. Wie sich zeigen ließ, ist es die individuelle Rentabilitätsrechnung, die nach Maßgabe des Grenzkostenprinzips und der Marktpreise das Privatinteresse als „Richtschnur des wirtschaftlichen Verhaltens“ zu lenken und, wie F. Böhm versichert,, die Harmonie zwischen privatwirtschaftlichem Erfolg und volkswirtschaftlich richtigem Ver­ halten herzustellen hat (f 195f.). Die strikte „Wahrung der Spielregeln“ erfüllt dabei faktisch die Funktion eines sozialethischen Prinzips. Das bedeutet, daß in der neoliberalen Wertordnung das individuelle Profit­ interesse normativen Charakter beansprucht. Es wird aus dem teleologischen

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

327

Gesamtzusammenhang herausgelöst und verselbständigt. Der Eigennutz, die Überwindung der individuellen Knappheit, die Erfolgsbilanz der einzelbetrieb­ lichen Wirtschaftsrechnung gelten als die einzig verbindlichen Kriterien für die „Richtigkeit“ des einzelwirtschaftlichen Handelns und, nach W. Röpke, zugleich als „sicherster Kompaß“ (c 17) für die Sinnerfüllung der Wirtschaft insgesamt. Die ideelle Rechtfertigungfür diefunktionaltheoretische Vorrangstellung des Eigeninteresses bietet der systemkonforme wettbewerbstheoretische Gleichgewichts- und Harmonieoptimismus. Das so^iaiethisehe Postulat, demgemäß das wirtschaftliche Selbstinteresse nur insoweit als „wohlverstanden“ bezeichnet werden darf als es sich den Sachnotwendigheiten des gesell­ schaftlichen Gesamtinteresses unterzuordnen versteht, erkennt W. Eucken aus Rücksicht auf die verabsolutierte individuelle Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit nicht an. Die Behauptung, man könne im Grunde nur vom Gesamtinteresse her dem Eigen­ interesse gerecht werden, zu der sich übrigens auch, allerdings unter Voraus­ setzung des analogen, sozialethisch beinhalteten Gemeinwohlbegriffs, die rea­ listische Wirtschaftsphilosophie bekennt, rechnet Eucken zu den „ideologischen Fundamenten aller Wirtschaftsordnungen unserer Zeit, die dem zentralver­ waltungswirtschaftlichen Typus angehören“ (h 361). Die unmittelbaren geistigen Verbindungslinien zur individualpsychologisch begründeten klassischen National­ ökonomie, deren Gesetze, wie W. Hasbach treffend formuliert, „Definitionen der Kraft Eigennutz“ (zit. bei Freyer, 16) darstellen, sind nicht zu übersehen. D. Villey gibt dem neoliberalen Wirtschaftsindividualismus und -formalismus in über­ spitzter Form Ausdruck, indem er die „Vermehrung des Reichtums“ als eigent­ liches und unbestreitbares Ziel der wirtschaftlichen Betätigung bezeichnet. Das Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeit sieht er primär darin, daß sie nach einem Überschuß der erzeugten Werte über die Kosten strebt, weshalb es keineswegs zu bedauern sei, daß in unserem wirtschaftlichen Leben das Streben nach Geld der bestimmende Faktor ist (b 47). Mit anderen Worten: Das im privatwirtschaft­ lichen Erfolg sich konkretisierende Personziel der einzelnen Wirtschafter wird offenkundig dem eigentlichen Sachziel der Gesellschaftswirtschaft absolut vor­ geschaltet bzw. übergeordnet. Wie bereits dargelegt wurde, führt die primär markttheoretische Lösung des Interessenproblems nach realistischer Ordnungsauffassung zu keinem brauch­ baren Gesamtergebnis; im Grunde deshalb nicht, weil sich die neoliberale Argumentation nur auf der engen Basis des markttheoretischen Gesamtinteresses bewegt. Hinzukommt, daß die erhebliche Diskrepanz zwischen dem kaufkräftigen und dem sozialwirtschaftlich beinhalteten Gesamtinteresse durch den Wettbe­ werbsmechanismus weder berücksichtigt noch überwunden wird. Das volks­ wirtschaftliche Gesamtwohl wird vielmehr in das Wohlergehen der vielen markt­ aktiven Einzelnen aufgelöst (vgl. 4. K., 3a, b, c). Dem neoliberalen Harmonie-

328

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Optimismus steht die fundamentale Tatsache entgegen, daß derfreien Konkurrent als inhalts­ leerer Prämisse wirtschaftlichen Handelns keinesfalls die Bedeutung eines ethischen Begriffs oder sotjaiethisehen Solls ^erkannt werden kann (vgl. U tt, o 56 ; 3. K., Zfg.)y von der Lenkungsproblematik der Grenykostenrechnung und des Preissystems gant abgesehen. Damit ist tugleich erwiesen, daß das konkurrierende Profitinteresse unmöglich regulatives Prinsfp und alleiniger Antriebsfaktor des Gesamtwirtschaft sein kam. Es ist vielmehr selbst dem umfassenderen Gemeinwohlbegriff und einer höheren Zielsetzung unter­ geordnet. Wenn es seine sozialnützliche Antriebsfunktion erfüllen und gegen Entartung gesichert werden soll, bedarf das Streben nach Erwerb und nach dem geldrechenhaften Überschuß, jedenfalls nach realistischer Auffassung, der glied­ haften Einbettung in das gesellschaftswirtschaftliche Gesamtgeschehen, näherhin: der Normierung durch das wirtschaftliche Gesamtwohl und die Gemeinwohl­ gerechtigkeit. Nur unter dieser ordnungspolitischen Voraussetzung ist es wirt­ schaftsethisch richtig und möglich, was übrigens auch O. v. Nell-Breuning betont, die Rentabilität als oberstes Gesetz und Ziel des privatwirtschaftlichen Verhaltens gelten zu lassen, ohne daß die Volkswirtschaft als Ganzes die ihr gesetzte Aufgabe der allgemeinen Unterhaltsfürsorge verfehlt, und das Verhalten des wirt­ schaftenden Menschen noch unter das Niveau der Grenzmoral absinkt (f 9f; W. d. P., IV, Sp. 150f.). Formalistische Sicherung der Bedarfsbefriedigung Gegenüber der betont geldrechenhaften, auf die Anhäufung von Mehrwert gerichteten neoliberalen Interpretation der wirtschaftlichen Tätigkeit gewinnt der Einwand der Kritik an Gewicht, daß hierdurch die Bedürfnisse und die zu ihrer Befriedigung notwendigen produktiven Kräfte fehlgeleitet werden. Der höchst­ mögliche Geldertrag der Marktaktiven ist nicht identisch mit der bestmöglichen Bedarfsbefriedigung der Gesamtheit. Fast alle antikapitalistischen Einwände treffen sich auf dem gemeinsamen Nenner, daß mit der Vermehrung und An­ häufung des Reichtums das Optimum der wirtschaftlichen Zweckerfüllung, d. h. die optimale Produktivität und der optimale Lebensstandard für alle, nicht zu realisieren ist. Auf die konkrete Sachlage bezogen: Das konkurrierende Profit­ interesse, das den Gelderwerb als unmittelbaren Zweck dem eigentlichen Sozial­ zweck des Wirtschaftsprozesses, nämlich der allgemeinen Bedarfsbefriedigung, vorschaltet und überordnet, wird als unmittelbar bewegender und ordnender Faktor dem Sachziel der Wirtschaft nicht gerecht. W. Eucken greift dieses Problem ebenfalls auf und findet dafür eine sehr einfache Lösung. Er geht zunächst von der allgemeinen Feststellung aus, daß es kein Wirtschaften gebe, das nicht auf Deckung von Bedürfnissen abzielte. Der

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

329

Eindruck, den manche Nationalökonomen erhielten, es habe in der Geschichte Menschen gegeben, die beim Wirtschaften nicht Bedürfnisse befriedigen wollten, erweise sich stets als falsch (f 128). Nie sei die möglichst große Geldmenge als solche endgültiges Ziel der wirtschaftlichen Tätigkeit, vielmehr erfolge der Geld­ erwerb stets, um verwandt zu werden. Allerdings dürfe man den Bedürfnisbegrif! „nicht zu eng“ fassen (f 209). Eucken will damit sagen, daß unter „Be­ dürfnis“ schlechthin alles zu verstehen ist, was auf der Seite des Menschen einen Impuls zu wirtschaftlichem Handeln geben kann. Auf den Inhalt kommt es dabei nicht an. Ob es sich um objektiv dringlichen und wertechten Bedarf oder bei­ spielsweise um die Befriedigung des Geltungsdranges, der Machtgier oder des krankhaften Sicherheitsbedürfnisses eines ausgesprochenen Geizhalses handelt (f 209), ist unerheblich. Von dieser betont individualistischen Bedürfnisinter­ pretation ausgehend hält es Eucken in seiner Auseinandersetzung mit W. Sombart für notwendig, um der wissenschaftlichen Exaktheit willen auf die Gegenüber­ stellung: Erwerbsprinzip-Bedarfsdeckungsprinzip, zu verzichten. Seiner Ansicht nach ist es zutreffender, das wirtschaftliche Verhalten auf das Streben nach „höchstmöglicher Reineinnahme“ oder „bestmöglicher Versorgung“ zurück­ zuführen. Voraussetzung dabei ist, daß selbstverständlich nach beiden Prinzipien Bedürfnisse befriedigt werden (f 210, 217 f., 219). Auch das Streben nach höchst­ möglicher Reineinnahme dient dazu, den unter Umständen sehr großen Bedarf derjenigen zu befriedigen, „die jede Chance ausnützen, um mehr zu verdienen“ (f 210). Was die Qualifikation der einzelnen Bedürfnisse betrifft, genügt Eucken die formale Frage, ob sie jeweils einem beweglichen oder gleichbleibenden Bedürfnis­ stand angehören (f 215). Eucken löst also in typisch individualistischer Denkweise den Begriff der Bedarfsdeckung aus dem sozialwirtschaftlich-teleologischen Zusammenhang heraus, weitet seinen Inhalt faktisch ins Unbegrenzte aus und verlagert damit die Diskussion auf die Ebene der neoliberal-formalistischen Wirtschaftsauffassung, die sich nur auf das Faktum der marktmäßig geltend gemachten Bedarfsansprüche konzentriert. Die nächstliegende Folgerung ist die, daß die sozialnützliche Funktion des „Gewinnstrebens um jeden Preis“ von der Bedarfsdeckungsseite her nicht in Frage gestellt werden kann, da Bedürfnisbefriedigung in jedem Falle gesichert erscheint, auch dann, wenn das Erwerbsstreben ausbeuterische und skrupellose Formen annimmt. Mit Hilfe dieser Manipulation ist es natürlich ein leichtes, die Sombart*sehe Antithese ad absurdum zu führen. Eucken übersieht allerdings dabei den wesentlichen Sachverhalt, daß Sombarts Argumentation von einer ganz anderen Wirtschaftsauffassung ausgeht als die neoliberale. Sombart gehört zu den Nationalökonomen, die das eigentliche Wirtschaftsziel in der „Kultur­ funktion“ der sozial wirtschaftlich beinhalteten Unterhaltsfürsorge gegeben

330

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

sehen (vgl. W. d. P., IV, Sp. 1), die mit Hilfe des Bedarfsdeckungsprinzips realisiert werden soll. Für ihn ist nicht die inhaltsleere Frage entscheidend, ob überhaupt mit Hilfe des Gelderwerbs Bedarfsansprüche gedeckt werden oder nicht, sondern vielmehr, wessen und welcher Art Bedürfnisse insgesamt be­ friedigt werden müssen, damit die Wirtschaft als Ganzes ihren Sozialzweck erfüllt. Der Begriff der Bedarfsdeckung wird damit im Sinne der intendierten Gesamt­ versorgung durch objektive Dringlichkeit und Werthaftigkeit beinhaltet und determiniert. Jegliche individualistische Bedürfnisbefriedigung, die zu diesem universalen Wirtschaftszweck in Gegensatz tritt, widerspricht auch dem sozial­ wirtschaftlichen Bedarfsdeckungsprinzip. Sombart ist der Überzeugung, daß das „kapitalistische“ Streben nach einer möglichst großen Geldmenge der sozial­ wirtschaftlichen Gesamtversorgung nicht ohne weiteres gerecht wird, obwohl hierbei selbstverständlich bestimmte individuelle Bedürfnisse befriedigt werden. Wer ausschließlich auf größtmöglichen Reingewinn hinwirtschaftet und keine sozialethischen Bindungen anerkennt, hat gegebenenfalls je nach der Marktlage die Möglichkeit, durch Einschränkung des Angebotes und die damit verbundene Preiserhöhung auf Kosten der dringlichen Gesamtversorgung sein Ziel zu er­ reichen. Daß ein wesentlicher, für die gesamte Wirtschaftsgestaltung relevanter Unterschied besteht zwischen der Tendenz derjenigen, die im Sombart'sehen Sinne nach dem Bedarfsdeckungsprinzip verfahren, und derjenigen, die jede mögliche Chance des Gelderwerbs ausnützen, gibt auch W Euchen zu (f 206, 210). Sombart geht es also nicht darum, mit der fraglichen Antithese einen Gegensatz zwischen Bedarfsdeckungstendenz und Gelderwerb schlechthin zu konstruieren, da selbst­ verständlich auch das Streben nach Bedarfsdeckung in der Regel nur mit Hilfe eines entsprechenden Gelderwerbs zum Ziele kommen kann, sondern darum, den wesentlichen Unterschied zwischen individualistischer und sozialwirtschaftlicher Bedürfnisbefriedigung in ihrer Bedeutung für die Planung und Lenkung des Wirtschaftsganzen herauszustellen. Bezeichnend für die Kontroverse ist der wirtschaftsphilosophische Formalismus, der dem neoliberalen Partner als ideologischer Ausgangspunkt und zugleich als Mittel dient, um das „Profitstreben um jeden Preis“ zu begründen. Abstrakte Sätze werden von Euchen ohne nähere Beinhaltung in die wirtschaftspolitische Diskussion als Beweiselemente eingeführt: stets sei Bedürfnisbefriedigung das Ziel des Wirtschaftens, oder: stets erfolge Gelderwerb, um Bedürfnisse zu be­ friedigen (f 128, 209). Die Tatsache, daß z. B. Geldgier, Machthunger und Hab­ sucht grundsätzlich als wirtschaftsfremde Elemente zu werten sind, die faktisch das individuelle Personziel über das Sachziel der Wirtschaft stellen und auf diese Weise die einzelwirtschaftliche Tätigkeit von ihrer objektiv vorgegebenen

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

331

Sinnerfüllung abbringen (vgl. W. d. P., IV, Sp. 278), wird nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil: Die erwähnten wirtschaftsfremden Elemente werden von Eucken als die stärksten Kräfte angesehen, die für die Verwirklichung der formalistischen Knappheitsüberwindung notwendig sind (h 360). Es entspräche der Logik dieser nominalistischen Beweisführung, wenn daraufhin jegliche Wirtschaftsform, selbst unter der Voraussetzung, daß vorwiegend in die Taschen einer Minderheit hineingewirtschaftet würde, als Bedarfsdeckungs­ wirtschaft deklariert wird. Eucken läßt jedoch die Zentralverwaltungswirtschaft nicht als Bedarfsdeckungswirtschaft gelten, obwohl in ihr zumindest die Bedürf­ nisse der Funktionärsschicht und ein von der Führung festgelegter Allgemein­ bedarf befriedigt werden. Als Begründung führt er an, daß in der Wirtschaftsform der zentralen Lenkungsmethoden die Bedürfnisse der Konsumentenschaft in ihrer Mannigfaltigkeit weder festgestellt noch entsprechend berücksichtigt werden können. Sie versagt seiner Ansicht nach deshalb, weil sie das Spannungs­ problem zwischen dem Bedürfnisstand einiger weniger Bevorzugter und dem der Gesamtheit nicht bewältigen kann (f 208 f. ; h 359 f., 361 f., 367 f.). Das gleiche Problem sieht er auch in der Verkehrs Wirtschaft gegeben, insofern die auf das private Rentabilitätsinteresse gerichtete einzelbetriebliche Wirtschaftspraxis „nicht selten“ zur allgemeinen Bedarfsdeckung „der vielen kaufenden Haushalte“ in Gegensatz tritt (h 353, 357). Er macht geltend, daß die wettbewerblichen Koordi­ nationsschwierigkeiten zwischen den Äußerungen des Eigeninteresses und dem Gesamtinteresse auf den Unterschied zwischen besonders dringenden Bedürf­ nissen der unteren Einkommensschichten und Luxusbedürfnissen der begüterten Klassen zurückgehen, der durch die ungleich verteilte Kaufkraft bedingt ist (h 355, 365f.). Mit anderen Worten: Um das für die Sinnerfüllung des Wirtschaftsganzen ent­ scheidende Interessenproblem lösen und die Voraussetzungen für eine ernst­ hafte Wirtschaftspolitik schaffen zu können (h 351), sieht sich Eucken faktisch gezwungen, vom rein formalen Bedürfnisbegriff abzugehen. Er unterscheidet zwischen den Bedarfswünschen einer kleinen bevorzugten Klasse und denen der breiten Konsumentenschicht, zwischen einzelbetrieblichen Ansprüchen und denen der kaufenden Haushalte, zwischen Luxusbedürfnissen und objektiv dringlichen Sachnotwendigkeiten des Lebensunterhalts. Er hält es mit A . MüllerArmack auch für notwendig, im Interesse des geordneten Wirtschaftsvollzugs und des sozialen Friedens diesen Unterschied, der aus dem wettbewerblichen Gewinnstreben resultiert, als tatsächliches Problem des Wirtschaftsalltags durch nachträgliche Kaufkraftkorrekturen weitmöglichst auszugleichen (vgl. 3. K., 3b). Sowohl die nähere Bestimmung der Bedürfnisskala wie auch die Tendenz zur sozialpolitischen Korrektur entsprechen nicht dem neoliberal-formalistischen,

332

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

sondern einem inhaltlich durch die allgemeine Unterhaltsfürsorge determinierten Wirtschafts- und Bedarfsdeckungsbegriff, auf den Eucken notwendig zurück­ greifen muß, um den aufkommenden Problemen gerecht werden zu können. Im Grunde kommt er damit auf die Sombar?sehe Antithese zurück, die den wesent­ lichen Unterschied zwischen individualistischer und sozialwirtschaftlicher Be­ dürfnisbefriedigung zum Inhalt hat. Damit gibt W. Eucken indirekt erstens zu, daß dem Verständnis der Wirtschaft als gesellschaftlichem Sozialprozeß mit inhaltlosen, abstrakten Begriffen und Formeln nicht gedient ist; zweitens, daß die rein formale Sicherung der Bedarfs­ deckung durch das mobilisierte Gewinnstreben und den maximalen Reinertrag nicht ausreichen, um bereits von der optimalen Sinnerfüllung der Wirtschaft sprechen zu können; drittens, daß das konkurrierende Gewinnstreben unmöglich alleiniger Antriebsfaktor und regulatives Prinzip des wirtschaftlichen Gesamt­ vollzugs sein kann, da das wettbewerbliche Profitinteresse sowohl im Rahmen des Wirtschaftsvollzugs wie auch in bezug auf sein Produktivergebnis der sozial­ wirtschaftlichen Normierung und Korrektur bedarf. c) K a u fk ra ft als P ro d u k tio n s n o rm „Herrschaft des Konsumenten“ Um zu demonstrieren, daß die freie Marktwirtschaft grundsätzlich der sozial­ wirtschaftlichen Zwecksetzung und Gemeinverantwortung unterstellt ist, wird immer wieder auf die beherrschende Stellung des Konsumenten hingewiesen, die angeblich durch die „strenge Hinordnung“ dieser Wirtschaftsform auf den Konsum begründet ist. Es ist eine der attraktivsten Behauptungen der Neoliberalen, daß es faktisch der Verbraucher sei, wie sich A . Müller-Armack aus­ drückt, „der über seine in Preisen ausgedrückten Wertschätzungen den Produk­ tionsbewegungen die entscheidenden Signale erteilt“ (d 71). Er gibt nach W. Eucken dem Unternehmer die Aufträge und bestimmt Art und Umfang der Produktion und Investition (h 163, 245, 300). Die Ausrichtung auf den Konsum biete das entscheidende Kriterium für die „richtige“ Produktion. Die „Herr­ schaft der Produktivität“ werde damit zur „Herrschaft des Konsumenten“. Wie F. Böhm versichert, stimmt der Verbraucher durch die „plebiszitär geäußerten Reaktionen“ des Preissystems (1 152, 157) und durch jedes ausgegebene Geld­ stück über das Was und Wie der Produktionsplanung ab, um so das Ideal „wirt­ schaftlicher Demokratie“ zu verwirklichen, was nach W. Röpke nur in der Wettbewerbswirtschaft möglich sei (b 141; i 116; d 282).

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

333

„Wirtschaftsdemokratie“ der Kaufkräftigen Diese „Wirtschaftsdemokratie“ hat jedoch eine wesentliche Einschränkung zur Voraussetzung, die auch von den Neoliberalen nicht übersehen wird: es stimmt nicht jeder Bedürftige ab, sondern nur, wer Geld hat. Der preistheoretische Abstimmungsmechanismus verdient daher eher die Bezeichnung, wie O. v. NellBrewing zu Recht betont: „Plutokratie“ als Demokratie (u 255). „Sehr mannig­ faltige kaufkräftige Bedürfnisse. . . kämpfen um die vielfach verwendbaren Produktionsmittel“ , erläutert W. Eucken. „Die Produktion muß dem kauf­ kräftigen Bedarf angepaßt werden, und dieses Muß setzt sich in der zwingenden Kraft der Wirtschaftsrechnung durch. Mit Hilfe der Kostenrechnung kon­ trollieren die kaufkräftigen Bedürfnisse die Produktionsprozesse“ (h 71). Die praktische Wirkung des Grenzkostenprinzips besteht gerade darin, daß „der riesige Apparat an Produktionsmitteln... optimal auf die Befriedigung von Bedürfnissen der kaufkräftigen Konsumenten ausgerichtet wird“ (h 161). Diese Ausrichtung gilt nach A . Müller-Armack apriori als „soziale Leistung“ (j 390 ff.). Da nur die „durch Geld legitimierten Wünsche“ berücksichtigt werden, kann das Ergebnis dieser Konsumentenabstimmung, wie W. Röpke zugibt, „nicht voll­ kommen“ sein (d 240). Auch W. Eucken gibt zu bedenken, daß die markttheo­ retisch bedingte Ungleichheit der Einkommen und Kaufkraftverteilung die Produktion auf die Deckung „relativ unbedeutender Bedürfnisse“ hinlenkt, während dringende Bedarfsansprüche der unteren Vermögensschichten noch nicht befriedigt sind. Das führe unter Umständen dazu, daß die Luxusproduktion bereits erfolgt, obwohl dringende Bedürfnisse von Haushalten mit geringem Einkommen noch auf Befriedigung warten (h 300, 365). Demnach könne die Herrschaft der Konsumenten auch in der Konkurrenz Wirtschaft nicht als „uni­ versal“ bezeichnet werden; im Falle der Kollektivbedürfnisse sei beispielsweise die Einflußmöglichkeit des Konsumenten beschränkt (h 163). Bei monopo­ listischer oder oligopolistischer Vermachtung des Marktes, die heute praktisch den Wirtschaftsalltag mehr oder weniger beherrscht, werde selbstredend die „dirigierende Kraft der Konsumenten wesentlich beeinträchtigt und komme weit schwächer zur Geltung“ (h 71). F . Böhm stellt sachlich fest, daß der marktwirt­ schaftliche Produktionsapparat, der den faktisch geltend gemachten Bedarf ohne weiteres mit berechtigtem, vernünftigem und sittlich einwandfreiem Bedarf gleich­ setzt, „in höherem Maße“ für die Konsumbedürfnisse der Reichen als für die Armen arbeitet (k 84, 77).

334

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Rational-subjektivistische Produktionslenkung Auf die neoliberalen Bemühungen, diese Kluft durch nachträgliche Kaufkraft­ korrekturen möglichst auszugleichen, wurde schon verschiedentlich hingewiesen. Daß diese Korrekturen auf Grund markttheoretischer Rücksichtnahme zu be­ grenzt sind, um den Zweck einer „sozialen Marktwirtschaft“ realisieren zu können, wurde ebenfalls betont (vgl. 3. K., 3 b, c). W’. Eucken, F . Böhm und A . MüllerArmack sind allerdings der Meinung, daß es unverantwortlich wäre, wegen gewisser „Mängel“ und „Schönheitsfehler“ die Funktionsfähigkeit des Markt­ systems insgesamt aufs Spiel zu setzen. Hinzukommt der funktionaltheoretische Einwand der Kritik gegen die praktische Brauchbarkeit der genannten Konsu­ mentenabstimmung. Mit Recht werden, was F. Böhm (k 77) und 0. v. NellBreuning (W. d. P. IV, 33 f.) hervorheben, die tatsächlichen „Reibungsverluste auf dem Wege zwischen Verbraucherreaktion und Einwirkung auf den Betriebsplan“ und der Umstand, „wie lange es dauert, bis die Verbraucherreaktion beim Betrieb ankommt und wieder beim Verbraucher“ , bemängelt. Die Anpassungs­ fähigkeit des Produktions Vorganges als Voraussetzung für den Einfluß des Verbrauchers nimmt mit der Verlängerung der modernen Produktionswege im umgekehrten Verhältnis ab. Auch die andere Tatsache fällt ins Gewicht, daß im wirtschaftlichen Alltag nicht nur das produziert wird, wonach augenblicklicher Bedarf besteht. Die Tendenz, mit Hilfe der Suggestivreklame den Mangel an Markttransparenz auszunutzen und den vorhandenen Produktionsvorrat unter allen Umständen an den Mann zu bringen, herrscht vor. Da in der Regel nur der Großverbraucher nennenswerten Einfluß auf die Produktion besitzt, der Normal­ verbraucher jedoch fast völlig machtlos ist, bestimmt im Wirtschaftsalltag mehr die Produktion den Verbrauch als umgekehrt. Die Schwerfälligkeit des modernen Wirtschaftsapparates, der sich wegen der hohen fixen Kosten erfahrungsgemäß nur langsam umstellen läßt, ist hier ausschlaggebend. Von der Theorie her gesehen bleibt also die Tatsache bestehen, daß der liberale Wirtschaftsprozeß originär und ausschließlich auf die rationalen und irrationalen subjektiven Wertschätzungen der zahlungskräftigen Wirtschaftsindividuen, nicht aber auf die Sachnotwendigkeiten des Sozialwohls insgesamt ausgerichtet ist. Die „Herrschaft des Konsumenten“ ist demnach nicht eine Herrschaft des Ver­ brauchers schlechthin, sondern nur des bevorzugten, der vom anonymen Ver­ teilungsautomatismus des Marktes reichlicher bedacht wurde. Auf Grund ihrer sehr relativen Bedeutung und Wirkkraft kann sie nicht als Beweis dafür heran­ gezogen werden, daß der wirtschaftende Mensch als solcher im Mittelpunkt aller wirtschaftspolitischen Erwägungen steht. Da die freie „soziale Marktwirtschaft“, wie H . Ritschl bemerkt, keine Notiz von der Existenz der dringlichsten,

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

335

ungedeckten, sozial wichtigen Bedarfsansprüche nimmt (c 241), fällt sie keinesfalls unter den speziellen Begriff der Bedarfsdeckungswirtschaft. Die erforderliche institutionelle Sicherung des wirtschaftlichen Sachziels wird vielmehr ersetzt durch das „größte Glück der größten Zahl“ (Bentbam) der in ihren subjektiven Konsumwünschen zufriedengestellten marktaktiven Wirtschaftsteilnehmer. Z u sa m m e n fa ssu n g und S tellu n g n ah m e (zu 1 u. 2) Die neoliberale Grundauffassung bzgl. der wirtschaftlichen Zielsetzung läßt sich folgendermaßen zusammenfassen : Die möglichst umfassende Überwindung der durch kaufkräftige Nachfrage geltend gemachten wirtschaftlichen Knappheit gilt als eigentlicher Sachzweck des wirtschaftlichen Gesamtgeschehens. Die wirtschaftliche Produktivität mit Hilfe der individuellen Wirtschaftsfreiheit und des privaten Gewinnstrebens auf das äußerste zu steigern und als solche staatlich­ institutionell zu sichern, wird als die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik an­ gesehen. Eine spezielle institutionelle Garantie der allgemeinen Unterhaltsfürsorge hält der neoliberale Markttheoretiker für überflüssig. Statt dessen tritt die kauf­ kräftige Nachfrage als alleinige Produktionsnorm in Erscheinung. Das Kapital­ gut, nicht das Gebrauchsgut, bestimmt faktisch die Gütererzeugung; der Tausch­ wert rückt vor dem Gebrauchswert in den Vordergrund. Das privatwirtschaft­ liche Erwerbsprinzip, die Tendenz zur privatwirtschaftlichen Wohlfahrt erweist sich als das eigentliche Formprinzip des Wirtschaftsgeschehens. Es führt zur Trennung zwischen dem wirtschaftlichen Produktivitätsanliegen und dem sozial­ wirtschaftlichen Verteilungsproblem. Der von der Klassik übernommene und ordnungspolitisch modifizierte Gleichgewichts- und Harmonieoptimismus be­ dingt seinerseits die theoretische Prädominanz der wirtschaftlichen Sachgesetzlichkeit und des Institutionellen, ferner den Pragmatismus der neoliberalen Ordo-Idee, die Verselbständigung des Profitinteresses, die Identifizierung von privatwirtschaftlicher Rentabilität und volkswirtschaftlicher Produktivität, den Vorrang der Wirtschaftspolitik vor der Sozialpolitik. Die Maßstäbe für das wirtschaftliche Verhalten werden der Wirtschaft selbst entnommen. Die erkennt­ nistheoretische Begründung der neoliberal-formalistischen Wirtschaftskonzeption liegt im individualistischen Selbstverständnis und in der dementsprechenden Sozialmetaphysik des neoliberalen Systemdenkens. Wesensdeutung und Sinnerfüllung der Wirtschaft Vom Standpunkt der seinsrealistischen Wirtschaftsphilosophie aus geurteilt besteht der fundamentale Irrtum der neoliberalen Wirtschaftskonzeption in der einseitig produktionsintensiven Interpretation des Wirtschaftsgeschehens, die

336

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

die rein formale Überwindung der marktmäßig geltend gemachten Knappheit auf der Basis maximaler Produktivität mit dem eigentlichen Sachziel der Wirtschaft identifiziert. Die Marktwirtschaft wird damit ihres sozialen Sinngehaltes beraubt und in ihrer spezifischen Zwecksetzung verfehlt; sie wird zum Selbstzweck. Unter wirtschaftlichem Sachziel ist grundsätzlich der von einer höheren Wert­ ordnung her der Wirtschaft auf getragene Zweck zu verstehen; ein Zweck also, der nicht dem wirtschaftlichen Bereich selbst entstammt, sondern vorgegeben ist; der als solcher eine übergeordnete gesellschaftliche Autorität voraussetzt und unter Umständen einen autoritativen Eingriff zuläßt bzw. fordert. Die wirtschafts­ politisch wesentliche Frage nach dem eigentlichen Sachzweck der Wirtschaft, die mit der Frage nach der Sinnbestimmung der Wirtschaft aus letzten Gründen identisch und als solche dem Problemkomplex der Morphologie und Katallaktik des Wirtschaftsganzen übergeordnet ist, wird, wie sich an der problematisierenden Methodologie W . Euckens deutlich feststellen ließ (vgl. 6 . K., la), von der neo­ liberalen Wirtschaftsdoktrin auf Grund ihrer aktualistisch-mechanistischen und kausal-analytischen Grundtendenz bewußt übergangen. Nach realistischer Auffassung leitet die Wirtschaft ihre Wesensdeutung und Sinnerfüllung nicht von der Idee der Marktwirtschaft selbst, sondern von außer­ ökonomischen Prämissen, letzten Endes vom Menschenbild ab. Der Mensch mit seiner Geist-Leib-Natur und als sozialveranlagtes Individuum ist zu seiner physischen Existenzerhaltung ebenso wie zur Entfaltung und Vervollkommnung seiner Persönlichkeit auf die materiellen Mittel und auf die gesellschaftliche Kooperation angewiesen. Diese außerökonomische Tatsache ist für alle weiteren Überlegungen fundamental. Wie Λ . F . Ut% (j 358, 360), G. Weisser (h 13f., 15f.) und F. Klüber (63 ff.) übereinstimmend hervorheben, muß die Grundanschauung des wirtschaftenden Menschen über die sittliche Zweckbestimmung, die personale Wertverwirklichung und die gesellschaftlich-soziale Begründung seiner Lebens­ führung feststehen, wenn über Wert oder Unwert wirtschaftlicher Betätigung ein Urteil gefällt werden soll. Das Menschenbild der realistischen Seinsphilosophie mit seiner sittlichen Endbestimmung und sozialen Verhaftung verkörpert in sich, wie O. v. Nell-Breuning unterstreicht, das unumgängliche weltanschaulische Apriori und zugleich den gemeinsamen Ausgangspunkt und Wertmaßstab jeder konstruktiven Wirtschaftspolitik (r 243 f.). Die neoliberale Doktrin ist für dergleichen Überlegungen zugänglich, verengt jedoch die gemeinsame Arbeits­ grundlage auf den Freiheitsbegriff, der in bewußter Verabsolutierung als Zentralwert und Selbstzweck aus der sittlichen Wertbezogenheit und Wertordnung herausgelöst, formalisiert und zur alleinigen Maxime wirtschaftlichen Handelns erklärt wird.

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

337

Der Charakter der Wirtschaft als soziales Phänomen, als gesellschaftlicher Kultur­ prozeß ergibt sich aus dem finalethischen Zusammenhang von selbst. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern in ihrer Struktur und Dienstfunktion letztlich auf die Realisierung von Werten hingeordnet, die selbst außerhalb des eigentlichen wirtschaftlichen Bereiches liegen. Im Gegensatz zur neoliberalen Auflassung kann daher das Sachziel der Wirtschaft nicht in der höchstmöglichen Ergiebigkeit, in der Anhäufung von Mehrwert, im Geldverdienen schlechthin bestehen, sondern vielmehr in der optimalen Bereitstellung von materiellen Voraussetzungen und Dienstleistungen für eine ausreichende und zugleich kulturell werthafte Bedarfs­ befriedigung. Das Sachziel der Wirtschaft liegt demnach im Produktionsoptimum, insofern das Produktionsergebnis grundsätzlich der personalen Wesensentfaltung und WertVerwirklichung aller, nicht aber nur den subjektiven Wertschätzungen der marktaktiven Gesellschaftsglieder zu dienen bestimmt ist. Wie der Kampf um die „gleitende Arbeitswoche“ erneut bewiesen hat, ist das Produktionsmaximum mit dem Produktionsoptimum nicht identisch. Daß wir heute den ständig ge­ steigerten Produktionsausstoß vielfach mit einem nicht geringen Verlust an menschlich-kulturellen Werten bezahlen, der unmittelbar beim produktions­ intensiven Wirtschaften entsteht, ist bekannt. Sozialethische Erwägungen zugunsten des schaffenden Menschen wirken daher unter Umständen, z. B. in der Frage der Sonntagsheiligung, bewußt retardierend auf den allgemeinen Pro­ duktionsimpuls. Nach der übereinstimmenden Auffassung von A . F . Ut% (a 392), F. V. Gottl (d 89), G. Weisser (h 13, 16),/. Messner (j 642ff.) und F. Klüber (76ff.) erweisen sich die personale Würde und die natürlichen Rechte des schaffenden Menschen, sowie die berechtigten Belange der Allgemeinheit: das Gemeinwohl, für die Realisierung des wirtschaftlichen Sachziels als konstitutive Elemente, als Formprinzipien. Wie im dritten Kapitel bereits betont wurde, ist der von den Neoliberalen postu­ lierte Vorrang der Wirtschaftspolitik gegenüber der Sozialpolitik für eine echte soziale Marktwirtschaft untragbar. Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik müssen zusammengesehen werden. Der Wirtschaftspolitiker ist, wie G. Weisser zu Recht betont, wenn er nicht in reinen Ökonomismus absinken will, ohne den Sozial­ politiker außerstande, über seine Maßnahmen ein Werturteil zu fällen, da er keinen gültigen Maßstab besitzt, wie umgekehrt der Sozialpolitiker ohne den Wirt­ schaftspolitiker wegen mangelnder Sachkenntnis zum Utopisten wird (h 16, 22). Ebenso unhaltbar ist das neoliberale Axiom, daß eine gute Wirtschaftspolitik zugleich auch die beste Sozialpolitik sei. Ob eine Wirtschaftspolitik gut ist, bestimmt sich nicht nach ihrer Produktivität, sondern primär nach ihrem Beitrag zur Realisie­ rung des vorgegebenen Sachziels, das mit dem Produktionsmaximum nicht identisch ist.

338

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Gestalthaftigkeit und Gestaltgebung der Wirtschaft Da der einzelne Wirtschafter in seiner Gesamtheit von sich aus nicht ohne weiteres auf das vorgezeichnete, sozialwirtschaftlich beinhaltete Sachziel hinten­ diert, bedarf das erforderliche wirtschaftliche Gesamtvorhaben der entsprechen­ den Konkretisierung, durch finalethische Lenkung ebenso wie durch staatlich­ institutionelle Sicherung. Im Gegensatz zum markttheoretischen Optimismus der Neoliberalen ist es völlig ungenügend, das wirtschaftspolitische Augenmerk und die soziale Aktivität nur auf die rechtliche Garantie eines störungsfreien markt­ theoretischen Funktionsablaufes konzentrieren zu wollen. Die auf neoliberaler Seite intendierte institutioneile Garantie der Wirtschaftsfreiheit, die rein formal als ein Tun- und Lassenkönnen bestimmt wird mit der einzigen Auflage, den Freiheitsbereich des Nebenmenschen nicht zu begrenzen (vgl. 2. K., 3, Zfg.), hat weder die Aufgabe noch die Möglichkeit, die marktwirtschaftliche Knappheits­ überwindung in eine bestimmte Richtung zu lenken bzw. die Unterhaltsfürsorge des gesamten Wirtschaftsvolkes zu gewährleisten. Selbstverständlich ist die Güterknappheit eine Voraussetzung und die Knapp­ heitsüberwindung ein grundlegender Tatbestand der Wirtschaft schlechthin. Entscheidend für jede grundsätzliche Wirtschaftsbetrachtung bleibt jedoch, wie E . Egner hervorhebt, daß die Knappheit erst vom Menschen aufgefaßt und zur Grundlage einer von ihm bewirkten Ordnung gemacht wird, die es näher zu bestimmen gilt (a 44). Die eigentliche Wirtschaftstechnik, speziell die wirtschafts­ technische Vernunft als Sparen an Aufwand nach Maßgabe des ökonomischen Rationalprinzips, hat es stets nur mit den einzelnen Bedarfen, mit der einzelnen Handlung zu tun, in deren Rahmen es ihr um den größten „Wirkungsgrad“ und höchsten „Nutzeffekt“ geht. Die Wirtschaft selbst beginnt jedoch erst bei der Zusammenfassung und Ordnung der technisch-richtigen Handlungen und Leistungen insgesamt, indem sie alle zueinander in das richtige Verhältnis bringt. Sie bestimmt als „Schiedsrichterin“ über die um ihre Deckung kämpfenden Bedürfnisse, über den Bedarf an technischem Fortschritt, über den Aufwand im Großen. Ordnung bedeutet hier also Gestaltung, bedeutet „Formgebung zu einem sinnvollen Ganzen“ unter dem besonderen Gesichtspunkt der Dauer und des Bestandes; sie ist faktisch, wie F . v. Gottl bemerkt, klärender Vorentscheid über die Rangordnung, die Auswahl und Deckung der Bedarfe, um aus ihrer Zusammenordnung den dauernden Einklang von Bedarf und Deckung zum Wohle des Ganzen erstehen zu lassen (d 15f., 25 f., 38, 45). Der Wirtschaft geht es demnach nicht nur um Bereitstellung von Bedarfsgütern, sondern, wieO. v.NellBreuning unterstreicht, um die wechselseitige Abstimmung von Bedarf und Deckung, d. h. um kulturelle Sinnerfüllungen (a 252). Es läßt daher auf eine völlige

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

339

Verkennung des eigentlichen Wesens der Wirtschaft schließen, wenn die wirt­ schaftliche Vernunft mit der technischen identifiziert und die Wirtschaft schlecht­ hin als Handeln nach dem ökonomischen Rationalprinzip interpretiert wird, wie es auf neoliberaler Seite der Fall ist. Das Prinzip des technischen Sparens trägt zu Unrecht den Namen des „wirtschaftlichen Prinzips“ . Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Wirtschaft als Ganzes weder eine „Natur­ ordnung“ darstellt noch als bloße Summe oder mechanisches Ergebnis techno­ logischer Prozesse und störungsfreier Funktionsabläufe oder als Inbegriff der bedarfsdeckenden Vorgänge angesehen werden kann. Die Realisierung ihrer sachlich determinierten, auf das Ganze bezogenen Zwecksetzung hat nach 0. V. Nell-Breuning vielmehr zur Voraussetzung, daß die Wirtschaft als gesellschaft­ lich-kulturelle Gestaltungsaufgabe, als „organisatorisches Kunstgebilde“, und die „Gestaltgebung der menschlichen Bedürfnisbefriedigung“ als ihr eigentlicher Sinn begriffen wird (W. d. P., IV, 32; r 238f.). Die darin eingeschlossene „Prädominanz des Quäle“ (n 400), also des Gestalthaften und der Gestaltgebung, bietet das Unterscheidungsmerkmal des eigentlichen Wirtschaftskerns gegenüber den rein technologischen Prozessen, die sich als solche nur quantitativ mit der Mittel­ beschaffung befassen. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß es sachlich unrichtig ist, mit den Neoliberalen die Wirtschaftsgesetze als „Spielregeln“ bezeichnen und das sportlich-faire Einhalten der Spielregeln als Ordnungs­ prinzip der Wirtschaft betrachten zu wollen. Ganz abgesehen davon, daß der Wettbewerb die sportliche Grundregel der Startgleichheit völlig außer acht läßt: Spielregeln sind vom Menschen erdacht und haben für den sportlichen Kampf konstitutiven Charakter. Im Bereich der Wirtschaft, die durch physische Lebensnot­ wendigkeiten des Menschen begründet wird, stellen die Wirtschaftsregeln wesentlich historisch gewachsene Verfahrensweisen dar, die, wie v. Nell-Breuning betont, nach­ träglich abstrahiert und auf ihren Sinn, ihre Zielbestimmtheit, ihre Vereinbarkeit mit außerökonomischen Prämissen untersucht bzw. durch teleologische Rück­ orientierung entsprechend determiniert werden. Die neoliberalen Theoretiker, die in den Marktgesetzen Grundregeln naturgesetzlichen Charakters erblicken, die angeb­ lich nur „vorgefunden“ werden und lediglich zur Geltung zu bringen sind, geben sich über den inneren Widerspruch ihrer Terminologie keine Rechenschaft. Das Erfordernis der Zusammenordnung faktischer Bedarfsansprüche setzt zunächst bestimmte Einheiten der Gestaltung voraus: Familie, Haushalt, Unter­ nehmen, Gemeinde, berufliche Körperschaften, Wirtschaftsgesellschaft. Die Gestaltgebung selbst, im Unterschied zum rein Quantitativen und Quantifizier­ baren an der Wirtschaft, läßt sich in die Stichworte zusammenfassen: Kombination, Wertrangfolge, Komplementarität, Gestaltungsfreiheit. Die zielstrebige Kombination des Kräfteeinsatzes, der vorhandenen Güter und der verschiedenen Vorgänge

340

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

umfaßt und eint die drei Bereiche der Gütererzeugung, der Verteilung und des Verbrauches. Die wechselseitige Bedingtheit dieser Bereiche, die aus ihrer engen kausalen, funktionalen und teleologischen Verflechtung resultiert, macht es faktisch unmöglich, mit den Neoliberalen einem von ihnen: der Produktion, den Vorrang und den Vorzug der institutionellen Sicherung geben zu wollen, während die Kaufkraftverteilung dem sozial blinden Marktmechanismus überlassen wird. Wie bereits gezeigt wurde (vgl. 3. K., 2c, 3b, c; 6 . K., 1 a) und später noch einmal dargelegt wird, richtet sich die Kritik gerade gegen die bewußte Trennung dieser drei Bereiche und gegen die Vernachlässigung des Verteilungsproblems durch die neoliberale Theorie. Der Mangel an sozialwirtschaftlicher Kombination ist hier durch den neoliberalen Harmonieoptimismus bedingt. Da die vorhandene Güterknappheit nicht nur die formale Konsequenz des ökonomischen Rationalprinzips, sondern in erster Linie die materielle Konsequenz der Bedürfnisauswahl und der wertechten Bedarfsgestaltung bedingt, haben wir mit einer bestimmten Wertrangfolge der Bedürfnisse zu rechnen, die nach v. Nt/lBreuning durch die Wertstufe und Dringlichkeitsstufe der knappen Güter konsti­ tuiert wird (r 237). Wirtschaftsgestaltung ist demnach ohne Wertungen nicht denkbar. Der von den Neoliberalen postulierten metaphysischen und ethischen Wertfreiheit der Wirtschaft stellt die realistische Wirtschaftsphilosophie die teleologisch fundierte, ethische Wertqualität der einzelnen Wirtschafts Vorgänge gegenüber, deren Normen letztlich aus dem Apriori des Gemeinwohlbegrifis als dem eigentlichen Form- und Ordnungsprinzip des Wirtschaftsganzen abgeleitet werden. Wie im folgenden Kapitel noch klargelegt wird, umfaßt die ethische Wertung das gesellschaftswirtschaftliche Gesamtziel ebenso wie auch die spezielle Zielwahl und die für ihre Konkretisierung erforderliche Mittelwahl. Entscheidend für die wertende Kombination aller Teilziele ist ferner der Blick auf das Wirt­ schaftsganze, ist die Komplementarität (r 237, 246; p 227). Den wirtschaftlichen Einsatz der begrenzt verfügbaren, aber verschiedenartig verwendbaren Mittel komplementär zu gestalten, die einzelnen Bedürfnisse komplementär zu befrie­ digen und die einzelwirtschaftlichen Ziele der Verantwortung für das Ganze zu unterstellen, macht den Inhalt der „kulturellen Komplementarität“ im Raum der Wirtschaft aus. Sie ist faktisch mit der sinnvollen und kulturell werthaften Gestaltung des Menschenlebens identisch. Allerdings hat sie die freie Konsumwahl zur unverzichtbaren Voraussetzung. Da erfahrungsgemäß allein die Konsum­ freiheit die persönlich-individuelle Rangordnung und Differenzierung der Be­ dürfnisse wie auch die konkret-individuelle Ausgestaltung des kulturellen Lebens in den privaten Lebenskreisen ermöglicht, ist sie, wie O. v. Nell-Breuning (r 246), / . Messner (j 642f.) und E . Böhler (a 15f., 19f.) unterstreichen, für jegliche Wirt­ schaftsgestaltung von zentraler Bedeutung.

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

341

Aus dem Gesagten wird wieder deutlich, daß die Wirtschaft als Ganzes, obwohl zahlreiche innerwirtschaftliche Handlungen und Tauschvorgänge meßbar sind, nicht quantifizierbar und rechenhaft ist. In der Prädominanz des Gestalthaften und der Gestaltgebung menschlicher Bedürfnisbefriedigung tritt zur Gesamtheit der wirtschaftstechnischen Abläufe etwas durchaus Neues hinzu, das nicht mit Hilfe des Eucken*sehen Instrumentenkastens analysiert werden kann. Dieses Neue übersehen zu haben, macht den eigentlichen Mangel der neoliberalen Wirt­ schaftsperspektive aus. Wie die Analyse der Eucken*sehen Wirtschaftsmethode zu Beginn dieses Kapitels ergab, geht der neoliberale Begriffsformalismus im Grunde auf die Tatsache zurück, daß die neoliberale Problemstellung bewußt nur das Wie der Wirtschaft umfaßt: ihre äußeren Wirtschaftsordnungsformen, ihre Tauschbewegungen, den Beziehungszusammenhang quantitativ bestimmter Größen. Die Wirtschaftsontologie, die mit den entscheidenden Aussagen: was Wirtschaft in ihrem Wesen eigentlich ist, welche Aufgaben ihr als Kultursach­ bereich gestellt sind, inwiefern auch ihr Vollzug vorbedingt ist, dem Erfahrungs­ wissen erst den eigentlichen Halt gibt, wird bewußt ausgeklammert. An ihre Stelle treten allgemeine Feststellungen, die — übrigens ganz im Sinne der nominalistischen Abstraktion — den Gesamtkomplex gemeinsamer Erscheinungs­ merkmale auf allgemeine Formeln abziehen wie: haushälterisches Verfahren, ökonomisches Rationalprinzip, maximale Expansion und Produktivität, Reich­ tumsvermehrung usw. Daß diese Teil Wahrheiten in der neoliberalen Anwendung auf die Wirtschaft dem eigentlichen Wesen der Wirtschaft, ihrem Struktur­ prinzip, ihrem geistigen Element, ihrer Sinnbestimmung in keiner Weise gerecht werden, ist genügend dargelegt worden. Nach realistischer Auffassung ist die Wirtschaft im Grunde sinnvoll gestaltetes Leben, ist selbst ein Kultursachbereich, ist die zwar unterste, aber breiteste Stufe des Kulturlebens selbst. Das sinngebende Neue hebt die Wirtschaft über den Bereich der reinen Größen- oder Produktions­ lehre, der Technologie und Naturwissenschaft empor und macht sie zu einer GeistesWissenschaft. Ihr Erkenntnisobjekt ist naturgemäß nur mit geisteswissen­ schaftlichen Erkenntnismitteln zu erfassen, ungeachtet dessen, daß sie sich zur Bewältigung bestimmter Teilprobleme durchaus mathematischer oder natur­ wissenschaftlicher Methoden bedienen kann und bedient1.

ο. V. nell-br., ω 400 f ; f 241; w 119;

pütz,

a 113 ff, 127 ff; Heinrich , a 73 ff, 80 ff.

342

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

So^jalethisehe Durchformung der Wirtschaft Aus den bisherigen Darlegungen und von der nüchternen Überlegung her, daß es einen Lenkungsautomatismus in der von den Neoliberalen behaupteten Form im Wirtschaftsalltag nicht gibt, läßt sich die fundamentale Bedeutung der Wirt­ schaftspolitik ermessen. Nach realistischer Auffassung kann weder der best­ organisierte Markt noch eine ideal funktionierende Monopolkontrolle von sich aus die rechte Ordnung der Zwecke und die Realisierung des Sachziels der Wirtschaft gewährleisten. Marktordnung und Wirtschaftsordnung sind nicht miteinander identisch. Die Volkswirtschaft als solche bedarf vielmehr, um das Soll einer sinnvollen „sozialen Marktwirtschaft“ erfüllen zu können, über die wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundentscheidung und die nähere Ausge­ staltung einer funktionsfähigen Wirtschaftsordnung hinaus noch der sozialethischen „Durchformung“. Letztere hat zum Ziel, die personale Würde und das Recht des Einzelmenschen sowohl in den wirtschaftlichen Startbedingungen (durch Eigentumsbildung, Steuerpolitik, Erbrechtsreform, Begabtenförderung usw.) wie auch im eigentlichen Wirtschaftsablauf (durch wirtschaftliche Mitverant­ wortung, Mitbestimmung, Vollbeschäftigung, Beseitigung der Arbeitsgefahren usw.), vor allem aber im originären Endergebnis (durch gerechte Mitbeteiligung am Produktionserfolg und Reinertrag), also in jeder Phase des Wirtschafts Vollzugs entsprechend zur Geltung zu bringen. Damit wird zugleich das Erfordernis der Wirtschaftslenkung und finalethischen Kontrolle unterstrichen, soweit die Sinn­ erfüllung der Gesamtwirtschaft in Frage steht. Entgegen der Auffassung A . MüllerArmacks können marktkonforme redistributive Maßnahmen, so begrüßenswert sie im Rahmen der augenblicklichen, in ihrer Grundstruktur liberalen Markt­ wirtschaft sind, allein nicht als Beweis für die soziale Korrektur der Wirtschaft schlechthin angesehen werden (vgl. 3. K., 3b, c). Wie bereits klargelegt wurde, liegt der intendierten sozialen Durchformung und der finalethischen Lenkung der Wirtschaft insgesamt, im Unterschied zum mechanisch-additiven Gemeinwohlbegriff der Neoliberalen, die politisch interpre­ tierte Gemeinmhlaujfassung der realistischen Wirtschaftskonzeption zugrunde. An die Stelle der angeblichen mechanischen Integration des Gesamtwohls aus dem „wohlverstandenen Interesse“ der vielen einzelnen tritt die kombinierende und harmonisierende Funktion der Wirtschaftsplanung. Zu den grundlegenden Aufgaben der Wirtschaftspolitik, die in ihrer Grundstruktur durch die legitimen Instanzen des staatlichen Gemeinwesens fixiert wird, gehört daher in erster Linie die situations­ gerechte Interpretation des wirtschaftlichen Gesamtzieles; ferner die nähere Konkretisierung der gemeinnützigen wirtschaftlichen Grundanliegen durch Aufstellung einer Dringlichkeitsordnung, durch spezielle kombinierende Ziel- und

Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung

343

Mittelwahl, durch entsprechende gegenseitige Abstimmung zwischen den Belangen des Gesamtwohles und des Eigeninteresses; endlich die institutioneile Sicherung des für notwendig erachteten wirtschaftlichen Gesamtvorhabens. Als weitere wirt­ schaftspolitische Aufgabe tritt die Förderung der Wirtschaft hinzu, sei es durch entsprechende Rechtspflege, durch Hebung des beruflichen Bildungswesens oder durch Schaffung bestimmter Gemeinschaftseinrichtungen wie Forschungs-, Verkehrs- und Nachrichtendienst usw. (W. d. P., IV, 36ff., 294). Im Gegensatz zur Auffassung F. Böhms (vgl. 3. K., 1 c) kann selbst eine sorgfältig ausgebaute und gesicherte Privatrechtsordnung nicht als Wirtschaftsverfassung genügen. Die Wirtschaftsverfassung ist wesentlich mehr als ein „bloßer Reflex der vermögensrechtlichen Privatrechtsordnung“ (W. d. P., IV, 290). Selbst die Verkehrswirtschaft, die, dem Äquivalenzprinzip entsprechend, den Austausch von Leistung und Gegenleistung zur Grundlage hat, bedarf, wenn sie sich im Wirt­ schaftsalltag bewähren soll, des haushaltswirtschaftlichen Unter- und Überbaus, bedarf der Einbettung in Verwaltungswirtschaften. Wir sehen hier davon ab, daß sie bereits in ihrer wirtschaftstheoretischen Grundstruktur, die auf den drei Postulaten des Privateigentums, der Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit ruht, als eine Schöpfung öffentlich-rechtlicher Gestaltungskunst zu werten ist. Auch in der rauhen Wirklichkeit ist sie faktisch, wie O. v. Nell-Breuning hervorhebt, jen­ seits ihres verhältnismäßig begrenzten „Intervalls“ normaler gleichgewichtiger Wirtschaftsperioden auf verwaltungswirtschaftliche Lenkungseingriffe einer übergeordneten gesellschaftlichen Institution angewiesen, etwa dann, wenn in Zeiten angespannter Knappheitslagen Kaufkraft und Gütervorrat extrem aus­ einanderklaffen (n 408f. ; W. d. P., IV, 38ff.). Die vollinhaltliche Interpretation des Subsidiaritätsprinzips führt hierbei allerdings zu dem Schluß, daß die geforderte institutionelle Sicherung des wirtschaftlichen Sachziels grundsätzlich marktkonformer Mittel sich zu bedienen hat, solange auf „Eingriffe der schweren Hand“ verzichtet werden kann. Nach realistischer Auffassung trägt jeder obrigkeitlich-dirigierende Eingriff die Beweislast für seine Notwendigkeit. Damit ist gesagt, daß die Wirtschaft als menschlicher Handlungszusammenhang und gesellschaftlicher Lebensvorgang einer Lenkung, die sowohl die Freiheit sittlich verantwortlicher Menschen wie auch die Sachnotwendigkeiten des wirtschaft­ lichen Gesamtwohls berücksichtigt, ebenso fähig wie bedürftig ist (n 411 ; w 103; W. d. P., IV, 287f., 37f.). Wie sich zeigen ließ, finden sich verschiedene Ideenelemente der realistischen Wirtschaftsauffassung auch in der neoliberalen Konzeption, z. B. das rational­ ökonomische Erfordernis der Bedürfnisauswahl und Bedarfsdeckungskombination, der Konsumfreiheit, der Marktverfassung und Wirtschaftslenkung. Entscheidend bleibt jedoch nach wie vor, daß diesen Elementen auf Grund des neoliberalen

344

Mechanjuùach-toetnimeatftk Wirtschaftsanffassung

Wirtschaftsformalismus und Harmonieoptimismus die normative Einordnung in den teleologisch fixierten wirtschaftlichen Gesamtvollzug abgeht. Die neo­ liberale Doktrin läßt nur wirtschaftsimmanente Maßstäbe gelten, wobei die Marktform der vollständigen Konkurrenz auf Grund der in ihr angeblich reali­ sierten individualistischen Freiheit und maximalen Produktivität als die menschen­ würdigste und zugleich sozialste verabsolutiert wird. Der Begriff der Markt­ konformität gilt daher als letzte Instanz aller wirtschafts- und sozialpolidschen Überlegungen. Das neoliberale Altemativdenken, das im Grunde nur die beiden Extremallösungen der freien Wirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft gelten läßt und jede Zwischenlösung bzw. Kombination verschiedener Prinzipien durch das „Gesetz zur Transformation“ ad absurdum zu führen sucht, ist hierbei ausschlaggebend (vgl. 3. K., 2b, e).

3. Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung Rückblick Wie im Verlauf dieses Kapitels nachgewiesen wurde, konkretisiert sich der für die neoliberale Wirtschaftsdoktrin fundamentale philosophische Nominalismus zunächst in der formal-instrumentalen Wesensbestimmung der Wirtschaft. Das „rationale Wesen“ der Marktwirtschaft als übermenschlich-intelligenter, naturgesetzlicher Tauschmechanismus ist im Grunde nur zu verstehen aus der ordnungspolitisch modifizierten Renaissance des nominalisdschen Gleichgewichts- und Harmonie­ optimismus. Der Formalismus in der wirtschaftlichen Zielsetzung, der sich mit der markttheoretischen Überwindung der wirtschaftlichen Knappheit begnügt und eine echte institutioneile Sicherung des eigentlichen Sachziels der Volkswirtschaft außer acht läßt, ist die logische Konsequenz aus den nominalistischen Prämissen. Die individualpsychologisch-utilitaristische Grundausrichtung der neoliberalen Wirtschaftsethik bietet die ideologische Synthese zwischen dem „naturgesetzlich“ fundierten, zur eigengesetzlichen Welt objektivierten Wirtschaftsmechanismus der Klassik und der pessimistischen, besonders von F. Λ . Hayek aufgegriffenen Grundeinstellung de Mandevilles. Nach dessen Ansicht stellt die menschliche Gesellschaft im Grunde nur eine Tauschgesellschaft beschränkter, egoistischer und arbeitsscheuer Individuen dar, die lediglich auf Grund ihres Gewinntriebes eine arbeitsteilige Wirtschaftsgemeinschaft konstituieren. Wie bei Smithy Locke, Hume und Shaftesbury findet sich auch in der Argumentation der Neoliberalen die Verabsolutierung der elementaren Kräfte des wirtschaftlichen Eigennutzes, des Strebens nach Erwerb und Gewinn, die sich angeblich, allerdings nur im Rahmen der funktionsfähigen Wettbewerbsordnung, spontan in volkswirtschaftliche Produk-

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

345

tivität, in Fortschritt und allgemeine Wohlfahrt umwandeln. Eine verbindliche sozialwirtschaftliche Normierung dieser Kräfte gilt als überflüssig. Daraus ergibt sich der Formalismus in der Leistungsbewertmg, von dem anschließend die Rede ist. a) H e rrs c h a ft des Ä q u iv a le n z p rin z ip s Die grundsätzliche Ausrichtung des wirtschaftlichen Gesamtvollzugs auf maximale Produktivität muß den entscheidenden Faktor der wirtschaftlichen Leistung in Rechnung stellen. Der Grad des erstrebten wirtschaftlichen Wohlstandes hängt weitgehend davon ab, inwieweit und mit welchen Mitteln es gelingt, die wirt­ schaftliche Leistung anzuspornen. Nach Ansicht der neoliberalen Theoretiker kann es in einer Zeit wie der unseren, die in erster Linie das hohe Gut der Freiheit gegen den drohenden kollektivistischen Zugrifl zu verteidigen hat, kein anderes adäquates Anspomungsmittel geben als die Prämierung der wirtschaftlichen Leistung auf der Basis der Freiheit und Gerechtigkeit. Die Verwirklichung des Entgeltgedankens wird als für den wirtschaftlichen Fortschritt unentbehrliches Element angesehen. Wie W. Röpke erklärt, wird ein Maximum an den von den Menschen wirklich begehrten Gütern dadurch erzeugt, daß Fleiß, Initiative, Anpassungsfähigkeit und Intelligenz vom Markt belohnt und die entsprechenden Untugenden vom Markt bestraft werden (b 141). Damit treten die für den Ethiker wichtigen Fragen nach der „Echtheit“ der produktiven Leistung und nach der „Gerechtigkeit“ des Leistungsentgeltes in den Vordergrund. Es handelt sich dabei im Grunde um den gültigen Wertmaßstab, nach dem Leistung wie Ver­ teilung im Raum der Wirtschaft zu beurteilen sind. In der freien Markt- und Wettbewerbswirtschaft sorgt der Marktmechanismus für die Lösung des Entgeltproblems. Jeder und nur derjenige, der dem Produktions­ prozeß Arbeitskraft, Kapital oder spezifische Untemehmerleistung zur Verfügung stellt, erhält mittels eines adäquaten TauschVorganges ein dem Wert seiner Leistung entsprechendes Entgelt zugeteilt. Nach L . Mikscb gilt das „reine Leistungsprinzip“ als allein sittlich, der „produktive Beitrag“ als alleinige „Ursache“ jeglichen Einkommens und das „Äquivalenzprinzip“ als entscheiden­ des Ordnungsprinzip. Gemäß der Markttheorie hat in erster Linie der Wett­ bewerb die Aufgabe, „der echten wirtschaftlichen Leistung zum Erfolg zu ver­ helfen“ (d 60; a 40), indem er dafür sorgt, wie Λ . Müller-Armack erklärt, „daß nur der Weg äquivalenter Leistung zur Rentabilität führt“ (j 392). b) N a c h fra g e b e d ie n u n g als L e istu n g sm a ß sta b Es geht also zunächst darum, was als Maßstab für die „echte“ Leistung anzu­ sehen ist. Da in der Wettbewerbswirtschaft jeder Wirtschaftsbeitrag auf völliger Freiwilligkeit beruht, bemißt nach F. Böbm diese Ordnung logischerweise die

346

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Höhe der Entlohnungen ausschließlich so, daß sie mit Zuverlässigkeit den In­ haber der betreffenden Leistung dazu bestimmt, diese Leistung gerade an der Stelle des Produktionsprozesses einzusetzen, an der sie zu diesem Zeitpunkt am dringlichsten benötigt (k 76), d. h. nachgefragt wird. Derjenige erzielt den größten Marktertrag, der die kaufkräftige Nachfrage am besten mit den dring­ lichst begehrten Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen in der Lage ist. Der Knappheitsgrad des benötigten wirtschaftlichen Gutes ist also ausschlaggebend. Die „Produktivität“ eines Beitrages liegt markttheoretisch darin begründet, daß die Höhe seines Preises den Grad der Knappheit des gefragten Gutes voll zum Ausdruck bringt und darum als „markttechnisch richtig“ gilt. Für diese Art Leistungsbewertung ist es völlig gleichgültig, ob das nachgefragte Gut objektiv-dringlichem und kulturell-wertvollem Bedarf oder beispielsweise nur einem ethisch unwertigen Luxusbedürfnis entspricht. Es ist auch unerheblich, unter welchen Voraussetzungen der wirtschaftliche Beitrag zustandegekommen ist: mit welchem Startkapital, an welchem Standort, unter welchen Arbeits­ bedingungen, mit welchen Arbeitsmethoden. Einzig und allein die Nachfrage­ bedienung, inwieweit kaufkräftige Nachfrage in ihrer tatsächlichen Gestalt be­ friedigt wird, gilt als Maßstab für Leistung und Produktivität. Das Maß der Leistung ist dabei in den Preisen gegeben, mit denen der Markt das Tauschver­ hältnis der Güter und Dienstleistungen bestimmt. „Niedrige Kosten bei höchster Qualität der spezifischen beruflichen Leistung“ geben nach L. Miksch den gewünschten Maßstab für die wirtschaftliche Leistung ab (a 40f.). Darin, daß das gleiche Wirtschaftsgut oder der gleiche Dienst zu niedrigerem Preise oder bei gleichem Preise bessere Qualität angeboten wird, besteht die Leistungsüber­ legenheit des Wettbewerbs. Jegliches Einkommen hat also in der Marktwirtschaft Preischarakter und als solches eine bestimmte Lock- und Steuerungsfunktion zu erfüllen, wie im um­ gekehrten Fall die Verluste entsprechend abschrecken. Der Preischarakter der Entlohnungen ist nach F’. Böhm der Tribut, mit dem die Marktwirtschaft die Freiwilligkeit der Wirtschaftsleistungen erkauft und deshalb „ein ganz außer­ gewöhnliches Maß an Freiheit“ gewährt (k 70). Die fundamentale Bedeutung des funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz, dessen Herstellung bzw. Sicherung W. Eucken als „wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundprinzip“ und als „wesentliches Kriterium“ jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme be­ zeichnet (h 254), tritt erneut in den Vordergrund. Grundsätzlich gilt also, daß der unpersönliche Preismechanismus des freien Marktes den wirtschaftlichen Beitrag ohne Rücksicht auf die Bedingungen, unter denen er zustande gekommen ist, nur dann als Leistung wertet, wenn er vorhandenes Nachfrageinteresse

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

347

befriedigt. Wirtschaftliche Leistung ist das, was der Markt als solche anerkennt. Mit anderen Worten : Wirtschaftnmmanente Knappheitsrelationen gelten als Leistungs­ maßstab. Die marktliche Leistung, die im Mittelpunkt des Interesses steht, wird ohne weiteres mit der wirtschaftlichen Leistung identifiziert. Die entscheidende Frage, wie der Vorsprung des Wettbewerbsteilnehmers auf dem Markt zustande gekommen ist: ob durch die wirtschaftlichen Faktoren der Rationalisierung, Modernisierung, Erfindung und Verbesserung usw. oder durch andere, nicht auf Wirtschaftsleistung beruhende Umstände, wird nicht gestellt. Lediglich die Einhaltung der formalen „Spielregeln“ des Leistungswettkampfes gilt als ver­ bindlich. c) F o rm a l-sa c h lic h e E rtra g s v e rte ilu n g Die eminent praktische Bedeutung dieser Art Leistungsbewertung für die Volks­ wirtschaft liegt darin, daß sie maßgebend die marktwirtschaftliche Einkommens­ und Kaufkraftverteilung lenkt und damit den gesamten Wirtschaftsprozeß beeinflußt. Wie sich zeigen ließ, beruht der marktwirtschaftliche Entgeltgedanke auf dem Leistungsaustausch, der seinerseits die Teilnahme am Produktions­ prozeß bedingt. Da nur der „produktive Beitrag“ Einkommen verursacht, ergibt sich daraus unausbleiblich, wie F. Böhm zugibt, eine durch die jeweilige Marktlage bedingte Ungleichheit der Einkommens- und Kaufkraftverteilung. Wer über knappe und gefragte Güter verfügt und sie im rechten Augenblick auf den Markt bringt, verdient viel, während derjenige leer ausgeht, dessen Güter und Dienstleistungen zur Zeit nicht benötigt werden. Vermögenszunahme durch Einkommen, durch Sparen und Vererbung wirkt sich auf weitere Verdienst­ möglichkeit progressiv aus. Die Folge davon ist eine steil emporsteigende Einkommens- und Kaufkraftpyramide, die nicht ohne weiteres auf wirtschaft­ licher Tüchtigkeit und menschlich-beruflicher Qualität basiert, sondern ebenso auf ungleich verteilten Ausgangsdaten, Glückszufällen und monopolistischen Machtstellungen (k 77). Daß anderseits die in den Händen einer bestimmten Vermögensschicht zusammengeballte Kaufkraft die wirtschaftliche Gesamt­ produktion nicht auf die erforderliche Konsumgutversorgung des ganzen Wirt­ schaftsvolkes, sondern primär auf die individuelle Bedarfsbefriedigung einer bestimmten Gruppe oder Schicht ausrichtet, wird auf neoliberaler Seite nicht übersehen. Das Problem liegt also in der „gerechten“ Verteüung der Kaufkraft. W. Euchen weist darauf hin, daß es Einkommensdiflerenzen in allen Wirtschaftssystemen gebe. Er gibt zu, daß die Abhängigkeit der Einkommenshöhe vom Markt zu „Ungerechtigkeit“ führen kann und daher ein großes Problem bietet. In der

348

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Verkehrswirtschaft seien die Unterschiede teils aus unterschiedlichen Leistungen im Dienste der Konsumenten, teils aus dem Einfluß von Marktmacht­ stellungen zu erklären. Zu einem Problem der ,,Gerechtigkeit in wirt­ schaftlichem Sinn“ werden sie seiner Ansicht nach erst dann, wenn die Einkom­ mensverteilung in ihrer Höhe nicht nach Maßgabe der Knappheitsrelationen, sondern durch starke Machtstellungen auf dem Markt bestimmt wird. Die Her­ stellung bzw. Sicherung des funktionsfähigen Wettbewerbs werde damit zu einer Frage der „Gerechtigkeit“, da nur auf diesem Wege eine „gerechte Lenkung des Gesamtprozesses“ zu ermöglichen sei (h 349). Antimarktwirtschaftliche Manipulationen würden stets den „gerechten Austausch“ wirtschaftlicher Leistungen und damit die „gerechte Verteilung“ unterbinden, weshalb beispiels­ weise in der Zentralverwaltungswirtschaft die Einkommensunterschiede be­ deutend größer seien als in den verkehrswirtschaftlich orientierten Ländern. Aus diesem Grunde sollte man „soziale Gerechtigkeit“ seiner Ansicht nach durch Schaffung einer funktionsfähigen Gesamtordnung und insbesondere dadurch herzustellen versuchen, daß man die Einkommensbildung den strengen Regeln des Wettbewerbs, des Risikos und der Haftung unterwirft (h 315f., 124; vgl. 3. K., 2c). Demnach kann also nur der von allen Konkurrenzbeschränkungen freie, voll funktionierende Markt eine Einkommensverteilung gewährleisten, die als „gerecht“ und zugleich als „natürlich“ anzusehen ist. Je mehr die Marktwirt­ schaft dem Modell des vollständigen Wettbewerbs, der nach A . Müller-Armack den „höchsten Grad formal-sachlicher Güterverteilung“ (i 30) gewährleistet, angeglichen wird, um so mehr läßt sich Ungerechtigkeit, ob sie nun durch Egois­ mus, Willkür oder Macht bedingt ist, aus dem Verteilungsprozeß ausschalten. Wie im dritten Kapitel bereits festgestellt wurde (vgl. 3. K., 2c), gibt es nach neoliberaler Überzeugung keine eindeutigen und allgemeingültigen Maßstäbe für Verteilungsgerechtigkeit. L . Mikscb zieht daraus die Folgerung, daß um der Freiheit und Gerechtigkeit willen die austeilende Gerechtigkeit nur noch von „geschichtlichem Interesse“ sei, jedenfalls sollte es so sein (d 60f.). Da im Rahmen der vollständigen Konkurrenz Löhne, Zinsen, Renten und Unternehmergewinn sich auf Grund des anonymen Verteilungsmechanismus zwangsläufig bilden, die Verteilung also einem ethisch gleichgültigen Automatis­ mus überlassen wird, anstatt nach ethischen Gesichtspunkten vollzogen zu werden, kann, wie die Kritik betont, von sozialer Gerechtigkeit keine Rede sein. Der Einwand geht von der Voraussetzung aus, daß ein Automatismus kein ethisches Kriterium darstellen kann, und daß soziale Gerechtigkeit nach anderen Kategorien ausgerichtet sein muß als nur nach dem der produktiven Vorleistung auf dem M arkt.

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

349

W. Euchen entgegnet darauf, daß die Verteilung des Sozialproduktes durch die Preismechanik der vollständigen Konkurrenz — trotz vieler Mängel — „immer noch besser“ sei als die Verteilung auf Grund willkürlicher Entscheidungen privater und öffentlicher Machtkörper (h 300, 366, 124). Diese Erwiderung ist aufschlußreich. Seinem in wirtschaftlichen Ordnungsfragen alternativ festgelegten Denken entsprechend blickt Eucken hier, wie auch bei anderen Einwänden gegen die Wettbewerbsordnung zunächst nach ihrem Gegenpol : der Praxis der Zentral­ verwaltungswirtschaft (h 90f, 124, 136, 366). Den grundsätzlichen Einwand beantwortet er mit dem Hinweis auf die noch mangelhaftere Lösung des fraglichen Problems auf der Gegenseite. Die entscheidende Frage, ob es noch eine dritte Möglichkeit gibt, die, ohne deswegen in wirtschaftlichen Totalitarismus zu verfallen, die primäre marktwirtschaftliche Verteilung durch entsprechende Lenkungsmaßnahmen steuert, hält er aus theoretischen und praktischen Gründen für unrealistisch. Jede Beeinflussung der marktwirtschaftlichen Verteüung fordert nach neoliberaler Auffassung als Preis : Schmälerung des volkswirtschaft­ lichen Gesamtertrags, da angeblich nur der ungestörte Preisautomatismus das Produktionsoptimum garantiert. Der anonyme Marktautomatismus ist, Euchens Ansicht nach, auf Grund seiner Objektivität von vornherein allen verteilungs­ politischen Lenkungsmaßnahmen der öffentlichen Hand, die ohne weiteres als Willkür gewertet werden, überlegen. Die absolute Wirtschaftsfreiheit mani­ festiert sich demnach auch in der Verteilungsfrage als indiskutabler Höchstwert. Eucken verzichtet auf einen objektiv gültigen Verteilungsmaßstab und beant­ wortet den kritischen Ein wand mit dem Hinweis auf ein relatives „besser“ ; er weicht also faktisch der Frage aus. F’. Böhm, der als Jurist in Rechtskategorien zu denken gewohnt ist, ist in der Beurteilung des marktmechanischen VerteilungsVorgangs realistischer. Den Marktautomatismus als gerecht bezeichnen zu wollen, kommt seiner Ansicht nach einer sehr weitherzigen Interpretation des Begriffes der Gerechtigkeit gleich. Wie wir bereits gehört haben, gibt er zu, daß nach objektiven Maßstäben ge­ messen die Marktverteilung „unter keinem wie immer gearteten Gesichtspunkt gerecht, oder human oder gar liebreich“ genannt werden könne, da „bei dieser Ordnung Einkommen und Vermögen höchst ungleich und ohne Rücksicht auf das Daseinsinteresse der Individuen, auf den Wert der Persönlichkeit und auf das Gefühl der sozialen Solidarität zwischen Menschen verteilt werden“. Er hebt außerdem hervor, daß diese Einkommensunterschiede unerträglich und nicht mehr zu rechtfertigen sind, „wenn die mehr oder weniger bittere Not das be­ ständige unentrinnbare Schicksal breiter Schichten fleißiger, sparsamer und rechtschaffener Menschen wird“. Er fügt allerdings hinzu, daß trotz allem dieses Wirtschaftsverfahren „eminent praktisch“ und „nützlich“ sei, wenn man die

350

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

produktive Leistung anregen und immense Verwaltungskosten ersparen wolle, sowie auf die Freiwilligkeit dieses ganzen Sozialprozesses Wert lege. Das bilaterale marktwirtschaftliche Entgeltprinzip und den Preischarakter der Entlohnungen betrachtet er als den Tribut für das ganz außerordentliche Maß an Freiheit, das die Marktwirtschaft gewähre (b 116; k 77f.). Z u sam m en fassu n g und S te llu n g n a h m e (zu 3) In der Verteilungsfrage stehen also nach neoliberaler Auffassung die Forderungen der sozialen Gerechtigkeit den Sacherfordernissen der liberalen Marktwirtschaft bzw. der „wirtschaftlichen Gerechtigkeit“ gegenüber. Wie wir gesehen haben, hat sich der Neoliberalismus primär für die Zentralwerte der Freiheit, der maximalen Produktivität und der „Marktgerechtigkeit“ entschieden. Der ökonomistische Formalismus, der die grundsätzliche Wirtschaftsauflfassung und die eigentliche Zwecksetzung des wirtschaftlichen Verhaltens bedingt, gibt auch der neo­ liberalen Lösung des Verteilungsproblems das ausgesprochen formalistische Gepräge. Der produktive Marktbeitrag gilt als alleinige Ursache des Einkommens und das À quivalen^prinvfp als Ordnungsprinvfp der Verteilung, Die Leistungsbewertung ist rein kausal bestimmt. Die für Leistung und Entgelt gesuchten Maßstäbe werden dem wirtschaftlichen Bereich selbst entnommen; sie resultieren aus den tat­ sächlichen Schätzungen des Marktes. Leistung ist das, was der Markt als solche anerkennt. Die Verteilung ist darum gerecht, weil sie durch den unpersönlichen und unbestechlichen Marktmechanismus erfolgt. Wirtschaftsimmanente Knapp­ heitsrelationen und Marktfreiheit bieten die alleinigen Kriterien für die „Echtheit“ der Marktleistung und für die „Gerechtigkeit“ der Verteilung. Die Frage nach einem objektiven Wertmaßstab für Begriffe wie: Leistung, Erfolg, Produktivität und Gerechtigkeit, gilt als überflüssig. Das Versagen der neoliberalen Theorie hinsichtlich der näheren Bestimmung und Bewertung der Wirtschaftsleistung ist, da sie einen objektiven Wertmaßstab nicht anerkennt, offenkundig. Sie dreht sich mit ihren definitiven Äußerungen im Kreise, denn wirtschaftliche Leistung ist das, was der Markt als Leistung aner­ kennt. Andrerseits weitet die These vom Rationalprinzip als entscheidendem Leistungskriterium den Begriff der wirtschaftlichen Leistung ins Uferlose aus, wie umgekehrt der Rückzug auf die Formel vom niedrigeren Preis bei gleicher Qualität oder besserer Qualität bei gleichem Preis als Maßstab die eigentliche wirtschaftliche Leistung auf die Marktleistung einengt.

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

351

Sinnbestimmung der Wirtschaft als Leistungskriterium Nach realistischer Auffassung muß erst die Sinnbestimmung der Wirtschaft fest­ stehen, wenn über Wert und Unwert der wirtschaftlichen Betätigung ein Urteil gefällt werden soll. Die Verneinung eines objektiv vorgegebenen Sachvjels der Wirtschaft macht den Begriff der wirtschaftlichen Leistung unvolhjebbar byw. unbestimmbar. Wie 0 . V. Nell-Breuning zu Recht betont, bietet allein die teleologische Sicht und komplementäre Vorstellung davon, was mit dem Sozialprodukt geschehen, wie es sich verteilen, welchen Bedürfnissen es dienen soll, die Maßstäbe für die sach­ gerechte Beinhaltung der Knappheitsüberwindung und der volkswirtschaftlichen Produktivität, näherhin: des Arbeitsvolumens, des Produktionsindexes, der Ertragsbeteiligung, der Gerechtigkeit (p 227; n 401 ; W. d. P., IV, 35f.). Damit ist gesagt, daß nur in der gesellschaftlich gebundenen Marktwirtschaft der Begriff der wirtschaftlichen Leistung einen bestimmbaren Inhalt hat. Wie sich zeigen ließ, besteht die gesellschaftliche Bindung in der Anerkennung des objektiv vorgegebenen und von der legitimen Instanz sachgerecht beinhalteten wirtschaft­ lichen Gesamtwohles, dessen Realisierung die Wirtschaft selbst als eigenen Kultursachbereich begründet. Die wirtschaftlich sinnvolle Leistung findet demnach ihr Kriterium in der Frage, ob und inwieweit sie geeignet ist, ihren entsprechenden Beitrag zur Unterhaltsfürsorge des gesamten WirtschaftsVolkes und zur materiellen Verwirklichung der objektiven Kulturwerte zu leisten. Zugleich wird durch die teleologisch-komplementäre Sicht die nähere Bestimmung der Tauschwertgleichheit (Äquivalenz) und der Preisgerechtigkeit der rein subjektiven Schätzung des Tauschenden enthoben. Für die gesellschaftliche Wirtschaft als wesenhaft zweckgebundene Wirtschaftsform ist der Grundsatz fundamental, daß die Tausch Verhältnisse auf Grund der objektiven Zweck­ ordnung unabhängig vom Vertrags willen der Tauschbeteiligten feststehen. Wie das Tauschverhältnis sein soll und wann es gerecht ist, ergibt sich, wie jede normative Überlegung, aus der Seinsordnung, näherhin: aus dem Wesen der objektiv im Hinblick auf die vorgegebene allgemeine Unterhaltsfürsorge ge­ bundenen Gesellschaftswirtschaft. Damit ist der gesunde preistheoretische Mittelweg vorgezeigt, der, wie im folgenden Kapitel klargelegt wird, die Grenze einhält gegenüber der liberalen Theorie vom naturgesetzlichen Determinismus und moralischen Indeterminismus des Preisgefüges einerseits und der zentral­ verwaltungswirtschaftlichen Tendenz zur preistheoretischen Willkür andrerseits (vgl. W. d. P., IV, 40, 37, 133, 144f.).

352

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Objektivität des Tauschwertes und der Tauschwertgleichheit Im Grunde handelt es sich bei diesem Fragenkomplex um die Kontroverse zwischen wirtschaftsphilosophischem Wertnominalismus, der die wissenschaftliche Grundlage für den Wirtschaftsliberalismus und Libertinismus in der Wirtschafts­ moral bildet, und kritischem Wertrealismus, auf dem die seinsrealistische Wirt­ schaftslehre aufbaut. Der neoliberale Wertnominalismus sieht bekanntlich von der qualitativ bestimmten Schätzbarkeit der Dinge hinsichtlich ihres Nutzwertes völlig ab. Daß der Gebrauchswert die Voraussetzung und Vorbedingung des Tauschwertes ist, ohne deswegen als Maß des Tauschwertes zu fungieren, und außerdem für eine konstruktive Wirtschaftspolitik, die sich nicht mit der statistischen Größe der Marktschätzung begnügt, unentbehrlich ist, läßt er außer acht. Wie sich zeigen ließ, akzeptiert er lediglich den Knappheitspreis, der als zwangsläufiges Ergebnis aus dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage resultiert, als die ursprüngliche verkehrswirtschaftliche Größe. Die ausschließlich marktliche Schätzung und Bewertung des Sozialproduktes verzichtet jedoch, was G. Weisser besonders unterstreicht, auf die wirtschafts­ politisch eminent bedeutsame Klärung der Fragen: erstens, welche unmittel­ baren Persönlichkeitswerte bereits im Wirtschaftsablauf gesichert oder verletzt werden; zweitens, ob die tatsächliche, aus dem Marktmechanismus resultierende Zusammensetzung des Sozialproduktes auch sozial wirtschaftlich richtig ist; drittens, wie die für den volkswirtschaftlichen Wert des Sozialproduktes ent­ scheidende Verteilungsfrage gelöst wird (h 15, 16ff., 21 ff.). Der neoliberale Wertnominalismus ist die logische Konsequenz aus der atomistisch-mechanistischen Prämisse der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie. Für sie ist es selbst­ verständlich, daß jeder Gegenstand ebenso, wie er eine eindeutig bestimmte Masse besitzt, nur einen eindeutig bestimmten Wert aufweist, um den alle von­ einander abweichenden Schätzungen kreisen. Der Wert gilt als Eigenschaft des isoliert betrachteten Wirtschaftsgutes; er wird insofern individualisiert und verabsolutiert (W. d. P., IV, 131 f., 135f.). Für die seinsrealistische Wertlehre hingegen stellt der ökonomische Wert keine absolute Größe dar. Sie leitet den Wert eines Gutes, ihrer teleologisch-komple­ mentären Grundkonzeption entsprechend, von seiner Gliedhaftigkeit und Dienst­ funktion im Wirkzusammenhang der zielgebundenen Gesellschaftswirtschaft ab. Die Bewertung kann, da jedes Ding hinsichtlich seiner Gliedstellung verschiedene Verwendungsmöglichkeiten aufweist, gleichzeitig eine mehrfache sein und als solche ohne physische Änderung des Gegenstandes wechseln. Welchen Nutzen wirtschaftliche Güter faktisch gewähren, hängt also, neben ihrer abstrakten Tauglichkeit, von ihrer konkreten Verwendungsmöglichkeit ab, die ihrerseits

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

353

Selbstverständlich durch die vorliegende Knappheit, mehr aber noch durch die Verhältnismäßigkeit zu anderen, zu Komplementärgütern bestimmt wird. Besteht die Auffassung zu Recht, daß die Wirtschaft als solche weder ein ano­ nymer Automatismus noch ein Naturvorgang, sondern vielmehr ein gesell­ schaftlicher Lebens- und Kulturprozeß ist, dann hängt es in erster Linie von der jeweiligen Zielsetzung der wirtschaftenden Menschen ab, welche abstrakten Tauglichkeiten und konkreten Verwendungsmöglichkeiten der Güter einen wirklichen Nutzwert bieten. Sollen bestimmte Ziele verwirklicht werden, näherhin: soll die allgemeine Unterhaltsfürsorge für das wirtschaftliche Handeln verbindlich sein, dann müssen in einer Verkehrs Wirtschaft notwendig die vor­ handenen Güter in bestimmtem Verhältnis zueinander gefügt und auch gegen­ einander getauscht werden. Für die Begriffsbestimmung des Tauschwertes ist diese „verhältnismäßige Entsprechung“, in der Güter „bei einem gegebenen Zustand der gesellschaftlichen Wirtschaft gegeneinander getauscht werden müssen, um ihre in dieser Gesellschafts Wirtschaft zielgültigen Nutzwerte zur Verwirklichung zu bringen“, fundamental (W. d. P., IV, 132f.). Für den kritischen Wertrealismus ist demnach — im Unterschied zum Wertnomina­ lismus, zur subjektiven Nutzwertlehre der Grenznutzenschule und zur objektiven Kos ten wertlehre der marxistischen Richtung — die teleologische Normierung, d. h. die innere Bezogenheit auf einen konkreten Inhalt des gesellschaftswirt­ schaftlichen Gesamtwohles, charakteristisch. Sie bestimmt darüber, „welche der unübersehbaren Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Güter ver­ wirklicht werden, welche Komplementär Verhältnisse also zu aktueller Bedeutung gelangen, welche dagegen latent und irrelevant bleiben“. Nicht die subjektive Wertschätzung des einzelnen, sondern die Objektivität des Tauschwertes, die durch die objektiven Verhältnisse und Ziel Verbindlichkeiten der gesellschaft­ lichen Wirtschaft konstituiert wird, gilt letzten Endes als relevant für alle ver­ kehrswirtschaftlichen Erwägungen. Der Preis ist nur dann gerecht, wenn er der ob­ jektivenyfinalethisch normierten Tauschwertgleichheit entspricht (W. d. P., IV, 145). Das Äquivalenzprinzip im neoliberalen Sinne, das den Einkommensprozeß lediglich in Tauschakten begründet sieht, für die es Gleichwertigkeit des Entgeltes fordert, hat nur für den erwerbswirtschaftlichen Bereich der Volkswirtschaft einen Sinn. Es kann daher, wie G. Weisser (i 62) und W. Weddigen (f 107 f.) zu Recht betonen, als allgemeines Ordnungsprinzip der Wirtschaft nicht befriedigen. Allein in der Beachtung der objektiven Äquivalent ist, wie Weisser zusammen­ fassend erklärt, die ordnungspolitische Voraussetzung dafür gegeben, daß der Tausch sich dem wesenhaft zweckbezogenen Vorgang der gesellschaftlichen Wirtschaft eingliedert. Nur von dieser Basis aus erscheint es sinnvoll, was die neoliberale Theorie übersieht, die Forderung der Tauschwertgleichheit aufzustellen

354

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

und das Prinzip der Äquivalenz als entscheidendes Ordnungsprinzip zu deklarieren (h 134, 133, 144f., 135). Aus der objektiven Wertqualität folgt nach J. Messner das sozialwirtschaftliche Wertprinzip als ethisches Ordnungsprinzip der Sozial Wirtschaft (j 640). Teleologisch-komplementärer Charakter der Gerechtigkeit Die zentrale Bedeutung der Gemeinwohlgerechtigkeit für das vielumstrittene Wertproblem ist offenkundig. Die neoliberale Annahme einer speziellen „wirt­ schaftlichen Gerechtigkeit“, die nach F. A . Lut^ außerökonomische Prämissen und ein materiales Prinzip der Gerechtigkeit bewußt ausklammert (249 f.) und daher mit den Forderungen der finalethisch normierten Gerechtigkeit nicht ohne weiteres übereinstimmt, zeugt von ökonomistischem Denken. Das private, rein immanente Wirtschaftsinteresse erscheint hier als die absolute Norm, die das wirtschaftliche Handeln unmittelbar und aus sich bestimmt. Die intendierte maximale Produktivität wird zum Selbstzweck. Zudem fußt diese Gerechtigkeits­ auffassung auf einer normativen Vorentscheidung zugunsten einer ganz be­ stimmten modelltheoretischen Wirtschaftsordnung, die als solche verabsolutiert wird. Es handelt sich hier also um eine abgeleitete, relativierte Gerechtigkeit. Da sie sich auf einem anderen, niedrigeren Abstraktionsgrad befindet als unser unmittelbares Interesse an gesellschaftlich-sozial orientierter Gerechtigkeit, darf sie mit letzterer nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden, wie es bei den Neo­ liberalen der Fall ist. Die sogenannte „wirtschaftliche Gerechtigkeit“ bedarf daher der gesellschaftsethischen Ergänzung und Einordnung. Der teleologisch-komplementäre Charakter des unverfälschten Gerechtigkeits­ begriffes wird damit offenbar. Das „Seine“ , das jedem einzelnen Gesellschafts­ glied zusteht, bestimmt sich auch im wirtschaftlichen Bereich inhaltlich zunächst nicht von der Ursache, sondern vom Ziel, vom Postulat der jedem einzelnen aufgetragenen geistig-sittlichen Entfaltung und Vollendung her. Da jeder einzelne zudem in einem gesellschaftlichen Ordnungsgefüge steht, kann er das ihm Zustehende nur im Rahmen des Ganzen beanspruchen. Die Gemeinwohl­ gerechtigkeit als das natürliche Ordnungs- und Verteilungsgesetz in der Gesell­ schaft, das die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Individuum und Ge­ meinschaft zu berücksichtigen hat, richtet alle Wirkkräfte auf das Gesamtwohl aus und stimmt sie, dem Gesamtwohl der vielen entsprechend, aufeinander ab. Die Einordnung der privaten Initiative unter das Gemeinwohl bietet die Be­ dingung dafür, daß das Streben nach dem Eigenwohl gerechtfertigt ist, wie umgekehrt die Schädigung des Gesamtwohles letzten Endes allen zum Nachteil gereicht, auch im wirtschaftlichen Bereich (vgl. 4. K., 3 c).

Formale Wertung der wirtschaftlichen Leistung

355

Der neoliberale Wertnominalismus geht an der Tatsache achtlos vorüber, daß der volkswirtschaftliche Wert des jeweiligen Produktionsausstoßes wesentlich von der Verteilungsmaxime her zu beurteilen ist. Aus der Erkenntnis, daß die Verteilungs- und Einkommenspyramide unter den Wirtschaftsbeteiligten für die qualitative Zusammensetzung und wertmäßige Beurteilung des aus der „Konsu­ mentenabstimmung“ resultierenden Sozialproduktes bestimmend ist, zieht die neoliberale Theorie, die sich über die Problematik der marktmechanischen Verteilung im klaren ist, nicht die erforderlichen wirtschaftstheoretischen Konsequenzen. Nach realistischer Auffassung ist eine sinnvolle Zurechnung des gemeinsam erwirtschafteten Produktivitätsergebnisses auf die verschiedenen Funktionsträger nur mit Hilfe teleologischer Aufschlüsselung^ d. h. nur unter Berück­ sichtigung der Bedürfnisse bzw. der Einkommens Verwendung, nicht jedoch unter primärer Berücksichtigung der Verursachung^ also weder kausal noch funktional durchführbar. Produktionspolitische und verteilungspolitische Überlegungen gehören daher zusammen wie die Komponenten eines einzigen, logisch in sich geschlossenen Denkprozesses, der kein Nacheinander kennt. Produktionspolitiker und Verteüungspolitiker haben demnach als koordiniert zu gelten, da der Wirtschafts­ politiker ohne den Sozialpolitiker kein brauchbares Kriterium für den Wert seiner Maßnahmen besitzt. W. Eucken betont zwar mit Nachdruck die Einheit und untrennbare Verbundenheit von Produktion und Verteilung (h 90), und daß die Verteilungspolitik ein eminent wichtiges, interdependentes Glied der Wirt­ schaftspolitik ist (h 13, 316); es darf jedoch nicht übersehen werden, daß er nicht die teleologische, sondern mrkursächliche Einheit im Auge hat, insofern seiner Ansicht nach der anonyme Wirtschaftsprozeß auf Grund der produktiven Vor­ leistung als Ursache mechanisch Einkommen bildet und zur Verteilung bringt (h 90, 300). Von einer sozialethisch-normativen Einheit kann nur dann die Rede sein, wenn sowohl der Produktions- wie der Verteilungsprozeß übergeordneten außerökonomischen und einheitlichen Axiomen unterstellt sind. Da der Markt, auf dem lediglich das Entgelt für die Befriedigung der kaufkräftigen Nachfrage entscheidet, von sich aus nicht imstande ist, automatisch die sozialgerechte Verteilung durchzusetzen, stellt sich dem finalethisch orientierten Verteilungs­ politiker eine zweifache Aufgabe: Korrektur der vorliegenden ungerechten Startverteilung; Beeinflussung der Bedingungen, unter denen sich der Wirt­ schaftsprozeß vollzieht, mit dem Ziel einer befriedigenden originären Verteilung des Sozialproduktes, die nötigenfalls durch redistributive Maßnahmen zu er­ gänzen ist. Mit wirtschaftlichen Denkkategorien allein ist es also a priori weder möglich, die eigentliche Wertschöpfung einer Produktionsepoche zu bestimmen, noch zu

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

356

Grundsätzen einer fruchtbaren Wirtschaftspolitik zu gelangen. Die unlösliche Verbundenheit und Einheit der funktionalen und teleologischen Zusammen­ hänge im Bereich der Wirtschaft bildet, wie 0. v. Nell-Breuning betont, die eigent­ liche seinshafte Grundlage der „inneren Koordination“ (n 415), die in der Argumentation L . Mikschs eine bedeutsame Rolle spielt, dort aber dringend der teleologischen Ergänzung bedarf (vgl. 3. K., 2 c). Eine Produktivität an sich kann es ebensowenig geben wie eine Nützlichkeit schlechthin. Die neoliberalen Postulate der maximalen Produktivität als Ziel und der „wirtschaftlichen Ge­ rechtigkeit“ als Ordnungsprinzip der Wirtschaftspolitik sind im Grunde nur aus dem Mangel an echten letzten Wertvorstellungen zu erklären. Eine überzeugende erkenntnistheoretische Begründung der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist damit ausgeschlossen. Sie bleibt im Bereich der nur relativen Werte stecken, die als solche verabsolutiert werden1. Die ideologische Wurzel des neoliberalen Wertformalismus und Wertrelativismus ist in der neukantianischen Werttheorie zu suchen, die auf der angeblichen Subjek­ tivität des Werturteils fußt. Aus ihr wird die Kluft zwischen Werturteil und objektivem Seinsurteil nachgewiesen und das Erfordernis der absoluten Wert­ freiheit der nach Objektivität strebenden Wirtschaftswissenschaft begründet. Der Irrtum dieser nominalistisch infizierten Werttheorie besteht darin, daß hier das rein subjektive Fühlen eines Wertes, das bloße Gelten von Werten mit dem Wert selbst identifiziert wird (vgl. 2. K., lc). Es wird übersehen, daß es objektive Werturteile gibt, die auf reales Sein bezogen sind und daher ontologischen Charakter besitzen. Nach realistischer Auffassung besteht zwischen dem eigent­ lichen Sein der Wirtschaft und dem objektiven Werturteil keine Kluft. Im Gegen­ teil : Das Sein der Wirtschaft ist nur mit Hilfe von Werturteilen bestimmbar, da es wesenhaft zugleich ein teleologisch determiniertes Seinsollen enthält. Die un umgängliche Voraussetzung wirtschaftswissenschaftlicher Werturteile ist allerdings die, daß letztere nicht dem subjektiven, willkürlichen Empfinden über­ lassen bleiben, sondern aus dem allgemeinen Wesen der Wirtschaft selbst abge­ leitet, also objektiv begründet werden. Nur dann, wenn der vorgegebene Sinn­ gehalt, die Aufgabe, das gesellschaftlich-soziale Apriori der Wirtschaft schlechthin definitiv erfaßt und ontologisch umrissen sind, können objektive Werturteile über ihre „Seinsrichtigkeit“ und ihre erforderliche Sinnerfüllung abgegeben werden. Die rein formale Wissenschaftsmethode innerhalb der neoliberalen Nationalökonomie, die sich in ihrer Problemstellung mit der Analyse des rein äußeren Erscheinungsbildes der Wirtschaft : der Wirtschaftsordnungsformen und 1 WEISSER, h

21, 24, 30 f, 40; i 41 f, 48 f, 61, 68; w e rn e r, 87, 178 ff.; jö h r , d 232; v. n e ll-b r., k 304;

b ö h le r, a 15 f. ;

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffs

357

der Tauschbewegungen, begnügt (vgl. 6 . K., la), ist daher nicht in der Lage, über die bloße Einhaltung rein formaler „Spielregeln“ zu einer objektiv begründ­ baren Wertethik vorzustoßen. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß allein die teleologisch orientierte kritische Wertphilosophie die Kluft zwischen Seinsurteil und Werturteil zu schließen und ein solides Fundament für eine konstruk­ tive, organische Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsmoral zu bieten imstande ist. D e fin itiv e B e in h a ltu n g des W irtsc h a ftsb e g riffs 1) Wirtschaftsdefinition der neoliheralen Wirtschaftsphilosophie Die vorausgegangene Analyse der inneren Struktur und der Zielsetzung neo­ liberaler Wirtschaftskonzeption ermöglicht abschließend die definitive Fassung des neoliberalen Wirtschaftsbegriffes. Demnach haben wir unter Wirtschaft einen Tausch^usammenhang isolierter, grundsätzlich autarker Individuen zu verstehen, der in seinem Kern das formalwirtschaftliche Verfahren einer rechenhaft-exakt funktionierenden Apparatur aufweist und dessen Zweck darin besteht, unter ständiger Rückorientierung an der Eigenlogik des Marktmechanismus mit möglichst geringem Aufwand ein Maximum an den durch kaufkräftige Nachfrage begehrten Gütern bereitzustellen, während die Verteilung des Sozialproduktes selbst ausschließlich nach Maßgabe der produktiven Vorleistung und nach demPrinzip der bilateralen, austauschmäßigen Entgeltlichkeit mechanisch erfolgt. Dementsprechend besteht die Aufgabe der Wirtschaftspolitik darin, nach der einmal getroffenen Gesamtentscheidung für die freie Marktwirtschaft durch marktkonforme Preis- und Wettbewerbspolitik, aktive Konjunkturpolitik und bewußte Datengestaltung der Eigengesetzlichkeit des Marktmechanismus den sichernden Rahmen zu schaffen, um mit Hilfe umfassender Expansion das Gesamtproduktvolumen ständig zu steigern. Die „soziale Marktwirtschaft“ ist demnach eine in ihrer Struktur und Zweck­ setzung liberale Marktwirtschaft, die das auf der Basis des staatlich veranstalteten und gesicherten Wettbewerbs intendierte Produktionsmaximum nach Maßgabe marktkonformer, nachträglicher Ausgleichskorrekturen zugunsten der wirt­ schaftlich Benachteiligten und Bedürftigen zur Verteilung bringt. 2) Umstrittene Folgerungen der neoliberalen Wirtschaftsauffassung Die lebhafte Kritik, die sich mit der für neoliberales Wirtschaftsdenken typischen formal-instrumentalen Wesensbestimmung der Wirtschaft, sowie mit dem daraus resultierenden Formalismus der wirtschaftlichen Zielsetzung und Leistungs­ bewertung befaßt, ist im Laufe dieses Kapitels schon ausführlich zur Sprache

358

Mediarüstisch-instmmcntalc Wirtschaftsauffassung

gekommen. Drei spezielle Kristallisationspunkte der Diskussion verdienen zum Abschluß wegen ihrer eminenten wirtschaftspolitischen Bedeutung noch be­ sondere Erwähnung: der Prinsfpienmonismusy die Fragwürdigkeit der Antimonopolpolitiky die volkswirtschaftliche Problematik der Marktgerechtigkeit innerhalb der neoliberalen Wirtschaftskonzeption. Der neoliberale Prin^ipienmonismus Er entspricht der doktrinären Starrheit des neoliberalen Alternativdenkens, das nur die polaren Gegensätze der freien Marktwirtschaft und der kollektivistischen Zentralverwaltungswirtschaft als diskutable Wirklichkeiten anerkennt. W. Röpke ist zwar der Ansicht, es müsse ein Weg gefunden werden, „der aus dem unfrucht­ baren Kampf um die doktrinären Totallösungen mit ihren schroffen und im Grunde völlig unpraktischen Alternativen herausführt“ und zwischen den beiden Polen des Laissez-faire und der Planwirtschaft hindurch zu einem Tertium gelangt, „das den Widerspruch auf höherer Ebene löst“ (d 288). In Wirklichkeit stellt er jedoch eine neue Alternative auf, indem er die Wirtschaftsform der voll­ ständigen, veranstalteten Konkurrenz verabsolutiert. Jegliche Zwischenlösung wird von ihm als prinzipienlose „Mischmasch-Marktwirtschaft“ und zudem als unrealistisch, unproduktiv und — wegen ihrer Tendenz zur Transformation, auf die W. Eucken immer wieder hinweist (h 54, 186, 198) — als freiheitsfeindlich abgelehnt (q 5). A . Müller-Armack warnt zwar ebenfalls vor dem mit der persönlichen Ent­ scheidungsfreiheit unvereinbaren „gefährlichen Spiel der Alternativentschei­ dungen“ — er spricht von einer überwundenen Polarität —, lehnt jedoch ebenso Kombinationen auf Kosten der reinen Ordnungsidee ab (e 290, 293 f., i 32). Mit Rücksicht auf die zu lösenden sozialpolitischen Probleme und die produktiven Erfolge der Marktwirtschaft sind wir seiner Ansicht nach „in der Wahl eines Wirtschaftssystems im tieferen Sinn nicht frei“ (e 312). Obwohl W, Eucken zugibt, daß die Realisierung der vollständigen Konkurrenz allein nicht ausreicht, um der „Problematik des sozialen Lebens“ Herr werden zu können (h 303, 318), und F. Böhm die Verwirklichung der reinen Markt- und Wettbewerbswirtschaft sogar für unerwünscht hält (k 88 ), können die von beiden Autoren für notwendig erachteten markttheoretischen Begrenzungen, Korrekturen und Interventionen wregen ihrer akzidentellen Bedeutung nicht als Beweis für das Streben nach einer „neuen dritten Form“, die A . Müller-Armack im Sinn hat (d 88 ), gebucht werden. Im Grunde ist es die neoliberale Sorge um die Funktionsfähigkeit und die daraus resultierende maximale Produktivität der Marktapparatur, die jeden nichtmarkt­ konformen Eingriff in die individuelle Planungs- und Handlungsfreiheit als

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffs

359

gefährlich wertet und daher ablehnt. Umgekehrt wird immer wieder das soge­ nannte deutsche „Wirtschaftswunder“ auf der Basis der freien Marktwirtschaft als überzeugender Erfahrungsbeweis für die Richtigkeit der neoliberalen Doktrin herangezogen, wie ihn nach W. Röpke (h 18) und V. Muthesius (d 3) die Wirt­ schaftsgeschichte bisher in dieser Eindeutigkeit noch nicht geliefert habe. Die beiden Voraussetzungen dieser Argumentation halten jedoch einer eingehenden Prüfung nicht stand. O. v. Nell-Breuning kommt zu dem Ergebnis, daß die freie Markt- und Verkehrs Wirtschaft als ausgesprochene „Schön wetter-Wirtschaft“ zu werten sei, deren immanente Steuerungsmittel nicht ausreichen, wenn die Zeichen auf Sturm stehen. Die „freie Marktwirtschaft“ wurde bei uns im Jahre 1948 in dem Maße eingeführt, wie die „SchönWetterlage“ von außen her für uns heraufzog: in der konkreten Marshall-Plan-Hilfe, der Befreiung unserer Außen­ wirtschaft von der alliierten Kontrollbehörde (JEIA), grundsätzlich also in der positiven Einstellung der Besatzungsmächte uns gegenüber, die theoretisch und vor allem praktisch vom Morgenthau-Plan abrückten. Hinzukommt die Geld­ reform von 1948, die vor allem die Millionen kleiner Geldvermögensbesitzer betraf, die mehr als 90% ihrer Ersparnisse verloren, während die Industrie meist mit 1:1 umstellen konnte ; ferner die Einführung der freien Marktpreise, die als Knappheitspreise auf einem Verkäufermarkt durchweg Erlöse brachten, die eine ganz erhebliche Eigenkapital-Neubildung der Unternehmen für die Neuinvesti­ tion ermöglichten, die in Wirklichkeit von den Konsumenten aufgebracht worden ist. Daß in den folgenden Jahren des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, in denen die großen Wirtschaftserfolge heranreiften, die deutsche Wirtschaft keine freie, sondern weitgehend administrativ gelenkte Wirtschaft war und heute z. T. noch ist, steht außer Zweifel. Die machtmäßig bestimmte Lohnpolitik, die manipulierte Währung, die Manipulationen der Zentralnotenbank bezüglich Diskont und Oflen-Markt-Politik, der Einfluß lenkerischer Maßnahmen in der gesamten Preispolitik, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich; ferner um­ fassende Devisenzwangswirtschaft und spätere Devisenbewirtschaftung, Kapital­ markt- und Investitionslenkung, Bewirtschaftung des Wohnungssektors, der „Grüne Plan“ usw., — all diese Maßnahmen, die mit den Prinzipien der freien Marktwirtschaft im streng wissenschaftlichen Sinn nicht vereinbar sind, beweisen die Tatsache einer erfolgreichen Kombination. Sie ist gekennzeichnet durch das Ineinandergreifen verschiedener, z. T. erheblich divergierender wirtschafts­ politischer Konzepte, insofern zunehmend freiheitlich-verkehrswirtschaftliche und zentralverwaltungswirtschaftliche Lenkungsmethoden zu einem Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung zusammengefügt wurden, (w 101 ff.). Zwei der neoliberalen Kerndogmen werden also durch die Existenz der west­ deutschen, denkbar uneinheitlichen Wirtschaftsverfassung, in der einzelne

360

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Sektoren wettbewerblich-marktwirtschaftlich organisiert, andere Teile privat ver­ machtet, sehr große Bereiche zentralverwaltungswirtschaftlich verfaßt waren, widerlegt: erstens, daß eine planvoll gestaltete und gelenkte Wirtschaftsform durchaus funktionsfähig und produktiv sein kann; zweitens, daß bei uns trotz der zahlreichen verwaltungswirtschaftlichen und wettbewerbsbeschränkenden Ele­ mente von einer ordnungspolitischen Tendenz zur Transformation in Richtung auf den totalen Staat nicht die Rede sein kann. Die Entwicklung von 1948 an ist ganz im Gegenteil gekennzeichnet durch einen dem jeweiligen Stand der Dinge angepaßten fortschreitenden Abbau der zentralverwaltungswirtschaftlichen Rest­ bestände, für den allerdings zuerst die wirtschaftlichen Voraussetzungen ge­ schaffen werden mußten. Die funktionsfähige Wirtschaft ist also kein zwangs­ mäßig ablaufender Naturprozeß, sondern ein dem Willen der planenden Menschen unterworfener Lebensprozeß. Bei uns wurde der Beweis dafür erbracht, daß sich eine zeitbedingte Zwangswirtschaft sehr wohl durch eine Wirtschaft überwinden läßt, die zahlreiche Planungselemente aufweist oder in der weite Bereiche einer Planung unterliegen. Zugleich wird durch dieses Experiment die Frage des Rechtsstaatlers F. Böhm konkret beantwortet, bei welchem System man ein Plus an Vernunftgehalt vermuten darf. Daß seiner düsteren, sarkastischen Sorge gegenüber Lenkungsmaßnahmen „einzelner mit politischer Gewalt ausgestatteter Menschen“ und „dilettierender Sozialköche“ (k 154 f.) durch das deutsche Experiment weit­ gehend der Boden entzogen wurde, sei nur am Rande vermerkt. Man kann also, wie Ο. V. Nell-Breuning treffend bemerkt (w 101 ff., 110 ; v 4ff. ; 1 67ff.), sehr wohl eine freie Verkehrs wirtschaf t, die einer besonderen Apologie heute nicht mehr bedarf, der Zentralverwaltungswirtschaft grundsätzlich vorziehen und trotzdem gegen Kern­ dogmen der neoliberalen Konzeption erhebliche Einwendungen aufrecht erhalten, zumal die faktischen Wirtschaftserfolge im Gegensatz zu wichtigen Grundthesen der neoliberalen nationalökonomischen Theorie erzielt worden sind. Interessant ist, wie die neoliberalen Theoretiker, die nach wie vor mit Nachdruck die wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre auf das Konto der eigenen Wirtschaftskonzeption buchen, auf die erhobenen Einwände reagieren. Am seriösesten erscheint noch der Versuch, für die durchgeführten Maßnahmen den Nachweis der Marktkonformität erbringen zu wollen, der allerdings v. NellBreuning zu der durchaus berechtigten Bemerkung veranlaßt, es sei geradezu unvorstellbar, was wir in letzter Zeit alles als „marktkonform“ bewiesen bekommen haben (p 229). A . Müller-Armack erklärt, daß die noch nicht marktwirt­ schaftlich ausgerichteten Sektoren in die Marktwirtschaft eingetaucht seien und von dort her ihre Kraft bekämen (m 95), ohne allerdings näher darauf einzu­ gehen, unter welchen ordnungspolitischen Voraussetzungen diese Wirtschafts­ kraft zustande gekommen ist. V . Muthesius, der die „erstaunlichen Fortschritte

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegrifts

361

des Wiederaufbaus“ und die „ebenso erstaunliche Rekonvaleszenz des Lebens­ standards“ bewußt „nur“ auf die „kühne Verwirklichung von einfachen Grund­ sätzen, wie sie die neoliberale Wirtschaftslehre lange vor 1948 formuliert hatte, wie sie postuliert worden waren von Ludwig von Misesy Luigi Einaudi, Friedrich A . Hayek, Wilhelm Röpke, Walter Eucken“, zurückführt, geht noch weiter. Er vertritt den Standpunkt, das erheblich vermehrte Sozialprodukt könnte noch um vieles mehr gesteigert werden, mit anderen Worten: wir würden gewissermaßen zu einem Super-Wirtschaftswunder kommen, wenn das „Laster der Devisen­ zwangsbewirtschaftung“, die „Verunreinigung des gesamten Zinsgefüges“, überhaupt alle staats kapitalistischen und staatssozialistischen „Zwangsschlacken“ , „systemfremden Bestandteile“ und „Schönheitsfehler“ eliminiert werden „könnten“. Daß L . Erhard als Wirtschaftsminister noch nicht das realisieren konnte, was er gern möchte, führt Muthesius auf gewisse „Widerstände“, im Grunde auf den wirtschaftspolitischen Versuch Westdeutschlands zurück, „eine,sichtbare* Ordnung aufrechtzuerhalten“ aus „Furcht vor dem vermeintlichen Schock, den eine Rückkehr zur ,unsichtbaren* Ordnung mit sich bringen könnte“, die — nach Heraklit — immer besser sei'als eine sichtbare (d 659, 666 ff.). Wie W. Eucken als Mensch und Realpolitiker über die bedingungslose Realisierung der ver­ herrlichten „unsichtbaren Ordnung“ wirklich dachte, und wie begründet die von Muthesius bespöttelte Furcht gegenüber voreiligen Experimenten für jeden Wirtschaftsrealisten ist, ergibt sich aus dem bereits früher erwähnten Verhalten Euckensy der sich im wirtschaftspolitischen Ausschuß einer rein marktwirtschaft­ lich begründeten Forderung nach verfrühter Liberalisierung eines lebens­ wichtigen Bedarfsgutes mit dem erregten Zwischenruf widersetzte: „Ja, wenn Sie zwanzig Millionen Menschen zugrunde gehen lassen wollen !“ (v. Nell-Br.yw 104). Daß die irreale Argumentation von Muthesius sich keine Rechenschaft darüber gibt, wie wesentlich das Bundesdeutsche Wirtschaftsexperiment im Laufe der Jahre existentiell von der politischen Zustimmung des breiten Wählervolkes abhing, dessen Vertrauen durch die bekrittelte, jedoch aus sozialpolitischen Lenkungsmaßnahmen erwachsene „äußere Ordnung“ errungen werden mußte, sei nur am Rande vermerkt. Zu welchen Folgerungen die orthodox-liberalistdsche Interpretation des Gesamtinteresses und der von MutheHus nominierten „sozialen Integration“ (d 3) führt, wird hier wieder deutlich. W. Röpke endlich versteigt sich zu der unbewiesenen Behauptung, die in krassem Gegensatz zu seinen sonst üblichen unheilvollen Prophetismen steht: wenn die Marktwirtschaft trotz eines früher unvorstellbaren Übermaßes an Eingriffen aller Art noch immer leistungsfähig geblieben ist, so sei das kein Beweis für die Harmlosigkeit oder gar den Nutzen solcher Verzerrungen oder Belastungen,sondern ein solcher für die immer wieder erstaunliche Robustheit der

362

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffaesung

Marktwirtschaft, die offenbar schwer umzubringen sei (q 5). Hierzu erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Die Zweideutigkeit des Rückzugsgefechtes, in dem sich der Wirtschaftsliberalismus heute befindet, erhellt aus einer Bemerkung des Neoliberalen C. Bresciant- Turroni, wonach in Zeiten der Not eine freie Wirtschaft einfach nicht mehr weiterbestehen könne (126). Mit Ο. V. Nell-Breuning sind P. Frank (a 23, 172), H . Peter (m 387), F. Haussmann (b 16), E . Arndt (137 ff.), C. Brinkmann (b 31), B. Seide/ (412), F. Ottel (50 ff.), E. Salin (238f.), H . Ritschl (c 231, 238) und G. v. Eynern (129ff.) der Ansicht, daß die doktrinäre Starrheit und das Verhaftetsein der Freiburger Schule in dem Mythos des Marktmodells vollständiger Konkurrenz echtem „pluralistischen“ Denken weichen müßten. P. Frank (a 169f.) und R . Löwentbal (1287) weisen auf das erfolgreiche System der amerikanischen Wirtschaft als Parallele hin, das auf einer grundsätzlich planungswilligen, aber von der Zustimmung des Kongresses abhängigen Administration aufbaue. F. Haussmann sieht in der Tatsache, daß in den USA wie in Europa nahezu 30—40 v. H. aller wirtschaftlichen Entscheidungen durch das verständige Zusammenwirken staatlicher und privater Kräfte (PublicUtility) zustande kommen, den klaren Beweis gegen den Prinzipienmonismus der neoliberalen Theorie gegeben (b 27). Die neoliberale Antimonopolpolitik Eine Welle erregter Kritik löste ferner die neoliberale Antimonopolpolitik aus, die für das neoliberale Systemdenken von zentraler Bedeutung ist. Der verab­ solutierte Freiheitskult und das daraus resultierende grundsätzliche Mißtrauen gegen Gruppenegoismus und Machtanhäufung; ferner die Gleichgewichts­ ideologie und das damit zusammenhängende ausgeprägte Wettbewerbs- und preistheoretische Denken; die Feststellungen der modernen Monopolforschung bezüglich der Störungs- und Ausbeutungspraxis der Monopolisten; endlich die Erfahrungserkenntnis, daß das wirtschaftende Individuum grundsätzlich zum Monopolismus hintendiere, wenn es nicht ordnungspolitisch daran gehindert wird — gehören zu den wichtigsten Gründen der neoliberalen Konzeption. Unter den Forderungen, die von der einfachen Monopolkontrolle, der lenkenden „Als-ob-Korrektur“, der Monopolsteuer, der Revision protektionistischer Monopolpolitik des Staates bis zum radikalen Verbot, zur Auflösung bzw. Ver­ staatlichung unvermeidlicher Monopole reichen, ist die Institution eines mit großen Machtbefugnissen ausgestatteten staatlichen Monopolamtes von besonders weittragender Bedeutung. Ähnlich wie der Oberste Gerichtshof im Rechts­ bereich soll das Monopol-Aufsichtsamt als oberste unabhängige, nur dem Gesetz unterstellte Bundesbehörde allen Wirtschaftenden unter Zwangs- und

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffs

363

Strafmaßnahmen das Marktverhalten vorschreiben und als staatlicher Machtträger die Rolle des fehlenden freien Marktes übernehmen. Ohne dieses Zentralamt er­ scheint die Wettbewerbsordnung und mit ihr der moderne Rechtsstaat bedroht. Da es über dem Wirtschaftsministerium stehen soll, kann es nach W. Eucken weder für die allgemeine Wirtschaftspolitik zur Verantwortung gezogen noch hinreichend durch das Parlament kontrolliert werden (h 294, 299). Bemerkens­ wert ist, daß sich die neoliberalen monopolpolitischen Bestrebungen in eine extreme und eine mehr gemäßigte Richtung aufteilen. Zu der ersteren rechnen W. Eucken (h 35f., 172f., 292BE.; d 64f.; f 119f.), W. Röpke (i 22; c 75,100; b 307), F. Böhm (d54) und Λ . Rüstow (c 133ff., 162: A. 34; b 69, 913f.). Zur anderen Richtung wären u. a. L . Miksch (a 103f.) und K. F. Maier (a 25 ff.) zu zählen, die sich über die Möglichkeiten und Gefahren einer wirksamen Monopol-Kontrolle keinen Illusionen hingeben. Ihre Skepsis wird später allerdings auch von W. Eucken, Λ . Rüstotv und F. Böhm (f 212) geteilt. Die Kritik greift nicht den Antimonopolismus schlechthin an, da er ja nicht nur zum ideologischen Bestand liberaler, sondern ebenso auch wirtschaftlich-konser­ vativer und sozialistischer Bestrebungen gehört, sondern lediglich die neoliberalen Mittel der Monopolbekämpfung. Zunächst ist es die offenkundige Inkonsequenz auf neoliberaler Seite, die hier zum Widerspruch reizt. Die eindringlich warnenden Beschwörungen W. Euckens, z. B. daß das Problem der wirtschaftlichen Macht niemals durch neue Konzentration von Macht gelöst werden könne, oder daß die Leitenden durch Macht verdorben würden und Besitz von Macht Willkürakte provoziere (h 173, 364, 174), ferner der Einwand L. Mikschs, die Macht erreiche ihre höchste Gefahrenstufe nicht in privater, sondern gerade in öffentlicher Hand (zit. in Eucken h 174), weshalb nach F. Böhm das rechtsstaatliche Denken niemand traue, der Gewalt besitzt, weil keiner, dem Gewalt gegeben, die Tugend der Selbstbeherrschung besitze (1 127), scheinen ihre Berechtigung verloren zu haben, sobald sie neoliberalen Ordnungsbestrebungen im Wege stehen. Die Übertragung des Willkürelementes vom privaten Monopolisten auf das staatliche Monopolamt und die damit gegebene „Machtverlagerung an die Spitze“ ; ferner die Ausschaltung der Mitverantwortlichkeit des richterlich und befehlsmäßig bestimmenden Monopolamtes, das nach Böhm Schicksal zu spielen habe wie der Markt (b 167 f.) ; endlich die durch eine umfassende Monopolaufsicht und Mono­ polkontrolle bedingte „Überforderung des Staates“, sowie die Illusion, die einer solchen Behörde ohne weiteres Immunität gegen Interessenteneinflüsse und zugleich umfassende Sachkenntnis bezüglich der schwierigen Rechtsmaterie zutraut: diese Einwände von W’ Dürr (163, 166), H . Ritschl (c 248f.; d 128), F. Ottel (48), R. Fischer (19f., 46,56), H. Peter (p 754), O. v. Nell-Breuning (j 291), G. v. Eynern (131) und F. Haussmann (b 10ff., 23) machen den inneren

364

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Widerspruch der neoliberalen Antimonopolpolitik zu der im Grunde antietatistischen Wirtschaftsdoktrin des Neoliberalismus deutlich. H . Moeller wirft daher mit Recht die Frage auf, ob angesichts der hier geforderten umfangreichen legisla­ tiven und administrativen Maßnahmen, die sich faktisch gegen die proklamierte volle wirtschaftliche Entschluß- und Handlungsfreiheit richten, noch die Rede von Liberalismus sein könne (b 226). F. Marbach als Sozialist bemerkt ironisch, daß seine eigene Einstellung zum staatlichen Marktinterventionismus liberaler und weniger kollektivistisch sei als die F. Böhms, der seine angeblich im Dienste der Freiheit bereinigte Wettbewerbsordnung in der Zulassung von Zwangs- und Staatskontrolle „bis an den Rand des Erreichbaren“ (d 49) gehen lassen möchte und daher ohne die etatistische Komponente nicht auskommen könne (f 226). H. Ritschl sieht ebenfalls im neoliberalen Glauben an die Marktwirtschaft keine eigentlich liberale Idee mehr, sondern lediglich die „zweckrationale Bejahung des Marktautomatismus mit seiner Tendenz zur Ausbildung von Gleichgewichts­ zuständen“ (d 130). Gegen W. Euckens These, in den Fällen, wo keine „voll­ ständige Konkurrenz“ herstellbar sei, habe das Monopolamt einen „system­ gerechten“ Preis festzusetzen (h 297), wendet sich W’ Dürr. Abgesehen davon, daß man den Markt, wenn auch nur „zwecks originalgetreuer Nachahmung Verkehrs wirtschaftlicher Zusammenhänge“ , so L . Miksch (b 192), äußerst drastische Maßnahmen von seiten einer staatlichen Befehlsstelle zumuten würde, folgert Dürr im Anschluß an H . Moeller (b 230), daß demnach die „Befehlswirt­ schaft“ die systemgemäße Preisstruktur besser zu ermitteln vermag als der freie Prozeß, womit das liberale Argument gegen die Zentralverwaltungswirtschaft dahinfalle, in der man angeblich nicht rechnen könne. Dürr sieht hier mit Recht einen sehr kritischen Punkt der Entwicklung erreicht. Die Machtverlagerung an die Spitze zwecks Realisierung einer wirksamen Monopolpolitik wirke auch in der vorgesehenen veranstalteten Form beunruhigend, weshalb die zukünftige Aufgabe der Ordoliberalen seiner Ansicht nach darin besteht, „die Gefahr einer überbordenden zentralen Macht überzeugend zu bannen“ (154, 159, 163, 166). A . Rüstow bemerkt einmal gegenüber den Vertretern der christlichen Staats­ auffassung, daß gerade die jüngsten, ehrlichsten und lebendigsten unter ihnen in höchstbedenklichem Maße von einer immer stärkeren kollektivistischen Knochen­ erweichung ergriffen zu sein scheinen (b 129). Angesichts der monopolamtlichen Befehlswirtschaft neoliberaler Konzeption, in der die Unternehmer als Empfänger „volkswirtschaftlich richtiger Marktbefehle“ gedacht sind nach der Böhm’schtn Devise: „Alles hört auf mein Kommando“ (b 169), während sich die entscheidend mitbestimmende Monopolbehörde jeglicher Mitverantwortung entzieht, besteht die Befürchtung zu Recht, daß es sich hierbei um eine kollektivistische Knochen­ erweichung und zwar in fortgeschrittenem Stadium handelt.

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffs

365

Die Problematik der „ Marktgerechtigkeit“ Ein weiterer Punkt, an dem sich die wirtschaftspolitische Diskussion in be­ sonderem Maße entzündet hat, ist die volkswirtschaftliche Problematik der neoliberalen „Marktgerechtigkeit“ . Die Kritik richtet sich gegen die publi­ zistisch sehr attraktiven Behauptungen und Versprechungen, die als Programm­ punkte der „sozialen Marktwirtschaft“ herausgestellt werden, wie z. B. L. Erhards These: Gerechtigkeit und „Wohlstand für alle“ über den „Wohlstand durch Wettbewerb“ (e 9); „Politik der sozialen Integration“, wie V. Muthesius sich ausdrückt (d 659); oder, um mit A . Müller-Armack zu sprechen: sozialer Schutz der „kleinen Leute“ durch den Wettbewerb (i 30f.), Umformung der sozialen Ausgangsdaten und des Einkommensaufbaus durch den Staatshaushalt nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit (j 390), soziale Sicherung durch Freigabe des wirtschaftlichen Fortschritts (k 97), sozialnützliche Eigentumsbildung durch Sparmöglichkeit (j 392; k 97; d 110) usw. Wie weit das aufgestellte neoliberale Programm auf Grund der neoliberalen Verteilungspraxis mit den gegenwärtigen Vermögensverhältnissen divergiert, ergibt sich aus den Untersuchungen von P. Jostock, H . Jecht, E . Preiser, G. Weisser und F. Oeter, von denen am Schluß des dritten Kapitels bereits die Rede war. Daß laut Bundesbank das Masseneinkommen in Deutschland seit der Währungsreform insgesamt ganz erheblich und konti­ nuierlich angestiegen ist, muß in jedem Fall als wirtschaftlicher Erfolg anerkannt werden. Die volkswirtschaftlich und sozialpolitisch entscheidende Frage ist jedoch die, bei wem sich das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen angesammelt hat. Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung, die G. Kroll an Hand des statistischen Materials der Bank Deutscher Länder (September­ bericht) über die Jahre von 1950 bis einschließlich 1955 angestellt hat (c Iff.) und die durch die unsachliche Entgegnung von Limmer in keiner Weise erschüttert werden konnte (NO, Jg. 10 (1956), 96 ff.). Demnach hat in diesen sechs Jahren in Westdeutschland eine Netto-Vermögensleistung von insgesamt 140 Mrd. DM stattgefunden, davon in Unternehmerhand allein 130 Mrd., jedoch nur 10 Mrd. in den Haushalten (die Unternehmerhaushalte eingeschlossen) und durch den Staat. Das Schwergewicht der gesamten Vermögensbildung liegt bei den indu­ striellen Unternehmern, die mit rund hunderttausend bei 48 Millionen Menschen zwar nur 1,5 v. H. der Bevölkerung ausmachen, jedoch 62 v.H. der gesamten Vermögensbildung, das sind 87 Mrd. DM, in die Hand bekamen. Erweitert man die Zahl der selbständigen Unternehmer um die Zahl der kleineren selbständigen Gewerbetreibenden, die mit rund 700000 5,2 v.H. der Bevölkerung ausmachen, und nimmt man die durchschnittliche Zahl der Familienangehörigen (drei

366

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Personen je Haushalt) hinzu, dann befanden sich zu dem Zeitpunkt 62 v.H. des neugebildeten Vermögens in Händen von nur 4,5 v.H. der Bevölkerung und 93 v.H. in Händen von 15,6 v.H. des Bundesdeutschen Wirtschafts Volkes. Allerdings darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß das neugebildete Vermögen in Unternehmerhand zum größten Teil (55 v.H.) durch Kreditauf­ nahme aus Fremdmitteln (die eigenen Ersparnisse eingeschlossen) finanziert wurde, also nicht sofort echtes Vermögen, sondern z. T. zunächst Verschuldung bedeutete. Diese Verschuldung verringert sich naturgemäß von Jahr zu Jahr durch Selbst­ finanzierung aus Gewinnen und Ersparnissen. Im Durchschnitt der untersuchten ersten fünf Jahre betrug das steuerliche Einkommen der drei Millionen Selb­ ständigen (einschließlich der freien Berufe) pro Kopf und Jahr 12500 DM, das der 17,5 Millionen Unselbständigen pro Kopf 2062 DM, vergleichsweise also rund ein Sechstel des Selbständigen-Einkommens. Die Sparleistung (bei einer durch­ schnittlichen Sparquote von 10 v.H. pro Haushalt) erreichte auf der Seite der Selbständigen 18 Mrd. DM, auf der anderen nur 5 Mrd. DM. Demnach betrug das wirklich gebildete, schon freie Vermögen in Unternehmerhand (die Erspar­ nisse eingeschlossen) rund 64,4 Mrd. DM, denen auf der Seite der gesamten übrigen Bevölkerung (ohne den Staat) nur ein Vermögenszuwachs von rund 5 Mrd. DM gegenübersteht. Die Verschuldung des Unternehmertums dürfte nach allgemeiner Schätzung in den folgenden fünf Jahren aus erzielten Gewinnen getilgt worden sein. Die hier interessierende Frage ist die, ob das „Mißliche eines auf bestimmte Schichten begrenzten Vermögenszuwachses“ innerhalb der „sozialen Markt­ wirtschaft“, von dem A . Müller-Armack offen spricht (i 29), und das auf Grund der getätigten Selbstfinanzierung bis zum Jahre 1955 volkswirtschaftlich beun­ ruhigende Formen angenommen hat, in den folgenden Jahren der wirtschaft­ lichen Konjunktur hinreichend korrigiert worden ist. Bezeichnend ist zunächst die Feststellung des Bundesfinanzministers D r. E t^el (am 10. März 1960 vor der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf), daß sich die Zahl der Vermögensmillionäre vom Jahre 1953—57 um 1936 auf 3502 erhöht hat, eine Zahl, die sich inzwischen schätzungsweise um das Doppelte erhöht haben dürfte. A . Oberhäuser kommt bei der statistischen Untersuchung des Zeitraumes von 1950-57 zu dem Ergebnis, daß der gesamte Vermögenszuwachs in der Bundesrepublik von 198 Mrd. DM nur zu 22,5% auf die privaten Haus­ halte, zu 43% auf die gewerbliche Wirtschaft, zu 28% auf die öSentlichen Gebiets­ körperschaften und zu 8% auf die Sozialversicherungen entfällt. Die Kapital­ bildung vollzog sich demnach hauptsächlich beim Staat und bei den Unternehmen. Wie die statistische Übersicht ergibt, hat die Wirtschaft (ohne Wohnungsbau)

Πτfinirm.

Γ----------* I --------·ΙΓ οΛ -α--·ΤWHCIMI muu|^i ιι m

367

annähernd 75% ihres Kapitalzuwachses aus nicht ausgeschütteten Gewinnen, also durch Selbstfinanzierung bestritten (14f.). Die Deutsche Bundesbank gibt in ihren Monatsberichten (Juni 1958, Februar 1959, S. 10) die Entwicklung der Selbstfinanzierung und der Ersparnisse der Konsumenten mit folgenden Zahlen an: Ersparnisse einschließlich Vennögensübertragungen in der Bundesrepublik: Jahre

Ersparnisse der Konsumenten in Mrd. DM

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

Private Haushalte 2,0 23 4.4 6,1 8.0 7,4 7,4 113 13.4 62,1

Nichtentnommene Gewinne der 1 (= Selbstfinanzierung) in Mrd. DM Unternehmen1 4,9 83 7,5 5,1 5,1 10,5 9,9 10.4 123 74.1

öffenri Haushalte2 5,1 7,7 8,0 103

10,7 143 163 143 113 973

Über das Anwachsen des Volkseinkommens und des Einkommens aus unselb­ ständiger Arbeit in der Bundesrepublik bringt die amtliche Bundesstatistik im Statistischen Jahrbuch 1959 (S. 482, 487) folgende Übersicht: VolksemhoMmeM und Einkommen aus u*selbstä*diger A rbeit in der Bundesrepublik Jahre

1 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

VrJWei«lfflsitnnrj| (Netto-Sorialprodukt zu Faktorkosten)

Bruttoeinkommen ans Lohn und Gehalt (emschL Arbeitgeberbeiträge zur Soaalwenkheruf^g)

in Mrd. DM

in Mrd. DM

in vH des

2 76,3 94,1 100,5 107,9 117,7 135,1 149,0 160,8 168,9

3 44,0 53,4 59,4 65,5 71,7 81,7 91,8 99,9 108,3

4 57,7 56,7 59,1 60,7 60,9 603 61,6 62,1 64,1

F in rh l. öffend. Unternehmen u. Ervcrbabetriebe sowie Bundesbahn u. Bundespost. Der Uberschuß ist ans ^ lanfrtA n K nw ktnfn A agi der i-fr·— *!»»» (d. h. vennögensnnwttkssmcn) Ausgaben

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

368

Die Zahlen für 1957 und 1958 sind vorläufige Ergebnisse, die sich bei der end­ gültigen Berechnung noch etwas verändern können. Die prozentuelle Steigerung seit 1955 läßt nicht ohne weiteres darauf schließen, daß der Anteil am Volksein­ kommen für den einzelnen Lohn- und Gehaltsempfänger in gleichem Maße gestiegen wäre. Sie erklärt sich zu einem erheblichen Teil daraus, daß sich die Zahl der unselbständig Arbeitenden vermehrt hat, die Gesamtsumme also unter eine größere Anzahl aufgeteilt wurde. Ferner ist zu beachten, daß die angegebenen Summen der Löhne und Gehälter die gesamten Beiträge zur Sozialversicherung, also die der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, mitenthalten, da diese als Lohn­ oder Gehaltsbestandteil zu gelten haben. Für sich betrachtet würden die Gehälter und Löhne eine etwas geringere Steigerung der Prozentsätze ergeben. Schließlich muß berücksichtigt werden, daß die eingeführten absoluten Zahlen Beträge in jeweiligen Preisen darstellen, d. h. daß jährliche Preissteigerungen darin enthalten sind.1 Uber die Vermögensbildung in der Bundesrepublik bringt die Deutsche Bundes­ bank in ihren Monatsberichten (11. Jg., Nr. 6, S. 6) für den gleichen Zeitraum folgende Zahlen: Der Vermögenszuwachs belief sich in den Jahren 1950-58 insgesamt auf 233,7 Mrd. DM. Nach Berücksichtigung der Vermögensüber­ tragungen entfielen davon auf : Private Haushalte Unternehmen öffentliche Haushalte Insgesamt

Mrd. DM

%

62,1 74,1 97,5

26,6 31,7 41,7

233,7

100,0

Im einzelnen nahm die Entwicklung folgenden Verlauf: 1950

1951

1952

1953

1954

1955

1956

1957 1958

Gesamtersparnis (in Mrd. DM)

12,0

18,1

20,0

21,3

23,8

32,0

33,6

35,7

37,2

davon (in %): Private Haushalte Unternehmen öffentliche Haushalte

16,8 40,9 42,3

12,8 46,8 40,4

22,1 37,7 40,2

28,6 23,7 47,7

33,7 21,3 45,0

23,0 32,7 44,3

21,9 29,6 48,5

31,3 29,0 39,7

35,9 33,0 31,1

Ob von der absoluten und relativen Zunahme des privaten Sparens während der letzten Jahre tatsächlich auf den Beginn einer langfristigen Verschiebung der relativen Anteile zugunsten der privaten Haushalte geschlossen werden kann, 1 Die vorliegende Zusammenstellung und Auswertung der statistischen Übersicht verdanke ich Herrn DR. P. JOSTOCK.

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffe

369

muß bezweifelt werden. Wie die Statistik zeigt, war der Anteil des privaten Sparens in den konjunkturell etwas flaueren Jahren 1953-54 und 1957-58 relativ am höchsten, während die Boom-Jahre 1955-56 mit ihren beträchtlichen Preis­ steigerungen einen erheblichen Rückgang zu verzeichnen haben. Für 1959 ist wegen der Preissteigerungen und der geringen Lohnerhöhung wieder mit einem leichten Rückgang des relativen Anteils der privaten Haushalte an der Gesamt­ ersparnis zu rechnen. Zu berücksichtigen ist außerdem, daß in der Ersparnis der privaten Haushalte auch Beträge enthalten sind, die von Selbständigen in Form von Lebensversicherungen, Spar- und Bauspareinlagen, Wertpapieren u. ä. gespart werden. Den Arbeitnehmern kann daher nur ein Teil der privaten Ersparnis zugerechnet werden, A . Oberhäuser schätzt auf weniger als 50% (16). Unterstellt man einen Ersparnisteil von 40-50%, dann waren die Arbeitnehmer nur mit etwa 10-13% an der volkswirtschaftlichen Gesamtersparnis der Jahre 1950-58 und mit 14,4-18% an der Ersparnis des Jahres 1958 beteiligt.1 Da die Sparverhältnisse der Bundesrepublik wesentlich von den Einkommens­ verhältnissen abhängen, ist nachfolgende Übersicht von Interesse, die vom Institut für Selbsthilfe e. V. in Köln im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesarbeitsministeriums auf Grund einer im Spätherbst 1958 eingeleiteten Untersuchung zusammengestellt wurde. Es handelt sich dabei um die Auswertung von 3296 Interviews. Demnach haben dieHaushaltungsVorstände in der Bundesrepublik folgendes Nettoeinkommen: DM DM DM DM DM DM DM DM

150,— 200,— 275,— 375,— 500,— 650,— 900,— 1250,—

bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM und mehr

150,— 200,— 275,— 375,— 500,— 650,— 900,— 1250,—

4,9% 5,6% 8,5% 18,3% 32,7% 14,9% 8,8% 3,9% 2,4%

100,0%

In folgenden Zahlen wurden auch die Nebenverdienste der Familienmitglieder, also der Frau und der Kinder, festgehalten. Demnach beträgt das Familiennetto­ einkommen: bis DM 150,— bis DM 200,— bis DM 275,— bis

unter unter unter unter

DM DM DM DM

150,— 200,— 275,— 375,—

2,8% 4,6% 5,5% 11,4%

> Die Zusammenstellung und Auswertung der Angaben besorgte Dipl. Volkswirt

h . warnke

370

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

DM DM DM DM DM DM

375,— 500,— 650,— 950,— 1250,— 1850,—

bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM bis unter DM und mehr

500,— 650,— 900,— 1250,— 1850,—

23,3% 19,0% 18,0% 9,4% 3,8% 2,2%

Das Familiennettoeinkommen war somit bei 47,6% der Befragten niedriger als 500 DM. Bei 73,1% der Rentner und Pensionäre, deren Situation am un­ günstigsten ist, beträgt das Familiennettoeinkommen weniger als 500 DM. Letztere weisen daher mit 30,6% den stärksten Anteil an der Gesellschaftsgruppe auf, die kein Geld sparen kann; nach ihnen die Landwirte mit 27,6% und die Arbeiter mit 21,5%. 40% der Befragten sparen nichts oder nur bis zu 20 DM monatlich (vgl. Brepohl, 167ff.). Demgegenüber bedeutet es keine Beruhigung, den allgemeinen Anstieg des Produktionsvolumens, des Investitions- und Verbrauchsgüterindexes etwa mit A . Müller-Armack bereits als „sozialen Erfolg“ deklarieren zu wollen, „wie immer es auch um die Verteilung dieser Güter steht“ (i 28). Seine Behauptungen, die Wettbewerbsordnung lasse gerade für die kleinen Leute den sozialen Schutz ausschlaggebend sein (k 77f., A. 44), oder: wir hätten heute eine korrigierte Marktwirtschaft (k 86), und der Effekt der allgemeinen Produktionssteigerung komme den breitesten Schichten zugute (k 85), sind unter den gegebenen Um­ ständen nicht überzeugend. Das hier angeführte statistische Material über den faktischen Vermögenszuwachs, sowie über die wirtschaftliche Situation der kinderreichen Familie in der Bundesrepublik heute (am Schluß des 3. Kapitels) berechtigen vielmehr zu folgenden Feststellungen: 1. Der weitaus überwiegende Teil des Volkes ist unter den gegenwärtigen Ver­ hältnissen trotz der gestiegenen Löhne von der eigentlichen Vermögensbildung so gut wie ausgeschlossen und damit jeder ernstlichen Wirtschaftserschütterung mehr oder weniger schutzlos preisgegeben. Die augenblickliche Vermögens­ bildung fördert und begünstigt einseitig die Eigentumsbildung in Unternehmer­ hand, während der Arbeitnehmerschaft die gerechte Beteiligung am NettoSozialprodukt vorenthalten wird. Das durchschnittliche Einkommen der Nicht­ unternehmer ist viel zu gering, um eine wesentlich höhere Sparquote zu ermög­ lichen. Diese Tatsache ignoriert die ausgesprochen modelltheoretische Argumen­ tation W. Schreibers, wenn er erklärt, die Konsumentenhaushalte hätten es durch­ aus in der Hand, das Maß der übergroßen, den Unternehmern von der Konsu­ mentenschaft „aufgedrängten“ (!) Kreislaufgewinne zu verkleinern. Sie brauchten nur mehr zu sparen, erklärt Schreiber, sie hätten auf diese Weise die Macht, das ächzend ertragene „Vermögensbildungsprivileg“ der Unternehmungen zu

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffe

371

brechen (d 692 f. ; c 59,49,85 £.), obwohl Schreiber an anderer Stelle einen „Schwäche­ punkt der Sozialordnung“ kritisiert, daß nämlich die Sparkraft gerade der Familie mit Kindern „erheblich“ gedrosselt und (in vielen Fällen) „zum Ver­ schwinden“ gebracht sei, weshalb „alle schönen Rezepte zur Vermögensbildung durch Sparen. . . ein wenig weltfremd und illusionär“ seien, solange ein ent­ sprechender Familienlastenausgleich „die allzu groben Abweichungen von der Startgleichheit“ nicht beseitigt habe (c 80f.). 2. Der Staat, der durch Steuereinnahmen rund ein Drittel der Vermögensbildung lenkt, hat in den fraglichen Jahren mit dazu beigetragen, noch mehr Vermögen in Unternehmerhand anzuhäufen, z. B. durch Steuervergünstigungen für erhöhte laufende Abschreibungen sowie für Sonderabschreibungen; durch eine Umsatz­ steuer zugunsten der Großunternehmungen; durch Zölle und Einfuhrkontin­ gente usw., nicht zuletzt durch Duldung der hohen Preisaufschläge, aus denen auch das neue Kapitalvermögen gebildet wurde (Jostock, g 116). V. Muthesius bemängelt zu Recht, daß außerdem jährlich durch Investition mit Geldern des Steuerzahlers und Zwangsversicherten gerade in der öffentlichen Hand Sachkapital und Forderungsrechte geschaffen werden, so daß faktisch in erheblichem Umfang die private Kapitalbildung durch Ansammlung von Vermögen in öffentlicher Hand, durch „etatisierte Zwangskapitalbildung“ also, verdrängt und ersetzt wird (d 661). Die Durchführung der erforderlichen Sozialreform ist daher um der Gerechtigkeit willen, von möglichen politischen Folgen ganz abgesehen, vordringlich. W. Schreibers liberale These, die der BKU als die seinige offeriert (c 5f.), die Marktwirtschaft brauche, um „sozial“ zu sein, keine diri­ gistischen Krücken, sondern trage das Gesetz der Verteilungsgerechtigkeit immanent in sich (d 639), weshalb die Arbeitnehmer auf tüchtige Gewerkschaften oder soziale Gesetzgeber „pfeifen“ (!) könnten, da sie „den ganzen Zauber sozialpolitischer Nachhilfe“ nicht nötig hätten (c 51), bedarf nach dem bisher Gesagten keiner Widerlegung mehr. 3. Die steigende Erhöhung des Brutto-Stunden Verdienstes, des technischen Gesamtproduktvolumens und des Konsumstandards kann nicht als Kriterium für eine zufriedenstellende wirtschaftspolitische Besserung und Gesundung eines Volkes herangezogen werden, wenn eine verstärkte Eigentumsbildung aus dem bestehenden durchschnittlichen Einkommen der Lohn- und Gehaltsempfänger nicht möglich ist. Die verschiedenen Pläne zur Realisierung einer gerechteren Ertragsbeteiligung, z. B. von B. G lettre ^ E . Haussier und Dittmar-Arndgen, die sich mit Recht gegen den Übelstand richten, daß nach wie vor das neugebildete Kapital ganz in das Eigentum der bisherigen Kapitalbesitzer übergeht, verdienen ernsthafte

372 Beachtung. Es wäre ein unredlicher Fluchtversuch, sie nur deshalb einfach beiseite schieben zu wollen, weil sie nicht den Idealzustand erreichen können, nämlich die Verbraucherschaft in ihrer Gesamtheit am Produktivergebnis in gerechter Weise zu beteiligen (vgl. Jostock, g 113). Der Versuch, durch ständig neue Tariflohn­ erhöhungen einen Ausgleich zu schaffen, scheitert im Grunde an der Tatsache, daß die erhöhten Löhne als Kostenfaktoren auf die Preise abgewälzt werden und zudem die Relation von Lohneinkommen einerseits und Unternehmer-Einkommen und -Gewinnen andrerseits faktisch unverändert lassen. Um die Ver­ wertung der ausgeschütteten Gewinnanteile weitmöglichst zugunsten der erforderlichen Kapitalbildung und Neuinvestition lenken zu können, wird eine konstruktive Wirtschaftspolitik an entsprechende Maßnahmen wie: steuerliche Anreize, Sparprämien, Auflagen bei der Ausschüttung usw., denken müssen. Zusammenfassend läßt sich also sagen: Der „Wohlstand durch Wettbewerb“ ist

zwar bisher in hohem Maße erreicht worden, der Weg zu einem „Wohlstand für alle“ ist jedoch noch sehr weit und schwierig. Auf der Basis neoliberaler Prin­ zipien, etwa der reinen „Marktgerechtigkeit“ und nachträglicher Einkommens­ ausgleichskorrekturen, ist das Ziel jedoch nicht zu erreichen. Die Alternative kann nicht lauten: entweder Multiplikation oder Division des Sozialproduktes. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, entweder allgemeine Wohlstands­ mehrung durch Expansion und Ertragssteigerung erreichen oder gerechte Ver­ teilung des Sozialproduktes zum Schaden der Produktivität realisieren bzw. den bisher benachteiligten Volksschichten „auf Kosten anderer Vorteile verschaffen zu wollen“. Der „Kuchen muß größer werden“, selbstverständlich, aber wirklich „alle müssen am Erfolg teilhaben“ . Es darf nicht als selbstverständlich betrachtet werden, was die Statistiken aus weisen, daß nämlich bei der Verteilung des immer größer werdenden Kuchens ganze Bevölkerungskreise unverhältnismäßig knapp berücksichtigt werden. Multiplikation und Division als uno-actu-Vorgang kann nur die Lösung sein. Es ist ausgesprochener Begriffsnominalismus, wenn heute unsere Produktionspolitiker ständig mit statistischen Gesamtzahlen der Produk­ tionserfolge operieren, die angeblich an den Konsumenten weitergegeben, der „Überwindung der Armut“ und damit dem Wohle des „ganzen“ Volkes nutzbar gemacht werden, wenn faktisch die Verteilung der Kaufkraft vernachlässigt bzw. mehr oder weniger auf bestimmte Bevölkerungskreise begrenzt wird. Es verrät den gleichen Nominalismus ,wenn in der Diskussion z. B. „der“ Arbeitnehmer „dem“ Unternehmer gegenübergestellt, dabei aber der wesentliche Größen­ unterschied der beiden Gruppen nicht hervorgehoben wird, (vgL Schreiber, c 7f.; d 688), so daß der Anschein entsteht, als ob die für die ganze Gruppe geltenden Aussagen, z. B. bezüglich des erhöhten Lebensstandards, auch auf jeden einzelnen

Definitive Bemhaitnng des W imchaftsbegri&

373

zutreffen (vgl. Jostock, g 114). Dic Forderung nach Gerechtigkeit für alle ent­ springt weder einer falschen Unduldsamkeit noch geht sie auf ein falsch ver­ standenes ethisches Prinzip zurück. Im Gegenteil: Sie allein bietet den Maßstab dafür, ob die Mehrung des Wohlstandes „ein Gott wohlgefälliges Beginnen“ darstellt (vgl. Erhard, 1226f., 11,174, 239). Die gepriesene „liberale Erneuerung“ der Bundesdeutschen Wirtschaftsverfassung (Mutbesius, d 659) hat, speziell was Gewinnbeteiligung und Eigentumsneubildung betrifft, noch den überzeugenden Beweis dafür zu liefern, daß es sich hierbei um einen echten Sozialfortschritt handelt. 3) Wirtscbaftsdefimtion der seiturealistiscben Wirtscbaftspbilosopbie Wesenselemente der realistischen Wirtscbaftsdefimtion Stellen wir zum Abschluß die Wirtschaftsauffassung der seinsrealistischen Wirtschaftsphilosophie der neoliberalen Wirtschaftskonzeption definitiv gegen­ über, dann haben wir folgende Ideenelemente zu berücksichtigen, die im Verlaufe dieses Kapitels herausgearbeitet wurden: das Selbstverständnis des Menschen, seiner Personwürde und Freiheitsrechte, seiner sozialen Veranlagung und Inte­ gration innerhalb der menschlichen Gesellschaft, als ideologischer Ausgangs­ punkt jeder wirtschaftsphilosophischen Überlegung; der Charakter der Wirt­ schaft als soziales Phänomen, als gesellschaftlicher Lebens- und Kulturprozeß, für den die Realisierung des politisch interpretierten Gemeinwohls a priori wesenskonstitutiv ist; die Realität eines objektiv vorgegebenen wirtschaftlichen Sachziels, daß sich in der kulturell werthaften Bedarfsdeckung und Unterhalts­ fürsorge für das gesamte Wirtschaftsvolk konkretisiert und institutionell zu sichern ist; die „Prädominanz des Quäle“ , dergemäß die Wirtschaft grundsätzlich als menschlich-gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe im Sinn einer teleologisch normierten, komplementären Kombination des Kräfte- und Gütereinsatzes, sowie aller Wirtschaftsvorgänge zu verstehen ist. Grundsätzlich ist also festzuhalten: erstens, daß die wirtschaftliche Ordnung genetisch mit der politisch-sozialen Ordnung nicht auf der gleichen Stufe steht, sondern eine aus dem gesellschaftlich-sozialen Apriori abgeleitete Ordnung darstellt, innerhalb deren, wie E . Böhler hervorhebt, der wirtschaftliche Wert als relativer Wert der entsprechenden Einordnung und Koordinierung bedarf (a 16); zweitens, daß die Wirtschaftswissenschaft, falls sie sich nicht nur auf das abstrakte Ergebnis der hypothetischen reinen Modellbetrachtung beschränken will, ohne teleologisch determinierte Wertungen nicht auskommt.

374

Mechanistisch-instrumentale Wirtschaftsauffassung

Nominaldefinition der Wirtschaft Der Nominal- oder Formalbegriff der Wirtschaft faßt den Wirtschaftsvorgang als die Gesamtheit der menschlichen Handlungen, die auf die Verringerung der Güterknappheit und die haushälterische Verwendung der knappen Mittel nach Maßgabe des Vernunftprinzips gerichtet sind. Die formalisierte individualistische Wirtschaftstheorie des Neoliberalismus bleibt ausnahmslos im Bereich der Nominaldefinition stecken (vgl. Röpke, b 141; d 18, 23, 30, 32; vgl. 6. K., la, b, c). Indem sie die technische mit der wirtschaftlichen Vernunft schlechthin und das technische und wirtschaftliche Sparen mit der Wirtschaft insgesamt identifiziert, verabsolutiert sie auf Grund ihrer mecha­ nistisch-automatischen Grundkonzeption die Ordnung der Mittel, das technische Vorfeld der Wirtschaft, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, daß, wie V. Gottl zu Recht betont, die eigentliche Wirtschaft erst jenseits der „technisch fertigen“ Einzelhandlungen beginnt (d 13f, 15f., 17). Die formalistische Be­ stimmung der wirtschaftlichen Vernunftmaxime gelangt nur zu einer inhaltlosen Formel, für die, um mit E . Egner zu sprechen, „das Übersetzungsproblem in die tatsächliche Welt“, das Problem der notwendigen Wirtschaftsgestaltung nicht gegeben ist (a 88). Die Frage nach dem Wirtschaftsziel, dem Motiv, der Mittel­ wahl, dem Nutzen bleibt offen. Nicht wenige der modernen Nationalökonomen haben sich diesen Begriffsformalismus in der Frage der Wirtschaftsdefinition zu eigen gemacht, z. B. E . Carell (18), H . Jäger (b 21 f.), W. A.Jöhr (e233), A . Amonn (b 1 f.), Ο. V. Zwiedineck-Südenhorst (d 2), G. Weisser (b 542) und H . v. Stackeiberg (b 3).

Realdefinition der Wirtschaft Die Realdefinition umschreibt die Wirtschaft als die in gesellschaftlicher Koope­ ration getätigte komplementäre, durch die vielseitig verwendbaren, aber knappen Bedarfsdeckungsmittel bedingte Kombination und Gestaltgebung aller Wirt­ schaftsvorgänge mit dem Ziel, allen Gesellschaftsgliedern als Geist-Leib-Wesen die hinreichenden materiellen Voraussetzungen für eine kulturell werthafte Bedarfsgestaltung und Bedarfsdeckung dauernd unter dem besonderen Gesichts­ punkt des größten, von der legitimen Instanz objektiv interpretierten sozialen Nutzens zu gewährleisten. Damit ist zugleich das Wesen der „sozialen Marktwirtschaft“ umrissen. Sie vereinigt in sich die Elemente der Freiheit, der Selbstbestimmung und Gemein­ haftung. Das bedeutet praktisch, daß sie grundsätzlich verkehrswirtschaftlich gestaltet ist. Als solche nimmt sie weitmöglichst die produktiven Vorteile der

Definitive Beinhaltung des Wirtschaftsbegriffs

375

Privatinitiative und der privatrechtlichen Zurechnung der Produktionsfaktoren (Grundrente, Kapitalzins, Lohn) wahr. Da selbst der funktionsfähige Markt­ automatismus im Gegensatz zum neoliberalen Harmonieglauben von sich aus die Realisierung des wirtschaftlichen Sachziels nicht garantieren kann, gehört die Möglichkeit wie auch die Notwendigkeit einer wirtschaftspolitisch sinnvollen Lenkung der drei wirtschaftlichen Bereiche (Erzeugung, Verteilung, Verbrauch) und der planerischen bzw. institutioneilen Sicherstellung des situationsgerecht konkretisierten Gesamtziels zu ihren unabdingbaren ordnungspolitischen Voraussetzungen. Eine Marktwirtschaft, die nicht primär auf originärem Wege die allgemeine Unterhaltsfürsorge gewährleistet, ist keine soziale Marktwirtschaft und verfehlt ihr ureigenes Ziel1.i)

i) V. nell -br ., n 400ff., 410f., 417; W. d. P., IV, 36, 38,42; r 236f., 243f.; messner , j 638; pesch , a 11 ; v . g o t tl , d 14ÉF., 20f., 25f., 38, 44f.; e g n e r , a 71 f., 75f., 83f., 88; böh ler , a 15f., 17, 19; w eissbr , i 41f., 54; b 542; WEIPPBRT, c 321 f. ; eberle , 1 ; w eber - tisc h l e d er , 3.

v n . KAP I TEL

FORMALISTISCHE WIRTSCHAFTSETHIK

Allgemeine Kriterien der neoliberalen Wirtschaftsethik Die vorausgegangenen Untersuchungen ermöglichen die zusammenfassende Darstellung der neoliberalen Wirtschaftsethik. Ganz allgemein gilt: Die Sozial­ ethik als solche hat die rechte Zielordnung zum Inhalt. Die spezielle Sozialethik in der Form der Wirtschaftsethik ist die Normativwissenschaft für das wirtschaft­ liche Handeln. Sie entnimmt ihre positiven Ordnungsnormen der grundsätzlichen Wirtschaftsauffassung und hat die faktische Sinnerfüllung der Wirtschaft zu gewährleisten. Uber die neoliberale Wirtschaftsauffassung, ihre atomistisch-mechanistische Grundstruktur und formalistische Zielsetzung, besteht nun hinreichende Klarheit. Die kongruente Wirtschaftsethik ist demnach apriori auf dem Niveau einer relativierten „Funktionsethik“ näher zu bestimmen. W. Euckens fundamentale Scheidung zwischen Wirtschaftsform und Wirtschaftsablauf, zwischen dem eigentlichen ökonomischen Kosmos und dem abgrenzenden Datenkranz, zwischen der inneren und äußeren Koordination soll, wie sich zeigen ließ, die Grenze zwischen dem anonym-gesetzmäßigen und dem menschlich-gesellschaft­ lichen Ordnungselement im wirtschaftlichen Bereich verdeutlichen. Da die ordnungspolitische Gesamtentscheidung für die allgemein verbindliche Wirt­ schaftsverfassung und deren Realisierung bzw. Sicherung dem Staat obliegt, und da nach neoliberaler Auffassung zudem die wirtschaftspolitische „äußere Koordi­ nation“ im Grunde nur ein Anpassen an die vorgegebene Naturordnung und „supra-empirische“ Gesetzmäßigkeit der „inneren Koordination“ darstellt (vgl. 6. K., lc), ist damit zugleich die verantwortliche Stellung des wirtschaften­ den Menschen innerhalb des wirtschaftlichen Gesamtvollzugs umschrieben. Für das freie Ermessen und die schöpferische Initiative des einzelnen bleibt neben der sehr begrenzten Mitgestaltung am Datenkranz nur noch übrig, nach der einmal getroffenen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtentscheidung sich der anonymen Gesetzmäßigkeit des Wirtschaftsablaufes unterzuordnen und unter Wahrung der Spielregeln „Marktgehorsam“ zu leisten, andernfalls er mit empfind­ lichen Strafen seitens des Marktmechanismus zu rechnen hat.

380

Formalistische Wirtschaftsethik

Die Kriterien für das marktwirtschaftlich „richtige“ Verhalten werden also der Wirtschaft selbst entnommen. Der wirtschaftende Mensch gilt faktisch nur als Diener eines von ihm entdeckten „übermenschlichen“ Mechanismus, der von der wirtschaftspolitischen Führung ebenso wie von jedem einzelnen voll anzuer­ kennen und zur Geltung zu bringen ist; im Grunde deshalb, weil der funktions­ fähige Marktautomatismus angeblich nicht nur maximale Produktivität, sondern darüber hinaus auf Grund seiner Objektivität und Unbestechlichkeit allein Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit für alle Marktbeteiligten zu garan­ tieren imstande ist. Die neoliberale Wirtschaftsethik erschöpft sich demnach faktisch in dem Verbot, in die Eigenlogik des gesetzmäßigen Wirtschaftsablaufes lenkend eingreifen zu wollen. Die Möglichkeit sittlich zu verantwortender Willensentscheidungen und Handlungen gegen den Marktmechanismus wird durch die „naturgesetzliche“ Automatik des Wirtschaftsgeschehens ausgeschaltet. Die Wirtschaft als das Gesamt technologischer Prozesse und Tauschbeziehungen, als formaler Rechnungs- und Signalapparat ist „anethisch“ . Sie wird als techno­ logische Einheit aus der sozialethisch fundierten Gesamtordnung herausgelöst, während umgekehrt die Respektierung und Realisierung des „naturgesetzlichen“ Wettbewerbsmechanismus den Charakter des ethischen Solls erhält. Ein weiterer, für die neoliberale Wirtschaftsethik relevanter Gesichtspunkt tritt zu der funktionaltheoretisch-individualistischen Grundausrichtung hinzu, in dem sich das eigentlich nominalistische Element der neoliberalen Wirtschaftsethik konkretisiert: die verabsolutierte Wirtschaftsfreiheit. Wie im 2. Kapitel (3a) gezeigt wurde, identifiziert der Nominalismus die individualistische Freiheit mit der Sittlichkeit schlechthin. Für den Neoliberalen ist demgemäß ein Wirtschafts­ system und das privatwirtschaftliche Planen und Handeln insoweit sittlich wert­ voll, als es der individuellen Entschluß- und Handlungsfreiheit Raum gibt. Da letztere rein formal als dem einzelnen überantwortetes Tun- und Lassenkönnen interpretiert wird, erhält die neoliberale Wirtschaftsethik notwendig ein stark formalistisches Gepräge. Wie wir bereits gesehen haben, wird ein inhaltlich determiniertes Sachziel der Wirtschaft als systemfremd gewertet und durch den neoliberalen Gleichgewichts- und Harmonieglauben kompensiert. An die Stelle der seinshaft-objektiven tritt die psychologische Begründung der Wirtschafts­ ethik vom Motiv des individuellen Nutzens her (2. K., lc). Sozialethische Postulate haben, da sie ohne jede strukturelle Bedeutung sind, lediglich den Charakter moralischer Appelle an die „guten Sitten“ und die Loyalität des einzelnen in der Respektierung der marktwirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit. Die zusammenfassende Darstellung der für das neoliberale Wirtschaftsethos verbindlichen Ordo-Idee hat demnach von vornherein drei ideologisch bedingte Tatsachen im Auge zu behalten: den wirtschaftsimmanent-funktionaltheoretisch

Begriffsnominaliefnue der neoliberalen Ordo-Idee

381

determinierten Charakter des Ordnungswollens ; die Herauslösung des eigen­ gesetzlichen wirtschaftlichen Kosmos aus der sittlich-gesellschaftlichen Gesamt­ ordnung; die Ethisierung der Theorie, insofern die marktwirtschaftliche Eigen­ logik für das sittlich-soziale Handeln normativen Charakter beansprucht. Wir werden diesen Tatsachen auf den folgenden Seiten begegnen und zwar im Begriffsnominalismus der neoliberalen Ordo-Idee, bei der Analyse des insti­ tutionellen Ordnungselementes, bei der Untersuchung der neoliberalen Eigen­ tumsauffassung, die als Fundament der neoliberalen Ordnungskonzeption gilt. /. Begriffsnominalismus der neoliberalen Ordo-Idee Wie bereits hervorgehoben wurde, äußert sich in den neoliberalen Ordnungs­ tendenzen die wirtschaftsgeschichtlich begründete Skepsis gegenüber dem Harmonieoptimismus des Laissez-faire, dem die ordnungspolitische Funktion des Institutionellen entgegengestellt wird. Nach W. Euchen wird der Begriff „Ord­ nung“ in einem doppelten Sinn gebraucht: einmal als faktische „Wirtschafts­ ordnung“ ; zweitens als zu realisierende „Ordnung der Wirtschaft“ (h 372 f.). a) W ir t s c h a f t s o r d n u n g als Gesa mth eit der realisierten W irt sch aft s­ form en Die gesamte Methodenlehre W’. Euchens dreht sich um den Begriff der Wirt­ schaftsordnung. In seinen „Grundlagen der Nationalökonomie“ will er darunter jedoch nicht etwa die „richtige“, gerechte Wirtschaftsordnung verstanden wissen. Diese Betrachtungsweise überschreitet seiner Ansicht nach die Grenzen der Wirtschaftstheorie als einer ErfahrungsWissenschaft, die sich als solche jeweils nur mit dem historischen Faktum gegebener Wirtschaftseinheiten und Bedingungs­ konstellationen zu befassen hat. Wirtschaftsordnung ist für ihn nichts anderes als „die Gesamtheit der realisierten Formen, in denen in concreto jeweils der all­ tägliche Wirtschaftsprozeß abläuft“ ; ist ein individueller, positiv gegebener und wechselnder Tatbestand der Geschichte (f 238 f.). Ob sie der Vernunft oder Gerechtigkeit entspricht, bleibt völlig offen, da sie lediglich das historische „Sein“ der Wirtschaft charakterisiert. Sie dient als Instrument zur wissenschaftlichen Erforschung der aus verschiedenen Bausteinen zusammengesetzten geschicht­ lichen Wirtschaftsstrukturen. Wie wir gesehen haben, geht Euchen mit der Forschungsmethode eines Anatomen an die konkreten Wirtschaftsordnungen heran, indem er sie mit Hilfe eines differenzierten „Instrumentenkastens“ durch große Schnitte gleichsam auseinandertrennt, die einzelnen Teile von fremden Elementen befreit und aus den mannigfaltigen Formelementen und Bedingungs­ konstellationen zwei elementare Grundformen herauspräpariert (vgl. 6. K., 1a).

382

Formalistische Wirtschaftsethik

Als heuristisches und didaktisches Hilfsmittel hat diese formale Interpretation der Wirtschaftsordnung auf die moderne modelltheoretische Marktforschung befruchtend gewirkt. Allerdings muß im Auge behalten werden, was Eucken ignoriert, daß allein mit Hilfe einer reinen Funktionalbetrachtung, die nur gewisse Bedingungskonstellationen, Wechselwirkungen, Abläufe und Kausalzusammen­ hänge durchleuchtet, die Ordnungsformen in ihrem eigentlichen Gehalt und in ihrer Gestaltungsaufgabe für die Wirtschaft wissenschaftlich nicht zu erfassen sind. Die Wirtschafts Wirklichkeit nur als ein Gefüge von Idealtypen, von Modellen analysieren zu wollen, ohne die Frage nach der sozialen Bewandtnis als der eigentlichen Natur der Wirtschaft zu stellen, heißt, wie G. Weippert zu Recht bemerkt, die Wirtschaft in ihrem Wesen verfehlen (c 304, 293ff.). b) W ir t s c h a f t s o r d n u n g als Wesens- u n d N a t u r o r d n u n g Die zweite Sinndeutung hat wirtschaftspolitischen Charakter und faßt die Wirt­ schaftsordnung als eine Ordnung, die dem Wesen des Menschen und der Natur der Sache entspricht. In bewußter Anlehnung an die scholastische Ordnungs­ konzeption sieht Eucken im Ordnungsbegriff rein formal „die sinnvolle Zusam­ menfügung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen“ . Beide Begriffe kontrastieren stark miteinander, aber beide sind seiner Ansicht nach notwendig, denn die gedankliche Arbeit an der erstrebenswerten menschenwürdigen und gerechten „Ordnung der Wirtschaft“ setzt die wissenschaftliche Durchleuchtung der konkreten „Wirtschaftsordnungen“ voraus (f 239). Die zweite Sinndeutung hat also ausgesprochen normative Bewandtnis. Die Ordnungsaufgabe der Wirtschaft wird darin gesehen, der neuen industrialisierten Wirtschaft und ihrer umfassenden Arbeitsteilung eine funktionsfähige und menschenwürdige Verfassung zu geben. Es handelt sich darum, durch denkende „Gestaltung der Ordnung“ die wirt­ schaftliche Gesamtordnung und ihre Spielregeln im nationalen und internatio­ nalen Raum zu realisieren (f 240). Diese Sinndeutung findet sich im Schrifttum von F. Böhm (h 13; b 54f., 121), L . Miksch (d 46, 69; c 5; a 209ff), A . Rüstow (c 132, 138ff.), A . Müller-Armack (k 79), K. P . Hensel (264ff.) und bildet die ideologische Grundlage der Publikationsreihe „Ordnung der Wirtschaft“ . Welche Kriterien liegen dieser Ordnungskonzeption zugrunde ? Nach W. Eucken muß sie funktionsfähig, menschenwürdig und von Dauer sein; mit anderen Worten: sie soll die tägliche Knappheit weitmöglichst und andauernd über­ winden und dabei der individuellen Selbstverantwortung und Freiheit Raum geben (f 240). Daß nach neoliberaler Auffassung allein die Wirtschaftsordnung der „vollständigen Konkurrenz“ die erwähnten Bedingungen erfüllt, ist ausführlich dargelegt worden (6. K., 2a, b). Zu erwähnen ist noch, daß die Wettbewerbs­ ordnung zwischen den beiden Extremen der natürlich „gewachsenen“ und der

Begriffsnominalismus der neoliberalen Ordo-Idee

383

willkürlich „gesetzten“ Ordnung eine Sonderstellung einnimmt. Da sie sich nicht von selbst verwirklicht, wie das Experiment des Laissez-faire beweist, ist sie in diesem Sinn keine natürliche Ordnung. Andrerseits gilt sie insofern als natürlich, als die Wettbewerbspolitik die „ungemein starken Tendenzen zur vollständigen Konkurrenz“, die angeblich „in den Dingen selbst“ und auch innerhalb der industriellen Wirtschaft vorgefunden werden, „als Ordnungs­ formen wirksam macht“, zur Entfaltung bringt und damit „der Natur der Sache und des Menschen entspricht“ . Da die Wettbewerbsordnung also nicht erfunden, nicht, im Gegensatz zum geschichtlichen Werden, gesetzt, sondern prinzipiell aus den geschichtlichen Tendenzen gewonnen wird, nähert sie sich nach Eucken den „gewachsenen“ Ordnungen an (h 373f.). Ordnen heißt demnach, wie E . Eucken-Erdsiek betont, die Linien nachtasten, die in der Schöpfungswirklichkeit vorgegeben und als ein „Gefüge von Ordnungen“, als Ineinander von immanenten Sachgeset^en“ ablesbar sind (3). Die vorhandene und zu ergänzende Naturordnung äußert sich in dem automatischen Streben aller wirtschaftlichen Faktoren nach einem Marktgleichgewicht, weshalb der einzelne, nach L. Miksch, im Wirtschaftsprozeß nur Atom ist und sein soll, um diese Tendenzen nicht zu durchkreuzen (c 4). Der Interessenausgleich, der bei vollständiger Konkurrenz „mit innerer Notwendigkeit“ erfolge, sei, so M. Hättich, „kein mechanischer Automatismus, sondern eine auf der menschlichen Natur beruhende Gesetz­ mäßigkeit“ (127). Um die „echte Marktwirtschaft als Feld der Freiheit, der Spontaneität, der individuellen Verantwortung und der unkommandierten Ordnung“ sicherzustellen, hält W. Röpke die Beachtung einer zweifachen „natür­ lichen Ordnung“ der Wirtschaft und ihrer Kombination für notwendig, „in der die Marktwirtschaft im Rahmen einer natürlichen Ordnung4und eine natürliche Ordnung4als Rahmen der Marktwirtschaft empfohlen wird“. Gemeint ist hier die „natürliche Ordnung“ als Ergebnis einer dezentralistischen Gesellschafts- und Kulturkritik und als wirtschaftsimmanenter Preisautomatismus. Röpke sieht in der Kombination von Marktwirtschaft und „natürlicher Ordnung“, in dem doppelten Sinne „einer naturgemäßen, sozio-biologisch richtigen Einbettung des Menschen und des ,ordre naturel4 einer wohlgeordneten und wohleingehegten Markt­ wirtschaft“ die beiden Säulen eines neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsdenkens, das sich von dem allgemeinen philosophischen Schema des neunzehnten Jahr­ hunderts mehr oder weniger vollständig gelöst habe ( o 4 ; g 226, 230ff.). Wie bereits im 3. Kapitel (2 c) und im 1. Kapitel (lc) erwähnt wurde, liegt im unbewiesenen Dogma von der Naturordnung des Wettbewerbs eine der wesent­ lichen Stützen der gesamten neoliberalen Argumentation zugunsten des sittlich­ normativen und daher verpflichtenden Charakters der Wettbewerbsordnung, von der noch die Rede sein wird. Offenbar spielt hier auch der Darwin*sehe Gedanke

384

Formalistische Wirtschaftsethik

vom natürlichen Ausscheidungskampf innerhalb der organischen Schöpfung, der im naturgesetzlichen Selbsterhaltungstrieb gründet, eine Rolle. Daß sich übrigens im Eucken’schzn Gedankengang insofern ein Widerspruch findet, als er neben den starken Tendenzen zur „vollständigen Konkurrenz“ mit gleichem Nach­ druck — eben um die Notwendigkeit der Ordo-Idee nachzuweisen — auch den tiefen Trieb zur Beseitigung der Konkurrenz und zur Erwerbung von Monopol­ stellungen betont, der seiner Ansicht nach überall und zu allen Zeiten lebendig ist, sei nur am Rande bemerkt. Nach Eucken ist dieser „Hang zur Monopol­ bildung“ ein universales Faktum, mit dem alle Wirtschaftspolitik zu rechnen habe, denn Anbieter und Nachfrager suchten stets, wo immer es möglich ist, Konkurrenz zu vermeiden und monopolistische Stellungen zu erwerben oder zu behaupten; jeder, ob Arbeitgeber, Anbieter, Nachfrager oder Arbeiter, erspähe Möglichkeiten, um Monopolist zu werden (h 31). Wie der Wirtschaftsalltag zeigt, ist jedoch hierbei nicht nur der Machthunger, sondern weit mehr noch das universale, naturhafte Streben nach Selbsterhaltung, Selbstschutz und Sicherheit, das zu organisatorischen Zusammenschlüssen drängt, maßgebend. Hinzukommt, daß Eucken die Zunahme und Verschärfung der Substitutions- oder Surrogat­ konkurrenz, d. h. der unvollkommenen, monopolistischen Konkurrenz, gleich­ falls als „universale Erscheinung“ wertet, die überall in der Wirtschaft mitbe­ stimmend sei (h 228 f.). Der Widerspruch, auf den W. Dürr hinweist (155f.), besteht darin, daß Eucken einerseits die „zunehmende Konkurrenz“ (e 16) auf die Substitutionskonkurrenz zurückführt, andrerseits die allgemeine „Tendenz zur vollkommenen Konkurrenz“ verteidigt. Die hiermit ausgesprochene Identifi­ zierung der beiden verschiedenen Konkurrenzformen führt notwendig zu einer theoretischen Verwirrung. Die Frage, welche der beiden Tendenzen stärker ist: ob die Gravitation zur vollständigen Konkurrenz oder ihre Abwehr durch den universalen Hang zur Monopol- und Kartellbildung, dürfte durch die praktische Erfahrung mit der heute vermachteten Wirtschaft beantwortet sein. c) W i r t s c h a f t s o r d n u n g als f u n k t i o n a l t h e o r e t i s c h e r G l eic hg ew ic hts ­ zustand Wie bereits im 4. Kapitel (3 a und b) klargestellt wurde, ist für den neoliberalen Ordnungspolitiker Ordnung identisch mit dem Gleichgewichtszustand, der durch Koordinierung und Proportionalität der Kräfte erreicht werden soll, ganz deutlich übrigens auch für M. Hättich, der zudem Wettbewerbsordnung und Wirtschaftsordnung miteinander identifiziert (104f., 169f.). Der neoliberale Ordnungspolitiker ist daher nach F . Böhm im Grunde stets Gleichgewichts­ theoretiker (1 111; vgl. 3. K., 2c). „Unser Wirtschaftssystem ist anarchisch, aber nicht chaotisch“, erklärt W. Röpke ; das Bestehen einer Ordnung trotz Anarchie

Begriflsnommalismus der neoliberalen Ordo-Idee

385

(einer spontanen Ordnung) sei nicht nur erstaunlich, vielmehr hätten wir den Eindruck, die Eigenart unseres Wirtschaftslebens lasse die spontane Ordnung einer kommandierten Ordnung als grundsätzlich überlegen erscheinen (d 19; vgl. 6. K., 1 b). A . Müller-Armack sieht gerade in der Tatsache, daß die neoliberale Begriffsordnung nicht durch politische Gewalt hergestellt, sondern „indirekt durch die Gesetze des Wettbewerbs erzeugt wird“, den geistigen Charakter des Ordo-Begriffes begründet (k 79). C. Bresciani-Turroni sucht den eigentlichen Grund für die einseitig funktionaltheoretische Beinhaltung des Ordo-Begriffs in der Tatsache, daß der Gedanke eines Gleichgewichts wirtschaftlicher Tatsachen innerhalb eines freiheitlichen Systems, nachdem nun einmal der teleologische Begriff einer natur- oder gottgewollten Ordnung fallen gelassen worden war, gerade von den Nationalökonomen aufgegriffen, immer mehr vervollkommnet und zu einem mathematischen Begriff umgewandelt worden sei (49). Mit anderen Worten: An die Stelle des deistischen Glaubens an die providentielle Wirtschaftsharmonie tritt der säkularisierte Glaube an die Gleichgewichts­ tendenzen des Marktmechanismus, dem man, wie H . Ritschl bemerkt, den höchsten Nutzkoeffizienten beimißt (c 238f). Die Naturgesetze des Gleichge­ wichts stellen nach L . Mikscb jene Potenzen dar, die im Rahmen einer voll­ kommenen Wirtschaftsordnung die ungeheure Kraft der wirtschaftlichen Selbst­ sucht zugunsten des Gesamtwohles zu bändigen imstande sind (c 3). „Kraft der Gleichgewichtsautomatismen des Marktes, auf die wir mit Recht große Stücke halten“, erklärt W. Schreiber, „kommt alles ganz von selbst“ und zwar auf Grund „kreislaufgesetzlicher Notwendigkeit“ im Rahmen eines „mit Sicherheit“ ein­ tretenden marktgesetzlichen Ablaufs. Die Marktwirtschaft brauche, um sozial zu sein, nicht an sozialpolitischen Krücken zu gehen (c 50; d 694, A. 5). Die alte Harmoniethese ist also durch das Gleichgewichtsdogma ersetzt worden, insofern der abstrakte Gleichgewichtszustand als harmonischer, die allgemeine Wohlfahrt verbürgender Zustand interpretiert wird (vgl. 3. K., la, 2a und c). Zu s a m m e n fa s s u n g und Stellungnahm e (zu 1) Individualistisch-funktionaltheoretische Entleerung des Ordo-Begriffs In dem von den Neoliberalen herausgestellten funktionaltheoretischen Gleich­ gewichtsdogma konkretisiert sich der individualistische Abfall der liberalen Nationalökonomie vom sozialethisch determinierten Gemeinwohlbegriff. Für das neoliberale Ordnungswollen handelt es sich nur noch darum, bestimmte Ord­ nungsformen zu realisieren, in deren Rahmen sich nach W. Euchen ein Harmonie­ zustand von selbst einstellt (h 355, 360, 366ff.). Der wirtschaftsimmanente, kausal-mechanische Charakter dieser Ordnungskonzeption, die ohne jegliche

386

Formalistische Wirtschaftsethik

transzendente Wertbezogenheit in den engen Grenzen funktionaltheoretischer Betrachtung verbleibt, ist nicht zu übersehen. Die neoliberale Ordo-Idee mit Eucken „als sinnvolle Zusammenfügung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen“ (f 239) interpretieren zu wollen, ist deshalb unzutreffend, weil weder über das wirtschaftliche Ganze noch über seinen Sinn vom neoliberalen Standpunkt aus eine verbindliche Aussage gemacht werden kann, ganz abgesehen davon, daß objektiv gültige Kriterien für die „richtige“, sinnvolle Wirtschaftsordnung nicht anerkannt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Ordo-Begriff der Scholastik, auf den sich gerade die Freiburger Schule beruft, und dem in den ver­ schiedensten Bedeutungen schillernden Begriffsnominalismus ihrer Ordo-Idee springt in die Augen. Von der geistigen Architektonik des thomistischen Ord­ nungsbildes, die jede Einzelaktion ebenso wie alle Kultursachbereiche in das Ordnungsgefüge der theozentrisch determinierten sittlichen Gesamtordnung eingefügt wissen will, ist im Individualismus des neoliberalen Ordnungsdenkens nur eine leere Gleichgewichtsformel übriggeblieben. A . Müller-Armack gibt diesen Sachverhalt offen zu mit der Bemerkung, bei den Theologen bestehe die Neigung, den Ordo-Begriff doch in einem inhaltlich ausgefüllten Sinn zu nehmen (k 79). Ordnung als teleologisch determiniertes Gliederungsgefüge Nach realistischer Auffassung ist Ordnung wesentlich ein dynamischer Begriff, der sich in seiner ganzen Bedeutung erst beim Wirken, bei der Entfaltung und Voll­ endung der geschaffenen Dinge erweist. Das Ziel, die causa finalis, fungiert hierbei als einheitsschaffende, formale und ordnende Kraft. Die ordnungspolitische sinnvolle Einheit in wohlgegliederter Vielheit ist daher wesentlich mehr als nur das kausal-mechanische, kollektive Additions- oder Wechselwirkungsergebnis einer Vielzahl von Einzelaktionen (vgl. 4. K., 3b; 5. K., 2b). Der Charakter des teleologisch determinierten Gliederungsgefüges, innerhalb dessen das Einzelglied und jede Einzelaktion eine bestimmte Aufgabe im Dienste des Ganzen zu erfüllen haben, ist für jede echte Ordnung wesentlich. Die Rechts- und Wirtschaftsordnung steht unter dem obersten sozialphilosophischen Gesetz: das Gemeinwohl muß gewahrt werden. Insofern ist das Gemeinwohl unter verschiedenen Aspekten zugleich Ziel und Ordnung. Mit anderen Worten : Die Teleologie ist es, die dem Ordnungsganzen den „geistigen Charakter“ verleiht, den A . Müller-Armack vergeblich vom Wettbewerbsmechanismus her zu begründen sucht (k 79).

Begrifisnomioalismue der neoliberalen Ordoldee

387

Wettbewerb als relatives Vernunftprinqip Der Wettbewerb ist entgegen der neoliberalen Auflassung keinNaturgesetz,daihm der Charakter des Wesenhaften und Naturnotwendigen fehlt. Im Gegensatz zur positivistisch-nominalistischen Auffassung, die in der neoliberalen These an­ klingt und die im erkannten Naturgesetz nur ein gewisses, der besseren Verständ­ lichkeit halber vorgenommenes Zusammenordnen von natürlichen Vorgängen sieht, beziehen sich nach realistischer Auffassung Naturgesetze stets auf wirkliche Kausalzusammenhänge innerhalb des Naturgeschehens. Sie erlauben daher, unter Annahme bestimmter Vorbedingungen, entsprechende Vorausberechnungen. Die wettbewerblichen Verhaltensweisen sind jedoch keineswegs apriori mit dem Wesen des wirtschaftenden Menschen gesetzt, weshalb ihnen auch nicht der Charakter der Notwendigkeit eignet. Hinzukommt, daß die Voraussetzung der für ein Naturgesetz typischen stetigen Gleichheit, Meßbarkeit und Voraus­ berechnung: die gleichen Bedingungen, gerade beim Wettbewerb in keiner Weise vorhanden sind. Die wissenschaftliche Durchleuchtung des Wettbewerbs hat ergeben, daß das wettbewerbliche Verhalten in der Praxis weitgehend auch von anderen, unberechenbaren Wirkursachen bedingt wird, als sie für die reine Modelltheorie bestimmend sind. Der Wettbewerb kann daher nicht als verbindliche Naturordnung gewertet werden, sondern nur als ein Komplex von Vernunftregeln, als ein Vernunft­ gesetz, das seine Begründung aus dem Wirtschaften als menschlich-personalem Geschehen entnimmt. Als solcher ist er nur ein relatives Koordinierungsprinzip, das der endgültigen Beinhaltung und Normierung durch das volkswirtschaftliche Gesamtziel bedarf. Wirtschaftliche Notwendigkeiten werden, wie E . Egner zu Recht bemerkt, vor dem Forum der Vernunft eingesehen. Indem die Menschen sich danach richten, entstehen Wirtschaftsgesetze. Die gegebenen Wirtschafts­ gesetze sind daher nur Folgerungen, die aus dem Verständnis der gemeinsamen Wirtschaftsaufgabe und der daraus resultierenden Einsicht in das eigentliche Wesen der Wirtschaft abgeleitet werden. Ihr Eigensein ist notwendig begrenzt, denn sie unterliegen als Gesetzmäßigkeiten in der Welt des Sozialen auch allen Notwendigkeiten, die für den sozialen Raum verbindlich sind, ein Gesichts­ punkt, der für die erforderliche Ordnung des Wettbewerbs relevant ist (a 114,117, 120f.). Aus diesem Grunde ist es unmöglich, was K. P. Hensel gegenüber betont werden muß, das „naturgesetzliche“ Sein des Wettbewerbs als ontologische Basis für ein daraus angeblich resultierendes verbindliches „Sollen“ heranzu­ ziehen (vgl. 3. K., 2c).

388

Formalistische Wirtschaftsethik

2. Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprin^ip der Wirtschaft a) D ie ,,neue O r d n u n g s i d e e “ Korrektur des altliberalen optimistischen Unbedingtheitsglaubens Wie auf neoliberaler Seite, speziell von A. Rüstow, immer wieder betont wird, be­ stand der „Kardinalfehler“ der Laissez-faire-Epoche in dem optimistischen Unbedingtheitsglauben, wonach der freie Wettbewerb als „natürliches“ Ordnungs­ prinzip von sich aus das ordnungspolitische Optimum der allgemeinen Wohlfahrt herbeiführen könne (b 40ff.; c 40, 87, 129). Diesem durch die wirtschaftsge­ schichtliche Entwicklung widerlegten Optimismus stellt der Neoliberalismus seine Konzeption entgegen, die als neue Ordnungsidee nach W . Röpke zugleich die „neue Note“ (i 142; g 216) des Liberalismus schlechthin beinhaltet. Sie besteht, wie wir von Röpke bereits gehört haben, für die neoliberalen Theoretiker darin, die „fehlende Integrationskraft“ (c 45) der freien Konkurrenz klar erkannt und die ordnungspolitischen Konsequenzen daraus gezogen zu haben. Um zu verhindern, daß das „Individualprinzip“ im freien Wettbewerb zu seiner Selbst­ aufhebung führt, muß ihm nach W. Euckens Ansicht durch „ordnende Potenzen“ in Form von „konstituierenden und regulierenden“ Prinzipien (h 55) ein sichernder Rahmen geschaffen werden, der zugleich dem „Sozialprinzip“ Rechnung trage. Nach neoliberaler Überzeugung ist der Wettbewerb demnach nicht ein Natur­ gewächs, sondern eine Kulturpflanze, wie W. Röpke sich ausdrückt (zit. bei V. Nell-Breunings p 218). Der Staat als „ Veranstalter“ und „Platzhalter“ des Wettbewerbs Der „Ruf nach dem starken Staat“ bzw. nach einer autoritären Wirtschafts­ politik, die F. Böhm^ wie sich im 5. Kapitel zeigen ließ, nach dem Motto: „Alles hört auf mein Kommando“, auf den „demokratischen Marktbefehlen“ des Wirtschaftsministers aufgebaut wissen will (c 57), ist für die Realisierung des Ordo-Programms entscheidend. Nach W. Röpke besteht die Aufgabe des Staates allerdings nur darin, das Feld der wirtschaftlichen Freiheit wie ein Spielfeld streng abzustecken, ihre Bedingungen — sozusagen als Spielregeln — sorgfältig zu bestimmen und als „robuster Schiedsrichter“ in unparteiischer Strenge für die Respektierung dieses Rahmens der Marktwirtschaft (des Spielfeldes wie der Spielregeln) zu sorgen, ohne jedoch selbst mitzuspielen (i 142). Was der Staat installiert, ist nicht, wie H . Moeller bemerkt, das Ergebnis staatlichen Zweck­ denkens, denn die Marktapparatur ist unwandelbar und „will nicht wechselnden Zwecken hörig sein“ (b 227). Als „Platzhalter des Wettbewerbs“ hat der Staat

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

389

nach F. Böhm nur die Rolle und Funktion des Wettbewerbs zu übernehmen, indem er die Marktbedingungen so festsetzt, wie sie sich im funktionsfähigen Wettbewerb eingependelt haben würden (b 162). Der funktionsfähige Wettbewerb als »wesentliches Ordnungsprinzip“ der Marktwirtschaft Das angeblich „Neue“ dieser Konzeption besteht also praktisch darin, daß der Wettbewerb nur freigemacht, nur „veranstaltet“ und institutionell gesichert zu werden braucht, um seine für die gesamte Wirtschaft entscheidende Ordnungsfunktion erfüllen zu können. Der Wett­ bewerb gilt nach W. Eucken eindeutig als „wesentliches Ordnungsprinzip“ der Wirtschaft (f 241) oder, wie A . Müller-Armack betont, als „gesamtwirtschaft­ liches Prinzip“ (e 297), das durch entsprechende Politik „als stimulierende Kraft und soziologisches Organisationsmittel wieder in sein Recht zurückversetzt“ werden soll (d 297). Für L . Erhard ist das Wettbewerbsprinzip ebenfalls „ein aus sich heraus wirkendes Ordnungselement des marktwirtschaftlichen Geschehens“ . Es sei keineswegs so, daß die Konkurrenz von außen her geordnet werden müsse. Für den Kern des Wirtschaftslebens, insbesondere für die Industrie und den Handel, müsse das Wettbewerbsprinzip als Motor der wirtschaftlichen Dynamik „unbedingt und ohne Einschränkung “gelten (g 66ff.). Nach M. Hättichs Ansicht ist der Wettbewerb als gesellschaftliches Organisationsprinzip zugleich „Inhalt der Ordnung“ (168), wie sie für die Marktwirtschaft erstrebt wird. Wie wir bereits wissen, wird die Wiederherstellung der „plebiszitären Demokratie“ (Böhm, d 51) des funktionsfähigen Preissystems nach W. Eucken als die „Haupt­ sache“, als „Schlüsselstellung“ und als der „strategische Punkt“ gewertet, „von dem aus man das Ganze beherrscht“ (h 255). Eine „neue Harmonieerwartung“ {Böhm, f 195 f.) im Sinn einer „geräuschlosen“ Koordination {Röpke, i 95) hat Platz gegriffen, die sich vom optimistischen Glauben an die Selbstverwirklichung der „prästabilierten Harmonie“ zur Notwendigkeit einer wirtschaftspolitischen „Veranstaltung“ derselben hinentwickelt hat {Böhm, f 193, 198), sich aber nur in der unverfälschten Wettbewerbswirtschaft verwirklichen läßt. Daß hierbei nicht von einem revolutionären Wandel der liberalen Idee, sondern günstigenfalls nur von einer ordnungspolitischen Modifikation des Laissez-faireOptimismus die Rede sein kann, ist schon hervorgehoben worden (4. K., 3 a). Dieser Sachverhalt wird u. a. auch von M. Hättich (170) völlig übersehen. Im Ver­ gleich zum a^ en Liberalismus hat die vielzitierte ordo-liberale Prädominanz des Institu­ tionellen weder in der wirtschaftspolitischen Zielsetzung noch in der Prinzipienwahl noch in der Harmonie-Interpretation eine grundsätzliche Umorientierung zur Voraussetzung. Für den alten wie für den neuen Liberalismus trägt derfreie Wettbewerb sein eigenes Ordnungsgesetz in sich, das, wie J. Messner hervorhebt, angeblich kraft der Selbstregulierung des freien

390

Formalistische Wirtschaftsethik

Kräftespiels automatisch das Optimum der allgemeinen Wohlfahrt realisiert (vgl. j 789). Im Grunde handelt es sich bei der „neuen Ordo-Idee“ faktisch nur darum, die „ungestüme Renaissance“ altliberaler Ideen, von der W. Röpke spricht (g 215), ordnungspolitisch zu gewährleisten. Wo es sich um Ordnungsprinzipien handelt, gibt es nach Röpke keinen Mittelweg oder Dritten Weg, sondern in „strenger Ausschließlichkeit“ nur die Wahl zwischen dem Preisautomatismus oder der behördlichen Befehls Wirtschaft (i 93). b) T o t a li tä t sa n s p r u c h der W e t t b e w e r b s o r d n u n g „ Universaler“ Charakter der Wettbewerbsordnung Die naturgesetzliche Interpretation des Wettbewerbs bedingt folgerichtig ein weiteres, für das gesamte System fundamentales Dogma, das F . Eulenburg be­ sonders hervorhebt. Demnach kommt der Wettbewerbsordnung, wie jeder natürlichen Ordnung, ein „Anspruch auf Totalität“ zu. Darum müsse in allen menschlichen Bereichen möglichst Einheitlichkeit der Organisationsformen gewahrt werden (29). Jegliche Ordnung des Wettbewerbs von übergeordneten Gesichtspunkten her wird als Verfälschung betrachtet und abgelehnt. Nach A . Müller-Armack ist der Neoliberalismus „eigentlich Wettbewerb durch Markt­ ordnung und nicht Ordnung des Wettbewerbs“ (k 79). Der naturgesetzlich begründete Totalitätsanspruch der Wettbewerbsordnung bietet die ideo­ logische Basis für die wichtigsten neoliberalen Thesen, die wir bereits kennengelernt haben. Der Primat der Wirtschaftsfreiheit, der neoliberale Prinzipienmonismus, die Prädominanz der ökomonischen Sachgesetzlichkeit, der Formalismus der reinen Marktkonformität und des Marktgehorsams, das Gesetz von der Interdependenz aller Ordnungen, die Hypothese von der Transformation der Ordnung bei allen „Mischformen“, die ökonomische Begründung der gesellschaftlichen Strukturund Sozialpolitik : all diese Axiome sind im Grunde nur von der Annahme her zu verstehen, daß die Wettbewerbsordnung als vorgegebene freiheitliche Natur­ ordnung universalen und darum unantastbaren Charakter besitze. Augenschein­ lich findet auch W. Röpkes Behauptung, die Markt- und Wettbewerbswirtschaft sei diejenige Wirtschaftsverfassung, „mit der unser ganzes Gesellschaftssystem steht und fällt“, und darum „geradezu eine Schicksalsfrage unserer Zivilisation“ (c 85, 45), sowie W. Euckens These, wer sich für die Wettbewerbsordnung ent­ scheidet, entscheide sich damit zugleich „für ganze große Lebensbereiche“ (h 371), hier ihre Begründung.

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

391

Gren^verwischung \wischen Modelltbeorie und Wirklichkeit Die unhaltbare ideologische Verabsolutierung der Wettbewerbsordnung als vorgegebene latente Naturordnung hat auf neoliberaler Seite zu einer häufig feststellbaren Grenzverwischung zwischen reiner Modelltheorie und wirtschaft­ licher Wirklichkeit geführt. Es wird zwar zugegeben, daß die Modellforschung selbstverständlich nur eine heuristisch-didaktische Aufgabe zu erfüllen hat, und daß eine dogmatische Übertragung ausgesprochener Modellerkenntnisse auf die faktische Wirtschaft wissenschaftlich nicht annehmbar ist {Achterberg — MuthesiuSy Ordo IV, 414). Wie sieht aber das wissenschaftspraktische Verhalten der Neoliberalen aus ? Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten: Die reine Theorie, die jede Einbeziehung von Zwecken und daher auch von menschlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und sittlichen Werten ausschließt, stellt sich zur Aufgabe, nur die wesenhaften Wechselbeziehungen der wirtschaftlichen Faktoren in ihrer Bedingtheit durch die Knappheit zu untersuchen. Als theoretische Untersuchung, die sich ausschließlich mit den Gesetzen, mit der „Physik“ des sozial wirtschaftlichen Prozesses befaßt, hat sie für die schulische Erfassung und Durchdenkung vereinfachter Probleme einen bedingten Wert. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die modell­ gemäße „vollständige Konkurrenz“ rechnen: Unabhängigkeit der Preise, Homo­ genität der Gütertypen, Tauschfreiheit, vollständige Elastizität des Angebotes und der Nachfrage, vollkommene Markttransparenz. Die wirtschaftliche Leistungs­ überlegenheit des Wettbewerbsmodells wird von den Neoliberalen in dogmatischer Form zurückgeführt auf die maximale Knappheitsüberwindung mit Hilfe des Wettbewerbspreises als funktionsfähigem Knappheitsindikator; auf die These von der Unmöglichkeit einer brauchbaren Wirtschaftsrechnung im zentralgelenkten Wirtschaftssystem; auf die angebliche Unübersehbarkeit cfes Wirtschaftsganzen für eine lenkende Instanz. Da bei der heutigen arbeitsteiligen, schwerfälligen und vermachteten Großwirt­ schaft die obengenannten Bedingungen mehr denn je geschwunden sind bzw., wie E . Küng bemerkt, durch Fehlleistungen des Marktmechanismus und zahlreiche Konfliktsmöglichkeiten über kompensiert werden (283 ff.), ist die Einstellung zu diesem in jeder Beziehung unwirklichen und ungeschichtlichen Modell auf neo­ liberaler Seite nicht einheitlich. F. Böhm hält die reine Realisierung dieser gedank­ lichen Konstruktion wegen prinzipieller Schranken und immanenter Mängel weder für möglich noch für wünschbar (k 88), während F. A . Hayek die vornehmliche Beschäftigung mit diesem Modell als geradezu irreführend und gefährlich be­ zeichnet (d 134). W. Euckens Argumentation ist jedoch ganz nach der „voll­ ständigen Konkurrenz“ hin ausgerichtet. Sie bildet die eigentliche Dominante

392

Formalistische Wirtschaftsethik

seines wirtschaftspolitischen Systems, obwohl sie als „Idealtypus“ und gedank­ liches Modell einzelwirtschaftliche Realität nicht abbildet (f 322ff.; d 23; h 246f.). Die vielkritisierte Starrheit seines wirtschaftspolitischen Systems hängt damit zusammen. Die grundsätzliche Frage ist die, ob der Untersuchung und realistischen Deutung der wahren Sachzusammenhänge der mannigfaltigen Konkurrenz mit den theoretischen Resultaten eines unwirklichen, statischen Denkmodells gedient ist und ob es überhaupt einen Sinn hat, die Marktform der „vollständigen Konkurrenz“ autoritär im Zeichen des Ordo-Gedankens veranstalten zu wollen, was W. Dürr mit Recht entschieden verneint. Ebenso problematisch ist es seiner Ansicht nach, mit einem Idealtyp als „Konstruktivmodell“ ein bestimmtes wirtschaftliches Handeln zwangsläufig verketten zu wollen (153,157. ; vgl. 6. K., 1a). D . Dämmers Bemerkung, modelltheoretische Untersuchungen innerhalb der modernen Nationalökonomie seien vielfach Selbstzweck geworden, da es sich oft nur mehr darum handle, logisch einwandfreie Ableitungen zu treffen, ohne Rücksicht darauf, ob sie Bedeutung für die Wirklichkeit haben und dem gesell­ schaftlichen Charakter der Wirtschaft gerecht werden, ist nicht von der Hand zu weisen (149 f.). Wie unrealistisch tatsächlich der Formalismus der reinen Markt­ konformität und das Ergebnis des intendierten modelltheoretischen Verteilungs­ mechanismus in sozialpolitischer Hinsicht sind, ist im dritten Kapitel ausführlich dargelegt worden. Die modelltheoretische Voraussetzung, auf der der Neolibera­ lismus seine Wirtschaftsordnung aufbaut, daß der Wettbewerb sich nur zwischen Unternehmern abspielt, während alle Nichtunternehmer faktisch nur als Objekte der Wirtschaft behandelt werden, spielt hierbei, wie O. v. Nell-Breuning unter­ streicht (t 65 f.), eine bestimmende Rolle. R. Lötventhal bezeichnet daher den Neoliberalismus als einen utopisch-mythischen, hypothetischen Liberalismus, der an die Stelle des naturrechtlich-deistischen Liberalismus getreten sei (1283). Wie H . Ritschl treffend sagt, wird der Begriff der Wirtschaftsordnung unter den Händen der neoliberalen Wirtschaftslehre zu­ nehmend selber zu einer „Zweckkategorie“, ohne daß die Frage befriedigend geklärt wird, welche politischen und geschichtlichen Kräfte sie zu verwirklichen imstande ist (c 239 f.). G. Weippert vertritt deshalb die Notwendigkeit eines anderen Theorie-Typus, der nicht nur, wie in den Spekulationen W'. Euchens, auf der Seite der Ratio und Logik steht, sondern in der geschichtlichen und sozialen Wirklichkeit sein entscheidendes Kriterium anerkennt (f 277f.; vgl. 6. K., la). Modellgesetze sind logische Denkgesetze, die auf „Als-ob-Erkenntnissen“ eines rationalen Schemas basieren. Als abstrakte Denkergebnisse sind sie von den Wesens- und Strukturgesetzen der wirklichen Wirtschaft klar zu unterscheiden.

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

393

Sie können als solche weder das wesenhafte „Quäle“ der Gesellschaftswirtschaft erfassen noch echte Einblicke in die Wirtschaftswirklichkeit bieten, da sie trotz ihres „Richtigkeitswertes“ wegen fehlender Wirklichkeitsnahe keinesfalls „Wahrheitsgehalt“ , d. h. Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, für sich bean­ spruchen können. Wertet man nun das Denkmodell der „vollständigen Konkur­ renz“ als aus der Natur der Sache heraus verbindliches Leitbild der Marktver­ fassung, das von sich aus jeden lenkenden Eingriff verbiete, oder das ökonomische Rationalprinzip und das Erwerbsstreben als schlechthin allgemeinen Antrieb des tatsächlichen Wirtschaftslebens, wie wir es auf neoliberaler Seite festgestellt haben, dann werden modelltheoretische Denkgesetze als Wirklichkeitserkenntnisse, als empirische Sätze ausgegeben und verabsolutiert, wie G. Weippert (b 294f., 297 f., 305 f.) und G. Wetsser (b 606) mit Recht kritisieren. Der Fehler liegt im Philosophischen und %war in der mangelnden Kenntnis der Analogie. Ganz abgesehen davon, daß hier gegen jede Logik Prämissen der Modelltheorie in wirtschaftspolitische Maximen umgedeutet werden: die neoliberale Beweis­ führung setzt damit das zu Beweisende voraus, wenn sie didaktisch vereinfachte Modellgesetze zu Postulaten der praktischen Wirtschaftspolitik erhebt. Es wird zudem nicht beachtet, wie O. v. Nell-Breuning zu Recht betont, daß Schlüsse aus gedanklichen Modellen auf die konkrete Wirklichkeit kein bloßes Herabsteigen von einem höheren auf einen niederen Abstraktionsgrad, sondern einen nur bei größter Vorsicht in den Grenzen der Analogie statthaften Abstieg in ein anderes Genus bedeuten, wenn man sich des Wertes derartiger Modelle richtig bedienen will (n 399). Der Theoretiker, der dies übersieht, überspringt, wie E. Böhler bemerkt, die vielen Glieder der Annäherung an die Wirklichkeit, die nötig wären, damit überhaupt eine verantwortliche Aussage gemacht werden könnte, indem er Normen für die Praxis aufstellt, ohne sich dessen bewußt zu werden, daß es sich hier um zwei verschiedene Welten handelt und daß das hypothetische Gleichge­ wicht vom Gleichgewicht der wirklichen Wirtschaft verschieden ist (f 71). Die „berüchtigte Metabasis aus dem Denkmodell in die erheblich anders ausschauende Wirklichkeit“, die O. v. Nell-Breuning als die „Erbsünde der Nationalökonomie“ bezeichnet (m 88), macht sich in verhängnisvoller Weise auch in der neoliberalen Wirtschaftstheorie geltend. Diese „Art Begriffsrealismus“, die sich nach Böhler aus der Identifizierung von Theorie und Wirklichkeit ergibt (f 71), ist noch insofern bemerkenswert, als sie an sich den nominalis tischen Denk Voraussetzungen des Neoliberalismus widerspricht.

394

Formalistische Wirtschaftsethik

Apologetischer Charakter der Wettbewerbstheorie Die fundamentale nominalistische Zwiespältigkeit des neoliberalen Systemdenkens spiegelt sich in der Ordnungs-Konzeption wieder. Dies zeigt sich daran, daß die Diskrepanz zwischen dem rein theoretischen Ordnungsbegriff der Eucken'sehen „Grundlagen“ und dem normativen Ordo-Begriff der Publikationsreihe „Ord­ nung der Wirtschaft“ nicht genügend beachtet wird. Wie H . Peter zu Recht hervorhebt, gerät die ganze neoliberale Begriffsbildung dadurch ins Zwielicht, daß immer mit dem Gedanken gespielt wird — ganz deutlich z. B. im Buche von L. Miksch „Wettbewerb als Aufgabe“ —, es sei der Wettbewerb das Wesen der Ordnung im normativen Sinne, während er in Wirklichkeit nur der Grundzug des Wesens ganz spezieller Marktmodelle ist (1 753). Aus theoretischen Sätzen Ordnungsnormen ableiten zu wollen, führe notwendig zu Fehlschlüssen, von dem Mißbrauch der Theorie ganz abgesehen, der sie nur in den Verdacht bringe, praktischen liberalen Forderungen und Interessen den wissenschaftlichen Nimbus zu verleihen (d 356, 367; e 239). Wie im alten Liberalismus, so erhält auch im Neoliberalismus die Theorie einen stark „apologetischen“ Charakter, was H . Ritscht ebenfalls kritisiert (c239). Auch bei der umstrittenen Schrift W. Schreibers über die Vermögensbildung kann sich der unvoreingenommene Leser nicht des Eindrucks erwehren, daß es sich hierbei, was ihre Grundkonzeption betrifft, um eine ausgesprochene Interessentenideologie handelt. c) Si ttl i c h -n o r m at i v er C ha ra k ter der W e t t b e w e r b s t h e o r i e Der Markt als „moralische Korrektionsanstalt“ Von der Verabsolutierung der Wettbewerbsordnung als vorgegebene Natur­ ordnung ist kein weiter Schritt zur Ethisierung der Wettbewerbstheorie, die sich aus der normativen Behandlung des Wettbewerbsmodells zwangsläufig ergibt. Wie F. Böhm bemerkt, gehört es zur Aufgabe der Wirtschaftspolitik, „dem Gedanken des Ordo die ihm zukommende geistige und sittliche Autorität zu verschaffen“ (e LXII). K. P. Hensel sucht, wie gezeigt wurde, das ethische „Soll“ zum Wettbe­ werb und die „wesensmäßige Rangordnung“ des Ordnungsgrundsatzes Wett­ bewerb vor der Idee der sozialen Gerechtigkeit aus dem „Sein“ des Wettbewerbs als Naturordnung abzuleiten (266f.). Für W. Röpke ist die funktionsfähige Wett­ bewerbsordnung mit einer „vernünftigen und moralischen Ordnung der Markt­ wirtschaft“, die dem „Abenteuer des Kollektivismus“ gegenübersteht, identisch. Das ordo-liberale System sei allerdings nur aufrecht zu erhalten, wenn der Wider­ streit der Interessen, soweit er durch eine veredelte Wirtschafts moral nicht bereits in erträglichen Schranken gehalten werde, in einer ständig wirksamen und

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

395

lauteren Konkurrenz seinen Ausgleich finde. Den wirksamen „Appell an das Gewissen“ hält er für unerläßlich, da der Gleichklang der Interessen als „Frage der Moral“ nicht auf mechanischem Wege zu verwirklichen sei (b 203 f.). Seiner Ansicht nach läßt sich auf diesem Wege das erreichen, was der Laissez-faireLiberalismus allein durch intellektuelle Aufklärung und durch wissenschaftlichen Appell an den Verstand glaubte durchsetzen zu können: der Markt als „moralische Korrektionsanstalt“ (b 200). Zu den wesentlichen Bedingungen und Grenzen, unter denen wir den moralischen Grundlagen der Marktwirtschaft vertrauen dürfen, gehört nach Röpke in erster Linie der Schutz des Wettbewerbs gegen die ökonomistischen Tendenzen seiner Verfälschung, Einschränkung und Entartung (° 4). F'. Böhm sieht daher in der Teilnahme am Wettbewerb eine „sozial- und wirt­ schaftspolitische Ehrenpflicht, genau wie das Wahlrecht“. Die „Moral“ der freien Verkehrs Wirtschaft, die ein Unterliegen im Wettkampf, auch das unver­ schuldete, mit dem Verlust der Existenz bestraft, liegt seiner Ansicht nach in der „Höhe des Wetteinsatzes“ , in der „Übernahme einer so großen Gefahr“, denn sie biete dafür „das Äquivalent der Freiheit, der Erfolgschancen und der schöpfe­ rischen Befriedigung“ (b 122, 126). Wettbewerbsordnung als „sittliche Aufgabe“ und „Gewissensfrage“ Obwohl A . M üller-Armack betont, daß keine Ordnung als solche schon sittlich sei, weshalb die Marktwirtschaft nur als instrumentales Mittel zu gelten habe (i 33 ; c 147), hebt er ebenfalls die öffentliche „Pflicht zum Wettbewerb“ hervor (e 297), was seinerseits eine normative Vorentscheidung zugunsten der Wettbewerbs­ ordnung voraussetzt. Dasselbe trifft auf K. P. Hensel zu, der die Realisierung der Wettbewerbsordnung ausdrücklich als „sittliche Aufgabe“ verstanden wissen will (267). W. Schreiber ist davon überzeugt, daß das „rätselhafterweise eintretende Gleich­ gewicht der Tausch- und Markthandlungen“ in der Wirtschaftsform der „voll­ ständigen Konkurrenz“ für uns Christen „interessant“ sei und zwar aus folgenden Gründen: In der „Preisgerechtigkeit“ des vollständigen Wettbewerbs lasse sich eine gewisse „immanente Ethik“, ein gewisser Automatismus der Gerechtigkeit „zum guten Ende hin“ — „als ein Gnadenakt Gottes vielleicht“ — feststellen. Aus den Wertmaßstäben aller Marktbeteiligten, die schließlich Sache des Ge­ wissens seien, bilde sich so etwas wie ein Wertmaßstab gesellschaftlicher Wert­ schätzung. Diese Harmonie sei das Produkt eines bewußten sittlichen Wollens und Handelns, wobei die einzelnen, kraft göttlicher Gnade, aber unter tätiger Mitwirkung durch Einsatz persönlicher sittlicher Kraft, eine eigene, das

396

Formalistische Wirtschaftsethik

Maximum von Harmonie verwirklichende Gesellschaft konstituieren. Hinzu­ komme, daß die Anerkennung der Freiheit schon ein „Wert an sich“ sei, der im christlichen Denken besonders hoch veranschlagt werde (b 22ff.). Der theologisch verbrämte Begriffsnominalismus dieser Argumentation, indem Begriffe wie: Gerechtigkeit, Harmonie, Ethik, Gewissen, Gnade, Freiheit, in isolierender Betrachtung durch den „vollständigen Wettbewerb“ normiert und damit relati­ viert werden, springt in die Augen. Obwohl Schreibers Beweisführung auf hypo­ thetischen Voraussetzungen fußt: „wenn vollständiger Wettbewerb herrscht“ , „wenn die Verteilung des Eigentums an Produktionsfaktoren als gerecht aner­ kannt wird“, leitet er dennoch praktische Postulate aus ihr ab. Für P. M. Boarman ist die Verdammung der „instrumentalen wirtschaftlichen Grundsätze“ des Liberalismus und die „Abkapselung vor der wirtschaftlichen Wahrheit“, daß durch sie faktisch Freiheit, Gerechtigkeit und Produktivität garantiert werde, ebenfalls eine Gewissensfrage (16 f.). Der freie Wettbewerb bedeutet eben, wie L . Erhard versichert, mehr als nur ein ökonomisches Prinzip (al). Was Erhard hier andeutet, hat W. Eucken, wie sich im vierten Kapitel zeigen ließ, klar formuliert, wenn er davon spricht, daß dem Marktgleichgewicht mehr als nur eine bloß ökonomisch-technische Bedeutung zukomme. Für ihn ist die Gerechtigkeit eine Frage des Marktgleichgewichtes (h 166). Er will damit sagen : Der im Gleichgewicht sich befindliche Markt stellt eine gerechte Ordnung dar, was M. Hättich mit der lapidaren Feststellung unterstreicht, von der obersten Norm der Gerechtigkeit her gebe es nur die Entscheidung für das Organi­ sationsprinzip des Wettbewerbs (173). Hier wird wiederum, wie H . Peter ein­ wendet, ein rein theoretischer Satz zum wirtschaftspolitischen Axiom erklärt, wobei das Rechtsprinzip inhaltlich durch die Gleichgewichtsthese und ihre Funktionsbedingungen ersetzt wird (n 732). In der gleichen Linie liegt Euckens an das Gewissen appellierender Vorwurf, daß die Wissenschaftler, die den Unter­ schied zwischen Konkurrenz und Monopol verwischen, „hiermit zugleich — meist ohne es zu wollen — bestimmten Interessengruppen“ dienen (f 101). Wettbewerbstheoretisch determinierte Soyialethik Das ganzheitliche, auf die Realisierung des funktionsfähigen Wettbewerbs aus­ gerichtete Ordnungswollen ist daher nach Eucken als ein Kriterium der „sozialen Moral“ zu werten, weshalb auch die „sittliche Erziehung“ der Kirchen (h 323, 368) und das „echte ethische und soziale Wollen“ auf dieses Ziel gerichtet werden müßten, was übrigens auch L . Miksch unterstreicht. Die „Versittlichung der Wirtschaftspolitik“ (c 5) hängt seiner Ansicht nach davon ab, inwieweit die „sittliche Bedeutung der inneren Koordination“ als solche von den verantwort-

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

397

liehen Stellen respektiert wird. Nach Miksch ist die Sozialethik noch nicht dazu gelangt, aus der Tatsache der im 18. Jahrhundert erkannten Naturordnung die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. Wo es sich um die Versittlichung des sozialen Zusammenlebens handelt, versage die individualethische Forderung. Die sozialethische Aufgabe sei ein Ordnungsproblem, d. h. Wettbewerbsproblem (d 68; vgl. 3. K., 2a). Daß mit der „Durchsetzung der ökonomischen Sachgesetzlichkeit“ gleichzeitig ein „soziales und ethisches Ordnungswollen“ verwirklicht werden soll, wertet Eucken als die „besondere Stärke“ der Wettbewerbsordnung (h 370). Das bedeutet mit anderen Worten: Die freie Konkurrenz wird nicht nur für die Inganghaltung des Marktmechanismus, sondern ebenso für den Schutz und die Verwirklichung des sozialen und ethischen Interesses als zuständig betrachtet. W. Eucken erklärt damit, wie A . F. Ut^ hervorhebt, die beiden ethischen Säulen der Gesellschafts Wirtschaft: die soziale Sicherheit und die persönliche Freiheit, als einzig und allein in der freien Wettbewerbswirtschaft für gegeben. Das Ressort der Wirtschaftstheorie wird damit überschritten und die Diskussion um die freie Konkurrenz auf das philosophisch-ethische Gebiet verlagert. Der freie Wett­ bewerb wird mit philosophischen Argumenten verteidigt (f 225 f.). Wie aus dem bisher Gesagten deutlich zu ersehen ist, zieht sich die falsche neoliberale Axiomatik, die auf die Verabsolutierung und Ethisierung der Modell theorie zurück­ geht, wie ein roter Faden durch das neoliberale Ordnungswollen hindurch. Euckens wirtschaftspolitische Gedankenführung, in der, wie H. Peter treffend bemerkt, das begründete Werturteil durch die mißgedeutete Gleichgewichts­ these aus der Theorie ersetzt wird (n 733), gelangt so zu unhaltbaren Postulaten. Theoretische Marktthesen erhalten auf diese Weise, was Eucken mit Recht am Positivismus kritisiert (h 208), den Charakter säkularisierter „Heüslehren“ . Der unüberbrückbare Gegensatz zum scholastischen Ordo-Gedanken und zur metaphysisch begründeten und überindividuell normierten Sittlichkeit der Kirche kommt hier besonders klar zum Vorschein. W. Dürr (142,145, 154,163), B. Seidel (409) und P. Frank (a 172f.) machen geltend, daß die Vermengung der wirt­ schaftstheoretischen mit der politischen und ethisch-weltanschaulichen Be­ trachtungsweise, die, wie C. Brinkmann bemerkt, bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse „ins Gewissen zu schieben“ (a 363) sucht, nicht nur mit den metho­ dologischen Voraussetzungen des Neoliberalismus in Widerspruch steht, sondern darüber hinaus in ein unlösbares Dilemma führen muß, das durch falsche Alter­ nativen bedingt ist. Der Einwand von A . F.. Ut% ist also wohlbegründet, wenn er abschließend fest­ stellt, daß die neoliberale Ordnungsidee, die sich lediglich auf die loyale Reali­ sierung der „vollständigen Konkurrenz“ konzentriert, weder als sozialethischer

398

Formalistische Wirtschaftsethik

Ordnungsauftrag noch als konstruktives Prinzip der Gesellschaft aufgefaßt werden darf, solange die freie Konkurrenz nicht im Sinne eines positiven Sozial­ programms, sondern einfach als apriorische Prämisse wirtschaftlichen Handelns begriffen wird (f 225 f.). Die von A . Müller-Armack intendierte „geistige Formung“, „von außen kommende Prägung“ (d 104f.), „konstruktive Umgestaltung“ (e 299) der Marktwirtschaft und die „Einstellung der marktwirtschaftlichen Ordnung in eine übergreifende Lebensordnung“ (d 85) kommen über ein Spiel mit Worten nicht hinaus, solange er die „Eigenlogik der Marktwirtschaft“ zum einzig bestimmenden „kulturellen Maßstab“ für den „Einbau unserer kulturellen Lebensüberzeugungen“ (d 104) deklariert und sich der Relativierung seiner funktionaltheoretisch determinierten „Sozialethik“ nicht bewußt wird. Das Gleiche gilt für L . Mikscb, der die „sozialethische Aufgabe“ faktisch als ein Wettbewerbsproblem interpretiert (d 68). Demgegenüber ist klarzustellen, daß die wettbewerbstheoretische Loyalität auf keinen Fall als ein sozialethisches Prinzip interpretiert werden kann ([ U t o 56f.), was A . Rüstow (1 64) offenbar übersieht. Der gleiche Sachverhalt trifft auf den für das neoliberale Systemdenken zentralen Begriff der „Interdependenz“ zu. Solange sie der teleologischen Normierung entbehrt, also eine „ungerichtete Interdependenz“ ist, kann sie nicht als Ord­ nungsersatzprinzip gewertet werden. Z us a mm en fas su ng und St ell un gn ah m e (zu 2). Das entscheidende „Datum“ der Startungleichheit Die Wettbewerbspolitik der realistischen Wirtschaftsauffassung geht von derfundamentalen Tatsache ausy daß für die einzelnen Wirtschafts- und Marktteilnehmer auf Grund der ungleichen Eigentums- und Kaufkraftverteilung auch ungleiche Startbedingungen bestehen. Diese Ungleichheit ist eines der entscheidenden „Daten“, das für die Wett­ bewerbsordnung unbedingt zu berücksichtigen ist. Es ist daher sinnlos, etwa mit F. Böhm den Wettbewerb als „organisierte Ausleseveranstaltung“ betrachten oder mit einem Preisausschreiben, Staatsexamen oder Sportwettkampf vergleichen zu wollen, wenn die entscheidendste aller „Spielregeln“ : die Startgleichheit, nicht gewahrt wird, was übrigens auch A . Rüstow betont (1 68). Ein Unterliegen im Wettbewerb und den damit verbundenen Verlust der Existenz mit Böhm auf „mangelnde Bewährung“ zurückführen zu wollen oder darauf, daß eben die „Volksgemeinschaft dieser freiwillig gewählten Berufstätigkeit in einem be­ stimmten Zeitpunkt nicht mehr bedarf“ (d 124,126), heißt, dem volkswirtschaft­ lich eminent wichtigen Problem der Existenzsicherung für alle in unzulässiger Vereinfachung ausweichen. Ebenso unlogisch ist es, die Ordnung des Wett-

Der mstimäooefl ▼eramnhrte Wettbewerb ab Ordauogsprinzip der Wirtschaft

399

bewerbs ausschließlich als „Veranstaltung der Rechtsordnung“ (d 121) zur Sicherung der wettbewerblichen Funktionsfähigkeit konzipieren zu wollen, wenn der wesentliche Rechtsgrundsatz der Gleichberechtigung und Rechtsgleich­ heit ignoriert wird. Eine Wettbewerbsordnung dieser Art führt notwendig zu einem institutioneilen Ungleichgewicht auf dem Markt und legt in der Tat den Vorwurf nahe, wie Böhm zugibt, daß es sich hierbei um eine „unehrliche Frei­ heitsordnung“ (k 81) handelt. Nach realistischer Ordnungsaufiassung geht es nicht darum, allen etwa durch Sozialisierung bestehenden Eigentums die gleichen Startbedingungen schaßen zu wollen, was nicht ausschließt, daß die gerechte Verteilung des neugebildeten Eigentums für alle Nichtuntemehmer als eine der grundlegenden sozialpolitischen Ausgleichsforderungen begriffen wird (vgL 3. K., 3c; 6. K., 3c). Zunächst handelt es sich vielmehr darum, den Wettbewerb bei gegebenen ungleichen Startbedingungen so zu ordnen, daß er für jeden Beteiligten, der seinen ent­ sprechenden Beitrag zu leisten gewillt ist, sinnvoll und tragbar wird, cL h. dem einzelnen Gesellschaftsglied mindestens die Existenz und die Teilnahme am wirtschaftlichen Gesamtwohl sichert. Mit W. Röpke den Konkurs als entscheidendes Regulativprinzip des Wirtschaftssystems deklarieren zu wollen (d 278), käme einem formalistischen Rückzug in den „Sozial-Darwinismus“ gleich. Sozialetbisebe Normierung und Kontrolle des Wettbewerbs

Verstehen wir unter regulativem Prinzip im Sinne vonj Qmdragenmo atme mit V. Neü-Breuning „eine der Wirtschaftsgesellschaft eingepflanzte Wesensform, welche diese Gesellschaft in ihrer ganzen Entfaltung und Betätigung durchformt und dadurch ihr von innen heraus die Richtung auf das wesenseigene Sachziel gibt“ (zc 166 f.), dann wird daraus ersichtlich, daß der Wettbewerb als rein mechanisches Koordinierungsprinzip für die Wirtschaft nicht die Funktion eines absoluten Ordnungsprinzips ausüben kann. Er kann als rein funktionaltheo­ retische Prämisse nicht zugleich ordnende, gestaltende Kraft von innen heraus sein. Er bedarf vielmehr als relatives Ordnungsprinzip der sozialethischen Normierung und Unterordnung unter das sozialwirtschaftliche GesamtzieL Das bedeutet nicht eine Absage an den Wettbewerb. Seine außerordentliche Bedeutung, die im Leistungsaustausch, also im Bewerb, in der Ermöglichung des Tausches als Bewerbsakt, im Leistungsvergleich liegt, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Allerdings muß die Leistung an Hand objektiver Kriterien inhaltlich bestimmbar ««cl. Erst durch die klare Hinordnung auf den Tausch von echter Leistung n*id Gegenleistung als Grundakt der Bedarfsdeckung in der arbeits­ teiligen Wirtschaft erhält der Wettbewerb seinen Inhalt ( W d P , IV, 65L). Die

Ο.

400

Formalistische Wirtschaftsethik

sittliche Beurteilung des Wettbewerbs untersteht daher wirtschaftsimmanenten und -transzendenten Gesichtspunkten, soll er nicht zu einem rücksichtslosen Gegeneinander der ausschließlich ihren eigenen Tausch vorteil suchenden Wirt­ schaftsindividuen denaturiert werden, um schließlich auf dem Niveau der Grenz­ oder Mindestmoral zu landen (£/Λζ, o 60). Das besagt: Im Vordergrund steht die Frage nach der Sachgerechtigkeit und Lauterkeit des wettbewerblichen Verhaltens bei sachlicher Entsprechung von Leistung und Gegenleistung, die naturgemäß jegliche Verfälschung und Betrügerei ausschließen. Die Wettbewerbsethik fordert weiterhin die Ausrichtung des Wettbewerbs auf die Beobachtung der markt­ rechtlichen Grenzen; die Vernichtung des Marktgegners durch unlauteren Machteinsatz ist apriori sittlich zu verwerfen. Endlich ist für die Ethik des Wett­ bewerbs die ständige Übereinstimmung mit dem Sozialzweck der Wirtschaft maßgebend. Er hat nur soweit Berechtigung, als er das Ziel der Wirtschaft, das nicht allein in der maximalen Produktivität besteht, verwirklichen hilft, und Anspruch auf soviel Freiheit, als mit dem Gesamtinteresse vereinbar ist. Mit anderen Worten : Der Wettbewerb bedarf der Kontrolle. Regulatives Prinzip dieser Kontrolle ist der Sozialzweck der Wirtschaft. Dieser ist mit der sozialen Gerechtigkeit identisch, wie u. a. / . Messner (j 792) und F. Ottel (51 f.) betonen. Der Gesetzgeber hat im neuen Kartellgesetz der Bundesrepublik vom 4. Juli 1957 diesem Grundsatz, der dem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis im Raum der Wirtschaft gerecht wird, insofern Rechnung getragen, als er trotz des allgemeinen Verbotsprinzips nicht nur bestimmte Verträge, die zur Bildung von Konditions-, Rabatt-, Struktur-, Normierungs-, Rationalisierungs-, Export und ImportKartellen führen, nach Anmeldung erlaubt, sondern darüber hinaus die Erlaubnis zu erweitern bereit ist, wenn „ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls not­ wendig ist“ . Andererseits ist den Kartellbehörden stets ein Einschreiten Vorbe­ halten, wenn Mißbräuche festgestellt werden. Die Ordnungsfunktion des Wettbe­ werbs wird damit nicht ausgeschaltet, sondern nur inhaltlich näher bestimmt. Im Gegensatz dazu sieht der Ordoliberalismus, wie sich zeigen ließ, das Wesen des freien Wettbewerbs in der wirtschaftlichen Freizügigkeit, die formalistisch mit der bloßen Abwesenheit staatlicher und staatlich sanktionierter privater Bindungen identifiziert wird. Dem mechanisch-additiven Gemeinwohlbegriff entsprechend erschöpft sich die „Ordnung des Wettbewerbs“ als Aufgabe einer autoritären Wirtschaftspolitik folgerichtig im rigurosen Ausschluß jeder Be­ hinderung. M. Hättichs Kurzschluß, die Annäherung der von Quadragesimo anno kritisierten liberalen Wirtschaft an die veranstaltete Wettbewerbsordnung des Neoliberalismus entspreche bereits der von der Enzyklika intendierten „Zu­ ständereform“ und den von der katholischen Soziallehre aufgestellten Ordnungs-

Der institutionell veranstaltete Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Wirtschaft

401

normen (169, 174, 187), berücksichtigt nicht, daß das Rundschreiben einen völlig anderen Gemeinwohlbegriff als Ordnungsziel und daher auch ein anderes Ord­ nungsprinzip im Auge hat, als sie für die neoliberale Konzeption relevant sind. Der Begriffsnominalismus von Hättichs Ordo-Idee kommt hier klar zum Vor­ schein. Es hilft nichts, daß Hättich — durchaus zu Recht — den instrumentalen Charakter des Wettbewerbs betont, da auch er auf Grund seines extremen alter­ nativen Prinzipienmonismus (173 f.) das wirtschaftliche Gemeinwohl mit dem wettbewerbstheoretischen Koordinationsergebnis, Wettbewerbsordnung also mit Wirtschaftsordnung identifiziert (104ff., 113, 130f., 169f.). Den gleichen koordinationsmechanistischen Gemeinwohlbegriff vertritt übrigens auch WSchreiber (c 83). Der Wettbewerb bedarf, um gesamtwirtschaftlich funktionieren zu können, nicht nur der Rahmenordnung, sondern ebenso auch der Gemein­ wohlverantwortung des Staates, die sich nicht mit der technischen Veranstaltung des Wettbewerbs deckt, was übrigens auch A . Rüstow gegenüber betont werden muß (p 51). Daß in Wirklichkeit ein formal-marktlicher mit dem eigentlichen wirtschaftlichen Wettbewerb nicht identisch ist, da Marktordnung und Wirtschaftsordnung nicht dasselbe sind, ignoriert offenbar auch A . Müller-Armack. Sein Vorschlag be­ züglich eines „dialektischen“ , indirekten Verfahrens zur Lösung des Problems zwischen Bindung und Freiheit, wobei die Bindung sich auf die öffentlichrechtliche Sicherung gegen Wettbewerbsverfälschungen erstreckt, während „vollständige Wettbewerbsfreiheit“, ja öffentliche „Pflicht zum Wettbewerb“ innerhalb dieses Rahmens stattfinden soll, bringt an sich nichts Neues. MüllerArmacks Gedankengang interessiert hier insofern, als er — ähnlich wie A . Rüstow (b 129) — einen Vorwurf gegen einen Teil der christlichen Sozialphilosophie bzw. gegen die „primär ethische“ Betrachtung des Ordnungsproblems ausspricht. Er wendet sich gegen die hier in letzter Zeit angeblich häufig feststellbaren Neigungen, „den Parolen des kollektivistischen Sozialismus nachzugeben“. Von seinem Standpunkt aus hat Müller-Armack recht, allerdings argumentiert er, verglichen mit der christlichen Sozialphilosophie, von einer anderen, nämlich der Ebene der reinen Modelltheorie und des eindeutigen Wirtschaftsindividualismus her. Das zeigt sich deutlich an seinen Gegenargumenten, die er gegen die teleo­ logisch-ethische Wettbewerbsauffassung ins Feld führt, wie zum Beispiel seine These vom angeblichen Versagen des gebundenen Wettbewerbs in der Vergangen­ heit und dessen Tendenz zur Transformation (v. Mises), oder von der offenkundigen Verfehlung einer brauchbaren Lösung durch „heterogene“ Verkopplung von Wirtschaft und Ethik; ferner die Erklärung des Wettbewerbs zum „gesamtwirt­ schaftlichen Prinzip“ schlechthin bzw. die Verabsolutierung der institutionell gesicherten Wettbewerbsfreiheit als entscheidende Ordnungspotenz. Bindung und

402

Formalistische Wirtschaftsethik

Freiheit sind für Müller-Armack deshalb „zwei sich doch offensichtlich wider­ sprechende Ziele“, weil er weder für seinen formalen Freiheitsbegriff noch für den Wettbewerbsautomatismus die übergreifende „Lebensordnung“ des inhaltlich gefüllten Gemeinwohlbegriffs akzeptiert (e 291 f., 297, 299 f.). Seine Beweis­ führung setzt faktisch das zu Beweisende voraus. Sozialethiscbe Zuordnung von Norm und Freiheit Der fundamentale Grundsatz von der Freiheit und Ordnungskraft des Wettbewerbs nach Maßgabe des Gemeinwohls und des Sovfalsyvecks der Wirtschaft, der den normierten, un­ vollkommenen Wettbewerb intendiert, bildet eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale ^wischen ordoliberaler und betont gesellschaftlicher Auffassung der Wirtschaft. In diesem Grundsatz konkretisiert sich die radikale Ablehnung der ethisch und philosophisch unhaltbaren Überbewertung der freien Konkurrenz und ihrer Ordnungspotenz als Ergebnis eines Parallelogramms mechanisch wirkender Kräfte, die im Grunde auf die rationalistisch-mechanistische Weltanschauung der Aufklärung zurückgeht. Um der Sache willen sieht die gesellschaftliche Auf­ fassung nach J. Messner den Einbau bestimmter gesellschaftlicher Kontroll­ organe vor. Die Aufgabe des Staates ist nach dieser Theorie nur subsidiärer Natur. Sie besteht in der Legalisierung der gesellschaftlichen Kontrollprinzipien, in der Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für diese Kontrolle und in vorbeugenden Eingriffen gegenüber möglichem Gruppenegoismus (j 791 ff.). Diese Konzeption berücksichtigt, daß der Staat weder durch die Funktion eines Marktpolizisten ungebührlich überlastet, noch einer monopolamtlichen Macht­ verlagerung an die Spitze das Wort geredet wird. Der auf neoliberaler Seite erhobene Ein wand, auf diese Weise würde der Bock zum Gärtner gemacht, inso­ fern der Gruppenegoismus und die Kartellisierungstendenzen der gesellschaft­ lichen Kontrollorgane die Lösung der Kontrollaufgabe apriori illusorisch machen, ist sicher ernstlich zu prüfen. Aber abgesehen davon, daß die Brauchbar­ keit einer Idee nicht nach ihrem möglichen Mißbrauch zu beurteilen ist, wie W . Eucken selbst mit dem Blick auf seine eigene Theorie bemerkt (h 358), ist nicht einzusehen, warum dem Staat ein wirksames Vorgehen gegen derartigen Miß­ brauch unmöglich sein sollte, wenn man ihm andererseits von neoliberaler Seite aus die praktisch schwierigere Aufgabe einer durchaus befehlsamtlichen Zer­ schlagung bzw. Kontrolle übermächtiger Monopole, Konzerne und Kartelle zutraut. Vom Standpunkt der neoliberalen Ordnungskonzeption aus der rea­ listischen Wirtschaftsphilosophie mit O. Veit Utopie oder „Wirklichkeitsfremd­ heit“ (d 272) vorwerfen zu wollen, muß insofern befremden, als ja doch, wie sich zeigen ließ, die neoliberale Position in wichtigen Grundfragen einen ausgesprochen

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

403

hypothetischen Charakter aufweist und zudem ohne die staatlich-autoritäre Realisierung ihrer Wettbewerbstheorie nicht auskommt. Nach realistischer Auffassung stellt die echte „soziale Marktdemokratie“, im Gegensatz Zur „plutokratisch denaturierten“ Demokratie neoliberaler Auffassung (v. Nell-Breuning, u 255), ein Sozialsystem dar, in dem Individuum und Gemeinschaft, Einzelinteresse und Gesamtwohl, Freiheit und Ordnung so einander zugeordnet sind, daß der einzelne auf weite Sicht nur zu seinem Recht kommt, wenn er dem Gesamtinteresse dient. Die Wirtschafts­ gesellschaft ihrerseits sichert den allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt be­ wußt dadurch, daß sie zwar weitmöglichst die Freiheit des wirtschaftenden Individuums achtet undfördert, ebenso aber auch die Belange der wirtschaftlich Schwachen oder Benach­ teiligten, also des ganzen Wirtschaftsvolkes, durch ordnende Eingriffe gewährleistet, die sich nicht nur auf nachträgliche Korrekturen beschränken. 3. Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus Zu den wesentlichen Ordnungsprinzipien und „erprobten Einrichtungen“ der Wirtschaft, durch die das Eigeninteresse mit dem Gesamtinteresse „geräuschlos koordiniert“ wird, gehört nach neoliberaler Auffassung, wie z. B. auch W. Eucken (f 52) und W. Röpke (i 95) hervorheben, neben der Vertragsfreiheit und dem Wettbewerb das Privateigentum. Die Behandlung der Eigentumsfrage auf neo­ liberaler Seite ist unterschiedlich. W. Röpke und F. A . Hayek beispielsweise bemühen sich um die ideelle Rechtfertigung des Eigentums und seiner soziolo­ gischen Funktion. Röpke bezeichnet die Wiederherstellung des Eigentums als einen der wichtigsten „strategischen Punkte“ in der Verwirklichung des OrdoGedankens. Seine gesamte Mittelstandspolitik steht, wie bereits dargelegt wurde (5. K., 3a u. c ), unter dem Leitgedanken, den eigentumslosen Menschen krisen­ fest zu machen, ihm ein „Minimum an materieller und immaterieller Stabilität seiner Existenz“ zu geben, um dadurch jenes „Minimum an Lohnelastizität“ zu erreichen, ohne das eine wirkliche Marktwirtschaft nicht denkbar sei. Auch vom rein menschlichen Standpunkt aus ist seiner Ansicht nach das Eigentum unbedingt erforderlich, gewährt es doch nicht nur einen Grad relativer Unabhängigkeit und Sicherheit, sondern darüber hinaus Familiensinn und „Kontinuitätsgefühl“ . Es verbinde die Generationen und wecke das Verantwortungsgefühl, ohne das die Gesellschaft nicht bestehen könne (c 245, 274, 87; b 347, 107, 265). F. Böhm betrachtet den Privatbesitz unter dem Blickpunkt der Privatrechts­ kategorie, während für W. Eucken die naturrechtliche oder rechtsdogmatische Ab­ leitung und Begründung des Eigentums nicht von Interesse ist. Er befaßt sich ausschließlich mit der zweckrationalen Begründung des Privateigentums als konstituierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung (h 290).

404

Formalistische Wirtschaftsethik

a) B e g r ü n d u n g des E ig e n tu m sr e c h te s in der Freihe its ide e Die grundsätzliche Frage nach der inneren Begründung des Privateigentums führt zu jener übereinstimmenden Grundauffassung, die für die gesamte neoliberale Eigentumsordnung ebenso entscheidend ist wie für alle aktuellen Fragen der Wirtschaftslenkung, der Besitzverteilung, der Sozialisierung, Verstaatlichung und Enteignung. Es ist die Begründung des Eigentumsrechtes in der Freiheitsidee. Privateigentum als »sicheres Fundament“ und »unerläßliche Bedingung“ der Freiheit Aus dem Kreis der Neoliberalen ist an erster Stelle W. Röpke zu nennen, der mit Nachdruck die grundlegende schicksalhafte Bedeutung des Eigentums für die Wahrung und Sicherung der menschlichen Freiheit herausstellt. In der Ein­ richtung des Privateigentums sieht er nicht nur — neben der Preis- und Wett­ bewerbsfreiheit — die tragende Säule der Marktwirtschaft, sondern, über die rein wirtschaftliche Funktion hinaus, die „unerläßliche Bedingung der Freiheit“ überhaupt. Das Eigentum gehöre zu jenen unabdingbaren moralischen und soziologischen Voraussetzungen einer Gesellschaft, „die ihre Freiheit bewahren will“ (p 134f., 138f.). Zur Frage, in welchem Zusammenhang die Eigentumsordnung mit den anderen menschlichen Ordnungen steht, erklärt W. Eucken mit gleicher Eindringlich­ keit: Privateigentum sei eine unabdingbare Voraussetzung dafür, „daß eine private Freiheitssphäre gewahrt bleibt“. Kollektiveigentum an Produktions­ mitteln errichte eine „die menschliche Freiheit“ erdrückende wirtschaftliche Macht (h 275). „Eigentum macht aus geistiger Bevormundung frei“ , erklärt L. Erhard. Weil das Eigentum die persönliche Unabhängigkeit fördert, auf der erfahrungsgemäß am ehesten die Formen und die kulturelle Kraft bürgerlichen Gemeinwesens wachsen, darum ist seiner Ansicht nach das Eigentum das Funda­ ment unserer neu erstehenden bürgerlichen Gesellschaft (in: Die Zeit, Nr. 29/ 1957, S. 9). F. A . Hayek stimmt mit ihm darin überein, daß das Privateigentum die wichtigste Garantie der Freiheit ist (a 138). A . Rüstow drückt sich noch deutlicher aus, wenn er den eigentlichen, weit überwirtschaftlichen Wert des Privateigentums und „seine wirkliche Rechtfertigung“ in der Tatsache sieht, daß das individuelle Eigentum „das einzig uns bekannte, einigermaßen sichere Fundament für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenwürde jedes einzelnen“ bildet (b 98).

Dae unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

405

Zweifache Sicherungsfunktion des Privateigentums Nach W. Röpke besteht die Hauptfunktion des Privateigentums darin, der staats­ rechtlich gesicherten Freiheit durch die materielle Unabhängigkeit die nötige Festigung zu bieten. Das Eigentum gibt dem menschlichen Dasein „Halt, Schwere und Wurzel“ (c 263, 278). Innerhalb der Marktwirtschaft erfüllt die Einrichtung des Privateigentums eine doppelte Funktion der Abgrenzung: in horizontaler Ebene als „Zaun“ zum Schutz des privaten Verfügungsbereiches, indem die individuelle Sphäre der Entscheidung und Verantwortung gegen diejenige der anderen Individuen abgegrenzt wird; in vertikaler Sicht als Sicherung der individuellen Sphäre gegenüber der staatlichen Gewalt. Erst in dieser Doppel­ funktion kann nach Röpke das Eigentum voll „als die schlechthin unentbehrliche Voraussetzung der Freiheit“ verstanden werden. Er sieht im Privateigentum ein „überaus wichtiges Beispiel für die geistige Weitwinkeloptik“, insofern es die Marktwirtschaft einer bestimmten Lebensauffassung und einer bestimmten gesellschaftlich-moralischen Welt zuordnet, die als „bürgerlich“ zu bezeichnen sei. Zu den grundlegenden Dingen, „die dem ganzen Gewebe der gesellschaftlichen Beziehungen Farbe geben“, gehöre die im Eigentum verankerte Unabhängigkeit als eine der Voraussetzungen für jede Gesellschaft, „die mit der Marktwirtschaft die Freiheit bewahren will“ . Hier, in der Freiheit, liegt seiner Ansicht nach „die wahre Wasserscheide der Sozialphilosophien“, die für das Schicksal der Gesell­ schaft entscheidend ist : zwischen dem Ideal, ob der gesellschaftliche Schwerpunkt unten liegt in Eigentum, Eigenreserven und Eigenverantwortung, und dem Ideal des sozialphilosophischen Radikalismus, den Schwerpunkt immer mehr nach oben zu verschieben (o 4; p 138, 312f.). Privateigentum als „notwendiges Attribut der menschlichen Freiheit“ Wir stoßen in der Eigentumslehre also wieder auf das zentrale Phänomen, mit dem sich das zweite Kapitel ausführlich befaßt hat: die Verabsolutierung der individualistisch verstandenen Freiheit als menschlich-gesellschaftlicher Höchst­ wert und als Erstrecht schlechthin, in dem die Sittlichkeit selbst und alle übrigen Grundrechte des Menschen ihre eigentliche Begründung finden. Ein weiterer, für das neoliberale Systemdenken ebenso typischer Grundzug tritt hier ebenfalls in den Vordergrund: die Identifizierung von wirtschaftlicher und persönlicher Freiheit, wie wir sie eindeutig bei W. Eucken, F. A . Hayek und A . Müller-Armack festgestellt haben (2. K., 3b). W. Röpke gibt dieser Grundauffassung eine präg­ nante Formulierung, wenn er erklärt, das individuelle Eigentum sei als „not­ wendiges Attribut der menschlichen Freiheit“ zugleich eine „dem Wesen des

406

Formalistische Wirtschaftsethik

Menschen notwendige Kategorie“ (c 263, 278). Das Menschentum werde unmittelbar gepflegt, gefördert und stets neu geweckt durch das „dem wahren Menschsein wesentliche Institut des Eigentums“ (b 265; c 246 f.). Tatsächlich ist in der Beinhaltung des Freiheitsbegriffes und seiner soziologischen Funktion, wie W. Röpke treffend bemerkt, die wahre Wasserscheide der Sozial­ philosophien und damit auch der gesamten Eigentumsethik zu suchen. Die Konse­ quenzen der neoliberalen Begründung des Privateigentums in der individua­ listisch interpretierten und verabsolutierten Freiheit liegen auf der Hand. Wenn das Eigentum so eng mit der Integration und Freiheit der menschlichen Person verbunden ist, dann sind notwendig alle individuellen Eigentumsrechte dem primären Freiheitsrecht koordiniert und ebenso unantastbar wie dieses. b) Statik der neolib eral en E ig e n tu m s a u f f a s s u n g Absolute Verfügungsfreiheit des Eigentümers Die einseitige individualistische Axiomatik hat notwendig zu jener starren Hand­ habung der Eigentumsfrage geführt, die für das neoliberale Ordnungsdenken bezeichnend ist. W. Eucken stellt klar heraus, Privateigentum bei vollständiger Konkurrenz schließe, erstens, grundsätzlich die absolute Verfügungsmacht und Verfügungsfreiheit des Besitzers im Dienste der Volkswirtschaft und, zweitens, die Ohnmacht, die Verfügungsmacht und Freiheit der Eigentümer zu Lasten der Gesamtheit einzuschränken (h 274), ein. Seiner aktualistischen Sozialkonzeption entsprechend rechnet F. A . Hayek das Privateigentum zu jenem, von den „großen individualistischen Autoren“ der englischen Aufklärung entdeckten System gesellschaftlicher Institutionen, das jeden einzelnen dazu veranlassen sollte, aus eigener Wahl und in der Verfolgung eigener Interessen so viel als möglich zur Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse beizutragen. Dies werde durch den einfachen Begriff des Eigentums als des ausschließlichen Rechts zum Gebrauch eines bestimmten Dinges erreicht. Hayek leitet aus diesem individualistisch motivierten funktionaltheoretischen Zusammenhang zugleich die Entscheidung über den eigentlichen Inhalt des Eigentumsrechtes ab. Es schließt seiner Ansicht nach die Freiheit in der Verfolgung der eigenen Interessen ebenso ein wie die Abgrenzung des individuellen Verantwortlichkeitsbereiches, insofern der einzelne in seinen Entscheidungen jenen Einfluß in Betracht zu ziehen habe, den seine Handlungen auf die Befriedigung ausüben, die andere Menschen aus seinem Besitztum ziehen (b 28, 36). Wie wir von W. Röpke gehört haben, bedingt das individualistische Eigentums­ recht prinzipiell neben der horizontalen auch die vertikale Abgrenzung gegen

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

407

Eingriffe von oben und zwar „in dem echten Sinne der rechtlich geschützten Freiheit der Verfügung über das Eigene unter notwendigem Einschluß der Verfügung von Todes wegen“. Alle früheren Generationen sozialphilosophischer Denker seien sich in der Bewertung des Privateigentums als schlechthin unent­ behrlicher Voraussetzung der Freiheit einig gewesen; erst in unserer Zeit sei diese Bastion im Zangengriff des sozialphilosophischen Radikalismus und bestimmter Entartungserscheinungen des Eigentums selber ins Wanken geraten. Röpke ist davon überzeugt, daß eine funktionierende Marktwirtschaft und der Appell an die wirtschaftliche Vernunft der Beteiligten allein nicht genügen, daß vielmehr den „bürgerlichen Tugenden“ Geltung verschafft werden müsse, indem wieder „höhere ethische Werte“ wie „Gerechtigkeit, Verantwortung für das Ganze, Wohlwollen und Sympathie, Gefühl der Menschenwürde“ anzurufen seien (o 4; p 134f., 169f.). Daß diese von ihm genannten „Normen und Wertüberzeugungen“ jedoch nicht über den Rahmen eines moralischen Gefühlsappells hinaus kommen und daher für die Lösung des heute weitgehend „entarteten“ Eigentumsproblems ohne tiefer greifende strukturelle Bedeutung sind, ist bereits im zweiten und dritten Kapitel dargelegt worden. Koordinationsmechanismus als Garantie sozialnützlichen Eigentumsgehrauchs Für F. A . Hayek sind gesellschaftliche Ordnungsprinzipien nur ein Mittel, „um Zusammenstöße zwischen konkurrierenden Zwecken zu vermeiden, aber nicht, um bestimmte Endzwecke festzulegen“ . Als Grundlage des Rechtssystems führe der individualistische Koordinationsmechanismus spontan dazu, im Zuge der Verfolgung individueller Interessen soviel wie möglich zu den Bedürfnissen der Mitmenschen, und damit auch zum allgemeinen Prinzip des Privateigentums bzw. zur eigentlichen Beinhaltung des Eigentumsrechtes beizutragen. Letzteres besagt das ausschließliche Recht zum Gebrauch bestimmter Dinge. Nach dieser Theorie garantiert die allgemeine Unterwerfung unter allgemeine Regeln gegenseitiger Loyalität auch den sozialnützlichen Gebrauch des Eigentumsrechtes. Die Er­ kenntnis der englischen Individualisten, daß im Rahmen dieses spontanen rechts­ staatlichen Koordinierungssystems schlechte Zeitgenossen am wenigsten Schaden anrichten können, und daß das Privateigentum die Besitzenden in höherem Maße in dieser Richtung einer zwar ungewollten, aber faktischen Sozialität des Verhaltens beeinflusse, bezeichnet Hayek als das Hauptverdienst und die große Entdeckung der englischen Aufklärung (b 34ff., 27f.). Wie deutlich zu sehen ist, spielt der Harmonie- und Gleichgewichtsoptimismus im Rahmen horizontal und vertikal abgrenzender Rechtsregeln auch in der Eigentumsfrage die ent­ scheidende Rolle. Je mehr es der Privatrechtsordnung gelingt, das Element der

408

Macht zu eliminieren, desto reiner werden sich nach F. Böbm die mittelbaren Ordnungsfunktionen der einzelnen Privatrechtsinstitute, zu denen auch die Ein­ richtung des Privateigentums gehört, und die außerrechtlichen sozialen Gleich­ gewichtstendenzen durchsetzen; desto weniger bedarf es politischer, autoritativer Korrekturen zur Beseitigung von Notlagen und anarchischen Zuständen (1 122; vgl. 3. K., la , b, c; 5. K., 2c).

Eigentumsordmmg als privatrecbtlich-institutionelUs Schutzsystem

Die Frage einer möglichen Neuordnung bestehender Besitzverhältnisse ist damit beantwortet, d. h. von der Ebene der Privatrechtsordnung und der einmal erworbenen oder vererbten Eigentumsrechte her abgelehnt. A . Rüstow läßt zwar die Schaffung des Eigentums für die Volksschichten als „Fernziel“ gelten, warnt aber davor, sie durch Verwirklichung von Zwischenzielen zu stören. Kurzfristig helfe hier nur die Linderungspolitik; sie dürfe jedoch nur so wirken, „wie auch jeder Sportplatz seine Verbandsstelle und sein Sanitätspersonal hat“ (c 151). Daß auch für A . Müller-Armack die direkte und indirekte Umgestaltung der bestehenden Einkommens- und Besitzverhältnisse nur im Rahmen der Markt­ konformität, also nur mit Hilfe von Maßnahmen möglich erscheint, die nicht radikal vom Marktausgleich und von der variabel gehandhabten Wirtschafts­ rechnung wegführen (d 109 f., 93f.), ist im dritten Kapitel ausführlich besprochen worden. Wie wir von F. Böhm gehört haben, betrachtet er, was das Einkommens­ verteilungssystem betrifft, „als das einzig wirksame und zugleich mit der Kon­ struktionsidee der Wirtschaftsverfassung durchaus verträgliche Mittel die Methode der psychologischen Beeinflussung“ und der damit verbundenen „politischen Erziehung“ mit dem Ziel, anstelle institutioneller Eingriffe „die moralischen Verpflichtungen des Eigentums und der höheren Einkommen“ bezüglich ihrer sozialnützlichen Verwendung zu aktivieren (b 116, 118f.). Die neoliberale Eigentumsethik ist also im Grunde nur ein privatrechtlich orientiertes System zum Schutz der Besitzenden, ähnlich wie die neoliberale Wirtschaftstheorie eine Theorie der marktaktiven Unternehmer darstellt. Von der sozialen Belastung des Eigentums ist nicht die Rede. Die soziale Bewandtnis des Eigentums konkretisiert sich nach neoliberaler Auffassung gewissermaßen als spontanes Nebenprodukt der nach oben und in die Breite institutionell gesicherten, loyalen Planungs-, Entschluß- und Handlungsfreiheit des Eigentümers und zwar im Sinne eines markttheoretischen Gleichgewichtszustandes. Der Formalismus der reinen Marktkonformität bildet auch hier die Norm der Eigentumspolitik. Ihre ideologische Basis ist im neoliberalen Selbstverständnis zu suchen, das, wie

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

409

sich im zweiten und dritten Kapitel zeigen ließ, durch die individualistische Selbstintegration ohne echten sozialethisch-normativen Bezug auf die Gemein­ schaft gekennzeichnet ist. c) W e tt b e w e r b als regula tives Prinzip des Eige ntum s „Entartungserscbeinungen“ des Privateigentums Die neoliberale These von der geräuschlosen Ordnungskraft des grundsätzlich freien und unantastbaren Eigentums im Spannungsverhältnis zwischen Eigen­ interesse und Gesamtinteresse legt den Gedanken nahe, daß die neoliberalen Theoretiker sich nicht über die volkswirtschaftlichen Gefahren der Eigentums­ freiheit im klaren sind und damit den alten Fehler des Laissez-faire-Opdmismus wieder aufleben lassen. Diese Annahme wäre verfehlt. Sie würde dem neoliberalen Ordnungsanliegen nicht gerecht, denn gerade W. Euchen halt es für nötig, „den Konflikt zwischen der Notwendigkeit der Eigentumsinstitution und ihrer Problematik in aller Schärfe zu sehen“ (h 273). Daß die liberalistische Eigentums­ freiheit erfahrungsgemäß nicht die kleinbetriebliche Demokratie, sondern im Gegenteil, wie E . Heimasm betont, die kapitalistische „großbetriebliche Herr­ schaftsorganisation“ zur Folge gehabt hat (a 19ff.), die nach W. Röpke der Negation des Eigentums gleichkommt (b 290), wird auf neoliberaler Seite keineswegs übersehen. Wie wir gehört haben, gibt Röpke „bestimmte Entartungserscheinungen“ des Eigentums selber, die sich in einer unsozialen „Versteinerung und Zusammen­ ballung“ des Eigentums äußern, durchaus zu (o 4; b 290). Der Gedanke, daß die intendierte Sozialreform auch eine „weitgehende Diffusion des Eigentums“ herbeizuführen habe, wird von ihm anerkannt. Einen möglichen Ausgleich „schroffer Besitzunterschiede“ als Forderung der sozialen Gerechtigkeit erwartet er z. B. von der progressiven Erbschaftssteuer. Die Vorstellung einer „bestimmten Art von gesellschaftlicher Gleichheit“ lasse es gerecht erscheinen, daß die Start­ bedingungen des wirtschaftlichen Wettlaufes gleich sind (b 357). Wir sind den gleichen Schlußfolgerungen und Lösungsversuchen auch bei W. Euchen, A . Rostow, F. Böhm und A . Müller-Armack begegnet (vgl. 3. K., 3 b. u. c). Die genannten Autoren treffen sich in der Feststellung Euchens, daß die Einrichtung des Privateigentums allein nicht die Gewähr für die erforderliche Interessen­ harmonie bietet, daß es vielmehr unter bestimmten Voraussetzungen durchaus „unsozial“ wirken kann (h 274). Andrerseits wissen wir, daß für den Neoliberalis­ mus, um der individuellen Freiheit willen, weder ein normativer Gemeinwohl­ begriff Geltung besitzt noch eine autoritative Instanz annehmbar erscheint, die

410

Formalistische Wirtschaftsethik

in der Lage wäre, das Gesamtinteresse situationsgerecht zu interpretieren bzw. ohne Vergewaltigung der Freiheit und Gerechtigkeit durchzusetzen. Die Fragen, um die es hier geht, sind die: Wann ist das Privateigentum „sozial“ ? Wer über­ nimmt nach neoliberaler Auffassung die Funktion der sozialen Neuordnung und Gestaltung der bestehenden Eigentumsverhältnisse ? Wettbewerbskonformität als Wertmaßstab des Eigentums Zur Lösung der „wesentlichen“ Frage, wie das Privateigentum zu einem öko­ nomisch und sozial brauchbaren Instrument des Ordnungsaufbaus werden kann, ist nach W. Euchen zunächst Klarheit darüber notwendig, welchen Inhalt es haben muß, wenn es seinen volkswirtschaftlichen Sinn erfüllen soll. Er gibt auch die Antwort darauf: Der Charakter des Eigentums muß wettbewerbskonform sein (h 273). Privateigentum ist insofern „sozial“ , als es markttheoretisch, d. h. machtmäßig, ausgeglichen ist und die sozialnützliche Funktion des Wettbe­ werbsautomatismus unterbaut. Diese Antwort liegt nahe. Sie ist die notwendige Folgerung aus dem neoliberalen Begriff des Sozialen, der, wie im dritten Kapitel gezeigt wurde, den interindividuellen Gleichgewichtszustand beinhaltet. Im Grunde ist es also der funktionsfähige Wettbewerb, der die Aufgabe erhält, als Ausgleichspotenz das Eigentumsproblem befriedigend zu lösen. Wie Euchen erklärt, besteht zwischen Eigentumsrecht und Wettbewerb ein Gegenseitigkeitsverhältnis. Privateigentum an Produktionsmitteln gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen des Wettbewerbs, denn es sichert den Unter­ nehmern die Entscheidungsfreiheit, die für die täglich notwendige Kombination der Produktionsmittel und die fortlaufende Anpassung an die wechselnde Markt­ situation erforderlich ist. Umgekehrt führt die moderne Tendenz zur Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln von der Wettbewerbsordnung immer weiter ab. Allerdings muß — immer nach Euchen — klar beachtet werden, daß die Institution des Privateigentums allein noch nicht eine Garantie für die Durchführung der Wettbewerbsordnung bedeutet, denn es ist mit verschiedenen Wirtschaftsordnungen vereinbar. Der jeweiligen Marktform entsprechend hat es einen verschiedenen Charakter und ändert es sich in seiner Rechtsfunktion. Nach Euchens Auffassung erfüllt das Sondereigentum nur im Rahmen der Wettbewerbs­ ordnung seine sozialnützliche Funktion, da es hier nicht nur dem Eigentümer selbst, sondern auch dem Nichteigentümer nützt (h 275, 271 f., 274). Diese typisch-neoliberale These stützt sich ausschließlich auf preistheoretische Modellerkenntnisse. Euchen vergleicht den Preismechanismus der Wettbewerbs­ ordnung mit einer Radioanlage, die einerseits die Wünsche der ungezählten kaufkräftigen Nachfrager aufnimmt, andrerseits den Betriebseigentümern gültige

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

411

Ratschläge und Weisungen für die privatwirtschaftlich günstige und zugleich volks­ wirtschaftlich richtige Ausübung ihres Eigentumsrechtes erteilt. Die Marktbefehle beziehen sich auf Richtung, Verfahren und Umfang der Produktion. Leistet der Befehlsempfänger keinen Gehorsam oder reagiert er falsch, dann entzieht der Konkurrenzmechanismus dem nicht angepaßten Unternehmer auf die Dauer seine Verfügungsmandate über das Eigentum an Produktionsmitteln und zwar, dem Ausleseprinzip entsprechend, zum Wohl der Gesamtheit (h 275, 271, 272, 274). Wettbewerbsordnung als Kontrollinstan%der Eigentumsinstitution Die soziale Ordnungsfunktion des wettbewerbskonformen Eigentums besteht also nach Eucken im Grunde darin, daß es, erstens, durch seine „große ökono­ mische Effizienz“ die optimale Befriedigung der kaufkräftigen Konsumwünsche realisiert; zweitens, dem angepaßten Betriebseigentümer die richtigen Markt­ befehle erteilt und ihm damit seine privaten Verfügungsmandate über die Produk­ tionsmittel erhält bzw. dem Untüchtigen entzieht; drittens, dem arbeitssuchenden Nichteigentümer mehr Unabhängigkeit in der Wahl des Arbeitsplatzes garantiert. Auf diese Weise sichert der Leistungswettbewerb, so A . Rüstow, die „gesellschaft­ liche Funktion und moralische Legitimation“ des Eigentums (p 52). Mit anderen Worten : Die Ordnungsfunktion des Eigentums ist mit dem Steuerungsmechanismus des Preissystems gekoppelt und bezieht sich primär und direkt auf das Wohler­ gehen der Besitzenden und Marktaktiven, während der Nichteigentümer nur an Sekundärerscheinungen des Ordnungsmechanismus profitiert. Eucken kommt zu dem Schluß, daß das Privateigentum der Kontrolle durch die Konkurrenz bedarf, soll es seine „eminente ordnungspolitische und soziale Funktion“ zur Vermeidung wirtschaftlicher und sozialer Mißstände erfüllen. Allein die Wettbe­ werbsordnung mache im Rahmen der modernen industrialisierten Wirtschaft das Privateigentum auf die Dauer erträglich. Nur dann, wenn diese Kontrolle fehlt, sei die Verfügungsmacht über das Privateigentum zu beschränken (h 274 f.). Allerdings muß dabei im Auge behalten werden, daß diese Beschränkung des Gebrauchsrechtes keine sozialethische Bewandtnis hat, sondern ökonomistisch begründet, d. h. durch die Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs­ mechanismus gefordert ist. Wie W. Röpke hervorhebt, werden die Eigentümer an Produktionsmitteln durch die Konkurrenz und durch sie allein „zu der ihnen oft unbequemen Rolle von Sozialfunktionären und treuhänderischen Verwaltern“ der volkswirtschaftlichen Produktionsmittel „gepreßt“ (b 290). Der Wettbewerb stellt nach F. Böhm das wirksamste Mittel dar, das Privateigentum seiner sozialen Gefähr­ lichkeit zu entkleiden, indem er die Konzentration wirtschaftlicher Monopolmacht in der Hand von Privatrechts-Subjekten erschwert und aufsplittert (1147f., 135).

412

Formalistische Wirtschaftsethik

Im Grunde ist es demnach der belohnende und strafende Markte der nach neoliberaler A uf­ fassung in der veranstalteten Form als regulatives Prinzip den fraglichen Konflikt %wischen der Notwendigkeit der Eigentumsinstitution und ihrer Problematik geräuschlos und sozialgerecht löst. Was liegt näher, als daß wir unser wirtschaftliches Gewissen auch in der Eigentumsfrage mit W. Röpke wieder auf absoluten Marktgehorsam (p 116 f.) verpflichten, indem wir den Markt als „moralische Korrektionsanstalt“ (b 200) durch Achtung und Befolgung seiner sozialnützlichen Gesetzmäßigkeit unter allen Umständen funktionsfähig erhalten. Wir sehen hier davon ab, daß die gesamte Argumentation W. Euckens zugunsten der wettbewerbskonformen Eigentumsfreiheit auf dem unstatthaften Abstieg von der Modelltheorie in die wirtschaftliche Wirklichkeit beruht; ferner daß hier Postulate der Wettbewerbstheorie sozialethisch begründet und zu einer Gewissens­ frage gemacht werden, oder daß die ganze Beweiskraft des Gedankenganges mit der faktischen Lenkungsproblematik des Preisautomatismus steht und fällt. Von größerem Interesse ist im Augenblick die Feststellung, daß wir es hier mit praktischen Folgerungen der neoliberalen Sozialmetaphysik zu tun haben, von der im dritten Kapitel ausführlich die Rede war. Die individualistische Inter­ pretation des Sozialen als Problem der individuellen Freiheit, des markttheo­ retischen, kausal-mechanischen Ausgleichs und des individuellen Nutzens, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Systemdenken hindurchzieht, führt notwendig zu einer Verengung der Eigentumslehre, die der umfassenden sozial­ politischen Bedeutung dieses Problemkomplexes in keiner Weise gerecht wird. Es fehlt eindeutig der notwendige Bezug auf den zentralen Begriff des inhaltlich gefüllten Gemeinwohls als entscheidender Ordnungspotenz jeglichen Eigentums­ rechtes, ganz deutlich z. B. auch, wie sich zeigen ließ, bei W’. Schreiber. Auf der einen Seite gibt er zu, daß der Kreislaufgewinn, der entscheidend zur einseitigen Vermögensbildung beigetragen hat, als ausgesprochen „gesellschaftliche Er­ scheinung“ (c 68) zu werten ist, insofern gerade auch der Arbeitnehmer und Konsument auf Grund des lautlosen, für das Gemeinwohl aber unerläßlichen „Zwangssparprozesses“ mittels überhöhter Preise an der damit gegebenen „Wirtschaftsfinanzierung“ maßgebend beteiligt war (c 38, 34). Das hindert Schreiber jedoch nicht, in bemerkenswertem Selbstwiderspruch ebenso kategorisch zu erklären, das Vermögen der privaten Unternehmen sei lediglich durch die Kräfte des Marktes entstanden; wer also mit seiner Verteilung unzufrieden sei, dürfe für Änderung dieser Verteilung billigerweise auch nur die Kräfte des Marktes bemühen (c 66). Das bedeutet grundsätzlich: In der neoliberalen Fassung kann das Privateigentum keineswegs als ökonomisch und sozial brauchbares Instrument des Ordnungsaufbaus gewertet werden.

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

413

Zu sa mm en fas su ng und Stellungnahme (zu 3) Die Zusammenfassung der neoliberalen Eigentumsethik führt zu folgendem Ergebnis: Zunächst springt die außerordentliche Bedeutung in die Augen, die das neoliberale Systemdenken der Eigentumsinstitution für die Verwirklichung des Ordo-Gedankens beimißt. Das Privateigentum gilt in seiner zweckrationalen Funktion als konstituierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung zugleich als eine der beiden Säulen der Marktwirtschaft überhaupt. Darüber hinaus erfüllt es im Dienste der spezifisch menschlichen Integration eine nicht weniger wichtige Aufgabe, insofern der Besitz relative Unabhängigkeit und Sicherheit ebenso garantiert wie er Familiensinn, „Kontinuitäts“- und Verantwortungsgefühl festigt. Insbesondere ist es die schicksalhafte Bedeutung des Eigentums für die Wahrung und Sicherung der menschlichen Freiheit, die besonders herausgestellt wird. Das Eigentum findet nicht nur als sicheres Fundament, als unerläßliche Bedingung und wichtige Garantie der individuellen Freiheit, die durch das Eigentumsrecht in vertikaler und horizontaler Hinsicht abgesichert wird, sondern darüber hinaus als notwendiges Attribut der menschlichen Freiheit schlechthin seine Rechtfertigung. Die neoliberale Freiheitsideologie, die im Erstrecht der persönlichen Freiheit den Inbegriff der Sittlichkeit überhaupt und die Grundlage aller übrigen Menschenrechte bejaht, gibt dem Eigentumsrecht die dementspre­ chende „naturrechtliche“ Begründung. Da es an der Unantastbarkeit des primären Freiheitsrechtes partizipiert, wird es als ausschließliches Gebrauchsrecht bzw. als absolute Verfügungsmacht und Verfügungsfreiheit des einzelnen Eigentümers, unter Ausschluß jeglicher Einschränkung zu Lasten der Gemeinschaft, umschrieben. Die Sicherung der sozialnützlichen Funktion des Eigentumsgebrauchs gegen Entartung wird dem Koordinationsmechanismus der funktionsfähigen Wett­ bewerbsordnung übertragen, die als letztgültige Kontrollinstanz die verschieden­ artigen Eigentumsinteressen über den Markt zum Wohle der Wirtschaftsgesell­ schaft „geräuschlos“ abstimmt. Die Kritik zentriert sich im wesentlichen um folgende Grundauffassungen, die für die neoliberale Eigentumsethik verbindlich sind : Begründung des Eigentums­ rechtes im Erstrecht auf individuelle Freiheit; absolute Verfügungsmacht über das Eigentum im Sinne der verabsolutierten, isolierten Freiheit des einzelnen; kausal­ mechanische, funktionaltheoretische Ordnung des Eigentumsgebrauchs. Im Grunde handelt es sich hier um das Problem, wie das privatrechtlich differenzierte Eigentum zu begründen und bis zu welchen Grenzen es gerechtfertigt ist.

414

Formalistische Wirtschaftsethik

Privateigentum als Recbtsfaktor der sozialen Ordnung Auf den ersten Blick ergeben sich zwischen der neoliberalen Eigentumsauffassung und der der katholischen Sozialphilosophie deutliche Übereinstimmungen. Die Bedeutung des Eigentums für die Selbstverwirklichung des Menschen, für die Pflege seines Menschentums, für seine Freiheit und Sicherstellung, für die gesamte Wirtschaft und das Staatswesen, ja für die religiöse Existenz des einzelnen ist von niemandem klarer herausgearbeitet worden als von den Päpsten Leo X III. y Pius X L und Pius X II. Allerdings begnügen sich die lehramtlichen Verlaut­ barungen, vor allem mQuadragesimo anno, nicht nur mit allgemeinen Feststellungen über die Bedeutung des Eigentumsrechtes für die Besitzenden, sondern befassen sich ebenso intensiv mit der aktuellen sozialpolitischen Frage, wie dieses Recht für diejenigen wieder zu einer Realität gemacht werden kann, die es faktisch verloren haben. Bereits hier zeigt sich der verschiedene Ausgangspunkt der beiden Eigentumslehren, der für die seinsrealistische Auffassung im Wohl der Gesamtheit gegeben ist. Im Grunde ist es die Eigentumsdoktrin des Thomas V. Aquin, die, der modernen Zeitsituation angepaßt bzw. von ihren Grundvor­ aussetzungen her weiterentwickelt, die Position der katholischen Eigentumslehre heute bestimmt. Für Thomas liegt der Ansatzpunkt zur Lösung des Eigentums­ problems in der traditionellen Auffassung von der sozialen Bestimmung der Güter, wonach — im Sinne des sogenannten „negativen Kommunismus“ — alle Güter grundsätzlich allen Menschen zur Verfügung gestellt sind. Die privat­ rechtliche Differenzierung des allgemeinen natürlichen Rechtes auf Besitztum begründet Thomas nicht vom Existenz- oder Freiheitsrecht des Individuums, sondern vom Ganzen, von der sozialen Friedensordnung her. Mit anderen Worten: Nach thomistischer Auffassung ist die Eigentumsfrage bzw. die Frage nach der berechtigten Aufteilung und Zueignung der Güter an den einzelnen eine ausgesprochene Ordnungsfrage, die primär von der sozialen Struktur des Gesell­ schaftsganzen und vom Gemeinwohl her gestellt wird. Weil die konkrete Gesell­ schaft ohne Privateigentum nicht in Frieden und Ordnung gedeihen kann, anders ausgedrückt: weil das Privateigentum als Strukturrecht und Ordnungs­ faktor der Gesamtheit gefordert ist, darum ist es auch berechtigt. Thomas begründet den Schritt von der allgemeinen sozialen Urbestimmung der Erdengüter zum individuell bestimmten Besitzrecht durch drei Tatsachen, die der konkreten Situation des wirklichen Menschen bzw. der allgemeinen Lebenserfahrung ent­ sprechen und als solche eine ausgesprochen soziale Bewandtnis haben : 1. Ansporn zu Fleiß und Sparsamkeit durch private Vorsorge; 2. rationalere Verwertung der Güter durch Abgrenzung des Verantwortlichkeitsbereiches; 3. Ruhe und Friede unter den Menschen durch Festlegung der Besitzverhältnisse (II—II 66, 1 u. 2).

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

415

Die thomistische Eigentumslehre geht also davon aus, daß das Eigentum ur­ sprünglich ein Rechtsfaktor der Ordnung ist und um des Ordnungsganzen willen erst zu einem Rechtsfaktor des Individuums wurde. Allein von dieser Basis aus lassen sich die dornigen Fragen bezüglich der sozialen Belastung und Begrenzung des Eigentums situationsgerecht beantworten. Vorrang des Privateigentums vor dem Gemeineigentum Damit ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Privat- und Kollektiveigentum im wesentlichen bereits beantwortet. Weil Gemeinwohl und soziale Ordnung es fordern, darum baut sich unsere Gesellschaftsordnung auf dem Privateigentum, auf der privatrechtlichen Ordnung als der tragenden Grundlage auf. Nach Thomas ist die Aufteilung der Güter primär ein soziales Prinzip zur Sicherung der Gemein­ schaft und der sozialen Friedensordnung. Es wäre jedoch verfehlt, aus dieser Unterordnung des Privateigentums unter das Gemeinwohl ein unbeschränktes Bestimmungs- und Eingriffsrecht der Gesellschaft in bestehende Besitzverhältnisse ableiten zu wollen. Das Privateigentum beinhaltet Gebrauchs- und Verfügungs­ freiheit und Erstbenutzungsrecht. Demnach ist an dem eindeutigen Vorrang des Privateigentums vor dem Gemeineigentum, eben weil Gemeinwohl und soziale Ordnung in der tatsächlichen Welt davon abhängen, festzuhalten. Es wäre lebensfremd, das Privateigentum durch das Kollektiveigentum ersetzen zu wollen. Nach wie vor gilt vielmehr, daß persönliche Würde und Freiheit, Verantwortungs­ bereitschaft und Daseinssicherung zutiefst mit dem Privateigentum verbunden sind, von der wirtschaftlichen Antriebskraft und Produktivität, die aus der Selbstfürsorge resultieren, ganz abgesehen. Das Eigentumsrecht hat also naturrechtlichen Charakter, darin stimmen die Thomisten und die Neoliberalen formell überein, wobei allerdings die rein subjektive Beinhaltung des Naturrechts auf neoliberaler Seite zu berücksichtigen ist. Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang ist die rechtslogische Ent­ wicklung der thomasischen Auffassung von der naturrechtlichen Bewandtnis des Privateigentums zur modernen Schauweise, die Leo X IIL in Rerum novarum erst­ mals lehramtlich vertritt (vgl. U t i 491 ff.). Während Thomas von einem final­ betonten Abstraktionsgrad ausgehend, auf dem die allgemeine menschliche Natur und der individuelle Einzelmensch, die ethisch-ideale Auffassung der Gesellschaftsordnung und die Autonomie des Individuums, das allgemeine Recht auf Besitz und das privatrechtlich differenzierte Besitzrecht noch nicht kontra­ distinguiert werden, die Notwendigkeit der privatrechtlichen Güteraufteilung mit Hilfe der genannten sozialen, nicht „individual-naturrechtlichen“, Gründe erhärtet, bezeichnet Leo X IIL das private Eigentumsrecht direkt als mit der

416

Formalistische Wirtschaftsethik

Natur gegeben (Nr. 5f.). Die drei dafür von ihm ins Feld geführten Gründe: 1. die durch die Vernunftnatur begründete Würde des Menschen; 2. die mensch­ liche Freiheit; 3. die Arbeit als Erwerbstitel, haben ausgesprochen individual­ ethischen Charakter. A . F. Ut% sieht in dieser Entwicklung, die in den Bereich des Individuums bzw. zum Aufbau der gesellschaftlichen und auch wirtschaft­ lichen Ordnung vom Privaten, vom Individualprinzip her führt und daher auch das Eigentumsrecht vom „kontingenten Individuum“ her auffaßt, nichts anderes als „die Konsequenz aus großen, im mittelalterlichen Denken noch nicht ent­ wickelten, aber vorhandenen Sozialprinzipien“ und zwar im Sinne einer „Konkre­ tisierung der abstrakten Freiheitsrechte des Mittelalters“ . Sie ist seiner Ansicht nach durch die englische Rechtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts und durch die in Amerika entwickelte Menschenrechtsidee beeinflußt worden (i 493, 495, 497f.). Nachdem die mittelalterliche Gesellschaft und mit ihr die Kirche als legitime Interpretin des Naturrechts in Frage gestellt und das moderne Gesell­ schaftsdenken durch einen dementsprechenden weltanschaulischen Wandel determiniert war( vgl. 5. Kap., Zsfg. 3), trat notwendig die individuelle Vernunft als entscheidende Richterin in Naturrechtsfragen und als Wahrerin der Menschen­ würde im modernen Sinn der Individualrechte in Kraft. Soziale Gebundenheit des Privateigentums Hat Leo X III. damit der individualistischen Idee vom Privateigentum als einem vorstaatlichen, unwandelbaren Naturrecht oder unangreiflichen individuellen Freiheitsrecht, wie sie bei allen Liberalen des vorigen Jahrhunderts, auch den katholischen (z. B. Lord Acton), vorherrschte, das Wort geredet? Die Antwort kann nur lauten: Weil Leo X III. das „Naturrecht“ des Privateigentums ganz bewußt den Sacherfordernissen des Gemeinwohls untergeordnet hat (Nr. 3f., 12) — und nach ihm noch eindringlicher Pius X I. und Pius X II. —, hat er nicht nur den zeitgenössischen Eigentumsindividualismus vermieden, sondern darüber hinaus die unterbrochene Rückorientierung an der Eigentumslehre des Thomas V. Aquin erneut vorgenommen. Er konnte, naturrechtlichem, stets auf die konkrete Situation bezogenem Denken gemäß, das Individualprinzip zum Ausgangspunkt des sozialen Aufbaus machen und die Menschenwürde im modernen Sinn der Indivi­ dualrechte zum Naturrechterklären, nachdem er den Beweis erbracht hatte, daß das Individualprinzip und mit ihm das Privateigentum um der sozialen Ordnung willen gef ordert sind. Unter dieser Voraussetzung ist das Individualprinzip als Ausgangs­ punkt und Grundnorm des sozialen Denkens ein Sozialprinzip (Ut%>i 494,499), ganz im Unterschied zur neoliberalen Auffassung, für die das Individualprinzip Aus­ gangspunkt, Leitnorm und zugleich Vollendung der sozialen Ordnung bedeutet.

Das unantastbare Eigentum als Fundament des Ordnungsaufbaus

417

Für Thomas v. Aquin ist die soziale Belastung des Eigentums noch tiefer im Natur­ recht verankert als das vorstaatliche Individualrecht und zwar auf Grund der ursprünglichen Sozialbestimmtheit der Güter schlechthin (II—II 66, 1), der Sozialnatur des Menschen und der Gemeinwohlerfordernisse. Daß die soziale Urbestimmtheit der Güter bzw. des Gütergebrauchs sich zur Güteraufteilung, zum Recht auf Privateigentum hinentwickelt hat, ist nach Thomas, wie gezeigt wurde, primär auf soziale Ordnungsgründe zurückzuführen. In der Tatsache, daß im Gemeinwohl das Apriori der privaten Eigentumsordnung gegeben ist, liegt der Ansatzpunkt für die Berechtigung von Ordnungsmaßnahmen gegenüber der eigentumsrechtlichen Verfügungsfreiheit bzw. gegenüber bestehenden Besitz­ verhältnissen, nämlich dann, wenn durch das Privateigentum die soziale Urbestimmung der Güterwelt nicht mehr gewährleistet ist. Damit wird das private Eigentumsrecht nicht etwa ausgehöhlt, sondern nur in das Gesamtgefüge des sozialen Ordnungsganzen eingegliedert und in seiner vorbestimmten Dienst­ funktion erneut bestätigt. Leo X III. — und mit ihm die katholische Eigentums­ doktrin insgesamt — hat den von Thomas klar herausgearbeiteten Sachverhalt, daß das vorstaatliche Eigentumsrecht im Grunde ein „Nachfahre“ des rechtver­ standenen Gemeinwohls, nicht aber ein vorgemeinschaftliches, unantastbares Erstrecht ist (£7/^, i 522), lehramtlich bestätigt. Da die vorgegebene soziale Ord­ nung eine Ordnung des privaten Rechtes ist, steht die Rechtsvermutung zunächst für das Individuum, für das private Eigentumsrecht und darüber hinaus für die auf dem privaten Eigentum aufbauende freie Wirtschaft, aber, wie A . F. U t\ betont, „im Rahmen des Gemeinwohls, und nicht nur das, sondern sogar nur zur Wahrung des Gemeinwohls“ (i 527). Damit stoßen wir auch in der Eigentums­ frage auf den für das gesamte sozialethische Ordnungsdenken zentralen Begriff des rechtverstandenen Gemeinwohls (vgl. Weltyy d III, Fr. 1—23). Weil der Neoliberalismus, seinen individualistischen Denkprinzipien gemäß, den unab­ dingbaren Gegenpol des individuellen Eigentumsrechtes: die soziale Urbestimmung der Güterwelt und das finalethisch interpretierte Gemeinwohl, ausge­ klammert und den individualethisch normierten Koordinationsmechanismus der Wettbewerbsordnung zur einzig legitimen Kontrollinstanz des Privateigentums erklärt hat, gelangte er notwendig zu jener starren Auflassung, die in der Eigen­ tumsordnung lediglich ein unantastbares, privatrechtlich-institutionelles Schutz­ system zugunsten der Besitzenden erblickt und eine konstruktive soziale Eigen­ tumspolitik erschwert.Wie verfehlt es übrigens ist, sich etwa mit W. Röpke (i 16 f.) auf Thomas v. Aquin als einen der ersten Liberalen („liberal“ hier im neoliberalen Verständnis) berufen zu wollen, wird hier wieder deutlich.

418

Formalistische Wirtschaftsethik

Abs chließende Beu rte ilu ng der n eo lib era len W i r t s c h a ft s e th i k (zu Kap. 7) Für die abschließende Beurteilung der neoliberalen Wirtschaftsethik ist die nominalistisch begründete, rein wirtschaftsimmanente Ordo-Idee des Neolibera­ lismus naturgemäß fundamental. Wie zu Beginn dieses Kapitels klargestellt wurde, realisiert das neoliberale Ordnungswollen lediglich eine „Parallelethik“ der Marktaktiven im Sinne einer individualistischen Verkehrsregel; eine relati­ vierte Funktionsethik also, die dadurch charakterisiert ist, daß sie Erkenntnisse und Postulate der reinen Modelltheorie als normativen Ersatz wertet bzw. von der philosophisch-ethischen Basis her zu unterbauen und als sittliches Soll zu verteidigen sucht. Von der realistischen Wirtschaftsphilosophie werden gegen dieses Ethos, das für den Wirtschaftsalltag von eminent praktischer Bedeutung ist, erhebliche Einwände geltend gemacht. Die Kritik zentriert sich unter anderem auf die Argumentation W. Euckens zur Lösung des Harmonieproblems, die für die wirtschaftsethische Konzeption der Freiburger Schule von grundsätzlicher Bedeutung ist. Der Sachverhalt, der im vierten Kapitel (2 c) ausführlich dargelegt wurde, ist kurz folgender : Eucken empfiehlt, das Ausgleichsproblem zwischen Eigeninteresse und Gesamtwohl, das im wesentlichen durch das einzelwirtschaftliche Handeln nach dem „wirtschaftlichen Prinzip“ und nach Maßgabe der einzelbetrieblichen Wirtschaftsrechnung bedingt wird, als rein ökonomisches, funktionaltheoretisches Problem und losgelöst von der ethischen Frage zu behandeln (h 354). Er stützt sich dabei auf folgende Voraussetzungen: 1. Das Handeln nach dem „wirtschaft­ lichen Prinzip“ bildet die Konstante sowohl für den Egoisten wie für den Altru­ isten, hat also mit der ethischen Einstellung des Wirtschaftenden nichts zu tun, weshalb die dauernde Vermischung zwischen „Egoismus“ und „wirtschaftlichem Prinzip“ als der Krebsschaden der ganzen Diskussion über diesen Problem­ komplex anzusehen sei (h 352); 2. Egoismus oder Altruismus befinden sich gleichsam auf verschiedenen Ebenen, insofern die ethische Grundeinstellung des Wirtschaftenden die Zwecke seiner Wirtschaftspläne festlegt, während das Handeln auch dem „wirtschaftlichen Prinzip“ die Auswahl der M ittel zur Reali­ sierung der Zwecke bestimmt (h 353), womit Eucken zum Ausdruck bringt, daß das wirtschaftstechnisch richtige Handeln faktisch als ethisch neutralisiert zu gelten hat; 3. Das wirtschaftliche Prinzip erhält als zwecksetzender Faktor ethisch-normativen Charakter, insofern es für den individuellen wie für den gesamtwirtschaftlichen Bereich selbst Produktionsanweisungen erteilt (h 353) bzw. zu einer Pflichtversäumnis Anlaß gibt, wenn es nicht befolgt wird (h 352). Wie wir gehört haben, hält es Eucken für ausgesprochen „töricht“ und „abwegig“.

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Wirtschaftsethik

419

Menschen, die einzelwirtschaftlich „richtig“ handeln, dabei aber das Gesamt­ interesse wissentlich schädigen, daraus einen Vorwurf machen zu wollen (h 359f.). Die Fragen, um die es hier geht, sind folgende: Läßt sich das ökonomisch­ rationale Handeln aus der sittlichen Gesamtordnung herauslösen und in der Art verabsolutieren, wie es bei Eucken der Fall ist? Ferner: Welches sind die echten Kriterien für das wirtschaftlich „richtige“ Handeln? Im Grunde geht es hierbei um das wirtschaftsethisch relevante Spannungsverhältnis zwischen Sitten­ gesetz, Wirtschaftsfreiheit und wirtschaftlicher Sachgesetzlichkeit. Wirtschaftsethik und sittliche Gesamtordnung Da die wirkliche Wirtschaft das Gesamt menschlicher Handlungen darstellt, die aus der freien Selbstbestimmung des Wirtschaftenden resultieren, untersteht sie nach realistischer Auffassung insgesamt der ethisch-normativen Beurteilung. Der universalethische Aspekt faßt die Forderungen der Wirtschaftsethik als Zielordnung in die beiden Imperative zusammen: handle „wesensgemäß“ und handle „ziel­ gerecht“ . Eine wirtschaftliche Einzelhandlung kann demnach nur als „richtig“ bezeichnet werden, wenn sie zunächst den seinshaften Wirtschaftsgesetzen entspricht. Die Wirtschaftsethik richtet sich niemals gegen die sogenannten Wirtschaftsgesetze. Im Gegenteil I Das wirtschaftliche Handeln muß zunächst wirtschaftstechnisch in Ordnung sein, bevor es als wirtschaftsethisch-werthaft bezeichnet werden kann. Hier ist der Platz für die Normen, die den rechten Vollzug der zur Diskussion stehenden Verkehrs- und Wettbewerbswirtschaft ermöglichen: Handeln nach dem ökonomischen Rationalprinzip; Einhaltung der rechten Tauschordnung gemäß dem Prinzip der objektiven Äquivalenz; Beachtung der aus dem Wesen der Sache von der Rechtsordnung her festgelegten Wettbewerbsregeln. Die Wirtschaftsethik im engeren Sinn hat als Summe wirtschaftstechnischer Sachnormen institutioneilen Charakter. Sie konkretisiert sich im generellen Imperativ : „wirtschafte wirtschaftlich“, d. h. unter Berücksichtigung aller Zweck-MittelZusammenhänge und Bedingungskonstellationen. Es wäre verfehlt, diese Sachnormen im Sinne eines wirtschaftsfremden Moralismus außer acht lassen zu wollen, darin ist den neoliberalen Theoretikern durchaus recht zu geben. Nach realistischer Auffassung garantiert der wirtschaftstechnisch richtige Vollzug von sich aus jedoch noch nicht die Realisierung des wirtschaftlichen Gesamtziels einer Volkswirtschaft. Die Zielgerechtheit des wirtschaftlichen Handelns wird naturgemäß von der grundsätzlichen Wirtschaftsauffassung her bestimmt. Daß die Wesensdeutung und Sinnerfüllung der Wirtschaft nicht mit der rein formalen Überwindung der marktmäßig geltend gemachten Knappheit auf der Basis

420

Formalistische Wirtschaftsethik

maximaler Produktivität identisch, sondern statt dessen als eine umfassende Gestaltungsaufgabe zu verstehen ist, wurde ausführlich dargelegt (6. K., 2c Zsfg). Damit sind die Kriterien für das wirtschaftsethisch richtige und zielgerechte Handeln jedoch noch nicht erschöpft. Jede wirtschaftliche Entscheidung ist, wie jede menschliche Handlung, in den sozialethischen Ordnungszusammen­ hang und in die umfassende sittliche Gesamtordnung eingebaut, die das einzel­ wirtschaftlich richtige Handeln dem letztgültigen sittlichen Ziel des Menschen unterstellt. Die Möglichkeit einer doppelten Moral ist damit von vornherein aus­ geschaltet. Mit anderen Worten: In der Stufenordnung der Normwerte bean­ spruchen die sittlichen, einschließlich sozialethischen Normen den obersten Rang. Ihnen sind die unmittelbar wirtschaftsethischen Normen untergeordnet. Diese Normwelt ist dem wirtschaftlichen Handeln vorgeordnet und daher von vornherein verbindlich. Wirtschaftsgeset^ und Handlungsfreiheit Von dieser universalethischen Sicht her erhält auch die für das ökonomische Denken wesentliche Funktion der sogenannten Wirtschaftsgesetze Inhalt und Begrenzung. Fassen wir das Wirtschaftsgesetz, im Unterschied zur „Tendenz“, als eine Aussage über einen unmittelbar sachlich zwingenden Zweck-MittelZusammenhang, die durch Zergliederung eines Sachverhalts oder durch Abstrak­ tion aus der Erfahrung gewonnen ist, dann ist dieses Gesetz als „analytische Wahrheit“ unumstößlich. Soweit Gesetze auf das vermeintliche Verhalten des Menschen zurückgreifen, sind sie es nicht (W. d. P., IV, 13f., 15). Ist damit eine sittliche Gestaltung der Wirtschaft in freier Verantwortung ausge­ schlossen ? Da die Wirtschaftsgesetze über den inneren Zusammenhang zwischen bestimmten Mitteln und den durch sie erreichbaren bestimmten Zielen orien­ tieren, belehren sie zugleich über die Wahl bestimmter Mittel und schaffen damit die materiellen Voraussetzungen für die sittlich-gute Gestaltung der Wirt­ schaft. Die zu ergreifenden wirtschaftlichen Maßnahmen werden in Freiheit so getroffen, daß die zu erwartenden gesetzmäßigen Wirkungen sittlich verant­ wortet werden können. Freiheit und Verantwortung werden also nicht ausge­ schlossen oder beeinträchtigt, sondern vielmehr nur klar umschrieben und be­ gründet. Zwangsläufig ist nur der Zusammenhang zwischen Mitteln und Zielen. In der Wahl der Ziele bleibt der wirtschaftende Mensch frei. Insofern geben wir W . Eucken recht, daß das „Gesetz der Dinge“ nicht willkürlich und im Namen einer Freiheit, die in Wirklichkeit wirtschaftliche Unwissenheit ist, ausgeschaltet werden darf, wenn richtig gewirtschaftet werden soll. Aller­ dings vertritt Eucken im Interesse der privaten Wirtschaftsrechnung, wie wir gleich

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Wirtschaftsethik

421

sehen werden, den Standpunkt, daß die einzelnen Gesetze auch dann zwingen, wenn die vorausgesehenen Folgen nicht sittlich zu verantworten sind. Er fordert kategorisch die Einhaltung der Gesetze, um dem „Verfall des ökonomischen Denkens“ (h 370) vorzubeugen. Was wir also an dieser Beweisführung wiederum kritisieren müssen, ist die grundsätzliche Wirtschaftsauflassung, die die Wirtschaft nicht als einen Kultursachbereich mit nur relativer Eigengesetzlichkeit bejaht, sondern vielmehr ihre Gesetze verabsolutiert. Wer wie die Neoliberalen ausschließlich die reinen Tauschbeziehungen und den funktionellen Ablauf der Marktmechanik im Auge hat, ohne die Wirtschaft insgesamt auf ein höheres, nicht in ihr selbst liegendes Ziel ausgerichtet zu wissen, und wer zudem einen formalistischen Freiheitsbegriff vertritt, der sieht notwendig die Freiheit durch den „sachlichen Vorrang der wirtschaftlichen Notwendigkeit“ begrenzt; die Anerkennung der markttheoretischen Sachlogik ist für ihn wie für Eucken dann das kleinere Übel (h 370). In Wirklichkeit anerkennt die Wirtschafts­ ethik keine sittlich verpflichtende Autorität der Wirtschaftsgesetze. Es gibt für sie keine Unterwerfung unter die Gesetze und keinen Verstoß gegen sie, auch keine Begrenzung der Freiheit durch die Wirtschaftsordnung, sondern nur ein soyalivirtschaftschafflieh sfclgerechtes Handeln „unter kluger Bedachtnahme“ auf die erkannten Gesetze, deren man sich bedient, um die Wirtschaft %ugestalten und %ubeherrschen (W. d. P., IV, 17f.). Aus diesem Grunde fordert der Ethiker, daß der wirtschaft­ lichen Freizügigkeit echte Grenzen gesetzt werden, wie sie nur die Rücksicht auf das Gesamtwohl angeben kann. Das bedeutet, daß es auch nichtkonforme Ein­ griffe in die Marktwirtschaft geben muß, wenn marktkonforme nicht zum Ziele führen; daß der freie Wettbewerb einer gesellschaftlichen Kontrolle bedarf; daß das freie Verfügungsrecht über das Eigentum sozial begrenzt ist. In einer Sozial­ wirtschaft gibt es keine unbegrenzte Freiheit. Die Freiheitsrechte aller sind, wie J. Meßner betont, innerlich koordiniert (j 223). Die Koordination wird bestimmt durch die gesellschaftliche Ordnungsgewalt1. Finalethische Beinhaltung des ökonomischen Prinzips Die Klarstellung des Spannungsverhältnisses zwischen Sittengesetz, Freiheit und Wirtschaftsgesetz bietet den Ansatzpunkt für die abschließende Beurteilung des Eucken*schen Vorgehens zur Lösung des Harmonieproblems. Zunächst ist festzu­ halten: Aus der Tatsache, daß beide, sowohl der Egoist wie der Altruist, öko­ nomisch rational handeln müssen, um ihre jeweiligen antithetischen Zweck­ setzungen optimal zu realisieren, kann nicht geschlossen werden, daß das *) UTZ, h 115f.; m essn er, j 644, 83£.; a 23, 41 f.; w e b e r - tis c h le d e r , 20f., 26; k a l v e ra m , 25fL; w e isse r, i 43 54; V. b e c k e r a t, 295.

422

Formalistische Wirtschaftsethik

ökonomisch richtige“ Handeln ethisch neutral ist und nichts mit ethischen Zweck­ setzungen zu tun hat. Was von vornherein zu denken gibt, ist der Umstand, daß beide zwar dem gleichen Prinzip folgen, andrerseits aber ganz verschiedene Mittel anwenden müssen, um zu ihren ethisch und wirtschaftlich differenzierten Zielen zu gelangen. Die einzig mögliche Schlußfolgerung ist vielmehr die, daß es sich beim wirtschaftlichen Prinzip lediglich um ein wirtschaftstechnisches, formales Kombinationsprinzip handelt, das seinen konkreten Gehalt von der jeweiligen Zwecksetzung her empfängt. Daß Prinzipien, ob sie nun dem wirtschaftlichen oder mathematischen oder einem anderen Bereich angehören, für sich betrachtet außerhalb jeder ethischen Wertung stehen, ist keine Frage. Es bedarf daher nicht einer Unterstreichung, daß das „wirtschaftliche Prinzip“ mit Egoismus oder Altruismus nichts zu tun habe. Der entscheidende moralphilosophische Gesichtspunkt, den W. Eucken nicht berücksichtigt, ist jedoch der, daß jedes abstrakte Prinzip, sobald es in die Ebene des konkreten Handelns transponiert und zur Maxime des menschlich-vernünf­ tigen Handelns erklärt wird, damit vom Ziel her seine Beinhaltung erfährt. Das bedeutet also, daß das „wirtschaftliche Prinzip“ als leere Formel des technisch richtigen Vollzugs erst durch die Zwecksetzungen des frei sich entscheidenden Wirtschaftsindividuums realen und diskutablen Inhalt erhält, der vom universalethischen Standpunkt aus auf seinen sittlichen Wert und seine Erlaubtheit, vom wirtschaftlichen Sachverstand her auf seine Rationalität und Brauchbarkeit ge­ prüft werden muß. Beide Gesichtspunkte : Intention und Ausführung,, sind nicht von­ einander trennen, da aus beiden zusammen die wirtschaftlich-vernünftige und ethisch­ werthafte Handlung resultiert. Aus diesem Grunde ist es ohne nähere Bestimmung des maßgebenden Zieles absurd zu fragen, was das wirtschaftliche Prinzip „verlangt“, welche Pläne aus seiner individuellen Anwendung „hervorgehen“ . Nicht vom Prinzip des Handelns, sondern nur vom Wirtschaftsziel her können Pläne gemacht und die Erfordernisse für ihren technisch richtigen Vollzug fest­ gestellt werden, sobald Klarheit über die materiellen Möglichkeiten besteht. Damit ist auch das Nötige zu der gedanklichen Konstruktion der beiden ver­ schiedenen „Ebenen“ gesagt, mit deren Hilfe W. Eucken das sachgerechte Wirt­ schaften gegenüber der ethischen Qualifikation der Zwecksetzung abzukapseln sucht. Sie muß vom Standpunkt der Moralphilosophie aus als unhaltbar betrachtet werden. Es trifft zwar zu, daß die Ziel wähl und die Wahl der Mittel auf zwei verschiedene Haltungen und Akte des Willens zurückgehen, die als physisch verschieden real voneinander zu unterscheiden sind. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, daß die Mittelwahl ohne die Zielwahl nicht denkbar ist, also auch nicht verselbständigt werden kann. Das Ziel selbst bestimmt als Finalursache den Willen primär, das Mittel jedoch wird stets um des Zieles willen und in

Abschließende Beurteilung der neoliberalen Wirtschaftsethik

423

Richtung auf das Ziel ausgewählt und gewollt. Aus diesem Grunde kann die Mittelwahl nicht isoliert betrachtet werden, sondern liegt auf derselben ethischen Ebene wie das Ziel selbst. Es ist unmöglich, unter Ausklammerung der ethischen Bewandtnis des erstrebten Zieles eine wirtschaftliche Handlung allein deshalb als „richtig“ zu bezeichnen, weil der jeweiligen Mittelwahl die ethisch neutrale Formel des ökonomischen Rationalprinzips zugrunde liegt. Sozialethisehe Bindung des privaten Wirtschaftsgewissens Auch die Ansicht W. Euchens, die Diskussion um diesen Fragenkomplex leide an der dauernden Vermischung von „Egoismus“ und „wirtschaftlichem Prinzip“, wäre nur dann zutreffend, wenn die Kritik die Wurzel des egoistischen Verhaltens im „wirtschaftlichen Prinzip“ suchen und auf diese Weise das Prinzip selbst in Mißkredit bringen würde. Der Sachverhalt ist jedoch ein wesentlich anderer. Nicht deshalb ist der Wirtschaftsleiter im vorliegenden Beispiel als Egoist einzustufen, weil er ökonomisch rational handelt und auf Grund exakter Wirtschaftsrechnung mit Erfolg arbeitet, sondern weil er als Verantwortlicher seine Wirtschaftskennt­ nisse in den Dienst eines Zieles stellt, das auf Kosten der Gesamtversorgung realisiert wird und im Endeffekt den Lebensinteressen seiner Hausgenossen widerspricht. Würde der Leiter bei der Verfolgung seiner egoistischen Absichten das „wirtschaftliche Prinzip“ außer acht lassen, dann träfe ihn nicht nur der Vorwurf des Egoismus, sondern obendrein auch noch der, daß er vom Wirt­ schaften nichts versteht. Euchen bemüht sich also unnötigerweise, den technischen Vorgang des rationellen Wirtschaftens gegen den Verdacht des Egoismus zu verteidigen. Nicht in der Kausalität und Rationalität, sondern in der Finalität des Verhaltens liegt die Wurzel des Konfliktes und der Anlaß zur Kritik. Die von der Freiburger Schule geforderte Prädominanz des markttheoretischen Denkens, das sich unter hypothetischer Voraussetzung eines als Datum gesetzten Zieles in isolierter Betrachtungsweise lediglich mit dem sachlich richtigen Weg zu diesem Ziele auseinandersetzt, ohne zu dem Ziel selbst Stellung zu nehmen, bedingt offenkundig den Gedankengang W. Euchens. Die Analyse dieser Argumentation, die unbesehen Theoreme des Marktmodells zu wirtschaftspraktischen Axiomen erklärt, indem sie die Richtigkeit einer wirtschaft­ lichen Handlung ausschließlich von der einzelbetrieblichen Wirtschaftsrechnung her beurteilt, ist deshalb von eminenter Bedeutung, weü hier die Gefahr der doppelten Moral droht. Wenn die übergeordneten Gesichtspunkte sozialwirtschaft­ licher Sachnotwendigkeiten und die alles menschliche Tun umgreifenden sitt­ lichen Normen aus dem privaten Wirtschaftsgewissen ausgeklammert werden, dann wird notwendig die Einheit der sittlichen Ordnung gesprengt und im

424

Formalistische Wirtschaftsethik

Wirtschaftsalltag einer Praxis das Wort geredet, die unter universalethischem Aspekt verwerflich erscheint. Wenn zudem die persönliche Verantwortung für konkretes Handeln auf die gegebene fehlerhafte Wirtschaftsform abgeschoben und allein diese für den Interessenkonflikt verantwortlich gemacht wird, nicht aber der freie Wille des wirtschaftenden Menschen, der unter klarer Voraussicht der gemeinschädlichen Folgen sich dieser Form dennoch bedient, dann liefert dieser formalistische Rückzug in jedem Fall das brauchbare A libi für eine Haltung, die offensichtliche Verstöße gegen die Lebensinteressen der Gesamtheit mit dem Hinweis auf die geltende Wirtschaftspraxis sanktioniert. Das wirtschaftliche Ethos sinkt damit not­ wendig auf das Niveau der Gren^moral ab. Inwieweit den einzelnen Wirtschafter, der sich durch die jeweilige Marktsituation zu einem sozialethisch unverantwortlichen Handeln „gezwungen“ sieht, mehr oder weniger Schuld trifft, steht hier nicht zur Debatte. Etwas anderes aber ist es, ob er in jedem Fall mit gutem, weil von Wirtschaftstheoretikern sanktioniertem Gewissen den Weg der unbedingten Selbstfürsorge gehen darf, auch zum Schaden der Gesamtheit. Rückblick und Ausblick Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, die philosophischen Vorausset­ zungen der neoliberalen Doktrin zu untersuchen und mit einer sozialen Ethik zu konfrontieren, die unzweideutig als gesellschaftliche und nicht nur als Individual­ ethik zu bezeichnen ist. Wir sind der Überzeugung, daß damit die neoliberale Doktrin zugleich auch der christlichen Gesellschaftslehre gegenübergestellt und einer Klärung der beiderseitigen Grundpositionen und Vorbehalte gedient ist. Im Mittelpunkt stand die entscheidende Frage : Hat sich der Neolibe^alismus von den ideologischen Voraussetzungen der rationalistischen Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts wirklich losgesagt, so daß er als eine echte Neuschöpfung betrachtet werden kann, die die traditionellen Einwände gegen den Liberalismus und seine wesentlichen Axiome als überholt erscheinen läßt? Ausgelöst wurde diese Frage durch die von verschiedenen neoliberalen Ideologen vertretene Überzeugung, daß es sich bei dem neoliberalen System um eine „neue dritte Form“ {Müller-A., d 88) handelt, die nicht etwa nur eine „epigonenhafte Nachahmung“ und Umwandlung alten Gedankengutes darstellt, sondern viel­ mehr auf eine „Umorientierung grundsätzlicher Art“ {Röpke, c 274; g 226, 230) und „Neufassung“ {Müller-A., g 265) zurückzuführen sei. Aus diesem Grunde stelle sie etwas „grundsätzlich anderes“ dar (F. 305,307,390 Eynem , & ▼. 13, 16L, 80, 137, 161, 165, 362L

448 Falkenberg, R. 40, 42, 44, 52, 101 Ferber, W. 14, 267 Ferguson, A. 49, 64 Fichte 52, 212 Fischer, R. 13, 17, 363 Fraenkel, E. 210 Frank, P. 15, 16, 362, 397 Freyer, H . 327 Friedman, M. 5 Gleitze, B. 371 Goethe 49 G ottl-O ttlilienfeld, F. v. 337f., 374f. Gregory, Th. 6 Großmann-Doerth, H . 6 Gruber, M. v. 167 Gundlach, G. 15, 275, 279ff., 285 Haberler, G. v. 6 H ahn, A. 8 H asbach, W. 327 H aussm ann, F. 12, 13, 16, 362 f. Hättich, M. 129, 131, 201, 239ff., 249, 254, 259, 264ff., 284, 308, 383f., 389, 396, 400 f. H auck, Fr. 112 H aussier, E. 371 H ayek, F. A. 6, 8 ff., 23, 4 9 f., 61 ff., 71, 78, 81, 89f.,92ff., 112,131,150, 153,159,209,211,217ff., 223ff., 229f., 242, 248, 293, 298, 300, 302f., 307, 310, 344, 361, 391, 403 ff. H e g el 251 f. H eim ann, E. 78 f., 283, 409 H einrich, W. 341 H ensel, K. P. 6, 128 f., 238f., 254ff., 259, 262, 265, 382, 387, 394f.

Autorenverzeichnis

Heraklit 24, 361 H obbes 54 H um boldt, W. v. 49, 55, 59 f., 72, 89 H um e, D . 42ff., 48, 52, 54, 56, 59, 61, 101, 344 H usserl, E. 278 H uit, W. H . 6 Jäger, H . 374 Jecht, H . 365 Jöhr, W. A. 13, 16ff., 82, 161, 168, 244, 266 f., 279, 356, 374 Jostock, P. 17, 162f., 166, 365, 370, 372 f. Kalliefe, H . 13 Kalveram, W. 288, 421 Karnitz, R. 6 Kant 39, 44, 46, 54, 67, 76ff., 81, 181, 212, 223, 280 f., 284 ff. K leutgen, J. 24, 29 f., 35 Klüber, F. 17, 159, 164, 336 Knight, A. F. 5 Koestler, A. 77 Kohn, H . 5 Krapotkin 3 Kraus, O. 51 Kroll, G. 13, 17, 162, 365 Küchenhoff, G. 260, 262 f. Küng, E. 13, 18, 391 Kunze, B. 73, 129 Laski, H . 210 Leibniz 52, 54 Leo XIII. 414 ff. Lim m er 365 Lippm ann, W. 5 Locke, J. 39ff., 45f., 49, • 52, 61, 76, 95f., 105, 279, 344 Locher, G. 15f. Löwenthal, R. 13,15,156,

362, 392 Lutz, F. A. 6, 131 f., 140, 149, 152, 354 M achlup, F. 6 M ackenroth, G. 17, 164, 166 Maier, K. F. 6, 10, 363 Maier, F. W. 40 M andeville, B. de 49, 65, 89, 344 Marbach, F. 16, 244, 364 Marx, K. 105f. Mead, G. H . 62 M ering, O. v. 9 Messner, J. 82, 84, 134, 199f., 209, 212, 215, 224, 227, 247, 252, 260, 263, 322, 337, 340, 354, 375, 400, 402, 421 M iksch, L. 6ff., 60, 78, 81, 121, 123, 126, 128, 131, 133ff., 138, 148, 150,208,223,250,303 ff., 309, 312f., 345f., 348, 356, 363 f., 382f., 385, 394, 396 ff. M ill, J. St. 57 M ises, L. v. 6, 8, 9, 303, 361, 401 M oeller, H . 11, 13, 83, 126, 162, 168, 322, 364, 388 M ontesi, G. 83 M ontesquieu 302 M osca, G. 49 M ühlenfels, A. v. 15, 295 M üller-Arm ack, A. 4, 6, 7, 9f., 12, 18f., 60, 78f., 91 f., 121 ff., 125, 127, 133, 137, 142 ff., 150ff., 156, 158 f., 187 f., 192, 197, 206f., 231, 237, 240, 243, 255, 268f., 273f., 289 ff., 297 f., 314ff., 321 ff., 326, 331 ff., 342f.,

345, 348, 358, 360, 365f., 370, 382, 385 f., 389 f., 395, 398, 401 £., 405, 408 f., 424 M uthesius, V. 6, 9, 23, 50, 61, 63, 65, 71, 302f., 359 ff., 365, 371,373, 391 N ell-B reu n in g, O. v. 13, 16, 137, 156, 160, 163f., 167, 225, 253ff., 260, 263 f., 288, 294, 297, 309ff., 324, 328, 333f., 336ff., 351, 356, 359ff., 375, 388, 392 f., 399 N in k , C. 286 Oakeshott, M. 6 Oberhäuser, A. 366, O ckham , W. 25, 34, 46, 56 Oestrich, H . 6 Oeter, F. 17, 164, 166, O ppenheim er, Fr. 3 Ortega y Gasset 232 Ottel, F. 16, 362f.,

369 36,

365

400

Paish, F. W. 6 Paulsen, A. 13 Pesch, H . 375 Peter, H . 13, 15 ff., 82, 130,167, 278f., 285, 308, 362 f. 394 396 397 Pfister, B. 6 Pius XI. 255, 414, 416 Pius ΧΠ. 414, 416 Plant, A. 6 Plato 24, 37 Le Play, F. 3 Preiser, E. 4, 13, 17, 163, 365 Preller, L. 160 Pribram, K. 60, 209

Autorenverzeichnis

449

Proudhon, P. J. 3 Pütz, Th. 277 f., 341

Schmid, H . 13,14,15, 255 Schoeck, H . 5 Schreiber, W. 131, 302, 305, 317, 370ff., 385, 394ff., 401, 412 Schwer, W. 308 Seidel, B. 4, 15f., 78f., 84f., 167, 233, 362, 397 Shaftesbury 344 Sim m el, G. 36, 229, 308 Sim ons, H . C. 5 Sism ondi, J. C. 3 Smith, A. 49, 64, 172, 293, 303, 308, 344 Sokrates 38 Sombart, W. 329, 330, 332 Spann, O. 252 Spencer, H . 42 Stackelberg, H . v. 16, 279, 374 Stigler, G. 5 Stockl, A. 24, 37, 45

Quadragesimo anno 206, 234, 252, 255ff., 399, 400, 414 Ranke 232 Rerum novarum 255, 415 Ricardo 293 Rickert, H . 295 R iehl, W. H . 3 R itschl, H . 13, 16f., 156, 237, 278, 284 f., 308, 334, 362ff., 385, 392, 394 R obbins, L. 6 Röpke, W. 3, 6, 7, 9ff., 23, 49f., 57ff., 65, 67, 70ff., 84, 89, 92f., l l l f . , 123 f., 126ff., 140, 142, 1 4 9 ,1 5 4 ,1 6 1 ,187f., 192, 197f., 205f., 208, 210ff., 221, 223, 229ff., 240ff., 249 f., 255, 257, 260, 264, 266ff., 274, 287, 299ff., 303, 314, 322, 326 f., 332f., 345, 358f., 361, 363, 374, 383f., 388ff., 394f., 399, 403ff., 409, 411 f., 417, 424f. Roezelin 25, 36 Rousseau 8 Rueff, J. 6 Rüfner, V. 286 Rüstow, A. 6f., 9f., 12, 65, 90, 137, 139, 150ff., 154f., 187ff., 191, 197, 206, 209, 223, 231, 235, 238, 243, 245, 255, 259, 261, 266, 269, 301, 323, 325f., 363f., 382, 388f., 401, 404, 408 f., 411, 425 Ruppin, H . 16, 278, 288 Salin, E. 16, 266, 362 Scheler, M. 54 Schelsky, H . 73

Ternus, J. 33, 41,44, 51 f., 62 Thom as v. Aquin 7, 49, 29, 31, 33, 110, 414ff. T ocqueville, A. de 49 Tucker, J. 49, 64 Turroni, C. B. 6 Ü berweg, Fr. 45 Utz, A. F. 14f., 53, 55, 57, 60, 62, 67, 69, 72, 75, 77, 83, 101, 103, l l l f . , 114, 134, 161, 198ff., 205, 212, 215, 222,224,249,252,258 ff., 261 ff., 273, 336 f., 397 f., 400, 415 ff., 421 Veit, O. 23, 25 f., 45 f., 49 f., 56, 61, 209, 240, 253, 274, 276, 284, 304, 306, 402 Ven, J. van der 260, 262

450

V illey, D . 6, 12, 15, 18, 327, 425 V leu gels, W. 15, 285 Weber, A. 277, 287, 293 Weber, M. 275, 285, 295 W eber-Tischleder 375, 421 W eddigen, W. 353 W eibel, J. 17, 156, 167

Autorenverzeichnis

W eippert, G. 15, 168, 278, 284f., 288, 294f., 375, 382, 392 f. W eisser, G. 15, 17f., 126, 163, 165, 167, 336f., 352f., 356, 365, 374f., 393, 421 W elty, E. 17, 51, 53, 55, 163, 200, 260, 263, 417 Werner, J. 17 f., 356

W hitehead 300 W iebel, M. 303 W iese, L. v. 221 f., 224 W ilm sen, A. 286 W ingen, W. 167 W uerm eling, F. J. 167 Zw iedineck-Südenhorst, O. v. 374

SACHVERZEICHNIS Abendland, liberale Rettung des 125 Abstraktion 30, 277 f., 295, 420 — generalisierende 32, 278, 280 — nominalistische 15f., 30, 32, 39, 44, 279, 341 — realistische 30ff., 41, 279 — typisierende 279 Abstraktionsgrade 31, 39, 112, 393 Agrarpolitik. 235 Äquivalenzprinzip 163, 343, 345 ff., 353f. „Aktionsgemeinschaft Soziale Markt­ wirtschaft e. V .“ 161, 165 Aktualismus 51 f., 62 Aktualitätspsychologie 52 Akzidenz logisches u. ontologisches 247 Allgemeine das 25, 28, 30f., 33, 36 Allgemeinbegriffe 44 — als Erkenntnisprinzipien 36 — gegenständl. Wert 33ff., 38, 198, 280 — Hypostasierung 288 — u. Idealtypen 280 Allgemeinheit — nominalistische Verfehlung 33, 35ff., 45 f., 50, 207 — realistische Auffassung 26ff., 30ff., 36 Als-ob-Erkenntnisse 392 Als-ob-Korrekturen 13, 362 Alternativdenken, neoliberales 60, 152, 358 Altruismus wirtschaftspolit. 178,181 Analogie 199, 251 f., 393 Analyse u. Synthese bei J. Locke 41 Angebotsmonopole 178

Animalische Not Druck der 96, 100 Antike, griechische 7, 49 Antimonopolismus 13, 362 ff. Antinomie große b. Eucken 15, 276, 279f., 283f., 286 Antirationalistische Skepsis 89 Anthropologie 50 f., 64 ff. Anthropomorphismus 288 Arbeiterschaft 7, 165, 370 f. — organisierte 148 Arbeitsbedingungen 346 Arbeitsgefahren 342 Arbeitskraft 161, 345 Arbeitslosigkeit 80, 236 Arbeitsmarkt 14, 253 Arbeitsmarktparteien 253 Arbeitsmarktverfassung 147 Arbeite Verhältnis 91, 138, 162 Arbeitszeitbeschränkung 155 Arianer 25 Aristoteles u. Thomas v. A. Mißdeutung von 111 Armut Überwindung der 123, 192, 372 Assoziations-Gesetze bei Hume 43 Attribute, außerwesentliche 28 Aufklärung, englische 20,23, 45 b., 49 ff., 64, 71, 76, 112, 207, 221, 224, 299, 64, 71, 76, 112, 207, 221, 224, 299, 402, 406f. Aufklärungsphilosophie 425 Ausgangsdaten u. Vermögenszunahme 347 Autonomie 56, 78, 84

452

Sachverzeichnis

Autorität u. Freiheit 75 Axiomatik falsche neoliberale 397 Bank Deutscher Länder 162, 365 Bauern 162 Bedarf 176, 314, 331, 338 — Arten des 318, 329 Bedarfsdeckungskombination 138, 318, 329f., 343 Bedürfnisbefriedigung 177,185, 287, 328 330, 339, 347 Bedürfnisskala 193, 331 Befehlswirtschaft — Preispolitik der 364 Begabtenförderung 165, 342 Begriffsfetischismus 278 Begriffsnationalökonomen 275, 280, 284, 308 Begriffsrealisten 288 Berufsehre 57 Berufsgemeinschaft u. Berufsstand 255 Berufsstände — Mißverständnis der 238 f. — u. Sozialpolitik 147 berufsständ. Idee 239, 252f. berufsständ. Ordnung 14, 210, 252, 264 — neoliberale Ein wände 238 ff., 254, 256, 264f., 266 — ordnungspolit. Notwendigkeit 253 f. — u. Subsidiaritätsprinzip 256 berufsständ. Selbstverwaltung 210 Berufsverbände u. Sozialpol. 147 Berufswahl 138 Besitzausgleich s. a. Eigentum 409 Betriebsgrößenpolitik 235 Betriebsverfassung 147 Bevölkerungsvermehrung 206 Bewertungen, globale 185, 192 Bewertungssystem, Probl. des wirtschafd. 185f. Bewirtschaftung 158 Bewußtseinsinhalt, gemeinsamer 62, 67 Beziehung — personale, nach Hayek 63 — psychologische Begründung 67 — reale 68 Beziehungseinheit Leugnung der Realität der 222

Beziehungslehre v. Wieses 221 f. Beziehungswirklichkeit des Sozialen 55 Bildungswesen, berufliches 343 Brutto-Stundenverdienst 371 f. Bürger u. Staat 89 bürgerliche Lebensauffassung 405 bürgerliche Tugenden 407 Bund kathol. Unternehmer 371 Bundesarbeitsministerium 369 Bundesfamilienministerium 73 Bundesfinanzministerium 366, 369 Caritas-Ptinzip 133 Causa finalis 386 Chancen, Verteilung der 138, 151 Christentum u. Liberalismus 7, 49 Christliches Liebesgebotu. Wirtschaft 179 Corps intermédiaires 211 Darwinismus, sozialer 383 f. Dasein, menschenwürdiges 113 Dasein u. Wesenheit 27 Daten, gesamtwirtschaftliche 139 Datenkranz 277, 283, 295, 297, 306, 310 Datenvariation 283 Dauersubordination, unerträgliche 139 definieren nach J. Locke 40 Deflation u. Kreditaufkündigung 174 Deismus 89 Demokratie 262 — kleinbetriebliche 409 — plebiszitäre 389 Denken, ordnendes bei Kant 46 Denk- u. Bewußtseinformen 46 Denkgesetze, metaphysische 27, 45, 284 Denkprinzipien, allgemeine 41 Denkschrift des Bundesfamilienministeriums 73 f., 166 Determinismus, naturgesetzlicher 351 Deutsche Bundesbank 368 Devisenzwangswirtschaft 359, 361 Dezentralisation, strukturpolitische 9,147 Dingwelt, reale 67 Diskont 359 Dritter Weg 3, 4, 9, 16, 19, 390 Egoismus 7, 66, 96, 174, 182, 187 Ehe 199, 247 — als gesellschaftl. Institution 73

Sachverzeichnis

Eigeninteresse u. Gesamtinteresse 83, 171 ff., 174, 293 f., 323, 403 Eigennutz u. Gemeinnutz 171, 178, 187, 323f., 344 Eigentum 75, 77, 97, 155 — Entartung 407 ff. — soziale Bestimmung u. Gebundenheit 414 ff. Eigentumsbildung 17, 90, 148, 150f., 165, 314, 342, 365, 370 ff, 373, 408 Eigentumslehre — neoliberale 188, 403 ff. — der Päpste 414ff. — bei Thomas v. Aquin 414ff. — protestantische 15f. Eigentums- u. Kauf kraft Verteilung 398 f. Eigenwohl u. Sozialwohl 19, 191, 199 f., 259 Eingriffe der schweren Hand 343 Einheit — dreifache der wirklichen Dinge 27 ff. — substantiale des Menschen 52 Einkommen 143, 149, 193, 316, 345 ff, 350 — steuerliches in Westdeutschland 366 Einkommenausgleichskorrekturen nachträgliche 11, 148, 165, 194, 372 Einkommensverhältnisse i. d. Bundes­ republik 369 f. Einkommensverteilung 14, 149, 163, 348 ff, 408 Einpendelungsvorgang, rechtsstaatlicher 107 Emanzipationsbewegung des modernen Menschen 50 Empirismus 32 f., 36, 38 f., 45 Engellehre 28 Enteignung 73 Entelechie 51 Entgeltlichkeit, bilaterale 11, 114 Entpersönlichung 208, 234 Entproletarisierung 9, 14, 161 Entproletarisierungspolitik, ökonomistische 244 Entwicklungsgewinne u. Gesamtinteresse 188

453

Entscheidungsfreiheit u. Wirtschafts­ grundform 314 Enzyklopädisten 8 Erbschaftssteuer, progressive 409 Erbrechtsreform 139, 165, 235, 342 Erdengüter, soziale Urbestimmung der 414 Erfahrung als Erkenntnisquelle bei Kant 46 Erkenntnisobjekt der klassischen Nationalökonomie 293 Erkenntnisproblem 23f., 26, 31 ff., 34ff., 41, 54 Erkenntnistheorien 15, 39 — aristotelisch-realistische 24 f., 46 f., 279 f. — materialistische 24 — neukantianische 275, 285 — nominalistisch-empiristische 38, 40 f., 208 — platonisch-idealistische 24 Erkenntniswirklichkeit, Deutung bei Veit 45 f. Enteignung 404 Entgeltprinzip, bilaterales 345 f., 350 Entlohnung i. d. Wettbewerbswirtschaft 346, 350 Ermächtigungsgesetz 155 Ermessens- u. Handlungsfreiheit 196, 358 Ertrag u. Gewinn, Streben nach 324 Ertragsverteilung 73,132, 347, 351,371 f. Erwachsenengeneration, heutige 166 Erwerbsprinzip u. Versorgungsprinzip 177 Erwerbsstreben u. Gesamtinteresse 323 ff. Erzeugung, Verteilung, Verbrauch 290, 316 f. Erziehung 84 essentialistische Tradition 61 Ethik, psychologische Begründung der 51, 56 Exekutive u. Legislative 97,102,107,109 Exekutivstaat, Preisgabe des 117 Existentialismus 56, 70 Existenz, metaphysische 36 Existenzerfüllung durch gesellschaftliche Kooperation 199

454

Sachverzeichnis

Existenzminimum 176 Existenznöte 160 Existenzsicherung 53 f., 57, 96, 174, 398 Existenzunsicherheit der Arbeiter 161 Familie 74, 166, 199, 339 — Deklassierung der kinderreichen 166f., 370 — Sicherung der 18, 146 — Spar kraft der kinderreichen 371 — wirtschaftliche Situation i. d. Bundesrepublik 166 Familienlastenausgleich 166, 371 Familienlohn 18,151 f., 165,315 Familiennettoeinkommen i. d. Bundesrepublik 369 f. Familienpolitik, ordnende 18, 165 Faschismus 210 Feudalismus der Marktwirtschaft 139 Finalursache 422 Föderalismus 211 Formalismus, ethischer 181, 223 — metaphysischer 37, 208 — ökonomistischer 380 Formalisten 28, 36 Fortschrittsbesessenheit u. Sozialpolitik 148 Freiburger Schule 6, 10, 16, 23, 49, 283, 362, 386, 418, 423 Freiheit — Wesen 82ff, 103, 296 — u. Autorität 75, 260 — u. christliches Denken 396 — Gebrauch 82, 93 — Gefahren 119 — Grenzen 76, 85, 119, 296 — bei Kant 76, 78 — u. Moral 220 — u. Ordnung 83 — Verpflichtung zur 83 — u. Wirtschaftsgesetz 420 ff. Freiheitsideologie — neoliberale 4f., 8 ,1 1 ,16f., 54ff., 60ff., 76ff., 80ff., 90, 93, 103, 114ff., 124ff., 135,145,156,196, 219, 226,229, 233, 236, 243, 257, 259, 299f., 323, 336, 345,348 ff., 362,395 ff., 404ff., 413,425 — rechtsstaatliche 83, 93ff., 108ff., 111, 116

Freiheitsphilosophie, Kantische 76 Freiheitsrechte 55, 59, 75, 77, 79 ff., 102, 119, 416, 421 Freiwilligkeit der Leistung 345 Freundschaft 54 Frühscholastik 25 Fürsorgeempfänger, Status der 167 Fürsorgeleistungen 151 Ganzes 54, 61, 101, 222, 244 — überindividuelles 198 Gattungsbegriff 27, 29, 33, 35 Gattungswesen 29 Gebrauchswert 352 Geburtenrückgang 73 Geburtenzahl der Bundesrepublik 167 Gefahrengemeinschaft 133 Gefühlssubjektionismus 42f., 56 — bei Röpke 59 Gegenwartsnöte, beunruhigende 138 Gehälter u. Löhne 368 Geist — Wesenskraft 44, 52 — Zersetzung 45 Geld, Problematik des 291 Geldordnung, neue in den USA 5 Geldpolitik 302 Geldrechenhaftigkeit, Grenzen der 291 Geldreform von 1948 359 Geld- u. Bankwesen, moderne Entwicklung des 174 Gemeinde 339 Gemeindeautonomie 211 Gemeinschaft 16 f., 54, 72, 74, 134 — monistische Verkennung 50 — Versubstantivierung der 200 Gemeinschaftsarbeit, arbeitsteilige 73 Gemeinschaftsgebundenheit, naturhafte 72 Gemeinschaftsleben als Nutzveranstaltung 55 f. Gemeinschafts- u. Individualrechte 227 Gemeinschaftsverpflichtung im Griechentum 112 Gemeinschaftswerte 72, 235, 246 Gemeinschafts wille 101 f. Gemeinschaftszerfall 211 Gemeinwert 55

Sachverzeichnis

Gemeinwohl 14, 20, 60, 73, 75, 132, 143, 194, 198, 312 — analoger Begriff 198ff., 248, 250, 261, 327 — bei Aristoteles 111 — authentische, sozialethische Interpretation 70, 84, 153, 159, 191, 194, 200, 222, 330, 351 — eigene, neue Wirklichkeit 199 — und Eigentumsordnung 412, 417 — Vorrang vor dem Eigenwohl 191, 200, 250f., 343, 354 — einheitskonstitutiver, organisierender Normwert 53, 59, 69f., 7 5 ,134f., 140, 200, 215 f., 225, 307 — gemeinsamer Bewußtseinsinhalt 205, 224 — und individuelle Integration 230 — Wesensform u. Einheitsgruppe der Gesellschaft 205, 226, 249, 257 — individualistische Verfälschung 70, 105, 110, 113f., 191, 198f., 201, 205, 224, 226, 259, 261, 318, 358f., 409 — marktmechanisch-additive Auffassung 68, 71, 137, 140, 172f., 189ff., 201, 243, 249, 317, 326, 342, 400, 401 — personales 74 — pluralistisches Wesen 226 — politische Interpretation 113,210,342 — und Profitinteresse 328 — Realisierung 135, 177, 253 — Teilfunktion des einzelnen 70, 261 — bei Thomas v. A. 111 — Wandel des 257 — und Wettbewerbsbeschränkung 400 f. — in der Wirtschaft 15, 112, 178, 194, 310, 325, 337, 340, 343, 354, 385 — als Universale 198 Gemeinwohlgerechtigkeit 328, 354 — privatrechtliche Integration 257 f. Generative u. wirtschafti. Struktur 166 Gerechtigkeit 16, 44ff., — für alle 373 — ausgleichende 134 — austeilende 16, 60, 114, 134f., 149, 162, 348, 350, 395

— — — —

455

der „inneren Koordination“ 133 und Leistung 345 u. Marktgleichgewicht 349, 351, 396 teleologisch-komplementärer Charakter 134, 354 ff. — wirtschaftliche 348 Gesamtbewußtsein, sittliches 74 Gesamtersparnis volkswirtschafd. der Bundesrepublik 369 f. Gesamtinteresse s. a. Gemeinwohl — und Entwicklungsgewinne 188 — Erkenntnis 180 — und kategor. Imperativ 181 — liberal-individualistisches 65, 184, 190, 196, 227, 361 — marktwirtschaftl. 153 — preisautomatische Beinhaltung 179, 191 f. — sozialwirtschafd. beinhaltetes 83,171, 192f., 194, 296 Gesamtproduktvolumen in der Bundes­ republik 151, 371 f. Gesamtversorgung und individuelle Bedürfnisbefriedigung 173f., 195 Gesamtwirtschaftsrechnung 193, 318 Gesamtwohl und Gemeinwohl Geschichte — Realität 285 — und Marktdeterminierung 304 Geschichtsphilosophie, marxistische 295 Gesellschaft 9,14, 58, 60f., 6 5 f.,1 6 1 ,165 — akzidentelles Sein 207, 247 — und Arbeitsmarkt 253 — Atomisierung u. Vermassung 175, 206 f., 215, 217, 230 — naturhaftes Aufbauprinzip 5, 59, 206, 210 — sitdicher Auftrag 85, 251 — Autonomie der Organismen 226f. — Autorität 230, 258f. — sitd. Beziehungseinheit 134, 251 — Definition u. Inhalt 63, 222, 247 f. — Dienstwert u. Dienstfunktion 75,249 — Eigensein und Eigenwert 246 ff. — Einheit in wohlgegliederter Vielheit 251, 310 — u. Freiheit 405

456

Sachverzeichnis

— teleologische Ganzheit 249 ff. — Gefahren 206 — Gemeinwohl als Wesensform und Einheitsprinzip 205, 248 — funktionelle Gliederung 253 — Hierarchie zweckbedingter Gemeinschaften 226 — Hypostasierung u. Versubstantivierung 208, 218, 247, 251 — Komplexheit 221 — Kooperation 95, 209, 336 — Lebens- u. Ordnungsgesetz 225 — Organismus 74, 209, 251 — Neuordnung 167, 206 f. — sittliche Ordnungseinheit und Ordnungsganzes 75, 112, 162, 226, 248f. — personaler Charakter 249 — hierarchisch-föderalistischer Pluralismus 226, 252 ff. — dynamische Polarität 216 — objektive, überindividuelle Realität 208, 247 — Rechtssetzungsbefugnis 263 — Sachziel 399 — Säkularisierung 74 — solidarischer Grundgedanke 5 — Umschichtungsprozeß 209 — als Universale 249 — als Vollendung aller Glieder 248 — Vorrangfrage 208, 249 f. — integrierende Werte 216 — Zugehörigkeitsbewußtsein 215 — Zweckursache als Tätigkeitsprinzip 252 Gesellschaftlich — neoliberale Auffassung 225, 310 Gesellschaftlicher Determinismus 84 Gesellschaftliche Emanzipation 55 Gesellschaftl. Konvention 56, 94, 100 Gesellschaftl. Nutzen 190, 317 Gesellschafd. Vertrags theorie 57 Gesellschaftl. Wertempfinden 57 Gesellschaftsdenken, modernes 75, 257, 416 Gesellschaftsdoktrin — aktualistische 63f., 71,205,214,217ff, 221, 223 ff., 230, 248, 293

— bei Hegel 251 f. — individualpsychologisch-fiktive 59, 67, 205, 212ff., 217, 222, 224f. — kollektivistische 66, 209 — marxistische 231 — mechanistisch-individualistische 25, 63, 135, 205, 209ff., 216ff., 224ff., 243, 252, 293 — nominalistische 55, 207f., 212 — ökonomistische 232f. — ontologisch-kausale 207f., 213ff.,227, 245, 249 — privatrechtlich-utilitaristische 93,95 f, 109, 224 ff. — bei Spann 252 Gesellschafts- u. Kulturkritik, neoliberale 203f., 207, 383 Gesellschaftspolitik — konservativ-patriarchalische 10 f., 156, 205 f., 212,231,233 ff., 240f.,245f,250 — ökonomistische 206, 231 ff. Gesellschaftsreform und moderner Liberalismus 268 Gesellschaftsphilosophie — individualistische 203 ff., 207,258,293 — realistisch-essentialistische 209, 215, 226, 246 ff. Gesellschaftswirtschaft 299, 32 7, 353 393, 397 — der Klassiker 293 — und Wertlehre 352 Gesetz 41 — bei Aristoteles 117 — bei Kant 46 — bei Locke 96 — u. objektive Gerechtigkeit 105 — metajuristische Normierung 112 — neoliberal-rechtsstaatl. Interpretation 95 ff. — Realisierung 97 — der großen Zahl 135 Gesetzes- u. Richterstaat, neuzeitl. 99 Gesetzgebende Körperschaften — Versagen der 102 Gesinnungsethik, neoliberale 177, 182, 425 Gewerkschaften 371

Sachverzeichnis

Gewinnbeteiligung 151, 162, 373 Gewinnchance u. Privatinteresse 323 Gewinn- u. Verlustrechnung 324 Gewinnstreben — als Antriebs- u. Ordnungskraft 90, 322ff., 326, 329 — teleolog. Normierung 177 Gewissen 56, 67, 197 Gewissensfreiheit — moderne Formulierung 258 Gewohnheit, Gefühl, Instinkt bei Hume 43, 101 Gewohnheitsrechtsbildung 101 Gildensozialismus 210 Gleichberechtigung — absolute 98 f. — im Wettbewerb 399 Gleichgewichtsideologie, neoliberale 9, 16, 84, 107, 362 Gleichgewichts- u. Automationsglaube 84, 105 ff, 108, 117, 145, 310, 385 Gleichgewichts- u. Harmonieoptimismus 319, 327, 335, 344 „gleitende Arbeitswoche“ 337 Glück — größtes der größten Zahl 192, 335 Grenzkostenlehre, Brauchbarkeit der 320 Grenzkostenprinzip 186, 188, 194, 196, 319, 326, 333 Grenzkostenrechnung 189, 319 Grenzmoral 57, 83, 148, 151, 353, 400 Griechentum, jonisches 7 Großverbraucher und Produktion 334 Großwirtschaft, moderne — Vermachtung: Schwerfälligkeit 291, 391 Grüne Plan 359 Grund und Folge 282f. Grundrechte, menschl. 93 Grundsatzausschuß 113, 115, 139 Grundsatzentscheidung der Bundesrepublik 115 Grundwerte, metaphysische 285 Gruppenaktionen 194 Gruppenegoismus 240, 244, 256, 299, 362, 402

457

Güterknappheit s. a. Knappheit 313, 318, 338 Güterverteilung 177, 348, 415 Haftung, unbeschränkte 106, 348 Handeln — sittlich-normative Bestimmung des 56 Handlungsfreiheit — ethische Determinierung 296 Handlungsprinzip — finaleth. Beinhaltung 422 Harmonie, prästabilierte 11, 26, 303, 308 Harmonielehre v. A. Smith 308 Harmonie- u. Gleichgewichtsoptimismus neoliberaler 11, 14, 50, 185ff, 225, 299, 301, 308, 327f., 340, 389f., 407 Harmonieproblem 289 — neoliberale Auffassung u. Lösung 172f., 175, 179ff., 189ff, 201, 227, 298, 325, 418 ff — realistische Auffassung u. Lösung 1 7 4 ,176f., 178ff, 197, 200 haushälterisch 287 Haushaltsvorstände, Nettoeinkommen i. d. Bundesrepublik 369 Hauswirtschaft 176f. Hegelianismus 208 Heilslehren, säkularisierte 397 Herkommen, unvergängliches 101 Herrschaftsorganisation,großbetriebliche Herrschaftsorganisation großbetriebliche 409 Hochscholastik 26 Humanismus, liberaler 49, 54, 57 f. Hypostasierung 49, 307 Hypothese, materialistische bei Berkeley 42 Idealismus 42, 45 — erkenntnistheoretischer 56, 285 — logischer 285 Idealität 280 — als Ordnungsform 281 Idealtyp — logischer Charakter 278ff., 292 — und Realtypen 392 — bei Vleugels 285 Ideen — elementare 39 f.

458

Sachverzeichnis

— platonische 24 Ideenlehre Berkeleys 42 Indeterminismus, moralischer 351 Indifferentismus, sozialethischer 156 Individualerscheinungen 53, 60 Individualethik 14, 71 — und Sozialethik 222 Individualismus 4, 36, 71, 73, 81, 209, 21 lf ., 257 — anthropologischer 81, 293 — mißglückte „Ehrenrettung“ 61, 65 f., 70, 21 lf. — englischer 49, 220, 229, 407 — gesellschaftlicher 64, 228, 230 — und Kollektivismus 209 — Sozialmethaphysik 89 ff. — „wahrer“ und „falscher“ 8, 49, 61, 64ff., 70, 72, 89, 112, 209, 212, 218, 220 f., 229, 302f., 312 „individualistisch“ und „sozial“ 71 Individualität 34, 59 — und Dasein 26 f. — und Kollektivität 60 — Pflege der reichen 55, 59f., 71 f. — als wesentliches Attribut 27 f. Individualprinzip 3, 236 — als Ausgangspunkt des sozialen Aufbaus 416 — und Sozialprinzip im Wettbewerb 388 Individualrechte 69, 76, 110 — moderner Sinn 416 Individuationsprinzip 36, 38 Individuen-Moleküle 55 Individuum, menschliches 27, 37, 89 — begriffliche Auflösung 34 — und Gemeinschaft 60, 89, 94, 207, 234f., 241, 354 — nominalistische Verabsolutierung 36, 53, 61, 63, 67, 72f., 90, 197, 205, 250, 257, 309 Induktion — aristotelische 39 — empiristische 39 Industrialisierung 90, 206 Industriearbeiterschaft 243 Inflation — und Kreditgewährung 174

Institut für Selbsthilfe e. V. 369 Integration, individualrechtliche 60, 71 — vollmenschliche 53, 60, 209, 246, 252 Integrations kraft, fehlende der Konkurrenz 388 Intellekt — transzendentaler 281 — synthetisierender 282 Intellektualismus, neukantianischer 285 intentionaler Gehalt, gemeinsamer 53, 71, 114 Interdependenz 53 — nach Eucken 79, 120, 232f., 240 — kein Ordnungsersatzprinzip 398 Interesse, wohlverstandenes 174,192,342 Interessenausgleich 171 — wettbewerbstheoretischer 186 Interessenharmonie 9, 70, 303, 409 Interessenkonflikt 424 — und wirtschaftl. Zielsetzung 177f. — Wurzel 423 Interessenmechanismus, säkularisierter 66, 89, 210 Interessentenhaufen 239 Interessentenideologie 394 internationaler Handel und neolib. Programm 13 Intervall der Wirtschaftsperioden 343 Interventionen, noch-marktkonforme 150 Interventionismus, wirtschaftspolit. 4, 90,171 f., 196 Interventionsplan, methodisch fixierter 4 Invarianz des Gesamtstils 286 Investition und Steuerprogression 148, 163, 371 Investitions- und Verbrauchsgüterindex der Bundesrepublik 123, 162, 370 In vesti vlohn 165 JEIA — Kontrollbehörde 359 Jurisprudenz, sozialistische 112 Kantische Grunddogmen 280, 499 Kapital 345, 371 Kapitalgut und Gebrauchsgut 335 Kapitalismus, liberalistischer 3 kapitalistischer Geist 174 Kapitalmarkt u. Investitionslenkung 359

Sachverzeichnis

Kapitalzuwachs der Wirtschaft in der Bundesrepublik 366 ff. Kartelle 400 Kartellbehörden 400 Kartellgesetz 400 Kartellisierungstendenzen 402 katallaktische Problemsicht 294 kategoriale Haltungen als konstitu­ ierendes Element der Wirtschaft 75 kategoriale Wesenheiten 25 Kategorie 53, 278, 406 kategorischer Imperativ 77, 178, 181 Kaufkraft 194, 296, 347 — und Gesamtinteresse 196 — und Produktion 332 ff. — nachträgliche Korrekturen 331, 334 — ungleiche Verteilung 91, 138, 148, 193, 197, 340, 347, 372 Kausalität 285, 423 Kausalitätsidee 43 Kausalnexus bei Hume 43 Kettenreaktionen, marktwirtschaftl. 139 Kinder — Grundrecht auf 74 — Opfer für die 73 — Status der 165 Kinderbeihilfen 151 Kindergeld 166 Kirche, sittl. Erziehung durch 396 Klassen, Entstehung von 138 Klassengesellschaft, kapitalistische 252 Klassiker — englische 49 — nationalökon. Lehre der 79, 172 Klein-u. Mittelbesitz, Neubildung des 164 Knappheit 125 — Individualist. Beinhaltung 194, 313 f. — Überwindung 175,187,313,321 f, 351 Knappheitslagen und Kaufkraft 343 Knappheitsmesser, funktionsfähiger 313 Knappheitspreise 186, 191 f., 352, 359 Knappheitsrelationen als Leistungs­ maßstab 347 ff. Körperschaften, berufliche 339 — Negierung 238 f. Kohärenz, logische 281 ff. Kollektiveigentum 404, 418

459

Kollektivethik 133 Kollektivismus 4f., 7f., 59ff., 74, 208, 212, 236, 251, 255, 296, 364, 394 Kollektiv Vorhaben, politische 94, 102 Kommunismus 123 — negativer 414 Komplementarität i. d. Wirtschaft 339 f. Konjunkturpolitik Notwendigkeit der aktiven 10 Konkurrenz, vollständige 3, 9, 11, 13, 153,156,161,187,189,193, 298, 301, 304, 358, 362, 382f., 391 ff. — Gravitation zur 384 — u. Sachnotwendigkeiten des Gesamt­ wohls 194 — fehlende Integrationskraft 7, 388 — Interessenausgleich der 186f., 383 — Mythos 362 — u. Produktionsanstieg 314 — Selbstaufhebung 7 — kein sozialeth. Prinzip 161, 328 — und Sozialpolitik 148 — Verteidigung mit philosophischen Argumenten 141 Konkurrenzlehre — Widerspruch bei W. Eucken 384 Konkurrenzwirtschaft als „Moralzehrer“ 57 Konkurs als Regulativ 322 f. Konprinzip Leib 51 Konstitutionseinheit, substantielle 51 Konsument, Herrschaft des 332 ff. Konsumentenabstimmung 334, 355 Konsumentenhaushalte, Sparleistung der 370 f. Konsumfreiheit 18, 340, 343 Konsumgüterausfall 122 Konsumgutversorgung, optimale 137, 347 Konsumstandard, Erhöhung in der Bundesrepublik 371 f. Konsumverzicht zugunsten der Familie 167 Kontingenz der realen Dinge 28 Kontrakttheorie, positivistische 257 Kontrollen, gewerbe- u. sozial polit. 194

460

Sachverzeichnis

Konvention, gesellschaftliche und Recht 44,100 Konzeptualismus 38, 46 — Kantischer 285 Kooperationsbereitschaft 84 Koordination, innere bei Miksch 133, 299, 304ff., 356, 389, 396 Koordinationsmechanismus und Eigentumsgebrauch 407 Kosten, fixe 334 Kostenprinzip 127 Kostenrechnungen 146, 186 Kostenwertlehre, marxistische 353 Korporativismus 239 Kreislaufgesetzliche Notwendigkeit 385 Kreislaufgewinn 370 f. — als gesellschaftl. Erscheinung 412 Kriegsdienstverweigerung 258 Kritik der reinen Vernunft 280, 285 Kultur 76, 126, 232, 236 Kulturphilosophie Röpkes 58 Kulturwerte, objektive 351 Laissez-faire-Liberalismus 6, 65, 90,123, 172, 175, 187f., 196, 308, 316, 323ff., 358, 383, 388, 395 — neoliberale Kritik am 325 — neoliberale Modifikation des 326 Laissez-faire-Optimismus 195 f., 197,306, 381, 389, 409 Landflucht 175 Landwirte, Sparleistung in der Bundesrepublik 370 Lastenausgleich 151 Lebensunterhaltungskosten für Kinder 167 Lebensordnung und Wirtschaftsordnung 398 Lebensstandard 73, 126, 149, 165, 316, 361 Lebenstüchtigkeit 52 Lebensüberzeugungen, Einbau in die Wirtschaft 79 Lebenswirklichkeit, substantielle 77 Leib-Seele-Verhältnis 51 f. Leistung, formale Interpretation 124 Leistungsaustausch u. Entgeltgedanke 347

Leistungsbewertung 3, 345ff., 350 Leistungseinkommen 135 leistungsgemeinschaftliche Reform­ bestrebungen 5, 210f., 253, 311 Leistungslohn 18 Leistungsmaßstab Nachfragebedienung als 345 ff. Leistungsprinzip, Sittlichkeit des 345 LeistungsWettbewerb 127, 149, 346 Lenkungsautomatismus und Wirtschaftsalltag 311 Lenkungseingriffe verwaltungswirtschaftl. 343 liberale Bewegung, Scheitern der 79 liberal-humanistische Weltanschauung 11 Liberalisierung 159 — verfrühte 361 Liberalismus 3, 7, 11 f., 14, 18f., 49, 57f., 78 f., 83,1 1 1 ,1 2 3 ,172f., 187,189,207, 212, 216, 234, 238, 261, 283, 290, 304, 316, 364, 392 ff., 425 — „entarteter“ und „wahrer“ 6f., 8f., 206, 217, 229 — „Erneuerung“ 12, 19, 23, 50, 90, 290, 373, 380 — und kathol. Soziallehre 18 — „personalistischer“ 8, 58 Libertas Enzyklika 255 Libertinismus 212, 351 Linderungspolitik 408 „List der Idee“ 188 Logik 77, 281 ff., 392 logische Idealität 281 logische Kohärenz logisches Sollen 281 Lohn, manipulierter 253, 348 Lohnarbeiter 80 Lohnarbeits Verhältnis 17 Lohnelastizität 245 — u. Marktwirtschaft 236, 403 Lohn- u. Preispolitik 17, 177, 359, 372 Loyalität, individualeth. 53, 57, 68, 71, 100f., 158, 161, 230, 398 Luxusbedürfnisse u. Gesamt Versorgung 193, 333, 346

Sachverzeichnis

Markt s. a. Wirtschaft — neoliberale Wesensbestimmung 7, 9, 11, 119, 138f., 174, 183, 293, 299ff., 315, 317, 321 ff., 327, 338, 343, 350ff., 359, 364, 388, 391 ff., 410, 423 Marktbefehle, demokratische 388, 411 Marktgehorsam 299 Marktgerechtigkeit 132, 135 ff., 148, 254, 345, 349 f., 365 ff., 372, 396, 408 Marktgleichgewicht, Naturgesetze des 321, 385 Marktinterventionismus, staatlicher 364 Marktkonformität — Formalismus der reinen 10ff., 145ff., 151 ff., 157, 160f., 298, 322, 360, 392, 408. Marktlogik Vorrang 92, 298 ff., 321, 398 Marktordnung u. Wirtschaftsordnung 342 Marktstrategie 301, 320 Markttransparenz 301, 320, 334, 391 Marktwirtschaft — neoliberale Wesensbestimmung 127, 211 ff., 236f., 244, 289ff., 318ff. — Feudalismus 139 — „geistige Formung“ 322, 398 f. — „Robustheit“ 361 f. — „Schönheitsfehler“ 139, 318 Macht 91, 95ff., 363 Marshall-Plan-Hilfe 359 Marburger Schule 285 Marxistische Alternative 233 Masseneinkommen in Deutschland 365 Massengesellschaft u. Massendemokratie

211 Materialisten, griechische 25 Mensch — Bedrohung 233 — geistiges Wesen 51 f., 67, 72, 82, 212, 303 — gesellschaftsbildende Kraft 263 — rationalistische Auffassung 89 — seinshaft soziale Veranlagung 17, 35, 74, 247, 285 — skeptische Beurteilung 65, 224 Menschenbild 113, 115 — aktualistische Umwertung 52 ff.

461

—Forderungen des 114 — liberal-humanistisches 60,64,114, 293 — nominalistisch-monistisches 50 f., 57, 59, 69, 71, 89, 224, 245 — der realistischen Seinsphilosophie 336 Menschenformung, neuzeitliche 72, 76 Menschenrechte neuzeitl. Auffassung 258 Menschenrechtsidee, amerikanische 416 Menschentypus, Entsehen des neuen 80 Menschenwürde, Wahrung im Wirtschaftsprozeß 160 menschliche Vollexistenz 252 Mehrwert, Anhäufung von 328 Merkantilisten 171 f. Metaphysik 31, 67, 280 — Abfall von der 45 — empirische Verflachung 51 — formalistische 36 f. metaphysische Begriffe empirische Verflachung der 51 Methodenlehre W. Euckens 16, 30, 274, 283, 381 Mitbestimmung, Mitverantwortung, Mitbeteiligung 165, 342 Mittelstandspolitik 235 — Röpkes 403 Mittelstandsprogramm 3 Mittelweg des aristotel. Realismus 26 Modellbetrachtung, neoklassische 283 Modellerkenntnisse 391, 410 Modellforschung 391 Modellgesetze als logische Denkgesetze 392f. Modelltheorie 151, 181, 189, 391 ff. — neoliberaler Mißbrauch 393 f., 397 Monismus, soziologischer 205, 207 f., 209, 227, 242 Monopol 3f., 119 — Nachfrage- u. Angebots- 187 Monopol-Aufsichtsamt 13, 362 f., 364 Monopolforschung, moderne 302 Monopolgewinne, Ausschaltung von 139 188, 304, 326, 362 Monopolpolitik, neoliberale 5, 10, 253, 342, 362f., 402 Moral 219f.

462

Sachverzeichnis

— doppelte 420, 423 Moralismus, wirtschaftsfremder 124,140, 183, 419 Moralphilosophie 422 Moralzehrer, Wirtschaft als 57 Morgenthau-Plan 359 Morphologisches System W. Euckens 16 Nachfrage, kauf kräftige 193,318,346,355 Nachfragebedienung als Leistungs­ maßstab 345 ff. Nachfragemonopol 178 Nachholbedarf, dringendster 184 Nationalökonomie 288 — Erbsünde der 393 — erkenntnistheoretische Neuorientierung 17 — als Geisteswissenschaft 295 — Hauptaufgabe der 213, 288, 294, 356 — klassische 108, 220, 327 — und Naturwissenschaft 295 Natur 27, 29, 67, 100 — allgemein menschliche 55, 287 — Mechanismus 54 Naturentfremdung 234 Naturgeschehen Äquivalenzerscheinungen des 304,387 Naturgesetz 387 — positivistisch-nominalistisches 385, 387 Naturordnung, neoliberale 307, 383, 295, 305 ff. Naturrecht — individuelle Vernunft als Richterin 57, 416 — Kirche als legitime Interpretin 416 — in der Rechtspolitik 103 — subjektive Beinhaltung 415 Neoliberalismus — und „alter“ Liberalismus 7 — Apriori des 72, 116, 130, 141, 144 — unlösbares Dilemma 397 — Gruppen 5 ff., 8 ff. — u. katholische Soziallehre 12ff., 425f. — gegenwärtige Kontroverse um 3 ff. — philosophische Grundlagen 13ff., 19 f., 23ff., 49 f., 393, 417, 425

— Programm 8ff., 14, 19, 89, 140, 156f. 231, 392 — Selbstverständnis l l f . , 15, 19f., 49, 65, 76, 89 Neosozialisten 113 Netto-V ermögensleistung in Westdeutschland 365 f. Neukantianismus 49, 77, 279, 283, 285, 295 Neuzeit, wirtschaftspolit. Bewegungen der 152 Nominalismus philos. 20, 23 ff., 36, 50, 55, 66, 207, 239, 303, 331, 344, 372, 380 — Ideologie 39f., 44ff., 51, 61, 212, 223, 240 — positive Beurteilung durch die Neoliberalen 45 — in der Wirtschaftsphilos. 273 Nominalisten, englische 8, 23, 101, 307 Norm werte, Stufenordnung der 420 Nutzwertlehre 353 Obskurantismus, wirtschaftspolitischer 239 Ordnung 3, 9, 27,41,45, 65, 70, 8 3 ,179f. — Dienst am Ganzen 386 — dynamischer Begriff 386 — Einheit in wohlgegliederter Vielheit 386 — und Freiheit 83 — gerechte 162 — sozialeth. Soll der echten 84, 136 — als teleologisch determiniertes Gliederungsgefüge 386 Ordnungsbild von Wirtschaft und Gesellschaft 303, 382 Ordnungsdenken, rechtsstaatl. 93, 106, 116 Ordnungseinheit, sittliche 75 Ordnungsganzes, geistiger Charakter 386 Ordnungsgefüge 70 Ordnungsgesetz in Wirtschaft und Staat als Problem der Moraltheologie 15 Ordnungsgewalt, staatl. u. Gemein­ wohl 200 Ordnungs wollen, leistungsgemeinschaftl. und subsidiäres 252

Sachverzeichnis

Ordo-Begriff der Scholastiklö, 26, 156, 382, 386, 397 Ordo-Idee, neoliberale 10f., 14, 16, 19, 50, 58, 71, 78ff., 89, 118ff, 124, 135, 140, 145, 156, 184, 194, 196, 206f., 231, 234, 254, 304f., 322, 358, 361, 381 ff, 385 f., 388 ff, 394, 397 f., 402, 407 — bei Eucken 121 f., 281 — bei Hayek 64 — bei Locke 40 — bei Miksch 133 — bei Müller-A. 143 Ordoliberalismus 6, 10f., 93, 118, 141, 274, 364, 400 Ordo-Programm 12, 243, 388 Ordre naturel 234, 383 öffentl. Hand 349 — Vermögensbildung der 371 ökonomisches Denken, Verfall des nach Eucken 146, 296, 321, 421 ökonomischer Kosmos u. Datenkranz 298 ökonom ische Notwendigkeiten 294 ökonom ische u. sozialeth. Reflexion 141 ökonomisches Rationalprinzip Verabsolutierung 180, 288 f., 292, 319, 324, 338, 340f. ökonom ische Sachlogik Vorrang der 145 ökonomischer Sachverstand, finaleth. motivierter 185 Ökonomismus 16, 156, 210, 337 Offen-Markt-Politik 359 „ontologisch“ u. „teleologisch“ 72, 67, 251 Ontologismus 248 f. Opfer- u. Hingabepflicht bei Röpke 59 Optimismus, anthropologischer 65 Organismusbegriff, Analogie des gesellschaftlichen 251 f. Pantheismus 37 Partizipation des göttlichen Seins bei Berkeley 42 Person 8, 54, 58, 72, 248, 258 — und Gemeinschaft 75 personale Begegnung 55

463

personale Beziehung 63 personale Entfaltung 55 personale Sphäre, Integrität der 76 Personalethik der Enzykliken 74 personale Werte 249 Personalismus — ethischer 72 ff. — individualistischer 49ff., 57ff., 71, 74ff., 90, 214 Personalität 64 — u. reine Individualität 89 Personbegriff — aktualistische Umwertung 51, 61, 77, 112 — Subjekt!vierung 61 Personrechte 75 f. Personsein 19, 52, 54, 109 Personziel u. Sachziel i. d. Wirtschaft 327 Persönlichkeit — Entfaltung der sittlichen 54f., 72ff., 138, 336, 349 — liberal-humanistische 57 f., 72 — monistische Überspannung 55 Persönlichkeitskultur, liberal­ humanistische 54 f., 59, 72 Persönlichkeitswerte und Wirtschaftsablauf 352 Philosophie 303 — des Dritten Weges 23 ; 50, 61 — J. Lockes 76 — neuzeitliche 39, 56, 61 — seinsrealistische 67, 69, 81, 258 — transzendental-idealistische 44, 285 Physik 277, 284 — des Wirtschaftsprozesses 391 Physiokraten 8 Plandaten 186 Planungsfreiheit individuelle und Gemeinwohl 193 platonisch-idealistische Tradition 209 Pluralismus 209, 226, 252f. — Anarchie des 239, 244 — gesunder u. kranker 211 — organisch-sozialer 209 ff. Pluralistisches Denken 16, 362 Plutokratie 333 — der Marktwirtschaft 139

464

Sachverzeichnis

Polis, griechische 112 Politik 13, 226, 311 Politische Ethik, neolib. Prinzipien der 223 Politische Erziehung 408 politisch-soziale Ordnung und Wirtschaftsordnung 373 polykratische Bestrebungen 210 Positivismus, gesellschaftsphilosoph. 42 f., 222, 397 positivistische Forschungsmethoden 276 Potenz und Funktion 52 „Prädominanz des Quäle“ in der Wirtschaft 339, 341 prästabilierte Harmonie 305, 389 Pragmatismus, neoliberaler 16, 156, 322, 335 Preise 305, 346, 359 — wettbewerbsanaloge Fixierung 13,320 Preisaufschläge in der Bundesrepublik 359, 369, 371, 412 Preisautomatismus 9, 185, 195f., 291, 301, 346, 349 — Lenkungsproblematik 13, 139, 299 f. 319, 412 Preisgefüge, naturgesetzlicher Determinismus 320, 351 Preisgerechtigkeit 351, 352, 395 Preissystem der vollst. Konkurrenz 11, 190, 196, 299, 319, 332, 346, 389 Pressure groups 210 Previlegienwesen, feudales 154 Previlegierung, sozialpolitische 107 Prinzip, finales 52 Prinzipienmonismus, neoliberaler 16, 42, 64,142, 358 ff., 401 Privateigentum — neoliberale Auffassung 10f., 106,128, 403-411,416 — seinsrealistische Auffassung 119, 414ff. Privatinitiative 211, 325 Privatinteresse, individualistisches 68,71, 128, 173 — und Gemeinschaftsinteresse 230 Privatautonomie 106 Privatrechtsgesellschaft 99

Privatrechtsinstitute 408 Privatrechtsordnung, rechtsstaatliche 99, 106 ff. — und Macht 407 — und Wirtschaftsverfassung 343 Produktionsoptimum und Produktions­ maximum 160, 337 Produktivität, maximale 125 f., 314ff.,322 — und Verteilung 316, 395 Profitinteresse — neoliberale Verabsolutierung 323 ff. — Normierung und Korrektur des 332 Proletarisierung 162, 206 „pseudophilosophische Dichotomien“ nach Röpke 71 psycholog. Gesetze, Herrschaft nach Hume 101 psychologischer Prozeß zweiter Potenz 36 psychische Nötigung nach Hume 43 psychophysische Prozesse 51 Public-Utility 362 Punktualismus, interventionistischer 120,127,140,156, 185, 289 Quadragesimo anno, neoliberale Verkennung 234, 255, 260 Rätebewegung 210 Ratio 65, 282, 284, 392, 423 Rationalismus 7f., 39, 58f., 223 Realismus — gemäßigter 26, 36, 45, 61, 209 — übersteigerter 25 f., 37, 46 Rechtsmonismus, individualistischer 101, 227, 246, 251 Rechtsnominalismus 49, 99 ff. Rechtspersönlichkeit nach Miksch 134 Rechtsphilosophie, individualistische 227 Rechtspositivismus 45, 104 ff. Rechtsstaat, neoliberaler — und Exekutivstaat 116 — Gegner 112, 117, 119 — und Gemeinwohlbegriff 112f. — und K. Marx 105 f. — Rechtsunsicherheit 104 — u. Wohlfahrtsstaat 105, 113ff., 190 rechtsstaatliche u. soziale Bewegung 113, 117

Sachverzeichnis

Rechtsstaatsphilosophie, neoliberale 49, 55, 77, 94ff., 226, 242, 303, 306 — nominalistischer Verfall 112 — rechtslogische Schwäche 102, 105 Rechtssubjektivismus 110 Redistribution, Reibungsverluste der 164, 355 Reflexion — kritische des Verstandes 24 — wissenschaftliche 285 Reineinnahme, höchstmögl. u. bestmögl. Versorgung 176f., 185f. Relation 69 — logische 286 — reale 285 — soziologische 249 Relativismus, erkenntnistheoretischer 56 Renaissance altliberaler Ideen 390 Rentabilität 322ff. — u. Volkswirtschaft!. Produktivität 326 Rentabilitätsstreben u. Gesamtinteresse 175 Rentner und Pensionäre, Einkommen in der Bundesrepublik 370 Scholastik 156 Seibersein, verabsolutiertes 56 „Selbst“, individualistische Über­ steigerung d. 51, 54 Selbstbefreiungstendenzen libertinistische 229 Selbstbereicherungstendenz, egoistische 177, 185 Selbstbestimmung, Übersteigerung der 51, 54 Selbstbewußtsein, individualistisches 51, 54 Selbstentfaltung, natürl. Recht auf 262 Selbsterhaltungsstreben, individuelles 90 Selbsterhaltungstrieb u. Gesamtinteresse 174f., 228,286, 384 Selbstfinanzierung 153, 366f. Selbstgesetzlichkeit, Übersteigerung der 5 1,54 Selbstintegration, individualistische 82, 409 Selbstinteresse — konkurrierendes 66f., 68,224

465

— „wohlverstandenes“ 196, 325, 327 Selbstverwirklichung, menschl. und Freiheit 78 Seele — moderne Aktualisierung 52 — Begriff 51 f. — Leugnung 43, 52 Seelenfähigkeiten 51 Seine, jedem das 134, 354 Seinsanalogie, thomistische 111 Seinsbegriff 27, 51, 67, 70 Seinsgründe des Einzeldinges 33 Seinsordnung 34 f., 56, 67 Seinsphilosophie, realistische 283 Seinsollen der Wts. 356 Sicherheit, Verlangen nach 323 Sicherheitsstreben — der Arbeiterschaft 156 — und Monopolbildung 384, 400 Sinnesanschauung als Bedingung der Begriffsbildung 44 Sittengesetz, apriorisches 56, 95 Sittlichkeit 45, 77, 134 — der Kirche 397 — nominalist. Beinhaltung 219, 303 — in der Wirtschaft 178,185 sittl. Ordnung, Sprengung der Einheit durch Eucken 423 f. sittliches Soll u. menschl. Freiheit 77 Situationsethik 45, 56, 68 Skeptizismus 38 f., 43, 45 solidarische Gemeinschaftsverbundenheit 256 Soll, naturalistisches 67 Sonntagsheiligung 337 Souveränitätsprinzip, Ablehnung des staatl. 210 „sozial“ und „moralisch“, Gegensätze nach Hayek 223 Sozialbestimmtheit, ursprüngl. der Güter 417 Sozialbewußtsein, nominalistisches 53, 215 f. — und Lebensstandard 166 Sozial-Darwinismus 399 Soziale, das 54, 62, 69, 71 — aktualistische Umdeutung 61 ff.

466

Sachverzeichnis

— d apriorische 67, 69, 189 — funktionaltheoretische Bestimmung 53 f., 118 ff., 425 — individualpsychologische Interpretation 68, 90, 224 — kausale Bestimmung 133,135,221, ff. 245 — kollektivistische Note 135f. — markttheoretische Beinhaltung 136 ff., 315 — privatrechtl. Interpretation 93 ff. — d soziologische 223 — widersprüchliche Formulierungen 91 f., 159 soziale Auseinandersetzung, dreifache Phase nach Eucken 80 soziale Beziehung 54, 64, 224 — nominalistische Entleerung 69 ff. — Wirklichkeitswert 54f., 64j., 208, 222 soziale Durchformung des Wirtschafts­ prozesses 164 soziale Frage — „freiheitliche“ Lösung 4, 11, 80, 93, 95, 118, 161 — funktionaltheoretische Lösung 122, 127, 129, 131, 136 — klassische 80 — neuer Charakter nach Eucken 79 f., 118, 122, 161 — rechtsstaatl. Lösung 95 ff., 101, 105 f., 110, 116, 118 soziale Ganzheit 61 — begriffl. Entleerung 66 — und soziale Relation 222 — Ver substanti vierung 66 soziale Gebundenheit 54 soziale Gemeinschaft 53 soziale Gemeinschaftsbindung durch Gemeinwohlverantwortung 225 soziale Gerechtigkeit 14, 116, 160, 365 — und Besitzausgleich 409 — als Gleichgewichtsfrage 130 — individualrechtl. Normierung 136,158 — kollektivistische Verkennung durch Miksch 133 — als marktmechanische Tausch­ gerechtigkeit 128, 130f., 132 ff., 136, 158,163, 348, 350, 394

— und Subsidiarität 260 — und Vermögensbildung 162 — und Verteilungsmechanismus 318 soziale Gesinnung nach Eucken 121 soziale Integration 55, 58f., 216, 235, 361, 365 soziale Kritik bei Böhm 91 soziale Lage nach Locke 96 soziale Liebe 286 soziale Marktdemokratie, echte 403 soziale Marktwirtschaft — Begriffsbestimmung der neoliberalen 4, 142ff., 152, 237 f., 317, 357 — Theorie der neoliberalen 123, 125f., 142ff., 289f., 314ff., 366, 371 — unverfälschte Auffassung 354, 374f. soziale Moral s. Sozialeth. — neolib. Kriterium 119f., 396 soziale Nöte — vier große nach Böhm 91 Sozialenzykliken, neoliberale Umbiegung 254 soziale Ordnung — definitive Beinhaltung 23, 417 — und kinderreiche Familie 371 — wettbewerbstheoretische Beinhaltung 119, 122, 126f., 129, 315 soziale Pflichten 74 soziale Prozesse 76, 90, 107, 225 — bei V. Wiese 222 soziale u. rechtsstaatliche Revolution 106, 109, 113 sozialer Ganzheitswert 69 — rechtsstaatl. Ablehnung 110 sozialer Milieuzwang 53, 92,101 sozialer Rationalismus nach Röpke 92, 300 sozialer Wohlfahrtszweck 115 — rechtsstaatl. Interpretation 116f. soziales Alibi der neoliberalen Wirtschaftspolitik 136, 315 soziales Anliegen 145 — institutionelle Verankerung 164 — neoliberale Wertschätzung 90ff., 120 soziales Gewissen 69, 223 f. soziales Problem, ganzheitliche Sicht des 111

Sachverzeichnis

soziale Sicherung, marktkonforme 60, 142,165, 315, 365, 397 soziale Solidarität 138, 349 soziale Steuergerechtigkeit, Problem d 150 soziale Strukturpolitik 164, 206 Sozialethik 14, 115 — Beurteilung der neoliberalen 158 ff., 167f. — funktionaltheoretische Relativierung 129, 136, 154, 158, 160, 396ff. — und Markttheorie 129, 397 — unverfälschte 61, 67ff., 8 9 ,1 0 1 ,134f., 379, 420 sozialeth. Mindestansprüche nach Böhm 91 sozialeth. Prinzipien 176 sozialeth. Reflexion und Wirtschafts­ politik nach Eucken 321 sozialethische Rückbindung 61 sozialeth. Verantwortung, finale Bestimmung 222 sozialeth. Postulat und soziale Wirklichkeit heute 91 soziale Tugenden 54, 248 soziale Unzufriedenheit in der „sozialen Marktwirtschaft“ 153 soziale Verantwortung, metaphysisch begründete 70 soziale Wechseleinung 69 Sozialfortschritt, echter 373 Sozialgesetz — funktional theoretische Verkennung 156 Sozialgesetzgebung und neolib. Rechtsstaat 107f., 154 f. Sozialgleichung und Wirtschafts­ gleichung 245 Sozialisierung 10, 148, 399, 404 — der Kinderaufzuchtkosten 166 Sozialismus 8, 11, 79, 91, 401 Sozialkonformität und Marktkonformität 147,160 Soziallehre, Vorbehalte der katholischen 4 ,1 2 ,1 4 ,1 8 , 75, 211, 252ff., 268, 400 Sozialmetaphysik — individualistisch-neoliberale 89— 168, 217, 312, 335

467

— naturrechtliche 213 Sozialnatur des Menschen 55, 225, 417 — Ignorierung 225 Sozialphilosophie — naturrechtl. 7, 18, 209, 258, 260f., 401, 414, 426 — „Wasserscheide“ der 230 sozialphilosophisches Gesetz, oberstes 386 Sozialplan 162 Sozialpolitik 223 — Aufgaben 161 f. — Behinderung durch Wettbewerb 148 — betriebliche 147, 187 — dezentralisierte 147 — herkömmliche 147f., 153, 156, 161 — „integrierende“ und „gestaltende“ 162 ff. — neoliberale Auffassung 9 ff., 13f., 17, 91,108,121 f., 137,139,140— 165,315 — staatliche 147, 187 sozialpolitische Lenkungsmaßnahmen in Westdeutschland 361 Sozialprodukt 349 ff., — und Verteilung 355, 372 Sozialprinzipien des Mittelalters 416 sozialpsychologische Situation Wandel der 166 Sozialreform 11, 19, 60, 409 — als Strukturreform 165 Sozialversicherung 368 Sozialwert 53, 69, 85 — einheitskonstitutiver 111, 114 230, 244 sozialwirtschaftl. Wertprinzip 354 Sozialwissenschaft 282 Sozialzweck — als Formprinzip der Wechseleinung 215 — der Wirtschaft 285 Soziologie 62 soziologischer Monismus 205, 245 soziotechnische Kategorie nach Böhm 115ff., 126 Sparen 151 — technisches 339

468

Sachverzeichnis

Sparleistung, private in der Bundes­ republik 366, 368 f. Spielregeln, marktwirtschaftliche 53, 70, 347, 382, 388 Spiritualismus, pantheisierender Berkeleys 42 Staat 59, 73, 75f., 80, 89, 199, 365 — Ehrenrettung des 201 — ethisch begründete Autorität 112, 261 ff. — ganzheitsformendes Rechtsprinzip 263 — und Gemeinwohl 243 — moderner 74, 133, 210f., 241 f., 244, 257, 360 — neoliberaler 11, 13, 20, 93ff, 98ff, 221 ff., 241 ff., 263, 363, 388 — realistische Reserve gegenüber dem75 — als Schlichtungsinstanz 253 — subsidiärer Charakter 263 — und Vermögensbildung in der Bun­ desrepublik 371 — und Wirtschaft 311, 322, 342, 388 f. Staatsethik — aristotelische l l l f . Staatslehre, organische 208 Staatsphilosophie, römische 112 Ständeidee und Subsidiaritätspr. 256 f. Ständestaat 255 Startgerechtigkeit, Realisiserung der 9, 90 f., 140, 148, 151, 165, 342, 355, 371, 398, 409 Startungleichheit, Datum der 139, 398 ff. Steuerprogression 148, 342, 371 Steuerüberwälzung 163 Stoa, als „Erbmasse“ des Liberalismus 7 Stoiker 25 Struktur generative und wirtschaftl. Disproportionalität heute 166 Subjektivismus — philosophischer 42,45, 54, 56,68,77 f. — psychologischer der Wertlehre 320 Subsidiarität — als Grundgesetz der sozialen Zuständigkeitsordnung 258f., 260 — als Rechtsverhältnis 259 Subsidiaritätsprinzip 14, 210

— Begriffsbestimmung, vollinhaltl. 256 ff., 261, 343 — föderalist. Charakter 264 — formale Bewandtnis 260 — ideelle Übereinstimmung mit der Ständeidee 264 — Individualist. Mißdeutung 239 f., 259, 263 — und individuelle Selbstentfaltung 262 — leistungsgemeinschaftliche Verwirklichung 264 — natürliches Aufbauprinzip der Gesellschaft 263 — als modernes Strukturprinzip 257 — Polarität d 261 — positive Begründung der staatl. Reserve 261 f. — positiver Inhalt 260 — rechtlich-pluralist. Zuständigkeits­ prinzip 263 — und soziale Gerechtigkeit 260, 262 — sozialethische Normierung 260 f. — in der Sozialpolitik 147 — u. wirtschaftliche Versorgung 311 — Vorrangstellung des Individual­ prinzips 259, 261 Subsistenz, objektive der Wesenheiten 25 Substantialität 43, 52, 285 Substanz 35, 51 f., 77 — und Akzidenz 248 ff. — kritische Zersetzung 43, 50 ff., 61 Substitutions- oder Surrogatkonkurrenz bei Eucken 384 Suggestivreklame 334 Supervernunft, anonyme des Marktes 303 Supranaturalismus, unhaltbarer bei Villey 18 Syndikalismus 210 Tariflohnerhöhungen und Einkommens­ ausgleich 372 Tauschmechanismus, Gesetzmäßigkeiten des 294 Tauschwert und Gebrauchswert 335 Tauschwertgleichheit. Obj ektivität der 357 ff. Teilfunktion, individuelle zur Reali­ sierung des Gemeinwohles 70, 261

Sachverzeichnis

Theorie-Typus 284 — realistischer 392 Transformation, Tendenz zur nach Eucken 80, 141, 185, 358, 360, 401 Transzendenz 55 — erkenntnistheoretische 68 f. transzendentale Beziehungswirklichkeit 59 transzendentaler Intellekt 280 T ranszendentalphilosophie Kantische 280 f. Ultranominalismus 42f., 61, 208 Universalienproblem 23 ff., 30, 71, 276 — nominalistische Lösung 26, 36 ff., 41, 198 — realistische Lösung 26 ff. Universalismus, Spann’scher 208, 250 uno-actu-Distribution, Notwendigkeit der 164 „unsichtbare Hand“ 50, 64f., 125, 172, 254, 302ff., 307 ff. Unternehmerleistung 114, 345 Ursache-Begriff und Bedingung 52 Ursache u. Wirkung bei Hume 43 Urteile — hypothetische 282 — synthetische 46 Utilitarismus 44, 54, 57, 68, 101, 124, 228 — Benthams 134, 192 Verbraucherreaktion und Produktionsplan 334 Verdienstlichkeit der moralischen Handlung 44, 219f. Verkehrs Wirtschaft 331, 343, 348, 360, 395, 419 Vermassung 206f., 211 Vermögensbildung in Westdeutschland 162f., 347, 365f., 370 Vernunft 45, 56, 58ff., 66, 76, 278, 280, 286 — bei Berkeley 42 — bei Kant 46 — u. Sinnlichkeit bei J. Locke 41 — im neoliberalen Personalismus 89 — höhere 65, 304, 307 — und Naturrecht 416

469

— skeptische Einschätzung der 65 — wirtschaftliche und technische 288, 302,339 Vemunfter kenntnis 24 — bei J. Locke 41 Versorgung, bestmögliche 176, 178,186, 190, 314 Verstaatlichung des Eigentums 404 Verstädterung 206 Verteilung 60, 80, 114, 123, 152, 157, 350, 352 — als gesellschaftliches Problem 114, 131, 162 ff. — originäre 355 — als primäres Wirtschaftsproblem 152 — Problematik der marktmechanischen 77, 114, 131, 138, 149f., 152, 348ff, 355, 371 f., 392 — redistributive 355 — sozialgerechte 16f., 60, 123,136, 165, 193, 347 f. Verteilungsordnung, Irrationalitäten der modernen 164 Verteilungsproblem, neoliberale Vernachlässigung des 162 ff., 316, 340 Vertragsfreiheit 106, 119, 138, 343, 403 Verwaltungsgerichtsbarkeit 93 Vielheit der Dinge 28, 32 Volkswirtschaft s. Nationalökonomie und Wirtschaft VoUbeschäftigung 4, 80, 122, 342 Vollsubstantialität 51 Währung, manipulierte 359 Währungsreform 365 Wahrheitsproblem 284, 286 Wahrnehmung, sinnliche, sensitive und reflexive 32, 39 Wechseleinung, sozialphilos. 62, 114 Wechselwirkung, sozial beinhaltete 69 Weimarer Verfassung 210 Weltbolschewismus 192 Wert — sittlicher 53, 68, 72, 213 — gemeinschaftsbegründender 69 Wertbezogenheit, ganzheitliche 159 Wertempfinden, individualistisches 59, 68,101, 132, 243, 258, 356

470

Sachverzeichnis

— als Rechtsnorm im Rechtsstaat 111 Wertethik 67, 101, 357 Wertformalismus u. Wertrelativismus356 Wertfreiheit der Wirtschaftswissenschaft 17, 340, 356, 391 Wertgefüge, gesellschafdiches 85 Wertlehre — psychologischer Subjektivismus der 320 — seinsrealistische 352 Wertnominalismus wirtschaftsphilosophischer 353, 355 Wertordnung — Leugnung der natürlichen 50 — rechtsstaatliche 101 — sittlich-normative 95, 134, 222 — in der Wirtschaft 339 f. Wertorientierung, humanistische 58 Wertproblem, zentrales der Wirtschaft 15, 18 Wertqualität, objektive des wirtschaftl. Wertes 354 Wertrealismus, kritischer 351, 353, 357 Wertschätzung — gesellschaftl. 395 — subjektive 193 Werttheorie, neukantianische 356 Werturteil und Seinsurteil 356 Wertvorstellungen, neoliberaler Mangel an echten 356 Wertwelt, objektive 51, 56, 72, 101, 250 Wesenheit 25, 33, 56 — und Dasein 27 — und Individualität 34 Wesensbegriffe, objektive Wahrheit d. 30 Wesenserkenntnis, wissenschaftliche 2 7 ,3 2 f., 35,41,44, 55,68 Wesensgesetz 32, 35, 41, 45, 56, 72 Wesensgleichheit und Wesenseinheit 28 f. Wettbewerb — Begriffsbestimmung 62, 83, 399 ff. — keine ethische Kategorie 296 — markdicher und wirtschaftlicher 401 — kein Naturgesetz, sondern Vernunftgesetz 387 — relatives Koordinierungsprinzip 255, 387, 399, 400

— sozialeth. Normierung und Kontrolle 387, 398ff., 401 f. — neoliberale Verabsolutierung als universelles Ordnungsprinzip 57, 127 f., 383, 388 ff., 394, 397 Wettbewerbsethik, Kriterien der 400 f. Wettbewerbsordnung, neoliberale — als Bedingung der Gesellschaft 233, 389 — negative Ordnung des Wettbewerbs 389f., 400 — ordnungspolitische Prädominanz des Wettbewerbsprinzips 128,140 ff., 157, 198 — staad. Veranstaltung der 10f., 243, 254, 308, 326, 348, 388ff., — Totalitätsanspruch der 182, 399 ff. — gleich Wirtschaftsordnung 384, 401 Wettbewerbstheorie, neoliberale 11, 14, 57, 8 3 ,11 9 ,1 2 7 f., 346ff., 386ff.,394ff. — Grenzverwischung zwischen Modelltheorie u. Wirklichkeit 391 ff. — ontologisch-sittl. Begründung und mythische Verabsolutierung 83, 128f., 136, 161, 308, 383, 387,390, 394ff. Wirtschaft — Definition der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie 357 ff. — Definition der seinsrealistischen Wirtschaftsphilosophie 373 ff. — Wesensdeutung und Sinnerfüllung 274, 288, 291 ff., 311, 335, 339f., 356, 387, 419 f. — als organisch gegliederter, gesellschaftl. Lebens- und Kultur­ prozeß 161, 285, 291, 294, 297, 310 f. 316, 332, 337, 339, 351, 353, 360, 392 — als finalethisch determinierte Gestaltungsaufgabe 294, 311 f. — Planung u. sozialethische Durch­ formung 163,193, 342ff., 360 — und Menschenbild 336 — seinshafte Werturteile und Wert­ vorstellungen 355 f. Wirtschaftsdämonie 324

Sachverzeichnis

Wirtschaftseinheit durch normativen Ganzheitswert 310, 340 Wirtschaftsethik 180, 294, 296, 303, 357, 419 ff. — und seinshafte Wirtschaftsgesetze 419 ff. — und sittliche Gesamtordnung 419 f. Wirtschaftsgesellschaft, Konstitutions­ gesetze und Ordnungsaufgaben der 240, 254, 273, 293, 311, 356 Wirtschaftsgesetz 339, 419 ff. Wirtschaftsgewissen, sozialethische Bindung des 412, 423 f. Wirtschaftsharmonie, deistische 385 Wirtschaftskrisen 91, 139, 156 Wirtschaftsleistung, objektive Bestimmung 351 f., 399 Wirtschaftslenkung — in der Bundesrepublik 359 — zentrale 4, 80, 146, 156, 173, 176, 191, 232 Wirtschaftliberalismus 173, 351, 362 Wirtschaftl. Nutzen, Bestimmung des 352 f. Wirtschaftsordnung — Kriterien der 165, 338 f. — und politisch-soziale Ordnung 373 Wirtschaftsphilosophie — nominalistisch-neoliberale 330, 352 — realistische 327, 340 Wirtschaftspolitik 153, 294, 331, 352, 356 f. — und Modelltheorie 393 — und Sozialpolitik 160, 337 — universalgeschichd. Aufgabe der 232, 342f. — weltanschauliches Apriori 336 wirtschaftl. Prinzip siehe Ökonom. Rationalprinzip — finalethische Beinhaltung 421 ff.

471

Wirtschaftsrechnung 194, 408, 420, 423 Wirtschaftstheorie — Grenzen der 381 — neoliberale 271—373 wirtschaftlicher Wert 373 — und Verteilungsmaxime 355 Wirtschaftswissenschaft — Erkenntnisobjekt der 341 — als Geisteswissenschaft 341 — und Wertfreiheit 356, 373 Wirtschaftswunder, deutsches 13, 157, 166, 395 — und neoliberale Theorie 359 wirtschaftliches Sachziel — objektiv vorgegeben 160, 311, 321, 328f., 336ff., 342, 387 — situationsgerechte Interpretation 342 — institutionelle Sicherung 338, 343 — und Personziel 328, 330 f. Wissenschaft 31, 35, 38 — Grundlagenkrise der 45 Wissenschaftlicher Beirat 113, 115, 137 Wohlfahrt, allgemeine 73, 335, 345, 388 Wohlfahrtsstaat 90, 109, 147, 156, 226, 245 — und Rechtsstaat 105 f., 115 Wohlstand 165, 345, 365, 372 Zentralverwaltimgs Wirtschaft 141, 186, 192, 232, 245, 294, 304, 331, 348f., 358, 360, 364 Zielwahl und Mittelwahl in der Wirtschaft 181, 422 Zinsgefüge, Verunreinigung des 361 Zivilisation 8, 300, 303 Zölle und Einfuhrkontingente 371 Zunft 255 Zuständereform 400 Zwangskapitalbildung, etatisierte in der Bundesrepublik 163, 371