Die Sesenheimer Lieder, ein kritische Analyse

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Die Sesenheimer Lieder, ein kritische Analyse

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UEITRAGE

LANDES- END VOLKESKUNDE

ZUIt

IN

ELSA SS- LOT DRINGEN. XXXII.

DIE

SESENHEIMER LIEDER EINE KRITISCHE STUDIE VON

MAURER

D„. TH. OHERLEIIRER

J,

H. ED.

IN

MÜLHAUSEN

I.

K.

STRASSBURG (II EI TZ & MÜNDEL)

HEITZ

1907

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"7-

'

DLG 25 lr07

r

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Frage nach der Echtheit der

Die

mao gewöhnlich Sesenheimer

Edward Schröder

(in

Lieder

elf Gedichte,

nennl,

den Nachrichten von der K.

Gesellschaft der Wissensch, zu Göttingen, p.

51

ff.)

1905, Heft

1,

wieder aufgenommen. Er benutzte für seine Unter-

suchung eine zuverlässige, Wiedergabe der Abschriften, Student

die

hat zuletzt

(cf!

von Albert Köster gelieferte die Heinrich

Kruse

als

junger

Wallfahrt nach Sesenheim, Deutsche Rund-

schau XVII, 220

fT.)

1835

in

Niederbronn nach den ihm

vorliegenden Papieren Sophie Brions von zehn Gedichten anfertigte.

1

Das Ergebnis, zu dem Schröder gelangle,

sich kurz etwa folgendermaßen 1.

läßt

zusammenfassen

Kruse hat nur ein Goethisches Gedicht im Ori-

ginalmanuskript gesehen, nämlich das in der Hirzelschen

Ausgabe (Der junge Goethe nete.

I,

p.

261) mit Nr.

1

bezeich-

2

2.

Nr. 2, 3, 6,

7,

8, 9,

10 waren Kopien von Frie-

derikens Hand.

1 Für das elfte Gedicht («Dem Himmel wachs' entgegen») war Kruse lediglich auf Sophiens mündliche Mitteilung angewiesen. 2 Vgl. den Anhang, der abweichend von Kruses Veröffentlichung die Gedichte in derselben Reihenfolge bietet wie die Hirzelsche Sammlung.

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— 3.

Lenz gehören nur

und

5)

alle

;



die zwei Gedichle an, die

ihm

und K. Weinhold zugewiesen haben

bereits G. v. Loeper

(Nr. 4

6

zum

übrigen haben Goethe

Mir scheinen nun diese Punkte nicht über

Verfasser.

allen Zweifel

sondern eine Nachprüfung dringend zu

erhaben zu sein, verlangen.

Die Beobachlung der Handschrift hatte Kruse zu der

daß eine Gruppe

Ansicht geführt»

junge Goethe

Hier setzt Schröder mit einer Kritik

herrühren müssen.

Auffällige Reimverletzungen, wie

des Textbefundes ein.

fand

(:

und 3, 12 13 trieben (: Liebe) vorkommen, beweisen ihm unwiderleglich

genug

sie 7, l8

von Gedichten (Der

Nr. 2, 3 und 7) von Friederikens Hand

I,

blind)

(:

die Richtigkeit

iung), 7,

Die beiden

Kruseschen Auffassung.

der

ersten Fälle verraten, wie ich hinzufügen will, die Elsässerin.

ungewöhnlichen genung,

Stalt des

fordert, setzt sie die ihr geläufigere

dars

der

Reim

Form. Die maugelnde

Treffsicherheit den hochdeulsche^n Flexionsendungen gegen-

über (trieben

statt Triebe) ist für

das grammatisch wenig

geschulte Mädchen, das für gewöhnlich doch wohl Dialekt sprach, höchst bezeichnend. Soviel steht also fest: Nr. 2, 3

und 7 können keine Goethischen Originalmanuskripte

Wie

verhält



das Schröder

mit Nr. 6,

Kategorie zuweisen will

Doch erregt

freilich

Schröder,

a.

a.

eine Senkung,

aber mit

es sich

jetz

dann

9 und

10



8,

der gleichen

Die Ueberlieferung von Vers 13.

?

Sing und ich habe

Bedenken. 0., p.

sein.

dem Gedicht Nr.

59

sieht

«Da ff.,

fehlt,»

äußert

so

«vor und ein

da (von

sich

Wort uud

Kruse ausdrücklich

aus jetzt geändert) eine Wortform, die weder Goethe noch

Lenz jemals gebrauchen,

und

schließlich

ist

auch

die

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— souveräne Verwendung für

Friederike

Schröders

des

großen Anfangsbuchstabens

charakteristisch.»



Für

Es handelt sich hier

:

Annahme

die

meines Erachtens kein zwingender Grund

Der nächste und natürlichste Gedanke

vor.

der

liegt



7

ist

für

mich

um Flüchtigkeitsverschen Goethes.

Sind denn Schreibfehler und Nachlässigkeiten

in

Goethes

Aufzeichnungen eine Seltenheit oder gar eine Unmöglich-

Man denke nur an

keit?

die Briefe

!

Man

erinnere sich

daran, daß das seelenvolle Liedchen an Lili im Tagebuch folgende Gestalt hat:

Wenn

ich liebe Lili dich nicht liebte

Welche Wonne gab mir dieser Blick Und doch wenn ich Lili dich nicht liebt War was war mein Glück.

Zunächst fehlt hier über dem zeichen,

eine

Schröder bei

einer

a

dreimal das Umlauts-

des jungen Goelhe, auf die auch

anderen

Gelegenheit

(p.

80) hinge-

Dann vermissen wir sogar am Versende

wiesen hat.

Senkung

«Unart»

eine

(liebt statt liebte).

Man wird mir einwenden: Zugegeben, die Form jetz und eine fehlende oder überflüssige Senkung sind so zu erklären;

dürfen

Form

finite

schrieb

?

des

wir aber Goethe zumuten,

daß er die

Verbums mit großen Anfangsbuchstaben

Schröder hat, wie er

(p.

65) versichert, das ge-

samte Material der Straßburger Zeit durchmustert und nur ein einziges Verbum mit Majuskelanlaut gefunden. «Dies

Verbum aber

ist

ein Infinitiv (fängt an zu Erzählen),

also eine Nominalform.

Niemals erscheint ein Verbum mit

dem großen Anfangsbuchstaben.»

i

Ebenso

in Nr.

i),

i

5

Sehen

statt Sehn.

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-

8



Daraus folgt

Die Richtigkeit dieses Schlusses wird wohl niemand in

Frage

wenn

stellen,

stimmen.

die Prämissen, auf denen er ruht,

aher der Fall?

Ist dies

Schröder hat sein Augenmerk bloß auf die Slraßburger Zeit gerichtet. Die Zeit vorher

und nachher verdient

aber,

wie ich glaube, ebenfalls untersucht zu werden. Sind nämlich die

Anomalien vor 1770 und nach 1771 nicht vor-

handen, so Zeit von

finden,

wohl auch

sie in der

Sind

eine höchst gringe.

vor 1770 und nach 1771 nachweisbar,

aber sie

daß wir

die Wahrscheinlichkeit,

ist

1770—71

sie

so dürften

der Slraßburger Zeit nicht unmöglich

in

sein.

Und

sie sind

nachweisbar.

Die Briefe bieten Belege

genug. Ich notiere:

Vor der Straßburger

I.

1769



26.

Leben Sie wohl

August liebe



Zeit.

an Kälhchen

Grüßen

Freundinn,

Schönkopf: Sie

mir die

liebe Mutter.

1770



23. Januar

— an Kälhchen Schönkopf

Von

:

Strasburg Ziehe ich nach Paris. II.

1772



Nach der Straßburger

10.

Oktober



an

J.

Zeit.

C.

Kestner

hundertmal denck ich und Träum ich \on

Wie

:

vergangenen

Scenen.

1773



8.

Januar

— an

J.

C. Kestner:

Diese Nacht

Träumte ich von Lotten. 1773



Mai

script schick ich



an

J.

C. Kestner

:

Falckens Manu-

euch nach, Enlschuldigt mich doch.

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-

9

1773



— an

September

15.

Kestner

J. G.

:

Hierinn

Geht mirs wie andern ehrlichen Leuten.

Schon

diese. Beispiele, die sich leicht

vermehren ließen



namentlich auch aus den voritalienischen Tagebüchern



zeigeu,

wie es mit Goethes Schreibweise

In den Straßburger

Zum

sein.

Tagen kann

bestellt ist.

es nicht anders

gewesen

Ueberfluß enthalten die Briefe dieser Zeit selbst

eine Stelle

1770 bach

:



Schau

Es geht

September

10.

Guck

sie,



an Moritz Joseph Engel-

sie.

Form Sing

also nicht an, die

gegen Goethes Hand auszuspielen. Sie wie auch

Schlug

und l5 Goethe war

Nr. 9,

10

in Nr.

10,

,

als

Argument

echt Goethisch

ist

und Steht und Sehen

in

.

es

ganz gleichgüllig,

ob er bei einem

Verbum den großen oder den kleinen Anfangsbuchstaben verwandle. Den besten Beweis liefert der oben zitierte Brief an Käthchen Schönkopf vom 26. August 1769. Goethe rügt in demselben Käthchens Fehler, erwähnt aber keinen Fall,

wo

ja er

schreibt

sie

sich mit Majuskeln

sogar selbst

fangsbuchstaben.

ein

oder Minuskeln vertan,

Verbum

mit großen

Für gewöhnlich fügte er sich

An-

freilich

dem allgemeinen Usus. Nie dürfen wir aber ein konstantes Verhältnis des Normalen zum Abnormen erwarten. Ganze Seiten sind wohl korrekt, auf einmal taucht eine

Abweichung auf und

vielleicht

wieder eine. In solchen Stellen

kommt

bald

der

darauf schon



sonst satt-



irrationale Faktor in Goethes Persönsam bekannte lichkeil zum Durchbruch, der jeder zahlenmäßigen Ab-

grenzung

spottet.

Als weitere orthographische Anomalien wären zu er-

wähnen

:

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10

Nr. 8,

5

Schon

8,

8

liebe (Subst.),

8, 8,

n gram ,



(adv.),

(Subst.),

gäbe (Subst.).

5

Nr. 9,

8

Liebes,

9,

5

Liebliche,

9, 14 gesiebt,

trauben,

9, l8

9, 23 traube.

Nr. 10, Nr. 6,

Schwartzen,

8

2

Winder.

Daß Goethe Adjektive mit großen und Substantive mit kleinen Anfangsbuchstaben schrieb, beweist Schröders '(Kontrollmaterial» der Straßburger Zeit p. 64

Abweichungen

die Zahl der

nismäßig größer

ist als

in

und 65. Daß

unseren Gedichten verhält-

dort, fällt

kaum

ins Gewicht.

Ma-

schinenhafle Gleichförmigkeit dürfen wir bei Goethe aus

dem oben berührten Grunde

wo

es sich

bringt

um

bloß

nie erwarten

— nicht einmal,

Unregelmäßigkeiten handelt.

attributiv

die Briefe

tive Adjektiv.

Von diesem

kein

So

großer.



Schröder

verwandte Adjektive (Arme Schel-

men, einen Billigen Biographen, Idealischen

Doch enthalten

1

stillen Größe).

auch Beispiele für das prädikaist

begreifen

der Schritt wir,

zum Adverbium

daß Goethe schreiben

konnte

Ach wie Schön hats mir geklungen.

Auch

die

Form Wiuder

(Nr. 6,

2)

ist

für

mich kein

Stein des Anstoßes. Ich kann mir sehr wohl denken, daß 1 So verwendet Goethe bisweilen auch nach einem Komma oder Semikolon den großen Anfangsbuchstaben und nach einem Punkt den kleinen.

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11

Reimwort Kinder

das vorhergehe ade

Schreibweise

verschuldet



hat

diese abweichende

per

attractionem

sive

assimilationera.

Nach Schröder wären aber Friederikens Konto zu setzen.

diese «Fehler»

Ebenso

die

alle

auf

Minuskeln

am

Versanfang. (Nr. 8, 15 und 9, 3 5 19> 28 as ). Denn hier müßten «Goethes Brauch entsprechend» Majuskeln stehen. Wie unberechenbar aber der Dichter auch auf diesem Ge,

biete ist, zeigt Brief

kleine mit großen

,

,

Nr. 7 (W. A. IV,

1,

16 und 17),

p.

Anfangsbuchstaben abwechseln. Es

wo

zeigt

es ferner jede illustrierte Literaturgeschichte, die ein Fak-

von «Freudvoll und

simile

leidvoll» oder

Nachtlied («Ueber allen Gipfeln

ist

von Wanderers

Ruh»)

Soviel dürfte, wie ich hoffe, jetzt klar

enthält.

geworden

sein,

daß die mangelhafte Orlhographie in den genannten Ge-

Hand

ausreichendes Argument gegen

kein

dichten

Doch

bringen uns Fälle, die zwar mit der

vielleicht

üblichen Orthographie übereinstimmen,

von der Goethes

Nach Schröder

aber abweichen, auf die richtige Fährte. fielen

unter diese Kategorie die Wörter mit

gruppeu

lk, rk,

nk;

lz, rz,

Konzepten mit

Regelmäßigkeit

Gedancke, sincken;

Hertz,

Wolcjcen,

hat Friederike verschuldet» ist

die

Rede.

ausnahms-

Stärcke, Wircken,

tantzen» geschrieben haben.

«Die Abweichungen: Wolkenhügel 10,

Konzepten

den Laut-

nz. Goethe soll «in allen seinen

Straßburger Arbeiten und

loser

Goethes

abgibt.

9

,

Schmerzen

8,

9

Von Arbeiten und Gehören etwa die Briefe und (p.

Briefentwürfe nicht auch dazu?

68).

Die Konsonantengruppe

nk, die ich zunächst herausgreife, findet sich aber neben

nck gerade

in

solchen Schriftstücken

der

Straßburger

Zeit.

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— B.

Z.

I,

240

p.

12

August 1770):

(26.

den ersten ver-

nünftigen Gedanken.

in

Oktober 1770)

I,

p.

254

I,

p.

262 (Juni 1771

(15.

?)

Und nun

:

Dank.

vielen

Essen und Trinken und

:

ibid.

das Tanzen versunken. I,

280 (Briefentwurf)

p.

:

ich danke.

Aber auch schon vor der Slraßburger B.

Z.

und

I,

I,

223

p.

p.

226

:

Und nachher

(23.

Ich II,

Zeit

Januar 1770): Frankf.,

danke Ihnen für das Denkzetlelgen. 5 (Herbst 1771)

p.

:

getrunken.

November 1771): Andenken.

II,

p.

7 (28.

II,

p.

8 (im selben Briefe): Frankfurt bleibt das Nest.

Danken

Sie

ihm

vielmal.

Ebenso verhält es I,

p.

Sollte

237

nun

bloßer Zufall,

(27.

sicli

mit

rz.

Ich zitiere nur

Juni 1770): Schmerzen.

lk eine

Ausnahme machen? Es ist gewiß erst nach dem Straß-

daß diese Gruppe

burger Aufenthall belegt werden kann. B.

Z.

Werke (W.

A.),

aufthürmte in die Wolken;

nene

in

die

Wolken,

So beweisen

ibid.

also

rz

Bd.

37,

p.

139:

der Berge

140: vollendet das Begon-

p.

aus den Wolken.

und

lk

1

nichts gegen Goethes

Hand.

Auch das Deminulivum -chen

(statt

des gewöhnlichen

-gen) dürfen wir nicht ohne weiteres Friederike «zuschrei-

ben»,

wie

Schröder

tul (p. 69).

jungen Goethe vor, und es

ist

Denn

es

kommt beim

ganz gleichgültig, ob mehr

oder weniger häufig.

Schröders einzige Stütze für seine Behauptung, daß 1 Dagegen im Tagebuch (Schweiz Wolckcn angcthan.

1775)

wieder:

Und Berge

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-

-

13

wir es mit Kopien zu tun haben,

Welche

Interpunktion.

Hand

Kriterien

ist jetzt

gibt

Satzzeichen,

an

die

?

Goethe kümmerte sich so gut wie gar nicht wie aus

dem

Stilistik,

p.

83)

wie R.

eben,

halte

bemerkt,

fein

1.

um

die

Dezember 1774

«Interpunctieren Sie doch

dem Leser am

Liedgen, wie's

Der Dichter

vom

Briefe

G. Jacobi ersichtlich ist:

J.

die



noch

uns diese an die

vorteilhaftesten

ist.»

M. Meyer (Deutsche immer seine Gedichte

gesprochen im Ohr.

Nun

weisen Nr. 6, 8, 9 und 10 verhältnismäßig wenig Nicht allzugewagt scheint mir

Interpunktionszeichen auf.

deshalb

der

Schluß,

Goethe

daß

gezeichnet hat. Für Schröder ergibt

Tatsache,

daß Friederike

andere Briefstelle (Goethe an

Salzmann,

Meines Wissens

tum.

Es

muß ihm

ist

Gedichte auf-

sicli

aus derselben

Schreiberin

die

dabei

W. ist

diese

A. IV,

1,

p.

Eine

ist.

Helfersdienste

258)

:

leisten

«Punc-

das das erste auf dieser Seite.

schwer gute Perioden, und gute Puncte zu seiner

Zeit

zu machen,

noch

Punctum,

die

und

Mädgen machen weder Komma ist kein Wunder wenn ich

es



bei Mädgen-Natur annehme.» Diese Sätze beweisen Licht besehen doch nur aufs neue Goethes große Sorg-



losigkeit der Interpunktion gegenüber. Dies gibt Schröder

auch

p.

für den

62

zu.

Trotzdem macht er bald darauf

sondern die abschreibende p.

(p.

63)

Mangel an Interpunktionszeichen nicht etwa Goethe,

Hand

verantworlich, und nach

66 spricht derselbe Umstand direkt für Friederike.

f

«W ir

werden unwillkürlich an den Sesenheimer Brief erinnert.» Es können ihm nur die Worte vorschweben Die Mäd-



gen machen weder

:

Komma

noch Punctum.

Doch meint

Goethe hier offenbar nur Mädchen, die Briefe schreiben,

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14

Gedanken zu Papier bringen. Mädchen,

also ihre eigenen

die bloß abschreiben, an eine Vorlage sich halten, hat er

wohl kaum im Auge. Daß im

Komma und Punktum

kann wohl nicht

sich finden),

schon eher

letzteren Fall

gesetzt wird (falls solche

Abrede

in

im Original

gestellt

werden.

Ueberhaupt benutzt Goethe m. E. hier die Interpunktion

um

nur dazu,

«im Bilde» dem Freunde eine

Er

eigenen Seelenzustande zu geben.

«schleppenden er

Verhältnis».

Bielschowsky, Friederike und

er es nicht, diese Periode ein energisches

komme

Ich für,

einem

Mädchenhaft schwach,

wie

seinem verwöhnten «Herzchen» gegenüber fühlt

sich

(vgl.

Ahnung vom

leidet unter

daß Nr.

6,

Lili,

p. 116),

vermag

durch einen männlichen Vorsalz,

Punktum finale abzuschließen. zu dem Ergebnis Schröders Gründe da8, 9 und 10 Kopien von Friederikens Hand :

wenig stichhaltig. Solange man Merkmale vorzubringen vermag, die aus-

sind, erweisen sich als

nicht solche

schließlich bei, der diese

für Friederike sprechen, pflichte ich

Kruse

Gedichte für Goelhische Originalmanuskripte

angesehen hat.

Ueber den Verfasser kann natürlich hier

Denn daran

kein Zweifel sein.

ist

nicht zu denken, daß

Goethe die Verse eines anderen der Geliebten geschickt habe.

brauchte diese

Friederike

weil

schreiben,

umschlossen und umrahmt, beigefügt waren.

1

Gedichte

nicht

abzu-

von keinerlei intimeren Mitteilungen

sie,

Wie

den Briefen

als lose Blätter

steht es

aber

mit

den

übrigen

Gedichten ?

Von den Kopien hat nur Nr. 3 Anlaß zu Kontroversen gegeben. über, i

der

Fraglos

ist

aber Schröder Bielschowsky gegen-

das Gedicht für

ein

Lenzisches Produkt hält

Nr. 8 suchte Bielschowsky für Lenz zu retten.

Verfasserschaft

tritt

dagegen wieder Schröder

Für Goethes

ein.

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— (a.

a.

79

O., p.

sche Epistel

in

15

im Recht, wenn er «die humoristi-

ff.),

Versen» Goethe zuweist

Anrede, Sprachgebrauch

1

(p. 93).

Situation,

schließen jede andere

Annahme

aus.

Nr. 4 und 5 sind Lenzisches Eigentum Urteil der meisten Goelheforscher.

ViehofF, Strehlke,

Bielschowsky.)

fiel

nun

so lautete das

Schäfer,

:

dies aber tatsächlich der Fall, so sind

diese Gedichte auch in

behauptete, in

:

nenne

Loeper, Erich Schmidt, K. Weinhold,

v.

Ist

(Ich

Lenzens

Goethes



nicht, wie Kruse

Handschrift überliefert. Schröder

Aufgabe zu, dafür den Nachweis zu erbringen.

die

Wir übergehen

diesen

Meinungsverschiedenheit

Teil ist

— — und wen-

Abhandlung

seiner

hier unmöglich

den uns der erheblich wichtigeren Frage zu

:

Ist

eine

Nr.

I

Aulographon?

ein Goethisches oder ein Lenzisches

Kruse hat das Gedicht zuerst für eine Abschrift gehalten. Dies beweist seine

Später strich Tinte

(cf.

er

also zur Gewißheit,

sches Manuskript in ist

:

Schröder, p. 53) darüber: «nachlässig verstell-

Es wurde ihm

ter*.

Bemerkung «von fremder Hand».

fremder aus und schrieb mit anderer

Goethe

Händen

halte.

der Schreiber von Nr.

daß er ein Goethi-

Auch nach Schröder 1.

Schon

punktion macht ihm dies «wahrscheinlich».

wo

ausdrücklich zwischen «wahrscheinlich machen»

«beweisen»

und

die Inter-

(Vgl. p. 79,

5)

1

in

Man

unterschieden wird.) gleichviel Versen II

und

«Während A (= Nr. 4 Gedankenstriche bringt,

vergleiche die treffliche Charakterisierung dieses Liedes



von Siebs (Preuß. Jahrbücher 1897, p. 429 ff.). Auf die Selbstbezeichnung des Dichters möchte ich besonders aufmerksam machen. «Der Ritter» v. 1 hat eine Parallele in «Dichtung und Wahrheit», IL Teil, 10. Buch. (Soviel bedurfte es kaum, um eiuen jungen Ritter anzureizen.)

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A, (=

hat

Nr.

1)

den Doppelpunkt



16

nur einen

A, ganz

dafür bietet

;

als rhetorische

allein

Interpunktion v. 38. 42.

Gerade diese Art der Verwendung des Kolons scheint aber für den Straßburger

Goethe charakteristisch

vgl.

:

den Gesängen an Selma, wo die Gedankenstriche

z.

B. aus

ganz

fast

fehlen und an deren Stelle die Doppelpunkte treten 66

73

10 ,

74 9

,



76^. Schröder geht

so scheint es



4

,

von

der Voraussetzung aus, daß zwei numerisch gleiche Vers-

gruppen desselben Dichters die gleiche oder doch annähernd die gleiche

Spielt (p.

Anzahl Interpunktionszeichen enthalten müssen.

denn der Inhalt und die äußere Form keine Rolle?

62 Anm.

1

und

p.

63 berührt doch Schröder selber diesen

Punkt). Ist es nicht denkbar, daß ein kleines Gedicht be-

deutend mehr Interpunktionszeichen aufweist so langes?

Wäre

als ein doppelt

es so nicht leicht möglich, Goethe gegen

Doch

Goethe und Lenz gegen Lenz ins Feld zu führen? der Nerv der Schrödcrschen Begründung

anders zu suchen. 'Der

Zeichen

ist es,

Goethe soll



Doppelpunkt

ist

ja

als rhetorisches

worauf Schröder das Hauptgewicht

natürlich nur der Straßburger Goethe

eine Vorliebe

der

Selma hervorgehe! Es

auffallend,

ist

Ossianschen

danke nahe, den Grund dafür

in

dem

Gesänge

— an

Da

liegt der

Ge-

Original zu suchen.

Vergleichen wir einmal die betreffenden Stellen mit Urtext, den ich nach Fingal an ancient epic

poem

dem

in six

by James London MDGCLXII zitiere.

translated from the Galic language

Macpherson the second

Es kommen 1.

!

daß das Kolon nur

in einer Uebersetzung angetroffen wird.

etc.

legt.

für dieses Zeichen gehabt haben, wie

aus seiner Ueberselzung

books

wo

auch

Thou

edition

in Betracht

liftest

thy unshorn head from thy cloud

thy Steps are stately on thy

:

hill.

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17

Du hebest dein lockiges Haupt aus deiner Wolcke ruhig wandelst du über deinen Hügel. 2.

My

life

away

flies

like a

dream

why

:

should

:

I

slay behind?

Mein Leben

weg wie

fliegt

ein

Traum

wie könnt ich

:

zurück bleiben? 3.

Bul he

eres werc

and bis falber mourned

feil,

Aber er fiel, und sein Vater Augen waren voll Traunen. (So nach

trauerte

:

seiner Schwesler

Sloeber, der Dichter Lenz und Friede-

A.

Die Weimarer

rike von Sesenheim, Basel 1842, p. 101.

Ausgabe hat an 4.

Sad

Trüb

!

!

indeed

binn

das

Kolons ein Semikolon gesetzt.)

Stelle des

am

I

his sisler's

:

of lears.

füll

ich

nor small

:

fürwahr

my

cause of woe

und nicht gering

:

1 I

die

Ursache meines .lammers. 5.

in

And

left

Armin alone

thee

the war, and fallen

my

:

gone

pride atnong

is

my

slrenglh

women.

2

hin ist meine Slärcke Und ließ dich Armin allein im Krieg, gefallen mein Stolz unter den Mädgen. :

Angesichts solcher Talsachen bleibt uns nichts anderes übrig als festzustellen: der Doppelpunkt in Goethes Ossian-

übersetzung stisch».

ist

Damit

höchstens für

ihre feste Basis.

In der Tat,

man

«charakteri-

Schrödersche Behauptung

Die Kola in Nr.

Goethe weisen. Doch passen

1

— Macpherson

verliert aber die

sie

1

können

also nicht auf

vielleicht eher

zu Lenz?

braucht Lenzens Gedichle nur auf-

Die Tauchnitzsche Ausgabe, die sich an die Fassung von 1773 folgender Form: Sad 1 am! nor small is

hielt, bietet diese Stelle in

my in

cause of woe * Tauchnitz

war!

fallen

:

my

and

left thee,

pride

Armin, alone. Gone

is

my

strength

among women! 2

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-

18

zuschlagen, fast auf jeder Seite springen einem die Doppel-

punkte

in

die

Augen.

Verwendet

aber Lenz wie in

sie

unserem Gedicht? Das Kolon «Erwartung»

ist

dem Sesenheimer Lied ja, es deutet

M. Meyer,

Nr.

wecken

das Interesse zu

das Spannung, das

Tonzeichen,

ein

erregt. (So R.

a. a. 0., p.

steht es v. 38,

1

für den

um

82.) In in

uns

nachfolgenden Grund

geradezu das bestehende Kausalverhällnis an. Erröten und erblassen Sieh sein Gesicht

Der Schlaf hat ihn verlassen Doch wacht er nicht.

Genau so kommt Z. B. die

es bei

Lenz vor



und zwar häufig.

Wassersnoth (Lenz, Gedichte, herausgegeben von

K. Weinhold, So werth Selbst

54):

p. ist

dem

diß

Leben

vernunftlosen Vieh

es kennt die rasende

:

Kühnheit Elender Weisen noch nicht

und

.

.

.

ibid.

Aber stündlich wachset die Flut: der Vater des Stromes, Der weit ausgestrekkete See, entschwillet von Klumpen Eises, die sich zerstossen

Diese

.

Belege stammen

«Die Landplagen», das 1769 Zeit

hier

— gedruckt,

ist.

.

.

aus



dem größeren Gedicht vorder Straßburger

also

Spuren Goethischer Redaktion wird

niemand suchen wollen.

Unverdächtig

wohl auch das so verwandte Kolon

ist

deshalb

in späteren Gedichten.

1

1 Man vgl. auch die Briefe an Salzmann, Stoeber, a. a. 0., p. 48 Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam usw. und: Ich bin nicht Schuld an allen diesen Begebenheiten ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter. :

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— Z.

19

-

B.

Laß ab, laß ab um sie zu weinen. Der Tod wird euch gewiß vereinen Das Leben ist ein Augenblick, Ein trüber Traum ein Mittagsschlummer, Ein unbeträchtlich kleiner Kummer,

Und Tod

ein unaussprechlich Glück.

Ein «denn» wird noch hinzugefügt (Weinhold Nr. 18, p.

98):

Nur der Denn es Bei Lenz in Nr.

1, 48 .

begreift es recht, der es

ist

empfunden hat

Natur nicht immer

die

ist

leicht

zu fassen.

ferner der Doppelpunkt so gebraucht wie

Hier dient er dazu, einen Aussagesatz

(=

Die Nachtigall im Schlafe

Hast du versäumt

:)

mit einer nachfolgenden Aufforderung zu verbinden. (So höre

Was

nun zur

ich gereimt

Das Gleiche geschieht «Landplagen» (Weinhold,

bei

Lenz

z.

B. schon in

den

27)

p.

Die Kämpfe des Todes Endet unsterblicher Lohn

Strafe,

!)

:

laß

uns mit Freuden sie kämpfen.

ferner Nr. 18, p. 91 Ich bin mir selbst nicht klug

Drum

helfet

:

mir dazu ihr kleinen Liebesgötter

!



Doch genug hiervon! Die Interpunktion das können wir jetzt ruhig behaupten — macht uns eher «wahrscheinlich»,

daß

Lenz

geschrieben hat. gedichtet? Das ist nach

das Gedicht

Hat er es aber auch

Schröder völlig ausgeschlossen. «Einen Reim wie in

dem

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20

Sesenheimer Lied Nr. 1,9:11 Heilig sich Lenz in seinen gesunden ein echt goelhischer

ist

Goethe

stimmt.

hielt

Tal

unverzeihlich halle

fröhlicher: ein solcher

seliger,

Reim

in

Lenz so unmöglich, wie es nach der eben

hei

Schröders scheint

zitierten Stelle

?

In Lenzens Gedichten sind mehrere Male

g und ch

ge-

Schröder zählt sogar selber die einzelnen Fälle

bunden.

Doch das sind für ihn Ausnahmen,

auf.

Das

gestaltet.

Reim» (a. a. 0., p. 89). Das letztere g und ch nichl streng auseinander

und reimte unwiderstehlich: selig; (cf. Schröder p. 88 und 89). Ist aher der

:

Tagen nicht

die

nichts be-

weisen. Denn 1.

Die Aussprache des g

Nr. 88, 2.

1

In

:

=

y in

Jagd

(:

macht) in

3 war damals bereits rezipiert.

Sarg

Pelrarch in Nr. 43

II, 13 f. und Benßennenkarch im Tagebuch') liegt fal-

(:

nenkarg, reclius

:

:

sche Sehreibung vor. Sarch wäre richtiger, 3.

machte: vergleicht 1.

:

in

und

sagte

und 107,

(»3 f.

die Form noch dem Jugendgerichte

Lenz beherrschte

mehr; deshalb

125'

f.).

in der

wo

der

Einfluß

allem ch

[h]

des

2,

25

(Nr.

f.)

103,

sein Geist bereits zerrüttet war,

17 B,

Goethe hinein korrigiert,

(Nr.

spätesten Zeit

schweigt und mein ich

Hoch: sog (Nr.

nichl oder nicht

15

oder

es

einig.

:

f.)

ist

entweder von

macht

mittelhochdeutschen

zöch

sich vielleicht

(mit

echtem

gellend.



Ich will die Gründe für 1 3 auf sich beruhen lassen und mich nur an die letzte Kategorie halten. Jeder Un-

befangene hat wohl den Kindruck, daß auch diese «Aus1

ich

:

zum

Deutsche Kundschau, 18"i7, p. "27S: Wir machten Knüttelverse wünschte diesen Benncnkarg, dir zum Hochzeitsbett mir

«ich

Sarg».

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— nähme»

beseitigt

«entweder»

ist

werden

21

soll,

— und zwar

ä tout prix.

Dies

ebenso gewagt wie das «oder». Ich glaube,

wir müssen hier einfach die Tatsache konstatieren

:

Lenz

hat auch einen Reim, wie er sonst für Goethe charakteristisch

ist.

Und auch

und ch,

sollte

1

ja

keinen Unterschied zwischen g

wie aus folgendem erhellt:

Er

1.

Lenz machte

dies so sonderbar sein?

der Aussprache

in

schreibt die Verkleinerungssilbe -chen «zu allen

Anmerkung 1) auch -gen. 2 dem er mit Araminla fuhr (Tage-

Zeiten» (Schröder p. 69,

Der Wagen,

2.

buch,

p. 278),

in

hieß und heißt im Klsässischen ein Bennen-

karch. Lenz setzt an Stelle des ch ein g. Ist

aber unsere Beurteilung der »Ausnahme» richtig,

dann hindert uns

nichts, heilig:

Heim anzusehen, der auch Also ich nicht.

ist

bei

unverzeihlich für einen

Lenz möglich

Lenz der Dichter von Nr. 1?

ist.

Soweit gehe

Denn verschiedene Gründe sprechen

direkt da-

gegen.

So

trägt die erste Strophe einen ausgeprägt Goethi-

schen Charakter.

Während Lenz der

Geliebten einen verhüllenden Phali-

lasienamen (Alberline, Seraphine, Phyllis usw.) gibt, hier liche



Goethes Gewohnheit entsprechend

Name



3

tritt

der wirk-

auf und zwar im Keime. Friderikens Wesen \

i 36 f.) und Händedruck: schlug steht vereinzelt da (Nr. wird selbst von Schröder nicht als Gegenargument verwertet.

Der

ob

man

an

Strophe,

so

schläfst.

oder

Siebs

was nachweisbar Goelhisch wenn wir einmal diese Strophen

alles,

es,

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aneinander reihten? Vielleicht schließen

sie sich

zu einem

schönen Ganzen zusammen. Erwache, Friederike, Vertreih die Nacht,

Die einer deiner Blicke

Zum Tage macht Der Vögel sanft Geflüster Ruft liehe voll,

Daß mein Erwachen

soll.

Es

Morgenschimmer

gelieht Geschwister

zittert

Mit blödem Licht Errötend durch dein

Und weckt

Zimmer

dich nicht.

Am

Busen deiner Schwester,

Der

für dich schlagt,

Entschläfst

Je

mehr

du immer

fesler,

es tagt.

Die Nachtigall im Schlafe Hast du versäumt

So höre nun zur Strafe, Was ich gereimt

Schwer lag auf meinem Busen Des Reimes Joch Die schönste meiner Musen, ;

Du



schliefst ja

noch.

In der Tat ein Gedicht, in

dem

nichts

Wesentliches

vermißt wird, ein Gedicht, das des «apollinischen Dichterjünglings» würdig starke Ton,

isl.

Dieser frische, bei aller

diese gesunde,

Nach dergleichen

dürften wir bei Lenz vergeblich

Der rhythmische Fluß, keinen Zweifel

die

suchen.

sangbar leichte Form lassen

darüber aufkommen,

eine Melodie sich

Weichheit

hotTnungsfrohe Grundfarbe!

anschmiegten.

daß diese Verse an

Und zwar

ist

es

nach

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Schröder

Görnersche Melodie zu Hagedorns

die

96)

(p.



'26

«Der Morgen» (Friedender, Das deutsche Lied im II,

Uns

26):

lockt die

Morgenröte

Lenz kannte Hagedorn ibid.);

als

In Busch

kaum

Lyriker

18. Jh.,

und Wald.

(cf.

Schröder

dagegen hat Goethe sich eingehend mit diesem

Dichter befaßt.

Er schreibt an Käthchen Schönkopf von

Frankfurt aus (W. A. IV,

1,

222)

Hagedornen und einige

:

andere Bücher werde ich Ihnen ehstens schicken, möchten Sie ein Gefallen an diesem liebenswürdigen Dichter finden

wie er es verdient.

Doch wem gehören 5)

die übrigen Strophen (2, 4

und

an? Gleich beim Lesen der ersten Verse muß es uns

klar werden. dir dein Wort Und meine Ruh? Ist

nicht heilig

Erwache Unverzeihlich Noch schlummerst du? !

Horch, Philomelens Kummer Schweigt heute still,

Weil dich der böse Schlummer Nicht meiden will.

Wo

blieb das schlicht-schöne Ethos, das die Goethi-

schen Verse adelt, der liedartige Charakter des Ganzen? Hier linden

wir nervös aufgeregte,

übertreibende Dekla-

und Ausrufe, und infolgedessen einen «zerhackten Rhythmus». Das ist mation,

ein

rhetorische

völlig

anderes

Mittel,

wie

Fragen

genus von Dichtung.

Dort die Ver-

schwisterung mit der Musik, hier mit der Beredsamkeil!

Es kann kein Zweifel sein der Abschreiber Lenz ist zu Wort gekommen. Der Reim heilig unverzeihlich steht :

:

unserer Annahme, wie wir oben dargelan haben, nicht im

Wege. Brauchen wir da das Ungoethische

in

Wendungen

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— «böser Schlummer»

wie

-

'27

und

«Philomelens

noch besonders zu unterstreichen

Kummer»,

?

Die zweite Strophe behandelt beinahe dasselbe

wie die

es sieht fast so aus, als habe

erste. Ja,

mit Goethe, wetlslreit

Als

1

dem heimlich beneideten

Thema

Lenz

hier

Rivalen, einen Sanges-

aufnehmen wollen. Lenzisches Produkt

die Strophen 4

charakterisieren

sich

auch

und 5: Rhetorisch-sentimentale Auschmück-

kungen oder Weilerführungen der von Goethe angeschlagenen Motive. Für Goethe scheint mir gleich die Anrede («Schöne») zu matt, zu nichtssagend, der Inhalt der ersten

Verse zu weichlich. Ich seh dich schlummern, Schöne,

Vom Au «je

rinnt

Mir eine süße Träne Und macht mich blind.

Dann

die echt Lenzischen Doppelfragen:

Wer kann Wer wird An Lenz

erinnern auch die Verse

Und

war' er von den Zehen

Zum Denn

Eis oder

Kopf von

Eis.«

Schnee und fiebernde

vertraute Anlilhesen. Stelle

dich fehllos sehen, nicht heiß?

im Tagebuch

Man denke (p.

288)

:

Glut

ihm

sind

namentlich an folgende

Ach wie

alles

Eiß mir

in

* Die Bezeichnung Philomele taucht bei Lenz bereits in den «Landplagen» auf tWeinhold, p. ^4): Lange schon waren Die Harmonien des Waldes verstummt. Mit schlaffem Gefieder Liegt über ihre Jungen erstarrt Philomele gebreitet.

2

Bielschowsky,

a.

a.

0.,

p.

84,

bemerkt zur Form

:

«Eine

sprachlich wie rhythmisch ungewöhnlich halte Wortverbindung».

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— der

Brust

war.

der

Ausruf

:



In

o Glück

!

-

28

der

sicherlich von Klopstock beeinflußt Z.

Strophe

fünften

Lenz

die Rede. 1

unterbricht

liebt



hierin

— solche Einschiebsel.

B,

Und nun, Sank

sie

Wunder

o Himmolerschütlerndes langsam verlöschend.

(Nr. 7, 90.)

oder:

Schwebt

0

sie



im Paradiese oder hier Schaur unsichtbar neben mir.

göttlich süßer

!

Anhang

(Nr. 43,

Sogar derselbe Ausdruck wird verwandt

II.)

wie im Sesenheimer Lied

:

Bistu vergnügt, o Glück! so theil ich dein Vergnügen.

(Nr. 28,

Auf Lenz weisen auch, p.

wie

schon

87 gesehen hat, die Schlußverse der

:>5.)

Bielschowsky,

5.

Strophe

Der Schlaf hat ihn verlassen, Doch wacht er nicht Sie haben eine Parallele in den Worten, die Lenz 28. Juni 1772

von Fort-Louis an Salzmann

richtet:

am «Ich

wache des Nachts mit schlafenden Augen».

Wenn dichtes

wir

uns diese Zusammensetzung unseres Ge-

vergegenwärtigen,

so

begreifen

wir den wenig-

befriedigenden Eindruck, den es als Ganzes auf jeden Un-

befangenen machen muß. Lenz hat

zwingen uns

die Talsachen





zu dieser

Annahme

Goethes Gedicht sich von

Friederiken zu verschallen gewußt und ihr statt des Ori-

1

Vgl. 0. Anwantl, Beitrage

M. R. Lenz,

zum Studium

der Gedichte von

J.

p. :M).

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— —

ginals eine schrift

mit

Zum

in

rikens 2.

Aufrallen

kann



Ab-

dies bei Lenzens

keiner Weise.

Schlüsse fasse ich das gewonnene Ergebnis noch-

einmal kurz zusammen 1.



eigenen Slrophen erweiterte

zurückgegeben.

Charakter

29

Nr.

2,

:

3 und 7 geben sich als Kopien von Friede-

Hand zu erkennen. Nr. 6, 8,

9 und

10

sind

Goethische,

Nr.

1,

1

und 5 sind Lenzische Aulographa. 3.

In Nr.

1

stammen

die Strophen

1,

3 und C von

Goethe, die Strophen 2, 4 und 5 von Lenz.

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ANHANG. Kruses Abschrift der Sesenheiner Lieder

II.

(nach Schröders Angaben hergestellt).

1.

Krwache Friedericke Verl reib die Nacht Die einer Deiner Blicke

Zum Tage

^

macht.

Der Vögel sanft Geflüster Hüft liebevoll

Das mein

geliebt Geschwister

Erwachen

soll

Ist

Dir Dein Wort nicht heilig

Und meine Ruh? Erwache Unverzeihlich Noch schlummerst Du Horch Philornelens Kummer !

!

!

j

Schweigt heute still Weil Dich der böse Schlummer Nicht meiden will. Es

zittert

Morgenschimmer

Mit blödem Licht \

.

Errötend durch dein

Und weckt Dich

Zimmer

nicht.

-|

Am

Busen Deiner Schwester Der für Dich schlagt Entschläfst

Je

mehr

Ich

seli

Du immer

fester

es tagt.

Dich sohl ummern, Schöne,

Vom Auge

rinnt

Mir eine süße Träne Und macht mich blind Wer kann es fehl los sehen Wer wird nicht heiß Und wär er von den Zähen

Zum Kopf

von Eiß

träumend

Vielleicht erscheint Dir

0 '

Glück mein Bild Das halb im Schlaf und reimend Die Musen schilt Errölhen und erblassen Sich sein Gesicht:

Der Schlaf hat ihn verlassen Docli wacht er nicht. Die Nachtigall, im Schlafe

Du versäumt So höre nun zur Strafe

Hast

Was

ich gereimt

Schwer lag auf meinem Busen Des Heimes Joch. Die schönste meiner Musen

Du



schliefst ja

Jetzt fühlt der Engel,

noch.

was

Ihr Hertz gewan ich mir

ich fühle

beym

Spiele

Und sie ist nun von Herlzen mein Du gabst mir Schicksaal diese Freude Nun laß auch Morgen sein wie heute Und lehr mich ihrer würdig sein

Nun Den

silzt

ihr



33

^

3.

der Ritler an

ihm nannlet

dem

— Ort,

liebe Kinder,

Sein Pferd gieng ziemlich langsam hört

Und Da

i

seine Seele nicht geschwinder.

sitz

nun vergnügt

ich

bei tisch

Und endige mein Abendteuer Mit einem Paar gesottener Eyer

Und einem Stück gebacknem

Fisch

Die Nacht war warrlich zimlich düster

Mein Falcke

stolperte wie Glind

Weeg so gut Des Sonntags früh zur Kirche fand. Und doch

fand ich den

4.

als

ihn der Küster

-

Ach bist Du fort ? Aus welchen güldnen Träumen Erwach ich itzt zu meiner Quaal? Kein Bitten hielt Dich auf, Du wolltest Dich nicht säumen Du flogst davon zum zweitenmal



Zum

zweiten Mal sah ich Dich Abschied

Dein

göttlich

Aug

nehmen

Tranen stehn, Für Deine Freundinnen des Jünglings stummes Gramen Blieb unbemerkt, ward nicht gesehn

0 warum

in

wandlest



Du

die holden Blicke

Beim Abschied immer von ihr ab 0 warum ließest Du ihm nichts, ihm Als die Verzweiflung und das Grab?

nichts zurücke

Wie ist die Munterkeit von ihm gewichen. Die Sonne scheint ihm schwarz, der Boden leer, Die Baume blühn ihm schwarz, die Blätter sind verblichen Und

alles

i

welket

um

ihn her

Statt fort.

3

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— Er

läuft

Gegenden,

in

wo



34

er mit Dir gegangen

Im krummen Thal, im Wald, an Bach — Und findet Dich nicht mehr, und weinet voll Verlangen Und voll Verzweiflung dort Dir nach Dann

in die Stadt

zurück, doch die erweckt ihm Grauen,

Dich nicht mehr, Vollkomenheit Ein andrer mag nach jenen Puppen schauen

Er

finde!

Ihm

0

1

sind die N'ärrinnen verleid

laß Dich doch, o laß Dich doch erflehen

Und

schreib

Ach oder



ob Du ihn Dich wieder sehen

ihm einmal nur

laß ihn nie

Wenn Du ihm

liebst



diesen Trost nicht giebst.

Wie ?

nie Dich wiedersehn ?

Ström

alle



entsetzlicher

Deine Quaal auf mich Ich fühl ich fühl ihn ganz es ist zuviel Ich sterbe Grausame für Dich









Gedanke



ich

!

wanke



o.

Als ich in Saarbrücken.

Wo Wo Wo

1

Du itzt mein unvergeßlich Madchen, Du ilzt? lacht die Flur? wo Iriumfirt das Sladtchen

bist

singst

Das Dich besitzt? Seit

Du

Und

es vereint

entfernt, will keine

Der Himmel sich, Dir Mit Deinem Freund

1

Sonne scheinen

zarllich

nachzuweinen

Bemerkung von Friederikens Hand. (Nach Düntzer, Frauen-

bilder aus Goethes Jugendzeit, p. 26.)

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All Still

unsre Lust

fort

ist

mit Dir gezogen

überall

und Feld

Ist Stadt



Dir nach

ist

sie geflogen

Die Nachtigall

0 komm

zurück Schon rußen Hirt und Heerden Dich bang herbey. Komm bald zurück! sonst wird es Winter werden !

Im Monath May.

6.

komme bald, ihr goldnen Kinder, Vergebens sperret uns der Winder In unsre warmen Stuben ein Wir wollen uns zum Feuer setzen Und tausendfaltig uns ergötzen Uns lieben wie die Engelein Wir wollen kleine Kräntzgen winden Wir wollen kleine Sträußgen binden Und wie die kleinen Kinder sein Ich

7.

Kleine Blumen, Kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand gute iunge Frühlings Göller

Tandlent auf ein Zephier

luftig

nimms auf

Band

deine Flügel

um

meiner Liebsten Kleid Und dan tritt sie für den Spiegel mit zufriedener Munterkeit Schlings

Sieht mit Hosen sich

umgeben

Sie wie eine Rosse iung



einen

Und

Kuß

geliebtes

ich bin belohnt

Leben

genug,

Schicksal Seegne diese trieben

Laß mich ihr und laß Sie mein Laß das Leben unsrer Liebe Doch kein Rossen Leben sein

1,1

Madien das wie

ich Empfindet Reig mir deine Liebe Hand Und das Band das uns verbindet sey kein schwages Rossen Band.

8.

Balde seh ich Rickgen wieder Balde bald umarm ich Sie Munter tantzen meine Lieder

Nach der süssten Melodie,

Ach wie Schön

liats mir geklungen meine Lieder sang Lange hab ich nicht gesungen Lange liebe liebe lang

Wenn

sie

Denn mich angsten

tiefe Schmerzen mein Madchen mir entflieht Und der wahre gram im Hertzen Geht nicht über in mein Lied

Wenn

Doch

jetz

Sing und ich habe

Volle Freude süß ja,

ich

und rein

gäbe diese gäbe

Nicht für aller Klöster

Wein

9.

Ein grauer trüber Morgen Bedeckt mein Liebes Feld

im Nebel Ligt

um

tief

verborgen,

mich her die Welt,

o Liebliche Fridrike

Dürft ich nach Dir zurück In einem Deiner DI icke Liegt Sonnenschein und Glück

Der Baum in dessen Rinde Mein Nahm bev Deinem Steht Wird bleich vom rauhen Winde, Der jede Lust vorweht Der Wiesen grüner Schimmer Wird trüb wie mein gesicht Sie Sehen die Sonne nimmer

Und

ich Fiidricken nicht,

Bald geh ich in die Reben

Und herbste trauben ein umher ist alles Leben Es strudelt neuer Wein, in der öden Laube

Doch

ach, denck ich

war

Sie hier,

ich brächt ihr diese traube,

Und

Sie



was gab

Sie

mir

10.

Es Schlug mein Hertz, geschwind zu Pferd Und fort wild wie ein Held zur Schlacht Der Abend wiegte schon die Erde Und an den Bergen hieng die Nacht Schon stund im Nebelkleid die Eiche Wie ein gethürmter Riese da, Wo Finsterniß auß dem Gesträuche Mit hundert Schwartzen Augen sah Der Mond von einem Wolkenhügel Sah schläfrig aus dem Duft hervor !

38

H.

1

Dem Himmel wachse 2 entgegen Der Baum, der Erde Slolz. Ihr Weiler, Stürm' und Regen, Verschont das heilige* Holz!

Und

soll

ein

Namen

3

verderhen

So nehmt die Ohern * in Acht Es mag der Dichter slerhen, Der diesen Reim gemacht.

1

Siehe Seite 5,

Anmerkung

1

1.



!

Bei Kruse die Uebcrschrift

Einzcichnung auf die Tafel in der Buchcnlaube bei Sesenhcim unter die Namen der Freunde. Das Gedicht bezieht sich jedoch nicht auf diese Tafel, sondern aof den Baum, der auch in Nr. 9 ( 9 ln ) erwähnt ,

wird. (Schröder, *

p.

71).

Richtige Losarten

:

wachs



hcilgc



Name



den obern.

(Schröder, p. 72).

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